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Full text of "Die Entwickelungsgeschichte der Unke (Bombinator igneus) als Grundlage einer vergleichenden Morphologie der Wirbelthiere"

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HARVARD    UNIVERSITY. 


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MUSEUM  OF  COMPARATIVE  ZOOLOGY. 


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ALEXANDER    AGASSIZ. 


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DIE 


ENTWICKLUNGSGESCHICHTE 

DER  UNKE 

(BOMBINATOR  IGNEUS). 


DIE 


ENTWICKLUNGSGESCHICHTE 

DER  UNKE 

(BOMBINATOR  IGNEUS) 


ALS  GRUNDLAGE  EINER  VERGLEICHENDEN  MORPHOLOGIE 


DER  WIRBELTHIERE 


VON 


D*  ALEXANDER  GOETTE 

PRIVATDOCENT  AN   DER  UNIVERSITÄT   STRASSBURG. 


MIT  ETNEM  ATLAS 

VON  ZWEIUNDZWANZIG  TAFELN. 


LEIPZIG, 

VEKLAG  VON  LEOPOLD  VOSS. 
1875. 


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Torwort. 


Dieses  Buch  wird  den  Ansprüchen,  welche  man  mit  Rücksicht  auf  den 
angezeigten  Gegenstand  und  den  äusseren  Umfang  an  dasselbe  stellen  wird, 
nicht  genügen.  Es  entstand  nicht  nach  dem  Abschlüsse  der  ganzen  zu 
Grunde  liegenden  Arbeit,  sondern  allmählich  im  Verlaufe  derselben,  wobei 
eine  nachträgliche  Umarbeitung  der  ersten  Abschnitte  durch  äussere 
Umstände  verhindert  wurde.  Daher  beginnt  es  nicht  mit  der  Sicherheit 
einer  umfassenden  Uebersicht,  sondern  in  enggezogenen  Grenzen,  welche 
den  Vorwurf  einseitiger  Auffassung  hervorrufen  könnten.  Von  diesem 
beschränkten  Anfange  breitete  sich  aber  die  Arbeit  nach  so  vielen  Richtungen 
aus,  dass  eine  umfassende  Darstellung  aller  bereits  vollendeten  Unter- 
suchungen in  einem  Buche  sich  sehr  bald  als  unmöglich  herausstellte.  In 
vielen  Fragen  habe  ich  mich  daher  auf  kurze  Referate,  bisweilen  nur  auf 
flüchtige  Bemerkungen  beschränken  müssen ,  welche  eben  nur  die  Kenntniss 
des  Gegenstandes  andeuten  sollten,  während  die  Ausführung  in  eine  Fort- 
setzung meiner  „Beiträge  zur  Entwickelungsgeschichte  der  Wirbelthiere" 
verwiesen  werden  niusste.  War  diese  Einschränkung  schon  für  den  Haupt- 
theil  dieses  Buches  nöthig,  so  wird  die  Darstellung  der  allgemeinen  Ergeb- 
nisse im  Schlusskapitel  nach  vielen  Seiten  noch  unvollständiger  erscheinen; 
denn  nach  jahrelanger  Arbeit  lockte  mich  ein  schneller  äusserer  Abschluss 
mehr  als  die  Aussicht,  die  Betrachtung  noch  über  das  Mass  des  Nothwendigen 
hinausführen  zu  können.  Auf  diese  Weise  ergab  sich  eine  gewisse  Ungleich- 
mässigkeit  in  der  Behandlung  des  Stoffes  und  entstanden  manche  Unzu- 
träglichkeiten in  der  Anordnung  desselben ,  sodass  das  Sachregister  noth- 
wendiger  als  sonst  erscheinen  dürfte.     Aus  dem  Gesagten  erklärt  sich  auch, 


V 


VI  Vorwort. 

warum  die  entwickelungsgeschichtlichen  Arbeiten  der  letzten  Zeit  von  mir 
gar  nicht  mehr  oder  nur  theilweise  berücksichtigt  werden  konnten. 

So  klar  mir  die  genannten  Mängel  dieses  Buches,  um  von  anderen  zu 
schweigen,  vorliegen,  so  mögen  ihre  Ursachen  doch  einen  Vortheil  bieten. 
Indem  ich  die  ersten  Abschnitte  so  wiedergebe,  wie  sie  vor  Jahren  entstanden, 
lange  bevor  die  gegenwärtige  Ausdehnung  der  ganzen  Arbeit  sich  voraus- 
sehen Hess,  wünsche  ich  meine  Leser  davon  zu  überzeugen,  dass  die  dort 
niedergelegte  Auffassung  von  der  Bedeutung  des  Eies  und  dem  Wesen  seiner 
Elitwickelung  ohne  vorgefasste  Ansichten  unmittelbar  aus  der  Untersuchung 
eines  beschränkten  aber  ganz  besonders  günstigen  Gegenstandes  sich  ergab. 
Dann  gewinnt  aber  auch  die  Thatsache  an  Bedeutung,  dass  es  mir  nur  von 
diesem  Ausgangspunkte  möglich  war,  alle  Einzeltheile  der  thierischen 
Morphologie  in  einen  einheitlichen  und  natürlichen  Kausalzusammenhang  zu 
bringen ,  dadurch  aber  auch  den  neuerdings  häufig  verkannten  Werth  der 
individuellen  Entwickelungsgeschichte  der  Thiere  für  ihre  gesammte  Morpho- 
logie von  neuein  zu  erhärten. 

A.  Goette. 


Inhaltsübersicht. 


Seite 

I.  DieEntwickelungdesEierstockseies 1 — 37. 

Historische  Uebersicht 1 — 9. 

Beschreibender  Theil 10—26. 

Vergleichender  Theil 26 — 37. 

II.  Die  Dottertheilung 38  —  110. 

Historische  Uebersicht 38 — 49. 

Beschreibender  Theil 49  —  65. 

Vergleichender  Theil       65  —  110. 

III.  Die  Bildung  der  Keimblätter 111-145. 

Historische  Uebersicht    .     .     .     .    ' 111 — 122. 

Beschreibender  Theil 122—133. 

Vergleichender  Theil       .     .    * 133-145. 

IV.  Die  Sonderung  der  einzelnen  Organanlagen  .     .     .     .  146  —  270. 

1)  Die    Leistungen    des    oberen    Keimblattes.     Historische 

Uebersicht 146 — 154. 

Beschreibender  Theil 154 — 176. 

Vergleichender  Theil 176—188. 

2)  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.     Historische 

Uebersicht 188—197. 

Beschreibender  Theil 198—229. 

Vergleichender  Theil 229—257. 

3)  Die  Leistungen  des  Darmblattes.    Historische  Uebersicht .  258 — 260. 
Beschreibender  und  vergleichender  Theil 260 — 270. 

V.  Das  Centralnervensystem 271—319. 

Historische  Uebersicht 271 — 274. 

Beschreibender  Theil:  1.  Das  Rückenmark 275 — 280. 

2.  Das  Hirn 280—297. 

Vergleichender  Theil 297—319. 


VIII  Inhaltsübersicht. 

Seite 

VI.  Die  drei  höheren  Sinnesorgane 320 — 335. 

Historische  Uebersicht 320 — 322. 

Beschreibender  Theil 323  —  332. 

Vergleichender  Theil 332—335. 

VII.  Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule 336  —  437. 

Historische  Uebersicht 336 — 349. 

Beschreibender  Theil 349—399. 

Vergleichender  Theil 399—437. 

VIII.  Die  Segmente  des  Rumpfes 438 — 619. 

Historische  Uebersicht 438 — 449. 

Beschreibender  Theil:  1.  Die  Muskeln 449 — 478. 

2.  Die  Nerven 478—490. 

3.  Das  interstitielle  Bildungsgewebe 490 — 528. 

Vergleichender  Theil 528  —  619. 

IX.  Der  Kopf 620-744. 

Beschreibender  Theil:  1.  Der  Vorderkopf 620—662. 

2.  Der  Hinterkopf 662—683. 

Vergleichender  Theil 683—744. 

X.  Das  Herz  und  das  Gefässsystem 745 — 788. 

Beschreibender  Theil:   1.  Das  Herz 745—752. 

2.  Die  Arterien 752—759. 

3.  Die  Venen 759-774. 

4.  Die  Lymphgefässstämme 774-775. 

Vergleichender  Theil 776  —  788. 

XI.  Der  Darmkanal  und  seine  Anhangsorgane    ....  789 — 818. 

Beschreibender  Theil 789 — 813. 

Vergleichender  Theil 813—818.' 

XII.  Die  Harn- und  die  Geschlechtsorgane 819 — 840. 

Beschreibender  Theil:  1.  Die  Urnieren 819— 82s. 

2.  Die  bleibenden  Nieren 828—831. 

3.  Die  Geschlechtsorgane 831 — 834. 

Vergleichender  Theil 834     840. 

XIII.  Schlussbetrachtungen 841—904. 

Verzeichniss  der  benutzten  Litteratur 905 — 916. 

Alphabetisches  Autorcn-Verzcirhniss 917 — 918. 

Erklärung  der  Abbildungen 919     956. 


I.    Die  Entwickelung  des  Eierstockseies. 


Der  natürliche  Ausgangspunkt  für  die  Entwickelungsgeschichte  unseres 
Thieres  ist  derjenige  Zustand  des  Keims,  des  Bildungsstoffes  für  den  künftigen 
Organismus,  wo  derselbe  für  die  Embryonalentwickelung  vollkommen  reif  ist, 
die  letztere  aber  noch  nicht  begonnen  hat.  Dieser  Zustand  offenbart  sich  zu- 
gleich als  derjenige  der  grössten  Einfachheit :  der  Keim  besteht  alsdann ,  wie 
ich  zeigen  werde,  aus  einer  durchaus  gleichartigen,  in  ein  zartes  Bläschen  ein- 
geschlossenen Masse.  —  Die  unvollständige  Kenntniss  von  der  Entstehung 
dieses  Keims  hat  aber  bisher  die  Auffassung  hervorgerufen  und  aufrecht  erhal- 
ten, als  sei  derselbe  eine  mehr  oder  weniger  modificirte  Zelle  (Eizelle);  wollte 
ich  also  meine  Mittheilungen  mit  dem  reifen  Keime  eröffnen,  so  würde  ich  jene 
Auffassung ,  welcher  ich  bei  einer  geschlossenen  Untersuchungsreihe  vom  Eie 
bis  wieder  zum  Eie  nicht  beitreten  kann,  zunächst  bestehen  lassen  müssen. 
Meiner  Darstellung  des  Zellenlebens  und  der  Entstehung  des  organischen  Lebens 
überhaupt  fehlte  alsdann  der  meiner  Ansicht  nach  einzig  richtige  Gesichtspunkt, 
von  dem  aus  sich  dem  Leser  der  Zusammenhang  aller  übrigen  Thatsachen  offen- 
barte. —  Um  also  aus  der  Bildungsgeschichte  des  Keims  seine  Bedeutung  zu 
erläutern,  und  um  an  einen  bestimmten,  Allen  geläufigen  Begriff,  nämlich  den 
einer  ausgebildeten  Zelle  mit  indifferentem  Charakter  anzuknüpfen,  beginne  ich 
mit  der  Entwickelung  des  Eierstocks  zu  der  Zeit,  wo  derselbe  nur  aus  solchen 
noch  indifferenten  Elementen  zusammengesetzt  ist. 

Historische  Uebersicht  der  bisherigen  Untersuchungen. 

Die  ganze  Entwickelungsgeschichte  der  Geschlechtsdrüsen  gehört  in  ein 
späteres  Kapitel  und  soll  hier  nur  dasjenige  angeführt  werden,  was  sich  beson- 
ders auf  die  Entstehung  und  Ausbildung  der  Eierstockseier  bezieht. 

Goette,  Entwickelungsgeschichte.  1 


I.  Die  Entwickeluns-  des  Eierstockseies 


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Rathke  verdanken  wir  die  ersten  bemerkenswerthen  Angaben  über  die 
Bildungsweise  der  Geschlecbtstbeile  überhaivpt;  über  die  Eier  bemerkt  er  aber 
bloss,  dass  sie  sieb  erst  im  zweiten  Winter  nach  der  Larvenmetamorphose  zeigen 
(No.  3  S.  25.  26). 

Nach  Prevost  und  Dumas  sind  die  reifen  Eierstockseier  des  gemeinen 
Frosches  aus  zwei  koncentrischen  Bläschen  gebildet,  das  innere  mit  dem  un- 
durchsichtigen Dotter  gefüllt,  das  äussere  dem  ersteren  innigst  verbunden.  Eine 
Hälfte  des  Dotters  ist  braun,  die  andere  gelb  gefärbt.  Mitten  im  braunen  Felde 
befindet  sich  ein  runder  heller  Fleck  und  in  dessen  Centrum  ein  trüber  Punkt, 
welcher  von  einem  beide  Hüllen  durchbohrenden  Loche  herrührt  (No.  2  S.  104). 
Im  Eileiter  und  gleich  nachdem  die  Eier  ins  Wasser  gelangt  sind,  werden  die 
Grenzen  des  Flecks  zackig  und  verwaschen,  in  einem  innern  koncentrischen 
Kreise  liegt  der  bezeichnete  Punkt.  Diese  ganze  Stelle  sei  die  Narbe  (cicatricula), 
von  welcher  die  Embryonalentwickelung  ausgehe  und  die  im  Wasser  stets  nach 
oben  gekehrt  bleibe  (S.  109). 

v.  Baer  gibt  in  seiner  Abhandlung:  De  ovi  mammalium  et  hominis 
genesi  Seite  27 — 31  einen  ausführlichen  durch  Abbildungen  erläuterten  Bericht 
über  die  Entwicklung  des  Batrachiereies  bis  zur  Befruchtung  und  wiederholt 
ihn  im  Wesentlichen  in  seiner  Entwicklungsgeschichte,  IL  Band,  Seite  281  und 
folgende.  Der  im  Eierstocke  zuerst  erscheinende  Theil  des  Eies  sei  das  (bei 
den  Betrachiereiern  von  v.  Baer  zuerst  gesehene)  PüRKiNJE'sche  Bläschen 
(Keimbläschen) ,  an  welches  darauf  die  Dotterkörnchen ,  von  einer  Seite  be- 
ginnend, sich  lagern  (Nr.  8  S.  281,  Nr.  7.  S.  27).  Diese  das  Keimbläschen  zu- 
nächst umgebende  körnige  Masse  vergleicht  v.  Baer  dem  Keimhügel  des  Vogel- 
eies. In  den  jüngeren  Eiern  sei  das  Keimbläschen  durchsichtig  und  enthalte 
mehr  oder  weniger  Körner  (Nr.  7  S.  27);  wenn  das  Ei,  reifer  werdend,  an 
einem  Theile  der  Peripherie  eine  dunklere  Dotterschicht  erhalten ,  rücke  das 
Bläschen  aus  dem  Centrum  der  Dotterkugel  fort  bis  unter  die  Oberfläche, 
durchbreche  diese  endlich  und  wölbe  die  Dotterhaut  vor  (Nr.  7  S.  28  und  Nr.  8. 
S.  281).  Sobald  das  reife  Ei  den  Eierstock  verlassen  und  sich  in  dem  Eileiter 
oder  auch  nur  auf  dem  Wege  dahin  befindet,  ist  das  Keimbläschen  verschwun- 
den; an  seiner  Stelle  zeigt  sich  eine  Lücke  in  der  schwarzen  Dotteroberfläche 
(Keimschicht  —  v.  Baer)  ,  durch  welche  die  innere  helle  Dottermaäse  zu  Tage 
tritt,  und  innerhalb  derselben  eine  enge  Vertiefung  mit  einem  dunklen  Punkte 
an  ihrem  Grunde  (Nr.  7  S.  28.  29  und  Nr.  8  S.  282.  283).    „So  lange  die  Eier 


I.    Die  Entwicklung  des  Eierstockseies. 


8 


im  Eileiter  sind ,  ist  diese  Lücke  stets  da ,  nach  dem  Austreten  konnte  ich  sie 
nicht  immer  erkennen,  und  auf  jeden  Fall  schwindet  sie  sehr  bald.  Ich  zweifle 
daher  nicht ,  dass  sie  eine  Spur  von  dem  Hervordrängen  und  Schwinden  des 
Keimbläschens  ist.  Im  Innern  der  Dotterkugel,  doch  nicht  in  der  Mitte,  son- 
dern unter  der  Keimschicht  ist  eine  Höhle";  diese,  „welche  man  wohl  für  den 
früheren  Aufenthaltsort  des  Keimbläschens  ansehen  darf,  bewirkt,  dass  immer 
die  Keimschicht  nach  oben  liegt,  sobald  so  viel  Wasser  eingesogen  ist,  dass  die 
Dotterkugel  sich  in  der  Dotterhaut  drehen  kann"  (Nr.  8.  S.  283).  —  An  einer 
andern  Stelle  (Nr.  14  S.  485)  fügt  v.  Baer  noch  hinzu,  dass  jene  Höhle  durch 
einen  Kanal  mitten  im  dunklen  Felde  ausmünde,  und  dass  die  Flüssigkeit 
zwischen  Dotter  und  Dotterhaut  theils  von  der  Wasseraufsaugung  und  theils 
aus  dem  Keimbläschen  herrühren  mag. 

Rusconi's  ausführlichere  Mittheilungen  über  das  Verhalten  der  reifen 
Batrachiereier  im  Eierstocke  und  Eileiter  finden  sich  in  seiner  Histoire 
naturelle,  developpement  et  metamorphose  de  la  salamandre  terrestre,  Seite 
26 — 30.  Im  reifen  Eierstocksei  des  Frosches  liege  das  Keimbläschen,  welches 
früher  das  Centrum  einnahm,  dicht  unter  der  Oberfläche.  Sobald  das  vom 
Eierstocke  abgelöste  Ei  in  den  Eileiter  aufgenommen  ist,  findet  man  vom  Keim- 
bläschen keine  Spur  mehr,  wohl  aber  mitten  im  dunklen  Felde  einen  hellen  runden 
Fleck ,  welcher  in  den  Eierstockseiern  nie  zu  bemerken  gewesen  sei.  Rusconi 
glaubt  daher,  dass,  während  das  Ei  sich  vom  Eierstocke  ablöse  und  in  den  Ei- 
eiter  eintrete,  das  Keimbläschen  platze  und  dass  sein  flüssiger  Inhalt  unter 
die  Dotterhaut  trete  und  dadurch  den  hellen  Fleck  erzeuge  (S.  27).  Der  letztere, 
in  dessen  Mitte  sich  noch  ein  Kreis  von  Punkten  befinde,  bleibe  bis  nach  der 
Befruchtung  unverändert  bestehen;  dann  aber  beginne  er  zu  schwinden,  indem 
der  helle  Inhalt  des  Keimbläschens  sich  mit  dem  dunklen  Dotter  vermische 
(S.  28).  Zugleich  ziehe  sich  jener  Kreis  zu  einem  einzigen  Punkt  zusammen, 
welcher  auch  seinerseits  bald  verschwinde,  sodass  das  dunkle  Feld  wieder  so 
hergestellt  werde ,  wie  es  im  Eierstocke  war  (S.  29).  —  Die  im  Eileiter  be- 
findlichen Eier  der  Salamandra  maculata  sollen  an  einer  Stelle  dicht  unter  der 
Oberfläche  einen  undeutlich  begrenzten  weissen  Fleck  zeigen,  welcher  ebenfalls 
von  dem  aufgelösten  Keimbläschen  herrühre  (S.  26). 

Wagner  (Nr  17  S.  10)  bezeichnet  den  Umriss  des  Keimbläschens  aus 
halbreifen  Eiern  des  gemeinen  Frosches  als  „margo  undulatus."  Die  Keim- 
flecke sollen  bei  allen  Thieren  nach  Zerstörung  des  Keimbläschens  in  die  Bildung 


Die  Entwickelung  des  Eierstockseies. 


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der  Keimhaut  eingehen  und  der  eigentliche  Keim  sein  —  „germen  animale 
verum  et  vivuni,  „jam  ante  praegnationem  praeformatum"  (S.  5). 

Bergmann  beschreibt  (Nr.  24  S.  90 — 92)  die  Zusammensetzung  der  Dotter- 
masse in  den  reifen  Froscheiern.  Den  vorherrschenden  Bestandtheil  bilden 
länglich  viereckige  Plättchen,  an  denen  der  Verfasser  „durchaus  unfähig  war 
etwas  Weiteres,  als  ihren  äussern  Umriss  zu  erkennen."  Neben  diesen  grösseren 
Plättchen  finden  sich  kleinere  in  allen  Abstufungen  bis  zu  punktförmigen 
Körperchen  abwärts,  aber  oline  wesentlichen  Unterschied  in  ihrer  Zu- 
sammensetzung. Zellige  Bildungen  seien  also  im  Dotter  durchaus  nicht  vor- 
handen. 

Reichert  war  der  Erste,  welcher  die  Entwickelung  des  Batrachiereies 
unter  dem  Einflüsse  der  ScHWANN'schen  Zellentheorie  beobachtete.  —  Er  geht 
von  der  Eizelle  aus,  welche  vor  der  Erscheinung  des  Dotters  einen  Kern  (Keim- 
bläschen) und  auch  schon  eine  Hülle,  die  Dotterhaut,  besitze  (Nr.  25  S.  525). 
„Man  sieht  zunächst  bei  der  Entstehung  des  Dotters  um  das  Keimbläschen 
innerhalb  der  Eizelle  einen  feinkörnigen  Niederschlag  erscheinen,  in  welchem 
man  keine  Spur  einer  besonderen  Bildung  gewahrt.  Dieser  feinkörnige  Stoff 
vermehrt  sich  nun  mit  dem  Wachsthum  der  Eizelle,  die  von  ihm  sehr  bald 
gelblich  gefärbt  wird"  (S.  526).  In  der  Folge  treten  in  der  Dottermasse  grössere 
Körperchen  auf(Dotterplättchen),  welche  auf  Kosten  des  feinkörnigen  Blastems 
schnell  zunehmen ,  sodass  sie  in  reifen  Dottern  scheinbar  die  ausschliesslichen 
Elemente  bilden  (S.  527).  Daneben  finden  sich  andere  Körperchen ,  welche 
zuerst  zahlreich  und  granulirt,  später  aber  in  geringerer  Menge  und  durchsich- 
tig erscheinen  (S.  526.  527).  Diese  hielt  Reichert  für  die  Kerne  von  Zellen, 
welche  sich  im  noch  unbefruchteten  Dotter  bilden  sollten.  (S.  527  und  in: 
Reichert  ,  Bericht  über  die  Fortschritte  der  mikroskopischen  Anatomie  für 
das  Jahr  1841,  in  Müller' s  Archiv  für  Anatomie,  Physiologie  und  wissen- 
schaftliche Medicin  1842  S.  CCLIII.  CCLIV).  Diese  Ansicht  jedoch,  sowie 
auch  wohl  diejenige,  dass  das  Keimbläschen  sich  unter  jene  Zellen  mische 
(siehe  den  genannten  Bericht  S.  CCLV),  gab  Reichert  später  auf,  ohne  erneute 
Untersuchungen  über  die  Entwickelung  des  Batrachiereies  mitzutheilen. 

Die  jüngsten  Eier,  welche  Vogt  im  Eierstocke  von  Alytes  obstetricans  sah, 
besassen  schon  eine  Dotterhaut,  einen  Dotter  und  ein  excentrisches  Keim- 
bläschen. Das  letztere  enthielt  bläschenförmige,  wandständige  Keimflecke, 
deren  Zahl  und  Grösse  mit  dem  Alter  des  Eies  zunehmen  (Nr.  26  S.  1).  Im 
hellen  Dotter  erschienen  allmählich  feine  Körnchen  und  sammelten  sich  in 


I.    Die  Entwfckelung  des  Eierstockseies.  5 

Gruppen ,  welche  zu  den  Dottertäfelchen  verschmolzen  (S.  2).  Diese  erfüllen 
den  Dotter  endlich  in  dem  Maasse ,  dass  zwischen  ihnen  nur  noch  eine  geringe 
Menge  von  Flüssigkeit  und  Molekularkörnern  Platz  findet  (S.  5).  Das  Keim- 
bläschen erhält  in  etwas  älteren  Eiern  eine  zackige  Begrenzung  mit  abgerun- 
deten Aus-  und  Einsprängen  (S.  3)-,  im  reifen  Eie  sei  es  abgeplattet  und 
die  kernlosen  Keimflecke  oval  (S.  4).  Nachdem  die  Eier  gelegt  worden,  sei 
das  Keimbläschen  verschwunden,  aber  die  Keimflecke  fänden  sich  in  der 
Rindenschicht  des  Dotters  vor,  scheinbar  nur  auf  einer  Seite  des  Eies 
(S.  6).  —  Was  die  Bedeutung  des  Eies  und  seiner  Theile  betrifft,  so  glaubt 
Vogt  ,  „es  müssten  die  Keimflecke  selbst  als  Zellen  angesprochen  werden ;  als 
Zellen,  eingeschlossen  in  einer  zweiten  Zelle,  dem  Keimbläschen,  welches  wieder 
in  einer  dritten  Zelle,  der  Dotterzelle  eingebettet  ist"  (S.  18). 

Prevost  und  Lebert  wollen  schon  in  noch  durchsichtigen  Eierstockseiern 
grosse  gekernte  Zellen  gesehen  haben,  welche  später  zerfallen ,  worauf  um  ihre 
freigewordenen  Kerne  neue  Elemente,  die  grossen  Dotterkugeln  des  reifen  Eies, 
entstehen  (Nr.  30  S.  194.  196.  222).  Die  übrigen  bezüglichen  Angaben  der 
genannten  Forscher  sind  nicht  originell. 

Cramer  hat  alle  Stufen  der  Ausbildung  des  Eies  von  Rana  temporaria 
an  einem  und  demselben  Eierstocke  verfolgt.  Die  jüngsten  Eibildungen  seien 
„Kugeln  von  feinen  Körnchen,  die  von  einer  zarten  Haut  knapp  umschlossen 
sind.  Ob  das  Keimbläschen  in  der  Körnermasse  begraben  liegt,  kann  man 
nicht  ausmachen ,  da  an  eine  Präparation  nicht  zu  denken  ist.  Etwas  ältere 
Eier  zeigen  eine  zarte  Dotterhaut,  die  ein  grosses,  kugliges  Keimbläschen  ein- 
schliesst,  was  meistens  der  Wand  näher ,  als  der  Mitte  liegt.  In  dem  freien 
Raum  liegt  die  kleine  Kugel  von  Körnchen ,  die  früher  von  der  Dotterhaut  eng 
umgeben  war.  Es  sieht  aus,  als  wäre  diese  Haut  durch  Diffusion  von  ihr  weit 
abgehoben,  und  dabei  das  Keimbläschen  mit  zum  Vorschein  gekommen,  ob  um- 
gebildet oder  nur  vergrössert,  ist  nicht  auszumachen.  Wird  das  Ei  etwas  grösser, 
dann  erweicht  die  kleine  Kugel ,  und  immer  flüssiger  werdend  verbreiten  sich 
die  Massen  in  einem  eleganten  Halbmond  in  der  Höhle  des  Dotterraums  und 
um  das  Keimbläschen"  (Nr.  34  S.  21).  Jene  Körnchen  vermehren  sich  in  der 
konsistenten  Flüssigkeit  und  ein  Theil  wächst  zu  den  grösseren  viereckigen 
Plättchen  aus,  sodass  man  im  reifen  Eie  alle  Zwischenstufen  von  denselben  ab- 
wärts bis  zu  den  kleinsten  Pünktchen  hinab  findet.  Die  Eierstockseier  haben 
ein  schönes  Epithel,  welches  deutlich  ausserhalb  dem  Dotter  aufliegt  (S.  22). 
Die  Keimbläschen  enthalten  zuerst  feine,  helle  Körnchen,  welche,  bald  an  der 


6  I.     Die  Entwickelung  des  Eierstockseies. 

Peripherie,  bald  im  Innern  vertheilt,  allmählich  wachsen  und  sich  zu  Klümpchen 
sammeln,  worauf  die  letzteren  von  Membranen  umgeben  werden.  Diese  Zellen 
seien  von  der  verschiedensten  Gestalt  (S.  23).  Bald  aber  verflüssige  sich  der 
Inhalt,  sodass  sie  als  leere,  weisse,  leuchtende  Bläschen  zurückbleiben  (S.  24). 
Da  die  Eier  innerhalb  der  Eileiter  ein  Keimbläschen  nicht  mehr  besitzen ,  so 
glaubt  Ceamee,  dass  die  Membran  desselben  schon  bei  ganz  reifen  (Eierstocks-) 
Eiern  aufgelöst  werde  .und  jene  Bläschen  sich  alsdann  im  ganzen  Dotter  zer- 
streuen (S.  26). 

Lebeboullet  will  den  Dotter  von  0.30  mll.  grossen  Eierstockseiern  des 
Frosches  mit  durchsichtigen  gekernten  Zellen  von  0.03  mll.  im  Durchmesser 
angefüllt  gefunden  haben,  während  die  Dotterkörner  durchaus  fehlten  (Nr.  84 
S.  57).  In  etwas  kleineren  Eiern  traf  er  (nach  den  Abbildungen  und  den  Massen 
zu  urtheilen)  viel  grössere  Keimflecke. 

Cabus  hat  die  von  Ceamee  erwähnte  Kugel  in-  den  Eierstockseiern  des 
Frosches  gleichfalls  beschrieben.  Diese  Kugel  oder  der  Dotterkern  entstehe 
durch  eine  allmähliche  Ansammlung  einzelner  Körner;  später  löse  sich  eine 
Körnerschicht  nach  der  andern  von  seiner  Peripherie  ab  und  vermische  sich 
mit  der  Eiflüssigkeit.  Während  seines  Bestandes  bei  derEntwickelung  des  Eies 
vermindere  sich  seine  Grösse  nicht,  aber  im  vollendeten  Eie  sei  keine  Spur 
mehr  von  ihm  vorhanden  (Nr.  87). 

Newpoet  hat  ausführliche  Mittheilungen  über  das  reife  Froschei  von 
dessen  Aufenthalte  im  Eierstocke  an  bis  zur  Befruchtung  gemacht  (Nr.  35 
S.  17G).  Die  Dottermasse  desselben  bestehe  aus  dichtgedrängten  gekernten 
Zellen,  welche  auf  einer  Seite  des  Eies  dunkel  gefärbt ,  auf  der  andern  hell 
sind.  Mitten  unter  den  dunkelfarbigen  Zellen  und  excentrisch  gelegen,  befindet 
sich  das  linsenförmige  Keimbläschen,  unregelmässig  zusammengedrückt,  weiss, 
undurchsichtig.  Dieses  Aussehen  führt  Newpoet  auf  die  Einwirkung  des 
Spiritus  zurück,  welchen  er  zur  Erhärtung  der  Eier  benutzte.  An  der  Ober- 
fläche der  dunkelfarbigen  Eihälfte  bemerkte  er  ferner  eine  kleine  Oeffnung,  die 
Mündung  eines  Kanals ,  welcher  durch  den  Dotter  zum  Keimbläschen  führe. 
Das  Keimbläschen  enthalte  eine  Anzahl  sekundärer  Zellen;  diese  seien  mit 
tertiären  und  letztere  sogar  mit  quaternären  gefüllt.  Mitten  unter  den  sekun- 
dären Zellen,  im  Centruin  des  Keimbläschens  seien  bisweilen  eine  bis  zwei 
grössere  Zellen,  die  Ueberreste  des  ursprünglich  einfachen  Keimflecks  sichtbar 
(S.  175);  die  peripherischen  Zellen  des  Keimbläschens  seien  die  kleinsten, 
welche  scheinbar  aus  geplatzten  sekundären  Zellen  abstammen.     So  wäre  das 


I.    Die  Entwickelung  des  Eierstockseies.  7 

Keimbläschen  des  reifen  Eierstockseies  nach  Newport  als  eine  Mutterzelle  zu 
betrachten,  welche  ein  ganzes  System  ineinandergeschachtelter  Tochterzellen 
einschliesst  (S.  177).  —  Das  Keimbläschen  dringe  niemals  bis  an  die  Ober- 
fläche des  Eies  vor  und  gehe  im  Innern  des  Dotters  zu  Grunde ,  bevor  die  Eier 
den  Eierstock  verlassen  haben ;  später  fänden  sich  bisweilen  an  derselben 
Stelle  noch  einige  Spuren  des  früheren  Gebildes  vor  (S.  178).  Den  Grund  für 
das  Verschwinden  des  Keimbläschens  glaubt  Newport  in  der  endogenen  Zellen- 
bildung zu  sehen,  indem  die  Mutterzelle  durch  das  fortschreitende  Wachsthum 
der  Tochterzellen  endlich  zur  Auflösung  kommt  (S.  179).  Während  des  Auf- 
enthalts der  Eier  im  Eileiter  nähmen  die  weissen  Dotterzellen  gegenüber  den 
dunkelgefärbten  an  Grösse  zu  (S.  183).  Weiter  beschreibt  Newport  eine  Reihe 
von  Erscheinungen  an  der  weissen  Dotterfläche ,  welche  meist  nach  der  Be- 
fruchtung der  Eier  auftreten ,  aber  auch  schon  im  Eileiter  ablaufen  können 
also  jedenfalls  von  der  Befruchtung  unabhängig  sind.  Es  zeigte  sich  nämlich 
an  der  bezeichneten  Stelle  zuerst  ein  Fleck,  über  dessen  Natur,  ob  er  von  einem 
Bläschen  oder  einer  Einsenkung  herrühre ,  Newport  sich  nicht  vergewissern 
konnte.  Aus  dem  einen  Flecke  werden  mehre,  welche  einen  dunklen  Ring  mit 
eingeschlossener  heller  Mitte  bilden.  .  Nach  einiger  Zeit  und  meist  vor  dem 
Beginne  der  Dotterbildung  verschwindet  dieses  Bild  und  es  bleibt  nur  selten 
eine  flache  Einsenkung  zurück  (S.  185.  18(5). 

Aus  dem  erläuternden  Texte  zur  Tafel  XXIII  von  Ecker's  Icones  physio- 
logicae  hebe  ich  Folgendes  hervor.  Das  Eierstocksei  des  gemeinen  Frosches 
besteht  nach  dem  Verfasser  aus  der  mit  einem  Epithel  bedeckten  Eihaut,  welche 
nebst  klarer  Flüssigkeit  eine  noch  kleinere  gelbliche  Dotterkugel  und  das  Keim- 
bläschen einschliesst,  in  dessen  Innerem  zahlreiche  kleine  Körner  enthalten 
sind.  Allmählich  füllt  der  Dotter  das  ganze  Ei  aus,  und  zur  Zeit  der  Reife 
findet  man  im  Keimbläschen ,  statt  jener  kleinen  Körner,  blasse  zellenartige 
Körperchen  von  12 — 15/<  Durchmesser,  welche  nach  dem  Verschwinden  des 
Keimbläschens  im  befruchteten  Ei  durch  den  ganzen  Dotter  zerstreut  werden. 
Im  Inneren  des  frischgelegten  Eies  umschliesst  die  grauweisse  Dottermasse  eine 
kleine  Höhlung,  welche  nach  dem  dunklen  Pole  hinzieht. 

Nach  Leuckart  (Nr.  38  S.  794  —  79G)  ist  das  Keimbläschen  derjenige 
Theil  des  Froscheies,  welcher  im  Eierstocke  zuerst,  aber  schon  innerhalb  eines 
mit  Epithel  ausgekleideten  Follikels  unterschieden  werden  kann.  Anfangs  hat 
das  Bläschen  nur  einige  wandständige  Keimflecke ,  die  sich  aber  später  ver- 


$  I.  Die  Entwickelung  des  Eierstockseies. 

mehren  und  vergrössern.  Alsdann  lagert  sich  eine  eiweissartige  Masse  (primi- 
tiver Dotter)  um  dasselbe  ab,  in  deren  peripherischen  Theilen  die  Bildung  der 
Dotterkörner  vor  sich  geht.  Diese  seien  zuerst  punktförmige  Molekularkör- 
perchen  und  erlangen  erst  ziemlich  spät  ihre  volle  Entwickelung.  Der  eigen- 
thümliche  Dotterkern  wurde  nicht  selten  vermisst  und  die  Dotterhaut  erst  in 
späteren  Stadien  wahrgenommen.  Das  excentrisch  gelegene  Keimbläschen  des 
reifen  Eies  sei  in  der  Regel  abgeplattet. 

Wittich  findet,  dass  die  leistenförmigen  embryonalen  Anlagen  der  Ge- 
schlechtsdrüsen aller  Batrachier  in  beiden  Geschlechtern  vollkommen  gleich 
seien;  sie  beständen  aus  ziemlich  grossen,  kernhaltigen  und  feingekörnten 
Zellen  (Nr.  37  S.  148.  150).  Diese  Zellenmasse  gruppire  sich  zu  einem 
Cylinder,  in  dessen  Hohlräume  eine  äusserst  lebhafte  Entwickelung  neuer,  sehr 
grosser  kernhaltiger  Zellen  stattfinde,  „(he  oft  schon  eine  täuschende  Aehnlich- 
keit  mit  jungen  Eiern  zeigen".  Die  Kerne  enthalten  verschieden  grosse  Fett- 
körperchen  und  sind  umgeben  von  einer  hyalinen  Masse,  welche  aber  einer 
eigenen  Zellenmembran  noch  entbehrt.  Bei  weiblichen  Thieren  sammelt  sich 
nun  allmählich  der  Dotter  in  dieser  Masse,  die  Kerne  werden  zu  Keimbläschen, 
die  den  Dotter  umgebenden  Zellen  zur  Epithelialauskleidung  der  Eikapseln. 
Die  übrige  Zellenmasse  der  Anlage  wird  zu  den  bindegewebigen  Theilen 
(S.  151).  Bei  den  Anuren  wird  der  innere  Raum  des  Organs  von  straffen 
Querbalken  durchsetzt,  zwischen  denen  die  Eichen  entstehen. 

Thomson  schliesst  sich  in  der  Entwickelungsgeschichte  des  Frosches 
Leuckaet  an.  Doch  betont  er,  dass  der  primitive  Dotter  mit  einer  scharfen 
Grenze  ein  wenig  von  der  Follikelwand  abstehe,  in  welchem  Zwischenräume 
der  dunkle  Dotterkern  liege  (Nr.  42  S.  94.  95 ).  Auch  sollen  die  Zellen  des 
Follikelepithels  sich  gegen  den  Dotter  ausbauchen.  Im  reifen  Ei  sei  das  Keim- 
bläschen abgeflacht  (S.  93),  ein  gekerbtes  Aussehen  seiner  Oberfläche  aber 
nicht  konstant  und  mehr  zufälliger  Natur.  Den  Dotterkanal  scheint  Thomson 
nicht  selbst  gesehen  zu  haben,  sondern  nach  früheren  Berichten  anzunehmen 
(S.  94).  Ebenso  stellt  er  in  Betreff  des  Schwindens  des  Keimbläschens  nur  die 
Mittheilungen  seiner  Vorgänger  zusammen. 

Schultze  bemerkt  über  die  kleine  Vertiefung,  welche  am  oberen  Pole 
innerhalb  eines  hellen  Hofes  schon  an  unbefruchteten  Eiern  sichtbar  ist  und 
welche  er  „Keimgrube"  nennt,  dass  sie  vielleicht  der  Befruchtung  diene,  eine 
dem  Dotter  eigene  Mikropyle  sei;  auch  hielt  er  es  für  möglich,  dass  jene  Grube 


I.    Die  Entwickelung  des  Eierstockseies.  9 

in  irgend  einem  Zusammenhange  stehe  mit  der  Eigentümlichkeit  befruch- 
teter Eier,  ihren  Pol  stets  nach  oben  zu  kehren  (Nr.  b'2  S.  15).  *  — 

v.  Bambecke  untersuchte  die  Eierstockseier  des  Pelobates  fiiscus.  Die 
Dottermasse  lagert  sich  gleichmässig  um  das  Keimbläschen  ab  und  niemals  in 
Gestalt  eines  Dotterkernes  (Ecker).  Die  nahezu  reifen  Eier  enthielten  noch 
das  runde  Keimbläschen  nahe  der  Peripherie,  von  dunkler  Dottermasse  umge- 
ben (Nr.  63  S.  8.  9).  In  den  reifsten  Eiern  war  es  aber  nicht  mehr  zu  finden; 
statt  dessen  zeigte  der  Dotter  daselbst  ein  marmorirtes  Aussehen,  welches  sich 
bis  zur  Oberfläche  erstreckt  und  wahrscheinlich  von  der  Vermischung  des 
Dotters  mit  dem  Inhalte  des  Keimbläschens  herrührte  (S.  10).  An  den  geleg- 
ten Eiern  bemerkte  auch  v.  Bambecke  eine  heller  gefärbte  Einsenkung  inmit- 
ten des  dunklen  Feldes,  eben  die  Keimgrube  (S.  17).  Ausser  derselben 
beschreibt  er  in  seinem  letzten  Aufsatze  (Nr.  71)  ausführlich  kleinere  Grüb- 
chen, welche  die  Mündungen  feinster  Kanälchen  mit  terminalen  Anschwellungen 
seien;  Lage  und  Verlauf  dieser  Bildungen  wären  unregelmässig  und  wahr- 
scheinlich bezeichneten  dieselben  den  Weg  der  in  den  Dotter  eindringenden 
Samenkörperchen.  —  Eine  Dotterhaut  sei  weder  an  den  Eierstockseiern,  noch 
an  den  gelegten  zu  erkennen  (Nr.  63  S.  9.  14). 

Waldeyer  will  an  erwachsenen  Fröschen  gefunden  haben,  dass  die  ersten 
Anfänge  der  Eifollikel  vom  äusseren  Zellenüberzuge  des  Eierstocks  (Endothel) 
ausgehende  Schläuche  seien,  welche  flach  unter  der  Oberfläche  sich  hinziehen. 
Diese  Schläuche  enthalten  theils  grosse,  dunkelgekörnte  Zellen  (Eizellen), 
deren  ebenfalls  grosse  Kerne  sich  oft  vielfach  theilen,  theils  kleinere,  blasse 
und  platte,  die  spätem  Follikelepithelzellen.  „Bald  wachsen  zarte  bindege- 
webige Fortsätze  zwischen  die  einzelnen  Eier  eines  Schlauches  hinein  und 
umschliessen  je  eines  derselben  sammt  einer  Anzahl  der  zarten  platten  Zellen, 
und  so  entstehen  die  kleinen  Primordialfollikel  des  Froschovariums"  (Nr.  66 
S.  74).  Wenn  die  Dotterplättchen  erscheinen,  sind  sie  um  so  kleiner,  je  näher 
sie  der  Peripherie  des  Eies  liegen.  „Das  Protoplasma  der  Follikelepithelzellen 
ist  vollkommen  membranlos  und  geht  unmittelbar  in  die  Schicht  kleinster 
Elementargranulationen  über,  welche  am  meisten  peripherisch  gelagert  ist." 
Eine  Dotterhaut  entstehe  erst  in  späterer  Zeit  (S.  75). 


*)  Dass  diese  Eigentümlichkeit  nur  den  befruchteten  Eiern  zukomme,  glaubt  Schültze 
irrthümlicherweise  zuerst  entdeckt  zu  haben;  denn  schon  Rusconi  machte  diese  Thatsache 
bekannt  (Nr.  39.  S.  28). 


10  I.  Die  Entwickelung  des  Eierstockseies. 

Ich  gehe  nun  zu  meinen  eigenen  Untersuchungen  über.  —  Die  Anlage 
der  Geschlechtsdrüsen  ist  anfangs  eine  indifferente,  beiden  Geschlechtern 
gemeinsame  und  bleibt  es  für  die  Wahrnehmung  ziemlich  lange  Zeit.  Denn 
wenn  auch  die  Ursachen  für  eine  Entscheidung  nach  der  einen  oder  andern 
Seite  schon  frühzeitig  vorhanden  sein  mögen,  so  ist  es  doch  bei  der  Gleichheit 
der  Elemente,  welche  beiderlei  Organe  aufbauen,  nicht  möglich,  dieselben 
früher  zu  unterscheiden,  als  bis  die  unzweifelhafte  Anlage  eines  Eies  vorliegt 
oder  eine  Anordnung  der  Elemente,  welche  das  Nichtzustandekommen  von 
Eiern  verbürgt.  Es  soll  sich  aber  die  Darstellung  zunächst  nur  auf  den  Eier- 
stock beziehen,  und  erst  später  ausgeführt  werden,  wann  und  auf  welche  Weise 
die  Entwickelung  des  Hodens  sich  von  derjenigen  des  Eierstocks  trennt. 

Ich  beginne  mit  der  Untersuchung  von  Larven,  an  denen  die  Anlagen  der 
Hinterbeine  mit  der  Lupe  eben  wahrgenommen  werden  können.  Nach  Er- 
öffnung solcher  Larven  ist  die  Anlage  der  Geschlechtsdrüsen  selbst  unter  der 
Lupe  kaum  wahrnehmbar:  zu  beiden  Seiten  der  Gekrösewurzel  verläuft, 
in  den  Winkel  zwischen  Gekröse  und  Nieren  gleichsam  eingeklemmt,  ein 
äusserst  dünnes  Fädchen,  welches  aber  eigentlich  nur  in  der  vorderen  etwas 
stärkeren  Hälfte  sichtbar  ist,  nach  hinten  zu  wegen  seiner  Feinheit  sich  zu 
verlieren  scheint  (Taf.  XX  Fig.  363).  Querdurchschnitte,  mit  stärkeren  Ver- 
grösserungen  untersucht,  lehren  Folgendes :  jenes  Fädchen  erscheint  als  eine 
aus  gleichartigen  Zellen  zusammengesetzte,  von  der  die  Bauchhöhle  auskleiden- 
den Zellenschicht  ausgehende  Leiste,  welche  bald  einen  rundlichen  oder  kol- 
bigen  Durchschnitt  zeigt,  bald  seitlich  zusammengedrückt  ist  (Taf.  I  Fig.  1). 
Alle  jene  Zellen,  soweit  sie  zu  unserer  Organanlage  gehören,  sind  rundlich,  ihr 
ganz  klares  oder  wenig  punktirtes  Protoplasma  besitzt  keinen  scharfen  Umriss ; 
dagegen  ist  der  Kern  stets  sehr  deutlich  gezeichnet  und  erscheint  durch  seineu 
körnigen  Inhalt  dunkler  als  seine  Umgebung.  Die  Zellen  des  Peritonealepi- 
thels, mit  welchem  jene  Leiste  in  kontinuirlichem  Zusammenhange  steht,  sind 
aber  zur  selben  Zeit  schon  bedeutend  abgeflacht  und  ausgedehnt.  —  Welchem 
Theile  der  embryonalen  Körperanlagen  die  Geschlechtsdrüsen  angehören,  kann 
erst  in  einem  späteren  Abschnitte  auseinandergesetzt  werden.  —  Von  der 
bezeichneten  Entwicklungsstufe  an  treten  an  einzelnen  Stellen  der  fadenför- 
migen Anlage  Umbildungen  auf  und  zwar  in  der  Weise,  class  dieselben  zuerst 
in  der  vordem  stärkeren  Hälfte  als  zerstreute  Heerde  sich  zeigen.  Später  ver- 
mehren sich  diese  Heerde  und  verbreiten  sich  auch  auf  den  hinteren  Abschnitt 
der  Anlage;  und  da  sie  entsprechende  Anschwellungen  der  letzteren  hervor- 


I.    Die  Entwickelung  des  Eierstockseies.  \\ 

rufen,  so  erscheint  dieselbe  einige  Zeit  vor  der  Larvenmetamorphose  rosen- 
kranzähnlich und  verliert  diese  Form  erst,  wenn  die  Heerde  zusammenrücken 
und  endlich  zusammenstossen.  Es  folgt  aus  dem  Gesagten,  dass  man  von  der 
ersten  Entstehung  jener  Heerde  an  in  den  besprochenen  Anlagen  zu  jeder  Zeit 
alle  möglichen  Entwickelungsstufen  ihrer  Elemente  zugleich  antreffen  muss, 
und  ferner,  dass  die  Umbildungen  nicht  an  bestimmten  Stellen  verfolgt  werden 
können.  Dazu  kommt  noch,  dass  die  Entwickelung  der  Geschlechtsdrüsen 
durchaus  in  keinem  bestimmten  Verhältniss  zur  Grösse  und  übrigen  Ausbil- 
dung der  Larven  steht,  sondern  bald  langsamer,  bald  rascher  verläuft;  manche 
Larven  können  weniger  Umbildungsheerde  aufweisen  als  solche,  die  ihnen  an 
Alter  und  Reife  nachstehen  und  diese  sogar  mit  dem  ganzen  Process  früher 
begonnen  haben.  Diese  Umstände  setzen  der  Untersuchung  gewisse  Schwie- 
rigkeiten, welche  nur  durch  sehr  ausgedehnte  Beobachtungsreihen  überwunden 
werden  können. 

Wo  ein  Umbildungsheerd  im  Entstehen  begriffen  ist,  schwillt  die  Leiste  so 
weit  an,  dass  ihr  Querschnitt  den  Umriss  eines  gestielten  runden  Körpers  er- 
hält. Während  dabei  die  Zellen  im  Stiele  noch  in  der  früheren  Anordnung 
beharren,  verändert  sich  dieselbe  innerhalb  der  Anschwellung.  Die  peripheri- 
schen Zellen  verbinden  sich  inniger  unter  einander  und  werden  flach,  wahr- 
scheinlich in  Folge  der  Ausdehnung,  welche  sie  bei  der  Anschwellung  des 
Organs  erleiden.  An  den  entsprechenden  centralen  Zellen  dagegen  verschmel- 
zen die  Protoplasmaleiber  zu  einer  einzigen  Masse,  welche  durch  eine  hinzu- 
tretende klare  Flüssigkeit  sich  zusehends  vergrössert,  und  in  deren  Mitte  die 
freigewordenen  Kerne  zusammentreten.  Die  an  diesen  neugebildeten  Raum 
angrenzenden  Zellen  des  Stiels  passen  sich  denen  der  äusseren  Lage  an.  Durch 
alle  diese  Vorgänge  ist  an  der  Bauchseite  des  Organs  ein  Follikel  entstanden, 
welcher  von  einer  Lage  platter  Zellen  umschlossen,  mit  klarer  Flüssigkeit  an- 
gefüllt ist  und  in  seinem  Centrum  einen  Haufen  zusammengedrängter  Zellen- 
kerne enthält  (Taf.  I  Fig.  1). 

Solche  embryonale  Geschlechtsdrüsen,  in  denen  die  Entwickelung  der 
ersten  Follikel  scheinbar  eben  begonnen  hat,  zeigen  doch  hier  und  da  bereits 
einen  weiteren  und  wichtigen  Fortschritt  der  Follikelbildung.  Ich  lege  auf 
diese  Thatsache  insofern  ein  Gewicht,  als  bei  der  Untersuchung  älterer  Anlagen, 
welche  ein  nicht  leicht  zu  sichtendes  Durcheinander  der  verschiedensten  Ent- 
wickelungsstufen der  Follikel  bieten,  gegen  meine  Darstellung  Einwürfe 
gemacht  werden  könnten,  welche  bei  der  Betrachtung  jener  jüngeren  Anlagen 


12  I.    Die  Entwickelung  des  Eierstockseies. 

nicht  wohl  möglich  sind.  In  jenen  weiter  entwickelten  Follikeln  ist  das  Cent- 
rum verändert:  statt  der  sechs  oder  acht  Zellenkerne  von  circa  4—5/*  Durch- 
messer findet  man  nur  noch  zwei  bis  drei  bis  zu  9^  Durchmesser ,  oder  sogar 
nur  noch  einen  einzigen  von  12—15/*  Durchmesser,  welcher  aber  bisweilen 
nicht  rund,  sondern  traubig  erscheint  (Taf.  IFig.  2).  In  jenen  mittelgrossen 
Kernen  sieht  man  gewöhnlich  ein  hellglänzendes  Kernkörperchen,  in  den 
grossen  mehrere,  welche  bei  der  traubigen  Forin  des  Kerns  in  den  Vorragungen 
liegen.  —  Die  einkernigen  Follikel  sind  offenbar  alter  als  die  vielkernigen, 
denn  sie  sind  grösser  und  ihre  äussere  Zellenkapsel  ist  noch  mehr  verdünnt 
als  bei  den  andern.  Sie  können  aber  nicht  gleich  einkernig  entstanden  sein, 
denn  es  fehlen  solche  jüngere  Entwicklungsstufen  •,  auch  können  sie  nicht  aus 
einer  Theilung  der  vielkernigen  Follikel  mit  darauffolgendem  schnellen  Wachs- 
thume  der  Theile  hervorgegangen  sein,  denn  auf  dem  Querdurchschnitte  der 
ganzen  Organ  anläge  zeigt  sich  immer  nur  ein  Follikel,  und  eine  Anordnung 
von  je  sechs  bis  acht  sekundären  Follikeln  hintereinander  statt  eines  Ursprung, 
liehen  müsste  das  Organ  merklich  verlängern,  was  aber  niemals  der  Fall  ist. 
Bleiben  aber  alle  solche  Erklärungen  für  die  Entstehung  jener  einkernigen 
Follikel  ausgeschlossen,  so  führt  uns  die  Erscheinung  der  unregelmässig  trau- 
bigen Kerne  zur  einzig  möglichen  Annahme:  die  einkernigen  Follikel  entstehen 
aus  den  vielkernigen  durch  Verschmelzung  der  Kerne.  Dies  erklärt  das  spä- 
tere Auftauchen  der  ersteren  ebenso,  wie  die  rasche  Grössenzunahme  der  ein- 
zelnen Kerne  und  vielleicht  auch  die  Vermehrung  der  Kernkörperchen,  und 
scheint  überhaupt  eine  ganz  natürliche  Folge  des  Vorgangs,  vermittelst  dessen 
zuerst  die  Leiber  der  centralen  Zellen  verschmelzen,  um  den  Follikel  zu 
bilden. 

Fasst  man  alle  ferneren  Entwicklungsstufen  der  Geschlechtsdrüse ,  hier 
im  Besondern  des  Eierstocks,  bis  nach  der  Metamorphose  der  Larven  zusam- 
men, so  ergeben  sich  als  wesentliche  Momente:  1.  die  Vermehrung  und  das 
Wachsthum  der  Follikel,  2.  die  Entwickelung  eines  Bindegewebsgerüstes ;  Bei- 
des zusammen  ergibt  die  Grössenzunahme  des  ganzen  Organs.  —  Wenn  die 
ersten  Follikel  eines  Umbildungsheerdes  an  der  Bauchseite  des  Organs  entstan- 
den, so  füllen  die  nachfolgenden  Jüngern  die  Mitte  und  den  breiten  Stiel 
desselben  aus  {Taf.  I  Fig.  3).  Obgleich  nun  zwischen  den  grössern  und 
kleinern  Follikeln  ein  gewisser  Vorrath  von  den  unveränderten  ursprünglichen 
Zellen  liegen  bleibt,  so  können  sie  doch  die  verschiedenen  Hervorwölbungen 
der  Follikel  nach  unten  nicht  ausgleichen ,  wodurch  die  Umbildungsheerde 


I.    Die  Entwickeluag  des  Eierstockseies.  13 

eine  himbeerartige  Oberfläche  erhalten,  was  man  freilich  erst  bei  etwas  grösse- 
ren Organen  vermittelst  der  Lupe  wahrnehmen  kann.  Es  ist  aber  klar,  dass 
die  Follikel,  welche  sich  im  Innern  des  Organs  bilden,  ihre  Hüllen  nicht  von 
der  äussern  Zellenlage ,  sondern  von  den  sie  gerade  umgebenden  Zellen  erhal- 
ten; und  wenn  anfangs  die  peripherischen  und  centralen  Elemente  des  Organs 
eine  verschiedene  Bestimmung  zu  haben  schienen,  so  beweist  der  fernere  Ver- 
lauf der  Entwicklung ,  dass  sie,  schon  ursprünglich  gleichmässig  indifferent, 
auch  später  ohne  Unterschied  und  je  nach  den  Umständen  bald  zur  Hülle,  bald 
zum  Inhalte  eines  Follikels  verbraucht  werden.  Denn  auch  die  peripherischen 
Zellen  können  in  den  Winkeln  zwischen  grössern  vorragenden  Follikeln  sich 
ansammeln  und  in  ihrer  Mitte  dann  neue  Follikel  erzeugen,  an  denen  die  ur- 
sprünglich centralen  Zellen  nicht  betheiligt  sind. 

Die  einzelnen  Vorgänge  bei  der  Follikelbildung  treten  in  den  älteren  Ge- 
schlechtsdrüsenanlagen klarer  hervor  als  in  den  Jüngern,  weil  dort  alle  Zellen 
grösser  geworden  sind  und  daher  in  der  Dicke  eines  feinen  Schnittes  nicht 
mehr  wie  in  gleichen  Präparaten  aus  früheren  Entwickelungsperioden  sich 
decken.  Die  zu  einem  Follikelinhalte  zusammentretenden  Zellen  erscheinen 
aufgebläht,  sodass  zwischen  ihnen  selbst  und  ferner  zwischen  ihnen  und  der  sie 
umspannenden  Follikelwand  jeder  Zwischenraum  schwindet  und  der  gegenseitige 
Druck  ebene  Grenzflächen  erzeugt  (Taf.  I  Fig.  7).  Untersucht  man  solche 
Zellen  genauer,  so  ergibt  sich,  dass  ihre  Vergrösserung  nicht  einem  einfachen 
Wachsthume  entsprang,  sondern  dass  neben  dem  ursprünglichen  Protoplasma, 
welches  durch  sein  punktirtes  Aussehen  und  eine  gewisse  Schattirung  kenntlich 
ist,  eine  klare  Flüssigkeit  sich  in  den  Zellen  ansammelte,  welche  nach  der  Ver- 
schmelzung der  letztern  die  Hauptmasse  des  Follikelinhalts  bildet,  während  die 
Reste  jenes  Protoplasmas  als  unregelmässige  Flocken  eine  Zeit  lang  an  den 
Kernen  hängen  bleiben,  um  endlich  aufgelöst  zu  werden.  —  Auch  die  Ver- 
schmelzung selbst  lässt  sich  an  solchen  Objecten  leicht  verfolgen:  die  zarten 
Linien,  welche  innerhalb  eines  entstehenden  Follikel  die  Zellengrenzen  andeu- 
ten ,  zerfallen  in  Reihen  mehr  oder  weniger  auseinander  stehender  Punkte, 
welche  dann  allmählich  verschwinden  (Taf.  I Fig.  5.  8).  —  Erst  wenn  die 
Verschmelzung  vollendet  ist,  treten  die  Kerne  zusammen  und  verwachsen  ent- 
weder alle  auf  einmal,  oder  in  kleineren  Partien,  welche  zuletzt  zu  einem 
Ganzen  sich  vereinigen  (Taf.  I  Fig.  3.  4.  6.  8).  Im  ersten  Falle  sieht  man 
die  schon  angeführten  höckerigen  oder  traubigen  Kerne  als  Uebergangsform, 
im  andern  Falle  grössere  und  kleinere  Kerne  neben  einander  in  einem  Follikel. 


14  I-    Die  Entwickelung  des  Eierstockseies. 

Es  lasst  sich  aber  auf  der  in  Rede  stehenden  Entwicklungsstufe  nicht  leicht 
bestimmen,  ob  dieser  oder  jener  Kern  ein  einfacher  Zellenkern  oder  aus  der 
Verbindung  von  zwei  und  mehr  solchen  hervorgegangen  sei.  Eben  so  unent- 
schieden bleibt  es,  ob  die  hellen  Kernkörperchen  sich  später  selbstständig  ver- 
mehren oder  nur  durch  den  Verschmelzungsprocess  in  den  grossen  Kernen 
sich  ansammeln. 

Es  ist  eine  natürliche  Folge  der  fortdauernden  Entwickelung  neuer  Folli- 
kel, dass  die  Geschlechtsdrüsenanlagen  endlich  mit  solchen  Gebilden  von  den 
verschiedensten  Entwickelungsstufen  und  in  allen  Grössen  angefüllt  erscheinen. 
Untersuchte  man  nun  bloss  solche  ältere  Anlagen ,  so  Hesse  sich  der  Einwurf, 
dass  die  offenbar  älteren  einkernigen  Follikel  aus  den  vielkernigen  ebenso  gut 
durch  Theilung  des  Ganzen  als  durch  Verschmelzung  der  Kerne  hervorge- 
gangen sein  könnten,  nicht  leicht  beseitigen.  Den  entscheidenden  Aufschluss 
über  den  fraglichen  Vorgang  gibt  die  schon  besprochene  Untersuchung  der 
ersten Follikelanlagen;  denn  wenn  die  Art  und  Weise,  wie  diese  sich  entwickeln, 
bestimmt  nachgewiesen  werden  kann,  so  wäre  es  willkürlich,  für  die  folgenden 
jüngeren  Follikel  eine  andere  nicht  nachweisbare  Bildungsnorm  anzunehmen. 
Dagegen  lernt  man  aus  den  spätem  Entwickelungsperioden  die  Einzelheiten 
der  ganzen  Follikelbildung  kennen,  so  dass  für  die  richtige  Erkenntniss  eines 
scheinbar  so  einfachen  Vorgangs  die  Untersuchung  der  Geschlechtsdrüsenan- 
lagen auf  allen  ihren  Entwickelungsstufen  nothwendig  erscheint. 

Die  bindegewebigen  Theile  der  Geschlechtsdrüsen  entstehen  erst  im  wei- 
teren Verlaufe  des  geschilderten  Umbildungsprocesses.  Wenn  der  Querdurch- 
schnitt  der  Anlagen,  dessen  Masse  im  Beginn  der  Follikelbildung  45/«  Länge 
und  30jw  Breite  betragen,  um  das  Doppelte  zugenommen  hat  und  bereits  eine 
beträchtliche  Anzahl  von  Follikeln  umfasst,  ist  noch  keine  Spur  eines  Bindege- 
webes zwischen  ihnen  zu  entdecken.  Erst  an  Larven,  deren  Hinterbeine  schon 
gegliedert  sind,  erkennt  man  in  der  Längsaxe  des  bezeichneten  Querschnitts 
einen  Zug  streifiger  Masse  mit  eingelagerten  Kernen.  Diese  bindegewebige 
Leiste,  welche  sich  durch  das  ganze  Organ  hinzieht,  entsendet  alsdann  Scheide- 
wände zwischen  die  Follikel,  welche  diese  von  einander  scheiden  und  die  ein- 
zelnen mehr  oder  weniger  vollständig  einkapseln.  In  der  Leiste  selbst  aber 
entwickeln  sich  später  grosse,  offenbar  mit  Flüssigkeit  gefüllte  Räume,  welche 
nach  der  herrschenden  Ansicht  als  Lymphräume  betrachtet  werden  mögen. 
Da  dieses  Bindegewebsgerüst  bei  seinem  ersten  Auftreten  schon  im  Gekröse 
des  Organs  wurzelt  und  hier  mit  dem  Bindegewebe  des  Retroperitonealraums 


I.   Die  Entwickelung  des  Eierstockseies.  15 

zusammenhängt,  so  glaube  ich,  dass  es  auch  von  dem  letztern  abstammt  und 
nicht  etwa  aus  den  noch  indifferenten  Zellen  der  eigentlichen  Geschlechtsdrü- 
senanlage hervorgeht. 

Während  der  Metamorphose  tritt  der  Unterschied  der  Geschlechter  schon 
in  der  äusseren  Gestalt  der  Geschlechtsdrüsen  hervor:  die  schmalen  langge- 
streckten der  künftigen  Männchen  beginnen  allmählich  sich  zusammenzuziehen 
und  die  Form  mit  der  Spitze  nach  hinten  gerichteter  Kegel  anzunehmen, 
während  die  Eierstöcke  länger  bleiben ,  stärker  in  die  Breite  auswachsen ,  sich 
auf  diese  Weise  in  dicke  Lappen  verwandeln  und  entsprechend  den  früheren 
Follikelgruppen  an  ihrem  lateralen  Rande  rund  ausgezackt  erscheinen.  Nach 
der  Larvenmetamorphose  beginnen  alsdann  die  Eierstöcke ,  indem  ihr  freier 
lateraler  Rand  sich  stärker  ausdehnt,  als  der  angewachsene  mediale,  sich  in 
der  Art  einer  Krause  zu  falten.  Ich  vermag  aber  nicht  zu  entscheiden,  ob 
diese  Kräuselung  noch  im  ersten  Herbste  eintritt ,  oder  ob  solche  Eierstöcke 
durchweg  Thieren  angehören,  welche  bereits  einmal  überwinterten.  Denn  es 
hält  schwer,  die  jungen  metamorphosirten  Thiere  so  lange  in  der  Gefangen- 
schaft zu  erhalten ,  bis  sie  jene  Reife  erlangt ;  andererseits  ist  die  Laichzeit 
unseres  Thieres  eine  so  ausgedehnte  und  das  Wachsthum  der  im  Freien  be- 
findlichen jungen  Unken  so  sehr  verschieden  je  nach  der  Gunst  oder  Ungunst 
ihrer  äussern  Lebensbedingungen,  dass  das  Alter  der  im  Laufe  des  Sommers 
eingefangenen  mit  Sicherheit  nicht  bestimmt  werden  kann.  Ich  halte  es  aber 
für  wahrscheinlich,  dass  allenfalls  bloss  die  Larven  des  Frühsommers  im 
Herbste  die  bezeichnete  Reife  erlangen,  die  Jüngern  aber  nicht  mehr. 

In  den  Eierstöcken,  welche  schon  lappig  geworden ,  aber  noch  nicht  ge- 
kräuselt sind ,  findet  man  die  einkernigen  Follikel  oft  in  überwiegender  Zahl ; 
sie  sind  in  allen  Theilen  gewachsen  und  erreichen  die  Grösse  von  60/x  Durch- 
messer ihre  Kerne  eine  solche  von  30^.  Die  letzteren  werden  noch  meist  von 
einer  schmalen  aber  unregelmässigen  Zone  trüber  Masse  umgeben ,  welche  ich 
für  die  letzte  Spur  des  ursprünglichen  Protoplasmas  halte,  von  der  ich  schon 
gesprochen ;  in  etwas  älteren  Follikeln  ist  davon  nichts  mehr  zu  sehen  (Taf.  I 
Fig.  8).  Durch  die  Bindegewebskapseln ,  welche  um  die  einzelnen  Follikel  ent- 
standen sind,  haben  die  eigentlichen,  ursprünglichen  Follikelhüllen ,  die,  wie 
wir  sahen,  aus  platten  Zellen  zusammengesetzt  sind,  ihre  Selbstständigkeit  ver- 
loren und  werden  in  allen  Beschreibungen  als  innere  epitheliale  Auskleidung 
des  Follikels  bezeichnet.  Uebrigens  ist  diese  gegenwärtig  sehr  dünn  und  nur 
an  den  eingelagerten  Kernen  zu  erkennen.  —  In  den  gekräuselten  Eierstöcken 


1(3  I.    Die  Entwickelung  des  Eierstockseies. 

beginnt   die  Ausbildung   des  Follikelinhalts  zum  Ei.     Denn   bis  zu  diesem 
Stadium  fehlte  ihm  der  eigentliche  Eistoff,  welcher ,  wie  ich  zeigen  werde ,  der 
alleinige  Erzeuger  der  späteren  Entwickelung  zum  selbstständigen  Leben  ist, 
nämlich  die  Dottersubstanz.    Da  nun  die  hier  näher  zu  betrachtenden  Bildungs- 
stufen der  Follikel  gleichfalls  in  grosser  Menge  in  den  Eierstöcken  geschlechts- 
reifer Thiere  vorkommen,   so  will  ich  zur  Vermeidung  von  Wiederholungen 
gleich  von  diesen  reden.     Ihr  Bau  ist  nicht  wesentlich  von  demjenigen  der  ge- 
kräuselten Eierstöcke  unterschieden:  man  denke  sich  nur  die   Wände  der 
letzteren  durch  die  eingelagerten  Eier  und  Eianlagen  so  stark  ausgedehnt, 
dass  die  zierliche  Krausenform  unkenntlich  wird,  und  man  hat  den  klumpigen 
reifen  Eierstock  vor  sich.    —   Die  hier  zunächst  in  Betracht  kommenden,  noch 
klaren  Follikel  sind  nur  mehr  oder  weniger  ausgewaschene  Exemplare  der  zu- 
letzt beschriebenen  Form.     Ihre  Grösse  wechselt  je  nach  dem  Alter  in  ausser- 
ordentlich weiten  Grenzen ,    auch  wird  ihre  kugelige  Gestalt  bisweilen  durch 
den  Druck  der  umgebenden  Theile  beeinträchtigt.     Das  Follikelepithel  verhält 
sich  im  Wesentlichen  ganz  so,  wie  bisher;  an  frischen  Objecten  versichert  man 
sich  über  seine  Anwesenheit  nur  durch  die  grossen,  blassen  Kerne,  von  denen 
bei  der  Einstellung  des  Mikroskopes  auf  die  Follikeltiäche  eine  Anzahl  deutlich 
erscheint.     Um  sich  aber  zu  überzeugen,   dass  diese  Kerne  wirklich  Zellen 
angehören,  und  um  weitere  Merkmale  der  letztern  feststellen  zu  können,  empfehle 
ich  die  Behandlung  der  frischen  Objecte  mit  Wasser-,  dadurch  quellen  die 
Zellen  sehr  stark,  blähen  sich  gegen  das  Innere  des  Follikels  auf  und  gewähren 
ein  äusserst  scharfes  Bild.    Da  ihre  nach  aussen  gewandten  Flächen  sich  dabei 
nicht  wohl  ausdehnen  können,  so  lässt  sich  ihr  normaler  Breitendurchmesser 
in  der  Flächenansicht  leicht  bestimmen ,  —  30  p.     Ferner  kann  man  bei  der 
Anwendung  des  Wassers  nachweisen ,  dass  der  Follikelinhalt  noch  unmittelbar 
die  Zellen  berührt,  dass  aber  die  Grenze  zwischen  beiden  Theilen  eine  sehr 
scharfe  ist  und  sie  durchaus  nicht  kontinuirlich  zusammenhängen.     Uebrigens 
kann  man  sich  auch  beim  Zerdrücken  dieser  Zellen  die  Gewissheit  verschaffen, 
dass  sie  Hüllen  besitzen.     Diese  Beobachtung  machte  ich  noch  an  Follikeln, 
welche  bereits  durch  Dotter  getrübt  waren.   —   Solange  die  Follikel  eine  ge- 
wisse Grösse  (100 — 150 /u)  nicht  überschritten  haben,  ist  ihr  Inhalt  im  frischen 
Zustande  ganz   durchsichtig  klar;   dass  er  aber  gegen  früher  eine  gewisse 
chemische  Veränderung  erlitten,  erhellt  daraus,  dass  er  durch  Chromsäure- 
lösungen und  theilweise  schon  durch  blosses  Wasser  in  eine  sehr  feinkörnige 
Masse  umgewandelt  wird,  was  in  früheren  Entwickelungsperioden  bei  gleicher 


I.    Die  Eiitwickelung  des  Eierstockseies.  17 

Behandlung  nicht  geschah.  Dieser  Versuch  bestätigt  aber  auch,  dass  der 
Follikelinhalt,  wie  es  schon  im  frischen  Zustande  erschien,  in  seiner  ganzen 
Ausdehnung,  in  der  nächsten  Umgebung  des  Kernes,  wie  an  der  Peripherie, 
überall  gleich  beschaffen  ist.  —  Etwa  um  die  Zeit,  wann  das  Wachsthum  die 
obenbezeichnete  Grenze  erreicht  hat,  erscheinen  in  der  ganzen  Peripherie  des 
Follikelinhaltes ,  ganz  dicht  am  Follikelepithel ,  unregelmässige  Häufchen  von 
kleinsten,  gelblichen,  derbkonturirten  Körperchen,  sodass  die  Oberfläche  des 
Follikels  gefleckt  aussieht  {Taf.  I  Fig.  9).  Diese  Flecke  vermehren  sich  und 
rücken  dabei  so  nahe  zusammen ,  dass  sie  endlich  eine  ziemlich  gleichmässige 
Körnchenschicht  bilden,  wodurch  der  ganze  Follikel  endlich  undurchsichtig 
wird.  Zerdrückt  man  einen  solchen  von  ungefähr  0.3  mll.  Durchmesser,  welcher 
dem  blossen  Auge  noch  bläulich  opalisirend  erscheint,  so  findet  man  den  Inhalt 
zusammengesetzt  aus  einer  farblosen  Flüssigkeit  und  einer  grossen  Anzahl 
kleinster  Körperchen,  welche  genau  so  aussehen  wie  jene  in  den  oberflächlichen 
Häufchen  angesammelten.  Mit  dem  Auftreten  dieser  festen  Theilchen  in  der 
Follikelflüssigkeit  beginnt  die  Umbildung  der  letzteren  zu  einer  Dottermasse 
und  die  Umwandlung  des  ganzen  Follikinhaltes  in  ein  Ei,  wobei  der  Kern  die 
Rolle  des  Keimbläschens  übernimmt.  Jene  kleinen  Körperchen  oder  die  Dotter- 
körner vermehren  sich  nun  ziemlich  rasch ;  wobei  erst  wenige,  dann  immer  mehr 
von  den  bekannten  Dottertäfelchen  oder  -plättchen  unter  ihnen  sich  zeigen, 
sodass  diese  endlich  in  den  der  Reife  entgegengehenden  Eiern  den  bei  weitem 
grössten  Raum  in  der  Dottermasse  einnehmen.  Bei  stärkeren  Vergrösserungen 
bemerkte  ich  nun,  dass  jene  Dotterkörner  in  allen  Grössenabstufungen  bis  zum 
blossen  Punkt  hinab  ebenso  eine  viereckige  Gestalt,  gelbliche  Farbe  und  derbe 
Konturen  besitzen,  wie  die  Plättchen ,  sodass  ich  nicht  daran  zweifeln  kann; 
dass  beide  Formen  sich  nur  in  der  Grösse  unterscheiden.  Ob  nun  die  Plättchen 
durch  ein  Wachsthum  der  einzelnen  Körner  oder  durch  eine  Verschmelzunsr 
mehrerer  Körner  entstehen,  konnte  ich  nicht  entscheiden ,  jedenfalls  bilden  sie 
sich  zuerst  im  Innern  und  breiten  sich  erst  in  der  Folge  bis  zur  Oberfläche  aus. 
—  Es  bliebe  nur  noch  zu  untersuchen  übrig,  woher  die  Dotterkörner  ihren 
Ursprung  nahmen,  ob  sie  durch  lokale  Differenzirung  in  der  Grundsubstanz 
des  Follikels  entstanden  oder  von  der  Oberfläche  her  einwanderten.  Die  Trü- 
bung der  Follikel  im  Anfange  der  Dotterbildung  und  andererseits  die  eigen- 
thümliche  Umwandlung,  welcher  der  Follikelinhalt  bei  der  Anwendung  der 
erhärtenden  Chromsäure  unterliegt,  erlaubten  mir  nicht,  auf  jene  Fragen  be- 
stimmt zu  antworten.     Jedoch  kann  man  an  den  Durchschnitten  von  solchen 

Goette,  Entwickelungsgesebichtc  - 


13  I-    Die  Entwickelung  des  Eierstockseies. 

gehärteten  Follikeln,  in  welchen  die  Dotterbildung  vor  Kurzem  begonnen  hatte, 
häufig  bemerken,  dass  die  dem  Kerne  oder  dem  Keimbläschen  zunächst  gele- 
genen Theile  heller  sind  als  die  äusseren;  was  bei  mir  die  Ansicht  hervorruft, 
dass  jene  an  der  Oberfläche  des  Follikels  auftretenden  Körnerhäufchen  allmäh- 
lich ins  Innere  vorrücken  und  sich  daselbst  zerstreuen,  während  andere  an  ihre 
frühere  Stelle  treten. 

Einige  Forscher  reden  von  einem  räthselhaften  dunklen  Gebilde,  dem 
Dotterkerne ,  welcher  in  wechselnder  Gestalt  in  den  hellen  Follikeln  vorkomme 
und  bald  früher  bald  später  in  dem  entstehenden  Dotter  sich  auflöse.  Ich  muss 
gestehen,  dass  ich  eine  solche  Erscheinung  weder  an  den  frischen,  noch  an  den 
gehärteten  Eierstöcken  sowohl  junger  als  älterer  Exemplare  von  Bombinator 
igneus  antraf.  Dasselbe  Ergebniss  lieferten  mir  einige  junge  Exemplare  von 
Bufo  cinereus,  in  deren  Eierstöcken  die  Dotterbildung  eben  begonnen  hatte  und 
zwar  bloss  im  vorderen  Abschnitte,  wesshalb  er  gelb  und  opak,  der  hintere 
aber  noch  halb  durchsichtig  und  opalisirend  aussah. 

Ich  wende  mich  nun  zur  Betrachtung  des  Keimbläschens.  Anfangs ,  d.  h. 
ohngefähr  so  lange,  als  das  Protoplasma  der  ursprünglichen  Bildungszellen 
noch  kenntlich  ist,  gleichen  die  Keimbläschen  noch  ganz  den  Kernen,  aus  denen 
sie  entstanden:  ihre  Form  ist  rundlich,  jedoch  nicht  regelmässig,  ihr  Inhalt  mit 
feineren  und  gröberen  Punkten  oder  Körnern  untermischt.  Ausserdem  ent- 
halten sie  einige  verhältnissmässig  grosse,  unregelmässig  gestaltete,  wandstän- 
dige Körperchen,  die  Keimfiecke.  Dies  sind  die  gewachsenen  und  vermehrten 
Kernkörperchen  der  verschmolzenen  Kerne  und  da  sie  im  Verlaufe  derFollikel- 
bildung  neu  entstehen  und  in  allen  Grössen  angetroffen  werden,  deren  unterste 
an  die  grüssten  dunklen  Punkte  sich  anschliesst,  so  vermuthe  ich,  dass  sie  aus 
den  letzteren  hervorgehen.  Diese  Annahme  wird  durch  folgende  Ueberlegung 
unterstützt:  je  kleiner  die  Kernkörperchen  sind,  desto  breiter  ist  verhältniss- 
mässig die  Randzone  derselben,  welche  in  Folge  einer  für  das  beobachtende 
Auge  zu  starken  Lichtbrechung  dunkel  erscheint,  und  desto  kleiner  das  helle 
Centrum;  sie  müssen  also  natürlich  bei  einer  gewissen  Kleinheit  nur  noch  als 
dunkle  Punkte  erscheinen.  Daher  halte  ich  es  für  mehr  als  wahrscheinlich, 
dass  die  Keimflecke  aus  den  punktförmigen  Körnern  der  ursprünglichen  Kerne 
heranwachsen.  —  In  dem  Masse,  als  die  Follikel  immer  mehr  klare  Flüssig- 
keit aufnehmen  und  die  Protoplasmareste  in  derselben  aufgelöst  werden ,  ver- 
wandeln sich  auch  die  Keimbläschen:  während  eines  entsprechenden  Wachs- 
thums  wird  ihr  Umriss  kreisrund,  ihr  Inhalt,  bis  auf  die  gleichfalls  wachsenden 


I.    Die  Entwickelung  des  Eierstockseies.  19 

Keimflecke,  vollständig  durchsichtig  und  lässt  sich  bei  verschiedenen  Reaktionen 
(Wasser,  Chromsäure  u.  s.  w.)  nicht  mehr  vom  übrigen  Follikelinhalt  unter- 
scheiden (Taf.  I  Fig.  9).  Nachdem  die  Dotterbildung  begonnen,  verlieren 
sich  jene  grossen  Keimflecke  allmählich  und  in  dem  Masse  als  sie  sich  ver- 
mindern, erscheint  an  ihrer  Stelle  eine  grössere  Zahl  kleinerer  Keimflecke, 
welche  die  Farbe  und  den  Glanz  der  Dottertäfelchen  besitzen.  Zuletzt  ist  die 
ganze  Innenfläche  des  Keimbläschens  mit  solchen  kleinen  Keimflecken  besetzt. 
Beim  Bombinator  igneus  gelang  es  mir  nicht,  die  Umwandlung  der  grösseren 
dieser  Gebilde  in  die  kleineren  zu  beobachten ;  dagegen  glaube  ich  eine  solche 
in  den  Eiern  des  Bufo  cinereus  erkannt  zu  haben.  Zugleich  mit  dieser  innern 
Veränderung  des  Bläschens  gibt  sein  Kontur  die  kreisrunde  Form  auf  und  ver- 
läuft in  einer  unregelmässigen,  allmählich  sich  immer  mehr  ausbuchtenden 
Wellenlinie.  Dafür,  dass  dies  ein  normaler  Befund  ist ,  bürgt  die  Untersuchung 
ganz  frischer  Objekte  ohne  jeden  Zusatz  (Taf.  I  Fig.  10).  —  Ueber  das  Wachs- 
thum  der  Keimbläschen  kann  man  im  Allgemeinen  sagen,  dass  sie  bis  zu  ihrer 
Umwandlung  entsprechend  dem  ganzen  Follikel  sich  vergrössern,  später  aber 
in  ihrer  Zunahme  hinter  demselben  zurückbleiben.  Alsdann  verlassen  sie  auch 
ihre  centrale  Lage  und  rücken  gegen  die  Oberfläche  des  Follikels  vor. 

Wenn  das  junge  Ei  die  Grösse  von  ungefähr  0.4 — 0.5  mll.  Durchmesser 
erreicht  hat,  bemerkt  man  zwischen  dem  Follikelepithel  und  dem  Dotter  eine 
äusserst  schmale ,  helle  und  strukturlose  Zone  —  die  Anlage  der  Dotterhaut. 
Da  das  ganze  Wachsthum  des  Dotters  durch  Anlagerung  von  aussen  erfolgt 
und  nach  der  Bildung  der  Dotterhaut  noch  längere  Zeit  fortdauert ,  so  scheint 
es  mir  gar  nicht  zweifelhaft  zu  sein ,  welche  genetische  Bedeutung  derselben 
zukomme.  Sie  ist  eine  von  aussen  dem  Dotter  angefügte,  anfangs  offenbar 
halbflüssige  Substanzschicht-,  und  wenn  man  sie  mit  einer  sich  entwickelnden 
Zellenhülle  verglich,  so  vergass  man ,  abgesehen  von  andern  irrthümlichen  An- 
schauungen, dass  die  Dottermasse  nach  aussen  keine  fixe  Grenze,  also  zu  keiner 
Zeit  während  ihrer  Ansammlung  eine  bestimmte  Rindenschicht  besitze,  welche 
als  ein  organisch  zur  Hauptmasse  gehöriger  Theil  erstarren  könnte. 

Zuletzt  von  allen  Bestandtheilen  des  Eies  erscheint  das  Pigment.*  Es 
verbreitet  sich  über  die  ganze  Dotteroberfläche,  aber  in  wechselnder  Stärke. 


*  Dass  dasselbe  ein  bloss  accessorischer  Theil  der  Eisubstanz ,  ohne  jede  wesentliche 
Bedeutung  sei,  erhellt  am  besten  daraus,  dass  selbst  von  so  nahverwandten  Arten,  wie  die 
verschiedenen  Tritonen  es  sind ,  die  einen  pigmentirte ,  die  anderen  ganz  'pigmentfreie  Eier 
haben. 

2* 


20  I-    Die  Entwickelung  des  Eierstockseies. 

Die  Halbkugel,  in  welcher  das  Keimbläschen  sich  befindet,  nimmt  so  viel  von 
dem  körnigen,  durchaus  schwarzen  Pigment  zwischen  die  Dotterkörner  auf, 
dass  sie  ein  schwärzliches  Kolorit  erhält ,  die  andere  dagegen  nur  so  viel ,  dass 
die  durchscheinende  gelbliche  Dotterfarbe  und  das  Pigment  sich  zu  einem 
hellen  Grau  vermischen.  Die  dunkle  Hemisphäre  dreht  sich  bekanntlich,  nachdem 
das  Ei  gelegt  und  befruchtet  worden,  beständig  nach  oben;  woraus  man  Ver- 
anlassung genommen  hat ,  von  einer  oberen  und  einer  unteren  Halbkugel  und 
den  entsprechenden  Polen  des  Eies  zu  reden.  Ich  werde  mir  erlauben,  aus 
Rücksicht  auf  die  Bequemlichkeit  des  Ausdrucks,  jene  Benennungen  auch  schon 
auf  das  Ei  vor  seiner  Befruchtung  anzuwenden. 

Ich  darf  es  als  bekannt  voraussetzen,  wie  die  reifenden  Eier  aus  der  Wand 
des  Eierstocks  in  gestielten  Kapseln  hervorwachsen  und  alsdann  in  die  Höh- 
lungen des  Organs  vorragen.  Unter  den  reifen  Eiern ,  welche  die  volle  Grösse 
von  ohngefähr  1.5  mll.  Durchmesser  erreicht  haben,  fand  ich  drei  verschiedene 
Bildungsstufen,  deren  Reihenfolge  leicht  zu  bestimmen  war ,  und  welche  offen- 
bar nur  durch  kurze  Zeiträume  der  Entwickelung  von  einander  getrennt,  wahr- 
scheinlich zu  einer  und  derselben  Brut  bestimmt  waren,  da  eine  solche,  wie  ich 
weiter  unten  noch  ausführlicher  zeigen  werde,  stets  Eier  von  verschiedener 
Ausbildung  umfasst.  Die  der  Entwickelung  nach  jüngsten  von  jenen  Eiern 
schlössen  sich  unmittelbar  an  die  halbreifen  an.  Ihre  Dotterhaut  hing  mit  dem 
Dotter  so  innig  zusammen,  dass  an  eine  Ablösung  derselben  nicht  zu  denken 
war;  auch  Hess  sich  eine  bestimmte  Grenze  zwischen  beiden  Theilen  nicht  nach- 
weisen. 

Die  Dottermasse  war  in  der  untern  Halbkugel  etwas  grobkörniger  als  in 
der  oberen ;  auch  fehlten  dicht  an  der  Peripherie  die  grössten  Dotterelemente, 
wobei  die  Mächtigkeit  dieser  feinkörnigen  Schicht  mit  derjenigen  der  Pigment- 
lage übereinstimmte,  also  in  der  oberen  Halbkugel  am  grossesten  war.  In  der 
letzteren,  ohngefähr  150 — 180  p  von  der  Oberfläche  entfernt,  befand  sich  die 
runde,  das  Keimbläschen  enthaltende  Höhle,  deren  Höhe  (300 — 400  /*)  von  der 
Breite  (400—500^)  etwas  übertroffen  wird  (Taf.  I  Fig.  11).  Es  ist  klar, 
dass  diese  Höhle  ihre  Gestalt  derjenigen  des  Keimbläschens  verdankt;  wenn  aber 
letzteres  bei  seinem  Vorrücken  gegen  die  Dotteroberfläche,  also  im  Anfange 
der  Dotterbildung,  jene  Form  besass  und  auch  in  gehärteten  Eierstöcken  be- 
hielt, so  füllt  es  im  vorliegenden  Stadium  den  frühern  Raum  nicht  mehr  aus. 
Geschrumpft  liegt  es  meist  an  der  gegen  das  Centrum  des  Eies  gekehrten  Wand 
der  Höhle,  während  der  leergewordene  Theil  der  letzteren  mit  klarer  Flüssigkeit 


I.    Die  Entwickelung  des  Eierstockseies.  21 

angefüllt  ist.  Obgleich  nun  die  angewandten  Erhärtungsmittel  in  jüngeren 
Eiern  eine  solche  Schrumpfung  nicht  bewirkten,  also  auch  hier  keine  künstliche 
Bildung  vorzuliegen  schien,  so  habe  ich  diesen  Befund  doch  an  frischen  Objekten 
kontrolirt  und  ihn  vollständig  bestätigt  gefunden.  Präparirt  man  die  Keim- 
bläschen unter  Jodserum*  aus  den  dottergefüllten  Eiern  aller  Grössen  heraus, 
so  ergibt  sich  die  fortschreitende  Schrumpfung  des  Keimbläschens  aufs  unzwei- 
deutigste (Taf.  I  Fig.  10).  Zeigte  es  anfangs  nur  einen  wellenförmigen  Um- 
riss,  so  erscheint  es  später  mit  stark  vorspringenden  Buckeln  besetzt,  in  denen 
die  Keimflecke  angesammelt  sind;  zugleich  ist  es  linsenförmig  abgeflacht,  trübe 
und  gelblich  gefärbt.  In  den  reifen  Eiern  endlich,  deren  Beschreibung  ich  eben 
unterbrach,  hat  es  freilich  noch  dieselbe  äussere  Form;  aber  der  Inhalt  ist  noch 
undurchsichtiger ,  sehr  feinkörnig  und  fest  geworden  und  hat  sich  von  der 
Hülle,  an  welcher  die  Keimflecke  hängen  bleiben,  etwas 'zurückgezogen.  Die 
letzteren  sind  jetzt  kreisrund;  einige  unter  ihnen  sind  offenbar  gewachsen  (bis 
zu  15  fi  Durchmesser)  und  enthalten  je  einige  Körner  oder  Bläschen,  welche 
aber  viel  kleiner  sind,  als  die  kleinsten  Keimflecke. 

Das  zweite  Stadium  der  Reife  unterscheidet  sich  vom  besprochenen  äusser- 
lich  dadurch,  dass  am  oberen  Pole,  also  über  dem  Keimbläschen,  ein  gelblicher, 
unregelmässiger  Fleck  mit  verwaschenen  Rändern  inmitten  des  dunklen  Feldes 
entstanden  ist.  An  Durchschnittsbildern  erkennt  man  die  Ursachen  dieser 
Erscheinung:  die  Pigmentschicht  ist  daselbst  theils  ganz  unterbrochen,  theils 
wie  verwischt,  sodass  die  ungefärbte  Dottermasse  an  der  Oberfläche  zu  Tage 
tritt  (Taf.  I  Fig.  12).  Im  Innern  ist  die  Höhle  des  Keimbläschens  spurlos 
verschwunden ,  und  ruht  dieses  nach  dem  passenden  Bilde  Newport's  (Nr.  35 
S.  176)  wie  ein  Aprikosenkern  im  Fleische  der  Frucht,  fest  im  Dotter  einge- 
zwängt. Es  nimmt  alsdann  die  Stelle  ein,  die  es  zuletzt  auf  dem  Boden  der 
Höhle  inne  hatte,  hat  sich  also  im  Vergleiche  zur  Zeit,  wo  es  noch  die  ganze 
Höhle  ausfüllte ,  von  der  Oberfläche  der  Dotterkugel  scheinbar  entfernt.  Auch 
hat  es  nur  noch  annähernd  eine  linsenförmige  Gestalt,  denn  seine  Umrisse  sind 
verschwommen  und  die  Dottermasse  dringt  bereits  hier  und  da  in  dasselbe  ein. 
Von  der  Hülle  des  Keimbläschens  und  den  Keimflecken  sind  nur  noch  einzelne 
Reste  sichtbar,  welche  zum  Theil  schon  in  dem  Rande  der  umgebenden  Dotter- 
masse  liegen.     Die  Dotterhaut  eines  solchen  Eies  hängt  nicht  mehr,  wie  im 


*  Dieses  Mittel  konservirt  nach  meiner  Erfahruno-  auch  die  viel  zarteren  Säugethiereier 


recht  gut. 


22  I-    Die  Entwickelung  des  Eierstockseies. 

früheren  Stadium,  innig  mit  dem  Dotter  zusammen,  sondern  lässt  sich  ziemlich 
rein  von  ihm  abheben. 

Die  dritte  und  letzte  von  mir  beobachtete  Form  von  reifen  Eierstockseiern 
enthielt  keine  Spur  eines  Keimbläschens  mehr;  an  seiner  Stelle  befand  sich  eine 
äusserst  feinkörnige  Masse,  welche  ohne  bestimmte  Grenzen  in  die  mit  Dotter- 
plättchen  angefüllte  Dottersubstanz  überging  und  offenbar  aus  dem  Zerfalle 
des  Keimbläschens  hervorgegangen  war  (Taf.  I  Fig.  13).  Der  Fleck  am 
obern  Pole  war  noch  vorhanden,  die  Dotterhaut  konnte  gleichfalls  unschwer 
von  der  Dotteroberfläche  getrennt  werden. 

Die  reifen  Eier  lösen  sich  während  der  Begattung  vom  Eierstocke  ab ,  ge- 
langen in  die  Bauchhöhle  und  werden  darauf  in  die  Eileiter  aufgenommen,  aus 
denen  sie  ins  Wasser  ausgestossen  und  dabei  befruchtet  werden.  Die  normale  Be- 
gattung des  Bombinator  igneus  scheint  24 — 36  Stunden  zu  dauern;  ich  glaube 
mich  aber  überzeugt  zu  haben,  dass  die  Eier  erst  gegen  das  Ende  der  Begattung 
in  die  Eileiter  eintreten ,  also  in  denselben  sich  nur  eine  verhältnissmässig 
kurze  Zeit  aufhalten.  Es  ist  mir  nun  nicht  gelungen,  Eier  auf  dieser  Wanderung 
anzutreffen ;  doch  glaube  ich  diese  Lücke  in  der  Untersuchung  durch  Vergleiche 
der  vorhergehenden  und  der  nachfolgenden  Bildungsstufen  ausfüllen  zu  können. 
Ich  habe  mehrfache  Gelegenheit  gehabt,  dem  Legegeschäft  des  Bombinator 
igneus  beizuwohnen;  daher  war  es  mir  möglich,  die  Eier  zu  jeder  beliebigen 
Zeit,  selbst  unmittelbar  nach  ihrem  Austritte  aus  dem  Mutterthiere  in  die 
Kupfeiiösung  zu  bringen  und  so  für  die  gewünschte  Untersuchung  jede  weitere 
Veränderung  hintanzuhalten. 

Bekanntlich  erhalten  die  Eier  der  meisten  Batrachier,  so  auch  unseres 
Thieres,  innerhalb  der  Eileiter  gallertartige  Hüllen.  Ich  kann  aber  die 
Beschreibung  derselben  übergehen,  da  sie,  für  die  Entwickelung  ohne  Bedeu- 
tung*, wesentlich  nur  der  Befruchtung  dienen.  Sonst  sind  die  frischgelegten 
Eier  den  von  mir  beschriebenen  reifsten  Eierstockseiern  sehr  ähnlich.  Die 
Vertheilung  des  Pigments  ist  noch  dieselbe :  die  obere  Halbkugel  ist  schwärz- 
lich gefärbt,  von  der  untern  empfängt  man  den  Eindruck  wie  von  einer  hellen, 
mit  einem  schwarzen  Pulver  leicht  bestreuten  Fläche.  Ein  Theil  der  frischge- 
legten Eier  zeigt  auch  den  hellen  Fleck  in  der  Gegend  des  obern  Poles;  lässt 
man  dieselben  sich  weiter  entwickeln,  so  kann  man  gewisse  Veränderungen 


*  Schon  Rusconi  bewies  (Nr.  6  S.  9  Nr.  16  S.  212),  dass  ein  von  seiner  Gallertkülle  be- 
freites Ei  sich  ebenso  normal  wie  ein  intaktes  entwickele. 


I.    Die  Entwicklung  des  Eierstockseies.  23 

innerhalb  jenes  Flecks  und  sein  scliliessliches  Verschwinden  leicht  verfolgen. 
Untersucht  man  ihn  genauer,  so  findet  man  seine  Mitte  häufig  vertieft  und 
etwas  dunkler  als  die  Umgebimg;  bisweilen  gewährt  sie  sogar  das  Bild  der 
in  einem  Polster  angebrachten  Knöpfe  oder  eines  eingezogenen  Nabels.     Nach 
kurzer  Zeit  schwindet  dieser  Knopf  und  es  bleibt  an  seiner  Stelle  ein  Loch,  wie 
es  beim  Einstich  in  eine  teigige  Masse  entsteht  (Taf.  I.  Fig.  15).     Dieses 
Loch  kann  entweder  auch  verschwinden,  bevor  andere  Erscheinungen  auftreten, 
oder  es  bleibt  bis  zum  Beginne  der  Dottertheilung  bestehen.     Ebenso  können 
auch  mehrere  derartige  Löcher  vorhanden  sein.     Unterdess  ist  aber  der  helle 
Fleck  verschwunden,  indem  er  sich  entweder  stetig  zusammenzog  oder  im 
Gegentheil  unregelmässig  sich  ausbreitete,  dem  dunklen  Felde  für  kurze  Zeit 
ein  marmorirtes  Aussehen  verlieh  und  dann  erst  verschwamm.     Uebrigens  ist 
die   Reihenfolge   aller   dieser   Ercheinungen   durchaus   nicht  beständig:    oft 
fehlt    die    eine    oder    andere    oder    sie    reduciren    sich    darauf,    dass    der 
helle  Fleck  allmählich  schwindet,  ohne  dass  in  seinem  Bereiche  bemerkens- 
werthe  Veränderungen  vor  sich  gingen.     Durchschnitte  von  solchen  mit  einem 
Fleck  versehenen  Eiern  lehrten,  dass  er  ebenso  wie  in  den  reifen  Eierstockseiern 
von  einer  theilweisen  Zerstörung   der  Pigmentschicht  herrühre ;  die  Löcher 
und  Vertiefungen  erwiesen  sich  als  der  Ausdruck  nur  ganz  oberflächlicher 
Unregelmässigkeiten.     Die  Dottermasse  zeigte  keine  weitere  Veränderung ,  als 
dass  die  feinkörnige  Substanz,  welche  ich  bereits  auf  der  letzten  Reifestufe  des 
Eies  als  Residuum  des  Keimbläschens  fand,  sich  unregelmässig  in  dem  umge- 
benden Dotter  zerstreut  hat,  namentlich  in  schmalen  Streifen  gegen  die  Ober- 
fläche ausstrahlt.     Dies  kann  man  an  der  grauen  Färbung  oder  der  Trübung 
erkennen,  welche  jener  Substanz  durch  die  angesammelten  punktförmigen 
Körnchen  verliehen  wird ,  sodass  der  Dotter  der  obern  Eihälfte  nach  seiner 
Vermischung  mit  der  dunkleren  Masse  marmorirt  aussieht.     Aber  auch  diese 
innere  Verfärbung  schwindet  bald  in  Folge  einer  gleichmässigeren  Vertheilung 
der  festen  Dottertheilchen.    —    Alle  diese  Erscheinungen  sind  also  Störungen 
in  der  Gleichmässigkeit  der  Pigmentschicht  einerseits  und  andererseits  der 
innern  Dottermasse,  welche  vor  dem  Beginn  der  eigentlichen  Embryonalent- 
wickelung ganz  oder  zum  grösseren  Theile  wieder  ausgeglichen  werden ;  im 
letztern  Falle  aber  stehen  sie,  wie  es  im  folgenden  Abschnitte  noch  näher  aus- 
geführt werden  soll,  mit  jener  Entwickelung  in  keinem  Zusammenhange.     Ich 
bemerkte  aber  schon,  dass  nur  einige  der  frischgelegten  Eier  alle  jene  Erschei- 
nungen aufweisen. 


24  !•    Die  Entwickelung  des  Eierstockseies. 

Die  übrigen  verlassen  die  Eileiter  entweder  mit  einem  Flecke,  welcher  im 
Verschwinden  begriffen  ist,  oder  selbst  mit  einer,  gegenüber  den  reifsten  Eier- 
stockseiern, schon  wiederhergestellten  Pigmentschicht;  ebenso  kann  die  Aus- 
gleichung der  inneren  Dottermasse  bereits  mehr  oder  weniger  ausgeführt  sein. 
Aus  diesen  Thatsachen  erhellt  aber,  dass  die  in  einer  Brut  abgesetzten  Eier 
sich  auf  verschiedenen  Stufen  ihrer  Umbildung  befinden  und  dass  die  geschil- 
derten Vorgänge  gewöhnlich  zum  Theil  oder  vollständig  in  den  Eileitern,  mit- 
hin von  der  Befruchtung  durchaus  unabhängig,  ablaufen.  Die  am  weitesten 
zurückgebliebenen  der  frischgelegten  Eier  haben  offenbar  den  Eierstock  zuletzt 
und  zwar  nur  eine  kurze  Zeit,  bevor  sie  gelegt  wurden,  verlassen,*  sodass 
ich  sie  nun  in  der  Entwickelungsreihe  ohne  Zweifel  unmittelbar  neben  die 
reifsten  Eierstockseier  stellen  darf,  obgleich  sie  nicht  dem  Eileiter  entnommen 
wurden.  Ein  Vergleich  beider  Formen  mag  diese  Annahme  noch  weiter  begrün- 
den: eine  geringe  Abnahme  im  Umfange  des  Fleckes  und  die  stärkere  Zer- 
streuung der  feinkörnigen  Masse  sind  die  einzigen  Fortschritte  des  älteren  Eies. 

Wenn  ich  also  annehmen  darf,  eine  wesentlich  ununterbrochene  Ent- 
wickelungsreihe der  Erscheinungen  am  obern  Pole  beobachtet  zu  haben,  so 
fragt  sich  nun :  wie  entsteht  und  was  bedeutet  jene  Zerstörung  der  Pigmentschicht, 
deren  Ausgleichung  so  bald  erfolgt,  ohne  nachweisbare  Folgen  zu  hinter- 
lassen ?  —  Die  Antwort  ergibt  sich  allerdings  nicht  unmittelbar  aus  meinen 
Beobachtungen,  wohl  aber  aus  einer  vergleichenden  Betrachtung  dieser  und 
einiger  älterer  Angaben.  Ich  erinnere  zunächst  daran,  dass  der  helle  Fleck 
sich  nicht  allmählich  entwickelt,  sondern  ganz  unvermittelt  auftritt,  und  dass 
zugleich  ebenso  plötzlich  der  vom  schrumpfenden  Keimbläschen  zurückge- 
lassene Hohlraum  verschwunden  ist.  Der  letztere  war  mit  einer  Flüssigkeit 
angefüllt,  und  wenn  man  bedenkt,  dass  das  schrumpfende  Keimbläschen  fester 
wird,  also  Flüssigkeit  verliert,  so  ist  es  wohl  mehr  als  wahrscheinlich ,  dass  die 
ursprüngliche  Höhle  des  Keimbläschens  nach  wie  vor  dessen  ganzen  Inhalt  um- 
fasst,  mit  dem  Unterschiede  gegen  früher,  dass  in  dem  Masse,  als  seine  festen 
Theile  sich  zusammenziehen,  die  flüssigen  in  den  dadurch  freiwerdenden  Raum 
der  Höhle  übertreten.  Ich  kann  nun  nicht  annehmen,  dass  diese  Flüssigkeit 
des  Keimbläschens  sich  ganz  plötzlich  dem  übrigen  Dotter  assimilire;  denn  dies 
widerspräche  aller  Erfahrung.     Dagegen  finde  ich  den  befriedigendsten  Auf- 


*  Ick  bemerkte  schon,  dass  die  Eier  erst  gegen  das  Ende  der  Begattung  in  den  Eilei- 
ter treten;  und  da  sie  es  nach  allen  bisherigen  Beobachtungen  einzeln  ausführen,  so  können 
die  zuletzt  eingetretenen  nur  eine  kurze  Zeit  sich  in  dem  Eileiter  aufhalten.  — 


I.    Die  Entwickelung  des  Eierstockseies.  25 

schluss  über  den  fraglichen  Vorgang  in  den  Beobachtungen  v.  Baers:  er  sagt, 
dass  das  Keimbläschen  die  Dotteroberfläche  durchbreche  und  dann  erst 
schwinde,  dass  ein  Theil  der  Flüssigkeit,  welche  man  an  befruchteten  Eiern 
zwischen  Dotter  und  Dotterhaut  antreffe,  von  jenem  Bläschen  herrühren  möge, 
und  endlich ,  dass  der  helle  Fleck  oder  die  Lücke  in  dem  dunklen  Felde  aus 
jenem  Durchbruche  hervorgehe.  Es  genügt  in  der  That,  diesen  Mittheilungen 
die  Ergänzung  hinzuzufügen,  dass  nicht  das  ganze  Keimbläschen,  sondern  bloss 
seine  in  der  Höhle  frei  befindliche  Flüssigkeit  die  Dotteroberfläche  durchbreche, 
um  einzusehen,  wie  die  Zerstörung  der  Pigmentschicht  eine  natürliche  Folge 
von  dem  Verschwinden  der  Höhle  sei,  Beides  aber  offenbar  in  der  kürzesten  Zeit, 
ich  möchte  fast  sagen,  in  einem  Momente  vor  sich  gehe.  Und  v.  Baer's  Ver- 
muthung,  dass  die  aus  dem  Dotter  hervorgetretene  Flüssigkeit  sich  über  dessen 
Fläche  ergiessend,  dieselbe  gewissermassen  von  der  Dotterhaut  trenne ,  findet 
eine  nachdrückliche  Unterstützung  in  meiner  schon  erwähnten  Beobachtung 
über  das  verschiedene  Verhalten  jener  Haut  vor  und  nach  dem  Auftreten  des 
hellen  Flecks. 

Fassen  wir  nun  alle  Erscheinungen  am  reifen  Eie  bis  zur  Befruchtung  zu- 
sammen, so  ergeben  sie  sich  insgesammt  als  Folgen  der  Auflösung  des  Keim- 
bläschens. Es  dürfte  hier  der  Gedanke  nahe  liegen,  dass  dadurch  der  ur- 
sprünglichen Dottermasse  ein  neuer  Bestandtheil  beigemischt,  ihre  frühere 
Zusammensetzung  also  verändert  würde.  Ich  kann  aber  diese  Ansicht  nicht 
theilen.  Zuerst  mache  ich  darauf  aufmerksam,  dass  schon  in  den  ganz  klaren 
Follikeln,  ganz  im  Anfange  der  Eibildung,  der  Inhalt  des  Follikels  sowohl  in- 
nerhalb, als  ausserhalb  des  Keimbläschens  derselbe  ist:  in  beiden  Theilen  be- 
steht er  aus  einer  Mischung  von  Protoplasma  mit  der  von  aussen  abgesonderten 
Flüssigkeit,  und  die  durch  die  Membran  des  Keimbläschens  erzeugte  Endo- 
smose sorgt  für  die  volle  Ausgleichung,  sodass  weder  das  normale  Aussehen, 
noch  das  Verhalten  beider  Theile  bei  der  Einwirkung  verschiedener  Reagentien 
einen  Unterschied  erkennen  lässt.  Erst  das  Erscheinen  der  festen  Dotterkör- 
perchen  ruft  eine  gewisse  Differenz  hervor:  indem  sie  von  der  Oberfläche  des 
Follikels  gegen  das  Centrum  vorrücken,  aber  in  das  Keimbläschen  nicht  ein- 
dringen können,  verändern  sie  die  Konsistenz  in  seiner  Umgebung,  also  auch 
die .  endosmotische  Ausgleichung.  Früher  blähte  sich  das  Keimbläschen  auf, 
weil  es  fester  war,  als  die  Umgebung;  nun  schrumpft  es,  weil  die  umgebende 
Flüssigkeit  dicker  wird*      Daher  glaube  ich,  dass  die  Substanz  des  Keim- 


*  Vielleicht  ist  diese  Verdichtung  des  umgebenden  Dotters  die  Ursache,  dass  das  ver- 


26  !•    Die  Entwickelung  des  Eierstockseies. 

bläschens  bei  seiner  Auflösung  von  der  Grundsubstanz  des  Dotters  sich  nicht 
wesentlich  unterscheide,  dass  also  die  ganze  Ausgleichung  innerhalb  des  Folli- 
kels bei  der  Zerstörung  der  letzten  Zellenreste  sich  weniger  auf  die  Substanzen 
selbst  als  auf  ihre  Form  beziehe,  und  die  Dottermasse  zu  jeder  Zeit  wesentlich 
dieselbe  bleibe.  Eine  weitere  Frage  aber  ist  die,  wie  weit  die  zwei  genetisch 
verschiedenen  Bestandtheile  des  Follikelinhaltes,  die  Zellenreste  und  das 
von  aussen  eingeführte  Sekret,  welche  sich  bereits  so  frühe  zum  Dotter  mischen, 
ihrer  Beschaffenheit  nach  sich  von  einander  unterscheiden.  Darauf  gibt  die 
Entwickelungsgeschichte,  wie  mir  scheint,  eine  ziemlich  ausreichende  Antwort: 
die  Zellen,  welche  das  Sekret  liefern,  und  diejenigen,  deren  Reste  sich  in  den 
Follikeln  auflösen,  sind  nicht  nur  ganz  gleichartig,  sondern  auch  noch  eine  kurze. 
Zeit  vor  der  ersten  Follikelbildung  vollständige  Embryonalzellen,  cl.  h.  mit  der- 
selben Dottermasse  gefüllt  gewesen,  welche  sie  in  den  Follikeln  neuerdings  er- 
zeugen sollen  (vgl.  den  letzten  Abschnitt  dieses  Buchs). 

So  kann  ich  denn  die  Betrachtung  des  reifen  Eies  mit  dem  Ergebnisse 
schliessen,  dass  alle  seine  Veränderungen  im  Eierstocke  und  Eileiter  nur  die 
unmittelbare  Fortsetzung  und  den  Abschluss  jenes  schon  im  ersten  Anfange  der 
Eibildung  eingeleiteten  Processes  bilden,  dessen  Bedeutung  in  der  Zerstörung 
der  Zellenreste  innerhalb  des  Ovarialfollikels  und  in  der  Herstellung  eines 
Keims  beruht,  welcher  aus  einer  gleichartigen  und  in  keinem 
Theile  organisirten  Masse  besteht.  — 


Ich  glaube  gestützt  auf  meine  Beobachtungen  behaupten  zu  dürfen,  dass 
keiner  meiner  Vorgänger  bei  den  Untersuchungen  über  die  Entwickelung  des 
Eies  bis  zu  einfachen  Zellen  zurückgegangen  ist.  Freilich  wollen  Wittich  und 
Waldeyer  es  gethan  haben;  aber  ihre  ununterbrochenen  Beobachtungsreihen 
reichen  offenbar  nur  bis  zu  jungen  Follikeln  zurück,  welche  sie  irrthümlicher- 
weise  für  einfache  Zellen  hielten.  Denn  Wittich  sah  diese  zu  Eiern  bestimm- 
ten, sehr  grossen  „Zellen"  unabhängig  von  den  ursprünglichen,  die  Geschlechts- 
drüsenanlage zusammensetzenden  Elementen  und  zwar  in  den  innern  Hohlräumen 
des  Organs  neu  entstehen,  d.  h.  er  bemerkte  die  Eianlagen  erst  sehr  spät  (wann 


bältnissmässig  leichter  gewordene  Keimbläschen  seine  centrale  Lage  verlilsst  und  nicht  an 
eine  beliebige   Stelle  der  Oberfläche,  sondern  wirklich  aufwärts  vorrückt. 


I.    Die  Entwickelung  des  Eierstockseies.  27 

die  Lymphräume  bereits  vorhanden  sind)  und  hielt  sie  für  neugebildete  Zellen, 
weil  er  ihre  Genese  nicht  kannte.  Damit  hängt  wohl  auch  die  irrthümliche 
Angabe  über  den  Ort  ihrer  Entstehung  zusammen.  Andererseits  fand  Wald- 
eter  in  Eierstöcken  ausgewachsener  Frösche  Gruppen  von  kleineren  und 
grösseren  ein-  und  vielkernigen  Elementen,  welche  zuweilen  an  der  Oberfläche 
des  Organs  frei  zu  Tage  treten.  Darauf  hin  erklärte  er  die  Gruppen  für 
"PpLUEGER'sche  Schläuche,  die  Elemente  insgesammt  für  einfache  Zellen,  die 
grössten  unter  ihnen  namentlich  für  Eizellen.  Da  nun  in  embryonalen  Orga- 
nen sowohl  das  oberflächliche  Epithel,  von  dem  die  Schläuche  hätten  ausgehen, 
als  auch  ein  Bindegewebsstroma  fehlt,  in  welches  sie  hätten  hineinwachsen  kön- 
nen, die  ursprünglichen  Organanlagen  vielmehr  in  ihrer  ganzen  Masse  aus 
Elementen  bestehen,  welche  der  Follikelbildung  dienen,  so  kann  auch  von  jener 
bei  den  höhern  Wirbelthieren  vorkommenden  Schlauchbildung  bei  jungen  Ba- 
trachiern  nicht  wohl  die  Rede  sein,  auch  wenn  man  von  meinen  übrigen 
Beobachtungen  absehen  wollte.  Wie  solche  oberflächliche  Gruppirungen  ent- 
*  stehen  können,  habe  ich  schon  in  der  Beschreibung  angedeutet;  für  eine 
abweichende  Bildung  derselben  in  erwachsenen  Thieren  fehlt  aber  der  Beweis. 
Im  übrigen  muss  ich  die  vielkernigen  "Eizellen  Waldeyer's  für  meine  viel- 
kernigen Follikel  erklären,  um  so  mehr  als  Waldeyer  uns  den  Aufschluss 
schuldig  blieb,  wie  jene  vielen  Kerne  entstehen  und  was  aus  ihnen  werde.  Die 
genannten  beiden  Forscher  stimmen  also  in  der  Annahme  überein,  dass  die  aus 
je  einer  Zelle  bestehenden  Eianlagen  vor  dem  zugehörigen  Follikel  vorhanden 
seien,  während  ich  betonen  muss,  dass  die  Follikel  zuerst  und  zwar  indifferent 
für  beide  Geschlechter  entstehen,  und  erst  in  verhältnissmässig  später  Zeit 
sich  entscheiden,  ob  sie  die  Bildung  von  Eiern  bewirken  oder  in  die  Zusammen- 
setzung eines  Hodens  eingehen  werden.  —  Noch  weniger  als  den  beiden  ge- 
nannten Forschern  gelang  es  den  andern,  die  Entwickelung  der  Eifollikel  auf 
unzweifelhafte  Zellen  zurückzuführen. 

Ueber  die  Dotterbildung  bestehen  zweierlei  Angaben:  beim  Frosche  be- 
ginnt sie  nach  v.  Baer,  Cramer,  Carus,  Leuckart,  Thomson,  Waldeyer  ein- 
seitig mit  dem  Dotterkerne,  während  Vogt  bei  Alytes  obstetricans,  v.  Bambecke 
bei  Pelobates  fuscus,  ich  beim  Bombinator  igneus  undBufo  cinereus  kein  solches 
Gebilde,  sondern  eine  koncentrische  gleichmässige  Ablagerung  des  Dotters 
fanden.  Worin  der  Grund  dieser  Verschiedenheit  liegt,  ist  bis  jetzt  noch  nicht 
aufgeklärt.  —  Eine  allmähliche  Rückbildung  des  Keimbläschens  hat  keiner 
meiner  Vorgänger  beobachtet;  Vogt   sah  allerdings  einen  unregelmässigen 


28  I-    Die  Entwicklung  des  Eierstockseies. 

Umriss  desselben  eintreten,  vermochte  aber  dieses  Aussehen  nicht  zu  deuten, 
und  Thomson  hält  es  für  unbeständig  und  von  äussern  Umständen  abhängig. 
Ueber  das  endliche  Schwinden  des  Keimbläschens  liegen  auch  keine  vollstän- 
digen Angaben  vor,  wie  denn  auch  Niemand  bisher  das  schrumpfende  Keim- 
bläschen von  seiner  in  der  Höhle  befindlichen  Flüssigkeit  unterschied*  Nach 
meinen  Erfahrungen  müsste  man  die  einander  durchaus  entgegengesetzten  An- 
gaben v.  Baer's  und  NEWPORT'skombiniren;  Ersterersah  die  Flüssigkeit  an  die 
Oberfläche  treten,  hielt  sie  aber  irrthümlicher  Weise  für  das  ganze  Keimbläs- 
chen, welches  daher  im  Dotter  eine  Höhle  zurücklasse,  während  Newport 
andererseits  dasselbe  im  Innern  des  Dotters  schwinden  sah,  aber  von  dem  vor- 
hergehenden Stadium,  wann  die  mit  Flüssigkeit  gefüllte  Höhle  noch  besteht, 
nichts  wusste.  Jene  Beobachtung  v.  Baer's  erklärt  auch  ganz  ungezwungen 
die  eigentümlichen  Erscheinungen  am  oberen  Pole,  über  welche  mehre  Be- 
schreibungen vorliegen.  Newport  verfolgte  merkwürdigerweise  ähnliche  Er- 
scheinungen, wie  Rusconi  und  ich  sie  in  dem  hellen  Flecke  beschrieben,  nur 
an  der  unteren  hellen  Hemisphäre,  während  v.  Bambecke's  ausführliche  Be- 
schreibung der  Dotterkanälchen  wie  eine  Wiederholung  der  v.  BAER'schen  An- 
gaben über  den  Dotterkanal  und  die  centrale  Dotterhöhle  erscheint,  obgleich 
v.  Bambecke  dieselben  ausdrücklich  zurückweist  (Nr.  71  S.  64).  Jedenfalls 
habe  ich  allen  Grund,  die  genannten  Erscheinungen  mit  dem  Austritte  der 
Flüssigkeit  des  Keimbläschens  in  Verbindung  zu  bringen,  durchaus  aber  keine 
Veranlassung,  mich  der  Hypothese  v.  Bambecke's  anzuschliessen. 

Die  Keimflecke  bemerkte  schon  der  Entdecker  des  Keimbläschens  im 
Froscheie,  v.  Baer**  ;  Vogt,  Ecker  und  Leuckart  kannten  offenbar  nur  die 
zweite,  allmählich  sich  vermehrende  und  wachsende  Generation  derselben, 
während  Lereboullet  in  Jüngern  Follikeln  grössere  Keimflecke  fand  als  in 
älteren,  was  aber  nur  aus  seinen  Abbildungen  und  Massangaben  hervorgeht, 
ohne  dass  er  es  selbst  ausgesprochen  hätte.***  Newport's  Angabe,  dass 
anfangs  im  Froscheie  nur  ein  Keimfleck  vorhanden  sei,  kann  ich  an  meinem 


*  v.  Bambecke  hat  freilich  in  der  Figur  10  Tafel  V  seines  grösseren  Werkes  ein  ge- 
schrumpftes Keimbläschen  gezeichnet,  welches  seine  ursprüngliche  Höhle  nicht  mehr  ganz 
ausfüllt.  Aber  er  erklärt  diesen  Befund  aus  der  Wirkung  des  zur  Erhärtung  angewandten 
Alkohols  (Nr.  6o.  S.  9),  der  allerdings  die  natürliche  Schrumpfung  noch  befördert  haben 
muss.  — 

**  Die  Benennung  „WAGNEit'sche  Flecke'"  ist  wohl  nur  daher  entstanden ,  dass  die  be- 
treffende Bemerkung  v.  Baer's,  wie  so  manche  andere  Desselben,  unbeachtet  blieb. 

***  Vogt  meldet  von  einem  gleichen  Befunde  an  Hechteiern,  während  er  dasselbe  Ver- 
hältniss  an  Froscheiern  nicht  nachweisen  konnte  (Nr.  26  S.  16). 


I.    Die  Entwickelung  des  Eierstockseies.  29 

Thiere  nicht  bestätigen  * ;  ebenso  wenig  seine  und  Cramer's  Beobachtungen 
über  die  Zellenbildung  im  Keimbläschen.  Wenn  aus  einer  Stelle  von  Cramer's 
Abhandlung  (Nr.  34  S.  23)  hervorgeht,  dass  er  seine  Keimflecke  an  zerdrück- 
ten Eiern  untersuchte,  wenn  er  ferner  ihre  Anzahl  auf  mehrere  Hunderte  in 
einem  Ei  angibt  (ebendas.)  und  doch  bemerkt  (S.  31),  dass  viele  von  ihnen 
grösser  sind  als  die  kleinsten  Dotterkugeln  eines  chagrinartig  gefurchten  Eies 
(also  mindestens  von  45  p  Durchmesser),  so  darf  man  wohl  die  Richtigkeit 
solcher  Angaben  bezweifeln.  —  Wagner's  Irrthum,  dass  die  Keimflecke,  nach- 
dem das  Keimbläschen  zu  Grunde  gegangen,  in  dem  Dotter  erhalten  blieben, 
um  in  die  Entwickelung  des  befruchteten  Eies  einzugehen,  wurde  namentlich 
von  Vogt  aufgenommen  •,  ihm  schlössen  sich  Cramer  und  Ecker  an.  Es  wäre 
möglich,  dass  die  Keimflecke  etwas  länger  erhalten  blieben,  als  das  Keimbläs- 
chen, obgleich  ich  nach  dem  Schwunde  des  letzteren  an  Durchschnitten  niemals 
auch  nur  eine  Spur  derselben  entdeckte.  Beim  Zerdrücken  frischer  Dotter  er- 
scheint freilich  eine  Menge  durchsichtiger  Kügelchen  in  allen  Grössen,  die  man 
an  Durchschnitten  nicht  sieht,  aber  dies  sind  einfache  Fetttröpfchen.  Dagegen 
werde  ich  im  nächsten  Abschnitte  zeigen,  dass  kurz  vor  dem  Erscheinen  der 
ersten  Furche  allerdings  in  der  Peripherie  des  Dotters  zahlreiche  kleine 
Körperchen  auftreten ,  die  aber  mit  der  Embryonalentsvickelung  so  wenig  zu 
thun  haben,  als  die  Keimflecke ;  wenn  man  nun  überlegt ,  dass  die  zuletzt  ge- 
nannten Forscher  die  Keimbläschen  im  Eierstocke  und  bereits  befruchtete  Eier 
kurz  vor  der  Furchung  kannten  und  untersuchten,  nicht  aber  die  Zustände  des 
Eies  in  der  Zwischenzeit  (Nr.  34  S.  24.  Nr.  26  S.  6—8) ,  so  wird  man  den  Irr- 
thum von  der  Persistenz  der  Keimflecke  erklärlich  finden. 

Ueber  das  Follikelepithel  bemerke  ich  noch,  dass  Cramer  es  zuerst  be- 
schrieben, Thomson  aber  dasselbe  nur  in  dem  durch  Wasser  veränderten  Zu- 
stande beobachtet  hat.  Den  hierher  gehörigen  Irrthum  Lereboullet's  ,  wel- 
cher die  Epithelzellen  in  den  Dotter  verlegte ,  hat  bereits  Waldeyer  nachge- 
wiesen (Nr.  66  S.  75) ;  die  eigentlichen  Urheber  jener  Ansicht  sind  aber 
Prevost  und  Lebert.  — 

Wenn  nun  aus  der  voranstehenden  Vergleichung  hervorgeht,  dass  ich 
gerade  in  den  wichtigsten  Beobachtungen  über  die  Eibildung  bei  den  Batra- 


*  Wittich  bemerkte  in  sehr  jungen  Froscheiern  einen  verhältnissmässig  sehr  grossen 
Keimfleck  unter  den  vielen  kleineren  (Nr.  85) ;  offenbar  war  dies  der  letzte  von  der  ersten 
Generation  zurückgebliebene. 


30  I.    Die  Entwicklung  des  Eierstockseies. 

chiern  meinen  Vorgängern  widersprechen  muss ,  so  dürfte  es  sich  von  selbst 
verstehen,  dass  ich  ihnen  in  ihrer  allgemeineren  Auffassung  der  betreffenden 
Entwickelungsvorgänge  und  in  ihrer  Deutung  des  Eies  nicht  folgen  kann.  — 
Seit  Schwanns  bahnbrechender  Arbeit  gilt  das  thierische  Ei  ganz  allgemein 
für  eine  Zellenbildung  einfacher  oder  zusammengesetzter  Art;  die  Einen  suchten 
dies  mehr  durch  Analogien  und  durch  allgemeine  Gründe,  die  Andern  aus  der 
Entwicklungsgeschichte  der  Eier  zu  erweisen.  Ich  kann  mich  aber  darauf 
nicht  einlassen,  auch  nur  die  Darstellungen,  welche  das  Batrachierei  betreffen, 
alle  einzeln  zu  prüfen;  denn  weder  liegen  denselben  in  allen  Fällen  selbststän- 
dige Untersuchungen  über  die  Entstehung  des  Eies  zu  Grunde,  noch  hat  über- 
haupt ein  Forscher  bis  jetzt,  wie  ich  gezeigt  habe,  die  ersten  Anfänge  der 
Follikelbildung  wirklich  gesehen.  Auffassungen,  wie  diejenigen  Reichert's, 
Vogts  und  Newports  können  eben  nur  als  willkürliche  bezeichnet  werden, 
um  so  mehr,  als  jene  Forscher  selbst  eine  Bestätigung  derselben  einer  künftigen 
Aufklärung  über  die  Entstehung  des  Eies  anheimstellen  (vgl.  Reichert,  Bericht 
über  die  Fortschritte  der  mikroskopischen  Anatomie  für  das  Jahr  1841  in 
Müllers  Archiv  für  Anatomie,  Physiologie  und  wissenschaftliche  Medicin  1842 
S.  CCLIV;  Nr.  26  S.  18).  Es  sei  mir  daher  gestattet,  hier  nur  drei  Arbeiten 
hervorzuheben ,  in  denen  die  vorgetragenen  Ansichten  aus  der  Entwickelung 
des  Ovarialeies  zu  begründen  gesucht  werden.  —  So  wie  Wittich  die  Ent- 
wickelung der  Batrachiereier  darstellt,  unterliegt  es  keinem  Zweifel,  dass  er 
das  Ei  für  eine  einfache  Zelle  hält,  welche  sich  von  ihrem  frühesten  Zustande 
und  den  umgebenden  Zellen  nur  durch  die  Umbildung  ihrer  Substanz ,  durch 
die  später  hinzukommende  äussere  Hülle  (Dotterhaut)  -und  durch  ihr  enormes 
Wachsthum  unterscheidet.  Hinsichtlich  des  jungen  Vogeleies  gibt  WitTich 
diese  Auffassung  mit  aller  wünschenswerthen  Klarheit  und  Deutlichkeit  kund 
(Nr.  85  S.  119).  —  Leuckart  zieht  denselben  Schluss  aus  einer  durchaus 
abweichenden  Darstellung  des  Entwickelungsganges  (Nr.  38  S/815 — 818).  Er 
sieht  in  dem  letzteren  denselben  Typus,  „nach  dem  die  sogenannten  Umhüllungs- 
kugeln in  Zellen  sich  verwandeln"  (S.  817);  denn  zuerst  erscheine  das  Keim- 
bläschen als  Zellenkern,  dann  um  denselben  herum  der  Dotter  als  Zelleninhalt 
und  zuletzt  die  Dotterhaut  als  die  umhüllende  Zellenmembran.  —  Aber  die 
Vogeleier  erregten  allmählich  so  starke  Zweifel  an  der  bezeichneten  Auffassung, 
dass  endlich  in  der  neuesten  Zeit  Wald eyer  versuchte,  die  Eier  der  sämmtlichen 
Wirbelthiere  als  zusammengesetzte  Bildungen  hinzustellen,  in  denen  nur  einTheil 
einer  wirklichen  Zelle  entspräche.     Seine  Vorstellung  über  den  allgemeinen 


I.    Die  Entwickelung  des  Eierstockseies.  31 

Bilclungstypus  der  Eier  ist  ohngefähr  folgende.  Einzelne  der  für  die  Keimdrüsen 
bestimmten  Zellen  (Keimepithel)  wachsen  ganz  besonders  aus  (Eizellen)  und  in- 
dem sich  eine  mit  Epithel  gefütterte  Kapsel  um  jede  derselben  herumbildet,  wird 
sie  zum  „Primordiale!",  welches  „vollkommen  einer  ächten  einfachen  Zelle  mit 
Protoplasma,  Kern  und  Kernkörperchen  entspricht"  (Nr.  66  S.  83);  für  das 
Protoplasma  des  Primordialeies  adoptirt  Waldeyer  die  von  His  eingeführte 
Bezeichnung  „Hauptdotter."  An  diesen,  den  Eizellenkern  oder  das  Keim- 
bläschen einschliessenden  Hauptdotter  lagere  sich  die  Hauptmasse  der  Dotter- 
substanz als  „Nebendotter"  an ,  worauf  die  Dotterhaut  das  Ganze  ein-  und  ab- 
schliesse.  Diese  neuen  Theile,  Nebendotter  und  Dotterhaut  seien  „accessorische", 
welche  durch  Apposition  dem  Primordiale!  zugesellt,  demselben  den  einfachen 
Zellencharakter  nehmen  (S.  82.  83).  Wenn  auch  bei  den  Batrachiereiern  „eine 
Abgrenzung  des  ursprünglichen  Protoplasmas  der  Eizelle  gegen  die  später 
hinzutretenden  Dotterelemente  nicht  gut  möglich"  sei ,  so  müsse  dieser  Unter- 
schied doch  genetisch  angenommen  werden  (S.  76). 

Da  ich  die  Beobachtungen,  von  denen  diese  drei  Darstellungen  ausgehen, 
auf  Grund  meiner  eigenen  Untersuchungen  bereits  als  unrichtige  bezeichnete, 
werde  ich  die  weitere  Beweisführung  im  einzelnen  nicht  zu  widerlegen  suchen. 
Wichtiger  scheint  es  mir,  darauf  aufmerksam  zu  machen,  dass  die  genannten 
Darstellungen  trotz  der  verschiedenen  Ausgangspunkte  wesentlich  zu  demselben 
Schlüsse  kommen:  das  Ei  sei  entweder  im  ganzen  oder  zum  Theil  eine  Zelle, 
also  organisirt.  Denn  ich  glaube,  dass  dieses  gemeinsame  Resultat  kein  zu- 
fälliges, sondern  aus  der  nun  einmal  allgemein  herrschenden  Anschauung 
hervorgegangen  ist,  dass  die  thierische  Fortpflanzung  auf  einer  ununterbrochen 
fortlaufenden  Kontinuität  des  organischen  Lebens  beruhen  müsse.  Dass  aber 
eine,  wie  ich  glaube,  unbefangene  Deutung  meiner  Beobachtungen  zu  einer  ganz 
anderen  Auffassung  über  die  Eibildung  führe,  will  ich  im  Folgenden  zu  erwei- 
sen suchen.  Freilich  rede  ich  nur  vom  Eie  des  Bombinator  igneus;  da  ich  aber 
auf  die  Zuverlässigkeit  meiner  Untersuchungen  im  Allgemeinen  glaube  ver- 
trauen zu  dürfen  und  über  die  Beobachtung  hinaus  zu  keinen  weiteren  Annah- 
men mich  gezwungen,  sehe,  so  dürfte  auch  eine  so  einseitige  Behandlung  des 
Gegenstandes  Veranlassung  geben,  meine  Angaben  und  Ansichten  auch  an 
anderen  Thieren  zu  prüfen  und  vielleicht  zu  verallgemeinern.  — 

Zu  welchem  Theile  der  embryonalen  Grundlagen  die  Geschlechtsdrüsen 
gehören,  kann  ich,  wie  gesagt,  erst  in  einem  spätem  Abschnitte  auseinander- 
setzen ;  hier  bemerke  ich  nur,  dass  die  keimerzeugenden  Elemente  (Keimzellen) 


i 


32  I-    Die  Entwickelmig  des  Eierstockseies. 

unmittelbar  aus  den  Embryonalzellen,  den  ersten  organisirten  Theilen  des  sich 
entwickelnden  Organismus  hervorgehen.  Diese  Keimzellen  erscheinen  zuerst 
als  eine  indifferente  Anlage;  bald  aber  überwiegt  die  Ernährung  an  einzelnen 
Punkten,  sodass  die  daselbst  gelegenen  Zellen  zunächst  wohl  nur  durch  ihr 
Wachsthum  sich  vor  den  andern  auszeichnen.  Diese  erste  Veränderung  wirkt 
nothwendig  auf  die  Umgebung,  es  beginnen  an  jenen  Stellen  ganze  Zellen- 
gruppen von  der  übrigen  Masse  sich  abzusondern;  im  Innern  der  Gruppen 
sammelt  sich  überschüssige  Flüssigkeit  in  den  Zellen  an,  wogegen  die 
Zellen  an  der  Oberfläche  sich  einer  fortdauernden  Sekretion  anpassen;  endlich 
gehen  jene  centralen  Zellen  unter  dem  Andränge  der  zunehmenden  Flüssigkeit 
zu  Grunde,  indem  zuerst  ihre  Form  zerstört  wird  (Verschmelzung),  dann  ihr  Proto- 
plasma und  zuletzt  ihre  resistenteren  Kerne  (Keimbläschen)  sich  jener  Flüssigkeit 
assimiliren.  Unterdessen  dauert  die  Thätigkeit  der  äusseren  secernirenden  Zellen 
fort,  indem  sich  eine  Bindegewebskapsel  mit  zuführenden  Gefässen  um  dieselben 
lagert  und  die  Absonderung  regelt  und  vermehrt.  So  entstehen  die  vollstän- 
digen Follikel  und  wenn  man  zunächst  davon  absieht ,  wozu  sie  bestimmt  sind, 
so  lässt  sich  nicht  läugnen,  dass  sie  nach  ihrer  Entwicklung,  ihrer  Form  und 
Thätigkeit  durchaus  mit  einfachen  Drüsen  übereinstimmen.  Denn  die  Haut-, 
Schleim-  und  Speicheldrüsen  entstehen,  wie  ich  es  selbst  an  verschiedenen  Wirbel- 
thierenhabe  verfolgen  können,  in  der  Art,  dass  die  inneren  (centralen  oder  axialen) 
Zellen  einer  noch  indifferenten  Zellenmasse  zerfallen ,  während  die  äusseren  zu 
secerniren  anfangen,  worauf  eine  bindegewebige  Gefässschicht  das  Ganze  einkap- 
selt. Solche  Drüsen  erhalten  aber  unter  normalen  Umständen  offene  Mündungen, 
durch  welche  das  mit  den  aufgelösten  Zellen  gemengte  Sekret  beständig  ab- 
geführt wird ,  während  die  vollständig  geschlossenen  Eifollikei,  ähnlich  wie  ge- 
wisse abnorm  verschlossene  Drüsen,  zu  ihrer  Anfüllung  eine  längere  Zeit  be- 
dürfen, ehe  sie  den  angesammelten  Inhalt  entleeren.  Dieser  besteht  nun  eben- 
so wie  in  den  anderen  Drüsen  wesentlich  aus  dem  Sekrete  der  Follikelwand, 
welches  allmählich  sich  zur  Dottermasse  ausbildet,  und  in  dem  die  noch 
übrigen  Zellenreste  sich  vollständig  auflösen ,  sodass  endlich  jede  Spur  eines 
organisirten  Theiles  verloren  geht.  Diese  unbedeutende  und  nach  dem  Stoffe, 
wie  ich  gezeigt  habe ,  der  abgesonderten  Flüssigkeit  verwandte  Beimischung 
beeinträchtigt  aber  den  Charakter  derselben  ebenso  wenig  wie  die  stets  vorhan- 
denen Zellenreste  in  anderen  Drüsen.  Das  Ei  als  Drüsensekret  der  Eierstocks- 
follikel  aufgefasst,  hat  daher  vor  anderen  ähnlichen  Bildungen  nur  das  voraus, 
dass  die  bei  ihnen  allen  wesentlich  gleichen  Entwickelungsvorgänge  in  einer 


I.    Die  Entwicklung  des  Eierstockseies.  33 

• 

gewissen  Ordnung  verlaufen.  So  bestehen  Ansammlung  und  Entleerung  des 
Dotters  nicht  dauernd  gleichzeitig,  sondern  der  Abschluss  des  Wachsthums 
führt  erst  die  Entleerung  herbei;  die  Zerstörung  der  Zellen  hat  stets  die  Ver- 
schmelzung der  Kerne  zum  Keimbläschen  zur  Folge,  und  auch  dessen  schliess- 
liche  Auflösung  bedingt  eine  bestimmte  Veränderung  im  Eie ,  nämlich  die  Ab- 
hebung der  Dotterhaut,  welche  ohne  seinen  eben  bezeichneten  Charakter  zu 
ändern ,  dennoch  gerade  den  eigentümlichen  Zustand  hervorruft ,  aus  dem 
heraus  sich  ein  Leben  entwickeln  kann.  —  So  sehr  nun  diese  Fähigkeit  des 
reifen  Eies  selbst  a  priori  die  Vorstellung  provociren  musste,  dass  es  desshalb 
auch  aus  lebendigen  Theilen  unmittelbar  hervorging,  so  zwingt  uns  doch  die 
voranstehende  Betrachtung  jene  Vorstellung  aufzugeben.  Das  Ei  entsteht 
weder  aus  einer  noch  aus  mehreren  Zellen,  sondern  dieselben  sind  nur  gewisser- 
massen  die  Veranlassung  zur  Eibildung ;  sie  wachsen  nicht  durch  eine  Nahrungs- 
aufnahme zum  ganzen  Eie  oder  zum  wichtigsten  Theile  desselben  aus^Haupt- 
dotter) ,  sondern  werden  vielmehr  in  dem  von  aussen  gelieferten  Sekrete,  der 
Dottermasse ,  aufgelöst,  gleichsam  von  ihr  verzehrt.  Es  lässt  sich  also  die 
Unterscheidung  eines  Haupt-  und  eines  Nebendotters  auch  nicht  einmal  in  der 
Vorstellung  durchfuhren. 

Ich  bin  aber  allerdings  nicht  der  Ansicht,  dass  die  Zellennatur  dem  Eie 
bloss  desshalb  abgesprochen  werden  müsse,  weil  es  nicht  unmittelbar  aus  einer 
oder  mehren  Zellen  hervorgehe-,  es  könnte  trotzdem,  da  das  Leben  in  ihm 
unzweifelhaft  einmal  entsteht,  die  betreffende  Organisation  schon  vor  dem  Be- 
ginn der  Embryonalentwickelung,  schon  innerhalb  des  Eierstockes  gewonnen 
haben  und  wenn  nicht  durch  seinen  Ursprung,  so  doch  durch  sein  späteres 
Verhalten  den  Namen  eines  Elementarorganismus ,  einer  Zelle  verdienen.  Bei 
der  Diskussion  dieser  Frage  muss  man  sich  nur  vor  dem  sehr  gewöhnlichen 
Fehler  hüten ,  den  Nachweis  der  Zellennatur  einfach  schon  in  der  Anwesenheit 
der  Formbestandtheile  einer  Zelle  zu  finden.  Indem  ich  mir  vorbehalte ,  auf 
diesen  Gegenstand  im  nächsten  Abschnitte  näher  einzugehen,  hebe  ich  hier 
nur  ganz  kurz  diejenigen  Merkmale  hervor ,  welche  für  die  Bestätigung  des 
einfachsten  Lebens,  wie  in  der  uns  vorliegenden  Frage,  allein  maassgebend 
sein  dürfen. 

Die  Zellen  sind  die  kleinsten  lebendigen  Elemente,  aus  denen  sich  der 
Organismus  aufbaut  und  zusammensetzt;  unter  „Leben''  versteht  man  aber  die 
nur  den  organisirten  Einzelwesen  eigenthümlichen  Aeusserungen  und  Wir- 
kungen, welche  alle  in  der  Selbsterhaltung  des  Individuums  wurzeln.     Diese 

Goette,  Entwickelungsgeschichte.  3 


34  !•    I)iß  Eutwickelung  des  Eierstockseies. 

Selbsterbaltung  verlangt,  dass  von  aussen  an  dasselbe  herantretende  Einflüsse 
in  solche  Wirkungen  übergeführt  werden ,  welche  seinen  Bestand  nicht  beein- 
trächtigen. Wenn  auch  selbstverständlich  nicht  alle  äusseren  Einwirkungen 
vom  Individuum  paralysirt  werden  können,  so  ist  es  andererseits  klar,  dass  es 
nur  unter  günstigen  Bedingungen  entstehen  konnte  und  alsdann  auch  unter 
denselben  weiter  bestehen  kann.  Diese  Bedingungen  sind  im  Wesentlichen  der 
Aufenthalt  des  Individuums  in  solchen  Medien,  welche  beim  Eindringen  in 
dasselbe  von  ihm  assimilirt  werden  können.  Diese  Assimilation  oder  Ernäh- 
rung muss  dann  auch  die  Ausfälle  und  Verluste,  welche  es  durch  andere  Ein- 
wirkungen erlitt ,  decken  und  so  entsteht  das  Spiel  von  Einnahmen  und  Aus- 
gaben, welches  man  den  Stoffwechsel nennt.  Dieser,  das  Mittel  der  Selbst- 
erhaltung, ist  die  Grundbedingung  aller  Lebenserscheinungen,  der  Bewegung, 
des  organischen  Wachsthums ,  der  Entwickelung  und  Fortpflanzung ;  und  so 
muss  das  Leben  eines  zweifelhaften  Elementarorganismus,  wenn  alle  sicheren 
Analogien  fehlen,  kraft  deren  wir  sonst  auf  die  blosse  Formerscheinung  hin 
unser  Urtheil  abgeben*,  aus  jenen  Merkmalen,  oder  wenn  es  überhaupt  mög- 
lich ist,  aus  der  Wahrnehmung  des  Stoffwechsels  selbst  erwiesen  werden,  wenn 
man  jenem  Gebilde  das  Prädikat  einer  Zelle  zuerkennen  soll.  Im  vorliegenden 
Falle  brauchen  wir  auf  die  vielfachen  Schwierigkeiten,  denen  eine  genaue 
Unterscheidung  jener  Lebenserscheinungen  von  den  ähnlichen  rein  physikali- 
schen häufig  begegnet ,  gar  nicht  einzugehen ;  denn  es  bietet  sich  uns  hier  eine 
1  Entscheidung  gerade  in  dem  vollständigen  Mangel  jener  Erscheinungen.  Ver- 
folgt mau  das  Ei  auf  seinem  ganzen  Bildungsgange  bis  zur  Befruchtung,  so 
könnte  für  unseren  Zweck  allenfalls  nur  sein  Wachsthum  in  Frage  kommen. 
Dass  aber  dieses  nur  eine  Grössenzunahme  durch  äussere  Anlagerung  neuen 
Stoffes  ist,  lässt  sich  wohl  am  untrüglichsten  daraus  entnehmen,  dass  die 
flüssige  Dottermasse  zu  keiner  Zeit  bis  zum  Aufhören  der  Vergrösserung  eine 
Selbstständigkeit  der  Form ,  eine  fixe  Grenze  besitzt :  sie  wird  nur  mechanisch 
vom  Follikel  und  der  Dotterhaut  zusammengehalten,  und  innerhalb  der 
letzteren  erst  nach  der  Befruchtung  selbstständig.  Ja,  man  könnte  schon 
bloss  aus  jenem  Mangel  einer  bestimmten  Begrenzung  folgerichtig  auf  den- 
jenigen einer  individuellen  Existenz  schliessen.  —  Wie  sehr  aber  der  ganze 


*  Selbstverständlich  geschieht  dies  in  den  bei  weitem  meisten  Fällen  mit  vollem  Recht, 
welches  aber  überall  da,  wo  die  Analogie  nicht  ganz  klar,  und  die  Entscheidung  von  weit- 
tragender Bedeutung  ist,  die  strengere  Forderung  nicht  ausschliessen  kann. 


^ 


I.    Die  Entwickelung  des  Eierstockseies.  35 

Bestand  des  Eierstockseies  nur  eine  Folge  der  Drüsenthätigkeit  und  von  un- 
abhängig ist ,  ersieht  man  aus  folgenden  Beobachtungen.  Sowie  die  Sekretion 
und  damit  die  Massenzunahme  des  Dotters  im  reifen  Follikel  aufhört,  beginnt 
in  den  Fällen,  wo  eine  Ablösung  der  reifen  Eier  nicht  mehr  erfolgt,  die  Ptück- 
bildung  derselben,  was  man  nach  der  Brutperiode,  also  beim  Bombinator 
igneus  zu  Ende  des  Sommers  in  allen  geschlechtsreifen  Eierstöcken  erkennen 
kann.  Man  kann  also  sagen,  ein  solches  Ei  gehe  zu  Grunde,  sobald  es 
durch  das  Aufhören  der  StofFablagerung  erst  die  Möglichkeit  einer  Selbst- 
erhaltung gewonnen.  Seine  Fähigkeit  aber,  ein  Leben  neu  zu  erzeugen,  kann 
es  erst  bethätigen,  wenn  es,  den  ursprünglichen  Verhältnissen  entzogen,  in 
völlig  veränderte,  ihm  fremde  versetzt  und  noch  einer  besonderen  Einwirkung, 
der  Befruchtung  unterworfen  worden. 

So  glaube  ich  ausreichende  Belege  geliefert  zu  haben  für  den  Satz  meiner 
vorläufigen  Mittheilung  (Nr.  69),  dass  das  befruchtungsfähige  Ei  des 
Bombinator  igneus  weder  im  Ganzen,  noch  zum  Theil,  weder 
nach  der  Entstehung,  noch  nach  der  fertigen  Erscheinung  eine 
Zelle,  sondern  bloss  eine  wesentlich  homogene,  in  eine  äusser- 
lich  angebildete  Hülle  eingeschlossene  organische  Masse  ist. 

Ich  habe  bisher  allerdings  noch  nicht  selbst  untersuchen  können,  wie  weit 
dieses  Ergebniss,  welches  sich  so  wesentlich  von  allen  bisherigen  Anschauungen 
über  die  Natur  des  Eies  unterscheidet ,  auch  für  andere  Wirbelthierklassen 
Geltung  finde.  Immerhin  sehe  ich  einen  günstigen  Umstand  für  die  Verallge- 
meinerung meiner  Ansicht  darin,  dass  diejenigen  neuesten  Beobachtungen  über 
die  Eibildung  der  Amnioten ,  welche  auf  einer  eingehenden  Entwicklungsge- 
schichte des  Eierstocks  fussend.  sich  gegenwärtig  der  allgemeinsten  Anerkennung 
erfreuen,  im  Grunde  genommen  vielleicht  noch  leichter  für  meine,  als  für  eine 
entgegengesetzte  Auffassung  ausgebeutet  werden  können.  —  Wenn  wir  unter 
den  Resultaten,  welche  Waldeyee  in  seiner  ausgezeichneten  und  umfassenden 
Arbeit  niedergelegt  hat ,  die  eigentlichen  unmittelbaren  Beobachtungen  aus- 
scheiden und  zunächst  allein  kurz  zusammenfassen ,  so  ergibt  sich  Folgendes. 
1.  Die  ersten  Anlagen  den  Follikel  bestehen  sowohl  bei  Vögeln  wie  bei  Säugern 
in  Zellengruppen,  welche  von  einem  Abschnitte  des  Bauchhöhlenepithels  ab- 
stammen; nachdem  dieselben  durch  Bindegewebe  eingekapselt,  sondern  sich  je 
eine  oder  einige  centrale  Zellen  (Primordialeier)  durch  überwiegendes  Wachs- 
thum  von  der  sie  umschliessenden  peripherischen  Zellenlage  (Follikelepithel)  ab. 
Soweit  stimmen  die  Amnioten  mit  den  Batrachiern  vollständig  überein.    Wenn 


36  I.    Die  Entwickelung  des  Eierstockseies. 

bei  den  ersteren  die  anlängliche  Mehrheit  der  Primordialeier  oder  ihrer  Kerne 
(Keimbläschen)  später  ebenfalls  schwindet,  so  lässt  sich  dies  mit  Rücksicht  auf 
meine  bezüglichen  Mittheilungen  von  den  Batrachiern  ebenso  gut  auf  eine 
nachträgliche  Verschmelzung  jener  Theile,  als  auf  eine  Theilung  der  jüngsten 
Follikel  beziehen-,  alsdann  wäre  aber  die  Lebenseinheit,  der  Zellencharakter 
des  Verschmelzungsproduktes  schon  nicht  mehr  über  jeden  Zweifel  erhaben. 
2.  Die  andauernde  Zunahme  des  Follikelinhaltes  soll  durch  direkte  Ablagerung 
von  Seiten  des  Follikelepithels  stattfinden ;  da  ein  solcher  Vorgang  mit  einem 
organischen  Wachsthume  des  Primordialeies,  einer  Zelle,  unvereinbar  ist,  so  ist 
jene  von  aussen  her  angelagerte  Masse  (Nebendotter)  als  ausserhalb  jener  Zelle 
gelegenes,  nicht  lebendiges  Gebilde  aufzufassen.  3.  Nun  besteht  aber  zu  keiner 
Zeit,  in  keinem  Wirbelthiere ,  eine  scharfe  Grenze  zwischen  dem  ursprünglich 
zelligen  und  dem  nicht  organisirten  Bestandtheile  des  Follikelinhalts-,  die  Sub- 
stanzen beider  gehen  vielmehr  kontinuirlich  in  einander  über.  Endlich  schwin- 
det in  allen  Wirbelthiereiern  der  einzige  unzweifelhafte  Zellenrest,  das  Keim- 
bläschen, durch  Atrophie  und  unter  theilweiser  oder  vollständiger  Elimination 
seiner  Masse  aus  der  Dottermasse,  dem  eigentlichen  Eie.  —  Auf  Grund  dieser 
Beobachtungen  halte  ich  es  gar  nicht  für  möglich  das  Fortbestehen  der  Zellen- 
individuen ,  welche  die  Eibildung  einleiteten ,  der  sogenannten  Primordialeier, 
über  die  allererste  Zeit  der  Follikelbildung  hinaus  und  gar  bis  zur  Befruchtung 
anzunehmen.  Ich  wenigstens  kann  mir  einen  Organismus,  der  keine  bestimmte 
Begrenzung  hat,  sogar  kontinuirlich  in  eine  leblose  und  zwar  vollständig  gleich- 
artige Masse  übergeht,  also  eine  Individualität  überhaupt  nicht  besitzt,  gar 
nicht  vorstellen-,  denn  wie  hätte  man  sich  es  zu  denken,  dass  eine  jede  seiner 
Lebensäusserungen,  Bewegung,  organisches  Wachsthum  oder  gar  die  Grund- 
lage aller,  der  Stoffwechsel ,  an  seiner  idealen  Grenze  als  solche  aufhörten ,  um 
bei  ihrer  Fortsetzung  in  dem  kontinuirlich  sich  anschliessenden  Nebendotter  zu 
blossen  physikalischen  Vorgängen  zu  werden?  Andererseits  wüsste  ich  kein 
Merkmal  jenes  ideal  konstruirten  Hauptdotters  zu  nennen,  welches  ihn  als  Zelle 
vor  dem  unorganisirten  Nebenclotter  auszeichnete ,  namentlich  nicht  nach  dem 
Schwunde  des  Keimbläschens ;  und  doch  ist  es  klar,  dass  gerade  die  direkte 
Abstammung  des  letzteren  von  einem  oder  mehreren  Zellenkernen  eigentlich 
die  einzige  greifbare  Thatsache  ist,  welche  für  jene  Unterscheidung  herange- 
zogen werden  könnte. 

Aber  diese  selben  Beobachtungen  Waldeters  über  die  Eibildung  bei  den 
Amnioten,  welche  ich  im  Allgemeinen  gern  anerkenne,  aber  für  durchaus  unge- 


I.    Die  Elitwickelung  des  Eierstockseies.  37 

eignet  halte ,  die  Theorie  eines  zelligen  Hauptdotters  gegenüber  dem  unorgani- 
sirten  Nebendotter  zu  unterstützen,  —  diese  Beobachtungen  scheinen  mir 
dagegen  mit  den  Anschauungen,  welche  ich  aus  der  Entwickelungsgeschichte 
der  Batrachiereier  gewann ,  durchaus  vereinbar  zu  sein.  In  beiden  Abthei- 
lungen bilden  Zellengruppen  von  gleichem  Ursprünge  die  Follikelanlagen, 
und  zwar  ihre  peripherischen  Elemente  das  Follikelepithel,  die  vergrösserten 
centralen  Zellen  den  ursprünglichen  Follikelinhalt.  In  beiden  Abtheilungen 
tritt  ferner  eine  Stoffablagerung ,  Sekretion  der  Follikelwand  auf,  in  Folge 
welcher  jener  zellige  Follikelinhalt  seine  Selbstständigkeit  verliert,  indem 
zuerst  die  Zellenleiber ,  später  auch  die  Kerne  (Keimbläschen)  aufgelöst  und 
jenem  Stoffe  assimilirt  werden.  So  ergibt  sich  als  der  schliessliche  Follikel- 
inhalt in  jenen  beiden  Abtheilungen  der  Wirbelthiere  eine  relativ  homogene, 
durchweg  unorganisirte  Masse ,  der  einfache  Dotter ,  dessen  spätere  Differen- 
zirungen  mit  den  zelligen  Urhebern  seiner  Bildung  in  gar  keinem  unmittelbaren 
Zusammenhange  stehen.  — 


IL   Die  Dottertheilung. 


Ieh  habe  gezeigt,  class  die  eigentümlichen  Erscheinungen  am  oberen 
Pole  der  Batrachiereier ,  welche  oft  nach  der  Befruchtung  beobachtet  werden, 
ihrem  Wesen  nach  nicht  zu  der  durch  die  Befruchtung  hervorgerufenen 
Embryonalentwickelung  gehören,  sondern  von  jener  unabhängig  verlaufen  als 
der  Abschluss  der  Vorbereitung,  durch  welche  die  Dottermasse  zum  befruch- 
tungsfähigen Keime  wird.  Die  erste  und  einzig  nachweisbare  Wirkung  der 
Befruchtung  ist  die  Einleitung  zur  Bildung  jener  Elemente,  aus  denen  der  wer- 
dende Organismus  sich  aufbauen  soll,  und  die  Untersuchung  dieser  Bildung 
wird  also  den  ausschliesslichen  Inhalt  dieses  Abschnitts  ausmachen.  — 

Historische  Uehersicht  der  bisherigen  Untersuchungen. 

Obgleich  Spallanzani  unzweifelhaft  zuerst  die  Furchen  auf  Batrachier- 
eiern  sah  (Nr.  1  S.  39),  so  gelten  doch  Prevost  und  Dumas,  weil  sie  den  Vor- 
gang der  „Furchung"  zuerst  ausführlicher  beschreiben,  für  die  Entdecker 
desselben.  Ihre  Darstellung  ist  folgende.  An  befruchteten  Froscheiern  bildet 
sich  alsbald  eine  flache  Furche ,  welche  von  der  Narbe  *  oder  doch  in  ihrer 
Nähe  ausgeht-,  sie  verlängert  sich  beiderseits  gegen  die  helle  Hemisphäre  und 
vertieft  sich  zusehends,  während  an  ihren  Wänden  parallele  Fältchen  entstehen, 
die  vom  Grunde  aufwärts  verlaufen  (Nr.  2  S.  110).  Diese  schwinden  darauf 
bis  auf  zwei,  in  der  Mitte  der  Furche  einander  gegenüberliegende,  welche  sich 
zu  einer  zweiten ,  die  erste  rechtwinklig  schneidenden  Furche  ausbilden.  Ist 
die  braune  Hemisphäre  so  in  vier  Segmente  getheilt ,  so  entsteht  eine  dritte 


Vgl.  den  im  vorigen  Abschnitte  gegebenen  Auszug  aus  derselben  Abhandlung.  — 


II.    Die  Dottertheilung.  39 

äquatoriale  Furche,  ohngefähr  an  der  Grenze  beider  Hemisphären.  Während 
darauf  Furchen ,  welche  den  ersten  parallel  verlaufen ,  das  braune  Feld  weiter 
theilen,  setzen  sich  diese  auf  die  helle  Dotterhälfte  fort  und  schliessen  sich  in 
grössten  Kreisen  (S.  11 1).  Im  weiteren  Verlaufe  erscheinen  im  dunklen  Felde 
ausser  den  parallelen  Furchen  auch  solche  in  grössten  Kreisen ,  sodass  nach 
einigen  Stunden  das  Ei  eine  Himbeerform  erlangt  (S.  112);  im  hellen  Felde 
treten  die  Theilungen  um  zwei  Stunden  später  auf.  Später  wird  das  Aussehen 
chagrinartig ;  dann  schwinden  die  Furchen  und  das  Ei  erscheint  punktirt, 
endlich  kehrt  die  ursprüngliche  Glätte  und  gleichmässige  Färbung  wieder, 
während  die  Narbe  noch  als  undeutlicher  Fleck  bestehen  bleibt  (S.  113). 

Rusconi  bemerkt  schon  in  seinem:  Developpement  de  la  Grenouille 
commune  S.  22 ,  dass  der  Furchung  eine  entsprechende  Theilung  des  Dotters 
folge,  sodass  derselbe  endlich  in  eine  grosse  Menge  kleinster  Theilchen  zerfalle, 
welche  die  Elemente  für  die  einzelnen  Körpertheile  des  sich  entwickelnden 
Thieres  bilden.  Genauer  bespricht  Rusconi  die  Vorgänge  bei  der  Dotterthei- 
lung in  seinem  letzten  Werke  und  in  seinem  zweiten  Briefe  an  E.  H.  Weber 
(Nr.  16).  An  der  Stelle,  wo  der  helle  Fleck  verschwand,  entstehe  unter  der 
Dotterhaut  ein  leerer  Raum,  indem  der  Dotter  in  Gestalt  einer  seichten  Furche 
einsinkt.  In  dem  Masse ,  als  diese  Furche  an  Ausdehnung  und  Tiefe  gewinne, 
senke  sich  die  Dotterhaut  in  dieselbe  hinein,  ähnlich  wie  bei  der  Anwendung 
der  Schröpfköpfe  die  Haut  in  den  leeren  Raum  hineingezogen  würde  (Nr.  39 
S.  29).  Diese  erste  Furche,  welche  allmählich  von  der  oberen  Hemisphäre 
zur  unteren  fortschreite,  sei  oben  tief,  werde  nach  unten  zu  immer  flacher  und 
am  unteren  Pole  ganz  seicht  (Nr.  16  S.  216).  Die  an  die  Furchung  sich  an- 
schliessende eigentliche  Theilung  hänge  aber  offenbar  von  einer  inneren  Ent- 
wickelung  ab,  denn  die  Theilstücke  seien  im  Innern  hohl  (Nr.  39  S.  29.  Nr.  16 
S.  218). 

Unter  den  Nachfolgern  von  Prevost  und  Dumas  *  hat  jedenfalls  v.  Baer 
die  eingehendste  Darstellung  der  Dottertheilung  oder  des  sogenannten  Furchungs- 
processes  geliefert.  Nachdem  er  angeführt ,  dass  die  erste  (Meridian-)  Furche 
vom  oberen  Pole  ausgehend  allmählich  in  das  helle  Feld  übergreift  und  ihre 
beiden  Schenkel  sich  daselbst  erreichen,  fährt  er  folgendermassen  fort.     „Der 


*  Hüschke  (Nr.  4  S.  614)  und  Baumgartner  (Nr  12  S.  28)  glaube  ich  hier  übergehen 
zu  dürfen,  da  sie  selbst  ihre  Beobachtungen  als  übereinstimmend  mit  denjenigen  von  Prevost 
und  Dumas  bezeichnen. 


IL   Die  Dottertheilung, 


leb  habe  gezeigt,  class  die  eigentümlichen  Erscheinungen  am  oberen 
Pole  der  Batrachiereier ,  welche  oft  nach  der  Befruchtung  beobachtet  werden, 
ihrem  Wesen  nach  nicht  zu  der  durch  die  Befruchtung  hervorgerufenen 
Embryonalentwickelung  gehören,  sondern  von  jener  unabhängig  verlaufen  als 
der  Abschluss  der  Vorbereitung,  durch  welche  die  Dottermasse  zum  befruch- 
tungsfähigen Keime  wird.  Die  erste  und  einzig  nachweisbare  Wirkung  der 
Befruchtung  ist  die  Einleitung  zur  Bildung  jener  Elemente,  aus  denen  der  wer- 
dende Organismus  sich  aufbauen  soll,  und  die  Untersuchung  dieser  Bildung 
wird  also  den  ausschliesslichen  Inhalt  dieses  Abschnitts  ausmachen.  — 

Historische  TTebersicht  der  bisherigen  Untersuchungen. 

Obgleich  Spallanzani  unzweifelhaft  zuerst  die  Furchen  auf  Batrachier- 
eiern  sah  (Nr.  1  S.  39),  so  gelten  doch  Pke vost  und  Dumas  ,  weil  sie  den  Vor- 
gang der  „Furchung"  zuerst  ausführlicher  beschreiben ,  für  die  Entdecker 
desselben.  Ihre  Darstellung  ist  folgende.  An  befruchteten  Froscheiern  bildet 
sich  alsbald  eine  flache  Furche ,  welche  von  der  Narbe  *  oder  doch  in  ihrer 
Nähe  ausgeht;  sie  verlängert  sich  beiderseits  gegen  die  helle  Hemisphäre  und 
vertieft  sich  zusehends,  während  an  ihren  Wänden  parallele  Fältchen  entstehen, 
die  vom  Grunde  aufwärts  verlaufen  (Nr.  2  S.  110).  Diese  schwinden  darauf 
bis  auf  zwei,  in  der  Mitte  der  Furche  einander  gegenüberliegende,  welche  sich 
zu  einer  zweiten ,  die  erste  rechtwinklig  schneidenden  Furche  ausbilden.  Ist 
die  braune  Hemisphäre  so  in  vier  Segmente  getheilt ,  so  entsteht  eine  dritte 


*  Vgl.  den  im  vorigen  Abschnitte  gegebenen  Auszug  aus  derselben  Abhandlung.  — 


II.    Die  Dottertheilung.  39 

äquatoriale  Furche,  ohngefähr  an  der  Grenze  beider  Hemisphären.  Während 
darauf  Furchen ,  welche  den  ersten  parallel  verlaufen ,  das  braune  Feld  weiter 
theilen,  setzen  sich  diese  auf  die  helle  Dotterhälfte  fort  und  schliessen  sich  in 
grössten  Kreisen  (S.  111).  Im  weiteren  Verlaufe  erscheinen  im  dunklen  Felde 
ausser  den  parallelen  Furchen  auch  solche  in  grössten  Kreisen ,  sodass  nach 
einigen  Stunden  das  Ei  eine  Himbeerform  erlangt  (S.  112);  im  hellen  Felde 
treten  die  Theilungen  um  zwei  Stunden  später  auf.  Später  wird  das  Aussehen 
chagrinartig ;  dann  schwinden  die  Furchen  und  das  Ei  erscheint  punktirt, 
endlich  kehrt  die  ursprüngliche  Glätte  und  gleichmässige  Färbung  wieder, 
während  die  Narbe  noch  als  undeutlicher  Fleck  bestehen  bleibt  (S.  113). 

Rusconi  bemerkt  schon  in  seinem:  Developpement  de  la  Grenouille 
commune  S.  22,  dass  der  Furchung  eine  entsprechende  Theilung  des  Dotters 
folge,  sodass  derselbe  endlich  in  eine  grosse  Menge  kleinster  Theilchen  zerfalle, 
welche  die  Elemente  für  die  einzelnen  Körpertheile  des  sich  entwickelnden 
Thieres  bilden.  Genauer  bespricht  Rusconi  die  Vorgänge  bei  der  Dotterthei- 
lung in  seinem  letzten  Werke  und  in  seinem  zweiten  Briefe  an  E.  H.  Weber 
(Nr.  16).  An  der  Stelle,  wo  der  helle  Fleck  verschwand,  entstehe  unter  der 
Dotterhaut  ein  leerer  Raum,  indem  der  Dotter  in  Gestalt  einer  seichten  Furche 
einsinkt.  In  dem  Masse ,  als  diese  Furche  an  Ausdehnung  und  Tiefe  gewinne, 
senke  sich  die  Dotterhaut  in  dieselbe  hinein,  ähnlich  wie  bei  der  Anwendung 
der  Schröpfköpfe  die  Haut  in  den  leeren  Raum  hineingezogen  würde  (Nr.  39 
S.  29).  Diese  erste  Furche,  welche  allmählich  von  der  oberen  Hemisphäre 
zur  unteren  fortschreite ,  sei  oben  tief,  werde  nach  unten  zu  immer  flacher  und 
am  unteren  Pole  ganz  seicht  (Nr.  16  S.  216).  Die  an  die  Furchung  sich  an- 
schliessende eigentliche  Theilung  hänge  aber  offenbar  von  einer  inneren  Ent- 
wickelung  ab,  denn  die  Theilstücke  seien  im  Innern  hohl  (Nr.  39  S.  29.  Nr.  16 
S.  218). 

Unter  den  Nachfolgern  von  Prevost  und  Dumas  *  hat  jedenfalls  v.  Baer 
die  eingehendste  Darstellung  der  Dottertheilung  oder  des  sogenannten  Furchungs- 
processes  geliefert.  Nachdem  er  angeführt ,  dass  die  erste  (Meridian-)  Furche 
vom  oberen  Pole  ausgehend  allmählich  in  das  helle  Feld  übergreift  und  ihre 
beiden  Schenkel  sich  daselbst  erreichen,  fährt  er  folgendermassen  fort.     „Der 


*  Huschke  (Nr.  4  S.  614)  und  Baumgartner  (Nr  12  S.  28)  glaube  ich  hier  übergehen 
zu  dürfen,  da  sie  selbst  ihre  Beobachtungen  als  übereinstimmend  mit  denjenigen  von  Prevost 
und  Dumas  bezeichnen. 


40  II.    Die  Dottertheihmg. 

Fortschritt  erfolgt  nicht  ganz  continuirlich ,  sondern  ein  wenig  absatzweise  und 
zugleich  so,  als  ob  eine  Schwierigkeit  zu  überwinden  wäre.  Man  sieht  nämlich 
die  Furche  so  sich  verlängern,  dass  die  Dottermasse  nach  beiden  Seiten  aus- 
einander weicht,  indem  zugleich  die  Wände  der  in  der  Bildung  begriffenen 
Furche  zarte,  bald  vorübergehende  Falten  werfen,  zuweilen  auch  ein  leises, 
doch  deutlich  bemerkbares  Zittern  durch  die  angränzende  Dottermasse  fährt. 
Man  sieht  schon  hieraus,  dass  die  Dottermasse  nicht  gleichsam  durch  ein 
unsichtbares  Instrument  ausgefurcht  wird ,  sondern  dass  sie  durch  einen  leben- 
digen Akt  von  einander  reisst.  Die  trennende  Kraft  wirkt  auch  nicht  bloss  in 
der  Oberfläche,  sondern  durch  die  ganze  Dotterkugel,  denn  nach  Beendigung  der 
Meridianfurche  ist  die  Queraxe  des  Eies  bedeutend  grösser  als  die  Höhenaxe ; 
beide  verhalten  sich  wie  6  :  5  und  ohne  Zweifel  würde  die  seitliche  Verlänge- 
rung noch  bedeutender  sein,  wenn  nicht  die  ziemlich  feste  Dotterhaut  zu  wenig 
nachgäbe.  Damit  stimmt  es  auch ,  dass  die  Eier  der  Salamander ,  die  schon 
ursprünglich  länglich  sind,  durch  die  erste  Meridianfurche  so  tief  getheilt 
werden ,  dass  zwei  wenig  zusammenhängende  Ellipsoiden  neben  einander  zu 
liegen  kommen.  Dass  die  Furchen  nicht  ausgegraben  werden ,  auch  nicht  un- 
mittelbar und  vorherrschend  durch  eine  Tendenz  der  Oberfläche,  sich  einzu- 
falten,  entstehen,  ist  daraus  erkenntlich,  dass  jeder  Theil  einer  Furche  bald 
nach  seiner  Entstehung  am  breitesten  ist,  nachher  aber,  wenn  an  einer  anderen 
Stelle  die  Furche  breiter  wird,  wieder  zusammengeschoben  wird"  (Nr.  14  S.  486. 
487).  „Der  aufmerksame  Beobachter  hat  also  durchaus  die  Ansicht,  als  ob 
eine  lebendige  Kugel  sich  in  zwei  Hemisphären  theilen  wollte,  dabei  aber  die 
Zähigkeit  der  eigenen  Masse  und  den  Widerstand  der  Dotterhaut  zu  überwinden 
hätte.  Das  Wesen  dieses  ersten  Moments  der  Metamorphosen  besteht  also 
darin,  dass  die  Dotterkugel  sich  in  zwei  Hemisphären  zu  theilen  beginnt,  oder 
noch  richtiger  in  zwei  Kugeln,  die  aber  aneinander  gedrückt  bleiben"  (S.  487). 
Darnach  falte  sich  der  schwarze  Ueberzug  wirklich  ein ,  zerreisse  aber  in  einer 
gewissen  Tiefe.  Wenn  die  Furche  aussen  vollendet  ist,  gehe  die  völlige  Trennung 
im  Innern  fort  (S.  488).  Aehnlich  entstehen  die  folgenden  Furchen,  welche  aber 
nicht  nur  von  aussen ,  sondern  auch  vom  innern  Kanäle  der  oberen  Halbkugel 
ausgehen  (S.  489.  500).  Die  Furche  jedes  einzelnen  Dotterstücks  ist  selbst- 
ständig, braucht  also  nicht  kontinuirlich  in  die  korrespondirenden  Furchen  der 
angrenzenden  Dotterstücke  sich  fortzusetzen  (S.  488.  498).  Da  die  Furchung 
in  der  hellen  Halbkugel  langsamer  vor  sich  geht  und  die  Aequatorialfurche 
dem  oberen  Pole  näher  liegt,  als  dem  unteren,  so  ist  es  natürlich ,   dass  die 


II.    Die  Dottertkeilung.  41 

hellen  Theihmgsmassen  stets  grösser  bleiben  als  die  dunkeln  (S.  491).  Durch 
geringe  Verschiebungen  der  sich  abrundenden  Massen  geht  die  frühere  Regel- 
mässigkeit verloren  und  v.  Baer  unterscheidet  alsdann  an  dem  sich  immer 
weiter  zerklüftenden  Dotter  die  Brombeerform,  die  Himbeerform,  die  Chagrin- 
und  Sandsteinform.  Darnach  würde  die  Dotterkugel  durch  die  fortgesetzte 
Theilung  wieder  zu  einem  Ganzen,  indem  die  elementar  gewordenen  Körnchen 
durch  ein  verhältnissmässig  zähes  Bindemittel  zusammengehalten  werden 
(S.  496).  Da  die  Dotterkugel  während  der  Zertheilung  „an  Umfang  zunimmt 
und  wenn  sie  wieder  glatt  erscheint,  sehr  merklich  grösser  ist,  als  sie  vorher 
war",  so  folgert  v.  Baer  daraus,  dass  sie  fortwährend  Stoff  von  aussen  durch  das 
Eiweiss  aufnehme  (S.  504).  Endlich  fasst  er  das  Gesetz  des  ganzen  Processes 
dahin  zusammen,  dass  das  Keimloch  (die  Mündung  des  Kanals)  der  bestimmende 
Ausgangspunkt  und  der  Kanal  die  bestimmende  Axe  für  alle  Theilungen  seien, 
wesshalb  dieselben  von  aussen  nach  innen  gingen  (S.  501.502)-,  und  das  Resul- 
tat dieses  ersten  Entwickelungsvorganges  sieht  v.  Baer  darin ,  dass  die  Selbst- 
theilungen  so  lange  fortgesetzt  würden,  „bis  die  zahllosen  neuen  Individualitä- 
ten unendlich  wenig  Bedeutung  haben  und  nur  als  Elementartheile  eines  neuen 
Individuums  erscheinen ;  —  durch  einen  lebendigen  Vorgang  wird  das  frühere 
Individuum  aufgelöst,  ohne  es  ganz  zu  zerstören,  und  ein  neues  aus  den  Trümmern 
desselben  gewonnen"  (S.  504). 

Bergmann  betrachtete  zuerst  die  Dottertheilung  vom  Gesichtspunkte  der 
Zellenlehre  aus.  Er  fand,  dass  der  anfangs  halbflüssige  Dotter  während  der 
Theilung  konsistenter  würde  (Nr.  24  S.  92 — 93) ,  dass  die  hellen  Höfe  oder 
Vorsprünge,  welche  durch  Wasseraufsaugung  oder  Druck  an  den  Dottermassen 
entständen,  nicht  bestimmt  auf  Membranen  bezogen  werden  könnten  (S.  94 — 97) ; 
dass  endlich  jene  Massen  kernähnliche  Gebilde  enthielten,  welche  sich  aber 
von  einem  Zellenkerne  merklich  unterschieden  (S.  97.  98).  Wenn  also  die 
Theilungsmassen  des  Dotters  anfangs  auch  keine  Zellen  seien,  so  gingen  sie 
doch  zuletzt  in  die  Zellen  des  Embryo  über-,  und  desshalb  spricht  es  Bergmann 
aus,  „dass  die  Zerklüftung  des  Batrachiereies  die  Einleitung  der  Zellenbildung 
bei  diesen  Dottern  ist.  Ja  ich  würde  sie  Zellenbildung  selbst  nennen,  wenn  die 
ersten  grösseren  Abtheilungen  des  Dotters  sich  ohne  Zwang  Zellen  nennen 
Hessen"  (S.  98).  Zum  Unterschiede  von  Schwann's  Zellenbildungstheorie  be- 
zeichnet Bergmann  den  von  ihm  betrachteten  Vorgang  als  „Zellenbildung  um 
ein  Vorhandenes,  welches  dadurch  Zelleninhalt  wird"  (S.  102).  —  In  seinem 
zweiten  Aufsatze  nahm  Bergmann  die  unterdess  von  Vogt  veröffentlichte 


42  II.    Die  Dottertheilung. 

Lehre,  dass  die  Keimflecken  zu  den  Kernen  der  Dotterzellen  würden,  an  (Nr.  27 
S.  94)  und  erläutert  alsdann  seine  Ansicht  über  den  Vorgang  der  Zellenbildung 
bei  der  Dottertheilung  folgendermassen.  „Der  Dotter  könnte  als  höchst  dispo- 
nirt  zur  Zellenbildung  gedacht  werden.  Aber  die  Kerne  fehlen  dazu.  In  der 
Keimblase  sind  die  Keimflecken  abgeschlossen,  langsam  vegetirend,  völlig  aus- 
gebildet, um  mit  dem  Dotter  in  energische  Wechselwirkung  zu  treten.  Unter 
solchen  Umständen  tritt  die  Befruchtung  ein,  die  Scheidewand  schwindet,  und 
Niederschläge  der  ganzen  Dottermasse  erfolgen,  entweder  um  mehrere  Kerne 
zugleich,  aber  durch  fortschreitende  Spaltung  immer  wenigere  Kerne  enthaltend, 
bis  zuletzt  diese  sich  selbst  wieder  vermehren  müssen,  um  der  Anzahl  von 
Zellen  oder  Spaltungstheilen  zu  genügen  oder  um  einen  einzigen  sich 
verlängernden,  spaltenden,  fort  und  fort  sich  vermehrenden  Kern"  (Nr.  27 
S.  100). 

Die  von  allen  übrigen  Beobachtungen  so  sehr  abweichenden  Resultate  der 
REiCHEKT'schen  Untersuchungen  beruhen  weniger  auf  neuen  Thatsachen,  als 
auf  einer  ganz  neuen  Auffassung  der  schon  bekannten  Erscheinungen.  Die 
letzten  Produkte  des  Furchungsprocesses  seien  die  den  Embryo  zusammen- 
setzenden Zellen;  diese  unterschieden  sich  aber  in  keinem  Punkte  von  den 
vorhergegangenen  Furchungsmassen,  deren  Membranen  durch  die  (von  Berg- 
mann bereits  angeführten)  endosmotischen  Erscheinungen  und  durch  die  Falten- 
bildung in  den  ersten  Furchen  (Faltenkranz)  nachgewiesen  würden  (Nr.  25 
S.  533 — 53(3  und  Nr.  49)*.  In  jeder  Furchungskugel  befänden  sich  auch  einige 
Kerne,  deren  Zahl  mit  der  fortschreitenden  Furchung  abnehme  (Nr.  25  S.537 — 
538);  ferner  zerfielen  isolirte  Furchungskugeln  in  mehre  kleinere  Theile  (S.  539). 
Aus  diesen  Thatsachen,  sowie  aus  dem  mangelnden  Nachweise  einer  steten 
Neubildung  der  aus  einem  Furchungsakte  hervorgehenden  Kugeln  (S.  538) 
ergebe  sich,  dass  jede  Furchungskugel  schon  vorgebildet  in  der  ihr  vorangehen- 
den grössern  enthalten  war  und  dass  der  Furchungsprocess  der  Batrachiereier 
nichts  weiter  sei,  „als  ein  allmählig  fortschreitender  Geburtsact  vielfach  einge- 
schachtelter Mutterzellen,  deren  End-Resultat  die  Geburt  derjenigen  einfachen 
Dotterzellen  ist,  welche  zum  Aufbau  des  Gesammt-Zellen-Organismus  dienen 
sollen"  (S.  540).  Das  Freiwerden  der  Brutzellen  aus  den  Mutterzellen  ge- 
schähe durch  Zerreissen  der  Membranen  der  letztern  (S.  536).  —  Jene  Hypo- 
these der  Einschachtelung  verwarf  Reichert  später  (Nr.  31  S.  278 — 279)  und 


*  Neuerdings  bat  sich  Dönitz  der  REicHERT'schen  Anschauung  und  Beweisführung  an- 
geschlossen, ohne  etwas  Neues  hinzuzufügen  (Nr.  67  S.  604 — 605). 


II.    Die  Dottertheilung.  43 

will  offenbar  die  Resultate ,  welche  er  bei  den  Untersuchungen  über  die  Ent- 
wiclcelung  des  Eies  von  Strongylus  auricularis  gewann,  auch  für  die  Batrachier- 
eier  geltend  machen  (Nr.  31  S.  274  und  flg.).  Darnach  müsste  bei  dem 
fraglichen  Entwickelungsvorgange  Zweierlei  unterschieden  werden :  die  endogene 
Zellenbildung  und  die  Furchung  (S.  254).  Jede  Furchungskugel  müsse  immer- 
hin als  eine  Mutterzelle  betrachtet  werden-,  nachdem  ihr  Kern  geschwunden, 
theile  sich  ihr  Inhalt  in  zwei  Portionen,  welche  eigene  Membranen  bekämen 
und  dann  als  noch  kernlose  Brntzellen  von  der  Mutterzellenmembran  um- 
schlossen würden;  ihre  Kerne  entständen  erst  später  (S.  255 — 257).  Diese 
Bildimgsweise  neuer  Zellen  könne  daher  ganz  wohl  als  „Zellenbildung  um 
Inhaltsportionen"  bezeichnet  werden  (S.  262).  Der  Furchungsprocess  be- 
stehe mm  nicht  etwa  darin ,  dass  eine  Mutterzelle  sich  ein-  und  abschnüre  und 
so  einfach  in  die  Theile  zerfalle  (S.  273),  sei  überhaupt  kein  Theilungsprocess 
sondern  nur  der  Ausdruck  für  das  Auseinandertreten,  Freiwerden  der  bis  dahin, 
in  der  Mutterzellenmembran  eingeschlossenen  Brutzelle  durch  das  Zerreissen 
der  letzteren  (S.  270  und  flg.).  Jedenfalls  bestellt  nach  der  Furchung  der 
Dotter  in  der  Mitte  aus  Mutterzellen ,  welche  in  der  angegebenen  Weise  in 
kleinere  zerfallen,  die  an  der  Dotterperipherie  in  die  embryonalen  Organe  über- 
gehen. „Wo  Bildungen  des  Embryo  auftreten  sollen,  da  werden  prädisponirte, 
kleinere  Dotterzellen  dazu  gebraucht,  und  aus  der  Mitte  kommt  neuer  Ersatz" 
(Nr.  22  S.  8). 

Nach  Vogt's  Untersuchungen  soll  sich  die  Entwickelung  des  befruchteten 
Eies  von  Alytes  obstetricans  wesentlich  von  derjenigen  anderer  Batrachier 
unterscheiden.  Die  erste  Furche  umfasst  nur  2/3  des  Eiumfanges,  und  die 
übrigen  Furchen,  deren  Regelmässigkeit  sehr  bald  aufhört,  gehen  nicht  einmal 
über  die  obere  Halbkugel  hinaus.  Ferner  theilen  sie  die  betreffende  Dotter- 
masse nicht  vollständig,  sondern  dringen  nur  bis  zu  einer  gewissen  Tiefe  ein, 
wobei  die  Dotterhaut  Falten  in  sie  hineinschickt.  So  besteht  die  gefurchte 
Dotterhälfte  alsbald  aus  einer  Menge  von  Klümpchen ,  welche  an  ihrer  unteren 
Seite  mit  dem  ungefurchten  Dotter  in  kontinuirlichem  Zusammenhange  stehen, 
und  nur  an  ihrer  freien  oberen  Seite  von  einer  Membran  (Dotterhaut)  umhüllt 
sind.  Während  der  Furchung  sind  die  gröberen  Dotterplättchen  aus  den  sich 
furchenden  Theilen  verschwunden,  wahrscheinlich  aufgelöst,  sodass  der  Inhalt 
jener  Klümpchen  feinkörniger  ist  als  die  übrige  Dottermasse ;  ausserdem  be- 
merkt man  darin  noch  je  einen  oder  mehre  Keimflecke  (Vogt's  Keimzellen), 
die  übrigens  auch  fehlen  können.     Aus  allen  diesen  Thatsachen,  meint  Vogt, 


44  II.    Die  Dottertheilung. 

gehe  aber  hervor,  class  jene  Klümpchen  durchaus  keine  Zellen  seien  (Nr.  26 
S.  8.  9).  Erst  nachdem  die  Furchen  wieder  verstrichen  sind ,  der  Furchungs- 
process  also  aufgehört  hat,  beginne  die  Zellenbildung  von  der  feinkörnigen 
Bindenschicht  aus  und  schreite  allmählich  gegen  das  mit  grösseren  Täfelchen 
versehene  Innere  des  Dotters  (Vogts  Dotterkern)  fort.  „Offenbar  bilden  sich 
die  ersten  Zellen  in  der  Rindenschicht  auf  die  Weise,  dass  sich  um  jede  in  der- 
selben eingebettete  Keimzelle  in  einer  gewissen  Distanz  eine  Membran  bildet, 
welche  eine  grosse  Menge  des  Molecularinhaltes  nebst  der  Keimzelle  ein- 
schliesst"  (S.  10 — 11).  Die  letztere  werde  dadurch  zum  Kerne.  Im  Dotter- 
kerne entständen  die  Zellen  ebenso;  aber  weil  dort  keine  Keimflecke  vor- 
handen seien ,  so  müssten  sich  offenbar  neue  bläschenartige  Kerne  bilden ,  wie 
es  ohne  Zweifel  auch  in  der  Bindenschicht  geschähe,,  da  die  Zahl  der  Keim- 
flecke für  die  Rindenzellen  nicht  ausreiche  (S.  11.  12).  Noch  bleibt  zu  be- 
merken, dass  Vogt  „zuweilen  in  eben  gebildeten  Dotterzellen  vergeblich  nach 
solchen  Kernzellen  gesucht"  hat  (S.  11).  „Wir  haben  demnach  in  dem  Dotter 
der  Batrachier  eine  Art  von  Zellenbildung,  welche  gänzlich  von  der  von 
Schwann  anerkannten  abweicht.  Es  consoliclirt  sich  bei  dieser  Zellenbildung 
die  Zellenmembran  gleich  in  der  ursprünglichen  Grösse  der  Zellen  aus  dem 
Cytoblastem  heraus ,  und  zwar  ohne  Mithülfe  von  Kernen.  Zuweilen ,  wie  in 
der  Rindenschicht  des  Dotters ,  treten  ursprüngliche  Zellen  in  das  Verhältniss 
von  Kernen  zu  diesen  Zellen;  zwar  nur  in  so  fern,  class  sie  von  ihnen  um- 
schlossen werden ,  denn  die  eingeschlossene  Zelle  behielt  ganz  ihre  Zellennatur 
bei."  „Allein  diese  Zellen  waren  selbst  schon  eingeschachtelt  in  zwei  anderen, 
frei  geworden  durch  Platzen  ihrer  ersten  Umhüllung  (des  Keimbläschens), 
hatten  sich  vermischt  mit  dem  Inhalte  ihrer  zweiten  Umhüllungszelle,  der 
Dotterzelle,  und  in  diesem  Zelleninhalte  war  der  Process  einer  neuen  Zellen- 
bildung vor  sich  gegangen"  (S.  24). 

Köllikee  erklärte  die  Furchungskugeln  der  Batrachiereier  für  membranlos 
(Nr.  32  S.  10 — 12),  ihre  Kerne  dagegen  für  Bläschen  (S.  14).  In  den  letzteren 
befänden  sich  Kernkörperchen ,  deren  „endogene"  Vermehrung  dem  gleichen 
Processe  der  Kerne  vorangehe,  was  alsdann  die  Theilung  der  Furchungskugeln 
hervorrufe  (S.  15—18).  Diese  Theilung  erklärt  Kölliker  aus  der  „Attraktion 
der  Kerne",  ohne  auf  diesen  Ausdruck  ein  besonderes  Gewicht  legen  zu  wollen 
(S.  20).  Ob  nun  die  Furchungskugeln  wirkliche  Zellen  seien,  und  wie  sie  sich 
überhaupt  in  den  ersten  Stadien  der  Furchung  verhalten,  darüber  lässt  sich 
Kölliker  in  dem  bezeichneten  Aufsatze  nicht  aus.  —  In  den  neueren  Auflagen 


II.    Die  Dottertheilung.  45 

seiner  Gewebelehre  (Nr.  79  S.  23)  gibt  er  folgende  Schilderung  der  Dotter- 
theilung: „Die  Furchung  ist  ein  eigentümlicher  Vorgang,  der  zur  Zeit  der 
ersten  Entwickelung  in  den  Eiern  der  meisten  Thiere  sich  findet,  als  Einleitung 
zur  Bildung  der  ersten  Zellen  des  Embryo  anzusehen  ist  und,  weil  das  Ei  die 
Bedeutung  einer  einfachen  Zelle  hat,  unter  den  Begriff  der  endogenen  Zellen- 
theilung  fällt.  Die  Furchung  beruht  im  Wesentlichen  auf  Folgendem.  Nach- 
dem der  ursprüngliche  Kern  der  Eizelle,  das  Keimbläschen,  mit  der  Befruch- 
tung verschwunden  ist,  bilden  die  Körner  des  Dotters  nicht  mehr  einen  dichten 
Haufen  wie  früher,  sondern  zerstreuen  sich  und  erfüllen  die  ganze  Eizelle. 
Dann  entsteht  als  erstes  Zeichen  der  beginnenden  Entwickelung  mitten  im 
Dotter  ein  neuer  Kern  mit  Nucleolus ,  der  erste  Kern  des  Embryo ,  der  als 
Anziehungspunkt  auf  den  Dotter  einwirkt  und  denselben  wieder  zu  einem 
kugeligen  Haufen,  der  ersten  Furchungskugel,  vereinigt.  In  weiterer  Ent- 
wickelung bilden  sich  aus  dem  ersten  Kerne  zwei  neue,  die  sich  etwas  von  ein- 
ander entfernen,  als  neue  Mittelpuncte  auf  die  Dottermasse  einwirken  und  so 
die  erste  Furchungskugel  in  zwei  zerfallen.  In  gleicher  Weise  geht  dann  die 
Vermehrung  der  Kerne  und  der  Furchungskugeln  und  zwar  die  erstere  immer 
voranschreitend  fort."  Dagegen  gesteht  Köllikee  in  seiner  Entwickelungs- 
geschichte  (Nr.  48  S.  32):  „Der  Ursprung  dieser  Kerne  ist  jedoch  bis  jetzt  noch 
in  ein  gewisses  Dunkel  gehüllt  und  ist  namentlich  die  Herkunft  des  Kernes  der 
ersten  Furchungskugel  noch  nicht  hinreichend  aufgeklärt". 

Cramer  glaubt  an  den  einzelnen  Massen  des  schon  mehrfach  getheilten 
Eies  während  der  Wasseraufsaugung  eine  Membran  erkannt  zu  haben,  obgleich 
er  bemerkt,  dass  sie  endlich  springe  „wie  eine  Seifenblase,  ohne  sichtbare 
Spuren  zurückzulassen"  (Nr.  34  S.  28).  Die  Theilung  des  Dotters  gehe  so  vor 
sich ,  dass  eine  Furche  von  der  Oberfläche  immer  tiefer  in  die  zu  theilende 
Masse  vordringe,  während  im  Innern  der  Inhalt  einer  Hälfte  noch  kontinuiiiich 
in  denjenigen  der  anderen  übergehe  (S.  32).  Die  hellen  Flecke  in  den  Dotter- 
massen sollen  von  den  eingeschlossenen  Keimbläschenzellen  herrühren  (S.  30); 
wenn  diese  zu  je  einer  in  den  kleiner  werdenden  Dottermassen  vertheilt  sind, 
so  spalten  sie  sich  weiterhin  zugleich  mit  der  ganzen  Masse  (S.  31).  „Die 
durch  die  letzten  Theilungen  entstandenen  Kugeln  werden  später  direkt  zum 
Aufbau  des  Embryo  verwandt,  die  Embryonalzellen  sind  fertig,  und  sind  es 
geworden,  indem  grössere  Zellen  sich  durch  fortgesetzte  Spaltung  zu  diesen 
kleinsten  zerlegten"  (S.  32).  Gestützt  auf  diese  und  fremde  Beobachtungen 
macht  sich  nun  Cramer  folgendes  Bild  von  dem  ganzen  Vorgange.     Vor  dem 


46  II.    Die  Dottertheilnng. 

Anfange  der  Furchung  bildet  sich  eine  Membran  um  die  ganze  Dottermasse-, 
„dadurch  ist  eine  grosse  Zelle  entstanden ,  die  ausser  dem  Inhalt  für  alle 
späteren  Zellen  auch  schon  die  Kerne  für  alle  in  sich  trägt.  Durch  Ein-  und 
Abschnüren  zerfällt  sie  zu  zwei  neuen  von  ihrer  halben  Grösse,  die  in  ihrem 
Innern  zu  der  eingeschlossenen  Dottermasse  die  Hälfte  der  Keimbläschenzellen, 
d.  h.  jetzt  Kerne  tragen.  Diese  Zellen  werden,  in  derselben  Weise  fortgesetzt,, 
weiter  getheilt,  jede  neue  erhält  die  Hälfte  der  Kerngebilde,  die  in  der  nächst 
grösseren,  durch  deren  Spaltung  sie  selbst  entstand  y  enthalten  waren ;  und  bei 
fortschreitender  Spaltung  wächst  die  Zahl  der  Zellen  nach  einer  geometrischen 
Progression,  deren  Exponent  die  Zahl  2  ist.  So  geht  es  fort,  bis  Zellen  ent- 
standen sind,  die  nur  noch  einen  Kern  enthalten.  In  der  ferneren  Furchung 
wird  auch  dieser  jetzt  mitgetheilt,  und  der  ganze  Process  der  Spaltung  so  lange 
fortgesetzt ,  bis  Zellen  von  einem  gewissen  Minimum  von  Grösse  entstehen ,  die 
direkt  zum  Aufbau  des  Organismus  verwandt  werden,  bis  die  Embryonalzellen 
fertig  sindu  (S.  33). 

Remak  findet  in  der  Dottermasse  des  frischgelegten  Eies  gleich  mehreren 
seiner  Vorgänger  durchsichtige  Bläschen  und  solide  Kügelchen,  welche  er  aber 
nicht  für  veränderte  Keimflecke,  sondern  für  Leichenzustände  der  Dottersubstanz 
erklärt  (Nr.  40  S.  128).  —  Bei  seinen  ausgedehnten  Untersuchungen  über  die 
Furchung  ist  Remak:  zu  folgenden  Resultaten  gelangt.  Die  Furchen  der  obern 
Eihälfte  sollen  „mit  Blitzesschnelle",  diejenigen  der  untern  Halbkugel  aber 
langsam  entstehen  (S.  129).  Schon  vor  der  Furchung  besitze  die  Dotterkugel 
innerhalb  der  Dotterhaut  eine  eigene  Membran,  die  Eizellenmembran,  welche 
in  eigenthümlicher  Weise  an  der  Furchung  theilnehme  (S.  130).  Da  sie  dem 
Dotter  innigst  anhängt,  so  kleidet  sie  auch  die  erste  Furche  bis  zum  schmalen 
Boden  derselben  aus*;  von  dem  letzteren  aus  entsendet  sie  eine  Scheidewand 
in  den  Dotter,  welche  dessen  Theilung  vollzieht.  Nach  diesem  verschiedenen 
Verhalten  der  Eizellenmembran  bei  der  Furchung  unterscheidet  Remak  den 
ersten  Theilungsakt  als„Einfurchung  von  der  darauffolgenden  Durchfurchung". 
Jene  Scheidewand  scheine  gleich  anfangs  doppelt  zu  sein ,  sodass  jede  der  aus 
der  Theilung  hervorgehenden  Dotterhälften  eine  eigene  Umhüllung  hätte 
(S.  131).  Diese  Dotterhälften  seien  die  „beiden  ersten  nach  der  Befruchtung 
entstandenen  Zellen".  „In  ähnlicher  Weise  wie  bei  der  ersten  Furchung  verhält 
sich  die  Eizellenmembran  bei  den  folgenden  Furchungen" ;  so  komme  es,  „dass 


*  In  der  dunkeln  Halbkugel  soll  dieser  schmale  ßodenstreifen  entfärbt  sein  (S.  131). 


II.    Die  Dottertheilung.  47 

die  Eizellenmembran  selbst  und  ihre  während  der  Furchung  ausgesendeten 
Fortsätze  sänimtliche  Zellen  bekleiden,  welche  aus  der  Furchung  hervorgehen'' 
(S.  132).  Zu  bemerken  ist  noch,  dass  nach  Remak  die  Einfurchimg  stets,  also 
auch  bei  der  Aequatorialtheilung,  an  der  Aussenfläche  des  Eies  beginnt,  sodass 
die  im  Innern  liegenden  Kanten  und  Ecken  der  Theilstücke  sich  zu  den 
äussern  verhalten,  wie  der  untere,  trägere  Eipol  zum  obern,  energischeren 
(S.  133).  In  den  spätem  Stadien  des  Furchungsprocesses  fände  man  aller- 
dings „in  der  Abschnürimg  begriffene  Zellen  von  gemeinsamer  Membran  um- 
hüllt, deren  Theilnahme  an  der  Abschnürung  sich  nicht  nachweisen  lässt." 
Dies  sei  aber  ein  Leichenzustand ,  wobei  die  Membran  durch  einen  abnormen 
Einfluss  (z.  B.  durch  Wasser)  aus  der  Furche  hervorgezogen  werde  (S.  134). 
Eine  Vorbereitung,  eine  Anbahnung  der  Theilung  im  Protoplasma  sei  vor  dem 
Eindringen  der  Membran  nicht  nachweisbar;  und  wenn  nach  dem  Beginn  des 
letzteren  eine  solche  Anbahnung  stattfinden  sollte,  so  „bliebe  doch  immer  das 
langsame  Hereinwachsen  der  Scheidewände  das  schliessliche  und  wirksamste 
Theilungsmittel"  (S.  136).  —  Ausser  diesen  Erscheinungen  der  eigentlichen 
Furchung  untersucht  Remak  aber  auch  die  innern  Zustände  der  Furchungs- 
zellen.  In  den  meisten  noch  ungefurchten  Eiern  will  er  anstatt  des  geschwun- 
denen Keimbläschens  unter  dem  oberen  Pole  oder  auch  m  der  Nähe  des 
Centrums  eine  weite  platte  Höhle  bemerkt  haben,  welche  er  die  v.  BAEESche 
Kernhöhle  nennt;  er  halte  es  für  sehr  wahrscheinlich,  dass  dieselbe  „in  der 
That  eine  weitere  Ausbildung  der  Höhle  ist,  welche  das  Keimbläschen  beher- 
bergt hatte".  Statt  der  einen  Höhle  seien  bisweilen  auch  zwei  kleinere,  durch 
Theilung  aus  der  ersten  hervorgegangene  vorhanden;  auch  fänden  sich  je  eine 
oder  zwei  solcher  Kernhöhlen,  aber  in  stets  verringertem  Massstabe  in  den 
folgenden  Furchungszellen  (vgl.  Remak's  Tafel  IX  Fig.  3 — 7).  Alle  würden 
sie  von  einergrauen  Masse  (Kernmasse  —  Remak)  umgeben;  über  die  Lage  dieser 
Höhlen  erfährt  man  aber  nichts,  da  die  bezeichneten  Abbildungen  nach 
Remak's  eigener  Angabe  rein  schematische  sind  (S.  128.  137).  Während  der 
späteren  Stufen  der  Furchung  erscheinen  diese  Kernhöhlen  schon  äusserlich 
am  unverletzten  Eie  als  helle  Flecke,  an  denen  Remak  alsdann  beobachtete, 
wie  sie  „vor  dem  Eintritt  der  Furchung  eine  bisquitförmige  Gestalt  annehmen 
und  sich  allmälig  in  zwei  runde  Flecke  theilen,  wie  sie  auseinanderrücken, 
wie  die  später  sich  bildende  Furche  zwischen  sie  fällt  und  ein  jeder  aus  der 
Furchung  hervorgegangene  neue  Abschnitt  sofort  mit  einem  runden  hellen 
Flecke  versehen  erscheint".     Es  unterliege  also  „kaum  einem  Zweifel,  dass  die 


48  II.    Die  Dottertheilung. 

BAER'sche  Kernhöhle,  mag  dieselbe  der  frühere  Aufenthaltsort  des  Keim- 
bläschens oder  eine  Neubildung  sein,  durch  fortschreitende  Theilung,  von 
welcher  die  umgebende  Kernmasse  mitbetroffen  wird ,  sich  in  die  Kernhöhlen 
sämmtlicher  Furchungszellen  umwandelt."  Die  Höhlen  scheinen  erst  später 
auskleidende  Membranen  zu  erhalten,  wodurch  sie  zu  Kernen  der  entsprechen- 
den Furchungszellen  würden.  Auf  der  achten  Furchungsstufe  bemerke  man 
auch  ein  rundes,  eingeschnürtes  oder  doppeltes  Kernkörperchen  in  jedem 
Kerne  und  stets  ein  rundes  in  jeder  Hälfte  eines  bisquitförmigen  Kernes. 
Folglich  gehe  die  Theilung  der  Kernkörperchen  in  derselben  Weise  derjenigen 
des  Kernes  voraus,  wie  letztere  die  Furchung  einleite  (S.  138.  174).  Wenn 
man  in  kleinen  Furchungszellen  mehre  Kerne  von  einer  gemeinsamen  Membran 
umschlossen  antreffe,  so  sei  dies  ebenso  wenig  wie  die  ähnliche  Erscheinung 
an  den  Furchungszellen  auf  eine  endogene  Bildung ,  sondern  auf  abnorme  Ein- 
flüsse zu  beziehen,  welche  die  Membran  aus  den  Einschnürungen  hervorziehen 
(S.  138 — 139).  —  Da  die  kleinsten  Furchungs-  oder  die  Embryonalzellen 
unmittelbar  in  die  Bildung  der  Organanlagen  eingehen  und  eine  von  den  Zellen 
unabhängige  Zwischensubstanz  ebenso  wenig  vorkomme,  wie  eine  selbststän- 
dige Entwickelung  von  Zellen ,  die  nicht  aus  einer  Theilung  schon  vorhandener 
hervorgingen,  so  schliesst  Remak  seine  Untersuchungen  über  die  Furchung  mit 
dem  Resultate,  „dass  sämmtliche  im  entwickelten  Zustande  vorhandenen  Zellen 
oder  Aequivalente  von  Zellen  durch  eine  fortschreitende  Gliederung  der  Eizelle 
in  morphologisch  ähnliche  Elemente  entstehen,  und  dass  die  in  einer  embryoni- 
schen Organ-Anlage  enthaltenen  Zellen,  so  gering  auch  ihre  Zahl  sein  mag, 
dennoch  die  ausschliessliche  ungegliederte  Anlage  für  sämmtliche  Formbe- 
standtheile  der  spätem  Organe  enthalten"  (S.  140).  — 

Nach  Schultze  ist  das  Ei  anerkanntermassen  eine  Zelle  mit  Protoplasma 
(Dotter)  und  Kern  (Keimbläschen) ,  folglich  der  Furchungsprocess  eine  Zellen- 
theilung  (Nr.  52  S.  9).  Da  nun  die  gewöhnliche  Zellentheilung  aus  der 
Kontraktilität  des  Protoplasmas  hervorgehe,  so  müsse  dieselbe  Eigenschaft 
auch  dem  Dotter  zukommen  und  daselbst  ebenso  wirken.  Die  zähe  Rinden- 
substanz  erzeuge  nun  bei  der  Zusammenziehung  den  sogenannten  Faltenkranz, 
der  in  Folge  der  verschiedenen  Fähigkeit  der  innern  und  der  Rindenmasse, 
sich  zusammenzuziehen,  wiederum  verstreicht  (S.  10).  Der  Faltenkranz 
beweise  daher  ebenso  wenig  die  Anwesenheit  einer  dem  Dotter  anliegenden 
Zellenmembran  (Reichert)  ,  als  es  die  Haut  zu  thun  vermag,  welche  Remak 
an  eigenthümlich  erhärteten  Eiern  demonstrirte  und  welche  nichts  weiter  sei, 


II.    Die  Dottertheilung.  49 

als  die  erhärtete  Rindenscliicht  des  Dotters  (S.  11 — 14).  Die  Furchung  beginne 
unabhängig  von  der  Keimgrube,  welche  häufig  schon  vorher  verschwunden  ist; 
andernfalls  verlaufen  aber  die  ersten  Furchen  nicht  durch  die  Keimgrube, 
sondern  neben  ihr  (S.  15).  — 

In  Betreff  einer  Dottermembran  und  der  Keimgrube  stimmt  v.  Bambecke 
mit  Schttltze  überein  (Nr.  63  S.  14.  17.  18),  da  er  auch  die  frühere  Angabe, 
dass  die  erste  Furche,  wenn  die  Keimgrube  noch  besteht,  am  Umfange  der- 
selben beginne  (Nr.  63  S.  19),  neuerdings  nur  als  Ausnahme  gelten  lässt 
(Nr.  71  S.  64).  Unter  der  Keimgrube  und  nahe  der  Oberfläche  findet 
v.  Bambecke  häufig  einen  hellen,  von  dunkler  Masse  umgebenen  Kern 
(Nr.  63  S.  17.20,  Nr.  71  S.  63). 


Welcher  Art  die  Wirkung  des  Samens  bei  der  Befruchtung  der  Eier  ist, 
lässt  sich  noch  nicht  entscheiden.  Für  meinen  Zweck  genügt  aber  die  That- 
sache,  „dass  die  befruchtende  Einwirkung  der  Samenkörperchen  augenblicklich 
bei  der  Berührung  der  Eier  stattfindet"  (Nr.  38  S.  908—909).  Denn  es  folgt 
aus  den  zu  diesem  Beweise  herangezogenen  Experimenten,  dass  die  Samen- 
elemente die  gleichsam  ruhende  Entwickelungsfähigkeit  des  Eies  zur  Thätig- 
keit  bringen ,  ohne  die  Zusammensetzung  der  Dotterkugel  irgendwie  zu  ver- 
ändern und  indem  sie  offenbar  nur  eine  der  wichtigsten  Bedingungen  der  Ent- 
wicklung erfüllen.  Diese  Auffassung  wird  noch  wesentlich  unterstützt  durch 
die  Thatsache,  welche  Leuckart  ganz  besonders  an  Froscheiern  prüfte  und 
bestätigte,  dass  nämlich  „die  ersten  Schritte  der  Embryonalentwickelung  nicht 
selten  auch  in  unbefruchteten  Eiern  stattfinden"  (Nr.  38  S.  958).  — 

Die  Beschaffenheit  der  frischgelegten  und  befruchteten  Eier  habe  ich  be- 
reits im  Allgemeinen  beschrieben ;  doch  dürfte  hier  eine  nähere  Untersuchung 
geboten  sein.  —  Zerstört  man  ein  frisches  Ei  und  betrachtet  die  Masse  unter 
dem  Mikroskope,  so  mag  ein  ordnender  Blick  zunächst  grössere  und  kleinere 
Dottertäfelchen,  ebenso  verschiedene  Körner  und  endlich  eine  feinkörnige 
Grundsubstanz  unterscheiden.  Erinnert  man  sich  aber  der  Entstehungsweise 
der  Dotterelemente ,  so  erhellt ,  dass  dieselben  insgesammt  wesentlich  gleich 
und  nur  durch  ihre  Grösse  unterschieden  sein  dürften,  sodass  wahrscheinlich 
bei  ganz  ausserordentlich  starken  Vergrösserungen  jene  feinkörnige  Grund- 
substanz   für    sich    allein    den    bekannten   Anblick   der  mit  Plättchen   ge- 

Goette,  Entwickelutigsgeschiehte.  4 


50  n.    Die  Dottertheilung. 

füllten  Dottermasse  gewähren  würde.  Die  eigentliche  homogene  Grund- 
substanz ist  vollkommen  durchsichtig,  wasserklar,  wie  es  die  jüngsten  Eifollikel 
lehren ;  wenn  die  festen  Theilchen  auch  alle  aus  der  gleichen  Masse  bestehen, 
so  erscheinen  sie  doch  bis  zu  einer  gewissen  Grösse,  nämlich  solange  die  durch 
sie  gebrochenen  Lichtstrahlen  nicht  ins  beobachtende  Auge  fallen  oder  nicht 
wahrgenommen  werden  können,  als  schwarze  Punkte,  weiterhin,  wenn  die 
mittleren  Strahlen  sichtbar  werden,  als  unregelmässige  dunkle  Ringe  mit  einer 
hellen  Mitte ,  und  endlich ,  wenn  diese  den  dunklen  Rand  an  Grösse  weit  über- 
trifft, als  die  bekannten  hellen,  derbkonturirten  Dottertäfelchen.  Um  in  der 
Beschreibung  einen  Anhaltspunkt  zu  haben,  werde  ich  die  mittelgrossen  festen 
Dottertheile  ohngefähr  auf  jener  Stufe,  wo  sie  bei  den  gewöhnlichen,  200 — 500- 
fachen  Vergrösserungen  die  erste  Spur  einer  hellen  Mitte  zeigen ,  als  Körner 
von  den  Punkten  und  Täfelchen  unterscheiden.  Die  geringere  oder  grössere 
Anhäufung  der  Punkte  in  der  Grundsubstanz  erzeugt  ein  sehr  fein  punktirtes 
Aussehen  oder  einfache  Schattirungen  vom  Hellgrauen  bis  zum  Schwarzen*. 
Die  Körner  werden  schon  in  geringer  Anhäufung  eine  dunklere  Färbung  hervor- 
rufen ,  welche  aber  in  dünnen  Schichten ,  wie  sie  die  Präparate  bieten ,  wegen 
der  durchscheinenden  Mitte  der  einzelnen  Körner  gewisse  Grenzen  haben  wird. 
Wo  die  Dotterplättchen ,  grössere  oder  kleinere,  vorherrschen,  erscheint  die 
Masse  hell;  durch  die  Körner  und  Punkte  wird  sie  verschieden  gefärbt  oder 
schattirt,  in  dem  Masse  aber,  als  dieselben  abnehmen,  stets  heller.  —  Ich 
habe  diese  Verhältnisse  näher  ausgeführt,  um  zu  zeigen,  dass  das  in  Zeichnung 
und  Färbung  verschiedene  Aussehen  der  Dottermasse  von  geringerer  Bedeutung 
ist,  als  man  auf  den  ersten  Blick  annehmen  möchte,  und  die  Gleichartigkeit 
der  ganzen  Masse  nicht  wesentlich  stört.  Immerhin  kann  die  Vertheilung 
jener  Elemente  in  der  befruchteten  Dotterkugel  angedeutet  werden.  Die 
grösseren  Dottertäfelchen  liegen  ziemlich  dicht  beisammen,  sodass  zwischen 
ihnen  eigentlich  nur  Fugen  übrig  bleiben,  welche  mit  den  kleinsten  Täfelchen, 
Körnern  und  Punkten  ausgefüllt  sind.  Das  Kaliber  jener  in  den  Vordergrund 
tretenden  Täfelchen  ist  in  der  unteren  Halbkugel  des  Dotters  grösser,  als  in  der 
oberen,  am  geringsten  aber  in  der  ganzen  Peripherie,  welche  man  als  Dotter- 


*  Ich  wäre  daher  nicht  abgeneigt,  wenigstens  einen  Theil  des  Pigments  bloss  für  eine 
Anhäufung  der  feinsten  Punkte  zu  erklären.  Dann  liesse  sich  auch  verstehen,  dass  die 
nicht  unhedeutenden  Schwankungen  in  den  Pigmentmassen ,  welche  in  den  einzelnen  Eiern 
desselben  Thieres  abgelagert  werden ,  auf  deren  spätere  Entwickelung  ohne  nachweisbaren 
Einfluss  bleiben.  — 


II.    Die  Dottertheilung.  51 

rinde  bezeichnen  mag,  wenn  man  im  Auge  behält,  dass  sie  weder  in  allen  Eiern 
gleich  ausgebildet  ist,  noch  überall  nach  innen  eine  wirkliche  Grenze  hat.  Am 
stärksten  und  deutlichsten  ist  sie  am  oberen  Pole,  und  dem  entspricht  auch  die 
ungleiche  Vertheilung  des  Pigments,  welches,  wie  ich  anführte,  möglicherweise 
aus  den  feinsten  Dottertheilen  mit  der  geringsten  Menge  der  eigentlichen 
Grundsubstanz  besteht  (Taf.  I  Fig.  13).  Im  Innern  der  oberen  Halbkugel 
bemerkt  man  die  oft  sternförmige  Zeichnung  der  feinkörnigen  Dottermasse, 
welche  aus  dem  Zerfall  des  Keimbläschens  hervorgegangen  mit  dem  übrigen 
Dotter  sich  noch  nicht  gleichmässig  vermischt  hat.  Ich  habe  aber  schon  aus- 
führlich auseinandergesetzt,  dass  die  in  einer  Brut  abgesetzten  Eier  nicht  alle 
von  gleicher  Ausbildung  sind:  die  darin  zurückgebliebenen  —  ich  will  sie  kurz 
die  jüngeren  nennen  —  tragen  noch  die  Merkmale  der  Zerstörung  der  Pigment- 
schicht,  die  älteren  lassen  dieselben  bereits  vermissen.  Wenn  ich  nun  ein 
ganzes  Eipacket  unmittelbar  nach  der  Befrachtung  in  die  Kupferlösung  warf 
und  dadurch  die  Entwickelung  augenblicklich  unterbrach ,  so  fand  ich  darauf 
in  jenen  jüngeren  Eiern  nichts  weiter  vor,  als  was  ich  schon  beschrieben,  in  den 
älteren  dagegen  schon  den  ersten  Anfang  der  Embryonalentwickelung.  Bei- 
läufig in  der  Mitte  dieser  Eier  und  nur  wenig  aus  derselben  aufwärts  verscho- 
ben, war  ein  grosser,  runder,  etwas  abgeplatteter  Kern  durch  einen  nicht 
scharfen,  aber  deutlichen  Kontur  von  der  übrigen  Dottermasse  gesondert 
(Taf.  I  Fig.  14).  Histiologisch  war  dieser  Dotter  kern  durchaus  nicht  von 
der  Umgebung  zu  unterscheiden  ;  die  noch  in  ihrer  Ausbreitung  begriffene  fein- 
körnige Substanz  des  zerfallenen  Keimbläschens  reichte  in  seinen  Bereich  mit 
einem  grösseren  oder  kleineren  Antheil  hinein ,  aber  so  unregelmässig ,  dass 
man  mit  Recht  annehmen  kann,  dass  diese  Masse  und  die  Kernbildung  nur  in 
einem  zufälligen  Verhältniss  zu  einander  stehen.  Wenn  ich  die  Grenze  des 
Kernes  unter  stärkeren  Vergrösserungen  untersuchte,  so  fand  ich,  dass  an 
dieser  Stelle  alle  etwas  grösseren  Dotterplättchen  fehlten  und  nur  feinkörnige 
Dottersubstanz  lag,  welche  durch  ihre  dunkle  Färbung  den  Umriss  des  Kernes 
erzeugte.  Nun  erhellt  auch ,  wesshalb  derselbe  nicht  scharf,  sondern  wie  mit 
einem  groben  Stifte  gezogen  erscheint.  Lässt  man  solche  Eier  sich  weiter 
entwickeln,  so  erhebt  sich  der  Dotterkern  in  kurzer  Zeit,  während  die  mehr- 
erwähnte  vom  Keimbläschen  herrührende  Verfärbung  der  Dottermasse  schwin- 
det, gegen  die  Dotteroberfläche,  worauf  in  seinem  Innern  sich  ein  zartes  rundes 
Körperchen  bildet  —  der  erste  Lebenskeim,  welcher  die  weitere  Entwicke- 
lung des  Eies  hervorruft  (Taf.  II  Flg.  20).     Es  ist  also  der  Dotterkern  sicher- 


52  IL    Die  Dottertheilung. 

lieh  der  Ausgangspunkt  der  ganzen  Entwickelung  und  sein  erstes  Erscheinen 
kann  in  den  von  mir  als  ältere  bezeichneten,  frischgelegten  Eiern  sogleich 
nach  der  Befruchtung,  bei  den  Jüngern  erst  später  wahrgenommen  werden.  — 
Wenn  ich  ihn  auch  nicht  immer  zuerst  in  der  Nähe  des  Centrums  der  Dotter- 
kugel antraf,  so  scheint  mir  doch  aus  seinem  Vorrücken  gegen  die  Oberfläche 
zu  folgen ,  dass  die  subcentrale  Lage  stets  die  ursprüngliche  ist.  Er  hat  die 
Grösse  und  Gestalt  der  Höhle  des  Keimbläschens,  nimmt  aber  nach  seiner 
Lage  Veränderung  nicht  immer  die  Stelle  ein,  an  der  jene  lag,  sondern  befindet 
sich  häufig  seitlich  vom  obern  Pole,  ja  selbst  in  der  Nähe  des  ursprünglichen 
Aequators  des  Eies.  Dies  kann  man  nach  einiger  Zeit  schon  äusserlich 
erkennen,  indem  gerade  über  dem  Dotterkerne  die  Dotteroberfläche  in  Vorbe- 
reitung der  ersten  Furche  zu  einer  flachen  Grube  einsinkt  {Taf.  I  Fig.  15). 

Sobald  der  Dotterkern  diese  excentrische  Lage  eingenommen  hat,  beginnt 
das  Pigment  am  unteren  Pole  und  successiv  an  der  ganzen  unteren  Halb- 
kugel zu  schwinden-,  da  aber  in  den  Fällen,  wo  jene  dem  Dotterkerne 
stets  genau  entsprechende  Grube  nicht  in  der  Mitte  des  dunklen  Feldes, 
sondern  excentrisch  in  demselben  lag,  dieses  Feld  sich  alsbald  koncentrisch 
um  die  Grube  anordnet,  also  das  Pigment  sich  augenscheinlich  verschiebt,  so 
darf  man  annehmen,  dass  auch  jenes  Schwinden  des  Pigments  an  der  entgegen- 
gesetzten Seite  nur  scheinbar  ist  und  dass  dasselbe  vielmehr  sich  nach  oben  zu 
einer  halbkugelförmigen  Kappe  zusammenschiebt  (Taf.  II  Fig.  20.  21).  Nach 
allen  diesen  Erfahrungen  wird  es  aber  sehr  wahrscheinlich,  dass  der  gegen  die 
Peripherie  vorrückende  Dotterkern  oder  vielleicht  der  in  seinem  Innern  unter- 
dessen sich  entwickelnde  Lebenskeim  den  Pol  des  befruchteten  Eies  bestimmt, 
eventuell  verändert*.  Daraus  ergibt  sich  aber,  dass  der  central  gelegene 
Dotterkern  des  frischgelegten  Eies  im  Allgemeinen  aufwärts  steigt-,  denn  andern- 
falls müsste  unter  Umständen  ein  dunkles  Feld,  welches  beim  Legen  aufwärts 
gekehrt  war,  in  der  Folge  sich  nach  unten  verschieben;  dies  ist  aber  noch  nie- 
mals beobachtet  worden.  Einen  Grund  für  die  genannte  Bewegung  des  Dotter- 
kerns kann  ich  nicht  bestimmt  angeben;  vielleicht  ist  er  in  der  Bildung  des 
Lebenskeims  zu  suchen,  welcher  mit  seiner  nächsten  Umgebung  frei  von  Dotter- 
plättchen  und  von  zarter  Zusammensetzung  ist,  also  möglicherweise  das  speci- 


*  Dies  legt  den  Gedanken  nahe .  dass  auch  die  Pigmentablagerung  im  Eierstockseie, 
deren  grösste  Mächtigkeit  der  Lage  des  Keimbläschens  entspricht ,  von  dem  letzteren  ab- 


häugig  ist.  — 


IL    Die  Dottertheilung.  53 

fische  Gewicht  des  ganzen  Dotterkerns  herabsetzt.  Wie  dem  nun  auch  sei,  die 
Aufwärtsbewegung  des  Dotterkerns  und  die  darauffolgende  Zusammenziehung 
des  Pigments  über  dem  Kerne  scheinen  mir,  wenn  sie  sich  auch  der  unmittel- 
baren Wahrnehmung  entziehen,  so  weit  begründet*,  dass,  wenn  sie  eine  Lücke 
in  unserem  Verständniss  der  Entwickelungsvorgänge  auszufüllen  vermögen,  ich 
sie  nicht  von  der  Hand  weisen  möchte.  Und  diesen  Dienst  können  sie  aller- 
dings leisten.  Alle  Beobachter  der  sich  entwickelnden  pigmentirten  Batrachier- 
eier  stimmen  darin  überein ,  dass  dieselben  einige  Zeit  nach  der  Befruchtung 
sich  stets  mit  dem  dunklen  Felde  nach  oben  kehren,  wenn  es  nicht  schon  gleich 
zu  Anfang  der  Fall  war.  Ein  genügender  Grund  dafür  Hess  sich  nicht  finden; 
meiner  Ansicht  nach  ist  nun  diese  Umwälzung  des  Dotters ,  sei  es  überhaupt 
oder  zum  Theile,  scheinbar,  indem  nur  die  Pigmentschicht  dem  Einflüsse  des 
neu  bestimmten  Poles  folgend  sich  verschiebt.  In  der  Folge  werde  ich  nur 
von  diesem  für  die  Entwickelung  allein  massgebenden  Pole  sprechen,  auch 
wenn  er  im  Anfange  der  Dottertheilung  mit  dem  Mittelpunkte  des  dunklen  Feldes 
noch  nicht  zusammenfallt. 

An  die  Veränderungen  der  Pigmentschicht  schliesst  sich  eine  andere 
Erscheinung  an ,  welche  ich  schon  früher  einmal  erwähnte.  Während  der 
Dotterkern  gegen  die  Dotteroberfiäche  hinaufsteigt,  erscheinen  im  ganzen  Um- 
fange der  Dotterkugel,  aber  nur  nach  innen  von  der  feineren  Rindensubstanz 
und  nicht  in  dieser  selbst,  zahlreiche  kleinere  und  grössere  Kügelchen  von  fein- 
granulirtem  Aussehen,  als  wenn  sie  aus  den  kleinsten  Dotterkörnern  zusammen- 
gesetzt wären ;  die  meisten  übertreffen  die  Dotterplättchen  bedeutend  an  Grösse 
(Taf.  II  Fig.  20).  Diese  Kügelchen  bilden  eine  zusammenhängende  Zone, 
deren  Mächtigkeit  in  der  obern  Halbkugel  ansehnlich  ist,  aber  nach  unten  hin 
sehr  rasch  abnimmt;  gegen  die  Dotterrinde  setzt  sich  die  Schicht  ziemlich 
scharf  ab,  nach  innen  verliert  sie  sich  ohne  deutliche  Grenze  im  Dotter.  Man 
betrachte  nur  die  Figuren  20  und  21  Taf.  II:  Das  Pigment,  die  ungefärbte 
Dotterrinde  und  jene  Kügelchen  bilden  drei  koncentrische  Schichten  des  Dotters, 
welche  gemeinsam  die  Eigenthümlichkeit  haben,  dass  sie  am  obern  Pole  am 


*  Es  Hessen  sich  wohl  an  Batrachiern,  welche  eine  grössere  Menge  von  Eiern  als 
der  Bombinator  igneus  auf  einmal  legen,  die  Beweise  dafür  soweit  vermehren,  dass  die 
Wahrscheinlichkeit  jener  Vorgänge  zur  Thatsache  würde.  Die  verhältnissmässig  wenigen 
zu  gleicher  Zeit  gelegten  Eier  meines  Thieres  mussten  stets  so  vielen  Zwecken  dienen, 
dass  meine  Untersuchungen  über  jene  Vorgänge  sich  vielleicht  auf  zwei  Dutzend  Eier  be- 
schränken. — 


54  II.    Die  Dottertlieilung. 

breitesten  sind  und  gegen  den  untern  Pol  bin  allmählich  dünner  werden.  Aber 
damit  nicht  genug,  sind  auch  ihre  nächsten  Veränderungen  gemeinsam.  Ich 
beschrieb  schon  die  Auflösung  der  Pigmentschicht  am  untern  Pole ,  und  wie 
sich  dieselbe  nach  oben  zusammenschiebe;  dasselbe  geschieht  zu  gleicher 
Zeit  auch  mit  der  Dotterrinde  und  jener  Kügelchenschicht,  sodass  während  der 
ersten  Dottertheilungen  alle  drei  Schichten  nicht  mehr  kugelig  geschlossen, 
sondern  wie  drei  halbkugelige  Schalen  in  einander  liegen ,  welche  am  obern 
Pole  am  dicksten ,  gegen  den  Aequator  gleichsam  mit  scharfen  Rändern  aus- 
laufen (Taf.  II  Fig.  20 — 25).  Dabei  erkennt  man  an  allen  drei  Schichten, 
wie  während  der  Zusammenziehung  ihre  Mächtigkeit  am  obern  Pole  zunimmt, 
sodass  meine  Ansicht  dahin  geht,  dass  ihre  Elemente  sich  ebenfalls  zusammen- 
schieben, wie  ich  es  schon  vom  Pigmente  anführte.  Als  Schichten  verschwinden 
endlich  alle  drei  in  dem  Masse,  als  die  ursprüngliche  Kontinuität  der  obern 
Halbkugel  verloren  geht,  und  letztere  in  mehre  Stücke  zerklüftet  wird,  welche 
ihre  Lage  zu  einander  wechseln. 

Ich  kehre  nach  dieser  Abschweifung  zur  Entwickelimg  des  Dotterkerns 
zurück.  Seine  ganze  Entstehung  oder  Sonderung  von  der  übrigen  Dottermasse 
schien  darin  zu  bestehen,  dass  an  seiner  Grenze  die  grösseren  Dottertheilchen 
nach  aussen  und  innen  auseinanderrückten  und  eine  weniger  dichte,  feinkörnige 
Zone  zurückliessen.  Solange  der  Dotterkern  sich  im  Innern  der  Dotterkugel 
befand ,  war  jene  Zone  schwach  und  unregelmässig  entwickelt  und  beeinträch- 
tigte den  kontinuirlichen  Zusammenhang  beider  Theile  nicht  wesentlich.  Sowie 
er  aber  hinaufrückt,  wird  die  Grenzzone  zu  einem  locus  minoris  resistentiae, 
sodass  beim  Aufbrechen  eines  nur  massig  erhärteten  Eies  der  Dotterkern 
isolirt,  wenn  auch  mit  rauher  Fläche,  herausfallt.  Damit  hat  aber  der  Dotter- 
kern das  äusserste  Mass  von  Selbstständigkeit  erreicht,  bald  darauf  ver- 
schwimmt seine  Grenze  und  mit  dem  schattenhaften  Umriss  schwindet  endlich 
seine  Bedeutung. 

So  vergänglich  aber  auch  die  von  mir  als  Dotterkern  bezeichnete  Erschei- 
nung ist,  so  geht  sie  doch  nicht  spurlos  vorüber;  gleichsam  als  Frucht  ihrer 
Wirksamkeit  bleibt  der  Lebenskeim  zurück.  —  Untersucht  man  die  Textur 
des  excentrischen  Dotterkerns ,  so  ergibt  sich ,  dass  er  sich  gegen  früher  ver- 
ändert hat;  ist  schon  seine  ganze  Masse  feinkörniger  als  die  neben  und  unter 
ihr  liegende  Dottersubstanz  und  mehr  der  Dotterrinde  über  ihm  entsprechend, 
so  weicht  namentlich  sein  Centrum  von  der  Beschaffenheit  des  übrigen  Dotters 
wesentlich  ab.     Dieses  Centrum  umfasst  den  ersten  Lebenskeim  und  einen  ihn 


IL    Die  Dottertheiluug.  55 

umgebenden  Hof  (Taf.  I  Fig.  17  a).     Der  erstere  besteht  aus  einer  runden, 
von  oben  abgeplatteten,  äusserst  zarten  und  durchscheinenden  Masse  von  etwa 
'SOfi  im  Querdurchmesser,  welche  nach  aussen  kontinuirlich  und  ohne  scharfe 
Grenze  in  den  Hof  des  Lebenskeims  übergeht.     Dieser  hat  einen  wechselnden, 
bald  weiteren  bald  engeren  Umfang  und  besteht  aus  feinkörniger  oder  grob- 
punktirter  Dottersubstanz;  erst  an  seinen  äusseren  Grenzen  werden  Dotter- 
plättchen  sichtbar.     Eine  nach  aussen  allmählich  verschwimmende  Färbung 
seiner  Substanz  hebt  den  Umriss  des  Lebenskeims  kräftiger  hervor,  als  er  ohne 
diesen  Umstand  erscheinen  würde.     Die  Grösse  und  deutliche  Abgrenzung  des 
ganzen  Hofs  sind  übrigens  mannigfachen  Schwankungen  unterworfen;  diese 
mögen  verschiedenen ,  gesetzlich  auf  einander  folgenden  Graden  der  Entwicke- 
lung  angehören,  aber  natürlich  entziehen  sich  solche  Vorgänge  der  direkten 
Beobachtung,  da  die  gröberen  äusseren  Merkmale,  welche  sonst  an  den  sich 
entwickelnden  Eiern  der  chronologischen  Bestimmung  dienen,  in  der  vorliegen- 
den Periode  noch  fehlen.  —  Bald  nach  der  Entstehung  des  Lebenskeims  traf  ich 
ihn  bereits  merkwürdig  verändert:  er  erschien  in  querer  Richtung  ausgedehnt, 
wobei  seine  Masse  von  der  Mitte  scheinbar  nach  beiden  Enden  ausgewichen 
war ,  sodass  diese  auf  Kosten  des  sich  verschmächtigenden  mittleren  Theils 
kolbig  angeschwollen  waren  (Taf.  II  Fig.  21.  22).     Im   weitern   Verlaufe 
dieser  Umwandlung  bietet  jede  der  beiden  Anschwellungen  das  Bild  eines  in 
der  Ablösung  begriffenen  Tropfens  einer  zähen  Masse  dar.     Während  beide 
sich  stetig  von  ihrem  gemeinsamen  Ausgangspunkte  entfernen,  also  in  entgegen- 
gesetzter Richtung  auseinander  rücken,  sind  sie  auf  der  äussern,  der  Dotter- 
oberfiäche  zugewandten  Seite  abgerundet,  auf  der  innern  aber  haben  sie  eine 
kegelförmige,  spitz  auslaufende  Verlängerung,  eben  die  entsprechende  Hälfte 
des  Mittelstücks.     Darauf  reisst  dieses  mitten  durch,   und  jede  Hälfte  des 
Lebenskeims  zieht  sich  nun  allmählich  kugelig  zusammen  und  wird  zu  einem 
selbstständigen  Körperchen,  während  die  frühere  Verbindung  beider  noch  durch 
einen  dunklen  Streifen  der,  sie  allseitig  umgebenden  feinkörnigen  Dottersubstanz 
angedeutet  wird  (Taf.  II  Fig.  23).     Der  erste*  Lebenskeim  hat  sich  also  in 
zwei  gleichartige  neue  getheilt.  —  Diesen  seinen  Evolutionen  ist  nicht  nur  der 
ihn  unmittelbar  umschliessende  feinkörnige  Hof,  sondern  auch  der  Umriss  des 
grossen  Dotterkerns  gefolgt :  nach  der  Trennung  der  beiden  sekundären  Lebens- 
keime sieht  man  sie  in  weitem  Umkreise  von  dunklen  Bögen  umschlossen, 
welche  aber  nach  aussen  allerdings  schon  undeutlich  und  verwischt  sind.   Fasst 
man  dabei  die  von  diesen  Bögen  begrenzten  Massen,  namentlich  die  betreffenden 


56  II.    Die  Dottertlieilung. 

Abschnitte  der  Kügelchenschicht  ins  Auge,  so  lässt  sich  leicht  erkennen ,  dass 
dieselben  an  den  bezeichneten  Bewegungen  und  Veränderungen  gar  nicht  theil- 
nehmen,  dass  die  letztern  sich  eben  nur  auf  eine  stärkere  Ansammlung  fein- 
körniger Dottemiasse  zwischen  den  Täfelchen  im  weiteren  Umkreise  der  Lebens- 
keime beziehen ,  welche  Ansammlung  allerdings  zuerst  an  der  ursprünglichen 
Grenze  des  Dotterkerns  stattfindet  und  somit  den  Schein  seiner  Fortexistenz 
erzeugt. 

Bevor  jedoch  die  Theilung  des  ersten  Lebenskeims  vollendet  ist,  sind 
schon  andere  Vorgänge  in  den  Kreis  der  Erscheinungen  eingetreten.  Wenn 
seine  Hälften  ziemlich  weit  auseinandergerückt  sind,  aber  ihre  frühere  Verbin- 
dung noch  durch  eine  schattenhafte  Linie  angedeutet  ist ,  wird  eine  Halbirung 
der  ganzen  Dotterkugel  eingeleitet.  In  der  Ebene,  welche  die  beiden  Pole  und 
die  Mitte  jener  Verbindungslinie  senkrecht  durchschneidet,  Aveichen  die  grobem 
Dotterelemente  nach  beiden  Seiten  auseinander  und  lassen  eine  dünne  Lage 
zarterer  Dottersubstanz  zurück,  welche  im  Querdurchschnitt  als  heller  Streifen 
erscheint  (Taf.  II  Fig.  23).  In  der  Längsaxe  des  letzteren  wird  alsdann 
eine  Trennung  der  beiden  Dotterhälften  durch  eine  höchst  zarte,  dunkle  Linie 
angedeutet ,  welche  von  der  Verbindungslinie  der  Lebenskeime  zunächst  bis  in 
die  Nähe  des  obern  Poles  und  bis  unter  den  Aequator  sich  erstreckt  und  dann 
allmählich  fortschreitet,  schneller  gegen  den  obern,  langsamer  gegen  den 
unteren  Pol.  Gleich  nach  dem  Erscheinen  dieser  s>paltartigen  Bildung  sinkt 
die  Dotteroberfläche  genau  über  derselben  am  obern  Pole  zu  einer  flachen 
rundlichen  Grube  ein,  über  welche  die  Dotterhaut  unverändert  hinwegzieht; 
diese  Grube  wird  aber  alsbald  muldenförmig  in  der  Richtung  der  Theilungs- 
ebene  und  vertieft  sich  mehr  und  mehr  zu  einer  Furche,  deren  Abhänge  genau 
in  jener  Ebene  zusammenstossen  (Taf.  I  Fig.  15).  Bei  dieser  Umbildung 
entsteht  an  den  Wänden  der  Furche  der  sogenannte  Faltenkranz,  nämlich  eine 
Reihe  vom  Grunde  zu  den  Rändern  aufsteigender  kleinster  Falten  oder  Run- 
zeln, welche  im  Entstehen  und  Schwinden  unter  Umständen  ein  lebhaftes  Spiel 
unterhalten.  Die  Dauer  dieses  Faltenkranzes  ist  sehr  verschieden,  überhaupt 
aber  derselbe  keine  beständige  Erscheinung  bei  der  Furchenbildung.  —  An- 
fangs ist  die  Furche  verhältnissmässig  weit  aber  kurz ,  sodass  ihre  bisweilen 
ziemlich  scharfen  Ränder  an  beiden  Enden  zu  einer  Ellipse  zusammenstossen. 
Bald  jedoch  geht  von  diesen  Enden  je  eine  schwächere  Fortsetzung  der  Furche 
gegen  den  unteren  Pol  aus,  welche  genau  den  von  der  Theilungsebene  an  der 
Dotteroberfläche  vorgezeichneten  Verlauf  nimmt  und  daher  zuletzt  am  untern 


II.    Die  Dottertheilung.  57 

Pole  mit  der  anderseitigen  zusammenfliesst  (Taf.  I  Fig.  16).  Während 
dieser  Vollendung  der  ersten  Furche  schliesst  sich  gewöhnlich  ihr  weit  offener 
Anfangstheil ,  indem  die  gegenüberliegenden  Abhänge  sich  aneinander  legen. 
Nicht  immer  ist  derselbe  so  scharf  gezeichnet ,  wie  in  meinen  Abbildungen ;  da 
aber  andere  Ansichten  schon  hinlänglich  bekannt  sind ,  so  wählte  ich  gerade 
diese  an  besonders  farbenreinen  Eiern  beobachteten  Bilder.  Ich  mache  noch 
besonders  darauf  aufmerksam ,  wie  die  Theilungsebene  und  die  ihr  folgende 
Furche  ganz  ohne  Rücksicht  auf  den  Mittelpunkt  des  dunklen  Feldes  entstehen ; 
so  kann  das  letztere  von  der  Furche  sehr  ungleich  getheilt  werden,  doch  wird 
eine  symmetrische  Anordnung  des  Pigments  bald  wiederhergestellt  (Taf.  I 
Fig.  15).  Aber  noch  in  anderer  Beziehung  verdient  das  Verhalten  der  Pigment- 
schicht während  der  Dottertheilung  erwähnt  zu  werden.  Ihre  äusserste  Lage 
hat  man,  gestützt  auf  die  Erscheinung  des  Faltenkranzes  oder  auf  den  Befund 
an  erhärteten  Eiern,  von  deren  Oberfläche  sich  ein  Häufchen  abziehen  lässt, 
als  eine  Zellenmembran  darzustellen  gesucht.  Dies  beruht  entschieden  auf 
einem  Irrthum,  wie  es  bereits  M.  Schultze  ausgeführt  hat;  ich  habe  seiner 
Beweisführung  nur  Weniges  hinzuzufügen.  Ein  Häutchen  lässt  sich  nur  im 
Bereiche  des  dunklen  Feldes  demonstriren ;  im  hellen  Felde  lösen  sich  nach 
der  Erhärtung  nur  einzelne  bald  derbere,  bald  feinere  offenbar  aus  Dotter- 
körnern zusammengesetzte  Fetzen  ab ,  während  jenes  Häutchen  um  so  weniger 
deutliche  Dotterelemente  enthält,  als  das  Pigment  stärker  angesammelt  ist 
(Taf.  II  Fig.  22 — 24).  Doch  ist  auch  dort  der  Nachweis  nicht  schwer, 
dass  es  sich  um  eine  künstliche  Ablösung  der  äussersten  Dotterrinde  handelt. 
Dieses  Häutchen  kann  aber  auch  an  Durchschnittsbildern  eine  zwischen  die 
Theilstücke  des  Dotters  hineinwachsende  Membran  vortäuschen,  und  zwar 
trotzdem  die  Trennung  aus  der  Mitte  des  Dotters  gegen  die  Oberfläche  vor- 
dringt. Auf  diese  Weise  wird  zuerst  die  tiefere  dicke  Pigmentschicht  getheilt, 
während  das  Häutchen  noch  intakt  erscheint;  und  ist  die  Scheidung  bis  zu 
letzterem  vorgerückt,  so  dringt  auch  gleich  zwischen  die  noch  aneinander 
liegenden  Grenzflächen  einiges  Pigment  ein,  welches  freilich  nur  aus  losen 
Körnern  besteht,  aber  bei  schwächeren  Vergrösserungen  wie  eine  Fortsetzung 
jenes  Häutchens  aussieht,  Die  Ränder  der  getheilten  tieferen  Pigmentschicht 
können  natürlich  zu  beiden  Seiten  der  Theilungsebene  nicht  so  leicht  sich  aus- 
breiten, wie  jene  einzelnen  Körner  in  der  Spalte;  sobald  aber  die  zwei  ersten 
Theilungen  vollendet  sind  und  die  erste  Spalte  sich  wirklich  öffnet,  setzt  sich 
das  Pigment  von  der  äussern  Fläche  der  Theilstücke  auf  die  inneren  ununter- 


58  n.    Die  Dottertheilung. 

brochen  aber  in  dünnerer  Lage  fort.  Was  nun  den  Faltenkranz  betrifft,  so 
dürfen  die  Falten  schon  desshalb  nicht  auf  ein  Häutchen  bezogen  werden,  weil 
sie  ebenso  schnell  vergehen,  als  sie  entstanden,  ohne  dass  ihre  Ursache,  die 
Einschnürung  nachliesse.  Es  müsste  denn  ein  solches  Häutchen  ein  halb- 
flüssiges  sein.  Jenes  Faltenspiel  ist  nur  der  Ausdruck  für  die  Ausgleichung  an 
der  Oberfläche  des  dickflüssigen  Dotters,  nachdem  dieselbe  in  ihrer  Ausdehnung 
irgendwie  verändert  worden ;  gleichwie  etwa  bei  einem  Stich  in  eine  teigige 
Masse  oder  bei  einer  Einschnürung  derselben  Falten  entstehen,  die  alsbald 
wieder  verstreichen. 

So  vollzieht  sich  die  erste  Dottertheilung;  die  wirkliche  Trennung  wird 
aber  erst  später  sichtbar,  und  zwar  sobald  die  aneinanderliegenden  Flächen 
bei  den  ferneren  Theilungen  von  einander  abgezogen  werden.  Gerade  so  wie 
die  erste  gehen  alle  weiteren  Dottertheilungen  vor  sich;  stets  theilt  sich  zuerst 
der  Lebenskeim  des  betreffenden  Dotterstücks,  dann  erfolgt  zwischen  den  neu- 
entstandenen Keimen  hindurch  von  innen  nach  aussen  fortschreitend  die  Son- 
derung und  im  Anschlüsse  an  dieselbe,  gleichsam  als  ihr  äusserer  Ausdruck,  die 
Furchung  (Taf.  II  Fig.  24.  25).  Stets  erreicht  die  Sonderung  die  Ober- 
fläche und  bildet  sich  die  Furche  zuerst  an  der  Stelle,  welche  den  zwei  Lebens- 
keimen am  nächsten  lag.  Daher  beginnen  die  Furchen  bei  den  beiden  ersten 
Theilungen  und  wohl  überhaupt  bei  den  meridionalen  der  oberen  Halbkugel 
aussen  und  oben,  bei  den  aequatorialen  und  den  Theilungen  der  unteren  Halb- 
kugel meist  innen.  Aus  der  excentrischen  Lage  des  ersten  Lebenskeims  und 
der  daraus  folgenden  Vertheilung  der  spätem  Keime  in  der  Dotterkugel  geht 
ferner  hervor,  warum  die  Dottertheilung  am  oberen  Pole  nicht  nur  am  frühsten 
und  regsten  erfolgt ,  sondern  dort  auch  viel  kleinere  Dotterstücke  erzeugt  als 
am  untern  Pole;  ich  verweise  zur  Veranschaulichung  dieser  Verhältnisse  auf 
meine  Abbildungen.  —  Ueber  die  Reihenfolge  und  die  Richtungen  der  fort- 
laufenden Theilungen  brauche  ich  mich  nicht  auszulassen  und  will  zu  dem  Be- 
kannten nur  eine  kurze  Bemerkung  hinzufügen.  Wenn  man  die  Thatsache  im 
Auge  behält,  dass  die  Theilungen  nicht  Akte  der  Dotterkugel  als  Ganzes  be- 
trachtet, sondern  der  Ausdruck  für  die  fortlaufende  Verkleinerung  der  einzelnen 
Theilstücke  sind,  so  wird  man  auf  die  Regelmässigkeit  und  den  Zusammenhang 
der  in  einen  Akt  zusammenfallenden  Spaltungen  überhaupt  kein  grosses  Ge- 
wicht legen.  Diese  Anschauung  dürfte  aber  an  Klarheit  gewinnen,  wenn  man 
weniger  auf  die  äusserlich  erscheinenden  Furchen,  als  auf  die  Spaltimgsflächen 
Rücksicht  nimmt,  deren  Richtungen  aus  senkrechten  Durchschnitten  der  Dotter- 


II.    Die  Dottertheilung.  59 

kugel  ersichtlich  werden.  In  den  drei  ersten  Akten  verlaufen  die  Theilungen 
allerdings  in  drei  senkrecht  auf  einander  stehenden  Ebenen ;  von  da  ab  jedoch, 
so  weit  sie  die  Dotteroberfläche  betreffen,  in  Flächen,  welche  für  jedes  Theil- 
stück  von  aussen  ohngefähr  zum  Durchschnittspunkte  jener  drei  ersten 
Theilungen  sich  hinziehen,  sodass  also  eine  sogenannte  Aequatorialtheilung, 
deren  äusserer  Ausdruck  eine  einzige  fortlaufende  Furche  sein  mag,  das  Ei 
auch  nicht  annähernd  in  einer  Ebene  spaltet,  sondern  eine  aus  mehren  Facetten 
unter  grösseren  oder  kleineren  Winkeln  zusammengesetzte  Fläche  bildet.  Die 
senkrechten  Durchschnitte  solcher  Spalten  müssen  daher  als  ungleiche  Radien 
eines  excentrischen  Punktes  der  Dotterkugel  erscheinen  (Taf.  II  Fig.  26). 
Weiterhin  kommen  dazu  noch  die  koncentrisch  zur  Dotteroberfläche  verlaufen- 
den Spaltungen,  bis  endlich  die  Theilung  der  kleineren  Dotterstücke  ganz 
regellos  wird.  —  Schliesslich  bemerke  ich  noch,  dass  die  Furchung  nicht  nur 
dem  äussern  Scheine  zuwider  bloss  eine  Begleiterscheinung  der  eigentlichen 
Trennung  ist,  sondern  nicht  einmal  bestehen  bleibt;  als  Einsenkung  der  Dotter- 
oberfläche und  soweit  sie  nicht  mit  der  klaffenden  Mündung  der  Trennungs- 
spalte verwechselt  wird,  ist  dieselbe  nur  von  kurzer  Dauer  (Taf.  II  Fig. 
22 — 25.)  Man  verfolge  eine  Furche,  z.  B.  die  erste,  an  Durchschnittsbildern 
bis  in  die  spätem  Theilungsstadien,  so  wird  man  finden,  dass  sie  anfangs  ganz 
flach  ist,  dann  sich  rasch  vertieft  und  verengt,  darauf  aber  ganz  beständig  sich 
zurückbildet  und  endlich  ganz  verschwindet.  An  der  relativ  dicken  Pigment- 
schicht, welche  der  Dotteroberfläche  eigen  ist,  und  deren  Fortsetzungen  ins 
Innere  stets  merklich  schwächer  sind,  lassen  sich  jene  Erscheinungen  leicht  ver- 
folgen. Wenn  die  Furchen  als  die  Ausgangsstellen  einer  von  aussen  nach  innen 
verlaufenden  Trennung  angesehen  werden,  so  ist  jene  Thatsache  nicht  recht 
verständlich. 

Ich  wende  mich  nun  zu  den  Dotterstücken  selbst.  Aeusserlich  sind  die 
späteren  kleineren  Dotterstücke  von  den  ersten  grösseren  nicht  unterschieden; 
auch  im  Innern  der  Dotterkugel  lassen  sich  zwischen  den  einzelnen  Stücken 
durch  geeignete  Erhärtungsmittel  Häutchen  darstellen,  welche  aber  gleich  dem 
bei  der  ersten  Theilung  besprochenen  nur  Kunstprodukte  sind.  Als  weiteren 
Beleg  dafür  führe  ich  noch  an,  dass  ihre  im  Verhältniss  zu  einer  Zellenhaut 
ausserordentliche  Mächtigkeit  sehr  schnell  mit  der  Grösse  der  Dotterstücke 
abnimmt  und  dass  sie  zu  der  Zeit,  wo  die  letzteren  sich  in  Embryonalzellen 
verwandeln,  nicht  mehr  nachweisbar  sind.  —  Im  Innern  der  Dotterstücke  voll- 
ziehen sich  dagegen  sowohl  in  der  Dottermasse  selbst,  als  auch  an  den  Lebens- 


60  II.    Die  Dottertheilung. 

keimen  Veränderungen ,  welche  eine  fortlaufende  allmähliche  Umbildung  und 
Entwickelung  der  Dotterstücke  offenbaren ,  die  äusserlich  durch  kein  Merkmal 
angezeigt  wird.  Ich  beginne  mit,  den  Lebenskeimen.  Den  ersten  habe  ich 
bereits  beschrieben :  er  ist  eine  äusserst  zarte ,  scheinbar  homogene  rundliche 
Masse  inmitten  einer  koncentrischen  Zone  von  feinkörniger  Substanz,  welche 
aber  weder  von  jener  ersteren  noch  von  dem  übrigen  Dotter  scharf  getrennt  ist 
(Taf.  I  Fig.  17  a).  Ich  beschrieb  gleichfalls  die  Theilung  dieses  ersten  Lebens- 
keims, so  weit  sie  sich  erforschen  liess;  seine  Hälften  entfernten  sich  von  ein- 
ander, indem  sie  durch  ein  dünnes  Mittelstück  verbunden  blieben  und  nachdem 
dieses  offenbar  zerrissen,  zogen  sie  sich  zu  selbstständigen  Kügelchen  zusammen. 
Im  Anfange  der  Theilung  mögen  diese  Hälften  auch  nach  ihrer  Masse  als  solche 
erscheinen,  aber  schon  im  Verlaufe,  der  Trennung  beginnen  sie  zu  wachsen,  so- 
dass jede  von  ihnen  nach  erlangter  Selbstständigkeit  die  Grösse  des  ersten 
Keimes  erreicht.  An  den  späteren  jüngeren  Lebenskeimen  habe  ich  aber  die 
Vermehrung  genauer  befolgen  können  als  am  ersten  fvgl.  Taf.  II  Fig.  25).  Zu- 
erst dehnt  und  streckt  sich  der  kugelige  Keim  in  einen  kurzen  Cylinder  mit 
abgerundeten  Enden  aus,  dessen  Querdurchmesser  viel  kleiner  ist,  als  der 
frühere  Durchmesser  der  Kugel,  sodass  offenbar  die  Cylindergestalt  nicht  etwa 
durch  einseitiges  Wachsthum  der  Kugel,  sondern  durch  Verschiebung  ihrer 
Masse  entstand.  Solche  Cylinder  sind  bisweilen  leicht  gekrümmt.  Darauf 
beginnen  ihre  abgerundeten  Enden  zu  wachsen  und  sich  von  einander  zu 
entfernen,  wodurch  das  kurze  Mittelstück  mehr  oder  weniger  ausgezogen  wird; 
ist  es  endlich  in  der  Mitte  durchgerissen,  so  ziehen  die  getrennten  Hälften  oder 
die  neuentstandenen  Lebenskeime  die  ihnen  zugehörigen  Zipfel  des  Mittel- 
stücks an  sich  und  werden  kugelig.  Bisweilen  verwandelt  sich  die  cylindrische 
Gestalt  zuerst  in  eine  bohnenförmige,  d.  h.  das  Wachsthum  begünstigt  nur 
mehr  eine  Seite  der  rundlichen  Enden,  bis  endlich  eine  gleichmässige  An- 
schwellung der  letzteren  eintritt.  Meist  rücken  die  neuentstandenen  Lebens- 
keime auseinander,  bevor  sie  kugelig  geworden;  hin  und  wieder  aber  erlangen 
sie  die  Kugelgestalt  an  derselben  Stelle,  wo  die  Enden  des  einfachen  Cylinders 
lagen,  und  das  noch  wenig  veränderte  Mittelstück  beweist ,  dass  ihrer  Entsteh- 
ung nicht  ein  einfaches  Auseinanderweichen  der  ursprünglichen  Masse,  sondern 
ein  mit  diesem  Vorgange  verbundenes ,  jene  Enden  bevorzugendes  Wachsthum 
zu  Grunde  liegt.  Die  Masse  aller  Lebenskeime  ist  also  in  steter  Zunahme  be- 
griffen, ohne  dass  jedoch  die  späteren  die  volle  Grösse  der  ersten  erreichen. 
Eine  andere  Vermehrung  der  Keime  als  die  Verdoppelung  habe  ich  nicht  be- 


II.    Die  Dottertheilung.  61 

obachtet-,  wenn  sie  vorkäme,  würde  sie  natürlich  einem  andern  Typus,  als  den 
ich  beschrieb,  folgen,  wesshalb  ich  auch  eine  solche  Variation  für  unwahr- 
scheinlich halte.  Eigenthümlich  verhält  sich  während  der  Theilung  der 
Lebenskeime  die  feinkörnige  Masse,  welche  ich  als  einen  Hof  jener  Keime  be- 
schrieb. Sie  leitet  jedenfalls  die  Bewegung  nach  zwei  entgegengesetzten 
Richtungen  ein;  zuerst  sammelt  sie  sich  an  zwei  gegenüberliegenden  Seiten  des 
Keimes  an  und  dann  ziehen  sich  diese  Ansammlungen  in  zwei  Zipfel  aus,  welche 
durch  den  Keim  von  einander  getrennt,  die  Richtung  der  darauffolgenden 
Streckung  desselben  angeben  (Taf.  I  Fig.  18 ,  Taf.  II  Fig.  25).  Die  fein- 
körnige Masse  theilt  sich  also  vor  dem  Lebenskeim ,  und  jede  ihrer  langgezo- 
genen Hälften  zieht  den  entsprechenden  des  Lebenskeimes  voraus ,  bis  endlich 
beide  in  ihrer  Bewegung  anhalten  und  wieder  in  der  frühern  Weise  sich  an- 
ordnen :  der  Lebenskeim  in  der  Mitte,  die  feinkörnige  Masse  ringsherum.  Aber 
der  Inhalt  der  Lebenskeime  verändert  sich  alsbald  sehr  wesentlich :  nach  der 
zweiten  Dottertheilung  erkennt  man  bei  stärkeren  Vergrösserungen,  dass  in 
der  scheinbar  homogenen  Keimsubstanz  eine  wechselnde  Anzahl  runder,  heller 
Körperchen  aufgetreten  ist  —  die  Kernkeime.  Diese  müssen  sehr  zart 
und  weich  sein,  denn  bei  den  späteren  Keimtheilungen  strecken  sie  sich 
zugleich  mit  den  Keimhälfteii;  ihre  Grösse  ist  wechselnd  von  3f*  an,  und 
offenbar  vermehren  sie  sich  noch  stärker,  als  die  Lebenskeim masse  selbst 
(Taf.  I  Fig.  17  h,  Fig.  18).  —  Es  enthalten  also  die  Dotterstücke  von  der 
zweiten  Theilung  an  1.  als  Centrum  den  Lebenskeim  mit  den  Kernkeimen, 
2.  als  die  nächste  Umgebung  desselben  und  in  ununterbrochenem  Zusammen- 
hange mit  ihm  eine  Zone  feinkörniger  Dottersubstanz,  3.  zu  äusserst  in  über- 
wiegender Menge  die  scheinbar  noch  unveränderte  Dottermasse,  Dottertäfelchen 
und  körnige  Zwischensubstanz.  Im  weiteren  Verlaufe  verändert  sich  das 
Massenverhältniss  dieser  Theile ,  indem  die  bereits  umgebildete  Dottersubstanz 
auf  Kosten  der  unveränderten  stetig  zunimmt.  Dabei  kann  man  die  Erzeugung 
von  Kernkeimen  als  das  nächste  Ziel  des  ganzen  Umbildungsprocesses ,  die 
Lebenskeime  mit  ihren  Höfen  als  die  Uebergangsstadien  zwischen  der  unver- 
änderten Dottermasse  und  den  Kernkeimen  ansehen.  Während  die  letzteren 
sich  ansehnlich  vermehren  und  dabei  die  Substanz  der  Lebenskeime  verbrauchen, 
fliessen  diese  und  ihre  Höfe  in  jedem  Dotterstücke  zu  einer  einzigen,  zartgranu- 
lirten  oder  punktirten  Masse  zusammen ,  in  deren  Mitte  die  Kernkeime  zuletzt 
als  ein  kompakter  Haufen  den  Raum  vollständig  ausfüllen ,  welchen  der  unver- 
änderte Lebenskeim  eingenommen  hätte  (Taf.  I  Fig.  17  c).     Aber  die  Kern- 


62  II.    Die  Dottertheilung. 

keimhaufen  treten  nicht  nur  räumlich  an  die  Stelle  der  Lebenskeinie ,  sondern 
übernehmen  auch  die  Funktionen  derselben ;  denn  sie  führen  den  Dottertheilungs- 
process  in  der  früheren  Weise  fort.     Besonders  deutlich  ist  dann  die  voraus- 
gehende Theilung  der  punktirten  Masse,  welche  aus  der  Verschmelzung  des 
Lebenskeims  und  seines  Hofes  hervorging  (Taf.  I  Fig.  18).     Wenn  alsdann 
im  Durchschnittsbilde  die  Kernkeimmassen  noch  an  den  relativ  breiten  hellen 
Streifen  anstossen,  welchen  die  Trennungslinie  umfasst,   so  glaubt  man  bei 
schwächeren  Vergrösserungen  ein  zusammenhängendes  helles  Kreuz  zu  sehen, 
welches  erst  bei  genauerer  Prüfung  sich  in  die  einzelnen  Bestandteile  auflöst 
und  erst  nach  dem  Beginn  der  wirklichen  Trennung  zugleich  mit  jenem  hellen 
Streifen  sich  zurückbildet  (Taf.  II  Fig.  27).     Die  Theilungen  gehen  aber 
während  der  Brombeerform  des  Dotters  bisweilen  so  rasch  vor  sich,  dass  bevor 
die  Kernkeimmassen  in  die  ihnen  vorausziehende  feinkörnige  Masse  wieder 
eingerückt  sind,  diese  letztere  sich  schon  von  neuem  in  einer  bestimmten 
Richtung,  welche  gewohnlich  rechtwinklig  von  der  vorhergehenden  abweicht, 
zu  strecken  beginnt.     Zur  selben  Zeit  konnte  ich  noch  einige  weitere  Einzel- 
heiten im  Innern  der  Dotterstücke  erkennen.      Wenn  eins  von  ihnen  eben 
vollendet  war,    so  erschien  die  feinkörnige  Masse  gegen  die  Kernkeimmasse 
hin  radiär  gestreift ;  und  ebenso  erschienen  an  Durchschnittsbildern   in  den 
hellen  Grenzstreifen,  welche  die  Trennungslinien  der  sich  theilenden  Dotter- 
stücke enthielten,  zarte  dunkle  Linien,  welche  von  der  Trennungslinie  aus 
nach  beiden  Seiten  radiär  gegen  die  Kernkeimmasse   konvergirten  (Taf.  I 
Fig.  18).   Die  beiderlei  radiären  Streifen  oder  Linien  sehen  aus  wie  die  Falten 
eines  auseinandergezogenen  Gewebes.  —  Es  ist  klar,  dass  die  Kernkeimmassen 
während  ihrer    ziemlich   raschen  Vermehrung  und  der  damit  verbundenen 
Dottertheilung  bedeutend  wachsen  müssen;  dieses  Wachsthum  geht  höchst 
wahrscheinlich  so  vor  sich ,  dass  stets  neue  Kernkeime  aus  der  formlosen  fein- 
körnigen oder  punktirten  Masse  entstehen  und  darauf  sich  an  die  schon  be- 
stehenden anlegen.    Wenigstens  habe  ich  kein  Anzeichen  für  eine  Vermehrung 
der  Kernkeime  durch  Theilung  gefunden.     Immerhin  ergibt  sich  aus  einem 
Vergleiche  der  Dotterstücke  aus  verschiedenen  Perioden  der  Dottertheilung, 
dass  die  feine  Substanz,  welche  ihrer  Zusammensetzung  nach  den  früheren 
Lebenskeimen  ohngefähr  gleich  kommt  und,  sowie  diese  nunmehr  durch  die 
Kernkeimhaufen  vertreten  werden,  das  eigentliche  Uebergangsstadium  darstellt, 
merklich  verbraucht  wird;    und  dass   ferner    die  Masse  der  unveränderten 
Dottersubstanz  ebenfalls  abnimmt,  was  wohl  nicht  anders  zu  deuten  sein  wird, 


II.    Die  Dottertheilung.  ß3 

als  dass  ein  Theil  der  Punkte,  Körner  und  Täfelchen   sich  in  feinkörnige 
Substanz  zum  Ersätze  der  verbrauchten  verwandele.     Diese  Umwandlung  be- 
ruht offenbar  auf  einer  allmählichen  Schmelzung  jener  Elemente,  welche  im 
Eierstocksfollikel  aus  den  feinsten  Punkten  heranwachsen;  diese  Annahme  wird 
dadurch  unterstützt,  dass  je  schneller  der  Verbrauch  und  der  Umbildungs- 
process  der  Substanzen  im  Centrum  der  Dotterstücke  im  weiteren  Verlaufe 
der  Dottertheilung  wird,  um  so  undeutlicher  und  breiter  die  Grenzen  zwischen 
der  peripherischen  grobgekörnten    und    der    inneren  feinen  Dottersubstanz 
werden ,  indem  die  grösseren  Elemente  nach  innen  zu  ganz  allmählich  durch 
Zwischenstufen  in  die  feinsten  Punkte  übergehen.     Dies  halte  ich  nun  im 
Vereine  mit  den  übrigen  Beobachtungen  für  einen  klaren  Beweis,  dass  die 
peripherische  Dottermasse  von    innen  heraus  umgewandelt,    dem  Centrum 
assimilirt  werde.     Diese  Umwandlung  hält  aber  nicht  durchaus  Schritt  mit 
dem  innern  Verbrauche,  denn  gegen  das  Ende  des  Dottertheilungsprocesses 
ist  von  der  feinkörnigen  Substanz  nur  noch  so  viel  zu  sehen ,  als  etwa  der  fort- 
laufende Verbrauch  des  Centrums  beträgt.     Alsdann ,  d.  h.  ohngefähr  zu  der 
Zeit,  wenn    die    äussere  Zeichnung  der  Dottertheilung  sich  der  deutlichen 
Beobachtung  mit  unbewaffnetem  Auge  zu  entziehen  beginnt ,  tritt  auch  eine 
wesentliche  Umwandlung  der  Kernkeimhaufen  ein ;  sie  verschmelzen  zu  soliden 
Körperchen,  welche  anfangs  einen  unregelmässigen  Umriss  haben  und  während 
einiger  Zeit  in  ihrem  Innern  eine  netzförmige  Zeichnung,  die  letzte  Spur  ihrer 
Zusammensetzung  aus  den  einzelnen  Kernkeimen  bewahren,  endlich  aber  scharf 
begrenzt,  rund  und  ohne  weitere  Zeichnung  fein  granulirt,  kurz  —  wirkliche 
Zellenkerne  werden  (Taf.  I  Fig.  19).     Von  da  ab  gestalten  sich  auch  die 
Verhältnisse  der  Dottertheilung  wesentlich  anders,  als  zur  Zeit,  wo  die  Lebens- 
keime oder  die  Kernkeimhaufen  die  Centren  der  Dotterstücke  bildeten.     Die 
von  gröberen  Dotterelementen  freie,  feinkörnige,  um  die  Kerne  herum  gelagerte 
Masse  ist  alsdann,  wie  schon  bemerkt  wurde,  auf  eine  so  schmale  Zone  reducirt, 
dass  ihr  Antheil  an  der  Theilung  nicht  mehr  wahrnehmbar  ist.     Die  Kerne 
können  bei  der  noch  fortdauernden  Vermehrung  nicht  mehr  durch  Apposition 
von  aussen  wachsen ,  da  sie  beständig  einen  scharfen  Kontur  besitzen  und  in 
der  Umgebung  weder  Kernkeime  noch  andere  Gebilde  neu  entstehen.     Offen- 
bar wachsen  also  die  Kerne  durch  Aufsaugung,  durch  wirkliche  Ernährung. 
Auch  sieht  man  nichts  mehr  von  einer  die  Theilung  oder  Vermehrung  einleiten- 
den Streckung  der  Kerne,  sondern  jener  Vorgang  erfolgt  in  ganz  anderer 
Weise.     An  einer  Stelle  des  Kernes  entsteht  ein  kleiner  Auswuchs ,  welcher 


64  n-    We  Dottertbeilung. 

entweder  regelmässig  halbkugelig  oder  nach  einer  Seite  unregelmässig  vorra- 
gend sich  entwickelt  (Taf.  I  Fig.  19).  Mit  der  Grössenzunahme  wächst 
auch  seine  Selbstständigkeit;  wie  er  sich  endlich  vom  Mutterkerne  trennt,  habe 
ich  nicht  gesehen,  doch  glaube  ich,  dass  diese  Ablösung  so  vor  sich  geht,  dass 
die  Ernährungsthätigkeit  sich  für  beide  Theile  absondert  und  dadurch  an  der 
Stelle  des  Zusammenhangs  ein  indifferenter,  lockerer  Zustand  erzeugt  wird, 
welcher  schon  bei  einer  geringen  Wachsthumsbewegung  des  einen  Theils  in 
Trennung  übergehen  kann.  Natürlich  lassen  sich  alle  Stadien  der  Kernver- 
mehrung nicht  an  dem  gleichen  bestimmten  Orte  verfolgen,  wie  bei  der  Theilung 
der  Lebenskeime.  Doch  halte  ich  meine  Deutung  desshalb  für  richtig,  weil 
die  unsymmetrisch  geformten  (birn-  und  kolbenförmigen)  Kerne,  welche  in  der 
Mehrzahl  vorhanden  waren,  unzweifelhaft  als  die  Vorläufer  der  bisquit-  und 
bohnenförmigen  anzusehen  sind,  da  die  kleineren  Auswüchse  der  ersteren 
kleiner  waren  als  die  gleichen  Hälften  der  letzteren.  Aus  demselben  Grunde 
halte  ich  auch  dafür,  dass  die  Vermehrung  der  Kerne  wesentlich  einem  auf 
einer  einzigen  Seite  überwiegenden  Wachsthum  entspringe,  während  bei  der 
Theilung  der  Lebenskeime  die  beiden  Enden  auswachsen.  Ich  bemerke  noch 
ganz  besonders,  dass  ich  Kerne,  welche  eine  Sonderung  in  mehr  als  zwei 
Massen  angedeutet  hätten,  nicht  beobachtet  habe,  sodass  ich  die  Möglichkeit 
solcher  Befunde,  wenn  ich  sie  auch  nicht  durchaus  läugnen  kann,  doch  für 
sehr  unwahrscheinlich  halte. 

Diese  aus  der  Dottertheilung  hervorgegangenen  und  sich  noch  immer 
weiter  theilenden  kernhaltigen  Dotterstücke  gehen  in  die  Zusammensetzung 
der  Embryonalanlagen  ein  und  sollen  alsdann  bei  veränderter  Thätigkeit  und 
Bedeutung  den  Namen  „Embryonal-  und  Dotterzellen"  führen.  Wenn  aber 
auch  die  Kernbildung  für  das  einzelne  Dotterstück  den  Uebergang  aus  dem 
einen  Zustande  in  den  anderen  andeutet,  kann  sie  doch  für  das  ganze  Ei  zu 
einer  bestimmten  Grenzscheide  zweier  Entwickelungsstufen  nicht  dienen. 
Denn  weder  fällt  mit  ihr  der  Anfang  der  eigentlichen  Embryonalbildung  zu- 
sammen, noch  erfolgt  sie  in  allen  Theilen  des  Eies  zu  gleicher  Zeit:  die  in  der 
Nähe  des  oberen  Pols  gelegenen  Dotterstücke  erreichen  ihr  Ziel  weit  früher 
als  die  tiefer  befindlichen.  Man  kann  daher  keine  bestimmte  Zeit  nennen, 
wann  die  einfache  Dottertheilung  aufhöre,  um  einer  Vermehrung  der  Embryonal- 
und  Dotterzellen  Platz  zu  machen-,  sondern  es  lässt  sich  nur  ganz  im  allge- 
meinen sagen ,  dass ,  bevor  ein  Theil  des  Dotters  in  die  Zusammensetzung  der 
ersten  Embryonalanlagen,  also  der  Keimschichten  eingeht,  der  Dottertheilungs- 


II.    Die  Dottertheilung.  G5 

process  in  ihm  zum  Abschluss  gekommen  ist  und  die  soweit  fertigen  Elemente 
einen  neuen  Abschnitt  ihrer  Entwickelung  beginnen.  Wenn  es  aber  auch  in 
der  Natur  der  organischen  Entwickelung  liegt,  dass  die  einzelnen  Processe 
vielfach  ineinander  greifen,  keiner  rein,  für  sich  allein,  sondern  schon  neben 
den  Keimen  anderer  Erscheinungen  verläuft,  so  lassen  sich  immerhin  die 
chronologischen  Abschnitte  der  Entwickelungsgeschichte  durch  das  Vorherrschen 
eines  Bildungsvorganges  bestimmen.  Mag  also  schon  während  der  ersten 
Dottertheilungen  die  Entwickelung  der  erst  später  zu  betrachtenden  Keimhöhle 
begonnen  haben  und  mögen  andererseits  auch  nach  dem  Erscheinen  der  ersten 
Embryonalzellen  in  andern  Theilen  des  Eies  noch  Dottertheilungen  fortdauern, 
so  erscheint  der  Dottertheilungsprocess  dennoch  geeignet ,  eine  erste  Periode 
der  Entwickelung  zu  kennzeichnen ,  insofern  er  das  wesentliche  Ereigniss  dar- 
stellt, welches  die  volle  Aufmerksamkeit  des  Beobachters  fesselt,  und  neben 
welchem  die  unscheinbaren  Anfange  anderer  Erscheinungen  in  den  Hintergrund 
treten.  Die  Betrachtung  dieses  Vorgangs  schliesse  ich  aber  dort,  wo  uns  sein  Wesen 
klar  vor  Augen  liegt,  er  wenigstens  in  einem  Theile  des  Eies  seinen  Zweck 
erreicht  hat,  die  Elemente  zu  bilden,  aus  denen  sich  die  Embryonalanlagen  zu- 
sammensetzen, und  nunmehr  diese  unser  Interesse  in  Anspruch  nehmen. 


Kein  Entwickelungsprocess  ist  wohl  so  geeignet,  den  Fortschritt  in  der 
Entwickelungsgeschichte  der  Batrachier  zu  bezeichnen,  wie  die  Dottertheilung. 
Bei  der  Leichtigkeit,  Batrachiereier  in  ihrer  Entwickelung  von  der  Befruchtung 
an  zu  verfolgen  und  bei  der  für  Beobachtung  und  Untersuchung  geeigneten 
Grösse  dieser  Eier  konnte  jener  Vorgang  der  Aufmerksamkeit  nicht  lange 
entgehen;  aus  der  Art  und  Weise,  wie  er  untersucht  wurde,  lässt  sich  die 
Untersuchungsmethode  bei  allen  übrigen  Vorgängen  erkennen,  aus  der  Be- 
achtung, die  er  fand,  spricht  das  geringere  oder  grössere  Bedürfhiss,  die  Be- 
obachtungen für  eine  allgemeinere  Auffassung  zu  verwerthen.  Die  ersten 
Forscher  begnügten  sich  mit  der  Beobachtung  des  unberührten  Eies,  da  die 
Neuheit  der  äussern  Erscheinung  ihre  Wissbegierde  vollständig  in  Anspruch 
nahm ;  ihre  Nachfolger  suchten  bereits  den  Zusammenhang  der  äussern  Ver- 
änderungen im  Innern  des  Eies  zu  verfolgen;  die  weitern  Kenntnisse  regten 
endlich  die  Frage  nach  der  Bedeutung  der  Vorgänge  an,  überall  aber  entwickelte 
sich  die  ganze  Lehre  von  der  Entwickelung  der  Batrachier  zugleich  mit  der 

Goette,  Entwickelungsgeschichte.  5 


66  n.    Die  Dottertheilung. 

zunehmenden  Vollkommenheit  der  Beobachtung  und  der  sich  stetig  läuternden 
Auflassung  der  Dottertheilung. 

Ich  werde  bei  der  Vergleichung  aller  einschlägigen  Untersuchungen  zuerst 
nur  die  einfachen  Beobachtungen,  in  zweiter  Reihe  erst  die  verschiedenen  Auf- 
fassungen anführen.  —  Was  nun  zuerst  das  Aeusserliche  betrifft,  so  wurden 
zwei  Typen  des  äussern,  das  Ei  überziehenden  Furchennetzes  bekannt:  nach 
Peevost  und  Dumas  sollte  es  stets  quadratische  Maschen  besitzen,  nach 
v.  Baer  und  Remak  würde  die  zierliche  Zeichnung  nur  durch  Meridian-  und 
Breitenkreise  entworfen.  Schultze  (Nr.  52  S.  7.  8)  löste  den  Widerspruch, 
indem  er  zeigte,  dass  sowohl  beide  Formen  durch  Verschiebungen  und  Gestalt- 
veränderungen der  einzelnen  Dotterstücke  in  einander  übergehen,  als  auch  von 
Anfang  an  bald  die  eine,  bald  die  andere  ausschliesslich  sich  entwickeln  könne. 
In  der  That  wäre  es  bei  den  gegenwärtigen  Kenntnissen  von  den  Ursachen  der 
Furchen  und  Theilungen  wunderbar,  wenn  die  Bewegungen  der  Centraltheile 
auch  nur  während  der  ersten  Theilungen  in  absoluter  Regelmässigkeit  vor  sich 
gingen.  —  Die  Beobachtungen  von  Peevost  und  Dumas  über  die  ersten  Ent- 
wickelnngsvorgänge  des  Eies  gehen  über  das  Bild  der  vergänglichen  Furchen 
nicht  hinaus ;  Rusconi  machte  aber  schon  einen  Fortschritt,  indem  er  nachwies, 
dass  die  Furchen  bloss  der  äussere  Ausdruck  einer  vollständigen  Theilung  des 
Dotters  seien,  und  die  Ursache  der  letzteren  in  einer  innern  Entwicklung  ver- 
muthete ,  welche  er  in  den  centralen  Höhlen  der  Dotterstücke  angedeutet  fand. 
v.  Baee  vermochte  trotz  seiner  geistvollen  Auffassungsweise  diese  Thatsachen 
nicht  zu  vermehren ;  seine  Nachfolger  dagegen  suchten  um  so  mehr  die  Einzel- 
heiten der  Theilung  und  die  Natur  der  Theilstücke  zu  erforschen,  als  nach  der 
inzwischen  erfolgten  Entdeckung  Schwanns  der  ganze  Vorgang  als  Vorläufer 
der  Embryonalentwickelung  an  Bedeutung  und  Interesse  wesentlich  gewonnen 
hatte.  —  Was  nun  den  „Furchungsprocess"  selbst  betrifft,  so  folgen  Beegmann, 
Ceamee,  Köllikee,  Remak,  Schultze  und  v.  Bambecke  im  allgemeinen  der 
schon  v.  Baee  und  Rusconi  vorgetragenen  Ansicht ,  dass  die  mit  den  Furchen 
beginnende  Einschnürung  des  Dotters  so  lange  von  aussen  nach  innen  fort- 
schreite, bis  seine  Kontinuität  in  der  Einschnürungsebene  vollständig  aufge- 
hoben sei;  Remak  schreibt  diese  Abschnürung  einer  besonderen  in  den  be- 
treffenden Dottertheil  koncentrisch  hineinwachsenden  Membran  zu,  welche 
Köllikee  und  Schultze  ganz  bestimmt  läugnen.  Ich  habe  nun  gezeigt,  dass 
diese  gegenwärtig  wohl  allgemein  verbreitete  Ansicht,  dass  der  Dotter  sich 


IL    Die  Dottertheilung.  67 

durch  Ein-  und  Abschnürung  theile*,  eine  irrige  sei;  die  Furchen  zeigen  nur 
an,  dass  das  Theiluugsbestreben  von  innen  bis  an  die  Oberfläche  gedrungen  ist, 
entstehen,  wie  sich  weiterhin  ergeben  wird ,  dadurch,  dass  die  zähe  Dotter- 
substanz der  wirklichen  Trennung  anfangs  widersteht  und  vergehen  wieder, 
sobald  die  letztere  wirklich  eingetreten  ist.  Insofern  sind  die  Furchen  aller- 
dings vergängliche  Erscheinungen  und  nicht  die  Ausgangsstellen  der  Dotter- 
theilung**. Ich  brauche  aber  kaum  hinzuzufügen,  dass  die  damit  ausge- 
sprochene Uebereinstimmung  mit  den  ähnlichen  negativen  Resultaten  von 
Reicheet  und  Vogt  meine  Darstellung  der  thatsächlichen  Verhältnisse  der- 
jenigen dieser  Forscher  dennoch  um  nichts  näher  bringt.  Reichert's  irrige 
Auffassung  habe  ich  bereits  kurz  gekennzeichnet;  sie  entsprang,  wenigstens  für 
das  Batrachierei,  nicht  so  sehr  eingehenden,  zusammenhängenden  Beobach- 
tungen, als  einem  Ueberwiegen  der  Reflexion,  welche  die  einzelnen  Erscheinungen 
zu  einem  Gesammtbilde  gleichsam  zusammensuchte.  Vogt  endlich  geht  auf 
den  Standpunkt  von  Prevost  und  Dumas  zurück,  nur  dass  er  die  Dotter- 
theilung, welche  Jene  gar  nicht  kannten,  überhaupt  in  Abrede  stellt,  —  Grösser 
als  bei  der  Erforschung  der  Dottertheilung  selbst  war  die  Ausbeute  meiner 
Vorgänger  in  der  Untersuchung  der  innern  Zustände  des  Dotters  während 
jener  Entwickehmg.  Bergmann  entdeckte,  wie  es  scheint  ohne  Kenntniss  der 
RuscoNi'schen  Beobachtung  über  die  innern  Höhlen  der  Dotterstücke,  an 
letzteren  helle  Flecke,  welche  er  als  den  Ausdruck  zellenkernartiger  Gebilde 
nachweisen  konnte.  Diese  Körperchen  erklärte  er  nach  dem  Vorgange  Vogt's 
für  die  im  befruchteten  Eie  zerstreuten  Keimflecke,  welche  während  der 
Dottertheilung  allmählich  in  den  Dotterstücken  vertheilt  würden.  Daneben 
erwähnte  er  übrigens  auch  die  Möglichkeit ,  dass  jene  Kerne  der  Dotterstücke 
durch  fortgesetzte  Theilung  aus  einem  einzigen  hervorgingen.  Diese  letztere 
Auffassung,  welche  zuerst  durch  Untersuchungen  über  die  Dottertheilung  in 
Eiern  niederer  Thiere***  hervorgerufen  war,  machte  Köhliker  auch  für  die 
Batrachiereier  geltend,  da  er  in  denselben  eine  Kernvermehrung  durch  eine 
, endogene"  Bildung  je  zweier  Kerne  in  einem  vorherbestandenen  zu  beobachten 
glaubte.     Ein  besonderes  Verdienst  Kölliker's  sehe  ich  aber  darin ,  dass  er 


*  Vgl.  Kölliker,  Handbuch  der  Gewebelehre  des  Menschen  5.  Auflage  1867 
Seite  26.  27. 

**  Desshalb  muss  ich  auch  die  Ausdrücke  „Furchungsprocess ,  Furchungskugeln  oder 
-zellen"  u.  s.  w.  für  die  Dottertheilung .  Dotterstücke  u.  s.  w.  als  durchaus  unpassende 
aufgeben. 

Vgl.  Bagge,  Dissertatio  inauguralis  de  evolutione  strongyli  auricularis  1841. 

5* 


'S*- 

"  8* 


68  II.    Die  Dottertheilung. 

diese  Vermehrung  seiner  Kerne  zur  Erklärung  der  Dottertheilung  heranzog. 
Daraus,  dass  die  erstere  der  Dottertheilung  vorausgehe,  und  jedes  neuentstan- 
dene Dotterstück  je  einen  Kern  enthalte,  schloss  er  auf  einen  kausalen  Zu- 
sammenhang beider  Vorgänge,  sodass  jeder  neugebildete  Kern  die  Absonderung 
der  ihn  umgebenden  Dottermasse  von  den  Wirkungskreisen  der  andern  Kerne 
bestimmte.  —  Da  Reicheet  und  Vogt  von  einer  Dottertheilung  überhaupt 
nichts  wissen  wollen,  so  passen  auch  ihre  Mittheilungen  über  die  innern  Ver- 
änderungen des  Dotters  vor  dem  Auftreten  der  Embryonalanlage  nicht  recht  in 
die  Entwicklungsgeschichte  der  in  Rede  stehenden  Lehre ;  ich  verweise  daher 
auf  die  im  Anfange  dieses  Abschnitts  gegebene  Uebersicht  jener  Mittheilungen. 
Wenn  Ceamer  es  Jedem,  der  mit  der  betreffenden  Literatur  vertraut  ist,  zu 
beurtheilen  überlässt,  worin  seine  Darstellung  von  derjenigen  seiner  Vorgänger 
abweiche  (Nr.  34  S.  34),  so  muss  ich  mich  dahin  aussprechen,  dass  er,  abge- 
sehen von  der  Deutung  des  Beobachteten ,  nichts  vorbrachte ,  was  nicht  schon 
von  Bergmann,  Reichert  und  Vogt  mitgetheilt  worden  war,  dagegen 
Kölliker's  Arbeiten  gar  nicht  kannte.  Remak  gelang  es,  die  Theilung  der  in 
den  Dotterstücken  enthaltenen  hellen  Flecke,  nach  seiner  Ansicht  also  der 
Kerne,  thatsächlich  selbst  am  lebenden  Eie  und  zwar,  wie  es  schon  Kölliker 
behauptete,  als  eine  beständig  der  Dottertheilung  vorausgehende  Erscheinung 
zu  beobachten;  über  den  Kausalzusammenhang  beider  Erscheinungen  sprach 
er  sich  nicht  aus.  Gleich  Kölliker  machte  Remak  seine  Beobachtungen  zu- 
nächst an  den  kleinen  Dotterstücken,  und  es  galt  nun,  die  schwierige  Frage, 
welche  auch  Kölliker  mit  Stillschweigen  übergangen,  nämlich  die  nach  dem 
Ursprünge  der  frühern  Kerne  zu  lösen.  Remak  leitet  alle  Kerne  von  einer 
weiten  Höhle  ab,  welche  durch  Theilung  nach  dem  bekannten  Schema  in  immer 
kleinere  übergehe ;  diese  bekämen  endlich  eine  Membran  und  würden  dadurch 
zu  den  bekannten  Kernen.  Jene  erste  Höhle ,  welche  von  einer  grauen  Masse 
umgeben  sei ,  hält  Remak  für  den  frühern  Aufenthaltsort  des  Keimbläschens, 
welchen  schon  v.  Baer  irrthümlicherweise  nebst  einem  davon  ausgehenden  und 
am  obern  Pole  ausmündenden  Kanäle  im  befruchteten  Eie  bestehen  liess. 
Wenn  ich  die  Masse  von  der  Höhle  des  Keimbläschens  (bis  500  p  breit)  und 
von  meinem  ersten  Lebenskeim  (30  fi  breit)  vergleiche,  wenn  ich  jene  Höhle 
bereits  im  Eierstocke  verschwinden,  den  Lebenskeim  aber  erst  einige  Zeit  nach 
der  Befruchtung  als  solide  Masse  erscheinen  sehe ;  kurz  —  wenn  ich  alle  meine 
Beobachtungen  mit  denen  Remak's  vergleiche,  so  darf  ich  wohl  behaupten,  dass 
er  sich  arg  getäuscht  und  weder  die  ersten  Lebenskeime,  noch  ihren  Uebergang 


II.    Die  Dottertkeiluag.  69 

in  die  spätem  gesehen  habe.  Wenn  ich  aber  einem  Forscher  den  Vorwurf  mache, 
dass  er  Höhlen,  welche  dem  blossen  Auge  sichtbar  sein  müssten,  an  Stellen  be- 
schreibt, wo  sich  nur  eine  solide  Masse  befindet,  so  glaube  ich  die  Pflicht  zu 
haben ,  Alles ,  was  zur  Erklärung  eines  so  auffallenden  Irrthums  dienen  kann, 
mitzutheilen.    Spaltet  man,  sowie  es  Remak  offenbar  that,  die  gehärteten  Eier 
und  betrachtet  die  Hälften  oder  kleinern  Theile  bei  J5— 20facher  Vergrösse- 
rung  und  auffallendem  Lichte  (vgl.  Nr.  40  S.  XXVIII.  XXIX) ,  so  lassen  sich 
allerdings  so  zarte  Gebilde ,  wie  die  ersten  Lebenskeime ,  nicht  erkennen,  aber 
man  kann  an  ihrer  Stelle  unter  Umständen  scheinbar  regelmässige  und  doch 
durch  die  Präparation  hervorgebrachte  weite  Höhlen  sehen.    Ich  habe  bereits 
darauf  hingewiesen,  wie  der  von  mir  sogenannte  Dotterkern  an  erhärteten  Eiern 
leicht  herausfällt ;   er  hat  auch  ziemlich  genau  die  Grösse  von  der  Höhle  des 
Keimbläschens  und  liegt  bald  im  Centrum ,  bald  in  der  Nähe  desselben  oder 
endlich  unter  dem  oberen  Pole,  was  durchaus  damit  übereinstimmt,  was  Remak 
von  der  ersten  Kernhöhle  aussagt  (Nr.  40  S.  137).    Während  der  ersten  Thei- 
lungen  der  Lebenskeime  sind  dielben  von  grösseren  Höfen  feinkörniger  heller 
Masse  umgeben  als  später;  indem  diese  Höfe  bei  der  Präparation  sich  von  der 
übrigen  Dottermasse  ablösen  und  entweder  ebenso  wie  der  Dotterkern  mit  den 
eingeschlossenen  Keimen  herausfallen  oder  geschrumpft  zur  Seite  gedrängt  wer- 
den, lassen  sie  einfache  oder  doppelte  aber  kleinere  Höhlen  als  die  erste  zurück, 
was  wiederum  durchaus  der  Beschreibung  Remak'  s  entspricht  (Tafel  II  Flg. 
26.  27).  Endlich  verweise  ich  auch  noch  auf  die  von  mir  beschriebenen  dunklen 
Ringe,  welche  an  Durchschnitten  die  Lebenskeime  und  ihre  Höfe  umkreisen  und 
nach  Remak  unmittelbar  die  Höhlen  begrenzen  sollen  (Kernmasse — Remak).  Nach 
diesen  Vergleichen  scheint  es  mir  unzweifelhaft,  dass  Remak  jene  künstlichen 
Höhlen  für  den  Ursprung  der  Kerne  gehalten  hat.  Jedenfalls  sah  er  die  Lebens- 
keime nicht,  und  ich  kann  noch  hinzufügen,  dass  er  die  centralen  Gebilde  der 
Dotterstücke  auch  in  den  späteren  Stadien  falsch  gedeutet  hat.  Die  helle  Flecke, 
welche  man  am  unversehrten  oder  am  aufgebrochenen  gehärteten  Eie  sieht, 
entsprechen  nicht  den  Lebenskeimen  oder  den  sie  später  vertretenden  Kern- 
keimen allein,   sondern  diesen  sammt  der   feinkörnigen  hellen  Umgebung-, 
Remak  kennt  diese  Höfe  nicht,  giebt  aber  die  Grösse  seiner  Flecke  oder  Kerne 
auf  Vso  Linien=28;x  und  darüber  an  (Nr.  40  S.  138),  während  meine  Messungen 
dieselbe  Grösse  für  die  Höfe,  für  die  Kernkeimmassen  aber  höchstens  1 8t/.  ergeben. 
Dagegen  nimmt  er  später  (auf  der  achten  Furchungsstufe)  in  seinen  Kernen 
je  1  oder  2  Kernkörperchen  wahr,  zu  einer  Zeit,  wo  die  losen  oder  schon  kom- 


70  II.    Die  Dottertkeilung. 

pakten  Massen  der  Kernkeime  die  Stelle  der  Lebenskeime  einnehmen.  Meiner 
Ansicht  nach  hat  also  Remak  die  sich  entwickelnden  Kerne  erst  ziemlich  spät 
(auf  der  achten  Stufe)  zu  Gesicht  bekommen  und  für  Kernkörperchen,  dagegen 
die  hellen  um  dieselben  gelegenen  Höfe  für  die  eigentlichen  Kerne  gehalten. 
Erst  in  jenen  Stadien  der  Dottertheilung,  wo  die  Höfe  verschwinden,  konnte 
Remak  die  Kernkeimmassen  als  unmittelbare  Vorläufer  der  späteren  Zellen- 
kerne erkennen;  er  beschreibt  diese  Massen  als  Bläschen,  welche  mit  einigen 
oder  mehren  Körperchen  angefüllt  waren.  Da  dieser,  wie  aus  meiner  Beschrei- 
bung hervorgeht,  einigermaassen  richtige  Befund  in  Remak's  vorher  erworbene 
Ansicht  von  den  Kernen  nicht  hineinpasste,  so  erklärte  er  ihn  folgendermassen. 
Die  Kerne  seien  in  mehrfacher  Theilung  durch  die  einschnürende  Membran  be- 
griffen gewesen ,  aber  durch  die  angewandten  Mittel  die  letztere  aus  den  Fur- 
chen oder  Spalten  ^herausgezogen  worden ;  so  entstehe  das  Bild  der  in  einen 
gemeinsamen  Raum  eingeschlossenen  kleinen  Körperchen  (Nr.  40  S.  138.  139). 
Noch  hat  aber  niemand  ein  kleines  Dotterstück  —  denn  um  solche  kann  es  sich 
nur  handeln  —  mit  sechs  und  mehr  auseinandergetretenen  Kernen  oder  gar  in 
der  beginnenden  Theilung  in  sechs  und  mehr  Stücke  gesehen.  Jene  Annahme 
Remak's  hat  also  durchaus  keinen  Boden ;  was  er  für  die  Theilstücke  des  Kernes 
genommen,  sind  nur  die  von  mir  beschriebenen  noch  unverschmolzenen  Kern- 
keime. So  kann  ich  denn  meine  Kritik  der  Beobachtungen  dieses  Forschers  über 
die  Kerne  während  der  Dottertheilung  damit  schliessen ,  dass  er  die  einzigen 
kernartigen  Theile  der  Dotterstücke,  nämlich  zuerst  die  Lebenskeime,  später 
die  Haufen  von  Kernkeimen  nirgends  als  solche  erkannte,  und  erst  gegen  das 
Ende  jenes  Vorgangs  die  Massen  der  Kernkeime  wahrnahm,  aber  auch  dort 
in  Rücksicht  auf  seine  irrigen  Voraussetzungen  das  ganz  naturgemässe  Detail 
für  ein  Kunstprodukt  erklären  musste.  —  Es  liegt  nun  durchaus  kein  Grund 
zur  Annahme  vor,  dass  die  Vorgänger  Remak's:  Bergmann,  Kölliker,  Cramer 
in  ihren  viel  beschränkteren  Untersuchungen  glücklicher  gewesen  wären ,  als 
jener  Forscher:  für  sie  alle  sind  die  äusserlich  durchscheinenden  Flecke  das 
Bild  wirklicher  Kerne,  deren  Ursprung  sie  nicht  kennen  und  welche  sie  irrthüm- 
licherweise  einfach  in  die  Zellenkerne  übergehen  lassen.  Namentlich  hatte 
Kölliker  in  Missdeutung  und  Verwechselung  der  Lebens-  und  Kernkeime  schon 
vor  Remak  die  endogene  Vermehrung  der  Kerne  und  Kernkörperchen  der„Fur- 
chungskugeln"  gelehrt.  Und  seit  Remak's  Zeit  hat  sich  in  der  Sache  nichts  ge- 
ändert. Ich  brauche  nur  auf  die  schon  citirte  Stelle  aus  Kölliker's  Entwicke- 
lungsgeschichte  zu  verweisen ,  um  klar  zu  stellen ,  dass  seine  gleichfalls  ange- 


IL    Die  Dottertkeilung.  71 

führte  Darstellung  der  Dottertheilung  nur  eine  schematische  Aufzeichnung  ist, 
welche  für  die  Wirbelthiere  nur  den  analogen,  aber  auch  noch  nicht  genügend 
erforschten  Vorgängen  in  den  Eiern  niederer  Thiere  entnommen  ist.  —  Doch 
darf  ich  v.  Bambecke  nicht  unerwähnt  lassen ,  da  er  der  einzige  Forscher  ist, 
welcher  vor  mir  einen  ersten  Kern  im  befruchteten  Batrachierei  gesehen  haben 
will.  Wenn  man  aber  überlegt,  dass  er  denselben  mit  der  Höhle  des  Keimbläs- 
chens vergleicht  (Nr.  63  S.  21)  und  neuerdings  ihm  jeden  Antheil  an  der  Dotter- 
theilung abspricht,  weil  er  ausserhalb,  zur  Seite  der  Furchungsebene  liege 
(Nr.  71  S.  64),  endlich  die  Möglichkeit  erwähnt,  die  eigentlichen  nuclei  der 
Dotterstücke  von  ganz  anderen  Bildungen  abzuleiten  (Nr.  71  S.  70),  so  darf 
ich  annehmen,  dass  die  von  v.  Bambecke  beschriebenen  hellen  Kerne  allenfalls 
meinem  Dotterkerne ,  aber  durchaus  nicht  meinem  ersten  Lebenskeime  ent- 
sprechen. • 
Ich  schliesse  nun  die  Vergleichung  der  von  meinen  Vorgängern  und  von 
mir  über  die  Dottertheilung  mitgetheilten  Beobachtungen  und  wende  mich  zu 
den  allgemeineren  Betrachtungen,  welche  jene  merkwürdige  Erscheinung  her- 
vorrief. —  Alle  Embryologen  von  Rusconi  an  (mit  Ausnahme  von  Reichert) 
stimmen  darin  überein ,  dass  die  letzten  Produkte  der  Dottertheilung  die  Ele- 
mentartheile  für  den  künftigen  Organismus,  dessen  Organe  und  Gewebe  seien ; 
seit  Schwann  in  jenen  Elementen  Zellen  kennen  lehrte,  entstand  aber  die  wei- 
tere Frage,  wann  und  wodurch  die  Dottertheile  den  Zellencharakter  erlangen. 
Es  ist  natürlich,  dass  gleich  nach  dem  Bekanntwerden  der  ScHWANN'schen 
Theorie,  welche  in  der  Bildungsgeschichte  der  Zellen  die  formale  Arbeit,  die 
Herstellung  der  für  integrirend  gehaltenen  Formenbestandtheile  einer  Zelle  be- 
tonte, auch  die  Dottertheilung  von  demselben  Gesichtspunkte  aus  beurtheilt 
wurde.  Bergmann,  Vogt*  und  Cramer  sehen  daher  die  Bedeutung  der  letz- 
teren darin,  dass  die  gleich  anfangs  für  eine  grosse  Anzahl  von  Zellen  fertig 
gegebenen  Bestandteile,  nämlich  die  Dotterkugel  und  die  Kerne**  oder  Keim- 


*  Vogt  kann  man  immerhin  neben  Bergmann  und  Cramer  stellen,  wenn  man  an- 
nimmt, dass  er  die  spätere  Fortsetzung  der  Dottertheilung  übersehen  hat;  wie  denn  auch 
schon  Bergmann  ausspricht ,  dass  „Vogts  Dotterzellenbildung  durchaus  nichts  als  eine 
Spaltung  mit  Verdichtung  der  Grenzflächen  ist"  (Nr  27  S.  99).  Reichert  dagegen  kann  ich 
hier  nicht  wohl  berücksichtigen ;  denn  nach  seiner  Ansicht  entstehen  die  bleibenden  Embryo- 
nalzellen erst  nachdem  der  Furchungsprocess,  der  nur  momentan  bestehende  Zellen  erzeuge, 
sein  Ende  gefunden. 

**  Wenn  auch  Bergmann  die  Identität  der  hellen  Körper  in  den  Dotterstücken  und  der 
Kerne  in  den  Embryonalzellen  anfangs  bezweifelte,  so  gab  er  sie  doch  später  im  wesentlichen 
zu,  nachdem  er  erkannt  zu  haben  glaubte,  dass  jene  Körper  die  Rolle  von  Zellenkernen  spielten. 


72  II-    Die  Dottertheilung. 

flecke  auf  eine  wunderbare  Weise  so  vertheilt  und  angeordnet  würden ,  dass 
endlich  jeder  Kern  in  eine  besondere  Dotterportion  gelange.  So  äussert 
Bergmann:  „So  möchten  also  die  Keimflecke,  wo  sie  mehrfach  vorhanden  sind, 
nach  der  Befruchtung  die  Metamorphose  des  Dotters  einleiten,  indem  sie  sich 
darin  verbreiten,  die  Spaltung  bewirken,  welche  fortschreitend  in  deutlicher  Zellen- 
bildung endigt.  Die  erst  entstandenen  Theile  müssen  mehrere  Kerne  enthalten, 
die  späteren  immer  weniger,  zuletzt  müssen  Kerne  nachgebildet  werden."  (Nr.  27. 
S.  94).  Wie  nun  Bergmann  jene  hypothetische  Wirkung  sich  vorstellt,  wie  die 
zahlreichen  im  Dotter  regellos  zerstreuten  Kerne  eine  fortlaufende  Halbirung  der 
ganzen  Masse  hervorrufen  sollen,  sodass  zuletzt  jedes  Stück  richtig  seinen  eige- 
nen Kern  hat ,  bleibt  durchaus  räthselhaft.  Wenn  die  Kerne  die  Fähigkeit  be- 
sässen,  die  sie  umgebende  Masse  zu  einer  Zelle  zu  gruppiren,  zusammenzuziehen 
(„Bildung  um  ein  Vorhandenes,  welches  dadurch  Zelleninhalt  wird"),  so  müsste 
der  Dotter  von  Anfang  an  in  einkernige  Stücke  zerfallen.  —  Dieser  Schwierig- 
keit der  Vorstellung  glauben  Vogt  und  Cramer  durch  eine  scheinbar  unbe- 
fangenere Anschauung  zu  entgehen.  Nach  Vogt  erwirbt  der  Dotter  nach  vor- 
ausgegangener Furchung  die  Eigenschaft,  Bläschen ,  eben  die  Zellen,  zu  bilden, 
welche  bei  ihrer  Entstehung  einen  oder  einige  von  den  zerstreuten  Keimflecken 
einschliessen  können ;  ist  dies  zufälligerweise  nicht  geschehen,  so  wird  ein  Kern 
nachgebildet.  Cramer  lässt  die  Dotterkugel  nach  der  Befruchtung  eine  eigene 
Membran  bilden  und  dadurch  zu  einer  Zelle  werden ,  welche  die  Bestandteile 
zu  Hunderten  von  anderen  Zellen  in  sich  beherbergt  und  eigentlich  nur  daraus 
besteht.  Die  wohlgeordnete  Vertheilung  dieses  Inhalts  in  eine  Menge  gleich- 
artiger Zellen  mit  je  einem  Kerne  überlässt  Cramer  dem  als  Thatsache  aller- 
dings feststehenden  Process  der  Dotterzerklüftung.  Scheinbar  also  halten  sich 
Vogt  und  Cramer  nur  an  Thatsachen,  ohne  zu  deren  Erklärung  sich  in  Hypo- 
thesen zu  verlieren;  sie  geben  scheinbar  nur  das  Beobachtete  wieder,  wobei  der 
eventuelle  Irrthum  den  Anspruch  einer  objektiven  Forschung  nicht  beeinträch- 
tigen sollte.  Dies  beruht  aber  auf  einer  Täuschung.  Denn  die  Beobachtungen  in 
der  Entwicklungsgeschichte  verhalten  sich  wesentlich  anders ,  als  in  den  ana- 
tomischen Disciplinen.  In  der  Entwicklungsgeschichte  gilt  die  einzelne  Wahr- 
nehmung an  sich  gar  nichts,  sondern  nur  als  Glied  im  ununterbrochenen  Kausal- 
zusammenhange des  Vorhergehenden  und  Nachfolgenden;  jedes  Resultat  ist 
dort  eine  Kombination  von  Wahrnehmungen,  und  an  die  unkritische  Zusammen- 
stellung unsicherer  Thatsachen  ist  unter  allen  Umständen  die  Hypothese  ihres 
Zusammenhanges  geknüpft,  sodass  ein  solches  Verfahren  um  nichts  entschuld- 


IL    Die  Dottertheilung.  73 

barer  ist,  als  ein  ungenügend,  auf  blosse  Voraussetzungen  gegründeter  Schluss. 
Wenn  z.  B.  Beegmann  sich  dieses  letzteren  Fehlers  schuldig  machte,  indem  er 
die  Dottertheilung  von  den  zerstreuten  Keimflecken  abhängen  lässt,  ohne  dass 
irgend  ein  Zeichen  dafür  spräche,  so  ist  die  Beobachtungsweise  Vogts  nicht 
exakter,  welcher  die  im  Fluge*  gesammelten  Beobachtungen,  wenn  sie  einander 
und  andern  Erfahrungen  noch  so  sehr  widersprachen,  gar  nicht  in  Zusammen- 
hang zu  bringen  sucht,  sondern  ohne  nähere  Prüfung  als  Thatsachen  hinstellt, 
für  deren  Erklärung  die  Natur  verantwortlich  gemacht  wird.  —  Einen  wesent- 
lichen Fortschritt  in  der  Deutung  der  Dottertheilung  bekunden  die  Darstellungen 
Remak's,  Köllikee's  und  Schttltze's,  besonders  da  sie  sich  auf  bessere  Beob- 
achtungen stützen.  Mochte  ihre  Anschauung  auch  im  wichtigeren  Theile  sich 
bloss  auf  Analogien  stützen ,  im  Einzelnen  ungenau  sein ,  so  konnte  doch  mit 
Recht  als  Thatsache  hingestellt  werden,  dass  die  Theilungen  des  Dotters  von 
den  vorausgehenden  Theilungen  der  einzelnen  Kerne,  wofür  die  centralen  Ge- 
bilde gehalten  wurden,  abhängig  seien.  Aber  bei  der  weiteren  Beurtheilung 
traten  die  Folgen  der  Ungenauigkeiten  und  Lücken  der  Untersuchung  zu  Tage: 
es  wird  schematisirt,  die  ersten  Theilstücke  des  Dotters  werden  qualitativ  den 
letzten,  den  Embryonalzellen  gleichgestellt ,  und  der  ganze  Process ,  gleichsam 
alles  Wunderbaren  entkleidet,  erscheint  zuletzt  als  eine  einfache  Zellenvermeh- 
rung durch  fortschreitende  Theilung  (Nr.  48.  S.  30.  Nr.  52.  S.  9).  Dass  die 
Dotterkugel  vor  dem  Erscheinen  der  ersten  Furche  eine  Zelle  sein  muss ,  ist 
unter  solchen  Umständen  selbstverständlich;  dies  konnte  aber  um  so  weniger 
befremden,  als  das  Ei  schon  ohnehin  für  eine  Zelle  galt,  und  dass  ihr  erster 
Kern,  das  Keimbläschen,  einem  andern  Platz  machte,  wurde,  wie  es  scheint, 
als  eine  untergeordnete  Thatsache  hingenommen**.  Die  Irrthümer  dieser  An- 
schauung mögen  vielleicht  an  sich,  d.  h.  insofern  für  Zellen  erklärt  wird,  was 


*  Vgl.  Nr.  26  S.  VII. 

**  Haeckel  meint:  „Wenn  die  von  den  meisten  Embryologen  noch  gegenwärtig  be- 
haupten Thatsache  wirklich  richtig  ist,  dass  in  dem  ersten  Entwickelungsstadium  des  thie- 
rischen  Eies  gewohnlich  das  Keimbläschen  oder  der  Eikern  nicht  unmittelbar  in  die  beiden 
Kerne  der  zwei  ersten  Furchungskugeln  sich  spaltet ,  sondern  vielmehr  in  dem  Plasma  (Dot- 
ter) der  Eizelle  sich  vorher  auflöst,  so  wird  diese  letztere  dadurch  zur  Cytode ,  und  wenn  sie 
durch  Neubildung  eines  neuen  Kernes  im  Plasma  wiederum  zur  Zelle  wird ,  so  müssen  wir 
diesen  Vorgang  zweifelsohne  als  eine  „Entstehung  einer  Zelle  aus  einer  Cytode  durch  Diffe- 
renzirung  von  Plasma  und  Kern"  ansehen"  (Nr.  100  Bd.  IL  S.  116. 117j.  Und  neuerdings  will 
derselbe  Schriftsteller  diesen  seiner  Ansicht  nach  noch  immer  unerwiesenen  Vorgang ,  wenn 
er  sich  bestätigen  sollte ,  als  „Rückschlag  der  kernhaltigen  Eizelle  in  das  kernlose  Cytoden- 
stadium  eines  einfachen  Moneres  deuten"  (Nr.  101  S.  144).  Zu  solch  unerhörten,  alle  Erfah- 
rung über  den  Haufen  werf  enden  Behauptungen  kann  die  Neigung  zum  Schematisiren  führen 


74  II.    Die  Dottertheilung. 

diese  Bezeichnung  nicht  verdient,  nicht  grösser  und  nicht  schlimmer  erscheinen 
als  andere,  die  gelegentlich  bemerkt  und  zurechtgestellt  werden;  ja  es  ist  mög- 
lich, dass  ich;  meine  Vorgänger  kritisirend,  meinen  Nachfolgern  die  Gelegenheit 
zu  ähnlichen  Ausstellungen  biete.  Aber  wichtig  erscheint  jene  irrthüraliche  An- 
schauung in  ihren  Folgen ;  sie  gab  den  Anstoss  zu  einer  Reform  der  früheren 
Zellentheorie  und  ist  noch  heutigen  Tages  die  Grundlage  für  die  Lehre  von  der 
Neubildung  und  Fortpflanzung  der  Zelle ,  welche  in  der  Zellentheilung  zusam- 
menfallen sollen.  Diese  Rücksicht  verlangte  sowohl  die  genaueste  Nachunter- 
suchung über  den  „Furchungsprocess"  als  auch  eine  eingehende  Kritik  der  Deu- 
tungen desselben.  Ich  komme  hierbei  zunächst  auf  einen  Punkt  zu  sprechen, 
den  ich  bei  meiner  Definition  der  Zelle  im  vorigen  Abschnitte  ganz  überging 
und  weiterhin  nur  angedeutet  habe.  Ich  meine  die  Art  und  Weise,  wie  die  Zelle 
und  ihr  Leben  von  den  Anatomen  und  Physiologen  betrachtet  wurde. 

Wie  es  vor  Schwann's  wichtigen  Entdeckungen  um  die  Histiologie  aussah, 
ist  bekannt,  (vgl.  Henle  allgemeine  Anatomie,  S.  121  und  flg.).  Anfangs  suchte 
man  die  Einheit,  welche  das  Gewirr  der  so  sehr  verschieden  erscheinenden 
Gewebstheile  zusammenfasste,  nur  in  atomistischen  Theorien.  Aber  je  weniger 
Zusammenhang  dieselben  mit  der  Erfahrung  hatten ,  desto  mehr  wandte  sich 
die  exakt  sein  wollende  Forschung  von  ihnen  ab  und  verlangte  Auskunft  nur 
von  der  greifbaren  Erscheinung.  So  sammelten  sich  denn  die  einzelnen  Er- 
fahrungen über  thierische  Zellen  an ,  bis  es  Schwann  gelang ,  dieselben  als  die 
Grundlage  aller  Gewebe,  als  die  eigentlichen  Formelemente  des  ganzen  Organis- 
mus nachzuweisen.  Nun  konnte  die  Empirie  triumphiren,  sie  stand  ganz  auf 
eigenen  Füssen,  in  einfachster  Weise  lösten  sich  die  früheren  Räthsel,  indem  die 
ganze  Mannigfaltigkeit  der  Erscheinungen  und  Wirkungen  im  Organismus  sich 
zurückführen  liess  auf  die  grosse  Bildsamkeit  eines  höchst  einfachen  Elements, 
der  Zelle.  Die  ganze  ungeheure  Arbeit,  welche  bis  zum  heutigen  Tage  sich  an 
die  Entdeckung  Schwann's  knüpft ,  hat  im  Grunde  nur  das  eine  Ziel  gehabt, 
die  von  jenem  Forscher  entworfene  Skizze  weiter  auszuführen,  die  Form  -  und 
Lebenseinheit  des  Ganzen  in  einer  solchen  scheinbar  leicht  fassbaren  Einheit 
der  Theile  zu  finden.  Aber  sowie  bei  der  Betrachtung  der  mannigfaltigen  For- 
men und  Wirkungen ,  welche  in  dem  Organismus  zu  einem  harmonischen  Gan- 
zen verbunden  erschienen,  sich  die  Forderung  herausstellte,  ein  einfachstes  Ele- 
ment zu  finden ,  so  knüpfte  sich  an  die  Auflösung  dieser  Frage  die  weitere,  wie 
finden  sich  diese  zahllosen  gleichartigen  Elemente  zusammen ,  worin  liegt  die 
Erklärung  für  ihr  gemeinsames  Wirken  ?  —  Ich  brauche  die  Antwort  kaum  an- 


II.    Die  Dottertheilung.  75 

zudeuten;  sie  war  in  der  bezeichneten  Entwicklung  der  Wissenschaft  gleichsam 
schon  vorgeschrieben.  Was  im  einzelnen  Theile  galt,  musste  sich  auch  ,für  das 
Ganze  bestätigen,  der  Organismus  musste  aus  einem  greifbar  Einfachsten,  aus 
einer  Zelle  hervorgehen.  Schwann  hatte  schon  die  Vermuthung  ausgesprochen, 
dass  das  Ei  eine  Zelle  sei ,  und  damit  auf  die  Kontinuität  der  organischen  For- 
men, des  organischen  Lebens  hingewiesen.  Aber  er  war  zu  unbefangen,  um  in 
der  Theorie,  welche  von  ihm  erst  ausging,  schon  Meister  zu  sein;  es  fiel  ihm 
nicht  ein,  jene  Kontinuität,  welche  er  im  grossen,  für  den  ganzen  Organismus 
anzunehmen  geneigt  war,  auch  für  die  Elemente  des  letzteren  zu  fordern ;  seine 
Zellen  entwickelten  sich  selbstständig  aus  formlosen,  homogenen  Grundsub- 
stanzen. Diese  Ansicht  entsprach  aber  durchaus  nicht  der  Richtung,  in  welcher 
sich  die  Wissenschaft  fortbewegte ;  sie  musste  aufgegeben  werden,  und  ich  wage 
es  auszusprechen,  dass,  wenn  Remak,  Vikchow  und  Kölliker  die  genannte 
Kontinuität  auch  für  die  einzelnen  Zellen  nachzuweisen  nicht  versucht  hätten, 
ganz  gewiss  Andere  sich  dieser  Arbeit  unterzogen  haben  würden.  Denn  es  wäre 
thöricht,  läugnen  zu  wollen,  dass  auch  die  sogenannten  exakten  Wissenschaften 
eine  eigenthümliche  Entwickelungsgeschichte  haben,  welche  nicht  von  dem  ein- 
zelnen Forscher  willkürlich  bestimmt  und  abgeändert  wird,  sondern  für  jeden 
Zeitraum  von  dem  vorausgegangenen  ihre  Richtung  erhält,  in  welcher  die  Er- 
kenntniss  gefördert,  aber  auch  mancher  gute  Keim  durch  die  beigesellten  Irr- 
thümer  einseitig  verbildet  wird.  Die  unfruchtbaren  Phantasien,  welche  die 
Naturwissenschaft  von  jeder  allgemeinen  Auffassung  zurückschreckten,  riefen 
das  Streben  hervor,  die  Erkenntniss  der  individuellen  Einheit,  welche  sich  als 
Ganzes  dem  empirischen  Griffe  entzog,  in  den  Theilen  zu  suchen.  Die  Zellen 
erschienen  als  die  letzten  organisirten  Formelemente  aller  Körpertheile  und  als 
solche  die  eigentlichen  und  einzigen  Träger  jener  formalen  Einheit;  und  sollte 
dieselbe  vollständig  sein,  so  war  der  Nachweis  unerlässlich,  dass  jene  Elemente 
in  unmittelbarem  genetischen  Zusammenhange  standen,  sowie  alle  Organisation 
in  letzter  Instanz  nur  auf  solche  zurückführbar  erschien.  Nun  —  Suchen  und 
Finden  gingen  Hand  in  Hand  und  bald  stand  der  Satz  scheinbar  unerschütter- 
lich fest:  omnis  cellula  e  cellula  und  konnte  Remak  jenen  schon  citirten  Aus- 
spruch thun ,  „dass  sämmtliche  im  entwickelten  Zustande  vorhandenen  Zellen 
oder  Aequivalente  von  Zellen  durch  eine  fortschreitende  Gliederung  der  Eizelle 
in  morphologisch  ähnliche  Elemente  entstehen ,  und  dass  die  in  einer  embryo- 
nischen Organ- Anlage  enthaltenen  Zellen,  so  gering  auch  ihre  Zahl  sein  mag, 


76  H.    Die  Dottertheilung. 

dennoch  die  ausschliessliche,  ungegliederte  Anlage  für  sämintliche  Formbestand- 
theile  der  späteren  Organe  enthalten"  (Nr.  40  S.  140). 

So  hatten  die  Schwierigkeiten ,  einen  Organismus  bloss  aus  dem  Ganzen 
zu  erklären,  zur  analytischen  Methode  geführt,  welche  durch  die  ScHWANNsche 
Entdeckung  in  ihrer  Berechtigung  glänzend  bestätigt,  bald  zur  ausschliesslichen 
Herrschaft  in  Untersuchung  und  Anschauung  kam.  Denn  wenn  man  im 
ganzen  Organismus  nur  noch  die  Formelemente  berücksichtigte ,  so  musste  für 
die  letzteren  die  gleiche  Anschauungsweise  Platz  greifen,  die  morphologische 
Auffassung  einseitig  überwiegen.  Dies  erhellt  wohl  am  besten  aus  den  Defini- 
tionen und  aus  der  Art,  wie  dieselben  verwerthet  werden.  Die  Unterschiede,  ob 
die  Zellen  als  Bläschen  mit  Hülle,  Inhalt  und  Kern  (Köllikee)  oder  als  kern- 
haltige .Protoplasmaklümpchen  (M.  Schultze)  oder  endlich  die  niedersten  Or- 
ganismen als  einfache  Protoplasmaklümpchen  (Brücke  ,  Haeckel)  bezeichnet 
werden,  sind  zunächst  gleichgültig  gegenüber  der  Thatsache,  dass  jene  Begriffe 
alle  gleicherweise  bloss  morphologischer  Natur  sind ,  sich  nur  auf  die  äussere 
Erscheinung,  auf  die  Theile  des  Elementarorganismus  oder,  wo  die  Differen- 
zirung  ganz  wegfällt ,  sich  ebenso  einseitig  auf  physikalische  Merkmale  seines 
Stoffes ,  eben  des  Protoplasmas  beziehen.  In  einem  rein  anatomischen  Hand- 
buche mögen  jene  Definitionen  unter  Umständen  auch  unangefochten  stehen 
bleiben.  Aber  es  fiel,  offenbar  unter  dem  Einflüsse  der  herrschenden  Ideen,  all- 
mählich die  Unterscheidung  zwischen  dem  morphologisch  -  physikalischen  Be- 
griffe und  der  allgemeinen  Definition  einer  Zelle ,  eines  Elementarorganismus 
ganz  weg,  und  jener  trat  in  alle  Rechte  der  letzteren  ein*.  Ich  habe  bereits  bei 
der  Betrachtung  des  unbefruchteten  Eies  ausgeführt,  dass  der  direkte  Nachweis 
des  Lebens  aus  einem  offenbaren  Stoffwechsel  nur  dann  erlassen  werden  kann, 
wenn  bei  der  vollkommenen  Uebereinstimmung  der  morphologischen  und  physi- 
kalischen Merkmale  des  betreffenden  Körpers  mit  denen  anerkannter  Organis- 
men sein  Leben  nicht  nur  möglich  erscheint,  sondern  die  Annahme  desselben 
durch  wichtige  Analogien,  z.  B.  der  Genese,  der  weiteren  Entwickelung,  gefordert 
wird.  Nun  entschieden  sich  aber  die  Embryologen  bald  nach  der  Einführung 
der  Zellentheorie  für  die  Zellennatur  der  aus  der  Dottertheilung  hervorgehenden 


*  Es  ist  mir  nur  eine  einzige  Ausnahme  bekannt ,  wo  der  genannte  Unterschied  klar 
hervorgehoben  wird.  Leydig  sagt  in  seinem  „Lehrbuche  der  Histologie"  S.  9 :  „Zellen  sind 
die  kleinsten  organischen  Körper,  welche  eine  wirksame  Mitte  besitzen ,  die  alle  Theile  auf 
sich  selber  und  ihr  Bedürfniss  bezieht."  „Zum  morphologischen  Begriff  einer  Zelle  gehört 
eine  mehr  oder  minder  weiche  Substanz ,  ursprünglich  der  Kugelgestalt  sich  nähernd ,  die 
einen  centralen  Körper  eiuschliesst,  welcher  Kern  (Nucleus)  heisst." 


II.    Die  Dottertheilung.  77 

Dotterstücke,  ohne  nach  irgend  einer  Lebenserscheinung  zu  fragen,  bloss  auf 
die  oberflächlichste  äussere  Aehnlichkeit  hin ;  den  meisten  von  ihnen  genügte 
schon  der  Nachweis  einer  Membran  an  jenen  Dotterstücken,  um  sie  für  Zellen 
zu  erklären  (Reichest,  Vogt,  Cramer,  Remak,  Leuckart).  Und  später  gab 
man  sich  durchaus  nicht  die  Mühe ,  auch  nur  die  Formbestandtheile  der  ver- 
meintlichen Zellen,  soweit  sie  nur  ganz  ungenau  oder  gar  nicht  bekannt  waren, 
wie  die  ersten  „Kerne",  zu  konstatiren.  Die  Zellennatur  aller  Dotterstücke 
musste  ja  eigentlich  selbstverständlich  sein,  da  sie  offenbar  aus  protoplasmati- 
schem  Stoffe  bestanden.  Gehört  aber  wirklich  zum  Wesen  eines  Elementar- 
organismus nur  eine  gewisse  Portion  Protoplasma ,  dann  kann  allerdings  auch 
dem  unbefruchteten  protoplasmatischen  Dotier  z.  B.  eines  Batrachiereies  die 
Bezeichnung  eines  Organismus  nicht  abgesprochen  werden.  Daran  könnte  man 
dann  die  Lebensgeschichte  eines  Protoplasmaklümpchens  studiren:  es  entsteht 
und  erscheint  als  ein  von  einer  Drüse  abgesonderter  ungeformter  und  unorgani- 
sirter  Stoff,  wächst  durch  Apposition  und  sobald  diese  aufhört,  geht  es  unter 
allen  Umständen  im  Eierstocke  oder  im  Wasser  in  Zersetzung  über.  Dies  wäre 
also  ein  Organismus,  der  niemals  eine  Lebenserscheinung  äussert;  und  folge- 
richtig wäre  zwischen  der  Zersetzung  eines  solchen  Dotterprotoplasmas  und 
der  Entwickelung  des  befruchteten  nur  ein  gradueller  Unterschied,  d.  h.  der 
bisher  bestandene  Begriff  des  Lebens  wäre  fernerhin  nicht  nur  überflüssig,  son- 
dern nicht  einmal  statthaft.  —  Ich  glaube,  dass  die  Unfähigkeit  des  morpholo- 
gischen Begriffes,  eine  allgemeine  Definition  zu  vertreten,  aus  den  beispielsweise 
angeführten  Konsequenzen  genügend  erhellt,  und  dass  ich  daher  berechtigt  bin, 
die  Beweise  für  die  Zellennatur  des  befruchteten  Dotters  im  Ganzen  und  in  sei- 
nen Theilstücken  für  ungenügend  zu  erklären.  In  Folgendem  will  ich  aber  zu 
erläutern  versuchen,  zu  welchen  Ansichten  ich  bei  der  Betrachtung  des  sich 
theilenden  Dotters  gekommen  bin. 

Für  die  Dottermasse  des  befruchteten  Eies  gilt  dasselbe,  was  ich  schon  für 
diejenige  des  unbefruchteten  Eies  nachwies,  dass  dieselbe  weder  zum  Theil  noch 
im  ganzen  eine  Zelle,  ein  lebendiger  Organismus  sei.  Allerdings  ist  die  erstere 
durch  die  Befruchtung  entwickelungsfähig  geworden,  hat  die  Bedingungen  ge- 
wonnen, um  nach  einer  Reihe  von  Umbildungen  Lebensformen  in  sich  zu  erzeu- 
gen und  endlich  ganz  in  solche  überzugehen.  Aber  bevor  dieses  Ziel  erreicht 
ist  und  zunächst  während  der  Dottertheilung  sind  sowohl  die  ganze  Dotter- 
kugel als  die  einzelnen  Dotterstücke  leblose  Uebergangsstufen  von  dem  unorga- 
nisirten  Stoffe  zu  einem  wirklichen  Organismus.    Dieses  lässt  sich  am  einfach- 


78  II.    Die  Dottertheilung. 

sten  durch  den  Mangel  einer  Ernährung  des  Dotters  erweisen.  Freilich  suchte 
schon  v.  Baer  die  Thatsache,  dass  die  Dotterkugel  während  ihrer  Zerklüftung 
an  Umfang  zunimmt,  aus  einer  Art  von  Ernährung  derselben  zu  erklären.  Nach- 
dem aber  bereits  Rusconi  nachgewiesen,  was  ich  bestätigen  kann,  dass  die  von 
ihren  Gallerthüllen  entblössten  Froscheier  in  destillirtem  Wasser  sich  ungestört 
entwickeln  (Nr.  23  S.  191),  so  scheint  es  mir  unnöthig  noch  weiter  nach  Bewei- 
sen gegen  die  Ernährung  des  sich  entwickelnden  Dotters  zu  suchen.  Die  Zu- 
nahme seines  Volumens  erklärt  sich  aber  theilweise  aus  der  Aufsaugung  von 
Wasser  in  die  Dottermasse  selbst,  theils  aus  der  Bildung  von  mit  Flüssigkeit 
gefüllten  Räumen  zwischen  den  Dotterstücken  (die  Zerklüftungsspalten  und  die 
Keimhöhle).  Wenn  also  den  ganzen  Dotterstücken  eine  Ernährung  abgesprochen 
werden  inuss ,  so  dürfte  von  einem  Leben  derselben  nicht  mehr  die  Rede  sein. 
Die  mit  ihrer  Selbsttheilung  verbundenen  Bewegungserscheinungen  sind  freilich 
aus  einem  Lebensakte  des  Protoplasmas  erklärt  worden  (Nr.  79  S.  41) ;  aber 
sobald  der  Mangel  eines  Stoffwechsels  nachgewiesen  ist,  so  erscheint  die  Kon- 
traktilität  des  Dotters  als  dieselbe  physikalische  Eigenschaft,  wie  sie  vielen  an- 
organischen und  organischen  Körpern  zukommt  und  bei  gewissen  Reizen  (Wärme, 
Feuchtigkeit,  Elektricität  etc.)  sich  äussert,  ohne  die  materielle  Zusammen- 
setzung der  Körper  zu  verändern.  Ich  glaube  zudem  auf  eine  rein  mechanische 
Erklärung  jener  Zusammenziehungen  des  Dotters  um  so  mehr  Gewicht  legen 
zu  müssen ,  als  eine  solche  mit  allen  betreffenden  Beobachtungen  durchaus  im 
Einklänge  steht,  während  dagegen  die  einzige  sicher  und  genau  zu  erforschende 
lebendige  Selbsttheilung,  nämlich  an  den  Zellenkernen,  wie  ich  weiterhin  zeigen 
werde,  weder  mit  dem  Typus  der  Dottertheilung  übereinstimmt,  noch  jene  Er- 
klärung zulässt.  —  Allerdings  hat  schon  Kölliler  auf  die  Attraktionskraft  der 
Kerne  der  Furchungskugeln  hingewiesen ,  nachdem  er  die  Abhängigkeit  der 
Dottertheilung  von  derjenigen  jener  Kerne  richtig  erkannt  hatte  (Nr.  33  S.  20). 
Aber  vielleicht  mit  Rücksicht  darauf,  dass  der  unmittelbare  Zusammenhang 
zwischen  einer  solchen  Anziehung  und  der  von  ihm  beobachteten  ringförmigen, 
nach  innen  fortschreitenden  Ein-  und  Abschnürung  durchaus  unerklärlich 
bleiben  muss,  hat  Kölliker  neuerdings  erklärt:  „Unter  dieser  Anziehung  ist 
natürlich  nicht  eine  Massenanziehung  zu  verstehen ,  sondern  molekulare  Wir- 
kungen, wie  sie  durch  chemische  und  physikalische  Kräfte  zu  Stande  kommen", 
und  wirft  im  Hinblicke  auf  die  Bewegungserscheinungen  der  Zellen  und  nament- 
lich der  Furchungskugeln  die  Frage  auf,  „ob  nicht  gerade  solche  Zusammen- 
ziehungen bei  der  Zellentheilung  die  Hauptrolle  spielen ,  als  deren  Anreger  die 


IL    Die  Dottertheilung.  79 

Kerne  anzusehen  wären"  (Nr.  79  S.  27).  Wenn  ich  dazu  noch  berücksichtige, 
dass  Kölliker  eben  jene  Bewegungserscheinungen  als  „animale  Funktionen  der 
Zelle"  bezeichnet  (Nr.  79.  S.  41),  so  möchte  ich  nicht  behaupten,  dass  er  mit 
der  Einführung  der  Anziehungskraft  eine  mechanische  Erklärung  der  Dotter- 
theilung hat  geben  wollen.  Wenn  ich  ihn  recht  verstehe,  so  betont  er  eben 
nur  den  schon  früher  entwickelten  Kausalzusammenhang  zwischen  der  Theilung 
der  „Kerne"  und  der  ganzen  Stücke  und  kommt  mit  jenen  Umschreibungen 
im  wesentlichen  auf  seinen  früheren  Standpunkt  zurück ,  dass  er  sich  des  Aus- 
drucks „Anziehungskraft"  bediene,  weil  ihm  jede  andere  Vorstellung  über  die 
eigentlichen  Wirkungen  der  Kerne  fehle  (Nr.  33  S.  20). 

Ich  erkläre  mir  die  Theilung  der  nicht  organisirten  Dottersubstanz  folgen- 
dermaassen.  Wenn  bei  der  Theilung  einer  solchen  Masse  von  aussen  wirkende 
Kräfte  als  nächste  Ursachen  ausgeschlossen  werden  müssen,  so  stand  nach  der 
bisher  üblichen  Anschauung  nur  die  Annahme  innerer  Anziehungskräfte  frei, 
welche  die  Absonderung  der  ihnen  folgenden  Theile  von  den  übrigen  bewirkten. 
Da  ich  zuerst  nur  den  Mechanismus  der  Theilungen  der  ganzen  Dotterstücke 
untersuchen  will,  so  werde  ich  jenen  Ausdruck  einer  centralen  Anziehungskraft 
bis  zu  einer  weiteren  Erklärung  in  dem  Sinne  beibehalten,  dass  das  ganze  Wesen 
jener  Centren  auf  die  umgebenden  Massen  in  einer  Weise  wirkt,  welche  in  dem 
Bilde  einer  Anziehung  am  deutlichsten  veranschaulicht  wird.  Einen  wirklichen 
Begriff  können  wir  aber  mit  jenem  Ausdruck  erst  verbinden,  wenn  es  uns  ge- 
lingt, bestimmte  Träger  der  Anziehungskraft  nachzuweisen.  Bei  der  Selbstthei- 
lung  des  Dotters  ist  uns  dies  möglich;  es  geht  ihr  stets  eine  Theilung  kernartiger 
Gebilde  voraus,  sodass  für  jeden  neuentstehenden  Theil  ein  besonderes  Anzie- 
hungscentrum vorhanden  ist,  welches  nach  der  gewöhnlichen  Auffassung  nach 
allen  Seiten  gleichmässig  wirken  soll.  Bei  einer  solchen  Vorstellung  von  den 
Ursachen  der  Selbsttheilung  niuss  eine  Kugel ,  in  welcher  zwei  Anziehungscen- 
tren entstanden,  sich  in  zwei  Kugeln  verwandeln,  indem  die  jedem  Centrum  ent- 
sprechende Halbkugel  das  Bestreben  haben  wird ,  sich  um  jenes  gleichmässig 
anzuordnen.  Dies  müsste  also  bei  der  Dottertheilung  auch  eintreten  und  ge- 
schieht auch  thatsächlich  bei  denjenigen  Eiern ,  welche  nicht  durch  eine  zu 
knappe  Dotterhaut  daran  gehindert  werden,  z.  B.  an  Säugethiereiern ;  wenn  die 
Dotterhaut  aber  die  Entfaltung  dieser  Formen  hindert,  wie  bei  den  Batrachier- 
eiern,  so  lässt  sich  doch  das  unterdrückte  Streben  daran  erkennen,  dass  die  aus 
der  Theilung  hervorgegangenen  Kugelausschnitte ,  sobald  sie  bei  zunehmender 
Konsistenz  ihrer  Masse  aus  dem  Eieisolirt  und  dadurch  vom  einengenden  Drucke 


30  II.    Die  Dottertheiluug. 

befreit  werden  können,  ihre  eckige  Form  verlieren  und  nahezu  kugelig  werden. 
—  Ueberlegen  wir  ferner,  wie  die  Trennung  der  Hälften  nach  jener  ersten  An- 
nahme erfolgen  müsse.  In  der  ganzen  Fläche,  in  der  die  Halbkugeln  noch  zu- 
sammenhängen, kann  man  sich  jeden  Punkt  von  zwei  verschiedenen  Zugkräften 
angegriffen  denken,  deren  Richtungen  in  der  Verbindungslinie  der  Anziehungs- 
punkte gerade  entgegengesetzt  sind,  von  dort  aus  zur  Peripherie  hin  in  immer 
kleineren  Winkeln  zusammenstossen.  Ausserdem  muss,  sobald  die  Anziehung  be- 
gonnen hat,  die  Wirkung  um  so  früher,  weil  um  so  stärker  auftreten ,  je  kürzer 
die  Anziehungsradien  sind.  Ist  der  Zusammenhang  in  der  Trennungsfläche  ein 
unbedeutender,  so  wird  nach  der  aufgestellten  Lehre  zuerst  mitten  zwischen 
den  Anziehungspunkten  eine  wirkliche  Trennung  entstehen  und  gegen  die  Peri- 
pherie fortschreitend  zugleich  an  Weite  zunehmen.  Ist  aber  der  zu  theilende 
Stoff  ein  zäher ,  so  werden  die  von  den  Anziehungscentren  am  weitesten  ent- 
fernten Punkte  der  Trennung  am  längsten  widerstehen,  aber  unterdessen  durch 
die  zwei  unter  einem  Winkel  gemeinsam  angreifenden  Zugkräfte  in  der  Diago- 
nale des  Kräfteparallelogramms,  also  in  der  Theilungsebene  gegen  das  Innere 
der  Kugel  fortbewegt  werden,  wodurch  natürlich  eine  äussere  Einschnürung  des 
sich  theilenden  Körpers  entsteht,  welche  so  lange  fortdauert,  bis  sie  mit  der 
von  innen  kommenden  Trennung  zusammentrifft.  In  den  Dotterkugeln  der  Ba- 
trachiereier  sind  nun  beide  Fälle  vereinigt;  die  Dotterkörner  und  -plättchen 
haben  unter  sich  keinen  Zusammenhang,  die  Grundsubstanz  ist  aber  ein  zäher 
Stoff.  Machen  wir  nun  die  Anwendung  des  eben  bestimmten  Gesetzes  auf  die 
Vorgänge  der  Dottertheilung,  so  ergeben  sich  wirklich  die  beobachteten  That- 
sachen.  Zuerst  entsteht  eine  Scheidung  der  festen  Dottertheilchen  in  der  Thei- 
lungsebene und  dann  die  äussere,  dieserEbene  entsprechende  Furche,  ganz  zuletzt 
die  wirkliche  Trennung.  Jene  erste  Scheidung  wird  durch  den  beschriebenen  hellen 
Streifen  bezeichnet,  welcher  offenbar  die  von  denfesten  Theilchen  verlassene  Grund- 
masse des  Dotters  darstellt,  welche  der  Trennung  noch  widersteht;  ist  die  letztere 
erfolgt,  dann  verschwindet  auch  der  Streifen,  d.  h.  jene  zähe  durchsichtige  Grund- 
masse vermischt  sich  wieder  mit  den  festen  Theilchen  in  der  früheren  Weise. 
Die  endliche  Trennung  wird  durch  eine  dunkle  Linie  in  jenem  hellen  Streifen 
angedeutet ;  sie  entsteht  aber  nicht  plötzlich,  sondern  zuerst  zeigen  sich  isolirte 
dunkle  Punkte,  welche  erst  allmählich  zu  einer  scharfen  kontinuirlichen  Linie 
verschmelzen.  Dass  diese  aber  einer  wirklichen  Trennung  entspricht,  sieht  man 
deutlich  während  der  folgenden  Dottertheilungen,  wobei  die  einander  berührenden 
Flächen  auf  Momente  auseinandergezogen  werden  und  nachdem  die  Ursachen 


II.    Die  Dottertheihing.  81 

der  klaffenden  Spalte  verschwanden,  wieder  so  zusammenfallen,  dass  im  Durch- 
schnitte jene  Linie  erscheint.  —  Aber  wir  können  beim  Batrachierei  noch  eine 
besondere  Anwendung  des  Gesetzes  von  der  Wirkung  der  Anziehungskräfte 
machen.    Die  Anziehungscentren  liegen  nämlich  nicht  symmetrisch  zwischen 
beiden  Polen,  sondern  dem  obern  viel  näher,  und  die  theoretisch  festzustellenden 
Folgen  dieser  Abänderung  decken  sich  abermals  genau  mit  den  Thatsachen.  Die 
Scheidimg  und  die  Trennung  müssen  beide  den  oberen  Pol  früher  erreichen 
als  den  unteren  und  die  Einschnürung  dort  früher  und  ausgeprägter  erscheinen 
als  unten.  Dies  gilt  für  die  sogenannten  Meridionaltheilungen.   Bei  der  äquato- 
rialen liegt  die  Trennungsebene  horizontal  zwischen  den  Polen  und  der  Kern, 
das  Anziehungscentrum ,  der  inneren  Fläche  des  zu  theilenden  Stückes  näher 
als  der  äusseren ;  daher  beginnt  die  Einschnürung  an  der  ersteren  und  setzt  sich 
erst  nachträglich  und  schwächer  auf  die  äussere  Oberfläche  fort.  —  Bei  dieser 
rein  mechanischen  Auffassung  der  Dottertheilung  scheint  mir  auch  das  Verhal- 
ten der  Furchen,  ihr  allmähliches  Verstreichen ,  sobald  die  Trennung  sich  voll- 
zogen hat,  nicht  ohne  Bedeutung.  Ich  habe  es  ausgeführt,  dass  und  wie  die  Ein- 
schnürungen nur  die  Folgen  der  Zähigkeit  der  Dottersubstanz,  durchaus  aber 
nicht  der  einfache  Ausdruck  der  durch  die  vervielfältigten  Anziehungscentren 
eingeleiteten  Theilung  sind.  Sie  werden  durch  die  verzögerte  Trennung  erzeugt, 
indem  der  einer  solchen  noch  widerstehende  Stoff  die  festen  Angriffspunkte 
bietet,  an  denen  die  Anziehungskraft  in  der  angegebenen  Weise  wirken  kann. 
Dadurch  wird  die  Dottermasse  jedenfalls  etwas  zusammengedrückt,  was  durch 
die  über  den  Furchen,  namentlich  der  ersten,  zwischen  Dotterhaut  und  Dotter 
sich  bildenden  Räume  ausgesprochen  ist.    Verschwinden  die  festen  Angriffs- 
punkte durch  die  erfolgte  Trennung,  so  tritt  die  Elasticität  der  Dottersubstanz 
wieder  in  ihre  Rechte:  das  zusammengedrückte  Dotterstück  dehnt  sich  zu  dem 
früheren  Volumen  aus,  und  seine  beiden  Hälften  füllen,  da  ihnen  innerhalb  der 
gespannten  Dotterhaut  der  Raum  zur  Bildung  von  zwei  Kugeln  fehlt,  wieder 
die  Lage  und  Form  des  früheren  ungetheilten  Dotterstücks  aus ,   sodass  die 
Kugelform  des  ganzen  Dotters  immer  wieder  hergestellt  wird.  Auf  diese  Weise 
erscheinen  die  Einschnürungen  des  Dotters  nicht  als  der  unmittelbare  Ausdruck 
der  eingetretenen  Theilung,  sondern  nur  als  Folgen  und  Begleiterscheinungen 
derselben. 

Wenn  aber  das  von  mir  gewählte  Bild  einer  centralen  anziehenden  Kraft 
geeignet  ist,  die  wirklichen  Theilerscheinungen  der  ganzen  Dotterstücke  als 
passive  Bewegungen  erscheinen  zu  lassen,  so  fällt  natürlich  der  Schwerpunkt 

Goette  ,  Entwickeluugsgescbiclite.  C 


82  II«    Die  Dottertheilung. 

der  Betrachtung  in  die  Träger  jener  Kraft,  in  die  von  mir  sogenannten  Lebens- 
und Kernkeime  und  endlich  die  fertigen  Kerne.  Und  da  jene  Keime  selbstständig 
im  Dotter  entstanden  und  durch  die  ganze  Reihenfolge  ihrer  Veränderungen 
den  Uebergang  vom  unorganisirten  Stoff  zum  Organismus  vermitteln ,  so  wird 
eine  Analyse  ihrer  Entwickelung  und  Thätigkeit  nicht  nur  ihre  Wirkung  bei  der 
Dottertheilung  veranschaulichen,  sondern  auch  zugleich  die  Frage  berühren 
müssen,  welche  in  der  ganzen  Entwickelungsgeschichte  vielleicht  das  meiste 
Interesse  beansprucht,  nämlich  diejenige  nach  dem  eigentlichen  Wesen  jenes 
bisher  völlig  unbekannten  Uebergangs.  Ich  kann  mir  nicht  mit  der  Hoffnung 
schmeicheln ,  darauf  die  einzig  richtige  oder  überhaupt  nur  eine  vollständige 
Antwort  gefunden  zu  haben;  immerhin  dürfte  schon  der  blosse  Versuch,  eine 
Vorstellung  von  den  Vorgängen  zu  gewinnen ,  welche  die  Entwickelung  des  Le- 
bens vorbereiten  und  ausführen,  nicht  unberechtigt  sein. 

Um  zunächst  die  Bildung  des  ersten  Lebenskeimes  eingehend  prüfen  zu 
können,  will  ich  in  Kürze  wiederholen,  welche  Erscheinungen  am  reifen  Eie  der- 
selben vorausgingen.  —  Die  Dottermasse  erleidet,  wie  es  scheint,  oft  schon  im 
Eileiter  Zusammenziehungen,  durch  welche  sie  von  der  Dotterhaut  vollständig 
getrennt  wird  und  endlich  frei  innerhalb  derselben  und  von  angesammelter 
eiweisshaltiger  Flüssigkeit  umspült  sich  bewegt ;  im  Zusammenhange  damit  be- 
ginnt eine  allmählich  zunehmende  Verdichtung  der  Rindenschicht  der  Dotter- 
kugel. Weiterhin  erscheint  in  der  Mitte  der  letzteren  der  Dotterkern,  dessen 
Bewegung  gegen  die  Peripherie  des  Dotters,  wie  ich  gezeigt  habe,  als  ein  Auf- 
wärtssteigen anzusehen  ist,  und  ganz  wohl  aus  einer  Abnahme  im  specifi- 
schen  Gewichte  des  Dotterkerns  gegenüber  der  umgebenden  Dottermasse 
erklärt  werden  kann.  Im  Innern  des  Dotterkernes  entwickelt  sich  nun  der 
erste  Lehenskeim  als  eine  Stelle  im  Dotter,  an  der  die  Plättchen  und  Körner 
geschwunden  sind.  Da  nun  die  Dotterplättchen  von  den  äusseren  Theilen 
des  Dotterkerns  gegen  dessen  Centrnm  hin  bereits  an  Grösse  abgenommen 
hatten ,  bevor  sie  im  Centrum  selbst  verschwanden,  wodurch  eben  der  Lebens- 
keim entsteht,  so  darf  man  wohl  diesen  Vorgang  aus  einer  centripetal  sich 
steigernden  Schmelzung  und  Auflösung  der  Plättchen  erklären.  —  Wenn 
nun  ganz  bestimmte  äussere  Einwirkungen,  welche  alle  die  genannten  Erschei- 
nungen hervorrufen,  nicht  klar  und  deutlich  vorliegen,  so  kann  man  doch 
andererseits  die  Wirkung  des  Samens  davon  ausschliessen ;  denn  aus  den 
Beobachtungen  Leuckarts  geht  mit  hinlänglicher  Sicherheit  hervor,  dass  für 
die  in  Rede  stehenden  Anfänge  der  Embryonalentwickelung  in  allen  Fällen  eine 


II.    Die  Dottertheilnng.  S;> 

Befruchtung  nicht  nöthig,  sondern  bloss  als  forderndes  und  unterstützendes  Mo- 
ment bei  einer  schon  eingeleiteten  Umbildung  des  Dotters  zu  betrachten  ist. 
Steht  es  nun  aber  fest ,  dass  das  unbefruchtete  Ei  alle  Ursachen  zur  Weiter- 
entwickelung unter  gewöhnlichen  Umständen  in  sich  vereinigen  kann ,  so  wird 
ein  Vergleich  der  Erscheinungen  dieser  Entwicklung  mit  denen  des  entwicke- 
lungsunfähigen,  verderbenden  Eies  Anhaltspunkte  zur  Erkenntniss  jener  Ursachen 
bieten.   Der  Dotter  eines  solchen  Eies  sondert  sich  allerdings  von  der  Dotter- 
haut ab ,  zieht  sich  aber  nicht  zu  einer  von  derselben  abstehenden  Kugel  zu- 
sammen; ferner  fehlen  die  äusseren  Erscheinungen,  welche  das  Aufsteigen  des 
Dotterkernes  begleiten  (die  Verschiebungen  des  Pigments) ;  endlich  erfolgt  eine 
Dotterschmelzung  auch  an  todten  Eiern,  aber  an  der  Oberfläche  derselben ,  wo 
sie  sich  ganz  unregelmässig  ausbreitet,  und  ein  geflecktes  Ansehen  hervor- 
ruft, darauf  aber,  nach  innen  fortschreitend,  die  Aufquellung  und  endliche 
Auflösung  des  ganzen  Eies  herbeiführt.    Das  entwickelungsunfähige,  todte  Ei 
ändert  also  die  Wirkung  der  äusseren  Einflüsse ,  wie  sie  sich  an  lebendigen 
Eiern  darstellt,  nur  in  gewisser  Weise  ab,  ohne  sie  ganz  vermissen  zu  lassen. 
Die  Ursachen  dieser  Abänderung  können  in  der  Dottermasse  selbst  nicht  liegen, 
da  die  Befruchtung,  welche  auch  alle  sonst  zu  Grunde  gehenden  Eier  zur  Ent- 
wickelung  bringt,  den  Bestand  des  Dotters  nachweislich  nicht  ändert  (Newport, 
LeuckaKt);  ebensowenig  aber  auch  in  dem  das  Ei  umgebenden  Medium,  dem 
Wasser,  welches  für  alle  Eier,  befruchtete  oder  todte ,  dasselbe  bleibt.    Wenn 
aber  die  empirische  Betrachtung  zur  Erklärung  der  Veränderungen  aller  Eier 
auf  die  Wechselwirkung  zwischen  Dotter  und  Wasser  beschränkt  bleibt,  so  dür- 
fen die  Ursachen  der  jeweiligen  Abänderungen  nur  noch  in  den  beide  Stoffe 
trennenden  Hüllen  (Gallerthülle,  Dotterhaut)  gesucht,  damit  aber  auch  jene 
Wechselwirkungen  auf  endosmotische  Bewegungen  zurückgeführt  werden.  Mit 
einer  solchen  Annahme  im  allgemeinen  ist  aber  noch  wenig  gethan-,  vielmehr 
verpflichtet  eine  solche  Denjenigen,  der  dadurch  etwas  erklären  will,  jede  einzelne 
der  bezüglichen  Erscheinungen  daraufhin  zu  prüfen,  wie  weit  sie  sich  aus  jenen 
physikalischen  Vorgängen  ableiten  lasse,  und  ferner,  den  Zusammenhang  und 
das  Zusammenwirken  aller  Einzelvorgänge  zu  einem  Gesammtresultate  nicht 
aus  dem  Auge  zu  verlieren. 

Wir  sehen  schon  mit  blossem  Auge  Wasser  in  das  gelegte  Ei  eindringen ; 
wenn  wir  aber  überlegen,  dass  ausserhalb  der  Dotterhaut  reines  Wasser*,  zwi- 


*   Wenn  nach  Rusconi  das  reine  Wasser  am  günstigsten  wirkt,  so  kann  man  an- 
nehmen, dass  die  gewöhnlichen  Zusätze  nur  durch  ihre  geringen  Mengen  nicht  schaden. 

G* 


34  II.    Die  Dottertheilung. 

sehen  derselben  und  dem  Dotter,  und  ebenso  in  dem  letzteren  eine,  um  es  kurz 
zu  sagen,  eiweisshaltige  Flüssigkeit  sich  befindet,  so  dürfen  wir  nach  unseren 
heutigen  Kenntnissen  schliessen,  dass  unter  solchen  Umständen  ein  endosmoti- 
scher  Austausch  zwischen  beiden  Flüssigkeiten  stattfinden  müsse.  Und  zwar 
muss  die  Strömung  gegen  die  koncentrirtere  Lösung  hin  stärker  sein,  das 
Volumen  des  Dotterhautbläschens  also  zunehmen,  welche  Voraussetzung  mit 
den  Thatsachen  übereinstimmt.  Kann  nun  auch  die  Verschiedenheit  der  Folge- 
erscheinungen dieses  endosmotischen  Vorgangs  bei  todten  und  lebendigen  Eiern 
mit  vollem  Recht  auf  die  wechselnde  Beschaffenheit  der  endosmotischen  Scheide- 
wand oder  der  Dotterhaut  bezogen  werden*,  so  bleibt  uns  doch  die  Erkennt- 
niss  der  wirksamen  Ursachen  noch  verschlossen  und  sind  wir  bloss  auf  die 
Untersuchung  der  zwei  verschiedenen  daraus  hervorgehenden  Erscheinungs- 
reihen angewiesen.  —  Vergegenwärtigen  wir  uns  zunächst  den  Inhalt  des 
Dotterhautbläschens  als  der  dem  Wasser  gegenübergestellten  Substanz,  so 
müssen  wir  die  eigentliche  viskose  Dottermasse,  welche  aus  Flüssigkeit  und 
festen  Theilchen  zusammengesetzt  ist,  von  der  eiweisshaltigen,  aus  der  Höhle 
des  Keimbläschens  abstammenden  Flüssigkeit  unterscheiden ,  welche  jene  er- 
stere  umspült.  An  der  Dotterkugel  kann  das  Gefüge  der  festen  Theilchen, 
Plättchen  und  Körner,  mit  den  unendlich  feinen  Zwischenräumen  wohl  mit 
Recht  als  ein  poröser  Körper  aufgefasst  werden,  welcher  schon  nach  seiner 
Entstehung  und  Beschaffenheit  der  in  seinen  Poren  enthaltenen  Dotterflüssig- 
keit um  so  näher  verwandt  ist,  je  concentrirter  dieselbe  ist,  dagegen  im  unver- 
änderten frischen  Zustande  der  Quellung  durch  Wasser  sehr  wenig  zugänglich 
ist.  Beide  Flüssigkeiten,  die  intra-  und  die  extravitelläre,  sind  augenscheinlich, 
wie  schon  aus  ihrer  Genese  hervorgeht,  von  verschiedener  Koncentration,  wel- 
cher Unterschied  aber,  da  es  sich  hier  um  eiweisshaltige  Substanzen  handelt, 
nur  eine  träge  Diffusion  erzeugen  kann.  Dieser  Inhalt  des  Dotterhautbläschens 
ist  anfangs  in  allen  Eiern  derselbe.  An  den  verderbenden  Exemplaren  ist  jedoch 
die  Dotterhaut  für  die  endosmotische  Wechselwirkung  desselben  mit  dem  um- 
gebenden Wasser  weniger  geeignet,  da  der  Strom  des  letzteren  schwach  und 
langsam,  eine  Wasseransammlung  innerhalb  des  Eies  nicht  merklich  ist;  es 
wird  also  die  Verdünnung  der  unter  der  Dotterhaut  befindlichen  extravitellären 
Massigkeit  und    die  nothwendig    darauf  folgende   Abänderung  der  inneren 


*  Dass  die  nothwendige  Wirksamkeit  des  Samens  sich  auf  eine  solche  Umstimmung 
der  Dotterhaut  beschränkt,  scheint  nach  den  Erfahrungen  von  Newport  und  Leuckart 
festzustellen. 


II.   Die  Dottertheilung.  85 

Diffusionsverhältnisse  ebenfalls  äusserst  langsam  erfolgen.  Nachdem  indessen 
die  peripherischen  Dotterschichten  dem  Einflüsse  der  sie  umspülenden  Flüssig- 
keit während  einer  gewissen  Zeit  ausgesetzt  gewesen,  beginnen  ihre  festen 
Theilchen  sich  aufzulösen,  und  die  so  veränderte  Dottermasse  erweist  sich 
quellungsfähig ;  die  Quellung  führt  aber  den  darunterliegenden  früheren  Dotter- 
massen beständig  die  verdünntere  äussere  Flüssigkeit  zu ,  welche  dadurch  eine 
nach  innen  successiv  fortschreitende  Auflösung  der  festen  Dottertheilchen  be- 
dingt. Auf  diese  Weise  erfolgt  endlich  die  vollständige  Zerstörung  der  Dotter- 
kugel. —  Aus  dieser  Rückbildung  des  todten  Eies  ergibt  sich,  dass  die  Dotter- 
täfelchen und  -körner  bei  andauernder  Berührung  mit  Wasser  sich  allmählich 
auflösen;  und  diese  Thatsache  wird  ganz  verständlich,  wenn  man  sich  erinnert, 
dass  die  festen  Dotterelemente  nicht  fertig  in  die  Eifollikel  einwandern,  sondern 
in  dem  Masse,  als  deren  Inhalt  an  Dottersubstanz  reicher,  koncentrirter  wird, 
sich  aus  derselben  wie  der  Niederschlag,  die  Ausscheidung  einer  übersättigten 
Lösung  konsolidiren  und  allmählich  wachsen,  daher  aber  auch  bei  einer  an- 
haltenden Berührung  mit  neu  hinzugetretenem  Wasser  sich  wieder  auflösen 
müssen. 

Hinsichtlich  der  besprochenen  physikalischen  Eigenschaften  unterscheidet 
sich  das  lebendige  Ei  vom  todten  dadurch,  dass  das  endosmotische  Aequivalent 
der  eingeschlossenen  Flüssigkeit  dasjenige  des  todten  Eies  weit  überwiegt;  es 
wird  also  das  Eindringen  von  Wasser  energischer  vor  sich  gehen,  und  alsbald 
neben  einer  Vermehrung  eine  starke  Verdünnung  jener  eiweisshaltigen  extra- 
vitellären  Flüssigkeit  eintreten.  Wenn  aber  dieselbe  in  ihrer  früheren,  bei 
todten  Eiern  nur  wenig  veränderten  Koncentration  die  Dotteroberfläche  nur 
sehr  allmählich  und  zwar  durch  Auflösung  verändert,  so  ist  die  Wirkung  ihrer 
plötzlichen  und  starken  Verdünnung  auf  die  Dotteroberfläche  eine  ganz  andere. 
Die  letztere  verdichtet  sich  sofort  und  zieht  sich  zusammen,  indem  an  Stelle 
der  austretenden  Flüssigkeit  die  festeren  Elementartheilchen  dichter  zusammen- 
rücken. Worauf  diese  Wirkung  beruht,  ist  schwer  zu  sagen ;  man  kann  dabei 
ebenso  gut  an  die  Steigerung  des  Druckes  in  der  rasch  zunehmenden  und  von 
der  straff  gespannten  Dotterhaut  zusammengehaltenen  extravitellären  Flüssig- 
keit wie  an  die  Vorgänge  denken,  welche  die  nach  Zerstörung  des  Eies  dem 
unmittelbaren  Einflüsse  des  Wassers  ausgesetzte  Dottersubstanz  sofort  an  ihrer 
Oberfläche  koaguliren  lassen.  Jedenfalls  wird  durch  die  Verdichtung  der  Dotter- 
rinde das  Verhältniss  der  Dotterkugel  zu  ihrer  Umgebung  noch  mehr  von  dem- 
jenigen des  todten  Eies  abweichen.  Wurde  schon  durch  die  starke  Verdünnung 


86  II.   Die  Dottertheilung. 

der  extravitellären  Flüssigkeit  die  Diffusion  beschleunigt,  so  ist  eine  weitere 
Steigerung  derselben  eine  nothwendige  Folge  jener  Verdichtung,  indem  die 
durch  die  Zusammenziehung  verengten  Poren  unter  sonst  gleichen  Verhält- 
nissen eine  Verstärkung  des  Stroms  der  schwächeren  Lösung  hervorrufen  (vgl. 
No.  104  S.  47).    Sowohl  die  Verdichtung  der  Dotterrinde  als  die  dadurch  be- 
schleunigte Einsaugung  der  extravitellären  Flüssigkeit  dürften  aber  gerade  die 
Dotterrinde  jener  dauernden  Einwirkung  der  in  dieser  Flüssigkeit  enthaltenen 
Wasserth eilchen  entziehen,  wodurch  in  den  zu  Grunde  gehenden  Eiern  die  Auf- 
lösung der  Dotterrinde  und  weiterhin  die  Zerstörung  des  ganzen  Eies  herbei- 
geführt wird.    Andererseits  ergibt  sich  aus  dem  Gesagten,  dass  an  der  sich 
entwickelnden  Dotterkugel  ein  gewisser  Gegensatz  zwischen  der  dichten  kuge- 
ligen Peripherie  und  dem  unveränderten  porösen  Centrum  sich  ausgebildet 
hat;  ja,  es  lässt  sich  nicht  verkennen,  dass  die  koncentrirte  Flüssigkeit  des 
letzteren,  die  weit  dünnere  extravitelläre  Flüssigkeit  und  die  sie  trennende  ver- 
dichtete Dotterrinde  ein  Verhältniss  darbiete,  welches  viel  mehr  den  Bedin- 
gungen eines  endosmotischen  Vorgangs  als  einer  einfachen  Diffusion  entspricht. 
Wir  erhalten  somit  in  den  sich  entwickelnden  Eiern  gewissermassen  zwei  Stufen 
der  Endosmose,  die  erste  durch  die  Dotterhaut  hervorgerufene  mit  einem  hohen, 
die  zweite  durch  die  Dotterrinde  mit  einem  viel  niedrigeren  Aequivalente.   Aller- 
dings ist  diese  Einrichtung  nach  ihren  Ursachen  durchaus  nicht  bloss  den  leben- 
digen Eiern  eigenthümlich ,  Avelche  sie  vor  den  toclten  Eiern  voraus  hätten. 
Vielmehr  sehen  wir  auch  an  den  letzteren  mehr  oder  weniger  deutliche  An- 
fänge der  Zusammenziehung,  also  auch  peripherische  Verdichtung  des  Dotters-, 
nur  vermag  die  geringe  Energie  dieser  Vorgänge  die  peripherische  Auflösung  des 
Dotters  nicht  zu  verhindern  und  unterbricht  dadurch  eine  weitere  Entwicke- 
lung  desselben.    Im  lebendigen  Ei  wird  dagegen  durch  die  Dotterhautendos- 
mose  die  Zusammensetzung  der  verdünnten  extravitellären  Flüssigkeit  und  in 
Folge  dessen  die  äussere  Bedingung  für  den  zweiten  inneren  endosmotischen 
Vorgang  beständig  gleich  erhalten.   Die  bemerkenswertheste  Eigenthümlichkeit 
des  letzteren  beruht  nun  darin,  dass  er  nicht  in  parallel  neben  einander  ver- 
laufenden Richtungen  vor  sich  geht,  sondern  dass  dieselben  von  allen  Seiten 
der  Dotteroberfiächo  nach  innen  eindringend  nothwendigerweise  gegen  einen 
Punkt  konvergiren.    Es  wird  also  die  verdünntere  Lösung  von  der  ganzen 
kugeligen  Peripherie  in  unzähligen  radiären  Strömchen  gegen  das  Centrum 
geführt,  die  koncentrirtere  Flüssigkeit  des  letzteren  auf  denselben  Bahnen 
centrifugal   bewegt.     Die  einzelnen   Stromgebiete  kann  man   sieh   daher  als 


Die  Dottertheilung.  87 

Kegel  *  denken,  welche  mit  ihren  Spitzen  in  einem  centralen  Punkte  zusammen- 
stossen  und  mit  ihren  Basen  die  Dotteroberfläche  bilden.  Ob  diese  Kegel,  ihre 
Axen  oder  die  Difrasionsradien  gleich  oder  ungleich  sind  und  bleiben,  ob  also 
der  gemeinsame  Ausgangspunkt  der  centrifugalen  und  Zielpunkt  der  centri- 
petalen  Ströme  überhaupt  mit  dem  Mittelpunkte  der  Dotterkugel  zusammen- 
fallen kann,  soll  erst  weiter  unten  erörtert  werden.  Hier  will  ich  zunächst 
darauf  aufmerksam  machen,  dass  bei  jener  Kegelform  der  Stromgebiete,  also 
bei  der  nach  innen  stetig  zunehmenden  Beschränkung  derselben  die  Diffusions- 
bewegung natürlich  in  derselben  Richtung  sich  verlangsamen  muss;  ja,  im  ge- 
meinsamen Zielpunkte  müsste  sie  eigentlich  schon  desswegen  zum  Stillstande 
kommen,  weil  dort  für  alle  Diffusionskegel  die  koncentrirtere  intravitelläre 
Flüssigkeit  aufhört.  Es  werden  also  die  mit  der  verdünnten  Lösung  in  das 
Innere  der  Dotterkugel  eingeführten  Wassertheilchen  je  näher  zum  gemein- 
samen Zielpunkte  der  radiären  Ströme  um  so  mehr  in  eine  dauernde  Berührung 
mit  den  festen  Dottertheilchen  treten.  Kurz  —  in  dem  Centrum  des  lebendigen 
Eies  scheinen  mir  in  Folge  des  beschleunigten  Processes  in  demselben  und  der 
daraus  sich  entwickelnden  Zustände  gerade  dieselben  Bedingungen  zusammen- 
zutreffen, um  die  Affinität  zwischen  fester  Dottersubstanz  und  Wasser  zum 
Ausdruck  zu  bringen,  wie  an  einzelnen  Punkten  der  Peripherie  todter  Eier  in 
Folge  einer  unvollkommenen  Endosmose.  So  muss  denn  an  dem  Zielpunkte 
der  radiären  Diftusionsströme  der  entwickelungsfähigen  Dotterkugel  eine  Auf- 
lösung der  festen  Dottertheilchen  eingeleitet  werden,  welche  wiederum  neue 
Massen  der  koncentrirteren  intravitellären  Flüssigkeit  erzeugt  und  deren  Diffu- 
sion nach  aussen  unterhält.  In  derThat  kommt  also  ein  Stillstand  der  Diffusions- 
bewegung nicht  zu  Stande,  sondern  besteht  nur  eine  solche  central wärts  zu- 
nehmende Verlangsamung  derselben,  dass  dadurch  eben  die 'Dotterschmelzung 
und  der  weitere  Fortgang  des  ganzen  Processes  gewährleistet  wird.  Zum  deut- 
lichen Ausdrucke  kommt  die  bezeichnete  Dotterumbildung  im  Innern  des  Dotter- 
kerns, in  den  koncentrischen  Zonen  des  ersten  Lebenskeimes  und  seines  Hofes, 
welche  den  Fortschritt  der  Dotterschmelzung  von  aussen  nach  innen  darstellen. 
Und  vielleicht  darf  man  selbst  in  der  vorübergehenden  Abgrenzung  des  ganzen 
Dotterkerns  und  den  weiten  Schattenringen  feinkörniger  Dottersubstanz,  welche 
während   der   ersten  Dottertheilungen  die  Centralgebilde  umgeben,   nur  die 


*  Der  mit  Rücksicht  auf  die  Vorstellung  von  der  Zusammensetzung  einer  Kugel  ge- 
nauere Ausdruck  ., Pyramide"  scheint  mir  weniger  üblich  zu  sein. 


88  n.   Die  Dottertheilung. 

äussersten  Grenzen  jener  Dotterumbildung  erkennen,  welche  eben  dort  erst 
anfängt,  daher  die  Dottertäfelchen  noch  nicht  zum  Schwunde  gebracht  hat. 
Ist  aber  einmal  die  Dotterschmelzung  eingeleitet,  so  regelt  sich  die  ganze  Be- 
wegung im  betreffenden  Diffusionskegel  zu  einem  gleichmässigen  Bestände 
dadurch,  dass  die  bestimmte  Einfuhr  auch  das  Quantum  der  Dotterschmelzung, 
also  der  Ausfuhr  bestimmt.  Hat  uns  nun  die  Betrachtung  bis  zur  bestimmten 
Erscheinung  des  Lebenskeims  geführt,  welcher  den  nachweislichen  Ausgangs- 
punkt der  weiteren  Entwickelung  bildet,  so  können  wir  rückblickend  es  aus- 
sprechen, dass  derselbe  Process,  welcher  in  todten  Eiern  durch  regellose  Wirk- 
samkeit die  Zerstörung  derselben  veranlasst,  nämlich  die  Dotterschmelzung, 
durch  eine  gesetzmässige  Beschränkung  ihrer  äusseren  Erscheinung  im  leben- 
digen Ei  den  Fortgang  der  Entwickelung  bedingt. 

Sowie  die  Bildung  des  ersten  Lebenskeimes  und  seines  Hofes  nur  die  Folge 
der  radiären  Diffusion  ist,  bestimmen  dieselben  nun  ihrerseits  gewissermassen 
aktiv  den  Fortgang  der  Bewegung ;  denn  als  beständige  Bildungsheerde  neuer 
koncentrirter  Dotterflüssigkeit  müssen  sie  die  radiären  Diffusionsströme  gleich- 
sam anziehen,  stets  auf  diesen  ihren  gemeinsamen  Sammelpunkt  gerichtet 
halten,  sodass,  wenn  er  in  Folge  gewisser  Umstände  seine  Lage  verändert, 
worüber  weiter  unten  das  Nähere  folgt,  auch  die  radiären  Ströme  in  und  mit 
ihm  den  Ort  ihrer  gemeinsamen  Vereinigung  wechseln.  Dieses  Verhältniss  wie 
überhaupt  die  Diffusionsströmung  selbst  begründet  nun  aber  eine  Steigerung 
des  Zusammenhangs  der  Dottermassen  in  den  Richtungen  der  Bewegung 
gegenüber  bewegungslosen  Massen,  was  man  sich  am  besten  vergegenwärtigt, 
wenn  man  statt  eines  Sammelpunktes  in  derselben  Dottermasse  sich  ihrer  zwei 
denkt,  welche  in  ihrer  Zusammensetzung  und  Thätigkeit  durchaus  den  beschrie- 
benen Lebenskeimen  mit  ihren  Höfen  entsprechen.  Die  Folge  wäre,  dass  die 
Zusammenhangsbezirke  beider  Centren  sich  von  einander  absonderten  und 
zwar  in  einer  Fläche,  wo  die  beiderseitigen  Strömungen  ihre  gemeinsame  Grenze 
rinden,  sich  gegenseitig  ausschliessen,  also  einen  gegenüber  dem  Zusammen- 
hange der  einen  und  der  anderen  Dotterhälfte  indifferenten  Zustand  erzeugen, 
der  sich  endlich  in  einer  vollständigen  Trennung  beider  Massen  äussern  muss. 
Weil  nun  eine  solche  Vermehrung  der  Centren  mit  den  bezeichneten  Folgen 
thatsächlich  vorkommt,  so  hat  man  die  Wirkung  des  Zusammenhanges  der 
Dottermasse  um  je  ein  Centrum  herum  einer  Anziehungskraft  der  letzteren 
zuschreiben  zu  müssen  geglaubt,  da  man  bisher  noch  nicht  gewagt  hat,  die  un- 
seren subjektiven   Zuständen   missverständlich  entlehnten  Vorstellungen  von 


II.   Die  Dottertheilung.  89 

immanenten  Kräften  aus  den  Konstruktionen  des  Geschehens  ganz  zu  verbannen. 
Abgesehen  von  den  Mängeln,  welche  einer  solchen  Annahme  anhaften,  und  auf 
welche  einzugehen  hier  nicht  der  Ort  ist,  will  ich  nur  bemerken,  dass  die 
Leistung  der  letzteren  ganz  illusorisch  ist;  denn  genauer  zugesehen,  kennen 
wir  von  der  ganzen  Anziehungskraft  gar  nichts  weiter,  als  den  Erfolg  oder  eben 
die  nach  ihren  Ursachen  zu  erklärende  Erscheinung.  Jene  Annahme  kommt 
also  einer  bequemen  Umschreibung  der  Erscheinung  gleich  und  kann  nur  dazu 
dienen,  den  Mangel  einer  wirklichen  physikalischen  Erklärung  zu  verdecken.  — 
Ich  habe  den  Ausdruck  „centrale  Anziehungskraft"  so  lange  beibehalten,  als 
er  bei  der  Betrachtung  der  Theilungen  der  ganzen  Dottermassen  (nicht  ihrer 
Centren)  eine  gleichbleibende  Wirkung ,  auf  deren  Erklärung  es  zunächst  nicht 
ankam,  nämlich  den  radialen  Zusammenhang  der  Dottermasse  im  Bereiche  je 
eines  Centrums  bezeichnen  sollte.  Darauf  habe  ich  versucht,  gleichsam  das 
unbekannte  x  in  allen  Formeln  durch  bekannte  Grössen  zu  ersetzen.  Ich 
fand,  dass  jener  Zusammenhang  auf  einem  Vorgange  beruht,  welcher  gar  nicht 
einseitig  vom  Centrum  oder  dem  Lebenskeime  ausgeht,  sondern  gemeinsam 
von  diesem,  den  peripherischen  Dottertheilen,  den  Eihüllen  *  und  den  äusseren 
Flüssigkeiten  hervorgerufen,  eine  nothwendige  Folge  ihrer  gegenseitigen  physi- 
kalischen Bewirkungen  ist.  Wenn  ich  aber  auf  diese  Weise  den  fraglichen 
Zusammenhang  der  Dottermasse  auf  eine  Kombination  bekannter  einfacher 
und  allgemeiner  Vorgänge,  die  ganze  Erscheinung  auf  ihre  nächsten  Ursachen 
zurückführe,  so  glaube  ich  eine  thatsächliche  Erklärung  derselben  gegeben  zu 
haben,  mag  sie  auch  noch  bloss  hypothetischer  Natur  sein. 

Jetzt  ist  noch  ein  anderer  wichtiger  Punkt  in  dem  ganzen  Dottertheilungs- 
processe  aufzuklären.  Ich  habe  gezeigt,  wie  eine  Dottermasse  sich  theilen 
müsse,  wenn  der  eigenthümliche  in  ihrem  Innern  bestehende  radiale  Zusammen- 
hang auf  zwei  Centren  vertheilt  wurde,  und  aus  der  Beobachtung  wissen  wir, 
dass  eine  solche  Vermehrung  der  Centren  durch  fortlaufende  Theilungen  der- 
selben erfolgt.    Aber  es  blieb  die  Frage  nach  den  Ursachen  dieser  Theilungen 


*  Ich  habe  die  Gallerthülle  nicht  besonders  berücksichtigt,  weil  es  unmöglich  ist,  sie 
vor  ihrer  Quellung  ohne  Schädigung  des  Eies  zu  entfernen  und  durch  diesen  Versuch  zu 
prüfen ,  ob  ihr  eine  besondere  Wirksamkeit  bei  den  endosmotischen  Vorgängen  zukomme. 
Wenn  aber  eine  solche  auch  möglich  ist,  so  ist  sie  doch  nicht  wahrscheinlich,  weil  die  Gallert- 
hülle, sobald  sie  noch  im  ersten  Anfange  jener  Vorgänge  gequollen  ist,  ohne  den  geringsten 
Nachtheil  für  dieselben  entfernt  werden  kann.  Auf  ihre  eigentliche  Bedeutung  ist  bereits 
hingewiesen  worden:  sie  scheint  bestimmt,  durch  die  energische  Quellung  mit  dem  Wasser 
zugleich  möglichst  viel  von  dem  darin  enthaltenen  Samen  an  das  Ei  heranzuziehen. 


90  H.   Die  Dottertheilung. 

unerörtert,  und  wurde  das  Verständniss  des  ganzen  Vorgangs  im  Beginne 
jedes  neuen  Aktes  unterbrochen.  Auch  bei  der  Beantwortung  dieser  Frage 
stelle  ich  die  bisherigen  Ansichten  voran. 

Wenn  es  bisher  als  Thatsache  galt,  dass  die  Dotterkugel  einen  Kern  be- 
käme ,  dessen  Theilungen  durch  Ein-  und  Abschnürung  die  Dottertheilungen 
einleiteten ,  welche  ganz  in  derselben  Weise  verliefen,  so  musste  es  nahe  liegen, 
die  Autfassung,  welche  aus  der  Betrachtung  der  genannten  Vorgänge  am  ganzen 
Dotter  und  an  seinen  Theilstücken  gewonnen  wurde,  einfach  auf  die  Kerne  zu 
übertragen,  auch  hier  Anziehungscentren,  deren  Theilungen  u.  s.  w.  anzunehmen. 
Wollte  man  es  auch  gelten  lassen,  wenn  Eemak  und  Kölliker  die  feinkörnigen 
Dotterhöfe  als  Kerne,  die  Kernkeimhaufen  als  deren  Kernkörperchen  bezeich- 
nen ,  so  lehrt  die  genauere  Beobachtung ,  dass  gerade  in  diesem  Falle  jene  Vor- 
stellung von  der  Kerntheilung  den  Thatsachen  schnurstracks  zuwiderläuft: 
denn  jene  „Kerne"  theilen  sich  vor  den  „Kernkörperchen",  deren  Hälften  erst 
nachträglich  in  die  zugehörigen  Kernmassen  einwandern  müssen !  —  Und  wenn 
Kölliker  für  die  Theilung  der  Kerne  ebenso  wie  bei  den  ganzen  Zellen  Zu- 
sammenziehungen, Bewegungen  und  alle  „molekularen"  Wirkungen  anzieht, 
welche  von  den  nucleoli  ausgingen  (No.  7(J  S.  27),  so  hat  er  damit  wohl  nur 
die  Schwierigkeit  andeuten  wollen ,  unter  jenen  möglichen  Theilungsursachen 
eine  Wahl  zu  treffen,  wie  er  denn  diese  Auseinandersetzung  mit  dem  Aus- 
spruche einleitete,  „dass  nach  dem  jetzigen  Stande  unserer  Kenntnisse  eine  Er- 
klärung der  Zellenbildung  (oder  Zellentheilung)  nicht  zu  geben  ist."  —  Es  darf 
nun  nicht  übersehen  werden,  dass  gerade  die  Theilung  der  Umbildungsheerde 
Demjenigen,  welcher  sich  zur  Annahme  von  Anziehungskräften  in  den  Centren 
der  Dotterstücke  verstanden  hat,  die  grössten  Schwierigkeiten  und  Verlegen- 
heiten bietet.  Die  Beobachtungen  lehren,  dass  die  Lebenskeime  und  Kernkeim- 
haufen  sich  erst  strecken  und  dann  theilen,  und  dass  ihnen  die  feinkörnigen 
Höfe  darin  vorausgehen.  Das  Streben  der  beiderlei  Gebilde,  sich  in  einer  be- 
stimmten Richtung  auszudehnen,  zu  strecken,  hört  aber  nicht  auf,  sobald 
die  neuen  Theile  sich  zu  bilden  begannen,  sondern  dauert  offenbar  während 
der  Ausbildung  der  letzteren  fort;  und  es  liegt  kein  Grund  vor,  das  Ausein- 
anderrücken der  neuentstandenen  Keime  nach  ihrer  vollständigen  Trennung 
und  selbst  nachdem  die  Dottertheilung  begann ,  einer  anderen  Ursache  zuzu- 
schreiben als  derjenigen,  welche  schon  die  Masse  des  Mutterkeims  in  die  Länge 
zog.  Gegenüber  diesen  Thatsachen  ist  nun  der  Einwurf  nicht  zu  umgehen ,  Avie 
es  denn  zugehe,  dass  die  in  den  Keimen  angenommenen  Anziehungskräfte, 


IL   Die  Dottertheilnng  91 

welche  doch  die  ganze  Dottermasse  ihres  Bezirks  zusammen-  und  von  den 
übrigen  Dottermassen  abziehen,  zu  gleicher  Zeit  das  Auseinanderrücken  der 
Keimhälften  dulden?  Eine  Antwort  für  das  bestimmte,  vorliegende  Objekt 
fehlt,  und  obgleich  nach  meiner  Ansicht  der  Mangel  einer  solchen  Erklärung 
die  Möglichkeit,  jene  Anziehungskräfte  anzunehmen,  von  vornherein  aus- 
schliessen  müsste,  so  erscheint  es  andererseits  als  die  nächstliegende  Kon- 
sequenz, zu  den  Anziehungskräften  auch  gleich  deren  Antagonisten,  nämlich 
abstossende  Kräfte  anzunehmen,  welchen  die  Aufgabe  zufiele,  die  Umbildungs- 
heerde  zu  theilen  und  zu  trennen.  Und  diese  Auskunft  hat  Haeckel  bei  der 
Erklärung  derTheilung  der  niedersten  Organismen*  gewählt,  deren Attraktions- 
Centrum  in  zwei  getrennte  Anziehungs- Mittelpunkte  zerfällt,  „die  sich  nun 
gegenseitig  abstossen  und  von  einander  isolirt  die  übrigen  Moleküle  anzuziehen 
suchen"  (Nr.  100.  I.  S.  151).  Gegenüber  einer  solchen  Ausführung  scheint  es 
mir  auf  der  Hand  zu  liegen,  dass  die  ganze  Hypothese,  gerade  so  wie  ich  es 
schon  in  Bezug  auf  die  Anziehungskraft  allein  bemerkte,  auf  eine  Selbst- 
täuschung hinausläuft,  wobei  ein  passendes  Wort  die  fehlende  Erklärung  er- 
setzen muss.  Ich  will  daher  eine  weitere  Kritik  dieser  Hypothese  unterlassen 
und  nur  noch  darauf  hinweisen,  dass  sie  nicht  einmal  für  alle  Erscheinungen 
bei  der  Theilung  der  Umbildungsheerde  ausreicht,  Denn  woraus  soll  die  der 
Streckung  und  Theilung  des  Keimes  vorausgehende  gleiche  Bewegung  der  fein- 
körnigen Dottersubstanz  erklärt  werden?  Dieselbe  kann  keine  abstossenden 
Centren  besitzen,  denn  diese  müssten  in  den  Keimen  liegen,  welche  aber  erst 
nachträglich  sich  der  Bewegung  anschliessen  und  augenscheinlich  der  von  jener 
Substanz  angegebenen  Richtung  folgen.  Obgleich  also  die  beiderlei 'Theilungen 
im  innigsten  Zusammenhange  stehen,  können  ihre  Ursachen  nach  der  bisheri- 
gen Lehre  nicht  die  gleichen  sein,  sondern  müssten  sogar  wesentlich  sich  unter- 
scheiden. —  So  erweisen  sich  die  bisherigen  Annahmen  nach  allen  Seiten,  nicht 
nur  nach  ihren  Voraussetzungen,  sondern  auch  nach  ihrer  Brauchbarkeit,  als 
unhaltbar. 

Ich  habe  bei  dem  Bestreben,  mir  eine  Vorstellung  von  den  Ursachen  der 
Vermehrung  der  Umbildungsheerde  zu  machen,  zunächst  von  allen  besonderen 
Kräften  abgesehen  und  gesucht,  an  den  möglichst  vollständig   erforschten 


*  Da  Haeckel  die  Theilung  der  Zellen,  zu  denen  er  die  „Furchungskugeln"  rechnet 
wesentlich  ebenso  verlaufen  lässt  (No.  100  II.  S.  115.  117),  so  glaube  ich  nicht  mit  Unrecht 
ihn  hier  citirt  zu  haben. 


92  IL  Die  Dottertheilung. 

Erscheinungen  die  Punkte  herauszufinden,  wo  sie  an  bekannte  allgemeine  Vor- 
gänge angeknüpft  werden  könnten.  —  Sowie  ich  die  Lebenskeime  beobachtet 
und  beschrieben  habe,  kann  von  einer  wirklichen  Scheidegrenze  zwischen  ihnen 
und  dem  übrigen  Dotter  nicht  die  Rede  sein;  wenn  in  ihrem  Bereiche  die  Dotter- 
plättchen  vollständig  aufgelöst ,  in  ihrem  Hofe  noch  ungelöste  feinere  Körner 
enthalten  und  die  weiteren  Dottermassen  kaum  wahrnehmbar  verändert  sind, 
so  reichen  natürlich  solche  Unterschiede  allein  nicht  aus,  um  die  betreffenden 
Zonen  als  morphologisch  besondere  Theile  erscheinen  zu  lassen.  Behält  man 
jedoch  diesen  Thatbestand  stets  im  Auge,  so  ist  es  für  die  Beschreibung  bequem 
und  vortheilhaft,  jene  Zonen  und  ihre  Veränderungen  so  zu  behandeln,  als 
wären  es  selbstständige  Theile  mit  aktiven  Bewegungen.  So  lassen  sich  die 
Theilungsvorgänge  der  Lebenskeime  kurz  dahin  zusammenfassen,  dass  sie  zu- 
erst in  einer  gewissen  Richtung  sich  strecken  und  dann  in  der  Mitte  theilen, 
während  beide  Hälften  durch  Wachsthum  zunehmen  •,  eine  ähnliche  Theilung 
der  Höfe  geht  derjenigen  der  Lebenskeime  voraus.  Ferner  steht  die  Richtung 
und  Energie  jener  Bewegungen  in  einer  ganz  bestimmten  Abhängigkeit  von  der 
Grösse  und  Form  der  Dotterstücke.  Die  Richtung  trifft  nämlich  stets  recht- 
winkelig mit  dem  kleinsten  der  Radien  zusammen,  welche  vom  Lebenskeim  zur 
Peripherie  des  zugehörigen  Dotterstücks  gezogen  gedacht  werden;  und  je 
grösser  das  letztere  ist,  um  so  mehr  weichen  die  Keime  auseinander,  indem  sie 
gewöhnlich  bis  in  die  Mitte  der  Linie  vorrücken,  welche  in  der  Fortsetzung  der 
Bewegungsrichtung  das  neu  zu  bildende  Dotterstück  durchschneidet.  Es  sollten 
also  schon  die  gröberen  Erscheinungen  dazu  autfordern,  die  Veranlassung  zu 
den  Bewegungen  der  Umbildungsheerde  nicht  in  ihnen  selbst,  sondern  in  den 
sie  umschliessenden  Dottermassen  zu  suchen.  In  diesen  ist  mir  nun  ein  Vor- 
gang im  höchsten  Grade  wahrscheinlich  geworden,  welcher  zur  Existenz  der 
Lebenskeime  in  nächster  Beziehung  steht.  Ja,  wenn  man  sich  erinnert,  dass 
die  letzteren  nur  die  Sammelpunkte  der  radialen  Diffusionsströme  sind,  so  kann 
fernerhin  eigentlich  kaum  ein  Zweifel  darüber  bestehen,  dass  die  Veränderungen 
jener  Sammelpunkte  nur  die  Wirkungen  entsprechender  ursächlicher  Verände- 
rungen in  den  Diffusionsströmen  seien ;  und  es  bliebe  also  nur  das  Wesen  und 
der  Zusammenhang  dieser  Veränderungen  zu  untersuchen  übrig. 

Ich  komme  dazu  noch  einmal  auf  die  Entwickelung  der  zweiseitigen  Strom- 
bewegung in  einem  Diffusionskegel  zurück.  Sie  beginnt  natürlich  an  der  Kegel- 
basis oder  der  Dotteroberfläche  und  schreitet  gegen  die  Spitze  fort.  Dabei 
überwiegt  der  von  aussen  eindringende  centripetale  Strom  wegen  der  geringeren 


II.   Die  Dottcrtheilung.  93 

Koncentration  der  von  ihm  eingeführten  Lösung;  andererseits  verlangsamt 
sich,  wie  schon  erwähnt,  die  fortschreitende  Bewegung,  bis  endlich  am  Orte  d  ei- 
sen wachsten  Bewegung,  also  an  der  Kegelspitze  die  Dotterschmelzung  und  da- 
mit ein  gleichmässiger  Fortgang  der  zweiseitigen  Diffusionsströmung  eintritt, 
an  deren  centralem  Ende  das  Uehergewicht  des  eingeführten  Stroms  verdünn- 
ter Lösung  zur  Wirkung  und  zum  Ausdrucke  kommt  (vgl.  No.  104  S.  46). 
Wäre  nun  die  Ausbildung  aller  Diffusionskegel  von  Anfang  an  eine  gleich- 
massige  und  gleichzeitige,  so  müssten  ihre  Spitzen  thatsächlich  im  Mittelpunkte 
der  Dotterkugel  zusammentreffen,  die  centrale  Dotterauflösung  von  dort  aus 
unter  der  Einwirkung  der  stets  neu  hinzugeführten  verdünnten  Lösung  sich 
gleichmässig  koncentrisch  nach  aussen  verbreiten.  In  diesen  allseitig  sym- 
metrischen Verhältnissen  wäre  daher  kein  Motiv  einer  Abänderung  der  Be- 
wegungen und  einer  daraus  folgenden  Entwickelung  enthalten ;  und  es  erhellt, 
dass  ein  solcher  Fortgang  der  Umbildung  zu  demselben  Ende  führen  müsste 
wie  die  vollständig  ungeregelten  Vorgänge  des  todten  Eies,  nämlich  zur  Auf- 
lösung und  Zerstörung  des  Ganzen.  Dass  aber  die  Dottertheilstücke  der  Ba- 
trachiereier  nicht  vollkommen  kugelig  sind,  die  Lebenskeime  also  auch  nicht 
die  Vereinigungspunkte  vollkommen  gleicher  Radien  darstellen,  ist  evident; 
selbst  für  die  Dotterkugel  vor  dem  Erscheinen  des  ersten  Lebenskeimes  lässt 
sich  eine  gewisse  ungleiche  Anordnung  der  Theile  nachweisen.  Die  feinkörnigen 
Dotterschichten ,  vor  allen  die  Dotterrinde,  sind  nämlich  von  Anfang  an  un- 
gleichmässig  angelegt,  indem  ihre  Mächtigkeit  gegen  den  oberen  Pol  zunimmt ; 
und  diese  Ungleichmässigkeit  steigert  sich  noch,  wie  ich  schon  ausführte,  wäh- 
rend der  Znsammenziehung  der  Dotterperipherie.  Da  nun  die  Verdichtung  der 
Dotterrinde  den  endosmotischen  Vorgang  einleitet  und  unterhält,  so  wird  der- 
selbe am  oberen  Pole  sich  am  stärksten  entwickeln,  und  gegen  den  unteren  Pol 
an  Stärke  stetig  abnehmen.  Die  oberen  polaren  Diffusionsströme  rücken  also 
schneller  als  die  übrigen  gegen  das  Innere  vor,  regen  an  einem  gewissen  Orte, 
wie  mir  scheint  in  der  Nähe  des  Centrums,  die  Dotterschmelzung  an  (Dotter- 
kern) ,  worauf  dieser  von  den  Diffusionsströmen  der  unteren  Dotterhälfte  noch 
nicht  erreichte  und  beeinfiusste  Umbildungsheerd  in  Folge  der  Abnahme  seines 
speeifischen  Gewichts  etwas  in  die  Höhe  steigt.  Indem  darauf  der  erste  Lebens- 
keim als  Bildungsstätte  der  auszuführenden  Dotterflüssigkeit  die  Diffusions- 
ströme von  allen  Seiten  in  sich  vereinigt ,  ist  eben  die  Excentricität  ihres  ge- 
meinsamen Sammelpunktes,  die  Ungleichheit  der  Diffusionsradien  und  -kegel, 
wie  sie  in  den  späteren  Dottertheilstücken  besteht,  auch  im  noch  ungetheilten 


94  II.   Die  Dottertheilung. 

Dotter  gegeben,  und  es  kommt  nun  darauf  an,  zu  untersuchen,  welche  Wir- 
kungen eine  solche  Ungleichheit  überhaupt  ausüben  kann.    Natürlich  kann  die 
Bewegung  in  den  verschiedenen  Diffusionskegeln  nicht  die  gleiche  sein,  kann 
also  ein  Gleichgewicht  ihrer  Wirkungen  nicht  bestehen,  die  Lage  und  Form 
ihres  gemeinsamen  Sammelpunktes  nicht  unverändert  bleiben.     Je  kürzer  ein 
Kegel  ist,  um  so  früher  muss  sich  in  ihm  nach  unseren  Voraussetzungen  die 
konstante  Diffusionsströmung  vollenden ,  an  seinem  centralen  Ende  das  Ueber- 
gewicht  der  eingeführten  verdünnteren  Lösung  um  so  schneller  und  stärker 
sich  geltend  machen.     In  dem  gemeinsamen  Sammelpunkte  eines  Dotterstücks 
übertreffen  daher  die  Ausläufer  der  Einfuhrströme,  welche  aus  den  kürzesten 
Diffusionskegeln  stammen,  diejenigen  der  längeren  Kegel;  sie  finden  in  den  letz- 
teren kein  genügendes  Gegengewicht ,  welches  sie  in  den  früheren  Schranken 
zurückhielte  und  müssen  sie  folglich  nach  einer  gewissen  Zeit  überwinden ,  zu- 
rückdrängen.    So   rücken   die   Einfuhrströme   der  kürzesten  Diffusionskegel 
schliesslich  über  die  Grenzen  derselben  hinaus  und  erweitern  sie  auf  Kosten 
gerade  der  grössten  Diffusionskegel,  weil  diese  die  schwächsten  Gegenströme 
enthalten,  bis  die  gegenseitige  Veränderung  der  verschiedenen  rediären  Strom- 
gebiete ein  Gleichgewicht  ihrer  Wirkungen  herbeiführt,  und  dadurch  der  Ver- 
schiebung ihres  gemeinsamen  Sammelpunktes  vorläufig  ein  Ziel  gesteckt  wird. 
Der  vorrückende  Strom  übt  nun  aber  auf  die  schon  bestehende  Lebenskeim- 
masse und  ihren  Hof  eine  gewisse  Zugkraft  aus ,  welche  beide  Gebilde  bis  zum 
neuen  Sammelpunkte  verschiebt,  wobei  sie  zugleich  durch  den  Ueberschuss  an 
verdünnter  Lösung  und  die  dadurch  verstärkte  Dotterschmelzung  verhältniss- 
mässig  wachsen.    Geht  man  also  von  der  Annahme  der  beschriebenen  radiären 
Diffusionsströmungen  aus ,  welche  in  allen  Dotterstücken  ohne  Ausnahme  un- 
gleich sind,  so  ergibt  sich  als  allgemeinste  Folgerung,  dass  jeder  Lebenskeim 
einmal  eine  Lageveränderung  erfährt.     Die  Art  und  Weise  derselben  wird  aber 
natürlich  erst  aus  der  Betrachtung  der  besonderen  Formverhältnisse  der  ein- 
zelnen Dotterstücke  verständlich  werden.     Alle  Dotterstücke  mit  Ausnahme 
der  noch  ungeteilten  Dotterkugel  stimmen  darin  überein,  dass  sie  in  irgend 
einer  Richtung  einen  grössten  Durchmesser  haben,  auf  welchem  die  kleinsten, 
unter  sich  mehr  oder  weniger  gleichen  Durchmesser  nahezu  in  einer  Ebene  und 
meist  senkrecht  stehen.     An  den  Eiern  der  Molche,  deren  Dotterstücke  sich 
viel  mehr  als  bei  den  ungeschwänzten  Betrachiern  von  Anfang  an  abrunden, 
erscheinen  dieselben  daher  durchgängig  ellipsoid.     Es  müssen  folglich  die  in 
jener  Ebene  der  kleinsten  Radien  überwiegenden  centripetalen  Diflusionsatröme 


II.    Die  Dottertheilung.  95 

unter  einem  meist  rechten  Winkel  in  die  Bahn  der  längsten  aber  schwächsten 
Ströme  abgelenkt  werden;  und  da  diese  in  zwei  einander  entgegengesetzten 
Richtungen  verlaufen,  welche  beide  gleicherweise  die  Bedingungen  zu  jener  Ab- 
lenkung enthalten ,  so  wird  jene  überwiegende  Strömung  nach  denselben  zwei 
entgegengesetzten  Seiten  gespalten  auseinanderfahren.  Die  nothwendige  Folge 
davon  ist,  dass  der  betreffende  Lebenskeim  mit  seinem  Hofe  sich  in  der  Rich- 
tung des  grössten  Durchmessers  theilt,  wobei  die  vorausgehende  Streckung  und 
überhaupt  das  ganze  Bild  des  Theilungsvorgangs  der  von  mir  der  Bewegungs- 
ursache zugeschriebenen  Zugkraft  einen  sehr  zutreffenden  Ausdruck  verleihen. 
Damit  lässt  sich  auch  die  Thatsache  ganz  wohl  vereinigen,  dass  der  Hof  des 
Lebenskeims  als  die  Aussenzone  des  ganzen  Umbildungsheerdes  bei  einem 
raschen  Verlaufe  der  Theilung  dieselbe  einleitet  und  dem  Lebenskeime  gleich- 
sam vorauseilt.  —  Da  ich  schon  erörtert  habe,  in  welcher  Weise  die  Theilung 
des  ganzen  Dotterstückes  als  nothwendige  Folge  jener  Theilung  seines  centralen 
Umbildungsheerdes  vor  sich  geht,  so  erhellt,  dass  im  Grunde  genommen  jede 
Dottertheilung  eine  Quertheilung  ist.  Dies  gilt  auch  für  die  ganze  Dotterkugel, 
indem  sie  schon  durch  die  ersten  Zusammenziehungen  am  oberen  Pole  etwas 
abgeplattet  wird.  Dennoch  verdienen  die  ersten  Dottertheilungen  wegen  einiger 
eigenthümlichen  Formverhältnisse  eine  besondere  Untersuchung. 

Wenn  die  ganze  Dotterkugel  aus  dem  eben  erwähnten  Grunde  in  der  Ver- 
bindungslinie beider  Pole  eine  kleinere  Axe  besitzt,  und  auch  die  Theilung  des 
ersten  Lebenskeims  rechtwinkelig  zu  derselben  erfolgt,  so  ist  dadurch  die 
Uebereinstimmung  mit  den  späteren  Dotterstücken  noch  nicht  erreicht.  Denn 
der  erste  Lebenskeim  ist  vom  Mittelpunkte  der  Dotterkugel  so  weit  entfernt, 
dass  er  vom  oberen  Pole  allerdings  den  kürzesten  Diffusionsstrom  empfängt, 
aber  nicht  etwa  auch  in  seinem  Niveau,  in  welchem  er  sich  später  theilt,  die 
beiden  grössten  Radien  vereinigt  •,  der  längste  Diffusionskegel  liegt  vielmehr 
dem  kleinsten  diametral  entgegengesetzt.  Es  passt  also  hier  die  für  die  übrigen 
Dotterstücke  aufgestellte  Regel,  dass  der  überwiegende  centripetale  Strom  aus 
den  kleinsten  Radien  zusammenfliessend  in  die  beiden  grössten  ablenkt  und 
sich  spaltet,  nicht.  Um  aber  auch  an  der  ganzen  Dotterkugel  den  allgemeinen 
gesetzmässigen  Vorgang,  wie  ich  ihn  für  die  übrigen  Dotterstücke  entwickelte, 
zu  erkennen,  muss  man  sich  der  Voraussetzung  erinnern,  welche  mir  zur  Erklä- 
rung der  Bildung  und  Lage  des  ersten  Lebenskeims  nothwendig  schien  und 
welche  in  den  eigenthümlichen  Verhältnissen  der  sogenannten  meroblastischen 
Eier  ihre  beste  Stütze  findet:  ich  meine  die  Annahme,  dass  bei  jener  Entvvicke- 


96  II.  Die  Dottertheilung. 

hing  die  Diffusionsströme  der  unteren  Halbkugel  des  Dotters  noch  nicht  herge- 
stellt waren,  also  auch  nicht  mitwirkten.  In  den  meroblastischen  Eiern  wird 
nur  der  um  den  oberen  Pol  gelegene  Theil  der  Dotterkugel,  der  eigentliche 
Keim,  zerklüftet;  in  dem  bei  weitem  grossesten  übrigen  Theile,  dem  Nahrungs- 
dotter, entwickeln  sich  die  bezeichneten  Diffusionsströmungen  offenbar  gar 
nicht,  da  er  eben  ungetheilt  bleibt.  Wären  dieselben  im  Batrachierei  schon 
zur  Zeit  des  ersten  Lebenskeims  vollendet,  so  müsste  dieser,  statt  in  der  oberen 
Halbkugel  zu  bleiben,  von  dem  oberen  polaren  Strome  als  dem  stärksten  ge- 
rade in  die  untere  Dotterhälfte  hinabgedrängt  werden.  Da  jedoch  die  nach- 
weisbare Abnahme  in  der  Mächtigkeit  und  Verdichtung  der  Dotterrinde  gegen 
den  unteren  Eipol  hin  die  trägere  Entwicklung  der  von  unten  aufsteigenden 
Diffusionsströme  gewiss  macht,  so  dürften  alle  übrigen  Erscheinungen  die  An- 
nahme begründen,  dass  jene  Ströme  auch  während  der  ersten  Dottertheilung 
noch  nicht  vollendet  sind.  Alsdann  müsste  aber  der  überwiegende  Strom  des 
oberen  Pols  in  dem  grössten  Radius,  also  gegen  den  unteren  Pol  hin  eine 
ruhende  Masse  in  Bewegung  setzen,  während  er  in  horizontaler  Richtung  aus- 
weichend allerdings  einen  schwachen  Gegenstrom  zu  überwinden  hat,  dafür 
aber  durch  die  in  derselben  Richtung  bestehenden  centrifugalen  Strömungen 
einen  um  so  leichteren  Abfluss  findet.  Diese  Ueberlegung  scheint  mir  geeignet, 
den  Widerspruch  zu  lösen,  welcher  sich  in  der  Erscheinung  der  ersten  und  der 
späteren  Lebenskeimtheilungen  offenbart.  Was  nun  bei  der  ersten  Theilung 
die  besondere  Richtung  der  Theilungsaxe  unter  allen  im  gleichen  Niveau  ver- 
laufenden Durchmessern  bestimmt,  kann  ich  desswegen  nicht  sicher  angeben, 
weil  ich  es  unterlassen  habe,  dieselben  an  passenden  (horizontalen)  Durch- 
schnitten mit  einander  zu  vergleichen ;  mit  Rücksicht  auf  die  späteren  Thei- 
lungen  vermuthe  ich  aber,  dass  auch  in  der  ganzen  Dotterkugel  der  zur  Thei- 
lungsaxe gewählte  Durchmesser  wenn  auch  unscheinbar  länger  ist,  als  die 
übrigen. 

Für  den  zweiten  Theilungsakt  gilt  dasselbe,  was  ich  vom  ersten  sagte. 
Hinsichtlich  der  dritten  und  vierten  „Meridionaltheilungen",  welche  an  der 
unteren  hellen  Dotterhälfte  als  Längstheilungen  gelten,  will  ich  noch  bemerken, 
dass  ich  ausnahmslos  die  sich  theilenden  Keime  wie  bei  Aequatorialtheilungen 
entweder  ganz  oder  beinahe  vollständig  in  einem  senkrechten  Durchschiffe  antraf, 
woraus  hervorgeht,  dass  die  Theilungsebene  der  Dottersubstanz  mehr  oder 
weniger  von  der  senkrechten  abweichen  sollte.  Wenn  aber  darauf  trotzdem 
äusserlich  Längstheilungen  erfolgen,    die   ausgesprochen  meridionalen  nach 


IL  Die  Dottertheilung.  97 

M.  Schultze  (Nr.  52  S.  7.  8)  allerdings  in  den  seltenern  Fällen,  so  kann  dies 
wohl  nachträglichen  Verschiebungen  der  Dotterstücke  zugeschrieben  werden, 
wie  solche  schon  den  ersten  Beobachtern  des  „Furchungsprocesses"  bekannt 
waren.  Ich  werde  in  dieser  Ansicht  durch  die  Dottertheilung  an  den  unseren 
Batrachiereiern  so  ähnlichen  Eiern  des  Petromyzon  Planeri  bestärkt,  an  denen 
M.  Schultze  "(Nr.  92  S.  8.  Taf.  I)  nach  der  ersten  Aequatorialtheilung  eine 
zweite  und  dritte  beschreibt  und  abbildet,  sodass  wirkliche  Längstheilungen 
selbst  in  der  Ausführung  des  äusserlichen  Furchennetzes  ganz  ausgeschlossen 
zu  sein  scheinen,  und  die  Quertheilungen  den  normalen  Vorgang  darstellen, 
dessen  äusserer  Ausdruck  jedoch  an  den  Batrachiereiern  nachträglich  abge- 
ändert wird.  Dieser  Vergleich  liefert  einen  neuen  Beleg  für  die  von  mir  schon 
mehrfach  erörterte  Thatsache,  dass  die  äusseren  Bilder  der  Furchen  über  die 
eigentliche  Pachtung  und  den  Verlauf  der  Dottertheilung  uns  keinen  sichern 
Aufschluss  geben  können. 

Ich  glaube  nun  alles  erörtert  zu  haben,  was  zur  Begründung  einer  Theorie 
des  ganzen  Dottertheilungsprocesses  nöthig  erscheinen  könnte.  Ich  habe  zuerst 
gleichsam  den  Mechanismus  der  Dottertheilungen  unter  der  Voraussetzung 
einer  unbekannten,  den  radiären  Zusammenhang  hervorrufenden  Ursache 
untersucht,  dann  dieses  unbekannte  x  durch  die  wirklichen  Werthe  ersetzt, 
welche  sich  bei  eingehender  Betrachtung  aller  Erscheinungen  als  die  wahr- 
scheinlichsten ergaben,  endlich  die  Bedingungen  zu  erforschen  gesucht,  unter 
denen  jene  nächsten  Ursachen  der  Dottertheilung  den  andauernden  'Fortgang 
dieses  Theilungsprocesses  unterhielten.  Ich  will  jetzt  die  aus  diesen  Unter- 
suchungen gewonnenen  Resultate  kurz  zusammenfassen,  um  den  Vorgang, 
welchen  ich  behufs  einer  eingehenden  Erörterung  in  verschiedene  Abschnitte 
zerlegen  musste,  in  seiner  natürlichen  Einheit  und  Einfachheit  zu  zeigen.  — 
Das  reife  Ei  besteht  aus  der  Dottermasse,  der  sie  umspülenden  eiweisshaltigen 
Flüssigkeit  und  den  Eihüllen,  Dotterhaut  und  Gallerthülle;  zur  Einleitung  und 
Unterhaltung  der  Entwickelungserscheinungen  ist  dann  noch  das  Medium  erfor- 
derlich, in  welches  das  vom  Eierstocke  gelöste  Ei  gelangt,  das  Wasser.  Sobald 
das  Ei  mit  dem  letzteren  in  Berührung  tritt,  wird  durch  die  Dotterhaut  ein 
erster  endosmotischer  Strom  zwischen  den  sie  beiderseits  benetzenden  Flüssig- 
keiten mit  einem  hohen  Aequivalente  der  inneren  eiweisshaltigen  hervorgerufen; 
darauf  folgt  die  relativ  starke  Zunahme  aber  gleichzeitige  Verdünnung  der 
letzteren.  In  dem  Masse,  als  dieser  Vorgang  sich  ausbildet,  erfolgt  die  ganz 
offenbare,  wenn  auch  in  ihrem  Zusammenhange  mit  jenem  Vorgange  noch 

Gop.TTE,  Entwickeluugsgeschichte.  * 


98  II   r>ie  Dottertheilung. 

nicht  aufgeklärte  Verdichtung  der  Dotterrinde.  Diese  wiederum  scheint  mir 
eine  zweite  endosmotische  Strömung  zwischen  der  extra-  und  der  intravitellären 
Flüssigkeit  herzustellen  und  so  zur  wichtigsten  Bedingung  der  weiteren  Ent- 
wickelung  zu  werden.  Denn  wenn  das  durch  die  Endosmose  eingeführte 
Wasser  die  Dottersubstanz  überhaupt  nothwendig  auflösen  muss,  um  so  den 
für  die  lebendige  Entwickelung  unentbehrlichen  Stoff  herzustellen,  so  ver- 
nichtet doch  diese  Auflösung,  sobald  sie  sich  regellos  im  Dotter  verbreitet,  jede 
Organisation  desselben  und  damit  die  Möglichkeit  seiner  Fortentwickelung, 
während  sie  durch  den  Einfluss  der  Dotterrinde  in  bestimmter  Form  geregelt, 
gerade  zum  Ausgangspunkte  für  die  Herstellung  eines  Organismus  wird.  Durch 
die  endosmotische  Wirkung  der  verdichteten  Dotterrinde  wird  nämlich  die  Auf 
lösung  des  Dotters  auf  einen  inneren  Umbildungsheerd  beschränkt,  dessen 
excentrische  Lage  statt  einer  vollständigen  Symmetrie  der  radiären  Diffusions- 
strömung, welche  gleich  der  Formlosigkeit  zur  Zerstörung  des  Ganzen  führen 
müsste,  eine  Differenz  seiner  fortdauernden  Beziehungen  zur  Aussenwelt  oder 
der  Diffusionsströme  setzt,  welche  im  Kampfe  um  die  Ausgleichung  die  Thei- 
lung  des  ersten  Lebenskeims  und  der  ganzen  Dotterkugel,  damit  aber  auch 
den  Fortgang  der  Entwickelung  bedingen.  Denn  in  jedem  neuen  Dotterstücke 
wiederholt  sich  dasselbe  Schauspiel:  die  verschiedenen  Stromlängen  der  radiären 
Diffusion  veranlassen  die  Verschiebung  des  Sammelpunktes,  des  Lebenskeims, 
in  der  Richtung  des  längsten  Stromes,  und  weil  dieser  sich  beständig  bipolar 
entwickelt,  die  Zweitheilung  des  ersteren,  sowie  in  Folge  dessen  des  ganzen 
Dotterstückes.  Ein  einfacher  aber  eigenthümlich  geregelter  physikalischer 
Process  spielt  sich  in  der  Dottermasse  des  lebensfähigen  Eies  ab  und  die  Thei- 
lungen  der  Dotterstücke  und  ihrer  Umbildungsheerde  sind  nur  der  sichtbare 
Ausdruck  desselben. 

Dass  es  sich  jedoch  dabei  nicht  um  Organismen  handelt,  sondern  erst  um 
eine  Vorbereitungsstufe  solcher,  bedarf  nach  dem  Gesagten  wohl  keiner  beson- 
deren Erörterung:  von  den  ganzen  Dotterstücken  wurde  es  bereits  erwiesen, 
und  von  den  Lebenskeimen  ergibt  es  sich  von  selbst,  wenn  man  über  die  flüch- 
tigste Untersuchung  hinausgeht.  -  -  sie  sind  eben  gar  keine  begrenzten  Körper, 
sondern  bloss  die  Stellen  der  kontinuirlicheri  Dottersubstanz,  wo  deren  feste 
Theile  vollständig  aufgelöst  sind.  Doch  aber  verdienen  sie  ihren  Namen,  denn 
einmal  bilden  sie  die  ersten  Anlagen  des  künftigen  Zellenleibes,  welche  durch 
allmähliche  Um-  und  Anbildung  der  übrigen  Dottermasse  diese  endlich  ganz 
in  ihren  Bereich  ziehen,  andererseits  entstehen  in  ihrem  Innern  unmittelbar  die 


II.    Die  Dottertheilung,  99 

Protoplasmaklümpchen,  welche  als  Kernkeime  die  späteren  Zellenkerne  zusam- 
mensetzen. Da  nun  die  ganze  Dottermasse  das  vollständige  Material  zur  Bildung 
von  Zellen,  von  „Elementarorganismen"  liefert  und  durch  allmähliche  Umwand- 
lung in  solche  übergeht,  so  könnte  sie  als  unreifes  Protoplasma  bezeichnet 
werden,  während  die  Lebenskeime  das  zur  Lebensfähigkeit  umgewandelte,  reife 
Protoplasma  darstellen,  welches  nur  noch  in  eine  bestimmte  Form  gebunden 
zu  werden  braucht,  um  einen  einfachsten  Organismus,  den  Anfang  eines  wirk- 
lichen Lebens  zu  bilden.     Diese  Form  erscheint  nicht  am  ganzen  Lebenskeim, 
sondern  zunächst  bloss  in  seinem  Innern,  nämlich  an  den  Zellenkernen  durch 
Vermittelung  der  Kernkeime.      Diese  letzteren  entstehen  in  der  zarten  Sub- 
stanz der  Lebenskeime  als  etwas  festere  Protoplasmaklümpchen  oder  -körner, 
welche  durch  Karmin  lebhafter  gefärbt  werden  als  die  übrige  Masse  und  da- 
durch schon  an  den  Unterschied  eines  Zellenkerns  vom  Zellenleibe  erinnern. 
Ob  ihnen  aber  schon  die  Bezeichnung  von  Organismen  zukomme,  vermochte 
ich  durch  Beobachtung  nicht  sicher  zu  entscheiden ;  ich  konnte  sie  erst  nach 
der  zweiten  Dottertheilung  wahrnehmen,  fand  aber  alsdann  schon  mehre  vor, 
welche  im  Lebenskeime  zerstreut  lagen  und  niemals  sichere  Anzeichen  eines 
Wachsthums  und  einer  Fortpflanzung  bei  ihrer  auffallend  raschen  Vermehrung 
offenbarten.     Desshalb  wird  mir  die  freie  Bildung  jedes  einzelnen  Kernkeimes 
wahrscheinlich;  und  wenn  ich  überlege,  dass  sie  eine  so  schnell  vergängliche 
selbstständige  Existenz  führen,  um  als  in  dieser  Existenz  bedeutungslose  Ein- 
zeltheile  erst  durch  ihre  Verschmelzung  unzweifelhafte  Lebensträger  zusam- 
menzusetzen,  so  muss   ich   mich  der  Ansicht  zuneigen,   dass  die  Kernkeime 
unorganisirte  Körner  seien,  welche  ihre  fortdauernde  Neubildung  dereigenthüm- 
lichen  molekularen  Zusammensetzung  der  beständig  wachsenden  Lebenskeim- 
masse verdanken  und  abgesehen  von  der  Grösse  den  bekannten  dichteren 
Protoplasmatheilchen    verglichen    werden  können,    welche    das   sogenannte 
granulirte  Aussehen  der  meisten  Zellen  hervorrufen.     Bei  einer  solchen  Auf- 
fassung der  Kernkeime  kann  es  nicht  auffallen,  dass  sie  auf  die  an  den  Lebens- 
keimen und  ihren  Höfen  sich  abspielenden  Vorgänge  ohne  Einfiuss  bleiben:  die 
letzteren  verlaufen  ganz  gleich,  ob  die  Kernkeime  fehlen  (erster  Lebenskeim 
und  die  Höfe)  oder  vorhanden  sind.     Ich  habe  daher  mit  Recht  dieselben 
unbeachtet  lassen  dürfen,   so  lange   sie  in  den  Lebenskeimen  zerstreut  den 
geringeren  Theil  derselben  bildeten.     Sobald  sie  sich  aber  bis  zu  dem  Masse 
vermehrt  haben,  dass  sie  einen  dichten,  den  Lebenskeim  beinahe  ausfüllenden 
Haufen  bilden,  also  die  übrige  Lebenskeimmasse   bedeutend  überwiegen,  so 


100  H-    Die  Dottertheilung. 

erscheinen  sie  auch  als  die  wesentlichen  Träger  der  den  Lebenskeimen  zugeschrie- 
benen Thätigkeit;  an  ihnen  werden  alsdann  das  Wachsthum  (durch  äussere 
Anlagerung  neugebildeter  Kernkeime)  und  die  Theilungen  kenntlich,  welche 
ich  ausführlich  an  den  ganzen  Lebenskeimen  erörterte.  Doch  darf  hierbei 
nicht  vergessen  werden,  dass,  so  lange  die  Kernkeimhaufen  wirklich  das  sind, 
was  ihr  Name  aussagt,  also  bloss  die  Summe  der  noch  diskreten  Kernkeime, 
sie  ihrem  Wesen  nach  sich  von  den  einzelnen  dieser  ihrer  Theile  nicht  unter- 
scheiden. Sie  sind  dann  für  die  künftigen  Zellenkerne  ebendasselbe,  was  die 
unveränderte  Lebenskeimmasse  für  den  Zellenleib  darstellt,  -  -  das  reife  aber 
noch  unorganisirte  Protoplasma.  Diese  Organisation  oder  die  eigentliche 
Form  des  Lebendigen  wird  eben  durch  die  Verschmelzung  der  Kernkeimhaufen 
zu  den  soliden  Zellenkernen  hergestellt,  welche  natürlich  im  einzelnen  nicht 
nachzuweisen  ist,  sodass  auch  keine  bestimmte  Grenze  zwischen  beiden  Zu- 
ständen gefunden  werden  kann.  Jedenfalls  besitzt  aber  der  fertige  Zellenkern 
die  bezeichnenden  Merkmale  des  Lebens.  Sein  Wachsthum  geht  innerhalb 
seiner  bestimmten  äusseren  Grenzen  vor  sich,  kann  also  nur  auf  einer  Innen- 
aufnahme neuen  Stoffes,  auf  einer  Ernährung  beruhen.  Die  Fortpflanzung  der 
Kerne  habe  ich  bereits  ausführlich  beschrieben ;  sie  beruht  auf  einem  lokal 
beschränkten  oder  überwiegenden  Wachsthum,  sodass,  was  sonst  die  Vergrösse- 
rung  des  Ganzen  hervorgerufen  hätte,  in  jenem  Falle  die  excessive  Ausbildung 
eines  Theils  bewirkt,  welcher  dadurch  zu  einem  neuen  Ganzen  sich  absondert. 
Man  kann  eine  solche  Erscheinung  einer  Knospenbildung  vergleichen,  wobei 
die  endliche  Ablösung  des  hervorsprossenden  Theils  offenbar  mechanisch  erfolgt, 
.und  noch  allgemeiner  sich  dahin  ausdrücken,  dass  diese  Fortpflanzung 
auf  einem  Wachsthum  nicht  über  das  individuelle  Mass  hinaus, 
wie  es  häufiger  ausgesprochen  wird,  sondern  über  die  individuelle 
Form  hinaus  beruhe.* 


*  Ich  bemerkte  schon,  dass  die  Bilder  der  sich  fortpflanzenden  Zellenkerne  in  mir  die 
Ansicht  erweckten,  dass  ihre  Knospenbildung  je  auf  eine  Stelle  beschrankt  sei.  Aber  wenn 
dieselbe  auch  unter  Umständen  nach  zwei  Seiten  erfolgte,  und  alsdann  beinahe  je  eine 
Hälfte  des  Muttergebildes  umfasste,  das  letztere  in  die  neuentstehenden  Theile  vollständig- 
aufgenommen würde,  so  wäre  der  von  mir  aufgestellte  Typus  dadurch  nicht  wesentlich  ver- 
ändert. Die  Unterscheidung,  dass  in  dem  letzteren  Falle  die  ganze  vorhandene  Masse 
sich  in  zwei  Hälften  sondert,  im  ersteren  Falle  dagegen  nur  der  Stoffzuwachs  an  einer 
Stelle  abgelagert  wird,  stützt  sich  nur  auf  die  äussere  Erscheinung  und  ist  fehlerhaft,  weil 
sie  die  Vorstellung  wesentlich  verschiedener  Ursachen  in  beiden  Vorgängen  einschliesst. 
Wenn  die  allmähliche  Theilung  in   zwei  gleiche  Hälften  unabhängig  von  der  Ernährung 


II.    Die  Dottertheilung.  101 

Fragt  man  nun  nach  den  Ursachen  jener  Abänderung  des  gleichmässigen 
Wachsthums,  so  halte  ich  es  von  vornherein  für  unberechtigt,  dieselben,  na- 
mentlich solange  in  den  Kernen  differente  Theile  fehlen,  aus  hypothetischen 
Wirkungen  hypothetischer  Theile,  z.  B.  durch  besondere  Anziehungscentren,  zu 
erklären.  Jede  Lebenserscheinung  ist  allerdings  der  Ausdruck  der  an  der  be- 
treffenden Stelle  irgendwie  veränderten  Ernährung  oder  des  Stoffverbrauchs ; 
aber  diese  nächsten  Lebensursachen,  mögen  sie  sich  nun  allgemein  oder  lokal 
äussern,  bleiben  immer  gleichsam  das  Medium,  wodurch  alle  äusseren  Einwir- 
kungen, welche  das  Leben  unterhalten,  in  die  ihm  eigenen  Erscheinungen  überge- 
führt werden.  Dem  Organismus  eigenthümlich  ist  im  Grunde  nur  diese  Fähig- 
keit des  An-  und  Umbildens,  welche  bei  einer  homogenen  Beschaffenheit  desselben 
überall  die  gleiche  bleiben  muss.  Tritt  nun  doch  in  einem  solchen  Falle  eine 
Abänderung  in  der  Gleichmässigkeit  der  Wirkungen  ein,  so  kann  man  die  Veran- 
lassung dazu,  also  zu  einem  einseitigen  Wachsthume  oder  der  lokalen  Steigerung 
der  Nahrungszufuhr  nur  den  äusseren  Einflüssen  zuschreiben.  Wenn  wir  aber 
einen  Blick  zurückwerfen  auf  die  allmähliche  Entwickelung  der  Zellenkerne 
aus  den  Kernkeimhaufen  und  den  Lebenskeimen,  so  erhellt,  dass  die  centripe- 
talen,  zuführenden  Diflüsionsströme,  welche  die  Masse  der  Lebenskeime  ver- 
mehrten, darin  die  dauernde  Neubildung  von  Kernkeimen  unterhielten,  auch 
die  Nahrungszufuhr  der  Zellenkerne  besorgen  und  hier  wie  dort  mit  einem 
wenigstens  äusserlich  scheinbar  gleichen  Erfolge  wirken,  also  ebensowohl  das 
gleichmässige,  wie  das  ungleichmässige  Wachsthum  mit  den  folgenden  Thei- 
hingen  hervorrufen.     Hierbei  lässt  sich  nicht  verkennen,  dass  die  aus  den  Er- 


gedacht wird,  so  ist  sie  keine  Lebenserscheinung  mehr ;  die  Ungleichmässigkeit  der  Ernäh- 
rimg kann  aber,  wie  im  Folgenden  noch  näher  erörtert  wird,  nur  auf  der  Ungleichmässig- 
keit der  radiären  Ernährungsströme  beruhen,  sodass  ein  Ueberwiegen  des  Wachsthums 
nach  zwei  Seiten  hin  auf  eine  entsprechende  Spaltung  des  stärkeren  Ernährungsstromes 
hindeutet,  während  derselbe  im  andern  Falle  vollständig  nach  einer  Seite  gerichtet  ist. 
Hierbei  kann  aber  natürlich  die  Substanz  des  Kernsindie  früherbestandene  und  die  neuhinzu- 
kommende  nicht  wirklich  geschieden  gedacht  werden;  es  bleibt  morphologisch  immer  eine 
und  dieselbe,  welche  bei  den  durch  das  Wachsthum  hervorgerufenen  Molekularbewegungen 
entweder  an  einer  umschriebenen  Stelle,  theilweise ,  und  zwar  gewöhnlich  in  dem  Masse, 
als  sie  zunimmt,  oder  nach  zwei  Seiten  über  ihre  frühere  Form  hinausgedrängt  wird.  Der 
Erfolg  ist  in  beiden  Fällen  ganz  derselbe:  die  Neubildung  zweier  Körper  statt  des  ursprüng- 
lichen einen,  und  der  Unterschied  beruht  nur  darin,  dass  der  stärkere,  überwiegende  Ernäh- 
ruugsstrom  einmal  nach  einer  Richtung  abgelenkt,  dasandereMal  in  zwei  Schenkel  gespalten 
erscheint,  wobei  der  vollständige  Uebergang  des  Muttergebildes  in  die  sich  absondernden 
Hälften  nur  mehr  ein  zufälliger  Umstand  ist,  der  bei  der  einseitigen  Knospung  selbstver- 
ständlich nicht  eintreten  kann. 


102  IT.    Die  Dottertheilung. 

scheinungen  erkannten  Entwickelungsvorgänge  der  Lebenskeime,  obgleich  ich 
sie  nach  den  früheren  Erörterungen  nicht  für  lebendige  halten  kann,  der  Lebens- 
thätigkeit  der  dabei  erzeugten  Zellenkerne  sehr  viel  näher  stehen,  als  etwa  ähn- 
lichen Vorgängen  anorganischer    Körper.     Die  Lebenskeime  wachsen,    und 
dieses  Wachsthum  bringt  Bewegung  und  Vermehrung  hervor,  und  zwar  gerade 
desshalb,  weil  es  keine  Anlagerung  von   aussen,   wie  bei  den  anorganischen 
Körpern,   sondern  eine  wirkliche  Innenaufnahme  ist,   indem  die  Bewegung 
der  Stoffzufuhr  bei  dem  halbflüssigen   Zustande  der  Substanz  sich  in   die 
letztere  furtsetzen,  die  neuhinzugekommenen  Theilchen  in  deren  Inneres  ein- 
führen kann.     Dass  dies  in  der  That  stattfindet,  erhellt  unzweifelhaft  aus  den 
Bewegungen    der    Lebenskeime    bei    ihrer   Vermehrung:    die   Stofftheilchen 
müssen  vielfach  aneinander  verschoben  werden,  da  die  einzig  mögliche  Ursache 
der  ganzen  Erscheinung  von  einer  anderen  Seite  auf  den  Lebenskeim  wirkt, 
als  wo  der  Effekt,  die  neuen  Theile  erscheinen.  -     Wenn  aber  auch  die  Vor- 
gänge, welche  das  Wachsthum  und  die  daraus  resultirenden  Erscheinungen 
der  Lebenskeime  und  der  Zellenkerne  bedingen,  dieselben  sind,  so  sind  doch 
jene  ihre  Wirkungen  durch  das  wechselnde  Objekt,  an  dem  sie  sich  offenbaren, 
wesentlich  von  einander  unterschieden.     Zunächst  mache  ich  darauf  aufmerk- 
sam, dass  jene  Erscheinungen  nicht  Eigenschaften  des  betreffenden  Stoffes,  des 
reifen  Protoplasmas  an  sich  sind,  sondern  von  bestimmten,  gesetzmässig  ange- 
ordneten Beziehungen  desselben  zu  seiner  Umgebung,  von  der  beschriebenen 
Protoplasmaströmung  abhängen.     Sie  sind  also  das  Resultat  einer  gewissen 
Organisation  des  lebensfähigen  Stoffes.     In  dem  ausgewachsenen  Eierstockseie 
ist  nur  ein  formloses,  unreifes  Protoplasma  enthalten;  unter  gewissen  Umstän- 
den entwickelt  sich  darin  eine  gesetzmässige  Bewegung,  es  wird  organisirt  und 
erhält  als  sichtbaren  Ausdruck  davon  die  bestimmte  äussere  Gestalt  (Dotter- 
kugel).    Diese  Organisation   leitet  zugleich  die  Umbildung  des  Stoffes  ein, 
welche  sich  aber  nicht  gleichmässig  und  sofort  auf  die  ganze  Dotterkugel 
erstreckt    (wodurch    allein  dieselbe  zu  einem  Organismus  werden  könnte), 
sondern  auf  einzelne  bestimmte  Stellen  beschränkt,  wo  der  Dotter  in  lebens- 
fähiges Protoplasma  verwandelt  wird.     Indem  diese  Umbildungsheerde  eben 
die  Organisationscentren  sind,  treffen  die  Bedingungen  für  jene  Erscheinungen 
zusammen,  welche  uns  durchaus  als  Lebenserscheinungen  imponiren.     Aber 
an  den  Lebenskeimen  entspricht  das  sichtbare  Bild  nicht  dem  objektiven  Zu- 
stande.    Ich  habe  von  ihnen  wie  von  wirklichen  Körpern  nur  aus  Rücksicht 
auf  die  bequeme  Beschreibung  und  mit  dem  Vorbehalt  gesprochen,  dass  man  stets 


II.    Die  Dottertheilung.  103 

des  eigentlichen  Thatbestandes  bewusst  bleibe.  Wenn  aber  der  letztere  lehrt, 
dass  die  Lebenskeime  nach  allen  Seiten  kontinuirlich  mit  dem  übrigen  Dotter- 
protoplasma zusammenhängen,  dass  sie  überhaupt  nur  die  sichtbaren  Sammel- 
punkte der  ganzen  radiären  Diffusion  sind,  so  folgt  daraus,  dass  die  Vorgänge, 
welche  uns  als  ihr  „  Wachsthum"  und  ihre  „Fortpflanzung"  erscheinen,  ebenso- 
wenig auf  ein  bestimmtes  Gebiet  beschränkt  sind,  und  gleichfalls  allseitig  ohne 
irgend  eine  Grenze  in  die  Bewegungen  des  offenbar  leblosen  Protoplasmas, 
der  unveränderten  Dottersubstanz  übergehen.  Weil  es  nun  Lebenserschei- 
nungen ohne  bestimmt  begrenztes  Objekt  nicht  geben  kann,  da  man  unter 
jenem  Ausdrucke  nicht  gewisse  Bewegungen  an  sich,  sondern  Vorgänge  in  und 
an  bestimmten  Körpern,  eben  den  Organismen,  versteht,  so  kann  die  organi- 
sirte  Bewegung  des  lebensfähigen  Protoplasmas  erst  dann  als  wirkliches  Leben 
aufgefasst  werden,  wenn  sie  in  bestimmte  Schranken  eingeschlossen,  sich  dess- 
halb  auch  in  bestimmten  Leistungen  innerhalb  derselben  offenbart.  Es  ergibt 
sich  also  aus  dieser  Ueberlegung,  dass  die  radiäre  Diffusion  jedes  Dotterstückes 
dieses  beschränkte  Gebiet  zur  Bethätigung  des  Lebens  erst  in  dem  fertigen 
Zellenkerne  findet,  welcher  daher  die  erste  Lebensform  indem 
sich  entwickelnden  Batrachiereie  darstellt.  —  Aus  diesem  Grunde 
unterscheide  ich  die  Dotterstücke,  sobald  sie  einen  fertigen  Zellenkern  ent- 
halten als  Embryonal-  und  Dotter zellen  von  den  vorher  kernlosen 
Dotterstücken,  obgleich  schon  aus  der  früheren  Darstellung  hervorgeht,  dass 
beide  Zustände  nirgends  scharf  getrennt  sind,  sondern  allmählich  in  einander 
übergehen.  Jene  Zellenkerne  verzehren  das  um  sie  noch  angesammelte  reife 
Protoplasma  sehr  bald,  sodass  endlich  jedes  neu  .umgebildete  Quantum  der  sie 
umgebenden  Dottersubstanz  eben  nur  zum  Leben  der  Kerne,  namentlich  zu 
ihrer  andauernden  Fortpflanzung  hinreicht. 

So  erscheinen  denn  die  Embryonal-  und  Dotterzellen  sehr  bald  als  grössere 
oder  kleinere  Körperchen  von  scheinbar  unveränderter  Dottersubstanz,  welche 
einen  Kern  einschliesst;  sie  stimmen  mit  ausgebildeten,  vollkommenen  Zellen 
nur  durch  den  Besitz  des  lebendigen  Kerns  überein,  während  ihr  eigentlicher 
Zellenleib  noch  aus  durchaus  unreifem,  nicht  lebensiähigem  Protoplasma  be- 
steht, welches  durch  die  Kernvermehrung  gerade  ebenso  wie  bei  den  früheren 
Dottertheilungen  in  immer  kleinere  Stücke  zerfällt,  aber  von  einer  Ernährung 
und  deren  Folgen  nichts  wahrnehmen  lässt.  Die  Embryonalzelle  ist  daher 
als  Ganzes  ebensowenig  wie  die  Dotterkugel  oder  die  kernlosen  Dotter- 
stücke ein  vollständiger  Elementarorganismus  oder  „das  wahre  Urbild   von 


104  II-    Die  Dottertheilung. 

Zellen  ".  *  Sie  ist  nur  die  letzte  Umbildungsstufe  in  der  ganzen  langen  Ent- 
wickelungsreihe  von  der  Entstehung  des  formlosen  unreifen  Protoplasmas  bis 
zur  Herstellung  einer  vollkommen  fertigen,  lebendigen  Zelle,  in  welche  sie 
durch  die  fortgesetzte  Umbildung  der  Dottersubstanz  in  reifes,  lebensfähiges 
und  sich  wirklich  ernährendes  Protoplasma  übergeht.  Dieser  Vorgang  beruht, 
wie  ich  schon  auseinandersetzte,  in  einer  Schmelzung  der  Dottertäfelchen  und 
Dotterkörner  während  der  andauernden  radiären  Protoplasmaströmung.  Wenn 
aber  dieser  Process,  welcher  die  Ernährung  des  Zellenkerns  besorgt,  abge- 
laufen ist,  so  muss  natürlich  eine  bis  dahin  fehlende  und  entbehrliche  Ernäh- 
rung des  Zellenleibes  selbst  eintreten,  wenn  der  ganze  Organismus  am  Leben 
bleiben  soll.  Dass  diese  Ernährung,  die  Stoffaufnahme  von  aussen  her  nicht 
plötzlich  in  dem  fertigen  Zellenleibe  erscheine,  sondern  allmählich  und  wohl 
schon  während  der  letzten  Periode  der  Dotterschmelzung  sich  entwickele, 
scheint  mir  eine  selbstverständliche  Annahme,  wenn  man  einmal  erkannt  hat, 
wie  die  allmähliche  Ablösung  vergänglicher  Zustände,  die  Entstehung  der 
Ursachen  zu  solchen  Veränderungen  als  unscheinbare  Begleiterscheinung  in 
viel  früheren  Perioden  ganz  eigentlich  zum  Wesen  der  organischen  Entwicke- 
lung  gehören. 

Am  Schlüsse  dieser  Betrachtungen  über  die  Dottertheilung  angelangt,  will 
ich  noch  auf  die  allgemeine  Bedeutung  der  daraus  gewonnenen  Ergebnisse  hin- 
weisen. Während  die  ältere  Lehre,  indem  sie  in  der  Dottertheilung  ganz  richtig 
eine  Neubildung  von  Zellen  in  einer  nichtzelligen  Keimstätte  sah,  doch  über  die 
äussere  Erscheinung,  über  die  geheimnissvolle  Zusammenfügung  von  Kern  und 
Zellenleib  nicht  hinausging ,  machte  es  sich  andererseits  die  moderne  Auffas- 
sung, welche  dem  Zusammenhange  der  Erscheinungen  nachzuspüren  begann, 
wieder  zu  leicht,  wenn  sie  schematisirend  und  unter  Vernachlässigung  derthat- 
sächlichen  Verhältnisse  in  der  Dottertheilung  nur  den  Vorgang  einer  besonders 
fruchtbaren  Zellenfortpflanzung  zu  erkennen  glaubte.  Auf  Grund  meiner  Be- 
obachtungen und  vom  Standpunkte  der  daran  geknüpften  Betrachtungen  darf 
ich  vielmehr  behaupten,  dass  die  Dottertheilung  der  äussere  Ausdruck  eines 
Entwickelungsvorganges  ist,  dessen  einzelne  Abschnitte  weder  formell,  noch 
materiell  gleichartig  sind,  während  dessen  die  ursprüngliche  Dottersubstanz 
alle  Phasen  von  einem  nicht  lebensfähigen  Stoffe  und  einer  formlosen  Masse 


*  Vgl.  Schultze  Nr.  93  S.  9.    Dass  Schultze  unter  seinen  Embryonalzellen  vor- 
herrschend die  „Furchungszellen"  versteht,  ist  S.  9—11  ganz  unzweideutig  ausgesprochen. 


II.    Die  Dottertheilung.  105 

£is  zum  fertigen  Elementarorganismiis  mit  ganz  allmählichem  Fortschritte 
durchläuft,  und  wobei  das  unermüdliche  Spiel  der  fortlaufenden  Theilungen  nur 
<t  ine  Begleiterscheinung  jener  fundamentalen  Vorgänge  darstellt.  Diese  bieten 
unserer  Betrachtung  zunächst  wohl  die  einzige  Gelegenheit,  die  Entstehung  des 
Lebens  aus  Nichtlebendigem  zu  belauschen,  den  nothwendigen  Zusammenhang 
zu  finden  zwischen  der  durch  äussere  Bedingungen  und  Einflüsse  hervorgeru- 
fenen Zusammenziehung  der  formlosen  Dottermasse  zur  Dotterkugel ,  der  da- 
durch erzeugten  radiären  Anordnung  der  Diffusionsströme  und  der  daraus  fol- 
genden Bildung  des  ersten  Lebenskeimes,  zwischen  den  an  dem  letzteren  sich 
offenbarenden  Veränderungen,  gleichsam  Lebenserscheinungen  ohne  Objekt, 
und  ihrer  Fixirung  in  bestimmte  Schranken,  wodurch  der  Elementarorganismus 
vollendet  wird.  Eine  durch  die  eigenthümliche  Zusammensetzung  der  Sub- 
stanz gewährleistete,  fortschreitende  Beschränkung  regelloser  allgemeiner  Be- 
wegungen in  immer  engere  Kreise  bedingt  die  Entwickelung,  das  Leben;  und 
desshalb  darf  die  Reihe  von  Entwickelungsvorgängen ,  welche  wir  nach  ihrer 
äusseren  Erscheinung  kurzweg  Dottertheilung  nennen,  von  der  Entwickelung 
des  Eierstockseies  durchaus  nicht  wesentlich  getrennt  gedacht  werden,  sondern 
ist  vielmehr  ebenso  sehr  eine  unmittelbare  Folge  der  letzteren,  welche  ja  alle 
wesentlichen  Bedingungen  jener  fortschreitenden  Beschränkung  schuf,  wie  die 
nachstehend  zu  betrachtende  Bildung  des  Embryo  nicht  bloss  im  Anschlüsse 
an  die  Dottertheilung  erfolgt,  sondern  in  eigentümlichen  Umständen  schon 
der  ersten  Akte  derselben  begründet  wird. 

Ich  glaube  nicht,  dass  es  möglich  ist,  den  Dotter theilungsprocess  in  dem- 
selben Umfange  wie  an  den  Eiern  der  Batrachier  auch  an  denen  anderer  Wir- 
belthiere  zu  untersuchen.  Die  entgegenstehenden  Hindernisse  beruhen  nicht 
nur  in  den  Eiern  selbst,  sondern  auch  in  den  äusseren  Umständen  ihrer  ersten 
Entwickelung,  welche  das  Sammeln  aller  beliebigen  Entwicklungsstufen  er- 
schweren. Man  wird  sich  daher  zunächst  darauf  beschränken  müssen,  die 
Uebereinstimmung  aller  Wirbelthiereier  hinsichtlich  der  Dottertheilung  anzu- 
nehmen, sobald  man  die  meisten  Einzelheiten  derselben,  wie  sie  an  den  Ba- 
trachiereiern  erkannt  werden  können,  auch  nur  von  einander  getrennt  an  den 
verschiedenen  Eiern  der  Fische  und  Amnioten  wieder  findet.  —  Der  äussere 
Vorgang  der  Dotterzerklüftung  und  der  Uebergang  der  Dotterstücke  in  die 
Embryonalzellen  des  Keims  ist  bekanntlich  in  allen  Wirbelthiereiern  nachge- 
wiesen ;  dass  jedem  Akte  der  Dottertheilung  eine  entsprechende  Theilung  eines 
kernartigen  Centralgebildes  vorangehe,  hat  Kupffer  unmittelbar  an  durch- 


106  II-    Die  Dottertheilung. 

sichtigen  Fischeiern  beobachtet  (No.  105  S.  214).  Ueber  die  Entwickelimg 
dieser  Centralgebilde  und  namentlich  des  ersten  derselben  ist  jedoch  bisher 
nichts  bekannt  geworden;  die  Thatsache,  dass  sie  zuletzt  in  unzweifelhafte 
Zellenkerne  übergehen,  genügte,  sie  in  allen  Phasen  der  Dottertheilung  mit 
solchen  Kernen  zu  identificiren.  Um  so  interessanter  sind  daher  die  Beobach- 
tungen Oellacher's,  welcher  in  den  Dottertheilstücken  des  Forelleneies  statt  der 
allgemein  angenommenen  einfachen  Kerne  Gruppen  von  kernartigen  Gebilden 
in  Lücken  der  Dottersubstanz  oder  in  einer  „auffallend  feinkörnigen"  Masse 
eingeschlossen  antraf  (No.  106  S.  410  —  411).  In  den  späteren  Stadien  der 
Dottertheilung  sah  er  auch  je  zwei  solcher  Kerngruppen  in  einem  Dotterstücke, 
endlich  aber  statt  ihrer  grössere  einfache  Kerne,  welche  bisAveilen  gekerbt  er- 
schienen (a.  a.  0.  S.  413 — 414).  Auf  Grund  dieser  Beobachtungen  schliesst 
sich  Oellacher  im  wesentlichen  der  Anschauung  Remak's  betreffs  der  Ba- 
trachiereier  an  und  hält  die  Elemente  jener  Gruppen  für  wirkliche  Kerne, 
welche  durch  fortgesetzte  Theilung  aus  einem  einfachen  ersten  Kerne  hervor- 
gingen, welchen  Oellacher  allerdings  nur  am  unzerlegten  Keime  gesehen  zu 
haben  glaubt  (S.  409.  415).  Diese  Kerne  würden  endlich  zu  je  einem  in  die 
kleineren  Dotterstücke  vertheilt,  wobei  sie  ansehnlich  wüchsen,  sich  aber  auch 
noch  nachträglich  theilten,  wie  aus  den  gekerbten  Kernen  hervorgehe  (S.  416).  Ein 
solcher  Zusammenhang  der  Erscheinungen  wurde  von  Oellacher  nicht  wirk- 
lich beobachtet  (S.  410),  sondern  bloss  angenommen  im  Anschlüsse  an  die  ent- 
sprechende REMAK'sche  Darstellung  von  den  Batrachiereiern.  Wenn  ich  aber 
schon  die  letztere  als  irrthümlich  zurückwies,  wenn  ferner  die  gleiche  Annahme 
Oellacher's  für  das  Forellenei  den  grössten  Schwierigkeiten  in  seinen  eigenen 
Beobachtungen  begegnet,  so  finde  ich  dagegen  in  den  letzteren  viel  mehr  Ueber- 
einstimmung  mit  meiner  die  Batrachier  betreffenden  Darstellung.  Von  jenen 
Schwierigkeiten  will  ich  nur  auf  eine  hindeuten.  Da  die  vermeintlichen  Kerne 
während  längerer  Zeit  gruppenweise  und  in  wechselnder  Anzahl ,  später  aber 
einzeln  in  die  sich  neubildenden  Dotterstücke  vertheilt  werden,  so  kann  man 
weder  den  ganzen  sich  theilendcn  Dotterstücken,  noch  den  einzelnen  Gruppen- 
elementen einen  gesetzmässigen  Einfluss  auf  ihre  Vertheilung  zuschreiben ;  dann 
sieht  man  sich  aber  vergeblich  nach  einem  weiteren  Momente  um,  welches  nach 
Ausschluss  jeder  Gesetzmässigkeit  und  Nöthigung  bei  jenem  Vorgange  dennoch 
ein  gesetzmässiges  Endresultat,  nämlich  die  Einkernigkeit  der  Pmibryonalzellen 
herbeiführte.  Wenn  es  aber  schwierig  und  undankbar  ist,  Lücken  in  der  Be- 
obachtung durch  Hypothesen  auszufüllen,  so  gelingt  dies,  wie  mir  scheint,  auch 


II.    Die  Dottertheilung.  107 

im  vorliegenden  Falle  leichter  durch  den  Vergleich  mit  nahe  verwandten  aber 
im  Zusammenhange  beobachteten  Erscheinungsreihen.  Indem  ich  den  Angaben 
Oellacher's  eine  ähnliche  Deutung  gebe  wie  denen  Remak's,  also  die  Elemente 
der  Gruppen  mit  meinen  Kernkeimen  vergleiche,  glaube  ich  alle  weiteren  Ein- 
zelheiten der  OELLACHERschen  Beobachtungen  befriedigend  erklären  zu  kön- 
nen. Zunächst  wäre  auch  im  Forelleneie  der  Begriff  der  in  den  Dotterstücken 
befindlichen  Centralgebilde  auf  die  ganzen  Inseln  feinkörniger  Dottersubstanz 
auszudehnen,  in  welchen  die  Kernkeimhaufen  eingebettet  sind.  Wo  dieselbe 
etwa  vermisst  wurde,  deuten  die  sie  vertretenden  Lakunen,  welche  unzweifelhaft 
ebenso  entstehen,  wie  ich  es  an  den  Batrachiereiern  beschrieb,  auf  ihre  An- 
wesenheit im  normalen  Zustande  hin.  Die  Annahme,  dass  das  von  Oellachek 
gesehene  erste  Centralgebilde,  nämlich  eine  grössere  kugelige  Masse  mit  einem 
kleineren  Körperchen  in  ihrem  Innern,  einem  ersten  Lebenskeime  mit  seinem 
Hofe  entspreche,  also  die  Kernkeime  in  ihm  oder  seinen  nächsten  Nachkommen 
als  isolirte  Neubildungen  entstehen,  scheint  mir  jedenfalls  wahrscheinlicher  als 
die  Auffassung,  dass  jenes  Centralgebilde  oder  der  vermeintliche  erste  Kern  in 
einem  Akte  in  eine  grössere  Anzahl  bedeutend  kleinerer  Körperchen  zerfiele, 
deren  Masse  nur  einem  sehr  kleinen  Theile  des  ersteren  gleichkäme.*  Endlich 
bleibt  es  bei  der  Oellacher  sehen  Auffassung,  wie  schon  bemerkt,  schlechter- 
dings unbegreiflich,  wie  und  warum  seine  vermeintlichen  Kerne,  nachdem  sie 
längere  Zeit  haufenweise  in  die  neu  zu  bildenden  Dotterstücke  einwanderten, 
zuletzt  durchgängig  zu  je  einem  in  denselben  vertheilt  werden,  während  an- 
dererseits einige  dieser  einzelnen  Kerne  zu  gleicher  Zeit  durch  ihr  gekerbtes 
Aussehen  eine  massenhafte  Produktion  andeuten  sollen.   Gegenüber  diesen  mit 


*  Oellacher  gibt  den  Durchmesser  des  „ersten  Kerns"  auf  80  p ,  denjenigen  der  vier 
„Kernhäufchen"  nach  der  zweiten  Dottertheilung  auf  13  — 16  fi  an  (No  106  S.  412).  Be- 
trachtet mau  beiderlei  Gebilde  als  Kugeln  und  berechnet  darauf  aus  ihren  Durchmessern 
ihren  Inhalt,  so  ergibt  sich,  dass  die  Gesammtmassc  der  vier  Häufchen  nur  \  i0  derjenigen 
des  „ersten  Kernes"  beträgt.  Wenn  aber  Oellachek  im  Anschlüsse  an  seine  Zahlen- 
angaben meint:  „Dies  beweist  zur  Genüge,  dass  einer  Ableitung  jener  Körperchen  vom 
ersten  Kern,  was  die  Massenverhältnisse  anlangt,  Nichts  im  Wege  steht"  —  so  ist  der  Irr- 
thum  schon  beim  ersten  Blicke  auf  die  Zahlen  so  handgreiflich,  dass  man  nur  annehmen 
kann,  Oellacher  habe  das  Massenverhältniss  dem  Längenverhältnisse  der  Durchmesser 
gleichgesetzt.  An  einen  Schreib-  oder  Druckfehler  in  den  Zahlenangaben  ist  desshalb  nicht 
zu  denken ,  weil  nach  den  Massaugaben  für  die  zwei  Kernhäufchen  nach  der  ersten  Dotter- 
theilung (S.  411)  ihre  Gesammtmasse  sich  halb  so  gross  herausstellt,  als  diejenige  der  vier 
Häufchen,  —  ein  Verhältniss,  welches  durchaus  mit  meinen  Befunden  am  Batrachierei  über- 
einstimmt 


108  II.    Die  Dottertheiiung. 

einander  wenig  übereinstimmenden  Momenten  ergibt  sich  ein  ganz  einfacher 
und  natürlicher  Zusammenhang  der  Erscheinungen,  sobald  man  die  angegebene 
Analogie  mit  den  Batrachiereiern  annimmt.  Sind  die  Elemente  der  von  Oel- 
lacher  beobachteten  Gruppen  wirkliche  Kernkeime,  so  brauchen  sie  sich  nicht 
einzeln  in  den  Dotterstücken  zu  vertheilen,  um  die  einfachen  Zellenkerne  zu 
bilden ,  sondern  die  ganzen  Gruppen  verschmelzen  eben  zu  den  letzteren  5  als- 
dann ist  sowohl  die  auffallende  Grössenzuuahme  der  fertigen  einzelnen  Kerne 
gegenüber  den  Gruppenelementen,  als  auch  das  gekerbte  Aussehen  der  ersteren 
als  Ausdruck  der  sich  vollziehenden  Verschmelzung  leicht  verständlich  und 
nach  meinen  Beobachtungen  über  die  Entwickelung  der  Eifollikel  nicht  ohne 
unterstützende  Analogie.  —  So  glaube  ich  auch  schon  aus  den  unzusammeu- 
hängenden  Daten  über  den  ganzen  Process  der  Dottertheiiung  in  den  Fisch- 
eiern eine  Ueberstimmung  desselben  mit  dem  gleichen  Vorgange  bei  den  Ba- 
trachiern  herausfinden  zu  können ;  und  da  die  Eier  der  Teleostier  denjenigen 
der  Plagiostomen,  Reptilien  und  Vögel  noch  ähnlicher  sind  als  den  Batrachier- 
eiern und  den  ihnen  nächstverwandten  Formen  (Eier  der  Cyklostomen,  Gano- 
iden),  so  lässt  sich  die  Analogie  mit  den  genannten  Klassen  und  selbst  den 
Säugethieren  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  voraussehen.  *• 

Der  Unterschied  aber,  auf  welchen  die  Eintheilung  aller  Wirbelthiereier 
in  zwei  Gruppen,  nämlich  in  holo-  und  meroblastische  begründet  wird,  bedarf 
hier  noch  einer  kurzen  Erwähnung,  obgleich  seine  eigentliche  Bedeutung  erst 
im  folgenden  Abschnitte  behandelt  werden  kann.  Hier  erhebt  sich  nur  die 
Frage  nach  den  Ursachen,  welche  den  grösseren  Abschnitt  des  Dotters  der 
meroblastischen  Eier  (Teleostier,  Plagiostomen,  Reptilien,  Vögel)  der  Theilung 
entziehen,  und  nach  den  Grenzen,  welche  dadurch  ihrer  Analogie  mit  den  holo- 
blastischen  Eiern  (Cyklostomen,  Batrachier,  Säuger)  gesteckt  werden.  Ohne 
auf  die  Untersuchungen  ausführlich  einzugehen,  welche  ich  zu  diesem  Zwecke 
an  Hühnereiern  anstellte,  und  deren  Mittheilung  ich  einer  besonderen  Arbeit 
vorbehalte,  will  ich  hier  nur  kurz  die  wichtigsten  Ergebnisse  hervorheben.  Man 
unterscheidet  bekanntlich  an  den  meroblastischen  Eiern  den  eigentlichen 
Keim,  welcher  allein  zerklüftet  werde,  von  dem  Nahrungsdotter,  welcher 


*  Ich  darf  hier  wohl  die  Bemerkung  hinzufügen,  dass  ich  auch  an  den  Eiern  der  Asci- 
dien  als  erstes  und  zwar  stark  excentrisches  Inuengebilde  des  Dotters  nicht  einen  wirklichen 
Kern,  sondern  eine  nicht  scharf  begrenzte  helle  Dottermasse  antraf,  in  welcher  erst  nach 
der  ersten  oder  zweiten  Theilung  ein  deutlich  begrenztes  kernartiges  Centrum  auftrat. 


IL    Die  Dottertheilung.  109 

davon  nicht  berührt  werde.  Ich  rinde  aber  nun,  dass  der  unmittelbar  unter 
dem  Keime  befindliche  Theil  des  Nahrungsdotters  gleichfalls,  aber  so  langsam 
und  spät  an  der  Zerklüftung  und  Bildung  kernhaltiger  Dotterstücke  theilnimmt, 
dass  er  durchaus  nicht  zu  dem  eigentlichen  Keime  gerechnet  werden  könnte. 
Während  der  Zerklüftung  des  letzteren,  wobei  um  die  getheilten  Centralgebilde 
sich  sofort  die  neuen  Dotterstücke  absondern,  gerathen  einige  jener  kernartigen 
Centra  oder  schon  fertigen  Kerne  in  die  darunterliegende  Schicht  des  Nah- 
rungsdotters, ohne  sogleich  eine  entsprechende  Absonderung  der  sie  zunächst 
umgebenden  Dottermasse  hervorzurufen.  Erst  allmählich  und  zum  Theil  nach 
der  vollständigen  Ablösung  des  Keims  vom  Nahrungsdotter  durch  die  zwischen- 
liegende Keimhöhle  vollzieht  sich  jene  Absonderung,  deren  Produkte  die  be- 
kannten Dotterelemente  am  Boden  der  Keimhöhle  sind ;  und  es  ist  nicht  un- 
wahrscheinlich, dass  einige  jener  freien  Kerne  die  betreffende  Anpassung  der 
umgebenden  Dottermasse  überhaupt  gar  nicht  herbeiführen,  also  wirkungslos 
zu  Grunde  gehen.  Die  Entstehung  dieser  eigentümlichen  Dotterelemente., 
deren  Bedeutung  ich  erst  später  erörtern  kann ,  lehrt  aber  deutlich ,  dass  der 
Dottertheilungsprocess  am  Keime  keine  scharfe  Grenze  findet,  sondern  in  seinen 
fundamentalen  Vorgängen  allmählich  in  den  Nahrungsdotter  ausläuft,  dass  also 
sein  sichtbares  Ergebniss  gleichsam  stufenweise  abnimmt.  Dies  weist  uns  aber 
bereits  auf  das  Batrachierei  hin,  an  welchem  wir  ebenfalls  die  eigentliche  Thei- 
lung ,  wenigstens  in  ihren  ersten  Akten,  nur  allmählich  und  langsam  in  die  un- 
tere Eihälfte  fortschreiten  sehen ;  denkt  man  sich  bei  einer  relativ  ausserordent- 
lichen Ausdehnung  dieser  Hälfte  den  Fortschritt  der  abwärts  ziehenden  Spal- 
ten endlich  vollständig  sistirt,  so  dass  nur  noch  die  oberen  Abschnitte  der 
betreffenden  Dottermassen  an  der  weiteren  Zerklüftung  theilnehmen,  so  hat 
man  dasVerhältniss  der  meroblastischen  Eier,  wie  ich  es  besonders  amHühner- 
eie,  aber  auch  am  Forelleneie  verfolgte.  —  Durch  diese  Vorstellung  wird  man 
auch  gleich  auf  die  Ursachen  der  Abweichung  aufmerksam:  die  relativ  grosse 
Ausdehnung  der  Dottermasse  unter  dem  ersten  Theilungscentrum,  welches 
ganz  peripherisch  im  eigentlichen  Keime  liegt,  also  die  ausserordentliche  Länge 
der  betreffenden  Diö'usionsradien  macht  die  Ausbildung  von  in  ihnen  verlaufen- 
den zweiseitigen  Diffusionströmen,  bevor  die  Diffusionssysteme  in  den  oberen 
Dotterabschnitten  sich  bereits  anderweitig  verschieben,  unmöglich,  setzt,  sie 
ausser  Wirksamkeit,  sodass  jene  ihre  Thätigkeit  allein  fortsetzen.  Was  also 
bei  den  Batrachierei ern  nur  während  der  ersten  Theilungsakte  stattfand,  der 
Ausschluss  der  unteren  Diffusionsströme,  wodurch  allein  die  Excentricität  des 


1]2  In-  Die  Bildung  der  Keimblätter. 

vom  Keimbläschen  zurückgelassene  Höhle  sich  zn  der  bezeichneten,  während 
der  Embryonalentwickelung  sichtbaren  umwandle.  Sie  dehne  sich  bedeutend 
aus,  beginne  dann  „sich  regelmässig  zu  gestalten,  indem  die  einzelnen  Dotter- 
massen wie  die  Steine  eines  Gewölbes  sich  an  einander  lagern",  und  sehe  endlich 
aus  „wie  die  gut  abgerundete  Höhle  eines  Backofens"  (No.  14  S.  492.  495). 
Ueber  die  weiteren  Schicksale  dieser  Höhle  gibt  aber  v.  Baer  keinen  Aufschluss. 
—  Was  die  einzelnen  Theile  des  Eies  betrifft,  so  erklärt  v.  Baer  den  dunklen, 
ziemlich  dicken  Ueberzug  für  den  lebendigen  Keim ,  welcher  allmählich  den 
übrigen  hellen  Dotter  überzieht  und  sich  dabei  von  ihm  absondert,  und  zwar 
nicht  nur  äusserlich  durch  die  von  Rusconi  zuerst  beschriebene  halbmondför- 
mige Furche,  sondern  auch  innerlich  (No.  8  II  S.  284.  No.  14  S.  497).  „Man 
unterscheidet  deutlich  in  der  Dottermasse,  die  über  der  innern  Höhle  liegt,  eine 
obere  Schicht,  aus  dunklerer  Masse  bestehend,  von  einer  unteren.  Jene  ist  der 
Keim ,  wie  die  weitere  Ausbildung  zum  Embryo  lehrt.  Ja  ich  glaubte  in  dem 
Keime  selbst  allmählich  wieder  zwei  Schichten  zu  erkennen,  von  denen  die  un- 
tere grössere  Elementarmassen  hat,  als  die  obere,  sodass  ich  an  die  beiden 
Schichten  im  Keime  der  Vögel  und  anderer  Lungenthiere  erinnert  wurde,  die 
animale  und  die  vegetative"  (No.  14  S.  497).  Jene  helle  Stelle,  welche  Du- 
trochet  für  den  After  hält,  sei  dies  ganz  gewiss  nicht,  sondern  „wohl  ganz 
einfach  für  eine  langsam  sich  überdeckende  Stelle  der  Dotterkugel  zu  halten, 
die,  wie  ich  glaube,  dadurch  veranlasst  wird,  dass  der  Keim,  dessen  Rand  nicht 
ohne  einige  Dicke  ist,  die  Dottermasse  vor  sich  herschiebt.  Wenigstens  sieht 
man  diese  in  Durchschnitten  wie  einen  Pfropf  vorragen"  (No.  8  II  S.  285).  Da 
die  vegetative  Schicht  später  einen  Sack  bilde,  dessen  erweiterte  Mitte  den  Vor- 
rath  von  unaufgelöstem  Dotter  bewahrt,  so  vertritt  dieselbe  nach  v.  Baer  „die 
Stelle  des  Dottersackes,  verdient  aber  diesen  Namen  nicht  ganz,  da  sich  hier 
nie  ein  Darmnabel  bildet"  (S.  294).  Diese  innere  Dottermasse  hält  v.  Baer 
offenbar  für  die  erste  Nahrung  des  Embryo  (S.  289). 

Ueber  die  innere  Höhle  der  Dotterkugel  lässt  sich  Rusconi  folgender- 
massen  aus  (No.  IG  S.  217).  Wenn  die  Dotterkugel  aus  16  Stücken  bestehe, 
„  so  bemerkt  man  unter  den  8  Massen  der  oberen  Hemisphäre  und  in  ihrer 
Mitte,  den  Anfang  einer  länglichen,  unregelmässigen  Aushöhlung."  Rusconi 
nimmt  an,  dass  diese  Höhlung  eine  Folge  der  Trennung  sei,  welche  innerlich 
zwischen  der  grauen  Substanz,  woraus  die  8  oberen  Massen  beständen,  und  der 
untern  weissgelblichen  Substanz  entsteht,  sodass  die  ersteren  gewissermassen 
eine  Decke  der  Höhle  bildeten.    Ist  die;  Oberfläche  des  Eies  glatt  geworden,  so 


III.    Die  Bildung  der  Keimblätter.  ] 13 

hat  die  Höhle  die  Form  eines  Kreisabschnitts  bekommen  (No.  16  S.  218).   „Ich 
füge  noch  hinzu,  dass  um  diese  Zeit,  wie  ich  in  meiner  Entwicklungsgeschichte 
des  Frosches  bemerkt  habe,  die  braune  Lage  des  Dotters  sich  allmählich  über 
die  weisse  Hemisphäre  ausdehnt,  indess  eine  gebogene  Furche,  die  erste  An- 
deutung des  Afters,  entsteht."  Ferner  finde  man,  „dass  im  Innern  die  graue  Sub- 
stanz, die  anfangs  auf  die  obere  Hemisphäre  beschränkt  war,  sich  auf  einer 
Seite  des  Dotters  bis  zu  jener  Furche  oder  dem  After  ausgedehnt  hat  und  dass 
die  halbmondförmige  Höhle  dieser  Bewegung  der  grauen  Substanz  gefolgt  ist, 
sodass  sie  nicht  mehr  im  oberen  Theile  ist,  sondern  zur  Seite.     Ausserdem  ist 
in  der  weisslichen  Substanz  eine  weite  elliptische  Höhle,  die  von  der  halbmond- 
förmigen mittelst  einer  dünnen  Schicht,  oder  vielmehr  eines  Häutchens  getrennt 
ist."    „Indess  verengt  sich  der  After  und  wenn  er  fast  zu  einer  einfachen  Spalte 
reducirt  ist,  ist  im  Innern  des  Dotters  die  elliptische  Höhle  völlig  verschwunden 
und  die  halbmondförmige  grösser  geworden  und  anders  gestaltet"   (No.  IG 
S.  222.  No.  6  S.  11).     Der  dunkle  Ueberzug  des  Dotters  sei  die  Haut  (ebend. 
und  No.  16  S.  224);  aus  der  grauen  Schicht  über  der  halbmondförmigen  Höhle 
entständen  Kopf  und  Rücken,  aus  der  hellen  Substanz  der  Darm  (No.  1 6  S.  222). 
Was  aus  der  Höhle  werde,  ist  in  keiner  Schrift  Rusconi's  angegeben ;  jedenfalls 
konnte  er  sie  mit  der  Nahrungshöhle  nicht  in  Verbindung  bringen ,  da  diese 
seiner  Ansicht  nach  eine  spätere  Neubildung  ist. 

Reichert  hat  uns  seine  Auffassung  über  den  allgemeinen  Entwickelungs- 
gang  des  Batrachiereies  in  seinem  embryologischen  Hauptwerke  (No.  22  Taf.  IV 
Fig.  1 — 7)  und  in  seinen  Beiträgen  (No.  2S)  ganz  bestimmt  auseinandergesetzt.  Im 
befruchteten  Froschdotter  unterscheidet  Reichert  zweierlei  Zellen ;  im  Innern 
liegen  noch  kernlose  Mutterzellen,  welche  nach  dem  bekannten  Reichert- 
schen  Schema  die  junge  Brut  erzeugen ,  weiter  gegen  die  Peripherie  schon  vor- 
gerücktere Entwickelungsstufen  dieses  Zellenbildungsprocesses,  im  Keimhügel 
endlich,  dem  Ausgangspunkte  der  Embryonalentwickelung,  häufen  sich  die 
kleinsten  Zellen  an,  welche  unmittelbar  in  die  Zusammensetzung  der  Anlagen 
eingehen  sollen  (No.  22  S.  5  —  8).  „  Diese  Entwickelung  währt  nun  durch  die 
ganze  Zeit  fort,  so  lange  der  Dotter  noch  besteht.  Wo  Bildungen  des  Embryo 
auftreten  sollen,  da  werden  prädisponirte,  kleinere  Dotterzellen  dazu  gebraucht, 
und  aus  der  Mitte  kommt  neuer  Ersatz"  (S.  8).  Reichert  verwirft  für  die 
Entwickelung  der  Frösche  entschieden  die  Annahme  von  Keimblättern;  die  An- 
lagen der  Organe  und  Gewebe  gingen  am  Orte  ihrer  ersten  Erscheinung  einzeln 
und  unmittelbar  aus  dem  Dotter  hervor.     Da  derselbe  zu  diesen  Bildungen 

Gof.tte,  Entwickelungsgesehichte.  S 


114  III.    Die  Bildung  der  Keimblätter. 

ganz  aufgebraucht  wird,  so  kann  die  von  Reichert  für  andere  Wirbelthier- 
eier  aufgestellte  Unterscheidung  von  Bildungs-  und  Nahrungsdotter  beim 
Frosche  nicht  Platz  greifen.  „Jede  Zelle  führt  das  Nahrungsmaterial  als  In- 
halt in  den  beschriebenen  kleinen  Kügelchen  der  Dotterzellen  (Dottertäf eichen 
und  -körner)  mit  sich.  Auf  Kosten  dieses  Inhalts  wird  das  Wachsthum  und 
die  Erweiterung  der  einmal  gegebenen  Anlagen  des  Embryo  unterhalten" 
(No.  22  S.  19,  No.  28  S.  23.  25).  Die  erste  Bildung  des  Dotters  ist  die  Her- 
stellung einer  Umhüllungshaut,  einer  vergänglichen  Schutzhülle,  welche  als 
pigmentirte  Zellenschicht  vom  Keimhügel  aus  den  ganzen  übrigen  Dotter  über- 
ziehe; ihre  Zellen  „grenzen  sich  durch  Aneinanderlagerung  polyedrisch  ab  " 
und  enthalten  Kerne  mit  2—3  Kernkörperchen  (No.22  S.  10  -  12.  No.28  S.  119. 
120).  Innerhalb  dieser  Umhüllungshaut  bildet  der  übrige  Dotter  noch  eine 
solide  Masse  (No.  22  S.  20),  welche  aber  nach  der  Ausbildung  ihrer  Elemente 
in  den  scheibenförmigen  Keimhügel  (vgl.  No.  22  S.  6)  und  die  centrale  Dotter- 
masse zerfällt.*  Von  dem  Keimhügel  hebe  sich  alsdann  successiv  und  in  durch- 
aus isolirten  Anlagen  ab:  1.  das  Centralnervensystem ,  2.  dicht  unter  seiner 
Axe  die  Chorda  dorsalis ,  3.  zu  beiden  Seiten  der  letztern  das  Wirbelsystem, 
4.  zu  beiden  Seiten  aller  dieser  Anlagen ,  wie  ein  flaches  Dach  sich  über  ihre 
Ränder  emporschiebend  das  Hautsystem  (No.  22  S.  12 — 15).  Nach  diesen  Bil- 
dungen bleibt  vom  Keimbügel  nur  noch  eine  dünne  Schicht  nach,  welche  sich 
indess  vom  centralen  Dotter  abgehoben  hat,  wodurch  zwischen  beiden  Theilen 
eine  Lücke  entstehe  •,  diese  erhält  sich  aber  nur  in  der  Kopfgegend  als  Mund- 
höhle, schwindet  aber  im  ganzen  Rumpfe,  sodass  jene  Keimhügelschicht  im 
Kopfe  die  Mundhöhle  auskleidet,  weiterhin  aber  in  unmittelbarem  Zusammen- 
hange mit  dieser  Auskleidung  die  äussere  Darmhaut  bildet  (No.  22  S.  20.  35). 
An  der  Innenseite  der  letzteren  entsteht  in  besonderer  Anlage  das  Cylinder- 
epithel,  von  Reichest  früher  Schleimhautanlage  genannt  (No.  28  S.  122);  die 
übrigen  Organe  entwickeln  sich  in  isolirten  Anlagen  aus  dem  Reste  des 
Dotters. 

Nach  Vogt  ist  die  Herstellung  der  Embryonalanlagen  eine  sehr  einfache. 
Die  ersten  Zellen,  welche  um  den  oberen  Pol  entstehen,  bilden  eine  Scheibe, 


*  In  den  Figuren  2  und  3  Taf.  IV  gibt  Reichert  eine  Rindenschicht  der  centralen 
Dottermasse  an,  welche  als  eine  Fortsetung  des  Keimhügels  erscheint;  aber  bereits  in  Fig.  4 
ist  dieselbe  verschwunden  und  im  Texte  habe  ich  vergeblich  nach  einer  Aufklärung  dieses 
Thatbestandes  gesucht. 


III.   Die  Bildung  der  Keimblätter.  H5 

welche  bei  ihrer  Ausbreitung  gegen  den  ungefurchten  Pol  einen  wulstigen  Rand 
bekommt ;  dieser  zieht  sich  nach  unten  immer  mehr  zusammen  und  schliesst 
sich  endlich  vollständig.  Dadurch  ist  eine  Rindenschicht  des  Dotters  gegen- 
über seinem  Kerne  entstanden ,  welche  beiden  Theile  locker  mit  einander  zu- 
sammenhängen (No.  26  S.  26.  27).  Jene  Rindenschicht,  deren  Zellen  durch  die 
Keimflecke  erzeugt  werden,  ist  die  eigentliche  Embryonalanlage,  in  welcher  alle 
Organe  nicht  in  vorher  abgegrenzten  Blättern ,  sondern  in  einer  gemeinsamen 
Anlage  sich  allmählich  differenziren  (S.  33. 38).  Der  Dotterkern  dagegen  ist  das 
„selbstständige  vegetirende  Nahrungsmittel"  des  Embryo,  indem  seine  Zellen 
sich  auflösen,  und  aus  diesem  „secundären  Cytoblastem"  der  für  die  Embryonal- 
anlage nöthige  Nachschub  von  neuen  Zellen  durch  freie  Bildung  entsteht 
(S.  39.  40).  —  Auch  Vogt  nennt  die  Dottertäfelchen  einen  Nahrungsinhalt  der 
Zellen,  welcher  allmählich  aufgezehrt  würde  (S.  29). 

Als  Embryonalanlage  betrachtet  Cramer  gleichfalls  die  Rindenschicht 
von  Embryonalzellen,  welche  am  oberen  Pole  ziemlich  dick,  gegen  den  unteren 
an  Mächtigkeit  abnehme  und  die  inneren  grossen  Dotterkörper  einschliesse. 
Es  sei  das  Princip  der  Entwicklung  beim  Frosche,  „dass  die  Bildung  von 
Organen  und  Systemen  dadurch  vorbereitet  wird,  dass  die  dazu  dienenden  Massen 
von  grossen  Dotterkörpern  zu  Embryonalzellen  zerfallen,  während  der  Rest  als 
Dotterkörper  fortbesteht,  bis  er  auf  dieselbe  Weise  nach  und  nach  verwandt 
wird  "  (No.  34  S.  37).  Die  Bildung  einer  isolirten  äussersten  pigmentirtemZellen- 
schicht  (Umhüllungshaut)  sowie  der  inneren  Höhle  beschreibt  Cramer  gerade 
so  wie  Reichert  (S.  38.  41). 

Remak  hat  die  von  v.  Baer  nur  angedeutete  Bildungsgeschichte  der  Keim- 
blätter im  befruchteten  Froscheie  weiter  ausgeführt.  Nach  der  Furchung  sei 
die  Furchungshöhle  kugelrund  oder  oval  und  „gut  ausgemauert".  „  Der  dicke 
Boden  besteht  aus  schneeweissen,  gegen  einander  abgeplatteten  und  leicht  aus 
ihrer  Verbindung  sich  lösenden  Kugeln".  „Diese  weissen  Zellen  ziehen  sich 
über  den  Aequator  hinaus  zur  gewölbten  Decke  hinauf,  als  wollten  sie  die- 
selbe mit  bilden  helfen.  Allein  sie  verlieren  sich  alsbald  und  die  Decke  wird 
durch  kleinere  graue  oder  gelbbräunliche  Zellen  gebildet,  die  in  regelmässigen 
Schichten  über  einander  liegen  oder  doch  zu  drei  bis  vier  Schichten  verbunden 
sich  von  einander  lösen."  „Sie  zerfallen  zunächst,  und  zwar  die  äussern  zu- 
erst, in  kleinere  Zellen,  welche  bei  löfacher  Vergrösserung  nur  eben  noch 
unterscheidbar  sind,  und  bilden  alsdann  zwei  kleinzellige  Lagen,  während  die 
weissen  Zellen  unterhalb  des  Aequators  in  ihrer  ursprünglichen  Grösse  ver- 


1  Iß  III.    Die  Bildung  der  Keimblätter. 

harren.     Der  Erfolg  wird  lehren,  däss  jene  beiden  Lager  in  der  That  Keim- 
blätter sind,  und  zwar  dem  sensoriellen  und  motorischen  Keimblatte  der  übrigen 
Wirbelthiere  entsprechen,  der  Boden  der  Furchungshöhle  dagegen  in  seinen 
Schicksalen  mit  dem  trophischen  Blatte  übereinkommt."     Diese  zwei  Blätter 
breiten  sich  zunächst  abwärts  aus,  indem  die  an  ihre  Ränder  anstossenden 
grösseren  und  helleren  Zellen  der  Dotterrinde  in  kleinere  zerfallen  und  sich 
färben.     „  Die  Veränderung  reicht  allmählich  eine  Strecke  weit  hinab  bis  zu 
dem  scharfen  abgerundeten  Rande  des  nunmehr  sich  bildenden  RuscoNi'schen 
Afters"  (No.  40  S.  140).    Dieser  beginnt  mit  einer  sichelförmigen  Rinne,  welche 
zunächst  in  eine  seichte,  blindendigende,  platte  Höhle  führt,  „die  nach  aussen 
von  einem  schirm  ähnlichen,  platten,  äusserlich  braunen  Fortsatze  des  Aequatorial- 
theiles  des  Eies,  nach  innen  von  der  Fortsetzung  der  untern  weissen  Fläche 
des  Eies  begrenzt  wird.     Der  platte  Fortsatz  ist  an  seinem  freien,  concaven 
Rande  nicht  zugeschärft,  sondern  eher  ein  wenig  verdickt,  und  lässt  unter  gün- 
stigen Verhältnissen  sofort  drei  Schichten  unterscheiden,  nämlich  eine  äussere 
und  eine  mittlere  graue  kleinzellige,  welche  sich  in  die  beiden  Zellenschichten 
der  Decke  der  Furchungshöhle  fortsetzen,  und  eine  innere  weissliche,  gross- 
zellige,  welche  ohne  Unterbrechung  in  den  grosszelligen  Boden  der  Furchungs- 
höhle übergeht.     Am  freien  Rande  des  Fortsatzes  biegen  die  äussere  braune 
und  innere  weisse  Schicht  in  einander  um,  so  dass  die  mittlere  blind  endigend 
von  ihnen  umfasst  wird.     Es  ist  also  auf  der  Grenze  von  Decke  und  Boden  der 
Furchungshöhle  ein  platter  Schirm  hervorgewachsen,  welcher,  eine  Fortsetzung 
von  beiden  enthaltend,  an  der  untern  Eifläche  hingleitet,  ohne  mit  ihr  zu  ver- 
wachsen."    Diese  Höhle  sei  der  einseitige  Anfang  der  Nahrungshöhle,  welche 
also  „durch  eine  Einstülpung  von  unten  her  sich  bildet,  wobei  die  untere  weisse 
Fläche  des  Eies  zur  innern  Fläche  der  Nahrungshöhle  wird."     Alsbald  erwei- 
tere sie  sich  in  doppelter  Weise :   ,,  der  platte  Fortsatz  fährt  fort  das  untere 
helle  Feld  zu  umwachsen ,  und  das  blinde  Ende  der  Höhle  dringt  höher  auf- 
steigend und  sich  erweiternd  in  das  Innere  des  Eies  vor,  mit  Beeinträchtigung 
des  Umfanges  der  BAER'schen  Furchungshöhle,  von  welcher  die  RuscoNi'sche 
oder  Nahrungshöhle  alsbald  durch  eine  dünne,  beinahe  senkrecht  dicht  neben 
der  Axe  des  Eies  herabsteigende  Scheidewand  getrennt  erscheint."  Inzwischen 
habe  sich  die  halbkreisförmige  Rinne,  der  Eingang  zur  Nahrungshöhle,  zu  einer 
kreisförmigen  ergänzt,  wobei  gegenüber  der  sich  weit  ausdehnenden  Rusconi- 
schen  Höhle  eine  zweite  seichte  und  platte  Höhle  gebildet  wird.     ,,  Dieser  klei- 
nere Theil  der  Nahrungshöhle,  den  wir  Afterhöhle  nennen,  erweitert  sich  nicht, 


III.  Die  Bildung  der  Keimblätter.  117 

sondern  verbleibt  bei  seinem  ursprünglichen  Umfange  "  (No.  40  S.  142).  Die 
Furch tmgshöhle  schwinde  allmählich  ganz,  wobei  ihre  Flüssigkeit  wahrschein- 
lich durch  eine  kleine  Lücke  in  der  Scheidewand  in  die  Nahrungshöhle  über- 
gehe; darauf  schliesst  sich  auch  der  Ruscoisri'sche  After  (S.  143).  Remak 
meint  nun ,  dass  mit  der  Furchungshöhle  auch  der  obere  Pol  von  dem  blinden 
Ende  der  Nahrungshöhle  sich  zurückziehe  und  ihm  scheint  „  der  untere  weisse 
Pol  um  eben  so  viel  sich  zur  Begrenzung  der  in  der  Erweiterung  begriffenen 
RuscoNi'schen  Höhle  in  die  Höhe  zu  wälzen,  als  der  obere  Pol  auf  der  andern 
Seite  herabsteigt".  Während  dieser  Vorgänge  verändere  sich  der  Schwerpunkt 
des  Eies,  wodurch  die  äussere  dürre  Decke  der  Nahrungshöhle,  die  Axenplatte, 
sich  von  der  Seite  aufwärts  drehe."  So  gestaltet  sich  das  bleibende  Lagever- 
hältniss  zwischen  Rücken  und  Bauch,  so  zwar,  dass  die  Axenplatte,  welche  bis- 
her eine  seitliche  Stellung  hatte,  nunmehr  in  eine  beinahe  horizontale  Lage  ein- 
zutreten und  die  obere  Wölbung  des  Eies  zu  bilden  beginnt,  während  die  ge- 
genüberliegende weisse  Zellenmasse,  einer  ähnlichen  Lageveränderung  folgend, 
als  schwerster  Theil  des  Eies,  den  Bauchtheil  desselben  abzugeben  fortfährt" 
(S.  144).  „  In  der  Rückenwand  unterscheidet  man  mit  Leichtigkeit  eine  Zu- 
sammensetzung aus  drei  Blättern.  Das  äussere  Blatt  (das  sensorielle)  besteht 
aus  einer  dünnen  kleinzelligen  braunen  Aussenschicht  und  aus  einer  dicken 
weissen  Schicht.  In  der  letztern  erkeimt  man  einen  radiären  Bau,  bedingt 
durch  grosse  weisse,  schon  bei  löfacher  Vergrösserung  unterscheidbare  cylin- 
drische  Zellen  von  c.  lji0  L.  Höhe,  welche  nach  Art  eines  Cylinderepitheliums 
senkrecht  auf  dem  mittleren  Keimblatte  stehen.  Diese  cylindrischen  Zellen 
t heilen  sich  alsbald  in  kleinere  runde,  aus  denen  die  Hauptmasse  der  Medullar- 
platte  hervorgeht.  Das  mittlere  Blatt  (das  motorische)  haftet  innig  an  dem 
äusseren :  seine  Zellen  sind  so  klein,  dass  sie  bei  löfacher  Vergrösserung  kaum 
unterschieden  werden,  überdies  von  grauer  Farbe,  wodurch  sich  die  Grenze  des 
mittleren  und  äusseren  Blattes  kenntlich  macht."  „Am  leichtesten  gelingt  die 
Ablösung  des  inneren  Blattes  (des  trophischen,  Drüsenblattes):  dasselbe  be- 
stellt aus  grossen,  schon  bei  löfacher  Vergrösserung  unterscheidbaren  kern- 
haltigen Zellen,  welche  bei  Rana  temporaria  einen  grauen  Anflug,  bei  R.  escu- 
lenta  in  der  Regel  eine  schneeweisse  Farbe  haben ".  Diese  drei  Keimblätter 
Hessen  sich  im  ganzen  Umfange  des  Eies  verfolgen ,  welches  nur  aus  ihnen  be- 
stehe, da  die  grosse  innere  Masse  heller  Zellen  oder  der  Drüsenkeim  nach  sei- 
nen Schicksalen  bloss  ein  verdickter  Theil  des  Drüsenblattes  sei,  mit  welchem 
letzteren  er  kontinuirlich  zusammenhänge.     Die  Annahme  eines  Gegensatzes 


Hg  III.    Die  Bildung  der  Keimblätter. 

von  Keim  und  Dotter  (d.  h.  Bildungs-  und  Nahrungsdotter)  sei  daher  beim  Ba- 
trachiereie  unstatthaft  (S.  145.  146). 

Stricker  hat  zwei  Abhandlungen  über  die  Entwickelung  des  Eies  der  ge- 
meinen  Kröte  veröffentlicht;   die  jüngere  greift  auf  frühere  Bildungsstufen 
zurück  als  die  andere  und  erklärt  zum  Theil  (No.  46  S.  317)  die  ältere  Auffas- 
sungsweise Stricker's,  welche  in  Betreff  der  Embryonalanlage  mit  der  Rei- 
CHERT'schen  durchaus  übereinstimmte  (No.  45  S.  472).    Hier  werde  ich  da- 
her nur  die  zweite  jener  Arbeiten  Stricker's  berücksichtigen,  welche  wesent- 
lich nur  die  Bildung  der  Keimblätter  behandelt.  —  Bevor  eine  Spur  des  Rusconi- 
schen  Afters  vorhanden  ist,  besteht  die  Decke  der  Furchungshöhle  aus  einer 
noch  durchaus  ungeordneten  Zellenschicht,  deren  kleine  Elemente  vier-  bis 
sechsfach  übereinander  liegen,  —  die  Hauptschicht  (No.  46  S.  316).     Darauf 
verwandeln  sich  die  unterhalb  der  Furchungshöhle  gelegenen ,  an  jene  Haupt- 
schicht anstossenden  peripherischen  Dotterzellen  bis  zu  einer  gewissen  Grenze 
abwärts  in  eben  solche  kleine  und  gefärbte  Zellen  wie  diejenigen  der  Haupt- 
schicht, welche  dadurch  eine  Fortsetzung  bis  unter  den  Aequator  erhält.  Jene 
Zellen  sollen  nun  der  Rindenschicht  Reicherts  entsprechen  und  daher  an 
einer  Stelle  unterhalb  der  Furchungshöhle,  wo  sie  besonders  angehäuft  sind, 
den  Keimhügel  darstellen  (No.  46  S.  317,  vgl.  auch  No.  45  S.  472).    Innerhalb 
dieser  Rindenschicht  und  des  Keimhügels  liegt  die  grosszellige  centrale  Dotter- 
masse, welche  am  unteren  Pole  frei  zu  Tage  tritt  und  oben  im  Boden  der 
Furchungshöhle  aus  relativ  kleinen  Elementen  zusammengesetzt  ist  (No.  46 
S.  316.  318).    Die  mittelgrossen  Zellen  dieser  obersten  Lage  bewegen  sich  nun 
über  dem  Keimhügel  oder  an  der  künftigen  Rückenseite  des  Embryo  „allmäh- 
lig  längs  der  Innenfläche  der  Decke  hinauf  und  legen  sich  daselbst  innig  an." 
Diese  Anlagerung  bleibt  auf  die  eine  genannte  Seite  des  Eies  beschränkt,  hat 
also  „einen  nach  oben  gekehrten  convexen  Rand,  dessen  Enden  zum  Boden  der 
Furchungshöhle  zurückkehren"  (No.  46  S.  317).     Dieser  Rand  „strebt  immer 
höher  hinauf,  überschreitet  den  Pol,  steigt  auf  der  anderen  Deckenhälfte  nach 
abwärts  und  erreicht  endlich  nahe  am  unteren  Rande  der  letzteren  die  auch 
hier  zu  geringer  Höhe  herangestrebten  oberflächlichen  Zellen  des  Bodens" 
(No.  46  S.  319).     Diese  ganze  Bewegung  beruhe  nicht  auf  einem  Vorrücken 
der  ganzen  Schicht;  die  einmal  an  die  Decke  angelagerten  Zellen  verlassen  den 
eingenommenen  Platz  nicht  mehr  (S.  320),  der  Nachschub  gelange  aber  längs 
des  Randes  vom  Boden  der  Höhle  zu  ihrer  Decke  hinauf  (S.  322).    Wenn  diese 
Anlagerung  eben  begonnen  hat,  entsteht  an  derselben  Seite  des  Eies  die  Rus- 


III.   Die  Bildung  der  Keimblätter.  119 

coNi'sche  Furche  und  ihre  spaltentormige  Fortsetzung ;  sie  beruhe  nicht  auf 
einer  Einstülpung,  sondern  auf  einer  Kontinuitätstrennung  zwischen  dem  Keim- 
hügel  und  der  centralen  Dottermasse.  Am  Buden  der  Furchungshöhle  ange- 
kommen setze  sie  sich  in  die  beschriebene  Anlagerung  fort  und  spalte  dieselbe 
successiv  in  zwei  Blätter  (S.  318).  Unterdess  wird  der  RuscoNi'sche  After 
kreisförmig  und  umschliesst  den  Dotterpfropf,  welcher  zuletzt  von  der  centralen 
Dottermasse  abreisst  (S.  319 — 320)  und  während  der  Verwachsung  des  ersteren 
„durch  den  ausgeübten  Druck  zum  Schwinden  gebracht  wird"  (S.  321).  —  Aus 
dem  Keimhügel  scheidet  sich  „eine  äusserste  einzellige,  danu  zwei  breite  mehr- 
zellige und  dann  abermals  eine  innerste  einzellige  Lage  ab "  —  Umhüllungs- 
haut,  Anlage  des  Centralnervensystems,  Wirbelanlage,  Drüsenblatt;  die  Haupt- 
schicht erscheint  als  Fortsetzung  der  beiden  ersteren,  das  ihr  anliegende  zwei 
Zellen  dicke  Blatt  der  Anlagerung,  welche  von  der  centralen  Dottermasse  ab- 
stammt, zerfällt  entsprechend  dem  tieferen  Theile  des  Keimhügels  in  Wirbel- 
anlage und  Drüsenblatt  (S.  321 — 323).  Ausserhalb  des  Rückens  erstrecken 
sich  die  zwei  ersten  Blätter  in  der  Dicke  von  je  einer  Zelle  über  das  ganze  Ei, 
die  Umhüllungshaut  geht  am  RuscoNi'schen  After  in  das  Drüsenblatt  über ; 
die  dritte  Schicht,  welche  ebendaselbst  am  stärksten  einen  nach  innen  vor- 
ragenden Wall  um  die  Oeffnung  erzeugt,  und  am  Kopfe  sich  wieder  verdünnt, 
geht  ausserhalb  des  Bereichs  der  Visceralhöhle  in  die  centrale  Dottermasse 
über  (S.  323.  324).  Ueber  den  Zusammenhang  der  letzteren  mit  dem  Drüsen- 
blatte wird  nichts  angegeben. 

Beim  Pelobates  fuscus  soll  nach  v.  Bambecke  (No.  63  S.  24 — 30)  die  Bil- 
dung der  primitiven  Visceralhöhle  (Nahrungshöhle)  und  der  Keimblätter  fol- 
gendermassen  vor  sich  gehen.  *  Die  erste  Anlage  der  Blätter  findet  sich  in 
der  Decke  der  v.  BAERschen  Höhle  (Furchungshöhle) ;  zu  äusserst  liegt  in  ein- 
facher Lage  die  Umhüllungshaut,  darunter  die  sensorielle  Schicht,  beide  aus 
kleinen,  gefärbten  Zellen  zusammengesetzt;  zuletzt  folgt  als  innere  Auskleidung 


*  In  der  chronologischen  Reihenfolge  folgt  auf  den  STEicKER'schen  Aufsatz  und  geht 
der  v.  BAMBECKE'schen  Arbeit  unmittelbar  voraus  mein  Aufsatz  (No.  64).  Da  er  meines 
Wissens  keine  neuen  Ansichten,  falsche  oder  richtige,  bereits  begründet  hat,  ich  daher  mei- 
ner Pflicht,  erkannte  Irrthümer  zurecht  zu  stellen,  durch  die  neue  Darstellung  genügend 
nachzukommen  glaube,  so  halte  ich  es  nicht  für  nöthig,  in  den  historischen  Uebersichten 
jenen  Aufsatz  besonders  hervorzuheben.  Wenn  die  eine  oder  andere  Ausführung  desselben 
missverstanden  wurde,  so  hangt  dies  wahrscheinlich  mit  dem  gar  zu  knappen  Ausdrucke  zu- 
sammen, sodass  ich  auch  auf  eine  Widerlegung  gewisser  Unterstellungen  verzichte  und  statt 
dessen  die  vorliegende  Arbeit  der  Kritik  überlasse. 


J20  III-   Die  Bildung  der  Keimblätter. 

der  Decke  eine  Schicht  grosser,  heller  Dotterzellen,  ähnlich  denen,  welche  den 
Boden  der  Höhle  zusammensetzen  (No.  63  S.  24.  27.  2(J).  Die  Elemente  der 
zwei  braunen  Schichten  vermehren  sich  noch  fortlaufend  durch  Theilung,  brei- 
ten sich  dabei  nach  unten  aus,  und  indem  die  Umhüllungshaut  am  schnellsten 
wächst,  rollt  sie  sich  in  der  Nähe  des  unteren  Poles  nach  innen  um :  so  entstehe 
der  RuscoNische  After,  und  durch  vorwiegendes  Wachsthum  dieser  umgeroll- 
ten Zellenschicht  an  einer  Seite  des  Eies  die  primitive  Visceralhöhle.  Im  Ni- 
veau der  Furchungshöhle  erreicht  diese  Fortsetzung  der  Umhüllungshaut  die 
Auskleidung  des  Gewölbes  und  verschmilzt  alsdann  mit  derselben  zur  dritten 
Keimschicht  (S.  25.  27),  oder  dem  motorisch  genninativen  Keimblatte  (S.  29). 
Das  vierte  Keimblatt  endlich  entsteht  dadurch,  dass  eine  oder  zwei  Zellenlagen 
von  der  centralen  Dottermasse  sich  an  das  dritte  Keimblatt  anlegen  (S.  26. 28) ; 
beide,  das  vierte  Keimblatt  und  jene  Dottermasse  oder  der  Drüsenkeim  ent- 
sprechen zusammen  einem  Drüsenblatte  (S.  30).  Die  Bedeutung  der  primitiven 
Visceralhöhle  anlangend ,  schliesst  sich  v.  Bambecke  durchaus  an  Remak  an 
(S.  55  u.  flg.). 

Der  Aufsatz  von  Dönitz  enthält  eine  getreue  Wiederholung  der  Reichert- 
schen  Behauptungen  über  die  ersten  Embryonalanlagen,  ohne  dass  die  Bildung 
der  letzteren  genauer  verfolgt  wäre.  Zunächst  werden  die  ersten  Entwicke- 
lungsstufen  der  Keimhöhle  für  Kunstprodukte  (Nr.  67  S.  606—607),  die  spä- 
teren für  eine  „peripherische  Excretionshöhle"  erklärt  (S.  608).  Die  Ent- 
stehung der  Umhüllungshaut,  des  Haut-  und  Wirbelsystems  und  des  Darm- 
epithels wird  auf  ebenso  viele  isolirte  Differenzirungsprocesse  zurückgeführt 
(g#  610—612,  618),  wobei  weder  eigentliche  Keimblätter  (S.  620)  noch  Bewe- 
gungen der  Theile  vorkämen  (S.  611);  daher  sei  auch  die  RuscoNi'sche  Spalte 
ein  Kunstprodukt  (S.  611—612)  und  die  Darmhöhle  entstände  „mitten  im 
weissen  Dotter"  ohne  Kommunikation  nach  aussen  (S.  613). 

Golubew  beschreibt  nur  die  erste  Entstehung  der  RuscoNi'schen  Höhle 
(Nahrungshöhle),  ohne  auf  die  Sonderung  der  Keimblätter  näher  einzugehen.  - 
Zur  Erklärung  der  Sonderungen  und  Bewegungen  der  einzelnen  Theile  legt  er 
den  grössten  Nachdruck  auf  die  verschiedene  Energie  der  Dottertheilung  in  der 
obern  und  untern  Halbkugel  und  ebenso  an  der  Peripherie  und  gegen  das 
Centrum  hin.  „In  der  obern  Hemisphäre  des  Eies  hat  dieser  Umstand  eine 
wichtige  Folge,  die  oberflächlichen  Elemente  theilen  sich  hier  besonders  rasch, 
nehmen  eine  immer  grössere  Oberfläche  in  Anspruch  und  heben  sich  darum 
von  den  darunter  liegenden  ab.     Auf  diese  Weise  entsteht  eine  Höhle  —  die 


III.  Die  Bildung  der  Keimblätter.  121 

v.  BAER'sche  Höhle."  „Mit  der  Zeit  theilen  sich  die  Elemente  der  Decke  jener 
Höhle  immer  weiter,  die  Decke  wächst  und  hebt  sich  von  dem  Boden  immer 
mehr  ab.  Der  Theilungsvorgang  setzt  sich  endlich  auf  die  seitlich  schon  un- 
terhalb des  Bodens  liegende  Dottermasse  fort"  (Nr.  68  S.  98.  99).  Diese  fort- 
schreitende Theilung  erfolgt  zunächst  auf  einer  Seite  des  Eies  (der  Rückenseite) 
und  dabei  ergibt  sich  eine  Grenze  zwischen  den  sich  verkleinernden  peripheri- 
schen und  den  unveränderten  hellen  Zellen  des  Centrums;  diese  natürlich 
gleichfalls  fortschreitende  Grenze  wird  an  Mediandurchschnitten  durch  Linien 
angedeutet,  welche  von  der  Stelle,  wo  Decke  und  Boden  der  Furchungshöhle 
zusammenstossen,  zu  stets  tieferen  Punkten  der  Peripherie  gezogen  gedacht 
werden.  Dieses  Vorrücken  der  Dottertheilung  gegen  den  untern  Pol  täusche 
eine  Zeit  lang  die  RuscoNi'sche  Spalte  als  Anfang  der  RuscoNischen  Höhle 
und  als  Eingang  in  dieselbe  vor  (S.  97.  99).  An  dieser  Grenze  will  nun 
Golubew  bemerkt  haben,  dass  die  in  der  Theilung  begriffenen  Zellen  in  der 
Richtung  jener  Grenze  oder  scheinbaren  Spalte,  also  gegen  den  Umfang  des 
Bodens  der  Furchungshöhle  sich  ausnehmend  strecken  (S.  99);  dadurch  würden 
daselbst  die  Zellen  vom  Boden  in  die  Höhe  gehoben  und  an  die  Decke  ange- 
lagert (S.  100).*  Dort  aber  kommen  sie,  die  bisher  an  der  fortschreitenden 
Theilung  nicht  theilgenommen,  unter  günstigere  Bedingungen:  die  tiefergele- 
genen strecken  sich  behufs  der  Theilung  und  schieben  dadurch  die  höherge- 
legenen weiter  vor.  **  Was  an  der  Rückenseite  begann ,  setzt  sich  alsbald 
auch  auf  die  gegenüberliegende  Bauchseite  fort,  und  durch  die  massige  An- 
lagerung der  Zellen  vom  Boden  an  die  Decke  der  Furchungshöhle  werde  die 
letztere  zum  Schwinden  gebracht,  ohne  dass  sie  von  ihrem  ursprünglichen 
Platze  verdrängt  werde  (S.  96.  97.  111).  Während  der  besprochenen  An- 
lagerung wird  die  frühere  Decke  der  Furchungshöhle  dünner,  „besonders  auf- 
fallend von  der  Zeit  an,  wo  die  grossen  Elemente  schon  von  allen  Seiten  an  die 
Decke  angelagert  erscheinen".***      „Mit  diesem  Dünnerwerden  der  früheren 


*  Wie  damit  die  Bemerkung  Golubew's,  „dass  diese  Anlagerung  der  Bildung  der 
RuscoNi'schen  Furche  ein  wenig  vorausgeht"  (S.  96),  zusammenstimmen  soll,  kann  ich 
nicht  verstehen. 

**  S.  101  sagt  Golubew:  „Wir  sehen,  dass  auch  in  dem  Pfropfe  die  Elemente  sich  ver- 
längern, um  später  sich  zu  theilen.'" 

***  Golubew  verweist  dabei  auf  seine  Abbildungen;  dieselben  widersprechen  aber  seinen 
Worten  in  der  auffallendsten  Weise.  Denn  es  ist  die  genannte  Decke  der  Höhle  vor  der 
Anlagerung  (Fg.  1)  zwei-  bis  dreimal  dünner  dargestellt,  als  nach  vollendeter  Anlagerung 
(Fg.  2),  und  die  betreffenden  Zellen  sind  zugleich  1 — 10  mal  grösser  geworden! 


1 22  III.  Die  Bildung  der  Keimblätter. 

Decke  geht  aber  auch  ein  sehr  ausgedehnter  Theilungsprocess  in  den  äusseren 
Schichten  der  angelagerten  Zellen  einher  und  mit  diesen  Theilungen  halten  die 
tieferliegenden  Elemente  wieder  nicht  Schritt  und  die  oberflächlichen  Elemente 
(an  den  neben  dem  Aequator  liegenden  Partien  der  Rückenseite  des  Eies  in 
der  Regel  zwei  Schichten)  fangen  an  sich  von  den  tiefer  liegenden,  relativ 
unverändert  bleibenden  Elementen  abzuheben.  Es  entsteht  eine  Menge  von 
Rissen,  die  sich  zu  einer  länglichen  Spalte  vereinigen.  Und  diese  ist  der  An- 
fang der  RuscoNi'schen  Höhle"  (S.  100).  Der  Dotterpfropf  wird  weder  über- 
deckt, noch  atrophirt  er,  sondern  er  schwindet  durch  fortschreitende  Theilung 
seiner  Elemente,  welche  den  umgebenden  braunen  Zellen  endlich  gleich  werden. 
Dieser  Process  ergreift  zuerst  die  tiefere  Schicht  des  Pfropfes,  sodass  von  ihm 
nur  ein  weisses  Plättchen  übrig  bleibt,  welches  aber  zuletzt  auch  verschwindet 
(S.  101). 


Ich  habe  während  der  Untersuchung  des  Dottertheilungsprocesses  die 
Keimhöhle  ganz  unberücksichtigt  gelassen  und  muss  ihre  allerdings  einfache 
Bildungsgeschichte  jetzt  nachholen.  Es  heisst  im  allgemeinen ,  dass  sie  am 
Kreuzungspunkte  der  drei  ersten  Spalten  entstehe,  über  die  nähern  Vorgänge 
dabei  ist  bisher  nichts  bekannt  geworden.  Ich  glaube  nun,  dass  zum  Ver- 
ständniss  dieser  Bildung  die  von  mir  bereits  mitgetheilte  Thatsache  wesentlich 
beitragen  kann,  dass  die  sogenannten  Aequatorialtheilungen  für  alle  einzelnen 
Dotterstücke  sich  in  ebenso  vielen  verschiedenen  Ebenen  vollziehen,  welche 
radiär  nach  innen  gerichtet,  gegen  einen  gemeinsamen  aber  mit  Bezug  auf  die 
Dotterkugel  excentrischen  Kreuzungspunkt  auslaufen  (Taf.  II  Fig.  26). 
Dann  stossen  die  Spitzen  aller  16 — 32  Kugelausschnitte  zusammen  und  indem 
sie  sich  durch  die  Zusammenziehungen  der  einzelnen  Dotterstücke  abstumpfen, 
entsteht  nach  oben  ein  flaches,  aus  einer  einfachen  Lage  von  Dotterstücken 
zusammengesetztes  Gewölbe,  darunter  aber  eine  flache  Höhle,  deren  Boden 
durch  die  abgestumpften  Spitzen  der  untern,  grossen  und  hellen  Dotterstücke 
gebildet  wird  (Taf.  II  Fig.  27).  Während  der  darauf  folgenden  Dotter- 
theilungen  verkleinern  sich  die  im  Gewölbe  oder  der  Decke  der  Keimhöhle  be- 
findlichen Dotterstücke  am  schnellsten,  diejenigen,  welche  den  dicken  Boden 
der  Höhle  zusammensetzen,  am  trägsten,  während  dort,  wo  Decke  und  Boden 


III.  Die  Bildung  der  Keimblätter.  123 

zusammentreffen,  Uebergangsformen  von  dem  einen  Extreme  zum  andern  sich 
linden;  dabei  glätten  sich  die  anfangs  unebenen  Wände  der  Höhle  (Taf.  II 
Fig.  38).  Da  nun  die  kleineren  Dotterstücke  in  nächster  Folge  die  morpho- 
logischen Grundlagen  des  Embryo,  die  Keimblätter  bilden,  die  gröberen  da- 
gegen daran  nicht  theilnehmen,  sondern  auch  im  Embryo  und  in  der  Larve 
bis  zu  ihrem  Verbrauche  zu  andern  Zwecken  indifferent  bleiben,  so  nenne  ich 
bloss  die  aus  den  ersteren  hervorgehenden  Formelemente  Embryonalzellen, 
die  andern  aber  Dotterz eilen.  Es  ist  nun  charakteristisch  für  die  Ent- 
wickelungsgeschichte  der  Batrachier  und  wird  bei  dem  Vergleiche  derselben 
mit  der  Bildungsweise  anderer  Wirbelthierembryonen  die  volle  Berücksich- 
tigung finden,  dass  jene  beiden  Zellengruppen  zu  keiner  Zeit  sich  vollständig 
von  einander  trennen,  dass  an  gewissen  Stellen  eine  bestimmte  Grenze  zwischen 
ihnen  bis  zum  Schwinden  der  Dotterzellen  nicht  zu  finden  ist.  Bis  auf  diese 
weiter  unten  näher  zu  bezeichnenden  Stellen  entwickelt  sich  aber  eine  Schei- 
dung jener  Zellengruppen  noch  während  der  Entwickelung  der  Embryonal- 
anlagen. Zur  Zeit  der  vorgeschrittenen  Dottertheilung  bilden  die  Embryonal- 
zellen eine  halbkugelige  Schale,  die  primäre  Keimschicht,  welche  so  über 
die  kompakte  Masse  der  Dotterzellen*  gestülpt  und  mit  ihrem  Rande  derselben 
angefügt  erscheint,  dass  sie  den  grösseren  Theil  der  Kugelob erfläche,  jene  Masse 
nur  den  kleineren  unteren  Theil  derselben  herstellt  (Taf.  IL  Fig.  28.  2.9).  In  der 
Decke  der  Keimhöhle  sind  die  Embryonalzellen  einander  ziemlich  gleich,  in  ihrer 
ganzen  Dottermasse  mehr  oder  weniger  pigmentirt  und  in  2 — 3  Lagen  ange- 
ordnet. Im  Niveau  des  Bodens  der  Keimhöhle  schliessen  sich  an  sie  die  etwas 
grösseren  und  helleren  Uebergangsformen  an,  welche  als  eine  besondere  Rand- 
zone der  primären  Keimschicht  aufgefasst  werden  können,  da  diese  Zone  von 
der  Keimhöhle  nach  unten  und  aussen  sich  zuschärfend  den  ziemlich  breiten 
Zusammenhang  mit  der  Dotterzellenmasse  vermittelt  und  eine  eigenthümliche 
Entwickelung  erfährt.  Sobald  die  Dottertheilung  soweit  fortgeschritten  ist, 
dass  die  Zellen  in  der  Decke  der  Keimhöhle  etwa  30,«  Durchmesser  haben  und 
bereits  in  mehren  Lagen  über  einander  angehäuft  sind,  verändert  sich  die 
primäre  Keimschicht  in  ihrem  früheren  gleichartigen  Aussehen.  Die  ober- 
flächliche .Lage  der  Embryonalzellen,  in  der  das  Pigment  am  reichsten  abge- 


*  Ich  kann  den  Ausdruck  „Dotterkern"  für  die  Gesaramtkeit  der  Dotterzelleu,  den  ich 
früher  (Nr.  64)  gleich  meinen  Vorgängern  gebrauchte,  jetzt  nicht  mehr  beibehalten,  weil  ich 
diese  Bezeichnung  schon  einem  anderen  Gebilde  verliehen  habe,  wo  sie  mir  die  passendste 
zu  sein  schien. 


124  HI.  Die  Bildung  der  Keimblätter. 

lagert  ist,  behält  zu  jeder  Zeit  ein  festes  Gefüge,  welches  den  betreffenden  Ele- 
menten endlich  eine  vieleckige  Gestalt  verleiht,  während  der  Zusammenhang  der 
tieferen  Zellenlagen  sich  augenscheinlich  lockert  (Taf.  II  Fig.  29).  Diese  beiden 
Theile  der  primären  Keimschicht  will  ich  ganz  allgemein  als  deren  Deck-  und 
Grundschicht  unterscheiden.  Das  Centrum  der  letzteren  wird  nun  allmäh- 
lich dünner,  während  ihre  Randzone  an  Mächtigkeit  zunimmt  und  diese  Zunahme 
in  einer  nach  innen  gegen  die  Dotterzellenmasse  vortretenden  Anschwellung 
offenbart.  Diese  ungleiche  Entwickelung  der  Keimschicht  schreitet  stetig  fort 
und  begründet  die  Anschauung,  dass  ein  Theil  jener  tiefer  gelegenen  locker  zu- 
sammenhängenden Zellen  der  Keimschicht  aus  der  Mitte  gegen  den  Rand  vor- 
rückt und  dadurch  die  Anschwellung  bildet.  Diese  Bewegung  und  Ansamm- 
lung der  Embryonalzellen  wird  dadurch  noch  deutlicher,  dass  die  der  An- 
schwellung zunächst  liegenden  Theile  der  Dotterzellenmasse  im  Boden  der 
Keimhöhle  in  die  Höhe  gehoben  werden,  was  natürlich  nur  auf  eine  ringförmige 
Zusammenschnürung  bezogen  werden  kann.  Die  Randzone  der  Keimschicht 
lässt  sich  freilich  gegen  die  Dotterzellenmasse  nicht  scharf  abgrenzen ;  wenn 
man  aber  im  Auge  behält,  dass  alle  Uebergangsformen  sehr  bald  ganz  unzwei- 
felhaft den  übrigen  Embryonalzellen  sich  anpassen  und  anschliessen,  so  kann  man 
darauf  hin  eine  genügend  sichere  und  deutliche  Grenzscheide  zwischen  beiden 
Zellengruppen  herstellen.  So  erkennt  man  denn,  dass  die  anfangs  breite  und 
sowohl  nach  oben  wie  nach  unten  allmählich  abfallende  Anschwellung  der 
Keimschicht  zugleich  mit  der  fortschreitenden  Umwandlung  der  Uebergangs- 
formen sich  nach  unten  zusammenschiebt.  Wenn  das  Maximum  der  An- 
schwellung am  Boden  der  Keimhöhle  oder  dicht  unter  demselben  sich  befindet, 
gehen  die  peripherischen  dunkelgefärbten  Embryonalzellen  noch  durch  ganz 
allmähliche  Abänderung  in  die  weissen  Dotterzellen  der  unteren  Polgegend 
über;  wenn  aber  die  Anpassung  der  Uebergangsformen  an  die  übrigen  Embryo- 
nalzellen  fortgeschritten  und  dadurch  die  Abgrenzung  gegen  die  Dotterzellen- 
masse bestimmter  geworden  ist,  so  liegt  jenes  Maximum  auch  schon  im  Be- 
reiche des  äussersten  Saumes  der  Keimschicht,  sodass  die  Anschwellung  einen 
Randwulst  bildet,  welcher  aufwärts  allmählich  abnimmt,  unten  aber  gegen  die 
Eioberfläche  ziemlich  jäh  abfällt.  Diese  ganze  Entwickelung  des  Randwulstes 
geht  aber  nicht  gleichmässig  im  Umkreise  des  Eies  vor  sich,  sondern  von  einem 
gewissen  Zeitpunkte  an  eilt  die  eine  Seite  der  andern  voraus.  Dies  lässt  sich 
auch  am  unberührten  Eie  erkennen,  indem  die  Uebergangsformen  bei  ihrer 
Anpassung  an  die  übrigen  Embryonalzellen  sich  entsprechend  färben,  also  die 


III.  Die  Bildung  der  Keimblätter.  125 

Ausbildung  des  Pigments  von  der  oberen  Hemisphäre  des  Eies  zur  unteren 
gleichfalls  asymmetrisch  erfolgt,  der  Uebergang  der  Färbung  auf  der  einen 
Seite  breiter,  auf  der  andern  jäher  erscheint.  Dadurch  wird  es  eben  möglich, 
senkrechte  Durchschnitte  auszuführen,  welche  zugleich  die  träger  und  die 
weiter  vorgeschrittene  Seite  des  Eies  treffen  und  daher  zwei  Stadien  des  ganzen 
Entwickelungsverlaufes  in  einem  Bilde  übersehen  lassen. 

Die  fortschreitende  Umwandlung  noch  unentschiedener  Elemente  in 
kleine,  mehr  oder  weniger  gefärbte  Embryonalzellen  findet  aber  eine 
bestimmte  Grenze,  sowie  der  Randwulst  an  einer  Seite  des  Eies  sich 
gebildet  hat.  Dort,  nämlich  ohngefähr  an  der  Grenze  des  mittlem 
und  untern  Drittheils  der  Eihöhe,  erscheint  zwischen  den  äussersten  Ueber- 
gangsformen  des  Randwulstes  und  den  weissen  Dotterzellen  eine  anfangs  flache 
Furche,  welche  sich  aber  alsbald  zusammenzieht  und  in  eine  wirkliche,  wenn 
auch  noch  oberflächliche  Kontinuitätstrennung  zwischen  Dotterzellenmasse  und 
Randwulst  übergeht.  Es  erklärt  sich  aus  den  angeführten  Asymmetrien  der 
Entwicklung,  dass  jene  Furche,  welche  ich  nach  ihrem  Entdecker  die  Rusconi'- 
sche  nenne,  einseitig  also  halbkreisförmig  beginnt  und  sich  erst  nachträglich 
zu  einer  kreisförmigen  vollendet;  und  da  das  dunkle  Pigment  ein  ausschliessliches 
Attribut  der  Keimschicht  bleibt,  so  hört  es  auch  an  der  RuscoNfschen  Furche 
mit  ganz  scharfer  Grenze  auf  {Taf.  II  Fig.  29.  30).  Sobald  sich  dieselbe 
spaltförmig  vertieft  hat,  dringt  auch  das  Pigment  in  dünner  Lage  in  sie 
hinein  und  lässt  dadurch  die  Trennung  beider  Spaltwände  deutlich  hervor- 
treten. Die  Spalte  dringt  nun  immer  weiter  ins  Innere  vor,  indem  sie  an  der 
Innenfläche  des  Randwulstes  hingleitet  und  denselben  vom  Dotterkerne  trennt; 
aber  nur  an  jener  Seite  des  Eies,  wo  die  Spalte  zuerst  erschien,  oder  an  der 
Rückenseite  des  künftigen  Embryo  setzt  sie  sich  über  den  Bereich  des  Rand- 
wulstes hinaus  fort,  um  auch  weiter  hinauf  Embryonal-  und  Dotterzellen  zu 
trennen  {Taf.  II  Fig.  31).  In  ihrem  übrigen  Umfange  macht  sie  eigentlich 
nur  den  lippenförmigen  Saum  der  Keimschicht  frei,  welcher  bei  der  darauf  erfol- 
genden Ausdehnung  der  letzteren  beständig  gegen  den  untern  Pol  vorrückt.  So 
muss  denn  der  von  ihm  umschriebene  Kreis,  die  RuscoNi'sche  Oeffnung*, 


*  Kemak  sagt  S.  142  seines  Hauptwerkes  (Nr.  40) :  „Der  weisse  runde  Fleck  an  der 
untern  Fläche  des  Eies  verdient  nunmehr  insofern  den  Namen  eines  Afters,  als  er  den  vor- 
läufigen Eingang  in  das  hintere  Ende  der  Nahrungshöhle  verschliesst.  Offenbar  will 
Remak  in  diesem  höchst  verwirrten  Satze  ausdrücken,  dass  die  Bezeichnung  des  hintern 
Eingangs  in  die  Nahrungshöhle  als  After  gerechtfertigt  sei;  wenn  aber  auch  der  erste  Ein- 


126  HI.  Die  Bildung  der  Keimblätter. 

sich  zusammenziehen,  also  der  in  ihr  eingeschlossene  Theil  der  Dotterzellen- 
masse, der  Dotterpfropf*,  immer  mehr  zusammengeschnürt ,  d.  h.  seine 
Masse  ins  Innere  zurückgedrängt  werden.  Dieses  Vorrücken  des  Randwulstes 
ist  nun  freilich  eine  Wirkung  der  eben  besprochenen  centrifugalen  Wanderung 
der  Embryonalzellen ;  aber  diese  beiden  Bewegungen  fallen,  wie  ich  gleich  näher 
erläutern  will,  nicht  ohne  weiteres  zusammen. 

Die  Embryonalzellen  sammeln  sich  offenbar  desshalb  in  der  Randzone  der 
primären  Keimschicht  an,  weil  ihr  Vorrücken  in  centrifugaler  Richtung  dort 
durch  den  Widerstand  der  Dotterzellenmasse  eine  Verzögerung  erfährt.  Die 
wachsende  Verdickung  überwindet  diesen  Widerstand  allmählich  und  zwar  na- 
türlich in  der  Richtung  seiner  geringsten  Stärke,  wohin  die  gedrängte  Dotter- 
zellenmasse am  leichtesten  ausweichen  kann.  Dass  dies  gegen  die  Keimhöhle 
erfolgen  muss,  springt  sogleich  in  die  Augen.  Daher  erscheint  auch  ihr  Boden 
eingeschnürt  und  zu  einem  mehr  oder  weniger  deutlichen  ringförmigen  Walle 
erhoben,  dessen  äusserer  Abhang  die  Keimschicht  beinahe  berührt;  nach  unten 
nimmt  indess  die  übrige  Dotterzellenmasse  an  Breite  wieder  zu.  Die  bestän- 
dige Zunahme  der  Anhäufung  in  der  Randzone  ermöglicht  aber,  nachdem  sie 
den  Widerstand  der  Dotterzellenmasse  wenigstens  theilweise  überwunden,  auch 
ein  Vorrücken  der  centrifugal  bewegten  Zellen ,  welche  dadurch  die  ganze  An- 
schwellung gegen  den  äussersten,  ursprünglich  zugeschärften  Saum  der  Keim- 
schicht verschieben  und  ihn  zum  Randwulste  umbilden.  Der  Druck,  welchen 
die  Anschwellung  der  Randzone  auf  die  Dotterzellenmasse  ausübt,  wird  sich 
aber  nicht  nur  mit  ihrem  Wachsthum  steigern,  sondern  zugleich  mit  ihr  sich 
abwärts  verschieben,  also  successiv  immer  tiefer  gelegene  Theile  der  Dotter- 
zellenmasse aufwärts  drängen.  Die  Dotterzellen  bewegen  sich  also,  wenn  auch 
langsam,  gerade  umgekehrt,  wie  die  rascher  abwärts  wandernden  Embryonal- 
zellen. Wenn  aber  zwei  Schichten,  welche  ohne  bestimmte  Grenze  zusammen- 
hängen, in  entgegengesetzter  Richtung  an  einander  hingleiten,  oder  wenn  nur 
eine  von  ihnen  sich  bewegt,  so  erfolgt  die  vermisste  Sonderling ;  und  im  Vor- 


druck zu  Gunsten  dieser  Ansicht  spricht,  so  gestatten  es  doch  die  Rücksichten  auf  die  ent- 
sprechenden Verhältnisse  in  andern  Wirhelthiereiern  nicht,  jene  bisher  gebräuchliche  Be- 
nennung auch  weiterhin  beizubehalten. 

*  Es  wird  häufig  vom  „EcKER'schen  Dotterpfropfe"  gesprochen,  als  wenn  Ecker  das 
Verhältniss  jenes  hellen  Dottertheils  zu  seiner  Umgebung  zuerst  entdeckt  oder  wenigstens 
jene  passende  Bezeichnung  zuerst  gebraucht  hätte.  Wenn  man  die  zu  Anfang  dieses  Ab- 
schnitts citirte  Beschreibung  v.  Baer's  berücksichtigt,  so  wird  man  unzweifelhaft  diesem 
Forscher  die  Priorität  des  glücklichen  Vergleichs  nicht  bestreiten. 


III.    Die  Bildung  der  Keimblätter.  127 

liegenden  Falle  sieht  man  sie  denn  auch  von  der  Spalte  zwischen  dem  Walle 
und  der  Keimschicht  aus  in  die  Tiefe  vordringen  {Taf.  II  Fig.  SO  —  83).  Je 
weiter  die  primäre  Keimschicht  sich  ausdehnt,  desto  weiter  sondert  sie  sich  zu- 
gleich nach  innen  ab.  Es  ist  aber  leicht  zu  verstehen,  dass,  wenn  der  beständig 
gesteigerte  Druck  der  im  Randwulste  sich  anhäufenden  Zellen  nur  zum  gerin- 
geren Theile  in  einem  weiteren  Auswachsen  der  Keimschicht,  grösstentheils 
vielmehr  in  der  gegen  die  Keimhöhle  aufwärts  gerichteten  Bewegung  der  ihm 
unterworfenen  Zellen  zum  Ausdrucke  kommt,  endlich  auch  der  gestaute  Strom 
der  Embryonalzellen  selbst  einen  leichteren  Abfluss  sucht  und  ihn  in  derselben 
Richtung  findet,  wohin  schon  die  von  ihm  gedrängten  Dotterzellen  auswichen. 
Im  Anschlüsse  an  diese  letzteren  bewegen  sich  also  die  im  Randwulste  am  wei- 
testen vorgerückten  Embryonalzellen  an  der  Innenseite  der  primären  Keim- 
schicht aufwärts  und  bilden  die  sekundäre  Keim  Schicht.  Ich  habe  absicht- 
lich den  Ausdruck  vermieden :  der  Rand  der  primären  Keimschicht  rolle  sich 
nach  innen  um,  weil  man  dies  nicht  bloss  bildlich,  sondern  auch  wörtlich  auf- 
fassen könnte,  was  aber  der  Wirklichkeit  nicht  entspräche.  Denn  weder  voll- 
führt der  ganze  Randwulst  eine  solche  Bewegung,  noch  auch  rücken  die  durch 
ihr  Pigment  hinreichend  kenntlichen  Zellen  der  äussersten  Keimschichtenlage 
in  das  Innere  vor  ;  sondern  die  Rückwärtsbewegung  geht  ganz  offenbar  von  dem 
an  der  Innenseite  des  Wulstes  angesammelten  Ueberflusse  von  Zellen  aus,  wo- 
für namentlich  die  darauffolgende  Verschmächtigung  des  Wulstes  zeugt.  Und 
ferner  lehrt  ein  Blick  auf  die  betreffenden  Abbildungen,  dass  die  Sonderung  der 
primären  Keimschicht  gegen  das  Innere  des  Eies  und  die  Anlage  der  sekun- 
dären Schicht  nicht  zwei  auf  einander  folgende  Vorgänge  sind ,  sondern  dass 
die  eine  vom  obern  Pole  ausgehende  centrifugale  Ausbreitung  der  Embryonal- 
zellen in  den  äusseren  Lagen  der  ursprünglichen  Randzone  eine  Fortsetzung 
der  primären  Keimschicht  erzeuge ,  aber  zugleich  die  inneren  Lagen  der  ange- 
häuften Embryonalzellen  als  sekundäre  Keimschicht  in  die  Höhe  dränge.  Beide 
Schichten  sind  alsbald  bis  in  den  äussersten  Randwulst  hinein  geschieden,  wo 
sie  in  einander  umbiegen.  Dieser  ganze  Vorgang  wird  zuerst  dort  deutlich, 
wo  die  RuscoNi'sche  Furche  ihren  Ursprung  nimmt,  also  an  der  Rückenseite, 
und  setzt  sich  von  hier  aus  mit  verminderter  Energie  um  das  ganze  Ei  fort. 
Da  nun  die  sekundäre  Keimschicht  aus  den  gleichen  Ursachen,  welche  die  Son- 
derung der  primären  Keimschicht  bewirkten ,  sich  von  der  Dotterzellenmasse 
absondern  muss  und  der  Beginn  ihrer  Entwickelung  mit  der  Entstehung  der 
RuscoNi'schen  Furche  zusammenfallt,  so  erhellt,  dass  die  letztere  mit  ihrer 


"[28  III.   Die  Bildung  der  Keimblätter. 

spaltförmigen  Fortsetzung  eben  nur  ein  Ausdruck  jener  Sonderung  ist.  Und 
zwar  stimmt  es  mit  der  schon  erwähnten  Ungleichmässigkeit  der  bisher  be- 
sprochenen Entwickelungsvorgänge  vollständig  überein,  dass  die  ausgeprägtere 
Form  der  Sonderung,  die  wirkliche  Trennung,  Spaltung,  nur  dort  auftritt, 
wo  ihre  Ursachen ,  die  Zufuhr  der  centrifugal  bewegten  Zellen  und  in  Folge 
dessen  die  Ausbildung  des  Randwulstes  am  stärksten  wirkten ,  eben  an  der 
Rückenseite ;  während  an  der  Bauchseite  eine  Kontinuitätstrennung  zwischen 
der  Dotterzellenmasse  und  der  sekundären  Keimschicht  überhaupt  nicht  ein- 
tritt und  auch  eine  scharfe  Sonderungsgrenze  nur  sehr  allmählich  sich  ent- 
wickelt (Taf.  II  Fig.  30 — 33).  Kurz  —  es  lassen  sich  alle  bisher  betrachteten 
Erscheinungen  auf  eine  gemeinsame  Grundursache  zurückführen,  auf  die  centri- 
fugale ,  aber  nach  einer  Seite  überwiegende  Verschiebung  der  Embryonalzellen 
der  primären  Keimschicht. 

Bei  einer  solchen  Auffassung  erscheint  auch  die  weitere  Entwicklung  der 
sekundären  Keimschicht  als  eine  natürliche  Folge  der  geschilderten  allgemeinen 
Bewegungen.  Sie  hat  gleich  nach  ihrer  ersten  Anlage  die  Form  eines  breiten 
Gürtels,  dessen  oberer  und  unterer  Rand  das  Bestreben  haben,  in  einer  Kugel- 
fläche zu  verwachsen.  So  lange  der  Randwulst  gewissermassen  noch  über  die 
Masse  der  Dotterzellen  hingleiten  kann,  breitet  sich  die  sekundäre  Keimschicht 
mit  der  primären  verhältnissmässig  schnell  nach  unten  aus  und  scheint  nur  wenig 
in  die  Höhe  zu  wachsen.  Doch  zeugt  ein  kleiner  Wulst  von  Dotterzellen,  welcher 
an  der  Rückenseite  des  Eies  vom  äussersten  Umfange  des  Bodens  der  Keimhöhle 
an  ihrer  Decke  oder  der  primären  Keimschicht  etwas  hinaufsteigt,  dass  der 
obere  Rand  der  sekundären  Schicht  dort  etwas  hinaufzurücken  begonnen  und 
jene  Dotterzellen  vor  sich  her  geschoben  hat  {Taf.  II  Fig.  30).  Sobald  nun 
der  Randwulst  sich  soweit  nach  unten  zusammengezogen  hat,  dass  er  einen  voll- 
ständigen Dotterpfropf  umschliesst,  wird  er  durch  den  Widerstand  des  letzteren, 
der.  nur  sehr  langsam  sich  ins  Innere  zurückdrängen  lässt,  in  seinem  Vorrücken 
merklich  aufgehalten.  In  Folge  dessen  muss  dann  aber  auch  das  Wachs- 
thum  der  sekundären  Keimschicht,  deren  unterer  Rand  fortan  ganz  allmählich 
mit  der  ganzen  RuscoNi'schen  Oeffnung  verwächst,  sich  vorherrschend  am 
oberen  Rande  äussern  und  dadurch  die  früheren  Lagerungsverhältnisse  ver- 
ändern. Diese  Ausbreitung  der  sekundären  Keimschicht  gegen  den  oberen  Pol 
hin  wird  aber  gemäss  der  schon  erörterten  Ungleichmässigkeit  ihrer  Ursachen 
an  der  Rückenseite  des  Eies  am  schnellsten,  an  dessen  Bauchseite  in  viel 
geringerem  Grade  erfolgen;  dosshalb  erhebt  sie  auch  zuerst  mit  ihrem  dorsalen 


III.    Die  Bildung  der  Keimblätter.  129 

Abschnitte  einen  Wulst  von   Dotterzellen  über  das  Niveau  des  Keimhöhlen- 
bodens.   Da  nun  die  Entstehung  der  gleichfalls  dorsal  gelegenen  RuscoNischen 
Spalte  als  der  inneren  Grenze  der  sekundären  Keimschicht  ebenso  wenig  wie 
deren  Sonderung  überhaupt  als  ein  selbstständiger  Vorgang,  sondern  nur  als 
eine  unmittelbare  Folge,  eine  Begleiterscheinung  der  Bewegung  der  Embryonal- 
zellen zu  betrachten  ist,  so  geht  auch  ihre  weitere  Ausbildung  zur  embryonalen 
Darmhöhle  mit  der  Entwickelung  der  sekundären  Keimschicht  Hand  in 
Hand.     Bis   zu  der  zuletzt  beschriebenen  Entwicklungsstufe  erstreckt   sich 
die  RuscoNi'sche  Spalte  so  weit  nach  oben,  dass  die  sekundäre  Keimschicht 
von   der  Dotterzellenmasse  vollständig  getrennt  wird  und  nur  mittelbar  durch 
jenen  Wulst,  in  den  sie  kontinuirlich  übergeht,  mit  ihr  zusammenhängt.   Jener 
Wulst  wird  nun  in  der  einmal  eingeschlagenen  Richtung  längs  der  Decke  der 
Keimhöhle  oder  der  primären  Keimschicht  von  der  sekundären  Keimschicht  fort- 
geschoben •,   dabei  trennt  er  sich  aber  nicht  etwa  von  der  übrigen  Dotterzellen_ 
müsse,  sondern  bleibt  mit  derselben  durch  eine  membranartige  1  —  2 fache  Lage 
von  Dotterzellen  in  Zusammenhang,  welche  zwischen  dem  Wulste  und  seiner 
Ursprungsstelle    am  Boden  der  Keimhöhle  sich  ausspannt  und  die  sich  all- 
mählich ausdehnende  RuscoNi'sche  Spalte  von  der  Keimhöhle  trennt  {Taf.  II 
Fiy.  31      33).     Der  an  der  Decke  hingleitende  Wulst  zieht  diese  Membran 
nach  sich,  bedeckt  damit  allmählich  den  ursprünglichen  Boden  der  Keimhöhle 
und  bringt  so  auch  diese  zum  Schwunde.     In  dem  Masse  aber,   als  diese  vor- 
her einzige  Höhle  des  Eies  abnimmt,  entwickelt  sich  auf  der  anderen  Seite  der 
Membran  eine  neue,  indem   die  Spalte  sich  von  ihrem  blinden  Ende  an  auf- 
bläht;   bis  endlich,  wenn  der  sich  bewegende  Theil  des  früheren  Keimhöhlen- 
bodens mit  dem  relativ  ruhenden  der  gegenüberliegenden  Seite  zusammenrloss, 
wieder  nur  eine  Höhle  im  Eie  existirt,  eben  die  Darmhöhle.    Dieser  ganze 
Process  geht,  wie  gesagt,  von  der  Rückenseite  des  Eies  aus,  während  an  der 
Bauchseite  bis  zum  vollen  Schwunde  der  Keimhöhle  höchstens  eine  wulstför- 
mige  Erhebung  des  Randes  vom  Keimhöhlenboden,   also  nur  eine  schwache 
Ausbreitung  der  sekundären  Keimschicht  erkennbar  ist.    An  beiden  Seiten  fällt 
jene  Scheidewand  beider  Höhlen  in  schräger  Linie  zum  Niveau  des  Keimhöhlen- 
bodens ab,  sodass  also  auch  der  Dotterzellenwulst  an  ihrem  Rande  ebenso 
niedersteigt,  um  in  jene  unbedeutende  centrale  Erhebung  des  Keimhöhlen- 
bodens auszulaufen.     Während  des  Wachsthums  der  sekundären  Keimschicht 
ist  also  die  Dotterzellenmasse  mit  einer  gewissen  Zone,  eben  jenem  ringför- 
migen Wulste,  dem  ebenfalls  kreisförmigen  Rande  der  sekundären  Keimschicht 

Goette,  Entwickelungsgeschichte.  " 


130  HI-    ^ie  Bildung  der  Keimblätter. 

angefügt,  in  dessen  Oeffnung  gleichsam  eingeschaltet.  Da  aber  die  stetige  Zu- 
sammenziehung des  letzteren  jenen  Wulst  nur  vor  sich  her  in  immer  engere 
Kreise  zusammenschiebt,  so  ist  es,  wenn  man  die  von  mir  angeführte  mecha- 
nische Erklärung  der  ersten  Sonderungen  im  Eie  annimmt,  natürlich,  dass  der 
ursprüngliche  Mangel  einer  deutlichen  Grenze  zwischen  beiden  kontinuirlich 
zusammenhängenden  Theilen  zunächst  bestehen  bleibt:  es  fehlt,  um  es  so  zu 
sagen,  die  Reibung  zwischen  ihnen.  Doch  treten  die  Bedingungen  ihrer  voll- 
ständigen Sonderung  nach  dem  gänzlichen  Schwunde  der  Keimhöhle  ein.  Als- 
dann ist  nämlich  der  ringförmige  Dotterzellenwulst  wieder  zu  einer  kompakten 
Masse  verschmolzen,  welche,  ähnlich  wie  der  Dotterpfropf  in  der  RuscoNi'schen 
Oeffnung,  in  die  kreisförmige  Oeffnung  des  Randes  der  sekundären  Keimschicht 
eingezwängt  durch  dessen  weitere  Zusammenziehung  nicht  mehr  sich  einfach 
vorwärts  schieben  lässt.  Die  fortdauernde  Wachsthumsbewegung  jenes  Randes 
wird  ihn  daher  natürlich  an  der  entgegenstehenden  Dotterzellenmasse  vorüber- 
gleiten,  zwischen  dieser  und  der  primären  Keimschicht  vordringen  lassen,  wo- 
durch eben  die  Sonderung  und  zugleich  die  kugelförmige  Verwachsung  der 
sekundären  Keimschicht  herbeigeführt  wird  (Taf.  II  Fig.  34).  Wäre  nun  die- 
ser Vorgang  so  einfach  und  so  vollständig,  wie  ich  ihn  eben  im  allgemeinen  ge- 
schildert, so  müsste  dadurch  die  sekundäre  Keimschicht  gerade  so  wie  die  pri- 
märe in  eine  vollständig  kontinuirliche  Hohlkugel  verwandelt  und  die  ganze 
Dotterzellenmasse  von  derselben  vollkommen  getrennt  werden;  beide  Keim- 
schichten bildeten  dann  als  die  ausschliessliche  Grundlage  aller  morphologi- 
schen Anlagen  des  Embryo  den  eigentlichen  Keim  in  Form  einer  doppel wan- 
digen Blase  (Keimblase),  in  welcher  die  Dotterzellenmasse  als  besonderer 
Eitheil  eingeschlossen  wäre.  Im  Grunde  genommen  lässt  sich  diese  Auffassung 
auch  ganz  wohl  aufrecht  halten ,  trotzdem  dass  eine  scheinbar  nicht  unbedeu- 
tende Abweichung  das  einfache  Bild  beeinträchtigt.  Soweit  nämlich  die  sekun- 
däre Keimschicht  ventralwärts  der  Dotterzellenmasse,  obgleich  von  ihr  geson- 
dert, unmittelbar  anliegt,  löst  sich  auch  ihr  ganzer  Rand  von  derselben  ab 
(Taf.  II Fig.  33. 34) ;  dorsalwärts  ist  sie  aber  von  ihr  durch  die  embryonale  Darm- 
höhle getrennt,  und  im  Bereiche  der  letzteren  sondert  sich  nun  in  dem  Masse, 
als  ihre  Entwickelung  vorrückt,  die  sie  auskleidende  Zellenlage  der  sekundären 
Keimschicht  in  einem  festen  Gefüge  von  deren  übrigen  mehr  locker  zusammen- 
hängenden Embryonalzellen  ab,  um  mit  der  Dotterzellenmasse  theils  in  der 
früheren  Verbindung  zu  bleiben,  theils  in  eine  neue  einzutreten  (Taf.  III 
Fig.  55).     Ersteres  geschieht  eben  am  dorsalen  Abschnitte  des  sich  zusam- 


III    Die  Bildung  der  Keimblätter.  X31 

menziehenden  Randes  der  Keimschicht,  sodass  also  die  bezeichnete  Zellenlage 
oder  das  Darmblatt  sich  dort  von  der  Dotterzellenmasse  nicht  ablöst,  sondern 
mit  ihr  in  kontinuirlichem  Zusammenhange  bleibt  {Taf.  II  Fig.  30  —  34) ; 
das  Zweite  sehen  wir  längs  der  beiden  Seiten  der  Darmhöhle  sich  vollziehen, 
wo  die  sekundäre  Keimschicht  als  die  unmittelbare  Decke  dieser  Höhle  mit 
deren  Boden  oder  der  Dotterzellenmasse  in  Berührung  tritt,  und  wo  die  Ränder 
des  nur  bis  dorthin  abgesonderten  Darmblattes  mit  jener  Masse  zu  einem  voll- 
kommen kontinuirlichen  Zusammenhange  verschmelzen  [Taf.  III Fig.  55  —  57). 
Zur  Erklärung  dieser  merkwürdigen  Erscheinung  Hesse  sich  vielleicht  anführen, 
dass ,  da  die  Bildung  des  Darmblattes  offenbar  mit  der  Entwicklung  der  freien 
Oberfläche  der  Keimschicht  zusammenhängt,  es  auch  nur  in  den  Grenzen 
dieser  Oberfläche  sich  ausdehnt ,  wie  denn  auch  andererseits  sein  hautartiges 
Gefüge  es  von  der  Betheiligung  an  den  Bewegungen  der  tieferen  lockeren 
Schichten  ausschliesst.  Dann  ist  es  verständlich,  dass  es  nach  dem  Schwunde 
der  Keimhöhle  am  blindsackähnlichen  Ende  der  embryonalen  Darmhöhle  nicht 
weiter  wächst,  und  auch  an  deren  Seiten  gegenüber  den  beständig  und  sehr 
bald  gerade  dorsalwärts  sich  verschiebenden  tieferen  Zellenlagen  zu  einem 
relativen  Stillstande  kommt.  Dadurch  passt  sich  aber  das  Darmblatt  durchaus  der 
an  seine  Ränder  anstossenden  gleichfalls  passiven  Dotterzellenmasse  an,  und  da 
die  Berührung  beider  Theile  nicht  gestört  wird,  so  tritt  eben  zuletzt  ihre  Ver- 
schmelzung ein,  wodurch  sie  morphologisch  und  histologisch  als  ein  Ganzes 
erscheinen,  ohne  durch  ihre  Entwickelung  zu  dieser  Auffassung  zu  berechtigen. 
Die  untergeordnete  Bedeutung  dieser  Erscheinung  scheint  sich  mir  auch  daraus 
zu  ergeben,  dass  das  Darmblatt  innerhalb  der  RuscoNi'schen Oeffnung  mit  der 
äusseren  Deckschicht  in  einen  eben  solchen  kontinuirlichen  Zusammenhang  wie 
mit  der  Dotterzellenmasse  tritt,  während  der  Mangel  eines  morphologisch-gene- 
tischen Zusammenhangs  beider  Zellenlagen  aus  der  früheren  Beschreibung  ge- 
nügend erhellt  {Taf.  II  Fig.  31  und  flg.;  Taf.  IV Fig.  70.  78).  Endlich  muss 
ich  noch  erwähnen,  dass  jene  auf  den  ersten  Blick  so  bestechende  eigenthümliche 
Verbindung  des  Darmblattes  mit  der  Dotterzellenmasse  nur  eine  zeitweilige  ist, 
indem  später  während  des  Verbrauchs  der  letzteren  das  Darmblatt  zu  einem 
sie  einschliessenden  Sacke  auswächst,  also  die  Blasenform  der  sekundären  Keim- 
schicht, welche  durch  die  Absonderung  des  Darmblattes  gestört  erschien, 
wenngleich  erst  spät  vervollständigt. 

Mit  dem  Erscheinen  des  Darmblattes  ist  die  Bildung  der  embryonalen 
Grundlagen,  nämlich  der  Keimblätter  und  damit  wieder  ein  natürlicher  Ab- 


l;>2  III.   Die  Bildung  der  Keimblatter. 

schnitt  der  Entwickelungsgeschichte  abgeschlossen.  Freilich  werden ,  schon 
ehe  die  Keimhöhle  verschwindet,  im  Rückentheile  des  Embryo  die  wichtigsten 
morphologischen  Umbildungen  eingeleitet-,  doch  fallen  die  ersten  kenntlichen 
Resultate  derselben  in  die  folgende  Periode,  sodass  ein  Rückblick  an  dieser 
Stelle  nur  das  Erscheinen  der  Keimblätter  berücksichtigen  soll. 

Was  schon  die  Färbung  in  den  Eiern  der  meisten  einheimischen  Batrachier 
andeutet,  nämlich  eine  Zweitheilung  des  Dotters,  vollzieht  sich  während  der 
ersten  Entwickelungsvorgänge  recht  deutlich.  Der  aufwärts  gerichtete  dunklere 
Kugelabschnitt  theilt  sich  schneller  als  der  untere,  hellere  und  wird  von  dem- 
selben im  Innern  durch  die  Keimhöhle  vollständig  getrennt.  Dabei  gewinnt 
dieser  Theil,  welcher  als  Komplex  aller  Embryonal/eilen  die  Bedeutimg  eines 
Keimes  im  engeren  Sinne  hat,  die  Form  einer  Kappe,  welche  mit  ihrem  dicken 
Rande  derDotterzellenmasse  zuerst  nur  aufsitzt,  allmählich  aber  dieselbe  ganz 
umwuchst.  Von  jenem  Randwulste  der  Kappe  oder  primären  Keimschicht 
breitet  sich  an  deren  Innenfläche  die  sekundäre  Keimschicht  aus,  sodass  man, 
wenn  die  RuscoNi'sche  Oeffnung  verwachsen  ist,  den  Keim  sich  als  doppelwan- 
dige  Blase  vorstellen  kann,  in  welcher  die  Dotterzellenmasse,  mit  einem  Theile 
der  Innenwand  verwachsen,  eingeschlossen  ist  [Taf.  IL  Fig.  33  —  35).  Im 
Rückentheile,  welcher  die  Darmhöhle  nach  aussen  überdeckt,  trifft  man  also 
zu  äusserst  die  primäre  Keimschicht  —  oberes  Keimblatt,  Sinnesblatt; 
nach  innen  davon  ist  die  sekundäre  Keimschicht  zerfallen  in  das  mittlere 
Keimblatt  und  das  untere  oder  das  Darmblatt.  (Taf . III Fig. 57 .öS).  Wäh- 
rend das  Sinnesblatt  und  das  mittlere  Keimblatt  schon  sehr  frühe  über  die 
ganze  Dotterzellenmasse  ausgebreitet  sind ,  reicht  das  Darmblatt  zunächst  nur 
bis  zu  derselben  und  wächst  späterhin  ohngefähr  in  dem  Masse  auch  nach  unten 
zusammen,  als  jene  schwindet.  —  Ueber  die  Mächtigkeit  und  besondere Be 
schaffenheit  der  einzelnen  Blätter  werde  ich  in  den  Beschreibungen  ihrer  ein 
zelncn  Leistungen  reden.  In  Betreff  des  Dotterpfropfs  bemerke  ich,  dass,  wenn 
auch  vielleicht  in  selteneren  Fällen  ein  kleiner  äusserer  Theil  desselben  bei 
sonst  normaler  Entwickelung  abgeschnürt  wird,  ich  jedenfalls  bei  keinem  der 
von  mir  untersuchten  Batrachier  (Rana,  Bufo,  Bombinato.r,  Triton)  dies  zu  beob- 
achten Gelegenheit  hatte.  Vielmehr  vollzog  sich  der  von  mir  beobachtete 
Schluss  der  RuscoNi'schen  Oeffnung  stets  in  folgender  Weise.  Sie  verengte 
sich  vorherrschend  von  beiden  Seiten  her,  sodass  sie  spaltartig  wurde  und  ihr 
Längsdurchmesser  in  der  Medianebene  des  sich  entwickelnden  Embryonalkör- 
pers  lag;  dabei  stiessen  die  seitlichen  Randwülste  zuerst  mit  ihren  äussern 


III.    Die  Bildung  der  Keimblätter.  133 

Säumen  und  dann  mit  ihren  inneren  Flächen  zusammen,  während  der  Dotter- 
pfropf dieser  Bewegung  entsprechend  sich  ins  Innere  zurückzog  und  endlich  an 
der  Dotterzellenmasse  ganz  verstrich  (Taf.  IV.  Fiy.  70). 


Es  ist  bemerkenswerth,  dass  bereits  Rusconi  und  v.  Baer  je  einer  beson- 
dern  Grandanschauung  über  die  Embryonalanlage  folgten,  welche  später  auch 
ihre  Nachfolger  in  zwei  Lager  schied.  Rusconi  sieht  nämlich  wiePiiEvosT  und 
Dumas  die  morphologische  Grundlage  des  Embryo  in  dem  ganzen  Dotter,  dessen 
Centralmasse  insbesondere  sich  in  den  Darm  umwandle;  und  ferner  lä-ugnet 
Rusconi  offenbar  die  Existenz  der  Keimblätter,  indem  seiner  Ansicht  nach  die 
Dotterkörner  unmittelbar  in  die  verschiedenen  Anlagen  sich  verwandeln  (Nr.  HO 
S.  94.  97,  Nr.  16  S.  222).  v.  Baer,  welcher  mit  der  Entwickelungsgeschichte 
der  Batrachier  sich  viel  weniger  beschäftigte  als  Rusconi,  stellte  doch  im  Gegen- 
satze zu  diesem  die  Sätze  auf:  1.  dass  das  Froschei  ebenso  wie  die  Eier  der 
anderen  Wirbelthiere  in  Keim  und  Dotter,  d.  h.  in  eine  morphologische  Grund- 
lage des  Embryo  und  eine  dieselbe  ernährende  Substanz  zerfalle,  2.  dass  jener 
Keim  oder  die  eigentliche  Embryonalanlage  sich  in  Keimblätter  spalte.  Ich 
habe  bereits  in  einem  früheren  Aufsatze  gezeigt,  ,,dass  der  Dotterkern  des  Bom- 
binator igneus  zum  Theil  wenigstens  einen  wahren  Nahrungsdotter  vorstellt" 
(Nr.  64  S.  113.  114);  in  der  vorliegenden  Arbeit  werde  ich  nachweisen,  dass 
die  Dotterzellenmasse  des  Batrachiereies  dem  sogenannten  Nahrungsdotter  an- 
derer Wirbelthiere  durchaus  und  vollständig  entspricht,  dass  also  Rusconi's 
gegentheilige  Ansicht  der  Begründung  entbehrt.  Andererseits  erscheint  es 
gegenüber  einer  neuesten  Arbeit  (Dönitz)  nicht  überflüssig,  recht  nachdrück- 
lich zu  betonen,  dass  der  Ausdruck  „Blätter"  für  die  Embryonalanlagen  den 
Erscheinungen  nicht  „möglichst  wenig",  sondern  auf  das  Beste  und  Vollstän- 
digste entspricht  (vgl.  Nr.  67  S.  620).  Kurz  —  v.  Baer  hatte  in  jenen  beiden 
Behauptungen,  welche  nicht  so  sehr  einer  genauen  Kenntniss  der  Entwickelung 
der  Batrachier,  als  vielmehr  seinen  umfassenden  Studien  über  die  Entwickelung 
der  Wirbelthiere  überhaupt  entsprangen,  vollkommen  Recht  gegenüber  den 
entgegengesetzten  Lehren  Rusconi's,  welche  derselbe  auch  noch  in  seinem  letzten 
Werke  mit  grösstem  Eifer  vertheidigte.  —  Rusconi's  unbedingte  Anhänger  in 
der  bezeichneten  Richtung,  auf  deren  Irrthümer  ich  daher  nicht  weiter  eingehen 
will,  sind  Reichert,  Cramer,  Dönitz;  Remak,  Stricker  und  v.  Bambecke 


134  III.    Die  Bildung  der  Keimblätter 


ö 


folgen  Rusconi  darin,  dass  sie  die  Annahme  eines  Nahrungsdotters  für  die 
Batrachier  verwerfen,  während  sie  dagegen  nach  dem  Vorgange  v.  Baees  und 
J.  Muellers  die  Keimblätter  gelten  lassen.  Vogt  endlich  nimmt  eine  eigen- 
thümlich  vermittelnde  Stellung  ein.  Das,  was  er  Nahrungsdotter  nennt,  ist 
vielmehr  eine  Werkstätte  zur  Bildung  stets  neuen  Zellenmaterials  für  die  sich 
entwickelnden  Organe.  Wenn  er  aber  durch  diese  Auffassung  an  Reichert 
erinnert,  so  verwahrt  er  sich  dennoch  ganz  entschieden  gegen  einen  solchen 
Vergleich.  Die  Organe  gingen  ebenso  wenig  unmittelbar  aus  dem  Dotter  her- 
vor, als  andererseits  wirkliche  Blätter  existirten.  Dagegen  liesse  sich  eine 
schichtenweise  Anordnung  der  von  innen  her  gelieferten  Zellen  nicht  läugnen 
(Nr.  26  S.  62.  65).  Nicht  weniger  gegenüber  diesen  schwankenden  Angaben 
als  den  entschiedenen  Abweichungen  von  der  Lehre  v.  Baers  wird  es  meine 
Aufgabe  sein,  dieselbe  ausführlicher,  als  es  in  meinem  Aufsatze  geschah,  zu 
bestätigen.  Doch  kann  das  Verhalten  der  Dotterzellenmasse  erst  später  näher 
beleuchtet  werden,  hier  aber  zunächst  nur  eine  Besprechung  der  Keimblätter 
stattfinden. 

Ueber  die  Blätter  des  Batrachierkeims  hat  sich  v.  Baer  nicht  eingehend 
ausgelassen,  sondern  nur  ganz  allgemein  von  zwei  Schichten  gesprochen.  Wenn 
ich  aber  auf  seine  Bemerkung  Rücksicht  nehme,  dass  er  die  allgemeinen  Um- 
bildungen der  Keimblätter,  welche  er  zunächst  und  hauptsächlich  am  Hühner- 
embryo erforschte,  auch  „am  Frosche  vollständig  verfolgt"  habe  (Nr.  8.1  S.  164), 
so  darf  ich  wohl  seine  bezüglichen  Anschauungen  hier  aufführen,  wobei  ich  zu- 
nächst weniger  den  schematischen  Darstellungen,  welche  häufig  ganz  allein 
berücksichtigt  werden,  als  den  mitgetheilten  Befunden  folge  (vgl.  Nr.  8. 1  S.  20. 
II  S.  67.  68).  An  der  oberen  und  an  der  unteren  Fläche  des  Keimes  ent- 
wickeln sich  allmählich  zwei  Schichten,  zwischen  denen  eine  indifferente  Masse 
liege.  Während  jene  zur  Hautschicht  und  zur  Schleimhautschicht  sich  aus- 
bilden, hänge  die  innere  Masse  „zum  Theil  mehr  an  der  unteren  Schicht,  zum 
Theil  mehr  an  der  oberen  an",  woraus  die  Gefässschicht  dort,  hier  die  Fleisch- 
schicht hervorgehe.  Die  Möglichkeit  oder  Wahrscheinlichkeit,  dass  diese 
beiden  Schichten  einen  gemeinsamen  Ursprung  in  jener  mittleren  Masse  hätten, 
wird  ganz  ausdrücklich  hervorgehoben  (Nr.  8.  I  S.  20.  41),  sowie  die  Haut- 
schicht ganz  richtig  als  die  gemeinsame  Grundlage  für  die  Haut  und  den  Cen- 
traltheil  des  Nervensystems  gedeutet  und  der  Name  „sensible  Schicht"  nur  aus 
formellen  Gründen  vermieden  wird  (Nr.  8.  II  S.  68  Anm.  3).     Wenn  aber  nach 


IIF.    Die  Bildung  der  Keimblätter.  135 

v.  Baee  anfangs  drei;  dann  durch  Sonderung  der  mittleren  vier  übereinander 
liegende  Keimschichten  zu  unterscheiden  sind,  so  soll  sich  ihre  Gesammtheit 
erst  nachträglich  (gegen  den  dritten  Brüttag)  in  die  beiden  räumlich  getrennten 
Blätter,  das  animalische  und  das  vegetative  spalten,  sodass  ersteres  die  Haut- 
und  die  Fleischschicht,  letzteres  die  beiden  anderen  Schichten  umfasst  (Nr.  8  I 
S.  20.  Anm.  S.  40  —  42,  II  S.  68.  Anm.  4).  Ich  glaube,  dass  es  keiner  weiteren 
Begründung  bedarf,  um  in  dem  Angeführten  den  Keim  der  Dreiblättertheorie 
zu  erkennen;  ferner  erhellt  eben  daraus,  dass  die  schematischen  Darstellungen 
v.  Baee's  ,  wonach  zwei  ursprüngliche  Schichten  oder  Blätter ,  eben  das  anima- 
lische und  vegetative,  sich  verdoppelten  (Nr.  8. 1  Scholion  IV),  mit  Unrecht  als 
die  eigentlichen  Befunde  seiner  Untersuchungen  hingenommen  und  beurtheilt 
werden.     In  seinen  „Reflexionen"  hat  v.  Baee  allerdings  dem  Einflüsse  der  zu 
seinerZeit  herrschenden  Vorstellung,  class  die  künftige  Funktion  derTheile  ihre 
Entwickelung  bestimme,   sich  nicht  ganz  entziehen  können;  daraus  entsprang 
die  Annahme  animalischer  und  vegetativer  Anlagen,  die  er  in  Uebereinstim- 
mung  zu  bringen  suchte  mit   seinen   Beobachtungen,    welche  durchaus  nicht 
eine   einfache  Bestätigung  des  PANDEE'schen  Zweiblättersystems   enthalten, 
sondern  wenngleich  unbestimmt  auf  drei  ursprüngliche  Schichten  hinweisen. 
Dass  aber  diese  beiden  Auffassungen  sich  nicht  so  vereinigen  lassen,  wie  nach 
meinen  Erfahrungen  die  drei  Keimblätter  nur  eine  weitere  Ausbildung  zweier 
ursprünglichen  Schichten  darstellen ,  liegt  auf  der  Hand.     Die  Existenz  der 
„animalischen  und  der  vegetativen"  Schicht  als  ursprünglicher  Keimsondemng 
angenommen ,  würde  das  mittlere  Keimblatt  durch  ein  Zusammenwirken  beider 
entstehen  müssen,  d.  h.  die  animalische  Schicht  enthielte  mehr  als  meine  pri- 
märe Keimschicht ,  die  vegetative  also  weniger  als  die  entsprechende  sekundäre 
Schicht.     Wenn  also  v.  Baee  auch  auf  dem  richtigen  Wege  sich  befand,  so 
fehlte  ihm  doch  noch  die  klare  Einsicht  in  die  Entstehung  der  drei  Keimblätter ; 
und  nachdem  Reichest  vergeblich  versucht,  die  Blättertheorie  zu  verdrängen 
und  die  Entwickelung  aller  embryonalen  Anlagen  bloss  auf  lokale  Differenzi- 
rungen  zurückzuführen,  war  es  Remae:  vorbehalten,  das  von  v.  Baee  Festge- 
stellte zu  bestätigen,  dessen  Andeutungen  auszuführen  und  ferner  die  Entstehung 
jener  Blätter  mit  der  Bildung  der  im  Batrachierei  so  stark  entwickelten  Höhlen 
in  Zusammenhang  zu  bringen.  Nachdem  nämlich  Rusconi  ausser  der  v.  Baee- 
schen  Höhle  (Keimhöhle)  noch  eine  andere  in  den  Batrachiereiern  entdeckt 
hatte,  so  führte  diese  Entdeckung  zunächst  nur  eine  Verwirrung  in  der  Kennt- 


136  IH-    Die  Bildung  der  Keimblätter. 

niss  über  die  Bildung  und  das  gegenseitige  Verhältniss  beider  Höhlen*,  aber 
nicht  die  geringste  Aufklärung  darüber  herbei,  ob  sie  beide  schwinden  und  was 
eventuell  aus  der  übrigbleibenden  werde.     Reichert,  Cramer  und  Vogt  be- 
rücksichtigten die  bezeichnete  Entdeckung  Rusconi's  gar  nicht,  obgleich  sie 
mit  seinen  allgemeinen  Resultaten  übereinstimmten.     Remak  that  nun  einen 
entscheidenden  und  bedeutenden  Schritt  vorwärts ,  und  wenn  man  einige  Ein- 
zelheiten seiner  Beschreibung  und  gewisse  Deutungen  bei  Seite  lässt,  so  muss 
man  seine  Beobachtungen  als  im  wesentlichen  richtige  anerkennen.   Die  Decke 
der  Furchungshöhle  ist  allerdings  die  erste  gesonderte  Embryonalanlage,  und  es 
wird  auch  gewissermassen  durch  die  von  unten  aufsteigende  RuscoNi'sche  Spalte 
eine  zweite  Zellenschicht  jener  ersteren  angefügt  und  zugleich  durch  die  Aus- 
breitung der  neuen  Höhle  die  frühere  oder  die  Furchungshöhle  verdrängt.   Aber 
Remak  irrte  darin,  dass  er  1.  in  der  Decke  der  Furchungshöhle  und  in  ihrer 
Fortsetzung  zwei  Keimblätter  annahm,  sodass  die  neuhinzukommende  Anlage 
nur  aus  einer  Zellenlage  oder  dem  dritten  Keimblatte  bestehen  sollte,  2.  dass 
er  die  Nahrungshöhle  aus  emer  Einstülpung  der  hellen  unteren  Dotterfläche 
hervorgehen  Hess,  sodass  also  das  dritte  Keimblatt  genetisch  als  eine  Fortsetz- 
ung des  ersteren  erschien,  das  mittlere  Keimblatt  dagegen  mit  freiem  Rande 
in  der  Tasche  oder  Falte  steckte,  welche  jene  beiden  Blätter  am  Umfange  der 
RuscoNi'schen  Oeffnung  bildeten,  3.  dass  er  jene  Nahrungshöhle  nur  als  primi- 
tive betrachtete,  welche  zum  grössten  Theile  wieder  schwinde  und  durch  eine 
ganz  neu  entstehende  ersetzt  werde**  (Nr.  40  S.  145).  —  Die  Darstellung  von 
Stricker  bezeichet  abermals  einen  Fortschritt,  indem  dieser  Forscher  die  unter 
1.  und  2.  bezeichneten  Irrthümer  Remak's  aufdeckte  und  zurechtstellte.     Aber 
auf  der  anderen  Seite  entwickelten  sich  auch  neue  Irrthümer.     Nach  Remak's 
Darstellung  wurde  ein  Theil  der  hellen  Dottermasse  successiv  an  die  ganze 
erste  Keimblätteranlage  angelegt,  und  so  waren  die  Keimblätter  im  ganzen 
Umfange  des  Eies  aus  analogen  Theilen  hervorgegangen-,  Stricker  läugnete 
aber  diese  Analogie,  indem  er  lehrte,  dass  ein  Theil  des  Rückens  und  des 
Bauches  schon  ursprünglich  als  Ganzes  angelegt  sei  (Keimhügel,  Rindenschicht), 


*  Erst  irrte  Rusconi  selbst  in  der  Bezeichnung  der  neuhinzugekommenen  Höhle ,  dann 
wurde  die  ganze  RuscoNi'sche  Beschreibung  von  Remak  niissverstanden,  worauf  erst  in 
neuester  Zeit  Golubew  dieses  Missvcrständniss  aufklärte  (Nr.  68  S.  89  und  flu.). 

**  Das  Genauere  über  diesen  Punkt  kann  erst  später  ausgeführt  werden.  Ich  be- 
merke hier  nur ,  dass  die  REMAK'sche  Anschauung  bereits  in  der  REicHERT'schen  Darstel- 
lung vorgebildet  erscheint. 


III.    Die  Bildung  der  Keimblätter.  137 

welches  nur  einer  Spaltung  in  die  Keimblätter  bedürfe,  während  in  den  übrigen 
Theilen  nur  die  zwei  oberen  Keimblätter  (beide  zusammen  meinem  Sinnesblatte 
entsprechend)  von  Anfang  an  vorgebildet  seien,  die  zwei  weiteren  aber  aus  einem 
ganz  anderen  Dotterabschnitte,  dem  weissen  Boden  der  Furchungshöhle *  sich 
neu  bildeten. 

Wenn  aber  die  Lehre  von  der  Keimblätterbildung  bis  Strickee  eine  fort- 
schreitende Entwicklung  gezeigt  hatte,  so  machte  sie  durch  die  Arbeiten  von 
v.  Bambecke,  Dönitz  und  Golubew  entschiedene  Rückschritte.  Dass  die 
REiCHERT'sche  Lehre  von  den  Embryonalanlagen  in  unveränderter  Gestalt  wie- 
derum auftauchen  konnte  (Dönitz),  erscheint  um  so  weniger  erklärlich,  als 
Stricker,  welcher  in  seinem  ersten  Aufsatze  derselben  gleichfalls  huldigte,  im 
folgenden  (Nr.  46  S.  317)  uns  neben  der  neuen  Auffassung  eine  Aufklärung 
darüber  gab,  wie  Reichert's  allgemein  gültig  sein  sollende  Bilder  zu  Stande 
kamen.**  Die  neuen  Beobachtungen  von  Dönitz  sind  aber  zu  spärlich  und 
zu  wenig  zusammenhängend,  um  Anhaltspunkte  zu  einer  erneuerten  Widerle- 
gung der  alten  Irrthümer  zu  bieten.  Ebenso  ungenügend  erscheinen  mir  die 
Untersuchungen  von  v.  Bambecke  und  Golubew,  welche  offenbar  in  der 
irrigen  Voraussetzung,  dass  zur  Erkenntniss  der  relativ  einfachsten  Ver- 
hältnisse, wie  sie  in  den  ersten  Entwickelungsphasen  bestehen,  auch  die  ein- 
fachsten Mittel,  eben  einige  gelegentliche  Durchschnitte  genügen,  mit  Hülfe 
solcher  das  von  ihren  Vorgängern  bereits  Festgestellte  umzustossen  suchten,  wäh- 
rend doch  ihre  eigenen  Auffassungen  als  durchaus  unbegründete  zurückge- 
wiesen werden  müssen. 

Wenn  ich  zuletzt  an  meine  eigenen  Beobachtungen  komme,  so  muss  ich 
zuerst  daran  erinnern,  dass,  bevor  ich  dieselben  in  der  gegenwärtigen  Gestalt 
abschloss,  ich  die  analogen  Vorgänge  in  den  Eiern  der  Knochentische,  Vögel 
und  Säugethiere  so  eingehend  wie  es  mir  nur  möglich  war  untersucht  und  da- 
bei im  wesentlichen  eine  vollständige  Uebereinstimmung  der  Keimblätterbildung 


*  Stricker  lässt  in  diesem  Boden  irrthümlicherweise  eine  besondere ,  massig  starke 
Schicht  von  Zellen  bestehen,  welche  auffallend ,  kleiner  als  die  übrigen  Dotterzellen,  eine 
Mittelstellung  zwischen  diesen  und  den  Embryonalzellen  einnehmen. 

**  Es  geht  aus  der  angezogenen  Stelle  hervor,  dass  die  REicHERT'schen  Ansichten  aus 
der  Untersuchung  von  Durchschnitten  entsprangen ,  welche  nur  parallel  zur  RuscoNi'schen 
Oeffnung  ausgeführt  wurden.  Wer  sich  auf  diese  einseitige  Untersuchung  beschränkt,  dem 
müssen  natürlich  die  Bildung  und  Veränderung  beider  Höhlen,  sowie  die  damit  verbundenen 
Zellenbewegungen  im  Eie  verborgen  Weihen. 


138  HI.    Die  Bildung  der  Keimblätter. 

in  allen  Wirbelthieren  gefunden  hatte  (No.  102,  103,  108).*  Meine  Abbil- 
dungen stimmen  im  allgemeinen  mit  denen  Stricker's  überein ;  meine  ab- 
weichende Deutung  der  Erscheinungen  liegt  allerdings  nicht  auf  der  Hand, 
aber  so  wie  sie  aus  den  gleichlautenden  Ergebnissen  der  Untersuchung  über 
die  Keimblätterbildung  bei  den  übrigen  Wirbelthieren  sich  ergab,  erschien  sie 
mir  einfacher  und  geeigneter,  den  ganzen  Vorgang  einheitlich  zu  begründen, 
als  die  früheren  Auffassungen.  Es  erhellt  aus  meiner  Beschreibung,  dass  der 
ganze  Komplex  der  einzelnen,  scheinbar  selbstständigen  Veränderungen  im 
Grunde  auf  eine  gemeinsame  Quelle,  auf  die  Auswanderung  der  Embroyonal- 
zellen  gegen  den  Rand  der  primären  Keimschicht  hin  zurückgeführt  werden 
könne.  Früher  wurde  aber  nicht  diese  ursprüngliche  Bewegung,  sondern  nur 
ihr  Enderfolg,  nämlich  die  Erhebung  der  Dotterzellen  vom  Boden  der  Keim- 
höhle an  die  Decke  derselben  bemerkt;  Stricker  nahm  an,  dass  jene  Dotter- 
zellen, wenn  sie  sich  einmal  angelagert  haben,  ihren  Platz  nicht  mehr  verlassen, 
nicht  längs  der  Decke  fortgeschoben  würden,  sondern  dass  stets  neue  längs  des 
Randes  der  Anlagerung,  also  selbstständig  hinaufvvanderten,  wogegen  Golubew 
sie  mechanisch  gehoben  werden  lässt  durch  eigenthümliche  Formveränderungen 
der  unmittelbar  unter  ihnen  liegenden  Zellen.  Obgleich  nun  Stricker  seine 
Ansicht  für  den  unmittelbaren  Ausdruck  von  unzweifelhaften  Thatsachen  hält 
(No.  46  S.  320),  so  muss  ich  ihm  doch  entschieden  widersprechen;  jener  in  die 
Höhe  gehobene  Wulst  von  Dotterzellen  bleibt  unverändert,  kompakt  und  weder 
gehen  seine  Zellen  in  die  Zusammensetzung  der  sekundären  Keimschicht  ein, 
noch  ist  jemals  eine  Zufuhr  neuen  Materials  vom  Boden  der  Keimhöhle,  am 
wenigsten  auf  dem  von  Stricker  angegebenen  Wege  sichtbar.  Ebenso  wenig 
aber  kann  ich  Golubew's  Erklärung  beitreten ;  wenn  er  bei  dem  allgemeinern 
Ausdrucke  stehen  geblieben  wäre ,  dass  die  Zellen  vom  Boden  der  Keimhöhle 
durch  die  Theilungsvorgänge  der  darunter  befindlichen  Elemente  in  die  Höhe 
gehoben  würden ,  so  Hesse  sich  dies  noch  hören ,  aber  da  er  den  Nach- 
druck darauflegt,  dass  die  sich  theilenden  Zellen  (die  Uebergangsformen)  alle 
in  einer  bestimmten  Richtung  sich  strecken  und  dadurch  die  darüberliegenden 
Massen  heben,  und  dass  dieser  Vorgang  während  der  ganzen  Bewegung  sich  fort- 
laufend wiederhole,  so  muss  ich  diese  Vorstellung  durchaus  von  der  Hand  weisen. 


*  Betreffs  der  Ausführung  der  in  den  vorläufigen  Mittheilungen  enthaltenen  kurzen 
Notizen  kann  ich  mich  leider  nicht  auf  bereits  veröffentlichte  Aufsätze  berufen,  sondern  bloss 
auf  solche,  welche  theils  gleichzeitig  mit  dieser  Arbeit,  theils  wohl  etwas  später  erscheinen 
werden, 


III.    Die  Bildung  der  Keimblätter.  1 39 

Denn  jene  gestreckten  Zellenformen  kommen  nach  den  GoLUBEw'schen  Abbil- 
dungen ganz  besonders  ausgezeichnet  im  Dotterpfropfe  und  mitten  in  der  cen- 
tralen Dottermasse  vor,  also  gerade  unter  ruhenden  Massen-,  andererseits  aber 
habe  ich  solche  Formen,  wie  sie  Golubew  beschreibt  und  abbildet,  weder  un- 
mittelbar hinter  den  sich  bewegenden  Massen,  noch  überhaupt  gesehen.  Da 
wir  also  weder  eine  selbstständige  Bewegung  jener  Dotterzellen  noch  die  von 
Golubew  entdeckte  Ursache  ihrer  passiven  Ortsveränderung  anzunehmen 
brauchen ,  so  können  wir  zur  Ausdehnung  der  ganzen  Embryonalzellenmasse 
zurückkehren.  Für  diese  oder  die  centrifugale  Auswanderung  der  Embryonal- 
zellen können  natürlich  die  verschiedensten  Ursachen  erdacht  werden;  doch 
scheinen  die  Theilungsvorgänge  der  Zellen  am  meisten  geeignet,  jene  Bewegung 
zu  erklären,  denn  sie  sind  einmal  stets  an  den  Zellen  selbst  gegenwärtig  und 
ferner  nehmen  sie  Bezug  auf  das  Verhältniss  von  Centrum  und  Peripherie  der 
Keimschicht ,  indem  sie  dort  nachweislich  am  schnellsten ,  hier  langsamer  er- 
folgen. Dass  die  bei  jenen  Theilungen  erscheinenden  Bewegungen,  Zusammen- 
ziehungen der  ganzen  Embryonalzellen  keine  lebendigen  sind,  geht  aus  den 
Betrachtungen  des  vorigen  Abschnittes  hervor.  Der  Zellenleib  zieht  sich  auf 
einen  ausser  ihm  (im  Zellenkerne)  wirkenden  Reiz  zusammen ,  und  da  die  Aus- 
lösung dieses  Reizes  durch  einen  Stoffwechsel  nicht  vermittelt  wird,  so  fehlt 
jede  Veranlassung ,  von  wirklichen  Lebenserscheinungen  zu  reden.  Die  Thei- 
lungen der  Embryonalzellen  bewirken  nun  in  viel  höherem  Grade  als  die  frühere 
Dottertheilung  eine  Verschiebung  der  ganzen  Masse;  solange  die  Dotterstücke 
die  Form  der  Kugelausschnitte  behielten,  konnte  das  Volumen  der  ganzen 
Kugel  nicht  merklich  zunehmen,  aber  sobald  bei  jeder  Theilung  aus  einem 
rundlichen  Körper  zwei  ähnliche  runde  hervorgingen,  musste  der  zu  den 
Zwischenräumen  erforderliche  Raum  stetig  wachsen  und  eine  wirkliche  Ver- 
schiebung der  Zellen  eintreten.  Einen  Grund  dafür,  dass  diese  Verschiebung 
in  der  Flächenrichtung  der  Keimschicht  und  nicht  in  der  Richtung  ihrer  Dicke 
stattfindet,  sehe  ich  darin,  dass  die  Dottertheilungen,  wie  man  sich  an  Durch- 
schnittsbildern  leicht  überzeugt,  mit  Bezug  auf  die  Dotterkugel  ganz  über- 
wiegend in  radiären  und  nur  sehr  viel  seltener  in  koncentrischen  Ebenen  er- 
folgen. Und  dass  jene  Verschiebung,  wenn  sie  einmal  um  den  oberen  Pol 
begann  und  auch  weiterhin  von  dort  aus  am  meisten  unterstützt  wird,  in  kon- 
centrischen Kreisen  gegen  die  Peripherie  vorrückt,  scheint  mir  ganz  natürlich 
zu  sein.  So  setzen  sich  alle  die  kleineren  Bewegungen,  welche  aus  den  Thei- 
lungen der  Embryonalzellen  resultiren,  zu  einer  allgemeinen,  zu  der  Ausdeh- 


140  HI.    Die  Bildung  der  Keimblätter. 

nung  der  ganzen  primären  Keimschicht  zusammen ,  welche  durch  den  Wider- 
stand der  trägen,  d.h. sehr  viel  langsamer  sich  theilenden  Dotterzellen  zu  einer 
Veränderung  der  Bewegungsrichtimg  gezwungen,  in  Folge  dessen  die  Bildung 
der  sekundären  Keimschicht  herbeiführt.  Daraus  ergibt  sich  aber,  dass  die 
Embryonalanlage  oder  der  eigentliche  Keim,  welcher  nach  seiner  Abstammung 
von  der  Dotterkugel  ursprünglich  ein  Kugelsegment  gewesen  und  darauf  zu 
einer  halbkugeligen  Schale  sich  ausgebildet  hatte,  gleich  nach  der  Entstehung 
der  Embryonalzellen  eine  einzige  Schicht,  gleichsam  ein  erstes  Keimblatt  bildet 
(primäre  Keimschicht)  und  dass  darauf  ein  zweites  nicht  durch  Anlagerung 
neuen  Materials  oder  durch  histiologische  Differenzirung  der  früheren  Masse' 
sondern  durch  eine  Art  Faltung  der  ersten  einheitlichen  Anlage  entsteht 
(sekundäre  Keimschicht).  Die  beiden  ersten  Schichten  des  Keims  entwickeln 
sich  also  aus  einer  morphologischen  Umbildung  einer  höchst  einfachen  ersten 
Anlage-,  die  weitere  Ausbildung  der  Keimblätter  erfolgt  aber  durch  lokale 
Absonderung,  welche  die  einfache  Zellenlage  an  der  freien  Fläche  jeder  der 
beiden  Keimschichten  betrifft.  An  der  primären  Keimschicht,  also  an  der 
ganzen  Oberfläche  des  Eies  geschieht  dies  zuerst,  und  zwar  zeigt  sich  der 
Anfang  dazu  in  der  oberen  Hemisphäre,  noch  ehe  die  sekundäre  Keimsclncht 
recht  begonnen  hat ;  so  entstellt  die  Schicht ,  welche  seit  Reichert  als  Um- 
hüllungshaut  bekannt  ist.  Sobald  die  sekundäre  Keimschicht  durch  die  Bil- 
dung der  RuscoNi'schen  Spalte  oder  der  Darmhöhle  eine  freie  Fläche  erhält, 
sondert  sich  von  ihr  das  Darmblatt  ab,  welches  ebenso  wie  die  Umhüllungshaut 
aus  einer  einfachen  Zellenlage  besteht  und  mit  derselben  am  Rande  der  Rus- 
coNi'schen  Oeffnung  zusammenfliesst.  Diese  Analogie  in  der  Entwicklung  der 
beiden,  man  möchte  schon  vorausgreifend  sagen,  Epithelial-  oder  Deckblätter 
an  den  beiden  Keimschichten  scheint  hinlänglich  die  von  Stricker  zuerst  auf- 
gebrachte Viertheilung  der  Embryonalanlage  zu  begründen  und  zu  recht- 
fertigen. Und  doch  kann  ich  mich  dieser  Anschauung  nicht  anschliessen.  Ich 
behandle  allerdings  zunächst  nur  die  Entwickelung  der  Batrachier,  und  wenn 
ihre  Embryonen  thatsächlich  vier  Keimblätter  hätten,  so  finde  auch  ich  darin, 
dass  die  Embryonen  anderer  Wirbel thiere  nur  drei  Keimblätter  besitzen,  noch 
keinen  Grund,  von  jenen  vier  Blättern  eines  zu  Ehren  der  Analogie  zu  eliminiren. 
Aber  bevor  die  Umhüllungshaut  (Deckschicht)  als  selbstständiges  Keimblatt 
von  dem  darunter  befindlichen  Theile  der  primären  Keimschicht  oder  dem 
Nervenblatte  (Grundsc nicht)  getrennt  wird,   muss  dazu  auch  ein  genügender 


III.    Die  Bildung  der  Keimblätter.  141 

Grund  vorhanden  sein.*  Die  Deckschicht  betheiligt  sich  nun  an  den  meisten 
Bildungsakten  der  Grundschicht  (ausgenommen  bei  der  Bildung  des  Ohrbläs- 
chens  und  der  Seitennerven)  gleich  in  der  ersten  Anlage,  erzeugt  für  sich  allein 
nur  die  einigen  Batrachiern**  eigenthümlichen  Haftorgane  in  der  Nähe  des 
Mundes  und  verschmilzt  darauf  mit  der  übrigen  Grundschicht  zu  der  Epidermis, 
welcher  sicherlich  Niemand  die  Bedeutung  eines  morphologisch  durchaus  ein- 
heitlichen Organs  absprechen  wird.  Nach  ihrer  Produktionsthätigkeit  besitzt 
die  sogenannte  Umhüllungshaut  nicht  den  geringsten  Anspruch  auf  die  Bezeich- 
nung eines  besonderen  Keimblattes  ;  dies  gilt  von  den  Batrachiern  ebenso  wie 
von  den  Knochenfischen,  bei  denen  gleichfalls  eine  besondere  Deckschicht  des 
oberen  Keimblattes  vorkommt  (vgl.  No.  107. 108).  Wenn  man  aber  nach  dieser 
Feststellung  berücksichtigt,  dass  aus  dem  einfachen  oberen  Keimblatte  der 
Amnioten  ganz  dieselben  Anlagen  sich  entwickeln,  wie  aus  dem  zweischichtigen 
der  Batrachier  und  Knochenfische,  so  dürfte  man  wohl  zu  dem  Schlüsse  ge- 
langen, dass  die  Deckschicht  der  letzteren  nur  als  eine  zeitweilige  Sonderimg 
des  oberen  Keimblattes  anzusehen  sei,  welche  ohne  Bedeutung  für  die  morpho- 
logische Embryonalentwickeluug  vielleicht  einem  ähnlichen  Zwecke  dient  wie 
das  Amnion,  und  wegen  ihres  immerhin  nicht  ganz  flüchtigen  Bestandes  eine 
besondere  Bezeichnung  erhalten  mag.     Um  aber  nicht  an  den  Irrthum  der 


*  Einen  solchen  sieht  nun  freilich  Török  (No.  58  S.  4.  5)  bereits  in  der  Beobachtung, 
dass  beide  Schichten  „ursprünglich",  d  h.  an  den  ersten  Embryonalanlagen,  geschieden 
seien.  Aber  das  mittlere  Keimblatt  zerfallt  ebenfalls,  bevor  es  sich  in  verschiedene  An- 
lagen umbildet,  in  zwei  Schichten,  welche  nicht  mehr  aber  auch  nicht  weniger  verdienten 
als  besondere  Keimblätter  betrachtet  zu  werden  wie  die  Umhüllungshaut  und  das  Nerven- 
blatt. Was  aber  in  dem  einen  Falle  unterlassen  wird,  dürfte  alsdann  in  dem  andern  nicht 
gelten.  Eine  weitere  Unterstützung  der  STRicKER'schen  Auffassung  glaubt  Török  darin  zu 
finden,  dass  das  Nervenblatt  die  nervösen  Theile  erzeuge,  aber  „mit  der  Anlage  der  Horn- 
gebilde  nichts  mehr  gemeinschaftlich  hat"  (S.  5),  deren  Keimboden,  das  Hornblatt,  Török 
an  einer  Stelle  (S.  7)  mit  der  Umhüllungshaut  identificirt,  obgleich  er  diese  Gleichstellung 
vorher  (S.  3)  als  unrichtig  bezeichnet  hatte.  Da  aber  das  „Nervenblatt"  die  Linse  und  ge- 
ineinsam mit  der  Umhüllungshaut  die  Epidermis  bildet,  so  dürfte  auch  jener  zweite  von 
Török  angeführte  Beleg  für  die  Vierthcilung  des  Keims  hinfällig  erscheinen.  Ich  bemerke 
bei  dieser  Gelegenheit,  dass  es  mir  gewagt,  wenn  nicht  ungerechtfertigt  erscheint,  eine  Kritik 
der  Keimblätterthcorie  auf  drei  Durchschnitte  hin  —  auf  mehr  bezieht  sich  wenigstens 
Török  nicht  —  begründen  zu  wollen,  zumal  die  dazu  gehörigen  Beobachtungen  nicht  eine 
einzige  neue  Thatsache  bringen. 

**  Salamandra  maculata  besitzt  sie  jedenfalls  nicht;  und  es  scheint  mir  wahrscheinlich, 
dass  wohl  alle  Batrachier,  die  ihr  Embryonen-  und  erstes  Larvenleben  nicht  im  Wasser  ver- 
bringen, diese  Drüsen  entbehren,  da  dieselben  nur  embryonale  Organe  sind  und  ihre  Funk- 
tion ,  die  herumschwimmenden  Larven  hier  und  da  durch  Schleimfäden  an  festen  Gegen- 
ständen zu  befestigen,  bei  den  genannten  Thieren  gar  nicht  ausüben  können. 


142  III.    Die  Bildung  der  Keimblätter. 

KEiCHERTschen  Schule  zu  erinnern,  habe  ich  den  Ausdruck  „Umhüllungshaut" 
mit  der  allgemeineren  Bezeichnung  „Deckschicht"  vertauscht. 

Anders  wie  die  Deckschicht,  welche  die  Bedeutung,  die  sie  nach  ihrem 
ersten  Erscheinen  zu  haben  schien,  durch  ihre  weitere  Entwicklung  verläug- 
nete,  zeigt  der  ihr  scheinbar  analoge  Theil  der  sekundären  Keimschicht,  das 
Darmblatt,  schon  gleich  anfangs  die  grössere  Unabhängigkeit  vom  Mutterboden 
dadurch,  dass  es  nicht  allein  von  demselben  sich  trennt,  sondern  an  die 
genetisch  ihm  viel  ferner  stehenden  Dotterzellen  sich  anschliesst.  —  Ein  an- 
derer Unterschied  zwischen  der  Deckschicht  und  dem  Darmblatte  führt  die 
Betrachtung  endlich  noch  auf  das  mittlere  Keimblatt.  Jene  beiden  Blätter 
sind  freilich  gleicherweise  Abscheidungen  an  der  freien  Fläche  ihres  Mutter- 
bodens, aber  die  freie  Fläche  der  primären  Keimschicht  entspricht  zugleich 
der  ganzen  Ausbreitung  derselben,  wogegen  die  sekundäre  Keimschicht  nur 
zum  geringeren  Theile  eine  freie  Fläche  besitzt;  und  bleibt  auch  das  Wesen  des 
Darmblattes  davon  unberührt,  so  fragt  sich,  ob  das  mittlere  Keimblatt  in  dem- 
selben Falle  ist.  Die  Trennung  der  sekundären  Keimschicht  und  der  Dotter- 
zellenmasse erfolgt  so  ungleichmässig ,  dass,  wenn  auf  der  einen  Seite  daraus 
die  Darmhöhle  hervorgegangen  ist,  im  übrigen  Umfange  die  Sonderung  noch 
wenig  entwickelt  ist.  Zeigt  sich  auch  dort  endlich  die  Trennung,  so  läuft  sie 
nicht  etwa  in  die  Darmhöhle  aus,  sondern  wird  an  der  Grenze  derselben  durch 
die  Verbindung,  welche  das  Darmblatt  mit  der  Dotterzellenmasse  eingeht,  auf- 
gehalten und  gezwungen  in  die  Scheidegrenze  zwischen  dem  Darmblatte  und 
dem  mittleren  Keimblatte  des  Rückentheils  überzugehen.  Es  erhellt  hieraus, 
dass  das  mittlere  Keimblatt  im  ganzen  Umfange  des  Embryo  genetisch  un- 
gleich zusammengesetzt  ist:  im  Bereiche  der  Darmhöhle  geht  es  aus  der  sekun- 
dären Keimschicht  nach  Abzug  des  Darmblattes,  im  Umfange  der  Dotterzellen- 
masse aus  der  ganzen  Schicht  hervor.  Aber  dieser  Unterschied  verliert  jede 
Bedeutung  durch  die  Ueberlegung,  dass  die  ungesonderte  sekundäre  Keim- 
schicht weder  eine  bestimmte  Anlage,  noch  überhaupt  eine  morphologisch  be- 
reits fixirte  Bildung  (z.  B.  ein  festzusammenhängendes  Blatt)  ist,  sondern  eine 
indifferente  Zellenmasse,  welche  erst  im  Begriff  steht,  sich  zu  einer  bestimmten 
Form  umzubilden.  Löst  sich  nun  das  Darmblatt  nicht  am  ganzen  Umfange, 
sondern  nur  an  einer  beschränkten  Stelle  jener  Schicht  ab,  so  bleibt  die  letz- 
tere dennoch,  weil  nach  Form  und  Inhalt  noch  indifferent,  in  allen  Theilen 
gleichwerthig  zurück  und  stellt  sich  daher  auch  als  mittleres  Keimblatt  eben- 
so dar. 


III.    Die  Bildung  der  Keimblätter.  143 

Diejenigen  Momente ,  welche  sich  aus  der  voranstellenden  Bildungs- 
geschichte des  Batrachierkeims  als  die  allgemeinen  und  gesetzmässigen  er- 
geben ,  habe  ich  an  den  Eiern  der  Teleostier,  Vögel  und  Säugethiere  wieder- 
gefunden (vgl.  No.  102.  103.  108).  Für  die  ausführliche  Darstellung  der 
betreffenden  Untersuchungen  verweise  ich  auf  die  „Beiträge  zur  Entwickelungs- 
geschichte  der  Wirbelthiere " ,  welche  sich  dem  schon  citirten  (No.  108)  an- 
schliessen  werden,  und  will  hier  nur  deren  Ergebnisse  anführen.  An  den  Eiern 
aller  genannten  Wirbelthiere  lässt  sich  ein  kleinerer  Dottertheil,  aus  welchem 
die  Keimblätter  hervorgehen,  von  einem  grösseren  unterscheiden,  welcher  für 
die  Blutbildung  und  die  Ernährung  des  aus  den  Keimblättern  sich  entwickeln- 
den Embryo  bestimmt  ist.  *  Den  ersteren  hat  man  bei  den  meroblastischen 
Eiern  als  K  e  i  m ,  den  anderen  als  N  a  h  r  u  n  g  s  d  o  1 1  e  r  bezeichnet ;  ich  über- 
trage diese  Bezeichnungen  auch  auf  die  entsprechenden  Theile  der  holoblasti- 
schen  Eier  (Batrachier,  Säuger),  so  wie  schon  v.  Baer  am  Froscheie  Keim  und 
Dotter  schied.  Der  Keim  begreift  die  um  den  oberen  Pol  gelegene  Dotterpartie, 
welche  sich  überall  vollständig  und  energischer  theilt  als  der  Nahrungsdotter 
und  zuletzt  in  die  scheibenförmige,  mehr  oder  weniger  gekrümmte  Masse  der 
Embryonalzellen  übergeht.  Anfangs  ist  diese  Keimscheibe  einfach  (primäre 
Keimschicht);  während  ihrer  andauernden  Ausbreitung  schlägt  sich  aber  ihr 
Rand  nach  innen  um  und  entsteht  dadurch  in  der  geschilderten  Weise  die 
sekundäre  Keimschicht.  Beide  Keimschichten  bilden  alsdann  eine  doppel- 
wandige  Kappe,  welche  den  Nahrungsdotter  umwachsend  zur  doppelwandigen 
Keimblase  wird.  Der  Nahrungsdotter  umfasst  die  in  verschiedenem  Masse 
grössere  untere  Hälfte  der  Dotterkugel,  theilt  sich  träge,  bei  den  holoblasti- 
schen  Eiern  immerhin  vollständig,  bei  den  meroblastischen  nur  theilweise,  bis- 
weilen auch  erst  sehr  spät,  wie  ich  es  im  vorigen  Abschnitte  angab.  Die  kern- 
haltigen Elemente  des  Nahrungsdotters  gelangen  dann  in  die  ihm  unmittelbar 
anliegenden  Keimtheile  (mittleres  Keimblatt),  um  das  embryonale  Blut  zu  bil- 
den-, der  übrige  Nahrungsdotter  wird,  mag  er  organisirt  sein  (holoblastische 
Eier)  oder  nicht  (meroblastische  Eier),  als  wirkliche  Nahrung  verbraucht.  Das 
ganze  Innere  der  doppelwandigen  Keimblase  kann  nämlich  als  eine  grosse,  em- 
bryonale Darmhöhle  aufgefasst  werden,  welche  aber  nur  unmittelbar  unter  dem 


*  Für  die  Batrachier  ist  das  Betreffende  in  den  Abschnitten  über  das  Darmblatt  und 
den  Darnikanal  nachzusehen.  Da  die  bezeichnete  Eintheilung  allen,  auch  den  holo- 
blastischen  Eiern  gemeinsam  ist,  so  erhellt,  dass  die  Wirbelthiereier  eigentlich  alle  mero- 
blastisch sind. 


]44  HI-    Die  Bildung  der  Keimblätter. 

Keime  einen  freien  Raum  aufweist,  sonst  vom  Nahrungsdotter  ausgefüllt  ist, 
und  deren  eigenthümliche  Auskleidung,  das  Darmblatt,  anfangs  nur  auf  jenen 
oberen  Theil  beschränkt  ist  und  erst  später,  nachdem  nämlich  die  blutbilden- 
den Elemente  in  das  mittlere  Keimblatt  übertraten,  sich  über  den  ganzen  Nah- 
rungsdotter ausbreitet.  Der  letztere  ergänzt  also  gewisserrnassen  das  sich  ihm 
auch  in  den  meroblastischen  Eiern  (Hühnchen)  eng  anschliessende  Darmblatt 
zur  Form  eines  Hohlgebildes;  und  wenn  bei  den  holoblastischen  Batrachier- 
eiern  auch  formell  keine  wahrnehmbare  Grenze  zwischen  beiden  Theilen  be- 
steht, so  braucht  man  sich  nur  den  als  Dotterzellenmasse  bezeichneten  Nah- 
rungsdotter auf  ein  geringes  Mass  reducirt  zu  denken,  um  in  ihm  bloss  einen 
Theil  des  Darmblattes,  also  überhaupt  der  sekundären  Keimschicht  zu  er- 
kennen. Verfolgt  man  die  Entwicklung  des  Batrachiereies  noch  weiter  rück- 
wärts, so  findet  man  jene  Dotterzellenmasse  (Nahrungsdotter)  stets  in  kontinuir- 
lichem  Zusammenhange  mit  dem  Rande  der  sekundären  Keimschicht,  sodass 
wenn  diese  gleichsam  noch  im  Randwulste  der  primären  Keimschicht  ruht, 
auch  diese  kontinuirlich  in  die  Dotterzellenmasse  übergeht.  Diese  Ueberlegung 
führt  uns  dahin,  Keim  und  Nahrungsdotter  im  Anfänge  ihrer  Entwicklung  als 
zwei  mehr  oder  weniger  ungleiche  Hälften  eines  einheitlichen  Ganzen  aufzu- 
fassen, welche  am  Umfange  des  Eies  mit  ihren  Rändern  zusammenhängen, 
innen  aber  durch  die  Keimhöhle  auseinander  gehalten  werden.  Mit  anderen 
Worten  —  Keim  und  Nahrungsdotter  bilden  anfangs  eine  einfache  dickwandige 
Hohlkugel  oder  Blase,  welche  während  des  Vorgangs,  der  uns  als  Umschlag 
der  primären  und  Bildung  der  sekundären  Keimschicht  bekannt  ist,  von  einer 
Seite  her  bis  zur  Berührung  der  entgegenstehenden  Wände,  also  unter  Ver- 
drängung der  Keimhöhle  sich  einstülpt,  sodass  die  Einstülpung  den  ganzen 
Nahrungsdotter  und  einen  peripherischen  Theil  des  Keimes  (sekundäre  Keim- 
schicht) begreift.  Den  Eindruck  einer  solchen  Einstülpung  empfängt  man  beim 
Batrachieivie  ohne  weiteres,  sobald  man  den  Nahrungsdotter  oder  die  Dotter- 
zellenmasse bloss  als  eine  lokale  Verdickung  der  eingestülpten  Hemisphäre  an- 
sieht ,  wodurch  ja  das  Wesen  des  ganzen  Vorgangs  nicht  beeinträchtigt  wird. 
Der  gleiche  Eindruck  wird  an  den  Eiern  der  Fische,  Reptilien  und  Vögel  nur 
durch  die  grosse  Massendifferenz  zwischen  Keim  und  Nahrungsdotter  und 
durch  die  mangelhafte  Dotterzellenbildung  des  letzteren  gestört,  während  alle 
wesentlichen  Momente  jener  allgemeinen  Auffassung  vorhanden  sind;  und  denkt 
man  sich  dazu  die  Dotterzellenmasse  des  holoblastischen  Eies  nachträglich 
aufgelöst  und   verflüssigt,   so  hat   man   die   Verhältnisse  des   Säugethiereies, 


III.   Die  Bildung  der  Keimblätter.  145 

dessen  erste  Umbildung  also  gleichfalls  auf  jenen  Typus  einer  eingestülpten 
Keimblase  zurückgeführt  werden  kann.  Lässt  sich  aber  in  diesem  Bilde  die 
Uebereinstimmung  aller  Wirbelthiereier  in  ihrer  ersten  Umbildung  zusammen- 
fassen, so  bietet  wiederum  das  Batrachierei,  in  welchem  jenes  typische  Bild  am 
deutlichsten  hervortrat,  den  nächsten  Anschluss  an  die  wirbellosen  Thiere: 
eine  bloss  quantitative  Reducirung  der  Dotterzellenmasse,  also  ein  vollständiges 
Zusammenfliessen  derselben  mit  dem  Darmblatte  und  in  zweiter  Linie  über- 
haupt mit  der  sekundären  Keimschicht  zu  einer  gleichmässigen  Zellenlage 
ergibt  die  Gastrula  Haeckel's,  die  gemeinsame  Embryonalform  der  meisten 
wirbellosen  Thiere,  welche  sich  vielleicht  ebenso,  wie  es  bei  den  meroblastischen 
Wirbelthiereiern  geschah,  auch  auf  alle  übrigen  Wirbellosen,  soweit  sie  sich 
aus  Eiern  entwickeln,  ausdehnen  lässt. 


üoette,  Entwickelungsgeschichte.  10 


IV.  Die  Sonderung  der  einzelnen  Organanlagen, 


Von  dem  Zeitpunkte  an,  wann  die  einfachen  Embryonalanlagen  fertig  ge- 
bildet sind,  wird  die  Aufgabe  der  Darstellung  eine  besonders  schwierige.  Alle 
Theile  sind  in  einer  gleichzeitig  fortschreitenden  Veränderung  begriffen,  die 
eingehende  Betrachtung  des  einen  wird  durch  die  Vernachlässigung  des  anderen 
leicht  unverständlich,  und  kann  andererseits  eine  Besprechung  der  allgemeinen 
Fortschritte  der  Gesammtentwickelung  nicht  gut  vorausgeschickt,  können  die- 
selben in  ihrer  wesentlichen  Bedeutung  überhaupt  nicht  erfasst  werden,  solange 
die  genaue  Kenntniss  der  Einzelvorgänge  fehlt.  Es  hat  mir  daher  folgende 
Anordnung  des  Stoffes  zweckentsprechend  geschienen.  —  In  diesem  ganzen 
Abschnitte  soll  die  Umbildung  der  einzelnen  Keimblätter  nur  soweit  verfolgt 
werden,  als  die  daraus  hervorgehenden  Anlagen  noch  durchweg  aus  indifferen- 
ten Embryonalzellen  zusammengesetzt  bleiben,  also  die  gröbere  Form,  das 
morphologische  Moment  in  der  Erscheinung  durchaus  vorherrscht.  Indem  die 
Aufmerksamkeit  auf  diese  Weise  ausschliesslich  der  morphologischen  Entwicke- 
lung  zugewandt  bleibt,  soll  die  dem  Aufbau  unseres  Thieres  zu  Grunde  liegende 
Architektonik  klar  hervortreten  und  der  Vorstellung  sich  einprägen,  damit  die 
späteren  Zustände  der  einzelnen  Organe  und  ganzer  Körperregionen  sich  jeder- 
zeit leicht  auf  die  einfachen  Grundlagen  und  deren  gesetzliche,  in  Wechselwir- 
kung stehende  Umbildungen  zurückführen  lassen.  Dabei  glaube  ich  alles,  was 
für  diesen  Zweck  nicht  unmittelbar  von  Bedeutung  ist,  also  die  äusseren  Um- 
wandlungen, wie  sie  sich  am  unberührten  Embryo  darstellen,  um  so  eher  zu- 
rückstellen zu  dürfen,  als  dieselben  durch  1  läufige  Wiederholung  seit  Rusconi's 
Zeit  hinlänglich  bekannt  geworden  sind  (vgl.  Nr.  6  S.  10  —  22  und  Nr.  39 
S  32       43). 


1.  Die  Leistungen  des  oberen  Keimblattes.  147 

Um  aber  gewisse  allgemeinere  Anhaltspunkte  für  Zeitbestimmungen  zu 
gewinnen ,  habe  ich  den  ganzen  Zeitraum  der  Entwickelung  bis  zur  Metamor- 
phose in  drei  Abschnitte  eingetheilt,  zunächst  unterscheide  ich  Embryo  und 
Larve  in  der  Weise,  dass  der  erstere  Ausdruck  sich  auf  jene  Zeit  bezieht,  wäh- 
rend welcher  die  Anlagen  aus  mehr  oder  weniger  indifferenten  Embryonalzellen 
bestehen,  der  Name  „Larve"  alle  späteren  Entwickelungsstufen  umfasst.     Die 
Grenze  beider  Zustände  lässt  sich  aber  begreiflicherweise  nicht  genau  angeben, 
da  die  Embryonalanlagen  sich  nicht  gleichzeitig  verändern,  die  einen  den  an- 
deren vorauseilen;  bestimmend  war  für  mich  daher  die  grosse  Masse  der  Anla- 
gen, namentlich  des  mittleren  Keimblattes.     Die  hier  zunächst  zu  betrachtende 
Embryonalzeit  schliesst  also  ab,  wenn  der  Schwanz  als  kurzes,  am  Ende  abge- 
rundetes Ruder  hervorgewachsen  ist  (vgl.  Fig.  38.  53) ;  dies  geschieht  einige 
Zeit  vor  dem  Ausschlüpfen  aus  dem  Eie,  welches  übrigens  an  keine  bestimmte 
Periode  gebunden  zu  sein  scheint.     Die  Larvenzeit  wird  durch  ein  sehr  gutes 
Merkmal  wiederum  in  zwei  Abschnitte  geschieden,  nämlich  durch  den  Beginn 
der  Nahrungsaufnahme.     Dieser  Zeitpunkt  gibt  sich    schon  äuserlich  zu  er- 
kennen durch  die  Ausbildung  des  durch  die  dünne  Bauchwand  deutlich  durch- 
schimmernden Darmkanals:  sobald  derselbe  in  seinem  Verlaufe  gleichmässig 
röhrig  geworden  ist  und  die  ersten  Windungen  ausgeführt  hat,  beginnt  die  Nah- 
rungsaufnahme. -  -  Indem  ich  aber  eine  Embryonal-  und  zwei  Larvenperioden 
aufstelle,   will  ich  das  so  häutig  in  allgemeiner  Bedeutung  gebrauchte  Beiwort 
„embryonal"  nicht  auf  jene  erste  Periode  beschränkt  wissen;  es  bezeichnet  eben 
meist  lediglich  den  Gegensatz  zur  völlig  entwickelten  Form. 

1.  Die  Leistungen  des  oberen  Keimblattes. 

Historische  Uebersicht  der  bisherigen  Untersuchungen. 

Da  die  ersten  Umbildungen  des  Sinnesblattes  in  Gemeinschaft  mit  denen 
des  mittleren  Keimblattes  an  der  dorsalen  Oberfläche  des  Eies  ein  bemerkens- 
werthes  und  vor  allem  Andern  in  die  Augen  fallendes  Relief  hervorrufen,  so  war 
dasselbe  bereits  der  Gegenstand  der  Aufmerksamkeit  jener  älteren  Forschung, 
welche  über  die  äussere  Erscheinung  kaum  hinaus  ging,  also  von  der  Gliede- 
rung der  Embryonalanlagen  und  der  Betheiligung  derselben  an  den  einzelnen 
Vorgängen  wenig  wusste.  Trotzdem  verdienen  die  ältesten  Beobachtungen  über 
die  Entwickelung  des  Centralnervensystems  mehr  Aufmerksamkeit  als  die  ähn- 
lichen Beschreibungen  anderer  Körpertheile,  weil  die  betreffenden  Anlagen  auch 

10"' 


148  IV-  Die  Sonderling  der  einzelnen  Organanlagen 

am  unberührten  Embryo  offen  daliegen,  unmittelbar  betrachtet  werden  können, 
und  daher  durch  alle  daran  geknüpften  Untersuchungen  der  Zusammenhang 
in  der  Entwicklung  der  richtigen  Erkenntniss  sich  leichter  verfolgen  lässt 
als  in  andern  verwandten  Fragen,  bei  deren  Lösung  die  Untersuchungsmetho- 
den mehr  auseinander  gingen. 

Von  Pkevost  und  Dumas  stammt,  soweit  mir  bekannt  ist,  die  erste  Be- 
schreibung der  Veränderungen  an  der  Rückenseite  des  Embryo.  Nachdem  die 
Furchen  vollständig  geschwunden,  sei  immer  noch  die  Narbe  mit  einer  dunklen 
sie  durchziehenden  Linie  sichtbar  (Nr.  2  S.  113).  Nach  einem  längeren  Still- 
stande in  der  Entwicklung  bildet  sich  um  jene  Linie  eine  elliptische  Grenze, 
innerhalb  deren  die  Oberfläche  des  Eies  sich  schildförmig  erhebt.  Dieser  Schild 
nimmt  nach  einigen  Stunden  die  Gestalt  einer  Lanzenspitze  an,  deren  schmales 
Ende  dem  Schwanzende  des  künftigen  Thieres  entspricht,  wo  auch  die  dunkle 
Linie  die  Grenze  des  Schildes  erreicht  (S.  114).  Darauf  erscheint  eine  zweite 
Grenzlinie,  welche,  am  Kopfende  entspringend,  die  erste  in  gleichem  Abstände 
umkreist;  zwischen  beiden  Linien,  also  am  Schildrande,  entsteht  ein  äusserer 
Wulst,  welcher  hinten  mit  dem  Schilde  verwächst  und  in  eine  herzförmige  Er- 
hebung, die  Anlage  des  Beckens,  ausläuft.  Unterdess  hat  sich  der  Schild  ab- 
geplattet und  die  ursprüngliche  Linie  (ligne,  trait  primitif  —  Primitifstreif), 
früher  vertieft,  wird  erhaben  und  unterscheidet  sich  durch  ihre  helle  Farbe  von 
der  Umgebung  (S.  115).  Nachdem  die  Wülste  sich  am  Kopfe  mehrfach  aus- 
gebuchtet, wachsen  sie  über  dem  Primitivstreife  oder  der  Rückenmarksanlage 
zusammen  und  schliessen  dieselbe  in  einen  Kanal  ein  (S.  110).  Als  Erzeug- 
nisse der  Wülste  werden  genannt:  Kopf,  Becken  und  Rückenmarkshüllen 
(S.  117). 

Auch  v.  Baer  beschreibt  einen  Primitivstreif,  welcher  jedoch  eine  andere 
Bedeutung  hat  als  derjenige  von  Prevost  und  Dumas.  „Zuerst  zwar  sieht 
man  nur  eine  mittlere  Furche  und  kann  von  aussen  wegen  der  Undurchsichtig- 
keit  nicht  erkennen,  dass  der  Keim  in  dieser  Furche  verdickt  ist.  Allein  der 
senkrechte  Durchschnitt  eines  erhärteten  Eies  lässt  die  Verdickung  wahrnehmen, 
und  so  stehe  ich  nicht  an,  auch  im  Frosch-Ei  einen  Primitivstreifen  zu  finden, 
der  nur  tiefer  sich  einsenkt  als  im  Vogel.  -Innerhalb  des  Primitivstreifens 
bildet  sich  hier  eine  Wirbelsaite,  die  viel  stärker  ist,  als  in  irgend  einem  andern 
Thiere  und  die  man  aus  erhärteten  Frosch-Embryonen  früherer  Zeit  ausschälen 
und  mit  den  Fingern  fassen  kann.  Zu  beiden  Seiten  des  Primitivstreifens  ent- 
wickeln  sieh  die  beiden  Rückenwülste,  zuerst  mit  ungemeiner  Breite,  dann  aber 


1.  Die  Leistungen  des  oberen  Keimblattes.  149 

schmäler  werdend,  sich  erhebend  und  hohe  Kanten  gewinnend,  die,  indem  sie 
sich  erheben,  zugleich  sich  gegen  einander  neigen.  Während  des  Schlusses 
löst  sich  idie  innere  Schicht  der  Rückenwülste,  und  so  hat  man  gleich  nach 
vollendetem  Schlüsse  eine  Medullarröhre,  die  aus  zwei  Markplatten  verwachsen 
ist.  Noch  vor  erreichtem  Schlüsse  sieht  man  im  vordem  Theile  der  Rücken- 
röhre Erweiterungen  als  werdende  Hirnzellen"  (Nr.  8  Bd. IIS. 285 — 2S6.  vgl.  auch 
Nr.  9  S.  223  —225  und  Nr.  15  S.  10).  In  jenen  offenen  Hirnzellen  will  v.  Baer 
auch  schon  Unebenheiten  der  inneren  Fläche  gesehen  haben,  „welche  zum  Theil 
die  beginnenden  Ausstülpungen  der  drei  Sinnesnerven  sind"  (Nr.  8  S.  287). 

Rusconi  erwähnt  weder  einen  Schild,  noch  einen  Primitivstreif-,  während 
die  von  ihm  als  After  aufgefasste  Oeffnung  sich  schliesst,  „erheben  sich  zwei 
Wälle  in  der  Nähe  des  Afters  und  dehnen  sich,  einer  neben  dem  andern,  bis 
über  den  Ort  aus,  wo  die  erste  Querspalte*)  war,  von  der  nun  nichts  mehr  zu 
sehen  ist.  Nach  aussen  von  diesen  beiden  Wällen  treten  dann  zwei  andere  auf, 
kleiner  als  die  ersten,  aber  ausgezeichneter  und  mit  bestimmteren  Conturen: 
sie  sind  die  beiden  Hälften  des  Rückenmarks  und  Gehirns,  welche  sich  unter 
den  Häuten  bilden:  sie  nähern  sich  einander  nach  und  nach  und  vereinigen  sich 
endlich,  zuletzt  die  Theile  desselben,  welche  dem  Gehirn  entsprechen,  so  dass, 
nach  der  Haut,  das-  Rückenmark  immer  der  Theil  des  Thieres  ist,  der  sich  zu- 
erstbildet," (Nr.  1(3  S.  219).  Früher  hatte  Rusconi  die  Wülste  dahin  gedeutet, 
dass  sie  die  Anlagen  des  Centralnervensystems,  seiner  Hüllen,  der  Rücken- 
muskel und  der  Oberhaut  enthalten  (Nr.  6  S.  24).  Ueber  die  Vereinigung  der 
Wülste  bemerkt  er  ebendaselbst,  dass  die  bandartigen  Hälften  des  Centralnerven- 
systems, nachdem  sie  anfangs  eine  offene  Rinne  dargestellt,  später  zu  einem 
Kanäle  verwachsen.  In  Betreff  der  Sinnesorgane  wird  nur  die  Entwicklung 
der  Geruchsorgane  mitgetheilt.  Dieselben  entständen  als  Vorsprünge  des  vordem 
Endes  der  Hirnanlage  (Hemisphären);  die  Basis  dieser  Vorsprünge  wird  alsdann 
zusammengeschnürt,  sodass  sie  zu  Blasen  werden,  welche  durch  helle  Stiele  mit 
den  Hemisphären  zusammenhängen.  Diese  Blasen  stülpen  sich  endlich  nach 
ihrer  Länge  ein  und  bilden  sich  so  zu  den  Nasenkanälen  um  (Nr.  G  S.  25.  26, 
Nr.  16  S.  219). 

Baumgäbtner  beschreibt  eine  ganz  flache  ovale  und  hellgefärbte  Er- 
habenheit, deren  schmales  .Ende  an  die  RuscoNi'sche  Oeffnung  stösst,  als  erste 


*  Es  ist  darunter  die  Spalte  zu  verstehen,  durch  welche  am  obern  Pole  des  Salamander- 
ies  die  innere  Höhle  für  einejturze  Zeit  nach  aussen  münden  soll  (vgl.  Nr.  16  S.  218). 


150  IV-  Die  Souderung  der  einzelnen  Organanlagen. 

sichtbare  Veränderung  des  Rückens.  Indem  vod  jener  Oeffimng  her  eine  Rinne  in 
der  Axe  jener  Erhabenheit  sich  entwickelt,  wird  dieselbe  in  zwei  flache  Hügel 
getheilt,  welche  alsbald  noch  durch  einen  Wulst  eingefasst  werden.  Im  breiten 
Kopfende  fliessen  die  beiderlei  Erhabenheiten  bogenförmig  zusammen  (No.  12 
S.  30.  31).  Der  v.  BAEit'sche  Primitivstreif  sei  nicht  gleich  anfangs,  sondern 
erst  später  zwischen  den  inneren  Wülsten  sichtbar  und  wahrscheinlich  ein 
schon  gebildeter  Theil,  „gleichsam  ein  Kern"  des  Rückenmarks,  an  den  sich  die 
genannten  Wülste  anschliessen  werden,  während  eine  äussere  sie  von  der  Seite 
her  bedeckende  Lage  (äussere  Wülste)  die  Hüllen  des  Rückenmarks  und 
Gehirns  entwickeln  (S.  32—34).  Indem  diese  äussere  Dotterschicht  sich  über 
den  tieferen  Theilen  zusammenzieht,  wird  die  Furche  stetig  enger  und  endlich 
ganz  geschlossen  (S.  36). 

Wie  Reichert  sich  die  erste  Anlage  des  Centralnervensystems  dachte, 
wurde  schon  im  vorigen  Abschnitte  erwähnt.  „  Die  Centraltheile  des  Nerven- 
systems bestehen  also  ursprünglich  aus  zwei  membranartig  abgesonderten 
Zellenschichten  des  Keimhügels,  welche  zu  beiden  Seiten  der  Chorda  aus- 
gebreitet daliegen.  Im  Verlaufe  der  Entwickelung  ziehen  sich  diese  Urhälften  des 
Central-Nervensystems,  an  Dicke  zunehmend,  nach  der  Mittellinie  des  Embryo 
mehr  und  mehr  zusammen.  Es  bildet  sich  so  aus  der  membranartigen  Anlage 
jederseits  der  Wirbelsaite  eine  sich  allmählig  stärker  erhebende  Wulst ,  welche 
die  tiefer  gelegene  Mitte ,  gleich  einem  Walle ,  begrenzt.  Die  Wülste  hat  man 
irrthümlich  für  die  Anlage  des  Wirbelsystems  gehalten  und  sie  daher  die 
Rückenplatten  genannt;  die  dazwischen  liegende  Tiefe  die  Rückenfurche. 
Letztere  ist  am  Kopfende  breiter  als  nach  hinten,  indem  die  Centralhälften  des 
Nervensystems  von  der  Stelle  ab,  wo  das  Gehirn  sich  ausbildet,  mehr  aus- 
einander weichen,  dann  aber  vorn  in  einem  Bogen  sich  gegen  die  Mittellinie 
wenden  und  sich  daselbst  vereinigen.  Auch  nach  hinten  gehen  sie,  doch  mehr 
unmittelbar  in  einander  über,  so  wie  dann  auch  in  der  Rückenfurche,  über  die 
Wirbelsaite  hinweggehend,  eine  lockere  feine  Verbindungs- Membran  zwischen 
ihnen  bemerkbar  ist"  (No.  22  S.  13).  Darauf  verwüchsen  sie  mit  ihren  oberen 
äusseren  Rändern,  nachdem  die  unteren  inneren  sich  schon  früher  vereinigt 
hätten.  Sie  bilden  demnach  eine  Röhre,  „welche  nach  dem  Gehirn-Ende  hin 
weiter  wird,  in  ihrem  Innern  die  abgeschlossenen  Rudera  der  schwarzen  Uni- 
liüllungshaut  enthält,  deren  Seitenwände  endlich  stärker  als  die  oberen  und 
unteren  Verbindungstheile  sind  und  den  eigentlichen  Urhälften  entsprechen". 


1.  Die  Leistungen  des  oberen  Keimblattes.  151 

(S.  17).  Die  Sinneswerkzeuge  scheint  Reichekt  für  abgesonderte  Theile  des 
Hirns  zu  halten  (S.  18). 

Eine  einfache  Folgerung  aus  der  schon  bezeichneten  Grundanschauung 
Vogt's  über  die  Entwickelung  des  Batrachierembryo  —  dass  es  nämlich  keine 
differenten  morphologischen  Anlagen,  keine  Keimblätter  und  Umbildungen 
derselben,  sondern  nur  histiologische  lokale  Differenzirung  gebe  —  ist  die 
Behauptung  jenes  Forschers,  dass  die  Rückenwülste  „durchaus  keine  für  sich 
bestehende  Anlage  eines  besonderen  Systemes  sind,  sondern  eine  indifferenzirte 
Zellenerhebung,  welche  erst  durch  spätere  Metamorphosen  in  einzelne  Gebilde 
sich  spaltet"  (No.  26  S.  33).  „  Erst  bei  der  Schliessung  der  Rückenwülste  liess 
sich  in  dem  Rohre  eine  dünne  innere  getrennte  Zellenschicht  wahrnehmen, 
welche  die  Centrain  er  venorgane  repräsentirte"  (S.  66). 

Cramer  schliesst  sich  in  Betreff  der  in  Rede  stehenden  Bildungen  theils 
Reichert,  theils  Vogt  an,  während  Ecker  die  äusseren  Erscheinungen  ähnlich 
wie  Rusconi  und  v.  Baer  beschreibt,  namentlich  mit  Bezug  auf  den  letzteren 
gewisse  Hervorragungen  innerhalb  der  Hirnanlage  für  die  Anlagen  der  Sinnes- 
organe erklärt  (No.  41  Taf.  XXIII  Fig.  XVEI). 

Remak  hält  die  Wülste  an  der  Rückenseite  des  Eies  ausschliesslich  für 
die  Anlagen  des  Centralnervensystems  (Medullär wülste),  welche  durch  eine 
dünne,  später  sich  verschmälernde  oder  ganz  schwindende  Verbindungshaut 
zusammenhängen  (No.  40.  S.  146.  147  ;  vgl.  auch  Taf.  XII  Fig.  8).  .Wenn  aber 
schon  sehr  frühzeitig  der  peripherische,  aus  zwei  Zellenschichten  bestehende 
Theil  des  oberen  Keimblattes  sich  bis  auf  die  Medullarwülste  verfolgen  und  von 
denselben  ablösen  lasse,  so  dürfe  diese  Wahrnehmung  nicht  so  gedeutet  werden, 
„als  wenn  im  Bereiche  der  Medullarplatte  eine  ursprüngliche  Sonderung 
zwischen  einer  nervenbildenden  Medullarplatte  und  einer  indifferenten  Fort- 
setzung des  äusseren  Keimblattes  stattfände.  Das  äussere  Keimblatt  besteht, 
wie  wir  gesehen  haben,  vor  der  Erhebung  der  Medullarwülste  überall  aus  zwei 
Zellenschichten,  aus  einer  äusseren  gefärbten  und  einer  inneren  weissen.  Die 
Zellen  der  letzteren  sind  höher  (cylindrisch)  in  dem  Axentheile,  welcher  die 
Medullarplatte  bilden  soll,  als  in  dem  peripherischen,  und  zerfallen  (durch  fort- 
schreitende Theilung)  in  die  kleinen  Zellen,  welche  die  Hauptmasse  der  Medullar- 
wülste zusammensetzen.  Man  kann  also  nur  sagen,  dass  im  Bereiche  der 
Wülste  eine  zweite  (sekundäre)  Sonderimg  stattfindet,  aus  welcher  eine  zwei- 
blättrige Bedeckung  und  die  dicken  Wülste  hervorgehen,  während  im  Bereiche 
der  Verbindungshaut  der  ursprüngliche  Gegensatz  sich  erhält.     Ich  bekenne, 


152  IV.  Die  Sondcrung  der  einzelnen  Organanlagen. 

dass  ich  den  Zweck  dieses  abweichenden  Verhaltens  der  Medullarwülste 
nicht  einsehe.  Wahrscheinlich  ist  dasselbe  durch  folgende  Umstände  bedingt. 
Wahrend  die  Medullarwülste  sich  erheben  und  einander  nähern ,  folgen  ihnen 
die  unter  ihnen  liegenden  Erzeugnisse  des  mittleren  Keimblattes  behufs  der 
Bildung  des  Wirbelrohrs.  Und  zwar  drängen  sie  sich,  wie  es  scheint,  zwischen 
den  ablösbaren  zweiblättrigen  Ueberzug  der  Medullarwülste  und  die  letzteren 
selbst,  so  zwar,  dass  die  obere  Fläche  der  Wülste  nicht  zurinnern,  den  Rüeken- 
markskanal  begrenzenden  wird,  sondern  zur  äusseren  Fläche  des  Medullar- 
rohrs"  (S.  140).  „Oft  genug  unterbleibt  an  dem  Hirn-Ende  der  Medullarwülste 
vor  ihrer  Verbindung  zum  Medullarrohr  jede  Sonderung  in  Abtheilungen, 
welche  als  Andeutungen  von  Hirnblasen  betrachtet  werden  könnten.  Die 
Wülste  schliessen  sich  vielmehr  rasch ,  von  der  Nackengegend  beginnend  und 
nach  beiden  Seiten  fortschreitend,  zu  einem  dickwandigen,  am  Kopfende  an- 
geschwollenen Cylinder,  an  welchem  erst  nach  der  Schliessung  eine  Abtheilung 
in  Hirnblasen  erfolgt.  In  der  Regel  zeigen  sich  jedoch  im  Bereiche  des  er- 
weiterten Kopfendes  der  thal- artigen  Medullarfurche  jederseits  zwei  oder  drei 
blatt-  oder  zungenförmige  Vorsprünge  oder  Wülste",  welche  Remak  eben  für  die 
Anfänge  der  Hirnblaseu  hält  (S.  147).  Von  den  Sinnesorganen  sei  das  Auge 
eine  Ausstülpung  des  Vorderhirns,  das  Ohr  und  die  Nase  Erzeugnisse  des 
peripherischen  Theils  des  Sinnesblattes  (S.  150—152). 

Stricker  folgt  in  seinem  ersten  Aufsatze  der  REiCHERT'schen  Lehre  von 
den  isolirten  Organanlagen.  Die,  von  der  Embryonalanlage  (Keimhügel)  ab- 
gesonderte „Nervenplatte"  liegt  dicht  unter  der  Umhüllungshaut;  entsprechend 
ihrer  Axe  sinkt  sie  zugleich  mit  ihrer  Unterlage  ein  und  bildet  so  eine  Furche 
oder  nach  dem  Ausdrucke  Stricker's  einen  „Halbcanal".  „DieUmhülluugshaut 
folgt  anfangs  dieser  Lagenveränderung,  wodurch  es  zur  Bildung  einer  äusserlich 
sichtbaren  Rinne,  der  primitiven  Rinne  der  Autoren,  kommt;  im  weiteren 
Verlaufe  der  Senkung  entfernt  sich  aber  der  Boden  des  Nervenhalbcanals  von 
dem  Boden  der  primitiven  Rinne;  es  entsteht  zwischen  ihnen  ein  Raum,  der 
unten  und  an  den  Seiten  von  Nervenmasse ,  oben  aber  durch  die  Umhüllungs- 
haut begrenzt  ist.  Die  inneren  oberen  Ränder  der  Seitentheile  der  Nerven- 
anlage nähern  sich  endlich  bis  zur  Berührung;  der  Centralcaual  wird  ge- 
schlossen, ohne  dass  die  Umhüllungshaut  in  denselben  einbezogen  würde.  Eine 
während  dieses  Vorgangs  zwischen  Umhüllungshaut  und  Nervenplatte  neu  auf- 
tretende Zellenschicht  bildet  die  innere  Auskleidung  des  Centralcanals"  (No.  45 
S.  474).     Nachdem  Strick  kr  die  Keimblätter  genauer  studirt,  erklärte  er  die 


1.  Die  Leistungen  des  oberen  Keimblattes.  153 

0 

Anlage  des  Centralnervensystems  für  eine  Verdickung  des  zweiten  Keimblattes 
(Nervenblatt),  welcher  sich  das  erste  Blatt  (Umhüllungshaut)  innig  anschliesse 
(No.  55  S.  62).  Die  Verdickung  ist  am  äussersten  Vorderende  der  Anlage  ein- 
fach;  untersucht  man  von  dort  aus  rückwärts,  ,,so  wird  zunächst  die  verdickte 
Stelle  des  vereinigten  zweiten  und  ersten  Blattes  in  der  Mitte  verdünnt  und  da- 
durch die  Anlage  des  Gehirns  gleichsam  zweilappig,  indem  zu  beiden  Seiten 
der  Verdünnung  je  ein  Wulst  zu  liegen  kommt"  (S.  63).* 

Eine  ganz  eigentümliche,  von  allen  früheren  Darstellungen  abweichende 
Lehre  hat  v.  Bambecke  vorgetragen.  Die  erste  Andeutung  der  Entwickelung 
des  Centralnervensvstems  bestehe  in  einer  dreieckigen  Einsenkung  der  Rücken- 
fläche, deren  Spitze  vom  Dotterpfropfe  ausgeht  und  deren  Basis  gegen  den 
oberen  Pol  gerichtet  ist;  an  ihrem  Grunde  verlaufe  ein  feiner  dunkler  Strich, 
der  Primitivstreif  (No.  63  S.  30).  Um  diese  Furche  herum  erhebe  sich  ein 
ovaler  Schild,  dessen  Spitze  mit  derjenigen  der  Furche  zusammenfalle,  während 
ihr  Vorderende  den  Umfang  des  Schildes  nicht  erreiche.  Die  Hälften  des  letz- 
teren ziehen  sich  von  den  Seiten  gegen  die  Furche  wulstig  zusammen ,  worauf 
dieselbe  endlich  ganz  schwindet  (S.  31.  32).  An  Quer  durchschnitten  glaubte 
v.  Bambecke  zu  erkennen,  dass  der  Schild  wesentlich  von  einer  Verdickung 
der  Nervenschicht  herrühre,  während  die  Umhüllungshaut  nur  innerhalb  der 
Furche  verdickt,  ihre  einfache  Zellenlage  in  eine  mehrfache  verwandelt  er- 
scheine. An  den  beiden  Rändern  dieser  ihrer  Verdickung  und  zugleich  der 
Furche,  rolle  sich  die  Umhüllungshaut  ein ,  worauf  die  dadurch  entstandenen 
Wülste  über  den  Boden  der  Furche  weg  sich  einander  nähern  und  endlich  ver- 
einigen; unterdessen. bleibe  die  Nervenschicht  passiv  und  gehe  allmählich  aus 
der  Verdickung  in  die  peripherischen  Theile  über  (S.  34.  35).  Erst  nach  dem 
völligen  Schlüsse  der  Furche  beginne  die  Bildung  des  eigentlichen  Nerven- 
kanals ,  indem  der  verdickte  Tlieil  der  Nervenschicht  sich  von  der  seitlichen 
Ausbreitung  absondert,  sich  um  die  von  der  Umhüllungshaut  gebildete  Epithelial- 
röhre  aufwärts  krümmt  und  letztere  endlich  von  der  übrigen  Umhüllungs- 
haut trennt  (S.  36).     Ueber  die  ersten  Anlagen  der  Sinnesorgane  erfährt  man 


*  Die  zugehörigen  Abbildungen  ( No.  £5  Tat".  I  Fig.  7.  8.  9.  15)  sind  durchaus  natur- 
getreue Darstellungen  von  Querdurchnitten  des  Rückens,  welche  die  frühereu  Angaben  über 
das  Verhalten  der  Umhüllungshaut  und  die  Entstehung  einer  Auskleidung  des  Centralkanals 
durchaus  entkräften.  Da  aber  weder  ihre  Details,  noch  die  vorangehenden  und  nachfolgenden 
Entwicklungsstufen  der  ganzen  Bildung  mit  einem  einzigen  Worte  berührt  werden,  so  kann 
ich  auf  diese  Abbildungen  auch  nicht  näher  eingehen,  durfte  aber  desshalb  jene  älteren 
Angaben  nicht  unerwähnt  lassen. 


154  IV.  Die  Sonderung  der  einzelnen  Organanlagen. 

» 
von  v.  Bambecke  Folgendes.     Die  Augenanlagen  erscheinen  zuerst  als  solide 

Zellenmassen  neben  dem  Hirne,  über  ihren  Ursprung  wird  nichts  angegeben; 
die  Ohrbläschen  entstehen  aus  dem  Nervenblatte  allein,  das  Geruchsorgan  end- 
lich in  gleichem  Masse  aus  dem  letzteren  und  der  Umhüllungshaut  (S.  37 — 40). 
Dönitz  führt  als  Grund  gegen  die  Annahme  eines  gemeinsamen  Mutter- 
bodens für  das  Centralnervensystem,  die  Sinnesorgane  und  die  Oberhaut  mit 
ihren  Erzeugnissen  an,  dass  die  (schon  ziemlich  entwickelten)  Anlagen  des 
Rückenmarks  von  denjenigen  der  Oberhaut  zuweilen  deutlich  geschieden 
erscheinen,  während  das  Bild  ihres  Zusammenhangs  durch  die  Präparation 
künstlich  hervorgerufen  werde  (No.  67  S.  615).  Auf  frühere  Zustände  der 
genannten  Anlagen  kann  Dönitz  nicht  eingehen,  denn  nach  seiner  „Auffassung" 
entsteht  „  das  Centralnervensystem  bei  seiner  anfänglich  so  geringen  Aus- 
dehnung wie  mit  einem  Schlage  aus  den  Bildungszellen"  (S.  614).  —  Solchen 
blossen  „Auffassungen"  gegenüber  halte  ich  mich  zu  einer  näheren  Widerlegung 
nicht  verpflichtet. 


Von  einem  oberen  Keimblatte  kann  füglich  erst  die  Rede  sein,  wenn  alle 
Elemente,  welche  zur  Bildung  der  beiden  anderen  Keimblätter  bestimmt  sind, 
aus  der  primären  in  die  sekundäre  Keimschicht  übergewandert  sind ;  dann  wird 
jene  erstere  zum  oberen  Keimblatte.  Dies  geschieht  ohngefähr  in  dem  Stadium, 
welches  die  Figuren  31  und  32  auf  Taf.  II  darstellen;  denn  die  offenbar  noch 
andauernde  Verdünnung  des  genannten  Blattes  braucht  nicht  mehr  durch 
eine  fortgesetzte  Auswanderung  seiner  Elemente  erklärt  zu  werden,  sondern 
hat  ihren  Grund  darin,  dass  die  letzteren  nunmehr  anfangen,  nach  einer 
bestimmten  Gegend  des  Blattes  sich  zusammenzuziehen,  sich  dort  anzuhäufen, 
wodurch  natürlich  die  Mächtigkeit  der  übrigen  Theile  abnimmt. 

Das  obere  Keimblatt  besteht,  wie  bereits  angeführt  wurde,  aus  einer 
äusseren,  festgefügten  Lage  prismatischer  Zellen,  welche  an  ihrer  der  Dotter- 
haut zugekehrten  Seite  das  dunkle  Pigment  enthalten  und  den  darunter  befind- 
lichen in  zwei  bis  drei  Lagen  locker  zusammenhängenden  rundlichen  Zellen 
(Taf.  III  Fig.  55).  Ich  habe  gleichfalls  schon  erwähnt,  dass  jene  äussere  Lage 
an  der  RuscoNi\schen  Oeffnung  mit  dem  Darmblatte  kontinuirlich  zusammen- 
hängt, die  tiefere  Schicht  dagegen  in  das  mittlere  Keimblatt  umbiegt  (Taf.  II 
Fig.  31u.f!g.).   Diese  letztere,  dir  G  rundschicht  (Nervenschicht  aut.),  führt 


1 .  Die  Leistungen  des  oberen  Keimblattes.  155 

nur  die  Veränderungen  im  Keimblatte  wesentlich  herbei,  während  die  äussere 
Lage  oder  die  Deckschicht  (Umhüllungshaut  aut.)  ihr  entweder  scheinbar 
passiv  folgt  oder  von  der  Umbildung  unberührt  bleibt.   Die  Grundschicht  ist  in 
Folge  der  centrifugalen  Zellenwanderung  der  primären  Keimschicht  über  der 
Keimhöhle,  also  ohngefähr  gegenüber  der  RuscoNi'schen  Oeffnung  am  dünnsten, 
höchstens  zwei  Zellen  hoch ;  von  dort  aus  nimmt  ihre  Mächtigkeit  bis  zum  Rand- 
wulste zu  und  zwar  stärker  an  der  Bauchseite,  wo  die  Ausbreitung,  also  Ver- 
dünnung der  Keimschichten  langsamer  vor  sich  geht  als  im  Rückentheile.    Dies 
erkennt  man  leicht  an  einem  Mediandurchschnitte,  während  im  Umkreise  eines 
Querdurchschnittes  die  Abweichungen  in  der  Dicke  der  primären  Keimschicht 
nach  Bauch  und  Rücken  hin  weniger  auffallend  erscheinen.     Diese  verhältniss- 
mässig  einfache  Anordnung  der  primären  Keimschicht  oder  nunmehr  des  oberen 
Keimblattes  verändert  sich  aber  sehr  bald,  wobei  eine  beträchtliche  Anhäufung 
von  Embryonalzellen  in  seinem  Rückentheile,  welche  ganz  offenbar  von  der 
Bauchseite  herkommt,  die  Hauptrolle  spielt.    Um  diese  Umbildung  nach  ihren 
Ursachen  darzustellen,  muss  ich  auf  die  früheren  Auseinandersetzungen  über 
die  Bildung  der  Keimblätter  überhaupt  zurückgreifen.  —  Ich  habe  darauf  auf- 
merksam gemacht,  wie  alle  fundamentalen  Entwickelungsvorgänge  des  Eies 
nicht  gleichmässig  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  verlaufen,  sondern  schneller  und 
energischer  an  dem  Rücken-  als  am  Bauchtheile.    Den  Anfang  dazu  macht  die 
primäre  Keimschicht  und  veranlasst  dadurch  dieselbe  Ungleichmässigkeit  in 
der  sekundären  Keimschicht,  welche  ja  als  ihre  Fortsetzung  betrachtet  werden 
kann.    Durch  die  überwiegende  Ausbreitung  beider  Schichten  in  ihren  dorsalen 
Theilen  werden  die  letzteren  anfangs  etwas  dünner  als  die  ventralen  und  führen 
andererseits  die  einzig  mögliche  Flächenausdelmung  der  ganzen  Schichten, 
nämlich  für  die  primäre  Keimschicht  im  Umkreise  der  dadurch  gegen  den 
Bauch  verschobenen  RuscoNi'schen  Oeffnung,  für  die  gürtelförmige  sekundäre 
Keimschicht  ausserdem  noch  an  dem  freien  über  die  Keimhöhle  vordringenden 
Rande,  wesentlich  allein  aus,  sodass  die  trägeren  ventralen  Zellenmassen  zu 
einer  Ausbreitung  in  derselben  Richtung  wie  die  dorsalen  nicht  mehr  den 
gleichen  Spielraum  wie  die  letzteren  übrig  behalten  (Taf.  II  Fig.  33).    Da  aber 
die  Theilung  der  Embryonalzellen  und  damit  das  Auseinanderrücken  derselben 
im  Bauchtheile,  d.  h.  im  Bereiche  der  Dotterzellenmasse  gleichfalls,  wenn  auch 
träger  fortdauert,  so  wird  diese  Bewegung,  soweit  sie  an  der  Flächenausdehnung 
der   Keimschichten   nicht   Antheil    nehmen   kann,    innerhalb    der   Schichten 
zum  Ausdrucke  kommen  müssen.     Wenn  wir  nun  in  der  Folge  die  ventralen 


256  IV.  Die  Sonderling  der  einzelnen  Organaulagen. 

Embryonalzellen  an  beiden  Seiten  der  Darmhöhle  in  den  Rückentheil  ein- 
wandern sehen,  so  müssen  wir  annehmen,  dass  ihre  Bewegung  in  dieser  Richtung 
den  geringsten  Widerstand  findet,  ähnlich  wie  der  dorsale  Theil  der  sekundären 
Keimschicht  aus  dem  Bereiche  der  Dotterzellenmasse  heraus  an  die  Decke  der 
Keimhöhle  vorrückte.  Jene  Bewegung  der  Embryonalzellen  vom  Bauche  zum 
Rücken  hin  beginnt  in  der  sekundären  Schicht  oder  genauer  dem  mittleren 
Keimblatte,  welches  ja  den  ganzen  ventralen  Abschnitt  von  jener  umfasst,  und 
offenbart  sich  in  mannigfaltigen  Bildungen  bis  in  die  spätere  Embryonalzeit 
hinein.  Hier  soll  aber  nur  derjenigen  fundamentalen  Bildung  Erwähnung 
geschehen,  welche  für  die  zeitlich  sich  unmittelbar  daranschliessende,  gleichartige 
Zellenanhäufung  im  Rückentheile  des  oberen  Keimblattes  von  Bedeutung  ist. 
Die  bezeichnete  Zellenansammlung  im  mittleren  Keimblatte  beginnt  schon  zur 
Zeit,  wann  die  spaltförmige  Darmhöhle  eben  sich  zu  erweitern  anfängt,  und 
erscheint  zuerst  in  der  hinteren  Hälfte  des  Rückens  als  eine  leichte  mediane  Ver- 
dickung, welche,  aus  der  später  sehr  deutlich  werdenden  Bewegung  zu  schliessen, 
durch  den  Zusammenstoss  der  von  beiden  Seiten  andrängenden  Zellen  entstand. 
Diese  erste  Bildung  innerhalb  der  Keimblätter,  der  Axen sträng,  verstreicht 
nach  vorne  hin  unmerklich  und  verliert  sich  hinten  ebenso  in  der  im  Rand- 
wulste enthaltenen  Verdickung  des  mittleren  Keimblattes;  gegen  das  Darmblatt 
ragt  er  nicht  vor,  sondern  erhebt  sich  mit  einer  stumpfen  Kante  über  das  Ni- 
veau des  übrigen  Blattes  und  drängt  so  gegen  das  obere  Keimblatt  an  (Taf.  III 
Fig.  56.  57).  —  Sobald  der  Axenstrang  eben  kenntlich  geworden  ist,  beginnt 
auch  die  Zellenanhäufung  in  der  Grundschicht  des  oberen  Keimblattes.  Un- 
mittelbar über  dem  Axenstrange  behält  dieselbe  ihre  frühere  Mächtigkeit ;  in 
dem  Masse  aber,  als  die  Verdickung  des  Axenstranges  sich  gegen  die  Median- 
ebene zusammenzieht,  entwickelt  sich  jederseits  von  jenem  medianen  Theile 
der  Grundschicht  eine  leichte  aber  breite  Anschwellung  derselben  (Taf.  III 
Fig.  57.  58).  Dort,  wo  der  Axenstrang  sowohl  im  späteren  Kopftheile  als 
gegen  die  RuscoNi'sche  Oeffnung  hin  sich  verliert,  fiiessen  die  beiden  Anschwel- 
lungen in  der  Mitte  zusammen-,  und  zwar  schliesst  die  unpaare  Anschwellung 
vorne,  eine  Strecke  weit  vom  früheren  oberen  Pole  entfernt,  unter  merklicher 
Verbreiterung  bogenförmig  ab,  hinten  geht  sie  aber  ungetheilt  in  den  Rand- 
wulst über.  Sobald  endlich  der  Axenstrang  sich  als  Anlage  der  Wirbelsaite 
von  den  lateralwärts  abfallenden  Seitentheilen  oder  den  Segmentplatten 
(Urwirbelplatten  aut.)  gesondert  hat,  ragt  die  erstere  ganz  deutlich  so  weit 
gegen  das  obere  Keimblatt  vor,  dass  sie  dasselbe  in  der  Medianebene  zu 


1.  Die  Leistungen  des  oberen  Keimblattes.  157 

verdünnen  scheint,  jedenfalls  dessen  seitliche  Anschwellungen  noch  auseinander- 
hält. Es  lässt  sich  alsdann  nicht  verkennen,  dass  der  vom  Axenstrange  auf 
das  obere  Keimblatt  ausgeübte  Druck  die  Ursache  für  die  ursprünglich 
bilaterale  Anordnung  der  Anschwellung  desselben  in  ihrem  mittleren  Abschnitte 
ist.  Aus  der  folgenden  Entwicklung  ergibt  sich  aber,  dass  damit  keine  wirk- 
liche Doppelanlage  im  oberen  Keimblatte  gegeben  ist.  Denn  indem  jene  Seiten- 
theile  auf  Kosten  der  übrigen  Ausbreitung  der  Grundschicht  deutlicher  an- 
schwellen ,  nimmt  das  sie  über  dem  Axenstrange  verbindende  Mittelstück  im 
Verhältniss  zu  jenen  dünnen  peripherischen  Theilen  an  Mächtigkeit  zu,  offen- 
bart sich  also  als  zu  der  gesammten  Anschwellung  der  Grundschicht  gehörig 
{Taf.  III  Fig.  62).  Und  wenn  man  weiterhin  beobachtet,  wie  die  Seitentheile 
gegen  die  Medianebene  zusammenrückend  endlich  über  der  Wirbelsaite  un- 
mittelbar zusammenstossen  und  bleibend  vereinigt  werden,  so  wird  man  sich 
der  Auffassung  nicht  verschliessen,  dass,  sowie  die  Zellenbewegung  im  oberen 
Keimblatte  derjenigen  im  mittleren  entspricht,  ihr  Erfolg  im  Grunde  genommen 
auch  der  gleiche  ist,  nämlich  die  Bildung  einer  medianen  Verdickung  im 
Rückentheile ,  deren  Elemente  aber  von  der  Bauchseite  schneller  einwandern 
als  der  Axenstrang  ihnen  bis  zur  Medianebene  vorzurücken  gestattet  und  daher 
umgekehrt  wie  im  Axenstrange  sich  in  den  Seitentheilen  stärker  ansammeln 
als  in  der  Mitte.  Die  erste  Umbildung  des  oberen  Keimblattes  erzeugt  also  im 
Rückentheile  seiner  Grundschicht  eine  ziemlich  dicke,  annähernd  ovale  und 
median  gelegene  Platte,  deren  Anschwellung  nach  unten  gerichtet  und  in  ihrem 
mittleren  Theile  durch  den  von  unten  vorragenden  Axenstrang  eingedrückt 
und  dadurch  in  zwei  seitliche  Bäuche  getheilt  erscheint.  Diese  Anlage,  welche 
in  Gemeinschaft  mit  dem  darüberliegenden  noch  unveränderten  Theile  der 
Deckschicht  das  ganze  Centralnervensystem  und  die  empfindenden  Apparate 
der  drei  höheren  Sinnesorgane  zu  bilden  bestimmt  ist,  nenne  ich  die  Axen- 
platte.* 

Sobald  die  Embryonalzellen  anfangen  sich  in  der  Axeuplatte  anzuhäufen 
lind  zusammenzudrängen,  geht  ihre  indifferente  rundliche  Form  in  eine  läng- 
liche über,  deren  Querdurchmesser  in  der  Richtung  der  Bewegung  liegt, 
sodass  die  Zellen  also  senkrecht  zur  Eioberfläche  aufrecht  stehen,  und  man 
annehmen  kann,  dass  der  Druck  diese  Form  hervorbrachte  (Taf.  III  Fig.  57 


*  Diesen  Ausdruck  braucht  bereits  Remak,  aber  für  die  ganze  Rückenwand,  soweit  sie 
die  „primitive  Nahrungshöble"  bedeckt.  (No.  40  S.  143). 


^5g  IV.    Die  Sonderung  der  einzelnen  Organanlagen. 

u.  flg.).  Ausserhalb  der  Axenplatte  wird  die  Grundschicht  des  oberen  Keim- 
blattes durch  die  andauernde  Zellenauswanderung  sehr  bald  auf  eine  einfache 
Zellenlage  reducirt,  deren  Elemente  bei  der  späteren  Ausdehnung  der  ganzen 
Oberfläche  des  Embryo  flach  ausgezogen  werden  und  endlich  ähnlich  wie  die 
Deckschicht  ein  pflasterförmiges  Gefüge  bilden.  Beide  Schichten  des  oberen 
Keimblattes  bieten  ausserhalb  der  Axenplatte  nur  ein  geringes  Interesse:  zu 
Ende  der  ersten  Larvenperiode  verschmelzen  sie  durch  gegenseitige  Ineinander- 
fügung ihrer  Zellen  zu  einer  Schicht,  der  Oberhaut  des  Thieres  (Taf.  VIII 
Fig.  159—161,  Taf.  XXI  Fig.  364.  365).  Ueber  die  Wimperbildung  an  der 
Deckschicht  vgl.  Remak  Nr.  40  S.  153. 

Während  die  Axenplatte  sich  von  den  Seiten  zusammenzieht,  ist  eine  ste- 
tige Abnahme  des  ganzen  Querschnittes  bemerkbar  {Taf.  III  Fig.  58.  62, 
Taf.  IV  Fig.  68).  Dies  ist  nur  möglich,  wenn  die  von  den  Seiten  her  durch 
Anlagerung  wachsende  Masse  zugleich- sich  in  der  Längsrichtung  vertheilt;  und 
eine  solche  Längenzunahme  der  Axenplatte  ist  an  den  Mediandurchschnitten 
leicht  zu  ersehen  (Taf.  II  Fig.  33  u.  flg.).  Da  aber  ihr  vorderster  Theil  sich 
viel  weniger  zusammenzieht  als  die  dahinterliegenden  Abschnitte,  so  wird  die 
ganze  Platte  während  ihrer  Flächenausdehnung  bim-  oder  kolbenförmig,  was 
in  dem  alsbald  sich  entwickelnden  Relief  der  Rückenoberfläche  seinen  Ausdruck 
findet.  Es  lassen  sich  darauf  drei  Abschnitte  der  Axenplatte  unterscheiden: 
das  breite  abgerundete  Kopfende,  der  schmälere  längliche  Rumpftheil  und  der 
an  die  RuscoNi1sche  Oeffnung  anstossende  Schwanztheil ,  welche  ich  in  der  Be- 
schreibung einzeln  behandeln  will. 


Der  Rumpftheil  der  Axenplatte. 

Da  sich  aus  diesem  Theile  (immer  in  Verbindung  mit  der  zugehörigen  Deck- 
schicht) das  Rückemark  entwickelt,  nenne  ich  seine  beiden  seitlichen  Anschwellun- 
gen die  Medullär  platten,  welche  aber  nach  der  gegebenen  Erklärung  als  von 
Anfang  an  zu  einer  einzigen  Anlage  verbunden  zu  betrachten  sind,  und  nur  a'us 
praktischen  Rücksichten  als  besondere  Seitenhälften  derselben  oder  der  Axen- 
platte beschrieben  werden  sollen.  —  Während  die  Wirbelsaite  die  Medullarplatten 
nur  mehr  an  ihrer  Grenzscheide  unterstützt,  ruhen  dieselben  vorherrschend  auf 
den  Segmentplatten,  welche  anfangs  ziemlich  gleichmässig  unter  ihnen  ausge- 
breitetsind.  In  dem  Masse  aber,  als  die  Medullarplatten  sich  zusammenziehen,  ent- 
wickeln sich  die  Segmentplattcn  gleichsam  zu  dicken  Polstern,  auf  denen  jene 


1.  Die  Leistungen  des  oberen  Keimblattes.  159 

ruhen  {Taf.  III  Flg.  62,  Taf.  IV  Flg.  68.  75).  Diese  an  Mächtigkeit  be- 
ständig  zunehmende  Unterlage  ist  offenbar  die  Ursache,  dass  die  Medullar- 
platten  nicht  mehr  wie  früher  die  Anhäufung  ihrer  Zellen  nur  in  abwärts  ge- 
richteten Bäuchen  offenbaren,  sondern  über  ihr  früheres  Niveau  sich  erheben 
und  zu  beiden  Seiten  der  Medianebene  je  eine  flache  längliche  Anschwellung 
der  Eioberfläche  erzeugen.  Da  aber  die  Wirbelsaite  zu  dieser  Zeit  nicht  eben- 
so schnell  in  die  Höhe  wächst  wie  die  Segmentplatten  und  durch  einen  innigen 
Zusammenhang  mit  dem  über  ihr  befindlichen  Theile  der  Axenplatte  diesen 
von  einer  Erhebung  über  das  frühere  Niveau  zurückhält,  so  entsteht  zwischen 
jenen  beiden  seitlichen  Erhebungen  eine  Einsenkung,  die  Rückenrinne. 
Sie  ist  das  erste  am  unberührten  Eie  sichtbare  ■  Zeichen  von  der  begonnenen 
Umbildung  der  Keimblätter,  da  die  sie  einfassenden  Erhebungen  eigentlich  nur 
durch  entsprechende  Verfärbungen  der  Eioberfläche,  welche  aber  nicht  be- 
ständig sind,  angedeutet  werden  {Taf.  III  Flg.  39).  Die  Rückenrinne  zeigt 
sich  zuerst  im  Schwanz  theile,  wo  sie  aus  der  RuscoNi'schen  Oeffhung  auszu- 
gehen scheint*  und  entwickelt  sich  dann  succesiv  Ins  in  den  Kopftheil  {Taf. III 
Fig.  40  —  42).  Im  Rumpfe  besteht  sie  aber  nicht  lange.  Solange  die  Segment- 
platten vorherrschend  in  ihren  medialen  Rändern  ansteigen  und  die  Wirbelsaite 
sogar  etwas  überragen,  erscheint  der  mittlere  Theil  der  Axenplatte  am  stärk- 
sten eingezogen  und  die  Rinne  am  tiefsten.  Wenn  aber  darauf  die  Wirbel- 
saite und  jene  sie  einfassenden  Ränder  an  Höhe  verlieren  und  in  ein  gleiches 
Niveau  zurücksinken,  wenn  andererseits  die  Verdickungen  der  Medullarplatten 
von  beiden  Seiten  zusammenfliessen  und  dadurch  die  von  einer  Seite  zur  andern 
wechselnde  Mächtigkeit  des  Querschnitts  ausgleichen,  dann  ist  auch  die  Rücken- 
rinne zugleich  mit  den  Ursachen  ihrer  Bildung  verschwunden  {Taf.  IV  Fig.  75). 
Sie  ist  also  weder  eine  besondere  Anlage,  noch  als  der  Ausgangspunkt  wichtiger 
Bildungen  anzusehen,  sondern  bloss  das  äussere  Merkmal  eines  vorübergehen- 
den Zustandes  der  Axenplatte,  wählend  dessen  die  Verdickungen  der  Medullar- 
platten noch  nicht  zusammengeflossen  sind.  Den  Vorzug  einer  besondern  Be- 
nennung verdankt  die  Rückenrinne  vor  vielen  ähnlichen  vergänglichen  Bildun- 
gen dem  Umstände ,  dass  sie  die  erste  Entwickelungserscheinung  an  der  sonst 
noch  unveränderten  Oberfläche  des  oberen  Keimblattes  ist. 


*  Ich  werde  in  dem  Abschnitte ,  welcher  den  Schwanztheil  der  Axenplatte  besonders 
behandeln  soll,  nachweisen,  dass  die  Rinne,  welche  aus  der  RuscoNi'schen  Oeffnung  ent- 
springend in  die  Rückenrinne  übergeht,  mit  dieser  letzteren  genetisch  nicht  übereinstimmt 


2(30  IV.    Die  Sonderung  der  einzelnen  ürgananlagen. 

Während  des  Bestandes  der  Rückenrinne  beginnt  die  Deckschicht  des  obe- 
ren Keimblattes  mit  den  medialen  Hälften  der  Medullarplatten  zu  verschmelzen. 
Beide  Theile  waren  vorher  nicht  nur  getrennt,  sondern  auch  durch  ihre  Zellen 
unterschieden,  welche  in  der  Deckschicht  annähernd  kubisch,  in  den  Medullar- 
platten länglich  und  gegen  die  Medianebene  geneigt  erschienen.  Zur  bezeich- 
neten Zeit  nehmen  die  Elemente  der  Deckschicht  über  den  medialen  Hälften 
der  Medullarplatten  die  Form  und  Richtung  der  darunterliegenden  Zellen  an 
und  schliessen  sich  ohne  deutliche  Grenzen  den  letztern  an.  Zwischen  den  so 
veränderten  medialen  und  den  lateralen  Theilen  der  Deckschicht  entsteht  jeder- 
seits  eine  leichte  Kerbe,  welche  zur  Grenzscheide  einer  äusseren  lateralen  und 
einer  inneren  medialen  Hälfte  der  Rückenmarksanlage  der  betreffenden  Seite 
wird  {Taf.  IV  Fig.  67.  68).  Die  weitere  morphologische  Umbildung  dieser 
Hälften  zu  einer  Rückenmarksröhre  erfolgt  unter  ähnlichen  Umständen  wie  die 
Entstehung  der  Axenplatte.  In  diesem  letzteren  Falle  wanderte  nur  ein  Theil 
der  Zellen  des  oberen  Keimblattes ,  nämlich  bloss  innerhalb  der  Grundschicht 
vom  Bauche  und  den  Seiten  zum  Rücken  hinauf;  weiterhin  dehnen  sich  aber 
beide  Schichten,  welche  im  Anschlüsse  an  die  Rückenmarksanlage  die  Ober- 
hautanlage darstellen,  gemeinsam  in  derselben  Richtung  aus.  Diese  Bewegung 
offenbart  sich  dadurch,  dass  die  an  der  Grenze  von  Rückenmarks-  und  Ober- 
hautanlagen  befindlichen  Theile  des  obern  Keimblattes  sich  über  die  ursprüng- 
liche Fläche  erheben  und  eine  Falte  bilden,  welche  sich  nach  innen  gegen  die 
Mediaaebene  umrollt.  Untersucht  man  die  Einzelheiten  dieses  Vorgangs,  so 
findet  man  wiederum,  dass  die  Veränderungen  des  oberen  Keimblattes  keine 
durchaus  selbstständigen  sind,  sondern  mit  den  gleichzeitigen  Umbildungen  der 
Nachbartheile  in  innigstem  Zusammenhange  stehen.  Solange  die  Aussenfläche 
des  oberen  Keimblattes  beim  Uebergange  von  der  Rückenmarks-  zur  Oberhaut- 
anlage keine  merkliche  Unterbrechung  ihrer  gleichmässigen  Krümmung  erfuhr, 
war  das  untere  Relief  der  Medullarplatten  so  geformt,  dass  die  äussere  Hälfte 
den  ursprünglichen  Bauch  darstellte,  die  innere  Hälfte,  in  Folge  der  Bildung  der 
Rückenrinne,  konkav  gekrümmt  war-,  damit  stimmte  die  Form  der  Segment- 
platten, deren  medialer  Rand  höher  als  der  laterale  und  deren  Oberfläche  nur 
leicht  geschweift  war  {Taf.  IV  Fig.  68).  In  der  Folge  gleicht  sich  jedoch  jenes 
Relief  der  Medullarplatten  aus,  ihre  untere  Fläche  wird  eben,  die  Rinne  ver- 
schwindet; dies  ist  natürlich  nur  möglich,  wenn  zugleich  der  vorragende  me- 
diale Rand  der  Segmentplatten  bis  zur  Höhe  der  Wirbelsaite  einsinkt.  Dafür 
erhebt  sich  der  laterale  Rand   jener  Platte  und  fällt  steiler  nach  aussen  gegen 


1.  Die  Leistungen  des  oberen  Keimblattes.  161 

die  übrige  Ausbreitung  des  mittleren  Keimblattes  ab.     Dadurch  muss  die  frü- 
here Gleichmässigkeit  der  Oberfläche  des  Rückens  gestört  werden,  und  da  der 
zuletzt  genannte  Rand  der  Grenze  zwischen  Rückenmarks-  und  Oberhautanlage 
entspricht,  so  entsteht  jederseits  aus  der  lateralen  Hälfte  der  ersteren  und  der 
daranstossenden  Oberhaut  ein  flacher  Wulst  —  der  Rücken  willst,  welcher 
medianwärts  durch  die  oben  bezeichnete  Kerbe  sehr  deutlich,  lateralwärts  aber 
durch  eine  leichte  und  breite  Einsendung  der  Oberfläche  weniger  bestimmt  ab- 
gegrenzt wird  {Taf.  III  Fig.  40  —  42,  Taf.  IV Fig.  75).   Indem  sich  die  Rücken- 
wülste  erheben,  entsteht  zwischen  ihnen  eine  flache  Vertiefung  —  die  Medul- 
lär für  che,  deren  Boden  also  aus  den  innern  Hälften  der  Rückenmarksanlage 
besteht,  während  die  äussern  lateralen  Hälften,  indem  ihre  Konvexität  von  der 
untern  nunmehr  flachen  Seite  an  die  Oberfläche  überging,  die  seitliche  Einfas- 
sung bilden. —  Die  weitere  Entwicklung  der  genannten  Rückentheile,  soweit  sie 
sich  äusserlich  kundgibt,  lässt  sich  nun  dahin  zusammenfassen,  dass  die  Wülste 
höher,   schmäler  und  steiler  werden  und  von  beiden  Seiten  näher  zusammen- 
rücken, wodurch  die  Medullarfurche  tiefer  und  enger  wird.     Wenn  aber  die 
Beobachtung  des  unberührten  Eies  in  dieser  Veränderung  nur  eine  Wachsthums- 
bewegung  erblicken  durfte,  so  lehrt  die  Untersuchung  der  Durchschnitte,  dass 
jene  äussere  Veränderung  auf  einer  ziemlich  umfassenden  Umbildung  aller 
schon  genannten  Anlagen  des  oberen  wie  des  mittleren  Keimblattes  beruht. 
Betrachten  wir  zunächst  die  Rückenwülste.    Solange  sie  ganz  flach  sind,  haben 
sie  eine  nach  oben  und  aussen  gewandte  konvexe  Oberfläche,   welche  in  ihrem 
grösseren  medialen  Theile  der  Rückenmarksanlage  angehört,  während  die  Ober- 
hautanlage  nur  zum  geringeren  Theile  in  die  Konvexität  hineingezogen  ist;  man 
kann  daher  unter  solchen  Umständen  die  Rückenwülste  allerdings  im  wesentlichen 
als  Theile  der  Rückenmarksanlage  bezeichnen.   Dies  ändert  sich  jedoch  alsbald. 
Die  Oberhautaulage  drängt  offenbar  medianwärts  und  da  sie  die  Rückenmarks- 
anlage, mit  deren  äusserem  Rande  sie  zusammenhängt,    nicht  vor  sich  her 
schieben  kann,  so  wälzt  sie  deren  laterale  Hälfte  medianwärts  um,  sodass  die 
ganze  Rückenmarksanlage  gleichsam  gebrochen  wird,  jederseits  an  der  freien 
Fläche  statt  einer  Kerbe  einen  Winkel,    an  der  untern  Seite  aber  eine  ent- 
sprechende Kante  erhält  [Taf.  V  Fig.  83. 84).   Indem  aber  auf  diese  Weise  die  la- 
terale Hälfte  der  Rückenmarksanlage  ihre  obere  Fläche  medianwärts,  ihre  untere 
Fläche  von  jener  Kante  an  lateralwärts  wendet,  legt  sich  der  aufwärts  in  den 
Rückenwulst  vorgerückte  Streifen  der  Oberhaut  an  die  zuletzt  genannte  Fläche 
an  und  bildet  so  mit  den  Seitentheilen  der  Rückenmarksanlage  eine  wirkliche 

Goette,  Entvvickelungsgeschichte.  H 


1(32  IV.    Die  Sonderung  der  einzelnen  Organanlagen. 

geschlossene  Falte,  welche  daher  als  Rückenwulst  median-  und  lateral wärts 
zwei  verschiedene  Anlagen  in  ohngefahr  gleicher  Ausdehnung  enthält,  sich  also 
von  der  früheren  Entwicklungsstufe  des  Rückenwulstes  erheblich  unterscheidet 
und  durchaus  nicht  einen  blossen  Fortschritt  im  Wachsthum  derselben  vorstellt. 
Bei  diesen  Umwandlungen  bleiben  aber  die  übrigen  Rückenanlagen  nicht  imthätig. 
Die  medialen  Hälften  der  Medullarplatten  werden  von  den  lateralen  in  die  Höhe 
gehoben,  während  sie  medianwärts  an  der  Wirbelsaite  haften  bleiben,  sodass 
die  beiderseitigen  Platten  in  der  Medianebene,  wo  früher  die  Rückenrinne  lag, 
mit  einander  einen  Winkel  bilden.  Entsprechend  allen  diesen  Bewegungen  des 
oberen  Keimblattes  haben  sich  auch  die  Segmentplatten  merklich  verändert.  Ihr 
lateraler  Rand  hat  sich  successiv  auf-  und  medianwärts  verschoben,  sodass  die 
Platte  nicht  mehr  einen  länglich  viereckigen,  sondern  einen  ohngefahr  dreiecki- 
Querdurschnitt  zeigt,  dessen  innere  dachähnlich  abfallende  Fläche  der  medialen 
Hälfte  der  Medullarplatte  zur  Unterlage  dient.  Ob  die  gleichzeitige  Höhenab- 
nahme des  medialen  Randes  der  Segmentplatte  und  der  Wirbelsaite  bloss  eine 
relative  sei  oder  auch  thatsächlich  stattfinde  t  habe  ich  nicht  entscheiden  können, 
da  jene  Grössen  bei  den  verschiedenen  Embryonen  sehr  schwanken. —  Fasst  man 
nun  die  Gestalt  der  ganzen  Rückenmarksanlage  ins  Auge,  so  kann  man  sie  als 
eine  trogartige  Bildung  bezeichnen,  welche  aus  zwei  aufrechten  Seitenwänden 
und  einem  Boden  besteht,  dessen  symmetrische  Hälften  nicht  in  einer  Ebene  lie- 
gen, sondern  zur  Mittellinie  abfallend  dort  unter  einem  Winkel  zusammenstos- 
sen.  Jene  Seitenwände  oder  die  Rückenwülste  neigen  sich  nun  mit  ihren  obe- 
ren Rändern  allmählich  zur  Medianebene  also  gegen  einander,  und  endlich  be- 
rühren sich  dieselben  und  verwachsen  mit  einander,  sodass  dadurch  die  trog- 
ähnliche Bildung  sich  in  eine  Röhre  umwandelt  (Taf.  V  Fig.  87.  93).  Dieser  Vor- 
gang ist  nur  eine  unmittelbare  Fortsetzung  der  einmal  begonnenen  Umwälzung 
der  lateralen  Hälften  der  Rückenmarksanlagen;  bei  diesem  letzten  Abschnitte 
der  Bewegung  sind  aber  nur  die  Rückenwülste  selbst  thätig,  während  die  übri- 
gen Anlagen  keinen  Antheil  daran  erkennen  lassen.  Sowie  die  Wülste  zusam- 
mengestossen  sind,  zeigt  die  Rückenmarksanlage  in  ihrem  Durchschnitte  eine 
etwas  eckige  Herzform  und  umschliesst  einen  im  Querschnitte  rautenförmigen 
Kanal,  den  unteren  Raum  der  früheren  Medullarfurche ,  welcher  zum  Central- 
kanal  des  Rückenmarks  wird.  Eine  besondere  Aufmerksamkeit  verdienen 
während  der  zuletzt  beschriebenen  Entwickelung  die  histologischen  Verhält- 
nisse der  Rückenmarksanlage.  Die  Eintheilung  in  eine  mediale  und  eine  late- 
rale Hälfte,  welche  sich  morphologisch  sehr  deutlich  kund  giebt,  wurde  zuerst 


1.  Die  Leistungen  des  oberen  Keimblattes  .  1G3 

durch  eine  histologische  Verschiedenheit  der  Theile  angebahnt:  in  der  medialen 
Hälfte  verschmolz  die  Deckschicht  mit  der  Medullarplatte  mehr  oder  weniger 
vollständig,  sodass  nur  die  stärkere  Pigmentirung  als  Merkmal  der  früher  ge- 
sonderten obersten  Zellenlage  zurückblieb;   in  der  lateralen  Hälfte  blieb  die 
ursprüngliche  Sonderüng  bis  zum  Schluss  der  Medullarfurche  bestehen,  sodass 
ich  in  der  Beschreibung  immerhin  einen  Unterschied  zwischen  der  ganzen 
Rückenmarksanlage  und  der  Medullarplatte  machen  musste.     Wenn  also  die 
Wülste  zusammentreffen,  so  berühren  sich  zunächst  nur  die  noch  unveränderten 
Streifen  der  Deckschicht,  welche  die  früher  lateralen  Hälften  der  Medullar- 
platten  überziehen  und  von  dort  in  der  gleichen  Zusammensetzung  in  die  Ober- 
hautanlage übergehen.     Erst  wenn  die  Verschmelzung  der  sich  berührenden 
Flächen  beginnt,  assimilirtsich  die  Deckschicht  auch  im  oberenTheile  desRücken- 
marks der  übrigen  Masse,   sodass  also  ein  verhältnismässig  nicht  unbedeuten- 
der Theil  der  Deckschicht  mitten  unter  die  Elemente  der  Grundschicht,  welche 
anfangs  allein  Medullarplatte  hiess,   geräth,   während  für  die  übrige  Ausbrei- 
tung der  zur  Rückenmarksanlage  gehörigen  Deckschicht  nur  noch  das  Pigment 
in  der  Wand  des  Centralkanals  die  frühe  Selbstständigkeit  andeutet.     Diese 
Thatsachen  bezeugen   hinlänglich  die  früher  hervorgehobene  Gleichartigkeit 
beider  Schichten  des  oberen  Keimblattes  in  Bezug  auf  die  Anlage  des  Central- 
nervensystems.  —  Durch  die  beschriebene  Umwälzung  der  Rückenwülste  sind 
die  beiderseitigen  Ränder  der  Oberhautanlage,  durch  welche  dieselbe  in  die 
Rückenmarksanlage  übergeht,  über  der  letzteren  einander  sehr  nahe  gerückt; 
sobald  nun  die  Berührung  der  beiden  Rückenwülste  über  dem  Oentralkanale  in 
Verschmelzung  übergegangen  ist,  so  vereinigen  sich  auch  jene  Ränder  und 
trennen  sich  alsdann  von  dem  Rückenmarke,  sodass  die  Oberhautanlage  über 
dem  letzteren  eine  kontinuirliche  Haut  bildet,  welche  nur  noch  einige  Zeit  über 
der  Rückenmarksnaht  eingezogen  erscheint  und  damit  die  bilaterale  Anlage  der 
oberflächlichen  Bildungen  des  Rückens  andeutet  {Taf.   V  Fig.  93  u,  flg.).  — 
Das  selbstständig  gewordene  Rückenmark  ruht  mit  seiner  unteren  sich  abwärts 
verschmächtigenden  Hälfte  zwischen  den  entsprechend  gebildeten  Segmentplat- 
ten, während  der  obere  Theil  zunächst  nur  von  der  Oberhaut  bedeckt  wird. 
Bald  verliert  der  Querschnitt  des  Centralkanals  seine  rautenförmige  Gestalt 
und  wird  aufrecht  länglich,  bisquitförmig ;  dann  rundet  sich  auch  die  äussere, 
anfangs  eckige  Oberfläche  des  Rückenmarks,  dessen  Umriss  im  Querdurch- 
schnitte oval  wird  {Taf.  VI  Flg.  114.  115,  Taf.  VII  Fig.  136  -  -  139.)     Die 

obere  und  die  untere  Wand  des  Centralkanals  werden  dabei  schmal  und  dünn, 

11* 


154  IV.   Die  Sonderling  der  einzelnen  Organanlagen. 

während  die  Masse  der  Einbryonalzellen  sich  in  den  Seitentheilen  anhäuft. 
Auf  diese  Weise  erscheint  die  fertige  Rückenmarksröhre  aus  zwei  senkrechten 
dicken  Platten  zusammengesetzt,  welche  oben  und  unten  in  die  dünnen  und 
schmalen  Verbindungsstücke  umbiegen,  zeigt  also  eine  ähnliche  bilaterale  An- 
ordnung der  Elemente  wie  ihre  erste  Anlage. 


Der  Kopftheil  der  Axenplatte. 

Im  allgemeinen  hat  die  Axenplatte  auch  im  Kopftheile  die  gleiche  Anlage 
und  Entwicklung  wie  im  Rumpfe,  und  die  einzige  wesentliche  Besonderheit  des 
Kopftheils  liegt  in  dem  vorderen  Abschlüsse  der  Axenplatte.  Sobald  nur  dieser 
Kopftheil  erkennbar  wird,  sind  bereits  die  seitlichen  Verdickungen  der  Axen- 
platte am  vordersten  Ende  in  einem  Bogen  zusammengeflossen;  am  Kopfende  er- 
folgt also  offenbar  die  beschriebene  Zellenverschiebung  des  oberen  Keimblattes 
nicht  bloss  von  beiden  Seiten  sondern  auch  vorne,  sodass  die  peripherische  Ver- 
dickung der  Axenplatte  gleich  anfangs  nicht  einfach  bilateral,  sondern  halb- 
kreisförmig erscheint,  wodurch  eben  die  Platte  ihren  vorderen  Abschluss  ge- 
winnt. Dies  lässt  sich  aus  Quer-  und  Mediandurchschnitten  leicht  nachweisen-, 
und  namentlich  an  den  letzteren  deutet  der  Durchschnitt  der  queren,  vorderen 
Verbindung  der  lateralen  Verdickungen  die  Axenplatte  zuerst  ganz  allein  an 
(Taf.  II  Fig.  33.  34,  Taf.  III  Fig.  59).  Schon  aus  dieser  ersten  Anlage  des 
Kopftheils  der  Axenplatte  erhellt,  dass  er  der  Länge  nach  aus  verschieden  ge- 
bildeten Abschnitten  besteht,  deren  Unterschiede  später  noch  stärker  hervor- 
treten. Desshalb  empfiehlt  sich  für  die  Betrachtung  der  Entwickelung  dieser 
Anlagen  die  systematische  Anordnung,  dass  man  von  einem  Stadium  zum  an- 
dern fortschreitend,  die  betreffenden  Querdurchschnitte  in  ihrer  Reihenfolge  durch- 
mustert und  zwar  von  dem  schon  bekannten  Rumpftheile  ausgehend  alle  Bil- 
dungsübergänge bis  zum  vordersten  Ende  der  Anlage  verfolgt* 

Erste  Ent wickelungs stufe.  Aeusserlich  ist  an  der  kugeligen  Rücken- 
fläche des  Eies  noch  keine  Gestaltveränderung  zu  sehen;  bisweilen  ist  die  bereits 
vorhandene  Axenplatte  durch  eine  hellere  Färbung  der  Oberfläche  angedeutet, 
und  wenn  dieselbe  auch  nicht  bestimmt  begrenzt  ist,   so  lässt  sich  docli  meist 


*  Die  Abbildungen  geben  selbstverständlich  nur  je  eine  Auswahl  aller  Schnitte,  in  die 
ein  Embryo  zerlegt  wurde,  und  da  nicht  bloss  auf  eine,  sondern  auf  alle  Organanlagen  zu- 
gleich Rücksicht  genommen  werden  musste,  so  habe  ich  um  so  mehr  gestrebt,  nur  die  aller- 
nothwendiesten  zusammenzustellen. 


1.  Die  Leistungen  des  oberen  Keimblattes.  165 

ein  Oval  erkennen,  dessen  Spitze  an  die  RuscoNi'sche  Oeffnung  stösst.  In 
Uebereinstimmung  mit  diesem  äusseren  Befunde  lehren  die  Querdurchschnitte, 
dass  die  Axenplatte  in  dem  mittleren  Abschnitte  ihrer  Länge  nicht  schmäler 
ist,  als  in  dem  vorderen  Theile,  dass  also  Rumpf-  und  Kopftheil  noch  voll- 
kommen ungeschieden  in  einander  übergehen  und  die  Bedeutung  des  letzteren 
sich  wesentlich  darauf  beschränkt,  dass  er,  wie  schon  angedeutet  wurde,  den 
vorderen  Abschlnss  der  Axenplatte  bildet,  indem  ihre  seitlichen  Verdickungen 
dort  bogenförmig  in  einander  übergehen. 

Zweite  Entwickelungsstufe  (Taf. IIIFig.59— 62).  Dashelle Oval  hat 
sich  in  der  Mitte  etwas  zusammengezogen,  ist  annähernd  birnförmig  geworden; 
das  breite  runde  Ende  (Kopftheil  der  Axenplatte)  scheint  sich  schildförmig  über 
sein  früheres  Niveau  erhoben  zu  haben,  obgleich  es  beim  Mangel  eines  deutlich 
abfallenden  Randes  schwer  zu  konstatiren  ist.     Die  innere  Untersuchung  stellt 
zunächst  fest,  dass,  wenn  der  Kopftheil  der  Axenplatte  auch  vielleicht  etwas 
später  entsteht,  als  die  andern  Theile,  er  sie  dennoch  in  seiner  Entwickelung 
durch  die  grössere  Energie  der  zu  Grunde  liegenden  Zellenbewegung  überflügelt. 
Er  wird  mächtiger  und  breiter  als  der  Rumpftheilund  koncentrirt  sich  immer  mehr 
durch  die  Zusammenziehung  der  Elemente  von  einem  beinahe  kreisförmigen 
Umfange  gegen  einen  gemeinsamen  Mittelpunkt,  während  in  der  übrigen  Axen- 
platte die  von  zwei  Seiten  angehäuften  Zellen  den  nachrückenden  nach  vorn 
und  hinten  ausweichen,  wodurch  der  Rumpftheil  schon  sehr  frühe  sich  streckt 
und  schmächtig  wird.     Doch  bietet  das  Relief  an  der  unteren  Fläche  beider 
Abschnitte  noch  weitere  Unterschiede  dar.     Im  Rumpftheile  sind  die  seitlichen 
Anschwellungen  soweit  zusammengerückt,  dass  sie  als  zwei  mit  ihren  Rändern 
unmittelbar  zusammenhängende  Bäuche  (Medullarplatten)  erscheinen.   Im  Kopf- 
theile,  welcher  sich  viel  langsamer  und  in  geringerem  Masse  zusammenzieht, 
bleiben  die  seitlichen  Anschwellungen  mehr  auf  den  Rand  der  Axenplatte  be- 
schränkt, während  ein  nach  Breite  und  Dicke  ansehnliches,  nach  unten  konkav 
gebogenes  Mittelstück  die  ursprüngliche  Einheit  der  ganzen  Platte  gegenüber 
ihrer  Entwickelung  aus  scheinbar  getrennten   Seitenhälften  im  Rumpftheile 
hervorhebt.     Aber  auch  im  Kopftheile  selbst  lassen  sich  zunächst  zwei  auf- 
einanderfolgende Abschnitte  unterscheiden.     In  der  hintern  Hälfte  ist  die  Axen- 
platte im  Anschlüsse  an  den  Rumpftheil  weniger  mächtig,  und  ihre  Unterlage, 
Wirbelsaite  und  Segmentplatten,  stimmt  wesentlich  mit  derjenigen  des  Rumpf- 
theils  überein;  an  der  unteren  Fläche  der  Axenplatte  erscheint  die  Randan- 
schwellung  durch  eine  leichte  Kerbe  von  dem  Mittelstücke  abgesetzt.     Beim 


IQQ  IV.    Die  Sonderling  der  einzelnen  Organanlagen. 

Uebergange  in  den  vordem  Abschnitt  des  Kopftheils  verliert  sich  die  Wirbel- 
saite und  vom  mittleren  Keimblatte  bleibt  nur  eine  einfache  dünne  Zellenlage 
zurück,  wogegen  die  Axenplatte  daselbst  ihre  grösste  Mächtigkeit  erreicht  und 
dieselbe  bei  der  gleichen  Unterlage  bis  zum  vordersten  Ende  behält,  wo  sie 
bogenförmig  abschliesst  und  in  die  übrige  dünne  Ausbreitung  des  oberen  Keim- 
blattes übergeht.  —  Untersucht  man  aufmerksam  den  äusseren  Saum  des  Kopf- 
theils der  Axenplatte,  so  entdeckt  man  darin  eine  feine  Spalte,  welche  von  der 
unteren  Fläche  her  zwischen  der  eigentlichen  Anschwellung  und  dem  zuge- 
schärften Rande  allmählich  aufwärts  vordringend  rund  um  den  ganzen  Kopf- 
theil  einen  dreikantig  prismatischen  Streifen  von  der  übrigen  Axenplatte  ab- 
löst,   sodass   nur   eine  dünne  Verbindung  beider    Theile   an  der   Oberseite 
übrig  bleibt.   Ich  nenne  jenen  Streifen  nach  den  daraus  hervorgehenden  Organen 
Sinnesplatte;  das  von  ihm  in  mehr  als  einem  halben  Kreise  umschlossene 
Centrum  der  Axenplatte  ist  dagegen  die  Anlage  des  Hirns,  —  Hirnplatte. 
Diese  Sonderung  beginnt  an  beiden  Seiten  des  Kopftheils  der  Axenplatte  und 
erscheint  am  vordersten  Ende  erst  auf  der  folgenden  Entwickelungsstufe;  beim 
Uebergange  in  den  Rumpftheil  wird  die  Sinnesplatte,  indem  die  Spalte  sich 
verliert,  in  die  ungetheilteMedullarplatte  aufgenommen.  Die  Anlage  des  Rücken- 
marks setzt  sich  also  ursprünglich  nur  mit  ihrem  mittleren  Theile  in  die  Hirn- 
anlage fort,  wogegen  ihre  seitlichen  Theile  in  die  Anlagen  der  drei  sogenannten 
höheren  Sinnesorgane  auslaufen.    Auf  derselben  Entwickelungsstufe  bildet  sich 
j  euerseits  an  der  Oberfläche  der  Hirnplatte  und  dicht  an  ihrem  äussern  Rande 
eine  Kerbe,  welche  gleichwie  in  der  Rückenmarksanlage  die  Bedeutung  hat,  dass 
nach  aussen  von  ihr  der  Wulst  sich  erheben  wird,  in  welchem  die  äusseren 
Theile  der  Platte  sich  nach  oben  und  innen  umwälzen  sollen,   um  die   Hirn- 
höhlen zu  bilden.     Diese  Kerbe  ist  zuerst  nur    auf  einen  kleinen  Theil  des 
seitlichen  Randes  beschränkt,   welcher  zum  Ausgangspunkte  der  ganzen  be- 
zeichneten Bildung  wird;  daher  senkt  sich  auch  die  Deckschicht,  welche  wie 
in  der  ganzen  übrigen  Axenplatte,  so  auch  im  Kopftheile  derselben  von  der 
Grundschicht  noch  gesondert  ist,  in  jene  Kerbe  noch  nicht  ein,  sondern  über- 
deckt sie  brückenartig.     Bis  zur  nächsten  Entwickelungsstufe  sind  aber  an  der 
bezeichneten  Stelle  beide  Schichten  zu  einer  Furche  eingesunken,  welche  sich 
vorwärts  rund  um  den  Kopftheil  und  rückwärts  auf  den  Rumpftheil  fortsetzt. 
Der  Ursprung  dieser  Furche  am  Kopftheile  ist  ein  weiteres  Zeichen ,   dass  die 
Entwicklung  dort  schneller  fortschreitet  als  im  Rumpftheile.    Endlich  bemerke 
ich  noch,  dass  die  Zellen  der  Grundschicht  im  Kopftheile  ebenso  wie  es  früher 


1.  Die  Leistungen  des  oberen  Keimblattes.  1(37 

vom  Rumpftheile  bemerkt  wurde,  sich  strecken  und  aufrecht  stellen ,  sobald 
ihre  Anhäufung  einen  gewissen  Grad  erreicht  hat. 

D  r i  1 1  e  E  n  t  w  i  c  k  e  1  u  n  g  s  s  t  u  f e  (Taf.  III  Fig.  41,  Taf.  IV  Fig.  63—  66). 
Der  Embryo  hat  noch  immer  seine  kugelige  Gestalt,  die  Rückenseite  eine  halb- 
kreisförmige Axe.     An  der  Oberfläche  verläuft  in  der  Mittellinie  die  Rücken- 
rinne;  jederseits  in  einem  gewissen  Abstände  davon  erheben  sich  die  inneren 
Ränder  der  noch  flachen  Rückenwülste,  welche  von  hinten  ein  wenig  divergirend 
gegen  den  Kopftheil  verlaufen ,  aber  dort  angelangt  stärker  zur  Seite  ausweichen, 
um  sich  am  Vorderende  in  einem  gefälligen  Bogen  zu  vereinigen.    Um  die  unter 
diesem  einfachen  äusseren  Bilde  verborgenen  mannigfaltigen  Abweichungen  der 
gleichsinnigen  Anlagen  in  den  verschiedenen  Abschnitten  aufzudecken,  ist  ein 
methodisches  Studium  der  Querdurchschnitte  durchaus  nothwendig.    Hinsicht- 
lich der  allgemeinen  Verhältnisse  findet  man  zunächst,   dass  die  Deckschicht 
sich  der  Hirnplatte  innerhalb  der  Wülste  in  derselben  Weise  anpasst,  an  den 
Wülsten  selbst  aber  noch  gesondert  bleibt,  wie  ich  es  am  Rumpftheile  beschrieb. 
Auch  die  Rückenrinne,  welche  vom  Rumpfe  her  in  den  Kopftheil  eindringt, 
entsteht  dort  unter  den  gleichen  Umständen,  wie  in  der  Rückeumarksanlage, 
bisweilen  wird    die  Hirnplatte  in  ihrem  hinteren  Abschnitte  unter  der  Rinne 
kielartig  abwärts  gezogen,  wobei  ihr  inniger  Zusammenhang  mit  der  Wirbel- 
saite sich  deutlich  kundgibt.     In  der  Mitte  des  Kopftheils  dagegen,   wo  die 
Wirbelsaite  aus  der  bereit  liegenden  Zellenmasse  sich  noch  nicht  xlifferenzirt 
hat,  hört  auch  die  Rinne  auf,  während  sie  später  an  derselben  Stelle  von  der 
sich  weiter  vorwärts  entwickelnden  Wirbelsaite  hervorgerufen  wird.    Alle  diese 
Beobachtungen  halte  ich  für  geeignet,  die  von  mir  gegebene  Erklärung  über 
die  Bildung  der  Rückenrinne  wesentlich  zu  unterstützen.  —  Ich  wende  mich 
nun  zu  den  wichtigeren  Umbildungen  der  Hirn-  und  der  Sinnesplatte,  welche 
sich  im  ganzen  Umfange  des  Kopftheils   der  Axenplatte  geschieden  haben. 
Geht  die  Untersuchung  in  der  angegebenen  Weise  von  den  bekannten  Quer- 
durchschnitten des  Rumpftheils  aus,  so  ist  es  leicht  die  Stelle  zu  finden,  wo  die 
Medullarplatten  sich  in  Hirn-  und  Sinnesplatte  spalten ;  die  letztere  begreift  nur 
so  viel  vom  lateralen  Theile  der  ganzen  Axenplatte,  dass  die  Hirnplatte  jeder- 
seits noch  etwas  in  den  Wulst  hineinreicht.   Die  äussere,  der  Deckschicht  zuge- 
kehrte Fläche  der  Sinnesplatte  hat  sich  —  wie  es  scheint,  unter  theilweiser 
Auswanderung  der  Elemente  in  die  Hirnplatte  —  vertieft  und  von  jener  Schicht 
etwas  entfernt-,  die  Sinnesplatte  macht  dadurch  den  Eindruck,  als  wäre  sie 
bloss  ein  etwas  verdickter  und  nach  innen  eingedrückter  Theil  der  zur  Oberhaut- 


1(38  IV.   Die  Sonderung  der  einzelnen  Organanlagen. 

anläge  gehörigen  Grundschicht,  während  sie  genetisch  durchaus  zur  Axenplatte 

gehört.  Diese  Verwandtschaft  zeigt  sich  auch  in  den  Zellen,  welche  in  der 
Sinnesplatte  sich  ebenso  wie  in  der  Anlage  des  Centralnervensystenis  ordnen, 
nämlich  länglich  werden  und  sich  aufrecht  stellen.  Wenn  aber  die  Sinnesplatte 
einige  Zeit  nach  ihrer  Entstehung  an  die  Hirnplatte  angeschmiegt  blieb ,  so  hat 
sie  sich  nunmehr  in  der  hintern  Hälfte  des  Kopftheils  von  derselben  entfernt. 
Dies  geschieht  auf  die  Weise,  dass  die  Hirnplatte  sich  von  der  Seite  zur  Mitte 
zusammenzieht,  die  Sinnesplatte  in  der  genannten  Region  ihr  aber  nicht  folgt, 
sondern  an  der  frühern  Stelle  liegen  bleibt,  wobei  das  Verbindungsstück  zwischen 
beiden  Platten  sich  ausdehnt.  Indem  sich  aber  der  untere  Bauch  der  Hirnplatte 
von  der  Sinnesplatte  zurückzieht,  wird  die  Spalte,  die  früher  ihre  Trennung  be- 
wirkte, weit  geöffnet,  und  in  dem  Masse,  als  dies  geschieht,  wird  der  neu  ent- 
stehende Raum  mit  einer  Neubildung  des  mittleren  Keimblattes,  nämlich  mit 
den  äusseren  Segmenten  des  Kopfes  angefüllt,  welche  zwischen  der 
Hirn-,  Sinnes-  und  Segmentplatte  eingeschlossen  einen  beiläufig  dreieckigen 
Durchschnitt  zeigen.  —  In  der  vordem  Hälfte  des  Kopftheils  ist  die  Sinnes- 
platte über  die  äusseren  Segmente  hinweg  der  sich  zusammenziehenden  Hirn- 
platte*  nachgerückt  und  bleibt  an  den  oberen  sich  aufwärts  krümmenden  Rand 
derselben  dicht  angedrückt.  In  diesem  ganzen  vorderen  Theile  ist  die  Hirn- 
platte dicker  als  gegen  den  Rumpftheil  hin  und  im  Ganzen  noch  konvex  nach 
oben,  an  der  unteren  Fläche  aber  konkav  gekrümmt,  was  durch  die  leistenartig 
entwickelten  seitlichen  Verdickungen  noch  stärker  ausgeprägt  erscheint.  Wie 
schon  früher  steht  die  Dicke  der  Hirnplatte  im  umgekehrten  Verhältnisse  zur 
Mächtigkeit  ihrer  Unterlage,  daher  die  letztere  im  vorderen  Abschnitte  des 
Kopftheils  zu  einer  einfachen  Zellenlage  wird.  Ebenso  besteht  das  früher  be- 
schriebene Relief  der  unteren  Fläche  noch  einige  Zeit  fort,  und  die  beiden 
Furchen  an  der  Oberfläche  bleiben  dort  am  tiefsten ,  wo  sie  zuerst  entstanden, 
nämlich  an  den  Seiten  des  runden  Kopftheils. 

Vierte  Entwicklungsstufe  {Taf.  II  Fig.  35,  Taf.  III  Fig.  42.  50, 
Taf.  IV  Fig.  71  —  75).  Der  bisher  noch  kugelige  Embryo  wird  während  der  wei- 
teren Ausbildung  der  Medullarfurche  länglich  ausgezogen;  indem  die  Rückenseite 
sich  abflacht,  ihre  Axe  sich  einer  geraden  Linie  nähert  und  der  Querschnitt  des 
ganzen  Körpers  merklich  abnimmt,  wird  die  aus  der  Kugelform  herausgedrängte 
Masse  an  die  Enden  der  Rückenseite,  d.  h.  gegen  das  Kopf-  und  das  Schwanz- 
ende des  embryonalen  Körpers  verschoben.  Bei  äusserlicher  Untersuchung  entzieht 
sich  jedoch  eine  Thatsache  der  Erkenntniss,  welche  für  die  Aufklärung  der 


.    1.  Die  Leistungen  des  oberen  Keimblattes.  IG',) 

Ursachen  jener  Gestaltveränderung  von  Bedeutung  ist;  ich  meine  die  Knickung 
der  Rückenaxe  in  der  Mitte  des  Kopftheils.  Sieht  man  sich  die  von  den 
Wülsten  umschriebene  Rückenbildung  am  unberührten  Eie  an,  so  bildet  sowohl 
die  höchste  Erhebung,  so  zu  sagen  der  Grat  der  Wülste,  welcher  in  der  Seiten- 
ansicht den  Kontur  des  Rückens  beschreibt,  als  auch  der  ganze  äussere  Ab- 
hang der  Wülste,  dessen  Fuss  dem  Boden  der  Cerebromedullaiiürche  oder 
der  ursprünglichen  eigentlichen  Rückenfläche  zu  entsprechen  scheint,  eine  un- 
unterbrochene, gleichmässige  Krümmung,  welche  allmählich  in  ihrer  ganzen 
Ausdehnung  flacher  wird.  So  kommt  man  zur  Ansicht,  als  strecke  sich  die 
ganze  ursprünglich  krumme  Axe  allmählich  zu  einer  geraden  aus;  dagegen  weist 
aber  der  mediane  Durchschnitt  eine  beinahe  rechtwinklige  Knickung  derselben 
im  vordem  Theile  auf.  Die  Auflösung  dieses  Widerspruches  geben  die  Quer- 
durchschnitte. Behält  man  den  Grat  der  Wülste  im  Auge,  so  überzeugt  man 
sich,  dass  der  Abstand  desselben  vom  Boden  der  Cerebromedullarfurche, 
also  die  Tiefe  der  letzteren  je  nach  der  Körperregion  wechselt,  wie  es  sich  aus 
einem  Vergleiche  der  eben  bezeichneten  Abbildungen  klar  ergibt*.  Am 
Schwanzende  ist  die  Tiefe  der  Medullarfurche  gering;  in  der  Mitte  des  Rückens 
und  beim  Uebergange  in  den  Kopftheil  nimmt  sie  merklich  zu,  indem  die 
Rücken wülste  in  dem  Masse  als  die  ursprüngliche  Rückenfläche  einsank,  sich 
heben.  Bis  zur  Mitte  des  Kopfes  flacht  sich  die  Medullarfurche  wieder  ab,  in- 
dem die  Hirnplatte  an  der  Knickungsstelle  gewissermassen  hervorgedrängt,  die 
Erhebung  und  Umwälzung  der  Wülste  zurückgehalten  wird.  In  der  vorderen 
Kopf  hälfte  erheben  sich  die  Wülste  wieder  bis  zu  ihrer  vorderen  bogenförmigen 
Vereinigung,  wo  ihre  Umwälzung  zugleich  am  stärksten  ausgebildet,  derGrund 
der  umschlossenen  Einrenkung  am  meisten  in  die  Tiefe  gedrückt  ist.  Jener 
hervortretende  mittlere  Theil  der  Hirnplatte  verdeckt  aber  den  Eingang  zu  der 
davor  und  darunter  entstandenen  Tasche  und  lässt  die  Richtung  und  Ausdeh- 
nung derselben,  mithin  die  starke  Umbiegung  der  Hirnplatte  leicht  übersehen. 
Da  nun  die  Rückenwand  des  Embryo  während  der  bisher  geschilderten  Ent- 
wickelung  in  ihrem  Dickendurchmesser  sich  nicht  wesentlich  verändert,  also 
ihre  Axe  sich  der  Oberfläche  analog  verhält,  so  kann  man  an  dem  medianen 


*  Ich  mache  darauf  aufmerksam,  dass  die  Querdurchschnitte  dieser  und  der  folgenden 
Entwickelungsstufe  (Taf.  V  Fig.  81  —  84)  noch  durchweg,  also  auch  in  der  vordersten  Kopf- 
region, senkrecht  zur  ursprünglichen  Rückenfläche,  d.  h.  zum  Mittelpunkte  des  embryonalen 
Körpers  radial  konvergirend  ausgeführt  worden  sind,  während  in  den  weiteren  Schnittreihen 
die  Schnittrichtungen  einander  alle  parallel  und  senkrecht  auf  der  Hauptaxe  ,  daher  aber  in 
der  vordersten  Kopfabtheilung  dem  rechtwinklig  abgebogenen  Axenabschnitte  parallel  stehen 


170  IV    Die  Sonderung  der  einzelnen  Organaalagen. 

Umrisse  der  letzteren  die  Umbildung  der  ursprünglichen  halbkreisförmigen 
Rückenaxe  verfolgen.  Wenn  diese  Bogenlinie  in  zwei  gesonderten  Abschnitten 
sich  gerade  streckt,  d.  h.  mit  den  betreffenden  Sehnen  zusammenfällt,  so  müssen 
diese  beiden  geraden  Linien  unter  einem  Winkel  zusammenstossen,  die  ganze 
ursprüngliche  Linie  ein  Knie  bilden.  Wenn  aber  der  hintere,  bedeutend  län- 
gere Schenkel  weiterhin  als  die  eigentliche  Rücken-  und  Körperäxe  gilt,  so 
darf  dabei  nicht  vergessen  werden,  dass  der  kurze  vordere  Abschnitt  nicht 
nachträglich  von  einer  bereits  geraden  Linie  abgebogen  wurde,  sondern  beide 
Theile  gleichzeitig  und  von  einander  unabhängig  entstanden,  und  ihr  späteres 
Verhältniss  zu  einander  aus  der  ursprünglichen  Bildung  der  sie  gemeinsam  um- 
fassenden Linie  hervorging. 

Es  bleibt  jetzt  noch  übrig,  an  der  Reihe  der  Querdurchschnitte  auf  einige 
Einzelheiten  aufmerksam  zu  machen.  Ich  habe  am  Rumpftheile  gezeigt,  dass 
die  lateralen  Hälften  der  Medullarplatten  längs  der  Kerben  der  Deckschicht 
zur  Umwälzung  nach  oben  abgebogen  werden-,  in  der  Kopfregion,  wo  jener 
Seitentheil  der  Hirnanlage  durch  die  Ablösung  der  Sinnesplatte  merklich  ver- 
schmälert wird,  geschieht  die  Abbiegung  gleichsam  nach  innen  von  der  ur- 
sprünglichen Kerbe,  indem  die  letztere  sich  medianwärts  zu  einer  breitern 
Bucht  erweitert,  und  so  dem  sich  erhebenden  Seitentheile  eine  grössere  Masse 
zutheilt.  Indem  nun  diese  Seitentheile  der  Hirnplatte  aufwärts  gekrümmt  wer- 
den und  zugleich  die  mit  ihrem  Rande  zusammenhängenden  Theile  des  obern 
Keimblattes  sich  steiler  erheben,  bilden  sich  dem  entsprechend  die  Wülste  aus, 
welche  aber  nicht  wie  im  Rumpftheile  bloss  eine  Falte  des  obern  Keimblattes 
darstellen,  sondern  in  ihrem  Innern  noch  die  vom  mittleren  Keimblatte  abstam- 
menden äusseren  Segmente  enthalten.  Es  wird  aber  hieraus  ersichtlich,  wie 
die  Wülste  am  Kopftheile  noch  viel  weniger  als  im  Rumpfe  bestimmte,  auf  ein 
Organ  oder  auch  selbst  ein  Organsystem  beschränkte  Anlagen  darstellen ;  und 
andererseits  enthalten  sie  keine  Organanlage,  weder  die  Hirn-  noch  die  Sinnes- 
platte oder  die  äusseren  Segmente  vollständig.  Mit  anderen  Worten,  die  Rücken- 
wülste mit  ihrer  Fortsetzung  im  Kopftheile  sind  keine  Embryonaltheile  im 
Sinne  einer  morphologischen  Gliederung  der  Keimblätter,  sondern  gehören 
bloss  dem  äusserlichen  Relief  des  embryonalen  Körpers  an,  welches,  an  sich 
ohne  Bedeutung,  nur  die  morphologisch  zufälligen  Aeusserungen  derGesammt- 
entwickelung  an  der  Oberfläche  zur  Anschauung  bringt.  Und  sowie  die  Wülste 
des  Kopftheils  nach  ihrer  Zusammensetzung  sich  von  denen  des  Rumpfes  unter- 
scheiden, so  stimmen  sie  auch  in  den  verschiedenen  Regionen  des  Kopfes  mit 


1.  Die  Leistungen  des  oberen  Keimblattes.  171 

einander  nicht  überein.  Denn  wenn  in  dem  hinteren  Kopfabschnitte  die  Sinnes- 
platte am  Fusse  des  Wulstes  liegen  blieb  und  diesen  in  Gemeinschaft  mit 
einem  zwischen  Sinnes-  und  Hirnplatte  allmählich  ausgezogenen ,  später  der 
Oberhaut  anheimfallenden  Verbindungsstücke  bedeckt,  so  ist  in  der  Seiten- 
region der  vorderen  Kopfhälfte  die  Sinnesplatte  bereits  theilweise  oder  ganz  mit 
der  Hirnplatte,  deren  Rande  sie  aufwärts  gefolgt  war  und  ihm  angeschmiegt 
blieb,  verschmolzen,  der  Wulst  also  nur  von  der  Oberhaut  überzogen  (vgl. 
Taf.  IV  Fig.  76).  Am  vordersten  Umfange  des  Kopftheils  dagegen  tritt  wieder 
ein  ähnliches  Verhältniss  wie  am  Hinterkopfe  auf,  indem  die  Sinnesplatte  nebst 
Theilen  der  Oberhautanlage  den  äussern  Abhang  des  Wulstes  bedeckt  {Taf.  II 
Fig.  34.  3,5).  —  Endlich  bemerke  ich  noch,  dass  der  centrale  Theil  der  Hirn- 
platte durch  die  Umrollung  ihrer  Ränder  nach  oben  seine  konvexe  Oberfläche 
verloren  und  ebenso  an  der  unteren  Fläche  sich  geebnet  hat.  An  der  letzteren 
zeigt  sich  im  vorderen  Abschnitte  eine  leichte  mediane  Furche,  welche  durch 
einen  Vorsprung  der  sonst  dünnen  Unterlage  des  mittleren  Keimblattes  hervor- 
gebracht wird  und  mit  dem  letzteren  alsbald  wieder  schwindet. 

Fünfte  Entwicklungsstufe  (Taf. II Fig. 36. 37,  Taf.III Fig.43— 
45,  Taf  IV  Fig.  76  —  78 ,  Taf.  V  Fig.  81  —  92).  Sie  umfasst  den  Abschluss  der 
Umbildung  der  Hirnplatte  zu  einem  hohlen,  retortenförmigen  Gebilde,  welches 
sich  mit  dem  offenen  Röhrenschenkel  unmittelbar  an  die  Rückenmarksröhre 
anschliesst  und  in  seinen  letzten  embryonalen  Bildungsstadien  mit ,  derselben 
ebenso  wie  früher  im  wesentlichen  übereinstimmt.  Die  Seitentheile  der  Hirn- 
platte krümmen  sich  über  der  zwischen  ihnen  liegenden  Furche,  der  Anlage  der 
künftigen  Hirnhöhlen,  gegen  einander  und  verwachsen  endlich  in  einer  Naht, 
welche  eine  Fortsetzung  derjenigen  des  Rumpftheils  ist.  Während  sie  sich  dazu 
anschicken,  vertheilt  sich  die  Zellenmasse  gleichmässig  durch  die  ganze  Hirn- 
platte, sodass  die  einseitigen  Verdickungen  schwinden  und  die  Wülste,  welche 
auf  der  vorhergehenden  Entwickelungsstufe  noch  in  eine  obere  Kante  ausliefen, 
sich  abrunden.  Was  die  Form  des  sich  schliessenden  Hirns  betrifft,  so  wechselt 
dieselbe  je  nach  den  einzelnen  Regionen.  In  der  hinteren  Hälfte  zieht  sich  die 
Hirnplatte  über  den  ansehnlichen  Segmentplatten  und  zwischen  den  starken 
äusseren  Segmenten  bedeutend  zusammen,  wird  unverhältnissmässig  dick  und 
verliert  dabei  äusserlich  alle  Kanten ;  nur  mit  Rücksicht  auf  die  Uebergangs- 
formen  vom  Rückenmark  her  kann  man  auch  an  der  hinteren  Hirnhälfte  von 
einem  herzförmigen  Querdurchschnitte  sprechen,  während  die  Lichtung  rund 
oder  querelliptisch  erscheint.     Von  dort  an,  wo  die  Hirnaxe  nach  unten  um- 


172  IV.  Die  Sonderling  der  einzelnen  Orgänanlagen. 

biegt,  wird  die  Unterlage  der  Hirnplatte  sehr  dünn,  der  centrale  Theil  derselben 
nimmt  an  der  seitlichen  Aufkrümmung  wenig  Antheil  und  die  Abbiegimg  der 
lateralen  Theile  tritt  wieder  deutlich  hervor,  sodass,  wenn  auch  äusserlich 
gerade  keine  Kanten  an  der  Platte  erscheinen,  doch  der  von  ihr  eingeschlossene 
Kanal  einen  rautenförmigen  Durchschnitt  erhält  (Taf.  IV  Fig.  76 —  78).  Je 
weiter  nach  unten,  desto  mehr  springt  die  Uebergangsstelle  vom  centralen  zum 
lateralen,  den  Kanal  median wärts  überdeckenden  Theile  auf  den  Seiten  vor, 
und  verbreitert  sich  die  flache  Hirnbasis  sowie  auch  der  innere  Kanal,  sodass 
der  rautenförmige  Querschnitt  in  seitliche  Zipfel  ausgezogen  wird.  Man  macht 
sich  vielleicht  die  beste  Vorstellung  von  dieser  Bildung  der  vorderen  nach 
unten  abgebogenen  Hirnhälfte,  wenn  man  sich  die  Retortenform,  womit  bereits 
Rttsconi  das  junge  embryonale  Hirn  verglich,  von  vorn  her  abgeplattet  und 
dadurch  das  blinde  Ende  verbreitert  denkt.  Ein  zur  Körperaxe  senkrechter 
Durchschnitt  dieser  vorderen  Hirnpartie,  welcher  also  parallel  zur  Basis  der 
letzteren  geführt  wird,  liefert  einen  beiläufig  dreieckigen  Umriss  derselben  und 
der  von  ihr  eingeschlossenen ,  von  vorn  nach  hinten  jedoch  noch  sehr  engen 
Höhle.  —  Mit  allen  angeführten  Unterschieden  der  vorderen  und  hinteren  Hirn- 
hälfte, welche  beide  durch  die  Umbiegungsstelle  geschieden  werden ,  hängt  das 
Verhalten  der  Sinnesplatte  aufs  innigste  zusammen.  Schon  auf  der  vorigen 
Entwicklungsstufe  war  dieselbe  zur  Seite  der  vorderen  Hirnhälfte  spurlos  in 
die  Seiten  theile  des  Hirns  aufgenommen,  während  sie  sowohl  am  vordersten 
Ende  als  auch  zur  Seite  der  hinteren  Hirnhälfte  bestehen  bleibt.  Wo  an  der  erst- 
genannten Stelle  die  breitere  Hirnbasis  sich  der  gleichmässigen  Auf  krümmung 
der  ganzen  Hirnanlage  widersetzt,  da  ergänzt  die  Sinnesplatte  die  Seitentheile 
des  Hirns  und  ermöglicht  dessen  seitliche  Ausweitung  (vgl.  Fig.  76) ;  aus  diesen 
beiderseitigen  Vorragungen  entstehen  endlich  die  Augenblasen,  d.  h.  die  An- 
lagen der  nervösen  Theile  des  Sehapparats  oder  der  Netzhaut ;  die  vom  Hirne 
nicht  absorbirte  Sinnesplatte  producirt  aber  vorne  und  unten  am  Kopfe  die 
Geruchsplatten,  am  Hinterkopfe  aber  die  Ohrbläschen,  beides  gleichfalls  die 
nervösen  Grundlagen  der  betreffenden  Sinnesorgane. 

Die  weiteren  Umbildungen  des  Hirns  gehören  nicht  mehr  zu  den  hier 
betrachteten  grundlegenden  Entwickelungsvorgängen ;  doch  sei  noch  bemerkt, 
da ss  seine  Masse  sich  in  der  Folge  ebenso  wie  beim  Rückenmarke  auf  zwei 
Seitenhälften  vertheilt,  welche  oben  und  unten  nur  durch  dünne  Verbindungs- 
stücke zusammengehalten  werden.  Die  eingeschlossene  Höhle  verändert  sich 
alsdann  ähnlich  wie  der  Centralkanal  des  Rückenmarks. 


1.  Die  Leistungen  des  oberen  Keimblattes.  1  73 

4 

Der  Schwan ztlieil  der  Axenplatte. 

In  ihrem  hintersten  Abschnitte  entwickelt  sich  die  Axenplatte  niemals 
bilateral;  derselbe  ist  vielmehr  gewissermassen  die  ungetheilte  Wurzel  der 
beiden  Med ullarplatten,  deren  Bildung,  wie  mir  scheint,  hinten  etwas  früher 
anfängt  als  vorne,  also  von  jenem  ungetheilten  Schwanztheile  nach  vorne  fort- 
schreitet. Am  hintersten  Ende  geht  der  Schwanztheil  der  Axenplatte  in  die 
verdickte  ringförmige  Falte  über,  durch  welche  im  Randwulste  der  RuscoNi'schen 
Oeffnung  die  Deckschicht  des  oberen  Keimblattes  mit  dem  mittleren  zusammen- 
hängt (Taf.  II  Fig.  33  —  35,  Taf.  III  Fig.  39.40).  Wenn  nun  jeneOeffnung  sich 
zu  einer  Spalte  zusammenzieht,  deren  Richtung  in  die  Medianebene  des  künftigen 
Embryo  fällt,  so  wird  die  bezeichnete  Falte  in  zwei  parallelen  Schenkeln  längs 
jener  Spalte  verlaufen,  an  deren  beiden  Enden  die  Schenkel  sich  vereinigen. 
Wo  dies  gegen  den  Rücken  hin  geschieht,  geht  aus  der  verdickten  Falte  in  der 
oberen  Schicht  eben  der  Schwanztheil  der  Axenplatte,  in  der  tieferen  der  Axen- 
theil  des  mittleren  Keimblattes  hervor  {Taf.  IV  Fig.  69.  70.  70—78,  Taf.  V 
Fig.  95 — 97).  Jenes  Anfangsstück  der  Axenplatte  ist,  nachdem  es  durch  Zellen- 
anhäufung von  den  Seiten  und  wohl  auch  von  hinten  her  gewachsen,  an  der 
unteren  Fläche  konvex,  schärft  sich  an  den  Seiten  gegen  die  übrige  Ausbreitung 
der  Grundschicht  zu  und  besitzt  an  der  übrigens  ebenfalls  konvexen  Oberfläche 
gemeinsam  mit  der  allmählich  sich  anpassenden  äusseren  Schicht  eine  mediane 
Rinne,  welche  aus  der  spaltförmig  zusammengezogenen  RuscoNi'schen  Oeffnung 
hervorkommt.  Diese  Rinne  ist  aber  nach  ihrer  Genese  durchaus  nicht  für  den 
Anfang  der  Rückenrinne  zu  halten;  denn  sie  ist  nicht  der  oberflächliche  Aus- 
druck für  eine  mediane  Einbiegung  der  ganzen  Platte.  Auch  findet  man  eine 
ähnliche  Rinne  an  der  unteren  inneren  Wand  des  Rückens,  ferner  am  entgegen- 
gesetzten Ende  der  Spalte  und  zuweilen  selbst  an  ihren  Seitenrändern  kleinere 
Runzeln;  sodass  ich  zur  Annahme  geneigt  bin,  dass  alle  jene  Rinnen  und 
Runzeln  rein  mechanisch  aus  derZusammenziehung  eines  kreisförmigen  Wulstes 
zu  Rändern  einer  Spalte  erfolgen.  Natürlich  gleichen  sie  sich  alsbald  aus,  nur 
lässt  sich  dieses  an  der  medianen  Rinne  im  Schwanztheile  der  Rückenmarks- 
anlage nicht  gut  beobachten,  da  die  Seitentheile  derselben  nicht  etwa  in  einigem 
Abstände  von  der  Medianebene,  sondern  ziemlich  unmittelbar  neben  derselben 
sich  zu  der  hinteren  Verlängerung  der  Rückenwülste  erheben,  sodass  der  letzte 
Abschnitt  der  Medullarfurche  von  Anfang  an  eigentlich  spaltförmig  und 
scheinbar  eine  blosse  Vertiefung  der  früheren  Rinne  ist,     Dieser  Schein  wird 


174  lv~-  Die  Sonderung  der  einzelnen  Organanlagen. 

noch  dadurch  gefördert,  dass  die  Rückenwülste  daselbst  bei  der  gleichmässigen 
Entwickeln ng  der  Segmentplatten  nach  den  Seiten  hin  kaum  merklich  aus  der 
Körperoberfläche  vorragen.  Die  Medullarfurche  mündet  also  am  Schwanzende 
unmittelbar  in  die  spaltförmige  RuscoNrsche  Oeffnung,  und  die  zugehörigen 
Theile  der  Rückenwülste  erscheinen  als  Fortsetzungen  des  jene  Oeffnung  um- 
schliessenden  Randwulstes  (Taf.  III  Fig.  40).  Aus  diesem  Zusammenhange 
erhellt  es,  wie  die  endlich  erfolgende  Kontinuitätstrennung  zwischen  dem 
hintersten  Ende  derMedullarplatten  und  dem  mit  ihnen  ursprünglich  zusammen- 
hängenden mittleren  Keimblatte,  welche  durch  die  ursprüngliche  Verbindungs- 
falte  bis  zur  oberflächlichen  Zellenlage  *  vordringt,  auch  seitlich  von  der  Spalte 
in  den  Randwulst  sich  hineinziehen  und  jederseits  eine  kurze  Fortsetzung  je 
einer  Rückenmarkshälfte  erzeugen  kann  (vgl.  Fig.  70.  78).  Diese  Thatsache  er- 
klärt aber  die  bereits  von  v.  Baer  erwähnten  monströsen  Bildungen  (No.  8  Bd.  II 
S.  285),  wobei  die  RuscoNi'sche  Oeffnung  sich  zwischen  den  Rückenwülsten  be- 
findet. Im  hinteren  Abschnitte  schliesst  sich  nun  die  Medullarfurche  zu  aller- 
erst, sodass  der  Centralkanal  des  Rückenmarks  bis  in  die  RuscoNi'sche 
Oeffnung  hinein  überdeckt  wird,  daselbst  aber  zunächst  in  den  Raum,  den  der 
Dotterpfropf  vor  kurzer  Zeit  einnahm,  und  damit  in  die  eigentliche  Darmhöhle 
selbst  einmündet.  Indem  nun  die  RuscoNi'sche  Oeffnung  vom  Rücken  her 
abwärts  verwächst,  besteht  für  einige  Zeit  gleichsam  ein  doppelter  Ausgang 
dieses  spaltförmigen  Raumes :  oben  vermittelt  sie  den  ebengenannten  bogen- 
förmigen Uebergang  des  Centralkanals  des  Rückenmarks  in  die  Darmhöhle, 
unten  mündet  sie  noch  frei  nach  aussen  (Taf.  II  Fig.  36.  37).  Bald  obliterirt 
aber  diese  letztere  Mündung  vollends,  und  der  ganze  innere  Spaltraum  zieht 
sich  zu  einem  kurzen  Kanäle  zusammen ,  welcher  unmittelbar  unter  dem 
Schwanzende  des  Rückens  gelegen  und  von  einer  Fortsetzung  des  Darmblattes 
ausgekleidet,  wie  ein  ausgezogener  Zipfel  der  Darmhöhle  erscheint,  während 
das  daranstossende  Röhrenstück,  welches  halbkreisförmig  das  Ende  der  Wirbel- 
saite umgibt,  und  in  dessen  Umfange  die  dünnen  Ausläufer  der  Axenplatte  sich 
an  die  innere  Auskleidung  anschliessen ,  eben  desswegen  als  Fortsetzung  des 
Rückenmarks  betrachtet  werden  kann.  Aus  den  Abbildungen  Fig.  36  —  38 
wird  es  vollkommen  erhellen,  wie  das  Schwänzende  des  Rückens  mit  den  eben 


*  Es  ist  hier  diejenige  einfache  Zellenlage  gemeint,  welche  den  Randwulst  der 
RuscoNi'schen  Oeffnung  überziehend,  die  Verbindung  zwischen  der  Deckschicht  des  oberen 
Keimblattes  und  dem  Darmblatt  herstellt,  aber  noch  nicht  bestimmt  dem  einen  oder  andern 
Theile  zugezählt  werden  kann 


1.  Die  Leistungen  des  oberen  Keimblattes.  175 

beschriebenen  Theilen  zum  Schwänze  der  Larve  auswächst,  in  welchem  also 
nicht  nur  eine  Fortsetzung  der  Rückenanlagen,  Rückenmark,  Rückenmuskeln 
u.  s.  w.,  sondern  auch  der  fundamentalen  Bauchanlage,  nämlich  des  embryonalen 
Darmes  enthalten  ist,  wobei  die  beschriebene  Kommunikation  von  Rückenmark 
und  Darm  am  Ende  der  Wirbelsaite  noch  längere  Zeit  bestehen  bleibt. 

Ich  will  hier  das  Ergebniss  der  Untersuchungen  über  die  Umbildung  der 
Axenplatte  kurz  zusammenfassen.  Dieselbe  entsteht  im  Anschlüsse  an  den 
Randwulst  der  RuscoNi'schen  Oeffnung  und  breitet  sich  rasch  vorwärts  über 
den  Rücken  aus,  wobei  ihre  Seitentheile  besonders  anschwellen.  Indem  ihre 
Gestalt  durch  die  Ausladung  am  Vorderende  birnförmig  wird,  werden  zwei 
Hauptabschnitte  geschaffen,  ein  beinahe  kreisförmiger  Kopf-  und  ein  schmälerer 
Rumpftheil;  jener ;  durch  Breite  und  Mächtigkeit  ausgezeichnet,  zeigt  ein 
ziemlich  gleichmässiges  Centrum  und  einen  mehr  als  halbkreisförmigen  stark 
verdickten  Rand,  während  im  schmächtigeren  Rumpftheile  die  seitlichen  An- 
schwellungen so  nahe  zur  Medianebene  zusammengerückt  sind,  dass  sie  als 
Seitenhälften  der  ganzen  Platte  erscheinen.  Der  äusserste  Saum  des  Kopftheils 
sondert  sich  als  Sinnesplatte  vom  Centrum  oder  der  Hirnplatte  ab,  welche 
daher  dem  Rumpftheile  oder  den  Medullarplatten  nicht  ganz  gleichwertig  ist, 
aber  mit  derselben  die  gleiche  Weiterentwickelung  erfährt.  Diese  letztere 
besteht  in  einer  Aufkrümmung  und  Umwälzung  der  Seitentheile  gegen  die 
Medianebene,  und  in  einer  Verwachsung  der  über  der  eingeschlossenen  Rücken- 
furche zusammenstossenden  Ränder,  während  welches  Vorgangs  die  Deckschicht 
mit  den  darunter  befindlichen  Theilen  der  Grundschicht  zu  einer  einheitlichen 
Masse  verschmilzt.  So  entsteht  eine  Röhre,  welche  ihrer  Anlage  entsprechend 
von  hinten  nach  vorne  an  Mächtigkeit  zunimmt;  bevor  sie  aber  vollendet  wurde, 
änderte  sich  die  ursprünglich  angelegte  Richtung  ihres  Verlaufs,  indem  die 
nach  aussen  konvexe  Axe  des  ganzen  Rumpftheils  bis  in  die  Mitte  des  Kopfes 
hinein  sich  gerade  streckte  und  sogar  konkav  wurde,  *  während  das  kurze  Stück 


*  Diese  vorübergellende  konkave  Krümmung  des  Rückens  ist  eine  durchaus  zufallige, 
sicherlich  sehr  wenig  bedeutsame  Erscheinung.  Denn  nicht  nur  unterscheiden  sich  so  nahe 
verwandte  Thiere,  wie  der  Frosch,  die  Unke,  die  gemeine  und  die  Knoblauchkröte,  durch 
jene  Rückenkrümmung  ihrer  Embryonen,  sodass  die  konkave  Rückenaxe  bei  den  beiden 
ersten  Arten  vorkommt,  während  die  Krötenembryonen  eine  geradlinige  besitzen;  sondern 
auch  die  Embryonen  desselben  Thieres  wechseln  in  ziemlich  weiten  Grenzen  die  betreffende 
Form,  sodass  die  Rückenaxe  mancher  Unkenembryonen  der  geraden  Linie  viel  näher 
'steht,  als  der  gewöhnlichen  starken  Krümmung.  Wenn  ich  aber  jener  Erscheinung  keinen 
besonderen  Werth  beilege,  so  dürfte  sie  immerhin  für  eine  etwaige  Diagnose  der  Embryonen 
ihren  Werth  haben. 


17f)  IV.  Die  Sonderling  der  einzelnen  Organanlagen. 

der  vorderen  Kopfhälfte  sich  beinahe  rechtwinkelig  abwärts  bog.  Dies  gab 
Veranlassung  das  Centralnervensystem  der  jungen  Batrachierlarven  mit  einer 
Retorte  zu  vergleichen,  obgleich,  wie  ich  zeigte,  das  vordere  umgebogene  Ende 
nicht  blasig  aufgetrieben,  sondern  von  vorne  nach  hinten  zusammengedrückt 
erscheint.  Da  die  Medullarfurche  gegen  das  Schwanzende  hin  sich  immer  mehr 
verengernd  in  die  RuscoNi'sche  Oeffnung  mündete,  so  konnte  durch  eine 
Fortsetzung  der  beschriebenen  Röhrenbildung  bis  in  jene  Oeffnung  hinein  eine 
vollständig  bedeckte  Verbindung  des  Centralkanals  des  Rückenmarkes  mit  der 
Darmhöhle  sich  entwickeln,  sodass  späterhin  beide  Hohlräume  an  der  Schwanz- 
spitze  mit  einander  kommuniciren. 


Wie  sich  aus  den  im  Eingange  dieses  Abschnittes  mitgetheilten  Auszügen 
ergibt,  ist  bei  den  Untersuchungen  über  die  erste  Entwickelnng  des  Central- 
nervens)Tstems  der  Batrachier  die  Untersuchungsmethode  der  älteren  For- 
schung, welche  bloss  die  äusseren  Erscheinungen  verfolgte  und  aus  deren 
Veränderungen  auf  die  innere  Entwickelnng  schloss,  bis  in  die  neueste  Zeit 
mit  wenigen  Ausnahmen  (Stricker,  v.  Bambecke)  massgebend  gewesen. 
Daraus  erklärt  sich,  dass  alle  jene  Darstellungen  weniger  deutlichen  Wahr- 
nehmungen als  mehr  oder  weniger  glücklichen  Annahmen  über  den 
eigentlichen  Zusammenhang  der  Erscheinungen  entsprangen.  —  Das  äussere 
Relief  am  Rückentheile  des  Eies  wurde  bereits  von  Prevost  und  Dumas 
grösstenteils  richtig  erkannt  und  von  deren  Nachfolgern  in  ähnlicher  Weise 
beschrieben.  Die  Entstehung  dieses  Reliefs  durch  die  Bildung  des  Axenstranges 
und  der  Axenplatte  blieb  aber  unbekannt,  was  sich  am  klarsten  daraus  ergibt, 
dass  die  Beschreibungen  mit  der  schildförmigen  Erhebung  der  Oberfläche  und 
mit  der  Rückenrinne,  also  schon  verhältnissmässig  vorgerückten  Entwicklungs- 
stufen beginnen.  Dies  gilt  auch  für  den  v.  BAER'schen  Primitivstreif;  denn 
wenn  derselbe  eine  Verdickung  des  Keimes,  also  des  ganzen  Rückentheils  unter- 
halb der  Rückenrinne  sein  soll,  so  kann  er  gerade  desshalb  nicht  mit  meinem 
Axenstrange  verglichen  werden,  der  weder  eine  Vorragung  des  Rückentheils 
gegen  die  Darmhöhle  hervorruft,  noch  überhaupt  den  ganzen  Rückentheil 
umfasst  und  endlich  bis  zum  Erscheinen  der  Rückenrinne  gar  nicht  bestehen 
bleibt.  Der  Primitivstreifv.  Baer's  bedeutet  also  nur  ganz  allgemein  die  mediane 
Verdickung    des    bereits    in    die   wichtigsten  Embryonalanlagen    gegliederten 


1.  Die  Leistungen  des  oberen  Keimblattes.  177 

Rückentheils,  ist  daher  ebenso  wenig  wie  etwa  die  Rückenrinne  eine  besondere, 
an  sich  bedeutsame  Bildung.  Was  nun  die  Anlage  des  Centralnervensytems 
betrifft,  so  haben  nur  Prevost  und  Dumas  und  nachher  Baumgärtner  eine 
ursprünglich  unpaare  Entstehung  desselben,  aber  ganz  irrig  nur  in  der  Mittel- 
linie seiner  eigentlichen  Anlage  oder  der  Axenplatte  beschrieben;  die  meisten 
übrigen  Embryologen  erklärten  dagegen  die  Rückenwülste  entweder  theilweise 
oder  im  ganzen  für  die  getrennt  paarigen  Anlagen  des  Centralnervensystems. 
Dies  ist  allerdings  verständlich  bei  denjenigen  Embryologen,  welche  das  letztere 
irgendwie  sich  von  seiner  Unterlage  abblättern  lassen.  Doch  muss  jene  Auf- 
fassung bei  Remak  Wunder  nehmen,  welcher  am  Hühnerembryo  die  Anlagen 
der  Haut  und  des  Centralnervensystems  als  in  der  Fläche  zusammenhängende 
Abschnitte  des  oberen  Keimblattes  richtig  erkannt  hatte.  Wenn  er  daher  die 
Anlagen  des  Centralnervensystems  der  Batrachier  gerade  so  wie  Reichert 
beschreibt,  als  gesonderte  nur  durch  eine  vergängliche  Verbindungshaut  zu- 
sammenhängende dicke  Streifen,  welche  eben  die  soliden  „Medullarwülste" 
bilden  (vgl.  Remak's  Fig.  8  Taf.  XII)  *,  so  bezeugt  er  dadurch ,  dass  auch  er 
seine  Darstellung  ebenso  wenig  wie  seine  Vorgänger  auf  eine  vollständige  innere 
Untersuchung  gründete,  vielmehr  die  vor  ihm  bestandene  Auffassung  nur  seiner 
Keimblättertheorie  anzupassen  suchte.  Gegenüber  solchen  Anschauungen 

muss  ich  wiederholt  darauf  hinweisen,  1.  dass  die  Rückenwülste  nicht  die 
vollständige  Rückenmarksanlage,  sondern  nur  die  lateralen  Theile 'derselben, 
daneben  aber  noch  andere  Anlagen  selbst  aus  zwei  Keimblättern  enthalten ; 

2.  dass  diese   ihre  Zusammensetzung  während   der  Entwickelung  wechselt; 

3.  dass  also  die  Rückenwülste  gar  keine  bestimmten  und  besonderen  Embryonal- 
anlagen sind,  sondern  ähnlich  dein  Primitivstreif  und  der  Rückenrinne  zu  dem 
äusseren  und  beständig  wechselnden  Relief  des  Embryo  gehören,  welches  bald 
diesem,  bald  jenem  Keimblatte,  hier  einem  inneren  Hohlraum,  dort  einer  soliden 
Bildung  seine  Entstehung  verdankt,  daher  auch  in  der  neueren  Entwickelungs- 
geschichte  nur  eine  untergeordnete  Bedeutung  haben  kann.  Denn  mochten 
auch  jene  äusseren  Erscheinungen  als  die  ersten  Anhaltspunkte  für  die  Orien- 
tirung  in  der  unendlich  mannigfaltigen  Gesammtentwickelung  während  der 


*  Diese  Abbildung  soll  „nicbt  scbematisch,  sondern  nacb  der  Natur  angefertigt"  sein. 

Wenn  man  aber  erfährt,  dass  sie  nur  nach  einer  beleuchteten  Schnittfläche,  nicht  nach  einem 

durchsichtigen  mikroskopischen  Schnitte  gezeichnet  wurde  (vgl.  No.  40  S.  XXXV) ,  so  sind 

die  Mängel  der  Untersnchungsmethode  hinlänglich  gekennzeichnet,  um  die  Irrthümer  der 

Beobachtung  zu  verstehen. 

12 

Goette,  Entwickelungsgeschichte. 


178  IV.  Die  Sonderling  der  einzelnen  Organanlagen. 

Wiegenzeit  unserer  Wissenschaft  einen  bedeutenden  Wertii  haben,  so  sollten  sie 
doch  heutigen  Tages,  wo  man  jene  Orientirung  nicht  mehr  braucht,  auch  in  der 
Darstellung  gegenüber  den  eigentlichen  Faktoren  der  morphologischen  Ent- 
wickelung, den  Keimblättern  und  Embryonalanlagen,  zurücktreten  und  als  der 
gleichsam  zufällige,  äusserlich  sichtbare  Ausdruck  von  den  Umbildungen  der- 
selben sich  nur  nebenher  ergeben.  —  Ist  nun  die  Auffassung  von  einer  getrennt 
paarigen  Anlage  des  Centralnervensystems  durchaus  unstatthaft,  so  ist  anderer- 
seits die  doppelseitig  symmetrische  Anordnung  in  der  unpaaren  Axenplatte 
davon  wesentlich  zu  unterscheiden.  Ich  verweise  hierbei  auf  das  in  der  Be- 
schreibung Gesagte,  woraus  klar  hervorgeht,  dass  die  ganze  Axenplatte  in  die 
Bildung  des  Centralnervensystems  und  der  höheren  Sinnesorgane  eingeht,  und 
von  zwei  getrennten  Seitentheilen,  einer  vergänglichen  Verbindungshaut  und 
der  nachträglichen  Verschmelzung  jener  nicht  die  Rede  sein  kann. 

Gesondert  von  den  übrigen  Darstellungen  muss  ich  diejenigen  von  Stricker 
und  v.  Bambecke  betrachten,  da  diese  Forscher,  wie  erwähnt,  die  äusseren 
Erscheinungen  aus  den  Umbildungen  der  Embryonalanlagen  zu  erklären  suchten. 
Stricker  hat  zu  einem  besonderen  Zwecke  einige  aus  dem  Zusammenhange 
herausgerissene  Durchschnitte  meist  der  Kopfgegend  abgebildet*;  was  daraus 
über  die  Anlage  des  Centralnervensystems  ersichtlich  ist,  ist  nach  Abbildung 
und  Erklärung  richtig,  hat  aber  ohne  die  Anknüpfung  an  Vorhergehendes  und 
Nachfolgendes  keinen  sonderlichen  Werth,  wie  es  denn  auch  gegenüber  dem 
eigentlichen  Thema,  der  Entwickelung  gewisser  Knochen  und  Muskeln  des 
Kopfes,  nur  nebensächlich  behandelt  ist.  —  Gleich  Stricker  hat  v.  Bambecke 
wesentlich  Durchschnitte  bei  durchfallendem  Lichte  untersucht,  abgebildet  und 
beschrieben.  Aber  seine  Resultate  stimmen  so  wenig  mit  denen  aller  übrigen 
Beobachter  überein,  dass  man  nur  die  Wahl  hat  anzunehmen,  entweder,  dass 
Pelobates  fuscus  in  der  Entwickelung  des  Centraluervensystems  nicht  nur  von 
den  übrigen  Batrachiern,  sondern  von  den  Wirbelthieren  überhaupt,  so  weit 
ihre  Entwickelung  bekannt  ist,  sich  wesentlich  unterscheide,  oder  dass  die 
Präparate  durch  die  Behandlung  entstellt  waren. 

Beiläufig  sei  hier  noch  bemerkt,  dass  die  irrthümlichen  Angaben  über  die 


*  DieFlächenbildcr,  welche  Stricker  bei  durchfallendem  Lichte  erhielt  (Nr.  55  Fig.  5. 6), 
haben  nach  meiner  Ansicht  an  sich  gar  keinen  Werth,  da  sie  gerade  so  wie  die  äusseren 
Gestaltveränderungen  das  Urtheil  nur  irre  führen  können.  Zur  Unterstützung  der  Quer- 
durcbschnitte,  um  die  Form  der  Embryonen  auch  in  der  Längsrichtung  des  Embryo  kennen 
zu  lernen,  sind  alter  die  borizontalcn  und  sagittalen  Durchschnitte  viel  zweckmässiger. 


*  1.  Die  Leistungen  des  oberen  Keimblattes.  179 

frühzeitige  Entwickelung  der  Hirnabtheilungen  auf  der  schon  gerügten  ober- 
flächlichen Deutung  des  äusseren  Reliefs  beruhen.  Bei  einem  Vergleiche  meiner 
Abbildungen  (Taf.  III  Fig.  43. 44.  50.  51.  Taf.  V  Fig.  81.  82.  85. 88  —  91)  mit 
denen  Remak's  (Taf.  X  Fig.  6.8)  überzeugt  man  sich  leicht,  dass  die  äusseren 
Vorragungen  der  Hirngegend  nicht  gesonderten  Erweiterungen  des  Hirns, 
sondern  den  in  den  Wülsten  eingeschlossenen  äusseren  Kopfsegmenten,  also 
Theilen  des  mittleren  Keimblattes  ihre  Entstehung  verdanken,  während  die 
Hirnröhre  (mit  Ausnahme  der  Augenblasen)  selbst  nach  ihrer  Vollendung  noch 
gleichmässig  verläuft  (vgl.  Taf.  VI  Fig.  08). 

Alle  eingehenden  Beobachtungen  meiner  Vorgänger  über  den  Ursprung 
der  drei  höheren  Sinnesorgane*  stimmen  darin  überein:  1.  dass  die  letzteren 
von  dem  oberen  Keimblatte  abstammen,  2.  dass  sie  aus  isolirten  Anlagen  her- 
vorgehen und  zwar  3.  das  Auge  aus  dem  Hirn**,  Ohr  und  Geruchsorgan  aus  der 
übrigen  Ausbreitung  des  Keimblattes  oder  der  Oberhautanlage.  Die  genetische 
Bedeutung  der  Sinnesorgane  widerspräche  darnach  durchaus  der  allgemein 
giltigen  Auffassung,  dass  jene  Sinnesorgane  einander  koordinirt  seien;  denn 
offenbar  stände  das  Auge  dem  Centralnervensy stem  viel  näher  als  das  Ohr  und 
das  Geruchsorgan,  deren  Anlage  zu  jenem  System  keine  nähere  genetische  Be- 
ziehung hätte  als  die  übrigen  Erzeugnisse  des  oberen  Keimblattes.  Aus  meinen 
Untersuchungen  geht  aber  hervor,  dass  die  bisherigen  Beobachtungen  unvoll- 
ständig und  daher  die  aus  ihnen  gezogenen  Schlüsse  falsch  sind.  Zunächst  ist 
in  der  Sinnesplatte  eine  gemeinsame,  überall  gleichmässige  Grundanlage  für 
die  drei  höheren  Sinnesorgane  gegeben ;  ferner  aber  entwickelt  sich  diese  nicht 
gleich  vom  Anfang  an  isolirt  in  dem  oberen  Keimblatte,  sondern  bildet  zuerst 
gemeinsam  mit  der  Anlage  des  Hirnes  den  Kopftheil  der  Axenplatte,  welcher 
rückwärts  in  den  ungesonderten  Rumpftheil  oder  die  Anlage  des  Rückenmarkes 
übergeht.  Man  könnte  also  sagen,  die  3  höheren  Sinnesorgane  wären  Theile 
des  Gehirnes,  welche  sich  allmählich  vom  Mutterboden  absondern  und  selbst- 


'  Wie  ich  schon  in  der  Beschreibung  erwähnte,  sind  unter  den  hier  besprochenen  An- 
lagen der  Sinnesorgane  die  Hülfsapparate  (Glaskörper,  Linse  u.  s.  w.)  nicht  mit  einbe- 
griffen. 

**  Da  bereits  Remak  darauf  hingewiesen  hat  (Nr.  40  S.  148),  dass  Rusconi  ganz  offen- 
bar die  Anlage  der  Augenblasen  mit  derjenigen  des  Geruchsorganes  verwechselte,  so  will  ich 
darauf  nicht  noch  einmal  zu  sprechen  kommen.  Ebenso  ist  die  Angabe  Reichert's  über  den 
Ursprung  der  Sinnesorgane  aus  dem  Gehirne  zu  unbestimmt,  um  überhaupt  berücksichtigt 
werden  zu  können,  zumal  sie  durchaus  unrichtig  ist,    wie  er  denn  auch  die  Anlage  des 

Auges  hinter  dem  abgebogenen  Hirntheile  sieht  (Nr  22  Taf.  II  Fig.  6.7). 

12* 


28Q  IV.    Die  Sonderung  der  einzelnen  Organanlagen. 

ständig  werden,  indem  sich  die  betreffenden  Zellenmassen  an  gewissen  Stellen 
koncentriren  und  dadurch  indifferente  Theile  des  oberen  Keimblattes,  welche 
später  der  Oberhaut  anheimfallen,  zwischen  jenen  Anlagen  und  dem  Hirne  zu- 
rückbleiben. Man  könnte  noch  dazu  bemerken,  dass,  da  die  Sinnesplatte  rück- 
wärts in  die  Ränder  der  Medullarplatten  übergeht,  die  Sinnesorgane  für  das 
Hirn  eine  ähnliche  Bedeutung  haben  dürften  wie  die  hinteren  Stränge  des 
Rückenmarkes  oder  wenigstens  Theile  von  ihnen  für  das  letztere.  Wenn  man 
jedoch  hier  über  die  Andeutung  zunächst  noch  nicht  hinausgehen  kann,  so  bietet 
sich  die  Möglichkeit,  eine  andere  Schwierigkeit  mit  mehr  Erfolg  zu  überwinden; 
ich  meine  die  Ausnahme,  welche  das  Auge  von  der  eben  vorgetragenen  Lehre 
scheinbar  macht.  Die  von  mir  mitgetheilten  Beobachtungen  besagen  bloss, 
dass  der  mittlere  Theil  jeder  Seitenhälfte  der  Sinnesplatte  sich  niemals  von  der 
Hirnplatte  trenne,  sondern  wieder  mit  ihr  vollständig  verschmelze,  und  dass 
im  Bereiche  dieser  Verschmelzimg  die  Augenblase  scheinbar  als  Ausstülpung 
des  Hirnes  entstehe.  Ich  gestehe,  dass,  da  jene  Verschmelzung  erfolgt  ohne 
Spuren  der  früheren  Sonderung  zu  hinterlassen,  es  nur  für  höchstwahrscheinlich, 
nicht  aber  ohne  weiteres  für  eineThatsache  gelten  kann,  dass  dieAugenblase  eben 
aus  jenem  in  das  Hirn  aufgenommenen  Abschnitte  der  Sinnesplatte  hervorgehe. 
Erst  aus  der  Entwickelungsgeschichte  der  Knochenfische  habe  ich  den  empirischen 
Beweis  dafür  entnommen,  was  bei  den  Batrachiern  nur  wahrscheinlich  ist;  an 
dem  Embryo  der  Forelle  fand  ich,  dass  die  Sinnesplatte  auch  in  der  Augenregion 
niemals  wieder  vollständig  in  die  Hirnplatte  aufgeht,  sondern  von  der  ersten 
Sonderung  beider  Theile  an  sich  selbstständig  weiter  entwickelt,  zur  Augen- 
blase wird,  wobei  aber  die  noch  bestehende  Verbindung  mit  dem  Hirne  nicht 
etwa  wie  in  der  Ohrregion  allmählich  gelöst,  sondern  dauernd  erhalten  und 
endlich  in  den  Sehnerven  verwandelt  wird.  Ich  glaube  daher  mit  Rücksicht 
auf  diese  Beobachtung,  welche  jeden  Zweifel  über  die  Bedeutung  der  Augen- 
anlage im  Batrachierembryo  löst,  die  Abweichung  in  der  Entwicklung  des 
Auges  gegenüber  den  beiden  anderen  Sinnesorganen  darauf  beschränken  zu 
müssen,  dass  das  Auge  den  ursprünglichen  Zusammenhang  mit  dem  Central- 
nervensystem  beibehält,  während  die  anderen  Sinnesorgane  sich  von  dem  letz- 
teren vollständig  trennen,  um  mit  diesem  ihrem  Mutterboden  erst  wieder  durch 
eine  sekundäre  Verbindung  (Hör-,  Geruchsnerv)  in  nähere  Beziehung  zu  treten. 
Schliesslich  darf  nicht  unerwähnt  bleiben,  dass,  wenn  auch  alle  Anhänger  der 
Keimblättertheorie  den  peripherischen  Theil  des  oberen  Keimblattes  für  die  Anlage 
der  Haut  erklären,  die  älteren  derselben  darunter  zugleich  Ober-  und  Lederhaut 


1.   Die  Leistungen  des  oberen  Keimblattes.  181 

verstehen  (vergl.  v.  Baee  Nr.  SIS.  166):  erst  Remak  erkannte,  dass  nur  das 
Zellengewebe  der  Epidermis  aus  dem  oberen  Keimblatte  hervorgehe  (Nr.  40 
S.  152.  185). 

Indem  ich  am  Schlüsse  des  vorigen  Abschnittes  die  Uebereinstimmung  der 
Keimblätterbildung  bei  den  Batrachiern,  Knochenfischen  und  Amnioten  auf 
Grund  meiner  eigenen  Untersuchungen  konstatirte,  unteiiiess  ich  es  auf  die 
Einzelheiten  dieses  Entwickelungsvorganges  und  eine  Kritik  der  entgegen- 
stehenden Darstellungen  einzugehen ,  weil  ich  Beides  in  besonderen  Arbeiten 
abgehandelt  habe.  *  Um  aber  die  gleiche  Uebereinstimmung  für  die  Haupt- 
leistungen des  oberen  Keimblattes  —  die  Anlage  des  Centralnervensystems 
und  der  drei  höheren  Sinnesorgane  —  zu  erweisen,  muss  ich  auf  einen  Punkt 
in  den  neueren  Darstellungen  der  Keimblätterbildung  zurückgreifen,  ich  meine 
die  Lehre  vom  Axenstreife  oder  Axenstrange  (Dursy,  His,  Waldeter,  Oel- 
l acher).  Ich  bezeichne  mit  dem  letzteren  Namen  nur  den  noch  ungesonderten 
axialen  Theil  des  mittleren  Keimblattes,  woraus  wesentlich  die  Wirbelsaite 
hervorgeht.  Sonst  wird  aber  mit  den  genannten  Ausdrücken  ein  ganz  anderer 
Begriff  verbunden.  Die  Darstellung  v.  Baer's  von  der  innigen  axialen  Ver- 
bindung des  oberen  und  mittleren  Keimblattes  (Primitivstreif)  wurde  zum  Aus- 
gangspunkte einer  Lehre ,  welche  auf  eine  Vernichtung  der  wohlbegründeten 
Keimblättertheorie  hinausläuft.  In  jenem  Axengebilde  sollen  die  Keimschichten 
oder  -blätter  vollständig  mit  einander  verschmelzen,  ihre  Elemente  mit  einander 
austauschen,  sodass  schliesslich  die  Embryonalanlagen  unter  Zurücktreten  der 
morphologischen  Momente  wesentlich  aus  lokalen  „histiologischen  Differenzi- 
rungen",  diesen  häufigen  Lückenbüssern  der  Erkenntniss ,  hervorgingen.  Für 
die  vorliegende  Frage  bedeutsam  war  also  dabei ,  dass  der  verdickte  dorsale 
oder  mittlere  Theil  des  oberen  Keimblattes,  die  Axenplatte,  nirgends  mehr  als 
die  ausschliessliche  Anlage  des  Centralnervensystems  (und  nach  meiner  Erfah- 
rung auch  der  drei  höheren  Sinnesorgane)  gelten  konnte,  da  sie  ja  durch  Ver- 
mittel ung  des  Axenstreifes  an  der  Herstellung  der  Wirbelsaite,  der  Urwirbel 
und  noch  mancher  anderer  Anlagen  einen  grösseren  oder  geringeren  Antheil 
nehmen  sollte.  Nach  meinen  Untersuchungen  muss  ich  aber  diese  Lehre 
durchaus  zurückweisen  und  an  der  Behauptung  festhalten,  dass  die  Grenze 
zwischen  dem  oberen  und  mittleren  Keimblatte  vom  ersten  Erscheinen  der 


*  Im  Anschlüsse  an  den  schon  citirten ,  die  Knochenfische  betreffenden  Aufsatz 
(Nr.  108)  erscheint  im  X.  Bande  derselben  Zeitschrift  eine  Abhandlung  über  „die  Bildung 
der  Keimblätter  und  des  Blutes  im  Hühnerei." 


132  IV.  Die  Sonderung  der  einzelnen  Organanlagen 

sekundären  Keimschicht  an  auch  im  Axentheile  des  Keimes  ununterbrochen 
fortbestehe.  Alle  gegenteiligen  Darstellungen  entsprangen  demselben  Be- 
obachtungsfehler, indem  nämlich  jene  Grenze,  welche  während  der  ersten 
Entwickelung  der  Axengebilde  in  Folge  der  thatsächlich  innigen  Berührung 
meines  Axenstranges  (mittleres  Keimblatt)  und  der  Axenplatte  (oberes  Keim- 
blatt) allerdings  nicht  immer  leicht  kenntlich  ist,  ganz  übersehen  wurde.  Da- 
raus wurden  alsdann  jene  Hypothesen  über  die  Betheiligung  der  Axenplatte  an 
der  Bildung  der  darunterliegenden  Embryonalanlagen  meist  sehr  willkürlich 
abgeleitet.  Diese  zunächst  den  Hühnerkeim  betreffenden  Angaben  (His)  habe 
ich  in  der  oben  bezeichneten  Abhandlung  kritisirt;  die  bezüglichen  Mittheilungen 
Oellacher's  über  den  Forellenkeim  (Nr.  107)  weichen  allerdings  von  den 
ersteren  ab,  beruhen  aber  auf  demselben  Grundirrthume,  der  Annahme  des 
von  den  eigentlichen  Keimblättern  unterschiedenen  Axenstreifes,  von  Oellacher 
Axenstrang  genannt,  welcher  die  gemeinsame  Anlage  des  Centralnervensystems 
und  der  Wirbelsaite  darstelle.  *  Freilich  leitet  Oellacher  keinen  Theil  des 
mittleren  Keimblattes  vom  oberen  ab;  dagegen  soll  aber  der  Axenstrang  mit 
den  Körperregionen  seine  Bedeutung  wechseln,  hinten  vorherrschend  die  Anlage 
der  Wirbelsaite  enthalten ,  während  die  Rückenmarksanlage  aus  den  in  der 
Medianebene  zusammenfliessenden  Seitentheilen  des  Sinnesblattes  entstehe, 
vorne  aber  ausschliesslich  das  Hirn  bilden  (Nr.  107  S.  26.  43.  46).  Auch  diese 
Angaben  muss  ich  nach  eingehenden  Untersuchungen  über  die  Entwickelung 
des  Forellenkeimes  auf  eine  ungenaue  Beobachtung  zurückführen,  welcher  bald 
hier  bald  dort  eine  wichtige  Grenzlinie  entging.  So  wenig  die  ursprünglichen 
Keimschichten  aus  einer  histiologischen  Sonderung,  sondern  vielmehr  aus  mor- 
phologischen Umbildungen  hervorgehen  (vgl.  Nr.  108),  so  wenig  wird  dieses 
Entwickelungsergebniss,  die  Keimschichtung,  nachträglich  wieder  aufgehoben, 
die  Kontinuität  des  einmal  eingeschlagenen  Entwickelungsganges  unterbrochen, 
um  durch  Vermittelung  geheimnissvoller  Zwischenglieder  an  die  spätere  mor- 
phologische Umbildung  wieder  anzuknüpfen. 

Mit  der  Selbstständigkeit  des  oberen  Keimblattes  ist  auch  diejenige  der 
Axenplatte  übereinstimmend  bei  allen  genannten  Wirbel thieren  festgestellt. 


*  Gegenüber  dem  Ausspruche  Oellacher's  (Nr.  107  S.  63) :  „Die  Bildung  des  Axen- 
stranges ist  eine  dem  Forellencie,  dem  Eie  der  Batrachier  und  dem  des  Hühnchens  gemein- 
same" —  muss  ich  bemerken,  dass  mir  bisher  weder  von  einem  solchen  Axenstrange  des 
Batrachierkeimes  noch  überhaupt  von  Untersuchungen,  welche  zu  einer  solchen  Annahme 
führen  könnten,  etwas  bekannt  geworden  ist. 


1 .  Die  Leistungen  des  oberen  Keimblattes.  1 83 

Jetzt  handelt  es  sich  darum ,  eine  gleiche  Uebereinstimnmng  auch  in  der  wei- 
teren Umbildung  jener  Grundlagen  des  Centralnervensystems  nachzuweisen. 
Die  Ainnioten  bieten  dabei  keine  besonderen  Schwierigkeiten,  indem  sich  bei 
ihnen  in  derselben  Weise  wie  bei  den  Batrachiern  die  Axenplatte  in  eine  Rohre 
verwandelt.  Doch  darf  nicht  unerwähnt  bleiben,  dass  bei  einem  solchen  Ver- 
gleiche sich  bisher  mehr  Aehnliehkeiten  boten,  als  in  der  That  vorhanden  sind. 
Dies  rührt  daher,  dass  der  Primitiv-  oder  Axenstreif  insbesondere  des  Hühner- 
keimes, obgleich  über  ihn  bereits  so  viel  geschrieben  worden  ist,  immer  noch 
durchaus  ungenügend  untersucht  ist,  und  daher  seine  Zusammensetzung  unbe- 
kannt blieb,  sein  Relief  falsch  gedeutet  wurde.  Er  gilt  nämlich  für  eine  axiale 
Verdickung  des  Keimes,  welche  durch  die  Prämitivrinne  in  zwei  symmetrische 
Hälften  geschieden  werde.  Diese  Rinne  soll  verbreitert,  aber  abgeflacht  in 
den  vor  dem  Primitivstreife  gelegenen  Keimtheil  übergehen  und  überhaupt  den 
Grund  der  späteren  Medullarfurche  bilden,  daher  auch  das  Centralnervensy  stein 
von  Anfang  an  in  zwei  symmetrischen  Hälften,  den  Medullarplatten,  angelegt 
sei.  Wie  sich  aber  aus  dem  von  mir  angekündigten  Aufsatze  ergeben  wird,  ist 
diese  Auffassung  durchaus  unstatthaft.  Gleich  nach  der  Entstehung  des  Pri- 
mitivstreifes liegt  in  seinem  grösseren  hinteren  Abschnitte  die  Primitivrinue 
allerdings  ganz  oder  nahezu  ymmetrisch  über  der  Anlage  der  Wirbelsaite  oder  -V 
meinem  Axenstrange ;  vor  dem  Primitivstreife  besteht  aber  bis  zur  Ausbildung 
der  Medullarfurche  niemals  eine  axiale  Rinne,  da  der  künftige  Boden  jener 
Furche  vielmehr  von  einer  Seite  zur  andern  konvex  vorgewölbt  ist  und  von 
zwei  flachen  Seitenrinnen  eingefasst  wird,  welche  erst  während  der  Entwickelung 
der  Medullarfurche  in  Folge  der  ansehnlichen  Verschmälerung  jenes  Bodens 
schwinden.  Zwischen  diesen  beiden  verschieden  gebildeten  Abschnitten  der 
Axenregion  liegt  nun  der  Kopftheil  des  Primitivstreifes,  welcher  den  Uebergang 
aus  dem  einen  in  den  andern  vermittelt.  Er  ist  asymmetrisch  zusammengesetzt, 
indem  sich  dort  der  Axenstrang  vollständig  in  den  rechten  Grenzwall  der  Pri- 
mitivrinne verschiebt,  welcher  darauf  weiter  vorwärts  durch  ein  Niedersinken 
seiner  rechten  Seite  in  den  horizontal  gelagerten,  konvexen  Boden  der  vorderen 
Medullarfurche  übergeht,  während  die  Primitivrinne  sich  in  dessen  linke  Seiten- 
rinne fortsetzt.  Dieser  zuerst  nur  im  Kopftheile  des  Primitivstreifs  vorhandene 
Uebergang  der  beiden  Abschnitte  in  einander  rückt  nun  stetig  nach  hinten  vor, 
indem  der  zuerst  von  ihm  eingenommene  Keimtheil  sich  in  der  geschilderten 
Weise  der  Bildung  der  davor  gelegenen  Axenregion  anpasst,  welche  allein  die. 
bleibende  Anlage  des  Centralnervensystems  unmittelbar  aus  dem  indifferenten 


]34  IV.  Die  Sonderling  der  einzelnen  Organanlagen. 

Keimblatte  hervorgehen  lässt.  So  wird  also  der  ganze  ursprüngliche  Primitiv- 
streif erst  durch  eine  asymmetrische  Umlagerung  seiner  Theile  in  die  definitive 
Bildung  der  Axenregion  übergeführt.  Es  erhellt  daraus:  1.  dass  die  Primitiv- 
rinne nicht  den  Grund  der  künftigen  Medullarfurche  darstellt,  sondern  nur  in 
die  linke  Grenzrinne  des  konvexen  Bodens  derselben  übergeht,  2.  dass,  da  das 
obere  Keimblatt  diesen  Boden  gleichmässig  überzieht,  eine  axiale  Grenze  zweier 
Seitenhälften  der  Cerebromedullaranlage  fehlt,  die  letztere  also  thatsächlich 
nicht  aus  zwei  Medullarplatten,  sondern  aus  einer  unpaaren  Axenplatte*  besteht. 
Der  Vergleich  mit  dem  Batrachierembryo  lehrt  also ,  dass  dessen  Rückenrinne 
und  laterale  Anschwellungen  der  Axenplatte  (Medullarplatten)  Homologa  im 
Hühnerkeime  nicht  finden  und  für  die  allgemeine  Wirbelthierentwickelung 
ebenso  bedeutungslos  sind  wie  die  Primitivrinne  und  überhaupt  der  ganze  Pri- 
mitivstreif jenes  Keimes. 

Eine  Sinnesplntte  habe  ich  an  der  Axenplatte  des  Hühnerkeimes  nicht 
unterscheiden  können,  wahrscheinlich  weil  die  letztere  verhältnissmässig  sehr 
dünn  ist  und  während  längerer  Zeit  ganz  allmählich  in  die  Oberhautanlage 
übergeht.  —  Ueber  die  Anlage  des  Centralnervensystems  der  übrigen  Amnioten 
vermag  ich  nur  wenige  hierher  bezügliche  Daten  beizubringen.  An  frischen 
wie  an  zerlegten  Keimen  der  Ringelnatter,  welche  die  beginnende  Abschnürung 
des  Kopftheiles  auf  verschiedenen  Stufen  zeigten,  konnte  ich  weder  einen  Primi- 
tivstreif, noch  eine  Rückenrinne  erkennen;  dagegen  glaube  ich  eine  gerade  nach 
hinten  sich  erweiternde  annähernd  birnförmige  Axenplatte  und  eine  ebensolche 
breite  und  flache,  mit  ebenem  oder  konvexem  Boden  versehene  Medullarfurche 
richtig  gedeutet  zu  haben**,  so  dass  auch  dieser  spärliche  Befund  immerhin 
geeignet  ist,  die  Bedeutung  des  Primitivstreifes  um  ein  weiteres  zu  reduciren. 

So  leicht  nun  im  vorliegenden  Falle  der  Vergleich  der  Batrachier  mit  den 
Amnioten  wenigstens  in  den  Hauptzügen  sich  ausführen  lässt,  so  misslich  er- 
schien seit  dem  Bekanntwerden  der  KuPFFEß'schen  Untersuchungen  über  die 
Entwicklung  der  Knochenfische  der  Versuch ,  die  Entstehung  und  Umbildung 
ihrer  Cerebromedullaranlage  mit  derjenigen  der  übrigen  Wirbelthiere  inUeber- 
einstimmung  zu  bringen.     Kupffek  gab  an,  dass  das  obere  Keimblattsich  im 


*  Wie  in  der  bisherigen  Beschreibung  behalte  ich  jedoch  auch  weiterhin  den  Ausdruck 
„Medullarplatten"  für  die  idealen  Seitenhälften  der  einheitlichen  Axenplatte  bei. 

**  Jedenfalls  würde  eine  genauere  Untersuchung  jener  Keime  lehren,  dass  dieUeberein- 
stimmung  der  Vögel  und  Reptilien  in  ihrer  ersten  Embryonalentwickelung  lange  nicht  so 
gross  ist,  als  man  bisher  mit  Rücksicht  auf  ältere  Entwickelungsstufcn  glaubte  annehmen 
zu  dürfen. 


1.  Die  Leistungen  des  oberen  Keimblattes.  185 

Axentlieile  verdicke  und  zu  einem  kielartig  nach  unten  vorspringenden  Strange 
werde ,  auf  dessen  Oberfläche  sich  eine  Furche  entwickele ,  um  bald  wieder  zu 
verschwinden  (Nr.  105  S.  232.  234.  243.  244).  Eine  Fortsetzung  des  übrigen 
Keimblattes  oder  das  Hornblatt  (Oberhautanlage)  löse  sich  darauf  von  der 
Hauptmasse  jenes  Kiels  oder  der  Anlage  des  Centralnervensystems  ab,  worauf 
unter  jenem  Blatte  „eine  Furche  sich  bildet,  die  von  oben  her  in  den  Strang 
eindringt"  (S.  249).  Durch  eine  Verwachsung  der  oberen  Spaltmündung  sei 
dann  die  Medullarröhre  vollendet  (S.  250).  Die  solide  Anlage  derselben  wurde 
von  mir  (Nr.  102)  und  Oellacher  (Nr.  107  S.  51)  bestätigt;  doch  glaubt 
Oellacher,  dass  der  Centralkanal  durch  eine  innere  Zellenauflösung  entstehe, 
welche  von  unten  aufsteige  (S.  72.  81).  Wenn  nun  zugestanden  werden  muss, 
dass  es  auf  Grund  dieser  Angaben  allein  unmöglich  sein  dürfte,  am  Medullar- 
strange  der  Knochenfische  den  gleichen  Entwickelungsgang  herauszufinden  wie 
an  der  Axenplatte  der  Amnioten  und  Batrachier,  so  darf  andererseits  nicht 
übersehen  werden,  dass  weder  Kupffer  noch  Oellacher  uns  über  eine  eigent- 
liche Entwickelung  jenes  Medullarstranges  etwas  mitgetheilt  haben.  In  einer 
nicht  ganz  frühen  Zeit  sollen  in  einer  gegebenen  Zellenmasse,  dem  irgendwie 
verdickten  axialen  Keimtheile  ,,histiologische  DifFerenzirungen"  beginnen,  in 
Folge  deren  der  Medullarstrang  endlich  als  fertiges  Gebilde  herausgelöst  wird 
(Nr.  107  S.  15.  50);  diese  Anlage  des  Centralnervensystems  sollte  also,  sowie 
sie  nur  überhaupt  kenntlich  würde,  auch  schon  ohne  alle  morphologische  Um- 
bildung vollendet  sein.  Dies  ist  nun  aber  ebenso  grundfalsch  wie  die  ganze 
schon  gerügte  Lehre  vom  Primitiv-  oder  Axenstreife.  Das  Centralnervensystem 
der  Knochenfische  entwickelt  sich  vielmehr  ebenso  wie  in  allen  übrigen  Wirbel- 
thieren  durch  allmähliche  morphologische  Umbildung  ganz  bestimmter  ein- 
fachster Anlagen.  In  der  Fig.  8  meines  Aufsatzes  über  den  Forellenkeim 
(Nr.  108)  lässt  sich  an  einem  noch  ganz  jungen  Keime  bereits  die  Bildung  eines 
Axenstranges  (Chordaanlage)  und  der  durch  ihn  geschiedenen  Medullarplatten, 
so  wie  ich  es  an  der  Unke  beschrieb,  deutlich  erkennen.  In  der  Folge  fliessen 
die  beiden  letzteren  über  dem  Axenstrange  zu  einer  unpaareu  Axenplatte  zu- 
sammen, welche  sich  in  dem  Masse  verdickt,  als  sie  schmäler  wird.  Daraus 
lässt  sich  schliessen,  dass  dieser  ganze  Vorgang  auf  einer  von  den  Seiten  gegen 
die  Medianebene  gerichteten  Zellenverschiebung  beruhe,  wodurch  die  Zellen- 
massen je  näher  der  Medianebene  um  so  mehr  gegeneinander  gestaut  und  zu 
einer  Palissadenform  zusammengedrückt  werden.  Dieselbe  Bewegung  sahen 
wir  bei  den  Batrachiern  die  Medullarplatten  bilden  und  in  der  Querrichtung 


1§(3  IV.    Die  Sonclerung  der  einzelnen  Organanlagen. 

zusammenschieben;  sobald  dieselben  aber  dadurch  hautartig  festgeworden, 
werden  sie  durch  die  fortdauernde  Bewegung  auf-  und  medianwärts  umgerollt, 
und  so  die  Bildung  der  Cerebromedullarröhre  herbeigeführt.  Am  Forellen- 
keime  überzeugt  man  sich  aber  leicht,  dass  ihre  Medullarplatten  zur  ent- 
sprechenden Zeit  viel  weniger  scharfe  Konturen  und  ebene  Flächen,  also  eine 
geringere  Konsistenz  besitzen,  wie  sie  denn  auch  ganz  unmerklich  in  die  übrige 
Ausbreitung  des  oberen  Keimblattes  übergehen.  Begreiflicherweise  wird  daher 
jene  Bewegung  sie  nur  in  geringem  Grade  heben  und  dadurch  die  vergängliche 
Rückenfurche  bilden,  dagegen  die  ursprüngliche  mediane  Zellenanhäufung  fort- 
setzen. Dabei  lassen  die  palissadenförmigen  Zellen,  sowie  sie  ihre  Gestalt  dem 
Seitendrucke  verdanken,  die  fernere  Riohtung  der  ihn  erzeugenden  Bewegung 
erkennen ;  und  da  sie  sich  in  der  Nähe  der  Medianebene  von  beiden  Seiten  ab- 
wärts neigen,  so  erhellt,  dass  die  Axenplatte  dort  unter  dem  Einflüsse  jenes 
Druckes  gleichsam  nach  unten  einknickt  oder  sich  faltet,  wobei  jedoch  in  Folge 
der  geringeren  Konsistenz  der  Zellenmassen  die  beiden  Faltenwände  sich  zu 
dem  bekannten  Kiele  des  Medullarstranges  aneinanderlegen,  ohne  eine  deut- 
liche Spalte  erkennen  zu  lassen.  Das  spätere  Auftreten  der  letzteren  in  dem 
fertigen  Kiele  rechtfertigt  aber  gerade  die  eben  vorgetragene  Auffassung  seiner 
Entwicklung.  Ich  habe  mich  nämlich  davon  überzeugt,  dass  sie  weder  durch 
eine  Auflösung  der  inneren  Zellen  noch  stets  von  unten  aufwärts  entsteht,  wie 
esOELLACHER  lehrt;  sondern  indem  die  Verbindung  des  Kiels  mit  der  Oberhaut- 
anlage gewissermassen  zusammengeschnürt  wird,  um  alsbald  einer  völligen 
Trennung  Platz  zu  machen,  bauchen  sich  seine  Seiten  etwas  aus,  werden  also 
seine  Seitenhälften  etwas  auseinandergezogen,  wodurch  eben  die  mediane  Spalte 
in  verschiedener  Höhe  und  Ausdehnung  beginnend  entsteht.  Ihre  gesetz- 
mässige  Erscheinung  bezeugt  eben,  dass  in  derselben  Richtung  der  Zusammenhang 
der  Zellenmasse  beständig  lockerer  ist,  also  zwischen  beiden,  unten  in  einander 
übergehenden  Seitenhälften  des  Kiels  eine  gewisse  Scheidegrenze  besteht;  dies 
gestattet  aber  gerade  den  Vergleich  derselben  mit  einer  geschlossenen  Falte, 
welche  sich  alsdann  von  der  nach  oben  offenen  Falte,  welche  die  gehobenen 
Medullarplatten  anderer  Wirbelthierembryonen  darstellen,  nicht  mehr  wesent- 
lich unterscheidet,  besonders  da  der  Faltenraum  dort  bisweilen  spaltförmig  eng 
wird,  wie  z.  B.  am  Schwänzende  der  Batrachierembryonen  (vgl. Taf. IV Fig.  76). 
Wir  finden  also,  dass  bei  den  Knochenfischen  ebenso  wie  bei  den  übrigen  Wir- 
belthieren  die  gleiche  Kette  von  Ursachen  und  Wirkungen  im  Axentheile  des 
oberen  Keimblattes  die  Cerebromedullarröhre  erzeugt:  die  nachweisbare,  bei- 


1.  Die  Leistungen  des  oberen  Keimblattes.  187 

clerseits  gegen  die  Medianebene  gerichtete  Zellenverschiebung*  lässt  die  Medullar- 
platten  entstehen,  zusammenrücken  und  eine  nach  oben  offene  oder  geschlossene 
Falte  bilden,  welche  endlich  unter  dem  Einflüsse  desselben  Motors  sich  zu  einer 
Röhre  abschnürt.  Gegenüber  diesem  Ergebnisse  muss  die  verschiedene  äussere 
Erscheinung,  welche  zwischen  dem  gleichen  Anfange  und  gleichen  Enderfolge 
liegt,  ihre  scheinbare  Bedeutung  verlieren,  und  die  Uebereinstimmung  in  der 
Entwickelung  des  Centralnervensystems  aller  Wirbelthiere  nicht  mehr  als  hypo- 
thetische, sondern  als  thatsächliche  erscheinen.  Denn  die  Homologie  wird  in 
letzter  Instanz  nicht  durch  die  äussere  Form,  sondern  durch  dasEntwickelungs- 
gesetz  bestimmt,  welches  sich  aber  in  der  Form  nicht  immer  deutlich  offenbart. 
Von  der  Sinnesplatte  der  Knochenfische  habe  ich  bereits  in  der  Beschrei- 
bung des  gleichnamigen  Theils  der  Batrachier  gesprochen.  Da  die  ganze  Ent- 
stehung und  Umbildung  der  Axenplatte  Oellaches  entgangen  ist,  so  ist  es 
natürlich,  dass  er  auch  am  Forellenembryo  nur  die  alte  Lehre  glaubte  bestäti- 
gen zu  können,  dass  das  Auge  aus  dem  Hirne  hervorwachse,  Ohr  und  Geruchs- 
organ aber  aus  dem  Sinnesblatte  oder  der  Oberhautanlage,  natürlich  in  isolirten 
Anlagen,  sich  entwickelten.  Ich  finde  dagegen,  dass  die  Sinnesplatte,  d.  h.  die 
gemeinsame  Anlage  der  drei  höheren  Sinnesorgane,  an  demselben  Thiere  viel 
deutlicher  und  charakteristischer  ausgeprägt  ist  und  sich  weiter  umbildet  als 
bei  der  Unke.  Da  der  Kiel  der  Axenplatte  ursprünglich  nur  deren  medianen 
Theil  darstellt  und  die  Zellenmassen  ihrer  horizontalen  Seitentheile  nur  ganz 
allmählich  in  sich  aufnimmt,  so  besteht  auch  während  längerer  Zeit  keine  deut- 
liche Grenze  zwischen  ihnen,  sondern  nur  ein  bogenförmiger,  unmerklicher 
Uebergang.  Diese  Uebergangsstelle  verwandelt  sich  nun  in  dem  Masse,  als 
jene  Seitentheile  durch  die  andauernde  Zellenauswanderung  zur  Oberhautanlage 
sich  verdünnen,  in  eine  abwärts  konvexe,  gegen  den  Kiel  und  gegen  die 
Oberhaut  deutlich  abgesetzte  Leiste,  welche  von  der  vorderen  Rumpf hälfte  aus 
sich  in  den  Kopftheil  fortsetzt,  um  ihn  ganz  zu  umkreisen,  nach  hinten  zu  aber 
verstreicht.  Ihre  bogenförmige  Anlage  erklärt  es,  dass  sie  eine  schräge  Lage 
einnimmt,  gewissermassen  den  Winkel  zwischen  dem  Kiel  und  der  Oberhaut 
ausfüllt.  Während  sie  aber  im  Rumpfe  allmählich  ganz  in  die  Rückenmarks- 
anlage aufgenommen  wird  und  so  deren  dorsalen  Abschnitt  (hintere  Stränge) 


*  Diese  Bewegung  lässt  sich  übrigens  nicht  nur  bei  denBatrachiern,  sondern  wenigstens 
auch  bei  den  Knochentischen  auf  die  ursprüngliche ,  centrifugale  Zellenverschiebung  der 
primären  Keiinschicht  zurückbeziehen  und  als  deren  durch  die  Embryonalanlage  bestimmt 
abgelenkte  Fortsetzung  darstellen. 


188  IV.  Die  Sonderung  der  einzelnen  Organanlagen 

bildet,  unterliegt  sie  im  Kopftheile  als  Sinnesplatte  den  schon  bei  der  Unke  ge- 
schilderten Umbildungen.  Ihre  ursprünglich  schräge  Lage  bildet  dabei  den 
Ausgangspunkt  entgegengesetzter  Verschiebungen.  In  der  hinteren  Kopfhälfte 
vertieft  sich  die  mediale  Grenzfurche  und  wird  dadurch  der  betreffende  Ab- 
schnitt der  Sinnesplatte  (Anlage  des  Gehörbläschens)  vom  Hirn  getrennt  und  in 
das  Niveau  der  Oberhaut  gehoben;  an  den  Seiten  der  vorderen  Kopfhälfte  hört 
diese  Vertiefung  wieder  auf,  und  wird  die  Sinnesplatte  vielmehr  ähnlich  wie 
der  homologe  Theil  des  Rumpfes  zum  Centralnervensystem  hinzugezogen, 
an  dessen  oberer  Hälfte  sie  eine  ansehnliche  Vorragung  (Anlage  der  Augenblase) 
bildet,  welche  aber  durch  eine  spaltförmige,  meclianwärts  fortschreitende  Er- 
weiterung der  lateralen  Grenzfurche  umgekehrt  wie  die  Anlage  des  Ohrs  zu- 
nächst von  der  Oberhaut  getrennt  wird,  um  alsdann  wie  ein  Auswuchs  des 
Hirns  zu  erscheinen.  Der  vorderste  Abschnitt  der  Sinnesplatte  (Anlagen  der 
Nasengruben)  stimmt  mit  dem  hintersten  überein.  Zur  Vollendung  der  Sinnes- 
anlagen gehört  aber  neben  der  geschilderten  Umbildung  in  der  Querrichtung 
noch  eine  solche  in  der  Längsrichtung.  Der  kontinuirliche  Verlauf  der  Sinnes- 
platte bleibt  nämlich  nicht  bestehen ,  sondern  an  den  Grenzen  der  wechselnden 
Umlageningen  entstehen  Einschnürungen,  namentlich  deutlich  zwischen  Auge  und 
Ohr,  welche  die  Sinnesplatte  jederseits  in  drei  getrennte  Abschnitte  theilen, 
welche  darauf  zu  den  diskreten  Sinnesanlagen  sich  zusammenziehend  ent- 
sprechende Stücke  der  Oberhautanlage  sich  dazwischen  einschieben  lassen. 

Wenn  also  bei  den  Knochenfischen  ein  sehr  charakteristisches  Moment  in 
der  Umbildung  der  Axenplatte,  nämlich  die  Furchen-  oder  Faltenbildung  der- 
selben, bis  zur  Unkenntlichkeit  verdeckt  wird,  so  offenbaren  sie  uns  dagegen 
in  der  Entwicklung  der  Sinnesplatte  um  so  deutlicher  ein  nicht  weniger  wich- 
tiges, nur  noch  bei  den  Batrachiern  nachweisbares  Gesetz,  welches  aber  an 
den  Embryonen  der  Amnioten  schwerlich  zur  Anschauung  gebracht  werden 
könnte. 

2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes. 

Historische  Uebersicht  der  bisherigen  Untersuchungen. 

Ich  habe  bereits  früher  bemerkt,  warum  v.  Baee's  hauptsächlich  auf  den 
Hühnerembryo  bezügliche  Ausführungen  über  die  Umbildung  der  Keimblätter 
auch  für  den  Batrachierembryo  angezogen  werden  dürften;  und  da  die  Ent- 
wicklung des  mittleren  Keimblattes  bei  der  allgemeinen  Bildung  des  ganzen 


2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  1  g9 

Körpers  der  Wirbelthiere  die  Hauptrolle  spielt,  so  wird  das,  was  v.Baer  über  die 
zwischen  der  Haut  und  der  Schleimhautschicht  auftretenden  Theile  aussagt,  am 
besten  aus  einer  Darstellung  seines  Schemas  über  den  Aufbau  des  Wirbelthierkör- 
pers  ersehen  werden  können  (vgl.  Nr.  81  Scholion  IV  S.  160  u.  flg.Taf.  III  Fig.  4. 
5. 7,  H  S.  57  u.  flg.  Taf.  IV  Fig.  1  —  (3).  Das  wesentlichste  Moment  in  der  Ent- 
wickelung  seiner  vier  Keimblätter  sieht  v.  Baer  darin,  dass  sie  in  Röhren,  die 
Fundamental-  oder  Primitivorgane,  verwandelt  würden  (Nr.  8  I  S.  164,  IIS.  64)- 
Zuerst  fallt  ein  Stamm,  die  Wirbelsaite,  aus  dem  offenbar  noch  undifferenzirten 
animalischen  Blatte  aus  (vgl.  Nr.  8  IS.  15);  darüber  entsteht  die  „Nervenröhre" 
(Rückenmark  undHirn),  darunter  aus  demGefass-  und  Schleimblatte  die  „Darm- 
röhre" (Darmkanal  und  seine  Erzeugnisse);  beide  würden  von  der  inneren 
Fleischschicht  umschlossen ,  welche  zu  beiden  Seiten  des  Stammes  ausgehend 
aufwärts  die  Nervenröhre  umwächst  (Muskeln,  Knochen  und  Nerven  des  Rückens) 
und  abwärts  nach  der  vollständigen  räumlichen  Trennung  von  dem  Gefässblatte 
(seröse  Leibeshöhle)  nur  in  einem  gewissen  Abstände  von  der  Darmröhre  diese 
letztere  umschliesst  (Muskeln,  Knochen,  Nerven  der  Leibeswand).  Um  alle 
diese  Röhren  bildet  endlich  die  Haut  die  gemeinsame  äusserste  Hülle.  Für  die 
Extremitäten  nimmt  v.  Baer  noch  eine  besondere  röhrenförmige  Schicht  an  — 
äussere  Fleischschicht — ,  welche  zwischen  der  Haut  und  der  inneren  Fleischschicht 
entsteht  (Nr.  8  I  S.  1 96,  II  S.  75.  76).  Was  die  einzelnen  Organe  und  Körper- 
theile  betrifft,  so  ist  v.  Baer  der  erste  Embryolog,  welcher  die  Wirbelsaite  des 
Batrachierembryo  bereits  im  „Primitivstreifen"  entstehen  sieht  (IIS.  285).  Dieselbe 
gehe  bis  unter  den  Hirnanhang,  wo  sie  auch  eine  leichte  Krümmung  nach  unten 
bildet  (II  S.  287).  Herz  und  Gekröse  verdanken  ihre  Entstehung  der  Gefäss- 
schicht(II  S.  63).  Ueber  die  Bildung  der  Kiemen  spricht  sich  v.  Baer  folgender- 
massenaus:  „Man  kann  bald  an  der  äusseren  Fläche  der  Bauchplatten  einen  Wulst 
unterscheiden,  der  zwischen  dem  Gesichte  und  dem  Rumpfe  liegt,  den  Kiemen- 
wulst. Er  erstreckt  sich  von  oben  nach  unten,  und  in  ihm  bilden  sich  parallele 
Furchen,  denen  noch  tiefere  Furchen  von  Innen  entgegen  wachsen  und  dadurch 
Kiemenspalten  bilden."  „Frühere  Beobachter  gaben  nur  drei  Kiemenspalten 
an.  Ich  zählte  vier  in  der  kurzen  Entwicklungsgeschichte  der  Frösche  auf,  die 
in  Bürdach's  Physiologie  Bd.  2  einverleibt  ist  -  und  wurde  lebhaft  deshalb 
angegriffen.  Seit  jener  Zeit  habe  ich  Frosch  -  Embryonen  in  zwei  Frühlingen 
anhaltend  untersucht.  Ich  habe  nicht  nur  mit  Sicherheit  an  ausgekrochenen 
Larven  vier  Kiemenspalten  gesehen,  sondern  bin  jetzt  nur  zweifelhaft,  ob  nicht 
vorübergehend  noch  eine  fünfte  Spalte  da  ist"  (Nr.  8  II  S.286  vgl.  S.  88  Anm.). 


190  IV-  Die  Sonderung  der  einzelnen  Organanlagen. 

Ober-  und  Unterkiefer  hält  v.  Baer  für  die  Extremitätenpaare  des  Kopfes;  der 
Unterkiefer  insbesondere  soll  aus  der  äusseren  Fleischschicht  des  ersten  oder 
der  beiden  ersten  Kiemenbögen,  aus  der  zugehörigen  inneren  Fleischschicht 
aber  das  Zungenbein  hervorgehen  (I  S.  191  —  196,  II  S.  76.  84.  102).  Den 
Schwanz  endlich  nennt  v.  Baer  eine  Verlängerung  der  Wirbelsäule,  natürlich 
mit  Muskeln  und  Haut,  über  die  vegetative  Abtheilung  hinaus  (II  S.  287.288), 
was  auch  die  Anschauung  aller  späteren  Embryologen  blieb. 

In  ausführlicher  Weise  beschrieb  Reichert  die  unter  dem  Centralnerven- 
system  sich  entwickelnden  Theile  des  Froschembryo.*  Nach  Vollendung  der 
Umhüllungshaut  erscheint  als  erst^e  Bildung  die  Wirbelsaite  (Nr.  22  S.  12). 
Anfangs  zwischen  den  Hälften  des  Centralnervensystems  gelegen,  hat  sie  sich 
später,  „während  die  Urhälften  des  Centralnervensystems  über  ihr  zur  Ver- 
einigung streben ,  scheinbar  etwas  tiefer  gesenkt  und  ruht  auf  den  Zellen  des 
Keimhügels.  Vorn  und  hinten  gehen  ihre  Enden  in  die  Vereinigungsstelle  der 
Urhälften  des  Nervensystems  so  über,  dass  eine  Abgrenzung  nicht  deutlich 
unterschieden  werden  kann"  (S.  14).  Ueber  die  ursprüngliche  vordere  Aus- 
dehnung der  Wirbelsaite  unter  dem  Hirne  spricht  sich  Reichert  am  deutlich- 
sten in  einem  späteren  Aufsatze  aus  (Nr.  86  S.  457):  „Die  Wirbelsaite  endigt 
also  vorn  ursprünglich  an  der  späteren  Stirnwand ,  und  zwar  nicht  spitz,  auch 
nicht  knopfförmig,  sondern  einfach  abgerundet."  Im  Bereiche  des  ersten  Kopf- 
wirbels verkümmert  die  Spitze  der  Wirbelsaite  schon  in  dem  noch  schwanz- 
losen Embryo  und  hängt  alsdann  innigst  der  Hirnbasis  an  ( Nr.  22  S.  1 8.  30, 
Taf.  II  Fig.  15).  Die  zweite  unter  dem  Centralnervensystem  entstehende  Anlage 
sei  das  Wirbelsytem.  „Dasselbe  besteht  ursprünglich,  wie  die  Centraltheile 
des  Nervensystems,  aus  zwei  membrauartigen  Schichten  des  Keimhügels, 
welche  zu  beiden  Seiten  der  Wirbelsaite  jene  Stelle  einnehmen,  die  von  den 
Urhälften  des  Nervensystems  bei  dem  Streben  zur  gegenseitigen  Vereinigung 
verlassen  wird.  Sie  befinden  sich  also  unterhalb  der  früher  sogenannten  Rücken- 
platten, dehnen  sich  der  Länge  nach  ebenso  weit  aus  und  gehen  vorn  und  hinten 
in  einander  über"'  (S.  14).  Diese  „Urplatten  des  Wirbelsystems"  treten  in  dem 
Masse,  als  die  Urhälften  des  Centralnervensystems  näher  zusammenrücken, 


*  Allerdings  bat  Reichekt  bereits  in  seiner  vergleichenden  Entwickelungsgescbicbte 
des  Kopfes  Beiträge  geliefert  zur  Keinitniss  der  ersten  Anlagen  zwischen  dem  Centralnerven- 
und  Darmsystem;  da  sie  aber  weder  vollständig  noch  zusammenhängend  sind  und  vielfach 
von  den  späteren  Angaben  abweichen,  so  glaube  ich  die  letzteren  für  die  endgiltigen  halten 
und  mich  auf  dieselben  beschränken  zu  dürfen. 


2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  \\)\ 

nach  aussen  hervor;  ihr  äusserer  Rand  „erweitert  sich  jederseits  nach  oben 
zur  Rücken-,  nach  unten  zur  Visceralplatte ;  jene  verräth  das  Bestreben,  die 
Centraltheile  des  Nervensystems ,  diese  die  Dottermasse  zu  umwachsen,  um  auf 
diese  Weise  die  obere  und  untere  Wirbelröhre  zu  ♦bilden.  Das  Wirbelsystem 
besteht  also  gegenwärtig  aus  einem  mittleren  Theile,  welcher  unter  dem  Central- 
nervensystem  liegt  und  durch  die  Wirbelsaite  in  zwei  gesonderte  Hälften,  die 
beiden  Urplatten  geschieden  ist,  und  dann  jederseits  aus  je  zwei  Seiten theilen, 
den  Rücken-  und  Visceralplatten ,  welche  unmittelbar  von  dem  mittleren  gleich 
zwei  Schenkeln  abgehen."  Sehr  bald  zeigen  sich  die  ersten  Wirbelabthei- 
lungen in  den  Urplatten,  welche  Sonderung  auch  im  Kopftheile,  also  an 
der  Schädelbasis  sichtbar  wird.  „Hat  man  nämlich  die  Urhälften  des  Central- 
nervensystems  abgenommen,  so  sieht  man  zuerst  die  beiden  hinteren  Wirbel- 
ab theilungen  des  Kopfes,  welche  sich  von  denen  des  Rumpfes  nur  durch  ihre 
Grösse  etwas  auszeichnen.  Vor  ihnen  liegt  die  vorderste  und  grösste  Abthei- 
lung des  Kopfwirbelsystems.  Auf  ihr  zeigt  sich  jederseits  eine  Grube  von  der 
Lage  des  Augapfels  (Taf.  II  Fig.  15),  und  nach  vorn  gehen  die  beiden  Urhälften, 
als  vorderer  Schluss  der  Urplatten  des  ganzen  Wirbelsystems ,  in  einem  Bogen 
in  einander  über,  um  die  Anlage  der  Stirnwand  zu  formiren"  (S.  16.  17).  Nach 
der  von  Reichert  selbst  angezogenen  Abbildung  geschehe  dies  alles  gleichfalls 
am  noch  schwanzlosen  Embryo.  Etwas  später  als  in  den  Urplatten  entwickeln 
sich  die  Wirbelabtheilungen  in  den  Rücken-  und  Visceralplatten  und  sind  „nicht 
allein  auf  das  Skelett,  sondern  auch  auf  die  Weichgebilde  zu  beziehen"  (S.  32). 
Während  aber  die  Rückenplatten  über  dem  Centralnervensystem  röhrenförmig 
verwachsen,  vereinigen  sich  die  Visceralplatten  an  der  Bauchseite  in  gleicher 
Weise  nur  unter  dem  ersten  und  zweiten  Kopfwirbel  (1— 2ten  Visceralbogen), 
dann  in  der  Gegend  des  Brust-  und  des  Beckengürtels  (Grundlage  der  Extre- 
mitäten) und  an  der  Schwanz wurzel.  „Am  dritten  Kopfwirbel  aber,  so  wie  an 
dem  grössten  Theile  der  Bauchhöhle  geschieht  die  Vereinigung  der  Visceral- 
platten nicht  durch  Wachsthum  nach  unten,  sondern  durch  eigenthümliche 
Schlussbildung  zwischen  den  bestehenden  vollständigen  Abtheilungen  der  un- 
teren Wirbelröhre;  also  zwischen  dem  zweiten  Visceralbogen  und  dem  Brust- 
gürtel als  Analogon  des  dritten  Visceralbogens  (Kiemenbogenträger)  und 
zwischen  dem  Brust-  und  Beckengürtel  nach  Art  der  Musculi  recti  abdominis" 
(S.  17.  18).  —  Neben  dem  Wirbelsystem  verdient  an  dieser  Stelle  noch  das 
REiCHERT'sche  Hautsystem  genannt  zu  werden ,  welches  als  Anlage  der  künf- 
tigen Ober-  und  Lederhaut  (S.  71)  unter  der  vergänglichen  Umhüllungshaut 


]92  IV.  Die  Sonderung  der  einzelnen  Organanlagen. 

eine  zweite  Hülle  des  ganzen  Körpers  bildet  und,  so  lange  die  Wirbelröhren 
noch  unvollendet  sind,  in  der  Gestalt  der  Membranae  reunientes  dieselben  vor- 
läufig abschliesst  (S.  17).  —  Dass  Reichert  die  Darmhaut  aus  einer  ganz  selbst- 
ständigen Anlage  hervorgehen  lässt  (S.  35) ,  wurde  schon  früher  erwähnt.  — 
Eigenthümlich  ist  nun  nach  der  REiCHEßT'schen  Darstellung  die  Betheiligung 
der  genannten  „Systeme"  an  dem  Aufbaue  des  Kopfes.  Die  Lücke,  welche 
zwischen  dem  Keimhügel  und  der  centralen  Dottermasse  entstand,  soll  im 
Rumpfe  überall  schwinden  und  nur  im  Kopfe  als  Mundhöhle  bestehen  bleiben. 
„Die  sie  von  oben  bedeckende,  zurückgebliebene  einfache  Zellenschicht  des 
Keimhügels  liegt  nun  an  der  unteren  Fläche  der  Schädelbasis,  und  hat  sich 
auch  über  die  innere  Fläche  der  Visceralbogen  ausgebreitet,  wo  die  übrige 
Dottermasse  nicht  mehr  vorhanden  ist.  In  der  Gegend  aber,  die  dem  dritten 
Schädelwirbel  entspricht,  und  wo  der  dritte  Visceralbogen  sich  hätte  entwickeln 
sollen,  befindet  sich  noch  eine  kleinere  Partie  des  Dotters,  welche  gewisser- 
massen  einen  Vorsprung  in  die  Bauchhöhle  bildet.  Dieselbe  umgibt  an  dieser 
Stelle  von  den  Seiten  und  unten  (oben  ist  der  Rest  des  Keimhügels)  die  zur 
Mundhöhle  sich  verwandelnde  Lücke  des  Dotters  dergestalt,  dass  die  Wandungen 
allmählig  vom  zweiten  Visceralbogen  ab  bis  zur  Uebergangsstelle  (Schlund- 
Öffnung)  in  die  Hauptmasse  des  Dotters  an  Dicke  zunehmen.  Die  hinterste 
Abtheilung  der  für  die  Mundhöhle  bestimmten  Lücke  des  Dotters  wird  auf  diese 
Weise  nach  hinten  immer  enger,  bis  sie  endlich  an  der  künftigen  Schlundöffnung 
mit  dem  Dotter  des  Bauches  zusammenstösst.  Hier  beobachten  wir  nun  fol- 
gende Bildungsprocesse.  —  Die  der  Lücke  zugekehrte,  innerste  Zellenschicht 
setzt  sich  mit  der  vom  Keimhügel  restirenden  Membran  an  den  Visceralbogen 
und  an  der  Schädelbasis  in  Verbindung,  und  formirt  mit  derselben  eine  Aus- 
kleidungsmembran (Schleimhaut?)  der  Mundhöhle.  Unter  ihr  und  zwar  zwi- 
schen dem  Schlusstücke  des  zweiten  Visceralbogens  und  den  Anfängen  der 
Visceralplatten  des  Rumpfes  entwickelt  sich  eine  membranöse  Verbindung,  die 
zu  den  Seiten  mit  dem  Hautsystem  sich  vereinigt  und  zum  Kiemenbogenträger 
sich  ausbildet.  Obgleich  sie  seitlich  an  das  Hautsystem  stösst,  so  geht  ihre 
Entwicklung  nach  meinen  Untersuchungen  vom  zweiten  Visceralbogen,  also 
vom  Wirbelsystem  aus,  und  vertritt  die  Stelle  des  bei  den  niedern  Wirbelthieren 
nicht  zur  Ausbildung  gekommenen  dritten  Visceralbogens.  Durch  sie  wird  erst 
die  Kopfvisceralhöhle  vollständig  konformirt,  so  zwar,  dass  seitlich  zwischen  dem 
zweiten  Visceralbogen  und  der  Visceralplatte  des  Rumpfes  jederseits  eine  vom 
Hautsystem  gegenwärtig  bedeckte  Spalte  übrig  bleibt,  in  welcher  das  Kiemen- 


2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  193 

System  sich  entwickelt.  —  Der  grösste  Theil  der  Dotterzellen  aber,  welche  wir 
als  eine  vorspringende  Partie  der  Hauptdottermasse  in  der  Bauchhöhle  beschrie- 
ben haben,  wird  zur  Bildung  des  centralen  Theils  des  Gefässsystems  angewendet; 
aus  der  unteren  Mitte  entwickelt  sich  das  Herz,  zu  den  Seiten  die  Aortenbogen" 
(S.  20.  21).  An  der  äusseren  Fläche  der  drei  Aortenbögen  verdicke  sich  als- 
dann das  Hautsystem  zu  den  drei  Kiemenbögen,  welche  sich  auf  den  Kiemen- 
bogenträger  stützen  und  mit  ihren  Erzeugnissen ,  den  Kiemen  selbst,  der  Cutis 
angehören. 

Nach  Vogt  entsteht  die  Wirbelsaite  erst  nachdem  die  Rückenwülste  aus- 
gebildet sind;  da  er  aber  diese  nach  ihrer  inneren  Zusammensetzung  für  durch- 
aus indiiferente  Theile  hält,  so  gilt  ihm  die  Wirbelsaite  immerhin  als  erste 
bestimmte  Organanlage  (Nr.  26  S.  52.  60).  Sie  entstehe  in  der  Längsaxe  des 
Embryo  unter  der  Rückenfurche  in  der  übrigen  indifferenten  Zellenmasse  ver- 
graben und  ende  im  Kopfe  scharf  begrenzt  zwischen  den  beiden  Ohrblasen 
(S.  41.  56).  Die  indifferenten  Zellenmassen  zur  Seite  der  Chorda,  welche 
nach  oben  als  Rückenwülste  sich  zu  einer  vollständigen  Röhre  schliessen,  setzen 
sich  auch  abwärts  als  Bauchplatten  fort,  die  anfangs  den  Dotter  nur  halb  um- 
fassend eine  weit  auseinanderstehende  Furche  bilden  (S.  56).  Später  verwach- 
sen sie  zu  einem  vollständig  geschlossenen  Sacke,  welcher  die  centrale  Dotter- 
masse (Dotterkern  Vogt)  enthält  und  selbst  nur  noch  von  der  Umhüllungshaut 
bedeckt  wird.  Der  Dotterkern  wird  später  von  einer  besonderen  sackartigen 
Membran  eingeschlossen,  welche  sich  von  der  Innenfläche  der  Bauchplatten 
absondert  und  den  Darm  bildet  (S.  57 — 58).  Die  Wirbelabtheilungen  zeigen 
sich,  „sobald  die  Wülste  am  Rücken  geschlossen  und  der  Schwanz  zu  sprossen 
beginnt,  als  gleichmässig  von  einander  abstehende; Furchen,  welche,  die  Um- 
hüllungshaut ,  die  Chorda  und  die  jetzt  sich  differenzirenden  inneren  Zentral- 
organe des  Nervensystems  ausgenommen,  durch  die  ganze  Dicke  der  Zellen- 
massen des  Rumpfes  durchsetzen"  (S.  58).  ,, Jede  Wirbelabtheilung  zerfällt 
mit  dem  Laufe  der  Entwickelung  in  drei  gesonderte  Schichten,  Haut,  Muskel 
und  starres  Gebilde ,  möge  dieses  nun  blosses  Knorpel-  oder  Knochengewebe 
sein"  (S.  66).  Den  Kopftheil  lässt  Vogt  im  wesentlichen  ebenso  zusammen- 
gesetzt sein;  er  bestehe  „aus  einer  breiten,  mittleren  Tafel,  der  Schädelbasis, 
welche  nach  oben  in  zwei  einen  Halbkanal  bildende  Blätter,  die  Rückenwülste, 
nach  unten  in  zwei  ähnliche,  die  noch  ungetrennten  Visceralbogen ,  sich  um- 
schlägt. Sobald  beide  sich  geschlossen,  stellen  sie  die  beiden  Hauptröhren 
dar,  aus  welchen  das  Wirbelthier  sich  zusammensetzt,  nach  oben  das  die  Organe 

Goette,  Entwickelungsgeschichte.  13 


194  IV.  Die  Sonderung  der  einzelnen  Orgauanlagen. 

der  sensiblen  Sphäre  umschliessende  Wirbelrohr,  nach  unten  das  die  vegetativen 
Organe  umfassende  Visceralrohr"  (S.  55).  Die  Kopfvisceralröhre  sei  aber 
eine  von  aussen  entstandene  Einstülpung  der  Kindenschicht  (S.  57.  67). 

Ecker  beschränkt  sich  allerdings  fast  ausschliesslich  auf  die  Beschreibung 
und  Deutung  der  äusseren  Erscheinungen-,  aber  da  diese  Erklärungen  vielfach 
anerkannt  sind,  so  kann  ich  nicht  umhin  sie  hier  zu  erwähnen.  Wann  die 
Rückenwülste  eben  erschienen  sind  und  sich  vorn  bogenförmig  vereinigt  haben, 
bemerke  man  jederseits  am  äusseren  Umfange  dieses  Bogens  zwei  kleine  durch 
Kerben  gesonderte  Hervorragungen  (Nr.  41  Taf.  XXIII  Fig.  XVIII).  Das  erste 
Paar  verlängert  sich  sehr  bald  vor-  und  abwärts  und  vereinigt  sich  zu  einem  das 
Hirnende  umkreisenden  Bogen.  „Diese  Erhebung,  die  Anlage  des  ersten  Visceral- 
bogens  (später  namentlich  Unterkiefergürtel),  umgrenzt  eine  flache  Stelle  unter 
dem  vorderen  Schlüsse  der  Rückenwülste,  welche  später  einen  Theil  des  Gesichts 
bildet  und  deren  mittlerer  Theil  bald  einsinkt  und  am  Ende  durchbricht,  um 
den  vorderen  Eingang  zur  Visceralhöhle  zu  bilden"  (Fig.  XIX.  XX).  Das  zweite 
Paar  sowie  zwei  weitere  hinter  ihm  entstehende  Paare  von  Wülsten  reichen 
nur  bis  zu  einer  gewissen  Grenze  abwärts  und  sind  die  Anlagen  der  Kiemen- 
bögen  (Fig.  XXII.  XXIH).  Die  Entwickelung  des  Herzens  im  Boden  der  unter 
dem  Kopfende  befindlichen  Visceralhöhle  lässt  Ecker  ganz  ebenso  wie  Reichert 
erfolgen  (Nr.  41  Fig.  XXXI). 

Mit  Remak;  beginnt  die  bestimmte  Unterscheidung  von  Keimblättern  auch 
am  Batrachierembryo.  Die  Thätigkeit  des  mittleren  Keimblattes  schildert  er 
folgendermassen.  „Bevor  die  Medullarwülste  sich  zur  Bildung  des  Medullar- 
rohrs  wieder  nähern,  hat  sich  schon  aus  dem  Axentheile  des  mittleren  Keimblattes 
unter  der  Rinne,  welche  die  vergängliche  Verbindungshaut  der  Medullarwülsste 
in  zwei  Seitenhälften  scheidet,  die  dicke  grosszellige  Chorda  gesondert.  Ihr  zu- 
gespitztes Kopfende  reicht  bis  zur  Basis  des  Vorderhirnes,  ihr  breites  Hinterende 
hängt  noch  mit  den  Urwirbelplatten  zusammen,  welche  wie  beim  Hühnchen  an- 
fänglich unter  den  Medullarwülsten  liegend,  bei  deren  Vereinigung  ihnen  als  wali- 
förmige  Umgrenzung  folgen.  Diese  Wälle  erheben  sich  zur  Umwachsung  des 
Medullarrohrs  am  frühesten  und  stärksten  im  Bereiche  des  Rückenmarks;  im  Be- 
reiche des  Gehirns  stehen  sie  weit  aus  einander  und  gehen  hier  ohne  scharfe 
Grenze  in  die  Sinnes-  und  Schlund-  oder  Kiemenplatten  über.  So  weit  sie  sich 
im  Bereiche  des  Rückens  erheben,  zerfallen  sie  durch  Querfurchung  in  die  soge- 
nannten Urwirbel,  die  nach  meiner  Ermittelung  (Fror.  N.  Not.  1845  Nr.  708. 
Ueber  ein  selbst.  Darmnervensystem  1847  S.  23)  zunächst  blos  die  Anlage  der 


2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  195 

Wirbelmuskeln  sind".  „Die  Muskelplatten  sind  unterhalb  des  Rückenmarks 
durch  eine,  die  Chorda  umhüllende  Membran  mit  einander  verbunden,  welche  die 
Anlage  der  Aorta  so  wie  der  Wirbelkörper  enthält.  An  der  Basis  des  Gehirns 
bildet  die  verdickte  Fortsetzung  jener  Membran  die  Anlage  des  Schädelgrundes, 
die  sich  ununterbrochen  in  die  Gesichts-  und  Kiemenplatten  fortsetzt"  (Nr.  40 
S.  153.  154).  Vorn  am  Kopfe  sieht  nämlich  Eemak  gleich  Ecker  zwei  Wülste 
hinabwachsen ;  der  erste  soll  sich  in  Gestalt  einer  Leiste  zur  Seite  des  Hirns 
rückwärts  verlängern,  den  zweiten  oder  den  Kiemenwulst  aus  seiner  Berührung 
mit  dem  Hirne  verdrängen  und  endlich  alle  Sinnesorgane  in  sich  aufnehmen 
und  umhüllen.  Aus  diesem  Grunde  nennt  Remak  diesen  ersten  Wulst  die 
Gesichts-  oder  Sinnesplatte  (S.  149.  150).  Der  Kiemenwulst  zerfällt  in  die 
Kiemenbögen,  indem  erst  drei  äussere  Rinnen  entstehen,  denen  ebenso  viele 
entsprechende  rinnenförmige  Ausstülpungen  des  Drüsenblattes  entgegenwach- 
sen ;  die  zwei  hinteren  Kiemenspalten  werden  nur  von  innen  her  angelegt  (S.  155). 
—  „Der  an  die  Muskelplatten  grenzende  peripherische  Theil  des  mittleren  Keim- 
blattes entspricht  durchaus  den  Seitenplatten  des  Hühnchens,  da  er  sich  durch 
Spaltung  in  Haut-,  Mittel-  und  Darmfaserplatten  sondert"  (S.  154).  „Nachdem 
die  Spaltung  der  Seitenplatten  erfolgt  ist,  werden  die  Urnieren  und  die  Muskel- 
platten des  Rückens  an  ihrer  Aussenfläche  von  den  Hautplatten  umwachsen,  die 
sich  nunmehr  als  die  Anlage  der  bindegewebigen  Unterhaut  erweisen.  Im  Be- 
reiche des  Schwanzes  findet  eine  solche  Umwachsung  nicht  statt  hier  ist  sofort 
nach  Schliessung  des  Medullarrohrs  die  Anlage  der  Muskelplatten  von*  einer 
Zellenschicht  bedeckt,  welche  als  Fortsetzung  der  Seitenplatten  die  Schwanz- 
flosse bildet.  Das  Aehnliche  gilt  von  dem  Kopfende  der  Larve:  auch  hier  wird 
das  Hirnrohr  schon  während  seiner  Schliessung  von  einer  weichen  Zellenschicht 
umhüllt ,  welche  mit  den  Gesichts-  und  Kiemenplattenund  so  mittelbar  auch 
mit  den  gespaltenen  Seitenplatten  im  Zusammenhange  sich  befindet.  Die  aus 
der  Spaltung  der  Seitenplatten  hervorgegangene  Lücke  ist  die  Anlage  der  gros- 
sen serösen  Höhle  (Pleuroperitonealhöhle)"  (S.  155).  Die  Extremitäten  und 
Bauchmuskeln  hält  Remak  ebenfalls  für  Erzeugnisse  der  Hautplatten  (S.  156). 
Stricker  hat  die  Embryonalanlagen  zwischen  dem  oberen  Keimblatte 
oder  seinen  zwei  ersten  Blättern  und  dem  Darmblatte  eigentlich  nur  im  Kopfe 
untersucht.  Das  motorische  (mittlere)  Blatt,  welches  im  Rumpftheile  aus 
der  axialen  Wirbelsaite  und  den  etwas  verdickten  Seitentheilen  bestehe,  ver- 
schmelze unter  der  Hirnanlage  zu  einer  einfachen  Zellenlage  (Schädelbasis) ; 
diese  besitze  an  Stelle  der  Chorda  zuweilen  eine  Zellenanhäufung,  die  aber 

13* 


196  IV-  Die  Sonderung  der  einzelnen  Organaulagen 

auch  oft  fehlt,  „und  gegenüber  dem  bestimmten  Charakter,  welchen  die  Chorda 
auf  dem  Querschnitte  schon  bei  ihrem  ersten  Auftreten  zeigt ,  ist  es  uns  kaum 
gestattet  dieselbe  noch  am  vordersten  Hirnende  zu  suchen"  (Nr.  55  S.  62.  63). 
Bald  aber  erscheine  im  Kopfende  „zwischen  dem  motorischen  Blatte  und  den 
seitlichen  Verlängerungen  der  Nervenanlage  jederseits  eine  kleine  Zellen- 
gruppe" (S.  63.  64);  später  entwickele  sich  ein  zweites  Paar  solcher  Zellen- 
massen, welche  jedoch  nicht  dem  motorischen  Keimblatte  angehören,  son- 
dern nur  auf  ihm  entstanden  sein  sollen  (S.  69).  „Das  vordere  Paar  umfasst 
jederseits  den  abgerundeten  Winkel ,  welcher  durch  die  seitliche  Ausbuchtung 
des  vorderen  breiten  Endes  der  Kückenfurche  gebildet  wird  (die  Anlage  der 
Augenblasen),  „und  dehnt  sich  sodann,  indem  es  nach  vorn  zu  wächst,  derart 
aus,  dass  jeder  Theil  die  vordere  Grenze  der  centralen  Nervenanlage  erreicht 
und  in  der  Mittellinie  mit  seinem  Gespann  zusammentrifft"  (S.  64).  Das  vor- 
dere Plattenpaar  bildet  also  „gleichsam  eine  aus  zwei  Hälften  bestehende 
Spange  für  das  vordere  Ende  des  centralen  Nervensystems,  deren  Enden  sich 
über  die  Augenblasen  nach  rückwärts  erstrecken".  Durch  die  allgemeine  Ge- 
staltveränderung des  Embryo  wird  auch  das  Plattenpaar  beeinflusst;  es  nimmt 
dann  durch  Verschiebung  folgende  Lage  ein.  „Je  ein  Theil  der  Platte  beginnt 
hinter  der  Augenblase ,  umkreist  deren  hinteren  und  unteren  Umfang  und  ge- 
langt sodann  an  die  vordere  untere  Begrenzung  des  centralen  Nervensystems, 
an  dessen  Mittellinie  sich  beide  Theile  berühren.  Von  der  ganzen  vorderen 
unteren  Grenze  des  Hirns  ausgehend,  wuchern  nun  beide  Theile  nach  abwärts,  um 
so  die  vordere  Grenze  des  Thierchens  zu  verlängern ;  andererseits  geht  aber  von 
jedem  hinter  je  einer  Augenblase  gelegenen  Theile  der  Platten  eine  Zellenwuche- 
rung aus,  welche  über  die  Augenblase  hinweg  nach  vorne  schreitet,  und  diese  so- 
weit umwächst,  dass  nur  an  der  vorderen  Peripherie  eine  kleine  Stelle  frei  bleibt, 
wo  die  Augenblase  an  das  nach  vorne  gelegene  Geruchsorgan  grenzt"  (S.  65). 
Das  zweite  Plattenpaar  entstehe  an  der  Stelle,  wo  etwas  später  das  Gehörbläschen 
sichtbar  werde.  Es  sei  anfangs  vom  motorischen  Keimblatte  und  dem  ersten 
Plattenpaare  durchaus  geschieden-,  „wohl  besteht  aber  diese  Trennung  nicht 
lange,  sondern  bei  einigermassen  vorgerückten  Larven  setzt  sich  die  vordere 
Platte  ununterbrochen  nach  rückwärts  fort"  (S.  71).  Das  zweite  Plattenpaar 
wuchert  hinter  dem  ersten  abwärts  und  bildet  den  zweiten  Visceral-  oder 
Kiemenbogen.  Beide  Paare  nennt  Stricker  Schlundschienen;  hinter  ihnen 
entwickeln  sich  später  noch  andere  Plattenpaare,  welche  die  Kiemen  erzeugen. 
Aus  dem  ganzen  Aufsatze,  besonders  aber  aus  einigen  Stellen  desselben  (S.  70. 


2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  197 

74)  geht  zur  Genüge  hervor,  dass  nach  Stricker's  Ansicht  die  ursprüngliche 
einfache  Zellenlage  des  mittleren  Keimblattes ,  welche  unter  der  Hirnanlage 
sich  befand,  nur  die  dünne  Membran  bildet,  welche  auch  später  noch  in  der 
Mitte  des  Schiidelgrundes  angetroffen  wird ,  während  alle  übrigen  festen  und 
weichen  Gebilde  des  Kopfes ,  welche  weder  zum  oberen  Keimblatte  noch  zum 
Darmblatte  gehören,  wenigstens  bis  zu  den  Ohrkapseln  aus  dem  ersten  Schienen- 
paare hervorgehen.  Tökök  glaubt  diese  Ansicht  bestätigen  zu  können  (Nr.  58 
S.  7.  9)  und  behauptet  in  seinem  zweiten  Aufsatze  noch  ganz  besonders,  dass 
das  erste  Schienenpaar  vorn  verschmilzt ,  aber  in  der  Mitte  dieser  Verbindung 
von  der  Mundbucht  durchbrochen  werde,  sodass  über  derselben  ein  Theil  der 
Schienenmasse  als  vordere  Schädelbasis  verbleibe,  der  andere  Theil  aber  da- 
runter zum  Unterkiefer  werde  (Nr.  59). 

v.  Bambecke  nimmt  die  REMAK'sche  Eintheilung  des  mittleren  Keim- 
blattes in  Wirbelsaite,  Urwirbel  und  die  peripherischen  Seitenplatten  an  5  über 
das  weitere  Verhalten  der  Urwirbelplatten  theilt  er  aber  einige  Beobachtungen 
mit,  welche  wesentlich  mit  meinen,  schon  vor  dem  Bekanntwerden  der  v.  Bam- 
BECKE'schen  Abhandlung  mitgetheilten  Beobachtungen*  übereinstimmen.  Die 
Urwirbelplatten  sollen  nämlich  nur  in  ihrem  centralen  Theile  die  Muskelanlagen 
enthalten,  dagegen  an  ihrer  inneren  und  äusseren  Fläche  Zellenschichten  ab- 
sondern welche  anderen  Zwecken  dienen.  Die  innere  Schicht,  welche  zwischen 
den  Muskeln  und  dem  Rückemnarke  liegt,  liefere  die  Wirbel;  die  äussere,  die 
Muskeln  bedeckende  „dorsale  Hautplatte"  (lame  cutanee  dorsale)  verbindet  sich 
abwärts  mit  der  REMAK'schen  Hautplatte  oder  der  äusseren  Schicht  der  Seiten- 
platten, aufwärts  wuchernd  aber  mit  der  wirbelbildenden  Zellenlage,  worauf 
beide  das  Rückenmark  oben  umwachsen  (Nr.  63  S.  52.  54).  Im  Kopfe  gebe  es 
keine  gesonderten  Anlagen  des  mittleren  Keimblattes,  sondern  alle  die  Theile, 
welche  den  Urwirbeln  des  Rumpfes  entsprechen ,  also  das  Hirn  aufwärts  um- 
wachsen und  die  abwärts  gerichteten  Visceralfortsätze  entwickeln,  bilden  zu- 
sammen eine  unterschiedslos  zusammenhängende  Zellenmasse,  in  welcher  erst 
später  die  histiologischen  Sonderungen  vor  sich  gehen  (S.  53). 


*  Mein  Aufsatz  (Nr.  64)  erschien  im  Anfange  des  Jahres  1869 ;  der  Band  der  Memoires 
couronnes  etc.  der  Brüsseler  Akademie,  welcher  v.  Bambecke's  Abhandlung  enthält,  war, 
obgleich  zum  Jahre  1868  gehörig ,  im  Jahre  1869  noch  nicht  veröffentlicht  worden.  Durch 
die  ausnehmende  Güte  des  Verfassers  erhielt  ich  jedoch  im  Winter  1869/7o  einen  Separat- 
abdruck  jener  Abhandlung. 


J98  lv~.  Die  Sonderung  der  einzelnen  Organanlagen. 

Um  den  innigen  Zusammenhang  der  ersten  Entwickelungsvorgänge  im  Eie 
anschaulich  zu  machen,  habe  ich  bereits  im  vorigen  Abschnitte  einiges  aus  der 
EntwickeluDgsgeschichte  des  mittleren  Keimblattes  anführen  müssen.  Ich 
zeigte,  wie  der  dorsale  Abschnitt  des  genannten  Blattes  vorherrschend  die 
Flächenausdehnung  desselben,  also  die  Umbildung  aus  der  Gürtelform  zu  einer 
geschlossenen  Blase  besorgte,  während  die  Embryonalzellen  des  sich  träger 
ausbreitenden,  daher  einige  Zeit  dickeren  ventralen  Abschnittes  in  den  Rücken- 
theil hinaufrückten  und  sich  im  Axenstrange  ansammelten.  Diese  Zellenaus- 
wanderung, welche,  wie^ schon  mehrfach  bemerkt,  in  erster  Linie  nicht  einer 
Lebenserscheinung ,  sondern  dem  mechanischen  Auseinandergedrängtwerden 
der  sich  theilenden  Embryonalzellen  entspringt,  offenbart  sich  zuerst  an  den 
der  Darmhöhle  zunächst  liegenden  Theilen  und  pflanzt  sich  alsdann  bis  auf 
die  eigentliche  Bauchseite Jbrt.  Sie  bewirkt  in  dieser  Reihenfolge  einmal  die 
deutliche  Absonderung  des  Blattes  von  der  Dotterzellenmasse  und  ferner  eine 
Verdünnung  der  von  ihr  betroffenen  Theile.  Wenn  aber  diese  Veränderungen 
kaum  begonnen  haben,  vollzieht  sich  im  Axenstrange  die  Absonderung  der 
Wirbelsaite  (Taf.  III  Fig.  57.  58).  Was  die  Ursache  derselben  sei,  ist  nicht 
leicht  zu  erkennen;  ich  will  es  daher  nur  "als  Vermuthung  aussprechen,  dass 
der  Druck  des  gegen  das  obere  Keimblatt  vorragenden  Axenstranges  die  später 
unläugbar  innige  Verbindung  der  beiden  Keimblätter  bewirkt,  und  dass  dieser 
Zusammenhang  zu  einer  Zeit,  wo  das  Darmblatt  dem  mittleren  Keimblatte 
auch  noch  ziemlich  fest  anhängt,  gleichsam  eine  feste  mediane  Scheidewand 
in  dem  letztgenannten  Blatte  erzeugt,  von  welcher  die  anstossenden  Seitentheile 
sich  absondern  müssen,  weil  ihre  Elemente  nicht  ruhig  liegen  bleiben,  sondern 
durch  die  andauernde  Zellenanhäufung  in  beständigem  Ortswechsel  erhalten 
werden.  Mag  man  nun  dieser  Ansicht  über  die  Entstehung  der  Wirbelsaite 
beitreten  oder  nicht,  den  Werth  einer  solchen  medianen  Scheidewand  zwischen 
den  Seitentheilen  des  mittleren  Keimblattes  hat  die  Wirbelsaite  für  die  folgende 
Zeit  jedenfalls.  Die  sie  unmittelbar  einfassenden  Ränder  jener  Seitentheile 
sind  auch  schon  verdickt,  aber  noch  in  einer  sehr  massigen  seitlichen  Ausdeh- 
nung. Während  nun  die  Zelleneinwanderung  fortdauert,  und  damit  diese  Ver- 
dickung auf  Kosten  der  sich  verdünnenden  peripherischen  Theile  zunimmt, 
ordnen  sich  die  Elemente  der  letzteren,  welche  früher  locker  und  mehrfach  über 
einander  lagen,  allmählich  in  zwei  einfache  Zellenlagen  an,  welche  durch  sjjalt- 
artige  Räume  untereinander  und  von  ihrer  Umgebung  deutlich  abgegrenzt  er- 
scheinen {Taf.  III  Fig.  58.  62).     Auch  diese  Entwicklung  setzt  sich  von  den 


2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  199 

Seiten  der  Darmhöhle  erst  allmählich  bis  an  die  Bauchseite  fort.  Im  Rücken 
lassen  sich  die  beiden  Lagen  bis  in  die  verdickten  Ränder  des  mittleren  Keim- 
blattes verfolgen,  wo  sie  zu  einer  Falte  verbunden  bleiben,  in  deren  Innenraume 
sich  die  neu  hinzukommenden  Zellen  ansammeln  (Taf.  IV  Fig.  67.  68).  Denn 
da  an  eine  freie  Zellenbildung  zwischen  den  beiden  Zellenlagen  schon  wegen 
des  Mangels  eines  freien  Raumes ,  wo  die  Bildung  vor  sich  gehen  könnte,  nicht 
gedacht  werden  'kann*,  so  muss  man  annehmen,  dass  bei  der  Unmöglichkeit 
einer  Flächenausbreitung  jener  Schichten  eine  Anzahl  der  stets  neu  anrückenden 
Zellen  aus  dem  Zusammenhange  der  Blätter  hinausgedrängt  und  so  ihnen  zur 
Seite  angehäuft  wird.  Will  man  nun  schon  auf  dieser  Entwicklungsstufe  die 
unter  der  Axenplatte  liegenden  Seite ntheile  des  mittleren  Keimblattes  als 
Segment  platten  von  der  weiteren  peripherischen  Fortsetzung  oder  den 
Seitenplatten  (Rema'k)  unterscheiden,  so  muss  hervorgehoben  werden,  dass 
die  ersteren  anfangs  nur  in  ihrem  medialen  verdickten  Abschnitte  sich  vor  den 
Seitenplatten  auszeichnen,  und  diese  wiederum  nur  in  ihren  oberen,  der  Darm- 
höhle zunächst  liegenden  Abschnitten  bereits  die  Sonderung  in  zwei  Blätter 
zeigen,  an  der  Bauchseite  aber  noch  aus  dem  vollständig  ungesonderten  Keim- 
blatte  bestehen.  So  zeigt  sich  also  an  einem  und  demselben  Querschnitte  die 
allmählich  fortschreitende  Entwicklung  des  mittleren  Keimblattes  aus  dem 
ursprünglichen,  indifferenten  Zustande,  wo  die  Zellen  in  mehrfachen  Schichten 
ungeordnet  neben  einander  liegen ,  zu  der  Anordnung  in  zwei  Blätter  und  end- 
lich zu  der  Zellenansammlung  zwischen  denselben  in  einem  einzigen,  noch  un- 
unterbrochenen Verlaufe  {Taf.  V  Fig.  92).  Erst  allmählich  füllen  sich  die 
faltenförmigen  Segmentplatten  so  weit  mit  Zellen,  dass  ihre  Verdickung  stets  in 
genauer  Anpassung  an  das  untere  Relief  der  Axenplatte  bis  zum  seitlichen 
Rande  der  letzteren  reicht,  und  ihr  innerer  Rand  die  Höhle  der  früher  vor- 
ragenden, theils  rundlichen,  theils  leistenförmigen  Wirbelsaite  erreicht.  Die 
vollständige  Entwicklung  der  Seitenplatten  erfolgt  aber  noch  weit  später. 
Was  ich  aber  bisher  beschrieb,  bezieht  sich  zur  Zeit  nur  auf  den  grösseren, 
mittleren  Theil  des  Rückens.  Denn  hinten ,  gegen  die  RuscoNische  Oeffnung 
hin,  sind  die  geschilderten  Sonderungen  noch  nicht  eingetreten,  und  im  vorder- 
sten Kopftheile  fliessen  die  Segmentplatten  und  die  Wirbelsaite  zu  einer  einfachen 


*  Ich  weise  eine  solche  Annahme  hier  deswegen  ausdrücklich  zurück,  weil  sie  bei  den 
Embryonen  der  höheren  Wirbelthiere,  deren  sogen.  Urwirbel  sehr  scharf  begrenzte  und  all- 
mählich sich  ausfüllende  Höhlen  enthalten,  sich  leicht  empfehlen  könnte. 


200  f7.  Die  Sonderung  der  einzelnen  Organanlagen. 

Zellenlage  zusammen,  jwelche  am  Rande  des  Kopftheils  gleich  den  übrigen 
Segmentplatten  in  die  Seitenplatten  übergeht  (Taf.  III  Fig.  59.  60,  Taf.  IV 
Fig.  63.  64.  70.  71.  78,  Taf.  V  Fig.  81.  82.  95—97).  Ob  nun  die  frühzeitige 
starke  Ausbildung  der  Hirnplatte  als  die  Hemmungsursache  jener  theilweisen 
Verkümmerung  der  medianen  Theile  des  mittleren  Keimblattes  anzusehen  ist 
oder  nicht,  jedenfalls  steht  so  viel  fest,  dass  die  Entwicklung  der  Axenplatte 
und  diejenige  der  Segmentplatten  nebst  der  Wirbelsaite  in  einem  innigen  Wech- 
selverhältnisse stehen,  so  dass  die  stärker  ausgebildeten  Stellen  des  einen 
Theils  mit  einer  schwächeren  Ausbildung  des  anderen  zusammenfallen  und 
umgekehrt. 

Nach  dieser  allgemeinen  Uebersicht  will  ich  die  Einzelheiten  der  Ent- 
wicklung des  mittleren  Keimblattes  nach  der  schon  bei  der  Axenplatte  befolg- 
ten Methode  verfolgen. 

Erste  Entwickelungsstufe  {Taf.  IV  Fig.  63  —  70).  Dort,  wo  die 
Segmentplatten  aus  dem  Randwulste  der  RuscoNi'schen  Oeffnung  in  den 
Schwanztheil  des  Rückens  eintreten,  erscheinen  sie  als  sehr  ansehnliche  Polster, 
ein  wenig  breiter  als  hoch ,  deren  mediale  obere  Flächen  mit  der  dazwischen 
liegenden  Wirbelsaite  eine  gleichmässig  ausgehöhlte,  flache  Mulde  zur  Aufnahme 
der  ungeteilten  Axenplatte  bilden,  und  deren  äussere  Theile  in  sanfter  Krüm- 
mung in  die  Seitenplatten  übergehen.  Beim  Uebergange  in  den  Rumpftheil 
erhebt  sich  der  innere  Rand  und  sinkt  die  äussere  Kante  der  Segmentplatten, 
sodass  zwischen  beiden  jederseits  eine  flache  Einsenkung  für  die  entsprechende 
Medullarplatte  entsteht.  Die  Wirbelsaite  liegt,  so  lange  die  Rückenrinne  sicht- 
bar ist,  unter  dem  Niveau  der  inneren  Ränder  der  Seginentplatten ;  sie  ist 
schmäler  und  höher  geworden  als  früher,  indem  die  vorher  runden  Zellen,  von 
denen  drei  auf  die  Breite  der  Wirbelsaite  gingen,  nunmehr  in  die  Quere  ge- 
streckt und  so  über  einander  geschichtet  sind,  dass  immer  je  zwei,  in  der  Me- 
dianebene ziemlich  regelmässig  zusammenstossende  Zellen  auf  die  Breite  der 
Wirbelsaite  kommen.  Je  näher  zum  Kopfe  desto  niedriger  und  breiter  werden 
die  Segmentplatten;  im  hinteren  Kopftheile  werden  sie  durch  die  unteren  Vor- 
ragungen der  Hirnplatte  namentlich  in  ihrer  Mitte  eingedrückt,  im  abgebogenen 
Kopftheile  mehr  gleichmässig  abgeflacht.  Wenn  aber  die  Segmentplatten  des 
Kopfes  auf  diese  Weise  in  ihren  grösseren  medialen  Abschnitten  am  Wachs- 
thume  gehindert  erscheinen,  so  fehlt  doch  ein  solches  nicht  ganz,  indem  die  neu 
hinzukommenden  Zellen  über  der  äusseren  Kante  der  Platte  in  den  eben  ent- 
stehenden Wulst  ausweichen  und  die  Falte,  welche  am  Rumpfe  geschlossen 


2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  201 

bleibt,  ausfüllen.  Diese  Zellenansammlung  lässt  sich  nur  an  der  Seite  des 
Kopfes,  nicht  an  seinem  vorderen  Umfange  nachweisen  und  fängt  schon  in 
diesem  Stadium  an,  an  einer  Stelle  selbstständig  zu  werden;  doch  will  ich  diesen 
Vorgang  erst  eingehender  betrachten,  wenn  er  allgemein  geworden  ist,  und  hier 
nur  feststellen,  dass  die  Zellenmasse  des  mittleren  Keimblattes,  welche  das 
Innere  des  Wulstes  am  Kopfe  einnimmt,  ursprünglich  eine  Wucherung  der 
Segmentplatten  ist.  —  Ich  bemerke  noch,  dass  zu  derselben  Zeit  die  Wirbel- 
saite noch  nicht  bis  zur  Mitte  des  Kopfes  sichtbar  geworden  ist,  und  dass  in 
seiner  vorderen  Hälfte  noch  immer  eine  einfache  Zellenlage  sich  unter  der  Hirn- 
anlage hinzieht. 

Zweite  Entwicklungsstufe  {Taf.  IV  Fig.  71—80,  Taf.  F,  VI).  In 
dieses  Stadium  fällt  die  Umbildung  der  leistenförmigen  Wirbelsaite  zu  einem 
cylindrischen  Strange  und  die  Differenzirung  der  Segmentplatten.  Jener  erstge- 
nannte Entwickelungsprocess  beginnt  bald  früher  bald  später,  ohne  nachweis- 
baren Zusammenhang  mit  dem  anderen  oder  den  Veränderungen  der  übrigen 
Anlagen.  Die  scheinbar  so  einfache  Umbildung ,  welche  eigentlich  nur  in  einer 
Abrundung  der  vier  Kanten  der  ursprünglichen  Wirbelsaite  besteht,  beruht 
nicht  wie  in  ähnlichen  Fällen  auf  einer  Anpassung  an  die  Umgebung ,  sondern 
erfolgt  unter  theilweiser  Ablösung  der  Wirbelsaite  von  den  sie  berührenden 
Theilen  und  vermittelst  einer  ganz  bestimmten,  höchst  subtilen  Umlagerung 
ihrer  Elemente.  Da  ich  aber  für  diesen  ganzen  Vorgang  Ursachen  in  der 
nächsten  Umgebung  der  Wirbelsaite  nicht  entdecken  konnte,  so  will  ich  ihn 
auch  ausserhalb  der  allgemeinen  Darstellung,  aber  im  Zusammenhange  mit 
der  ganzen  übrigen  histiologischen  Entwickelung  der  Wirbelsaite  in  einem  be- 
sonderen Abschnitte  'abhandeln.  Hier  sei  nur  bemerkt,  dass  der  viereckige 
Querdurchschnitt  erst  fassartig,  dann  elliptisch  und  endlich  kreisrund  wird; 
und  zwar  beginnt  die  Umbildung  im  vorderen  Körpertheile,  an  der  Grenze  des 
Kopfes  und  setzt  sich  zuletzt  in  das  Schwanzende  fort. 

Zur  Seite  der  Wirbelsaite  wird  die  Masse  der  Segmentplatten  in  der  Weise 
median-  und  aufwärts  verschoben,  dass  die  früher  äussere  Kante  derselben, 
beständig  in  den  Winkel  des  Wulstes  hineingepresst,  zu  einer  oberen  wird,  von 
der  aus  eine  laterale  Fläche  zu  den  Seitenplatten  und  eine  mediale  zum  inneren 
Rande  hin  dachähnlich  abfallen.  Dadurch  wird  der  Durchschnitt  der  Segment- 
platten ein  nahezu  dreieckiger.  Während  dieser  Umbildung  werden  die  zwei 
ursprünglichen  Schichten  der  Segmentplatten,  zwischen  denen  die  Zellenan- 
sammlung begann,  theils  ganz  undeutlich  ,   theils  tritt  an  ihre  Stelle  eine  kon- 


202  IV.    Die  Sonderling  der  einzelnen  Organanlagen. 

nuirliche,  jene  innere  Zellenrnasse  umschliessende  Rindenschicht,  welche  jedoch, 
wie  ich  später  zeigen  werde,  nicht  ohne  weiteres  als  eine  einfache  Erweiterung 
der  ursprünglichen,  faltenförmigen  Segmentplatte  angesehen  werden  darf. 
Im  Kopftheile  erfolgt  die  Zellenansammlung  nicht  in  der  ganzen  Breite  der 
Segmentplatte,  sondern  vorherrschend  an  der  äusseren  oberen  Kante,  von  wo 
aus  sie  in  den  schon  mehrfach  erwähnten  Raum  des  Wulstes  in  dem  Masse 
hinein  wächst,  als  derselbe  sich  entwickelt.  Die  Beobachtung  lehrt  aber,  dass 
diese  angesammelten  Zellen  nicht  etwa  zwischen  den  beiden  Segmentschichten 
liegen,  von  denen  die  äussere  in  eine  scharfkantige  Falte  wäre  ausgezogen 
worden;  sondern  dass  die  innere  Schicht  unverändert  darunter  hinwegzieht,  die 
äussere  dagegen  unmittelbar  in  jene  Zellen  Wucherung  übergeht,  welche  wie  eine 
Verdickung  oder  wie  ein  Auswuchs  derselben  erscheint  (Taf.  IV  Fig.  64.  72, 
Taf.  V  Fig.  82).  Bisweilen  scheint  diese  Neubildung  allerdings  ausserhalb  der 
vollständigen  Segmentplatte  zu  liegen  {Taf.  IV  Fig.  66))  da  aber  dieser  Befund 
selten  und  niemals  im  Anfange  der  Zellenansammlung  anzutreffen  ist,  so  kann  er 
die  Abstammung  der  fraglichen  Zellenmassen  von  der  äusseren  SchichtderSeg- 
mentplatte  nicht  in  Zweifel  setzen  und  stellt  offenbar  nur  eine  ungewöhnliche 
Form  ihrer  nachträglichen  Absonderung  vom  Mutterboden  dar.  Gewöhnlich 
geschieht  dies  in  der  Weise,  dass  die  sich  ablösenden  Zellenmassen  in  der 
äusseren  Schicht  der  Segmentplatten  entsprechende  Lücken  zurücklassen,  welche 
erst  nach  einiger  Zeit  sich  ausgleichen  und  dadurch  die  Zeichen  für  die  ursprüng- 
liche Zusammengehörigkeit  beider  Anlagen  verwischen  {Taf.  V  Fig.  91,  Taf.  VI 
Fig.  111. 112). 

Die  wichtigste  Umbildung  der  Segmentplatten  ist  jedenfalls  ihre  Gliederung 
in  diejenigen  Theile,  von  denen  sie  den  Namen  erhalten,  die  Segmente*. 
Dieser  merkwürdige  Process  beginnt  zur  Zeit,  wann  die  Cerebromedullarfurche 
im  Kopftheile  entwickelt  ist,  in  der  Gegend  des  Hinterkopfes,  ob  aber  innerhalb 
des  letzteren  oder  des  angrenzenden  Rumpftheils,  vermag  ich  nicht  anzugeben; 
von  dort  aus  setzt  sich  die  Theilung  nach  den  beiden  Körperenden  fort,  erreicht 
aber  das  Kopfende  früher,  als  sie  nur  in  die  Nähe  des  Schwanzendes  gelangt 
ist.  Die  Segmente  entstehen  in  der  Weise,  dass  die  Platten  rechtwinkelig  zur 
Medianebene  in  schmale  Leistchen  zerfallen,    welche  aber  mit  ihren  unteren, 


*  Seitdem  ich  nicht  nur  an  den  Embryonen  der  Batrachier,  sondern  auch  au  denen  der 
Knochenfische,  Reptilien,  Vögel  und  Säugethiere  entdeckt  habe,  dass  die  Wirbelsäule  nicht 
unmittelbar  aus  den  Segmenten  hervorgeht,  habe  ich  die  alte  Benennung  der  „Urwirbel" 
ganz  aufgegeben  und  jenen  allgemeineren  Ausdruck  gewählt. 


2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  203 

äusseren  Enden  noch  mit  den  Seitenplatten  zusammenhängen.  Die  Theilungen 
beider  Körperseiten  korrespondiren  ziemlich  genau  mit  einander.  Die  einzelnen 
Vorgänge  bei  diesen  Quertheilungen  habe  ich  allerdings  bei  den  Batrachiern 
weniger  deutlich  verfolgen  können,  weil  es  nicht  leicht  ist,  an  ihren  Embryonen 
Sagittalschnitte  auszuführen,  welche  beide  Schichten  der  Segmentplatten  senk- 
recht träfen.  Doch  glaube  ich,  dass  die  Batrachier  in  dieser  Hinsicht  sich  nicht 
von  den  Amnioten  und  Knochenfischen  unterscheiden  werden,  bei  denen  ich 
die  Segmente  erst  nur  durch  Einkerbungen  von  oben  nach  unten,  und  dann 
durch  spaltförmige  Fortsetzungen  derselben  sich  von  einander  scheiden  sah. 
Und  da  die  sich  theilenden  Segmentplatten  bereits  in  eine  Rindenschicht  und 
eine  innere  Kernmasse  gesondert  sind,  so  müssen  auch  die  Segmente  von  Anfang  an 
diese  Theile  besitzen.  Nur  ist  es  bei  der  anfangs  geringen  Breite  der  Segmente 
von  höchstens  zwei  Zellen  schwer,  diese  Anordnung  an  Längsschnitten,  welche  die 
Segmentirung  zeigen,  ebenso  deutlich  wie  an  Querdurchschnitten  zu  erkennen. 
Dies  wird  erst  möglich ,  wenn  die  Segmente  in  dem  Masse  als  die  Länge  des 
Rückens  überhaupt  zunimmt,  sich  von  der  Seite  zur  Medianebene  zusammen- 
ziehen, dagegen  nach  vorn  und  hinten  ausdehnen  (Taf.  VI  Fig.  100.101). 

Eine  besondere  Erwähnung  verdienen  hier  schon  die  vier  vordersten  Seg- 
mente, welche  die  Ausdehnung  und  die  Grenzen  des  Kopfes  bestimmen,  während 
der  allmähliche  Uebergang  der  Hirn-  und  Sinnesplatte  in  die  Medullarplatte 
des  Rückens  zu  breit  ist,  um  mehr  als  eine  ganz  allgemeine  Eintheimng  abzu- 
geben. Um  ein  klares  Bild  von  diesen  Segmenten  des  Kopfes  und  ihrer  späteren 
Umbildung  zu  entwerfen,  muss  ich  etwas  weiter  ausgreifen  und  zum  Theil  an 
frühere  Beschreibungen  erinnern  (ausser  den  schon  citirten  Abbildungen  Taf.  III 
Fig.  45.  50.  51).  —  Man  vergegenwärtige  sich  einen  Embryo  aus  der  Zeit,  wann 
die  Rückenfurche  noch  ofien  steht.  Die  Rückenbildung,  insofern  sie  vom  Fusse 
der  Rückenwülste  an  über  die  ursprüngliche  Obern"  äche  hervorragt,  ist  in  der  Mitte 
des  Körpers  am  stärksten  zusammengezogen,  schmal  und  hoch  und  nach  aussen 
steil  abfallend;  der  darunter  befindliche  Bauchtheil  ist  im  Uebergange  zum  schma- 
len Rücken  gleichfalls  von  der  Seite  her  etwas  zusammengedrückt,  und  das  Ganze 
gibt  einen  birnförmigen  Querschnitt.  Nach  beiden  Körperenden  hin  nähern 
sich  die  Querschnitte  dagegen  wieder  der  Kreisform,  indem  am  Schwanzende 
die  Höhe  und  Zusammenziehung  des  Rückens  abnimmt,  am  Kopfe  aber  durch 
eine  stärkere  seitliche  Ausladung  der  Wülste  der  schroffe  Uebergang  vom  Rücken 
zum  Bauchtheile  ausgeglichen  wird.  So  treten  also  dort  die  vom  Rumpfe  etwas 
eingedrückten  Flanken  wieder  stärker  hervor,  wodurch  ihr  durch  einen  wulstigen 


204  IV.  Die  Sonderung  der  einzelnen  Organanlagen. 

Rand  bezeichneter  Uebergang  zur  vorderen  und  hinteren  Fläche  des  Körpers, 
in  welche  die  Rückenbildung  scharf  umbiegt,  um  so  ausgeprägter  erscheint. 
Und  zwar  kann  diese  Erscheinung  bisweilen  so  gleichartig  an  beiden  Körper- 
enden auftreten,  dass  die  Unterscheidung  derselben  am  unberührten  Embryo 
sich  nicht  auf  den  ersten  Blick  ergibt.  Am  Schwänzende  verwischt  sich  dieses 
Bild  aber  sehr  bald ,  während  es  am  Kopfende  den  Ausgangspunkt  für  die  wei- 
tere Entwicklung  darstellt.  Jeder  Frontalschnitt  lehrt  nun,  dass  jener  wul- 
stige Rand,  welcher  das  abgestumpfte  Kopfende  umschreibt,  nicht  der  Ausdruck 
einer  soliden,  etwa  vom  dorsalen  Kopfwulste  auslaufenden  Bildimg  ist,  wie  man 
bisher  häufig  annahm,  sondern  durch  eine  Ausbauchung  der  unveränderten  und 
aus  allen  drei  Keimblättern  zusammengesetzten  Körperwand  des  Embryo  ent- 
steht*. Und  zwar  entspricht  diese  seitliche  Knickung  (der  embryonalen  Wand 
der  Darmhöhle  durchaus  der  winkeligen  Umbiegung  des  Rückens,  ist  eigent- 
lich nur  eine  seitliche  Fortsetzung  derselben,  was  innen  aus  dem  vom  Rücken 
her  an  den  Seiten  abwärts  fortlaufenden  Flächenwinkel  des  Darmblattes  klar 
hervorgeht,  während  äusserlich  die  Wülste  den  Zusammenhang  der  Biegung  am 
Rücken  und  an  den  Seiten  verdecken.  Weiter  abwärts  werden  die  Schenkel 
dieser  Ausbiegung  ganz  unbestimmt,  und  ich  konnte  eine  bogenförmige  Ver- 
einigung derselben  nicht  nachweisen.  Allerdings  entsteht  am  unberührten 
Embryo  der  Schein  einer  solchen  Vereinigung,  indem  jederseits  eine  dunkler 
gefärbte  Verdickung  der*  Deckschicht  sich  bemerkbar  macht,  welche  im  An- 
schlüsse an  die  abwärts  verstreichende  Ausbiegung  der  Körperwand  die  wulst- 
förmige  Vorragung  in  einem  Bogen  nach  unten  und  vorn  bis  zur  Medianebene 
fortsetzt.  Aber  diese  Verdickungen  der  Deckschicht  oder  die  Anlagen  der 
sogen.  Haftorgane  bleiben  eine  rein  äusserliche  Bildung,  welche  ohne  nach- 
weisbaren Einfluss  auf  die  Entwickelung  des  Kopfes  besteht.  Immerhin  dient 
sie  dazu,  die  von  jener  Ausbiegung  eingeleitete  Abgrenzung  zu  vollenden 
sodass  von  beiden  gemeinsam  eine  rundliche  Platte  umschrieben  wird,  welche 
durch  ihre  ausgeprägte  Abbiegung  von  der  oberen  und  seitlichen  Fläche  des 
Embryo  die  vordere  Abstumpfung  desselben  hervorruft.  Diese  Platte,  welche 
die  abgebogene  Hirnpartie  enthält,  stellt  schon  in  diesem  Entwickelungsstadium 
eine  vordere  Kopfliälfte  dar ;  in  ihrem  ganzen  Umfange  schliesst  sich  die  hintere 


*  Die  embryonale  Körperwand,  welche  überall  den  ganzen  Keim,  die  zwei  Keimschichten 
oder  drei  Keimblätter  begreift,  entspricht  durchaus  der  „Keimhaut"  der  älteren  Embryo- 
logen; doch  halte  ich  diese  besondere  Bezeichnung,  namentlich  bei  Batrachierembryonen, 
nicht  für  nöthig. 


•J.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  205 

Kopfhälfte  an ,  welche  man  sich  zur  selben  Zeit  als  einen  Gürtelabschnitt  der 
übrigen  Körperwand  denken  rnuss,  der  am  Rücken  die  hintere  Hirnhälfte  ent- 
hält und  dann  seitlich  und  abwärts  sich  bedeutend  verschmälert,  um  in  der 
Gegend  der  Haftorgane  in  die  vordere  Kopfhälfte  überzugehen.  Man  könnte 
also  die  Anlage  des  ganzen  Kopfes  durch  einen  Schnitt,  welcher  hinter  dem 
vierten  Segmente  einsetzt,  und  schräg  nach  vorn  und  unten  ausfährt,  vom 
übrigen  Körper  trennen.  Dieser  Abschnitt  muss  um  so  flacher  ausfallen,  je 
jünger  und  kugeliger  der  Embryo  ist;  später  veränderter  sich  namentlich  durch 
das  Hervorwachsen  des  vom  Hirne  eingenommenen  oberen  Theils,  wodurch  der 
früher  steil  aufgerichtete  untere  Theil  nach  vorn  umgelagert  und  ausgedehnt 
wird. 

Ich  will  jetzt  in  die  geschilderten  äusseren  und  allgemeinen  Formen  der 
Kopfregion  die  einzelnen  inneren  Theile  eintragen.  Das  Hirn  mit  seiner  vorn 
abgeplatteten  Retortenform  ist  bereits  bekannt,  und  sind  daher  wesentlich  die 
für  die  Erkenntniss  der  Architektonik  des  Kopfes  so  wichtigen  Anlagen  des 
mittleren  Keimblattes  zu  betrachten.  Sobald  die  Absonderung  der  Chorda- 
anlage vollendet  ist,  durchsetzt  sie  nicht  nur  die  hintere  Kopfhälfte,  sondern 
zieht  sich  mit  einer  entsprechenden  Krümmung  über  die  Umbiegungsstelle  hinaus 
in  die  dünne  Unterlage  der  vorderen  Hirnabtheilung  hinein.  Diese  stark  ver- 
schmächtigte,  jedoch  vollkommene  Fortsetzung  der  Wirbelsaite  geht  aber  aller- 
dings eine  ganz  kleine  Strecke  nach  ihrer  Abbiegung  in  eine  blosse  Zellen- 
anhäufung über,  welche  als  mediane,  strangartige  Verdickung  des  mittleren 
Keimblattes  bis  zum  Grunde  der  die  vordere  Hirnhälfte  darstellenden  Tasche, 
aber  niemals  darüber  hinaus  bis  zur  Oberhaut  oder,  wie  Reicheet  sich  aus- 
drückt, bis  zur  Stirnwand  reicht  (Taf.  IV Fig.  77,  Taf.  V  Fig.  81,  Taf.  VI 
Fig.  100).  Diese  Fortsetzung  der  Wirbelsaite  entspricht  also  dem  ganzen, 
erst  bogenförmigen,  dann  vorn  rechtwinkelig  geknickten  Verlaufe  der  Rücken- 
axe,  welche  aber,  wenn  man  darunter  naturgemäss  nur  eine  gemeinsame  Rich- 
tungslinie der  dorsalen  Anlagen  versteht,  mit  der  rechtwinkeligen  Abbiegung 
aufhört  und  nicht  der  bogenförmigen  vorderen  Aufkrümmung  der  Hirnplatte 
folgend  gedacht  werden  darf;  um  so  weniger,  als  auch  die  Hirnaxe,  wie  es 
später  noch  erörtert  werden  soll,  in  der  senkrecht  nach  unten  abgebogenen 
Richtung  aufhört.  Uebrigens  ist  der  Bestand  jener  unvollkommenen  Fort- 
setzung der  Wirbelsaite  nur  von  kurzer  Dauer,  und  nach  ihrer  Rückbildung 
zieht  sich  auch  die  vollständig  entwickelte  umgebogene  Chordaspitze  so  weit  zu- 
rück, dass  sie  endlich  nicht  weiter  als  bis  zur  Umbiegungsstelle  reicht,  also  ihre 


206  IV.  Die  Sonderung  der  einzelnen  Organanlagen. 

ursprüngliche  Krümmung  verliert  (Taf.  II Fig.  36'.  38).  —  Seitlich  eingefasst 
wird  die  Wirbelsaite  von  den  Segmenten,  welche  im  Kopfe  sehr  bald  nach  dem 
Beginne  der  ganzen  Gliederung  fertig  sind  und  alsdann  die  schon  geschilderte 
Gestalt  besitzen,  nämlich  in  dem  grösseren  medialen  Theile  breit  und  niedrig 
sind,  an  ihrer  oberen  Seitenkante  aber  mit  den  umfänglichen  Auswüchsen  ihrer 
äusseren  Schicht  in  den  Kopfwulst  hineinragen.  Da  diese  Zellenwucherung 
von  der  Segmentirung  mitbetroffen  wird  und  darauf  von  ihrer  Unterlage  sich 
ablöst,  so  gehen  daraus  selbstständige  Stücke,  eben  die  äusseren  oder  late- 
ralenSegmente,  hervor,  welche  nach  Zahl  und  Lage  dem  Reste  der  ursprüng- 
lichen oder  den  inneren  Segmenten  (Stammsegmente)  entsprechen. 
Da  diese  Sonderung,  welche  die  wichtigsten,  dem  mittleren  Keimblatte  angehöri- 
gen  Anlagen  des  Kopfes  ausschliesslich  herstellt ,  auf  die  vier  ersten  Segment- 
paare beschränkt  ist,  so  ist  die  hintere  Kopfgrenze  schon  in  früher  Zeit  ganz 
bestimmt  abgesteckt.  —  Die  drei  hinteren  inneren  Kopfsegmente  hegen  an  jenem 
Abschnitte  der  Wirbelsaite  ;  welcher  als  eine  auch  in  der  Richtung  ununter- 
brochene Fortsetzung  ihres  Rumpfabschnittes  die  hintere  Kojjfhälfte  bis  zur 
Umbiegungsstelle  durchzieht-,  die  zugehörigen  äusseren  Segmente  nehmen  vom 
hintersten  oder  vierten  bis  zum  zweiten  an  Grösse  zu,  und  da  sie  über  die 
Seitenlinie  des  Rumpfes  hinausragen,  bedingen  sie  eine  seitliche  Ausladung  des 
dorsalen  Kopftheils  und  überhaupt  sein  vorgewölbtes  Relief.  Solange  sie  aber 
unter  das  Niveau  des  Rückens  noch  nicht  hinabgehen,  verläuft  die  seitliche 
Körperwand  noch  gleichmässig  eingebogen  vom  Rumpfe  nach  vorn  bis  zur 
bogenförmigen  Erhebung,  deren  Grat  als  Grenze  beider  Kopfhälften,  zugleich 
der  vorderen  Grenze  des  zweiten  inneren  und  äusseren  Segmentpaars  entspricht. 
Die  genannten  drei  Segmentpaare  (innere  und  äussere)  gehören  also  vollständig 
der  hinteren  Kopfhälfte  an. 

Die  vordere  Kopfhälfte  enthält  das  erste  innere  und  äussere  Segmentpaar. 
Das  innere  beginnt  eigentlich  an  der  Umbiegungsstelle  und  liegt  mit  einem 
Theil  seiner  Basis  noch  in  einer  Ebene  mit  den  hinteren  Segmenten  (Taf.  VI 
Fig.  99. 105) ;  weil  aber  seine  Seitentheile  und  seine  spätere  Ausbreitung  sowie 
die  zugehörigen  äusseren  Segmente  unter  und  vor  der  Umbiegung  der  Rücken- 
axe  sich  befinden,  so  rechne  ich  es  ganz  zur  vorderen  Kopfhälfte,  woselbst  es 
sich  in  einer  indifferenten  dünnen  Zellenschicht  verliert.  Die  beiden  äusseren 
Segmente  schmiegen  sich  seitlich  dem  Hirne  so  an,  dass  die  Grundflächen  aller 
drei  Theile  in  einer  Flucht  liegen;  ihre  äusseren  Ränder  reichen  bis  zur  seit- 
lichen Grenze  der  ganzen  Kopfhälfte,  sodass  die  letztere  als  eine  Fortsetzung 


2.   Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes  207 

bloss  des  eigentlichen  Rückentheils  der  hinteren  Kopfhälfte  mit  Ausschluss 
besonderer  Seitentheile  erscheint.  Es  wird  also  auch  die  dünne  Zellenlage, 
welche  in  der  ganzen  Breite  der  vorderen  Kopfhälfte  unter  dem  Hirne  und 
den  äusseren  Segmenten  sich  ziemlich  gleichmässig  hinzieht,  bloss  als  eine 
Fortsetzung  der  unmerklich  in  sie  auslaufenden  Segmentplatten  und  der  Wirbel- 
saite aufzufassen  sein,  welche  erst  an  der  lateralen  Grenze  der  vorderen  Kopf- 
hälfte in  die  Seitenplatten  der  hinteren  übergeht.  Der  Ansicht,  dass  diese 
Zellenlage  eine  quere  Verbindung  der  beiderseitigen  Segmentplatten  vor  der 
Chordaspitze  darstelle,  widerspricht  die  schon  besprochene  rudimentäre  Fort- 
setzung der  Wirbelsaite,  welche  jene  Schicht  durchzieht,  und  die  Beschränkung 
der  äusseren  Segmente  auf  die  Seitentheile  des  Kopfes ;  und  mit  dem  Schwunde 
jener  rudimentären  Bildung  geht  eine  Rückbildung  des  ganzen  Axentheils 
jener  sie  einfassenden  Zellenschicht  Hand  in  Hand,  sodass  alsdann  die  Segment- 
platten im  Vorderkopfe  vollständig  getrennt  aus  einander  laufen  (Taf.  VII 
Fig.  123).  Diese  Rückbildung  innerhalb  des  mittleren  Keimblattes  beginnt 
schon  ziemlich  früh ,  gleich  nach  der  Knickung  der  Rückenaxe,  im  medianen 
Theile  der  unter  dem  vorderen  Hirnende  befindlichen  Seitenplatte,  jenseits  der 
unteren  Grenze  des  Kopfes.  Diese  längliche  Lücke  reicht  anfangs  nur  bis  zum 
Hirne,  allmählich  dehnt  sie  sich  aber  unter  dasselbe  und  zwar  immer  in  me- 
dianer Richtung  auf-  und  rückwärts  aus.  Da  aber  an  Stelle  der  geschwunde- 
nen Zellenschicht  keine  Zeichen  einer  zerstörten  Zellenmasse  zu  sehen  sind, 
und  an  eine  Resorption  in  dem  Sinne  wie  bei  einem  vollkommen  ausgebildeten 
Thiere  nicht  gedacht  werden  kann,  so  muss  man  annehmen,  dass  die  von  ihrem 
ursprünglichen  Orte  verschwindenden  Zellen  seitwärts  auseinanderrücken ,  und 
dadurch  das  Hirn  und  weiter  unten  die  Oberhaut  in  der  Medianebene  mit  dem 
Darmblatte  in  Berührung  bringen.  Innerhalb  des  Vorderkopfes,  d.  h.  unter 
dem  Vorderhirne  und  bis  zu  den  Haftorganen  abwärts ,  wird  in  Folge  dieses 
Vorgangs  der  frühere  indifferente  Zustand  des  mittleren  Keimblattes  gehoben. 
Denn  solange  jenes  ungesonderte  Vorderende  der  Segmentplatten  ganz  unmerk- 
lich in  die  darunterliegende  Seitenplatte  übergeht,  kann  von  der  Existenz  eines 
bestimmten  inneren  Segmentpaares  eigentlich  gar  nicht  die  Rede  sein.  Erst  in 
dem  Masse,  als  jene  ganze  indifferente  Zellenschicht  von  vorn  her  gleichsam  zer- 
reisst,  und  ihre  Elemente  sich  aufwärts  nach  beiden  Seiten  zu  zwei  dicken 
Zellensträngen  ansammeln ,  lassen  sich  dieselben  mit  Rücksicht  auf  ihre  Lage 
an  der  Hirnbasis  und  nach  innen  von  den  lateralen  Segmenten  als  innere  Seg- 
mente bezeichnen ,  welche  alsdann  von  der  Spitze  der  Wirbelsaite  seitlich  ab- 


208  IV.  Die  Sonderung  der  einzelnen  Organanlagen. 

gehen  und  mit  einem  ansehnlichen  Zipfel  in  die  vordere  Kopfhälfte  hinabreichen. 
Das  erste  äussere  Segmentpaar  ist  sehr  bald  länger  als  alle  übrigen;  denn 
während  die  anfangs  breite  und  kurze  vordere  Hirnhälfte  sich  schliesst  und 
dabei  schmäler  aber  länger  wird,  kann  jenes  Segmentpaar  längs  ihrer  eigent- 
lichen Basis  entsprechend  auswachsen,  wogegen  die  übrigen  Kopfsegmente,  so- 
lange der  grössere  Kumpftheil  der  Segmentplatten  jederseits  eine  kompakte 
Masse  darstellt,  sich  in  derselben  Richtung  offenbar  nicht  auszudehnen  ver- 
mögen, sondern  nur  nach  ihrer  Höhe,  wovon  später  die  Rede  sein  soll  (Taf.  XVI 
Fig.  286.  287).  Es  ist  aber  zur  richtigen  Würdigung  der  folgenden  Entwicke- 
lungs Vorgänge  stets  im  Auge  zu  behalten,  wie  die  ursprünglichen  Richtungen  in 
der  vorderen  Kopfhälfte  durch  die  Knickung  der  Rückenaxe  im  Verhältniss 
zum  übrigen  Körper  verändert  werden.  Denn  bei  unbefangener  Betrachtung 
scheint  das  erste  äussere  Segmentpaar  längs  des  Vorderhirns  gerade  ebenso 
hinabzuwachsen,  wie  es  später  den  anderen  Segmenten  ergeht,  obgleich  die 
Ausdehnung  der  letzteren  rechtwinkelig,  jenes  erstere  Wachsthum  aber  parallel 
zum  zugehörigen  Axenabschnitte  erfolgt,  während  später  ein  eigentliches  Hin- 
abwachsen des  ersten  äusseren  Segmentpaares  im  Sinne  einer  Entfernung  von 
der  Axe,  wenngleich  es  von  der  früheren  Richtung  nicht  wesentlich  abweicht, 
als  ein  zweiter  Akt  unterschieden  werden  kann. 

Dritte  Entwickelungsstufe.  In  der  zuletzt  betrachteten  Entwicke- 
lungsperiode  vollzog  sich  die  Gliederung  des  mittleren  Keimblattes  in  Theile, 
welche  aus  einer  höchst  einfachen  Grundlage  nach  bestimmten  morphologischen 
Gesetzen  hervorgegangen,  eine  solche  Regelmäsigkeit  der  Form  und  der  Lage- 
rung offenbaren,  dass  ich  sie  die  architektonischen  Elemente  nennen  möchte. 
Neue  Formen  derselben  entstehen  nicht  mehr,  wohl  aber  wächst  ihre  Anzahl 
durch  die  nach  hinten  fortschreitende  Gliederung  der  noch  ungetheilten  Seg- 
mentplatten. Abgesehen  von  dieser  einfachen  Fortsetzung  bereits  bekannter 
Vorgänge  liegt  der  Schwerpunkt  der  jetzt  vorzuführenden  Entwicklung  darin, 
dass  die  ursprüngliche,  regelmässige  Lage  der  architektonischen  Elemente  so- 
weit verändert,  die  letzteren  soweit  umgebildet  werden,  als  es  die  Lage  und  die 
Verbindung  der  aus  jenen  Elementen  hervorgehenden  Körpertheile  erfordern. 
Mit  andern  Worten  —  wenn  in  dem  ersten  von  mir  aufgestellten  Zeiträume  die 
Grundlagen  entwickelt  wurden ,  an  denen  in  der  darauf  folgenden  Periode  die 
architektonische  Gliederung  sich  vollzog,  so  soll  der  dritte  Zeitabschnitt  die 
Umbildung  der  architektonischen  Elemente  in  die  topographischen  Anlagen  der 
Körpertheile  umfassen,  damit  endlich  die  späteren  Kapitel  der  Einzelbeschrei- 


2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  209 

bimg  und  dem  histiologisclien  Detail  nachgehen  können.  Aber  ebenso  wie  ich 
es  bisher  hielt ,  werde  ich  auch  fernerhin  den  chronologischen  Entwicklungs- 
gang gegenüber  den  von  mir  aufgestellten  Perioden  häufig  vernachlässigen  und 
zu  Gunsten  des  Verständnisses  Manches  vorausgreifend  an  frühere  Zustände 
anschliessen ,  Einzelnes  wiederum  für  spätere  Kapitel  aufsparen.  Auch  hier 
will  ich  den  Rumpf ,  welcher  die  einfacheren  Verhältnisse  darbietet,  der  Be- 
trachtung zuerst  unterziehen. 

Der  Rumpftheil. 

Die  Segmente  des  Rumpfes  habe  ich  in  der  Beschreibung  so  verlassen, 
dass  man  sie  ganz  kurze  dreiseitige  Prismen  nennen  könnte,  welche  mit 
der  Hauptaxe  parallel  zur  Wirbelsaite  gelagert,  eine  Grundfläche  und  eine 
obere  Kante  mit  beiderseits  nach  aussen  und  medianwärts  abfallenden  Flächen 
besitzen;  der  innere  untere  Rand  ist  breit,  während  der  laterale  Theil  der 
Basis  mit  der  Seitenplatte  zusammenhängt  {Taf.  V).  Die  Formveränderung 
der  ganzen  Segmente  bis  zu  der  Zeit,  wo  dieselben  sich  in  verschiedene 
Gewebe  zu  verwandeln  beginnen,  ist  nicht  von  Bedeutung  {Taf.  IV Fig.  76, 
Taf.  VI  Fig.  90—101,  Taf.  VII  Fig.  121—123).  Zunächst  nehmen  sie  in  der 
Längsrichtung  zu  und  füllen  sich  in  der  früher  angegebenen  Weise  mit  neuen, 
von  den  Seitenplatten*  her  einwandernden  Zellen.  Dabei  ziehen  sie  sich  in  der 
Querrichtung  noch  mehr  zusammen,  ihre  Kanten  und  Ecken  runden  sich  ab 
und  die  medialen  und  lateralen  Flächen  werden  von  vorn  nach  hinten  konvex. 
Sah  man  vorher  auf  einem  Frontaldurchschnitte  des  Rückens  die  Segmente 
durch  langgestreckte  zur  Körperaxe  quergestellte  Vierecke  angedeutet,  so  er- 
scheinen die  letzteren  nach  der  beschriebenen  Veränderung  zuerst  in  Quadrate 
mit  abgerundeten  Winkeln  und  dann  in  einen  fassförmigen  Umriss  verwandelt. 
Dieser  letztere  Durchschnitt  besteht  noch  zur  Zeit  der  histiologisclien  Sonderung 
der  Segmente.  Dass  diese  Umbildungen  jedoch  keine  wesentliche  Gestaltverän- 
derung der  Segmente  bedingen,  lehren  uns  die  Querdurchschnitte :  diese  sind 
höher  und  schmäler  geworden,  sonst  aber  dreieckig  geblieben  {Taf.  VI  Fig.  114. 
115,  Taf.  VII  Fig.  136—  139).    Es  haben  also  die  Segmente  trotz  des  Formen- 


*  Ich  mache  darauf  aufmerksam ,  dass  die  Seitenplatten  vor  ihrer  Trennung  von  den 
Segmenten  eben  nur  die  ausserhalb  des  Rückens  befindlichen,  indifferenten  Theile  des  mitt- 
leren Keimblattes,  keineswegs  aber  schon  bestimmte  Anlagen  darstellen,  da  ja  solche  natür- 
lich nicht  ganz  unbegrenzt  in  den  Bestand  anderer  Theile  eingehen  könnten. 

Goette,  Entwickelungsgeschichte.  14 


210  IV.  Die  Sonderung  der  einzelnen  Organanlagen. 

wechseis  der  Frontal clurclischnitte  die  frühere  prismatische  Gestalt  behalten. 
Dagegen  ist  die  schon  angedeutete  innere  Sonderung  der  Segmente  (Rinden- 
schicht und  Kern)  unterdessen  fortgeschritten  und  hat  endlich  zur  Ausbildung 
ganz  bestimmter  Anlagen  geführt.  Um  aber  gleich  ein  richtiges  Bild  dieser 
Entwickelung  zu  gewinnen,  untersuche  man  zunächst  die  Segmente  der  hinteren 
Hälfte  des  Rumpfes  bis  in  den  Schwanz  hinein,  wo  die  Verhältnisse  einfacher, 
übersichtlicher  sind.  Da  nun  alle  Veränderungen  der  Segmente  ebenso  wie  die 
sie  erzeugende  Gliederung  in  der  Nähe  des  Kopfes  beginnen  und  dann  rück- 
wärts fortschreiten,  sodass  am  Schwanzende  mancher  Entwickelungsvorgang 
noch  nicht  angefangen  hat,  der  in  der  vorderen  Rumpf  hälfte  bereits  abgelaufen 
ist,  so  wird  die  empfohlene  Untersuchung  zum  Theil  an  älteren  als  den  bisher 
betrachteten  Embryonen  anzustellen  sein. 

Es  wurde  schon  in  der  Entwickelungsgeschichte  der  Axenplatte  ausgeführt, 
dass  der  Schwanz  der  Batrachierembryonen  als  eine  vollständige  Fortsetzung 
des  Rumpfes  anzusehen  sei ,  indem  nicht  nur  die  Anlagen  des  Rückens  in  ihn 
übergehen,  wie  die  gewöhnliche  Ansicht" lautet,  sondern  auch  eine  sehr  ver- 
schmächtigte  Verlängerung  der  Darmanlage  (Schwanzdarm),  welche  am  Ende 
der  Wirbelsaite  unmittelbar  mit  der  Rückenmarksröhre  zusammenhängt  {Taf.  II 
Fig.  38).  In  der  Medianebene  des  Schwanzes  liegt  also  oben  und  unten  je  ein 
röhriges  Gebilde  (Rückenmark  —  Schwanzdarm),  und  zwischen  ihnen,  sie 
auseinanderhaltend  aber  mit  beiden  innig  verbunden,  ein  solider  Strang,  die 
Wirbelsaite.  Anfangs,  wenn  die  Schwanzanlage  wie  ein  kurzer  Kegel  aus  dem 
breiten  Rücken  hervorragt,  überwiegt  bei  den  genannten  drei  medianen  Anlagen 
die  Breitendimension;  und  dasselbe  ist  alsdann  auch  bei  der  unförmlichen  Masse 
des  mittleren  Keimblattes  der  Fall,  welche  die  ersteren  jederseits  einfasst 
und  die  Anlagen  der  Segment-  und  Seitenplatten  des  Schwanzes  noch  unge- 
sondert enthält  {Taf.  V  Fig.  95—97,  Taf.  VI  Fig.  117.  118).  Während  der 
eigentümlichen  Vertheilung  der  Embryonalzellen,  welche  man  schlechtweg  als 
Längenwachsthum  bezeichnet,  nimmt  die  Mächtigkeit  aller  jener  Theile  gerade 
in  der  Breite  ab ,  sodass  sie  wie  der  ganze  Schwanz ,  welcher  sich  zu  der  be- 
kannten Gestalt  des  Ruderorgans  umzuwandeln  begonnen,  insgesammt  von 
den  Seiten  her  abgeplattet  erscheinen  {Taf.  VII  Fig.  139—141,  Taf  XIII 
Fig.  242—245):  Jetzt  beginnt  die  Sonderung  in  den  seitlichen  Massen  des 
mittleren  Keimblattes.  Man  unterscheidet  deutlich  zwei  Schichten,  eine  innere 
und  eine  äussere,  welche  in  Folge  der  Zellenvertheilung  nach  hinten  zu  ähnlich 
wie  die  zwei  ursprünglichen  Blätter  im  mittleren  und  vorderen  Rumpftheile 


2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  211 

nicht  viel  mehr  als  eine  einfache  Zellenlage  in  der  Dicke  enthalten.  Zugleich 
dringt  die  Abgliedemng  der  Segmente  bis  in  den  Schwanz  vor,  und  man  erkennt 
schon  an  ihrem  Relief  nach  Entfernung  der  Oberhaut,  dass  sie  den  bei  weitem 
grossesten  Theil  der  seitlichen  Massen  des  mittleren  Keimblattes  einnehmen 
und  ohngefähr  bis  zur  Bauchfläche  des  Schwanzdarmes  hinabreichen.  Ihr 
senkrechter  Querdurchschnitt  ist  von  oben  nach  unten  länglich ,  in  der  Mitte 
breiter  und  nach  innen  dem  Relief  der  medianen  Bildungen  angepasst,  nach 
oben  und  unten  verjüngt.  Die  Zunahme  der  Breite  in  der  mittleren  Höhe 
hängt  von  der  inneren  Segmentschicht  ab,  deren  Zellen  bei  ihrer  Vermehrung 
durch  Theilung  aus  ihrem  früheren  festen  Gefüge  lateralwärts  heraustretend 
eine  lockere  Ansammlung  bilden,  während  die  Zellen  der  äusseren  Schicht  ihre 
Vervielfältigung  etwas  früher  beginnen,  aber  damit  nicht  die  Mächtigkeit  son- 
dern die  Flächenausdehnung  ihrer  einfach  bleibenden  Lage  namentlich  nach 
oben  fördern.*  So  kommt  es,  dass  die  beiderseitigen  äusseren  Segmentschichten 
zwischen  Oberhaut  und  Rückenmark  hinaufwachsen  und  über  dem  letzteren 
und  unter  der  dachförmigen  Anlage  der  dorsalen  Schwanzflosse  sich  zu  einem 
lockeren  Gewebe  vereinigen,  dem  sich  später  wohl  auch  Ausläufer  der  inneren 
Segmentschicht  zugesellen.  Dies  ist  die  Membrana  reuniens  superior  aut. ,  die 
aber  durchaus  nicht  eine  vorläufige  und  vergängliche  Bildung,  sondern  die 
bleibende  Grundlage  der  an  dieser  Stelle  sich  entwickelnden  Gewebe  ist.  Unter 
dem  Schwanzdarme  sind  die  Segmente  durch  ein  Zellengewebe  verbunden, 
welches,  obgleich  offenbar  ein  Analogon  der  Seitenplatte,  eine  Anordnung  der 
Elemente  in  Schichten  vermissen  lässt.  An  der  Schwanzwurzel  jedoch,  wo  der 
röhrenförmige  Schwanzdarm  im  Uebergange  zur  Darmanlage  und  Dotter- 
zellenmasse des  Rumpfes  ansehnlich  höher  wird,  findet  man  schon,  dass  die 
beiden  Segmentschichten,  indem  sie  nicht  mehr  bis  an  die  Bauchfläche  der 
Darmanlage  reichen,  abwärts  sich  in  zwei  einfache  Zellenlagen  fortsetzen,  wel- 
che die  beiden  Blätter  der  Seitenplatten  darstellen  und  erst  an  der  Bauchfläche 
diese  Anordnung  verlieren.  In  der  hintersten  Rumpfpartie  endlich,  wo  bereits 
die  der  Darmanlage  angefügte  Dotterzellenmasse  den  Bereich  der  Seitenplatten 
nach  unten  ausdehnt,  ist  die  beschriebene  Umbildung  des  mittleren  Keimblattes 
noch  deutlicher  zu  übersehen;  gerade  diese  Durchschnittsbilder  schliessen  sich 


*  In  Fig.  139—141  ist  die  Reihenfolge  dieser  Veränderungen  an  Durchschnitten  des- 
selben Embryo,  die  in  gewissen  Abständen  hinter  einander  lagen  ,  erläutert;  was  aber  dort 
nur  räumlich  nach  einander  erscheint,  entwickelt  sich  in  derselben  Reihenfolge  auch  zeitlich 
an  jeder  einzelnen  Stelle  des  Schwanzes. 

14* 


212  IV.  Die  Sonderimg  der  einzelnen  Organanlagen. 

aber  unmittelbar  au  diejenigen  der  übrigen  Rumpfsegmente  an  und  können 
daher  zur  Erklärung  der  Befunde  an  den  letzteren  dienen,  deren  Entwickelungs- 
gang  bei  ihrem  beständigen  Formenwechsel  sich  der  sicheren  Erkenntniss  ent- 
zieht.    Denn  bei  der  ersten  Bildung  der  Segmentplatten  werden  die  Grenzen 
der  zwei  ursprünglichen  Schichten  meist  undeutlich,  oder  die  ganze  Oberfläche 
der  Platte  erscheint  gegenüber  der  locker  gefügten  Mitte  hautartig,  so  dass  das 
Bild  eines  von  einer  Hülse  eingeschlossenen  Kernes  entsteht,  und  man  annehmen 
könnte,  dass  die  beiden  Hülsenblätter,  wie  ich  sie  früher  nannte  (Nr.  G4),  die 
gleichwertigen  Fortsetzungen  der  zwei  Schichten  der  Seitenplatten  seien,  wel- 
che alsdann  gemeinsam  durch  Absetzen  überschüssiger  Zellen  den  Kern  zwi- 
schen sich  gebildet  hätten  (Taf.  IV  Fig.  67—69).     Dieses  ist  nun  aber  nicht 
richtig;  denn  wenn  auch  an  der  Innenfläche  der  im  Durchschnitte  bereits  drei- 
eckigen Segmente  bisweilen  die  Andeutung  einer  hautartigen  Schicht  erscheint, 
so  lässt  sie  sich  alsdann  doch  nur  stellenweise  von  der  lockeren  Hauptmasse 
des  Segments  unterscheiden ,  mit  welcher  sie  gemeinsam  in  die  innere  Schicht 
der  Seitenplatte  übergeht,  während  die  äussere  Rindenschicht  jederzeit  ebenso 
deutlich  als  einzige  Fortsetzung  der  äusseren  Schicht  der  Seitenplatte,  wie  durch 
eine  mehr  oder  weniger  klaffende  Spalte  von  der  übrigen  Segmentmasse  ge- 
trennt erscheint  (Taf.  V  Fig.  83.  84.  86.  87.  92-94).     Hält  man  dies  mit  dem 
Befunde  am  Schwänze  zusammen ,  so  wird  man  auch  für  den  ganzen  Rumpf 
annehmen  müssen,  dass  die  schon  sehr  frühe  entwickelte  Rindenschicht  am 
lateralen  Abhänge  der  Segmente  der  ganzen  äusseren  Segmentschicht, 
die  ganze  übrige  Segmentmasse  aber  der  inneren  Segmentschicht  ent- 
spricht, in  welcher  sich  erst  allmählich  und  nachträglich  die  lockere  Hauptmasse 
(Segmentkern)  von  einer  medialen  hautartigen  Schicht  (inneres  Segment- 
blatt) absondert,  während  beide  vor  ihrem  Uebergange  in  die  Seitenplatte 
zu  einer  einzigen  Masse  vereinigt  sind  (Taf.  VII  Fig.  139).     Man  wird  über- 
haupt die  richtigste  Anschauung  vom  wahren  Sachverhalt  gewinnen,  wenn  man 
sich  das  Bild  der  beiden  Keimschichten  vergegenwärtigt,  von  denen  die  äussere 
in  ein  einziges  Blatt  sich  verwandelt,  während  die  sekundäre  innere  in  einem 
Theile  ihrer  Ausdehnung  sich  in  zwei  Blätter  spaltet.     Mit  Rücksicht  auf  die 
klaren  Verhältnisse  am  Schwanzende  kann  man  denn  auch  für  den  ganzen  Rumpf 
annehmen,  dass  die  Membrana  reuniens  superior  wesentlich  aus  einer  Verlänge- 
rung der  äusseren  Segmentschichten  entstellt,  obgleich  dies  wenig  belangreich 
erscheint.     Während  aber  diese  obere  Verbindung  der  Segmente  sich  bildet, 
wird  die  Trennung  derselben  von  den  Seitenplatten  eingeleitet  (Taf.  VI  Fig.  114. 


2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  213 

115,  Taf.  VII Fig.  136— 138).  Das  erste. Anzeichen  davon  ist  eine  Kerbe, 
welche  von  dem  äusseren  unteren  Rande  der  Segmente ,  also  etwas  unterhalb 
der  Höhe  der  Wirbelsaite  den  vorher  bestandenen  Uebergang  der  äusseren 
Segmentschicht  in  das  äussere  Blatt  der  Seitenplatten  unterbricht.  Von  jener 
Kerbe  aus  dringt  die  spaltförmige  Trennung  nach  innen  vor,  .aber  nicht  etwa 
auf  dem  kürzesten  Wege  durch  das  mittlere  Keimblatt,  d.  h.  nach  innen  und 
unten,  sondern  in  ziemlich  horizontaler,  eher  medianwärts  etwas  ansteigender 
Richtung,  wobei  eine  Fortsetzung  der  ganzen  Seitenplatte  gleich  in  Folge  der 
Trennung  von  den  Segmenten  unter  die  letzteren  zu  liegen  kommt.  Ohngefähr 
unter  der  Mitte  der  dadurch  gebildeten  unteren  Fläche  der  Segmente  verwach- 
sen die  beiden  Blätter  der  Seitenplatte  zu  einer  durch  die  ganze  Länge  des 
Rumpfes  verlaufenden  Falte  (Gekrösefalte),  welche  sich  alsdann  vollends  von 
den  Segmenten  trennt.  Diese  Abtrennung  der  Seitenplatten  von  den  Segmenten 
reicht  etwa  bis  zu  der  Stelle,  wo  die  Lichtung  des  Darmkanals  sich  erweitert, 
um  sich  in  die  direkte  Fortsetzung,  den  Schwanzdarm,  und  die  abwärts  ge- 
richtete Abzweigung  des  künftigen  Mastdarms  zu  spalten.  Von  dieser  Stelle 
an  rückwärts  verwischt  sich  sowohl  die  Zweischichtigkeit  der  Seitenplatte,  als 
auch  andererseits  die  Segmente  auf  Kosten  derselben  immer  tiefer  hinabreichen 
(Taf.  XIII  Fig.  241-245). 

Uebersieht  man  nun  die  ganze  geschilderte  Ausbildung  der  Segmente  und 
der  Seitenplatten,  so  ergibt  sich  eine  einheitliche  Erklärung  derselben,  wie  mir 
scheint,  ganz  ungezwungen,  wenn  man  sich  des  allgemeinen  Vorganges  im  Anfange 
dieser  Bildungen  erinnert.  Ist  es  bei  der  scharfen  Absonderung  des  mittleren 
Keimblattes  wenigstens  in  der  hier  zunächst  in  Betracht  kommenden  oberen 
Körperhälfte  und  bei  dem  Mangel  jeder  anderen  Ursache  für  das  Wachsthum 
der  Segmente  eigentlich  unumgänglich,  das  letztere  aus  dem  schon  geschilderten 
Vorrücken  der  ventralen  Theile  des  Keimblattes  in  die  dorsalen  Segmentplatten 
zu  erklären,  so  wird  diese  Anschauung  durch  die  spätere  Entwickelung  durch- 
aus bestätigt.  Denn  wenn  unter  einer  solchen  Voraussetzung  die  Massen  der 
fertigen  Segmente  und  Seitenplatten  überall  so  von  einander  abhängig  sein 
müssen,  dass,  wo  der  eine  Theil  überwiegt,  dies  nicht  etwa  nur  bei  relativem 
Zurückstehen,  sondern  auf  Kosten  des  ursprünglichen  Bestandes  des  anderen 
geschieht,  so  entspricht  dies  vollkommen  den  thatsächlichen  Verhältnissen,  da 
im  Kopfe  und  im  Schwänze,  wo  die  Seitenplatten  stetig  abnehmen  und  endlich 
theilweise  ganz  verschwinden,  die  Segmente  zu  den  entsprechend  grössten 
Massen  anwachsen  und  nicht  nur  aufwärts,  sondern  auch  frühzeitig  mit  massi- 


214  IV.  Die  Souderung  der  einzelnen  Organanlägen. 

gen  Fortsetzungen  sich  abwärts  ausdehnen;  wogegen  die  vorherrschende  Ent- 
wicklung der  Seitenplatten  im  eigentlichen  Rumpfe  (Gekröse,  Urniere  u.  s.  w.) 
die  Ausbildung  der  Segmente  auf  ein  gewisses  Mass  beschränkt.  Dass  diese 
letztere  Entwickelung  aber  nur  nach  einer  Trennung  der  beiderlei  Anlagen 
möglich  ist,  bedarf  keiner  Erklärung,  da  ihr  kontinuirlicher  Zusammenhang 
eben  die  noch  fortdauernde  Verwendung  der  Seitenplatten  zur  Vergrösserung 
der  Segmente  anzeigt.  Nun  ergeben  sich  aber  auch  die  Ursachen  jener  Tren- 
nung nebst  deren  Folgen  aus  dem  zu  Grunde  gelegten  allgemeinen  Vorgange. 
Der  Vorrath  der  Seitenplatten  an  sich  theilenden  Zellen  gewährleistet 
ein  bestimmtes  Mass  ihrer  Ausdehnug  nach  oben.  Solange  nun  der  für  die 
Segmente  bestimmte  Raum  in  Folge  der  Aufkrümmung  der  Medullarplatten  in 
demselben  Verhältnisse  wie  jene  Ausdehnung  wächst,  werden  die  vorrückenden 
Elemente  der  Seitenplatten  in  die  Segmente  aufgenommen,  bleibt  also  der  kon- 
tinuirliche Zusammenhang  beider Theile  bestehen;  sowie  aber  nach  dem  Schlüsse 
der  Rückenmarksröhre  jener  Raum  nicht  mehr  in  dem  früherenGrade  zunimmt, 
kann  der  Rand  der  Seitenplatte  nicht  mehr  in  dem  Masse,  als  er  i'ortwächst ,  in 
die  Segmentmassen  eingehen,  muss  also  gleichsam  dem  Widerstände  derselben 
weichend  in  einer  anderen  Richtung,  eben  zwischen  dem  Darmblatte  und  den 
Segmenten  vordringen,  wodurch  die  Trennung  von  den  letzteren  herbeigeführt 
wird.  Bestätigt  wird  diese  Auffassung  einmal  durch  den  Umstand,  dass  jene 
andauernde  Ausdehnung  der  Seitenplatten  weiterhin  ganz  augenscheinlich  ist, 
indem  die  beiden  Gekrösefalten  über  dem  Darmblatte  zusammenstossen  und 
beide  Schichten  der  Seitenplatten  durch  Faltung  Neubildungen  ausführen,  be- 
vor ihr  Zellenvorrath  etwa  durch  Nahrungszufuhr  vermehrt  wird;  ferner  da- 
durch, dass,  wo  eine  solche  Ausdehnung  der  Seitenplatten  nicht  nachweisbar 
ist,  wie  im  Kopfe  und  im  Schwänze,  auch  eine  Abgliederung  derselben  von  den 
Segmenten  unterbleibt. 

Durch  die  Ablösung  der  Seitenplatten  von  den  Segmenten  erhalten  die 
letzteren  eine  freie  äussere  Kante,  in  welcher  die  unteren  Ränder  beider  Segment- 
schichten  zusanmienstossen  und  während  einiger  Zeit  ebenso  wie  die  Blätter  der 
Seitenplatte  faltenförmig  zusammenhängen  (Taf.  VII  Fig.  137. 138,  Taf.  XU  I 
Fig.  Ml).  Diese  Falte  wächst  später  zwischen  der  Seitenplatte  und  der  Ober- 
haut abwärts,  sodass  ihre  Erzeugnisse  endlich  von  beiden  Seiten  in  der  Mittel- 
linie des  Bauches  zusammentreffen.  Als  unmittelbare  Fortsetzung  der  Seg- 
mente zeigt  sie  gleich  anfangs  alle  Abtheilungen  derselben,  welche  sich  theil- 
weise  dauernd  erhalten,  sodass  also  die  ursprünglich  nur  im  Rücken  angelegte 


2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  215 

Gliederung  so  weit  auch  auf  die  Baucligegend  ausgedehnt  wird,  als  die  selbst- 
ständige Seitenplatte  oder  die  Gekrösefalte  reicht.  Diese  Grenze,  welche 
annähernd  mit  der  Stelle  zusammenfällt,  wo  die  Darmlichtung  sich  gleichsam 
spaltet ,  wird  ohngefähr  durch  das  zehnte  Segment  bestimmt.  Die  nähere  Aus- 
führung dieser  Verhältnisse  gehört  aber  in  einen  späteren  Abschnitt.  —  Schliess- 
lich will  ich  noch  bemerken,  dass  durch  die  Sonderung  der  Segmente  in  die 
äussere  Segmentschicht,  den  Kern  und  das  innere  Segmentblatt  ihr  Bestand  im 
ganzen  zunächst  noch  nicht  gestört  wird.  Allerdings  hängen  sowohl  die  ganzen 
Segmente  mit  ihren  vorderen  und  hinteren  Flächen,  als  auch  ihre  Kerne, 
Schichten  und  Blätter  mit  den  entsprechenden  Nachbarn  innigst  [zusammen 
(Taf.  VII  Fig.  121  — 123) ;  trotzdem  tritt  aber  eine  vollkommene  Verschmel- 
zung ohne  Spuren  der  früheren  Trennung  erst  viel  später  und  nur  theilweise 
ein,  während  der  Einfluss  der  früheren  Gliederung  sich  auch  noch  auf  spätere 
Neubildungen  der  genannten  Anlagen,  ja  selbst  ausserhalb  derselben  erstreckt. 

Die  Aufgaben  aller  der  voranstehend  beschriebenen  Anlagen  des  mittleren 
Keimblattes  im  Rumpfe  sind  folgende : 

1.  Die  Wirbelsaite  ist  die  Grundlage  des  ganzen  Stammskelets-, 

2.  Die  innere  Segmentschicht  enthält  im  oberen  Abschnitte  die  Anla- 
gen der  eigentlichen  Rückenmuskeln  (Segmentkerne),  der  bindegewebigen  Theile, 
als  Gefässe,  Rückenmarkshüllen  u.  s.  w.  und  der  Nerven  des  Stammes  (innere 
Segmentblätter);  im  unteren  Abschnitte  alle  inneren,  ursprünglich  der  Körper- 
axe  parallel  laufenden  und  segmentirten  ventralen  Muskeln  mit  den  zugehörigen 
Nerven  und  dem  tiefer  liegenden  Bindegewebe  der  Bauch  wand; 

3.  Die  äussere  Segment  schient  erzeugt  die  Gliedmassen  (Muskeln, 
Knochen,  Nerven,  Bindegewebe),  die  übrigen  (äussern)  Rumpfmuskeln,  die 
Lederhaut  und  das  subkutane  Bindegewebe; 

4.  Die  beiden  Blätter  der  Seitenplatten  trennen  sich  später  von  einander 
und  erzeugen  so  die  serösen  Rumpfhöhlen  zwischen  sich.  Das  äussere  oder  das 
Parietalblatt  bildet  das  Epithel  und  wahrscheinlich  einen  Theil  vom  Binde- 
gewebe des  parietalen  Bauchfells  und  Herzbeutels,  die  Epithelien  der  Harn-  und 
Geschlechtsorgane,  die  Keimsubstanzen  der  letzteren  und  den  Fettkörper; 

5.  Das  innere  Visceralblatt  entwickelt  ausser  den  Epithelien  des  visce- 
ralen Bauchfells  alle  bindegewebigen  und  muskulösen  Theile  des  Darms  und 
der  von  ihm  ausgehenden  Organe,  den  Gefässknäuel  der  Urniere,  endlich  das 
Herz  mit  Ausnahme  des  Endokardiums. 


216  IV.    Die  Sonderling  der  einzelnen  Organanlagen. 

Der  Kopf. 

Der  Zusammenhang  der  allgemeinen  und  besonderen  Umbildungen, 
welcher  im  Rumpfe  so  bequem  übersehen  wird,  bietet  in  der  Kopfregion 
einer  klaren  Auffassung  nicht  unerhebliche  Schwierigkeiten.  Dies  bezieht 
sich  insbesondere  auf  die  Seitenwände  der  hinteren  Kopfhälfte,  während  ge- 
rade der  Rückentheil  der  letzteren  dem  gleichnamigen  Theile  des  Rumpfes  im 
wesentlichen  entspricht.  Ich  werde  daher,  um  durch  die  Theilung  der  Aufgabe 
die  einzelnen  Ausführungen  zu  erleichtern,  jene  beiden  Theile  der  hinteren 
Kopfhälfte  und  dann  den  Vorderkopf  getrennt  betrachten.  Denn  jene  schon 
früher  bezeichnete  Zweitheilung  des  Kopfes  kann  ohne  Schwierigkeit  beibehalten 
werden,  auch  wenn  die  äusseren  Grenzmarken  geschwunden  sind.  Dieselben 
bestehen,  wie  wir  wissen,  in  der  halbkreisförmigen  Ausbiegung  der  gesammten 
Körperwand,  welche  von  der  Hirnknickung  aus  jederseits  abwärts  zieht.  Indem 
nun  die  vordere  Kopfhälfte  sich  stark  vorwölbt,  Avird  jene  wulstförmige  Vor- 
ragung allerdings  allmählich  ausgeglichen;  aber  von  einer  Rinne  aus,  welche 
auf  der  Höhe  jenes  Wulstes  hinabzieht,  und  von  dem  entsprechenden  inneren 
Flächenwinkel  des  Darmblattes  her  entwickelt  sich  eine  seitliche,  weiter  unten 
noch  näher  zu  betrachtende  Scheidewand  zwischen  beiden  Kopfhälften,  welche 
dieselben  auch  in  späteren  Perioden  leicht  unterscheiden  lässt. 

Der  Rückentheil  der  hinteren  Kopfhälfte.  Hinsichtlich  der  Wir- 
belsaite habe  ich  nur  an  bereits  Bekanntes  zu  erinnern.  Nachdem  ihre  rudi- 
mentäre Fortsetzung  unterhalb  der  Umbiegungsstelle  während  der  Bildung  des 
ersten  inneren  Segmentpaars  und  der  dasselbe  trennenden  medianen  Lücke  sich 
aufgelöst,  und  auch  die  gekrümmte  Spitze  sich  zurückgezogen  hat,  gehört  die 
Wirbelsaite  eigentlich  mit  ihrem  ganzen  vorderen  Abschnitte  der  hinteren  Kopf- 
hälfte an,  wenn  man  nicht  ihre  äusserste  Spitze  mit  Rücksicht  darauf,  dass  das 
erste  innere  Segmentpaar  daran  stösst,  mit  diesem  zusammen  zum  Vorderkopfe 
rechnen  will  {Taf.  IV  Fig.  76 ,  Taf.  VI  Flg.  99 ,  Taf.  X  VI  Fig.  287).  Ferner 
gehören  zur  hinteren  Kopfregion  das  zweite,  dritte  und  vierte  innere  und 
äussere  Segmentpaar.  Die  äusseren  Segmente  entwickelten  sich  anfangs 
gleichsam  auf  Kosten  der  zurückbleibenden  inneren  Segmente.  In  der  Folge 
bilden  sich  aber  nicht  nur  jene  sondern  auch  die  letzteren  weiter  aus,  wo- 
bei wiederum  die  engen  Beziehungen,  welche  zwischen  den  Formumbildungen 
benachbarter  Theile  bestehen,  deutlich  hervortreten,  und  der  Unterschied 
in  der  Elitwickelung   der  Rumpf-   und    Kopfsegmente   mit   demjenigen   der 


2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  217 

Medullarplatten   und   der  Himplatte  leicht  in   Uebereinstimmung   gebracht 
werden  kann.  Gewährten  die  sich  früh  erhebenden  Medullarplatten  den  ganzen 
Ilumpfsegmenten  alsbald  genügenden  Raum  zur  Entwicklung  einer  kompakten 
Form,  so  verhinderte  dagegen  der  breite  und  längere  Zeit  horizontale  Mittel- 
theil  der  Hirnplatte  eine  ähnlichen  Bildung  der  Kopfsegmente  (Taf.  IV. V). 
Denn  wenn  auch  die  Auf  krümmung  an  der  Hirnplatte  früher  beginnt  als  an  den 
Medullarplatten,  so  beschränkt  sie  sich  doch  während  einiger  Zeit  nur  auf  die 
äusseren  Ränder  und  gestattet  daher  unterdess  eine  Anschwellung  der  Kopf- 
segmente nur  im  lateralen  Theile  (äussere  Segmente),  nicht  aber  im  medialen 
(innere  Segmente).     In  dem  Masse  aber,  als  der  Kopfwulst  sich  medianwärts 
umrollt  und  der  ganze  betreffende  Rückentheil  an  der  allgemeinen  seitlichen 
Abplattung  des  Körpers  Antheil  nimmt,  werden  dadurch  die  äusseren  Segmente 
abwärts  gedrängt,  sodass  nur  eine  einfache  Zellenlage  zwischen   Hirn-    und 
Oberhaut  zurückbleibt,  die  Hauptmasse  aber  in  je  einen  dicken  Strang  ausge- 
zogen wird,  welcher  auf  der  Seitenplatte  mehr  oder  weniger  tief  hinabreicht 
(Taf.  VFig.  91,  Taf.  VI  Fig.  111  — 113).     Noch  unmittelbarer  werden  die  in- 
neren Kopfsegmente  von  der  Hirnentwickelung  beeinflusst.     Solange  dieselbe 
im  Mitteltheile  ruhte,  wurden  auch  jene  niedergehalten;  sobald  aber  die  Röhren- 
bildung der  Hirnplatte  weiter  vorgeschritten  ist  und  nun  auch  ihr  verschmälerter 
Mitteltheii  aufgekrümmt  wird,  ergeben  sich  die  gleichen  Umgebungen  der  Seg- 
mente im  Kopfe  wie  im  Rumpfe,  worauf  auch  die  inneren  Kopfsegmente  sich  ähn- 
lich wie  die  Rumpfsegmente. entwickeln,  nur  in  dem  Masse  schwächer,  als  die 
Zellenzufuhr  vorher  in  die  äusseren  Segmente  abgelenkt  worden  war  (Taf. 
IV —  VI).     Sie  werden  schmäler  und  höher  und  erhalten  ebenfalls  einen  an- 
nähernd dreieckigen  Querdurchschnitt.    Eine  weitere  Uebereinstimmung  zwischen 
den  inneren  Kopf-  und  den  Rumpfsegmenten  wird  aber  erst  durch  die  spätere 
histiologische  Sonderung  evident.     Die  ersteren  verwandeln  sich  nämlich  im 
Innern  in  Muskelbündel ,  welche  als  eine  unmittelbare  Fortsetzung  der  Rücken- 
muskeln nach  vorn  zu  nur  im  Durchmesser  abnehmen,  sodass  sie  in  einen  dünnen 
runden  Strang  auslaufen;  rund  um  die  Muskeln  erzeugen  die  innern  Kopfseg- 
mente ebenfalls  Bindegewebe  und  zur  Seite  des  Hirns  Ganglien  und  Nerven- 
wurzeln (Taf.  VII  Fig.  122.  133  —  136).     Es  ergibt  sich  hieraus,  dass  die  ge- 
nannten Segmente  durchaus  denjenigen  Theilen  der  Rumpfsegmente  entsprechen, 
welche  aus  der  inneren  Segmentschicht  hervorgingen ,  dem  Segmentkerne  nebst 
dem  inneren  Segmentblatte.     Und  wenn  man  dadurch  allein  schon  auf  die  An- 
nahme hingewiesen  wird,  dass  alsdann  die  lateralen,   äusseren  Kopfsegmente. 


218  IV.  Die  Sonderung  der  einzelnen  Organanlagen. 

indem  sie  aus  der  äusseren  Segmentschicht  hervorgingen,  Homologa  der  gleichen 
Schicht  des  Rumpfes  darstellen,  so  findet  man  leicht  noch  weitere  Zeugnisse 
dafür.  Erstens  wachsen  die  lateralen  Segmente  ganz  entsprechend  der  äusseren 
Segmentschicht  des  Rumpfes  zu  Zellenlagen  aus,  welche  nach  innen  von  der 
Epidermis  vollständig  oder  zum  grössten  Theile  den  Umfang  des  Körpers  um- 
schreiben {Taf.  V  Fig.  91. 92,  Taf  VI  Fig.  111  —  113);  ferner  erzeugen  sie 
ebenfalls  die  Lederhaut,  das  subkutane  Bindegewebe  und  einen  seitlichen  Bewe- 
gungsapparat, dessen  Muskeln  ebenso  wenig  wie  diejenigen  der  Gliedmassen 
und  der  äussere  schräge  Bauchmuskel  der  Körperaxe  parallel  laufen,  wodurch 
sich  die  aus  der  innern  Segmentschicht  hervorgehenden  Muskeln  auszeichnen. 
Endlich  lässt  sich  ein  unmittelbarer  Uebergang  der  lateralen  Segmente  in  die 
äussere  Segmentschicht  des  Rumpfes  nachweisen,  indem  sich  die  letztere  an  das 
hinterste  äussere  Kopfsegment  innig  anschliesst  und  später  an  dieser  Ucber- 
gangsstelle  sich  gleichfalls  strangförmig  auszieht,  um  einem  zwischen  Kopf  und 
Schulter  absteigenden  äusseren  Muskel  (m.  sterno-cleido-mastoideus)  Entstehung 
zu  geben  (Taf.  VII  Fig.  123). 

Die  Seitentheile  der  hinteren  Kopfhälfte.  Wenn  die  Bedeutung 
der  lateralen  Kopfsegmente  nach  der  voranstehenden  Betrachtung  unzweifelhaft 
erscheinen  dürfte,  so  ist  doch  ihre  topographische  Umbildung  weniger  einfach 
als  diejenige  der  ihnen  homologen  äusseren  Segmentschicht  des  Rumpfes,  und 
verlangt  eine  ausführliche  Beschreibung.  Bevor  ich  aber  dieselbe  im  Zusammen- 
hange mit  der  Entwickelungsgeschichte  der  ganzen  Seitenwände  des  Hinter- 
kopfes aufnehme,  halte  ich  es  für  geboten,  wie  schon  früher  einmal  bei  ähn- 
licher Gelegenheit,  einige  Bemerkungen  über  die  allgemeinen  Verhältnisse  des 
ganzen  vorderen  Körperabschnittes  vorauszuschicken. 

Meine  Beschreibung  ist  in  dieser  Hinsicht  mit  dem  unter-  und  innerhalb 
des  Darmblattes  gelegenen  Räume  oder  der  Darmhöhle  bisher  am  meisten  im 
Rückstande  geblieben,  daher  eine  kurze  Uebersicht  ihrer  Umbildungen  hier 
zuerst  Platz  finden  soll.  Im  Beginne  der  Rückenbildung ,  wann  der  Embryo 
noch  kugelförmig  erscheint,  erstreckt  sich  die  Darmhöhle  in  ziemlich  gleicher 
Breite  und  Höhe  zwischen  dem  Keime  und  der  Dotterzellenmasse  bis  über  die 
vordere  Grenze  des  durch  die  Hirnanlage  bezeichneten  Kopftheils  hinaus;  aber 
erst  während  der  Embryo  sich  streckt,  wird  durch  das  Hervorwachsen  des 
Kopfes  eine  vordere  Grenze  zwischen  Rücken  und  Bauch  abgesteckt  (Taf.  II 
Fig.  33 — 38).  Das  ursprünglich  eine  gleichmässig  gewölbte  Decke  der  Darm- 
höhle darstellende  Darmblatt  wird  dabei  nur  bis  zum  vorderen  Hirnende  dem 


2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  219 

Rücken  zugetheilt,  sein  darüber  hinausgehender  Abschnitt  aber  gleichsam  nach 
unten  und  hinten  in  den  Bauch theil  umgeschlagen,  sodass  er  den  Boden  des  vor- 
dersten Darmraumes  bildet  und  die  an  das  Darmblatt  sich  anschliessende  Dotter- 
zellenmasse auf  die  grössere  hintere  Körperhälfte  beschränkt  bleibt.  Da  nun  bei 
jener  Streckung  des  Embryo  sein  Ruckes  einsinkt,  also  sich  der  darunter  liegen- 
den Dotterzellenmasse  nähert,  andererseits  entsprechend  der  fortschreitenden 
Verlängerung  sich  von  den  Seiten  her  bedeutend  zusammenzieht,  so  ist  die  ausser- 
ordentliche Abnahme  der  Darmlichtung  im  Rumpfe  verständlich  {Taf.  III— IV). 
In  der  vorderen  Körperhälfte  dagegen  wurde  das  Darmblatt,  wie  eben  erwähnt, 
gleich  anfangs  nicht  nur  zur  Decke,  sondern,  in  Folge  einer  Art  von  Ausstülpung 
in  den  aus  der  ursprünglichen  Kugelfläche  hervorwachsenden  Kopf,  zur  voll- 
ständigen, sackartigen,  nur  nach  hinten  offenen  Auskleidung  des  betreffenden 
Darmraumes  oder  Vor  der  darin  es.  Es  erhellt  daraus,  dass  der  letztere  einer 
Verengerung  durch  die  Dotterzellenmasse,  wie  sie  im  Rumpfe  stattfindet,  voll- 
ständig entzogen  und  seine  Gestalt  nur  von  den  Umbildungen  der  ihn  um- 
schliessenden  Körperwand  abhängig  bleibt.  Bestimmend  sind  dabei  natürlich 
die  stärksten,  widerstandsfähigsten  Theile  der  letzteren,  also  der  ganze  vordere 
Rückentheil  und  der  Vorderkopf,  während  die  von  diesen  zur  Dotterzellenmasse 
ausgespannte  Körperwand  sich  der  wechselnden  Lage  dieser  entgegengesetzten 
Ansatzstellen  zu  einander  anpasst.  Nun  verschmälern  sich  aber  die  genannten 
Theile ,  namentlich  der  Vorderkopf,  viel  weniger  als  der  mittlere  und  hintere 
Rumpftheil;  und  wenn  der  in  der  Längsrichtung  des  ganzen  Körpers  ursprüng- 
lich sehr  kurze,  aber  hohe  und  breite  Vorder  dann  bei  seiner  mit  einer  Aus- 
stülpung verglichenen  Umbildung  sich  nur  auf  Kosten  der  übrigen  Dimensionen 
verlängern  kann,  so  geht  doch  sein  Querschnitt  im  vorderen  Theile  nicht  unter 
das  Mass  des  Vorderkopfes  hinab,  welcher  seinen  vorderen  Abschluss  bildet, 
übertrifft  daher  stets  denjenigen  des  über  der  Dotterzellenmasse  gelegenen 
Mitteldarms.  Nur  in  seinem  hinteren  oberen  Theile  verengt  sich  der  Vorder- 
darm ganz  auffallend,  weil  er  dort  bei  seinem  Uebergange  in  den  engen  Mittel- 
darm  bereits  die  Grenze  des  Kopfes  überschreitet  und  in  den  Bereich  des 
Rumpfes  gelangt  {Taf.  VI  Fig.  110—114,  Taf.  VII  Fig.  IM).  Denn  dieser 
aus  einem  flachen  Gewölbe  in  einen  nahezu  cylindrischen  Blindsack  sich  aus- 
ziehende vordere  Darmraum  umfasst  zwei,  erst  später  deutlich  geschiedene  Ab- 
schnitte, von  denen  der  vordere  dem  Kopfe,  der  hintere  dem  Rumpfe  angehört. 
Die  Grenze  zwischen  beiden  verläuft,  wie  es  schon  früher  ausgeführt  wurde, 
bogenförmig  abwärts  und  vorwärts,  sodass  die  dem  Kopfe  angehörige  Zone  der 


220  IV.  Die  Sonderung  der  einzelnen  Organanlagen. 

Seitenwand  nach  unten  schmäler,  die  andere  in  derselben  Richtung  breiter  wird. 
Diese  Grenzlinie  blieb  aber  anfangs  bloss  eine  ideale  und  wurde  nur  mit  Rück- 
sicht auf  die  folgende  Entwickelung  angenommen.  Erst  in  der  vorliegenden 
Periode  zeigen  sich  die  ersten  Vorbereitungen  zu  einer  solchen  Scheidung 
(Taf.  II  Fig.  35—38,  Taf.  VI  Fig.  110—112,  Taf.  VII  Fig.  119.  120. 
130 — 1357  Taf.  XIV  Fig.  249).  Während  jene,  die  Bildung  des  ersten  inneren 
Segmentpaares  einleitende  mediane  Lücke  des  mittleren  Keimblattes  entsteht, 
treten  innerhalb  derselben  das  obere  Keimblatt  und  das  Darmblatt  in  eine 
Berührung,  welche  alsbald  in  eine  ziemlich  feste  Verbindung  übergeht.  Diese 
reicht  vom  Vorderhirne  bis  dicht  hinter  die  Anlagen  der  Haftorgane,  also  bis 
in  den  Boden  des  noch  ungesonderten  Vorderdarmes  hinein,  wo  sie  eine  leichte 
mittlere  Einsenkung  des  dicken  Darmblattes  hervorruft.  Zu  beiden  Seiten 
dieser  Furche  erhebt  sich  das  Darmblatt  zu  einer  queren,  gegen  die  Höhle  vor- 
ragenden Falte;  diese  beiden  Falten  fliessen  aber  in  der  Mitte  sehr  bald  unter 
Zurücklassung  nur  des  vordersten  Theils  jener  Einsenkung  zu  einer  einzigen 
zusammen,  welche  ich  die  Grenzfalte  nennen  will.  So  lange  der  ganze  Boden 
des  Vorderdarmes  zum  Vorderhirne  steil  aufsteigt,  bleibt  die  Grenzfalte  unbe- 
deutend, und  markirt  sich  nur  dadurch,  class  sie  den  tiefsten  Theil  des  Vorder- 
darmes unmittelbar  vor  der  Dotterzellenmasse  zu  einer  Tasche  verengt.  Indem 
nun  der  vordere  Theil  desselben  auf  Kosten  seiner  Höhe  und  Breite  sich  ver- 
längert, bleibt  der  Rand  der  Grenzfalte  in  seiner  Lage  am  Eingange  in  jenen 
hinteren  Blindsack  des  Vorderdarmes,  wird  aber  ihr  vorderer  Abhang  zum  sanft- 
geneigten  Boden  des  erweiterten  Darmabschnittes  ausgezogen  und  dabei  von 
der  sich  tiefer  senkenden  Oberhaut  noch  weiter  abgehoben,  sodass  die  ganze 
Grenzfalte  ansehnlich  erweitert  erscheint  und  der  von  ihren  beiden  Abhängen 
und  der  abgehobenen  Oberhaut  umschlossene  Raum  bereits  als  der  künftige 
Herzraum  aufgefasst  werden  kann ,  in  welchem  sich  der  Perikardialsack  mit 
dem  Herzen  entwickelt.  Die  Grenzen  dieses  Herzraumes  sind  nun  auch  für 
den  Kopf  mitbestimmend;  seine  hintere  Grenze  fällt  mit  derjenigen  des  vierten 
lateralen  Kopfsegmentes  zusammen,  und  seine  obere  Grenze  wird  andererseits 
von  den  abwärts  wachsenden  Kopfsegmenten  nicht  überschritten  {Taf.  XVI 
Fig.  291.  290).  Dagegen  erstreckt  er  sich  vorwärts  nicht  ganz  bis  zum  Vor- 
derkopfe, sodass  zwischen  beiden  ein  schmaler  Streifen  der  ursprünglichen 
ventralen  Körperwand  zurückbleibt  (Taf.  XVI  Fig.  292.  293.  29s).  Da  nun 
der  Herzraum  durch  eine  später  eintretende  Verschiebung  ganz  in  den  Rumpf 
hineingezogen  wird,  also  die  Kopfregion  verlässt,  so  kann  man  den  Begriff  des 


2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  221 

Kopftheils  ausschliesslich  auf  alle  vor  und  über  dem  Herzräume  gelegenen 
Theile  beschränken.  Seine  Grenzlinie  zieht  also  hinter  dem  vierten  lateralen 
Segmente  bis  zur  Höhe  des  Herzraumes  hinab,  dann  längs  dessen  nach  vorn 
geneigter  Decke  oder  dem  abfallenden  Boden  des  Vorderdarmes  schräg  vor- 
imd  abwärts  zur  Bauchseite,  wo  sie  eine  kurze  Strecke  hinter  der  unteren  Grenze 
des  Vorderkopfes  mit  der  anderseitigen  Grenzlinie  zusammentrifft.  So  entsteht 
jene  schräge,  beinahe  kreisförmige  Scheidegrenze  zwischen  Kopf  und  Rumpf, 
in  Folge  dessen  die  hintere  Kopfhälfte  einem  von  oben  abwärts  sich  ansehnlich 
verschmälernden  Gürtelabschnitte  der  gesammten  Körperwand  vergleichbar 
wird  {Taf.  XVI Fig.  295. 296).  In  der  in  Rede  stehenden  Entwickelungsperiode 
setzt  sich  übrigens  der  Kopf  auch  schon  äusserlich  gegen  den  Rumpf  deutlich  ab; 
durch  die  hinabwachsenden  dicken  Stränge  der  lateralen  Segmente  behält  seine 
Seitenwand  eine  gewisse  seitliche  Ausladung,  wogegen  die  anstossenden  Seiten- 
wände des  hinteren  Abschnittes  des  Vorderdarms,  also  hinter  der  Grenzfalte  und 
im  Bereiche  der  schon  bezeichneten  engen  Tasche,  in  Folge  der  allgemeinen  seit- 
lichen Abplattung  stark  einfallen.  Und  da  diese  Einziehung  tiefer  hinabreicht 
als  in  dem  sich  dahinter  anschliessenden  Rumpftheile,  dessen  ganze  untere  Hälfte 
durch  die  Dotterzellenmasse  etwas  aufgetrieben  wird,  so  entsteht  hinter  dem  Kopfe 
eine  an  einen  Hals  erinnernde  Einschnürung  {Taf.  III  Fig.  52 — 54,  Taf.  XIV 
Fig.  247-249).  Mit  dieser  Abgrenzung  des  Kopfes  ist  aber  auch  gleichzeitig 
die  Scheidung  eines  Kopfdarmes  von  dem  übrigen  Vorderdarme-oder  dem 
Vordarme  eingetreten.  Der  Kopfdarm  reicht  bis  zum  Rande  der  Grenzfalte 
oder  dem  Eingänge  in  den  Blindsack  des  Vorderdarmes ;  und  bei  den  bestimmten 
Grenzen  der  beiden  Kopfabschnitte  kann  an  ihm  schon  in  der  vorliegenden  Pe- 
riode die  Schlund  höhle  oder  der  Innenraum  der  hinteren  Kopf hälfte  von  der 
in  die  vordere  Kopthälfte  sich  ausstülpenden,  noch  sehr  unansehnlichen  Mund- 
höhle unterschieden  werden.  Also  die  Schlundwand  ist  es,  welche  als  der 
Seitentheil  zu  dem  schon  betrachteten  Rückentheüe  der  hinteren  Kopfhälfte 
uns  hier  zunächst  beschäftigen  soll. 

Eines  der  wichtigsten  Merkmale,  durch  welche  sich  die  Schlundwand  von 
den  entsprechenden  Theilen  des  Rumpfes  unterscheidet,  ist  in  der  Entwickelung 
ihrer  Seitenplatte  gegeben.  Allerdings  wird  eine  Sonderung  derselben  in  zwei 
Blätter  auch  in  der  Kopfregion  eingeleitet,  aber  nur  unterhalb  des  schrägen 
Bodens  der  Schlundhöhle,  also  im  Bereiche  des  Herzraumes  vollständig  ausge- 
führt, wo  sie,  wie  ich  zeigen  werde,  die  Entwickelung  des  Perikardiums  und  des 
Herzens  veranlasst  {Taf.  V.  Fig.  91,  Taf.  VI  Fig.  111,  Taf.  V 11  Fig.  133). 


222  IV.  Die  Sonderung  der  einzelnen  Organanlagen. 

In  der  Schlundwand  selbst  bildet  sich  jene  Sonderung  wieder  zurück,  so- 
dass die  Seitenplatte  dort  weder  eine  Fortsetzung  der  serösen  Rumpfhöhle, 
noch  eine  Gekrösefalte  entwickeln  kann,  welche  beide  erst  an  der  hinteren 
Grenze  des  Kopfes  beginnen  (Taf.  XIII  Fig.  226.  233—237).  Vielmehr 
besteht  ihr  ursprünglicher,  unmerklicher  Uebergang  in  die  inneren  Segmente 
unverändert  fort,  wesshalb  auch  die  letzteren  keine  selbstständige,  über  der 
Seitenplatte  hinabwachsende  Fortsetzung,  wie  eine  solche  am  Rumpfe  in  der 
ventralen  inneren  Segmentschicht  besteht,  erhalten  können;  wiederum  ein 
charakteristisches  Merkmal  des  Kopfes,  dessen  Muskulatur  nebst  den  zu- 
gehörigen Nerven  wenigstens  an  den  Seiten  ausschliesslich  aus  den  lateralen, 
der  äusseren  Segmentschicht  des  Rumpfes  homologen  Segmenten  hervorgeht, 
während  seine  unentwickelte  Seitenplatte  nur  Bindegewebe  und  Knorpel  erzeugt. 
Die  Rückbildung  dieser  Platte  hängt  nun  innig  mit  einem  umfassenden  Ent- 
wickelungsvorgange  zusammen,  welcher  die  Seiten  des  Kopfes  eigenthümlich 
ausarbeitet,  —  mit  der  Bildung  der  Schlund  falten.  Ich  sprach  bereits  da- 
von, wie  an  Stelle  der  vergänglichen  Ausbiegung  der  Körperwand,  welche  die 
Grenze  der  vorderen  mid  hinteren  Kopf  hälfte  abgab,  von  aussen  und  von  innen 
eine  Scheidewand  hervorwächst,  welche  jene  Scheidung  auch  weiterhin  aufrecht 
erhält.  Die  rinnenförmige  Einsenkung  des  oberen  Keimblattes ,  welche  längs 
der  Höhenlinie  jenes  Grenzwulstes  verläuft,  bleibt,  während  der  letztere  bei  der 
allmählichen  Vorwölbung  der  vorderen  Kopf  hälfte  verstreicht,  bestehen  und 
wird  nun  zur  äusseren  Grenzmarke  beider  Kopfabschnitte  (Taf.  IV.  Fig.  77. 
18,  Taf.  VI.  Fig.  98  —  102).  Nach  innen  verdickt  sich  die  Grundschicht 
im  Verlaufe  der  Rinne  und  schärft  sich  zu  einer  gegen  die  Seitenplatte 
mehr  oder  weniger  vorspringenden  Leiste  zu.  Diese  Einsenkung  des  oberen 
Keimblattes  reicht  anfangs  zwischen  dem  ersten  und  zweiten  Segmente  ziem- 
lich hoch  hinauf;  aber  zur  Seite  des  Hirnes  wird  sie  durch  einen  sich  von 
vorn  her  darunter  schiebenden  Zipfel  des  ersten  Kopfsegmentes  (Gasser1  scher 
Nervenknoten)  wieder  ausgeglichen,  und  erst  von  der  Decke  der  Schlund- 
höhle  an  bis  zu  deren  Boden  hinab  ist  sie  beständig  (Taf.  VI  Fig.  105 — 107, 
Taf.  VII  Fig.  121.  122,  Taf.  XIV  Fig.  246—249,  Taf.  XVI  Fig.  286 
—  291).  Jener  Leiste  der  Grundschicht  der  Oberhautanlage  wächst  nun 
in  derselben  Richtung  eine  Falte  des  Darmblattes  entgegen;  es  ist  dies  nur 
eine  weitere  Ausführung  jener  Ausbiegung,  wTelche  das  Darmblatt  als  inner- 
ster Theil  der  Körperwand  bei  der  Abstumpfung  des  Kopfendes  erlitt  und 
welche  sich  ziemlich  bald  in  eine  wirkliche  Falte,  eben  die  erste  Schlundfalte, 


■2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  223 

auszieht.     Diese  dringt  allmählich  durch  die  Seitenplatte  bis  an  die  Leiste  der 
Oberhaut  vor,  verwächst  mit  ihr  zuerst  im  oberen  Abschnitte,  dann  weiter  ab- 
wärts bis  zum  Boden  der  Schlundhöhle  und  bildet  so  an  der  seitlichen  Grenze 
beider  Kopfabschnitte  eine  Scheidewand  zwischen  den  beiderseitigen  Erzeug- 
nissen des  mittleren  Keimblattes.   Ebenso  wie  die  erste  Schlundfalte  entstehen 
jederseits  hinter  ihr  vier  weitere  Schlundfalten.     Sie  fallen  alle  in  den  Bereich 
der  eigentlichen  Schlundwand ,  soweit  dieselbe  schon  ursprünglich  durch  die 
drei  Segmentpaare  der  hinteren  Kopfhälfte  und  die  unentwickelte  Seitenplatte 
bestimmt  abgegrenzt  wird  und  an  diesen  Merkmalen  auch  später  kenntlich  bleibt. 
Ferner  erscheinen  die  fünf  Schlundfalten  alle  nach  und  hinter  einander,  ver- 
laufen in  senkrechten  Querebenen,  also  parallel  zu  einander  und  in  ziemlich 
gleichen  Abständen  und  nehmen  rückwärts  an  Höhe  ab ,  da  die  Schlundwand 
selbst  übereinstimmend  mit  ihrer  schrägen  unteren  Grenze  in  derselben  Rich- 
tung niedriger  wird  (Taf.  XVI Flg.  295,  Taf,  XXI  Fig.  377).     Vergleicht 
man  nun  Frontaldurchschnitte   der  Schlundhöhle  aus  jüngeren  und  älteren 
Embryonen,  so  überzeugt  man  sich  leicht,  dass  gleich  nach  der  Entwickelung 
der  dritten  Schlundfalte  dieselbe  der  hinteren  Kopfgrenze  so  nahe  liegt ,  dass, 
wenn  keine  Lageveränderung  der  Theile  einträte,  die  vierte  oder  wenigstens 
die  fünfte  Schlundfalte  hinter  das  vierte  laterale  Segment  fallen  müsste;  und 
ferner  dass  deren  thatsächliche  Entwickelung  nur  dadurch  noch  in  die  eigent- 
liche Schlundwand  verlegt  wird,  dass  dieselbe  gerade  in  ihrem  hinteren  Ab- 
schnitte sich  ausdehnt  und  das  dicke  Darmblatt  dabei  in  den  wachsenden  Kopf- 
darm vorgeschoben  wird  (Taf.  VII  Fig.  124,  Taf.  XIV  Fig.  217.  248.  254). 
Wie  verhalten  sich  nun  die  lateralen  Segmente  zu  den  Schlundfalten?  — 
Wann  die  Schlundwand  eben  kenntlich  wird,  ziehen  die  lateralen  Segmente, 
wie  es  bereits  ausgeführt  wurde,  in  Form  von  mehr  oder  weniger  dicken  Strängen 
vom  Rücken  zur  Seite  hinab,  wobei  sie  namentlich  durch  eine  leichte  Pigmen- 
tirung  deutlich  unterscheidbar  bleiben  (Taf.  VI,  VII,  XIII,  XIV,  XVI). 
Das  zweite  Segment  wächst  am  schnellsten  dicht  hinter  der  ersten  Schlundfalte 
hinab;  es  erreicht  sehr  bald  die  Bauchseite  und  trifft  dort  mit  seinem  Gespann 
zusammen  innerhalb  des  schmalen  Streifens  der  ursprünglichen  Körperwand, 
welcher  die  beiderseitigen  Schlundwände  verbindet,  während  gleich  dahinter 
zwischen  ihre  auf-  und  rückwärts  divergirenden  Ränder  der  Herzraum  sich  ein- 
schiebt.    Dicht  hinter  dem  zweiten  lateralen  Segmente  entsteht  die  zweite 
Schlundfalte,    sodass   die  beiderseitigen,   zwischen  dem  ersten  und  zweiten 
Schlundfaltenpaare  gelegenen  Streifen  der  Schlundwand  mit  dem  sie  an  der 


224  IV.  Die  Sonder ung  der  einzelnen  Organanlagen. 

Bauchseite  verbindenden  Stücke  als  ein  Bogen  aufgefasst  werden  können,  welcher 
dem  durch  das  zweite  innere  Segmentpaar  bestimmten  Kopfabschnitte  angefügt 
ist.  Dies  ist  der  Zungenbein  bogen.  Er  hat  im  Innern  zwischen  dem 
Darmblatte  und  der  Oberhaut  einen  etwas  verschiedenen  Inhalt  in  den  Seiten- 
theilen  und  im  Bauchtheile.  Jene  enthalten  wesentlich  nur  die  lateralen  Seg- 
mente, welche  beim  Hinabwachsen  die  ursprünglich  dort  befindliche  Seitenplatte 
sei  es  rückwärts  hinter  die  sich  bildende  zweite  Schlundfalte  oder  abwärts  ver- 
drängen und  so  aus  dem  lateralen  Zungenbeinbogen  bis  auf  geringe  Reste  ganz 
ausschliessen.  Im  Bauchtheile  dieses  Bogens  drängen  sie  anfangs  die  ungeson- 
derten Reste  der  Seitenplatte  ebenfalls  rückwärts  gegen  den  Perikardialsack, 
der  sich  unter  der  übrigen  Schlundhöhle  aus  der  gespaltenen  Seitenplatte  ent- 
wickelte [Taf.  XIV  Fig.  250.  252).  Doch  gelingt  es  jenen  zurückge- 
drängten Theilen  später  wieder  vorzurücken  und  durch  ihre  Umbildung  zum 
grossesten  Zungenbeinknorpel  sogar  jenem  Bogen  den  Namen  zu  leihen. 

Ganz  anders  wie  in  dem  Zugenbeinbogen  verhält  sich  die  Schlundwand 
zwischen  den  übrigen  Schlundlälten.  Einmal  gehen  die  von  ihnen  begrenzten 
Abschnitte  oder  die  Kiemenbögen  an  der  Bauchseite  nicht  kontinuirlich  von 
einer  Körperseite  zur  andern  über,  sondern  die  unteren  Enden  jedes  Bogen- 
paares  werden,  wie  aus  der  vorangegangenen  Darstellung  der  Schlundwand  er- 
hellt, durch  den  Herzraum  aus  einander  gehalten.*  Ferner  hat  gerade  die 
Seitenplatte  einen  überwiegenden  Antheil  an  der  inneren  Füllung  der  Kiemen- 
bögen, da  das  dritte  und  vierte  Paar  der  lateralen  Segmente  mit  viel  schmäch- 
tigeren Zellensträngen  als  das  zweite  Paar  in  die  betreffenden  Bögen  hinein- 
wachsen. Beim  dritten  Paar  kommt  dabei  noch  die  Entwickelung  des  inneren 
Ohres  als  hinderndes  Moment  dazu.  Die  letztere  besteht  in  einer  Blasenbildung 
des  oberen  Keimblattes,  welche  in  der  halben  Höhe  der  Stammsegmente  und 
gerade  zwischen  dem  zweiten  und  dritten  lateralen  Segmente  nach  innen  und 
hinten  vorrückt  und  dadurch  die  obere  Hälfte  des  dritten  Segments  aus  ihrer 
ursprünglichen  Lage  über  dem  ersten  Kiemenbögen  nach  hinten  verdrängt.  So 
geht  die  Ausdehnung  des  ganzen  Segments  in  einer  S-förmigen  Krümmung  auf, 
von  der  nur  ein  kleinerer  Theil  in  den  Kiemenbögen  hineinreicht.  —  Das  vierte 
Segmentpaar  endlich  zeigt  wieder  eine  andere  Anpassung  an  die  Umgebung  und 
daher  eine  ganz  eigenthümliche  Entwickelung.     Während  die  dritte  Schlund- 


*  Die  spätere  ventrale  Verbindung  der  Kiemenbögen  im  Boden  der  Schlund böble  wird 
nur  durch  die  Erzeugnisse  der  Seitenplatte  (Zungenbein)  hergestellt ,  wobei  sich  die  für  alle 
unteren  Lögen  des  Kopfes  besonders  bezeichnenden  lateralen  Segmente  nicht  betheiligen. 


2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  225 

falte  den  ersten  Kiemenbogen  abschliesst,  wächst  das  vierte  laterale  Segment 
hinter  ihr  in  den  noch  übrigen  Abschnitt  der  Schlundwand  hinab,  welcher,  wie 
ich  oben  bemerkte,  vor  der  Bildung  der  letzten  Schlundfalten  in  seiner  Ge- 
sammtheit  nicht  viel  breiter  ist  als  die  einzelnen  vor  ihm  liegenden  fertigen 
Bögen  und  daher  von  jenem  Segmente  so  ziemlich  in  seiner  ganzen  Breite  ein- 
genommen wird.  Sowie  darauf  die  Ausdehnung  dieses  letzten  Abschnittes  der 
Schlundwand  erfolgt,  nimmt  die  in  ihm  bereits  enthaltene  untere  Hälfte  des 
vierten  lateralen  Segmentes  daran  Theil,  sodass  sie  durch  die  vierte  und  fünfte 
Schlundfalte  in  drei  dünne  Stränge  gespalten  auf  den  zweiten,  dritten  und  den 
rudimentär  bleibenden  vierten  Kiemenbogen  vertheilt  wird.  Ueber  der  Schlund- 
wand fliessen  diese  drei  getrennten  Stränge  in  der  gemeinsamen  Wurzel  kon- 
vergirend  zusammen.  Aus  diesen  Beobachtungen  wird  es  aber  verständlich, 
dass  der  2  — 4te  Kiemenbogen  in  Folge  jener  Theilung,  ebenso  wie  der  erste  aus 
andern  Ursachen,  nur  je  einen  kleinen  Theil  der  lateralen  Segmentmasse  ent- 
halten können,  welcher  von  der  homologen  Zellenmasse  des  Zungenbeinbogens 
ausserordentlich  übertroffen  wird.  —  Mit  der  Ausbildung  der  fünften  Schlund- 
falte ist  die  topographische  Anordnung  der  Anlagen  der  hinteren  Kopfhälfte 
vollendet. 

D  i  e  v  o  r  d  e  r  e  K  o  p  f  h  ä  1  f  t  e.  Von  dieser  wissen  wir  bereits ,  dass  sie  anfangs 
in  Form  einer  queren  Platte  sich  an  den  Vorderrand  der  hinteren  Kopfhälfte 
anschliesst,  wobei  jedoch  eine  bestimmte  ventrale  Grenze  beider  Abschnitte  so 
lange,  als  die  Bauchseite  des  ganzen  Kopfes  bis  zum  Vorderhirne  in  einer  Flucht 
steil  aufsteigt,  noch  nicht  besteht  und  nur  mit  Rücksicht  auf  die  spätere  Ent- 
Avickelung  im  Bereiche  der  Haftorgane  angenommen  werden  kann.  So  wie  ich 
die  allmähliche  Scheidung  von  Rücken  und  Bauch  an  dem  aus  der  Kugelriäche 
hervorwachsenden  Kopfe  geschildert  habe,  kann  jene  seine  Schlussplatte  ge- 
wissermassen  als  die  mediane  Verbindung  oder  ein  Uebergangsthcil  zwischen 
beiden  betrachtet  werden,  dessen  obere  Hälfte  dem  Bücken,  die  untere  dem 
Bauche  angehört.  Eine  solche  Eintheilung  wird  aber  auch  thatsächlich  da- 
durch begründet,  dass  die  dorsale  Hälfte,  von  der  bisher  allein  die  Rede  ge- 
wesen ist,  die  vorderen  Endabschnitte  aller  wichtigen  dorsalen  Anlagen  und  mit- 
hin auch  das  Vorderende  der  Rückenaxe  enthält,  während  die  ventrale  Hälfte 
als  Vereinigung  und  Abschluss  der  Seiten-  und  der  Bauchwand  zunächst  des 
Hinterkopfes  anfangs  auch  die  gleiche  Zusammensetzung  wie  die  letzteren  auf- 
.  weist,  nämlich  zwischen  dem  Darmblatte  und  der  Oberhaut  eine  indifferente  Fort- 
setzung der  Seitenplatte  (Taf.  II  Flr/.  35).   Die  ursprüngliche  Form  des  Vorder- 

GtOette,  Entwickelungsgeschichte.  15 


226  IV-  Die  Sonderung  der  einzelnen  Organanlagen. 

kopfes  als  einer  queren  Schlussplatte  bedingt  es  aber  ganz  selbstverständlich, 
dass  seinBauchtheil  nicht  wie  am  Hinterkopfe  oder  am  Rumpfe  gürtel-  oder  bogen- 
förmig gebildet  sein ,  der  Vorderkopf  also  auch  keine  eigentlichen  Seitentheile 
besitzen  kann.  Wie  aber  dennoch  durch  eine  eigenthümliche  Umbildung  eine 
solche  Anpassung  an  die  übrigen  Körperregionen  nachträglich  erreicht  wird, 
soll  sofort  erläutert  werden. 

Die  in  der  dorsalen  Hälfte  oder  dem  Hirnt heile  des  Vorderkopfes  unter 
der  vorderen  Hirnhälfte  befindliche  indifferente  Fortsetzung  der  Wirbelsaite  und 
der  Stammsegmente  des  Hinterkopfes  wird,  wie  schon  erwähnt,  durch  eine 
mediane  Spaltung  in  die  beiden  seitlichen  Massen  des  ersten  inneren  Segment- 
paares verwandelt.  Dass  dabei  auch  die  sich  daran  schliessende,  ebenso  getheilte 
Seitenplatte  der  Bauchhälfte  oder  des  Kiefertheils  in  jenes  Segmentpaar  all- 
mählich ganz  hineingezogen  wird,  kann  uns  nach  den  entsprechenden  Erfah- 
rungen am  Rücken  und  am  Schwänze  nicht  Wunder  nehmen:  überall  liefert  die 
Seitenplatte  das  Material  zur  Herstellung  der  Segmente,  und  ob  sie  dabei  ganz 
(Vorderkopf)  oder  grösstenteils  (Schwanz)  aufgeht  oder  andererseits  genügendes 
Material  zu  einer  selbstständigen  Weiterentwickelung  zurückbehält  (Rumpf), 
hängt  nur  von  ihrer  ursprünglichen  Masse  an  der  betreffenden  Stelle  ab.  Aller- 
dings ist  aber  für  spätere  Deutungen  die  Thatsache  sehr  bemerkenswerth,  dass 
der  ganze  Vorderkopf  sehr  bald  nur  ein  inneres  und  ein  äusseres  Segmentpaar, 
aber  kein  Homologon  einer  Seitenplatte  mehr  enthält  (Taf  VI  Fig.  102. 
107  — 109,  Taf  VII  Fig.  124  — 129).  Das  innere  Segmentpaar  liegt  jederseits 
an  der  Hirnbasis  und  wächst  wie  die  homologen  Stücke  des  übrigen  Körpers 
rechtwinklig  zu  dem  zugehörigen  Abschnitte  derRückenaxe,  also  an  den  Seiten 
des  Vorderhirnes  nach  vorne  aus  (Taf. XVI  Fig.  286 — 289).  Seine  Erzeug- 
nisse (Augenmuskeln  und  -nerven)  stimmen  mit  denen  aller,  übrigen  Stammseg- 
mente überein,  obwohl  gewisse  unvermeidliche  Anpassungen  die  Homologie 
verdecken.  Die  beiden  lateralen  Segmente  erstrecken  sich  längst  der  Basis  des 
Vorderhirnes ,  also  parallel  der  ursprünglichen  Axe  und  nur  mit  einer  geringen 
Neigung  nach  vorn  abwärts  bis  unter  das  Niveau  des  Vorderhirnes.  Unter  den 
Anlagen  der  Augenblasen  treten  sie  an  der  Bauchseite  dieses  Hirntheiles  in  den 
Kiefertheil  ein,  welcher  zu  ihrer  Aufnahme  gewissermassen  vorbereitet  ist 
{Taf  IV  Fig.77  —  80,  Taf.  V  Fig. HS— 90,  Taf  VI  Fig.  100  -103. 108.109, 
Taf.  VII  Fig.  124.  125).  In  der  Medianebene  wird  er  durch  die  feste  Verbin- 
dung des  Darmblattes  mit  der  Oberhaut  in  zwei  Hälften  geschieden,  in  denen 
jene  beiden  Blätter  bis  zum  Seitenramle  des  ganzen  Kiefertheiles,  d.  h.  bis  zur 


2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  227 

ersten  Schlundfalte,  wo  sie  wiederum  verschmelzen,  lose  aneinanderliegen, 
nur  im  oberen  Theile  noch  von  dem  Reste  der  sich  zurückziehenden  Seitenplatte 
gefüllt.  In  diese  zwei  seitlichen,  durch  eine  mediane  Scheidewand  getrennten 
und  anfangs  gleichsam  leeren  Fächer  des  Kiefertheils  wachsen  die  beiden  late- 
ralen Segmente  von  aussen  und  oben  hinein  und  füllen  sie  derart  aus ,  dass 
sie  zwei  quere  Wülste  (Kieferwülste)  bilden ;  diese  verleihen  dem  Kiefertheil  die 
Gestalt  eines  flachen,  das  Vorderhirn  gleichsam  tragenden  Bogens,  an  dessen 
unterem  Rande  die  Haftorgane  aufsitzen  (Taf. III  Flg.  45).  Da  aber  bei  diesem 
Vorgange  die  mediane  Scheidewand  nicht  in  gleichem  Masse  sich  von  vorn 
nach  hinten  ausdehnt,  als  die  Wülste  dick  sind,  wird  die  vordere  äussere  und 
die  hintere,  gegen  die  Schlundhöhle  gerichtete  Fläche  des  Kiefertheils  in  der 
Medianebene  eingezogen  (Taf.  XIV Fig.  249.  254).  Die  äussere  auf  diese  Weise 
entstandene  Einsenkung  bezeichne  ich  als  Mundbucht,  die  innere,  gleichsam 
eine  Ausstülpung  der  Schlundhöhle  ist  die  Anlage  der  eigentlichen  Mundhöhle. 
Die  Kieferwülste  behalten  aber  ihre  quere  Gestalt  nicht  lange;  denn  indem  der 
ganze  Kopf  sich  seitlich  abplattet ,  wird  die  Masse  der  lateralen  Segmente  ab- 
wärts gedrängt,  sodass  sie  zwei  nahezu  senkrechte  Wülste  zu  den  Seiten  der 
in  der  Medianebene  gleichfalls  verlängerten  Mundbucht  bilden  würden ,  wenn 
sie  nicht  durch  eine  anfangs  seichte,  von  der  letzteren  ausgehende  Furche  je  in 
eine  obere  und  untere  Hälfte  geschieden  würden  {Taf.  III  Fig.  46  —  49. 52 —  54). 
Die  beiden  unteren  Hälften  werden  durch  das  untere  Ende  der  Muiidbucht  nur 
an  ihrem  oberen  Rande  wie  durch  einen  Einschnitt  geschieden;  weiter  abwärts 
aber,  wo  die  Verbindung  der  Oberhaut  mit  dem  Darmblatte  sich  wieder  gelöst 
hat,  und  daher  die  mediane  Scheidewand  und  die  Mundbucht  aufhören,  stossen 
die  beiden  Segmenthälften  in  der  Mitte  zusammen  und  vollenden  so  den  Unter- 
kieferbogen, welcher  unmittelbar  vor  dem  Zungenbeinbogen  schräg  auf- 
und  rückwärts  zum  Ausgangspunkte  der  lateralen  Segmente  hinter  dem  Auge 
sich  hinzieht  (Taf.  VI  Fig.  109.,  Taf.  VII  Fig.  12S.129,  Taf.  XIII  Fig. 230. 
231,  Taf.  XV T Fig.  286—291).  Die  obere,  durch  eine  seichte  Furche  von 
der  unteren  geschiedene  Hälfte  des  ursprünglichen  Kieferwulstes  liegt  nun  zur 
Seite  der  Mundbucht  zwischen  dem  Vorderhirne  und  dem  steil  absteigenden 
Unterkieferbogen  und  entwickelt  sich  in  dem  Masse,  als  der  letztere  bei  der 
Verschmälerung  des  Kopfes  tiefer  hinabsinkt.  Dieser  unter  dem  Hirntheile  des 
Vorderkopfes  neu  entstehende  Oberkiefer  willst  ist  aber  in  seinem  Innern 
nicht  etwa,  wie  es  äusserlich  den  Anschein  haben  könnte,  bloss  aus  einem  sich 
abgliedernden  Theile  der  lateralen  Segmente  zusammengesetzt,  sondern  enthält 

15* 


•>28  IV.    Die  Sonderimg  der  einzelnen  Organanlagen. 

daneben  medianwärts  auch  eine  Fortsetzung  desStaninisegments,  welche  gleich- 
zeitig mit  der  Umbildung  des  ganzen  Kieferwulstes  unter  dem  Vorderhirn  und 
Auge  hervorwuchs,  sodass  also  an  der  Bildung  der  Oberkiefergegend  die  beiderlei 
Segmente  sich  betheiligen.  Diese  ganze  Entwicklung  des  Oberkieferwulstes 
nebst  den  zwischen  den  Nasengruben  hervorwachsenden  Gesichtstheilen  wirkt 
aber  wie  ein  Keil  auf  die  durch  ihn  getrennten  Theile  des  Vorderkopfes,  den 
Hirntheil  und  den  Unterkieferbogen:  in  dem  Masse  als  er  den  letzteren  hinab- 
drängt, hebt  er  den  ersteren,  wobei  dessen  freie  hintere  Wand,  welche  früher 
sich  an  dem  senkrechten  vorderen  Abschlüsse  der  Schlundhöhle  betheiligte, 
sich  schräg  nach  vorn  und  unten  stellt  und  so  zur  Decke  der  darunter  sich 
entwickelnden  Mundhöhle  wird.  Jedoch  darf  diese  Veränderung  nicht  auf  eine 
Drehung  des  ganzen  Hirntheils  um  eine  quere,  an  seiner  hinteren  Grenze  ge- 
legene Axe  bezogen  werden;  sondern  es  wird  bloss  das  Darmblattstück,  welches 
die  künftige  Mundhöhlendecke  anfangs  in  ziemlich  steiler  Richtung  überzieht, 
durch  die  Höhenzunahme  des  Oberkieferwulstes,  also  auch  der  medianen  Scheide- 
wand, an  welcher  es  einen  Befestigungspunkt  hat,  immer  flacher  ausgespannt, 
dadurch  aber  das  ganze  Hirn  ohne  merkliche  Veränderung  seiner  Axenbiegung 
nur  in  ein  höheres  Niveau  gehoben  {Taf.  II  Fig.  38,  Taf. XV  Fig.  .283.284, 
Taf.  XVI  Fig.  202.  208). 

Nach  der  bisherigen  Beschreibung  könnte  es  den  Anschein  haben ,  als  hätte 
sich  das  ursprüngliche  Verhältniss  des  Vorderkopfes  zum  Hinterkopfe  und  ganzen 
Körper  trotz  allen  Umbildungen  nicht  wesentlich  verändert,  als  wäre  der  ganze 
Kiefertheil  immer  noch  als  eine  im  Grunde  genommen  quere  Schlussbildung  zu 
betrachten.  Dies  ist  aber  nicht  mehr  der  Fall.  Denn  schon  während  der  Ent- 
wicklung des  Unterkieferbogens  haben  seine  beiden  Hälften  eine  gewisse  Dre- 
hung ihrer  medialen  Bänder  nach  vorn  und  aussen  ausgeführt,  ihre  vordere 
Fläche  lateralwärts  gekehrt  {Taf.  VI  Fig.  102.  107,  Taf.  VII  Fig.  124.  125, 
Taf.  XIV  Fig.  240.  254,  Taf.  X  I  II  Fig.  307.  308).  Dadurch  wurde  die  me- 
diane Scheidewand  in  eine  quere,  dünne  Haut  ausgezogen,  welche  endlich  zer- 
reisst  und  so  Mundbucht  und  innere  Mundhöhle  zu  einer  ununterbrochenen  und 
offenen  Mundhöhle  vereinigt.  Auf  diese  Weise  ist  aber  jene  oben  angedeutete 
Anpassung  des  Vorderkopfes  an  den  Hinterkopf  vollendet:  sein  ursprünglich 
querer  Bauchtheil  ist  in  der  Mitte  durchbrochen,  und  seine  Seitenhälften  sind 
seitlich  umgelegt,  sodass  sie  nunmehr  vom  dorsalen  Ilirntheile  ausgehend  einen 
inneren  Darmraum,  eben  die  Mundhöhle,  gürtelförmig  umgreifen,  geradeso  wie 
es  am  Zungenbeinbogen  und  jedem  Etumpfabschnitte  von  Anfang  an  der  Fall  war 


2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  229 

Mit  dieser  Skizze  von  der  Unibildung  der  Kopfanlagen  kann  ich  die  Be- 
schreibung dieses  ganzen  Abschnittes  schliessen,  da  dieselbe  nur  die  allgemeine 
topographische  Disposition  der  Embryonalanlagen  des  mittleren  Keimblattes 
veranschaulichen,  die  vollständige  Ausführung  ihrer  Entwicklung  aber  späteren 
Abschnitten  vorbehalten  bleiben  soll. 


Die  Lage  und  Umbildung  des  mittleren  Keimblattes  bringt  es  mit  sich, 
dass  eine  Betrachtung  seiner  allgemeinen,  morphologischen  Entwicklungs- 
geschichte beinahe  die  ganze  allgemeine  Geschichte  des  Embryo  umfasst.  Denn 
einmal  gehören  die  bei  weitem  meisten  Embryonalanlagen,  sowohl  nach  Zahl, 
wie  nach  der  Mannigfaltigkeit,  dem  mittleren  Keimblatte  an ;  und  ferner  bleiben 
die  wenigen  Embryonalanlagen  der  beiden  anderen  Keimblatter  (Cerebromedul- 
larröhre,  Oberhaut,  Auskleidung  des  embryonalen  Darmkanals)  während  der 
Embryonalentwickelung  mit  dem  mittleren  Keimblatte  in  beinahe  ununter- 
brochener Berührung,  stehen  hinsichtlich  der  morphologischen  Umbildung,  wie 
ich  es  weiter  unten  noch  näher  ausführen  werde,  theils  in  inniger  Wechselwir- 
kung mit  demselben  (Anpassungen  einzelner  Organe),  theils  sogar  unter  einem 
beherrschenden  Einflüsse  desselben  (allgemeine  Gliederung).  Daher  seheich  mich 
veranlasst,  die  Betrachtung  des  ganzen  morphologischen  Aufbaues' des  Embryo 
nicht  bis  zum  eigentlichen  Schlüsse  der  allgemeinen  Entwicklungsgeschichte, 
also  des  nächsten  Abschnittes,  zu  verschieben,  sondern  schon  an  dieser  Stelle 
mit  der  Besprechung  der  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes  zu  verbinden.  — 
Alsdann  findet  aber  hier  das  v.  BAEß'sche  Schema  der  morphologischen  Ent- 
wicklung des  Wirbelthierembryo  ganz  natürlich  den  ersten  Platz. 

v.  Baer  erklärt  zuerst ,  wie  die  wichtigsten  physiologischen  Systeme  des 
erwachsenen  Wirbelthiers  in  der  Gestalt  von  Röhren,  welche  alle  einzelnen 
Organe  enthielten  oder  erzeugten,  um  einen  Stamm  so  angeordnet  seien,  dass 
die  den  letzteren  schneidende  Medianebene  alle  jene  Röhren  der  Länge  nach 
halbire.  Denke  man  sich  nun  die  Röhrenhälften  über  dem  Stamme  von  der 
oberen  Schlusslinie,  unter  dem  Stamme  von  der  unteren  Schlusslinie  aus  nach 
aussen  umgerollt  und  flach  ausgebreitet,  so  erhalte  man  eine  Anzahl  horizon- 
taler Platten;  und  denke  man  sich  ferner  die  in  gleichem  Niveau  gelegenen 
kontinuiiiich  zusammenhängend,  so  sei  der  ganze  Thierkörper  in  einige  wenige 
über  einander  liegende  einfache  Platten  verwandelt.    Das,  was  auf  diese  Weise 


230  IV.  Die  Sonderung  der  einzelnen  Organanlagen. 

in  der  Vorstellung  ausgeführt  werde,  geschehe  nun  in  umgekehrter  Ordnung 
thatsächlich  bei  der  Entwickelung  des  Wirbelthierembryo  (Nr.  8 II S.  57  und  flg.). 
Diese  geistreichen  Ausführungen  v.  Baee's  haben  eine  allgemeine  Berechtigung, 
insofern  die  in  Gestalt  und  Zusammensetzung  so  mannigfaltigen  Körpertheile 
des  Wirbelthiers  auf  wenige  und  einfachste  blattartige  embryonale  Grundlagen 
zurückgeführt  werden  können,  und  einige  derselben  sich  allerdings  röhrenförmig 
umbilden  und  dadurch  eine  ähnliche  Entwickelung  der  übrigen  theilweise  her- 
beiführen. Der  Umstand  aber,  dass  v.  Baer  der  Begründer  einer  solchen  all- 
gemeinen Auffassung  war,  erklärt  es  hinreichend ,  warum  sein  Schema  in  der 
ausführlichen  Anwendung  auf  die  thatsächlichen  Verhältnisse  manche  Irrthümer 
aufweist.  Die  letzteren  lassen  sich  theils  auf  die  Verkennung  des  mittleren 
Keimblattes  und  seiner  Umbildungen,  theils  auf  irrige  Voraussetzungen  von  der 
Uebereinstimmung  verschiedener  Körpertheile  zurückführen.  Betrachten  wir 
zunächst  den  Rumpf  des  Embryo,  an  dem  v.  Baer  offenbar  die  eingehendsten 
Beobachtungen  anstellte.  Nachdem  die  röhrenförmigen  „Fundamental-  oder  Pri- 
mitivorgane" vollendet  sind,  bildet  die  innere  Fleischschicht  zwei  Röhren,  welche 
im  Durchschnittsbilde  an  der  Wirbelsaite  achterförmig  zusammenstossen,  und 
von  denen  die  obere  die  Nervenröhre,  die  untere  die  zweischichtige  Darmröhre, 
(Gefäss-  und  Schleimhautschicht)  umschliesst.  Die  äussere  Fleischschicht  und 
die  Hautschicht  umgeben  das  Ganze  als  äussere  Hüllen.  Zunächst  will  ich  da- 
von absehen,  dass  v.  Baer  in  dem  obersten  und  dem  unteren  Keimblatte,  deren 
morphologische  Umbildung  in  die  betreffenden  Röhren  richtig  angegeben  ist, 
die  Anlagen  der  ganzen  äusseren  Haut  und  der  Schleimhaut  sah*;  es  kann 
dies  um  so  eher  geschehen,  als  die  bindegewebigen  Unterlagen  der  Epidermis 
und  des  Darmepithels  keine  gesonderten  Anlagen  im  mittleren  Keimblatte  be- 
sitzen. Fasst  man  also  die  zwischen  jenen  zwei  Blättern  befindliche  „innere 
Masse"  des  Keimes  als  Analogon  des  mittleren  Keimblattes  auf,  so  lässt  sich 
die  Gefässschicht ,  da  sie  in  den  peripherischen  Theilen  zuerst  allein  das  mitt- 
lere Keimblatt  vertritt,  mit  den  Seitenplatten  vergleichen,  die  Anlagen  der 
Fleischschicht  aber,  welche  vom  Rücken  aus  jederseits  abwärts  wachsen,  mit 
den  Segmentplatten.  Die  Entwickelung  der  letzteren,  soweit  sie  ohne  Rücksicht 
auf  die  Gliederung  die  ganzen  Platten  betrifft ,  hat  v.  Baer  richtig  erkannt : 
indem  sie  zwischen  der  Haut  und  den  Seitenplatten  abwärts  wachsen,  entwickelt 


Eine  Unterscheidung  der  Epithclien  von  ihren  bindegewebigen  Unterlagen  bestand 


vor  dem  Erscheinen  der  HENLE'schen  Untersuchungen  natürlich  nicht. 


2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  281 

sich  eine  innere  Schicht  (innere  Segmentschicht),  welche  eben  in  Verbindung 
mit  der  Wirbelsaite  im  Durchschnitt  eine  Achterform  zeigt,  und  eine  äussere 
(äussere  Segmentschicht),  welche  wesentlich  als  Anlage  der  Gliedmassen 
fungirt.  Indem  aber  v.  Baer  seine  Gefässschicht,  also  das  Homologon  der 
Seitenplatte  in  den  Darm  vollständig  aufgehen,  die  seröse  Rumpfhöhle  zwischen 
diesem  und  den  Muskelschichten  der  äusseren  Leibeswand  entstehen  lässt,  wird 
die  Spaltung  der  Seitenplatte  und  in  Folge  dessen  das  Parietalblatt,  die  Anlage 
des  parietalen  Bauchfells,  ganz  übersehen.  Dagegen  ist  ganz  richtig  die  Ent- 
stehung des  Gekröses  und  des  Herzens  in  das  viscerale  Blatt  verlegt.  Wie  man 
sieht,  sind  die  Angaben  v.  Baer's  über  die  Embryonalanlagen  des  Rumpfes 
wenn  auch  nicht  fehlerfrei,  doch  zum  grösseren  Theile  richtig.  Ganz  irrthüm- 
lich  ist  jedoch  seine  Auffassung,  dass  das  besprochene  Schema  sich  im  Kopfe 
wiederhole,  im  Schwänze  aber  nicht.  Der  letztere  wurde  allerdings  bisher  von 
allen  Embryologen  für  eine  Fortsetzung  bloss  der  Wirbelsäule  mit  den  zugehö- 
rigen Muskeln  und  Bindegewebstheilen,  dem  eingeschlossenen  Rückenmarke  und 
der  äusseren  Haut  gehalten.  Aus  meinen  Untersuchungen  geht  aber  hervor,  dass 
der  Schwanz  ursprünglich  eine  wirkliche  Verlängerung  des  ganzen  embryonalen 
Rumpfes  darstellt,  sodass  der  Darmkanal,  ja  sogar  sein  Axenstrang  dort  ebenso 
vertreten  sind  wie  die  beiden  Segmentschichten  und  die  Seitenplatten.  Da 
nun  der  Schwanzdarm  ursprünglich  viel  mächtiger  ist  als  die  entsprechende 
Fortsetzung  des  Rückenmarks  und  der  Wirbelsaite,  also  um  so  viel  weniger  als 
diese  sich  der  Beobachtung  entziehen  kann,  so  erhellt  zur  Genüge,  dass  die 
innere  Entwiekelung  des  Schwanzes  gar  nicht  wirklich  beobachtet,  sondern  eben 
nur  aus  den  späteren  Zuständen  erschlossen  wurde.  Trotzdem  aber  dass  der 
Schwanz  sich  als  eine  vollständige  Verlängerung  des  ursprünglichen  Rumpfes 
darstellt,  findet  in  Folge  rückbildender  Ursachen  eine  weitere  Entwiekelung 
jener  ersten  Anlagen  des  mittleren  Keimblattes  zu  röhrenförmigen  „Primitiv- 
organen" wie  im  Rumpfe  nicht  statt,  da  weder  die  Segmentschichten  noch  die 
Seiteuplatte  für  sich  allein,  sondern  erst  in  Gemeinschaft  eine  einzige  röhren- 
förmige Lage  zusammensetzen.  —  Noch  wichtiger  sind  die  Abweichungen  der 
Kopfanlagen.  Dass  die  „Nerven-  und  die  Hautröhre"  sich  in  den  Kopf  fort- 
setzen, ist  wohl  niemals  bezweifelt  worden;  ferner  ist  es  gerade  ein  Verdienst 
v.  Baer's,  den  kontinuirlichen  Uebergang  der  „Darmröhre"  aus  dem  Rumpfe 
in  den  Kopf  auch  für  die  Batrachierlarven  nachgewiesen  zu  haben.  Aber  er 
lässt  auch  die  übrigen  Primitivorgane  in  den  Kopf  übergehen  und  sich  daselbst 
nur  durch  untergeordnete  Eigenthümlichkeiten  auszeichnen  (Nr.  8 II S.  78.  79). 


232  IV.   I>ie  Sonderling  der  einzelnen  Organanlagen. 

Nun  gibc  es  freilich  auch  im  Kopfe  Segment-  und  Seitenplatten;  aber  deren  wei- 
tere Entwicklung  unterscheidet  sich  so  wesentlich  von  derjenigen  der  homolo- 
gen Ruinpftheile,  dass  von  einer  Uebereinstimmung  der  beiderseitigen  Primitiv- 
organe oder  definitiven  Embryonalanlagen  so  gut  wie  gar  nicht  gesprochen 
werden  kann.  Denn  nach  meinen  Untersuchungen  bleiben  die  inneren  Kopf- 
segmente (innere  Fleischschicht)  auf  den  Rückentheil  beschränkt,  vollenden 
also  höchstens  eine  Röhre  um  das  Centralnervensysteui;  die  Seitenplatte  schwin- 
det z  um  Theil  (Vorderkopf) ,  theils  bleibt  sie  ungespalten  und  bildet  als  solche 
nur  eine  einfache  und  zudem  im  Zungenbeinbogen  unvollständige  Röhre.  Ebenso 
entwickeln  sich  die  äusseren  Segmente  nur  im  Vorderkopfe  und  im  Zungenbein- 
bogen zu  ganzen  Ringen,  wogegen  sie  am  Bauchtheile  des  übrigen  Hinterkopfes 
ungeschlossen  bleiben.  Letzteres  hängt,  wie  erwähnt,  mit  der  darunter  erfol- 
genden Bildung  des  Herzraums  zusammen;  und  wenn  die  ganze  diesen  letzteren 
umfassende  Herzregion  schon  durch  den  Ausschluss  der  lateralen  Segmente, 
welche  zu  den  wesentlichsten  Merkmalen  des  Kopfes  gehören ,  und  durch  eine 
Fortsetzung  der  serösen  Rumpfhöhle  (Perikardialhöhle)  sich  dem  Rumpfe  an- 
schliesst,  so  wird  ihre  vollständige  Zugehörigkeit  zu  dem  letzteren  besonders 
dadurch  endgültig  bestimmt,  dass  die  innere  Segmentschicht  des  Rumpfes 
später  in  jene  Herzregion  hineinwächst  und  sie  auf  diese  Weise  dem  Bereiche 
des  Kopfes  entzieht  und  dem  Rumpfe  einverleibt.  Dadurch  geht  aber  der 
ursprüngliche  ventrale  Schluss  sowohl  der -Seitenplatte  wie  der  Oberhaut  ver- 
loren, bleiben  also  die  betreffenden  röhrigen  Primitivorgane  im  Hinterkopfe  un- 
vollständig. Kurz  -  ■  das  Unterscheidende  in  der  Entwicklung  des  Kopfes 
und  des  Rumpfes  beruht  gerade  darin,  dass  die  Kopfanlagen  in  ihrer  Gesammt- 
heit  von  Anfang  an  einen  anderen  Entwicklungsgang  haben  als  die  Rumpf- 
anlagen und  ferner  ihre  einzelnen  Längsabschnitte  wesentlich  von  einander  ab- 
weichen. Unter  solchen  Umständen  können  denn  auch  die  Vergleiche,  welche 
v.  Baer  zwischen  einzelnen  Kopf-  und  Rumpftheilen  anstellte ,  nicht  zutreffen. 
Es  sind  also  weder  das  Zungenbein  noch  andere  „tiefere  Gesichtsknochen" 
Wiederholungen  der  Rippen,  sowie  sie  auch  durchaus  nicht  aus  einer  Fort- 
setzung der  Bauchplatten  (innere  Fleischschicht,  innere  Segmentschicht)  her- 
vorgehen (Nr.  8  II  S.  100.  102);  und  wenn  v.  Baer  auch  die  Kiefer  im  allge- 
meinen richtig  mit  den  Gliedmassen  des  Rumpfes  verglich,  so  entsprang  dies 
mehr  seinen  Reflexionen  über  die  anatomischen  Verhältnisse  des  erwachsenen 
Thicrs  (Nr.  8  I  S.  191.  192),  nicht  aber  seinen  bezüglichen  embryologischen 
Untersuchungen,  da  gerade   nach  den  letzteren  der  Oberkiefer  fälschlich  eine 


2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  233 

besondere  Anlage ,  also  auch  den  Werth  einer  besonderen  Extremität  haben 
sollte  (Nr.  8  II  S.  84. 102).  Es  ergibt  sich  aus  den  voranstehenden  Vergleichen, 
dass  das  v.  BAER'sche  Schema  gerade  hinsichtlich  des  mittleren  Keimblattes  die 
meisten  Mängel  aufweist:  der  Entwicklungsgang  desselben,  wie  er  sich  im  Rumpfe 
offenbart,  wiederholt  sich  im  Kopfe  durchaus  nicht,  und  daher  setzt  sich  kein 
einziges  der  betreffenden  röhrigen  Fundamentalorgane  aus  dem  Rumpfe  unver- 
ändert und  vollständig  in  den  Kopf  fort  Beim  Suchen  nach  einer  allen  Körper- 
regionen gemeinsamen  Form  des  mittleren  Keimblattes  kommt  man  daher  über 
die  von  der  Axe  (Wirbelsaite)  ausgehende,  die  Nervenröhre  und  die  Darmblatt- 
röhre  umschliessende  Achterform  der  Gesammtmasse  nicht  hinaus.  Beachtet 
man  aber,  dass  diese  Grundform  nur  durch  die  Einlagerung  der  Nervenröhre 
in  das  einfache  blasenförmige  Keimblatt  hervorgerufen  wird,  so  müsste  die 
Grundform  des  ganzen  Embryo  bei  den  gleichen  Bedingungen  der  Konstruktion 
auf  die  dreischichtige  längliche  Keimblase  beschränkt  werden,  in  deren  mittle- 
rem Blatte  sich  ein  axialer  Strang  und  eine  Röhre  vom  äusseren  Blatte  befinden : 
ein  Bild,  welches  keineswegs  die  eigenthümlichen  Grundzüge  gerade  der  Wirbel- 
thierentwickelung  enthält,  sondern  in  gleicher  Weise  diejenigen  gewisser  niede- 
derer  Thiere  (Ascidien)  wiedergibt. 

Reichert  verwarf  die  v.  BAER'sche  Auffassung  des  allgemeinen  Entwicke- 
lungsganges  und  setzte  an  deren  Stelle  dieLehre  von  der  unmittelbaren  Entstehung 
der  einzelnen  Organe  und  Systeme  aus  indifferenter  Bildungsmasse  (Vgl.  Nr.  28 
S.  124).  Bei  einer  solchen  Anschauung  konnte  von  einer  Kenntniss  des  genetischen 
Zusammenhangs  der  aus  dem  mittleren  Keimblatte  hervorgehenden  Schichten 
natürlich  nicht  die  Rede  sein.  Wenn  daher  v.  Baer  die  einzelnen  Umbildungen 
dieser  Schichten  wenigstens  im  Rumpfe  ziemlich  richtig  erkannte,  so  finden  wir 
bei  Reichert  darüber  keine  einzige  zutreffende  Angabe.  Sein  Hautsystem  ruht 
zuerst  äusserlich  auf  den  „Urplatten  des  Wirbelsystems",  welche  offenbar  der 
grossen  Masse  der  Segmentplatten  entsprechen ,  und  wächst  sodann  unmittelbar 
unter  der  Umhüllungshaut  oben  und  unten  zusammen  (Membranae  reunientes) ;  es 
entspricht  also  ersichtlich  der  äusseren  Segmentschicht,  soll  aber  nach  Reichert 
nur  die  Lederhaut  und  nach  dem  Schwinden  der  Umhüllungshaut  auch  die  Ober- 
haut bilden.  Aus  diesem  Irrthume  folgt  aber  der  weitere,  dass  das  ganze  Knochen- 
und  Muskelsystem  des  Rückens  und  des  Bauches  aus  einer  Lage,  nämlich  den 
röhrenförmig  auswachsenden  Rücken-  und  Wirbelplatten  (innere  Segmentschicht) 
sich  entwickeln.  Wenn  aber  Reichert  einerseits  die  richtigen  Angaben  v.  Baer's 
über  die  Segmentschichten  vernachlässigte,  so  adoptirte  er  andererseits  dessen 


234  IV.   Die  Sonderung  der  einzelnen  Organanlagen. 

irrthümliche  Anschauungen  über  andere  Theile  des  mittleren  Keimblattes.  Auch 
er  übersah  die  Seitenplatten ,  indem  er  der  Darmhaut  eine  schon  ursprünglich 
selbstständige  Anlage  zuerkannte,  und  die  inneren  Kopfanlagen  erscheinen  auch 
bei  ihm  als  eine  Wiederholung  des  am  Rumpfe  Beobachteten-,  insbesondere  sollen 
die  beiden  Visceralbögen  (Unterkiefer-  und  Zungenbeinbögen)  als  Verdickungen 
jener  ungesonderten  Visceralplatte  den  Extremitätengürteln  des  Rumpfes  ent- 
sprechen, die  Kiemengegend  aber  ebenso  wie  die  mittleren  Rumpftheile  solche 
Bögen  entbehren  (Nr.  22  S.  17.  18).  Auch  diejenige  Beobachtung  Reichert's, 
welche  im  Vergleiche  zu  meinen  Untersuchungen  am  meisten  begründet  er- 
scheinen könnte,  dass  nämlich  die  Wirbelsaite  ursprünglich  bis  zum  vordersten 
Hirnende  reiche,  später  aber  dieser  ihr  vorderster  Abschnitt  verkümmere, — 
auch  diese  Angabe  kann  ich  nicht  unbedingt  gutheissen.  Denn  mit  der  Be- 
zeichnung jener  Ausdehnung  „bis  zur  Stirnwand"*  wird  einmal  des  Guten  zu 
viel  gethan,  ferner  aber  dadurch  in  Verbindung  mit  der  Angabe,  dass  aus  der 
verkümmernden  Chordaspitze  der  Hirnanhang  entstehe,  der  Verdacht  erregt, 
Reichert  habe  die  Anlage  des  letzteren,  welche  allerdings  von  jener  „Stirn- 
wand" entspringend  rückwärts  unter  das  Hirn  wächst,  mit  einer  Fortsetzung 
der  Wirbelsaite  verwechselt.  Dagegen  muss  hier  hervorgehoben  werden,  d;iss 
Reichert  zuerst  die  Quergliederung  des  Embryonalkörpers  betonte.  Frei- 
lich gedachte  schon  v.  Baer  der  mit  einander  übereinstimmenden  Abschnitte, 
die  im  Knochen-,  Muskel-,  Nerven-  und  Gefässsystem  des  Rumpfes  bestehen  und 
die  er  „morphologische  Elemente"  nannte  (Nr.  8  II  S.  82  und  flg.);  da  er  aber 
die  im  jungen  Embryo  sichtbaren  Abschnitte  nur  für  die  Anlagen  der  Wirbel- 
bögen hielt  (Nr.  8  II  S.  97),  so  wusste  er  weder  die  Uebereinstimmung  der 
Gliederung  in  den  verschiedenen  Systemen  auf  einen  gemeinsamen  Entwicke- 
lungsvorgang  zu  beziehen,  noch  viel  weniger  erkannte  er  eine  solche  als  einen 
allgemeinen,  mehr  oder  weniger  auf  alle  Systeme  und  alle  Regionen  des  Körpers 
sich  erstreckenden  embryonalen  Entwickelungsprocess.  Die  röhrenförmigen 
Primitivorgane  als  solche  blieben  für  v.  Baeu  der  Inbegriff  der  allgemeinen 
Embryonalanlagen.  Reichert  erkannte  nun  freilich  die  embryonale  Gliede- 
rung im  Rumpftheile  des  mittleren  Keimblattes,  hat  sie  aber,  wie  es  scheint, 
bloss  auf  die  Muskeln  und  Knochen  bezogen  (Nr.  22  S.  32) ,  während  die  letz- 


*  Die  von  Reichert  bezeichnete  Stelle  der  vorderen  Wand  des  Kopfes  entspricht 
dem  Ursprünge  der  Anlage  des  Hirnanhangs;  dadurch  wird  es  möglich,  den  späteren  Uebcr- 
gang  jener  „Stirnwand"  in  die  Decke  der  Mundhöhle  zu  verfolgen  (vgl.  Taf.  XVI  Fig.  292. 
293.  298). 


2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  235 

teren  in  den  Embryonalanlageu  gar  nicht  enthalten  sind  und  die  Segmente 
muskulöse,  nervöse  Theile  und  die  Anlagen  eines  allgemeinen  Bildungsgewebes 
umfassen.  Reichert  versuchte  aber  auch  ferner  die  „Wirbelabtheilungen"  im 
Kopfe  nachzuweisen.  Er  findet  sie  dort  nur  in  den  Urplatten  des  Wirbel- 
systems (innere  Segmente),  und  zwar  erst  an  Embryonen,  die  schon  Augenblasen 
und  drei  Hauptabtheilungen  des  Gehirns  besitzen  (Nr.  22  S.  16,  Taf.  II  Fig.  15, 
Nr.  20  S.  7,  Taf.  I  Fig.  6).  An  so  alten  Embryonen  kann  man  aber  die  wirk- 
lichen Segmente  nach  meinen  Erfahrungen  entweder  gar  nicht  mehr  oder  nur 
noch  andeutungsweise  sehen,  an  älteren  Geschöpfen  aber  durchaus  nicht  mehr 
unterscheiden,  während  sie  dann  nach  Reichert  gerade  deutlicher  werden 
sollen  (Nr.  20  S.  18.  28).  In  Uebereinstimmung  damit  spricht  Reichert  „von 
dem  Einflüsse,  den  die  Gehirnabtheilungen  auf  die  drei  Wirbelabzeichnungen 
des  Schädels  haben"  (Nr.  20  S.  19.  91),  und  empfiehlt  daher,  da  diese  nicht 
überall  deutlich  geschieden  seien ,  zur  Orientirung  über  ihre  Lage  und  ihre 
Grenzen  sich  an  die  Hirnabschnitte  und  die  Sinnesorgane  zu  halten  (Nr.  20 
S.  11.  91.),  Theile,  die  nach  meinen  Untersuchungen  erst  erscheinen,  wenn 
die  typische  Gliederung  des  Kopfes  bereits  verschwunden  ist.  Es  entsprechen 
also  die  REiCHERT'schen  Wirbelabtheilungen  des  Kopfes  durchaus  nicht  meinen 
Kopfsegmenten;  und  wenn  man  überlegt,  dass  er  sie  verhältnissmässig  spät 
unter  dem  Einflüsse  der  drei  Gehirnblasen  entstehen  lässt  und  sie  einfach  als 
Schädelwirbel  bezeichnet,  so  kann  es  nicht  zweifelhaft  sein,  dass  diese  An- 
schauung weniger  der  Beobachtung  als  der  Reflexion  entsprang  und  dass  der 
ganze  Schein  von  Wahrheit,  der  ihr  anhaftet,  von  der  genialen  Konception  der 
allgemeinen  Wirbeltheorie  entlehnt  ist,  welcher  überhaupt  jene  ganze  Auffassung, 
dass  der  Kopf  nur  eine  eigenthümliche  Fortsetzung  des  Rumpfes  sei,  offenbar 
erst  ihre  Entstehung  verdankt.  Mochte  Reichert  aber  auch  von  der  Richtig- 
keit seiner  Angaben  überzeugt  sein,  so  geht  doch  gerade  aus  den  angeführten 
Stellen  und  seiner  Entwickelungstheorie  (Nr.  28  III.  IV)  unzweifelhaft  hervor, 
dass  er  gar  nicht  daran  dachte,  jene  Gliederung  des  Rumpfes  und  Kopfes  als 
integrirendes  Element  in  den  embryonalen  Aufbau  der  Wirbelthiere,  insbeson- 
dere der  Batrachier  aufzunehmen,  wie  er  denn  an  seinen  Primitivorganen, 
„welche  den  Organisations-Typus  des  Thiers  bedingen"  (Nr.  28  S.  124-125), 
wohl  „Doppelanlagen",  nie  aber  die  Gliederung  erwähnt. 

Da  Reichert  bei  seinem  Versuch,  die  Unhaltbarkeit  der  von  v.  Baer  vor- 
getragenen Lehre  nachzuweisen,  sich  mehr  auf  naturphilosophische  Deduk- 
tionen stütze,  als  auf  einfache  Beobachtung  (vgl.  Nr.  28  II.  III)  und  daher  auch 


23(3  IV.  Die  Sonderung  der  einzelnen  Organanlagen. 

die  offenbaren  Blätter  und  Schichten  ausser  Acht  liess,  so  ist  es  begreiflich, 
dass  seine  Arbeit  erfolglos  blieb.  Schon  Vogt,  dessen  Beobachtungen  über 
die  dem  mittleren  Keimblatte  entsprechenden  Theile  sich  im  allgemeinen  an 
die  REiCHEET'schen  anschliessen  und  daher  an  dieser  Stelle  nicht  weiter  be- 
sprochen werden  sollen,  sucht  in  freilich  unbestimmter  Weise  sich  der  älteren 
Lehre  wieder  zu  nähern.  Ganz  entschieden  trat  aber  Bemak  den  Anschauungen 
Reichert's  entgegen,  indem  er  das  von  v.  Baer  Ueberlieferte  seinen  weiteren 
Ausführungen  zu  Grunde  legte.  Dadurch,  dass  er  die  Existenz  eines  mittleren 
Keimblattes  feststellte  und  die  Gliederung  desselben  in  eine  Axe  und  sich 
weiter  sondernde  Seitentheile  (Urwirbel-,  Seitenplatten)  nachwies,  wurde  es 
erst  möglich,  das  von  v.  Baer  entworfene  Bild  auf  ganz  bestimmte,  klar 
unterscheidbare  Theile  zu  beziehen.  Was  Remak  aber  an  dem  v.  BAER'schen 
Schema  dadurch  verbesserte ,  dass  er  die  Spaltung  der  Seitenplatten  in  dasselbe 
einführte,  verdarb  er  wiederum  durch  seine  Darstellung  von  der  Entwickelung 
der  Hautplatten  (Parietalblatt).  Fasst  man  zusammen,  dass  nach  ihm  die 
letzteren  unter  der  Oberhaut  aufwärts  wachsend  die  gesammten  inneren  Rücken- 
theile  umhüllen,  ferner  die  Gliedmassen  und  Bauchmuskeln  erzeugen,  die  Ur- 
wirbel (Segmente)  dagegen  nur  die  Wirbelmuskeln  bilden  sollen,  so  ist  es  klar, 
dass  Remak  seine  „Hautplatten"  das  vom  Bauche  zum  Rücken  hinauf  aus- 
führen lässt,  was  die  beiden  Fleischschichten  v.  Baer's  in  umgekehrter  Richtung 
leisteten.  Aus  meinen  Abbildungen  geht  aber  hervor,  dass  das  Parietalblatt 
(Remak's  Hautplatte)  nur  das  parietale  Bauchfell  liefert  und  der  gesammte 
zwischen  diesem  und  der  Oberhaut  befindliche  Inhalt  der  Leibeswand  von  den 
Segmenten  des  Rückens  (Urwirbel  aut.)  abstammt;  Remak  hat  sich  also  in 
dieser  Hinsicht  vollständig  geirrt,  und  muss  die  alte  v.  Baer'scIic  Darstellung 
durchaus  wiederhergestellt  werden.  —  Auch  in  der  Erkenntniss  der  Bedeutung, 
welche  die  Quergliederung,  die  Bildung  der  Segmente  für  die  ganze  embryonale 
Entwickelung  hat,  ist  Remak  über  Reichert's  Ergebnisse  nicht  weit  hinaus- 
gegangen. Einmal  beschränkte  auch  er  jene  Gliederung  auf  den  Rumpf,  indem 
er  eine  solche  für  den  Kopf  des  Hühnchens  und  des  Frosches  ganz  bestimmt 
in  Abrede  stellte.*  Ferner  enthalten  seine  Mittheilungen  über  die  Rumpfseg- 
mente mehr  Irrthümliches  als  Zutreffendes.  Denn  wenn  er  auch  Muskel, 
Nerv  und  Wirbel  die  Elemente  der  Urwirbel  nennt,   so  sollen  doch  letztere 


*  Vgl.  Nr.  40  S.3G,  Nr.  83  S.23  Anm.2.  An  letzterem  Orte  sagt  Remak  ganz  ausdrück- 
lich, dass  „beim Hühnchen  und  beim  Frosche  die  Reihe  der  Urwirbel  erst  hinter  dem  Nervus 
yagus  beginnt." 


2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  237 

beim  Frosche  anfangs  nur  aus  Muskelmasse  bestellen,  und  erst  später  an  ihrer 
Innenseite  je  ein  Spinalganglion  und  als  „Zwischenstücke  der  Muskelplatten" 
die  Wirbelbögen  erscheinen  (Nr.  83  S.  23  Anm.  3,  Nr.  40  S.  154.  186).  Dies 
ist  unrichtig,  weil  die  Muskelplatte  und  das  zugehörige  Ganglion  von  Anfang 
an  als  Theile  des  ursprünglichen  Urwirbels  oder  Segments  erscheinen;  und 
wenn  Remak  für  das  Hühnchen  eine  gleichzeitige  Entwickelung  jener  drei  Stücke 
aus  den  Urwirbeln  annimmt  (Nr.  40  S.  41),  so  geht  er  wieder  zu  weit,  da  die 
Wirbel  überhaupt  nicht  unmittelbar  aus  den  Urwirbeln  hervorgehen.  Der 
wichtigste  Punkt  bleibt  aber,  dass  diese  Entwickelung  gewissermaassen  erst  unter 
Auflösung  der  ursprünglichen  Segmentirung  erfolgen  soll,  indem  diese  nur  in 
den  Muskelplatten  erhalten  bliebe,  für  Nerven  und  Wirbel  aber  vollständig 
verwischt  würde,  um  einer  durchaus  abweichenden Eintheilung Platz  zumachen, 
deren  Zusammenhang  mit  der  ersteren  durchaus  unersichtlich  bleibt.  Wenn 
man  ferner  überlegt,  dass  jene  Muskelplatten  Remak's  nur  in  die  Rücken- 
muskeln übergehen  sollen,  also  die  Gliederung  der  ganzen  übrigen  Muskulatur, 
welche  Remak  von  seiner  Hautplatte  ableitet,  ganz  unabhängig  von  jener  em- 
bryonalen Segmentirung  sich  darstellt,  so  ergibt  sich,  dass  der  letzteren  als- 
dann eine  allgemeine  Bedeutung  überhaupt  nicht  zukommt,  sondern  sie  viel- 
mehr ähnlichen  Gliederungsprocessen  in  anderen  Körpertheilen ,  so  gerade  im 
Kopfe  und  in  der  Wirbelsäule,  nur  koordinirt  erscheint.  —  Ueber  den  Kopfab- 
schnitt des  mittleren  Keimblattes ,  welcher  ungegliedert  bleiben  soll  v  hat  sich 
Remak  etwas  unbestimmt  ausgesprochen.  Wenn  aber  danach  die  Gesichts- 
und Kiemenplatten  mit  den  Seitenplatten  zusammenhängen  und  ebenfalls  wie 
die  Hautplatte  eine  Fortsetzung  nach  oben  besitzen  sollen,  welche  das  Hirn 
umhüllt,  so  darf  man  wohl  annehmen,  dass  auch  Remak  dem  hergebrachten 
Dogma  huldigte,  dass  die  Kopfanlagen  in  ihrer  allgemeinen  Anordnung,  aber 
mit  Ausschluss  einer  Segmentbildung,  den  Rumpfanlagen  entsprächen.* 

Erst  Stricker  trat  dieser  Ansicht  entgegen,  verfiel  aber  gleich  ins  andere 
Extrem,  indem  er  die  eigenthümliche  Kopfbildung  nicht  nur  auf  eine  abwei- 
chende Anordnung  und  Umgestaltung  der  auch  im  Rumpfe  vorkommenden 
Anlagen  des  mittleren  Keimblattes,  sondern  auf  ganz  neue,  ausserhalb  der 
Kontinuität  desselben  entstehende  Theile  (Schlundschienen)  zurückführte.  Dies 
kann  ich  nach  meinen  Erfahrungen  nicht  gelten  lassen;  denn  einmal  wachsen 
die  Schlundschienen  Stricker's  oder  meine  äusseren  Kopfsegmente  aus  der 


*  Als  eine  Abweichung  davon  kann  das,  was  Remak  von  seiner  Sinnesplatte  aussagt, 
nicht  gelten,  da  die  betreffende  Entwickelung  einer  viel  spateren  Periode  angehört. 


238  IV-  Die  Soiiderung  der  einzelnen  Organanlagen. 

ursprünglichen  Segmentplatte  hervor,  und  ferner  finden  sich,  wie  ich  gezeigt 
habe,   entsprechende  Theile  in  den  äusseren  Segmentschichten  des  Rumpfes. 
Aber  auch  in  der  Darstellung  der  weiteren  Entwicklung  und  in  der  Deutung 
der  Schlundschienen  irrte  Stricker.     Dass  das  erste  Paar  die  Augenanlage 
von  hinten  und  unten  umkreisst  und  dann  senkrecht  hinunter  wächst,  ist  richtig-, 
aber  Stricker  übersah  die  mediane  Scheidewand,  welche  jenes  Paar  der  Schlund- 
schienen nur  an  der  Bauchseite,  nicht  aber  auch  vorn  und  oben  zusammen- 
gössen lässt.     Sodann  hält  er  irrthümlicherweise  das  erste  Paar  der  inneren 
Segmente,  welche  über  und  unter  dem  Auge  nach  vorn  wachsen,  für  Theile 
seiner  Schlundschienen  (Nr.  55  S.  65),  wodurch  die  Identität  der  letzteren  und 
meiner  äusseren  Segmente  wieder  aufgehoben  würde.   Daraus  erklärt  sich,  dass 
er  den  medianen,  dünnen  Theil  des  mittleren  Keimblattes,  welchen  er  fälschlich 
für  die  Fortsetzung  der  ganzen  Rumpfsegmente,  statt  bloss  ihrer  medialen  Theile 
(innere  Segmente)  ansieht,  später  in  die  dünne  Unterlage  des  Vorderhirns  voll- 
ständig aufgehen  lässt,  wobei  die  zeitweilige  breite  Lücke  in  diesem  Theile  des 
mittleren  Keimblattes  ganz  übersehen  wurde.  So  kommt  denn  Stricker  endlich 
zu  der  ganz  irrigen  Ansicht,  dass  jederseits  eine  einzige  Embryonalanlage,  eben 
die  erste  Schlundschiene  alle  die  verschiedenen  Theile  des  Vorderkopfes  bilde, 
welche  zwischen  den  Erzeugnissen  des  oberen  und  unteren  Keimblattes  liegen, 
mit  alleiniger  Ausnahme  jener  dünnen  Membran  an  der  Schädelbasis.  —  Weiter 
hat  sich  aber  Stricker  über  die  Umbildungen  des  mittleren  Keimblattes  nicht 
ausgelassen. 

Ganz  so  wie  Dönitz  eine  Wiederholung  der  REiCHERTschen  Lehre  ge- 
liefert hat,  fand  sich  auch  eine  bedingungslose  Bestätigung  der  Ansichten 
Stricker's  durch  Türök,  wesshalb  ich  betreffs  Beider  einfach  auf  die  citirten 
Aufsätze  und  mitgetheilten  Auszüge  verweise. 

Die  letzte  der  hier  zu  besprechenden  Arbeiten  lieferte  v.  Bambecke.  Für 
den  Rumpf  hat  er  die  REMAKschen  Angaben  über  die  Entwicklung  des  mitt- 
leren Keimblattes  wesentlich  verbessert  durch  die  Unterscheidung  der  an  den 
Urwirbelplatten  auftretenden  oberflächlichen  Schicht,  meiner  äusseren  Segment- 
schicht. Dass  aber  diese  sowie  die  innere  Segmentschicht  nicht  nur  aufwärts- 
wachsend das  Rückenmark  umhüllen,  sondern  auch  beide  bis  zur  Bauchfläche 
hinab  wachsen,  ist  v.  Bambecke  freilich  entgangen,  wie  denn  die  falsche  Deutung 
der  äusseren  Schicht  aus  der  Benennung  „lame  cutanee  dorsale"  erhellt.  Und 
da  auch  er  für  den  ganzen  Kopf  die  bequeme  Lehre  von  der  allmählichen 
histologischen  Sonderung  aller  inneren  Theile  aus  einer  morphologisch  indiffe- 


2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  239 

rent'en  Masse  adoptirt,  so  kann  auch  seine  Kenntniss  vom  morphologischen 
Aufbaue  des  Embryonalkörpers  und  die  Einsicht  in  die  Bedeutung  eines  solchen 
Entwickelungsganges  nicht  wesentlich  höher  gestellt  werden  als  bei  den  meisten 
seiner  Vorgänger,  welche  ihre  Arbeit  auf  die  Sammlung  vereinzelter  That- 
sachen  beschränkten,  ohne  Rücksicht  darauf,  ob  dieselben  einen  Zusammen- 
hang erkennen  Hessen  oder  nicht. 

Bei  einem  Vergleiche  aller  eben  angeführten  Darstellungen  lässt  sich  nicht 
verkennen,  dass  in  ihnen  zwei  ganz  verschiedene  Grundanschauungen  sich 
geltend  machen ,  nirgends  streng  geschieden  oder  sich  gegenseitig  ausschliessend, 
aber  doch  mit  einem  entschiedenen  Uebergewichte  bald  der  einen ,  bald  der 
andern.  Einmal  tritt  eine  Reihenfolge  zusammenhängender,  gesetzmässiger 
Formveränderungen  in  den  Vordergrund,  sodass  gewisse  Körpertheile  als  das 
Ergebniss  einer  ununterbrochen  fortschreitenden  Formumbildung  der  ein- 
fachsten ursprünglichen  Anlagen  erscheinen;  in  anderen  Fällen  erscheint  dieser 
Zusammenhang  mehr  oder  weniger  unterbrochen,  indem  die  Wirkungen  der 
fortschreitenden  Formumbildung  ersetzt  werden  durch  ein  geheimnissvolles 
Leben  und  Weben  innerhalb  der  unorganisirten  Zellenmassen,  aus  denen  als- 
dann die  fertigen  Bildungen  so  zu  sagen  durch  eigene  Kraft  sich  herauslösen. 
Diese  beiden  Anschauungen  sind  seither  unter  den  Namen  der  „morphologischen 
und  der  histiologischen  Sonderimg"  bekannt  und  üblich  geworden,  Namen, 
deren  Bedeutung  ich  erst  später  noch  näher  erläutern  will.  Hier  soll  nur 
festgestellt  werden,  welche  von  beiden  für  die  Embryonalentwickelung  die  rich- 
tige und  massgebende  sei,  und  in  welcher  Weise  sie  begründet  und  ausgeführt 
werden  müsse.  —  Es  wäre  nach  meiner  ganzen  Darstellung  unnöthig  ausein- 
anderzusetzen, dass  ich  nur  in  der  zuerst  von  v.  Baer  bekannt  gegebenen  mor- 
phologischen Entwickelung  des  Wirbelthierembryo  einen  einigermassenrichtigen 
Ausdruck  für  das  Wesen  der  Embryonalentwickelung,  dieses  grundlegenden 
Aufbaues  des  künftigen  Thieres  wiederfinde,  dass  ich  dagegen  alle  Versuche, 
jenen  rein  morphologischen  Entwickelungsgang  in  grösserem  oder  geringerem 
Masse  durch  unbegründete  ,,histiologische  Differenzirungen"  zu  ersetzen  oder 
zu  ergänzen,  als  unberechtigt  zurückweisen  muss.  Es  soll  damit  nicht  gesagt 
sein,  dass  durch  v.  Baer  in  der  angegebenen  Richtung  die  allein  richtige  Beo- 
bachtung erschöpft  worden,  unter  seinen  Nachfolgern  darin  kein  Fortschritt  zu 
verzeichnen  sei.  v.  Baer  blieb  aber  in  seiner  allgemeinen  Auffassung  unüber- 
troffen, da  eine  Fortentwickelung  derselben  sich  bisher  nicht  bemerkbar  gemacht 
hat,  und  zwar,  wie  ich  glaube,  ans  dem  Grunde,  weil  die  einseitige  Ausbildung 


240  IV.   Die  Sonderung  der  einzelnen  Organanlagen. 

der  Zellentheorie  den  histologischen  Vorgängen  zu  viel  Gewicht  einräumte  und 
darüber  die  Gesetze  und  Bedingungen  der  morphologischen  Entwickelung  zu 
sehr  ausser  Acht  liess.  Seit  v.  Baer  den  Grund  zu  einer  wissenschaftlichen 
Entwicklungsgeschichte  gelegt,  sind  allerdings  grössere  und  kleinere  Beiträge 
zu  derselben  reichlich  herzugeströmt,  ohne  jedoch  jene  Grundlage  wesentlich 
zu  verändern;  die  wachsende  Fülle  der  Thatsachen  vermochte  die  Einsicht  in 
die  Bedeutimg  des  morphologischen  Moments  der  Entwickelung  nicht  in  gleichem 
.Masse  zu  erweitern,  sodass  wir  hinsichtlich  desselben  immer  wieder  auf  jenen 
Nestor  unserer  Wissenschaft  zurückkommen  müssen,  der  mit  den  einfachsten 
Mitteln  der  Beobachtung  und  unter  dem  Einflüsse  der  damals  herrschenden 
unklaren  morphologischen  Anschauungen  das  leistete,  was  seine  Nachfolger 
unter  günstigeren  Verhältnissen  zu  fördern  und  zu  läutern  nicht  vermochten, 
dagegen  gar  zu  häufig  verkannten  und  vernachlässigten.  Das  von  v.  Baer 
Erreichte  ist  aber  eben  nicht  vollkommen  zu  nennen,  nicht  als  abgeschlossen 
zu  betrachten.  War  er  sich  doch  selbst  des  Unterschiedes  von  Morphologi- 
schem und  Histologischem  nicht  ganz  klar  bewusst;  beide  Entwickelungsweisen 
sollten  nur  nach  ihrer  äusseren  Erscheinung  und  ihren  Zielen  geschieden  sein,  in 
ihrem  Wesen  jedoch,  als  Differenzirung  des  Einfachen  zum  Mannigfaltigen, 
durchaus  übereinstimmen  (vgl.  Nr.  8  Bd.  II S.  92  —  94).  Letzteres  ist  aber  nur  eine 
Umschreibung  des  allgemeinsten  Begriffes  der  Entwickelung,  und  dass  diesselbe 
im  Embryo  wesentlich  in  zusammenhängenden,  nach  bestimmten  Gesetzen  sich 
gegenseitig  bedingenden  und  erzeugenden  Formveränderuugen  erfolge,  konnte 
bei  v.  Baer  um  so  weniger  zu  klarem  und  umfassendem  Ausdrucke  gelangen ,  als 
er  sich  von  gewissen  aprioristischen  Vorstellungen  nicht  immer  frei  zu  erhalten 
wusste.  So  wird  der  „Wesenheit  jedes  Primitivorgans,"  welche  sich  in  der 
physiologischen  Aufgabe  der  daraus  hervorgehenden  Körpertheile  wiederspie- 
gele, ein  bestimmender  Eimiuss  auf  dessen  weitere  morphologische  Umbildung 
zugeschrieben,  so  ferner  im  Grunde  genommen  das  ganze  Schema  der  Ent- 
wickelung von  dem  Baue  des  fertigen  Thieres  abgeleitet  (vgl.  Nr.  8  II  S.  57  und 
flg.  S.  86  und  flg.),  wobei  die  in  einzelnen  Theilen  erkannte  Uebereinstimmung 
sofort  auf  den  ganzen  Körper  übertragen  wurde.  Andererseits  wurde  eines 
der  wesentlichsten  Momente  der  morphologischen  Entwickelung,  die  Querglic- 
derung,  ganz  übersehen,  und  das  ganze  Schema  über  die  Keimschichtung  hin- 
aus rückwärts  in  seiner  eigentlichen  Konsequenz  nicht  ausgeführt.  So  mag  uns 
denn  die  v.  Baior'scIic  Darstellung  über  den  Aufbau  des  Wirbelthiers  vielfach 
Orientiren,   überall  dort  aber,   wo  uns  nur  die  klare  Einsieht  in  den  Kausalzu- 


2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  241 

sammenhang  der  Erscheinungen  den  gewünschten  Aufschluss  gibt,  bei  der 
Vergleich ung  verschiedener  Typen,  bei  ihrer  Ableitung  von  einander,  lässt  sie 
uns  heutigen  Tages  im  Stich.  Bewunderungswürdig  als  Ausgangspunkt  einer 
echt  wissenschaftlichen  Entwicklungsgeschichte  hat  sie  ihre  Aufgabe  erfüllt, 
die  Erkenntniss  von  der  Bedeutung  dieser  Wissenschaft  weithin  verbreitet  und 
überlässt  nun  uns  Epigonen  den  Ausbau  dessen,  was  sie  angebahnt.  In 
diesem  Sinne  habe  ich  meine  bezüglichen  Untersuchungen  zu  verwerthen  ge- 
sucht und  fasse  zur  besseren  Uebersicht  hier  noch  einmal  die  ganze  allgemeine 
morphologische  Entwickelung  unseres  Thieres  kurz  zusammen. 

Ich  erinnere  zunächst  an  die  Ergebnisse  der  in  früheren  Abschnitten  dar- 
gelegten Untersuchungen.     Die  erste  Organisation  des  Eies  begann  mit  einem 
einzigen,  einfachen  physikalischen  Vorgange,  der  unter  dem  Schutze  günstiger 
Bedingungen  Bestand  und  Fortgang  erhielt,  —  der  radiären  Diffusion  oder 
Endosmose.  Der  erste  Erfolg  der  Entwickelung,  die  Einleitung  der  Dotterthei- 
lung ,  entsprang   einer  Grössendifferenz    dieser   sonst  gleichartigen  radiären 
Ströme,  welche  in  der  aus  dem  Eierstocke  überkommenen  Anordnung  des  Ei- 
stoffes  begründet  war.    Mit  der  Möglichkeit  der  ersten  Dottertheilung  war  auch 
ihr  Fortgang  gesichert-,  jene  fundamentale  Differenz  wirkte  aber  nicht  nur  durch 
Vererbung  in  den  Theilen  fort,  dadurch  die  andauernde  Herstellung  der  erfor- 
derlichen letzten  morphologischen  Elemente,  der  Zellen  fördernd,  sondern  er- 
hielt sich  auch  im  Ganzen,  in  dem  immer  schärfer  hervortretenden  Gegensatze 
von  Keim  und  Nahrungsdotter.     Nach  den  von  mir  angedeuteten,  aus  jener 
Differenz    entwickelten  Gesetzen  erfolgten   die  Dottertheilungen   zuerst  aus- 
schliesslich, später  vorherrschend  radiär  gegen  einen  excentrischen,  dem  oberen 
Pole  genäherten  Punkt,  ferner  mit  einer  von  diesem  Pole  gegen  den  unteren 
hin  abnehmenden  Energie;  die  mit  den  Theilungen  verbundenen  und  mit  dem 
Fortschritte    derselben  zunehmenden  Verschiebungen   der  Dotterstücke  und 
Embryonalzellen  mussten  daher  zu  einer  vom  oberen  Pole  allseitig  ausgehenden, 
mit  Bezug  auf  die  Eikugel  koncentrischen  Ausdehnung  der  oberen  Masse  zu- 
sammenfliessen:  es  entstand  die  Keimhöhle,  die  Sonderung  des  Keims,  dessen 
Ränder  sich  über  den  relativ  unthätigen  Nahrungsdotter  hinschoben.   Die  sich 
dabei  ergebenden  natürlichen  Hindernisse  riefen  den  Umschlag  des  Randes  der 
primären  Keimschicht  hervor,    schufen   die  sekundäre  Keimschicht.     Indem 
sich  der  ganze  Keim  in  Folge  dessen  wie  eine  eingestülpte  Blase  über  dem 
Nahrungsdotter  zusammenzog,  entwickelte  sich  ein  neuer  Gegensatz  in  der  noch 
immer  einfachen  centrifugalen  Zellenbewegung  des  Keims:  die  letztere  bevor- 

üoette,  Eutwickeluugsgeschichte.  1" 


242  IV-    Die  Sonderung  der  einzelnen  Organanlagen. 

zugt  eine  Seite  des  Eies  in  steigendem  Masse ,  sodass  dort  oder  im  künftigen 
Rückentheile  ihre  Wirkung,  die  Ausdehnung  der  primären  Keimschicht  in  centri- 
fugalor,  der  sekundären  in  rückläufiger  Richtung,  zuerst  zum  deutlichen  Aus- 
drucke kommt.  Der  trägeren  Zellenbewegung  der  entgegengesetzten  Bauch- 
seite fehlt  mit  der  entsprechenden  Kraft  die  gleiche  Wirkung;  dagegen  scheint 
sich  ihr  in  dem  vom  Nahrungsdotter  durch  die  Darmhöhle  vollständig  getrenn- 
ten Rückentheile  ein  leichterer  Abfluss  zu  eröffnen,  denn  sie  wird  dorthin 
abgelenkt  und  erzeugt  darauf,  von  beiden  Seiten  des  Rückens  gegen  ihn  vor- 
rückend die  bekannten  Axengebilde  beider  Keimschichten.  Die  Bildung  des 
Darmblattes  hängt  in  der  geschilderten  Weise  mit  der  Bildung  des  Rückens  und 
der  Darmhöhle  zusammen  und  gestattet  durch  ihre  ursprünglich  beschränkte 
Ausdehnung,  dass  das  in  der  Dotterzellenmasse  gebildete  Blut  direkt  in  das 
mittlere  Keimblatt,  diese  Keimstätte  alles  interstitiellen  Bildungsgewebes  über- 
trete. Sowie  die  Sonderung  einer  Rücken-  und  einer  Bauchseite  an  der  Keim- 
blase ausgesprochen  ist,  kann  sich  die  Betrachtung  beinahe  ausschliesslich  der 
ersteren  zuwenden,  weil  in  ihr  die  nach  Zahl  und  Bedeutung  überwiegenden  ein- 
zelnen Entwickelungsprocesse  abspielen.  Aber  auch  im  Rücken  ist  gleich  im 
Anschlüsse  an  seine  Bildung  und  in  nothwendiger  Folge  davon  ein  neuer  Gegen- 
satz angelegt,  nämlich  der  einer  vorderen  und  einer  hinteren  Hälfte  (Kopf  und 
Rumpf) ,  deren  eigenthümlich  verschiedenes  Gepräge  aus  der  sich  immerfort 
steigernden  Wechselwirkung  des  oberen  und  des  mittleren  Keimblattes  hervor- 
geht. Das  letztere  leitet  die  ganze  Axenbildung  ein,  sodass  der  Axenstrang, 
der  nach  vorn  abfallenden  Mächtigkeit  des  ganzen  Blattes  entsprechend,  nur 
im  Rumpfe  zu  einem  zeitweiligen  Hinderniss  einer  gleichen  Verdickung  des 
oberen  Keimblattes  wird,  welche  sich  daher  zu  beiden  Seiten  des  Axenstranges 
und  unter  dem  Einflüsse  der  letzten  Ausläufer  der  ursprünglichen  centrifugalen 
Zellenbewegung  vom  oberen  Pole  her  auch  rund  um  sein  Vorderende  anlegt. 
So  haben  wir  also  im  oberen  Keimblatte  eine  nach  vorn  hin  verbreiterte  und 
dort  alsbald  auch  dickere  Platte,  darunter  aber  das  in  entgegengesetzter 
Richtung  anschwellende  mittlere  Keimblatt.  War  nun  die  Bildung  der  Axen- 
platte  durch  den  zeitlichen  Vorsprung  des  Axenstranges  von  diesem  abhängig, 
so  gewinnt  doch  das  obere  Keimblatt  wegen  seines  längeren  Bestandes  und  der 
damit  zusammenhängenden  grösseren  Festigung  einen  die  übrigen  Bildungen 
beherrschenden  Einfluss,  welcher  erst  während  des  Abschlusses  seiner  wichtig- 
sten Bildung,  des  Centralnervensystems ,  theilweise  an  das  mittlere  Keimblatt 
übergeht.      Dieses  Verhältniss  steigert  jene  Differenz  von  Kopf  und  Rumpf 


2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  243 

fortdauernd.  Solange  die  mit  der  Zeilentheilung  zusammenhängende  Verschie- 
bung in  einer  lockeren  Schicht  erfolgte,  musste  ihr  Erfolg  eine  Anhäufung  der 
Elemente  an  der  Grenze  der  Bewegung,  also  im  Rücken  sein-,  sobald  aber  das 
obere  Keimblatt  hautartig  geworden,  vermehrt  es  die  Zellenanhäufung  nicht 
mehr,  sondern  drängt  die  Axenplatte  bloss  zusammen.  Durch  den  Druck  des 
Axenstranges  nach  oben  und  andererseits  der  gegen  ihn  andrängenden  Medullar- 
platten  wird  jener  innige  axiale  Zusammenhang  beider  Keimblätter  herbei- 
geführt, welcher  es  verhindert,  dass  die  seitliche  Zusammenziehung  der  Axen- 
platte im  Rumpfe  zu  einer  entsprechenden  Verdickung  führe:  der  gegen  die 
Medianebene  gerichtete  Zellenstrom  wird  in  die  Längsrichtung  abgelenkt ,  die 
Zusammenziehung  geht  in  eine  Verlängerung  der  sich  verschmälernden  Axen- 
platte über.  Am  Kopfende  fehlt  die  Hauptbedingung  dazu,  der  bilateral  gegen 
die  Medianebene  gerichtete  Zellenzufluss,  welcher  vielmehr  von  einem  nahezu 
kreisförmigen  Umfange  gegen  ein  gemeinsames  Centrum  zielt.  Das  Kopfende 
behält  also  zunächst  seine  frühere  Mächtigkeit  und  breite,  runde  Gestalt.  So 
wurden,  wie  man  es  schon  am  äusseren  Relief  deutlich  erkennt,  die  beiden  oben 
bezeichneten,  anfangs  nicht  erheblich  unterschiedenen  Hälften  der  Axenplatte 
so  verschieden  verwandelt,  dass  die  vordere  endlich  zu  einem  knopfförmig  auf- 
getriebenen Ende  der  stabförmig  verlängerten  hinteren  Hälfte  wird.  Aber 
schon  während  der  Einleitung  dieser  Sonderung  hat  sich  aus  denselben  grund- 
legenden Zellenbewegungen  ein  neuer  morphologischer  Vorgang  entwickelt. 
Dem  von  der  sich  ausdehnenden  Oberhautanlage  auf  den  Rand  der  Axenplatte 
ausgeübten  Drucke  wird  durch  die  Vertheilung  der  Zellenmasse  in  der  Längs- 
richtung nicht  genügt,  und  es  erfolgt  die  Hebung  und  Umrollung  jenes  Randes, 
die  Bildung  der  Cerebromedullarfurche  und  -röhre.  Ihr  Beginn  am  Kopfende 
stimmt  mit  dem  Mangel  einer  Verlängerung ,  ihr  langsamer  Fortgang  daselbst 
mit  der  Mächtigkeit  der  Hirnplatte  überein.  So  wird  die  Medullarfurche  zuerst 
im  vorderen  und  mittleren  Rumpftheile  ausgebildet,  während  gegen  das  Schwanz- 
ende hin  mit  der  Abnahme  der  zugehörigen  Zellenmassen  auch  ihre  Bewegungen 
und  deren  Erfolge  sich  abschwächen.  Indem  man  aber  jene  Furche  mit  vollem 
Rechte  einer  Falte  vergleicht,  welche  das  von  beiden  Seiten  gegen  die  Median- 
ebene, aber  zunächst  nur  auf  einer  bestimmten  Strecke  sich  ausdehnende  obere 
Keimblatt  nach  innen  schlägt,  ergibt  sich  der  ganz  natürliche  Schluss,  dass  der 
mehr  oder  weniger  eingesenkte  Grund  dieser  Furche  unter  der  konvexen  Kugel- 
oberfläche einen  gestreckteren  Verlauf  nehmen  muss.  Es  wird  sich  also  die 
Axenplatte  gegen  das  Kopfende  hin  strecken  und  verlängern;  dort  setzt  aber 

16* 


244  IV.   Die  Sonderling  der  einzelnen  Organanlagen. 

die  breite  Hirnplatte  sowohl  der  Einsenkung  und  daher  der  Streckung,  als 
auch  wie  erwähnt  der  Verlängerung  einen  Widerstand,  und  so  kommt  endlich 
jene  Knickung  nicht  nur  der  Axenplatte,  sondern  des  ganzen,  ihr  sich  noch 
vollständig  anpassenden  Rückens  zu  Stande,  welche  sich  in  der  Folge  als 
eine  der  bedeutsamsten  Veränderungen  des  Embryo  darstellt.  —  Gehen  wir 
nun  auf  die  Umbildungen  des  mittleren  Keimblattes  über,  so  ist  zuerst  der 
Gegensatz  seiner  ersten  dorsalen  Anlage  zur  Axenplatte  hervorzuheben,  indem 
es  gerade  nach  vorn  hin,  wo  der  Rand  der  sekundären  Keimschicht  dünn  aus- 
wuchs  und  die  Hirnplatte  in  ihrer  ganzen  Breite  seine  weitere  Entwickelung 
hindert,  sich  verschmächtigt.  Die  axiale  Verbindung  der  Keimblätter  bildet 
nun  im  Rumpfe  eine  mediane  Scheidewand,  sodass  der  Andrang  der  lockeren 
Seitenmassen  aufwärts  unter  die  sich  erhebenden  Medullarplatten  abgelenkt 
und  dieselben  aus  ihrer  Verbindung  mit  dem  Axenstrange  gelöst  werden.  So 
scheint  mir  die  Sonderung  der  Wirbelsaite  und  der  Segmentplatten  mit  der 
Umbildung  der  Axenplatte  in  den  innigsten  Beziehungen  morphologischer  An- 
passung zu  stehen.  Aber  auch  die  Bildung  der  Segmente,  welche  aus  einer 
Art  querer  Faltenbildung  der  Segmentschichten  hervorgeht,  lässt  sich  nur  aus 
einer  Anpassung  an  die  schon  bekannten  morphologischen  Verhältnisse  erklären. 
Beim  Vorrücken  der  Zellen  aus  den  Seiten-  in  die  Segmentplatten  haben  die  nach 
innen  gelegenen  einen  kürzeren  Weg  bis  zu  der  Wirbelsaite  und  den  medialen, 
später  tieferen  Theilen  der  Medullarplatten  zu  beschreiben,  als  die  äusseren 
Zellen,  welche  am  schnellsten  bis  zur  oberen  Kante  der  Segmentplatten  vor- 
geschoben werden.  Die  ungleiche  Bewegung  erzeugt  die  Sonderung  der  beiden 
Segmentschichten;  und  in  Bestätigung  dieser  Annahme  sehen  wir  ferner  die 
langsamer  fortschreitende  innere  Schicht  ihre  Leistung  mehr  in  einer  Anhäu- 
fung (inneres  Segment,  Segmentkern),  die  äussere  in  einer  hautartigen  Ausdeh- 
nung offenbaren.  Der  überwiegende  Seitendruck  führt  nun  auch  in  den  Seg- 
mentschichten  die  Bewegung  aus  der  queren  in  die  Längsrichtung  über;  wenn 
aber  die  sich  verlängernde  Axenplatte  an  der  sie  einfassenden  dünnen  Ober- 
hautanlage  keinen  erheblichen  Widerstand  findet,  andererseits  auch  wohl  durch 
ihre  mediane  Befestigung  an  Faltungen  verhindert  wird,  so  ergeben  sich  für  die 
Segmentschichten  ganz  andere  Bedingungen.  Sowohl  am  abgebogenen  Vorder- 
kopfe wie  auch  gegen  das  Schwanzende  hin,  wo  mit  der  Abnahme  der  Bewegung 
auch  die  Entwickelung  der  Segmentschichten  erst  später  erfolgt,  sind  ihnen 
bestimmte  Schranken  ihrer  Flächenausdehnung  in  sagittaler  Richtung  gesetzt; 
und  sobald  dieselbe  ein  gewisses  Mass  überschreitet,  muss  sie  sich  naturgemäss 


2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  245 

in  Faltungen  äussern.     Die  schon  entstandenen  setzen  um  so  präcisere  Wider- 
stände zur  Bildung  neuer,  sicli  ihnen  anschliessender  Querfalten,  und  so  erreicht 
die  Sonderung  der  Segmente  sehr  bald  die  vordere  Grenze,  den  Vorderkopf 
und  setzt  sich  ferner  in  dem  Masse,  als  die  anfangs  noch  ziemlich  angeformten 
Zellenmassen  der  hinteren  Rumpf  hälfte  in  ihrer  ganzen  Umbildung  sich  den  vor- 
deren Theilen  anschliessen,  gegen  das  Schwanzende  fort.   Im  Vorderkopfe  tritt 
eine  Segmentirung  nicht  ein,  weil  seine  abweichende  Gestalt  und  Lage  eine  un- 
gleichmässige  Bewegung  seines  mittleren  Keimblattes,  also  die  Schichtung  des- 
selben überhaupt  ausschliesst.    An  den  fertig  abgegliederten  Segmenten  kann  von 
cinerweiteren  Faltung  nicht  die  Rede  sein;  solange  aber  ihr  Wachsthum  von  der 
Seitenplatte  her  fortdauert,  passt  sich  ihre  weitere  Umbildung  den  sie  bedingen- 
den Raumverhältnissen  in  der  früher  geschilderten  Weise  an.     Werfen  wir  noch 
einen  Blick  auf  die  allmählige  Verschmälerung  und  Verlängerung  des  Rückens, 
wovon  die  Segmentbildung  nur  eine  Folgeerscheinung  ist,  in  ihrem  Verhältniss 
zum  ganzen  Embryo,  so  wird  eine  weitere  Steigerung  des  Gegensatzes  von  Kopf 
undRumpf  und  Rücken  und  Bauch  ersichtlich.  Es  ergibt  sich  aus  dem  Früheren, 
dass  jene  Umbildung  zuerst  ganz  auf  den  Rückentheil  beschränkt  bleibt-,  der 
unthätige  Bauchtheil  passt  sich  jedoch  dem  die  Entwickelung  beherrschenden 
Rückentheile  um  so  früher  an,  je  geringer  seine  Masse  ist,  und  umgekehrt,  so 
dass  man  beide  Theile  bald  in  dem  Begriffe  des  Embryo  zusammenfasst  (die 
meisten  Batrachier),  bald  die  grössere  Masse  des  Bauchtheils  als  den  sogen. 
Dottersack  vom  Embryo   unterscheidet   (die  meisten  übrigen  Wirbelthiere). 
Damit  hängt  aufs  innigste  die  ebenfalls  nur  bei  den  mit  einem  Dottersacke  ver- 
sehenen Wirbelthierembryonen    angenommene  Abschnürung  des  Embryo  zu- 
sammen.   Solange  die  hintere  Rumpfhälfte  eine  relativ  ruhende  Masse  darstellt, 
muss  die  Verschiebung  in  der  Längsrichtung  sich  vorzüglich  vorn  äussern, 
und  da  sie  in  Gemeinschaft  mit  der  Verdickung  und  Abplattung  des  Rücken- 
theils sich  entwickelt,  so  wird  dieser  festeste  Theil  der  ganzen  Keimhaut  in 
gerader  Richtung,  also  aus  der  ursprünglichen  Kugeloberfläche  des  Eies  hinaus- 
geschoben, der  zwischen  dem  Kopfende  und  der  Dotterzellenmasse  (Dottersack) 
ausgespannte  Keimtheil  aber  in  der  Weise  mit  ausgezogen ,  dass  er  von  unten 
und  den  Seiten  her  jenen  Rückentheil  zu  einem  aus  der  ursprünglichen  Keim- 
Oberfläche  hervorragenden  Blindsacke  ergänzt.     Diese  Hervorbildung  des  vor- 
deren Rumpfes  und  des  Kopfes  ist  nach  Ursachen  und  Wirkung  bei  allen  Wir- 
belthierembryonen dieselbe;  ob  jene  Theile  dabei  gegenüber  dem  Dottersacke  je 
nach  seiner  Grösse  abgeschnürt  erscheinen  oder  nicht,    ist  offenbar  nur  \QYi 


246  IV.  Die  Sonderang  der  einzelnen  Orgauanlagen. 

ganz  nebensächlicher  Bedeutung.  In  ähnlicher  Weise  wie  der  Kopf  wächst 
auch  der  Schwanz  als  eine  vollständige  Fortsetzung  des  Rückens  hervor,  nur 
mit  dem  Unterschiede,  dass  die  viel  weniger  mächtigen  Anlagen  des  Schwanzes 
nicht  durch  einen  breiten ,  queren  Abschluss ,  wie  ihn  der  Vorderkopf  vorn 
bildet,  an  einer  stetig  zunehmenden  Verschmächtigung  und  Verlängerung  ge- 
hindert werden. 

Wie  das  mittlere  Keimblatt  sich  weiter  entwickelt,  will  ich  nach  den  aus- 
führlichen früheren  Erörterungen  nur  ganz  kurz  berühren.     Die  wirkenden 
Ursachen  sind  überall  der  mchrerwähnte  seitliche  Zellenandrang  und  die  sich 
zur  Ausfüllung  darbietenden  Räume,  deren  wechselnde  Verhältnisse  vorherr- 
schend von  der  nach  den  einzelnen  Regionen  verschiedenen  Umbildung  der 
Axenplatte  abhängen.     So  liefern  die  Verkümmerung  der  inneren  Segmente 
im  Kopfe,  ihre  mächtigere  Ausbildung  im  Rumpfe  und  Schwänze,  dort  die  mas- 
sige Anlage  der  äusseren  Segmente  und  hier  deren  dünne  Flächenausbreitung 
nur  den  mittelbaren  Ausdruck  für  die  stärkere  Ausbildung  des  Hirns  gegenüber 
dem  Rückenmarke.     Und  die  Seitenplatte  wiederum  kann  nur  dort  selbststän- 
dig werden ,  wo  ihre  ursprüngliche  Ausdehnung  sich  nicht  an  der  Bildung  der 
Segmente  erschöpft,  also  nur  am  Rumpfe  und  im  Herzräume  nicht  aber  am  Vor- 
derkopfe und  Schwänze.     Ihre  eigenthümliche  Entwickelung  entspricht  ferner 
ebenfalls  ihrer  Blätterform  und  dem  beschränkten  ihr  angewiesenen  Räume, 
denn  sie  besteht  wesentlich  in  weiteren  oder  engeren  Faltenbildungen  (Herz, 
Urniere,  Niere).  —  Noch  ganz  unerwähnt  blieb  aber  bisher  der  Einfluss,  den 
die  Segmentirung  des  mittleren  Keimblattes  im  grossen  und  ganzen  auf  andere 
Embryonalanlagen    ausübt.      Die  Oberhaut  wird  von  den  darunterliegenden 
Segmenten  in  entsprechender  Weise  zu  queren  Wülsten  vorgewölbt  {Taf.  III 
Fig.  53.  54,  Taf.  VII  Fig.  121 — 123);  die  dazwischen  einsinkenden  Rinnen 
verstreichen  allerdings  im  Rumpfe  früher  oder  später,  nicht  ohne  jedoch  in  den 
Organen  der  Seitenlinie  die  Spuren  ihres  Bestandes  zu  hinterlassen.    Im  Kopfe 
erhalten  sie  sich  aber  in  den  Oberhautleistcn,  welche  mit  den  Schlundfalten 
des  Darmblattes  verwachsen.     Dasselbe  Bild  des  Abdruckes  der  Segmente  ge- 
währt das  Rückenmark  {Taf.  VII  Fig.  121),  und  durch  die  Verbindung  der 
medialen  Segmentbäuche  mit  den  eingedrückten  Stellen  des  ersteren  (Wurzeln 
der  Spinalnerven)  wird  die  Gliederung  an  ihm  bleibend  gekennzeichnet.     Die 
Wirbelsaite  wird  nun  freilich  von  den  Segmenten  nicht  unmittelbar  beeinrlusst ; 
da  aber  das  Stammskelet,  wie  ich  weiter  unten  zeigen  werde,  als  eine  auf  die 
Wirbelsaite  stattfindende  Ablagerung  aufgefasst  werden  muss,  und  die  knor- 


2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  247 

peligen  Ausstrahlungen  derselben  (Wirbelbögen,  Querfortsätze,  Rippen)  genau 
den  von  den  Segmenten  vorgeschriebenen  Bahnen  folgend  die  Gliederung  des 
Knochensystems  herbeiführen ,  so  wird  auch  für  die  Wirbelsaite  eine  gewisse 
mittelbare  Theilnahmo  an  dem  allgemeinen  Theilungsprocesse  nicht  in  Abrede 
gestellt  werden  können.  Ich  komme  endlich  zu  den  Anlagen  des  Darmblattes. 
Sowohl  sein  Axenstrang  wie  der  dachförmige  obere  Theil  der  Darmanlage  zei- 
gen ähnlich  wie  das  Rückenmark  von  den  Segmenten  herrührende  Eindrücke, 
welche  Avenigstens  im  Kopfe  Bestand  gewinnen;  denn  ich  sah  die  Schlund- 
falten als  Fortsetzungen  der  zwischen  je  zwei  Segmenten  entstandenen  leichten 
Einsenkungen  sich  von  oben  abwärts  entwickeln  (Taf.  XVI  Fig.  287).*  Und 
wenn  schon  früher  die  Gründe  angeführt  wurden  für  die  Annahme,  dass  die 
fünfte  Schlundfalte  ursprünglich  in  den  Bereich  des  Rumpfes  gehöre,  so  wird 
man  die  Gliederung  des  Darmkanals  um  so  weniger  auf  den  Kopf  beschränken, 
als  die  Fünfzahl  der  Falten  oder  Spalten  durchaus  keine  typische  ist,  sondern 
bei  manchen  Wirbelthieren  überschritten  wird.  Nur  muss  man  dabei  im  Auge 
behalten,  dass  wenigstens  bei  den  Batrachiern  jene  für  den  Kopf  überzähligen 
Dannfalten  schon  während  ihrer  ersten  Entwicklung  aus  dem  Bereiche  des 
Rumpfes  bis  in  die  Schlundwand  vorgeschoben  werden,  sodass  sie  zuletzt  that- 
sächlich  in  den  Bestand  des  Kopfes  eingehen.  Es  ist  aber  selbstverständlich, 
dass  bei  der  Bildung  der  Schlundfalten  auch  die  zugehörigen  Seitenplatten,  sei 
es  zeitweilig  oder  bleibend  von  der  Quertheilung  mit  betroffen  werden.  So  sehen 
wir  also  die  Segmente ,  deren  ganze  Entwicklung  unter  dem  bestimmenden 
Einflüsse  ihrer  Umgebung,  namentlich  der  Axenplatte,  verlief,  ihrerseits  wieder 
ausserordentlich  vielseitig  in  die  morphologische  Bildung  aller  übrigen  Anlagen 
eingreifen.  Dass  aber  auch  diese  übertragene  Quergliederung  den  mannig- 
faltigsten lokalen  Abänderungen  unterliegt,  lässt  sich  ebenso  wie  alle  früher 
betrachteten  Differenzen  gleicbmässig  angelegter  Vorgänge  auf  eine  Gesetz- 
mässigkeit morphologischer  Bedingungen  zurückführen.  So  kann  z.  B.  die 
Gliederung  des  Stammskelets  sich  nicht  ausprägen,  sobald  die  sie  bedingenden 
Stammsegmente  frühzeitig  mit  einander  verschmelzen  (Hinterkopf).  —  Schliess- 
lich sei  noch  bemerkt,  dass  das  Darmblatt  wesentlich  nur  in  seiner  Eigenschaft 
als  blasen-  oder  schlauchförmiges  Keimblatt  in  die  morphologische  Entwicke- 
lung  hineingebort,  da  seine  weiteren  Umbildungen  theils  blosse  Anpassungen 


*  Remak  hätte  es  gewiss  nicht  für  durchaus  willkürlich  erklärt  „die  Schlundspalten 
für  die  Grenzen  von  Urwirbelabtheilungen  zu  halten"  (Nr.  40  S.  37  Anm  ),  wenn  er  eben  die 
„Urwirbel  des  Kopfes"  gekannt  hätte. 


248  IV.    Die  Sonderung  der  einzelneu  Organanlagen. 

an  schon  besprochene  morphologische  Momente  (Verhältniss  der  Schlundfalten 
zu  den  Segmenten)  sind,  theils  unter  Mitbetheiligung  einer  solchen  Anpassung 
in  den  Bereich  histologischer  Sonderung  fallen.  Mit  Bezug  auf  eine  frühere 
Erörterung  darf  über  an  dieser  Stelle  die  Dotterzellenmasse  oder  der  Nahrungs- 
dotter bloss  als  das  betrachtet  werden,  was  er  nach  seiner  Entwicklung  in  der 
Thierreihe  und  rein  morphologisch  aufgefasst  in  der  That  ist,  nämlich  als  das 
zeitweilige  untere  Schlussstück  der  sekundären  Keimschicht  und  darauf  des 
Darmblattes. 

Angesichts   dieser  Skizze  der  morphologischen  Einbryonalentwickelung, 
welche  durch  die  übrigen  ausführlicheren  Angaben  ergänzt  werden  muss,  wäre 
der  Einwurf  zu  gewärtigen,  class  meine  Darstellung  nur  eine  gewisse  Korrektur 
des  v.  BAER'schen  Schemas  biete,  dass  ich  jene  Primitivorgane  nur  genauer  be- 
schrieben und  vielleicht  um  einige  vermehrt  habe.     Dagegen  muss  ich  nach- 
drücklich hervorheben,  dass  Primitivorgane  im  Sinne  v.  Baek's,  mögen  sie  that 
sächlich  gestaltet  sein  wie  sie  wollen ,  in  die  morphologische  Entwickelungs- 
geschichte  eigentlich  gar  nicht  hineingehören.      Denn  sobald  sie  in  fertiger 
Gestalt  sich  uns  offenbaren,  ist  die  bezügliche  Entwickelung,  der  sie  zum  Aus- 
drucke dienen  sollen,  abgeschlossen;  sie  bezeichnen  daher  nur  das  Endergebniss 
derselben  und  mögen  zur  Veranschaulichung  des  anatomischen  Baues  dienen, 
nicht  aber  zum  Verständniss  seiner  Entstehung.     Die  Grundzüge  der  Ent- 
wickelung können  in  gewordenen  Formen  nicht  verzeichnet  stehen,  nur  aus  dem 
lebendigen  Flusse  des  Werdens  hervorleuchten.     Und  soll  dieses  Werden  des 
ganzen  lebendigen  Organismus  belauscht  werden,  so  genügt  es  auch  nicht,  den 
Entwickelungsgang  bloss  jedes  Einzeltheils  festzustellen.   Denn  an  den  Grenzen 
seines  Entstehens  fliesst  er  mit  anderen  in  ein  Gemeinsames  zusammen,  sodass 
sie  alsdann  nur  als  Entwickelungsprodukte  des  letzteren  erscheinen.    So  treibt 
uns  die  Forschung,  wo  sie  auch  in  die  Entwicklungsgeschichte  hineingriff, 
Schritt  unf  Schritt  immer  weiter  zurück,  bis  zum  ersten  Anfange  des  uns  be- 
schäftigenden individuellen  Lebens.     Alsdann  ergibt  sich  Aufgabe  und  End- 
ziel unseres  Forschens  von  selbst:  alles  Gewordene  durch  die  ununterbrochene 
Pieihe  der  Erscheinungen  und  Wirkungen  auf  die  einfachsten  ersten  Ursachen 
zurückzuführen,  keine  Erscheinungsreihe  für  sich,  wie  eine  neue  Schöpfung  aus 
einem  indifferenten  Mutterboden  hervorgehen  zu  lassen,  sondern  schon  in  diesem 
die  verborgenen  Keime  der  später  hervorbrechenden   Gegensätze  und    Son- 
derlingen aufzusuchen.     Nur  auf  solchem  Wege  können  wir  hoffen,  die  Grund- 
gesetze der  Embryonalentwickelung  klar  zu  erfassen,  und  erst  dann  bietet  sieh 


2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  249 

die  Entscheidung,  welches  die  bedeutsamen  allgemeineren  Momente  sind,  denen 
sich  das  Einzelne  unterordnet. 

Lehrt  uns  eine  solche  Ueberlegung,  dass  schon  am  Ausgangspunkte  der 
Entwickelung  die  erste  Differenz  in  den  gesetzmässig  wirkenden  Ursachen  ge- 
funden werden  müsse,  so  glaube  ich  dieses  auf  die  Erfahrung  gestützt  be- 
stätigen zu  können.  Die  denkbar  einfachste  Bewegung  der  radiären  Strömung 
äussert  sofort  eine  Ungleichmässigkeit  ihrer  Theile ;  und  die  aus  ihren  Folgen 
abgeleitete  Konstruktion  ihrer  Wirksamkeit  zwingt  uns  zur  Annahme,  dass  die 
völlige  Ausgleichung  der  Differenz  das  Ende  der  kaum  begonnenen  Entwickelung 
herbeiführen  würde.  Wenn  also  die  Bewegung  der  eigentliche  Grund  des 
weiteren  Geschehens  ist  und  bleibt,  so  erscheint  jene  gesetzmässig  wirkende 
Differenz  als  die  nothwendige  Bedingung,  welche  die  Bewegung  erst  in  die 
Bahnen  des  lebendigen  Werdens  überführt.  Die  Wirkung  jenes  ersten  sich 
steigernden  Gegensatzes  sehen  wir  zunächst  in  der  Spaltung  der  Bewegung  und 
ihres  Substrats.  Wenn  also  die  daraus  hervorgehenden  letzten  morpholo- 
gischen Elemente,  die  Zellen,  jene  gesetzmässig  bedingte  und  beschränkte  Be- 
wegung erben  und  dadurch  zu  den  ausschliesslichen  Trägern  der  selbstthätig 
wirkenden  Lebensursachen  werden,  so  darf  doch  damit  ein  Gegensatz  für  das 
Ganze  des  Eies,  wenn  es  als  solches  fortbestehen  soll,  nicht  aufgehoben  sein; 
und  wieder  lehrt  uns  die  Erfahrung,  dass  jene  erste  Differenz  in  der  bezeich- 
neten Wirkung  nicht  aufgeht,  sondern  auch  schon  ein  Motiv  für  eine  Verschie- 
denheit jener  Elemente  und  ihrer  Anordnung  enthält  (Embryonal-  und  Dotter- 
zellen). Solange  nun  die  bezeichneten  Elementarbewegimgen  in  ihren  eigent- 
lichen Wirkungskreisen,  den  einzelnen  Zellen,  keine  merkliche  oder  wesentliche 
Veränderung  hervorrufen,  welche  auf  einen  Wechsel  in  der  Gesammtäusserung 
des  Entwickelungslebens  Einfluss  haben  könnte,  liegt  der  Schwerpunkt  der 
Entwickelung  in  den  Gegensätzen  jener  ganzen  Zellengruppen  zu  einander,  d.  h. 
bei  der  relativen  Gleichheit  der  einzelnen  Elemente  jeder  Gruppe,  in  der  ver- 
schiedenen Gestalt  und  Lagerung  der  ganzen  Gruppen,  welche  eben  der  Aus- 
druck sind  für  die  gesetzmässigen  Bedingungen,  unter  denen  allein  die  Summe 
der  in  ihnen  eingeschlossenen  Elementarbewegungen  nach  aussen  wirken  kann. 
DJeje_gesetzmässigen  Formbedingungen  enthalten  eben  auf  der  bezeichneten  und 
den  folgenden  Stufen  das  morphologische  Entwickelungsgesetz ;  und  wir  können 
jetzt  deutlich  erkennen,  in  welchem  Verhältniss  es  zu  der  histologischen  Ent- 
wickelung steht,  zu  den  eigenthümlichen  Umbildungen  der  letzten  morpholo- 
gischen Elemente.     Man  dürfte  am  Ende  das  Formgesetz  auch  auf  diese  be- 


250  IV.  Die  Sonderuug  der  einzelnen  Organanlagen. 

ziehen,  und  von  der  morphologischen  Entwickelung  der  Zelle  sprechen;  ja,  es 
sagt  uns  die  einfachste  Ueberlegung,  dass  ebenso  wie  es  oben  für  unsere  beson- 
dere Entwickelungsgeschichte  dargethan  wurde,  überimupt_bei  jedem  anderen 
Leben  ein  bestimmtes  Formgesetz  die  noth wendige  Bedingung  ist,  unter  welcher 
die  Bewegung  eines  lebensfähigen  Stoffes  zur  Lebensäusserung  wird.  Es  bleibt 
aber  ein  wesentlicher  Unterschied,  ob  wir  uns  gerade  mit  dem  ganzen  Organis- 
mus oder  einzelnen  seiner  Theile  beschäftigen.  Im  letzteren  Falle  kann  das 
Formgesetz  bis  zu  seinen  letzten  Grenzen  verfolgt  werden;  im  ersteren  Falle 
gehört  es  aber  nur  soweit  in  die  Untersuchung  als  es  sich  in  irgend  einer  Weise 
auf  den  ganzen  Körper  bezieht.  In  den  Bereich  dieses  morphologischen  Ent- 
wickelungsgesetzes  im  engeren  und  gewöhnlichen  Sinne  fielen  also  alle  Theile, 
welche  nach  irgend  einer  Richtung  dem  ganzen  Körper  angehören,  sei  es  konti- 
nuirlich,  wie  die  Keimschichten  und  Primitivorgane  v.  Baer's,  sei  es  als  gleich- 
werthige  Glieder  eines  solchen  ursprünglich  kontinuirlichen  Ganzen,  wie  die 
Segmente.  Wenn  wir  aber  sehen,  dass  dieses  morphologische  Entwickelungs- 
gesetz  auch  in  die  histologische  Entwickelung  übergreift  und  dort,  Avenn  auch 
unter  veränderten  Bedingungen,  ähnliche,  mehr  oder  weniger  verbreitete  Er- 
scheinungen (Wirbel)  hervorruft,  so  müssen  wir  bekennen,  dass  eine  absolute 
Grenze  zwischen  beiden  Gebieten  nicht  besteht.  Darf  man  das  aber  überhaupt 
in  der  Entwickelungsgeschichte  erwarten,  welche  den  Begriff  allmählicher 
Uebergänge  einschliesst?  Wie  bei  allen  Fragen  derselben  genügt  es  auch 
im  vorliegenden  Falle,  gewisse  Merkmale  und  Grenzen  gefunden  zu  haben,  um 
die  Gegensätze  im  allgemeinen  auseinanderzuhalten.  Und  so  können  wir,  nach- 
dem wir  das  Wesen  der  morphologischen  Entwickelung  bestimmt,  nach  ihrem 
allgemeinen  Gange  und  ihrem  Ziele  fragen. 

Die  in  den  Zellen  fortbestehende,  während  der  Embryonalzeit  relativ  un- 
veränderliche Bewegungsursache  äussert  sich  in  der  fortdauernden  Theilung; 
zum  morphologischen  Ausdrucke  kommt  sie  aber  erst  in  der  damit  verbundenen, 
gegenseitigen  Verschiebung  der  Zellen.  Das  Wesentliche  unserer  Entwickelung 
beruht  aber  in  den  Formbedingungen,  welche  die  Verschiebung  bestimmen, 
und  wenn  die  Entwickelung  Fortgang  haben  soll,  von  gewissen  Gegensätzen 
ausgehend  in  denselben  stets  schon  die  Keime  neuer  enthalten  müssen.  Ich 
hätte  also  an  dieser  Stelle  gewissermassen  die  Entwickelung  der  Gegensätze 
der  Form  zu  beleuchten. 

Der  erste  dieser  Gegensätze,  welcher  an  der  einheitlichen  Eikugel  auftritt, 
ist  der  von  Centrum  und  Peripherie  und  offenbart  sich  in  der  Bildung  der  pri- 


2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  251 

mären  K  eimblas  e.  Diese  Bildung  beruht  darauf,  dass  in  nothwendiger  Folge 
der  ersten  Differenz  überhaupt  am  Ausgangspunkte  der  ganzen  Entwickelung 
die  Verschiebung  nicht  gleichmässig  nach  allen  Seiten,  sondern  koncentrisch 
erfolgt*.  Aber  ebenso  liegt  schon  in  jener  ersten  Differenz  der  Keim  einer 
weiteren  Ungleichheit  jener  Bewegung,  indem  die  Theilung  in  der  oberen  Ei- 
hälfte  energischer  erfolgt,  die  Bewegung  dort  wächst.  Die  sich  ungleichmässig 
ausdehnende  primäre  Keimblase  wird  daher  eine  Faltung  erfahren,  indem  ihre 
trägere  untere  Hälfte  (der  Randwulst  sammt  der  Dotterzellenmasse)  von  der 
schneller  wachsenden  oberen  nach  innen  eingestülpt  wird.  So  entsteht  als  zweite 
morphologische  Entwickelungsstufe  die  Gastrula.  Wenn  aber  die  ursprüng- 
liche Richtung  der  in  Bezug  auf  die  Eikugel  koncentrischen,  in  Bezug  auf  die 
Keimschichten  centrifugalen  Zellenbewegung  für  die  Gastrula  noch  unverändert 
erschien,  so  macht  sich  noch  vor  Vollendung  jener  Form  eine  bezügliche  Aen- 
derung  bemerklich.  Zu  dem  früheren  polaren  Gegensatze  in  der  Energie  der 
Bewegung  gesellt  sich  frühzeitig  der  weitere  einer  zwischen  den  Polen 
liegenden  Seite  gegenüber  der  entgegengesetzten.  Das  Uebergewicht  der  Be- 
wegung im  Rückentheile  lenkt  die  Zellenverschiebung  des  Bauchtheils  gegen 
den  ersteren  ab,  sodass  sie  vorherrschend  von  zwei  entgegengesetzten  Seiten 
her  gegen  die  den  Rückentheil  halbirende  Medianebene  vorrückt.  Damit  ist 
ein  neuer  Formgegensatz  eingeleitet,  dessen  Endergebniss  die  Bevorzugung 
des  Rückens  in  der  ganzen  folgenden  morphologischen  Entwickelung  ist.  Bei 
der  Entwickelung  dieser  Form,  welche  die  dorso ventrale  heissen  kann,  wäre 
zweierlei  hervorzuheben.  Erstens  entstehen  im  Rücken  durch  den  Zusammen- 
stoss  der  beiderseitigen  Bewegung  unpaare,  mediane  Theile  (Centralnervensystem, 
Wirbelsaite),  welche  die  Richtungslinie  und  -  ebene  für  die  symmetrische  Anord- 
nung der  Seitentheile  feststellen  und  damit  die  Hauptaxe  des  Körpers  in  den 
Rücken  verlegen.  Ferner  erhält  diese  dorsoaxiale  Form,  indem  sie  noch 
unter  der  Wirkung  des  ursprünglichen  polaren  Gegensatzes  der  Bewegung  sich 
entwickelt,  zu  gleicher  Zeit  bereits  das  Motiv  einer  weiteren  fundamentalen 
Formumbildung,  nämlich  die  Entgegenstellung  eines  Kopfes  und  eines  in  den 
Schwanz  auslaufenden  Rumpfs  (cephalote  Form).  —  Für  das  Detail  von  der 
Entwickelung  der  dorsoventralen  Form  ab  verweise  ich  auf  die  oben  gegebene 

*  Es  wurde  schon  erläutert,  wie  die  Ungleichheit  der  ersten  radiären  Diffusionsströme 
sich  derart  in  den  nächsten  Theilstücken  wiederholt,  dass  die  Theilungen  anfangs  aus- 
schliesslich, später  vorherrschend  radiär  zur  Eikugel  erfolgen.  Da  nun  die  Verschiebung 
rechtwinklig  zurTheilungsebene  stattfindet,  so  muss  sie,  sobald  sie  sich  zu  äussern  vermag, 
koncentrisch  zur  Eikugel  wirken. 


252  'V.  Die  Sonderung  der  einzelnen  Organanlagen. 

Uebersicht  und  die  folgenden  Abschnitte,  welche  diejenige  morphologische Ent- 
wickelung der  einzelnen  Embryonalanlagen  ausführen  werden,  welche  ausser 
dem  Zusammenhange  der  besonderen,  eingehenden  Beschreibung  in  jener  Ueber- 
sicht  nicht  gut  angedeutet  werden  konnte,  so  z.  B.  des  Hirnes,  der  Seitenplatte 
i  Herz,  Uruiere).  Ueberall  wird  man  die  fortlaufende  Reihe  der  sieh  vermannig- 
faltigenden  Gegensätze,  gleichsam  den  Stammbaum  der  morphologischen  Ent- 
wickelungserscheinungen  verfolgen,  ja,  auf  das  Einzelne  sich  beschränkend, 
darin  die  am  Ganzen  gewonnenen  Bilder  der  Schichtung,  Faltung,  Gliederung 
n.  s.  w.,  aber  in  ungleichmässiger  Anordnung,  wiederholt  finden  können. 

Nachdem  wir  den  Stufengang  der  morphologischen  Entwickelung  verfolgt, 
erhellt  es,  dass  ihr  Ziel  der  fundamentale  Aufbau  des  Thieres  ist,  an  welchem 
die  spätere,  vorherrschend  histologische  Entwickelung  nichts  wesentliches  mehr 
iiulert,  dass  sie  mit  anderen  Worten  denTy  |>u  s  des  Thieres  feststellt.  Allerdings 
gerathe  ich  durch  diese  Bestimmung  in  Widerspruch  mit  der  üblichen  Auf- 
lassung und  Deutung  des  Typus.  Ich  glaube  jedoch  meine  Ansicht  vertreten 
zu  können.  —  Ich  brauche  es  in  einer  Entwickelungsgeschichte  nicht  näher  zu 
begründen,  wenn  ich  die  Frage  nach  dem  heute  üblichen  Begriffe  des  Typus  so 
stelle,  wie  entstand  dieser  Begriff?  Indem  der  ordnende  Geist  der  Menschen 
die  (iesanimtheit  des  Thierreichs  je  nach  gemeinsamen  Merkmalen  in  einzelne 
Gruppen  vertheilte,  entstand  jene  Bezeichnung  für  die  grössten  Abtheilungen, 
ohne  dass  man  anfangs  eine  allen  Typen  gemeinsame  Formel  zur  Bestimmung 
ihres  Inhalts  aufstellte.  Dies  geschah  erst,  indem  v.  Baku  den  Typus  auf  be- 
stimmte morphologische  Momente  der  thierischen  Organisation  bezog,  welche 
er  der  ganzen  übrigem,  grösseren  oder  geringeren,  morphologischen  und  histo- 
logischen Ausbildung  des  einzelnen  Organismus  gegenüberstellte.  Und  indem 
er  jenes  Merkmal,  „das  Lagerungsverhältniss  der  Theile",  für  die  Wirbel thiere 
schon  in  ihrer  Entwickelung  ausgesprochen  fand,  glaubte  er  die  Frage  gelöst, 
das  die  Organisation  und  die  Entwickelung  gemeinsam  beherrschende  Princip 
in  seinem  Schema  von  den  Primitiv-  oder  Fundamentalorganen  nachgewiesen 
zuhaben  (Nr.S  I  S.206  und  flg.).  Es  lässf  sich  auch  durchaus  nicht  verkennen, 
welcher  bedeutsame  Fortschritt  darin  enthalten  war,  dass  die  bis  dahin  bloss 
dem  genialen  Instinkte  der  Anatomen  überlassene  Bestimmung  auf  die  unwandel- 
baren, einfachen  und  klaren  Thatsachen  der  Entwickelung  begründet  wurde. 
Ja,  in  einem  solchen  allgemeinen  Grundsatze  wäre  die  für  alle  Zeiten  einzig 
richtige  Entscheidung  getroffen  worden.  Aber  indem  v.  BabB  zunächst 
vom  Standpunkte  der   vergleichenden   Anatomie  aus    nach   realen   Werthen 


2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  2ö3 

suchte*,  entging  ihm  die  ganze  Bedeutung  jenes  Grundsatzes:  von  einer  hervor- 
ragenden Erscheinung  gefesselt,  vermochteer  denselben  weder  im  ganzen  noch 
im  einzelnen  folgerecht  durchzuführen.  Er  verstand  unter  „Typus"  nicht  das  Ge-  V^ 
sammtergebniss  der  morphologischen  Entwickeln ng  sondern  nur  ein  beschränk- 
tes anatomisches  Moment,  das  in  seinen  Primitivorganen  klar  ausgeprägte  La- 
gerungsverhältniss  der  wichtigsten  anatomischen  Systeme  ;  die  ganze  übrige 
morphologische  Sonderung  blieb  vom  Begriffe  des  Typus  ausgeschlossen  und 
bloss  dem  wechselnden  „Grade  der  Ausbildung"  des  Typischen  unterstellt  (Nr.  81 
S.  207.  208).  Diese  Trennung  und  Theilung  ist  aber  ganz  willkürlich;  denn  er- 
kannte nicht  v.  Baee  selbst  gewisse  gesetzliche  Erscheinungen  dieser  morpho- 
logischen Sonderung,  welche  allen  Wirbelthieren  ebenso  gemeinsam  sind  wie 
jener  „Typus"?  Ich  erinnere  hier  nur  an  die  von  v.  Baku  begründete  Morpho- 
logie des  Hirnes,  welche  noch  heute  für  die  Bestimmung  homologer  Ilirntlieile 
Geltung  hat.  Und  gerade  die  „Variationen"  solcher  morphologischen  Sonde- 
rungen sind  es  doch  offenbar,  denen  v.  Baer  den  Begriff  der  „untergeordneten 
Typen"  entnahm  (Nr.  BIS.  219).  Denn  das  Lagerungsverhältniss  der  Theile 
kann  an  sich  nicht  abändern,  ohne  den  Typus  zu  verlassen;  die  auf  den  „Grad 
der  Ausbildung"  begründeten  untergeordneten  Typen  können  aber  nach  ihrem 
Wesen  unmöglich  einem  anderen  Begriffe  anheimfallen  als  der  Haupttypus.  Ausser- 
dem wird  die  allgemeine  Gliederung  in  die  morphologischen  Elemente  (Segmente 
vgl.  Nr.  8  II  S.  82)  von  v.  Baku  unter  den  Merkmalen  des  Wirbelthiertypus  auf- 
geführt (Nr.  8  I  S.  211),  während  sie  ihm  in  der  Entwickelung  unbekannt  blieb. 
Ergibt  sich  aber  schon  aus  dem  Angeführten,  wie  wenig  sein  Schema  der  Ent- 
wickelung sich  mit  dem  Typischen  deckt,  so  kann  man  ferner  im  Hinblicke  auf 
den  praktischen  Werth  jener  Aufsüdlungen  fragen,  ob  denn  überhaupt  das 
Lagerungsverhältniss  der  Ilaupttheile  des  erwachsenen  Thieres  und  seines  Em- 
bryo immer  in  voller  Uebereinstimmung  bleibt?  Ich  glaube  die  verneinende 
Antwort  nicht  besser  begründen  zu  können,  als  mit  dem  Hinweise  darauf,  wie 
v.  Baeu  selbst  in  richtiger  Konsequenz  seiner  Bestimmung  des  Typus  Asterien 
und  Coelenteraten  nicht  zu  trennen,  die  Holothurien  dagegen  mit  den  ersteren 
nicht  zu  verbinden  vermochte  (Nr.  8  I  S.  208).*  Und  wenn  wir  schliesslich 
sein  eigenes  Geständniss  lesen,  dass  er  bei  der  mangelhaften  Kenntniss  von  der 

*  Vgl.  v.  Baer,  Beiträge  zur  Kenntniss  der  niederen  Thiere  VII  Nova  Acta  Acad. 
Leop.  Carol.  Tom.  XIII.  P.  2. 

*  Ich  werde  wohl  noch  Gelegenheit  linden  zum  Beweise,  dass  die  gegenwärtige  Ein  thei- 
lung der  genannten  Thiere  gewiss  eine  richtige,  aher  ehen  darum  gegenüber  der  noch  gil- 
tigen v.  BAER'schen  Lehre  weder  konsequent  noch  genügend  begründet  ist. 


254  IV.   Die  Sonderung  der  einzelnen  Organanlagen 

Entwickelung  der  Thiere  überhaupt  die  verschiedenen  Typen  nicht  aus  jenen 
erkannt,  sondern  „nach  den  ausgewachsenen  Thierformen  aufzustellen"  versucht 
habe,  so  werden  wir  uns  um  so  leichter  zu  der  Behauptung  entscnliessen,  dass 
er  den  Begriff  des  Typus  auch  für  die  Wirbelthiere  weniger  als  Embryolog  wie 
als  Anatom  begründete  (Nr.  8  I  S.  244).     Genau  genommen,  konnte  er  es  auch 
nicht  anders.     Die  von  ihm  erst  ins  Leben  gerufene  morphologische  Entwick- 
lungsgeschichte (vgl.  Nr.  8  I  S.  163  u.  flg.,  II  S.  65  u.  flg.)  der  Wirbelthiere  bot 
nur  äussere  Erscheinungen  dar,  deren  Gesetzmässigkeit  er  nicht  auf  innere  Ur- 
sachen, sondern  lediglich  auf  die  Erfahrung  zurückzuführen  wusste.     Jetzt 
wissen  wir  aber,  dass  diese  Erfahrung  ungenau  war  in  Betreff  des  Schemas 
selbst,  und  unzureichend,  weil  z.  B.  die  röhrenförmige  Umbildung  des  Central- 
nervensystems  nach  ihrer  äusseren  Erscheinung  für  die  Knochenfische  keine 
Geltung  hat.    Die  Gesetzmässigkeit  kann  daher  nur  im  Kausalzusammenhange 
und  in  der  Stetigkeit  der  ersten  fortwirkenden  Ursachen  beruhen;  unzweifel- 
haft waren  aber  sowohl  die  Kenntniss  derselben  als  auch  das  Bedürfniss  dar- 
nach nur  sehr  ungenügend  entwickelt.     Sowie  aber  die  Notwendigkeit  der 
bezüglichen  Annahmen  anerkannt  wird  —  denn  über  die  Hypothese  kommen 
wir  dabei  zunächst  nicht  hinaus  — ,  ist  auch  zugleich  eine  gewisse  Form  der- 
selben vorgezeichnet.     Ein  uniformes  Kausalgesetz  würde  uns  nur  eine  voll- 
ständige, unabänderliche  Gemeinschaft  der  Formen  bieten,  wie  sie  überhaupt 
nicht  besteht;  erst  die  Verbindung  mechanischer  Notwendigkeit  und  innerhalb 
gewisser  Schranken  flüssiger  Formbedingungen  gestattet  uns,  von  der  Grund- 
lage gemeinsamer  Grundformen  die  mannigfachsten  „Variationen"  abzuleiten 
und  dadurch  die  Gesammtheit  der  morphologischen  Erscheinungen  unter  ein 
gemeinsames  Gesetz  zu  stellen.     Allerdings  muss  es  darnach  scheinen,  als  ob 
wir  damit  zugleich  die  Grenzen  für  die  praktische  Bestimmung  des  Typus  ein- 
büssten.   Denn  wenn  derselbe  im  Grunde  auf  jenes  Kausalgesetz  bezogen  wird, 
von  dem  aber  auch  jede  in  der  morphologischen  Entwickelung  des  Individiums 
auftretende  Veränderung  abhängig  ist,  so  hätten  wir  eigentlich  so  viele  Typen 
als  verschiedene  Thierformen.     In  gewissem  Sinne  ist  dies  auch  richtig ;  ja  wir 
könnten  sogar  konsequenterweise  von  einem  Typus  der  Organe  reden.     Aber 
ebenso  wie  ich  den  Begriff  der  morphologischen  Entwickelung  in  bestimmter 
und  natürlicher  Weise  beschränkte,  freilich  ohne  absolute  Grenze,  die  wir  aber 
auch  nicht  suchen,  lässt  sich  dasselbe  auch  für  den  Typus  durchführen,  indem 
man  ihn  eben  nur  auf  jene  Entwickelung  bezieht.     Und  zwar  liegt  darin  keine 
Willkür;  denn  indem  das  in  der  morphologischen  Entwickelung  ausgedrückte 


2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  255 

Formgesetz,  dessen  Grenzen  ein  nicht  geringes  Mass  verschiedener  individu- 
eller Ausbildung  gestatten,  auch  aus  allen  Veränderungen  des  ausgewachsenen 
Thieres  —  bei  den  Wirbelthieren  durchweg,  sonst  in  der  überwiegenden  Anzahl 
der  Arten  —  immer  wieder  hervortritt,  gab  es  eben  Veranlassung  zur  Aufstel- 
lung der  thierischen  Typen.  Definiren  wir  also  den  Typus  als  die  Höhe  der 
morphologischen  Entwickelung  eines  Thieres,  so  haben  wir  nicht  nur  ein 
Mittel,  allgemeinere  und  untergeordnete  Typen  natürlich  zu  gruppiren ,  sondern 
auch  überall  dort,  wo  die  Embryonalentwickelung  mit  der  späteren  Umbildung 
nicht  übereinstimmt,  in  den  Fällen  der  sogenanntenRückbildung,  über  den  mass- 
gebenden Typus  und  endlich,  wie  ich  später  ausführen  will,  über  den  Zusammen- 
hang und  die  Verwandtschaft  der  Typen  eine  Entscheidung  zu  treffen. 

Die  voranstellende  Erörterung  erscheint  ganz  natürlich  zunächst  nur  als 
eine  gegen  v.  Baee  gerichtete  Kritik.  Hinter  diesem  Namen  steht  aber  auch 
unsere  gegenwärtige  Wissenschaft,  und  ich  will  nicht  läugnen,  dass  mein  Wider- 
spruch mehr  dieser  gilt  als  Demjenigen,  dessen  Namen  sie  decken  soll.  Denn 
was  v.  Baer  überlieferte,  das  hat  er  ganz  aus  eigener  Kraft  geschaffen,  die  vie- 
len reifen  Früchte  seiner  Arbeit  einem  noch  unangebauten  Boden  abgerungen; 
und  auch  an  den  unvollkommen  gebildeten  erkennt  der  aufmerksame  Beobach- 
ter die  verborgenen  Ansätze  richtiger  Fortbildung.  Bisher  hat  man  aber  nur 
das  scheinbar  Fertige  beachtet  und  froh  des  leichten  Besitzes  es  von  Hand  zu 
Hand  gegeben,  bis  es  gleich  einer  abgegriffenen  Münze  baar  des  ursprünglichen 
Gepräges  nur  noch  das  allgemeine  Schema  zeigte.  Was  soll  uns  aber  dieses 
Schema,  was  soll  uns  die  ganze  v.  BAERsche  Lehre,  wenn  ihre  besten  Keime 
unverstanden,  unberührt  liegen  bleiben?  Und  dies  zu  einer  Zeit,  wo  von  einer 
anderen  Seite  dasselbe  Ziel  erreicht  wird,  zu  dem  uns  v.  Baer  so  viel  des  Weges 
gebahnt  hat!  —  Aber  allerdings  konnte  die  Fortentwickelung  nicht  an  jene  her- 
vorragenden Aussprüche  und  Ergebnisse  anknüpfen,  welche  man  gegenwärtig 
allein  citirt  und  umschrieben  findet,  nicht  an  die  rein  anatomische  Bestimmung 
des  Typus,  dessen  Wesen  alsdann  dadurch  nicht  verändert  wird,  dass  sein  Bild 
sich  im  Embryo  wiederfindet.  Wohl  aber  bot  v.  Baer  dadurch,  dass  er  seine 
„morphologische  Sonderung"  d.  h.  die  weitere  Ausarbeitung  der  Primitivorgane, 
welche  nicht  zum  Typus  gehören  sollte,  dennoch  typisch  verlaufen  sieht,  ferner 
dadurch,  dass  er  ein  Hauptmoment  des  WTirbelthiertypus ,  die  Gliederung,  in 
seinem  Schema  der  Entwickelung  vermissen  lässt,  endlich  durch  die  vielen  ver- 
streuten Andeutungen  über  die  ausserordentlich  frühe  Begründung  der  indivi- 
duellen Ausbildung  Anhaltspunkte  genug,  den  Zusammenhang  von  Typus  und 


250  IV.  Die  Sonderung  der  einzelnen  Organaulagen. 

Entwickelung  weiter  zu  verfolgen,  seine  Lehre  über  das  Schema  hinaus  zu  immer 
steigender  Vollkommenheit  auszubilden.  Die  Anfänge  dazu  sind  aber  noch 
nicht  zu  verzeichnen. 


Zum  Schlüsse  muss  ich  noch  erwähnen,  dass  ich  alle  diejenigen  Beobach- 
tungen, auf  welche  ich  meine  allgemeinen  Ergebnisse  gründete,  nicht  nur  ein- 
seitig den  Batrachiern  entnommen,  sondern  grösstentheils  auch  an  den  Em- 
bryonen anderer  Wirbelthiere  habe  bestätigen  können.  Am  Forellenembryo 
habe  ich  die  morphologische  Entwickelung  ohngefähr  ebenso  weit  verfolgt  wie 
an  den  Batrachiern,  am  Hühnchen  zum  grösseren  Theile;  dagegen  konnte  die 
eigentliche  Embryonalentwickelung  der  Ringelnatter,  des  Maulwurfs,  des  Ka- 
ninchens und  des  Schafes  nur  nach  vereinzelten  Beobachtungen  konstatirt 
werden.  Ich  kann  sagen,  dass  ich  bei  allen  diesen  Untersuchungen  eine  voll- 
kommene Uebereinstimmung  der  verschiedenen  Embryonen  in  Bezug  auf  die 
morphologische  Entwickelung  des  hier  insbesondere  zu  erwähnenden  mittleren 
Keimblattes,  der  Wirbelsaite,  der  Segmente  und  der  Seitenplatten  fand;  und 
dass  wo  einmal  die  äussere  Erscheinung  abweicht,  wir  durch  die  überein- 
stimmende vorhergehende  und  nachfolgende  Entwickelung  gezwungen  sind, 
für  den  fehlenden  äusseren  Nachweis  die  Unzulänglichkeit  unserer  Unter- 
suchungsmittel anzuklagen.  Dies  bezieht  sich  eigentlich  nur  auf  die  Kopf- 
segmente, deren  ursprüngliche  Sonderung  ich  nur  bei  den  Batrachiern  nach- 
weisen konnte;  die  histiologisch  noch  ungesonderten  äusseren  Kopfsegmente 
habe  ich  schon  an  jungen  Forellenembryonen  erkannt.  Mir  scheint  es  aber 
unzweifelhaft,  dass  die  Bildungsursachen  der  übereinstimmenden  Kopftheile 
überall  auch  die  gleichen  sind,  und  dass  auch  in  diesem  Falle  der  Widerspruch 
der  äusseren  Erscheinung  sich  ebenso  lösen  Hesse  wie  am  Centralnervensystem 
der  Knochenfische  und  der  übrigen  Wirbelthiere. 

Eine  Kritik  aller  abweichenden  Darstellungen  über  die  allgemeine  mor- 
phologische Entwickelung  der  Wirbelthiere  hat  hier  keinen  Raum.  Da  aber 
bisher  nur  ein  einziger  Embryolog,  His,  eine  mechanische  Erklärung  einiger 
embryonalen  Umbildungen  unternommen  hat,  so  darf  ich  diesen  Versuch  nicht 
mit  Stillschweigen  übergehen.  —  Zunächst  bemerke  ich,  dass  diese  mechanische 
Begründung  weder  von  den  ersten  Grundlagen  der  ganzen  Entwickelung  des 
Hühnerkeims  oder  überhaupt  von  einem  konkreten  Thatbestande  ausgeht,  noch 
über  gewisse  Embryonalanlagen  hinaus  durchgeführt  ist.   His  beginnt  mit  dem 


2.  Die  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes.  257 

fertigen  Keime,  dessen  wechselnde  Mächtigkeit  Wachsthumsdifferenzen  und  als 
deren  Folge  Faltungen  hervorrufen  soll  (Nr.  109  S.  44.  45.  55.  65).  Woher  die 
Ungleichmässigkeit  des  Keimes,  seine  Schichtung,  die  Bildung  des  Axenstreifs 
stammen,  erfahren  wir  nicht,  auch  nicht,  welches  die  thatsächliche  Anordnung  der 
Wachsthumsdifferenzen  sei.  Ihre  Wirkungen,  eben  die  Faltungen  seien  anfangs 
nicht  einmal  gesetzmässig  bestimmte  sondern  zufällige,  und  ein  gewisses  System 
derselben  entwickele  sich  erst  allmählich.  Von  diesen  Falten  existiren  nun 
aber  die  zwei  wichtigsten ,  die  centrale  Längsrinne  und  die  centrale  Querrinne, 
nach  meinen  Untersuchungen*  überhaupt  nicht;  die  übrigen  künstlich  geson- 
derten Hauptfalten  beziehen  sich  auf  die  Abschnürung  des  Embryo.  Ausserdem 
wird  aber  auch  von  Querfalten  der  Medullarplatteii  gesprochen,  durch  deren 
Einfluss  die  Gliederung  der  Urwirbel  erfolgen  soll  (Nr.  109  S.  82).  Dagegen 
muss  ich  bemerken,  dass  es  auch  beim  Hühnchen  gerade  umgekehrt  ist:  die 
Segmentplatten  gliedern  sich  durch  eigene  Querfalten,  welche  an  ihnen  zugleich 
oben  und  unten  erscheinen,  also  auf  einer  Krümmung  der  ganzen  Platten  nicht 
beruhen  können,  und  die  Medullarplatten  empfangen  erst  nachträglich  vergäng- 
liche Eindrücke  von  den  Segmenten.  Im  übrigen  kommt  die  ganze  Darstellung 
darauf  heraus,  dass  „organisches  Wachsthum"  der  bereits  vorhandenen  Keim- 
schichten durch  die  ihm  gebotenen  Formbcdingungcn,  die  aber  nur  theilweise 
bezeichnet  werden,  die  Anlagen  und  deren  Umbildungen  hervorrufe.  Abgesehen 
davon,  dass  ein  bestimmtes  und  einheitliches,  aber  sich  immer  weiter  gliederndes 
Kausalgesetz  His  unbekannt  blieb,  führte  er  im  schroffsten  Gegensatze  zu  der 
wenigstens  theilweise  versuchten  mechanischen  Erklärung  so  viele  teleologische 
Momente  (Bestimmung  derEntwickelung  durch  die  spätere  Funktion  der  Theile) 
ein,  dass  seine  ganze  Arbeit  das  vergebliche  Bemühen  offenbart,  die  beiden 
schlechterdings  unverträglichen  Auffassungsweisen  zu  vereinigen  und  auszu- 
söhnen. Dieser  ganze  Versuch  ist  ein  beredtes  Zeugniss  dafür,  wohin  eine  be- 
dingungslose Wiederholung  der  v.  BAEß'schen  Lehre  führt.  Denn  alle  Irr- 
thümer  derselben  finden  sich  bei  His  wieder  (animales  und  vegetatives  Keim- 
blatt, Primitivstreif,  Bestimmung  der  Umbildung  durch  die  „Wesenheit  des 
Organs");  wenn  sie  aber  dort  mehr  in  der  Reflexion  angedeutet,  als  in  irrigen 
Beobachtungen  fixirt  waren ,  wurde  hier  die  Reflexion  gar  zu  häufig  zur  Richt- 
schnur der  Beobachtungen. 


*  Ich  verweise  dafür  auf  den  von  mir  angekündigten  Aufsatz  und  auf  die  kurze  Dar- 
stellung von  derEntwickelung  des  Primitivstreifs,  welche  ich  in  den  Schlusshetraehtungen 
des  vorigen  Abschnittes  (IV.  1)  gab. 

Goe.tte,  Entwickeluugsgescliichte.  1' 


258  IV.  Die  Sonderung  der  einzelnen  Organanlagen. 

3.  Die  Leistungen  des  Darmblattes. 
Historische  Uebersicht  der  bisherigen  Untersuchungen. 

Da  ich  den  Aufsatz  von  Carus  über  die  Bildung  des  Darmkanals  in  den 
Salamanderlarven  nicht  habe  erhalten  können,  so  mussjch  die  Nachrichten  über 
die  Entwickelungsgeschichte  des  Batrachierdarmes  mit  Huschke  beginnen. 
Nach  diesem  Forscher  verwandelt  sich  der  ganze  Dotter  (Nahrungsdotter)  in 
den  Darmkanal.  Derselbe  sei  gleich  anfangs  in  einer  runden  Blase  enthalten, 
welche  sich  mit  dem  ganzen  Embryo  streckt  und  dabei  mit  dem  schmäleren 
Ende  an  die  Mundfurche,  mit  dem  dickeren  im  Grunde  der  Aftergrube  sich  be- 
festige (Nr.  4  S.  617). 

Funk's  Ansicht  geht  im  Gegentheile  dahin,  dass  der  Darmkanal  in  einer 
unter  dem  Rücken  angehefteten  rinnenförmigen  Haut  angelegt  sei,  welche  den 
Dotter  (Nahrungsdotter)  erst  allmählich  umwächst,  worauf  dieser ,  im  Innern 
des  Darmes  an  einer  Stelle  angehäuft,  sich  allmählich  auflöse.* 

Rusconi  behauptet  dagegen,  dass  der  Darm  nicht  aus  einer  Rinne  entstehe, 
sondern  auf  folgende  Weise.  Während  der  Zusammenziehung  des  Afters  bilde 
sich  im  Kopfe  eine  Höhle:  die  Mund-  und  Kiemenhöhle.  Von  dieser  und  zu- 
gleich vom  After  aus  entwickeln  sich  alsdann  Höhlungen  in  die  in  der  Mitte 
liegende,  unterdess  länglich  gewordene  Dottermasse;  und  erst  nachdem  diese 
Höhlungen  zusammengestossen,  sei  ein  Darmkanal  gebildet  (Nr.  6  S.  55). 
Später  gibt  Rusconi  von  den  Embryonen  des  Erdsalamanders  an,  dass  die 
Dottermasse  nicht  von  den  Enden  her,  sondern  von  der  Mitte  aus  durch  Auf- 
lösung der  Substanz  ausgehöhlt  werde  (Nr.  3Ü  S.  45). 

v.  Baer  nähert  sich  wieder  der  Darstellung  von  Funk.  Das  vegetative 
Blatt  bilde  nach  der  Ablösung  vom  animalischen  einen  gleichniässigen  Sack, 
„der  dann,  wenn  der  gesammte  Embryo  länger  wird,  sich  auch  verlängert,  doch 
so,  dass  sich  zwei  Enden  herausziehen,  ein  vorderes  und  ein  hinteres.  Jenes 
wird  Munddarm  oder  zuvörderst  nur  Rachenhöhle,  dieses  Afterdarm.  Obgleich 
ich  nicht  zugeben  kann,  dass  der  After  vom  Anfange  an  offen  ist,  so  muss  ich 
doch  anerkennen,  dass  der  After  früher  durchbricht  als  der  Mund"  (Nr.  8  II 
S.  288).  „Die  erweiterte  Mitte,  welche  den  Vorrath  von  unäufgelostem  Dotter 
bewahrt,  vertritt  in  einiger  Hinsicht  die  Stelle  des  Dottersackes,  verdient  aber 


*  Funk,  de  Salamandrae  terrestris  vita,  evolntione,  formationo  tractatus,     1827. 


3.  Die  Leistungen  des  Darmblattes.  259 

diesen  Namen  nicht  ganz,  da  sich  hier  nie  ein  Darmnabel  bildet."  „Um  diu 
Zeit  des  Ansschlüpfens  ist  die  Centrallinie  des  gesammten  Speisekanals  in  Form 
eines  Kammes  erhoben,  und  der  senkrechte  Durchschnitt  lässt  also  zwei  Hälften 
unterscheiden"  (S.  294).  An  derselben  Stelle  wird  gegen  Rusconi  hervor- 
gehoben, dass  der  Darm  von  Anfang  an  hohl  sei  und  es  auch  bleibe.  „Ich  habe 
die  Schleimhaut  des  Darmes  erkannt,  wenn  der  Rücken  des  Embryo  noch  nicht 
geschlossen  ist,  und  von  diesem  Augenblicke  an  nie  aus  dem  Auge  verloren." 
Die  Darstellung  der  Bildung  der  Kiemenspalten  findet  sich  bereits  im  vorigen 
Abschnitte. 

An  demselben  Orte  wurde  auch  schon  mitgetheilt,  wie  nach  Reichert  die 
Mundhöhle  entstehe.  Alsdann  fülle  die  noch  übrige  solide  Dottermasse  die 
ganze  Bauchhöhle  aus  (Nr.  22  S.  34);  später  erhalte  sie  eine  äussere  Haut  und 
werde  endlich  in  einen  Schlauch  verwandelt  (S.  35  u.  flg.).  Wie  aber  die  Höh- 
lung entstehe  und  wie  dieselbe  mit  der  Mundhöhle  in  Verbindung  trete ,  finde 
ich  nirgends  angegeben.  —  BesondereBeachtung  verdient  die  Angabe Reichert's, 
dass  die  innerste  embryonale  Darmschicht  bloss  die  Anlage  des  Darmepithels 
sei  (S.  39). 

Auch  Vogt's  Anschauung  von  der  Anlage  des  Darmkanals  wurde  bereits 
erwähnt.  Nachdem  die  Bauchplatte  die  centrale  Dottermasse  oder  den  Dotter- 
kern umwachsen,  trenne  sich  von  ihr  eine  besondere  Haut  für  den  Dotterkern 
ab,  und  der  auf  diese  Weise  entstandene  Sack  „ist  der  Darm,  mit  seiner  Peri- 
toncalhülle,  der  erst  später  durch  Faltungen  röhrenförmig  wird"  (Nr.  26  S.  58). 
Indem  das  Kopfende  vom  Dotterkern  sich  ablösend  nach  vorn  auswächst,  ent- 
steht zwischen  beiden  die  Kopfvisceralhöhle  (Mund-  und  Schlundhöhle),  in 
welche  der  Sack  des  Dotterkernes  später  durchbreche;  dasselbe  geschehe  am 
After  (S.  67.  68). 

Remak  hat ,  wie  ich  bei  der  Bildungsgeschichte  der  Keimblätter  angab, 
eine  bestimmte  Antwort  auf  die  Frage  nach  dem  Ursprung  der  Darmhöhle  ge- 
geben; aber  er  lehrte  weiter,  dass  diese  „primitive  Nahrungshöhle"  im  ganzen 
Rumpftheile  von  hinten  nach  vorn  fortschreitend  sich  wieder  schliesse,  sodass 
zuletzt  nur  ihr  erweiterter  Kopftheil,  die  Schlundhöhle,,  und  wahrscheinlich  auch 
die  Afterhöhle  bestehen  bleiben  (Nr.  40  S.  159).  Alsdann  bilde  sich  eine  blind- 
sackartige Fortsetzung  der  Schlundhöhle  in  den  Drüsenkeim  hinein,  welche 
hinter  dem  Herzen  beginne  und  in  der  Längsaxe  des  ersteren  bis  zur  Afterhöhle 
vordringe.     Dieser  sekundäre  und  bleibende  Nahrungskanal  entstehe  „durch 

ein  gleichförmiges  Auseinanderweichen  der  Zellen  in  der  ganzen  Axe  des  Drüsen- 

17* 


2Gü  IV.  Die  Sonderimg  der  einzelnen  ürgananlagen. 

keimes"  (S.  160).  Das  Darmdrüsenblatt  wie  der  ganze  Drüsenkeim  (Darmblatt 
und  Nahrungsdotter)  sollen  sich  in  das  Darmepithel  verwandeln  (S.  159.. 160). 

In  meinem  Aufsätze  (Nr.  04  S.  110  u.  flg.)  habe  ich  die  Beständigkeit  der 
Rusconi' sehen  Höhle  oder  der  primitiven  Nahrungshöhle  Remak's  und  ihre 
Umbildung  in  den  bleibenden  Darmkanal  angegeben. 

v.  Bambecke  schliesst  sich  durchaus  an  Remak  an  und  glaubt,  dass  der 
Verschluss  der  primitiven  Nahrungshöhle  dadurch  entstehe,  dass  bei  der 
Streckung  des  Embryo  der  konvex  gekrümmte  Bücken  mit  dem  Darmdrüsen- 
blatte sich  dem  Drüsenkeime  nähere  (Nr.  Go  S.  55.  50). 


Ich  habe  in  einem  früheren  Abschnitte  ausgeführt,  wie  die  embryonale 
Darmhöhle  entsteht  und  wie  im  Bereiche  derselben  das  Darmblatt  sich  von  der 
sekundären  Keimschicht  ablöst  (Taf.  II  Fig.  30—34,  Tuf.  III  Fig.  55—57). 
Durch  diesen  Ursprung  beweist  es  eben  seine  Zugehörigkeit  zu  den  übrigen 
Keimblättern,  obgleich  es  gleich  darauf  mit  der  Dotterzellenmasse  an  den  Be- 
rührungsstellen vollkommen  verschmilzt.  Der  nächste  Grund  dieser  Verbin- 
dung ist,  wie  mir  scheint,  kein  anderer,  als  dass  die  Darmblattzellen  bei  ihrer 
relativen  Unthätigkeit  sich  ihrem  Wesen  nach  in  demselben  Masse  den  Dotter- 
zellen nähern,  als  sie  sich  von  den  umgebenden  Elementen  entfernen,  welche 
Ami  der  raschen  Entwickelung  der  betreffenden  Anlagen  sich  andauernd  ver- 
ändern. Bei  dieser  Uebereinstimmung  in  der  Beschaffenheit  des  Darmblattes 
und  der  Dotterzellenmasse  kann  natürlich  von  einer  ganz  bestimmten  Grenze 
zwischen  beiden  nicht  die  Bede  sein :  ob  in  dem  Grenzbezirke  die  einzelne  Zelle 
sich  dem  einen  oder  anderen  Theile  anschliesst,  hängt  ganz  gewiss  von  zufälligen 
Umständen  ab.  Doch  gestattet  die  Kenntniss  der  weiteren  Entwickelung  die 
fernere  Unterscheidung  jener  beiden  Zellengruppen  und  die  Annahme,  dass  ihre 
Grenze  ohngefähr  dem  Uebergange  des  blattartigen  Gefüges  in  die  kompakte 
Masse  entspreche.  Man  darf  also  sagen,  dass,  sowie  die  Darmhöhle  anfangs 
in  gleicher  Weite  und  parallel  der  Eioberfläche  sich  unter  dem  Rücken  hinzieht, 
auch  das  Darmblatt  von  hinten  nach  vorn  eine  gleichmässige  Ausbreitung 
besitzt.  Es  bildet  auf  diese  Weise  die  sphärische  Decke  eines  Hohlraumes, 
dessen  von  der  Dotterzellenmasse  gebildeter  Boden  der  Deckenwölbung  ohn- 
gefähr entsprechend  konvex  vorragt.  Diese  Anschauung  muss  sich  aber  ver- 
ändern, sobald  mit  den-  Entwickelung  der  Axenplatte  die  bleibende  Riehtungs- 


3.  Die  Leistungen  des  Darmblattes.  2<il 

linie  des  ganzen  Körpers  und  ihre  bestimmten  Enden  gegeben  sind.  Denn  es 
wird  daraus  ersichtlich,  dass  der  Darmraum  und  das  Darmblatt,  so  lange 
man  ihren  Verlauf  nach  der  Oberfläche  der  Keimblase  bemisst,  eigentlich  über 
das  spätere  Kopfende  hinausreichen,  dass  aber  diese  Verlaufsbestimmung 
durch  die  Ausbildung  des  Rückens  ihren  Werth  verliert,  indem  nämlich  da- 
durch dem  vorgeschobenen  Stücke  die  Aufgabe  zufällt ,  auch  den  ventralen 
Abschluss  des  mit  dem  dorsalen  Kopftheile  hervorwachsenden  Darmraumes  zu 
bilden,  wodurch  die  Dotterzellenmasse  von  der  Begrenzung  desselben  ausge- 
schlossen wird  (Taf.  II  Fig.  33 — 38).  Es  ergibt  sich  daraus  ganz  deutlich, 
wie  jede  Richtungsbestimmung  der  embryonalen  Anlagen  vom  Rückentheile 
abhängt,  sodass  er  schon  in  der  gleichmässig  verlaufenden  Decke  des  ursprüng- 
lichen Darmraumes  einen  dorsalen  und  einen  ventralen  Abschnitt  scheidet. 
Jenen  vom  Anfang  an  vom  Darmblatte  allein  umschlossenen  Darmraum 
nenne  ich  den  Vorder  dann;  der  sich  dahinter  anschliessende  Abschnitt  ist 
der  Mittel  darin.  Die  Grenze  beider  Darmtheile  ist  aber  anfangs  nur  an  der 
Bauchseite  abgesteckt,  nämlich  durch  das  Vorderende  der  Dotterzellenmasse, 
an  dessen  Fusse  durch  das  sich  eng  anschliessende  Darmblatt  eine  Tasche 
gebildet  wird  —  die  Anlage  der  Leber.  Die  seitliche  und  dorsale  Grenze  des 
Vorderdarmes  kann  man  mit  Rücksicht  auf  die  spätere  Entwickelung  dicht 
hinter  der  hinteren  Kopfgrenze  annehmen  und  daher  den  ganzen  Vorderdarm, 
wie  es  schon  beim  Kopfe  ausgeführt  wurde ,  anfangs  als  ein  ausserordentlich 
flaches  Gewölbe  ansehen,  welches  während  des  Hervorwachsens  des  Vorder- 
körpers sich  an  seiner  Basis  zusammenzieht,  gegen  den  Scheitel  aber,  der  mit 
dem  Vorderende  des  Kopfes  zusammenfällt,  so  ausstülpt,  dass  die  ursprünglich 
geringe  Höhe  des  Gewölbes  zur  Axe  des  daraus  hervorgehenden  Blindsackes 
wird.  Dass  aber  das  betreffende  Darmblattstück  zur  Auskleidung  des  hervor- 
wachsenden Vorderdarms  nicht  ausreicht,  daher  vom  Mitteldarme  her  ergänzt 
werden  muss,  erhellt  schon  daraus,  dass  das  anfangs  so  bedeutende  Ueber- 
gewicht  des  Mitteldarmes  über  den  Vorderdarm  allmählich  zu  Gunsten  des 
letzteren  abnimmt.  Dabei  ergibt  sich  aus  dem  Vergleiche  verschiedener  Me- 
diandurchschnitte, dass  die  Zunahme  des  den  Vorderdarm  auskleidenden  Darm- 
blattes in  Uebereinstimmung  mit  den  früher  geschilderten  Vorgängen  beim 
Hervorwachsen  des  Vorderkörpers  keine  gleichmässige  sein  kann.  Die  Ver- 
längerung geht  vom  Rücken  aus  und  bleibt  in  demselben  überwiegend,  sodass 
die  Seiten-  und  Bauchtheile  sich  ihr  nur  nachträglich  und  langsamer  anschliessen. 
Ferner  nimmt  der  vordere  Rückentheil  in  dem  flachen  Kugelsegment,  welches 


2ß2  IV-  Die  Sonderung  der  einzelneu  Organanlagen. 

die  ursprüngliche  Anlage  des  Verderkörpers  darstellt,  nur  einen  kleinen,  peri- 
pherischen Kreisausschnitt  ein ,    während  die  späteren  lateralen  und  ventralen 
Theile  den  bei  weitem  grössten  Theil  der  Scheibe  umfassen.    Unter  Berücksich- 
tigung dieser  Verhältnisse  ist  es  verständlich,  dass  die  Verlängerung  des  hervor- 
wachsenden Vorderkörpers  wesentlich  den  Rückentheil  betrifft,  der  Bauchtheil 
dagegen  bei  viel  geringerer  Verlängerung  eigentlich  nur  umgelegt  oder  um- 
geschlagen wird,  sodass  für  den  ganzen  Vorgang  der  Ausdruck  einer  Umrollung 
oder  Faltung  des  Rückentheils   (ähnlich  dem  Vorgange  bei  der  Erhebung  der 
Rückenwülste)  richtiger  erscheint  als   der  einer  gleichmässigen  Ausstülpung 
eines  Blindsackes.     Als  Folge  davon  ergibt  sich,  dass,  wenn  das  zusammen- 
hängende Darmblatt  am  Rücken  stärker  hervorgezogen  wird,  als  es  in  den 
zunächst  anstossenden Seitentheilen  nöthig  ist,  in  diesen  quere  Faltungen  ent- 
stellen müssen:     Die  letzteren  sind  nun  in  der  That  in  den  Schlundfalten  zu 
linden  (Taf.  III  Fig.  77,  Taf.  VI  Fig.  100-  102.  106.  107,  Taf.  VII  Fig. 
123   -125,  Taf  XIV  Fig.  247.  24s.  254).     Die  erste  Schlundfalte  fällt  mit 
der  Abbiegung  des  Vorderkopfes  zusammen  und  setzt  ebenso  wie  jede  weitere 
neu  entstandene  den  fixen  Widerstand,  welcher  die  von  hinten  her  wachsende; 
Flächenausdehnung  in  rückwärts  sich  fortsetzenden  Falten  sich  äussern  lässt. 
Dabei  passen  sie  sich  anfangs  den  äusseren  Segmenten  des  Hinterkopfes  an; 
das  vierte  äussere  Kopfsegment  verliert  aber  durch  seine  Abplattung  das  be- 
stimmende Relief,  sodass  die  vierte  und  fünfte  Schlundfalte  in  den  Bereich  dieses 
einen  Segmentes  fallen  und  es  in  drei  Stränge  spalten.     Abwärts  werden  die 
Schlundfalten  durch  die  Bildung  des  Perikardialraumes  aufgehalten  und  be- 
schränkt, welcher  den  Bauchtheil  des  Darmblattes  in  einer  Flucht  in  die  Höhe 
hebt  (Taf.  II  Fig.  37.  38,  Taf.  XVI Fig.  292).   Diese  Hebung  oder  die  Bildung 
der  von  mir  so  genannten  Grenzfalte  erfolgt  unmittelbar  vor  dem  Blindsacke 
der  Leberanlage  und  reicht  vorn  bis  zu  der  Stelle,  wo  das  Darmblatt  mit  dem 
oberen  Keimblatte  in  der  Medianebene  verschmolzen  ist.     Die  eigentümliche 
Lage  der  Grenzfalte,  deren  vorderer  Abhang  beinahe  horizontal  verläuft,  ver- 
engt die  vordere  Hälfte  des  Vorderdarmes,  den  Kopf  darin,  welcher  anfangs 
gleich  dem  ganzen  Abschnitte  hinten  breiter  war  als  vorn,  zu  einer  gleichmässigen 
Weite ;  und  der  dadurch  steil  gehobene  hintere  Abhang  der  Grenzfalte  vertieft 
wiederum  die  Leberanlage,    welche  alsdann  auch  durch  die  gerade  vordere 
Wand  der  Dotterzellcnmasse  vom  Mitteldarme  genauer  gesondert  wird,  sodass 
der  darüber  liegende  hintere  Abschnitt  des  Vorderdarmes,  der  Vordarm, 
als  ein  besonderes,  freilich  noch  sehr  kurzes  Verbindungsstück  zwischen  Kopf- 


3.  Die  Leistungen  des  Darmblattes.  2(Jo 

und  Mittel  darin  erscheint.  So  sehen  wir  also  die  Umbildungen  des  Darmblattes 
im  Vorderdarme  in  vollständigem  Anschlüsse  an  diejenigen  der  beiden  anderen 
Keimblätter  erfolgen,  ohne  dass  man  dabei  wie  bei  der  ersten  Entstehung  der 
Rückenanlagen  Veranlassung  fände,  jene  Umbildungen  in  erster  Linie  einer 
aktiven  Theilnahme  der  Darmblattzellen  durch  selbsterzeugte  Verschiebungen 
zuzuschreiben.  Natürlich  fehlt  eine  solche  Thätigkeit  des  Darmblattes  nicht 
ganz ;  ihre  geringe  Energie  erhellt  aber  schon  aus  der  relativ  unbedeutenden 
Verkleinerung  der  Darmblattzellen,  welche  erst  später  ganz  augenscheinlich 
wird. 

Der  Mitteldarm  reicht  so  weit  als  die  Dotterzellenmasse,  d.  h.  bis  nahe  an 
die  RusooNi'sche  Oeflhung.  Da  aber  deren  Randwulst  durch  die  kreisförmige 
RuscoNi'sche  Spalte  rundum  von  der  Dotterzellenmasse  abgelöst  wurde,  so 
bleibt  der  ventrale  Theil  dieser  vertieften  Spalte,  während  der  dorsale  sich  zum 
ganzen  Darmraume  erweitert,  als  eine  Tasche  zurück,  welche  aus  dem  Entstücke 
des  letzteren  sich  zwischen  die  Dotterzellenmasse  und  den  Randwulst  schiebt. 
Am  Hinterende  des  Mitteldarmes  bildet  sich  also  ein  ähnlicher  kurzer,  nach 
unten  taschenförmig  vertiefter  Darmabschnitt  aus,  wie  er  vorn  im  Vorderdarme 
besteht;  ich  nenne  ihn  den  Hinterdarm.  Aus  seinem  oberen  Theile  wird  in 
der  früher  geschilderten  Weise  durch  den  hervorwachsenden  Schwanz  der 
Schwanzdarm  ausgezogen  {Taf.  II  Fig.  37.  38).  Die  weitere  Untersuchung 
dieser  Darmabschnitte  hat  mit  dem  wichtigsten ,  dem  Mitteldarme  anzufangen. 
Er  umfasst  den  grössten  Theil  der  ursprünglichen  Darmhöhle  und  hat  anfangs 
eine  weite,  in  Folge  des  auch  in  der  Querrichtung  konvexen  Bodens  halbmond- 
förmige Lichtung  (Taf.  III  Fig.  57.  58.  62).  Diese  verändert  sich  im  nächsten 
Verlaufe  der  Entwickelung  in  ganz  auffallender  Weise  {Taf.  IV — VII).  Die 
Abplattung  und  Einsenkung  des  Rückens  muss  ihn  natürlich  der  Dotterzellen- 
masse nähern,  die  Höhle  des  Mitteldarmes  also  ebenfalls  von  oben  her  abplatten; 
die  gleichzeitig  sich  entwickelnde  seitliche  Zusammenziehung  und  Verlängerung 
des  Rückens  äussert  sich  in  der  darunterliegenden  Darmlichtung  in  ähnlicher 
Weise:  indem  die  Dotterzellenmasse  sich  jener  Veränderung  anpasst,  muss  die 
Darmlichtung  überhaupt  an  Umfang  verlieren,  was  sich  auch  in  rasch  steigendem 
Masse  offenbart.  Für  ihre  Formveränderungen  ist  besonders  zu  beachten, 
dass  das  Darmblatt  längs  der  Wirbelsaite  mit  derselben  innig  verbunden  bleibt. 
Wenn  nun  die  in  die  Höhe  und  alsbald  auch  abwärts  wachsenden  Segmente  die 
vom  Darmblatte  gebildete  Decke  des  Mitteldarmes  von  den  Seiten  zusammen- 
pressen, wird  es  in  der  Medianebene  dachrfömig  gebrochen  {Taf.  V  Fig.  93.  94). 


2( !  |  IV.  Die  Sonderung  der  einzelneu  Organanlagen. 

Der  obere  riimenförmige  Theil  der  Höhle  heisst  die  Darmrinne.  Es  ist  klar, 
dass  mit  dem  Fortschritte  aller  jener  die  Darmhöhle  beeinflussenden  Umbildungen 
des  Rückens  und  der  sich  ihm  zunächst  anschliessenden  Seitentheile  die  Lichtung 
immer  kleiner  wird,  ihre  seitlichen  Buchten  endlich  ganz  schwinden,  und 
darauf  bei  immer  steilerer  Aufrichtung  der  beiden  Dachhälften  der  untere  Theil 
der  Höhle  mit  der  Darmrinne  zu  einem  engen  Kanäle  zusammenfliesst,  an  dessen 
Seiten  das  verdickte  Darmblatt  ganz  allmählich  und  unmerklich  in  die  Dotter- 
zellenmasse übergeht  (Taf.  VII  Fig.  137 — 139).  Die  während  dieser  Zu- 
sammenziehung wechselnden  Formen  der  Lichtung  —  herzförmig,  dreieckig, 
aufrecht  spaltförmig,  rundlich  -  -  mögen  in  den  Abbildungen  verfolgt  werden ; 
sie  haben  keine  andere  Bedeutung  als  der  Ausdruck  zu  sein  für  den  fortgesetzten 
Seitendruck  auf  die  oben  der  Länge  nach  angeheftete  Decke  und  den  dicken 
Boden  des  Mitteldarmes.  Zuletzt  wird  der  Kanal  so  eng,  dass  er  nur  auf  sehr 
reinen  Durchschnitten  zu  erkennen  und  wohl  desshalb  bisher  übersehen  worden 
ist  {Taf.  XX  Fig.  362).  An  beiden  Enden  des  Mitteldarmes  erweitert  er  sich 
abwärts  einerseits  in  den  Blindsack  des  Vordarmes  andererseits  des  Hinter- 
darmes (Leberanlage  —  Afterdarm). 

Wenn  man  die  bezeichnete  Umbildung  des  Mitteldarmes  verfolgt  und  etwa 
Querdurchschnitte  der  ersten  und  der  letzten  Form  neben  einander  stellt,  so 
dürfte  bei  der  Wahrnehmung  von  der  ausserordentlichen  Abnahme  seiner 
Lichtung  die  Frage  sich  aufdrängen,  wo  denn  die  Masse  des  ursprünglich  breiten 
I  hirmblattes  geblieben  und  wo  fernerhin  seine  Grenze  gegen  die  Dotterzellen- 
niasse  zu  suchen  sei.  Darauf  ist  einmal  auf  die  allgemeine  Verlängerung  des 
Darmes  hinzuweisen,  wobei  in  ähnlicher  Weise  wie  am  Rücken  die  Zellenmassen 
uns  der  Breite  in  die  Länge  verschoben  werden.  Davon  wird  der  Mitteldarm 
noch  stärker  als  die  übrigen  Abschnitte  betroffen,  da  er  von  seinem  ursprüng- 
lichen Antheile  am  Darmblatte  sowohl  in  den  Vorderdarm  wie  auch  zur  Bildung 
des  Schwanzdarmes  Theile  abgeben  muss.  Immerhin  würden  alle  diese  Gründe 
nicht  genügen,  um  das  Missverhältniss  in  der  Masse  der  Decke  des  Mittel darmes 
am  Anlange  und  am  Ende  seiner  bezüglichen  Umbildung  zu  erklären.  Daher 
muss  ich  annehmen,  dass  die  Ränder  des  Darmblattes  späterhin  nicht  dort  zu 
suchen  sind,  wo  es  an  die  Dotterzellenmasse  stösst,  sondern  weiter  abwärts, 
dass  es  mit  anderen  Worten  nicht  mehr  bloss  die  Decke  der  Darmhöhle  bildet, 
vielmehr  angefangen  hat  jene  Masse  oder  den  Nahrungsdotter  zu  umwachsen. 
Diese  Annahme  findet  nun  an  den  Enden  des  Mitteldarmes  ihre  klare  Bestä- 
tigung.    Das  Darmblatt  nimmt  an  der  Umwandlung  des  ganzen  Darmraumes 


;j.  Diu  Leistungen  des  Darmblattes.  2(if> 

offenbai  einen  viel  intensiveren  Antlieil  als  der  Nahrungsdotter,  welcher  dadurch 
nur  einfach  verlängert  wird.  In  Folge  der  Verschiebungen  und  des  damit  ver- 
bundenen Seitendruckes  nehmen  daher  die  Zellen  der  freiliegenden  Darmblatt- 
theile  überall  eine  längliche,  cylindrische  oder  keilförmige  Gestalt  an,  während 
die  weniger  bewegten  Dotterzellen  in  ihrer  Masse  rundlich  bleiben  (Taf.  IV 
bis  VIT).  Jene  Cylinderzellen  des  Darmblattes  sehen  wir  nun  am  Vordarme 
und  am  Hinterdarme  in  den  Bereich  der  Dotterzellenmasse  vorrücken  und  die 
Darmlichtung  vollständig  umwachsen,  wobei  sie  sich  in  einer  einfachen  Schicht 
von  der  Dotterzellenmasse  ablösen  {Taf.  XIV  Fig.  249.  250.  253.  256,  Taf. 
XVII  Fig.  313,  Taf.  XXI  Fig.  372).  Diese  Trennung  erscheint  ebenso  als 
nothwendige  Folge  des  Vorübergleitens  der  Darmblattzellen  an  der  Dotter- 
zellenmasse*, wie  sie  andererseits  dasselbe  voraussetzt;  denn  die  Annahme, 
dass  die  jene  Lichtung  begrenzenden  Dotterzellen  sich  ohne  nachweisbare  Ver- 
anlassung den  Darmblattzellen  angepasst  und  darauf  von  den  übrigen  abgeson- 
dert hätten,  diese  Annahme  würde  zu  jenen  „lokalen  DifFerenzirungen"  gehören, 
welche  im  Grunde  genommen  eine  inhaltlose  Umschreibung  einer  Erscheinung 
sind.  Natürlich  lege  ich  aber  hierbei,  wie  ich  schon  im  Eingange  dieser  Be- 
schreibung bemerkte,  auf  die  einzelne  Zelle  kein  Gewicht,  sodass  eine  solche 
ebensowohl  aus  der  Dotterzellenmasse  in  die  Bewegung  und  damit  in  den 
Bestand  des  Darmblattes  aufgenommen ,  als  gelegentlich  aus  dem  letzteren 
ausgestossen  werden  kann,  um  dann  der  relativ  ruhenden  Dotterzellenmasse 
und  ihren  Schicksalen  anheimzufallen.  In  dieser  Weise  wird  also  zuerst  der 
Blindsack  und  dann  auch  der  obere  Theil  des  Vordarmes  von  unten  auf  ganz 
vom  Darmblatte  umwachsen  und  von  der  dahinter  liegenden  Dotterzellenmasse 
getrennt,  ebenso  aber  auch  der  Hinterdarm  nach  vorn  zu  gegen  dasselbe  ab- 
geschnürt {Taf.  XIII  Fig.  241,  Taf.  XXI  Fig.  372.  377).  Dass  diese  Ent- 
wicklung des  Darmblattes  im  Gegensatze  zu  den  früheren  Umbildungen  auf 
einer  selbstthätigen  Flächenausbreitung  desselben  beruhe,  erhellt  schon  aus 
der  gleichzeitigen  Entwickelung  der  aus  den  betreffenden  Darmabschnitten 
hervorsprossenden  Organe  (Leber,  Bauchspeicheldrüse,  Harnblase);  denn  diese 
Entwickelung  erscheint  freilich  durch  die  umgebenden  Theile  bedingt,  nicht 
aber  durch  dieselben  veranlasst.  Wenn  wir  nun  jene  Abschnürung  weiterhin 
von  beiden  Enden  her  gegen  die  Mitte  des  Mitteldarmes  fortschreiten  sehen,  so 


*  Ich  verweise  hierbei  auf  meine  Erklärung  von  der  ähnlichen  Sonderling  der  sekun- 
dären Keimschicht. 


266  IV.  Die  Sonderung  der  einzelnen  Organanlagen 

wäre  es  willkürlich  dafür  andere  Ursachen  anzunehmen  als  diejenigen,  welche 
sich  für  die  Endabschnitte  als  die  wahrscheinlichsten  ergaben.  Und  in  der 
That  finden  wir,  dass  die  Cylinderzellen  auch  am  ganzen  Mitteldarme  bis 
in  die  Masse  der  Dotterzellen  hinab  reichen;  wenn  aber  die  Abschnürung  in  der 
Mitte  des  Mitteldarmes  nicht  erfolgt,  so  darf  es  uns  ein  Zeichen  sein,  dass  jene 
Zellen  weder  so  schnell  noch  so  weit  vorrücken  wie  an  der  Grenze  der  anstossen- 
den  Darmtheile ,  also  die  Dotterzellenmasse  von  dem  Umfange  der  Lichtung 
nicht  ausschliessen.  Während  nun  die  vorderen  und  hinteren  Darmabschnitte 
sich  vom  Nahrungsdotter  abzuschnüren  beginnen,  wird  an  seiner  Oberfläche 
das  embryonale  Blut  gebildet  und  in  das  anliegende  mittlere  Keimblatt 
(Visceralblatt)  abgeführt  (Taf.  XIV  Fig.  264.  265,  Taf.  XXI  Fig.  372.  377). 
Wird  schon  dadurch  die  Masse  des  Nahrungsdotters  reducirt,  so  geschieht  es 
noch  viel  mehr  durch  die  bald  ersichtliche  Auflösung  seiner  centralen  Theile: 
die  Zwischenräume  der  Zellen  vergrössern  sich  zu  unregelmässigen  Lücken, 
diese  fliessen  theilweise  zusammen  und  enthalten  einzelne  freie  Zellen,  deren 
zerfressenes  Aussehen  ihren  Zerfall  andeutet  {Taf.  XX  Fig.  361,  Taf.  XXI 
Fig.  373).  Diese  Auflösung  nähert  sich  aber  sehr  bald  der  Darmlichtung, 
sodass  diese  endlich  mit  dem  dadurch  geschaffenen  Räume  zusammenfliesst. 
"Während  so  der  Nahrungsdotter  dem  gänzlichen  Schwunde  entgegengefahrt 
wird  und  dadurch  zur  Vergrösserung  der  Darmhöhle  beiträgt,  verbreitet  sich 
die  Lage  der  cylindrischen  Zellen  längs  des  anliegenden  Visceralblattes  über 
die  Reste  des  Nahrungsdotters,  welche  auf  diese  Weise  in  das  Innere  des  Darm- 
blattschlauches aufgenommen  werden.  So  wird  also  die  Darmhöhle  endlich 
vollständig  vom  Darmblatte  ausgekleidet,  dieses  in  einen  ganz  geschlossenen 
Sack  verwandelt,  welcher  in  seiner  Mitte  die  Reste  des  Nahrungsdotters  um- 
schliesst  und  später  vorn  und  hinten  in  Mund  und  After  nach  aussen  durch- 
bricht. In  der  weiteren  Entwickelung  wird  diese  innerste  und  ursprüngliche 
Auskleidung  der  Darmhöhle  zum  Darm  epithel. 

Zum  Schlüsse  dieser  Beschreibung  der  allgemeinen  Umbildungen  des  Darm- 
blattes fasse  ich  die  wichtigsten  Ergebnisse  kurz  zusammen.  Es  entwickelt 
sich  an  der  inneren,  unteren  Fläche  der  sekundären  Keimschicht,  soweit  die- 
selbe von  der  Dotterzellenmasse  durch  die  embryonale  Darmhöhle  getrennt  wird, 
bildet  also  die  Decke  dieser  Höhle  und  ruht  mit  seinem  Rande  auf  dem  Boden 
der  letzteren  oder  eben  aul  der  Dotterzellenmasse.     Die  Darmanlage*  der  Ba- 


Man  kann  das  Darmblatt  als  Anlage  des  wesentlichsten  Darmtheilcs,  nämlich  des 


3.  Die  Leistungen  des  Darmblattes.  2li7 

trachier  ist  also  anfangs  einem  Segmente  einer  Hohlkugel  zu  vergleichen. 
Indem  aber  ein  mittlerer  Theil  derselben  nach  zwei  entgegengesetzten  geraden 
Richtungen  hervorgezogen  wird,  entstehen  an  beiden  Enden  dieser  Bewegung 
blindsackartige  Ausstülpungen  (Kopf-  und  Schwanzdarm) .  Am  Vorderende  wird 
das  es  im  Halbkreise  umgebende  Darmblattstück  in  die  Bauch-  und  Seitentheile 
der  Ausstülpung  umgeschlagen ,  und  die  vorherrschend  im  Rücken  sich  offen- 
barende Flächenausdehnung  ruft  daher  in  den  anstossenden  Seitentheilen, 
welche  eine  gleiche  Ausdehnung  nicht  bedürfen,  die  queren  Schlundfalten  her- 
vor. Am  Darmblatte  des  Schwanzdarmes ,  welcher  nicht  in  dieser  Weise  vor- 
geschoben, sondern  an  dem  am  Rückenmarksende  befestigten  Zipfel  allmählich 
und  gleichmässig  hervorgezogen  wird,  fehlt  aus  diesem  Grunde  und  wohl  schon 
wegen  der  engen  Röhre  jede  Faltung.  Ausserdem  wurde  der  Mitteltheil  des  Darin 
blattes  von  beiden  Seiten  zu  einer  abwärts  gegen  die  Dotterzellenmasse  offenen 
Rinne  umgebildet,  deren  Randöffnung  durch  die  eingefügte  Dotterzellenmasse 
verschlossen  wird.  Alle  diese  Umbildungen  erfolgen  unter  dem  unmittelbar 
bewegenden  Einflüsse  der  übrigen  Keimblätter.  Weiterhin  äussert  sich  aber 
die  eigene  Thätigkeit  des  Darmblattes  darin,  dass  es  jene  Blindsäcke  noch  weiter 
von  der  Dotterzellenmasse  abschnürt  und  zuletzt  von  den  Rändern  der  offenen 
Mitteldarmrinne  aus  jene  Masse  umwächst  und  endlich  in  den  vollkommen  ge- 
schlossenen Darmsack  aufnimmt.  —  Ich  brauche  nicht  näher  zu  erörtern ,  wie 
diese  Entwickelung  des  Darmblattes  der  Batrachier  mit  derjenigen  des  Hühn- 
chens übereinstimmt;  aus  meiner  Beschreibung  wird  man  diesen  allbekannten 
Entwicklungsgang  wiedererkannt  haben.  Eines  nur  soll  hier  hervorgehoben 
werden.  Die  Entstehung  des  Kopfdarms  sollte  nach  meiner  Ansicht  auch  bei 
den  Embryonen  der  Amnioten  als  ein  in  Bezug  auf  das  Darmblatt  passiver 
Vorgang  nicht  derjenigen  des  Hinterdarms  gegenübergestellt  werden,  sondern 
nur  derjenigen  des  Schwanzdarms,  welcher  allerdings  bisher  noch  nicht  bekannt 
war,  aber  nachdem  ich  ihn  auch  am  Forellenembryo  erkannte,  sich  wahrschein- 
lich auch  bei  anderen  Wirbelthieren  finden  dürfte.  Wenn  man  aber  abgesehen 
von  der  äusseren  Erscheinung  nur  nach  den  Bildungsursachen  urtheilt,  so  er- 
scheint die  Abschnürung  des  Vor-  und  des  Hinterdarms,  welche  zugleich  auch 
alle  wesentlichen  Abschnürungsorgane  des  Darmkanals  erzeugen,  als  ein  gleich- 
artiger Vorgang.—  Im  Forellenembryo  ist  die  Entwickelung  des  Darmblattes  im 


Epithels,  schlechtweg  als  Darmanlage  bezeichnen,  soAvie  man  von  den  Hirn-,  Rückenmarks- 
und Sinnesanlagen  spricht ,  welche  gleichfalls  nur  die  essentiellen  Theile  der  betreifenden 
Organe  enthalten. 


'.>i;s  IV.  Die  Sonderung  der  einzelnen  Organanlagen. 

wesentlichen  dieselbe  wie  bei  den  genannten  Thieren.  Nur  ist  bei  der  anfäng- 
lich geringen  Abschnürung  des  Vorderkörpers  der  ursprüngliche  vordere  Um- 
schlag ein  sehr  beschränkter  und  muss  die  seitliche  Umwachsung  der  Darm- 
lichtung  durch  das  Darmblatt  viel  weiter  vorn  beginnen  als  beim  Hühnchen, 
wo  sie  auch  schon  vor  der  Leberanlage  anzufangen  scheint.  Auch  ist  die  äussere 
Erscheinung  insofern  eine  abweichende,  als  die  Decke  der  embryonalen  Darm- 
höhle nicht  gewölbt  ist,  sondern  durch  den  tief  eingesenkten  Rückentheil  konvex 
in  den  Nahrungsdotter  eingedrückt  wird,  sodass  die  ganze  Darmhöhle  nur  in 
einer  Spalte  angelegt  ist.  Die  seitliche  Umwachsung  wird  also  jederseits  an 
dem  höheren  Seitentheile  des  Darmblattes  in  einer  enggeschlossenen  (Vorder- 
darm) oder  flachen  Längsfalte  (Mitteldarm)  beginnen,  welche  sich  abwärts  und 
einwärts  gegen  die  Medianebene  vorschiebt,  um  dort  mit  der  anderseitigen  zu 
verwachsen.  Am  Hinterdarme  ist  dagegen  die  Abschnürung  sehr  deutlich, 
und  seine  weit  offene,  blasenförmige  Höhle  hat  offenbar  Ktjpffer  die  Deutung 
dieses  Darmtheils  als  einer  Allantois  nahegelegt  (Nr.  105  S.  67 — 70).  Oellacher 
hat  diesen  blasenförmigen  Hinterdarm  ebensowenig  wie  dessen  Fortsetzung  in 
den  Schwanzdarm  gekannt;  auch  die  Spalten  zwischen  den  gefalteten  Darm- 
blatttheilen  hat  er  übersehen  und  daher  irrigerweise  die  Darmanlage  in  allen 
Körperregionen  als  eine  solide  Masse  beschrieben,  welche  sich  erst  verhältniss- 
mässig  spät  im  Innern  aushöhle  (Nr.  107  S.  70.  73).  Die  Veranlassung  zur 
Bildung  der  Schlundfalten  ist  im  Forellenembryo  ebenfalls  mit  anderen  äusseren 
Erscheinungen  verbunden  als  bei  den  Batrachiern  und  Amnioten.  Sie  entwickeln 
sich,  bevor  der  Vorderkörper  frei  geworden  ist,  und  es  könnte  somit  scheinen, 
als  wäre  die  von  mir  angeführte  Bildungsursache  dort  nicht  vorhanden.  Aber 
der  Forellenembryo  führt  eist  zur  Zeit  der  Bildung  seiner  Schlundfalten'  die 
Umbiegung  der  vorderen  Hirnhälfte  und  der  ihr  unten  angeschmiegten  Theile, 
also  auch  des  medialen  Darmblatttheils  aus,  wobei  der  letztere  der  zur  starken 
Biegung  nöthigen  Ausdehnung  allein  ausgesetzt  ist  und  daher  auch  ohne  die 
äussere  Abschnürimg  des  ganzen  Vorderkörpers  dieselben  Ursachen  der  Schlund- 
faltenbüdung  hervorruft,  welche  ich  bei  den  Batrachiern  erwähnte. 

Wenn  ich  nun  auf  Grund  meiner  eigenen  Beobachtungen  konstatiren  kann, 
dass  der  Darmkanal  bei  den  Batrachiern  und  Knochenfischen  nicht  nach  der 
äusseren  Erscheinung,  aber  nach  den  Bildungsursachen,  ihren  Wechselwirkungen 
und  endlichen  Erfolgen  durchaus  ebenso  sich  entwickeln,  wie  es  beim  Hühnchen 
schon  lange  bekannt  war,  so  ist  doch  eine  solche  Uebereinstiniinung  gerade  für 
die  Batrachier  von  allen  neueren  Embryologen  in  Abrede  gestellt  worden.  — ■ 


3.  Die  Leistungen  des  Dannblattes.  V(3'J 

Remak  war  der  erste,  welcher  den  Ursprung  der  Darmhöhle  richtig  angab. 
Indem  er  aber  dieselbe  zum  grössten  Theile  wieder  vergehen  liess,  kam  er  auf 
den  Irrthum  Rusconi's  zurück:  die  Dotterzellenmasse,  der  „Drüsenkeim",  sollte 
bloss  ein  verdickter  Darmblattth eil  sein  und  sich  von  innen  aushöhlen.  Daher  ver- 
liert auch  die  Angabe  Remak's  ebenso  wie  diejenige  Reichekt's  über  die  Epithel- 
natur der  späteren  innersten  Darmschicht  ihre  volle  Bedeutung ;  denn  es  wurde 
dabei  die  Kontinuität  zwischen  dieser  Schicht  und  der  ursprünglichen  blatt- 
artigen Anlage  aufgegeben.  Die  einzigen  zutreffenden  Darstellungen  über  die 
morphologische  Umbildung  des  Darmblattes  finden  wir  nur  in  der  älteren  Zeit. 
Nachdem  schon  Funk  das  Auswachsen  einer  rinnenförmigen  Darmanlage  rund 
um  einen  Nahrungsdotter  in  den  gröbsten  Zügen  richtig  angegeben,  wurde  diese 
Beobachtung  von  v.  Baeb  durchaus  bestätigt.  Und  meine  eigenen  Unter- 
suchungen geben  eigentlich  nur  die  nähere  Ausführung  und  Begründung  jener 
Angaben.  Denn  es  ist  die  Dotterzellenmasse,  wie  ich  es  schon  auseinander- 
gesetzt habe,  nichts  anderes  als  ein  bloss  vollständig  zerklüfteter  Nahrungsdotter: 
er  erzeugt  das  Blut  und  zerfällt,  in  den  Darm  aufgenommen;  zu  einer  breiigen 
Masse,  welche  unzweifelhaft  die  erste  Nahrung  des  Embryo  darstellt.  Audi 
die  Bildung  der  Schlundfalten  ist  zuerst  von  v.  Baee  sorgfältig  untersucht  und 
die  Zahl  derselben  richtig  angegeben  worden. 

Noch  auf  einen  Punkt  bei  dem  Vergleiche  der  verschiedenen  Embryonen 
möchte  ich  aufmerksam  machen.  Es  ist  ganz  allgemein  üblich,  den  Raum 
zwischen  dem  Darmblatte  und  dem  Nahrungsdotter,  den  mau  an  Batrachier- 
embryonen  als  Darmhöhle  gelten  lässt,  bei  den  übrigen  Wirbelthieren  als  Keim- 
höhle (Furchungshöhle)  zu  bezeichnen.  Dies  rührt  offenbar  daher,  dass  man 
die  Substituirung  der  ursprünglichen  und  eigentlichen  Keimhöhle  durch  die 
Darmhöhle,  welcher  Vorgang  bei  den  Batrachiern  seit  Remak's  Untersuchungen 
bekannt  geworden  ist,  am  Hühnchen  bisher  nicht  erkannt  hat.  Wenn  man 
aber  einmal  die  ganze  Bedeutuug  des  fertig  geschichteten  Keims  als  einer  den 
Nahrungsdotter  uniwachsenden  Gastrula  bei  allen  Wirbelthieren  richtig  erfasst 
hat,  so  darf  man  wohl  auch  nicht  in  den  Namen  mehr  die  Verwechselung  der 
Centralhöhle  der  primären  Keimblase  (Furchungs-,  Keimhöhle)  mit  dem  Innen- 
raume  der  Gastrula  (Darmhöhle)  zulassen. 

Schliesslich  habe  ich  noch  eine  Bildung  des  Darmblattes  zu  erwähnen, 
welche  wegen  der  unscheinbaren  Rolle,  die  sie  unter  den  allgemeinen  Entwickc- 
lungsvorgängen  des  Embryo  spielt,  bisher  kaum  erwähnt  wurde  -  ich  meine 
den  Axenstrang  des  Darmbla  ttes  (vgl.  Nr.  04  S.  99.  115).    Ich  bemerkte 


270  IV.  Die  Spnderung  der  einzelnen  Organanlagen. 

bereits  in  der  voranstehenden  Beschreibung,  dass  die  Dachforin  des  Darmblattes 
daher  rühre,  dass  es  in  der  Medianebene  von  der  Wirbelsaite  festgehalten  werde, 
während  die  Seiten  hinabgedrückt  würden.  Da  nun  sowohl  der  Zug  nach  unten 
als  der  Zusammenhang  mit  der  Wirbelsaite  fortdauern ,  tritt  endlich  eine  Kon- 
tinuitätstrennung ein ,  indem  die  obere  Kante  des  Darmblattes  sich  von  der 
übrigen  Masse  des  Blattes  löst  und  als  rundlicher  Strang  an  der  Wirbelsaite 
hängen  bleibt  {Taf.  VII  Fig.  138.  139).  Diese  Bildung  vollzieht  sich  in  der 
ganzen  Länge  des  Darmblattes  ohngefähr  von  der  Mitte  des  Vorderdarms  an 
bis  zum  Ende  des  Schwanzdarms  {Taf.  XIII  Flg.  235-245,  Taf.  XXI 
Fig.  372).  Ich  habe  diesen  Axenstrang  des  Darmblattes,  über  dessen  Bedeu- 
tung ich  erst  in  der  speciellen  Entwickelungsgeschichte  mich  auslassen  kann, 
und  welcher  bisher  unbekannt  war,  auch  im  Forellenembryo  in  gleicher  Aus- 
dehnung angetroffen. 


V.  Das  Oentralnervensystem. 


Historische  Uebersicht  der  bisherigen  Untersuchungen. 

In  der  speciellen  Entwickehmgsgeschichte  des  Centralnervensystems  geht 
Rusconi  von  dem  retorten  förmigen  Zustande  desselben  aus  (vgl.  Nr.  6  S.  24 
und  flg.).  Die  Cerebromedullarröhre  bestehe  dann  noch  aus  zwei  Seitenhälften, 
welche  in  der  Medianebene  zusammenstossen  ohne  ganz  mit  einander  zu  ver- 
wachsen. Die  Unibiegimgs stelle  des  Hirnes  bilde  die  Grenze  zwischen  zwei 
Anschwellungen,  aus  deren  hinterer  das  verlängerte  Mark,  aus  der  vorderen 
das  kleine  Gehirn  entstehe;  am  vordersten  Ende  des  Hirnes  bedeuten  die  seit- 
lichen Höcker  die  Anlagen  der  Geruchsorgane  (prolongements  olfactifs),  zwischen 
denen  das  Grosshirn  und  die  Lobi  optici  liegen  (Nr.  6  S.  25).  In  der  Folge 
schnüren  sich  die  Anlagen  der  Geruchsorgane  vom  Hirne  ab  und  stülpen  sich 
von  vorn  her  becherförmig  zu  den  Nasengruben  ein  (Nr.  6  S.  26,  Nr.  39  S.  59). 
Die  obere  Naht  des  Hirnes  öffne  sich  zu  einer  klaffenden  Spalte,  welche  sich 
in  den  Lobi  optici  und  dem  verlängerten  Marke  bedeutend  erweitere,  wogegen 
in  dem  soliden  Kleinhirne  sich  eine  innere  durch  die  dünne  Decke  dreieckig 
durchschimmernde  Höhle  bilde;  darunter  verwachsen  die  Ränder  des  verlän- 
gerten Markes  (Aquaeductus  Sylvii).  Während  der  deutlicheren  Absonderung 
aller  Hirntheile  ziehe  sich  das  ganze  Hirn  zurück ,  sodass  auch  die  nach  unten 
abgebogene  Hälfte  mit  dem  Rückenmarke  in  eine  Ebene  zu  liegen  komme  (Nr.G 
S.  27  —  30,  Taf.  IV  Fig.  5).  An  der  Hirnbasis  liege  hinter  den  durch  eine  Furche 
getrennten  Grosshirnhemisphären  der  Boden  des  drittenVentrikels  in  Gestalt  eines 
Dreiecks,  dessen  Spitze  nach  vorn  gerichtet  sei  und  dessen  Basis  von  den  zu- 
sammenstossenden  Sehnerven  gebildet  werde.     Daran  schliesse  sich  rückwärts 


272  V-  Das  Centralucrvensystem. 

ein  den  Corpora  candicantia  vergleichbarer  Hirntheil  mit  freiem,  in  der  Mitte 
eingeschnittenem  hinteren  Rande  (Nr.  6  S.  32).  Das  verlängerte  Mark  werde 
später  von  einem  Plexus  chorioideus  verschlossen,  dessen  hinterer  Rand  frei  sei 
(S.  33);  die  Vorderenden  der  Grosshirnhemisphären  verschmelzen  mit  einander, 
sodass  die  Seitenventrikel  dort  kommuniciren  (S.  34).  Die  Zirbel  soll  erst 
median  getheilt  sein,  dann  zwei  hintere  Stiele  und  nach  deren  Verwandlung  in 
ein  medianes  Septum  zwei  vordere  Stiele  zur  Verbindung  mit  den  Sehnerven- 
lappen  erhalten  (S.  27 — 29.  34).  —  In  der  Entwicklungsgeschichte  des  Erd- 
salamanders schliesst  sich  Rusconi  der  früher  bekämpften  Ansicht  an,  dass  der 
von  ihm  als  Kleinhirn  gedeutete  Theil  dem  Vierhügel,  und  das  Dach  seines 
Aquaeductus  Sylvii  dem  Kleinhirne  entspreche  (Nr.  39  S.  57). 

Ueber  die  weitere  Entwickelung  des  embryonalen  Hirnes  theilt  uns  v.Baek 
Folgendes  mit.  „Das  Hirn  ist  ursprünglich  noch  weniger  vom  Rückenmarke 
geschieden  als  in  den  höheren  Thieren ;  es  ist  auch  viel  weniger  übergebogen 
als  in  diesen,  doch  fehlt  die  Krümmung  keineswegs  ganz.  Durch  sie  wird  der 
Ilirnanhang  früh  nach  unten  und  hinten  gedrängt."  „Noch  ehe  die  Rücken- 
furche völlig  geschlossen  ist,  kann  man  die  vorderen  Abtheilungen  des  Hirnes 
unterscheiden;  ja  man  sieht  schon  Unebenheiten  in  der  inneren  Fläche,  welche 
zum  Theil  die  beginnenden  Ausstülpungen  der  drei  Sinnesnerven  sind.  Man 
kann  auch  hier,  obgleich  unter  veränderten  Formen,  zuerst  drei  Hauptabthei- 
lungen unterscheiden ,  die  sich  später  in  dieselben  morphologischen  Elemente  thei- 
len,  welche  wir  im  Hirne  der  mit  einem  Amnion  versehenen  Embryonen  erkannt 
haben.  Nur  erlangt  bei  den  Embryonen  der  Batrachier  keine  Abtheilung  ein 
auffallendes  Uebergewicht  über  die  andere,  wenn  auch  einige  Zeit  hindurch 
das  Mittelhirn  etwas  mehr  sich  erhebt  als  die  anderen  Theile.  Aus  diesem 
(1  runde  und  weil  das  gesammte  Hirn  gleich  Anfangs  übergebogen  war,  ist 
später,  wenn  das  Hirn  sich  gerade  stellt,  geringere  Zusammenknickung  der 
einzelnen  Abtheilungen.  Am  meisten  wird  der  Uebergang  aus  dem  Mittel- 
hirne zum  Hinterhirne  eingeknickt"  (Nr.  8  II  S.  287).  „Das  Vorderhirn  wächst 
zwar  in  späterer  Zeit  mehr  als  die  andern  und  verlängert  sich  desshalb  nach 
hinten,  allein  es  schreitet  darin  nicht  weit  vor,  und  so  kommt  es,  dass  die  Seh- 
hiigel  nicht  vollständig  von  den  Hemisphären  überdeckt,  viel  weniger  um- 
schlossen werden,  wie  in  den  Säugethieren.  Eine  mittlere  Einsenkung  ist  auch 
im  Frosche  lange  vor  dem  Auskriechen  da  und  scheidet  die  beiden  Scitenver- 
trikel".  „Das  Zwischenhirn  rcisst  auch  in  den  Batrachiern  im  vorderen  Theile 
seiner  Decke  auf,  weshalb  die  Sehhügel  entblösst  liegen,  sobald  sie  dasind. 


V.  Das  Centralnervensystcm.  273 

Der  hintere  Theil  der  Decke  erhebt  sich  um  die  Zirbeldrüse  zu  bilden."  „Doch 
erhebt  sich  die  Zirbeldrüse  in  den   Batrachiern  sehr  wenig."     „Dass  es  das 
Zwischenhirn  ist,  aus  welchem  die  Augen  sich  hervorgestülpt  haben  und  dessen 
Höhlung  nach  unten  in  den  Hirnanhang  sich  verlängert,  lässt  sich  erwarten. 
Das  Mittelhirn  (Vierhügel)  hat  während  seiner  stärkeren  Entwicklung  so  viel 
Ausdehnung  erhalten,  dass  es  sich  beim  Geradestrecken  des  Hirnes  über  den 
verengten  Uebergang  zum  Hinterhirne  (kleines  Hirn)  und  über  das  schmale 
Band,  was  das  Hinterhirn  darstellt,  hinüberneigt.''   „Das  Hinterhirn  hat  so  wie 
das  Nachhirn  keine  Decke,  sobald  die  Hirnhäute  sich  völlig  gesondert  haben." 
Nur  der  verengte  Uebergang  aus  dem  Mittelhirne  sei  vollständig  cylindrisch 
oder  ringförmig  und  bilde  daher  oben  eine  schmale  Binde  und  kaum  merkliche 
Seitenflügel.     „Zuletzt  bildet  die  Gefässhaut  hinter  dieser  Brücke  noch  das  von 
Carus  beschriebene  Blättchen,  das  wie  eine  Klappe  den  vorderen  Theil  der 
vierten  Hirnhöhle  überdeckt,  gleichsam  als  Ergänzung  des  sogenannten  Wurmes 
vom  kleinen  Hirne.     Das  Nachhirn  zeigt  ausser  einer  allgemeinen  Verstärkung 
seiner  Wände  und  einer  Verengerung  der  offenen  Höhle  wenig  Veränderungen" 
(Nr.  8  II  S.  292 — 293).  —  Die  Rückenmarks-  und  Hirnhäute  hält  v.  Baer  für 
ein  Erzeugniss  der  ursprünglichen  Nervenröhre  (Nr.  8  II  S.  103),  worin  sich  ihm 
Rathke  anschliesst  (Nr.  47  S.  102). 

Reichert  sagt  vom  röhrigen  Centralnervensystem:  „Das  Central  -  System 
der  animalischen  Nerven  verliert,  indem  die  Urhälften  sich  verdicken  und  inni- 
ger vereinigen ,  mehr  und  mehr  seine  Röhrenform ;  die  in  dem  Innern  des  Kanals 
befindlichen  Rudera  der  schwarzen  Umhüllungshaut  lassen  sich  bald  nicht  mehr 
nachweisen;  das  Rückenmark  erscheint  nun  als  cylindrischer  Strang  und  an  dem 
Gehirn  erhält  sich  die  Röhre  in  den  Ventrikeln"  (Nr.  22  S.  28—29).  Ferner 
spricht  Reichert  bisweilen  von  drei  Hirnabtheilungen,  welche  in  Fig.  13.  Taf.  II 
seines  „Entwickelungslebens"  so  gezeichnet  sind,  class  der  vordersten  „die  An- 
lagen des  Nervus  opticus",  der  zweiten  die  „Anlagen  des  Nervus  acusticus"  an- 
liegen. Die  Spitze  der  Wirbelsaite  erhalte  sich  bis  unter  den  Boden  des  dritten 
Ventrikels;  dort  aber  verkümmere  sie  später  und  bilde  sich  alsdann  zum  Hirn- 
anhange aus  (S.  30). —  Vogt  dagegen  bestreitet  dies  ausdrücklich  und  glaubt 
bei  seinem  Thiere  (Alytes  obstetricans)  die  Beobachtung  Rathke's,  dass  der  Hirn- 
anhang aus  einer  Fortsetzung  der  Mundhöhlenschleimhaut  entstehe,  bestätigen 
zu  können  (Nr.  26  S.  82.  85.  97.  98;. 

Nachdem  Remak  seine  Zweifel  dagegen  ausgesprochen,  dass  die  äussere 
braune  Zellenschicht  des  oberen  Keimblattes  in  der  Nervenröhre  zu  einem  Epi- 

Goette,  Entwickclungsgeschichte.  lö 


274  V.  Das  Centraluervensy stein. 

thel  sich  ausbilde,  besonders  da  er  „ebenso  wenig  bei  entwickelten  Larven,  wie 
bei  erwachsenen  Fröschen  in  dem  Rückenmarke  einen  Kanal  darzustellen"  ver- 
mag, fügt  er  hinzu:  „Auch  nimmt  der  schwarze  Strang,  der  nach  Schliessung 
des  Medullarrohrs  die  Axe  desselben  bildet,  so  sehr  an  Umfang  zu,  dass  mir 
seine  Betheiligimg  an  der  Bildung  der  grauen  Axensubstanz  kaum  zweifelhaft 
erscheint"  (Nr.  40  S.  149).  Ferner  erklärt  Rem ak,  dass  von  den  zwei,  dann  drei 
Hirnblasen,  deren  Anlagen  er  schon  vor  dem  Schlüsse  der  Nervenröhre  zu  erkennen 
glaubt,  die  mittlere  als  Anlage  der  Augenblase  mit  der  ersteren  zusammen  das 
Vorderhirn  bilde,  die  hintere  dritte  sich  später  in  Mittel-  und  Hinterhirn  sondert 
(S.  147).  „Indem  die  Augenblasen  sich  von  dem  Vorderhirn  abschnüren,  wird 
der  grösste  Theil  des  letzteren  verbraucht  und  dasselbe  auf  einen  sehr  kleinen 
Umfang  gebracht.  Alsdann  erweitert  es  sich  aber  wieder  nach  vorn:  dadurch 
wird  die  Verbindung  des  Augenstiels  (N.  opticus)  mit  dein  Vorderhirn  an  den 
hinteren  Rand  desselben  in  den  Bereich  einer  seichten,  schmalen  Einschnürung 
gerückt,  welche,  zwischen  Vorder-  und  Mittelhirn  eine  Brücke  bildend,  dem 
Zwischenhirn  der  höheren  Wirbelthiere  auch  deshalb  vergleichbar  ist,  weil 
später  an  ihrer  Decke  ein  Analogon  der  Zirbel  erscheint.  Diese  scheinbare 
Wanderung  des  Stiels  der  Augenblase  hat  zur  Folge,  dass  der  Stiel  schliesslich 
mit  dem  Mittolhirue  verbunden  und  die  Augenblase  wie  ein  Auswuchs  desselben 
erscheint."  „Von  dem  Vorderhirn  schnürt  sich  der  Lobus  olfactorius  ab,  an 
dessen  vorderem  Rande  als  Ausgangspunkt  des  N.  olfactorius  sich  bei  der  Larve 
noch  eine  kleine  Anschwellung  zeigt"  (S.  148). 

W.  Müller  hat  die  Entwickelung  des  Hirnanhangs  von  Rana  temporaria 
ausführlich  beschrieben  (Nr.  74  S.  367  -  374).  Danach  entstände  derselbe  aus 
einer  taschenförmigen  Ausstülpung  des  Schlundepithels,  welche  gerade  unterhalb 
der  Chordaspitze  entstände  und  anfangs  mit  der  Mundhöhle  durch  eine  weite 
Oeffhung  kommunicire  (S.  36!»)-,  später  werde  diese  Mündung  verengt  und  durch 
eine  Lage  spindelförmiger  Zellen,  welche  von  der  Chordaspitze  bis  hinter  das 
Zwischenhirn  sich  hinziehe,  die  ganze  taschenförmige  Anlage  des  Hirnanhangs 
von  ihrem  Mutterboden ,  dem  Schlundepithel,  vollständig  getrennt  (S.  371). 
Darauf  verschwinde  ihre  flache  Höhle  und  eine  unterdess  entstandene  bindege- 
webige Kapsel  entsende  Scheidewände  in  das  Innere,  „welche  die  daselbst  be- 
titu Hieben  Epithelzellen  in  eine  Anzahl  kugeliger  und  eylindriseher  Häufchen 
schieden"  (S.  373).  Der  oberste  Abschnitt  trenne  sich  vollständig  von  der  übrigen 
Hauptmasse. 


V.  Das  Centralnervensy  stein.  275 


1.  Das  Rückenmark. 

Ich  beschrieb  das  Centralnervensysteui  zuletzt  als  ein  retortenförmiges 
Gebilde,  dessen  vorderes,  nach  unten  abgebogenes  Ende  sich  abwärts  stetig 
verbreitert  (Taf.  II  Fig.  37.  38).  Die  Grenze  von  Hirn  und  Rückenmark  lässt 
sich  nicht  bestimmt  angeben,  doch  kann  man  sie  ohne  wesentlichen  Fehler 
hinter  dem  vierten  Kopfsegmente  annehmen.  Die  Rückenmarksröhre  erscheint 
nach  ihrer  vollständigen  Ablösung  von  der  Oberhautanlage  ohngefähr  cylindrisch, 
alier  von  den  Seiten  etwas  zusammengedrückt.  Ihre  Seitentheile  sind  dicker 
als  das  obere  und  das  untere  Verbindungsstück  und  verengen  den  Centralkanal 
in  der  Mitte  seiner  Höhe,  so  dass  seine  Lichtung  bisquitförmig  erscheint 
(Taf.  VII  Fig.  136  —  139).  Gegen  den  Kopf  hin  erweitert  sich  die  obere  Hälfte 
des  Rückenmarkes  zum  Uebergange  in  die  gewölbte  Decke  des  Hinterhirns. 
Rückwärts  aber  wird  sie  schmäler,  fast  in  eine  Kante  zusammengedrückt,  wobei 
der  von  ihr  umschlossene  obere  Theil  des  Centralkanals  durch  die  Berührung 
und  Verschmelzung  der  Seitenwände  endlich  ganz  verschwindet,  sodass 
der  ganze  Kanal  auf  ein  kleineres  und  tiefer  gelegenes  Lumen  reducirt  wird 
{Taf.  XIII,  Taf.  XI  Fig.  197).  Mit  der  zunehmenden  Länge  des  Schwanzes 
wird  der  in  demselben  befindliche  Abschnitt  des  Rückenmarkes  immer  dünner 
ausgezogen,  sodass  das  ganze  Organ  zuletzt  in  eine  rundliche  oder  kegelförmige 
Spitze  ausläuft  (Taf.  XII  Fig.  213,  Taf.  XIX  Fig.  343).  Bei  der  Atrophie  des 
Schwanzes  während  der  Larvenmetamorphose  wird  offenbar  auch  das  Rücken- 
marksende verkürzt;  die  spätere  Zusammenziehung  des  ganzen  Rückenmarkes 
innerhalb  des  Wirbelkanals  scheint  mir  aber  bloss  eine  relative  zu  sein ,  indem 
das  Wachsthum  desselben  hinter  demjenigen  des  ganzen  Thieres  und  der  Wirbel- 
säule zurückbleibt.  Damit  glaube  ich  die  äussere  Formveränderung  des  Rücken- 
markes erschöpft  zu  haben  und  wende  mich  jetzt  zu  dessen  histologischen  Ent- 
wickelungsvorgängen,  welche  ich  zum  Theil  schon  in  meinem  Aufsatze  (Nr.  64 
S.  06  —  97)  erwähnte.  Die  Embryonalzellen,  aus  denen  das  Centralnerven- 
system  zusammengesetzt  ist,  stammen  von  beiden  Schichten  des  oberen  Keim- 
blattes; doch  erhält  sich  die  frühere  vollständige  Sonderung  derselben  im  Cen- 
tralnervensystem  nur  andeutungsweise,  indem  die  den  Centralkanal  auskleiden- 
den Zellen  allerdings  durch  eine  gestrecktere  Gestalt  vor  den  übrigen  ausge- 
zeichnet sind,  aber  beide  Formen  ohne  eine  bestimmte  Grenze  in  einander 
übergehen  (Taf.  VIII  Fig.  155).    Desshalb  lässt  sieh  bei  dem  ferneren  Wach s- 

18* 


27G  V.  Das  Centralnervensystem. 

thume  des  Orgaus  auch  nicht  mehr  bestimmen,  ob  die  Auskleidung  des  Central- 
kanals  ausschliesslich  nur  von  der  Deckschicht  des  Keimblattes  abstamme. 
Alle  Zellen  des  Centralnervensystems  erscheinen  gleich  anfangs  etwas  länglich, 
sodass  ihre  Längenaxen  senkrecht  zur  Innenfläche  gerichtet  sind.  Während 
nun  die  grosse  Masse  der  Zellen  zunächst  unverändert  bleibt,  erfährt  ein  kleiner 
Theil  derselben  schon  auf  der  durch  die  Fig.  231 — 245  (Taf. XIII)  dargestellten 
Entwickelungsstufe  des  Embryo  eine  bemerkenswerthe  Umwandlung.  Dies  be- 
trifft eine  dünne  Schicht  an  der  Aussenfläche  der  dicken  Seitentheile  des  Rücken- 
markes, welche  abwärts  bis  zur  Bauchfläche  des  Organes  reicht,  aufwärts  aber 
unterhalb  der  oberen  Seite  zusgeschärft  ausläuft  (Taf.  VIII  Fig.  155).  In  dieser 
Schicht  lösen  sich  die  Dottertäfelchen,  mit  denen  die  übrigen  Embryonalzellen 
noch  vollgepfropft  sind ,  auf,  indem  sie  zuerst  in  Körner  zerfallen ,  welche  als- 
dann in  einer  wasserklaren  Substanz  aufgehen.  Dieser  Auflösungsprocess  be- 
ginnt offenbar  im  Innern  jeder  Zelle  und  schreitet  dann  zur  Peripherie  fort; 
denn  die  Zellengrenzen  bleiben  anfangs  noch  sichtbar  und  erscheinen  wie  Scheide- 
wände, welche  die  klare  Substanz  durchziehen.  Bald  schwinden  aber  auch 
diese  und  nur  an  der  Oberfläche  der  ganzen  umgebildeten  Schicht  zeigt  sich  ein 
zusammenhängendes  äusserst  zartes  Häutchen,  welches  früher  jedenfalls  nicht 
bestand,  also  ebensowenig  wie  jene  Scheidewände  auf  wirkliche  Zellenmem- 
branen  zurückgeführt  werden  darf  {Taf.  XI  Fig.  197. 198).  Ferner  ist  "es  leicht 
zu  erkennen,  dass  jene  Auflösung  nicht  die  ganzen  Zellen  betrifft,  welche  die 
bezeichnete  Aussenfläche  des  Rückenmarks  bilden,  sondern  nur  in  ihrer  nach 
aussen  gelegenen  Hälfte  erfolgt,  während  in  der  innern  Hälfte  der  Kern  und 
die  übrige  noch  unveränderte  Dottersubstanz  sichtbar  sind.  An  der  Grenze 
beider  Theile  finde  ich  gleich  im  Anfange  eine  dünne  Schicht  scheinbar  fein- 
körniger Masse,  welche  sich  aber  allmählich  auf  Kosten  der  klaren  Substanz 
ausbreitet,  worauf  man  an  Längsschnitten  erkennt,  dass  das  punktirte  Aussehen 
des  Querdurchschnitts  jener  Schicht  nicht  von  Körnern  herrühre,  sondern  von 
den  Durchschnitten  feiner  etwas  wellig  verlaufender  Fasern  (Taf.  VIII 
Fig.  156).  Dieses  Aussehen  bleibt  bis  nach  der  Metamorphose  der  Larven 
bestehen,  sodass  ich  keine  Veranlassung  fand,  die  weitere  Entwickelung 
jener  feingefaserten  Schicht  für  diese  Arbeit  zu  untersuchen.  Dass  dieselbe 
aber  der  sogenannten  weissen  Masse  des  vollkommen  entwickelten  Rückenmarkes 
entspricht,  die  Fasern  also  zu  Nervenfasern  werden,  darf  wohl  als  unzweifelhaft 
betrachtet  werden;  insbesondere  wenn  man  die  noch  zu  erwähnenden  Verände- 
rungen der  innern  Zellen  oder  der  Anlage  der  grauen  Masse  berücksichtigt. 


V.  Das  Centralnervensystem.  277 

Iiis  zu  dem  Zeitpunkte,  wann  mit  einer  wirklichen  Ernährung  auch  die  Zu- 
fuhr neuen  Bildungsstoffes  in  allen  Körpertheilen  eintritt,    nimmt  die  weisse 
Masse  nur  sehr  massig  zu  und  zwar  ausschliesslich  dadurch,  dass  die  geschil- 
derte Umbildung  sowohl  in  den  einzelnen  Zellen  weiter  um  sich  greift,  als  auch 
über  einen  grössern  Theil  der  Peripherie  bis  gegen  die  Medianebene  hin  sich 
erstreckt.     Dabei  muss  ich  ausdrücklich  hervorheben,  dass  mir  zu  keiner  Zeit 
der  Nachweis  gelungen  ist,  dass  auch  die  inneren  Theile  der  Rindenzellen  mit 
ihren  Kernen  nachträglich  in  die  Bildung  der  Fasermasse  des  Rückenmarks 
hineingezogen  würden-,  dagegen  sehe  ich  die  letztere  sehr  bald  gegen  jene  die 
Kerne  einschliessenden  Zellentheile  sich  deutlich  absondern,    wodurch   diese 
sich  zu  selbstständigen  Zellen  ab-  und  der  grauen  Masse  anschliessen  (Taf.  XI 
Fig.  197.198).  —  Andern  das  ganze  Rückenmark  einhüllenden  Häufchen  habe  ich 
eine  besondere  Textur  nicht  erkennen  können  und  da  die  Gefässe  erst  ausserhalb 
desselben  entstehen,  so  kann  es  nicht  für  die  Pia  mater  gehalten  werden,  sondern 
nur  für  eineCuticula,  welche  dieGefässhaut  mit  dem  Rückenmarke  verbindet  und 
später  schwindet  oder  unkenntlich  wird.    Ihre  Bedeutung  wird  aber  durch  Fol- 
gendes beleuchtet.     Wenn  man  das  Rückenmark ,  nachdem  seine  weisse  Masse 
angelegt  worden,   auf  Durchschnitten  gehärteter  Larven  untersucht,  so  findet 
man  jene  Cuticula  bald  der  Fasermasse  dicht  anliegend,  bald  von  derselben  ab- 
stehend; und  da  in  dem  häufigeren  letztern  Falle  die  etwa  schon  vorhandenen 
Nervenwurzeln  vom  Rückenmarke  abgerissen  erscheinen,  so  halte  ich  jene  Ab- 
lösung der  Cuticula  für  eine  Folge  der  stärkeren  Zusammenziehimg  der  eigent- 
lichen Rückenmarkssubstanz  gegenüber  ihrer  Hülle  (Taf.  IX  Fig.  172.  179, 
Taf.  XI  Fig.  197.  198).    Diese  künstliche  Veränderung  lässt  nun  eine  Erschei- 
nung wahrnehmen ,  welche  unter  normalen  Verhältnissen  verborgen  bleibt.  Die 
abgelöste  Cuticula  bleibt  nämlich  mit  der  Fasermasse  des  Rückenmarks  durch 
Substanzbrücken  in  Verbindung,  welche  anfangs  wenig  zahlreich,  später  sich 
bedeutend  vermehren.    Auf  Querdurchschnitten  erscheinen  sie  wie  zarte  Fädchen ; 
Frontalschnitte  lehren  aber,   dass  es  mehr  oder  weniger  ausgedehnte  Blätter 
sein  müssen  (Taf.  VIII  Fig.  156).     Wenn  sie  auch  gleich  auf  den  ersten  Blick 
an  die  frühern  Zellengrenzen  erinnern,   so  scheint  mir  ihr  übriges  Verhalten 
doch  die  Möglichkeit  auszuschliessen,  dass  es  die  vorher  ganz  bestimmt  ver- 
missten   Zellmembranen   seien;    denn   durch  längere  Zeit  erscheinen  sie  nur 
als  Brücken  zwischen  der  Cuticula  und  der  weissen  Fasermasse  und  treten  aus 
der  letzteren  ganz  deutlich  mit  breiterer  Basis  hervor,  alles  Merkmale,  welche 
zu   ihrer   Deutung  als    Zellmembranen  nicht  passen,    obgleich  die  früheren 


278  V.  Das  Centralnervensy  stein. 

Zellen  leicht  die  Veranlassung  zur  Bildung  dieser  ersten  Verbindung  zwischen 
dem  Rückenmarke  und  seiner  Hülle  gegeben  haben  mögen.  Später  vermehren 
sich  diese  Verbindungen  nicht  nur,  sondern  gehen  in  membranartige  Bildungen 
über,  welche  zwischen  die  Fasern  der  weissen  Masse  mehr  oder  weniger  tief  ein- 
dringen, und  so  ein  Fachwerk  vun  zarten  Scheidewänden  bilden,  welches  mit- 
sanimt  der  schon  beschriebenen  Rückenmarkshülle,  als  deren  Furtsetzung  es 
erscheint,  in  seiner  physiologischen  Bedeutung  neben  das  übrige  Bindegewebe 
gestellt  zu  werden  verdient,  aber  nach  seiner  Entstehung  aus  offenbar  peripheri- 
schen Theilen  der  für  das  Nervensystem  bestimmten  Zellen  vielmehr  zu  den  Kuti- 
kularbildungen  gehört,  welche  ich  in  einem  folgenden  Abschnitte  an  den  Ele- 
menten des  peripherischen  Nervensystems  beschreiben  werde.  Als  scheidende, 
umhüllende  Zwischensubstanz  können  aber  diese  und  alle  ähnlichen  Kutikularbil- 
dungen  mit  allen  den  auch  nicht  membranösen  Zwischen-  und  Grundsubstanzen 
zusammengefasst  werden,  welche  sich  von  den  Zellen  absondern,  die  für  die  ein- 
zelnen besondern  Anlagen  bestimmt  sind,  wie  ich  eine  solche  Substanz  gleich  bei 
der  grauen  Rückenmarksmasse  anführen  werde.  Und  wenn  die  Spalten,  welche 
in  der  Medianebene  oben  und  unten  die  Rückenmarkshälften  scheiden,  später  auch 
ausser  den  Gefässen  wirkliches,  von  aussen  eingewachsenes  Bindegewebe  enthalten 
mögen,  so  sind  es  doch  anfangs  nur  Stellen,  wo  jenebindegewebsartige  Zwischen- 
substanz des  Centralnervensystems,  insbesondere  seiner  weissen  Masse  sich 
stärker  entwickelte  und  dadurch  die  dickeren  Scheidewände  bildete.  —  Auf  die 
Bildung  der  Gefässe  innerhalb  des  Rückenmarkes  will  ich  aber  erst  später  bei 
Gelegenheit  der  allgemeinen  Gefässentwickelung  eingehen. 

Hinsichtlich  der  grauen  Rückenmarksmasse  bemerkte  ich  bereits ,  dass  die 
Embryonalzellen,  welche  sie  zusammensetzen,  längere  Zeit  unverändert  bleiben 
{Taf.  VIII  Fig.  155) ;  erst  dann  ohngefähr,  wenn  die  äusseren  Kiemen  bereits 
gefranst  erscheinen,  beginnt  auch  in  jenen  Zellen  ein  Umbildungsprocess,  welcher 
wesentlich  die  Zellenlciber,  also  die  Dottersubstanz,  betrifft  {Taf.  VIII  Fig.  150', 
Taf.  XI  Fig.  197 — 19S).  Während  nämlich  die  Dottertäfelchen  derselben  sich 
vermindern,  erscheinen  neben  ihnen  grössere  und  kleinere,  helle,  klare  Kugeln, 
welche  ich,  da  sie  in  sehr  verschiedenen  Embryonalanlagen  im  Beginn  der  histiolo- 
gischenEntwickelung  vorkommen,  schlechtweg  Umbildungskugeln  nennen  werde. 
Zuerst  sieht  man  sie  innerhalb  noch  ziemlich  unveränderter  Dottersubstanz  liegen, 
dann  in  einem  zarten  Protoplasma,  welches  aber  noch  mehr  oder  weniger  mit 
Dottersubstanz  gemischt  ist.   Endlich  wird  die  letztere  ganz  verdrängt  und  bald 


V.  Das  Centralnervensystem.  279 

darauf  verschwinden  auch  die  Umbildungskugeln ,  womit  die  Verwandlung  der 
Dottersubstanz  in  reifes  Protoplasma  beendet  ist.     Diese  Reihenfolge  der  Er- 
scheinungen erlaubt  den  Schluss  zu  ziehen,   dass  die  Umbildungskugeln  die 
Uebergangsform  bei  jener  Verwandlung  darstellen,   also  in  jeder  Zelle  in  meh- 
reren Serien  vorkommen,  indem  die  zuerst  entstandenen  bereits  in  Protoplasma 
verwandelt  sind,  ehe  die  folgenden  auf  Kosten  des  noch  unveränderten  Dotter- 
restes sich  entwickeln.     Diese  Umbildung  beginnt  an  der  Grenze  der  weissen 
Masse  und  setzt  sich  centripetal  gegen  den  Centralkanal  des  Rückenmarkes 
fort.     In  derselben  Ordnung  tritt  eine  Begleiterscheinung  jenes  Umbildungs- 
processes  auf,  nämlich  die  Verschmelzung  der  Zellenleiber  mit  einander  und 
der  daraus  folgende  Schwund  ihrer  Grenzen.    Die  verschmolzenen  Zellenleiber 
bilden  nun  eine  zusammenhängende,  noch  von  Dotterkörnern  durchsetzte  Grund- 
substanz, in  welcher  ein  Theil  der  Kerne  eingebettet,  die  Mehrzahl  derselben 
aber  von  einer  hellen  dotterfreien  Protoplasmazone  umgeben  erscheint,   sodass 
man  darin  die  Umrisse  der  ursprünglichen  Embryonalzellen  zu  erkennen  glaubt. 
Vergleicht  man  aber  die  in  den  Fig.  155,  156, 197  und  198  dargestellten  Entwicke- 
lungsstadien,  welche  der  Zeit  nach  sehr  wenig  unterschieden,  alle  der  Periode 
angehören,  in  welcher  die  Gefässe  des  Centralnervensystems  noch  gar  nicht  an- 
gelegt sind,  so  wird  man  jene  hellen  Zellenkörper,   welche  nur  noch  dicht  am 
Kerne  einige  trübe  Stellen  enthalten,  bloss  auf  die  Centraltheile  der  früheren 
Embryonalzellen  beziehen  und  die  sie  umgebende  Zwischensubstanz  auf  die 
peripherischen  Theile  derselben  zurückführen.    Einen  wesentlichen  Unterschied 
zwischen  den  Zellen,  welche  den  Centralkanal  des  Rückenmarkes  auskleiden 
und  den  nach  aussen  davon  gelegenen  habe  ich  nicht  erkennen  können;  um- 
bilden sich  die  ersteren,  wie  schon  bemerkt,  später  um,  als  die  andern,  bleiben 
länglich  und  entwickeln  nur  eine  spärliche  Zwischensubstanz.     Dieses  letztere 
mag  damit  zusammenhängen,  dass  sie  sich  stärker  vermehren,  wobei  die  Kern- 
masse  auf  Kosten    der  Zellenleiber  zunimmt,  diese  also  bedeutend  reducirt 
werden,    sodass  die  nach  einiger  Zeit   nur   in  Fortsätzen  bestehen,    welche 
in  wechselnder  Gestalt  einseitig  oder  bipolar  von  den  Kernen  ausgehen  (Taf.  VIII 
Fig.  157).     Jedenfalls  liegen  die  in  Rede  stehenden  Zellen  gedrängter  als  die 
übrigen  und  bilden  dadurch  eine  dunkele  Zone  um  den  Centralkanal ,  ohne  je- 
doch von  der  übrigen  grauen  Masse  in  einer  fortlaufenden  Linie  abgegrenzt  zu 
sein  {Taf.  IX  Fig.  172).     Alle  diese  Umstände  scheinen  mir  die  Bezeichnung 
jener  den  Centralkanal  auskleidenden  Zellenschicht  als   wirkliches  Epithel 
wenigstens  soweit  ich  dieselbe  untersucht  habe,  d.  h.  bis  zum  Ende  der  Larven- 


280  V.  Das  Centralnervensy stem. 

metamorphose ,  nicht  genügend  zu  begründen.  Bis  zu  demselben  Zeitpunkte 
vermochte  icli  eine  Entwickelimg  der  beschriebenen  Zellen  der  grauen  Masse 
zu  Ganglienzellen  ebensowenig  zu  erkennen  wie  die  Ausbildung  der  Nerven- 
fasern ,  und  verweise  daher  für  diesen  Abschluss  der  Entwickelimg  der  Nerven- 
elemente auf  das  peripherische  Nervensystem.  Immerhin  kann  ich  schon  hier 
als  allgemeinstes  Resultat  der  Histiogenese  des  Centralnervensystems  aus- 
sprechen, dass  die  fertigen  Nervenelemente  desselben  nicht  aus  den  ganzen 
Embryonalzellen  hervorgehen,  sondern  die  Nervenfasern  nur  aus  Theilen  der 
Zellenleiber,  die  Ganglienzellen  aus  solchen  und  den  zugehörigen  Kernen,  endlich 
die  bindegewebsartige  Grund-  oder  Zwischensubstanz  aus  beiderlei  Substraten. 

2.  Das  Hirn. 

Es  ist  die  unmittelbare  Fortsetzung  der  Rückenmarksröhre  im  Kopftheile 
dos  Embryo.  Die  Erscheinung ,  welche  an  der  eben  geschlossenen  Hirnröhre 
zuerst  in  die  Augen  fällt ,  ist  ihre  rechtwinkelige  Knickung ,  welche  mit  der 
gleichen  Erscheinung  am  ganzen  Rückentheile  des  Kopfes  zusammenfällt.  In- 
dem von  der  Knickungsstelle  der  Hirnbasis  eine  anfangs  seichte  Einschnürung 
senkrecht  zur  oberen  Seite  aufsteigt,  welche  alsbald  in  Folge  der  Aufblähung 
der  davor  und  dahinter  gelegenen  Hirntheile  sich  vertieft  und  verengt,  so  ist 
dadurch  schon  sehr  früh  und  vor  dem  Erscheinen  anderer  Sonderungen  eine 
offenbar  aus  der  Knickung  hervorgegangene  Zweitheilung  des  Hirns  gegeben, 
welche  sich  dauernd  erhält  und  desshalb  gestattet,  die  beiden  Hirnhälften  ge- 
trennt zu  betrachten  (Taf.  II  Fig.  38,  Taf.  XVI  Fig.  292).  Bevor  ich  an  die 
besondere  Beschreibung  gehe,  will  ich  zur  besseren  Orientirung  einige  allgemeine 
Bezeichnungen  für  die  Theile  der  Hirnröhre  feststellen.  Wenn  für  das  Rücken- 
mark die  Unterscheidung  der  dicken  Seitenhälften  von  den  dünneren  Verbin- 
dungsstücken natürlich  und  ausreichend  erscheint,  so  passt  sie  für  das  Hirn 
nicht  in  gleichem  Masse,  da  die  morphologischen  Umbildungen  desselben,  wie 
sie  sich  der  sondernden  Beobachtung  darbieten,  nicht  durchweg  nach  jenen 
Theilen  sich  scheiden,  sondern  vielmehr  nach  einem  oberen,  mittleren  und  un- 
teren Abschnitte"  so  dass  der  erste  die  Decke  oder  das  Gewölbe  der  Hirnröhre, 
der  zweite  ihre  eigentlichen  Seitentheile  und  der  dritte  ihren  Basaltheil  umfasst, 
während  die  seitlichen  Verdickungen  bald  mehr,  bald  weniger  in  die  Wölbung 
und  die  Basis  hineinreichen.  Ferner  muss  ich  ganz  besonders  für  das  Hirn  darauf 
aufmerksam  machen,  dass  die  embryologische  Untersuchung  an  die  herkömm- 
lichen Auffassungen  der  Anatomie,  wenn  sie  auch  noch  so  allgemein  anerkannt 


V.  Das  Centralnervensystem  281 

wären,  sich  nicht  binden  kann,  sobald  dieselben  den  ihrigen  widerstreiten.  Dies 
ist  aber  der  Fall  bei  den  Lagebestimmimgen  des  embryonalen  Hirns ;  man  muss, 
um  Miss  Verständnisse  zu  vermeiden,  stets  die  Benennungen  wie  sie  ursprünglich 
den  verschiedenen  Seiten  des  embryonalen  Gehirns  zukommen,  von  den  späteren 
anatomischen  unterscheiden,  da  die  beiderseits  gleichlautenden,  wie  sich  aus 
dem  Folgenden  ergeben  wird,  durchaus  nicht  die  gleiche  Bedeutung  haben.  Dies 
bezieht  sich  gerade  auf  die  vordere  Hirnhälfte,  zu  welcher  ich  mich  jetzt  wende. 
Da  die  Einschnürung  zwischen  den  beiden  Hirnhälften  von  der  Knickung 
der  Hirnbasis  senkrecht  aufsteigt,  so  erhellt,  dass  die  hintere  Hälfte  an  der 
Beugung  keinen  Antheil  hat,  sondern  diese  ganz  in  den  Bereich  der  vorderen 
Hirnhälfte  fällt.  Daraus  aber,  dass  die  Knickung  der  allgemeinen  Hirnbasis 
eine  rechtwinkelige  ist,  ergibt  sich,  dass  die  Basis  der  vordem  Hirnhälfte  in 
einer  senkrechten  Ebene  liegt,  während  die  Seitentheile  beim  Uebergange  aus 
der  horizontalen  hintern  Hälfte  in  die  senkrecht  gestellte  vordere  einen  kürzeren, 
das  Hirndach  endlich  einen  grösseren  Bogen  beschreiben.*  Das  letztere  um- 
fasst  also  die  anatomische  Ober-  und  Vorderseite,  der  Basaltheil  die  senkrechte 
Hinterwand  der  vorderen  Hirnröhre  des  Embryo,  während  die  anatomische 
Grundfläche  eigentlich  den  vorderen  Abschluss  darstellt.  Um  die  besondern 
Umbildungen  der  vorderen  Hirnhälfte  richtig  zu  würdigen,  muss  man  zurück- 
greifen bis  in  die  Zeit,  wo  dasselbe  und  zwar  später  als  das  Rückenmark  und 
hintere  Hirn  in  der  Schliessung  begriffen  ist ;  dann  zeigt  es  nämlich  schon  die 
ersten  Spuren  späterer  Sonderungen.  Der  allgemeinste  Unterschied  von  der 
hinteren  Hälfte  ist  die  Verbreiterung  der  Röhre,  welche  von  der  Beugung  bis 
zum  Vorderende  stetig  zunimmt  und  bei  einem  senkrechten  Querdurchschnitte, 
welcher  also  der  embryonalen  Hirnbasis  parallel  verläuft,  einen  ohngefähr  drei- 
eckigen Umriss  und  eine  gleiche  Lichtung  des  Hirns  zur  Ansicht  bringt 
(Taf.  V  Fig.  88.  89).  Nach  kurzer  Zeit  bemerkt  man  in  der  Mitte  jedes  Seiten- 
theils  eine  leichte  Einsenkung,  welche  etwas  schräg  abwärts  gegen  dieKnickungs- 
stelle  der  allgemeinen  Hirnbasis  ausläuft  und  die  Grenze  bildet  zwischen  den 


*  Wollte  man  also  den  Verlauf  der  vorderen  Hirnröhre  an  Querdurchschnitten  studiren, 
welche  rechtwinkelig  auf  der  Hirnaxe  ständen ,  so  müssten  dieselben  im  Bereiche  der  Beu- 
gung ,  während  sie  von  der  senkrechten  Lage  in  die  horizontale  übergingen ,  radiär  in  der 
Knickuugsstelle  der  Basis  zusammenlaufen.  Dass  aber  die  Ausführung  solcher  fortlaufen- 
der Schnitte  an  unseren  kleinen  Objekten  unmöglich  ist,  brauche  ich  kaum  zu  erwähnen; 
andererseits  glaube  ich,  dass  die  Kombination  der  in  drei  Richtungen  ausgeführten  Durch- 
schnitte ausreicht,  um  sich  ein  plastisches  Bild  von  den  wechselnden  Zuständen  der  Hirn- 
röhre auch  im  Bereiche  der  Beugung  machen  zu  können. 


232  V.  Das  Centrälnervensystem. 

Anlagen  des  davor  liegenden  Vorderhirns  und  des  rückwärts  sich  daran 
schliessenden  Mittelhirns  {Taf.  VII  Fig.  127. 128,  Taf.  XIII  Fig.  224.  231, 
'Inf.  XIV  Fig.  240).  Da  nun  jene  Einsenkung  mit  der  Einschnürung,  welche 
beide  Hirnhälften  scheidet,  ab-  und  rückwärts  konvergirt,  so  muss  man  sich 
das  Mittelhirn  als  ein  keilförmiges  Verbindungsstück  zwischen  dem  senkrecht 
gestellten  Vorderhirn  und  der  horizontalen  hintern  Hirnhälfte  oder  dem  Hinter- 
hirn vorstellen;  es  umfasst  also  das  Mittelhirn  die  eigentliche  Hirnbeuge  und 
besitzt  ein  nicht  nur  in  der  Querrichtung  sondern  auch  in  der  Medianebene 
konvexes  Dach,  entsprechend  kürzere  Seitentheile  und  genau  genommen  noch 
keine  Grundfläche ,  da  die  vordere  und  hintere  Grenze  in  der  Knickungsstelle 
der  allgemeinen  Hirnbasis  zusammenlaufen  {Taf.  VIII  Fig.  142).  Erst  in 
späterer  Zeit  weitet  sich  der  scharfe  Winkel,  welchen  die  letztere  bildet,  zu  einer 
Falte  aus,  deren  Grund  die  schmale  Basis  des  Mittelhirns  liefert  {Taf.  XV 
Fig.  283.  284).  Die  übrige  Bildung  desselben  in  der  embryonalen  Periode  ist 
sehr  einfach :  die  einzelnen  Höhenabschnitte  sind  noch  nicht  zu  unterscheiden, 
sondern  der  Querdurchschnitt  entspricht  durchaus  demjenigen  des  vordem 
Rückenmarks  mit  einer  weiteren  oberen  und  einer  schmäleren  unteren 
Hälfte  {Taf.  V  Fig.  127—129,  Taf  XIII  Fig.  231.  232,  Taf.  XIV  Fig.  257, 
Taf.  XV  Fig.  270).  Die  Grenzen  gegen  das  Hinter-  und  Vorderhirn  werden 
am  Hirndache  allmählich  immer  bestimmter,  aber  nicht  in  gleichem  Grade 
an  den  Seiten  und  den  Basaltheilen ,  wo  sie  schwach  ausgeprägt  bleiben.  — 
Grössere  Veränderungen  als  am  Mittelhirne  findet  man  in  derselben  Zeit  am 
Vorderhirne.  Es  ist,  wie  erwähnt,  senkrecht  gestellt,  erinnert  aber  insofern 
an  das  Mittelhirn,  als  sein  Dach  wegen  der  schrägen  Grenze  gegen  jenes 
ebenfalls  länger  ist,  als  seine  embryonale  Grundfläche.  Es  ist  gleich  anfangs 
von  seiner  hinteren  Grenze  an  in  allen  Theilen  breiter  als  das  Mittelhirn  und 
man  kann  sagen,  dass  eben  diese  Verbreiterung  die  Grenzscheide  gegen 
das  letztere  schaffe  {Taf.  VI  Fig.  09  —  101).  Dagegen  liegen  die  Decke 
und  die  embryonale  Grundfläche  des  Vorderhirns  einander  ebenso  nahe, 
sodass  es  von  vorn  abgeplattet  aussieht.  Die  Wand  ist  zuerst  eigentlich 
überall  gleich  dick;  die  Lichtung  erscheint  aber  schon  sehr  früh,  nicht 
nur  in  seitliche  Zipfel  ausgezogen,  sondern  auch  gegen  die  embryonale 
Grundfläche  und  das  Hirndach  ausgebogen  {Taf.  VI  Fig.  100,  Taf.  VII 
Fig.  122.  123,  Taf.  XIV  Fig.  247.  251).  Dadurch  wird  eben  der  Grund  zu 
der  Ausbildung  eines  Gewölbes  und  Basaltheiles  und  zweier  Mittel- oder  Seiten- 
theile gelegt ,  welche  alsbald  deutlich  hervortreten;  die  nächste  Sonderung  be- 


V.  Das  Centralnervensystem.  283 

trifft  die  letzteren.  Von  üben,  vorne  und  hinten  werden  nämlich  die  abgerun- 
deten Ecken,  in  welche  sie  abwärts  auslaufen,  allmählich  abgeschnürt  und  ver- 
wandeln sich  dann  in  die  Augenblasen,  welche  an  der  Grenze  der  embryonalen 
Schlussseite  (anatomische  Grundfläche)  des  Vorderhirns  durch  hohle  Stiele,  die 
Sehnerven,  mit  demselben  in  Verbindung  bleiben.  In  dem  Masse  aber  als 
dessen  Seitentheile  durch  die  Abschnürung  der  Augenblasen  frei  werden,  nähern 
sie  sich  einander,  zieht  sich  also  der  Mitteltheil  des  Vorderhirns  zusammen, 
während  der  Gewölbe-  und  der  Basaltheil  nach  entgegengesetzten  Richtungen  als 
stumpfe  Vorsprünge  hervor  treten.  Die  Lichtung  der  Querdurchschnitte  ver- 
wandelt sich  daher  entsprechend  aus  der  quergezogenen  in  die  aufrecht  stehende 
Form,  welche  ebenso  wie  das  äussere  Relief  des  Vorderhirns  eine  Dreitheilung 
andeutet ,  indem  der  mittlere  Theil  mit  den  in  die  hohlen  Sehnerven  ausgezo- 
genen Zipfeln  sich  von  den  in  das  Gewölbe  und  die  Basis  hineinreichenden  Enden 
unterscheidet.  Die  beschriebene  Umbildung  des  Vorderhirns  erfolgt  nicht 
gleichmässig  in  seinem  ganzen  Verlauf;  vielmehr  ist  die  Vorwölbühg  der  Decke 
und  des  Bodens  im  hintern  (oberen)  Abschnitte  viel  schwächer,  als  im  vorderen 
und  ich  werde  gleich  zeigen,  dass  dieser  Unterschied  weitere,  bedeutendere 
Folgen  nach  sich  zieht.  Was  nun  noch  die  Hirnwand  in  dieser  ersten  Periode 
betrifft,  so  werden  die  Seitentheile  sehr  bald  dicker  als  die  medianen  Theile  des 
Gewölbes  und  des  Basaltheiles;  auch  beim  Uebergange  in  die  Schlussseite  oder 
anatomische  Basis  verdünnen  sich  die  Seitentheile  im  allgemeinen  (Taf.  XIII, 
XIV). —  Noch  ist  hier  endlich  eine  Bildung  zu  erwähnen,  welche  anfangs  als 
unzweifelhafter  Hirntheil  erscheint,  aber  in  Folge  ihres  späteren  Verhaltens 
von  den  Anatomen  mehr  als  Nebenorgan,  denn  als  integrirender  Theil  des  Hirns, 
betrachtet  wird,  —  ich  meine  die  Z  i  r b  el.  Sie  entsteht  an  der  Decke  des  Vorder- 
hirns  etwas  unterhalb  der  Grenze  des  Mittelhirns.  Nach  dem  Schlüsse  der  Hirn- 
röhre blieb  nämlich  dieselbe  an  jener  Stelle  mit  der  Oberhautim  Zusammenbange, 
sodass  eine  kurze  Brücke  zwischen  beiden  ausgezogen  wurde  (Taf.  VI  Fig.  105). 
Indem  diese  Brücke  ihre  breite  Basis  am  Hirndache  behält,  dagegen  an  der 
Berührungsstelle  mit  der  Oberhaut  sich  verdünnt,  erscheint  sie  als  ein  an  der 
Oberhaut  hängengebliebener  Zipfel  des  Hirns;  alsbald  dringt  auch  eine  Fort- 
setzung der  Hirnhöhle  in  denselben  ein  und  löst  er  sich  von  der  Oberhaut  voll- 
kommen ab,  sodass  er  dann  als  hohler  Auswuchs  des  Hirns  sich  darstellt 
(Taf.  XIV  Fig.  246,  Taf.  XV I  Fig.  292).  Doch  schnürt  sich  derselbe  nach 
kurzer  Zeit  zu  einem  vollkommen  geschlossenen  Bläschen  ab,  welches  nur  durch 
einen  kurzen  Stiel,  dessen  Kanal  allmählich  schwindet,  mit  dem  Hirne  zusammen- 


^s  1  V.  Das  Centralnervensystem 

hängt  (Taf.  XVI Fig.  293.  298,  Taf.  XV  'Fig.  283).  Dies  ist  nun  die  Anlage 
der  Zirbel,  welche  sich  weiterhin  morphologisch  nicht  merklich  verändert;  nur 
scheint  später  auch  die  Höhle  des  Bläschens  zu  schwinden  und  verlängert  und 
verdünnt  sich  der  Stiel  ansehnlich,  während  seine  Wurzel,  mit  der  er  in  der 
Decke  des  Vorderhirns  festsitzt,  verdickt  bleibt  {Taf.  VIII  Fig.  146.  149, 
Taf.  XV  Fig.  284.  285).  Die  Embryonalzellen  dieser  Anlage  verändern  sich 
ähnlich  wie  im  Hirne,  sodass  die  daraus  hervorgehenden  Nervenzellen  und 
-fasern  mit  geringer  Zwischensubstanz  die  ganze  Masse  des  Organs  auch  im 
erwachsenen  Thiere  darstellen.  Noch  in  der  Larvenperiode  lagert  sich  in  der 
Wand  desselben  in  wechselnder  Menge  eine  schneeweisse,  beinahe  silberglän- 
zende Masse  ab,  welche  offenbar  den  anorganischen  Konkrementen  vergleichbar 
ist,  die  man  in  der  Zirbel  höherer  Wirbelthiere  findet.  Das  Bemerkenswertheste 
an  der  Zirbel  unseres  Thieres  und  wohl  überhaupt  der  Batrachier  ist  ihre 
spätere  Lage.  Indem  das  dickwandige  Bläschen  der  Oberhaut  dicht  ange- 
schmiegt bleibt  und  mit  ihr  sich  vorwärts  verschiebt,  wird  der  lang  ausgezogene 
und  zarte  Stiel  von  den  Hirnhüllen  und  dem  Schädeldach  umwachsen,  sodass 
das  eigentliche  Organ  aus  der  Schädelhöhle  ausgeschlossen  wird.  Beim  Ab- 
ziehen der  Kopfhaut  bleibt  es  meist  unter  Zerreissung  des  Stieles  an  dieser 
hängen  {Taf.  XV  Fig.  283—285,  Taf.  XVIII  Fig.  325.  326). 

In  der  ersten  Larvenperiode  wird  die  vordere  Hirnhälfte  bereits  so  weit 
entwickelt,  dass  die  vollendeten  Formen  unzweifelhaft  erkannt  werden  können, 
und  doch  wird  eigentlich  nur  das  bereits  Angedeutete  weiter  ausgeführt.  Ich 
erwähnte,  dass  das  Mittelhirn  wesentlich  eine  Erweiterung  der  oberen  Hälfte 
zeigt  und  dem  entsprechend  wird  auch  weiterhin  vorherrschend  das  Gewölbe 
ausgebildet,  während  die  tieferen  Abschnitte  mehr  indifferent  bleiben-,  am 
Vorderhirn  dagegen  wird  der  schon  angelegte  Gegensatz  von  Gewölbe-,  Mittel- 
und  Basaltheil  und  von  vorderen  und  hinteren  (oberen  und  unteren)  Abschnitten 
weiter  ausgeführt.  Betrachten  wir  zunächst  das  Mittelhirn  {Taf.  VIII Fig.  142 
bis  151).  Es  behält ,  von  der  Seite  gesehen,  die  keilförmige  Gestalt ,  in  der  es 
zwischen  Hinter-  und  Vorderhirn  gleichsam  eingeschoben  erscheint.  Seine 
Zellenmasse  war  ursprünglich  so  vertheilt,  dass  sie  von  der  dünnen  und  schmalen 
Basis  aus  sich  vornehmlich  in  den  dreieckigen  Seitentheilen  anhäufte,  um  dann 
gegen  die  Decke  wieder  allmählich  abzunehmen.  In  der  untern  Hälfte  und  an 
der  Grenze  des  Vorderhirns  bleibt  dieser  mehr  indifferente  Zustand,  also  auch 
eine  spaltförmige  Lichtung  bestehen,  welche  die  direkte  Verbindung  zwischen 
den  Höhlungen  des  Hinter-und  Vorderhirns  vermittelt  {Taf.  XV  Fig.  269—272). 


V.  Das  Centralnervensystem.  285 

Darüber  aber  entwickelt  sich  von  vorn  nach  hinten  ansteigend  und  sich  ver- 
breiternd ein  Gewölbetheil,  in  welchem  die  dicken  Seitenmassen  in  einer  ge- 
wissen Höhe  stärker  und  bestimmter  auseinanderweichen  und  daher  den  zwischen 
ihnen  befindlichen  mittleren  Theil  der  Decke  zu  einer  dünnen  durchsichtigen 
Haut  ausziehen.  Von  oben  gesehen  erscheint  dieses  Gewölbe  des  Mittelhirns 
zunächst  oval  mit  schmälerem  vorderen  und  breiterem  Hinterende.  Indem 
aber  die  darunterliegende  Höhle  den  dünnen  Mitteltheil  in  dunkler  Zeichnung 
hervortreten  lässt,  erkennt  man  an  letzterer  die  Gestalt  einer  nach  vorn  ge- 
richteten Lanzenspitze.  Die  weitere  Entwicklung  rechtfertigt  die  Auffassung, 
dass,  während  die  untere  Hälfte  des  Mittelhirns  sich  nur  wenig  verlängert,  das 
sich  in  der  Länge  stärker  ausdehnende  Gewölbe  zur  Seite  ausweicht,  gewisser- 
massen  eine  Knickung  erfahrt.  Dadurch  werden  die  dicken  Ilandtheile  jeder- 
seits  in  zwei  nach  'aussen  konvergirende  Schenkel  gesondert.  Die  vorderen 
Schenkel  sind  aber  gleich  anfangs  länger  und  stärker,  als  die  hinteren,  wachsen 
also  auch  schneller  und  energischer  als  diese  und  drängen  sie  zurück. 
Dieser  Bewegung  widersteht  aber  das  Gewölbe  des  Hinterhirns,  welches  sich 
hinter  der  beide  Hirnhälften  trennenden  Einschnürung  erhebt.  Die  hinteren 
Schenkel  des  Mittelhirngewölbes  werden  also  von  den  andrängenden  vorderen 
quer  umgelegt ,  und  bilden  erst  eine  quere  Wand ,  welche  aber  bei  ihrer  an- 
dauernden Ausdehnung  und  Verdünnung  in  der  Medianebene  sich  nach  innen 
faltet  und  dadurch  die  Halb irung  des  Mittelhirngewölbes  einleitet.  -  Dass  dabei 
die  laterale  Knickung  seiner  Ilandtheile  zugenommen  hat,  die  Zeichnung  der 
durchscheinenden  Decke  herzförmig  geworden  ist,  ist  aus  den  Abbildungen 
leicht  zu  ersehen.  Solange  das  ganze  Gewölbe  noch  flach  war ,  kommunicirte 
seine  Höhle  unter  jener  Grenzeinschnürung  beider  Hirnhälften  unmittelbar  mit 
dem  Hinterhirnraume ;  sobald  aber  alle  Theile  durch  Wachsthum  an  Höhe  an- 
sehnlich gewonnen  haben,  während  nur  der  Boden  der  Einschnürung  zurück- 
blieb, ist  auch  jene  Gewölbehöhlung  des  Mittelhirns  so  weit  über  jenen  Boden 
gehoben,  dass  sie  nur  vermittelst  der  unteren  spaltartigen  Hälfte  des  Mittel- 
hirnraums mit  den  übrigen  Hirnhöhlen  in  Verbindung  bleibt.  —  Die  späteren 
Umbildungen  des  Mittelhirns  sind  nicht  mehr  erheblich.  Indem  das  Wachsthum 
auch  fernerhin  vorherrschend  an  den  vorderen  Schenkeln  der  dicken  Iland- 
theile sich  äussert,  der  dünne  Mitteltheil  des  Gewölbes  aber  zuiückbleibt,  ent- 
wickeln sich  aus  den  ersteren  zwei  halbkugelige,  hohle  aber  dickwandige  Lappen, 
welche  durch  die  einsinkende  Mitte  spaltartig  getrennt,  die  Grenzen  des  Mittel- 
hirns nach  allen  Seiten  überragen  und  alsdann  dessen  gauzesGewölbe  darstellen, 


286  V.  Das  Centralnervensystem. 

da  die  anderen  ursprünglichen Theile  desselben,  nämlich  die  hinteren  Seitenschen- 
kel  und  die  dünne  Mitte,  theils  unkenntlich  geworden  sind,  theils  in  den  Bestand 
jener  halbkugeligen  Vorwölbungen  hineingezogen  wurden.  Dass  die  letzteren 
endlich  etwas  länglich  werden  und  gerade  umgekehrt  wie  in  ihrer  ersten  Anlage 
nach  vorn  divergiren,  ist  eine  Folge  epigonaler  Umbildungen,  welche  uns  hier 
weniger  interessiren. 

Dass  die  Entwickelung  des  Vorderhirns  reicher  sein  werde  als  diejenige 
des  Mittelhirns,  darf  schon  aus  dem  bereits  besprochenen  Zustande  geschlossen 
werden.  Im  allgemeinen  lässt  sich,  wie  bemerkt,  das  Vorderhirn  desshalb  mit 
dem  Mittelhirne  vergleichen,  weil  seine  Basis  ebenfalls  kürzer  ist,  als  die  Decke; 
wie  denn  überhaupt  die  Zerlegung  eines  gebogenen  Cylinders  in  keilförmige 
Abschnitte  ganz  natürlich  erscheint.  Die  wichtigsten  Abweichungen  aber, 
welche  im  ferneren  Verlaufe  der  Entwickelung  das  Vorderfiirn  vom  Mittelhirne 
unterscheiden,  sind  1.  die  vor-  und  aufwärts  gerichtete  Entwickelung  des  Ge- 
wölbetheils,  2.  die  Ausbildung  des  Basaltheils,  3.  endlich  die  Anwesenheit  der 
Schlussseite,  welche  an  der  Entwickelung  der  beiden  genannten  Regionen  sich 
betheiligend  den  Hauptabschnitt  der  späteren  anatomischen  Hirnbasis  herstellt. 
Ich  knüpfe  die  Betrachtung  dieser  Vorgänge  an  die  Beschreibung  zweier  Ge- 
hirne, von  denen  das  eine  der  ersten,  das  andere  der  zweiten  Larvenperiode  an- 
gehört (Taf.  VIII  Flg.  142 — 151).  In  jenem  ist  jeder  der  beiden  Seitentheile 
des  Vorderhirns  eine  dicke  Platte,  welche  in  unmittelbarem  Anschlüsse  an  den 
dreieckigen  Seitentheil  des  Mittelhirns  mit  ihrer  ursprünglichen  Längsaxe  senk- 
recht gestellt  ist,  wobei  ihre  hintere  und  vordere  (obere  und  untere)  Grenze 
gegen  den  schmäleren  Basaltheil  konvergiren.  Unmittelbar  unter  dem  Mittel- 
hirne, wo  das  Vorderhirn  noch  keinen  besondern  Basaltheil  besitzt,  gehen  die 
beiden  Seitenplatten  desselben  unmerklich  in  das  Gewölbe  über,  so  dass  auch 
'der  zwischen  ihnen  eingeschlossene  enge  Kanal ,  eine  unmittelbare  Fortsetzung 
des  tieferen,  spaltartigen  Raumes  im  Mittelhirne,  ohne  bestimmte  Grenzen  sich 
zur  Höhle  des  Gewölbetheils  erweitert  (Taf.  XIV Fig.  216);  weiter  abwärts 
jedoch  sondern  sich  der  Gewölbe-  und  Basaltheil  äusserlich  durch  schwache 
Eindrücke,  deutlicher  im  Innern  durch  entsprechende  Hervorragungen  von  dem 
Mitteltheile  ab  {Taf.  XVI Fig.  293.  208,  Taf.  XV Fig.  283.  284,  Taf.  XVII 
Fig.  304, 30:").  314  —310').  Der  von  dem  letzteren  eingeschlossene  Raum  war 
schon  frühzeitig  durch  die  seitlichen  Fortsetzungen  in  die  hohlen  Sehnerven  an 
der  Schlussseite  ausgezeichnet;  und  während  er  in  dem  grössten  Theile  seines 
Verlaufes  sich  zu  einem  engen  Kanäle  zusammenzieht ,  der  von  oben  herab- 


V.  Das  Centralnervensystem.  287 

steigend  in  die  Höhlen  des  Gewollte-  und  Basaltheils  gleichfalls  durch  enge 
Gänge  hinüberführt,  bleibt  nur  an  jenem  seinen  Ende  zwischen  den  Ursprüngen 
der  Sehnerven  eine  Erweiterung  zurück.  In  dem  Boden  der  letzteren,  wo  auch 
die  ursprüngliche  Hirnaxe  endet,  stossen  die  Seitenplatten  des  Vorderhirns  zu- 
sammen und  bilden  einen  anfangs  nur  schmalen  queren  Streifen  zwischen  dem 
Gewölbe  und  dem  Basaltheile,  an  dessen  beiden  Enden  eben  die  Sehnerven 
entspringen.  Schon  früh  beginnt  dieses  Mittelstück  der  späteren  anatomischen 
Hirnbasis  durch  eine  vordere  und  eine  hintere  Querfurche  sich  gegen  die  an- 
stossenden  Hirntheile  bestimmt  abzugrenzen,  wodurch  es  nach  aussen  als  querer 
Wulst  hervortritt.  Die  den  Furchen  im  Innern  entsprechenden  queren  Falten 
verleihen  jenem  zwischenliegenden  Stücke  der  Hirnwand  eine  rinnenförmige 
Gestalt;  und  da  die  Sehnerven  unmittelbare  und  nur  kanalförmig  geschlossene, 
seitliche  Fortsetzungen  jener  Rinne  sind,  so  muss  die  letztere  als  die  ursprüng- 
liche Verbindung  derselben  betrachtet  werden.  Ich  nenne  sie  die  Sehnerven- 
platte. Ihr  mittlerer  Theil  oder  der  Boden  der  Rinne  ist  verdünnt  und  zeigt 
daher  bei  äusserer  Besichtigung  einen  dunkeln  queren  Streifen ,  welcher  in  der 
Mitte  breiter  ist  und  seitlich  an  der  untern  Fläche  der  Sehnervenwurzeln  spitz 
ausläuft.  Vom  dünnen  Boden  der  Sehnervenplatte  aus  verdickt  sich  die  Hirn- 
wand in  den  queren  Grenzfalten  ganz  ausserordentlich ,  sodass  diese  endlich  in 
ihrer  Erhebung  weit  über  das  Mass  der  ihnen  entsprechenden  äusseren,  seichten 
Furchen  hinausgehen.  Dadurch  wird  jener  zwischen  ihnen  befindliche  rinnen- 
förmige Hirnraum  von  dem  unmittelbaren  Verkehre  mit  den  Höhlen  des  Ge- 
wölbe- und  Basaltheils  längs  der  anatomischen  Hirnbasis  immer  mehr  abge- 
schlossen, bis  er  schliesslich  nur  noch  aufwärts  in  der  Fortsetzung  der  ursprüng- 
lichen Hirnaxe  mit  dem  engen  Kanäle  des  Vorderhirns  kommunicirt,  als  dessen 
eigentliches  Ende  er  zu  betrachten  ist.  Da  nun  die  Bedeutung  dieses  spaltartigen 
Kanals  darin  beruht,  dass  er  in  unmittelbarer  Fortsetzung  der  gleichartigen 
unteren  Hälfte  der  Hinterhirnhöhle  der  Hirnaxe  folgt  und  dabei  in  die  einzelnen 
Hirnhöhlen  ausmündet,  welche  im  Verlaufe  der  Entwickelung  die  früher  zwischen 
ihnen  bestandene  unmittelbare  Verbindung  verloren  haben,  so  verdient  er  den 
Namen  des  axialen  oder  Verbindungskanals.  Vom  Hinterhirne  geht  er  unter  dem 
Gewölbe  des  Mittelhirns  in  gerader  Linie  bis  an  die  Grenze  zwischen  dem  letzte- 
ren und  dem  Vorderhirne,  wo  ein  besonderes  Gewölbe  fehlt;  dann  biegt  er  recht- 
winkelig nach  unten  ab,  um  den  Mitteltheil  des  Vorderhirns  zu  durchziehen  und 
nachdem  er  vor-  und  abwärts  in  dessen  Gewölbetheil,  rückwärts  und  abwärts  in 
dessen  Basaltheil  sich  geöffnet;  endigt  er  blind  in  dem  erweiterten  Räume  über  der 


288  V.  Das  Centralnervensystem. 

Sehnervenplatte,  also  an  dem  eigentlichen  vorderen  Schlussstücke  der  ganzen  pri- 
mitiven Hirnröhre.  Es  darf  also  dieser  Verbindungskanal  gewissermassen  als 
der  unveränderte Haupttheil  des  primitiven  Hirnraumes  betrachtet  werden,  der 
allein  mit  dem  Centralkanal  des  Rückenmarkes  zu  vergleichen  wäre,  so  wie  die 
ihn  einschliessenden  Seitenplatten  nicht  nur  nach  ihrem  Verhalten  in  der  mor- 
phologischen Entwickelung ,  sondern,  wie  ich  weiter  unten  zeigen  werde,  auch 
nach  ihren  histiologischen  Verhältnissen  als  die  eigentlichen  Fortsetzungen  der 
Seitentheile  des  Hinterhirns  und  Rückenmarkes  angesehen  werden  müssen.  — 
An  diese  primitivisten  Hirntheile  schliessen  sich  nun  ihT  Vorderhirne  noch  ein 
besonderer  Gewölbe-  und  ein  Basaltheil  an.  Ich  bemerkte  schon  gelegentlich, 
warum  der  unmittelbar  ans  Mittelhirn  anstossende  Abschnitt  des  Vorderhirns 
keinen  besonderen  Basaltheil  besitzt:  da  seine  hintere  Grenzfläche  schräg  ab- 
wärts verläuft,  so  ist  seine  Basis  gemeinsam  mit  derjenigen  des  Mittelhirns  in 
der  schmalen,  etwas  nach  innen  vorgetriebenen  Falte  enthalten,  welche  sich 
aus  dem  früheren  Knickungswinkel  der  allgemeinen  Hirnbasis  entwickelte. 
Weiter  abwärts  grenzt  sich  aber  durch  eine  senkrechte,  bis  hinter  die  Sehnerven- 
platte  verlaufende  Furche  ein  sehr  deutlicher,  allmählich  sich  immer  stärker 
rückwärts  vorwölbender  Basaltheil  des  Vorderhirns  von  dessen  Mittelstücke  ab. 
Er  ist  mehr  breit  als  lang,  und  seine  rückwärts  sehende  und  vom  Vorderende 
der  Wirbelsaite  eingedrückte  Wand  ist  durchsichtig  dünn,  während  die  übrigen 
Seiten  sehr  viel  dicker  sind.  Dieser  Hirntheil  bleibt  im  Wachsthume,  nament- 
lich seiner  Höhe,  hinter  den  andern  zurück ;  so  kommt  es,  dass  er  schon  in  den 
jungen,  noch  lange  nicht  ausgewachsenen  Thieren  die  Form  eines  breiten  aber 
platten  Beutels  hat,  welcher  dem  Hirne  hinter  der  Sehnervenkreuzung  so  an- 
gefügt ist,  dass  seine  Höhle  in  den  Verbindungskanal  mündet.  In  der  Mitte 
seines  hinteren  Randes  besitzt  er  alsdann  einen  Ausschnitt. 

Je  weniger  Interesse  die  Entwickelungsgeschichte  des  Basaltheils  vom 
Vorderhirne  bietet,  um  so  mehr  hat  stets  ein  Organ  die  Aufmerksamkeit  der 
Forscher  auf  sich  gezogen,  welches  mit  jenem  ziemlich  fest  verbunden,  als  ein 
accessorischer  Hirntheü  betrachtet  und  beschrieben  wird  —  der  Hirnanhang. 
Derselbe  ist  ein  Erzeugniss  des  oberen  Keimblattes  und  seine  Anlage  erscheint 
schon  ziemlich  früh.  An  dem  vorderen  Umfange  der  Hirnplatte  hat  die  Sinnes- 
platte  mitten  zwischen  den  Anlagen  der  Geruchsorgane  einen  unpaaren  Ab- 
schnitt, welcher  weder  verstreicht  noch  sich  seitlich  in  jene  nächsten  paarigen 
Sinnesanlagen  vertheilt,  sondern  deutlich  wahrnehmbar  bestehen  bleibt  (Taf.ll 
Fi<j.3i  —  38).     In  dem  Masse  als  das  Hirn  sich  weiter  entwickelt,  zieht  sich 


V.  Pas  Centralnervensystem.  289 

die  Gniüdschicht  des  bezeichneten  Stückes  der  Sinnesplatte  zu  einem  trichter- 
förmigen Fortsatze  zusammen,  welcher  in  der  Medianebene  unter  das  Hirn  vor- 
ragt. Später  wächst  er  mit  einer  scheinbar  soliden  Fortsetzung  unter  der  anato- 
mischen Hirnbasis  rückwärts,  wobei  sein  freies  Ende  sich  abplattet,  der  übrige 
Theil  zu  einem  runden  Stiel  wird  (Taf.  XVI Fig.  292.  293.  298,  Taf.  XIII 
Fig.  224.  229.  230,  Taf.  XIV  Fig.  248.  257,  Taf.  XVII  Fig.  305).  Sobald 
das  erstere  die  Basis  des  Vorderhirns  erreicht  hat,  verkümmert  und  schwindet 
der  Stiel,  sodass  das  übrig  bleibende  abgeplattete  Gebilde,  welches  in  dem 
hinteren  Ausschnitte  des  Basaltheils  liegt,  nunmehr  allein  den  Hirnanhang 
bildet  (Taf. XV  Fig. 270.  283.  28-4).  Er  hat  alsdann  seinen  grössten  Durch- 
messer noch  in  der  Medianebene  und  ist  in  die  bindegewebige  Hirnhülle  so  ein- 
gebettet, dass  er  an  seiner  unteren  Fläche  von  ihr  einen  glatten  Ueberzug  er- 
hält. Sein  hinteres,  breiteres  Ende  drängt  sich  aber  später  aus  der  Oberfläche 
der  Hirnhaut  hervor,  wobei  es  seinen  Ueberzug  mit  sich  hervorzieht  und  sich 
etwas  von  der  übrigen  Masse  des  Organs  abschnürt;  so  entsteht  die  allseitig 
freie  und  in  einen  glatten  Ueberzug  eingeschlossene  hintere  Hälfte  des  Hirnan- 
hangs, während  die  vordere  erst  später  in  ähnlicher  Weise  hervortritt  und  da- 
durch von  der  ersteren  getrennt  erscheint  {Taf.  VIII).  Schon  bevor  der  Hirn- 
anhang  seinen  Zusammenhang  mit  der  Oberhaut  ganz  verliert,  bemerkte  ich 
schlauch-  oder  blasenförmige  Auswüchse  seiner  Masse,  welche  wie  Ausstül- 
pungen eines  Hohlgebildes  aussahen  {Taf.  XV  Fig.  282).  Später  fand  ich,  dass 
gerade  seine  vordere,  ursprünglich  schmälere  Hälfte  zahlreiche  kolbige  Fort- 
sätze zur  Seite  ausschickte,  womit  wahrscheinlich  ihre  spätere  Verwandlung  in 
einen  queren  Wulst  zusammenhängt. 

Es  bleibt  mir  jetzt  übrig  den  in  der  Folge  umfangreichsten  und  wichtigsten 
Theil  des  Vorderhirns  zu  besprechen,  nämlich  dessen  Gewölbetheil  (Taf.  VIII). 
In  dem  auf  das  Mittelhirn  folgenden  Abschnitte  erreicht  er  nur  eine  massige 
Entwickelung;  viel  grösser  dagegen  ist  schon  gleich  anfangs  die  Wölbung,  die 
aus  dem  vordersten  Abschnitte  des  Vorderhirns  hervortritt,  und  zugleich  auf 
die  Schlussseite  des  embryonalen  Gehirns  oder  die  anatomische  Hirnbasis  sich 
erstreckt.  Der  Gewölbetheil  des  Vorderhirns  bietet  also  dieselben  Verhältnisse 
dar,  wie  derjenige  des  Mittelhirns,  und  wir  sehen  daher  auch  an  seiner  vorderen 
oberen  Seite  dieselben  Erscheinungen  sich  entwickeln,  wie  am  Mittelhirngewölbe. 
Die  dicken  Seitentheile  biegen  sich  gleichfalls  nach  aussen  aus  und  ziehen  dabei 
den  Mitteltheil  dünn  und  viereckig  aus,  welche  Gestalt  jedoch  wegen  der  ge- 
ringeren Ungleichheit  der  Schenkel  rautenförmig  erscheint.     An  der  hinteren 

Goette  ,  Entvvickelungsgeschiolite.  1  J 


290  V.  Das  Centralnervensystem. 

Ecke  dieses  dünnen  Vorderhirndaches  entspringt  aus  ihm  die  Zirbel  und  ist  daher 
später  die  zapfenförinige  Wurzel  ihres  Stieles  anzutreffen.  Wenn  aber  am 
Mittelhirne  die  durch  die  seitliche  Knickung  angedeutete  Scheidung  einer 
vorderen  und  einer  hinteren  Gewölbehälfte  durch  die  spätere  Entwickelung 
verwischt  wird,  so  erhält  sie  sich  am  Vorderhirne  beständig  und  verlangt  daher 
eine  entsprechend  sondernde  Beschreibung  eines  vorderen  und  eines  hinteren 
Gewölbes.  Bisher  nannte  ich  nur  die  Aehnlichkeiten  zwischen  den  Gewölben 
des  Vorder-  und  Mittelhirns.  Betrachtet  man  das  erstere  von  der  Seite  und 
von  unten,  so  fällt  gleich  der  wesentlichste  Unterschied  in  die  Augen,  welcher 
auch  gerade  zu  irrthünilichen  Auflassungen  dieser  Hirntheile  geführt  hat.  Das 
vordere  Gewölbe  hat  natürlich,  wie  es  sich  aus  meiner  bisherigen  Darstellung 
ergibt,  von  Anfang  an  einen  Antheil  an  der  Schlussseite  des  Hirns,  hört  also 
nicht  an  dessen  vorderer  Ecke  und  unmittelbar  vor  der  rautenförmigen ,  mitt- 
leren Vorderhirndecke  auf,  sondern  setzt  sich  bogenförmig  abwärts  und  rück- 
wärts bis  zur  Schlussseite  des  Mitteltheils  vom  ganzen  Vorderhirn,  also  bis  zur 
Sehnervenplatte  fort.  Es  hat  eben  gerade  so  wie  die  Enden  eines  gewöhnlichen 
Hausdaches  eine  Seite  mehr  als  die  übrigen  Abschnitte  der  Hirnwölbung.  Da 
nun  aber  das  Wachsthum  im  vorderen  oberen  Theile  unseres  Vordergewölbes 
überwiegt,  so  erklärt  sich  daraus,  dass  dasselbe  in  seiner  der  anatomischen 
Hirnbasis  angehörigen  Hälfte  schmäler  ist  als  in  der  anderen,  an  das  Hinter- 
gewölbe anstossenden,  und  dass  diese  mit  einer  seitlichen  Ausladung  über  jene 
vorragt.  In  Uebereinstimmung  damit  ist  der  dünne  mediane  Theil  des  Vorder- 
gewölbes im  bogenförmigen  Uebergange  an  die  anatomische  Hirnbasis  nicht 
breit  ausgezogen,  sondern  auf  einen  schmalen  Streifen  beschränkt,  welcher  die 
dickwandigen  und  nahezu  halbkugeligen  Seitenhälften  verbindet;  diese  Verbin- 
dungshaut reicht  aber  nicht  bis  zur  Sehnervenplatte,  sondern  lässt  zwischen 
ihrem  Ende  und  dieser  Platte  die  dicken  Seitentheile  sich  bogenförmig  verei- 
nigen. —  Die  Trennung  beider  Gewölbehälften  des  Vorderhirns  bezieht  sich 
jedoch  mehr  auf  ihre  äussere  Erscheinung  als  auf  eine  durchgehende  Sonderung; 
da  sie  sich  gegen  einander  erweitern ,  so  gehören  sowohl  die  rautenförmig  aus- 
gedehnte Verbindungshaut  als  die  darunterliegende  Holde  beiden  gemeinsam 
an  und  wahren  die  Einheit  des  Vorderhirngewölbes.  Diese  ungetheilte  Höhle 
oder  die  spätere  dritte  Hirnkammer  ist  längs  der  anatomischen  Hirnbasis 
durch  die  beschriebene  vordere  Grenzfalte  vom  erweiterten  Endstücke  des  Ver- 
lündungskanales  geschieden,  und  mündet  erst  auf-  und  rückwärts  unter  dem 
llintergewölbe  in  dessen  spaltförmigen  Theil  (Taf.  X  VII  Fig.  31  i      316). 


V.  Das  Centralnervensystem.  291 

Die  voranstellende  Beschreibung  bezieht  sich  auf  das  Vorderhirn  aus  der 
ersten  Larvenperiode;  später  divergirt  die  Entwickelung  seiner  Theile  noch 
mehr  und  erschwert  die  klare  Einsicht  in  ihren  ursprünglichen  Zusammenhang. 
Dazu  kommt,  dass  gewisse  Veränderungen  in  der  Gesammtlage  des  Hirns  eine 
falsche  Deutung  seiner  ursprünglichen  Theile  unterstützten.     Betrachtet  man 
das  Vorderhirn  von  der  Seite,  so  zeigt  es  zur  Zeit,  wo  seine  Gewölbetheile  eben 
deutlich  hervortreten,  einen  nahezu  dreieckigen  Umriss,  dessen  Spitze  in  der 
Zirbel  liegt  und  dessen  untere  abgerundete  Winkel  vom  Basaltheile  und  dem 
Fordern  Gewölbe  gebildet  werden;  die  Vorderseite  (das  Hirndach)  fällt  steil  ab 
und  die  Grundlinie  (anatomische  Hirnbasis)  senkt  sich  nach  vorn.   In  der  Folge 
wächst  nun  der  vordere  Winkel  nicht  etwa  schräg  abwärts,  wie  seine  frühere 
Gestalt  vermuthen  lassen  könnte,   sondern  ziemlich  horizontal  vorwärts  und 
zwar  viel  stärker  als  das  hintere  Gewölbe;  dadurch  wird  die  steile  Vorderseite 
des  Dreiecks  zu  einer  sanft  ansteigenden,  die  Grundlinie  zu  einer  horizontalen. 
Während  dessen  verändert  sich  die  ursprüngliche  Axe  des  Vorderhirns  weder 
in  ihrer  Länge  noch  in  ihrer  Lage.     Denn  ihre  Richtung  —  von  der  Vorder- 
grenze des  Mittelhirns  bis  zwischen  die  Ursprünge  der  Sehorgane  —  bleibt  bis 
auf  unwesentliche  Abweichungen,  wie  man  sich  leicht  überzeugen  kann,  eine  senk- 
rechte*; die  Verkürzung  ihrer  Länge,  also  des  Mittel-  und  Basaltheils  ist  aber 
ebenso  offenbar  nur  eine  relative.  Wenn  man  jene  einseitigen,  ungleichmässigen 
Wachsthumserscheinungen  auf  eine  Umlagerung  des  Vorderhirns  nach  oben  bezog, 
so  lag  dies  einmal  daran,  dass  der  relativ  verkürzte  Basaltheil  der  Beobachtung 
endlich  ganz  entging  und  man  ihn  in  die  anatomische  Hirnbasis  hineingezogen 
sein  liess,  und  andererseits  daran,  dass  man  glaubte,  die  Umbildung  der  Unter- 
lage des  ganzen  Gehirntheils,   deren  viscerale  Fläche  man  von  der  Mundhöhle 
aus  leicht  zur  Anschauung  bringt,  auch  auf  die  Umbildung  des  Vorderhirns 
beziehen  zu  dürfen.     Der  wesentlichste  Bestandtheil  jener  Unterlage  ist  in  den 
Embryonen  und  jüngeren  Larven  das  Darmblatt.    Anfangs  liegt  es  dem  Basal- 
theil und  der  Schlussseite  des  Vorderhirns  eng  an,    sodass  es  von  der  Spitze 
der  Wirbelsaite  an  eine  nach  vorn  offene  Bucht  zur  Aufnahme  des  Vorderhirns 
bildet  (Taf.  II  Fig.  38).   Die  Tiefe  dieser  Bucht  entspricht  aber  nicht  der  Länge 
des  Basaltheils,  indem  das  Darmblatt  um  die  Dicke  der  Chordaspitze  von  der 
eigentlichen  Knickungsstelle  des  Hirns  entfernt  ist.     Und  wenn  das  Hirn  sich 


*  Allerdings  ist  eine  gewisse  Vergrösserung  des  Beugungswinkels  nicht  zu  verkennen; 

da  er  aber  vorher  weniger  als  90°  betrug,  so  wird  die  wesentliche  Thatsache,  der  Bestand 

einer  rechtwinkeligen  Abbiegung,  dadurch  nicht  beeinträchtigt. 

19* 


292  V.  Das  Centralnervensystem. 

später  von  der  Wirbelsaite  ab-  und  über  dieselbe  erhebt,  so  wird  die  dadurch 
verflachte  Bucht  des  Darmblattes  noch  weniger  einen  annähernd  richtigen  Ab- 
druck der  darüber  liegenden  Ilirntheile  vorstellen  können  (Taf.  XV,  XVI) 
So  ist  also  auch  die  schliesslich^,  ebene  und  horizontale  Ausspannung  des 
Darmblattes  vom  Rumpfe  (Speiseröhre)  an  bis  gegen  die  Mundöffnung  durchaus 
kein  Merkmal  für  eine  ähnliche  Ausgleichung  der  vorher  gebogenen  visceralen 
Fläche  des  ganzen  Hirns.  Nicht  viel  weniger  kann  die  Schädelbasis,  die 
zwischen  dem  Darmblatte  und  dem  Vorderhirn  entsteht,  über  die  Form  Verhält- 
nisse des  letzteren  täuschen.  Wesentlich  horizontal  ausgebreitet,  bestimmt  sie 
dadurch  auch  die  Richtung  der  wachsenden  anatomischen  Hirnbasis.  Hinten 
krümmt  sie  sich  aber  um  den  Besaitheil  des  Vorderhirns  aufwärts,  um  sich  der 
höher  gelegenen  Schädelbasis  des  Hinterhirns  anzuschliessen.  Auch  diese  Bucht 
der  vorderen  Schädelbasis  erreicht  mit  ihrem  oberen  Rande  oder  der  Chordaspitze 
die  bereits  über  sie  erhobene  Knickungsstelle  des  Hirns  nicht  (Taf.  XV,  Fig.  284, 
Taf.  XVI  Fig.  303).  Weil  aber  die  Schädelbasis  im  Bereiche  der  Wirbelsaite 
viel  dicker  angelegt  ist,  als  unter  dem  Vorderhirne,  so  bleibt  eine  gewisse  Niveau- 
differenz zwischen  den  beiden  Hälften  an  ihrer  cerebralen  Fläche  noch  langeZeit 
bestehen ,  nachdem  sie  an  der  Visceralfläche  verschwand.  Diese  Ausgleichung 
an  der  visceralen  Fläche  fällt  mit  derVerknorpelung  der  Schädelbasis  zusammen 
und  wenn  die  ganz  eben  gewordene  Mund-  und  Schlundhöhlendecke  schon  vor- 
her das  ganze  Vorderhirn  und  im  Zusammenhange  damit  das  Hinterhirn  ohne 
weitere  Lageveränderung  in  die  Höhe  hob,  so  geschieht  es  ebenso  auch  nach 
der  Verknorpelung  der  Schädelbasis,  wobei  nur  der  Basaltheil  des  Vorderhirns 
etwas  zusammengedrückt  erscheint,  die  ursprüngliche  Knickung  des  ganzen 
Hirns  aber  in  der  zwischen  jenem  Basaltheil  und  dem  Hinterhirne  befindlichen 
engen  und  spaltförmigen  Bucht  deutlich  erkennbar  bleibt. 

Nachdem  die  Bedeutung  der  allgemeinen  Wachsthumserscheinungen  der 
vorderen  Hirnhälfte  festgestellt  ist,  können  die  Einzelheiten  ihrer  weiteren  Ent- 
wickelung  die  einmal  gewonnene  Auffassung  nicht  stören.  —  Zunächst  sind  noch 
die  Veränderungen  der  Sehnervenplatte  zu  erwähnen  (Taf.  VIII).  Dieselbe 
wurde  zuletzt  als  eine  schmale  und  quergestellte,  nach  aussen  konvexe  Platte 
beschrieben,  welche  sich  seitlich  in  die  Sehnerven  verlängert.  Weiterhin  wächst 
ihre  nach  vorn  schauende  Hälfte  mit  einer  medianen  Spitze  aus,  während  die 
hintere  gerade  Grenze  bestehen  bleibt.  So  entsteht  eine  dreieckige  Erhabenheit 
an  der  anatomischen  Hirnbasis,  welche  wegen  der  dünnen  und  daher  dunkel 
erscheinenden  Mitte  wie  von  weissen  Strängen   eingefasst  aussieht  und  deren 


V.  Das  Centralnervensy stem.  293 

hintere  Ecken  in  die  Sehnerven  auslaufen.  Durch  Verbreiterung  der  vor- 
deren Spitze  verwandelt  sich  das  Dreieck  später  in  eine  rundliche  Platte, 
während  die  dunkele,  früher  gleichfalls  dreieckige  Mitte  sich  zu  einem  schma- 
len medianen  Streifen  zusammenzieht,  der  aber  an  ganz  erwachsenen  Thie- 
ren  nicht  mehr  sichtbar  ist.  Die  Sehnerven  haben  sich  indessen  aus  der  Hirn- 
wand weiter  herausgezogen  und  stossen  am  hintern  Rande  mit  jener  Platte  zu- 
sammen. 

Das  vor  der  Sehnervenplatte  gelegene  vordere  Gewölbe  des  Vorderhirns 
erschien  während  der  ersten  Larvenperiode  trotz  der  Sonderung  seiner  Seiten- 
hälften im  ganzen  als  eine  einheitliche  kugelige  Vorragung.  Bald  gibt  sich 
aber  eine  leichte  Einsenkung  der  dünnen,  medianen  Verbindungshaut  zu  er- 
kennen, das  erste  Zeichen  der  weiteren  Entwickelung,  welche  wesentlich  ebenso 
wie  am  Mittelhirngewölbe  in  einem  Auswachsen  bloss  der  Seitentheile  gegen- 
über der  zurückbleibenden  Verbindungshaut  besteht,  wobei  jedoch  die  Ausdeh- 
nung nur  in  geringerem  Grade  rückwärts,  vorherrschend  nach  vorn  gerichtet  ist. 
So  stülpt  sich  das  Vordergewölbe  zu  beiden  Seiten  der  ruhenden  Verbindungs- 
haut in  zwei  mächtige,  durch  eine  mediane  Spalte  getrennte,  hohle  Lappen  aus, 
welche  gerade  vorwärts  und  gegen  das  Ende  verjüngt  sich  hinziehen,  dagegen 
rückwärts  in  zwei  viel  kleinere,  divergirende  und  das  hintere  Gewölbe  überra- 
gende Ecken  auslaufen.  Durch  diese  Bildung  der  Grosshirnlappen  ist  aber 
der  Bestand  des  früheren  vorderen  Gewölbes  nicht  völlig  aufgelöst,  dasselbe 
nicht  ganz  in  jene  seine  getrennten  Seitenhälften  aufgegangen.  Die  mediane 
Verbindungshaut,  welche  von  dem  hinteren  Gewölbe  bogenförmig  nach  vorn 
und  unten  bis  gegen  die  Sehnervenplatte  verläuft  und  dort  in  den  queren  Wulst 
übergeht,  welcher  die  dicken  Seitentheile  verbindet,  bezeichnet  für  immer  die 
Grenzen  des  ursprünglichen  Gewölbes,  die  gemeinsame  Wurzel  der  beiden  Gross- 
hirnlappen. Dieser  kenntliche  Rest  des  früheren  Vordergewölbes  verhält  sich  also 
zu  den  aus  ihm  hervorgewachsenen  Hemisphären  ebenso,  wie  nach  einer  früheren 
Darstellung  der  mittlere  oder  Stammtheii  der  ganzen  vorderen  Hirnhälfte  zu  den 
Gewölben.  Die  Höhle  jenes  primitiven  Gewölbetheils  bildet,  wie  erwähnt,  mit 
derjenigen  des  hinteren  Gewölbes  einen  einzigen  Raum,  die  dritte  Hirnkammer, 
in  welcher  die  Höhlen  der  Grosshirnlappen  oder  die  beiden  ersten  Hirnkam- 
mern zusammenfliessen;  will  man  daher  abgesehen  von  der  ursprünglichen 
morphologischen  Gliederung  den  ganzen,  jene  unpaare  Hirnkammer  ein- 
schliessenden   Hirntheil,    also    die    beiden    ursprünglichen    Gewölbe  als  das 


294  V.  Das  Centralnervensystem. 

Ziwschenhirn  oder  einen  Theil  desselben*  bezeichnen,  so  ist  dasselbe  früher 
da  als  die  Grosshirnlappen,  sind  diese  nur  als  Ausstülpungen  des  Zwischenhirnes 
zu  betrachten. 

Die  dünne  Verbindungshant  des  vorderen  Gewölbes  bleibt,  wenn  sie  auch 
ihre  frühere  Lage  behält,  doch  nicht  unverändert.  Ueber  dorn  vorderen  Theile 
der  dritten  Hirnkammer  senkt  sie  sich  faltenförmig  in  die  Tiefe ;  diese  Falte  schnürt 
sich  beuteiförmig  ab  und  theilt  sich  meist  traubenförnhg  in  drei  seitlich  abge- 
plattete aber  mit  ihren  Stielen  zusammenhängende  Fortsätze,  Avelche  in  der 
Medianebene  hinter  und  über  einander  liegen  {Taf.  X  V  Fig.  28;!— .285,  Taf.  VIII 
Fig.  152).  Das  gefässhaltige  Bindegewebe,  welches  alsdann  das  ganze  Gehirn 
umschliesst,  dringt  auch  bis  zu  jener  eigenthümlichen  Tasche  vor,  entsendet 
Fortsätze  und  Gefässe  in  dieselbe,  und  nachdem  sie  auf  diese  Weise  in  eine 
feste  Verbindimg  mit  der  bindegewebigen  Hirnhülle  getreten  ist,  löst  sie  sieh 
vom  übrigen  Hirndache  ab  und  bildet  den  epithelartigen  Ueberzug  des  Ader- 
geflechtes,  welches  durch  die  in  Folge  jener  Ablösung  entstandene  wirkliche 
Lücke  des  Hirndachs  in  die  dritte  Hirnkammer  hineinragt.  Es  erscheint  später 
wie  aus  Schläuchen  zusammengesetzt;  ich  glaube  aber,  dass  dieses  Bild  nicht 
auf  wirkliche  Schläuche  zu  beziehen  ist,  sondern  auf  rinnenförmige  Umklei- 
dungen der  einzelnenGefässschlingen  von  Seiten  jener  epithelartigen  Hirnmasse. 
Soweit  die  Verbindungshaut  den  vorderen  Umfang  der  Hirnlücke  bildet,  stellt 
sie  eine  vordere  Kommissur  dar.  -  -  Auf  dem  hinteren  Zipfel  der  dünnen 
Decke  der  dritten  Hirnkam mersitzt  die  Wurzel  des  Zirbelstiels;  vor  ihr  ent- 
wickeln sich  zwei  kolbige  Fortsätze  von  den  dicken  Seitentheilen  des  hinteren 
Gewölbes,  welche  gegen  die  Medianebene  einander  entgegenwachsen  und  zwischen 
dem  Adergeflechtknoten  und  der  Zirbelwurzel  das  noch  übrige  dünne  Hirndach 
verdrängen  und  ersetzen,  da,  wie  ich  annehme,  dasselbe  zur  weitern  Entwicke- 
lung  des  Adergeflechtknotens  verbraucht  wird  (TaßVIII).  So  entsteht  zwischen 
jenen  beiden  Nebenorganen  des  Hirns  eine  schmale  Brücke  dicker  Hirnsubstanz, 
welche  die  Hirnlücke  hinten  umschliesst.  Wenn  man  jene  beiden  Nebenorgmic 
des  Hirns  entfernt,  indem  man  den  blutrothen  Adergeflechtknoten  ohne  jede 
Verletzung  aus  der  Tiefe  hervorzieht,  während  der  Zirbelstiel  aus  dem  Hirn- 
dache herausgerissen  werdenmuss,  kommt  jene  hintere  Kommissur  zur  deut- 
lichen Anschauung.     Anfangs  überragt  noch  das  hintere  Gewölbe  seitlich  den 


*  Es  scheint,  dass  mau  gewöhnlich  auch  den  Stammtheil  des  Vorderhirns  in  den  Begriff 
des  Zwischenliirns  einschliesst. 


V.  Das  Centraluervensy&tem.  295 

darunterliegenden  Stammtbeil  des  Vorderhirns,  später  verwischt  sich  diese 
Sonderling  und  alles,  was  zwischen  den  Grosshirnlappen  und  dem  Mittelhirne 
liegt,  erscheint  als  ein  zusammenhängender  Hirntheil,  an  welchem  der  Trichter 
einen  unbedeutenden  Anhang  darstellt.  Das  Entwickelungsergebniss  des  Vor- 
derhirns unterscheidet  sich  also  insofern  von  demjenigen  des  Mittelhirnes,  dass 
die  vordere  Gewölbehälfte  trotz  ihrer  mächtigen  Entwicklung  die  hintere  nicht 
verdrängt  oder  in  sich  aufnimmt,  sondern  nur  ein  Erzeugniss  der  ersteren;  die 
Grosshirnhemisphären,  sich  von  den  beiden  ursprünglichen,  später  wieder  ver- 
einigten Gewölbehälften  isolirt. 

Wir  haben  noch  einmal  zu  den  Grosshirnlappen  zurückzukehren,  um  deren 
weitere,  von  ihrem  Mutterboden  unabhängige  Entwickelung  zu  verfolgen 
(Taf.  VIII).  Sehr  nahe  an  seinem  Vorderende  und  an  der  Grenze  seiner  Seiten- 
und  Banchlläche  verschmilzt  jeder  Lappen  mit  der  Auskleidung  der  angrenzen- 
den Nasengrube-,  darauf  wird  zwischen  beiden  Organen  eine  Brücke  ausgezogen, 
das  Bündel  der  Riechnerven,  und  wo  dieselben  vom  Grosshirnlappen  ent- 
springen, entwickelt  sich  an  letzterem  ein  kleiner  rundlicher  oder  länglicher 
Hügel,  der  Riechnervenhügel.  Die  Grosshirnlappen  wachsen  nun  über  die 
Grenzen  der  Riechnervenhügel  hinaus;  dieses  Wachsthum  beruht  aber  nicht 
auf  einer  einfachen  Längenausdehnung  der  hohlen  Lappen,  sondern  wird  durch 
die  Bildung  solider  Fortsätze  ihrer  Vorderwand  hervorgebracht,  welche  auch 
äusserlich  durch  seichte  Furchen  von  ihrem  Mutterboden  sich  abgrenzen.  An 
der  Bauchfläche  der  Grosshirnlappen  erkennt  man  deutlich,  dass  jene  dicken 
Auswüchse  unmittelbar  vor  den  Riechnervenhügeln  von  den  ersteren  ausgehen, 
und  in  dem  Masse,  als  sie  sich  verlängern,  eine  etwas  dünnere  strangartige  Fort- 
setzung jener  Hügel,  welche  ihnen  eng  angeschlossen  und  mit  ihnen  verwachsen 
bleibt,  mit  hervorziehen.  An  einjährigen  Thieren  scheinen  diese  Stränge  noch 
die  einzigen  Wurzeln  der  Riechnerven  zu  bilden;  an  älteren  Exemplaren  dagegen 
treten  ganz  offenbar  noch  besondere  Faserzüge  aus  den  soliden  Auswüchsen  der 
Grosshirnlappen  zum  Vorderende  der  Stränge,  um  mit  ihnen  gemeinsam  das 
Bündel  der  Riechnerven  zu  bilden.  Diese  Faserzüge  sind  aber  nach  meiner 
Ansicht  nachträgliche  Bildungen,  veranlasst  durch  die  innige  Verbindung  der 
Stränge  mit  der  Bauchfläche  des  Hirns.  Ursprünglich  sind  jene  soliden  Aus- 
wüchse der  Grosshirnlappen  getrennt ;  aber  schon  in  etwas  grösseren  Larven 
findet  man  sie  in  der  Medianebene  verschmolzen,  sodass  nur  eine  seichte  Furche 
ihre  frühere  Trennung  andeutet.  Sie  bilden  also  eine  vordere  Verbindung  der 
Grosshirnlappen,  während  dieselben  im  grösseren  Verlaufe  ihrer  Länge  völlig 


29C)  V-  Das  Centralnervensystem. 

getrennt  bleiben.  -  -  Ein  weiteres  Eingeben  auf  die  Einzelheiten  des  Vorderhirns 
liegt  nicht  im  Plane  dieser  Arbeit;  ich  wende  mich  daher  jetzt  zum  Hinterbirne. 
Das  Hinterhirn  ist  nicht  nur  ursprünglich  eine  wenig  veränderte  Fortsetzung 
des  Rückenmarkes,  sondern  bleibt  es  eigentlich  auch  im  erwachsenen  Thiere, 
wesshalb  seine  weitere  Ausbildung  der  Untersuchung  keine  Schwierigkeiten 
macht.  Man  denke  sich  die  dicken  Seitentheile  der  Rückenmarksröhre,  wäh- 
rend sie  an  der  unteren  Hälfte  nahe  zusammen  stehen,  aufwärts  stark  aus  ein- 
ander gebogen,  sodass  der  sehr  erweiterte  Raum  von  einem  dünnen  Dache 
überwölbt  wird,  und  man  hat  die  allgemeine  Form  nicht  nur  des  embryonalen 
sondern  auch  des  Hinterhirnes  der  jüngeren  Larven  (Taf.  VIII,  Taf.  XV).  So- 
wohl die  Wölbung  wie  die  seitliche  Erweiterung  nehmen  von  hinten  nach  vorn 
zu.  Hinter  dem  Mittelhirne  geht  das  dünne  Dach  in  eine  senkrechte  dicke  Platte 
über,  welche  die  Hinterwand  der  zwischen  beiden  Hirnhälften  befindlichen  Ein- 
sclmürung  bildet,  sodass  also  nur  die  spaltartige  untere  Hälfte  des  Hinterhirn- 
raumes unter  jener  Einschnürung  hindurch  eine  unmittelbare  Fortsetzung  im 
Verbindungskanale  findet.  Das  dünne  ohngefähr  dreickige  Dach  des  Hinter- 
hirns löst  sich  später  ebenso  wie  es  in  der  vorderen  Hirnlücke  geschieht,  von 
den  Seitentheilen  ab  und  bildet  gleichfalls  den  unteren  epithelartigen  Ueberzug 
des  Adergeflechts  des  Hinterhirns.  An  demselben  glaube  ich  deutlich  erkannt 
zu  haben,  class  die  Gefässe  in  tiefe  Rinnen  des  Hirndaches  eingesenkt  waren ; 
ihre  Anordnung  in  langen  Schleifen,  welche  von  einem  mittleren,  gegen  die 
beiden  vorderen  Ecken  des  Hirndaches  gabelig  gespaltenen  Stamme  gegen  die 
äusseren  Ränder  ziehen,  erzeugt  daher  an  der  Innenfläche  des  Hirndaches  ein 
zierliches  Bild  von  sehr  scharf  ausgeprägten  Wülsten  (Taf.  VIII  Fig.  149.  152). 
Während  der  Ablösung  der  dünnen  Decke  drängt  der  sich  ausdehnende  Gewölbe- 
theil  des  Mittelhirns  gegen  die  vordere  senkrechte  Platte  des  Hinterhirns  rück- 
wärts; dadurch  wird  sie  endlich  nach  hinten  umgelegt  und  bildet  alsdann  eine 
schmale  Brücke  über  dem  Anfange  der  Hinterhirnhöhle,  welche  man  mit  Recht 
dem  kleinen  Gehirne  der  höheren  Wirbelthiere  vergleicht.  Jene  Verschiebung 
des  Gewölbetheils  vom  Mittelhirne  ist  unzweifelhaft  mit  eine  Folge  der  schon 
besprochenen  Hebung  der  ganzen  vorderen  Hirnhälfte.  Dass  sie  aber  nicht 
zugleich  ein  Zeichen  für  eine  wirkliche  Umrollung  dieser  Hirnhälfte  ist,  ergibt 
sich  aus  der  gleich  zeitigen  Erhebung  der  vorderen  Grundfläche  des  Hinterhirnes, 
wodurch  eine  quere  Vorwölbung  derselben  erzeugt  und  ferner  der  Knickungs- 
winkel der  allgemeinen  Hirnaxe  ohngefähr  in  gleichem  Masse  verengt  wird, 
als  jene  Verschiebung  zu  seiner  Erweiterung  beiträgt. 


V.  Das  Centralnervensystem.  297 

Die  histologische  Entwiekelung  des  Hirnes  ist,  soweit  es  die  Bildung  der 
Nervenfasern  und  -Zeilen  betrifft,  ganz  dieselbe  wie  im  Rückenmarke.  Es  ist 
aber  selbstverständlich,  dass  ich  auf  ihre  mannigfaltigen  Gruppirungen  im  Hirne 
im  Einzelnen  nicht  näher  eingehen  kann.  Daher  will  ich  nur  eine  hieher  ge- 
hörige Beobachtung  mittheilen,  weil  sie  meine  Darstellung  der  morphologischen 
Hirnbildung  illustrirt.  Die  weisse  Masse  setzt  sich  vom  Rückenmarke  her  un- 
unterbrochen in  das  Hirn  fort,  und  so  wie  dort  ihre  beiden  Streifen  der  Axe 
der  Nervenröhre  parallel  verlaufen,  befinden  sie  sich  auch  im  Hinter-  und  Mittel- 
hirne in  der  unteren  Hälfte  der  Seitentheile  in  geradliniger  Fortsetzung  vom 
Rücken  her.  Im  Vorderhirne  angelangt,  verlaufen  sie  nicht  etwa  in  derselben 
Richtung  weiter,  also  horizontal  zum  späteren  Vorderende  des  ganzen  Hirnes, 
sondern  bleiben  in  der  ursprünglichen  Richtung  der  Seitenplatten,  biegen  also 
unter  dem  Gewölbe  des  Mittelhirnes  rechtwinkelig  nach  unten  um,  und  vereini- 
gen sich  gürtelförmig  im  Bereiche  der  Sehnervenplatten,  sodass  der  vor  dem 
Sehnerven  liegende  Theil  der  Fasern  sich  später  gegen  die  Grosshirnlappen 
ausbreitet,  der  andere  Theil  hinter  dem  Sehnerven  in  den  Basaltheil  hinüber- 
greift, während  die  graubleibende  Sehnervenplatte  zwischen  beiden  Bündeln 
quer  eingelagert  bleibt,  also  den  sonst  einheitlichen  Hauptfaserzug  in  seinen 
Schlussstücken  spaltet  (Taf.  XV  Fig.  284,  Taf.  XVI  Fig.  2  97,  303,  Taf.  XVIII 
Fig.  304.  305.  314 — 316).  Andere  weisse  Faserzüge  entstehen  wie  es  scheint 
unabhängig  von  jenen  ursprünglichen  Streifen ,  welche  den  Verlauf  der  eigent- 
lichen Hirnaxe  und  die  Theile  des  Hirnes  bezeichnen,  welche  mit  den  Seiten- 
hälften des" Rückenmarkes  verglichen  werden  können. 


Indem  ich  zum  Vergleiche  der  früheren  und  meiner  eigenen  Beobachtungen 
über  die  Entwiekelung  des  Centralnervensystems  übergehe,  will  ich  zuerst  einige 
Angaben  über  dessen  Histiogenese  berichtigen.  Reichert  lässt  die  innere  ge- 
färbte Auskleidung  der  Nervenröhre,  Remak  dagegen  den  Centralkanal  des 
Rückenmarks  schwinden,  während  jene  Auskleidung  zur  besonderen  Anlage  der 
grauen  Masse  werden  soll.  Es  schwindet  aber  weder  das  Eine  noch  das  Andere, 
und  auch  die  zweite  Angabe  Remak's  ist  irrig,  da  die  Deckschicht  des  oberen 
Keimblattes  sich  bloss  in  den  inneren  Theil  der  grauen  Masse  verwandelt,  sodass 
die  Grundschicht  an  der  Bildung  des  letzteren  jedenfalls  stärker  betheiligt  ist.  Es 
bietet  gerade  das  Centralnervensystem  den  ersten  Beleg  dafür,  class  jene  beiden 


298  V".  Das  Centrahiervensystem. 

Schichten,  sobald  sie  aufhören  die  Theile  des  indifferenten  oberen  Keimblattes 
zu  sein,  zu  einer  gleichartigen  Bildungsmasse  verschmelzen.  Allerdings  unter- 
scheidet sich  die  unmittelbare  Auskleidung  des  Centralkanals  der  fertigen 
Nervenrühre  in  einem  gewissen  Grade  von  der  übrigen  grauen  Masse  durch  die 
epithelartige  Anordnung  ihrer  Zellen.  Aber  diese  Zellenlage  lässt  sich  nicht 
auf  die  besondere  morphologische  Anlage  der  Deckschicht  zurückführen ,  son- 
dern entsteht  nach  der  Verschmelzung  der  beiden  Keimblattschichten  durch 
histiologische,  d.  h.  auf  den  Veränderungen  der  Zellen  selbst  beruhende  Sonde- 
rung; und  ausserdem  wird  ein  nicht  geringer  Theil  der  Deckschicht  sowohl  beim 
Schlüsse  der  Medullarrölire  als  auch  bei  der  Verwachsung  des  oberen  Theils 
des  spaltförmigen  Centralkanals  von  dem  unmittelbaren  Umfange  des  letzteren 
ausgeschlossen  und  in  das  Innere  der  grauen  Masse  aufgenommen.*  Dieser 
rein  physiologische  und  nicht  morphologische  Werth  der  Zellenauskleidung  des 
Centralkanals  kann  gar  nicht  treffender  illustrirt  werden  als  durch  die  homolo- 
gen Theile  in  der  Augenblase,  nämlich  die  Stäbchen-  und  Zapfenschicht  und 
das  Pigmentepithel  der  Netzhaut,  welche  urspünglich  gleichfalls  die  kontinuir- 
liche  innere  Auskleidung  der  röhrig  geschlossenen  Axenplatte  darstellen  (vgl.  Taf. 
VIIIFig.159).  Die  Zapfenschicht  ist  von  der  übrigen  Netzhaut  weder  genetisch 
geschieden  noch  ihr  in  der  Art  eines  Epithels  entgegengestellt,  während  das 
Pigmentepithel  bloss  eine  verdünnte  Fortsetzung  der  ganzen  Netzhaut  ist.  — 
I  )ie  ursprüngliche  Zellenmasse  der  Cerebromedullarröhre  bildet  ferner  ausser 
den  Nervenelementen  auch  noch  bindegewebige  Theile  zwischen  denselben;  doch 
muss  ich  ganz  entschieden  der  Ansicht  von  v.  Baer  und  Rathjke  entgegentreten, 
als  wenn  die  äussern  Hüllen  des  Centralnervensystems  aus  der  ursprünglichen 
Nervenröhre  abstammten.  Ich  habe  ihre  Bildung  aus  dem  mittleren  Keimblatte 
Schritt  für  Schritt  verfolgen  können  {vgl  Taf.  XI 197.  198). 

Hinsichtlich  der  morphologischen  Entwicklung  des  Hirnes  sind  die  älte- 
sten Beobachtungen,  selbst  diejenigen  Pusconi's,  viel  zu  vereinzelt  um  einen 
lichtigen  Einblick  in  den  Zusammenhang,  der  Erscheinungen  gewähren  zu 
können;  sonst  wäre  es  auch  unerklärlich ,  wie  Rusconi  die  Augenblasen  vom 

*  Ich  mache  hier  darauf  aufmerksam,  dass  Stieda  im  Rückenmarke  des  Ampkioxus 
Spuren  eines  obliterirten  oberen  Abschnittes  vom  Centralkanal  fand,  dessen  frühere  Epithel- 
zellen sich  in  der  grauen  Masse  erhalten  hatten  (Studien  über  den  Amphioxus  Janceolatus, 
Memoires  de  l'Acad.  imp.  des  sciences  de  St.  Petersbourg,  XII  Serie,  Tome  XIX,  Nr.  7  S.  :!'.i). 
Ihre  Anwesenheit  scheint  aber  hinlänglich  zu  beweisen,  dass  sie  entweder  schon  vorher  in 
ihrer  Funktion  sich  von  der  übrigen  grauen  Masse  nicht  unterschieden  oder  sich  ihr  nach- 
träglich angepasst  hatten. 


V:  Das  Centralnervensystem.  299 

Beginne  ihrer  Abschnürung  an  für  die  Anlagen  der  Nasengruben  halten  konnte. 
So  beschreibt  er  ferner  ganz  richtig  die  Hirnbasis  älterer  Larven,  ohne  ihre 
frühere  Bildung  zu  erwähnen,  während  er  die  Längstheilungen  der  meisten 
Hirntheile,  namentlich  aber  die  wirklichen  Lücken  des  verlängerten  Markes 
und  des  Vorderhirnes  durchaus  irrthümlich  auf  die  offen  bleibenden  Hirnnäthe 
zurückzuführen  suchte,  lieber  die  Bildung  der  einzelnen  Hirnabschnitte  hat 
Rrscoxi  immerhin  einige  bemerkenswerthe  Thatsachen  festgestellt.  Erstens 
erkannte  er  vollständig  die  ursprüngliche  Hirnbeuge  und  die  Retortengestalt 
des  Hirnes;  ferner,  dass  die  nach  unten  abgebogene  Hirnhälfte  drei  vorgewölbte 
Abschnitte  erzeuge,  dieGrosshirnhemisphären,  die  Lobi  optici  und  den  Yierhügel, 
die  hintere  Hirnhälfte  aber  sich  in  das  Kleinhirn  und  das  verlängerte  Mark 
sondere.  Doch  wird  die  bleibende  Lage  dieser  Hirntheile  irrigerweise  so  auf- 
gefasst,  als  wenn  in  Folge  einer  Hebung  der  abgebogenen  Hirnhälfte  die  ganze 
spätere  Hirnaxe  in  einer  geraden  Linie  verliefe. 

Diese  von  Rusconi  eigentlich  nur  angedeuteten  Verhältnisse  gewannen  erst 
ihre  volle  Bedeutung  durch  die  weiteren  Ausführungen  v.  Baer's*,  welche  die 
noch  heute  giltigen  Grundlagen  zur  Beurtheilung  der  Architektonik  des  Hirnes 
lieferten.  Ich  muss  dazu  bemerken,  dass,  wenn  v.  Baer  die  Entwickelung 
des  Batrachierhirn.es  nur  ganz  kurz  behandelte,  weil  er  sich  auf  die  derselben 
durchaus  entsprechenden  und  näher  ausgeführten  Verhältnisse  im  Hirne  des 
Hühnchens  berufen  konnte,  es  mir  auch  gestattet  erscheint,  seine  Bemerkungen 
über  das  letztere  hier  in  den  Kreis  der  Betrachtung  zu  ziehen.  Die  Sonderungen 
des  vorderen,  erweiterten  Endes  der  Medullarröhre  schildert  er  folgendermassen. 
„Nachdem  zuerst  ein  vorderes  rundliches  Bläschen  von  dem  viel  längern  hintern 
Räume  sich  abgegrenzt  hatte,  theilt  sich  fast  gleich  darauf  auch  dieser,  und 
man  hat  nun  drei  Bläschen."  „Die  vordere  Blase  wird  das  grosse  Hirn,  die 
hintere  das  kleine  Hirn  mit  dem  verlängerten  Marke ,  und  die  mittlere  die  so- 
genannte Vierhügelmasse  mit  einem  entsprechenden  Theile  der  Hirnschenkel 
(Mittelhirn).  Das  vordere  Bläschen  theilt  sich  aber  bald  in  zwei  Abtheilungen, 
indem  die  vorderste  und  obere  Wand  sich  rasch  hervorstülpt.  Sie  stülpt  sich 
aber  doppelt  oder  zu  beiden  Seiten  neben  der  Mitte  hervor  (Grosshirnhemi- 
sphären —  Vorderhirn) ,  sodass  diese  im  Verhältniss  zu  den  Seitentheilen  ein- 
gesenkt bleibt.     Die  hintere  Region  des  ersten  Hauptbläschens  bleibt  unpaarig 


*  Für  die  theils  oberflächlichen ,  theils  falschen  Angaben  Eeichebt's  und  Remak's 
über  die  Morphologie  des  Batrachierhirnes  verweise  ich  einfach  auf  die  im  Eingange  dieses 


Abschnittes  mitgetheilten  Auszüge. 


300  V.  Das  Centralnervensystem. 

(dritte  Hirnkammer  —  Zwischenhirn)  und  grenzt  sich  auch  etwas  von  den  vor- 
dem gedoppelten  ab.  Auch  sondert  sich  die  hintere  Hauptblase  in  zwei,  eine 
vordere  kürzere  (kleines  Hirn  —  Hinterhirn)  und  eine  hintere  längere  (ver- 
längertes Mark  —  Nachhirn).  So  sind  also  fünf  Bläschen  aus  den  ursprüng- 
lichen dreien  entstanden"  (Nr.  8  II  S.  10G  — 107).  „Alle  Bläschen  liegen 
ursprünglich  ziemlich  in  einer  Linie  hinter  einander,  machen  jedoch  vorn  eine 
Krümmung,  da  das  vorderste  Ende  des  Embryo  sehr  früh  umgebogen  ist.  Auch 
stehen  sie  in  so  fern  nicht  in  gleicher  Beziehung  zu  einander,  als  das  vorderste 
Doppelbläschen  eine  Erweiterung  oder  eine  Art  Aussackung,  nicht  von  dem 
ganzen  Umfange  der  Medullarröhre,  sondern  nur  von  der  oberen  Wand  ihres 
vordem  Endes  ist,  woraus  folgt,  dass  das  ursprüngliche  vorderste  Ende  der 
gesammten  Medullarröhre  hinter  diesem  Doppelbläschen  zurückbleibt,  und 
eine  unmittelbare  Verlängerung  des  Zwischenhirnes  nach  unten  wird.  Dieses 
Ende  verengt  sich  später  allmählich  mehr,  wird  durch  die  allgemeine  Krümmung 
die  das  Hirn  erfährt,  nach  dem  Rückenmark  hin  zurückgebogen  und  bildet 
sich  zum  Trichter  und  Hirnanhange"  (S.  108).  Endlich  wird  noch  bemerkt, 
„dass  das  Hirn  aus  denselben  Markplatten  gebildet  wird,  aus  denen  auch  das 
Rückenmark  besteht.  Diese  Platten  sind  nun  absatzweise  zu  den  Bläschen 
ausgebuchtet  und  sehr  dünn.  Nur  der  untere  Rand,  eine  Fortsetzung  des  un- 
teren Rückenmarkstranges,  ist  schon  sehr  früh  etwas  dicker.  Er  nimmt  dann 
allmählich  an  Dicke  zu  und  gewinnt  das  Ansehen  eines  Hirnschenkels.  Man 
kann  also  nun  zwei  untere  Stränge,  die  Hirnschenkel,  und  von  ihnen  sich  er- 
hebende Blätter  unterscheiden.  Jede  Abtheilung  des  Hirnes  hat  ihren  Antheil 
an  dem  Hirnschenkel  mit  seiner  blattförmigen  Ausbreitung  jederSeite.  So  lange 
der  Hirnschenkel  nur  noch  der  kaum  umterscheidbare  Saum  der  Markplatten 
ist,  findet  er  in  der  hintern  Wand  des  Trichters  sein  Ende."  „Die  unteren  Stränge 
des  Rückenmarks  gehen  nämlich,  sobald  sie  eine  gewisse  Ausbildung  erlangt 
haben,  allerdings  in  das  Vorderhirn  über,  nicht  über  die  Centrallinie  der  Me- 
dullarröhre und  was  ihr  zunächst  liegt"  (S.  109).  Aus  diesen  Beobachtungen 
zieht  v.  Baee  den  Schluss,  dass  die  oben  bezeichneten  fünf  Abschnitte  „morpho- 
logische Elemente  des  Hirns"  seien,  und  dass  man  mit  Recht  sagen  könne, 
„dass  das  Hirn  in  der  ersten  Periode  eine  längliche,  in  fünf  Abschnitte  getheilte 
Erweiterung  der  Medullarröhre  ist"  (S.  107—108). 

Die  vorangestellten  eigentlichen  Beobachtungen  enthalten,  ohne  dass  es 
v.  Baer  selbst  hervorgehoben  hätte,  zwei  sehr  wichtige  allgemeine  Thatsachen: 
1.  dass,  da  der  Trichter  und  Hirnanhang  das  ursprüngliche  Hirnende  darstellten, 


V.  Das  Centralnervensystem.  301 

auch  die  fortgesetzten  Seitenplatten  des  Rückenmarks  dort  ausliefen,  die  Hirn- 
axe  stets  umgebogen  bleiben  müsse,  2.  dass  jeder  Hirnabschnitt  einen  Theil  der 
ganzen  Hirnröhre,  also  auch  der  gemeinsamen  Axe,  der  Seitenplatten  und  der 
dadurch  bezeichneten  Grundfläche  enthalte.  Diese  Thatsachen  sind  in  ihrer 
Allgemeinheit  ganz  richtig,  und  wenn  v.  Baer  selbst  keinen  besonderen  Nach- 
druck darauf  legte,  so  sehe  ich  den  Grund  dafür  darin,  dass  seine  Auffassung 
des  fertigen  Hirnes,  die  ich  erst  Aveiter  unten  besprechen  will,  gar  nicht  an  jene 
Thatsachen  anknüpfte.  Im  einzelnen  sind  jedoch  jene  Beobachtungen  nicht 
fehlerfrei  und  dies  rührt  zum  grössten  Theile  daher,  dass  das  ihnen  zu  Grunde 
liegende  Objekt,  das  embryonale  Hirn  des  Vogels,  zur  Feststellung  allgemein- 
giltiger  Unterscheidungen  viel  weniger  geeignet  ist  als  z.  B.  das  Hirn  der  Ba- 
trachierembryonen.  Im  ersteren  ist  allerdings  die  Basis  der  abgebogenen 
vorderen  Hirnhälfte,  nämlich  die  Hinterwand  des  späteren  Trichters  sehr  deut- 
lich markirt;  von  dort  an  vor-  und  aufwärts  beschreibt  aber  die  Hirnwand  bis 
zum  Scheitel  des  Mittelhirnes  einen  fortlaufenden  Bogen,  und  wurde  daher  von 
v.  Baer  offenbar  bloss  für  die  eigentliche  Oberseite  der  Hirnröhre  gehalten, 
sodass  also  die  letztere  sehr  verschmächtigt  und  gewissermassen  mit  einer 
Spitze  im  künftigen  Hirntrichter  enden  sollte.  An  den  Batrachierembryonen 
ist  aber  die  Axe  der  vorderen  Hirnhälfte  und  daher  die  Schlussseite,  oder  das 
eigentliche  Hirnende  so  bestimmt  vorgezeichnet  und  ferner  durch  den  Verlauf 
der  Seitenplatten  weisser  Marksubstanz  so  unverkennbar  festgestellt,  dass  bei 
den  Amnioten  dieselben  Verhältnisse ,  wie  mir  scheint,  nur  durch  die  sehr  früh 
beginnende  Vorwölbung  des  Vorderhirnes  sich  der  Erkenntniss  entziehen.  Denn 
das,  was  v.  Baer  von  den  Hirnschenkeln  seiner  Embryonen  sagt,  kann  ich  für 
die  Embryonalzeit,  um  welche  es  sich  bei  unseren  Bestimmungen  handelt,  nicht 
bestätigen,  da  ich  alsdann  in  der  Hirnwand  gar  keine  histiologischen  Unterschiede 
finde.  Daher  muss  ich  daran  festhalten,  dass  die  Hirnaxe  zwischen  der  Wurzel 
der  Grosshirnhemisphären  und  dem  Trichter,  also  ohngefähr  zwischen  den  Seh- 
nervenursprüngen ende,  und  dass  der  Trichter  nur  den  Basaltheil  des  Vorder- 
hirnes darstelle.  Immerhin  hat  v.  Baer  ganz  richtig  die  Grosshirnhemisphären 
und  den  Trichter  als  zusammengehörige  Theile  eines  ersten  Hirnabschnittes, 
und  nur  irrigerweise  das  die  dritte  Hirnkammer  einschliessende  Zwischenhirn 
als  einen  zweiten,  darüber  liegenden  Abschnitt  aufgefasst.  Denn  jene  beiden 
erstgenannten  Hirnregionen  bilden  niemals,  auch  nicht  bei  den  Amnioten,  einen 
unter  der  dritten  Hirnkammer  zusammenhängenden  und  von  dieser  abgeson- 
derten Theil-,  sondern  die  letztere  liegt  stets  zwischen  beiden  und  bildet  den 


302  V.  Das  Centralnervensystem. 

Gewölbetheil,  der  Trichter  den  Basaltheil  eines  ersten  vorderstenHirnabschnittes, 
dessen  Decke  sich  in  die  zwei  hohlen  Lappen  des  grossen  Hirnes  ausstülpt. 
Wenn  man  von  homologen  Abschnitten  der  ganzen  Hirnröhre  reden  will,  so  gibt 
es  in  der  vorderen  Hirnhälfte  nur  zwei,  mein  Vorderhirn  und  das  Mittelhirn. 
Denn  wenn  ich  auch  in  der  Beschreibung  zwei  Gewölbehälften  des  ersteren 
unterschied,  so  kann  doch  nicht  entgangen  sein,  dass  diese  Unterscheidung  sich 
mit  der  anatomischen  Eintheilung  des  fertigen  Hirns  nicht  deckt.  Einmal 
bleiben  die  zu  jenen  beiden  Gewölbehälften  zugehörigen  übrigen  Regionen  der 
Hirnröhre,  nämlich  der  Mittel-  oder  Stammtheil  des  Vorderhirns  mit  dem  Ver- 
bindungskanale  und  alsdann  der  Basaltheil,  der  sich  später  in  den  Hirntrichter 
verwandelt,  ungetheilt.  Was  nun  das  Gewölbe  des  Vorderhirns  selbst  anbe- 
langt, so  geht  sein  ursprünglicher  Bestand  gar  nicht  in  der  Art  verloren,  dass 
eine  vordere  Hälfte  sich  in  den  Grosshirnhemisphären  von  einer  hinteren  trennte; 
sundern  die  erstere  bleibt,  soweit  sie  durch  die  vordere  Umschliessung  der  un- 
paaren  dritten  Hirnkammer  und  durch  die  Verbindungshaut,  namentlich  durch 
deren  rautenförmige  Verbreiterung  von  Anfang  an  gekennzeichnet  ist,  auch 
weiterhin  bestehen  und  z.  B.  durch  die  an  Stelle  jener  Verbindungshaut  tretende 
Hirnlücke  immer  leicht  unterscheidbar.  Während  ferner  die  Grosshirnlappen 
nur  als  eine  Art  Anhangsbildung  dieses  Vordergewölbes  erscheinen,  verliert 
dasselbe  später  sogar  seine  vorübergehende  und  nur  äusserliche  Absonderung 
gegen  dasHintergewölbe,  um  mitilim  wieder  zu  der  einheitlichen  Decke  der  dritten 
Hirnkammer  zusammenzufliessen.  Wäre  dies  aber  auch  nicht  der  Fall  und 
erhielte  sich  auch  die  äusserliche  Sonderung  beider  Gewölbehälften,  so  wäre 
doch  die  ähnliche  Entwicklung  des  Mittelhirns  massgebend:  dasselbe  zeigt 
anfangs,  wenn  auch  in  geringerem  Grade,  dieselbe  Sonderung  seines  Gewölbes 
wie  das  Vorderhirn.  Die  Rückbildung  der  hinteren  Hälfte  des  Mittelhirn- 
gewölbes ist  aber  natürlich  für  die  Beurtheilung  der  Homologie  von  keinem 
Belang.  Wenn  die  homologen  Körpertheile  sich  nicht  verschieden  entwickelten, 
so  würden  wir  eben  überhaupt  nicht  nach  Homologien  suchen.  Solange  also 
das  Mittelhirn  mit  vollem  Rechte  für  einen  einheitlichen  und  einfachen 
Hirnabschnitt  angesehen  wird,  so  lange  muss  dies  auch  für  das  Vorderhirn  gelten. 
Selbst  die  Sonderung  von  Vorder-  und  Mittelhirn  ist  nicht  so  ursprünglich  und 
scharf,  als  man  es  vielleicht  annimmt.  Remak's  Angabe,  dass  dieselbe  bei  den 
Batrachiern  derjenigen  von  Mittel-  und  Hinterhirn  vorangehe,  ist  nach  meinen 
Untersuchungen  ganz  irrig  und  konnte  sich  nur  auf  die  Beobachtung  des  Vogel- 
hirns    stützen,     an    welchem    schon    v.    Baee   das    Vorderhirn  sich  zuerst 


V.  Das  Centralnervcnsystem.  303 

abgrenzen  sah.  Genau  genommen  gründet  sich  aber  diese  Sonderung  nur  auf  die 
beginnende  Vorwölbimg  der  Augenblasen ,  deren  hintere  Abschnürung  jedoch 
selbst  in  der  allerersten  Zeit  nicht  mit  der  bleibenden  Grenze  des  Vorderhirns 
zusammenfällt,  welche  vielmehr  eine  kurze  Strecke  dahinter  und  nicht  früher 
als  die  ähnliche  hintere  Abgrenzung  des  Mittelhirns  oder  die  Scheidung  meiner 
beiden  Hirnhälften  erscheint  (vgl.  Nr.  40  Taf.  UI  Fig.  30,  Nr.  110  Taf.  II.  III). 
Und  damit  stimmen  meine  Beobachtungen  an  Batrachiern  überein  {Taf.  VI 
Fig.  108,  Taf  VII  Fig.127),  sodass  ich  die  Theilung  in  jene  beiden  Hälften  als 
die  ursprünglichere  betrachten  muss.  —  Was  die  Trennung  von  Hinterhirn 
und  Nachhirn  betrifft,  so  gilt  für  sie  dasselbe,  was  ich  vom  Vorderhirne  sagte: 
homologe  Abschnitte  der  ganzen  hinteren  Hirnhälfte  gibt  es  bei  den  Batrachier- 
embryonen  ganz  bestimmt  nicht,  und  soweit  meine  Erfahrungen  reichen,  auch 
nicht  bei  den  Embryonen  anderer  Wirbelthiere ,  sondern  nur  verschiedene  Ab- 
schnitte des  Hirndaches,  welche  bald  früher  und  stärker  (Amnioten),  bald  später 
und  schwächer  (Batrachier)  hervortreten  und  ebensowenig  wie  etwa  die  Aus- 
stülpungen der  Darmröhre  (Leber,  Lunge  u.  s.  w.)  zur  Eintheilung  des  ganzen 
betreffenden  Primitivorgans  benutzt  werden  dürfen.  Meine  Untersuchungen 
ergeben  also,  dass  die  drei  primitiven  Hirnabschnitte  oder  „Hirnbläschen"  von 
v.  Baer  nach  ihrer  Lage  und  ihren  Grenzen  im  allgemeinen  richtig  bestimmt 
wurden,  wogegen  die  fortgesetzte  Theilung  in  fünf  homologe  Abschnitte  un- 
zulässig ist.  Wir  hätten  also  zuerst  zwei  Hirnhälften,  von  denen  die  hintere 
annähernd  horizontal  liegen  bleibt*  die  vordere  aber  abgebogen  wird,  sodass 
die  ursprüngliche  Axenknickung  niemals  verschwindet.  Die  Beugung  selbst 
fällt  in  den  Bereich  der  vorderen  Hirnhälfte,  und  der  sie  umfassende  Abschnitt 
sondert  sich  als  Mittelhirn  ab ,  welches  keilförmig  den  Raum  zwischen  dem 
Hinter-  und  dem  Vorderhirne  ausfüllt,  In  dem  letzteren  läuft  die  Axe  an  der 
Sehnervenplatte  aus,  d.  h.  etwa  in  der  Mitte  der  Schlussseite  des  ganzen  Hirns 
oder  der  späteren  anatomischen  Hirnbasis.  Diese  drei  Abschnitte  beziehen  sich 
alle  auf  die  ganze  ursprüngliche  Hirnröhre,  sind  also  einander  vollständig 
homolog-,  denn  jeder  hat  einen  Antheil  an  der  Basis,  am  Mitteltheile  und  an 
der  Decke  des  röhrigen  Primitivorgans.  Ausserdem  ist  aber  auch  ihre  fernere 
Entwicklung  ihrem  Wesen  nach  nicht  sehr  verschieden,  indem  sie  überall  vor- 
herrschend in  der  gleichen  Region,  nämlich  am  Gewölbe  oder  Hirndache  erfolgt, 


f  Die  nach  unten  konvexe  Biegung  des  Hinterhirns  tritt  erst  während  der  späteren 
Entwickelung  ein  und  ändert  ferner,  wie  ich  zeigte  und  worauf  es  hier  in  erster  Linie  an- 
kommt, nicht  das  Verhältniss  des  hinteren  Axenabschnittes  zum  vorderen. 


304  "V-  Das  CentraJnervensystem. 

dessen  Ausdehnung  durch  die  umgebenden  Fornibedingungen  am  meisten  be- 
günstigt erscheint.  Darin,  dass  diese  Entwickelung  des  Gewölbes  überall  in 
aufwärts  gerichteten  Ausbuchtungen  sich  offenbart,  welche  in  der  Höhe  mehr 
oder  weniger  deutlich  halbirt  erscheinen*,  lässt  sich  eine  fernere  allgemeine 
Uebereinstimmung  der  drei  Gewölbeabschnitte  nicht  verkeimen.  Die  homologen 
Theile  derselben  im  Vorder-,  Mittel-  und  Hinterhirne  sind  also  1.  die  Grosshirn- 
hemisphären  nebst  der  Decke  der  dritten  Hirnkammer  und  dem  Epithel  des 
Adergeflechtes ,  der  Vierhügel  und  das  kleine  Gehirn  nebst  dem  Epithel  des 
hinteren  Adergeflechts,  2.  die  dritte  Hirnkammer,  die  obere  Erweiterung  des 
Aquaeductus  Sylvii  und  der  vierten  Hirnkammer.  Hinsichtlich  der  Abwei- 
chungen in  der  Entwickelung  der  einzelnen  Gewölbe  verweise  ich  auf  die 
oben,  mitgetheilten  Bemerkungen  über  das  Vorderhirngewölbe.  Alle  übrigen 
Besonderheiten**  ergeben  sich  von  selbst  ohne  die  allgemeine  Auffassung 
zu  stören.  Die  Veränderungen  der  Basaltheile  sind  geringer,  indem  der 
'Trichter  (Vorderhirn),  der  Boden  des  Aquaeductus  Sylvii  (Mittelhirn)  und 
derjenige  der  vierten  Hirnkammer  (Hinterhirn)  die  betreffenden  drei  Homo- 
loga  sind,  wobei  übrigens  nicht  zu  vergessen  ist,  dass  am  Vorderhirne  eine 
Schlussseite  dazukommt,  sodass  dort  das,  was  am  Mittel-  und  Hinterhirne 
als  eine  fortlaufende  Rinne  erscheint,  einen  vorderen  (unteren)  Abschluss 
besitzt  und  daher  natürlich  von  Anlang  an,  bevor  noch  eine  weitere  Umbildung 
eintrat,  buchtförmig  ist.  Am  wenigsten  verändert  sich  der  Mitteltheil  der  drei 
Hirnabsclmitte,  den  ich  daher  den  Stammtheil  nenne;  er  behält  seine  dicken 
Wände  mit  dem  eingeschlossenen  engen  Kanäle,  welcher  der  einzige  ununter- 
brochen fortlaufende  Theil  des  ursprünglichen  Hirnraumes  bleibt  und  daher 
die  durch  Einschnürungen  von  einander  getrennten  Buchten  der  Gewölbe  und 
der  Basaltheile  mit  einander  verbindet  (Verbindungskanal).  Wo  die  Basal- 
theile wenig  verändert  sind,  also  im  Mittel-  und  Hinterhirne,  bildet  der  Stamm- 
theil mit  denselben  einen  einzigen  Höhenabsclmitt.  Seinen  Abschluss  findet  er 
in  der  Sehnervenplatte. 

Da  alle  voranstehenden  Ausführungen  sich  auf  die  Batrachier  und  grössten- 
theils  auch  auf  die  Anmioten  beziehen,  so  will  ich  hier  noch  einige  kurze  Be- 

*  Auch  am  Homologon  des  kleinen  Gehirns  bei  den  Batrachicrn  ist  die  Halbirung  in  dem 
medianen  Einschnitte  angedeutet  (Taf.  VIII  Fig.  151). 

**  Die  Entstehnngsweise  der  Zirbel  der  Batrachier  verbietet  es,  sie  einfach  für  eine 
Ausbuchtung  des  Gewölbes  zu  erklären.  Da  sie  ein  Umbildungsprodukt  einer  letzten  Ver- 
bindung des  Hirns  mit  der  Oberhaut  ist,  könnte  dabei  an  die  ähnliche  Oeffnung  bei  den  Em- 
bryonen von  Amphic-xus  gedacht  werden  (Nr.  111  S.  7,  Taf.  11  Fig.  21.  2o). 


V.    Das  Centralnervensystem.  305 

merkungen  über  die  Entwickelung  des  Hirns  der  Knochenfische  hinzufügen* 
Sein  ursprünglicher  Zustand  ist  der  einer  gestreckten ,  vorn  nur  wenig  geneigten 
Fortsetzung  des  Rückenmarks,  und  es  kann  bei  den  eigentümlichen  äusseren 
Verhältnissen  der  Entwickelung  des  Teleostierkopfes  leicht  der  Eindruck  ent- 
stehen, dass  jene  Lage  sich  erhalte,  und  der  Hirntrichter  und  die  über  ihm 
befindliche  Faltung  der  Hirnbasis  sich  nicht  in  Folge  einer  allgemeinen  Hirn- 
biegung,  sondern  ohne  eine  solche  lokal  entwickelten.  Dennoch  glaube  ich  eine 
solche  Beugung  an  folgenden  Merkmalen  erkannt  zu  haben.  Die  Abschnürung 
der  Augenblasen  erfolgt  bei  allen  genannten  Wirbelthierembryonen in  der  Weise, 

# 

dass  sie  in  der  Nähe  des  Mittelhirnes  anfängt  und  parallel  der  Axe  des  Vorder- 
hirns gegen  die  Schlussseite  fortschreitet,  sodass  die  Wurzeln  der  Augenstiele 
an  der  letzteren  liegen.  Daher  finden  wir  die  Augenblasen  bei  den  Amnioten 
und  Batrachiern  von  unten  aufgerichtet,  bei  den  Knochenfischen  von  vorn  nach 
hinten  sich  erstreckend  und  ziemlich  nahe  der  Oberfläche  des  vordersten  Hirn- 
endes wurzelnd.  Diese  letztere  Lage  bleibt  aber  nicht  erhalten ;  das  hintere 
freie  Ende  der  Augenblase  richtet  sich  allmählich  auf,  die  Wurzel  ihres  Stieles 
senkt  sich  und  zugleich  wird  ein  unterer  hinterer  Theil  des  Vorderhirns  rück- 
wärts unter  das  Hinterhirn,  ein  oberer  Theil  vor  die  Augenblasen  geschoben. 
Da  ein  Zusammenhang  dieser  Lageveränderungen  nicht  zu  verkennen  ist,  so 
folgere  ich  daraus,  dass  die  durch  die  Wurzel  der  Augenstiele  bezeichnete 
Schlussseite  des  Vorderhirns  sich  abwärts  und  rückwärts  umwälzt  und  dadurch 
die  hinter  und  unter  dem  Auge  befindliche  eigentliche  Basis  des  Vorderhirns 
nach  hinten  umlegt,  sodass  genau  dieselben  Verhältnisse  hergestellt  werden, 
wie  ich  sie  bei  den  andern  Wirbelthieren  beschrieb.  DieseBewegung  kann  aber 
nur  auf  eine  Verlängerung  des  ganzen  Centralnervensystems  während  seiner 
Umbildung  zur  Röhrenform  zurückgeführt  werden.  So  lassen  sich  also  für  die 
morphologische  Umbildung  des  Hirns  bei  allen  Wirbelthierklassen  nicht  nur 
die  wesentlich  gleichen  Endergebnisse,  sondern  auch  ebenso  gleiche  allgemeine 
Ursachen  derselben  selbst  bei  verschiedener  äusserer  Erscheinung  nachweisen, 
wobei  ich  jedoch  für  das  Einzelne  wie  für  die  ganze  spätere  Entwickelung  auf 
die  Deutung  der  besonderen  mechanischen  Formbedingungen  verzichte,  da  ihre 
Mannigfaltigkeit,  welche  mit  derjenigen  der  Theile  wächst,  gar  zu  leicht  zu 
einseitiger  und  daher  irriger  Auffassung  führt,** 


*  Vgl.  den  Schluss  des  Abschnittes  IV.  1.  „Die  Leistungen  des  oberen  Keimblattes." 
**  Einen  Beweis  dafür  liefert  uns  His,  indem  er  die  nach  unten  konvexe  „Brücken- 

Goettr,  Entwickelungsgeschichte.  20 


306  V.    Das  Centralnervensystem. 

Nachdem  ich  aus  dem  Vergleiche  der  v.  BAEE'schen  und  meiner  eigenen 
Untersuchungen  erwiesen  habe,  dass  v.  Baee  den  morphologischen  Aufbau  des 
Hirns  in  einigen  der  wichtigsten  Punkte,  der  bleibenden  Axenbiegung  und  der 
ursprünglichen  Dreitheilung  senkrecht  zur  Axe,  richtig  erkannt  hat,  komme 
ich  zu  der  von  ihm  aufgestellten  allgemeinen  Auffassung,  zu  seinein  Schema 
der  Hirnbildung.  Dieses  Schema  beweist  noch  klarer  als  dasjenige  der  Ge- 
sammtentwickelung,  wie  sehr  bei  v.  Baee,  noch  die  rein  anatomische  Vorstel- 
lung in  der  Entwickelungsgeschichte  überwog.  Jene  nächstliegenden  Folge- 
rungen aus  seinen  Beobachtungen  hat  v.  Baee  selbst  anzuführen  unterlassen; 
ja,  im  unmittelbaren  Anschlüsse  an  die  letzteren  werden  zu  Gunsten  einer  sche- 
matischen und  durchaus  fehlerhaften  Darstellung  gerade  die  wichtigsten  Er- 
gebnisse vernachlässigt.  Er  wusste  und  hat  es  namentlich  für  die  Fische 
hervorgehoben  (Nr.  8  II  S.  298.  303),  dass  es  ursprünglich  nur  drei  primäre 
Hirnbläschen  gebe,  er  wusste,  dass  sein  von  der  Centrallinie  der  Nerven- 
röhre  ausgeschlossenes  Vorderhirn  keine  einfache  und  ursprüngliche  Anlage 
besitze,  sondern  eine  nachträgliche  Doppelausstülpung  aus  der  Decke  des 
ersten  jener  Bläschen  sei  und  ursprünglich  mit  dem  Trichter  zusammen- 
hänge (Nr.  8  II  S.  307) ;  im  fertig  ausgebildeten  Cyklostomenhirn,  „welches 
am  meisten  auf  der  ursprünglichen  Embryonenform  beharre"  und  welches 
daher  „von  der  Selbstständigkeit  der  fünf  morphologischen  Elemente  des 
Hirns  zu  überzeugen"  besonders  geeignet  sei,  sieht  endlich  v.  Baee  Hinter- 
hirn und  Nachhirn  in  einem  einzigen  Abschnitte  vereinigt  (S.  311).  Wenn  er 
trotz  diesem  allen  an  den  fünf  Hirnbläschen  als  den  Grundlagen  der  Hirn- 
bildung festhält,  so  lässt  sich  dies  nur  so  erklären ,  dass  er  im  Entwickelungs- 
verlaufe  gar  nicht  nach  allgemein  giltigen  Normen  suchte,  welche  erst  die 
anatomische  Auffassung  bestimmen  sollten,  sondern  nur  nach  der  einfachsten 
und  möglichst  gleichartigen  Erscheinungsform  verschiedener,  anatomisch  be- 
stimmter und  hervorragender  Theile.  So  entstand  jenes  Schema  der  Hirnbil- 
dung, welches  sich  weder  an  die  durch  die  Beobachtung  festgestellten  Homo- 
logieen  band,  noch  durch  die  vielen  Beweise  gegen  seine  allgemeine  Giltigkeit 
selbst  nur  für  die  fertige  anatomische  Erscheinung  erschüttert  wurde,  v.  Baee 
war  eben  Anatom,  bevor  es  noch  eine  Entwickelungsgeschichte  gab.    In  seinen 


krümmung"  des  Hinterhirns  mit  der  Amnionbildung  in  Zusammenhang  bringt  und  daher 
den  Anamnia  abspricht  (Nr.  109  S.  133).  Ich  habe  dieselbe  an  unserm  Batrachicr  beschrie- 
ben und  von  einem  jungen,  vollständig  entwickelten  Thiere  abgebildet  '(Tat.  VIII  Fig.  148). 
Noch  ausgezeichneter  finde  ich  die  Brückenkrümmung  an  einem  Acanthiasembryo. 


V.    Das  Centralnervensystem.  307 

grossartigen  Entwürfen  zur  vergleichenden  Anatomie  erkennen  wir  schon  den 
Einfluss  der  Vorstellungen  vom  Wesen  der  thierischen  Entwickelung,  denen  er 
zuerst  lebendigen  Ausdruck  verlieh,  aber  noclV  fehlte  die  Sicherheit  in  der  Füh- 
rung dieser  neuen  Begriffe,  noch  war  manches  Vorurtheil  zu  mächtig  um  unter 
den  wuchtigen  Streichen  der  jungen  Wissenschaft  völlig  zusammenzubrechen. 
So  hinterliess  v.  Baer  seinen  Nachfolgern  nicht  eine  unfehlbare  Urkunde, 
sondern  eigentlich  nur  eine  grossartige  Aufgabe,  zu  deren  Lösung  er  die  ersten 
wichtigen  Fingerzeige  gab.  So  wenig  vollkommen  aber  auch  seine  einzelnen 
Ausführungen  waren,  so  durchzog  sie  doch  alle  die  lebendige  Auffassung  der 
organischen  Entwickelung;  und  diesem  fesselnden  Antheilean  der  vollen  Wahr- 
heit haben  es  die  v.  BAER'schen  Schemata  zu  danken,  dass  sie  noch  immer  die 
Dogmen  vorstellen,  nach  denen  die  Anatomie  ihre  Urtheile  abwägt.  Ja,  seitdem 
der  Begriff  jener  Entwickelung  unsere  morphologischen  Anschauungen  ganz 
durchsättigt  und  sich  selbst  in  steigendem  Masse  geläutert  hat,  überträgt  man 
ihn  in  dieser  vollkommeneren  Gestalt  auf  jene  Tradition:  wer  jetzt  v.  Baer's 
Schema  von  der  Hirnbildung  wiederholt,  muss  davon  überzeugt  sein,  dass  die 
fünf  Hirnbläschen  homologe  Abschnitte  der  Hirnröhre  und  als  solche  thatsäch- 
lich  in  allen  Wirbelthierembryonen  vorhanden  seien.  Und  doch  hat  v.  Baer 
dies  weder  strikt  behauptet,  noch  uns  seine  widersprechenden  Beobachtungen 
vorenthalten.  Diese  scheinen  aber  vergessen,  und  das  unvollkommene  Bild 
gilt  für  die  eigentliche  Beobachtung ,  welche  man  immer  von  neuem  bestätigt 
zu  haben  glaubt,  indem  man  sich  bloss  das  Bild  stets  von  neuem  zusammen- 
sucht. 

Bevor  ich  unsern  Gegenstand,  die  Darstellung  der  allgemeinen  Hirnbildung 
verlasse,  glaube  ich  noch  einige  praktische  Fragen  erledigen  zu  müssen. —  Wenn 
uns  die  Entwicklungsgeschichte  zwingt,  im  Wirbelthierhirn*  nur  drei  ursprüng- 
liche und  homologe  Abschnitte  anzunehmen,  so  braucht  desshalb  die  anato- 
mische Eintheilung  noch  nicht  erschöpft  zu  sein.  An  jedem  der  drei  Abschnitte 
lassen  sich  untergeordnete  Sonderungen  unterscheiden,  welche  je  nach  ihrer 
Verbreitung  und  der  Ausbildung  der  gesonderten  Theile  natürlich  eine  ver- 
schiedene Beachtung  verdienen,  aber  da  sie  nirgends  den  ganzen  Umfang  der 


*  Was  für  die  Batrachier,  Aninioten  und  Knochenfische  gilt,  kann  bei  der  allgemeinen 
Uebei-ein Stimmung  ihrer  embryonalen  und  ausgewachsenen  Hirne  mit  denen  der  übrigen 
Wirbelthiere  (Selachier,  Ganoiden,  Cyklostomen)  auch  für  die  letzteren  angenommen 
werden. 

20* 


308  V.    Das  Central  ncrvensystem. 

Hirnröhre  betreffen,  auch  niemals  den  Werth  jener  3  primitiven  Theile  bean- 
spruchen können.  Die  erste  Stelle  nimmt  dabei  das  Vorderhirn  ein,  weil  seine 
Eintheilung  in  drei  Höhenabschnitte  am  weitesten  verbreitet  ist.  Unter  diesen 
scheinen  die  paarigen  Ausstülpungen  der  Decke,  die  Grosshirnhemisphären, 
ausnahmslos  vorhanden  und  daher  die  Ursache  zu  sein,  dass  man  sie  irriger- 
weise unter  die  primitiven  homologen  Abschnitte  einreihte.  Durch  ihre  Tren- 
nung vom  Zwischenhirne  hat  v.  Baer  eine  Eintheilung  geschaffen,  welche,  wenn 
auch  nicht  im  ursprünglichen  Sinne,  anatomisch  und  genetisch  durchaus  ge- 
rechtfertigt ist.  Sein  Zwischenhirn  stellt  nämlich  zwischen  dem  Mittelhirne 
und  den  Grosshirnhemisphären  das  ganze  ursprüngliche  Vorderhirn,  wie  ich  es 
bestimmte,  vor*  und  wird  nach  v.  Baer's  Angaben  (Nr.  8  II  S.  108.  110.  1 13) 
durch  die  Hirnlücke  oder  den  Hirnschlitz  oben  und  die  Sehnervenursprünge 
(Sehnervenplatte)  unten,  wozu  man  noch  vorn  die  Verbindungshaut  mit  der 
vorderen  Kommissur  hinzurechnen  sollte,  ganz  genau  gekennzeichnet.  Will 
man  ausserdem  den  Trichter  als  den  mehr  oder  weniger  abgeschnürten  Basal- 
theil des  Vorderhirns  vom  Zwischenhirne  trennen,  so  entspräche  das  letztere 
immerhin  genetisch  gut  unterschiedenen  Theilen,  nämlich  dem  Stammtheile  und 
dem  primitiven  Gewölbe  des  Vorderhirns.  In  neuerer  Zeit  hat  nun  Miklucho- 
Maclay,  indem  er  behauptet  von  den  v.  BAEß'schen  Grundformen  der  Hirn- 
bildung auszugehen  (Nr.  112.  S.  5),  den  vordersten  Abschnitt  des  Selachierhirns 
als  Vorderhirn  so  bestimmt,  dass  derselbe  ausser  den  Grosshirnhemisphären  in 
der  vorderen  Hälfte  der  dritten  Hirnkammer  noch  einen  unpaaren  Theil  besitze, 
welcher  an  der  (anatomischen)  Hirnbasis  in  den  Trichter  übergehe  und  sowohl 
den  Hirnschlitz  als  auch ,  wie  die  Bezeichnung  der  Abbildungen  bestätigt ,  den 
Sehnervenursprung  umfasse  (S.  7).  Eine  Erklärung  dieser  scheinbar  ganz 
willkürlichen  Abweichung  von  der  allgemein  angenommenen  und  wie  ich  zeigte 
ganz  gut  begründeten  v.  BAER'schen  Eintheilung  des  Vorderhirns  findet  sich  in 
einer  zugehörigen  Bemerkung  insofern,  als  daraus  hervorgeht,  dass  Miklucho- 
Maclay  die  Inkongruenz  der  v.  BAER'schen  Beobachtungen  und  seines  Schemas 
gar  nicht  erkannt,  sondern  geglaubt  hat,  aus  Beidem  eine  einheitliche  Darstellung 
herauslesen  zu  müssen.  Aber  gegenüber  derbestimmten  anatomischen  Unterschei- 
dung des  Zwischenhirns,  welche  v.  Baer  für  die  Fische  ausdrücklich  wiederholte 


*  Hat  man  die  untergeordnete  Stehung  der  Grosshirnhemisphären  in  der  typischen  Gliede- 
rung des  Hirns  zugegeben,  so  dürfte  der  Name  „Vorderhirn"  für  sie  nicht  mehr  passen,  weil 
darin  doch  eine  Gleichstellung  mit  dem  Mittel-  und  Hinterhirne  angedeutet  ist. 


V.    Das  Centralnervensystem.  309 

Nr.  811  S<  303—306)  kann  seine  Bemerkung  über  den  ursprünglichen  Zusammen- 
hang der  Grosshirnhemisphären  und  des  Trichters  nur  den  Sinn  haben,  dass 
sie,  was  auch  in  der  That  der  Fall  ist,  zusammengehörige  Höhenabschnitte, 
Decke  und  Basis  desselben  horizontal  umgelegten  Vorderendes  der  Hirnröhre 
seien;  was  aber  nicht  ausschliesst,  dass  das  Zwischenhirn  als  der  betreffende 
Mitteltheil  von  Anfang  an  zwischen  ihnen  liege.  Denn  v.  Baer  selbst  sieht  die 
Augenanlagen,  also  einen  Theil  des  Zwischenhirns  früher  auftreten,  als  jene 
später  durch  die  Sehnervenursprünge  getrennten  Theile  sich  aus  der  Hirnröhre 
abgesondert  haben.  Daher  muss  ich  jene  xAusscheidung  des  vorderen  Theils 
der  dritten  Hirnkammer  mit  dem  Hirnschlitze  und  der  Sehnervenplatte  aus  dein 
Begriffe  des  Zwischenhirns,  wenn  Miklucho-Maclay  sich  dabei  auf  v.  Baer 
beruft,  als  missverständlich  bezeichnen.  Anatomisch  ist  sie  aber  auch  nicht 
haltbar;  denn  die  deutliche  Sonderung  des  hinteren  Gewölbes  des  Vorderhirns 
(M.  Maclay's  Zwischenhirn)  scheint,  soweit  ich  es  beurtheilen  kann,  auf  die 
Fische  beschränkt,  also  nichts  weniger  als  eine  allgemeine  Erscheinung  zu  sein. 
Mehr  noch  als  im  Vorderhirne,  bleibt  die  Einheit  im  Hinterhirne  gewahrt;  denn 
wenn  wir  seine  embryonale  Form  bei  den  niedern  Wirbelthieren  (Fische,  Ba- 
trachier)  auch  im  ausgebildeten  Zustande  ziemlich  unverändert  wiederfinden, 
so  kann  das  Gemeinsame  nur  in  jener  Einheit,  die  weitere  Sonderung  aber  als 
ein  Vorzug  einzelner  Klassen  erscheinen.  —  Noch  beschränkter  in  ihrer  Ver- 
breitung ist  die  Gliederung  des  Mittelhirns,  dessen  Theilung  in  eine  vordere 
und  hintere  Hälfte  sich  vielleicht  auf  die  von  mir  beschriebenen  vorderen  und 
hinteren  Schenkel  des  Gewölbes  zurückführen  Hesse. 

Für  die  Vergleichung  der  verschiedenen  Wirbelthierhirne  sind  bisher  nur 
die  Formen  ihrer  Einzeltheile  und  die  daraus  sich  ergebenden  Lageverhältnisse 
massgebend  gewesen.  Dies  wird  auf  die  Dauer  nicht  genügen ;  denn  wenn  uns 
die  Frage  nach  den  Verschiedenheiten  derHirnbildung  zunächst  auf  das  ursprüng- 
lich Gemeinsame  verweist,  von  dem  dieselben  ausgingen,  so  muss  man  beim 
Suchen  nach  einer  bestimmten  Erscheinungsform  des  Gemeinsamen  stets  auf 
ein  Schema  kommen,  da  eine  volle  Gleichheit  der  Erscheinungen  thatsächlich 
nicht  existirt.  Auch  die  Dreitheilung  des  Hirns  wäre  ein  Schema,  wenn  man 
dabei  an  drei  gleiche  Bläschen  dächte.  Die  volle  Geichheit  und  Gemeinsamkeit 
ist  eben  nur  im  Gesetze  zu  finden,  nicht  wie  es  in  der  Erscheinung  seinen  be- 
sonders bedingten  Ausdruck  findet,  sondern  wie  es  im  allgemeinen  Wechsel- 
verhältniss  der  wirkenden  Kräfte,  in  den  Ursachen  des  Werdens  sich  bethätigt. 
So  muss  uns  jene  Vergleichung  nothwendig  auf  die  allgemeinen  Bildungsur- 


310  V.    Das  Centralnervensystem. 

Sachen  zurückführen,  um  in  ihnen  die  Gemeinsamkeit  des  Gesetzes  und  die  Be- 
sonderheit der  konkreten  Bedingungen  zu  erkennen.  Wenn  man  jedoch  die 
reiche  Gliederung  der  einzelnen  Wechselwirkungen  überblickt,  in  welche  gerade 
bei  der  Entwickelung  des  Hirns  die  offenbar  höchst  einfachen  embryonalen 
Grundlagen  und  ersten  Formbedingungen  auslaufen,  so  muss  es  bedenklich 
erscheinen,  schon  jetzt  dem  einheitlichen  Kausalgesetze  nachzuforschen.  Indem 
ich  daher  die  ganze  Arbeit  besserer  Erkenntniss  und  reiferer  Ueberlegung  über- 
lasse, erlaube  ich  mir  nur  auf  ein  Verhältniss  aufmerksam  zu  machen,  welches 
ein  allgemeines  Gesetz  anzudeuten  scheint,  nämlich  den  Verlauf  der  Hirnaxe. 
Da  in  ihr  die  Lagerungsbeziehungen  aller  Theile  der  Hirnröhre  zusammentreffen, 
so  ist  es  klar,  dass  darin  auch  das  Lagerungsgesetz  derselben  ausgesprochen 
ist,  daher  auch  aus  einer  Veränderung  der  Axe  eine  solche  der  allgemeinen 
Lagerungsbeziehungen  oder  der  die  ganze  Hirnröhre  betreffenden  Bildungs- 
ursachen erkannt  werden  kann.  Eine  solche  Untersuchung  setzt  natürlich  die 
Bestimmung  der  Axe  voraus,  was  wiederum  von  der  allgemeinen,  gesetzmässigen 
Gestalt  des  Hirns  abhängt.  Denn  selbstverständlich  kann  von  einer  eigentlichen 
Axe  nur  bei  regelmässigen  Formen  die  Rede  sein.  Eine  solche  ist  für  das  Hirn 
bekanntlich  die  cylindrische  Röhre-,  wie  aber  deren  Verlauf  oder  was  dasselbe 
ist,  derjenige  ihrer  Axe  sich  während  der  Entwickelung  gestaltet,  scheint  mir  bis- 
her nicht  genügend  untersucht  zu  sein.  Dass  die  Hirnröhre  gleich  anfangs  eine 
starke  Biegung  ausführt,  ist  nicht  nur  aus  der  Entwickelung  der  Amnioten  und 
Batrachier  bekannt,  sondern  kann,  wie  ich  zeigte,  auch  für  die  Fische  ange- 
nommen werden.  Ich  will  hier  auf  die  Ursachen  dieser  Biegung  nicht  weiter 
eingehen,  sondern  nur  ihre  weiteren  Schicksale  verfolgen.  Solange  die  Höhe 
der  abgebogenen  Hirnröhre  wie  z.  B.  im  jungen  Batrachierembryo  eine  gleich- 
massige  bleibt,  kann  man  ihren  Verlauf  allerdings  nach  der  Grundfläche,  inso- 
fern dieselbe  der  Axe  parallel  läuft,  beurtheilen;  sowie  jene  Gleichmässigkeit 
aufhört,  hat  nur  noch  die  Hirnaxe  darüber  zu  entscheiden.  Vergebens  sucht 
man  aber  nach  bestimmten  Angaben  über  die  Hirnaxe.  v.  Baer  sagt  von  den 
Batrachiern  in  Uebereinstimmung  mit  Rusconi,  dass  das  vorher  „wenig  über- 
gebogene" Hirn  sich  später  „gerade  stelle"  (Nr.  8  II  S.  287);  bei  den  Säugethie- 
ren  soll  nach  der  „Erhebung"  des  Hirns  „nur  noch  der  Trichter  mit  dem  Hirn- 
anhange als  Denkmal  der  starken  Umbeugung  zurückbleiben"  (S.  216).  Huxley, 
der  eine  ganz  vortreffliche  anatomische  Darstellung  des  Wirbelthierhirns  ge- 
liefert hat,  zeichnet  das  Schema  desselben  so,  dass  nur  eine  gerade  fortlaufende 


V.    Das  Centralnervensystem.  311 

Axe  des  ganzen  Hirns  angenommen  werden  kann  (Nr.  113  S.  53).*  So  wenig 
aber  die  Hirnaxe  genannt  und  bezeichnet  wird,  ist  es  doch  klar,  dass,  wo  man 
in  den  Grosshirnhemisphären  das  erste  Hirnbläschen  annimmt,  an  welches  das 
Zwischenhirn  als  zweites  Hirnbläschen  bekanntlich  in  demselben  Niveau  sich 
anschliesst ,  die  Hirnaxe  nothwendig  an  jenem  vordersten  Hirnende  horizontal 
auslaufend  gedacht  werden  muss.  Dies  ist  aber  nach  meinen  Untersuchungen 
nicht  der  Fall.  Die  Hirnaxe  läuft  anfangs  nicht,  wie  man  nach  v.  Baer  an- 
nehmen könnte,  im  Trichter  als  dem  zugespitzten  Hirnende,  sondern  schon 
lange  bevor  ein  zugespitzter  Trichter  besteht,  an  der  eigentlichen  Schlussseite 
des  Hirns  oder  seiner  späteren  anatomischen  Basis  aus,  und  zwar  in  deren 
Mitte,  wo  in  der  Folge  die  Sehnervenplatte  entseht.  Es  fragt  sich  nun,  welche 
Umstände  diesen  Verlauf  abändern  können.  Von  den  Seiten  des  Hirns  kann 
dabei  ganz  abgesehen  werden,  weil  sie  sich  vollständig  symmetrisch  entwickeln. 
Für  die  Decke  und  die  Basis  der  vorderen  Hirnhälfte  muss  man  aber  annehmen, 
dass  nur  allgemeine  Veränderungen  ihrer  Mittellinien  auf  die  Bestimmung  der 
Hirnaxe  von  Einfluss  sein  können.  Die  beiden  Grosshirnhemisphären  müssen 
daher  davon  ausgeschlossen  bleiben ,  weil  sie  überhaupt  keine  Fortsetzung  der 
Hirnröhre,  sondern  seitlich  symmetrische  Ausstülpungen  derselben  sind,  welche 
also  ihren  Verlauf  gar  nicht  berühren ;  dasselbe  gilt  vom  Mittelhirne ,  welches 
nur  eine  lokal  beschränkte  Erweiterung  der  ganzen  Hirnröhre  darstellt.  Die 
allgemeinen  Lageveränderungen  der  Decke  und  der  Basis  der  vorderen  Hirn- 
hälfte sind  nun  sehr  einfach.  Im  Batrachierembryo  sieht  man  sie  anfangs  im 
sagittalen  Bilde  senkrecht  und  einander  parallel  verlaufen,  sodass  also  die  vor- 
dere abgebogene  Hirnaxe  die  gleiche  Richtung  verfolgt  (Taf.II Fig. 37);  weiter- 
hin divergiren  sie  gegen  die  sich  ausdehnende  Schlussseite,  und  wenn  man  die 
Axe  stets  in  möglichst  gleichen  Abständen  von  beiden  annimmt,  so  ergibt  sich, 
dass  sie  durch  die  gleichartige  Verschiebung  jener  beiden  Mittellinien  nicht 
verändert  wird,  sondern  stets  in  die  Sehnervenplatte  ausläuft  (Taf.  XVI  Fig. 
292.  293.  298) ;  endlich  weitet  sich  die  ganze  Decke  nach  vorn  und  oben  aus, 
ohne  jedoch  ihren  Endpunkt  an  der  Schlussseite  entsprechend  zu  verändern, 
sodass  dadurch  die  Umbieg ungsform  der  ganzen  Hirnaxe  aus  einem  Winkel  in 


*  Huxley  spricht  allerdings  nur  von  drei  Hirnbläschen ;  da  er  aber  dieselben  durchaus 
nicht  als  die  einzigen  homologen  Abschnitte  der  ganzen  Hirnröhre  bezeichnet,  sondern  nur 
als  die  Ausgangspunkte  der  Entwicklung,  wie  sie  ja  v.  Baer  selbst  aufstellte ,  so  muss  jene 
schematische  Abbildung  gerade  zur  Vorstellung  verleiten,  dass  auch  die  späteren  Bildungen 
den  Hirnbläschen  koordinirte  Abschnitte  seien. 


312  V    Das  Centraluerveusy stem, 

einen  immer  flacheren  Bogen  übergeht,  aber  das  durch  die  geraden  Enden  der 
Axe  (im  Hinterhirn  und  in  der  Sehnervenplatte)  bestimmte  Mass  der  Krümmung 
nicht  erheblich  geändert  wird  (Taf.  XV Fig.  283.  284).  Bei  unserem  Batra- 
chier  und  ich  kann  wohl  sagen ,  bei  den  Anuren  überhaupt  nimmt  also  die 
Hauptkrümmung  der  Hirnaxe  im  Laufe  der  Entwickelung  von  einem  etwas 
spitzen  bis  zu  einem  nahezu  rechten  Winkel  ab ,  ohne  sich  aber  darüber  hinaus 
wesentlich  zu  verändern.  Stellt  man  an  den  übrigen  Wirbelthieren  dieselbe 
Untersuchung  an,  so  ergibt  sich:  1.  dass  die  Krümmung  der  Hirnaxe  im  Em- 
bryo um  so  flacher  beginnt  und  um  so  langsamer  sich  ausbildet,  je  weniger  das 
ganze  Hirn  sich  später  entwickelt,  2.  dass  die  im  weiteren  Verlaufe  der  Ent- 
wickelung sich  offenbarende  Rückbildung  dieser  Krümmung  um  so  schwächer  ist, 
je  mächtiger  die  Grosshirnhemisphären  sich  ausbilden  und  umgekehrt.  An  den 
Säugethieren  finden  wir  die  stärkste  Anfangskrümmung  unter  einem  sehr  spitzen 
Winkel,*  und  ferner  beim  Menschen  eine  sehr  geringe,  bei  den  Säugethieren 
mit  wenig  entwickelten  Hemisphären  (Kaninchen)  schon  eine  stärkere  nach- 
trägliche Erweiterung  jenes  Winkels  (Nr.  113  S.  5(3,  Nr.  114  Taf.  I  Fig.  12, 
Taf.  VI  Fig.  2).  Die  Vögel  und  Reptilien  haben  anfangs  eine  beinahe  ebenso 
starke  Krümmung  der  Hirnaxe  wie  die  Säuger  (Nr.  115  Taf,  iTig.  7);  die  Rück- 
bildung derselben  ist  aber  sehr  auffallend,  der  Winkel  wird  stumpf  und  weiter 
als  bei  unsern  Batrachiern  (vgl.  Nr.  113  S.  260  und  meine  Abbildungen  Taf.  VIII 
Fig.  148 — 151).  Daraus  erklärt  sich  auch,  warum  das  Massenverhältniss  der 
Grosshirnhemisphären  und  des  Zwischenhirns  bei  jenen  Amnioten  und  den  Ba- 
trachiern ohngefähr  dasselbe  ist;  die  ersteren  haben  für  die  spätere  Entwicke- 
lung günstigere  Grundlagen,  aber  offenbar  viel  ungünstigere  weitere  Bedin- 
gungen als  dieBatrachier,  sodass  sie  gegenüber  den  letzteren,  welche  einen  lang- 
samen Fortschritt  bekunden,  eine  Rückbildung  von  einer  typisch  höheren  Stufe 
darstellen.  Aehnlich  verhält  es  sich  bei  den  Fischen.  Die  Anfangskrümmung 
finde  ich  bei  den  Teleostiern  (Forellenembryo)  am  flachsten,  bei  den  Selachiern 
(Embryo  von  Acanthias)  ebenso  stark  ausgebildet  wie  bei  den  Vögeln,  sodass 
eine  noch  stärkere  Rückbildung  eintritt;  und  der  bezeichnete  Zusammen- 
hang zwischen  der  Hirnkrümmung  und  der  Ausbildung  der  Grusshirnhemis- 
phären  ist  auf  der  Uebersichtstafel  von  Miklucho-Maclay  (Nr.  112  Taf.  VI) 
sehr  evident.     Dass  die  Cyklostomen  endlich  von  der  angegebenen  Regel  keine 


*  Da  der  Trichter  anfangs  gar  nicht  hervortritt,  so  kanu  der  Winkel  alsdann  schon  aus 
der  Biegung  der  Basis  erkannt  werden,  wie  ich  sie  in  Fig.  153  (Taf.  VIII)  von  einem  jungen 
Kaniuchenenibryo  abgebildet  habe. 


V.    Das  Centraluervensy stem.  313 

Ausnahme  machen  und  auch  in  dieser  Hinsicht  die  unterste  Stufe  einnehmen, 
ergibt  sich  aus  den  Abildungen  J.  Müllers  (Nr.  76  II  Tat'.  II.  III):  die  Hirn- 
axe  verläuft  bis  zur  Sehnervenplatte  in  einem  der  geraden  Linie  sehr  genäherten 
Bogen.  —  Sowie  die  Grosshirnhemisphären  mit  der  Hauptkrümmung  des  Hirns, 
scheint  das  kleine  Hirn  (Amnioten)  und  das  Mittelhirn  (Selachier)  mit  der 
sogen.  Brückenkrümnmng  in  Wechselbeziehung  zu  stehen.  Denn  diese  finde 
ich  auch  an  Haiembryonen  sehr  stark  entwickelt, 

Nach  diesen  Bemerkungen  über  den  wechselnden  Verlauf  der  Hirnaxe 
wird  man  demselben  eine  gewisse  Bedeutung  für  die  vergleichende  Beurtheilung 
verschiedener  Wirbelthiere  nicht  absprechen  können.  Denn  ganz  offenbar 
deutet  er  als  idealer  Ausdruck  für  die  allgemeinen  Bildimgsursachen  der  ganzen 
Hirnröhre  darauf  hin,  wie  die  Entwickelung  der  Einzeltheile  unter  einer  kau- 
salen Wechselwirkung  derselben  verläuft,  wie  nur  eine  ganz  bestimmte  Richtung 
und  Energie  jener  Ursachen  einen  Fortschritt  der  Gesammtentwickelung  des 
Hirns  bedingt,  und  in  welcher  Weise  etwa  beim  Ueberblick  über  die  ganze  Reihe 
vorhandener  Hirnformeu  das  Endergebniss  im  einzelnen  Falle  hier  als  Stillstand 
auf  einer  niederen  Stufe,  dort  als  Fortschritt  gegenüber  dem  ersteren  oder  end- 
lich als  Ablenkung  von  der  aufwärts  führenden  Bahn,  als  Rückbildung  erscheinen 
kann.  Mit  diesem  blossen  Hinweise  auf  ein  noch  wenig  bebautes  Gebiet  der 
Entwicklungsgeschichte  schliesse  ich  die  Betrachtung  der  allgemeinen  Hirn- 
bildung, um  noch  einige  Einzelheiten  hervorzuheben. 

Die  soliden  vorderen  Auswüchse  derGrosshirnlappen,  welche  ich  an  der  Unke 
beschrieb,  werden  allgemein  als  Lobi,  Bulbi  oderTubercula  olfactoria  aufgeführt 
und  mit  den  gleichnamigen  Theilen  anderer  Thiere  verglichen  (Nr.  41  Tai'.  XXIV 
Fig.  VII,  Nr.  80  S.  140. 142,  Nr.  89  S.  728,  Nr.  04  S.  7,  Nr.  113  S.  161).  Aus  meinen 
Beobachtungen  geht  aber  hervor,  dass  die  Anlagen  des  Geruchsorgans,  die  Ge- 
ruchsplatten ,  mit  der  Grundfläche  der  eigentlichen  hohlen  Grosshirnlappen  ver- 
schmelzen, bevor  jene  soliden  Fortsätze  nur  angedeutet  sind,  und  darauf  aus  dieser 
Verbindung  dieRiechnervenstränge  neben  den  nunmehr  gleichfalls  hervorwachsen- 
den Fortsätzen  herausgezogen  werden.  Allerdings  ist  die  Anlagerung  der  Stränge 
an  die  darüberliegenden  soliden Grosshirnfortsätze  sehr  innig;  aber  wenn  auch  in 
späterer  Zeit  ein  unmittelbarer  Uebertritt  von  Nervenfasern  aus  den  Fortsätzen 
in  die  Stränge  nachweisbar  ist,  so  lässt  sich  doch  die  grosse  Masse  der  letzteren 
stets  leicht  bis  zum  ersten  Ursprung  oder  den  Riechnervenhügeln  verfolgen,  welche 
dem  Vorderende  der  Streifenhügel  in  den  Seitenventrikeln  entsprechen.  Und 
da  diese  Bildung  sich  nicht  auf  unser  Thier  beschränkt,  sondern,  um  eiuen  Ge- 


314  V.    Das  Centralnervensystem. 

währsmann  zu  nennen,  durch  Wyman  von  der  Rana  pipiens  beschrieben  und 
abgebildet  ist  (Nr.  94  S.  7.  24,  Taf.  I  Fig.  1),  so  kann  die  Vernachlässigung  einer 
solchen  Beobachtung  (auch  durch  Wyman  selbst)  nur  der  mangelnden  Kennt- 
niss  der  betreffenden  Entwickelung  zugeschrieben  werden.  Auf  Grund  der  letzte- 
ren rnuss  ich  aber  behaupten,  dass  nicht  jene  soliden  Auswüchse,  welche  mit  den 
Riechnerven  erst  spät  und  in  beschränktem  Masse  in  Verbindung  treten ,  sondern 
die  Riechnervenhügel  die  eigentlichen  Lobi  oder  Bulbi  olfactorii  der  Batrachier 
sind.  Was  stellen  alsdann  jene  mit  einander  verwachsenen  Fortsätze  derGross- 
hirnhemisphären  vor?  Wyman's  Vermuthung,  dass  sie  der  nicht  getheilte  Rest 
des  ersten  Hirnbläschens  seien  (Nr.  94  S.  7  —  8),  brauche  ich  hier  nicht  ernst- 
lich zu  widerlegen.  Vielmehr  wird  man  darin,  dass  die  genannten  Gebilde  bei 
den  niedriger  stehenden,  weniger  entwickelten  Batrachiern,  bei  Proteus,  Siren, 
Menopoma,  Menobranchus,  gar  nicht  oder  viel  weniger  mit  einander  ver- 
schmelzen als  bei  den  Anuren  (vgl.  Nr.  6  Taf.  IV  Fig.  XL  XII,  Nr.  116  I 
Taf.  VII  Fig.  V.  VI,  Nr.  94  Taf.  II  Fig.  5),  einen  Beweis  sehen,  dass  die 
Verbindung  beider  Grosshirnhemisphären  durch  jene  Fortsätze  nicht  ein  Rück- 
bildungsprocess,  wie  bei  der  vollständigen  Verschmelzung  derselben  in  manchen 
Selachierhirnen,  sondern  ein  Fortschritt  sei,  bestimmt,  eine  besondere  Kom- 
missur der  einander  zugekehrten  freien  Flächen  der  Grosshirnhemisphären  her- 
zustellen. Alsdann  kann  aber  die  Homologie  dieser  Kommissur  nicht  zweifel- 
haft sein,  —  sie  stellt  gewissermassen  eine  erste  Entwickelungsstufe  eines  Hirn- 
balkens vor.  Derselbe  entsteht  bei  den  Säugethieren  als  eine  freie  und  im 
Durchschnitte  rundliche  Kommissur  zwischen  den  Grosshirnhemisphären,*  deren 
Ausgangspunkt  in  unentwickelten  Hirnformen  (Kaninchen)  vor  der  vorderen 
Kommissur  der  dritten  Hirnkammer  liegt  (vgl.  Nr.  113  S.  58);  und  damit  stimmt 
die  betreffende  Kommissur  der  Batrachier  vollständig  überein.  Nur  fehlt  ihr 
die  weitere  Entwickelung,  namentlich  die  Fortsetzaing  nach  hinten  in  Folge 
eines  entsprechenden  Wachsthumes  der  Hemisphären  und  der  untere  Anschluss 
an  die  Lamina  terminalis,  unsere  Verbindungshaut  des  Vorderhirns,  wodurch 
die  zwischenliegende  Trennungsspalte  und  die  sie  begrenzenden  Wände  der 
Hemisphären  zum  Septum  pelluciduin  würden.  Danach  dürfte  aber  die  Ver- 
bindungshaut des  Vorderhirns  der  Fische,  Reptilien  und  Vögel  nicht,  wie  es 
M.Maclay  auffasst(Nr.  112  S.  7),  alsllomologon  des  gesammtenKoinmissuren- 
systems  der  Säugethiere,  sondern  nur  der  Commissura  anterior  und  desFurnix 


Vgl.  Köluker  Nr.  48  S.  237  und  Huxlky  Nr.  113  S.  51.  55. 


V.    Das  Centralnervensystem.  315 

gelten  Jene  Anlage  eines  Balkens  wäre  ein  ferneres  Zengniss,  dass  das  Hirn 
der  Batrachier  in  gerader  Linie  zum  Anschlüsse  an  die  Hirne  niederer  Säuge- 
thiere  führt,  während  die  viel  höher  angelegten  Hirne  der  Selachier,  Reptilien 
und  Vögel  eben  durch  die  frühzeitig  zur  Geltung  kommende  Rückbildung  diesen 
Punkt  der  fortschreitenden  Entwicklung  nicht  erreichen. 

Ueber  die  Zirbel  der  Batrachier  ist  schon  Manches  gesagt  worden,  und 
doch  bin  ich  der  Ansicht,  dass  sie  als  solche  noch  gar  nicht  gesehen  worden  ist. 
Wenn  man  meine  Zeichnungen  neben  diejenigen  von  Wyman  (Nr.  94  Taf  I 
Fig.  2—9)  und  Ecker  (Nr.  41  Taf.  XXIV  Fig.  VII)  hält,  so  wird  man  finden, 
dass  das  Organ,  welches  sie  als  Zirbel  bezeichnen,  genau  dort  liegt ;  wo  ich  den 
Adergeflechtknoten  sehe;  und  die  Beschreibung  und  das  mikroskopische  Bild 
des  von  Wyman  Zirbel  genannten  Organs  lässt  darüber  gar  keine  Zweifel ,  dass 
es  der  von  mir  sogenannte  Adergeflechtknoten  ist.  Denn  er  vergleicht  seine 
Zirbel  mit  einer  Maulbeere,  lässt  sie  aus  einem  Gefässnetz  bestehen  und  mit 
einem  Flimmerepithel  überzogen  sein  (a.  a.O.  S.  11,  Taf.  I  Fig.  11.  12).  Leydig 
endlich  sagt  über  die  Zirbel  der  Salamandra  maculata  und  des  Proteus  (Nr.  81 
S.93),  dass  sie  ein  röthliches  Körperchen  sei,  aus  gewundenen,  geschlossenen,  mit 
Zellen  ausgekleideten  Schläuchen  und  einem  dichten Gefässnetze bestehe;  sodass 
auch  in  diesem  Falle  die  Uebereinstimmung  des  beschriebenen  Organs  mit 
meinem  Adergeflechtknoten  unzweifelhaft  ist  und  an  die  Identität  mit  dem  von 
mir  als  Zirbel  erkannten  Gebilde  schon  wegen  der  Lage  nicht  gedächt  werden 
kann.  Denn  innerhalb  der  Schädelhöhle  und  unmittelbar  am  Hirne  liegt  nur 
die  zapfenförmige  Wurzel  des  Zirbelstiels.  Aber  auch  die  letztere  kann  Leydig 
nicht  gemeint  haben,  da  er  seine  vermeintliche  Zirbel  blutroth  nennt.  Jene 
Zirbelwurzel  ist  nämlich  im  frischen  Zustande  so  farblos  durchsichtig,  dass  sie 
an  einem  blossgelegten  frischen  Gehirne  von  einem  unbefangenen  Auge  nicht 
wohl  entdeckt  werden  kann,  während  es  den  blutrothen  Adergeflechtknoten 
schwerlich  übersehen  wird.  Selbst  nachdem  ich  die  Lage  der  ersteren 
aus  der  Entwickelungsgeschichte  genau  kennen  gelernt  hatte,  gelang  es  mir 
nur  mit  Hülfe  des  schneeweissen,  von  der  grauen  Unterlage  des  frischen  Hirnes 
leuchtend  hervortretenden  Hirnsandes  die  Anwesenheit  des  gesuchten  Organs  zu 
konstatiren  und  es  dann  herauszupräpariren.  Andere  Anatomen  haben  die  „Zirbel'' 
der  Batrachier  weniger  genau  beschrieben,  liefern  aber  nichtsdestoweniger  in 
den  kürzesten  Beschreibungen  den  Beweis,  dass  sie  nichts  Anderes  vor  Augen 
hatten  als  ihre  Vorgänger  (vgl.  Rathke  Nr.  47  S.  100,  Stieda  Nr.  95  S.  310, 
Gegen  baue  Nr.  89  S.  730).   Ebenso  aber  wie  es  feststeht,  dass  das  von  mir  als 


316  V.    Das  Centralnerveusystem. 

Zirbel  aufgefasste  Organ  auch  in  seinem  dem  Hirne  angeschlossenen  Wurzel- 
theile  unbekannt  war,  scheint  mir  auch  meine  Deutung  und  Bezeichnung  des- 
selben gerechtfertigt,  und  der  Name  Zirbel  bisher  nur  aus  Unkenntniss  einem 
Gebilde  beigelegt  zu  sein,  welches  darauf  nicht  den  geringsten  Anspruch  machen 
konnte.  Die  Entstehung  aus  dem  Gehirne,  die  Zusammensetzung  aus  Hirn- 
masse,  die  Anwesenheit  des  Hirnsandes,  endlich  die  Befestigung  an  der  Hirn- 
decke zwischen  der  hinteren  Kommissur  und  dem  Mittelhirne  sind  ebenso 
sichere  Indicien  für  eine  Zirbel,  als  die  Entstehung  und  Zusammensetzung  vor- 
herrschend aus  Blutgefässen,  der  äussere  epithel  artige ,  von  der  Hirndecke 
stammende  Ueberzug,  der  Mangel  eines  unmittelbaren  Zusammenhanges  mit 
dem  Gehirne,  dagegen  der  sehr  feste  Verband  mit  den  Hirnhüllen  und  die  Lage 
in  der  Hirnlücke  den  Merkmalen  einer  Zirbel,  wie  sie  zuerst  an  höheren  Wir- 
belthieren  festgestellt  wurden,  widersprechen,  dagegen  zum  Wesen  der  Ader- 
getfechte  gehören.  Wie  sehr  die  Zirbel  der  Batrachier  bisher  verkannt  wurde, 
geht  am  deutlichsten  daraus  hervor,  dass  der  einzige  Beobachter,  welcher  ihren 
ausserhalb  der  Schädelhöhle  befindlichen,  der  Oberhaut  anhaftenden  Endknopf 
an  erwachsenen  Fröschen  sah,  nämlich  Stieda,  denselben  als  „Stirndrüse"  be- 
schrieb (Nr.  96).  —  Die  Angaben  über  die  Zirbel  der  Fische  und  Reptilien, 
welche  ich  bei  Wtman  zusammengestellt  finde  (Nr.  94  S.  11,  vgl.  auch  Leydig 
Nr.  81  S.O.  94),  lassen  vermuthen ,  dass  bei  jenen  Thieren  eine  ähnliche  Ver- 
wechselung wie  bei  den  Batrachiern  stattgefunden  habe.  Und  wenn  diese 
Vermuthung  sich  bestätigen  sollte ,  so  würden  die  nach  den  bisherigen  Ansichten 
bestandenen  grossen  Unterschiede  der  Zirbel  in  den  verschiedenen  Wirbel- 
thieren  einer  grösseren  Uebereinstimmung  Platz  machen,  sodass  man  dieselbe 
nicht  mehr  bald  als  nervöses  Organ  bald  als  Blutgefässdrüse  (Leydig  a.  a.  0. 
und  Nr.  91  S.  177)  aufzufassen  brauchte.  Allerdings  muss  es  aber  noch  einer 
erneuerten  Untersuchung  anheimgestellt  bleiben  zu  entscheiden,  ob  die  Zirbel 
der  Amnioten  und  Fische  dem  ganzen  Organ  der  Batrachier  oder  nur  seiner  in 
der  Schädelhöhle  eingeschlossenen  Wurzel  entspreche.  Vereinzelte  Beobach- 
tungen an  Embryonen  der  Vögel  und  Selachier  lassen  mir  das  erstere  wahr- 
scheinlich erscheinen. 

Sowie  bei  der  Entwickelung  der  Zirbel  der  Batrachier  ihre  frühe  Lagever- 
änderung  die  Veranlassung  war,  dass  sie  im  erwachsenen  Thiere  gar  nicht 
wiedererkannt  wurde,  so  hat  eine  ähnliche  frühzeitige  Veränderung  der  topo- 
graphischen Verhältnisse  den  Hirnanhang  von  einer  ganz  anderen  Embryonal- 
anlage, sogar  von  einem  andern  Keimblatte  als  es  thatsächlich  der  Fall  ist, 


V.    Das  Centralnervensystem.  317 

ableiten  lassen.  Bekanntlich  bestanden  ehedem  zwei  verschiedene  Ansichten 
über  die  Entwickelung  des  Hirnanhangs,  nämlich  diejenige  Reichert's,  welcher 
das  Organ  aus  der  Spitze  der  Wirbelsaite  ableitete  (a.  a.  0.),  und  die  andere 
von  Rathke,  nach  welchem  der  Hirnanhang  der  höheren  Wirbelthiere  aus 
einer  Ausstülpung  oder  Falte  der  Mundschleimhaut  entstände  (Nr.  1 9  S .  482 — 485, 
Nr.  47  S.  100).  Nachdem  ich  nun  selbst  den  Hirnanhang  der  Batrachier  als  aus 
einem  Fortsatze  der  Oberhaut  hervorgegangen  beschrieben  habe,  scheint  die 
Abweichung  von  der  IiATHKE'schen  Beobachtung  allerdings  nicht  unerheblich. 
Der  Unterschied  bezieht  sich  aber  nicht  auf  die  Sache,  sondern  auf  die  Deutung 
des  Gesehenen.  Ich  finde  das  Bild,  welches  Rathke  aus  Embryonen  höherer 
Wirbelthiere  beschreibt,  an  denselben  genau  so  wieder;  während  jedoch  Rathke 
es  einfach  auf  einen  Entwickelungsvorgang  der  Mundhöhlenschleimhaut  bezieht, 
habe  ich  mich  durch  die  Untersuchung  jüngerer  Embryonen  überzeugt,  dass  der 
hohle  Fortsatz  unmittelbar  vor  der  die  Mundhöhle  anfangs  abschliessenden 
Scheidewand  aus  der  Oberhaut  ganz  in  derselben  Weise  sich  entwickelt,  wie 
ich  es  an  den  Batrachierlarven  beschrieben  habe  (Taf.  VIII  Fig.  153).  Erst 
später,  nachdem  jene  Scheidewand  geschwunden  und  durch  ein  stärkeres  Yor- 
wachsen  des  Hirns  und  der  primitiven  Schädelbasis  die  Decke  der  Mundhöhle 
nach  vorn  erweitert,  der  Ausgangspunkt  jener  Ausstülpung  also  verhältniss- 
mässig  nach  hinten  gerückt  ist,  kann  dieses  Bild  die  Ansicht  hervorrufen,  als 
sei  die  besprochene  Neubildung  das  Erzeuguiss  der  ursprünglichen  Mundhöhlen- 
schleimhaut, d.  h.  nach  unsern  jetzigen  Begriffen  des  Darmblattes  {Taf.  VIII 
Fig.  154).  Der  Umstand,  dass  die  Untersuchung  der  Entwickelung  des  Hirn- 
anhangs der  Amnioten  auf  zu  weit  vorgeschrittenen  Bildungsstufen  anfing ,  war 
die  Veranlassung,  dass  auch  neuerdings  der  Irrthum  Rathke'  s  durch  W.Müller 
wiederholt  wurde  (Nr.  74  S.  374  und  flg.).  Auch  die  Bilder,  welche  W.Müller 
an  Haiembryonen  antraf  (Taf.  IX  Fig.  5) ,  kann  ich  vollkommen  bestätigen, 
indem  ich  die  Tasche  des  Hirnanhangs  sogar  noch  weit  offen  sehe.  Ich  brauche 
jedoch  nicht  zu  erörtern,  dass  diese  Beobachtung  an  sich  nicht  mehr  für  den 
Ursprung  des  Hirnanhangs  aus  dem  Darmblatte  spricht,  als  die  ähnlichen,  bisher 
mit  Unrecht  in  demselben  Sinne  gedeuteten  Erscheinungen  bei  den  Amnioten. 
Ich  finde  sogar  bei  den  Haien  die  Auskleidung  jener  Tasche  mit  der  Ober- 
haut völlig  übereinstimmend,  von  dem  auffallend  dünneren  Darmblatte  da- 
gegen merklich  unterschieden;  dazu  kommt,  ~  dass  an  meinen  Embryonen 
die  Oeffnung  der  Tasche  unmittelbar  hinter  den  eben'  hervorwachsenden 
medialen  Gesichtsfortsätzen  (Stirnfortsatz  aut.)  liegt,  sodass  die  Annahme  von 


318  V.    Das  Centralnervensysteni. 

der  Abstammung  der  ganzen  Anlage  vom  oberen  Keimblatte  dadurch  wesent- 
lich unterstützt  wird.  Wenn  ich  aber  für  die  genannten  Thiere  W.  Müller 
gerade  so  wie  Rathke  nur  in  der  Deutung  seiner  sonst  richtigen  Beobach- 
tungen angreife,  so  muss  ich  dagegen  alle  Thatsachen,  die  er  uns  über  dieEnt- 
wickelung  des  Hirnanhanges  der  Batrachier  mittheilt  (Nr.  74  S.  367  und  flg., 
Taf.  XII  Fig.  1.  2),  für  durchaus  falsche  erklären.  Es  entsteht  dieser  Hirnan- 
hang weder  aus  dem  Darmblatte,  noch  überhaupt  hinter  dem  Hirnanhange, 
noch  auch  zu  der  späten  Zeit,  wie  sie  durch  W.  Müller's  Abbildungen  gekenn- 
zeichnet ist,  nämlich  nach  der  Eröffnung  der  Mundhöhle  oder  im  Beginne  der 
zweiten  Larvenperiode;  die  von  W.Müller  abgebildete  Darmblatttasche  endlich 
existirt  überhaupt  nicht.  Vielmehr  ist  der  Hirnanhang  zu  einer  Zeit,  wann 
W.  Müller  die  ersten  Anfänge  seiner  Entwich elung  noch  nicht  glaubt  erkennen 
zu  können,  bereits  in  der  von  mir  geschilderten  Weise  von  der  Oberhaut  her 
entwickelt  und  in  einer  selbstständigen  Anlage  vorhanden.  —  Vom  Hirnan- 
hange der  Knochenfische  glaube  ich  die  taschenförmige  Anlage ,  wenn  auch  nicht 
mit  voller  Sicherheit,  dicht  über  der  vorderen  Mundöffnung  erkannt  zu  haben; 
auf  einer  folgenden  Stufe  sehe  ich  ihn  ganz  deutlich  in  Gestalt  einer  Scheibe 
unter  der  Selmervenplatte  und  mit  seinem  Vorderende  dicht  hinter  dem  ange- 
nommenen Ausgangspunkte  liegen,  sodass  dieUebereinstimmung  der  Fische  mit 
den  übrigen  Wirbelthieren  hinsichtlich  des  Ursprungs  ihres  Hirnanhangs  sehr 
wahrscheinlich  ist. 

Da  die  Entwickelung  des  Hirnanhangs  vom  medianen  Schlussstücke  der 
Sinnesplatte,  also  einer  sehr  wichtigen  Embryonalanlage  ausgeht,  von  dem 
ganzen  Fortsatze  aber  die  vordere  Hälfte,  nämlich  der  obliterirende  Kanal* 
vollständig  verkümmert  und  schwindet,  so  liegt  es  nahe,  in  diesem  ganzen  Vor- 
gange einen  Ptückbildungsprocess  zu  vermuthen.  Da  ferner  bei  den  Batrachiern 
die  beiden  Anlagen  der  Geruchsorgane  median-  und  abwärts  mit  der  trichter- 
förmigen Anlage  des  Hirnanhanges  zusammenhängen  (vgl.  den  nächsten  Ab- 
schnitt) ,  so  kann  man  sich  zur  Hypothese  veranlasst  fühlen ,  dass  die  vollkräf- 
tige Entwickelung  der  Hypophysisanlage  unter  Einbeziehung  der  beiden  Ge- 
ruchsplatten den  unpaaren  Nasenrachcngang  der  Cyklostomen  bilde,  welcher  ja 
nachweislich  als  ein  von  vorn  ausgehender  Blindsack  erst  nachträglich,  d.  h. 
gerade  so  wie  die  Nasengruben  der  Batrachier  in  die  Mundhöhle  durchbricht. 


*  Als  solchen  kann   man  auch  den  Stiel  der  Hypophysisanlage  der  Batrachier  ansehen, 
da  er  doch  einen  trichterförmigen  Anfang  hat. 


V.    Das  Centralnervensystem.  319 

Die  Anwesenheit  eines  Hirnanliangs  bei  den  Cyklostomen  (W.  Müller  Nr.  74 
S.  392  u.  flg.)  wäre  kein  Grund  gegen  jene  Annahme,  denn  derselbe  entsteht 
eben  nicht  aus  der  ganzen  Anlage,  sondern  nur  aus  deren  Endabschnitte;  und 
was  die  verschiedene  Lage  der  äusseren  Oeffnung  des  unpaaren  Nasenrachen- 
ganges  und  der  Hypophysisanlage  betrifft,  so  erinnere  ich  an  die  Unterschiede 
der  Naseneingänge  bei  den  amphirrhinen  Selachiern  und  Delphinen.  Daher 
glaube  ich,  dass  wenn  man  zunächst  die  Batrachier  zum  Ausgangspunkte  wählt 
(vgl.  Taf.  II  Fig.  34  —  38,  Taf.  III  Fig.  45—49,  Taf.  XV  Fig.  282  -  284, 
Taf.  XVI  Fig.  292.  293.  298),  die  Hypothese  von  einer  Homologie  ihrer  drei- 
theiligen  vorderen  Sinnesplatte  (Anlage  des  Hirnanhangs  und  der  Geruchs- 
platten) mit  dem  unpaaren  Nasenrachengange  nicht  ohne  weiteres  von  der  Hand 
zu  weisen  wäre. 


VI.  Die  drei  höheren  Sinnesorgane. 


Historische  U  euer  sieht  der  bisherigen  Untersuchungen. 

Dass  Rusconi  die  Geruchsorgane  aus  dem  Hirn  hervorwachsen  liess,  ist 
schon  mehrfach  erwähnt  worden.  —  Aus  den  beiden  Aussprüchen  v.  Baer's 
,,dass  der  sogenannte  Riechnerv  oder  die  innere  Region  desRiechorgangs  anfangs 
ebenso ,  ja  noch  mehr  blasig  ist,  als  der  Augapfel"  (Nr.  8  II  S.  287,),  und  dass 
die  Nase  äusserlich  nur  als  Grube  erscheine  (Nr.  98  S.  300—  301),  scheint  her- 
vorzugehen, dass  v.  Baer  sich  das  Geruchsorgan  aus  zwei  Ausstülpungen  ent- 
standen dachte ,  von  einer  inneren  vom  Hirn  und  einer  äusseren  von  der  Ober- 
haut ausgehenden.  Jedenfalls  seien  alle  drei  Sinnesnerven  Erzeugnisse  des 
Hirnes  (Nr.  8  II  S.  287). 

Während  alsdann  noch  Reichert  die  Absonderung  der  drei  ganzen  Sinnes- 
organe vom  Hirn  lehrte  (Nr.  22  S.  18),  stellte  Remak  auch  für  die  Batrachier 
fest,  dass  nicht  nur  das  Geruchsorgan,  sondern  auch  das  Gehörorgan  aus  dem 
peripherischen  Theile  des  oberen  Keimblattes  hervorgehe ,  wozu  er  als  wahr- 
scheinlich aussprach,  dass  die  betreffenden  Sinnesnerven  aus  dem  mittleren 
Keimblatte  sich  entwickeln  (Nr.  40  S.  148).  „Die  Anlage  des  Auges  besteht 
zunächst  nur  aus  der  sehr  dickwandigen  Augenblase,  einem  Seitenauswuchse 
des  Vorderhirns."  „Alsbald  beginnt  die  von  dem  peripherischen  Theile  des 
äusseren  Keimblattes  ausgehende  Bildung  der  Linse.  Allein  es  sind  nicht  beide 
Zellenschichten  dieses  Blattes  hierbei  betheiligt,  sondern  blos  die  innere  weisse 
Zellenschicht.  Sie  bildet,  bedeckt  von  der  grauen  Zellenschicht,  einen  weissen 
blasigen  Auswuchs  (die  Anlage  der  linse),  welcher  von  einer  entsprechenden 
Vertiefung  in  der  convexen  äusseren  Fläche  der  Augenblase  aufgenommen  wird, 
(1.  h.  die  letztere  wandelt  sich  gleichzeitig  in  einen  doppelwandigen  Napf,  die 
secundäre  Augenblase  um"  (S.  150).  Die  Anlage  der  Riechhöhlen  „besteht  aus 


VI.  Die  drei  höheren  Sinnesorgane.  321 

zwei  hohlen,  blind  endigenden,  zapfenformigen  Auswüchsen  des  oberen  Keim- 
blattes, welche  an  der  Basis  des  Vorderhirns  in  die  Sinnesplatte  eindringen. 
An  dieser  Einstülpung  betheiligen  sich  beide  Zellenschichten:  es  machen  sich 
daher  die  äusseren  Eingänge  in  die  Riechhöhlen  sofort  als  Grübchen  oder  Löcher 
kenntlich.  Zieht  man  die  Zapfen  aus  den  Sinnesplatten  heraus,  so  unterscheidet 
man  an  ihnen  einen  engen  Kanal  und  eine  ziemlich  dicke  Wand ,  weshalb  auch 
die  nach  dem  Herausziehen  der  Zapfen  zurückbleibenden  Gruben  theils  umfang- 
reicher sind,  als  der  enge  Eingang  erwarten  lässt"  (S.  151).  Die  Labyrinth- 
blase soll  sich  aus  der  tiefen  Schicht  des  äusseren  Keimblattes  gerade  so  wie 
die  Linse  des  Auges  bilden  (S.  152). 

Babuchin  hat  einige  der  wichtigsten  Nachweise  über  die  histiologische 
Entwickehmg  der  sekundären,  eingestülpten  Augenblase  und  der  blasenförmi- 
gen  Linsenanlage  geliefert.  Die  innere  Schicht  der  Augenblase  wird  zur  ganzen 
Netzhaut;  sie  besteht  anfangs  aus  spindelförmigen  Körpern,  welche  sich  zu  allen 
zelligen  Elementen  umwandeln  und  die  Zwischensubstanz  erzeugen.  Diese 
tritt  auf  der  freien  Oberfläche  hervor  (Nr.  53  S.  72).  „Aus  den  Zellen,  welche 
die  äusserst«  Lage  der  primären  Retina  bilden  und  aus  denen  sich  die  äussere 
Körnerschicht  bildet,  gehen  auch  die  Stäbchen  der  Zapfen  hervor"  indem  die 
Zellen  biru  förmig  nach  aussen  auswachsen,  und  diese  schmäleren  Fortsätze 
theils  zu  den  Zapfen,  theils  zu  den  längeren,  cylindrischen  Stäbchen  sich  um- 
bilden. Indessen  gehen  die  Zellenkörper  in  Körner  über,  welche  also  mit  den 
Stäbchen  und  den  Zapfen  ein  „unzertrennliches  Ganzes"  bilden  (S.  77.  78.  86). 
Die  an  der  Oberfläche  hervorgetretene  Zwischen-  oder  Bindesubstanz  wird  von 
den  Stäbchen  überragt,  so  dass  die  Grenze  wie  eine  sie  durchschneidende  Linie 
aussieht  (S.  80).  Die  äussere  Wand  der  Augenblase  bildet  nicht  die  bindege- 
webigen Theile  der  Aderhaut,  sondern  nur  das  Pigmentepithel,  sodass  also 
dieses  genetisch  zur  Netzhaut  gehört  (Pigmentum  retinae,  vgl.  S.  84.  86).  An 
der  Linsenblase  wachsen  die  Zellen  der  medialen  Wand  am  schnellsten,  sodass 
letztere,  endlich  nach  innen  vorwachsend,  die  Höhle  ausfüllt  und  die  dünne 
Aussenwand  der  Blase  berührt.  Jene  wird  daher  zur  eigentlichen  Linse,  die 
dünne  Aussenwand  zum  Epithel,  welches  am  Rande  in  die  Linsenfasern  über- 
geht und  daher  nie  die  Hinterwand  der  Linse  überzieht  (S.  85.  87). 

Schenk  bestätigt  Remak's  Angaben  in  Betreff  der  Gehörorgane  (Nr.  56), 
Barkau  für  das  Auge  (Nr.  57  S.  71  —  73).  Die  Zellen,  welche  zwischen  Linse 
und  Netzhaut  dringen,  seien  aus  der  STßiCKERschen  Schlundschiene,  also  dem 
mittleren  Keimblatte,  abzuleiten. 

Goettk,  Entwickelungsgesehichte.  21 


322  VI.  Die  drei  höheren  Sinnesorgane. 

Hensen  nimmt  an,  dass  die  Stäbchensubstanz  der  Hauptmasse  nach  vom 
Pigmentepithel  und  nicht  von  der  nervösen  Netzhaut  gebildet  werde.  Nachdem 
das  Pigment  in  den  Zellen  des  äusseren,  epithelialen  Blattes  der  Augenblase  sich 
abgelagert,  entwickeln  sich  bei  niederen  Wirbelthieren  „innerhalb  dieses  Pig- 
ments die  Stäbchen;  beim  Frosche  ist  es  durchaus  nicht  möglich  zwischen  den 
Pigmentkörnchen,  welche  wie  eine  Scheide  dem  Stab  anliegen  und  diesem  selbst 
eine  trennende  Masse  aufzufinden"  (Nr.  98  S.  42 1). 

Nach  v.  Bambecke  seien  die  Anlagen  der  Augenblasen  anfangs  solid 
(Nr.  63  S.  37);  hohl  geworden  erscheinen  sie  früher  von  aussen  eingedrückt,  als 
die  Linse  auftrete,  an  deren  Bildung  das  mittlere  Keimblatt  Antheil  nehme 
(S.  38).  Auch  das  Labyrinth bläschen  gehe  aus  einer  soliden  Verdickung  des 
Nervenblattes  hervor,  deren  Zellen  sich  allmählich  senkrecht  zur  Oberfläche 
strecken,  worauf  die  ganze  verdickte  Scheibe  sich  nach  innen  vorwölbe  und 
endlich  eine  Blase  bilde  (S.  39.  40).  Aehnlich  entstehe  das  Geruchsbläschen; 
aber  die  Verdickung  des  Nervenblattes  werde  nach  ihrer  Verwachsung  mit  dem 
Hirne  zum  Lobus  olfactorius  (S.  41)  und  das  Epithel  der  Nase  entwickele  sich 
folglich  nur  aus  der  Umhüllungshaut  (S.  43.  44).  —  Lieberkühn  bietet  in  seinen 
kurzen  Angaben  über  die  Entwicklung  des  Batrachierauges  nichts  Bemerkens- 
werthes  (Nr.  75  S.  64) ;  Kesslers  Arbeit  habe  ich  nicht  erhalten  können. 


In  dem  Abschnitt  IV.  habe  ich  es  näher  auseinandergesetzt,  dass  die  be- 
sonderen Empfindungsapparate  der  drei  höheren  Sinnesorgane  einmal  unter 
sich  und  dann  mit  dem  Hirne  eine  gemeinsame  Anlage  besitzen  (Sinnes-,  Hirn-, 
Axenplatte).  Es  wurde  auch  weiter  ausgeführt,  wie  die  von  der  Hirnplatte 
abgesonderte  Sinnesplatte  an  dem  vorderen  Umfange  und  an  den  Seiten  der 
vorderen  und  der  hinteren  Hälfte  des  Hirnes  sich  verschieden  verhält,  indem 
sie  an  der  mittleren  der  bezeichneten  Regionen  mit  demselben  wiederum  ver- 
schmilzt, um  sich  neuerdings  als  Augenblase  aus  ihm  heraus  zu  entwickeln, 
davor  und  dahinter  aber  erst  in  der  Form  der  fertigen  Nasengruben  und  Laby- 
rinthbläschen die  Verbindung  mit  dem  Centralnervenorgan  aufsucht.  Mit  dieser 
Erinnerung  an  die  ursprünglichen  allgemeinen  Verhältnisse  der  Anlagen  der 
drei  höheren  Sinnesorgane  wende  ich  mich  zur  einzelnen  Beschreibung  ihrer 
weiteren  Entwickelung. 


VI.    Die  drei  höheren  Sinnesorgane.  323 


Das  Auare. 


Die  ersten  Anlagen  der  Augen,  oder  die  primären  Augen  blasen  entstehen 
durch  Abschnürung  der  unteren  seitlichen  Ecken  des  Vorderhirns  {Taf.  VI 
Fig.  106.  108,  Taf.  VII  Fig.  123.  127).     Da  die  Breite  des  Hirns  im  Bereiche 
jener  Ecken  ursprünglich  schon  ebenso  gross  ist  wie  während  der  Entstehung 
der  Augenblasen,  so  kann  von  einer  Ausstülpung  derselben  aus  dem  Hirne 
nicht  wohl  die  Rede  sein.  Dagegen  dürfte  der  Ausdruck  einer  Abschnürung  allein 
passend  erscheinen,  da  die  anfangs  breite  Basis  jener  runden  Vorragung  von 
oben,  vorn  und  hinten  sich  zusammenzieht,  oder  genauer  ausgedrückt,  von  der 
sich  ausdehnenden  Hirnwand  gegen  die  Schlussseite  des  Hirns  zusammenge- 
schoben wird.     In  dem  Masse  als  dieser  Vorgang  fortschreitet,  verwandelt  sich 
also  jene  Basis  zu  einem  hohlen  Stiele,   der  Anlage  des  Sehnerven,   welcher 
am  Rande  der  eigentlichen  Schlussseite  des  Hirns  oder  der  anatomischen  Hirn- 
basis die  Augenblase  mit  ihrem  Mutterboden,  dem  Zwischenhirne,  in  Verbin- 
dung erhält  {Taf.  XIII  Fig.  224,  Taf.  XIV  Fig.  247.  251).      Jene  auf  den 
Zellenverschiebungen  beruhende  Bewegung  pflanzt  sich  natürlich  auch  in  die 
Augenblase  fort,  deren  durch  die  Abschnürung   geschaffene,    mediale  Wand 
einen  Theil  ihrer  Zellen  in  die  laterale  Wand  vorrücken  lässt  und  dadurch 
dünner,    die  letztere   aber  dicker  wird.      Im  Beginne  der  Abschnürung  der 
Augenblase  wird  diese  schon  etwas  verdickte  Aussenwand  mit  einer  konvexen 
Oberfläche    an  die  Oberhaut    gedrückt,   während  sie  nach  innen   die  weite 
Höhle  ziemlich  eben  begrenzt  {Taf.   VII).     Sehr  bald  plattet  sich  aber  ihre 
Aussenfiäche  nicht  nur  ab,  sondern  erscheint  sogar  in  der  Mitte,  wo  sie  am 
dicksten  ist,  nach  innen  eingedrückt,  sodass  ihre  vorgewölbte  Innenfläche  der 
ihr  gegenüberstehenden  medialen  Wand  der  Augenblase  beträchtlich  genähert, 
die  dazwischen  gelegene  Höhle  in  einen  spaltartigen  Raum  verwandelt  ist  {Taf. 
XIII, XIV).  Wenn  es  nun  gewöhnlich  heisst,  die  Augenblase  werde  von  aussen  so 
eingestülpt,  dass  sie  die  Form  eines  doppel wandigen  Bechers  annehme,  so  denkt 
man  sich  als  bewegende  Ursache  einen  auf  die  Aussenwand  der  Augenblase 
wirkenden  Druck  von  Seiten  der  aus  der  Oberhaut  sich  entwickelnden  Linse 
(vgl.  Kölliker  Nr.  48  S.  275,  Lieberkühn  Nr.  75  S.  5).     Die  Thatsachen  ge- 
statten aber  eine  solche  Anschauung  nicht,  denn  jene  Einstülpung  beginnt  viel 
früher  als  die  bezeichnete  Neubildung  erscheint,  deren  Druck  die  erstere  her- 
vorbringen sollte.     Dagegen  lässt  sie  sich  unter  Voraussetzung  der  schon  ange- 
führten  Zellenbewegung  in  derselben  Weise  erklären,  wie  der  Vorgang  bei  der 

21* 


324  VI.    ^ite  drei  höhere»  Sinnesorgane. 

Bildung  der  Gastrula,  wo  die  primäre  Keimblase  von  unten  eingestülpt  wird. 
So  wie  dort  die  vom  oberen  Eipole  abwärts  vorrückenden  Zellen  die  bewegende 
Kraft  darstellen ,  welche  die  Masse  des  Randwulstes  nach  innen  und  aufwärts 
als  der  Richtung  des  geringsten  Widerstandes  verschiebt,  so  müssen  die  in  der 
medialen  Wand  der  Augenblase  centrifugal  sich  bewegenden  Zellen  vom  Rande 
aus  eine  radiär  konvergirende  Stosswirkung  gegen  die  Aussenwand  ausüben, 
worauf  die  Masse  derselben  nothwendig  gegen  die  Höhle  der  Augenblase  aus- 
weichen muss,  da  der  Widerstand  in  dieser  Richtung  natürlich  viel  geringer 
ist  als  gegen  die  dicht  anliegende  Oberhaut  hin.  Diese  Vorstellung  von  den 
Ursachen  der  Einstülpung  der  Augenblase  wird  wesentlich  unterstützt  durch 
gewisse  Einzelheiten  des  ganzen  Vorganges.  Indem  jene  Einstülpung  fort- 
dauert und  gerade  so  wie  bei  der  Bildung  der  Gastrula  (vgl.  Nr.  111  Tal.  I 
Flg.  11  —  16)  aus  der  Form  einer  flachen  Schale  in  diejenige  eines  Napfes  mit 
verengter  Oeffnung  (sekundäre  Augenblase)  übergeht,  wird  bekanntlich 
nicht  der  ganze  Einstülpungsrand  gleichmässig  zusammengezogen,  sondern 
sein  unterster  Abschnitt  bleibt  darin  vollständig  zurück,  sodass  dort  von  der 
Sehnervenwurzel  an  ein  stetig  zunehmender  Ausschnitt  der  zweischichtigen 
Blasenwand  entsteht  (Taf.  VIII  Fig.  159.  160,  Taf.  XV  Fig.  269,  Taf.  XVI 
Fig.  204,  Taf.  XVII  Fig.  304).  Diese  Bildung  lässt  sich  auf  den  Druck  der 
regelmässig  gebildeten  Linse  nicht  zurückführen  •,  daher  hat  man  die  von  unten 
zwischen  die  Linse  und  den  Augenblasengrund  eindringende  Glaskörperanlage 
für  die  von  aussen  wirkende  Ursache  erklärt,  welche  die  Ausbildung  des  Ein- 
stülpungsrandes hemmte  (Nr.  48  S.  280).  Diese  Annahme  ist  jedoch  wenigstens 
für  die  Batrachier  unzulässig;  denn  jene  Anlage  des  Glaskörpers,  welche 
sich  allerdings  in  jenem  Ausschnitte  befindet,  und  von  dort  in  den  Innenraum 
der  soliden  Augenblase  vorrückt,  besteht  nicht  aus  festen  Massen  des  mittleren 
Keimblattes,  sondern  aus  einer  namentlich  anfangs  ganz  lockeren  Anhäufung 
von  Dotterbildungszellen,  welcher  wohl  niemand,  der  die  betreffenden  Präpa- 
rate ansieht,  die  Kraft  eines  wirksamen  Widerstandes  gegen  die  Ausdehnung 
des  Augenblasenrandes  zutrauen  kann;  abgesehen  davon,  dass  diese  Ansamm- 
lung der  aus  den  embryonalen  Blutbahnen  herrührenden,  unverkennbaren  Dotter- 
bildungszellen* nicht  schon  vorher  dort  bestand,  sondern  offenbar  erst  durch 
die  Bjldung  der  Augenblasenspalte  veranlasst  wird  (Taf.  VIII).  Nach  der  von 
mir  vorgeschlagenen  Erklärung  der  Entwickelung  der  Augenblase  erhellt  es 


*  Es  mnss  hierbei  a"uf  den  Abschnitt  VIII.  verwiesen  werden. 


VI".   Die  drei  höheren  Sinnesorgane.  325 

aber  aus  dem  geringeren  Grade  einer  Einschnürung  an  der  unteren  Seite  des 
Augenblasenstiels,  dass  die  sie  offenbar  verursachenden  Zellenbewegungen  dort 
unverliältnissmässig  schwächer  sind,  als  im  übrigen  Umfange  der  ursprüng- 
lichen Basis  der  Augenblase ,  daher  aber  auch  ihr  Erfolg  oder  die  Bildung  des 
Einstülpungsrandes  an  derselben  Stelle  sehr  gering  sein  muss.  Daraus  erklärt 
sich  auch,  warum  die  ganze  eingestülpte  Augenanlage,  worauf  bisher  kein  Ge- 
wicht gelegt  wurde ,  mit  ihren  oberen  Theilen  viel  weiter  nach  aussen  vorragt, 
als  mit  den  tieferen  (Taf.  VIII).  So  erscheinen  sowohl  die  Abschnürung  der 
Augenanlage  vom  Hirn  oder  die  Bildung  der  Augenblase  wie  die  Umwandlung 
derselben  in  die  Becherform  mit  dem  unteren  Ausschnitte  als  die  innig  zu- 
sammenhängenden Folgen  eines  einzigen ,  höchst  einfachen  aber  eigenthümlich 
beschränkten  Vorganges  innerhalb  der  bezüglichen  Anlagen  selbst,  nämlich 
einer  bestimmt  gerichteten  Zellenbewegung,  wie  eine  solche  in  grösserem  oder 
geringerem  Masse  in  der  ganzen  Nervenröhre,  ja  in  allen  sich  ausdehnenden 
embryonalen  Anlagen  als  nothwendige  Wirkung  der  fortdauernden  Theilung  der 
Embryonalzellen  besteht. 

Die  Bedeutung  der  einzelnen  Theile  der  eingestülpten  und  blasenförmig 
zusammengekrüminten  Augenanlage,  welche  in  Folge  dessen  die  Bezeichnung 
einer  sekundären  Augenblase  verdient,  ist  schon  von  mehreren  Seiten  festge- 
stellt worden.  Ihr  dickes  inneres  Blatt,  die  frühere  Aussenwand  der  primären 
Augenblase,  ist  die  Anlage  der  eigentlichen  Netzhaut,  die  äussere  dünne 
Schicht  verwandelt  sich  in  das  Pigmentepithel,  sodass  diese  beiden  Gewebe, 
wie  Babuchin  nachwies,  ein  genetisches  Ganze  bilden.  —  Ueber  die  histologi- 
sche Umbildung  der  Netzhaut  habe  ich  nur  Weniges  zu  bemerken,  was  sich  zudem 
wesentlich  auf  eine  Bestätigung  der  BABircHiN'schen  Beobachtungen  beschränkt. 
Die  Embryonalzellen  der  Netzhaut  verlieren  sehr  bald,  noch  bevor  die  Dotter- 
körner ganz  verschwunden,  ihre  bestimmten  Grenzen*  und  ihr  enges  Gefüge, 
indem  um  die  stets  deutlichen  Kerne  hellere  Zellenleiber  sich  anlegen,  welche 
an  den  Stellen  der  früheren  Zellengrenzen  in  eine  trübere  Zwischensubstanz  über, 
gehen.  Ich  nehme  daher  an,  dass  in  der  Netzhaut  ebenso  wie  im  Centralner- 
vensystem  nicht  die  intakten  Embryonalzellen,  wenigstens  nicht  alle,  in  die 
zelligen  Elemente  des  fertigen  Organs  sich  verwandeln,  sondern  unter  theil- 
weiser  Verschmelzung  bloss  aus  den  centralen,  die  Kerne  unmittelbar  umge- 
benden Massen  neue  Zellen  hervorgehen  lassen,  die  peripherischen  Theile  aber 

*  Dieselben  sind  in  den  Abbildungen  Fig.  158  — 16ü  (Taf.  V1I1)  zu  scharf  gerathen,  in 
Fig.  161  ist  das  Verhältniss,  freilich  aus  einein  älteren  Auge,  richtig  wiedergegeben. 


320  VI.   Die  drei  höheren  Sinnesorgane. 

zur  Bildung  einer  bindegewebigen  Zwischen  Substanz  hergeben.    Die  letztere 
für   ein   Ausscheidungsprodukt   der   Embryonalzellen   zu   erklären   erscheint 
mir  bedenklich;  einmal  wäre  die  specifische  Funktion  mit  der  unentwickel- 
ten Zelle  nicht  leicht   zu  vereinen,    dann   aber   finde  ich  im   ganzen   übri- 
gen Embryonalkörper,   wie   die   folgenden  Abschnitte  lehren  werden,    sehr 
viele  Belege  für  die   eben  erwähnte  Umbildung  der   Embryonalzellen,  nir- 
gends  aber    Anhaltspunkte    dafür,    dass    bindegewebige    Theile    aus    einem 
Ausscheidungsprodukte  sich   bildeten.  —  Hinsichtlich  der  Entwicklung  der 
Stäbchen  und  Zapfen  muss  ich  Babuchin  im  allgemeinen  bestätigen;  nur  sehe 
ich  ihre  Anlagen  bei  meinem  Thiere  nicht  als  verschmälerte  Fortsätze  runder, 
sondern  als  blasige  Enden  länglicher  Zellen,  welche  aus  kleinen  Umbildungs- 
kugeln entstehen,  deren  Zunahme  endlich  das  ganze  Zellenende  ausfüllt  {Taf. 
VIII  Fig.  159).     Die  grosse  Verbreitung  dieser  Umbildungskugeln  auch  in 
den  tiefer  gelegenen  Zellen  ist  aus  der  Fig.  102  {Taf.  VIII)  ersichtlich.     Die 
blasigen  Zellenenden  treten  aus  der  Oberfläche  der  Netzhaut  gegen  die  anlie- 
gende Pigmentschicht  hervor  und  erhalten  dann  von  dieser  Kappen,  welche 
Hensen  bewogen  die  Stäbchen  und  Zapfen  von  dem  Pigmentepithel  abzuleiten.* 
Die  zwischen  dem  letzteren  und  der  Netzhaut  ausgespannten  Brücken  und  die 
freien  Zwischenräume  zwischen  beiden  Theilen  erkläre  ich  mir  ebenso  wie  die 
ähnlichen  Vorgänge  an  der  Oberfläche  des  Centralnervensystems,  als  Folgen 
einer  ungleichen  Zusammenziehung  bei  der  Erhärtung  der  Objekte.    Der  kurze 
Augenblasenstiel  zeigt  anfangs  dieselbe  Textur,  wie  die  Netzhaut  und  anderer- 
seits die  Hirnsubstanz,  welche  beiden  Theile  er  verbindet.  Denn  die  Bedeutung  des 
Augenblasenspaltes  erschöpft  sich  nicht  damit,  dass  die  Anlage  des  Glaskörpers 
in  den  Innenraum  der  Blase  gelangt,   sondern  scheint  mir  gerade  darin  zu 
gipfeln,  dass  der  Sehnerv  dadurch  von  Anfang  an  einen  kontinuirlichen  Ueber- 
gang  in  die  Netzhaut  erhält  (Taf.  VIII,  Taf.  XVII  Fig.  815). 

Der  Druck,  den  die  konvexe  Aussenwand  der  primären  Augenblase  auf 
die  Oberhaut  ausübt,  indem  sie  dieselbe  eine  Zeit  lang  vorwölbt,  scheint  zwischen 
beiden  eine  gewisse  Verbindung  herzustellen.  Denn  sobald  die  betreffende 
Fläche  der  Augenblase  einzusinken  anfängt,  folgt  ihr  das  noch  unverändert  an- 
liegende Stück  der  Oberhaut  und  wird  gleichfalls  etwas  eingedrückt;  dass  dabei 
jedenfalls  die  mächtige  Wand  der  Augenblase  das  mechanische  Moment  setzt 
und   nicht  die   dünne  Oberhaut,    dürfte  auf  den   ersten  Blick   unzweifelhaft 


*)  Wie  ich  nachträglich  finde,  scheint  Hensen  diese  Ansicht  wieder  aufgegeben  zu 
haben  (vgl.  M.  Schultze's  Archiv  für  mikroskopische  Anatomie  1868.  S.  349). 


VI.   Die  drei  höheren  Sinnesorgane.  327 

erscheinen  (Taf.  VII,  XII T,  XIV).     Die  erste  Einsenkung  der  Oberhaut  mag 
aber  die  Ursache  für  eine  an  jener  Stelle  alsbald  auftretende  Wucherung  der- 
selben bilden.     Je  mehr  die  Einsenkung  der  Augenblase  sich  vertieft,  desto 
mehr  wird  das  entsprechende  Hautstück  in  dieselbe  hineingezogen;  da  aber 
nach  einiger  Zeit  seine  tiefere  Schicht,  die  Grundschicht  des  Keimblattes,   der 
Einsenkung  entsprechend  sich  verdickt,  so  füllt  alsdann   diese  scheibenför- 
mige Verdickung,  eben  die  Anlage  der  Linse,  allein  jene  Einsenkung  aus,  wäh- 
rend die  äussere  Deckschicht,  welche  anfangs  gleichfalls  etwas  eingezogen  war, 
nunmehr  glatt  über  die  Augenblase  hinzieht  [Taf.  VIII  Fig.  158).     Weiterhin 
bläht  sich  der  ganze  den  Embryo  umhüllende  Ilautsack  auf;  dadurch  entfernt 
sich  auch  die  Oberhaut  von  der  Augenblase,  und  indem  die  solide  Anlage 
der  Linse  in  der  letzteren  zurückgehalten  wird,    zieht  sich  zwischen  ihr  und 
ihrem  Mutterboden,    der  tieferen  Hautschicht,  ein  kurzer,  gleichfalls  solider 
Stiel  als  Zeichen  der  eingeleiteten  Trennung  aus  {Taf.  VIII Fig.  159,  Taf.  XIV 
Fig. 257 ,  Taf.  XV  Fig.  269).     Sobald  im  weiteren  Verlaufe  der  Entwickelung 
diese  Abschnürung  vollendet  ist,  erscheint  die  Linse  als  ein  runder,  seitlich 
abgeplatteter  Körper,  welcher  vom  Rande  der  sekundären  Augenblase  eingefasst 
und  gehalten,   nicht  nur  den  Zugang  zu  ihrer  Höhle  nach  aussen  verschliesst, 
sondern  dieselbe  noch  zum  grössten  Theile  ausfüllt.    Ich  nannte  die  Linse  solid, 
und  während  ihrer  Ablösung  verdient  sie  noch  diese  Bezeichnung,  obgleich  die  in 
ihrem  Centrum  befindlichen  Zellen  ihren  gegenseitigen  Verband  etwas  gelockert 
haben,  sodass,  wenn  man  den  früheren  Zustand  nicht  kennt,  man  von  einer 
kleinen  mit  Zellen  vollgepfropften  Höhle  der  Linse  reden  könnte.   Die  Beobach- 
tung verlangt  aber  den  Ausdruck,  dass  durch  eine  Lockerung  und  nachträg- 
liche Auflösung  jener  centralen,  der  äusseren  Oberfläche  zunächst  gelegenen 
Zellen  die  Höhle  erst  entstehe  (Taf.  VIII  Fig.  159,  Taf.  XV  Fig.  269).  Einige 
Zeit  nach  der  völligen  Ablösung  von  der  Oberhaut  beginnt  die  mediale  Wand 
der  hohlen  Linsenanlage  sich  vorherrschend  in  der  Mitte  zu  verdicken  und  auf 
diese  Weise  gegen  die  innere  Höhle  vorragend,  dieselbe  mehr  und  mehr  zu  ver- 
drängen ;  während  die  laterale  Wand  in  demselben  Masse  in  eine  dünne  Schale 
ausgezogen  wird ,  welche  über  die  Aussentiäche  der  kugeligen  Innenwand  ge- 
stülpt, sich  ihr  im  sagittalen  Umfange  anschliesst  (Taf.  VIII  Fig.  161).     Die 
Umbildung  dieser  beiden  verschiedenen  Theile  der  Linsenanlage  zur  eigentlichen 
Linsensubstanz  (Innenwand)  und  zum  vorderen  Epithel  (Aussenwand)  ist  leicht 
zu  konstatiren;  dann  ist  es  aber  auch  klar,  dass  jenes  Epithel  nicht  zur  Kapsel, 
sondern  zur  eigentlichen  Linsensubstanz  gehört,  gerade  so  wie  das  Pigment- 


328  VI.   Die  drei  höheren  Sinnesorgane. 

epithel  der  Netzhaut  zu  dieser  und  nicht  zur  Aderhaut.     Die  Linsenzellen  sehe 
ich  an  meinem  Thiere  sehr  bald  koncentrisch  geschichtet. 

Es  wird  aus  der  bisherigen  Beschreibung  und  den  Abbildungen  erhellen, 
dass  die  in  den  Hand  der  sekundären  Augenblase  eingefügte  Linse  den  Innen- 
raum  derselben  nicht  vollständig  abschliesst,  indem  der  untere  Ausschnitt  des 
Blaseuraiides  einen  Zugang  offen  hält.  Auf  diesem  Wege  gelangt  die  Anlage 
des  Glaskörpers  in  jenen  Raum,  welcher  übrigens  nach  der  Altlösung  der  Linse 
ringförmig  erscheint,  da  der  flache  Grund  der  schalenförmigen  Netzhaut  die 
Innenwand  der  Linse  berührt  (Taf.  VIII  Fig.  159—161,  Taf.  XV  Fig.  269, 
Taf.  XVI  Fig.  291.  299).  Jene  ersten  Grundlagen  des  Glaskörpers  bestehen 
aus  interstitiellem  Bildungsgewebe,  d.  h.  einem  zarten  Zellennetzwerke,  dessen 
weite  Räume  eine  wasserklarc  Zwischenzellenflüssigkeit  und  die  leicht  kennt- 
lichen, kreisrunden  embryonalen  Blut-  oder  Dotterbildungszellen  einschliessen. 
Wenn  man  die  verhältnissmässig  grosse  Anzahl  dieser  dort  angesammelten 
Zellen  berücksichtigt,  so  wird  die  Auffassung  nahe  gelegt,  das  ganze  Gewebe 
auf  deren  Einwanderung  und  Umbildung  zurückzuführen,  während  sie  sonst 
überall  nur  die  vom  mittleren  Keimblatte  her  von  Anfang  an  vorhandenen  Grund- 
lagen des  allgemeinen  Bildungsgewebes  ergänzen.  Ueber  die  Schliessung  des 
Ausschnittes  zu  einer  Spalte  habe  ich  nichts  Besonderes  zu  bemerken. 

In  dem  beschriebenen  Zustande  liegt  das  embryonale  Auge  in  das  umge- 
bende Bildungsgewebe  eingesenkt  und  durch  solches  selbst  von  der  Oberhaut 
getrennt.  Während  der  Larvenmetamorphose,  wann  jenes  Gewebe  aus  der 
lockeren  Verbindung  mit  den  eingehüllten  Theilen  in  eine  engere  übergeht, 
liefert  es  die  übrigen  acccssorischen,  bindegewebigen  Theile  des  Auges  und  die 
Knorpelschicht  der  Sclerotica,  während  die  anliegende  Oberhaut  scheinbar  nur 
in  das  Epithel  der  Bindehaut  und  der  Hornhaut  sich  verwandelt. 


Das  Ohr. 

Das  Labyrinthbläschen  geht,  wie  Remak  richtig  erkannt  hat,  nur 
aus  der  Grundschicht  des  oberen  Keimblattes,  also  aus  der  Sinnesplatte  im 
engeren  Sinne  hervor.  Dieselbe  zieht  sich  in  der  hinteren  Kopfhälfte  zu  beiden 
Seiten  dos  Hirns  stetig  zusammen,  sodass  die  Zellen  cylindrisch  umgebildet  wer- 
den; indem  die  dadurch  gebildete  verdickte  Blatte  noch  weiteren  Zuwachs 
erhält,  wird  sie  an  der  Grenze  des  zweiten  und  dritten  Segments  nach  innen 
vorgetrieben  und  bildet  eine  lasche,  deren  Boden  rückwärts  gerichtet  ist  {Taf. 


VI.   Die  drei  höheren  Sinnesorgane.  329 

VI  Fig.  105,  Taf.  VII  Fig.  121.  132.  133).  Bald  schnürt  sich  dieselbe  von 
der  Oberhaut  vollends  ab  und  bläht  sich  zu  einem  rundlichen  Bläschen ,  eben 
der  Anlage  des  Labyrinthes,  auf  (Taf.  XIII  Fig.  225.  234,  Taf.  XIV  Fig.  246. 
260,  Taf.  XV  Fig.  273,  Taf.  XVI  Fig.  288—290).  Die  Wand  dieses  Laby- 
rinthbläschens besteht  aus  den  vollständigen  Embryonalzellen ,  in  denen  die 
Dottertäfelchen  allmählich  einer  homogenen  Masse  Platz  machen,  deren  geson- 
derte Zellenleiber  aber,  so  weit  ich  es  verfolgen  konnte,  erhalten  bleiben.  Nach- 
dem ich  noch  festgestellt,  dass  auch  die  Zellenauskleidungen  der  halbcirkel- 
förmigeii  Kanäle  durch  Faltung  der  epithelartigen  Zellenanlage  des  Labyrinth- 
bläsebens entstehen,  gab  ich  die  weitere  Untersuchung  auf  (Taf.  XVI  Fig. 
29,5.  302).  Noch  verdient  bemerkt  zu  werden,  dass  der  Hörnerv  weder  aus  dem 
Gehirne,  noch  aus  dem  Labyrinthbläschen,  etwa  bei  einer  unmittelbaren  Berüh- 
rung beider,  entsteht;  eine  solche  Berührung  tritt  niemals  ein,  vielmehr  liegen 
stets  verschiedene  Theile  des  mittleren  Keimblattes  dazwischen.  Aus  einem 
derselben,  nämlich  der  Nervenanlage  des  zweiten  äusseren  Kopfsegments  ent- 
wickelt sich  der  Hörnerv  und  setzt  sich  nach  beiden  Seiten  mit  dem  Central- 
nervensystem  und  dem  Gehörorgan  in  Verbindung  {Taf.  XV  Fig.  273,  Taf. 
XV II  Fig.  304.  314.  315).  Einen  äusseren  Hülfsapparat  erhält  das  Gehörorgan 
der  Unke  bekanntlich  nicht. 


Das  Geruchsorgaii. 

Die  Anfänge  des  Geruchsorgans  bestehen  wie  beim  Gehörorgan  aus  einer 
durch  Zellenzusammenziehung  entstandenen  Verdickung  der  Sinnesplatte. 
Dieselbe  füllt  zuerst  jederseits  die  Einsenkung  zwischen  dem  unteren  Theile 
der  primären  Augenblase  und  dem  nach  vorn  auswachsenden  Vorderhirne  aus 
(Taf.  VII  Fig.  123).  Später  treten  Theile  des  mittleren  Keimblattes  zwischen 
Hirn,  Auge  und  Geruchsorgan,  doch  bleibt  die  Lage  desselben  seitlich  vom  Vor- 
derende des  Vorderhirns  und  im  Niveau  seiner  Grundfläche  ziemlich  unver- 
ändert,, wobei  die  ganze  Platte  schräg  von  vorn  und  oben  nach  hinten  und  aussen 
gerichtet  ist  und  eine  schwache  Einsenkung  ihrer  Mitte  zeigt  {Taf.  XIII  Fig. 
223,  Taf.  XIV Fig.  248. 251,  Taf.  XVI  Fig.  288—291).  Noch  ist  die  unver- 
änderte Deckschicht  von  der  verdickten  aus  cylindrischen  Zellen  zusammen- 
gesetzten Grundschicht  deutlich  geschieden;  bald  jedoch  verschmelzen  sie  zu 
einer  einzigen  Zellenmasse,  sodass  also  das  ganze  Keimblatt  in  die  Grundlage 
des  Geruchsorgans  eingeht.    Die  Vorstellung,  dass  jene  leichte  Einsenkung  der 


330  VI.   Die  drei  höheren  Sinnesorgane. 

Geruchs  platte  sich  einfach  zur  Nasengrube  vortiefe,  ist  aber  falsch.  Es 
lässt  sich  nämlich  beim  Vergleiche  verschiedener  Entwickelungsstufen  leicht 
erkennen,  class  die  sich  allseitig  ausdehnende  Oberhaut  des  Kopfes  am  hinteren 
Rande  der  dicken  Geruchsplatte  von  dieser  aufgehalten  wird  und  nach  aussen 
von  ihr  eine  nach  vorn  schauende  Falte  schlägt,  welche  weiter  vorwachsend  die 
Aussen  wand  der  dadurch  entstandenen  Nasen  grübe  bildet  und  die  Geruchs- 
platte nur  als  mediale  Wand  derselben  zurücklässt  {Taf.  XV Fig.  266 — 268, 
Taf.  XVII  Fig.  305.  314-  316).  Der  Grund  der  Nasengrube  wird  durch  den 
Uebergang  beider  Wände,  also  der  eigentlichen  Geruchsplatte  und  der  seit- 
lichen N  a  s  e  n  p  1  a  1 1  e  bezeichnet.  Diese  Faltenbildung  der  Oberhaut  beginnt 
wie  gesagt  am  hinteren  Rande  der  Geruchsplatte;  weil  dieser  aber  schräg  auf- 
wärts zieht,  so  bildet  die  seitliche  Nasenplatte  alsbald  auch  das  Dach  der 
Nasengrube.  Nicht  ebenso  schnell  zieht  sich  deren  Boden  aus.  Unten  läuft 
nämlich  die  eben  angelegte  Nasengrube  in  eine  Furche  aus;  da  zugleich  zwischen 
beiden  Nasengruben  ein  Dach  der  Mundbucht  hervorwächst,  unter  welchem 
das  mediale  Schlussstück  der  Sinnesplatte,  also  eine  Fortsetzung  beider  Geruchs- 
platten sich  trichterförmig  zur  Anlage  des  Hirnanhangs  einzieht,  so  laufen  die 
furchenförmigen  unteren  Enden  beider  Nasengruben  unter  jenem  Dache  zu- 
sammen {Taf.  III  Fig.  45 — 49).  Bald  darauf  ergänzt  sich  aber  der  Rand  der 
seitlichen  Nasenplatte  auch  unten  und  verbindet  sich  mit  dem  Dache  der  Mund- 
bucht, sodass  alsdann  die  Nasengrube  von  der  letzteren  geschieden  einen  voll- 
ständigen Blindsack  darstellt.  Ihr  oberer  Theil  bleibt  weit  und  enthält  beständig 
eine  offene  Höhle;  der  abwärts  gerichtete  Grund  verengt  sich  spaltförmig  und 
stösst,  indem  die  innere  Mundhöhle  sich  nach  vorn  erweitert,  dicht  hinter  der 
queren  Mundscheidewand  an  das  Darmblatt,  um  mit  ihm  zu  verschmelzen  (Taf. 
XVIII  Fig.  320—322).  Darauf  erst  bricht  an  dieser  Stelle  eine  hintere  Oeff- 
nung  der  Nasengrube  in  die  Mundhöhle  durch.  —  Einzelnheiten  über  die  Aus- 
bildung der  Nasengrube  werde  ich  im  Abschnitt  IX,  welcher  den  Kopf  speciell 
behandelt,  anführen;  hier  lasse  ich  nur  noch  einige  histiologische  Beobach- 
tungen folgen.  In  beiden  Haupttheilen  der  Nasengrube,  der  medialen  Geruchs- 
wie  der  lateralen  Nasenplatte ,  erhalten  sich  die  ursprünglichen  Unterschiede. 
Jene  bleibt  dick  und  mehrfach  geschichtet,  ihre  Zellen  werden  länglich  und  wie 
in  Fortsätze  ausgezogen ;  aber  noch  in  metamorphosirten  Thieren  enthalten  sie 
meist  runde  Kerne.  In  der  Seitenwand  der  Nasengrube  bilden  die  abgeplatteten 
früheren  Oberhautzellen  nur  eine  einfache  Lage.  Die  Verbindung  der  Geruchs- 
platte mit  dem  Hirne  geschieht  wie  beim  Gehörorgan  durch  Yormittelung  des 


VI.   Die  drei  höheren  Sinnesorgane.  331 

mittleren  Keimblattes.  Allerdings  sind  beide  Organe  einander  so  sehr  genähert, 
dass  man  erst  bei  stärkeren  Vergrösserimgen  erkennt,  dass  sie  sich  in  der  That 
nicht  berühren;  alsdann  ergibt  sich  aber,  dass  auch  hier  embryonale  Blutzellen 
das  Material  zu  einer  Neubildung,  nämlich  zurEntwickelung  der  Geruchsnerven- 
bündel liefern  {Taf.  VIII  Fig.  163,  Taf.  XVII  Fig.  314,  Taf.  XVIII  Fig. 
321).  Aus  der  relativ  geringen  Anzahl  der  vermittelnden  Blutzellen  möchte 
ich  aber  schliessen,  dass  sie  nicht  etwa  in  das  ganze  Nervenbündel  sich  ver- 
wandeln, welches  darauf  hinüber  und  herüber  die  Verbindung  anknüpfe,  sondern 
dass  sie  als  noch  nicht  differenzirte  Elemente  zunächst  nur  gleichsam  den  beide 
Organe  verbindenden  Kitt  abgeben  und  die  anfangs  ausserordentlich  kurze 
Brücke  fein  gestreifter  Nervensubstanz  bilden,  in  welche  alsdann  die  zelligen 
Elemente  der  grauen  Hirnmasse  hineinwachsen,  um  das  Gros  des  Riechnerven, 
namentlich  seine  strangförmige  Verlängerung  an  der  Basis  des  Vorderhirns,  zu 
bilden.  Dass  die  bindegewebigen  Umhüllungen  der  epithelialen  Auskleidung  der 
Nasenhöhle  vom  mittleren  Keimblatte  herkommen,  sei  nur  beiläufig  erwähnt. 
Die  knorpeligen  Theile  dieser  Umhüllung  werden  ebenso  wie  diejenigen  des  Ohrs 
an  einer  anderen  Stolle  berücksichtigt  werden. 

Zum  Schluss  sei  noch  erwähnt,  dass  das  obere  Keimblatt  ausser  den 
genannten  drei  Sinnesorganen  noch  Bildungen  erzeugt,  welche  den  Sinnes- 
organen beigezählt  zu  werden  verdienen.  Dahin  gehören  vor  allem  die 
sogenannten  Seiten organe,  welche  sich  aus  der  Grundschicht'  der  Ober- 
haut längs  der  Mittellinie  der  Segmente  entwickeln;  die  Einzelnhciten  dieses 
Vorganges  gehören  aber  mehr  in  eine  specielle  Geschichte  dieser  Theile, 
als  in  eine  allgemeine  Entwicklungsgeschichte  (Taf.  XIII  Fig.  238 — 240). 
Doch  verdient  der  Umstand  Erwähnung,  dass  am  Kopfe  und  vorderen  Rumpfe, 
worauf  ich  noch  später  zurückkomme,  dieselbe  Grundschicht  der  Oberhaut 
ganze  Nervenanlagen,  nämlich  die  Wurzeln  und  Stämme  der  Seitennerven  er- 
zeugt {Taf.  XIII  Fig.  233.  238,  Taf.  XV  Fig.  276,  Taf.  XIX  Fig.  345).  — 
Ueber  den  Hirnanhang  als  ein  von  den  Sinnesorganen  abweichendes  Erzcugniss 
der  Sinnesplatte  ist  schon  gesprochen  wrorden,  ebenso  über  die  Oberhaut  selbst, 
welche  aus  einer  vollständigen  Verschmelzung  der  beiden  Schichten  des  oberen 
Keimblattes  hervorgeht  und  damit  hinlänglich  die  nur  vorübergehende  Bedeu- 
tung dieser  Schichtung  anzeigt.  Ein  Sinnesorgan  aber,  welches  sonst  in  der 
üblichen  Fünfzahl  nicht  fehlen  durfte,  habe  ich  nicht  erwähnt,  das  Geschmacks- 
organ. Man  lässt  allerdings  ganz  allgemein  die  Zunge  aus  einem  von  der  Ober- 
haut überzogenen   Unterkiefertheile  hervorgehen   (Nr.  40   S.   75.   184.  185, 


332  VI.   Die  drei  höheren  Sinnesorgane. 

Nr.  48  S.  354 — 355) ;  wenn  man  aber  meine  Abbildungen  Fig.  303  und  283 
vergleicht,  wird  man  leicht  erkennen,  dass  sie  in  der  noch  vollkommen  ver- 
schlossenen Mundhöhle  sich  entwickelt,  also  die  Geschmackszellen  aus  dem 
Darmblatte  hervorgehen. 


Da  bei  der  Untersuchung  der  Sinnesorgane  das  überwiegende  Interesse 
sich  ganz  natürlich  dem  Auge  zuwandte,  so  musste  auch  der  Erfolg  dem  auf- 
gewandten Fleisse  entsprechen;  während  die  Entwickeln ngsgeschichte  des  am 
meisten  vernachlässigten  Geruchsorganes  auch  bis  in  die  neuere  Zeit  von 
gröberen  Irrthümern  nicht  frei  blieb.  Denn  Remak  selbst,  welcher  die  irrige 
Beobachtung  Rusconi's  von  der  Elitwickelung  der  Nasenhöhlen  aus  dem  Hirne 
zurechtstellte,  bezeichnet  an  noch  jungen  Larven  die  blossgelegten,  sackartigen 
Erweiterungen  der  Nasengruben  als  Lobi  olfactorii,  d.  h.  als  die  Anlagen  der 
vorderen  Kommissur  (Balken^,  welche  aber  an  solchen  Larven  entweder  noch 
gar  nicht  existiren  oder  vom  Vorderende  der  eigentlichen  Gl  osshirnlappen  nicht 
zu  unterscheiden  sind  (Nr.  40  S.  148).  v.  Bambecke  lässt  sogar  umgekehrt 
wie  Rusconi  einen  Theil  der  Nasengruben  sich  in  jene  Lobi  verwandeln.  Ganz 
offenbar  ist  aber  noch  die  Ansicht  allgemein  verbreitet,  dass  die  ganzen  Nasen- 
gruben das  Geruchsorgan  darstellen,  während  nach  meinen  Untersuchungen 
nur  ihre  dicke  ,  aus  der  ursprünglichen  Geruchsplatte  hervorgegangene  mediale 
Wand  als  das  eigentliche  Sinnesorgan  gedeutet  werden  kann.  Daher  will  ich 
die  ganzen  Nasenhöhlen  erst  in  Verbindung  mit  den  umgebenden  Kopftheilen 
näher  betrachten. 

Für  die  morphologische  Entwickelung  des  Auges  habe  ich  ausser  der  etwas 
auffallenden  Angabc  v.  Bambecke's  über  die  solide  Anlage  der  Augenblasen 
nur  die  Beschreibung  Remak's  und  Barkau's  von  der  Bildung  der  Linse  in 
etwas  zu  berichtigen.  Die  letztere  wird  nämlich  eine  von  der  Grundschicht  der 
Oberhaut  sich  abschnürende  Einstülpung  genannt,  deren  Höhle  also  von  der 
Deckschicht  nach  aussen  verschlossen  würde;  ich  sehe  dagegen  die  Linse  aus 
einer  soliden  Wucherung  der  Oberhaut  hervorgehen,  welche  erst  nachträglich 
eine  Höhle  erhält,  Ebenso  kann  ich  Schenk  undOELLACHER  nicht  beistimmen, 
wenn  sie  die  Linsenbildung  bei  den  Knochenfischen  gerade  so  wie  Barkau 
bei  den  Batrachiern  verlaufen  lassen  (Nr.  117  S.  4.  5,  Nr.  107  S.  81).  Auch  im 
Forellenembryo  finde  ich,  dass  anfangs  das  gesammte  Keimblatt  in  die  be- 
ginnende Einstülpung  der  primären  Augenblase    sich   einsenkt.      Dabei  ver- 


VI.    Die  drei  höheren  Sinnesorgane.  333 

wandelt  sich  aber  nur  der  grösste  mediale  Theil  der  verdickten  Grundschicht 
in  eine  feste  Schicht  oder  Platte,  welche  die  weitere  Einstülpung  und  Abschnü- 
rung ausführt.  Der  kleinere  centrale  und  laterale  Theil  der  Linsenanlage  füllt 
dagegen  als  lockere  Zellenmasse  den  Einstülpungsraum  jederzeit  aus,  sodass 
nicht  von  Anfang  an  eine  wirkliche  Höhle  der  Linsenanlage  besteht,  wie  Schenk 
angibt,  sondern  nur  ein  beständig  ausgefüllter  Raum,  wie  ihn  Schenk  gegen 
seine  eigene  Aussage  in  der  sich  abschnürenden  Linsenkugel  zeichnet  (Nr.  117 
Taf.  II  Fig.  7).  Indem  diese  centrale  lockere  Zellenmasse  ebenso  wie  bei  den 
Batrachierlarven  sich  auflöst,  gibt  sie  Veranlassung  zur  Bildung  der  spaltar- 
tigen Höhle,  welche  später  die  innere  und  äussere  Wand  der  Linsenanlage 
trennt  (vgl.  Nr.  117  Taf.  I  Fig.  3.  4).  Auch  die  bekannte  Einstülpung  der  Lin- 
senanlage der  Anmieten  ist  nicht  überall  ganz  gleich;  denn  wenn  sie  meist 
tellerförmig  abgebildet  wird  (Nr.  40  Taf.  V  Fig.  58,  Nr.  75  Fig.  8),  so  habe  ich 
sie  beim  Maulwurfe  dagegen  vollständig  trichterförmig  gesehen.  —  Die  Bildung 
des  Ohrbläschens  findet  im  Forellenembryo  gerade  so  statt  wie  die  Entwicke- 
lung  der  Linse,  sodass  die  lockere  laterale  und  später  centrale  Masse  durch  ihre 
Auflösung  die  Höhle  erzeugt;  ich  muss  also  darin  Oellacher  vollkommen  be- 
stätigen (Nr.  107  S.  73.  75).  Und  wenn  er  eine  Falte  der  Deckschicht  erwähnt, 
welche  in  jene  Einstülpung  hineinhänge,  so  kann  ich  hinzufügen,  dass  ich  eine 
ebensolche  ziemlich  tiefe  Einziehung  der  Deckschicht  in  die  Linsenanlage  beob- 
achtet habe. 

Aus  meinen  Bemerkungen  zur  Entwickelungsgeschichte  der  Nervenröhre 
wird  man  entnehmen  können,  dass  ich  bei  den  Umbildungen  der  Embryonalan- 
lagen das  Hauptgewicht  durchaus  nicht  auf  die  äussere  Erscheinung  lege. 
Wenn  ich  für  die  Anlagen  der  Linse  und  des  Labyrinthbläschens  die  gesehenen 
Bilder  ausführlich  beschrieb,  so  geschah  es  gerade,  um  zeigen  zu  können,  wie 
die  Homologie  nicht  in  der  wechselnden  äusseren  Erscheinung  sondern  in  den 
gleichen  wirkenden  Ursachen  zu  suchen  sei.  Ebenso  wenig  wie  die  Axenplatte 
sich  in  allen  Wirbelthierembryonen  in  eine  offene  Furche  verwandelt,  welche  sich 
darauf  zu  einer  Röhre  schliesst  und  abschnürt,  sind  die  Linse  und  das  Ohr- 
bläschen überall  einfache  Einstülpungen  des  oberen  Keimblattes.  Die  Veran- 
lassung zur  Entstehung  der  Linse  glaube  ich  bei  Batrachiern  und  Fischen  in 
dem  Drucke  der  die  Oberhaut  vorwölbenden  primären  Augenblaso  erkennen  zu 
müssen.  Lieberkühn  meint  freilich,  dass  die  Augenblasen  der  Säugethiere  stets 
durch  Theile  des  mittleren  Keimblattes  von  der  Oberhaut  getrennt  seien,  sodass 
die  Linsenanlage  diese  Theile  in  die  sekundäre  Augenblase  mit  einstülpe  (Nr.  75 


334  VI.   I>ie  drei  höheren  Sinnesorgane. 

S.  38 J;  ich  muss  dagegen  auf  Grund  meiner  Präparate  vom  Maulwürfe  behaup- 
ten, dass  dies  im  Beginne  der  Linsenbildung  nicht  der  Fall  ist,  also  jene  meine 
Begründung  dieser  Bildung  auch  auf  andere  Wirbelthiere  Anwendung  finden 
kann.  Die  von  der  Linsenbildung  jedenfalls  unabhängige  Einstülpung  der 
primären  Augenblase,  welche  schon  v.  Bambecke  erkannte,  und  ich  an  Ba- 
trachiern  und  Fischen  bestätigen  kann,  betrachte  ich  ferner  als  die  äussere 
Formbedingung,  welche  die  angeregte  Wucherung  der  Oberhaut  sich  nach 
innen  ausdehnen  und  gewissermassen  an  die  Oeffhung  der  sekundären  Augen- 
blase anpassen  lässt.  Wenn  dabei  die  Deckschicht  der  Batrachier  und  Tische 
nur  vorübergehend  eingestülpt  wird,  so  ist  dies  ganz  natürlich,  da,  wie  ich 
zeigte,  die  Grundschicht  so  stark  wuchert,  dass  sie  lateralwärts  keine  leere 
Höhle  erhält,  sondern  deren  Raum  mit  Zellen  angefüllt  bleibt.  Die  Linsen- 
bildung zeigt  also  bei  denselben  Bildungsursachen  die  gleichen  äusseren  Unter- 
schiede in  den  verschiedenen  Tbieren  wie  die  Entwickelung  des  Ohrbläschens 
und  des  Centralnervensystems ,  darf  aber  mit  diesen  nicht  ohne  weiteres  ver- 
glichen werden;  denn  sie  geht,  wie  es  mir  scheint,  aus  einer  sekundären  An- 
passung an  die  Umbildungen  der  eigentlichen  Augenanlage  hervor,  und  ist 
daher  abgesehen  von  der  Form  und  nur  mit  Rücksicht  auf  den  Werth  des 
Kausalzusammenhanges  mit  viel  mehr  Recht  der  noch  späteren  Anlage  des 
Glaskörpers  zu  vergleichen.  Das  Ohrbläschen  ist  dagegen  in  erster  Reihe  auf 
die  Sinnesplatte  und  dann  die  Axenplatte  mit  den  daraus  sich  ergebenden  Bil- 
dungsursachen zurückzuführen.  Ueberhaupt  hat  sich  auch  hinsichtlich  der 
Sinnesorgane  das  Bestreben  kundgegeben,  für  physiologisch  gleichartige Theile 
auch  eine  möglichst  gleiche  Entwickelung,  sowohl  nach  dem  Ursprünge  wie 
nach  der  Form  nachzuweisen.  So  hat  denn  Remak,  welcher  für  die  allgemeine 
Entwicklungsgeschichte  der  Wirbelthiere  seit  v.  Baer  am  meisten  geleistet 
hat,  das  Gemeinsame  und  Bedeutsame  in  der  Betheiligung  des  oberen  Keim- 
blattes an  der  Bildung  der  Sinnesorgane  darin  zu  sehen  geglaubt,  dass  das- 
selbe ursprünglich  eine  allgemeine  sensorielle  Oberfläche  des  Körpers  darstelle, 
„die  sich  im  Laufe  der  Entwickelung  in  kleinere  sensorielle  Bezirke  sondert", 
und  dass  diese  letzteren  „nicht  die  wesentlichsten  (nervösen)  Bestandteile  der 
Sinneswerkzeuge",  sondern  durch  hohle  Einstülpungen  die  freien  Oberflächen 
derselben  bilden  (Nr.  40  S.  100.  101).  Als  solche  selbstthätige  .(„nicht  passive") 
Einstülpungen  des  Sinnesblattes  werden  aufgeführt:  die  Riechhöhlen,  die  Ge- 
schmackshöhle,  die  Linse,  das  Labyrinth  (a.  a.  0.  S.  94.  95).  Wie  man  leicht 
erkennt,  ist  dies  nur  eine  den  verbesserten  Kenntnissen  angepasste  Auffasungs- 


VI.   Die  drei  höhereu  Sinnesorgane.  335 

weise  der  älteren  Zeit,  welche  die  Sinnesorgane  einfach  als  Auswüchse  des 
Hirns  betrachtete.  Im  übrigen  zeigt  sie  alle  Mängel  einer  morphologischen 
Vorstellung,  welche  statt  bloss  im  Zusammenhange  der  Forminnbildungen  zu 
wurzeln,  sich  stets  auf  die  subjektive  Werthschätzung  der  fertigen  Organe  be- 
zieht: die  Erklärung  wird  nicht  entwickelt,  sondern  erzwungen,  die  Beobach- 
tung muss  sich  dem  Schema  fügen.  Ich  will  auf  die  Konsequenzen  und  Inkon- 
sequenzen jener  Auffassung  nicht  weiter  eingehen  und  nur  die  Irrthümer  der 
Beobachtung  zurechtstellen.  Die  Geschmackshöhle  muss  zunächst  ausgeschieden 
werden,  da  das  Geschmacksorgan  weder  in  der  Mundbucht  noch  überhaupt  aus 
dem  oberen  Keimblatte  entsteht.  Damit  ist  freilich  die  specifische  Bedeutung 
des  ,, Sinnesblattes"  bereits  gewaltig  erschüttert.  Aber  auch  die  Nasengrube 
ist  keine  besondere  „Sinneshöhle",  da  sie  gar  nicht  ausschliesslich  oder  nur 
grösstentheils  von  der  Geruchsplatte  gebildet  wird,  welche  auf  eine  Seite  der- 
selben beschränkt  bleibt.  Endlich  ist  die  Linsenblase  weder  dem  Ohrbläschen 
und  der  Geruchsplatte  homolog,  noch  stehen  diese  der  Augenblase  so  gegen- 
über wie  anderen  Theilen  des  Centralnervensystems.  Kurz  —  die  Sinnesor- 
gane gehören  nach  ihrem  Ursprünge  nicht  alle  zusammen,  und  ihre  aus  dem 
Sinnesblatte  hervorgehenden  Theile  entwickeln  sich  nicht  alle  in  der  gleichen  Form 
von  Einstülpungen,  d.  h.  die  Auffassung  Remak's  ist  im  ganzen  und  im  einzel- 
nen unhaltbar.  Die  Ergebnisse  meiner  Untersuchungen  über  die  Sinnesorgane 
lassen  sich  vielmehr  dahin  zusammenfassen,  dass  nur  die  drei  sogenannten 
höheren  Sinnesorgane  in  der  Sinnesplatte  eine  gemeinsame  Grundlage  haben, 
welche  als  eine  Absonderung  von  der  Axenplatte  betrachtet  werden  kann ,  dass 
also  ihre  Homologie  sich  auf  ganz  andere  Theile  bezieht,  als  welche  bisher  da- 
für galten,  nämlich  auf  die  Geruchsplatte  (nicht  Nasengrube),  auf  die  Augen- 
blase (nicht  Linse)  und  das  Ohrbläschen,  wozu  noch  ein  Sinnesorgan  hinzu- 
kommt, welches  im  Schlussstücke  der  Sinnesplatte  angelegt,  mit  den  Geruchs- 
platten in  sich  wechselweise  ausschliessender  Korrelation  zu  stehen  scheint 
(Nasenrachengang  der  Cyklostomen ,  Anlage  des  Hirnanhangs).  Die  übrigen 
Sinnesorgane  (Seitenorgane,  äussere  Haut,  Zunge)  stehen  weder  mit  jenen  drei 
erstgenannten  noch  unter  sich  noch  endlich  mit  dem  Centralnervensystem  in 
einem  besonderen  genetischen  Zusammenhange  und  fallen  zudem  ausschliesslich 
ins  Gebiet  lokaler  histiologischer  Sonderung. 


VII.  Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 


Historisehe  Uebersicht  der  bisherigen  Untersuchungen. 

Die  erste  ausführliche  Entwickelungsgeschichte  der  Wirbelsäule  der  Ba- 
trachier  lieferte  Duges.  Schon  vor  dem  Ausschlüpfen  der  Embryonen  fand  er 
in  denselben  einen  knorpeligen  Strang  (Wirbelsaite)  unter  dem  Rückenmarke. 
Weiterhin  entwickelten  sich  neun  Paar  knorpelige  Wirbelbügen  um  das  Rücken- 
mark, welche  der  Wirbelsaite  jederseits  aufsitzen  (Nr.  13  S.  102).  Zuerst  er- 
scheinen sie  als  kleine  Höcker;  indem  sie  sich  aber  aufwärts  verlängern,  th eilen 
sie  sich  gabelig  in  zwei  Aeste,  von  denen  einer  den  Querfortsatz,  der  andere 
den  eigentlichen  Bogen  und  später  den  Gelenkfortsatz  bildet  (S.  103).  Der 
Knochen  des  Wirbelkörpers  entwickele  sich  von  zwei  seitlichen  Punkten  aus, 
welche  sich  alsbald  durch  ein  dünnes  Mittelstück  verbinden.  Beim  gemeinen 
Frosche  setze  sich  diese  Verknöcherung  des  Körpers  rund  um  die  Wirbelsaite 
ringförmig  fort  und  schnüre  dabei  die  letztere  ein  (S.  105).  Beim  Bombinator 
lüscus,  Alytes  punctatus  und  Hyla  (S.  103)  verschmelzen  die  beiden  ersten  Ver- 
knöcherungspunkte  zu  einem  annähernd  kubischen  Stücke,  welches  namentlich 
unten  ausgehöhlt  ist.  Daher  entsteht  an  der  Unterseite  der  aneinander  ge- 
reihten Wirbelkörper  eine  Furche,  in  welcher  die  Wirbelsaite  lagert,  und  welche 
erst  in  demselben  Masse  als  die  letztere  verkümmert  und  schwindet,  ausge- 
glichen wird  (S.  106).  In  den  Intervertebralräumen  liegen  kugelige  Knorpel- 
massen, welche  gleichfalls  ausserhalb  der  Wirbelsaite  entstanden  nach  der 
Metamorphose  mit  je  einem  Wirbelkörper  verschmelzen,  um  das  konvexe  Ge- 
lenkstück  zu  bilden  (S.  107).  Die  Wirbclbögen  schienen  Duges  sehr  früh  zu 
verknöchern  (S.  104)  und  zwar  ebenso  wie  die  Wirbelkörper  von  der  Oberfläche 


VII.   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  337 

her,  da  er  in  den  Wirbelbögen  junger  Thiere  eine  knorpelige  Axe  zu  finden 
glaubte  (S.  107).  Das  Steissbein  werde  anfangs  durch  zwei  Paar  knorpelige 
Bögen  gebildet,  von  denen  das  erste  Paar  bei  gewissen  Batrachiern  Querfortsätze 
besitze.  Zu  diesen  Bögen  gesellen  sich  alsbald  zwei  entsprechende  Wirbel- 
körper, so  dass  das  Steissbein  aus  zwei  Wirbeln  zusammengesetzt  erscheint. 
Dazu  kommt  aber  noch  ein  axialer  Knorpelstreif  unterhalb  der  Wirbelsaite, 
welcher  während  der  Auflösung  derselben  im  vorderen  Theile  mit  jenen  beiden 
Wirbelkörpern  verschmilzt,  rückwärts  aber  bedeutend  über  sie  hinausreicht 
(S.  108.  109). 

J.  Müller  bestätigte  im  allgemeinen  die  Angaben  von  Duges,  namentlich 
die  zwei  verschiedenen  Bildungsweisen  der  Wirbel,  welche  die  Anuren  in  zwei 
Gruppen  scheiden  (Nr.  76  I  S.  83.  101.  103.  130.  131,  III  S.  69.  74).  Müller 
weicht  aber  von  Duges  darin  ab,  dass  er  die  Wfirbelsaite  nicht  aus  Knorpel 
sondern  aus  mit  Gallerte  angefüllten  Zellen  bestehen  lässt  (I  S.  81.  82).  Daraus 
folgerte  er  anfangs,  „dass  die  Chorda  dorsalis  der  Verknöcherung  der  Wirbel 
durchaus  fremd  bleibt",  und  dass  vielmehr  „alle  Ossifikation  an  der  Wirbelsäule 
erfolgt  in  der  äusseren  fibrösen  Schicht  um  die  Scheide  der  Gallertsäule,  in 
jener  Schicht,  welche  auch  das  Rückenmarksrohr  bildet."  In  dieser  Skelet- 
schicht  entstehe  aber  der  Wirbel  nicht  durch  ursprüngliche  Verknöcherung, 
sondern  derselben  gehe  die  Bildung  paariger  Knorpels tücke  voraus,  welche 
erst  verschmelzen,  bevor  in  ihnen  die  Verknöcherungspunkte  'erscheinen 
(I  S.  82  —  83).  Später  hebt  aber  Müller  ganz  besonders  hervor,  dass 
die  Wirbelkörper  der  meisten  Batrachier  ausser  Pelobates  und  Pseudis 
aus  wahren  ringförmigen  Ossifikationen  der  Chordascheide  selbst  entstehen 
(III  S.  69.  74). 

Rathke  sagt  über  die  Entwickelung  der  Wirbelsäule:  —  „Als  das  Funda- 
ment der  Wirbelsäule  erscheint  die  Wirbelsaite ,  ein  häutiges  allenthalben  ge- 
schlossenes Rohr,  das  mit  einer  Substanz  ausgefüllt  ist,  die  eine  gallertartige 
Beschaffenheit  hat.  Demnach  besteht  die  Wirbelsaite  an  und  für  sich  selbst 
aus  zwei  verschiedenen Theilen,  die  man  den  Kern  und  die  Scheide  nennen  kann. 
Um  sie  herum  "lagert  sich  ein  Blastem  ab,  das  anfangs  allenthalben  gleich- 
artig beschaffen  ist  und  ein  grobkörniges  Gefüge  hat.  Zuvörderst  scheint  es  an 
der  rechten  und  linken  Seite  der  Chorda  vertebralis  zum  Vorschein  zu  kommen, 
dann  aber  in  der  Regel  von  hier  aus  nach  oben  und  unten  um  die  Chorda  herum 
zu  wuchern,  so  dass  diese  nach  einiger  Zeit  eine  besondere  aus  solchem  Blastem 

Goette,  Entwiekelungsgeschichte.  2  m 


338  VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

bestehende  Belegung  erhalten  hat,  die  eine  neue  oder  zweite  Scheide  für  sie 
ausmacht."  Rathke  nennt  sie  die  Belegungsmasse  der  Wirbelsaite.  Dieselbe 
verdicke  sich  rund  um  die  Wirbelsaite  in  einer  Reihe  hintereinander  liegender 
Ringe,  welche  durch  dünne  Abschnitte  verbunden  bleiben;  zugleich  umwuchere 
sie  das  Rückenmark  ebenfalls  röhrenförmig,  wobei  den  dickeren  Ringen  ent- 
sprechende obere  Bögen  entstehen,  welche  eigentlich  nur  als  Verlängerungen 
jener  zu  betrachten  seien  (Nr.  21  S.  2).  Die  Ringe  werden  dicker  und  breiter 
und  verwandeln  sich,  indem  die  von  ihnen  eingeschnürten  Stellen  der  Wirbel- 
saite schwinden,  in  die  späteren  knorpeligen  Wirbelkörper.  Zwischen  je  zwei 
solchen  Körpern  bleibt  ein  Theil  der  Wirbelsaite  bestehen;  die  Scheide  des- 
selben wird  zu  einem  Lig.  intervertebrale ,  der  Kern  aber  verflüssigt  (S.  3). 
Die  zwischen  je  zwei  jener  Wirbel  zurückbleibenden  Theile  der  Belegungsmasse 
der  Wirbelsaite  werden  zu  einer  Fortsetzung  der  Knochenhaut  der  Wirbelkör- 
per und  zu  den  Ligg.  intercruralia  und  interspinalia  (Nr.  21  S.  4,  Nr.  47 
S.  124  und  flg). 

Schwann  hat  die  Wirbelsaite  und  den  Knorpel  nur  an  erwachsenen  Frosch- 
larven untersucht  (Nr.  77  S.  10).  Nach  ihm  besteht  die  Wirbelsaite  im  Innern 
aus  grossen  aneinander  gefügten  Zellen  mit  selbstständigen  Membranen  und 
wandständigen  Kernen.  Die  Grösse  dieser  Zellen  nimmt  gegen  die  Oberfläche 
der  Wn'belsaite  ab  und  die  dünne,  mit  kernähnlichen  Körperchen  durchsetzte 
Rinde  der  letzteren  bestehe  aus  abgeplatteten  Zellen,  deren  epitheliales  Ge- 
füge bisweilen  kenntlich  ist.  An  einigen  Stellen  sieht  Schwann  etwas  Intercel- 
lularsubstanz  zwischen  den  Chordazellen  und  in  ihrem  Innern  hier  und  da  junge, 
bläschenförmige,  aber  kernlose  Zellen  (S.  12  —  15).  Den  Knorpel  lässt 
Schwann  so  entstehen,  dass  in  einer  Grundsubstanz  erst  Kerne  auftreten,  dann 
an  ihrer  Oberfläche,  sei  es  durch  Abspaltung  von  ihren  Membranen  oder  durch 
Neubildungen  sich  die  blasigen  Zellen  entwickeln,  welche  den  Kernen  zuerst 
dicht  anliegen  und  erst  durch  ihr  ferneres  Wachsthum  sich  von  denselben  ab- 
heben. Diese  ganze  Bildung  könne  entweder  innerhalb  schon  fertiger  Knorpel- 
zellen oder  in  der  Intercellularsubstanz  vor  sich  gehen.  Weiterhin  verdicken 
sich  die  Membranen  der  jungen  Knorpelzellen  und  können  dann  entweder  be- 
stehen bleiben  oder  mit  den  angrenzenden  Membranen  und  der  Intercellular- 
substanz verschmelzen  (S.  21  und  flg.,  S.  113  und  flg.). 

Reichekt  lässt  das  Stammskelet  aus  seinem  Wirbelsystem,  den  Segmenten, 
hervorgehen.     „In  den  Urplatten  entwickelt  sich  am  Rumpfe  die  Wirbelsäule, 


VII.   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  339 

am  Kopfe  die  Schädelbasis ,  welche  also  gemäss  der  Genesis  ursprünglich  aus 
zwei   Theilen   zusammengesetzt  werden.     Die  Skelettheile  der  Wirbelröhre, 
welche  durch  die  von  dem  äusseren  Rande  der  Urplatten  hervorwachsenden 
Rücken-  und  Visceralplatten  gebildet  werden ,  sind  die  von  den  Wirbelkörpern 
abgehenden  oberen  und  unteren  Wirbelbogen  (Rippen)"  (Nr.  22  S.  30.  31).  Die 
beiderseitigen  Urplatten  verschmelzen  von  vorn  rückwärts  fortschreitend,  an- 
fangs unterhalb  der  Wirbelsaite  und  erst  später  auch  oberhalb  derselben.     Im 
Kopfe  geschehe  das  letztere  erst  von  dem  Türkensattel  an  rückwärts,  während 
davor  die  Chordaspitze  dem  Hirne  angeheftet  bleibe,  um  sich  in  den  Hirnanhang 
zu  verwandeln  (S.  29.  30).  Im  weiteren  Verlaufe  der  Entwickelung  verkümmere 
die  Wirbelsaite,   sodass  Reste  derselben  nur  zwischen  den  einzelnen  Wirbeln 
übrig  bleiben.     Aus  allem  folge,  „dass  die  Wirbelsaite  und  das  Wirbelsystem 
zwei  ursprünglich  verschiedene  Gebilde  sind  und  nicht  zusammen  gehören," 
beide  aber  die  gleiche  Bedeutung  von  Stützorganen  haben,  sodass  jene  im 
Anfange  der  Entwickelung  als  solches  diene,  später  aber  diese  ihre  Funktion 
der  Wirbelsäule  übertrage  (S.  31.  32). 

Nach  Vogt  besteht  die  ganze  Chorda  „aus  einem  gleichmässigen  Gallert- 
strang  mit  unzähligen  Molecularkörpern  und  manchen   Stearintäfelchen  ge- 
mengt, welcher  nur  durch  Mangel  von  Zellenstructur  von  der  umgebenden  Masse 
sich  unterscheidet."  Bald  erscheinen  aber  „zuerst  an  dem  Kopfende  in  Mitte  der 
Gallertmasse  hie  und  da  rundliche,  helle  Flecken,  welche  ganz  wie  Höhlungen 
aussehen."  Da  Vogt  diese  Gebilde  aus  der  Wirbelsaite  isoliren  konnte,  hielt  er  sie 
für  kernlose  Zellen  (Nr.  26  S.  42).     Diese  Zellen  vermehren  und  vergrössern 
sich  und  verdrängen  dabei  die  intercellulare  Körnchenmasse  bis  auf  geringe 
Spuren  an  den  Stellen,  wo  die  Ecken  der  durch  gegenseitigen  Druck  polyedrisch 
abgeplatteten  Zellen  zusammenstossen.     Darauf  erhält  die  Wirbelsaite  eine 
dünne,  structurlose  Scheide,  welche  die  Zellenmasse,  oder  den  Kern  der  Wirbel- 
saite eng  umschliesst.     In  den  Zellen  erscheinen  zu  einer  gewissen  Zeit  wand- 
ständige Kerne,  vom  Aussehen  plattgedrückter  Bläschen  (S.  43. 44).  InTritonen- 
larven  fand  Vogt  vor  dem  Erscheinen  der  sekundären  Zellen  die  Dotter- 
plättchen  in  gleichen  Abständen  ringförmig  um  die  Wirbelsaite  herumgelagert 
(S.  45) ;  dieses  Aussehen  hält  er  für  Spuren  einer  Verschmelzung  von  zerstörten 
Embryonalzellen,    woraus   eben  die  gleichmässige  Chordamasse  hervorgehe 
(S.  49).     Die    darauf  entstehenden   sekundären    Zellen  füllen  je  einen    der 
vorbezeichneten  Abschnitte  aus,  sodass  sie  scheibenförmig  erscheinen  und  in 
der  Scheide  wie  Münzen  in  einer  Rolle  liegen   (S.  4l>);  später  erst  trete  eine 

22* 


340  VII.   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

Theilung  derselben  ein  (S.  47).*  Was  nun  die  Entstehung  der  knorpeligen 
Wirbelsäule  betrifft,  so  glaubt  Vogt,  „dass  es  die  Scheide  der  Chorda  ist, 
welche  den  (anfangs  ringförmigen)  Wirbelkörper  entwickelt,"  während  „der 
Bogentheil  als  Differenzirung  in  der  Masse  der  ursprünglichen  Rückenwülste 
anzusehen  ist".  „Auch  hier  erscheint  der  Knorpelring  erst  später  von  dem 
auflagernden  Muskelgewebe  verschieden,  während  anfangs  keine  genaue  Grenze 
zwischen  beiden  gezogen  werden  kann"  (S.  83).  Innerhalb  der  Wirbel  werde 
alsdann  der  Chordakern  resorbirt.  ,,Da,  wo  die  Knorpelringe  den  Strang 
drücken,  werden  die  Zellen  resorbirt  und  erhalten  sich  noch  in  den  Gelenk- 
flächen ,  wenn  endlich  der  Ring  sich  zu  einem  soliden  Körper  geschlossen.  Ich 
habe  noch  bei  einem  einjährigen,  mithin  vollständig  ausgebildeten  Alytes  die 
Rückenwirbel  in  Form  von  Doppelkegeln,  wie  bei  den  Fischen,  gesehen  und 
die  Zwischenräume  dieser  Doppelkegel  mit  Chordazellen  ausgefüllt  gefunden. 
Eine  Metamorphorse  der  Chordazellen  etwa  in  Knorpelzellen  oder  anderes  Ge- 
webe findet  durchaus  nicht  statt  bei  den  Batrachiern;  die  ausgebildete  Chorda- 
zelle hat  das  Ende  ihrer  Laufbahn  erreicht"  (S.  86).  Am  Schädel  vergleicht 
Vogt  die  Basis  mit  den  Wirbelkörpern,  das  Gewölbe  mit  den  Wirbelbögen 
(S.  74),  sodass  die  entsprechenden  Theile  auch  auf  gleiche  Weise  entstehen. 
„Die  Scheide  des  Endstückes  der  Chorda  bildet  eine  breite  Knorpeltafel,  welche 
der  letzten  Hirnabtheilung  zur  Stütze  dient.  Von  dieser  aus  gehen  zwei 
seitliche  Knorpelbalken,  welche  sich  unter  der  Hemisphärenabtheilung  wieder 
vereinigen  und  die,  nebst  der  hinteren  Tafel  das  ganze  Gewölbe  des  Schädels, 
mit  seinen  verschiedenen  Kapseln  für  Gehirn,  Nase,  Augen  und  Ohr  tragen" 
(S.  86).  Im  Kopfe  hat  Vogt  ebenfalls  die  Entwickelung  des  Knorpels  ver- 
folgt. „Die  erste  Anlage  zum  Knorpelgewebe  der  Schädelbasis  besteht  in 
einem  dichten,  dunkeln  Cytoblastem,  vollgepfropft  von  Molecularkörperchen 
und  halbverzehrten  Stearintäfelchen  und  offenbar  hervorgegangen  aus  der 
Zerstörung  der  ursprünglichen  Embryonalzellen."  „Auch  die  wasserhellen 
Blasenkerne  der  Embryonalzellen  sind  verschwunden"  (S.  105).  Während  die 
Zahl  der  Stearintäfelchen  abnimmt,  erschienen  in  diesem  Blastem  grosse,  helle, 
rundliche  Zellen,  mit  je  einem  oder  mehreren  grossen  Kernen  versehen.  Vogt 
glaubt,  dass  diese  Zellen  ohne  Zwischenstufen  „gleich  in  der  ihnen  zukommen- 
den Form  und  Grösse  ins  Leben  treten"  (S.  106).     Indem  ihr  Wachsthum  die 


Vgl.  auch  Vogt,  Quelques  observations  sur  renibryologie  des  ßatraciens,  in:  Annales 


des  Sciences  naturelles  Serie  3.  Zoologie  Toni.  2.  1844. 


VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  341 

Interccllularsub stanz  verdrängt,  berühren  sie  sich  endlich  und  platten  sich 
polyedrisch  ab,  worauf  ihre  Membranen  nach  Ablagerung  eines  plastischen 
Stoffes  an  ihrer  Innenfläche  mit  einander  und  dem  letzteren  zu  einer  neuen 
Intercellularsubstanz  verschmelzen.  Die  dadurch  frei  gewordenen  Kerne 
wachsen,  werden  hohl  und  erhalten  endlich  einen  eigenen  Kern,  sodass  sie  eine 
zweite  Zellengeneration  darstellen  (S.  107),  diese  verändert  sich  in  derselben 
Weise  wie  die  ersten  Zellen  bis  zur  Bildung  von  freien,  hohlen  Kernen  (S.  108). 
Zwischen  diesen  letzteren  zeigten  sich  alsdann  in  der  Intercellularsubstanz 
kleine  helle  Bläschen,  welche  sich  zu  kernhaltigen  Zellen,  den  sekundären 
Knorpeizellen,  entwickelten  und  durch  ihrWachsthum  jene  hohlen  Kerne  oder 
die  zweite  Generation  der  primären  Knorpelzellen  zum  Schwunde  brächten 
(S.  109 — 111).  In  ihren  Kernen  endlich  glaubt  Vogt  wieder  neue  Zellen- 
generationen gesehen  zu  haben  (S.  104.  115). 

Prevost  und  Lebert  fanden  die  Wirbelsaite  anfangs  aus  Embryonal- 
zellen zusammengesetzt,  in  denen  alsbald  helle,  vakuolenartige  Gebilde  erschie- 
nen, nach  der  Ansicht  der  Verfasser  die  vergrösserten  Kerne  jener  Embryonal- 
zellen, welche  schliesslich  den  ganzen  übrigen  Inhalt  der  Wirbelsaite  ver- 
drängten. Zu  beiden  Seiten  der  Wirbelsaite  liege  ein  pigmentrirter  Strang 
mit  Fortsetzungen  zwischen  die  Wirbelplatten  (Segmente) ;  dies  sei  der 
embryonale  Knorpel  mit  einer  unorganisirten ,  aus  den  zerstörten  Leibern  der 
Embryonalzellen  zusammengesetzten  Grundmasse  und  den  hellen  Kernen  der- 
selben, welche  zu  Knorpelzellen  würden  (Nr.  30  S.  204.  205.  224).' 

Cramer  wiederholt  für  den  Frosch  dieselben  Angaben,  welche  Vogt  über 
die  Entwickelung  der  Wirbelsaite  der  Tritonen  gemacht  hat.  Die  Embryonal- 
zellen  würden  vollständig  zerstört,  worauf  in  dem  quergestreiften  Strange  die 
sekundären  Zellen  auftreten  (Nr.  34,  S.  56 — 58). 

Kölliker  hat  in  seiner  „mikroskopischen  Anatomie"  die  früher  nur  aus- 
zugsweise gegebene  Mittheilung  über  die  Entwickelung  der  Wirbelsaite  des 
Frosches  (Nr.  32)  ausführlich  wiederholt.  Anfangs  sei  die  Wirbelsaite  nur  aus 
Embryonalzellen  zusammengesetzt  und  besitze  noch  keine  Scheide.  Indem 
sich  die  Zellen  vergrössern,  „legen  sie  sich  fest  aneinander,  wodurch  ihre  Con- 
touren  minder  deutlich  werden;  dann  beginnen  ihre  Dotterkörperchen  von 
Innen  her  zu  schwinden,  so  dass  zuerst  um  die  nun  deutlich  sichtbar  werden- 
den Kerne  helle  Höfe  sich  bilden,  die  nach  und  nach  immer  weiter  nach  aussen 
greifen,  bis  am  Ende  nur  noch  an  der  Peripherie  der  Zellen  unmittelbar  an  der 
Zellenmembran    eine    Schicht    verkleinerter  Dotterkörperchen    sich   findet." 


342  "VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

Endlich  verflüssige  sich  auch  diese  und  die  Zellen  werden  ganz  hohl  und  lassen 
blasse  Kerne  erkennen.  Während  dieser  Vorgänge  erscheint  auch  die  Scheide 
in  Gestalt  eines  zarten  Saumes,  welche  ein  Ausscheidlingsprodukt  der  ursprüng- 
lichen Chordazellen  sei  (Nr.  78  I.  S.  347).  Das  Wachstimm  der  Wirheisaite 
sei  einmal  auf  die  Ausdehnung  der  ursprünglichen  Zellen,  welche  „nachweisbar 
am  Kopfe  beginnt  und  von  da  rückwärts  fortschreitet",  und  ferner  darauf 
zurückzuführen,  dass  an  dem  hinteren  Ende  der  Wirbelsaite,  aus  einem  dort 
aufgespeicherten  Material  von  kleinen  Bildungszellen  fortwährend  neue  Zellen 
sich  ansetzen  (S.  348).  An  weiter  entwickelten  Wirbelsaiten  unterscheidet 
Köllikee  ausser  an  der  Pipa  dorsigera  (Nr.  44  S.247)  eine  Elastica  externa, 
aus  platten  anastomosirenclen  Fasern  bestehend,  dann  die  queren  parallelen 
Bindegewebsbündel  der  eigentlichen  Scheide  und  endlich  die  weiche  Gallert- 
masse, an  welcher  eine  äusserste  Lage  kleinerer  Zellen  zu  erkennen  sei  (Nr.  44 
S.  217.  233).  Das  Rumpfskelet  gehe  nicht  aus  der  Wirbelsaite  hervor,  sondern 
aus  den  an  ihrer  Seite  befindlichen  Bildungs-  oder  Embryonalzellen  (Nr.  78 
S.  348).  In  dieser  „skeletbildenden  Schicht"  entstehen  aber  die  Anlagen  der 
Wirbel  auch  nach  Köllikee,  auf  zweifache  Weise:  1.  „aus  zwei  oberen 
knorpelig  präformirten  Bögen,  die  auch  die  Querfortsätze  bilden,  und  aus  einem 
unpaaren  Körper,  der  mit  zwei  Seitenhälften,  ohne  knorpelig  präformirt  zu  sein, 
aus  der  äusseren  skeletbildenden  Schicht  hervorgeht  und  die  Chorda  ring- 
förmig umgibt"  (Nr.  44  S.  219) ;  2.  aus  jenen  Bögen  und  deren  verschmolzenen 
Basen  (Wirbelkörper),  woran  sich  noch  Theile  der  äussern  Chordascheide 
(skeletbildende  Schicht)  anschliessen ,  die  gleichfalls  knorpelig  präformirt  sind 
(Nr.  44  S.  232 — 239).  Im  besonderen  verdicken  sich  die  Knochenringe  des  ersten 
Typus  zu  Doppelkegeln,  welche  in  der  Mitte  solid  sind  und  mit  den  voraus- 
gehenden und  nachfolgenden  Wirbelkörpern  intervertebrale,  gleichfalls  aus  der 
skeletbildenden  Schicht  hervorgegangene  Knorpelmassen  einschliessen ,  und  je 
nachdem  dieser  Intervertebralknorpel  unverändert  bleibe  (Perennibranchiata, 
Derotremata)  oder  mit  der  hinteren  Hälfte  einen  Gelenkkopf  des  Wirbel- 
körpers bilde  (Salamandra,  Triton)  oder  beide  Hälften  auf  diese  Weise  den 
entsprechenden  Wirbeln  sich  anpassen  (Rana) ,  entständen  die  verschiedenen 
Formen  der  Batrachierwirbel  (Nr.  44  S.  219 — 222).  In  der  zweiten  Gruppe 
der  Batrachier  bilden  die  verschmolzenen  Basen  der  Wirbelbögen  oder  die 
Wirbelkörper  eine  Rinne,  in  welcher  die  Wirbelsaite  lagert;  doch  wächst  ah 
den  Larven  von  Cultripes  provincialis  jene  Rinne  an  den  zwei  ersten  Wirbeln 
zu  einem  vollständigen  Knorpelringe  zusammen  (Nr.  44  S.  233.  234.  237.  238). 


VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  343 

—  Ueber  die  histologische  Entwicklung  des  Knorpels  an  den  Skeletanlagen 
sowohl  des  Kopfes  wie  des  Rumpfes  lässt  sich  Kölliker  im  Gegensatze  zu 
seinen  Vorgängern  folgendermaassen  aus  (Nr.  78  S.  348 — 349).  Die  Knorpel- 
zellen gingen  aus  den  Embryonalzellen  in  ähnlicher  Weise  wie  die  Chordazellen 
durch  Verflüssigung  des  Inhalts  hervor;  später  vermehrten  sie  sich  durch 
endogene  (Tochterzellen-)  Bildung,  Avobei  die  Wandungen  der  verschiedenen 
Generationen  zu  einer  Zwischensubstanz  verschmelzen.  Nach  dem  Erscheinen 
der  REMAK'schen  Arbeiten  hat  Kölliker  seine  Darstellung  dahin  ausgeführt, 
dass  die  Zellmembranen  durch  Anlagerung  von  Knorpelmasse  an  ihrer  Innen- 
fläche zu  Knorpelkapseln  würden,  welche  das  von  ihnen  deutlich  gesonderte 
Protoplasma  (Protoblasten)  umschlössen.  Die  Grundsubstanz  lässt  Kölliker 
theils  aus  einer  Zellenausscheidung,  theils  aus  einer  Verschmelzung  von 
Knorpelkapseln  entstehen  (Nr.  79  S.  (34.  65).  Die  Verknöcherung  des  Knorpels 
soll  von  der  Oberfläche  der  betreffenden  Wirbeltheile  ausgehen  (Nr.  44 
S.  234.  238). 

Ueber  die  Wirbelsaite  des  Frosches  hat  Remak  nichts  Bemerkenswerthes 
mitgetheilt,  und  von  der  Wirbelsäule  sagt  er  uns  bloss,  dass  sie  aus  einer  die 
Chorda  umhüllenden  Membran  sich  entwickele  (Nr.  40  S.  154).  Der  Knorpel 
entstände  aus  den  Embryonalzellen  in  der  Art,  dass  an  den  Membranen  der- 
selben eine  Knorpellage  entstände  (Knorpelblase),  während  ihr  Protoplasma  zu 
den  ersten  Knorpelzellen  würde.  Während  sich  diese  Knorpelzellen  durch 
Theilung  vermehrten,  entständen  an  ihnen  sekundäre  Knorpelblasen,  welche 
mit  den  ersten  zu  einer  gemeinsamen  Grundsubstanz,  der  Parietalsubstanz  ver- 
schmelzen (Nr.  36  S.  68).  Auf  die  frühere  Behauptung,  dass  die  Knorpelblase 
an  der  Innenfläche  der  ursprünglichen  Zellmembran  sich  bilde  und  dass  die 
Knorpal-  oder  Primordialzelle  eine  eigene  Membran  (Primordialschlauch)  be- 
sässe,  legte  Remak  später  kein  sonderliches  Gewicht,  erwähnte  dagegen 
noch  eine  Interkapsularsubstanz,  welche  die  Knorpelblasen  verbände  (Nr.  40 
S.  171.  172). 

Bruch  bestätigt  die  Angaben  von  Duges  und  Müller  über  die  embryo- 
nale Wirbelsäule  von  Rana  fusca  und  diejenigen  von  Kölliker  über  denselben 
Bildungstypus  bei  anderen  Anuren  (Nr.  50  S.  180.  186).  Dabei  bemerkt  er, 
dass  die  Wirbelbögen  nicht  aus  irgend  einer  Grundlage  sich  metamorpho- 
siren,  sondern  als  stellenweise  Wucherungen  der  Chordascheide  aufzufassen 
seien,  „die  jedoch  von  Anfang  an  und  so  weit  sie  sich  über  das  Niveau  derselben 
erheben  stets  schon  aus  hyalinem  Knorpelgewebe  bestehen,  streng  genommen 


344  VII.      Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

daher  nie  einen  Bestandteil  der  Chordascheide  gebildet  haben"  (S.  180 — 181). 
Die  letztere  sei  auch  nicht  als  in  Knorpel  übergehendes  Bindegewebe  anzu- 
sprechen, sondern  als  indifferentes  „Bildungsgewebe",  welches  theils  in  Binde- 
gewebe theils  in  Knorpel  sich  verwandele  (S.  187.  189). 

Gegenbaue  unterscheidet  gewisse,  allen  Batrachiern  geineinsame  Grund- 
lagen der  Wirbelsäule,  nämlich  die  Wirbelsaite  und  die  skeletbildende  Schicht, 
welche  später  eine  nach  drei  Gruppen  gesonderte  Entwickelung  erfahren.  Die 
Wirbelsaite  bestehe  aus  der  inneren  Zellenmasse  und  der  Scheide.  Die  Wan- 
dungen der  grossen  Chordazellen  seien  nicht  Zellmembranen,  sondern  bestän- 
den aus  Intercellularsubstanz,  an  deren  Innenfläche  noch  eine  dünne  Proto- 
plasmaschicht vorhanden  sei  (Nr.  88  S.  19).  Bei  den  Salamandrinen  läge  an 
der  Oberfläche  dieser  Masse  grosser  Chordazellen  eine  Schicht  von  platten 
kleineren  Zellen,  welche  bei  den  Anuren  nicht  vorkäme  (S.  19.  22.  34).  Die 
Chordascheide  sei  aus  zwei  elastischen  Häuten,  einer  äusseren  dünnen  und  einer 
inneren  dicken  zusammengesetzt,  welche  bei  Bombinator  igneus  lose  zusammen- 
hängen, und  von  denen  die  innere  eine  eigenthümliche  Faserzeichnung  besitze 
und  dieser  entsprechend  in  bandartige  Streifen  zerfalle  (S.  13.  22.  34.  35).  Die 
skeletbildende  Schicht  bilde  eine  Röhre  um  die  Wirbelsaite  und  im  kontinuir- 
lichen  Anschlüsse  daran  eine  ebensolche  um  das  Bückenmark.  Sie  bestehe  aus 
jungem  Bindegewebe  d.  h.  einer  anfangs  indifferenten  Schicht,  aus  welcher 
später  Bindegewebe  und  Knorpel  sich  differenziren.  Doch  kennt  Gegenbaur 
nur  den  schon  differenzirten  Zustand,  wobei  die  innerste  Lage  theils  aus  Knorpel 
bestehe,  theils  noch  junge  spindelförmige  Zellen  enthalte,  welche  beide  Gewebe 
aber  nicht  scharf  geschieden  seien,  sondern  allmähliche  Uebergänge  zeigen, 
sodass  die  Knorpelbögen  z.  B.  sowohl  in  das  umgebende  als  das  sich  unten 
anschliessende  Bindegewebe  kontinuirlich  sich  fortsetzen.  Die  äusserste  binde- 
gewebige Lage  der  skeletbildenden  Schicht,  welche  die  ganze  Wirbelsäule  über- 
ziehe, sei  die  Anlage  des  Periosts  (S.  13.  15.  22.  23.  30—34). 

Bei  den  Salamandrinen  geht  Gegenbaur  von  jenem  Zustande  der  Wirbel 
aus,  wo  die  obere  Röhre  der  skeletbildenden  Schicht  bereits  spangenartige 
Knorpelstücke,  die  Wirbelbögen  enthält.  Die  sie  verbindende,  aus  spindelför- 
migen Zellen  zusammengesetzte  Membran  geht  kontinuirlich  in  die  epithel- 
artige untere  Röhre  über,  welche  die  Wirbelsaite  umschliesst.  Dieses  letztere 
( rewebe  verdickt  sich  in  Form  von  Ringwülsten  je  in  der  Mitte  zwischen  zwei 
Wirbelbögenpaaren,  welche  Wülste  im  Innern  knorpelig  werden  (Interverte- 
bralknorpel),  an  der  Oberfläche  in  Bindegewebe  mit  quergestellten  spindelför- 


VII.    Die   Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  345 

migen  Zellen  sich  verwandeln  (Intervertebralligament,  S.  1 3. 14).  Der  Interverte- 
bralknorpel, welcher  an  der  Oberfläche  platte  Zellen  besitzt,  erstreckt  sich  vorn 
und  hinten  noch  eine  kurze  Strecke  über  die  Wirbelsaite,  ohne  jedoch  den  voran- 
gehenden und  folgenden  zu  erreichen ;  die  Intervertebralligamente  hängen  da- 
gegen alle  durch  eine  bindegewebige  Schicht  (Periost)  zusammen,  welche  durch 
Kalkablagerungen  verknöchernd  an  jedem  Wirbel  einen  Doppelkegel  darstellt.  Bei 
dieser  Verknöcherung  scheidet  das  Periost  um  die  Mitte  des  Wirbels  zunächst  eine 
zellenfreie  homogene  Knochenlamelle  ab,  welche  an  dem  Intervertebralknorpel  in 
eine  Lage  von  platten  Knorpelzellen  mit  ossificirter  Grundsubstanz  übergeht 
(S.  14.  16).  Erst  dieser  „anfänglich  sehr  fragile  Doppelkegel ,  der  nur  aus  einer 
äusserst  dünnen  ossificirten  Knorpelschicht  gebildet  wird,  bedeckt  sich  mit  einer 
querwachsenden  Schicht  von  Faserknochen"  (S.  15).  Doch  spricht  Gegenbaur 
später  wieder  von  einer  homogenen  zellenlosen  Lamelle  zwischen  Knorpel  und 
Faserknochen  (S.  04).  Die  knorpeligen  Wirbelbögen  verwachsen  oben  ring- 
förmig. „An  der  Vereiuigungsstelle  beider  Hälften  zieht  sich  der  Bogen  nach 
hinten  und  vorn  in  einen  Fortsatz  aus,  so  dass  sämmtliche  Bögen  oben  in  der 
Medianebene  nicht  weit  von  einander  entfernt  sind.  Indem  dieser  mittlere, 
obere  Theil  des  Bogens  allmählich  mehr  in  die  Breite  wächst,  nähern  sich  die 
Bögen  je  zweier  benachbarter  Wirbel,  und  es  tritt  endlich  an  jeder  Seite 
ein  Uebereinanderwachsen  auf,  welches  die  Bildung  der  Gelenkfortsätze  ein- 
leitet. Die  Gelenke  an  den  Bogen  sind  somit  nicht  eigentlich  Differenzirungs- 
producte  von  Knorpelmassen,  denn  es  sind  die  Bögen  je  zweier  Wirbel  zu  keiner 
Zeit  in  continuo  des  Knorpels  untereinander  verbunden"  (S.  14).  Später  bildet 
sich  auch  an  den  knorpeligen  Wirbelbögen  ein  Faserknochenüberzug.  Die 
Intervertebralknorpel  schnüren,  nach  innen  wuchernd,  die  Wirbelsaite  ein  und 
bilden  sich  zu  den  Gelenktheilen  aus,  indem  mitten  durch  den  Knorpel  eine 
konvex-konkave  Lage  quergestellter  Zellen  sich  entwickelt  (S.  16.  18).  Aus 
der  Schicht  platter  peripherischer  Chordazellen  an  der  Innenfläche  der  Chorda- 
scheide entwickelt  sich  in  der  Mitte  des  Wirbels  eine  ringförmige  Knor- 
pelschicht (Chordaknorpel),  welche  die  Wirbelsaite  ebenfalls  zusammen- 
schnürt (S.  19). 

An  den  Larven  von  Fröschen  und  Kröten  findet  Gegenb\ur  die  Interver- 
tebralknorpel durch  eine  kontinuirliche,  die  Wirbelsaite  umhüllende  Knorpel- 
schicht untereinander  und  mit  den  knorpeligen  Wirbelbögen  im  Zusammen- 
hange (S.  23).  Da  in  der  die  Intervertebralknorpel  quer  durchziehenden  Schicht 
länglicher  Zellen  sich  eine  wirkliche  Gelenkhöhle  entwickelt,   so  werden  die 


346  VII.    Die .Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

ersteren  auf  die  beiden  angrenzenden  Wirbel  vertheilt,  an  denen  sie  zugleich 
die  Körper  vergrössern  und  die  Gelenktheile  bilden  (S.  25).  Die  Verknöche- 
rung ist  eine  doppelte,  indem  zuerst  um  die  Mitte  des  Wirbels  eine  ringförmige 
Knorpel  Verkalkung  entstellt,  welche  sich  auf  die  Bögen  und  zuletzt  in  das 
Innere  der  Intervertebralknorpel  fortsetzt  um  durch  die  Bildung  von  Mark- 
räumen die  Herstellung  echter  Knochensubstanz  vorzubereiten;  dazu  kommt 
dann  die  periostale  Verknöcherung,  welche  das  Wachsthum  namentlich  an  der 
Bauchfläche  der  Wirbel  bedingt  (S.  26 — 28).  Durch  das  Einwachsen  des  Inter- 
vertebralknorpels  wird  die  Wirbelsaite  in  getrennte  vertebrale  Abschnitte  ge- 
theilt,  welche  sich  lange  erhalten  (S.  28).  Vor  dem  ersten  Wirbel  bildet  sich 
kein  Intervertebralknorpel  (S.  24);  im  hintern  Theile  des  Basilarknorpels  liegt 
die  Wirbelsaite  in  der  Mitte  seiner  Dicke,  vorn  nähert  sie  sich  der  oberen  Fläche 
und  wird  endlich  am  vordersten  Ende  nur  vom  Perichondrium  bedeckt  (S.  29). 
In  diesem  Schädeltheile  der  Wirbelsaite  sollen  einzelne  Chordazellen  sich  in 
Knorpelzellen  verwandeln  (S.  30). 

An  Larven  von  Bombinator  igneus,  deren  vordere  Glieder  eben  erst  gebildet 
sind,  bestehe  die  skeletbildende  Schicht  oben  an  der  Wirbelsaite  aus  Knorpel, 
welcher  seitlich  und  abwärts  kontinuirlich  in  junges,  aus  spindelförmigen  Zellen 
und  zerklüfteter  Grundsubstanz  bestehendes  Bindegewebe  übergehe,  aufwärts 
aber  sich  in  zehn  Bogenpaare  fortsetze.  Zwischen  je  zwei  derselben  bezeichnet 
stets  ein  queres,  jedoch  nur  oberflächliches  bindegewebiges  Band  (Interverte- 
bralligament)  die  Grenze  zweier  Wirbel  an  dem  kontinuirlichen  epichordalen 
Knorpelstreifen,  welcher  sich  abwärts  nur  so  weit  entwickelt,  dass  er  eine  flache 
Rinne  für  die  Wirbelsaite  bildet  und  nur  an  den  zwei  ersten  Wirbeln  dieselbe 
bis  zu  ihrer  unteren  Seite  umfasst  (S.  33.  34).  „Erst  am  Schädel  wird  die 
Chorda  allseitig  von  Knorpel  umgeben.  Sie  erstreckt  sich  mit  langgezogener 
conischer  Spitze  bis  vor  die  Petrosa  und  läuft  so  durch  den  Basilarknorpel 
hindurch,  dass  sie  anfänglich  nur  von  einer  dünnen  Knorpellage  an  der  Unter- 
fläche überzogen  wird,  in  der  Mitte  ihres  Verlaufs  eine  gleich  dicke  Knorpel- 
schicht über  und  unter  sich  hat,  von  denen  die  obere  sich  allmählich  so  ver- 
dünnt, bis  die  Chorda  frei  nach  innen  liegt.  Dies  Ende  bettet  sich  in  eine 
Rinne  des  Basilarknorpels  und  wird  nun  von  einer  dünnen  Lamelle  des  Perichon- 
driums  überzogen.  Der  Untergang  der  Chorda  erfolgt  am  Schädel  durch  den 
wachsenden  Basilarknorpel  (S.  37)  Die  Verknöcherung  beginnt  zuerst  an  den 
epichordalen  Wirbelkörpern  im  Knorpel,  später  an  den  Bögen  im  Perichondrium. 
„Jeder  Wirbelkörper  zeigt  zuerst  an  zwei  Stellen  vorn  und  hinten  eine  ver- 


VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  347 

kalkte  Stelle,  die  gegen  die  Mitte  der  Länge  des  Wirbelkörpers  sieh  ausdehnt 
und  endlich  mit  der  ihr  vom  andern  Ende  her  entgegenwachsenden  zusammen- 
stösst,  so  dass  schliesslich  eine  einzige  Masse  von  Knorpelknochen  den  Wirbel- 
körper dai  stellt.  So  trifft  man  es  am  Ende  jenes  Larvenstadiums,  welches  durch 
die  Vollendung  des  Durchbruchs  der  Vorderextremitäten  characterisirtist.  Vorn 
und  hinten  bleibt  aber  an  jedem  Wirbelkörper  noch  eine  unverkaufte  Knorpellage 
zurück  und  auch  die  seitlichen,  in  die  Bogen  übergehenden  Massen  verkalken 
noch  nicht,  so  dass  von  hier  aus  das  Weiterwachsen  des  Wirbels  noch  vor  sich 
gehen  kann"  (S.  35).  Das  Wachsthum  der  Wirbel  durch  periostale  Knochen- 
bildung geschehe  vorzugsweise  an  der  dorsalen  Seite.  „Die  Zwischenwirbel- 
stücke bilden  vom  Anfang  keinen  differenten  Theil,  sie  zeigen  nur  allmählich 
eine  etwas  hellere  Grundsubstanz  und  kleinere  Zellen,  als  die  zu  Wirbelkörpern 
werdenden  Knorpelpartien.  Selbstständiger  werden  sie  jedenfalls  erst  mit  der 
Verkalkung  der  Wirbelkörper."  Später  entwickeln  sie  je  vorn  eine  Gelenk- 
pfanne, hinten  einen  nach  abwärts  vorgewölbten  Gelenkkopf.  „Die  Bögen  zeigen, 
wie  bei  allen  hierauf  untersuchten  Batrachiern,  eine  vollkommen  selbstständige 
Verkalkung,  die  immer  an  dem,  dem  Körper  angefügten  Basalstücke  zuerst 
auftritt,  bald  nur  oberflächlich,  bald  die  ganze  Dicke  des  Knorpels  durchsetzend. 
Die  innigere  Verbindung  mit  den  Wirbelkörpern  tritt  mit  Ablagerung  der 
Faserknochenlamellen  ein,  die  vom  Perioste  aus  sich  bilden  und  von  einer 
Hälfte  des  Bogens  über  den  Wirbelkörper  hinweg  zur  andern  ziehen"  (S.  oö). 
Der  Knorpel  der  Bögen  erhält  sich,  wenn  auch  verkalkt,  sehr  lange.  Die 
Wirbelsaite  und  der  ventrale  nicht  weiter  verwendete  Theil  der  skeletbildenden 
Schicht  sind  nach  der  Metamorphose  zu  einem  den  Wirbelkörpern  lose  anlie- 
genden, platten  Bande  umgebildet  und  schwinden  endlich  ganz  (S.  37). 

Die  Bildung  des  Steissbeins  ist  bei  allen  ungeschwänzten  Batrachiern  die- 
selbe; hinter  dem  neunten  Wirbel  liegt  der  Wirbelsaite  ein  langer  epichordaler 
Knorpel  auf,  welcher  ganz  vorn  einen  Bogen  trägt,  an  den  sich  rückwärts 
niedrige  Leisten  anschliessen.  Dazu  kommt  noch  ein  hvpochordaler  Knorpel- 
streif, welcher  gleichfalls  aus  der  skeletbildenden  Schicht  hervorgegangen,  mit 
den  epichordalen  Theilen  durch  Bindegewebe  kontinuirlich  verbunden  ist.  Die 
zwischenliegende  Wirbelsaite  ist  endlich  zum  Schwunde  gebracht,  worauf  beide 
Knorpeltheile  zusammenfliessen.  Vorher  ist  aber  schon  die  Verknöcherung 
eingetreten,  welche  bei  Bombinator  igneus  mit  einem  äusseren  Faserknochen 
beginnt,  dessen  Erscheinen  aber  am  epichordalen  Knorpel  eine  paarige  Knor- 
pelknochenlage vorausgeht.     Beim  Frosche  unterscheide  sich  das  Steissbein 


348  VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

dadurch  von  den  übrigen  Wirbeln,  dass  einmal  die  Wirbelsaite  ganz  schwinde 
und  die  Knorpelknochenbildung  nur  an  den  oberflächlichen,  nicht  an  den 
innersten ,  die  Chorda  umschliessenden  Schichten  erscheine.  Da  der  untere 
Knorpelstreif  ursprünglich  über  die  Grenzen  von  vier  Muskelabtheilungen  hin- 
ausreicht, so  sieht  Gegenbaur  in  dem  Steissbein  die  Anlagen  mehrerer  Wirbel 
(S.40).  Die  übereinstimmende  Entwicklung  desselben  in  allen  ungeschwänzten 
Batrachiern  gibt  Gegenbaur  Veranlassung  zu  bemerken,  dass  die  Verschieden- 
heit in  der  peri-  und  epichordalen  Wirbelbildung  überhaupt  nicht  so  gross  sei, 
wie  sie  scheine.  „In  beiden  Modis  ist  es  die,  die  Chorda  umlagernde  skelet- 
bildende  Schicht,  aus  welcher  die  Wirbelsäule  hervorgeht;  sie  bildet  Knorpel- 
ringe um  die  Chorda  mit  davon  ausgehenden  Bögen  in  dem  einen  Falle,  in  dem 
andern  sind  die  bogentragenden  Knorpelringe  nur  an  der  oberen  Peripherie 
der  Chorda  vorhanden  und  der  untere  Theil  der  skeletbildenden  Schicht  bleibt 
aus  Bindegewebe  bestehen"  (S.  39).  Da  nun  alle  jene  Skelettheile  kontinuirlich 
zusammenhängen,  so  „kann  daher  nicht  gut  gesagt  werden,  dass  bei  der  epi- 
chordalen Wirbelbildung  der  Körper  aus  den  an  der  Basis  zusammenwachsen- 
den oberen  Bogen  entstehe,  und  dass  hierin  ein  Unterschied  von  der  perichor- 
dalen  Bildungsweise  gegeben  sei  (Nr.  40)." 

v.  Bambecke  beschreibt  die  aus  Zellen  zusammengesetzte  Wirbelsaite  aus 
ziemlich  früheren  Entwickelungsperioden.  So  will  er  die  Entstehung  ihrer 
Scheide  schon  gleich  nach  Schliessung  der  Rückenfurche  beobachtet  haben, 
worauf  deren  stärker  pigmentirte  Zellen  die  Peripherie  des  Organs  einnehmen 
und  den  axialen  Theil  desselben  ungefärbten  Elementen  überlassen.  Sowie  der 
Schwanz  hervorwachse,  verlängere  sich  die  Wirbelsaite  mit  einer  Spitze  in  den- 
selben hinein ;  und  während  das  Pigment  allmählich  schwinde,  verwandeln  sich 
die  ursprünglich  rundlichen  Zellen  in  sternförmige,  mit  einander  anastomo- 
sirende  (Nr.  63  S.  51). 

\V.  Müller  beschreibt  an  der  Wirbelsaite  von  Embryonen  und  Larven 
der  Bana  temporaria  eine  Bindenschicht  von  protoplasmareichen  Zellen,  welche 
klein  bleiben  und  sich  allmählich  abplatten,  dadurch  aber  von  den  grossen 
polygonalen  Zellen  des  Gallertkörpers  sich  wesentlich  unterscheiden,  deren 
Protoplasma  schon  an  mittelgrossen  Larven  aus  einer  unmessbar  feinen,  der 
Membran  anliegenden  Schicht  bestehe.  Auch  die  peripherischen  kleinen  Zellen 
erhalten  eine  Membran.  In  erwachsenen  Fröschen  hat  W.  Müller  innerhalb 
des   Gallertkörpers  knorpelähnliche  Zellen  gefunden   (Nr.  74   S.  334.  335). 


VIT.    Die  Wirbel saite  und  die  Wirbelsäule.  349 

Der  Zellenkörper  der  Wirbelsaite  werde  von  einer  homogenen  Hülle  um- 
schlossen, welche  W.  Müller  als  eine  vom  Protoplasma  der  Rindenzellen  ab- 
stammende Kutikularbildung  auffasst,  während  die  dünne,  aussen  derselben 
angelagerte  elastische  Membran  vom  umgebenden  Gewebe  abgeleitet  wird 
(S.  350.  352).  Nach  der  Trennung  der  Wirbelsaite  von  den  Urwirbelu  ent- 
stände um  jene  ein  mit  heller  Lymphe  gefüllter  Raum.  „In  diesen  Raum 
wachsen  von  den  Adventitien  der  beiden  primitiven  Aorten  aus  spindelförmige 
Zellen,  welche  durch  ihren  geringen  Pigmentgehalt  von  den  Zellen  der  Ur- 
wirbel  sofort  sich  unterscheiden.  Sie  umwachsen  die  Chorda  zunächst  seitlich 
und  liefern  die  Anlagen  der  Wirbelbögen-,  erst  später  umwächst  die  innerste 
Schicht  die  Chorda  auch  oben  und  unten  nach  Bildung  einer  concentrischen, 
aus  spindelförmigen  Zellen  bestehenden  Umhüllung.  Diese  Umhüllung  ist 
es,  welche  durch  ein  membranartiges  Netz  feiner  elastischer  Fasern  von  der 
Cuticularschicht  nach  Innen  und  durch  ein  viel  lockereres  von  den  Wirbelbögen 
nach  Aussen  sich  abgrenzt,  um  später  in  ganz  analoger  Weise,  wie  bei  den 
Haien  mit  Kalksalzen  sich  zu  imprägniren"  (S.  353). 

Neuerdings  hat  auch  Lieberkühn  einige  Beobachtungen  über  die  Wirbel- 
saite der  Batrachier  mitgetheilt.  In  den  jungen,  noch  unveränderten  Chorda- 
zellen treten  allmählich  mit  Flüssigkeit  gefüllte  Vakuolen  auf,  bisweilen 
mehrere  in  einer  Zelle.  Dann  lassen  sich  an  den  Zellen  unterscheiden:  1.  eine 
äusserste,  feste,  leimgebende  Hülle,  2.  eine  zweite,  ebenfalls  allseitig  ge- 
schlossene, feinkörnige  Schicht,  das  eigentliche  Protoplasma,  welches  den  Kern 
enthält,  3.  die  von  diesem  Protoplasma  umschlossene  Zellenflüssigkeit  der 
Vakuolen.  In  den  weiter  entwickelten  Theilen  der  Wirbelsaite  schwindet  dann 
das  Protoplasma  bis  auf  geringe  Reste  (Nr.  99  S.  338). 


Ich  habe  die  Entwickelung  der  Wirbelsaite  bereits  bis  zu  dem  Zeitpunkte 
beschrieben,  wo  die  Verwandlung  des  vierkantigen  Stranges  in  einen  runden 
beginnt  (Taf.  IV-  VI).  Ich  bemerkte  ebenfalls  schon,  dass  der  Querschnitt 
dabei  aus  einer  viereckigen  in  eine  aufrecht  fassförmige  und  zuletzt  in  eine 
kreisrunde  Gestalt  übergeht.  Dieser  Veränderung  der  äusseren  Form  liegt  eine 
entsprechende  Umlagerung  der  Zellen  zu  Grunde.  Dieselben  waren  vorher 
etwas  quer  gestreckt  und  lagen  in  zwei  Schichten  von  mehreren  Zellen  Höhe 


350  "VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

und  je  einer  in  der  Breite  so  nebeneinander,  dass  die  inneren  Enden  der  beider- 
seitigen Zellen  in  der  Medianebene  sich  berührten.  Die  genannnte  Um- 
wandlung des  Querschnitts  entsteht  nun  wesentlich  dadurch,  dass  die  äusseren 
Zellenenden  auf  Kosten  der  inneren  anschwellen ;  dabei  werden  natürlich  die 
ersteren  an  den  obersten  Zellen  aufwärts,  an  den  untersten  abwärts  gegen  die 
Medianebene  verschoben,  während  die  innern  Enden  von  oben  und  unten  sich 
gegen  einen  gemeinsamen  Punkt  zusammenziehen.  Man  kann  daher  sagen, 
dass  die  senkrechte  Axe  des  Querschnitts  der  Wirbelsaite,  in  welcher  alle 
Zellen  zusammenstossen,  sich  in  einen  Punkt  verwandele,  in  Folge  dessen  die- 
selben sich  radiär  um  den  gemeinsamen  Richtungspunkt  ordnen,  also  Kreis- 
ausschnitte  des  runden  Querschnitts  darstellen.  Es  fällt  dieser  Vorgang  zu- 
sammen mit  der  selbstständigen  Ablösung  der  Wirbelsaite  von  den  Segmenten, 
welche  ihrerseits  während  der  festeren  Verbindung  ihre  oberflächlichen  Zellen 
(inneres  Segmentblatt)  gleichfalls  ihre  früheren  Kanten  abrunden,  sodass 
zwischen  den  genannten  Embryoualanlagen  sehr  deutliche  Lücken  entstehen, 
die  mit  klarer  Flüssigkeit  gefüllt  erscheinen.  Ich  weiss  für  diese  Vorgänge 
eine  ganz  bestimmte  Erklärung  nicht  zu  geben;  immerhin  glaube  ich  nicht  zu 
irren,  wenn  ich  dieselben  als  den  Ausdruck  der  fortschreitenden  Abnahme  des 
einmal  gelockerten  früheren  Zusammenhanges  jener  Embryonalanlagen  be- 
trachte, wodurch  die  Innigkeit  der  Verbindung  zwischen  den  Elementen  der 
einzelnen  Anlagen,  also  der  Wirbelsaite  einerseits  und  der  Segmente  anderer- 
seits relativ  zunimmt  und  als  Zusammenziehung  derselben  mit  Abrundung  der 
Kanten  erscheint.  Wenn  aber  die  Zellen  der  Wirbelsaite  auf  dem  Querschnitte 
scheinbar  eine  Scheibe  zusammensetzen,  so  ergibt  sich  aus  den  Längsschnitten, 
dass  das  Organ  nicht  wirklich  aus  einer  Reihe  hinter  einander  liegender 
Scheiben  ähnlich  einer  Geldrolle  besteht,  sondern  dass  die  zusammenstossen- 
den  Zellen  unregelmässig  zwischen  einander  eingreifen  und  so  ein  der  Länge 
nach  zusammenhängendes  Gefüge  bilden.  Diese  Umbildungen  beginnen  im 
vorderen  und  mittleren  Rumpftheile  und  setzen  sich  alsdann  wie  die  ganze 
Entwicklung  desselben  rückwärts  fort,  sodass  man  an  einer  Reihe  von  Durch- 
schnitten eines  und  desselben  Embryo  alle  Stufen  der  Ausbildung  der  Wirbel- 
saite antreffen  kann:  in  der  vorderen  Rumpf hälfte  die  runde  Form  mit  den 
scheinbar  radiär  angeordneten  Zellen ,  weiter  zurück  die  seitlich  abgeplattete 
Form  mit  dem  fassförmigen  Durchschnitt,  endlich  im  äussersten  Schwanzende 
den  noch  ganz  indifferenten,  durch  die  Umgebung  vierkantig  gestalteten  Strang. 
Bei   der  radiären   Stellung   der  Zellen  sammelt  sich  eine  geringe  Menge  von 


VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  351 

Pigment  zwischen  ihren  Kernen  und  ihren  Enden  an,  sodass  die  letzteren  selbst 
davon  frei  bleiben;  im  Durchschnittsbilde  der  ganzen  Wirbelsaite  wird  da- 
durch um  die  ungefärbte  Mitte  herum  ein  Kranz  von  Pigmentkügelchen  erzeugt 
{Taf.  VI).     Die  nun  folgende  Umbildung  der  Wirbelsaite  beginnt  ebenfalls  in 
der  vorderen  Rumpfhälfte,  um  rückwärts  fortzuschreiten.  Zunächst  theilen  und 
vermehren  sich  die  embryonalen  Zellen ,  wobei  sie  in  der  Richtung  der  Körper- 
axe  noch  mehr  zusammengedrückt  und  abgeplattet  erscheinen,  sodass  die 
Kerne  in  derselben  Richtung  beinahe  den  ganzen  Durchmesser  der  Zellen 
einnehmen  (Taf.  X  Fig.  182).     Wenn  aber  die  Anlage  des  Schwanzes  in  Ge- 
stalt eines  stumpfen  Höckers  sichtbar  wird,   entstehen  im  Innern  der  Zellen 
durch   Schmelzung   und  Umbildung    der  Dottersubstanz  deutlich  begrenzte 
Massen  einer  klar  durchsichtigen,  halbflüssigen  Substanz,  welche  in  der  Nähe 
der  Kerne  entstehen  und  erst  allmählich  gegen  die  Oberfläche  der  Wirbelsaite 
sich  ausdehnen  (Taf.  II  Fig.  38,  Taf.  X  Fig.  183.  184).     Dass  in  einer  Zelle 
mehr  als  ein  solches   vakuolenartiges  Gebilde  auftrete,  konnte  ich  bestimmt 
nicht  nachweisen,  da  die  einzelnen  in  der  Umbildung  begriffenen  Embryonal- 
zellen der  Wirbelsaite  sich  nicht  isoliren  lassen;  doch  ist  mir  ein  solches  Ver- 
halten aus  einigen  Durchschnittsbildern  sehr  wahrscheinlich  geworden.     Die 
Kerne  werden  von  dieser  Umbildung  des   Zelleninhalts  nicht  mit  betroffen, 
sondern   zur  Seite   gedrängt,    sodass   sie   in    der   peripherischen,    die   klare 
Flüssigkeit   (Vakuole)    allseitig    einschliessenden   Dottersubstanz,  zu    liegen 
kommen.      Diese  Vakuolen  stimmen   nach  ihrer  ersten  Erscheinung  in  der 
Dottersubstanz    der  Embryonalzellen  durchaus    mit   den  Umbildungskugeln 
überein ,  welche ,  wie  ich  zeigte ,  im  Centralnervensystem  und  in  der  Netzhaut 
die  histologische  Sonderung  einleiten.     Da  in  der  Dottersubstanz  selbst  und 
in  der  aufgenommenen  Flüssigkeit,  welche  als  embryonale  Interstitialsubstanz 
den  ganzen  Körper  durchzieht,   lokale  speeifische  Unterschiede  anzunehmen 
nicht  statthaft  erscheint,  so  glaube  ich,  dass  die  in  den  Organanlagen  verschie- 
den entwickelten  Formbedingungen,  Gestalt,  Masse  und  Lage  der  ganzen  An- 
lagen und  ihrer  Elemente  im  Verhältniss  zu  ihrer  Umgebung,  kurz  —  das  P'orm- 
gesetz  oder  morphologische  Moment  die  Verschiedenheit  der  histiologischen 
Sonderung  in  ihrem  weiteren  Verlaufe  bestimmt,  während  die  ersten  Anfänge 
überall  relativ  gleich  zu  sein  scheinen.     Sehen  wir  die  Umbildungskugeln  in 
kenntlicher  Grösse  nur  in  einem  beschränkten  Gebiete  der  Netzhaut  und  im  Central- 
nervensystem erst  ganz  allmählich  den  Bestand  der  ursprünglichen  Embryonal- 
zellen lösen ,  so  geht  eine  solche  Zerstörung  in  der  Wirbelsaite  in  ganz  anderer 


352  VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

Weise  vor  sich.  Durch  eine  rapide  Aufsaugung  grosser  Massen  der  genannten 
Interstitialfiüssigkeit  schwellen  die  Umbildungskugeln  der  Chordazellen  so  stark 
an,  dass  sie  einen  an  den  Kernen,  welche  je  nach  ihrer  Lage  eckig  oder  platt 
werden,  deutlich  nachweisbaren  Druck  auf  die  peripherischen  Dotterschichten 
ausüben.  In  Folge  dessen  verschmelzen  die  letzteren,  wo  sie  zusammenstossen, 
zu  einfachen  und  hautartig  festen  Scheidewänden  der  Vakuolen,  an  deren 
freien  Flächen  anfangs  eine  zusammenhängende  Schicht  noch  unveränderter 
Dottersubstanz  mit  punktirter  Grundmasse  und  einzelnen  Dottertäfelchen, 
worin  die  Kerne  eingelagert  sind,  deutlich  zu  erkennen  ist  (Taf.  VIII.  Fig.  155); 
in  dem  Masse  aber,  als  die  klare  Flüssigkeit  zunimmt  und  die  von  ihr  ausge- 
füllten Räume  durch  den  gegenseitigen  Druck  sich  vieleckig  gestalten,  schwin- 
det jene  dünne  Dotterschicht  an  vielen  Stellen,  sodass  sie  nicht  mehr  blasen- 
förmig  geschlossen  ist,  sondern  in  einzelnen  getrennten  Stücken  den  Scheide- 
wänden anliegt  (Taf.  XI  Fig.  197.  198).  Zuletzt  schwinden  auch  diese  letzten 
Reste  der  Dottersubstanz  im  Innern  der  Wirbelsaite,  welche  sich  noch  am 
längsten  in  den  Ecken,  wo  die  Scheidewände  zusammenstossen,  erhalten.  Da 
nun  die  Kerne  in  diesen  Dotterresten  lagern ,  müssen  sie  dort ,  wo  dieselben 
vollständig  aufgelöst  wurden,  frei  werden  und  erscheinen  dann  an  den  Flächen 
der  Scheidewände  platt  und  wandständig.  In  den  Ecken  erhalten  sie  eine  den- 
selben entsprechende  Form  und  sind  alsdann  meist  unzweifelhaft  in  die 
Substanz  der  in  jenen  Ecken  zusammenstossenden  Scheidewände  eingeschlossen, 
sodass  ich  daraus  schliesse,  dass  dort  die  Dotterreste  nicht  in  der  Flüssigkeit 
aufgelöst  wurden,  sondern  sich  der  homogenen  Substanz  der  Scheidewände  an- 
passten,  so  Avie  diese  ursprünglich  aus  den  peripherischen  Dotterschichten  der 
Embryonalzellen  hervorgingen  {Taf.  X  Fig.  185.  186).  Anders  als  im  Innern 
gestalten  sich  die  Verhältnisse  an  der  Oberfläche  der  Wirbelsaite.  Die  peri- 
pherischen Dotterschichten  der  Embryonalzellen,  welche  die  Aussenwand  der 
Wirbelsaite  zusammensetzen,  verschmelzen  während  der  Ausbildung  der  an  die 
Stelle  der  Zellen  tretenden,  mit  Flüssigkeit  gefüllten  Räume  zu  einer  kontinuir- 
lichen  Schicht,  welche  viel  dicker  ist,  als  die  Dotterreste  an  den  Scheide- 
wänden und  auch  mehr  Kerne  enthält.  Von  Zellen  kann  in  jener  Chordarinde 
nicht  mehr  die  Rede  sein;  denn  da  die  vakuolenartigen  Räume  schon  zur  Zeit, 
wann  die  Zellengrenzen  an  der  Oberfläche  der  Wirbelsaite  noch  deutlich  sind, 
ausnahmslos  in  diesen  peripherischen  Zellen  angetroffen  werden ,  so  ist  es  klar, 
dass  die  Aussenwand  der  in  der  Umbildung  begriffenen  Wirbelsaite  nur  aus 
den  peripherischen  Dotterresten  der  bezeichneten  Zellen  hervorgeht,  wobei  der 


VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  353 

grössere  Theil  der  früheren  Zellenkerne  in  diese  Aussenwand  gedrängt  wird 
{Taf.  XFig.  184,  Taf.  VIII Fig.  155).     Wo  die  hautartigen  inneren  Scheide- 
wände auf  diese  Aussenwand  stossen,  bildet  die  letztere  als  Ansatzstellen  jener 
Innenwände  leistenartige  Vorsprünge,  deren  Entwickelung  als  Zwischenräume 
zwischen  den  rundlichen  Vakuolen  aus  den  Abbildungen  hinlänglich  erhellt 
{Taf.  XI  Fig.  197. 198,  Taf.  X  Fig.  185. 186).     In  dem  Masse  als  die  Aussen- 
wand bei  der  folgenden  Ausdehnung  der  inneren  Chordasubstanz  zwischen 
diesen  Leisten  sich  verdünnt,  werden  die  meisten  Kerne  in  die  letzteren  verdrängt 
und  dort  bisweilen  eckig  geformt,  während  die  wenigen  in  der  dünnen  Wand 
liegen  bleibenden  Kerne  sich  abplatten,  gerade  so  wie  es  im  Innern  der  Wirbel- 
saite geschieht.     Während  des  Uebergangs  aus  der  embryonalen  Periode  zur 
ersten  Larvenperiode  bildet  sich  die  oberflächliche  Schicht  der  Aussenwand 
der  Wirbelsaite  zu  einer  anfangs  dünnen,  festen  und  homogenen  Masse  um, 
welche  stärker  lichtbrechend  ist  als  die  innere  Lage,   deren  Aussehen  nach 
dem    Schwunde    der   Dotterplättchen   protoplasmaähnlich    wird.       Da   diese 
beiden  Schichten  der  Aussenwand  zuerst  nicht  scharf  getrennt  erscheinen,  und 
die  innere  überhaupt  nicht  aus  Zellen  besteht,   so  lässt  sich  meiner  Ansicht 
nach   die  Bildung   der   äusseren   Schicht  mit   den   Kutikularausscheidungen 
wirklicher  Zellenschichten  nicht  vergleichen.     Ich  sehe  darin  vielmehr  den- 
selben Vorgang  lokaler  Umbildung  der  äussersten  Dotterschichten  wie  bei  der 
Bildung  der  inneren  Scheidewände,  wo  sich  ebenfalls  eine  homogene,  kutikula- 
ähnliche    Substanz   von  einer  protoplasmatischen    sondert.      Jene    äusserste 
Schicht  der  Wirbelsaite  nimmt  jedoch  in  der  Folge  an  Mächtigkeit  und  Konsi- 
stenz so  sehr  zu,  dass  sie  als  selbstständige,  von  der  inneren  protoplasmatischen 
Schicht  gesonderte  Scheide  der  Wirbelsaite  angesehen  werden  kann  (Taf.  XI). 
Diese  von  der  ursprünglichen  Wirbelsaite  allein  abstammende  Hülle  nenne  ich 
zum  Unterschiede  von  einer  weiter  unten  zu  erwähnenden  äusseren  die  innere 
Scheide  der  Wirbelsaite.  In  der  späteren  Larvenzeit  treten  an  ihr  sehr  scharfe 
Querstreifen  auf,  und  diesen  entsprechend  zerfällt  sie  schon  an  Weiugeist- 
präparaten  bei  der  Behandlung  unter  Wasser  in  schmale  ringförmige  Bänder. 
Aber  auch  die  innere  protoplasmatische   Schicht  der  ursprünglichen  Aussen- 
wand der  Wirbelsaite  bleibt  nicht  unverändert.  Zur  Zeit,  wann  die  knorpeligen 
Wirbelstücke  sich  entwickeln,  sehe  ich  an  Durchschnitten  sehr  deutlich,  dass 
die  inneren  Scheidewände  nicht  mehr  unmittelbar  in  die  leistenförmigen  Vor- 
spränge jener  Schicht   übergehen,    sondern  an  deren   Kanten  sich  in  zwei 
Lamellen  theilen,  von  denen  jede  ander  betreffenden  Seite  der  Leiste  hinab- 

Goette  ,  Entwickeluugägeschichte.  23 


354  VII.    Die  Wirheisaite  und  die  Wirbelsäule. 

läuft  und  sich  an  der  freien  Fläche  der  bereits  ungemein  dünnen  protoplas- 
matischen Schicht  fortsetzt,  um  an  der  nächsten  Leiste  wieder  in  eine  Scheide- 
wand überzugehen.  Man  kann  also  annehmen,  dass  ebenso  wie  an  der  Aussen- 
flache der  Chordarinde  sich  die  innere  Chordasciieide  absonderte,  auch  an  der 
Innenseite  im  Anschlüsse  an  die  Scheidewände  eine  dünne  homogene  Membran 
entsteht,  welche  die  mit  Flüssigkeit  gefüllten  Fächer  nach  aussen  abschliesst 
und  beim  Uebergange  auf  die  inneren  Scheidewände  furchenartig  eingezogen 
ist  (Taf.  X  Fig.  186.  195).  Sie  bildet  also  mit  diesen  Scheidewänden  ein 
kontinuirliches  Ganze,  das  nach  aussen  vollkommen  abgeschlossene  Gerüst 
des  sogenannten  Gallertkörpers  der  Wirbelsaite.  Den  Zwischenraum  zwischen 
diesem  und  der  inneren  Chordascheide  füllt  die  protoplasmatische  Schicht 
aus,  welche  also  in  die  furchenartigen  Einziehungen  mit  entsprechenden  Leisten 
vorragt,  in  denen  die  sich  vermehrenden  Kerne  vorherrschend  sich  ansammeln;  in 
der  Flächenansicht  bilden  daher  diese  mit  Kernen  reichlich  durchsetzten  Leisten 
ein  Netzwerk,  in  dessen  Maschen  nur  wenige  platte  Kerne  anzutreffen  sind. 
Von  diesem  Verhalten  der  protoplasmatischen  Rindenschicht  der  Wirbelsaite 
überzeugt  man  sich  auch  leicht,  wenn  man  die  innere,  aus  dem  geschlossenen 
Fachwerke  bestehende  Masse  der  Wirbelsaite ,  welche  ich  nach  dem  Vorgange 
anderer  Forscher  ebenfalls  den  Gallertkörper  nennen  will,  von  der  Chorda- 
scheide abtrennt.  Meist  bleiben  dabei  allerdings  die  ganzen  Leisten  mit  der 
sie  bekleidenden  Membran  an  der  Chordascheide  hängen,  während  die  Scheide- 
wände abreissen  und  die  peripherischen  Fächer  nach  aussen  geöffnet  werden. 
Häufig  fand  ich  aber  bei  dem  angegebenen  Versuch  nur  die  Kerne  mit  der  sie 
umhüllenden  protoplasmatischen  Masse  an  der  Innenfläche  der  Scheide, 
während  die  dünneren  peripherischen  Fortsetzungen  der  Scheidewände  des 
Gallertkörpers  mit  diesem  im  Zusammenhange  blieben  und  ihn  auch  nach 
seiner  Isolirung  an  der  Oberfläche  vollkommen  abschlössen.  —  Auf  diese 
Weise  ist  die  ursprünglich  aus  Zellen  bestehende  Wirbelsaite  in  drei  leicht  zu 
unterscheidende  Theile  verwandelt,  in  den  inneren  Gallertkörper,  die  ihn  zu- 
nächst umgebende  protoplasmatische  Rindenschicht*  und  die  an  die  letztere 


*  Doch  will  ich  nicht  behaupten ,  dass  die  protoplasmatische  Rindenschicht  der  Unken- 
larven später  ebenso  vollständig  und  kontinnirlich  bleibt,  als  sie  anfangs  erscheint  An 
Durchschnitten  lässt  es  sich  wegen  der  ungemeinen  Dünnheit  der  Schicht  zwischen  den 
leistenförmigen  Verdickungen  überhaupt  nicht  nachweisen,  und  in  der  Flächenansicht  fand 
ich  das  punktirte  Aussehen,  welches  auf  das  Protoplasma  schliesscn  lässt,  beständig  nur  in 
der  Umgebung  der  Kerne,  vermisste  es  aber  grösstenteils  in  den  Maschen  des  oben  be- 
zeichneten Netzwerkes. 


VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  355 

sich  anschliessende  innere  Chordascheide,  von  denen  keiner  mehr  zelliger  Natur 
ist.  Von  der  Scheide  versteht  es  sich  von  selbst,  und  für  die  protoplasmatische 
Rindenschicht  habe  ich  es  bereits  nachgewiesen.     Ebenso  wenig  kann  ich  die 
Fächer  des  Gallertkörpers  als  Zellen  gelten  lassen,  da  die  Zusammensetzung 
von  Zellenleib  und  Kern  an  ihnen  nicht  mehr  besteht.     Einmal  können  die 
Scheidewände,  da  sie  niemals  doppelt  sondern  stets  einfach  erscheinen,  nicht 
mehr  den  durch  sie  geschiedenen  Massen  beigezählt  werden,  sondern  bilden 
ein  kontinuirliches ,  für  sich  bestehendes  Fachwerk,  sodass  für  den  Nachweis 
von   Zellen  nur  jene  von    demselben    eingeschlossenen  Massen   in  Betracht 
kommen  können.    Diese  bestehen  nach  dem  Schwunde  der  Dottersubstanz  nur 
aus   der  gallertigen  Flüssigkeit,  in  welcher  die  Kerne  zum  weitaus  grössten 
Theile  fehlen,  da  sie  theils  in  die  Substanz  der  Scheidewände,  theils  in  die 
Rindenschicht   gerathen  sind.     Diese  Ausscheidung  der  Kerne  aus  der  über- 
wiegenden Zahl  jener  eingeschlossenen  Massen  oder  der  bisher  so  genannten 
Chordazellen  entscheidet,  wie  mir  scheint,  die  Frage  nach  ihrer  Zellennatur  in 
verneinendem  Sinne,  selbst  solange  noch  üotterreste  in  ihnen  vorkommen-,  was 
aber  für  die  meisten  von  ihnen  gilt,  wird  für  die  wenigen  anderen  desshalb, 
weil  zufällig  Kerne  in  ihnen  zurückblieben,  nicht  in  Abrede  gestellt  werden 
können ,    da   für   eine  Lebensthätigkeit  dieser  Massen  als  solcher   nicht   der 
geringste  Umstand  spricht.     Dass  die  Kerne  für  sich  allein ,  solange  sie  wohl 
erhalten  sind,    ebensowohl  im  Gallertkörper  wie  in  der  protoplasmatischen 
Rindenschicht  lebensfähig  bleiben,  werde  ich  später  nachweisen.     Dies  ändert 
aber  natürlich  nichts  an  der  Auffassung  der  ganzen  im  Fachwerke  einge- 
schlossenen Massen. 

Diese  Ergebnisse  über  die  Umbildung  der  embryonalen  Wirbelsaite  habe 
ich ,  soweit  sie  von  den  bisher  darüber  vorgetragenen  Ansichten  wesentlich  ab- 
weichen, erst  nach  häufig  wiederholter  Prüfung  des  Gegenstandes  festgestellt, 
wobei  ich  ausser  der  Unke  und  gemeinen  Kröte  noch  die  Salamandrinen  zur 
Untersuchung  zog,  deren  Wirbelsaite  ich  aber  auf  den  bisher  betrachteten 
Entwickelungsstufen  nur  in  nebensächlichen  Dingen  von  derjenigen  der  Unke 
unterschieden  fand  (Tnf.  X  Fig.  195).     Ich  erwähne  daher  bloss,  dass  in  den 
Embryonen  des  Erdsalamanders  die  protoplasmatische  Rir*denschicht  stärker 
ist,  ihre  Kerne,  vielleicht  in  Folge  frühzeitiger  Theilungsvorgänge ,  zahlreicher 
erscheinen  und  die  Dotterreste  im  Gallertkörper  lange  erhalten  bleiben,  wäh- 
rend die  Trifolien  in  dieser  Hinsicht  ohngefähr  die  Mitte  zwischen  dem  Erd- 
salamander    und    der   Unke  halten.      Die  wesentlichen    Unterschiede  beider 

23* 


356  VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

Batrachiergruppen  in  der  Entwickelung  ihrer  Wirbelsaite  stellen  sich  erst 
später  ein,  nachdem  die  Bildung  der  Wirbelsäule  begonnen  hat,  kommen  daher 
erst  bei  der  Besprechung  der  letzteren  zur  Erörterung. 

Man  braucht  nur  die  aufeinanderfolgenden  Bilder  der  geschilderten  Um- 
bildung der  Wirbelsaite  zu  vergleichen,  um  einzusehen,  dass  dieser  Vorgang 
nothwendig  eine  Vergrößerung  des  ganzen   Organs    und  zwar   zuerst  vor- 
herrschend eine  Verlängerung  desselben  hervorrufen  müsse,  da  an  die  Stelle 
der  scheibenförmigen  Embryonalzellen  mit  ihrem  kurzen  sagittalen  und  be- 
deutend grösseren  Querdurchmesser  die  grossen  Höhlen  oder  Fächer  mit  all- 
seitig ziemlich  gleichem  Durchmesser  getreten  sind.     Selbstverständlich  ist 
eine  solche  Längenausdehnung  der  Wirbelsaite  ohne  eine  entsprechende  Ver- 
längerung des  ganzen  Embryo  nicht  möglich.    Und  wenn  man  weiter  überlegt, 
dass  die  Wirbelsaite  sowohl  mit  dem  Rückenmarke  als  dem  Axenstrange  des 
Darmblattes  und  durch  diesen,  wie  ich  später  zeigen  werde,  mit  den  Segmen- 
ten im  Zusammenhange  bleibt,  so  muss  man  annehmen,  dass  die  Umbildung 
der  Wirbelsaite  mit  der  Längenausdehnung  des  ganzen  Embryo  nicht  nur  im 
allgemeinen  sondern  in  jedem  einzelnen  Abschnitte  durchaus  Hand  in  Hand 
geht.    Damit  stimmen  auch  alle  Erscheinungen  vollständig  überein.  Ich  zeigte 
in  der  Entwicklungsgeschichte  des  mittleren  Keimblattes,  dass  zuerst  der 
Vorderkörper  sich  verlängert  und  zwar  nach  vorn  auswächst ,  dass  darauf  der 
mittlere  Rumpftheil  dieser  Umbildung  unterworfen  wird,  und  in  Ueberein- 
stimmung  mit  der  rückwärts  fortschreitenden  Segmentirung  ganz  zuletzt  der 
Schwanz  auszuwachsen  beginnt  {Taf.  II).    Was  nun  bei  diesen  Vorgängen  aus 
den  verschiedenen  Lageveränderungen ,  aus  der  Ausdehnung  des  Vorderdarms, 
aus  der  Verlängerung  der  Dotterzellenmasse  u.  s.  w.   erschlossen   wurde ,  lässt 
sich  aber  noch  einfacher  an  den  leicht  zu  konstatirenden  Umbildungen  der 
Wirbelsaite  übersehen.     Die  Vakuolen  erscheinen  zuerst  über  dem  Vorder- 
darme,  dann  über  dem  Mitteldarme,  während  der  kaudale  Abschnitt  der 
Wirbelsaite  noch  in  der  ersten  Larvenperiode  das  Aussehen  zeigt,  welches 
dem   flüchtigen  Blicke  geldrollenähnlich   erscheint,   und   gegen   das  Ende  hin 
noch  seitlich  zusammengedrückt  ist.     Daraus  ergibt  sich  aber,  dass  und  wie 
die  histiologische  Sonderung  auch  über  ihre  nächste  Umgebung  hinaus  von 
allgemeinen  morphologischen  Vorgängen  abhängig  sein  kann.         Das  hinterste 
Ende  der  Wirbelsaite  ist  übrigens  so  lange,  als  die  Vakuolenbilduug  dasselbe 
noch  nicht  erreicht  hat,  nicht  spitz  oder  nur  verjüngt,  sondern  bei  der  seitlichen 
Abplattung  in    der  Medianebene   verbreitert  (Taf.  II  Fiij.  38).     Eine    abge- 


VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  357 

rundete  Spitze  entwickelt  sich  erst,  wenn  der  Umbildungsprocess  bis  ans  Ende 
vorgedrungen  ist,  bestellt  also  nicht  schon  in  dem  hervorwachsenden  Schwänze, 
wie  v.  Bambecke  meint  (Taf.  XII  Fig.  213).  Jene  runde  Spitze  krümmt  sich 
alsdann  sehr  häufig  aufwärts. 

An  die  ursprüngliche,  bisher  allein  betrachtete  Wirbelsaite  schliesst  sich 
schon  während  des  Ueberganges  des  Embryo  in  den  Larvenzustand  ein  Ge- 
bilde an,  dessen  ferneres  Verhalten  es  rechtfertigt,  wenn  man  es  weiterhin  als 
zur  Wirbelsaite  gehörig  betrachtet.     Es  wurde  schon  erwähnt,  class  die  An- 
lage der  Wirbelsaite  in  dem  Masse ,  als  sie  sich  aus  der  ursprünglichen  ohnge- 
fähr  vierkantigen  Gestalt  in  einen  cylindrischen  Strang  umbildet,  sich  von  dem 
gleichfalls  abgerundeten  inneren  Rande  der  Segmente,  also  von  dem  unteren 
Theile  des  späteren  inneren  Segmentblattes  trennt,  sodass  sie  von  demselben 
jederseits  nur  tangential  berührt  wird.     Sowie  aber  dessen  ursprünglich  fest 
zusammengefügte  Embryonalzellen  in  Folge  eines  weiter  unten  zu  betrachten- 
den Vorganges  (vgl.  den  folgenden  Abschnitt)  zu  einem  lockeren  Zusammen- 
hange auseinandertreten,  füllen  sie  auch  die  Lücken  aus,  welche  zwischen  dem 
Rückenmarke,  der  Wirbelsaite  und  dem  Axenstrange  des  Darmblattes  einer- 
seits und  den  Segmenten  andererseits  entstanden  waren,  sodass  die  Wirbelsaite 
von  den  angrenzenden  innern  Segmentblättern  wiederum  eng  umschlossen  wird 
{Taf.  VII).      Sie  bestehen   alsdann  aus  einem  Zellennetze,    welches  durch 
Dotterbiklungszeüen  ergänzt  und  erweitert,   endlich  die  ganze  Oberfläche  der 
Wirbelsaite  überzieht  und  in  dieser  Ausdehnung  sich  in  der  Folge  vollständig 
von  den  übrigen  Segmenttheilen  ablöst,  um  der  Wirbelsaite  eng  anliegend  eine 
röhrenförmige  Scheide  um  dieselbe  zu  bilden  —   die  äussere  Chor  du- 
sche i  de  (Taf.  X  Fig.  187,   Taf.  XI  Fig.  197.  198).      Ihre  durch  vielfache 
Furtsätze  netzförmig  zusammenhängenden  Zellen  platten  sich  von  Anfang  an 
unter  dem  Einflüsse  der  sich  ausdehnenden  Wirbelsaite  immer  mehr  ab ;  dabei 
werden  sie  nebst  ihren  ursprünglich  fadenförmigen  Fortsätzen  immer  breiter, 
die  sie  trennenden  Lücken  runder  und  kleiner,  und  endlich  verschmelzen  sie 
zu  einer  kontinuirlichen  Schicht ,  in  welcher  nur  noch  die  stark  abgeplatteten, 
daher  blassen  und  scheinbar  grossen  Kerne  den  Bestand  der  früheren  Zellen 
andeuten  (Taf.  X  Fig.  181.  188.  189).     Zugleich  hat  auch  die  Umbildung  der 
Dottersubstanz  zu  einer  fein  punktirten  protoplasmatischen  Masse  begonnen 
und  zwar  in  der  Weise,   dass  davon  zuerst  die  ursprünglich  peripherischen 
Zellentheile  ergriffen  werden,  so  dass  die  Dotterreste  sich  am  längsten  in  der 
unmittelbaren  Umgebung  der  Kerne  erhalten.     Diese  Kerne  theilen  sich  viel- 


358  VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

fach,  und  offenbar  stehen  damit  die  mannigfaltigen  Formen  im  Zusammen- 
hange, welche  man  neben  den  ursprünglichen  runden  und  ovalen  häufig  antrifft; 
auch  bemerkte  ich  nicht  selten  kleinere  und  grössere  helle  Stellen  im  Innern 
der  Kerne ,  welche  bei  geringem  Umfange  und  mehrfacher  Zahl  als  das  impo- 
niren,  was  man  gewöhnlich  als  Kernkörperchen  bezeichnet,  während  die 
verhältnissmässig  grossen  Flecke,  die  mit  den  ersteren  von  gleicher  Beschaffen- 
heit zu  sein  schienen,  an  die  tropfenartigen  Gebilde  erinnern,  welche  ich  als 
Umbildungskugeln  in  mehreren  Organanlagen  beschrieb  und  noch  besehreiben 
werde.  Dass  jedoch  dadurch  die  Zerstörung  eines  gewissen  Theils  der  Kerne 
angedeutet  werde,  muss  ich  bezweifeln,  da  mir  weitere  Stufen  einer  solchen 
nicht  zu  Gesicht  kamen.  Während  der  andauernden  Theilung  und  Ver- 
mehrung der  Kerne  nimmt  die  Mächtigkeit  der  ganzen  Scheide  in  der  zweiten 
Larvenperiode  ansehnlich  zu,  sodass  die  Kerne  nicht  mehr  in  einfacher, 
sondern  in  mehrfacher  Lage  angeordnet  sind.  Im  Durchschnitte  eines  ganzen 
Embryo  grenzt  sich  das  Gewebe  der  äusseren  Scheide  gegen  das  umgebende 
Bildungsgewebe  weniger  scharf  ab,  als  man  es  nach  seiner  Entstehung  erwarten 
sollte;  immerhin  unterscheidet  es  sich  von  demselben  durch  sein  dunkleres 
Aussehen,  da  ihm  die  klar  durchsichtige  Intercellularsubstanz  des  Bildungsge- 
webes  fehlt*,  und  durch  die  Menge  der  im  Durchschnittsbilde  stabförmig 
erscheinenden  platten  Kerne,  während  die  Zellenkerne  und  ganzen  Zellen  des 
Bildungsgewebes  stets  rundlich  und  spindelförmig  erscheinen.  Präparirt  man 
aber  die  Wirbelsaite  einer  beliebigen  Larve  vor  oder  nach  dein  Erscheinen  der 
knorpeligen  Wirbelstücke  heraus,  so  bleibt  ihre  äussere  Scheide  ausnahmslos 
mit  der  inneren  in  Zusammenhang  und  trennt  sich  ganz  rein  und  leicht 
von  dem  umgebenden  Gewebe,  worauf  es  am  Rande  eine  ganz  scharfe  äussere 
Grenzlinie  zeigt.  Zwischen  beiden  Chordascheiden  erkennt  man  zur  Zeit,  wo 
dieselben  eine  gewisse  Mächtigkeit  erlangt  haben,  eine  äusserst  dünne,  schein- 
bar homogene  Membran,  welche  ich  aber  nicht  zu  isoliren  vermochte. 
Bei  der  Trennung  beider  Chordaseheiden  blieb  sie  an  der  äusseren  hängen, 
wesshalb  ich  sie  mit  W.  Müllek  für  ein  von  der  letzteren  abgesetztes  Pro- 
dukt halte. 

Der  Kopftheil  der  Wirbelsaite  verhält  sich  bis  auf  seine  von  Anfang  an 


*  Dies  ist  wohl  auch  der  Grund,  warum  die  Karminfarbe,  welche  die  Intercellular- 
substanz des  Bildungsgewebes  nicht  oder  wenig  angreift,  die  Grundsubstanz  der  äussern 
Chorduscheide  leicht  färbt- 


VIT.    Die  Wirbelsaitc  und  die  Wirbelsäule.  359 

schmiieh tigere  Gestalt  im  wesentlichen  ebenso,  wie  der  Rumpf-  und  Schwanz- 
theil.  Die  Wirbelsaite  wird  im  Kopfe  ebenso  wie  im  Rumpfe  von  den  inneren 
oder  den  Stammsegmenten  eingefasst,  welche  ebenfalls  aus  ihren  medialen,  der 
Wirbelsaite  zunächst  gelegenen,  also  den  inneren  Segmentblättern  des  Rumpfes 
entsprechenden  Theilen  ein  lockeres  Gewebe  bilden  {Taf.  XIII — XV).  Da 
dieses  aus  zackigen ,  durch  ihre  Fortsätze  netzförmig  mit  einander  auastomosi- 
renden  Embryonalzellen  bestehende  Gewebe,  dessen  weite  Zwischenräume  von 
der  bezeichneten Intercellularflüssigkeit  eingenommen  sind,  die  Lücken  zwischen 
den  deutlich  umschriebenen  Anlagen  bestimmter  Organe  und  Gewebstheile 
ausfüllend  zur  Grundlage  verschiedener  Gewebe  des  entwickelten  Thieres  wird, 
so  will  ich  es  als  interstitielles  Bildungsgewebe  bezeichnen.  Ein 
solches  entsteht  nicht  ausschliesslich  aus  den  inneren  Segmenten,  sondern  an 
andern  Stellen  auch  aus  den  äusseren;  doch  haben  wir  es  zunächst  nur  mit 
den  ersteren  zu  thun.  Da  der  Haupttheil  des  ersten  inneren  Kopfsegments, 
wie  ich  es  früher  beschrieb,  von  der  Spitze  der  Wirbelsaite  aus  nach  vorn 
zwischen  Augapfel  und  Vorderhirn  auswächst,  andererseits  eine  Muskelbildung 
im  zweiten  Segmente  nicht  vorkommt,  so  ist  es  begreiflich,  dass  das  Vorderende 
der  Wirbelsaite  eigentlich  nur  von  jenem  interstitiellen  Bildungsgewebe  umhüllt 
wird,  welches  abwärts  an  das  Darmblatt,  seitlich  an  die  deutlich  unterscheid- 
baren  Anlagen  der  äusseren  Segmente  grenzt  und  aufwärts  sich  in  einer 
dünneren  Lage  zwischen  die  letzteren  und  das  Hirn  fortsetzt  (Taf.  XIII — XV, 
XVII Fig.  304).  Dieses  Gewebe  liefert  die  äussere  Chordascheide  zunächst 
in  einer  einfachen  Schicht  allgeplatteter  und  später  mit  einander  verschmelzen- 
der Zellen,  wie  es  bereits  beschrieben  wurde  [Taf.  X  Fig.  181).  Daran  schliesst 
sich  allseitig,  jedoch  mit  einer  gewissen  Abgrenzung,  das  weitmaschige  Ge- 
webe, welches  in  "seinen  obersten  und  tiefsten  Schichten  für  das  Stammskelet 
nicht  in  Betracht  kommt,  weil  daraus  die  zwischen  dem  letzteren  und  einerseits 
dem  Centralnervensystem ,  andererseits  dem  Darmkanal  des  entwickelten 
Thieres  befindlichen  Theile  (Bindegewebe ,  Gefässe,  Nerven)  hervorgehen.  In 
den  äusseren  Seitentheilen  des  interstitiellen  Bindegewebes  erscheint  nun 
während  der  ersten  Larvenperiode,  wenn  der  Darmkanal  die  ersten  Krümmungen 
zeigt,  eine  Anzahl  von  embryonalen  Blut-  oder  Dotterbildungszellen*,  welche 


*  Ich  habe  diese  letztere  Bezeichnung  gewählt,  weil  die  betreffenden  Zellen  als  fertige 
Blutzellen  noch  nicht  betrachtet  werden  können ,  sondern  in  derselben  Gestalt  sich  in  ver- 
schiedene Gewebe  verwandeln,  andererseits  aber  zum  Unterschiede  von  den  Embryonal- 
zellen nicht  aus  dem  eigentlichen  Keime,  sondern  von  den  Dotterzellen  abstammen. 


360  VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

alsdann  durch  ihre  Grösse ,  die  kugelrunde  oder  ovale  Gestalt  ohne  alle  Fort- 
sätze oder  Spitzen  und  durch  die  noch  vollständige  Anfüllung  mit  Dotter- 
plättchen  im  allgemeinen  von  allen  übrigen  Embryonalzellen  leicht  unterschie- 
den werden  können.     Wie  diese  Dotterbildungszellen  aus  den  Blutbahnen  in 
das  interstitielle  Bildungsgewebe  gelangen ,  soll  später  erläutert  werden.     Ihre 
erste  Ansammlung  zeigt  sich  an  beiden    Seiten  der  Chordaspitze   in  einer 
geringen  Entfernung  von  derselben  und  wächst  durch  fortdauernde  Anlagerung 
neuer  Elemente  jederseits  zu  einer  Spange  aus,  welche  den  Basaltheil  des 
Vorderhirns  bogenförmig  umfasst  und  dann  etwas  abwärts  geneigt  zur  Seite 
der  anatomischen  Hirnbasis  unter  dem  Sehnerven  nach  vorn  sich  erstreckt 
(Taf.  XVI  Fig.  303,  Taf.  XVII  Fig.  314—316,  Taf.  XXI  Fig.  377).     Es 
erhellt  aus  den  früheren  Mittheilungen  über  die  topographische  Anordnung  der 
Kopfanlagen,  dass  die  bezeichneten  Spangen  dem  Verlaufe  des  ersten  inneren 
Segmentpaares ,  genauer  dessen  innerem  unteren  Rande  folgen.     Doch  soll  ihr 
weiteres  Verhalten  erst  später,  namentlich  mit  dem  ganzen  Kopfe  ausführlich 
behandelt,  und  hier  nur  ihre  Wurzel  als  der  Ausgangspunkt  und  das  vordere 
Ende  der  Anlagen  der  hinteren  Schädelbasis  in  den  Kreis  der  Unter- 
suchung gezogen  werden.  Von  jener  Ursprungsstelle  der  bezeichneten  Spangen 
neben  der  Chordaspitze  setzt  sich  nämlich  die  eigenthümliche,  gleich  näher  zu 
schildernde  Zellenansammlung  jederseits  in  einem  schmalen  Streifen  rückwärts 
fort  und  wird  eben  zur  Grundlage  der  Schädelbasis  von  der  den  Hirnanhang 
aufnehmenden  Sattelgrube  an ,  welche  ja  unmittelbar  vor  der  Chordaspitze 
entsteht,  bis  zum  ersten  Rumpfwirbel  {Taf.  XVIII  Fig.  324).  —  Indem  die 
Dotterbildungszellen  in  den  weiten  Maschen  des  interstitiellen  Bildungsgewebes 
sich  ablagern  und  sie  ausfüllen,  auf  diese  Weise  aber  auch  die  Zellen  desselben 
in  ihre  Masse  einschliessen ,  bilden  sie  innerhalb  dieses  lockeren  Gewebes  kom- 
pakte Platten,  welche  durch  die  dichte  Aneinanderfügung  ihrer  Zellen  und 
die  damit  verbundene  Ausschliessung  der  flüssigen  Intercellularsubstanz  sich 
hinlänglich  von  deni  umgebenden  Gewebe  unterscheiden  {Taf.  X  Flg.  181). 
Andererseits  sind  sie  während  längerer  Zeit  ebenso  deutlich  von  der  äusseren 
Chordascheide  und  ihren  Umbildungsprodukten  gesondert.     Bevor  die  Platten 
sich  in  Knorpel  verwandeln,  besteht  nämlich  die  äussere  Chordascheide  noch 
immer  nicht  aus  vollständigen  Zellen,  sondern  aus  der  durch  die  Verschmelzung 
der  Embryonalzellen  entstandenen  kontinuirlichen  Grundmasse  mit  den  einge- 
lagerten freien  und  platten  Kernen.      Ausserdem    liegen  die  letzteren  kon- 
eentrisch  um  die  Wirbelsaite.     Die  Zellen  der  seitlichen  Platten  sind  dagegen 


VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  301 

durch  ihre  Aneinanderlagerung  rundlich  eckig  geworden  und  entsprechend 
dem  Zuge  des  früheren  Bildungsgewebes  mit  ihren  längsten  Durchmessern  meist 
schräg  von  aussen  gegen  die  Seiten  der  Wirbelsaite  gerichtet.  Nachdem  aber 
die  Knorpelbildung  eingetreten  ist,  erhält  sich  noch  immer  darin,  dass  dieselbe 
in  der  äusseren  Chordascheide  zum  Theil  später  als  in  den  Seitenplatten,  zum 
Theil  aber  gar  nicht  erfolgt,  eine  Andeutung  des  zweifachen  Ursprungs  der 
hinteren  Schädelbasis,  nämlich  aus  zwei  lateralen  Platten  und  einem  axialen 
Theile,  zu  dessen  Herstellung  übrigens  nicht  nur  die  äussere  Chordascheide, 
sondern  in  geringerem  Masse  auch  die  Wirbelsaite  selbst  einen  bleibenden 
Beitrag  liefert. 

Was  nun  die  Knorpelbildung  der  hinteren  Schädelbasis  betrifft,  so  geht 
sie  in  den  bezeichneten  Seitenplatten  ganz  einfach  vor  sich.  Die  daselbst  über- 
wiegenden Dotterbildungszellen  sind  so  wie  die  übrigen  Embryonalzellen  mem- 
branlos und  fügen  sich  so  eng  zusammen,  dass  ich,  wie  erwähnt,  eine  besondere 
Zwischensubstanz  nicht  unterscheiden  kann.  Während  nun  ihre  Dottersubstanz 
durch  Auflösung  der  Dottei plättchen  sich  aufzuklären  beginnt,  zeigt  sich  statt 
des  bisherigen  zarten  Umrisses  ein  scharfgezeichneter  doppelt  konturirter  Saum, 
der  Ausdruck  einer  starken,  aus  der  oberflächlichen  Dotterschicht  entstandenen 
Hülle  oder  Kapsel.  Ist  die  Dottersubstanz  ganz  aufgelöst,  so  erscheint  die 
Zellsubstanz  innerhalb  der  Kapsel  hell,  durchsichtig,  der  Kern  mehr  oder 
weniger  rund.  Während  die  nunmehr  fertigen  Knorpelzellen  mit  ihren  Kapseln 
sich  ansehnlich  vergrössern  und  durch  Theilung  vermehren,  bilden  sich  zwischen 
ihnen,  namentlich  um  die  Ecken  herum,  deutliche  Lücken,  welche  in  einen 
kontinuirlichen  Zwischenraum  zusammenfliessen  und  mit  einer  ziemlich  festen 
Intereellularsiibstanz  angefüllt  erscheinen.  Wo  der  Knorpel  an  das  interstitielle 
Bildungsgewebe  anstösst,  bildet  diese  seine  Intercellular-  oder  genauer  gesagt 
Interkapsularsubstanz  einen  fortlaufenden  Saum,  welcher  sich  bestimmt, 
wenn  auch  mit  zarter  Linie  gegen  die  flüssige  Intercellularsubstanz  jenes 
Gewebes  abgrenzt.  Wenn  daher  die  Knorpelkapseln  als  von  den  Zellenleibern 
abgelöste  Schichten,  die  Interkapsularsubstanz  als  unmerkliche  Abscheidung 
derselben  Zellen  entstanden  gedacht  werden  müssen,  so  sehe  ich  mit 
Gegenbaur  (Nr.  88  S.  12)  in  der  Entstehung  beider  Substanzen  ebenso  wenig 
einen  triftigen  Grund  zu  ihrer  principiellen  Unterscheidung  wie  in  ihrem  Ver- 
halten im  fertigen  Knorpel,  wo  die  Kapseln  bei  der  Zeilentheilung,  von  welcher 
sie  nicht  mit  betroffen  werden ,  aus  der  Interkapsularsubstanz  ergänzt  werden. 
Beide  Gebilde  zusammen  bilden  also  die  eigentliche  Intercellularsubstanz  des 


362  VH-    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

Knorpels.  —  An  der  Oberfläche  der  knorpelig  werdenden  Schädelbasis  findet 
sich  eine  dünne  Zellenlage  von  anderer  Beschaffenheit.  An  senkrechten 
Durchschnitten,  an  denen  allein  sie  sicher  unterschieden  werden  kann,  hat  es 
den  Anschein,  als  wären  dort  spindelförmige  oder  etwas  abgeplattete  Kerne  in 
eine  kontinuirliche  Grundmasse  eingebettet.  Sie  dürfte  daher  aus  der  die 
Knorpelanlage  nach  aussen  abschliessenden  Grenzschicht  des  interstitiellen 
Bildungsgewebes  und  zwar  durch  eine  ähnliche  Verschmelzung  ihrer  Zellen 
entstanden  sein,  wie  ich  sie  an  der  äusseren  Chordascheide  beschrieb  und  noch 
von  anderen  Anlagen  (vordere  Schädelbasis,  Schulterblatt)  beschreiben  werde. 
Beim  Isoliren  des  Knorpels  bleibt  diese  peripherische  Zellenschicht,  die  Anlage 
des  Perichondriums,  ausnahmslos  mit  demselben  in  Zusammenhang,  wie  es 
namentlich  leicht  und  deutlich  an  den  Knorpelstücken  der  Rumpfwirbelsäule 
sich  nachweisen  lässt.  Da  nun  die  Gesammtanlage  des  Knorpels  von  den 
Erzeugnissen  des  umgebenden  interstitiellen  Bildungsgewebes  nicht  durch  den 
verschiedenen  Ursprung  ihrer  Substrate  sondern  nur  durch  die  weitere  histolo- 
gische Umbildung  sich  unterscheidet,  so  darf  das  Perichondriurn  nach  seiner 
ersten  Zusammensetzung  und  Verbindung  stets  nur  zu  seiner  knorpeligen 
Unterlage,  nicht  aber  zu  dem  ausserhalb  derselben  entstehenden  Bindegewebe 
gerechnet  werden  (vgl.  den  folgenden  Abschnitt). 

Wenn  die  Seitenplatten  der  hinteren  Schädelbasis  in  ziemlich  einfacher 
Weise  knorpelig  werden ,  so  ist  die  Bildung  eines  sie  verbindenden  axialen 
Knorpelstreifens  an  Stelle  der  Wirbelsaite  und  ihrer  äusseren  Scheide  etwas 
umständlicher  (Taf.\IX).  Zunächst  werden  die  Seitentheile  der  äussern  Chorda- 
scheide, welche  mit  ihrer  ganzen  Fläche  an  die  Seitenplatten  anstossen,  gleich- 
falls frühzeitig  knorpelig  und  verschmelzen  mit  den  letzteren  zu  einem 
kontinuirlichen  Gewebe.  Doch  ist  für  die  Beobachtung  dieser  Knorpelbildung 
die  Schädelbasis  kein  günstiges  Objekt,  und  verweise  ich  daher  auf  die  Be- 
schreibung dieser  Vorgänge  an  andern  Stellen,  wo  die  äussere  Chordasciieide 
leicht  frei  gelegt  werden  kann.  Nachdem  nun  ihre  Seitentheile  zu  Knorpel 
geworden,  sind  die  übrigen  Veränderungen  des  Axentheils  der  Schädelbasis  in 
dessen  vorderen  und  hinteren  Abschnitten  verschieden.  An  der  Spitze  der 
Wirbelsaite  wird  die  Chordascheide  alsbald  auch  oben  und  unten  in  Knorpel 
verwandelt,  sodass  die  erstere  allseitig  von  Knorpel  eingeschlossen  und  durch 
eine  starke  Entwickelung  desselben  von  den  Seiten  her  zu  einer  senkrechten 
riatte  zusammengepresst  wird,  welche  bei  oberer  Ansicht  der  Schädelbasis  wie 
ein  feiner  Faden  aussieht  (Taf.  IX  Fig.  167,  Taf.  XVIII  Fig.  324.  329).     Bei 


VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  3H3 

dem  fortgesetzten  Drucke  versclrwindet  die  Spitze  der  Wirbelsaite  endlich 
ganz,  sodass  die  letztere  nunmehr  eine  Strecke  hinter  dem  Hirnanhange  auf- 
hört. Im  mittleren  und  hinteren  Abschnitte  des  in  Rede  stehenden  Schädel- 
theiles  erhält  sich  die  Wirbelsaite  bei  der  oberen  Ansicht  scheinbar  viel  länger 
intakt;  doch  lehren  Querdurchschnitte,  dass  ihre  Atrophie  dort  viel  früher 
eintritt,  als  man  bei  jener  Ansicht  erkennt.  Gleich  hinter  der  seitlich  abge- 
platteten Spitze  der  Wirbelsaite  unterbleibt  in  einem  kurzen  Stücke  die  Ver- 
knorpelung  an  der  Oberseite  der  äusseren  Scheide;  sie  wird  dabei  hautartig 
und  schliesst  sich  seitlich  an  das  Perichondrium  der  Seitenplatten  an,  sodass 
die  Wirbelsaite  nach  Entfernung  dieser  Haut  wie  in  einer  Mulde  nackt  zu  Tage 
liegt  (Taf.  IX  Fig.  173).  Dieses  Verhältniss  ändert  sich  auch  nicht ,  während 
das  betreffende  Stück  der  Wirbelsaite  atrophirt;  und  wenn  die  Mulde  dabei 
flacher  wird,  so  geschieht  dies  zunächst  nicht  durch  Verdickung  ihres  Bodens, 
welcher  vielmehr  unverändert  dünn  bleibt,  sondern  durch  Verdünnung  der 
seitlichen  Knorpelplatten.  So  erscheint  also  die  Wirbelsaite  bei  ihrer  Atrophie 
in  dem  mittleren  Theile  der  hinteren  Schädelbasis  nicht  wie  an  der  Spitze  von 
den  Seiten,  sondern  von  oben  nach  unten  zusammengefallen  und  muss  daher 
bei  oberer  Ansicht  in  geringerem  Grade  zurückgebildet  aussehen,  als  sie  es  in 
der  That  ist.  Im  hinteren  Abschnitte  der  Schädelbasis  entwickelt  sich  ihr 
Axentheil  in  ähnlicher  Weise  aber  in  umgekehrter  Ordnung,  sodass  die  Mulde 
nicht  an  der  Oberseite,  sondern  an  der  Bauchseite  entsteht  (Fig.  169.  175). 
Dort  lagen  vorher  die  Muskelbündel,  welche  aus  dem  dritten  und  vierten 
inneren  Segmentpaare  hervorgingen,  der  Wirbelsaite  von  beiden  Seiten  eng  an 
(Taf.  XV  Fig.  .273 — -27b');  und  wenn  sie  von  den  über  ihnen  entstehenden 
knorpeligen  Seitenplatten  abwärts  und  rückwärts  verdrängt  werden,  so  mag 
doch  ihre  frühere  Lage  die  Ursache  sein,  dass  jene  Platten  in  ihrem  hintersten 
Theile  dicht  hinter  den  Gehörorganen  sich  bereits  über  das  übrige  Niveau 
erheben  und  schräg  von  aussen  und  oben  auf  die  Wirbelsaite  oder  vielmehr 
auf  deren  äussere  Scheide  stossen.  Daher  greifen  sie  mit  einem  medialen 
Rande  auf  deren  Oberseite  über  und  laufen  seitlich,  noch  bevor  sie  die 
Bauchseite  erreicht,  gleichfalls  mit  einem  zugeschärften  Rande  aus.  Die 
äussere  Chordascheide  bleibt  in  diesem  Abschnitte  der  Schädelbasis  nur  an  der 
Bauchseite  häutig-,  die  übrigen  oberen  und  seitlichen  Theile  verdicken  sich, 
während  sie  knorpelig  werden,  ansehnlich,  sodass  man  leicht  erkennt,  wie  ihre 
Zellen  entsprechend  den  früheren  Kernen  in  einigen  zur  Wirbelsaite  koncentri- 
schen  Lagen  angeordnet  sind  (vgl.  Taf.  IX  Fig.  170.  176).     Da  diese  Knorpel- 


3(34  VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

zellen  der  Chordascheide  zudem  kleiner  sind  als  diejenigen  der  Seitenplatten 
und  ihre  Intercellularsubstanz  dunkler  erscheint  und  sich  intensiver  färbt  als 
in  jenen  Platten,  so  lässt  sich  dort  der  Axentheil  der  Schädelbasis  zu  jeder 
Zeit  von  den  Seitentheilen  unterscheiden.  Dieses  sehr  deutliche  Verhalten  im 
hintersten  Abschnitte  der  Schädelbasis,  welches  sich  innig  an  dasjenige  der 
ersten  Wirbel  anschliesst,  nähert  sich  nach  vorn  insofern  dem  umgekehrten 
Verhältnisse  in  der  Mitte  der  Schädelbasis,  als  die  seitlichen  Knorpelplatten 
allmählich  tiefer  sinken  und  in  dem  Masse,  als  sie  sich  der  Bauchseite  der  Wirbel- 
saite nähern,  deren  Oberseite  wieder  ganz  der  knorpeligen  äusseren  Scheide  über- 
lassen, welche  aber  an  derselben  Stelle  unten  noch  häutig  ist.  Soll  nun  diese 
Lage  der  Wirbelsaite  in  die  umgekehrte  übergehen,  wie  ich  sie  für  den  mittleren 
Abschnitt  der  Schädelbasis  beschrieb,  so  erhellt,  dass  die  Wirbelsaite  an  der 
Uebergangsstelle  zugleich  oben  und  unten  entweder  von  Knorpel  eingeschlossen 
oder  nur  von  der  häutigen  Scheide  bedeckt  sein  müsse.  In  der  That  ist  nun 
das  letztere  der  Fall  {Fig.  164.  168.  174).  In  der  Mitte  des  Larvenlebens  ist 
an  der  bezeichneten  Stelle  die  Kontinuität  des  Knorpels  sowohl  in  der  oberen 
wie  in  der  unteren  Mittellinie  unterbrochen  und  die  Lücke  nur  von  der  Wirbel- 
saite und  dem  häutigen  Rücken-  und  Bauchtheile  ihrer  äusseren  Scheide  aus- 
gefüllt. Gegen  das  Ende  der  Larvenmetaniorphose  aber,  wenn  die  Wirbel- 
saite in  der  hinteren  Hälfte  ihres  Kopftheils  durch  die  Verdickung  des  sie  über- 
deckenden Knorpels  an  die  Visceralfläche  der  ganzen  Schädelbasis  verdrängt 
und  von  oben  her  abgeplattet  wird ,  füllt  sie  jene  Lücke  im  Knorpel  nur  theil- 
weise  aus,  indem  sie  dort  gleichsam  selbst  den  Boden  der  muldenförmigen 
Vertiefung  bildet ,  in  welcher  sie  weiter  nach  vorn  hin  eingebettet  liegt.  Der 
Eindruck,  welchen  der  Mediandurchschnitt  einer  solchen  Schädelbasis  hervor- 
ruft, lässt  sich  so  bezeichnen,  dass  die  Wirbelsaite  die  Axe  der  knorpeligen 
Schädelbasis  schneidet  und  dieselbe  unterbricht ,  um  von  deren  unterer  Fläche 
(hinten)  an  die  Oberseite  (vorn)  zu  gelangen  {Fig.  165).  Denkt  man  sich  nun 
die  knorpelige  Decke  der  Wirbelsaite  im  Hinterkopfe  mit  ihrer  knorpeligen 
Unterlage  im  vorderen  Abschnitte  der  Schädelbasis  fortlaufend  verbunden, 
was  thatsächlich  während  des  völligen  Schwundes  der  Wirbelsaite  und  unter 
gleichzeitiger  Ausgleichung  der  sie  früher  beherbergenden  Furchen  geschieht, 
so  wird  die  nunmehr  kontinuirliche  Knorpeltafel  der  hinteren  Schädelbasis 
immerhin  an  der  Stelle  der  vorher  bestandenen  Lücke  eine  gewisse  Knickung 
von  hinten  und  oben  nach  vorn  und  unten  zu  erkennen  geben,  wie  ich  es  auch 
bei  jungen,  vollständig  entwickelten  Unken  finde  {Fig.  166). 


VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  3(J5 

Schliesslich  bemerke  ich  noch  über  die  Atrophie  der  Wirbelsaite,  dass  es 
mir  an  einigen  Präparaten  nachzuweisen  gelang,  dass  der  Knorpel,  welcher 
später  an  ihrer  Stelle  gefunden  wird,  nicht  überall  aus  einer  Fortsetzung  des 
umgebenden  Knorpelgewebes,  sondern  theilweise  aus  ihr  selbst  hervorging. 
Nach  vollständig  beendeter  Metamorphose  finde  ich  die  Wirbelsaite  in  der 
Occipitalgegend  als  platten  Strang  an  der  beinahe  ebenen  Bauchfläche  der 
knorpeligen  Schädelbasis ;  ihre  frühere  Zusammensetzung  ist  unkenntlich  ge- 
worden, sie  erscheint  als  undeutlich  faseriges  Gewebe  und  nur  über  ihr  und 
zwar  dem  Knorpel  fest  angeheftet,  welcher  aus  ihrer  äussern  Scheide  hervor- 
ging, hat  sich  jenes  dünne  Häutchen  unverändert  erhalten,  welches  früher  die 
beiden  Scheiden  trennte  (Fig. 166).  Dieses  Häutchen  durchsetzt  ganz  deutlich  die 
knorpelige  Schädelbasis  dort,  wo  sie  früher  unterbrochen  war,  nach  vorn, 
worauf  es  sich  in  der  Nähe  ihrer  oberen  Seite  verliert.  An  derselben  Stelle 
geht  aber  der  faserige,  atrophische  Rest  der  Wirbelsaite  unmittelbar  unter 
diesem  Häutchen  sich  hinziehend  in  die  Axe  des  Basalknorpels  über,  sodass 
mir  die  Umwandlung  des  betreffenden  Chordatheils  in  Knorpel  nicht  zweifel- 
haft erscheint.  Nur  fehlen  mir  zusammenhängende  Beobachtungen  über  den' 
Vorgang  dieser  Umwandlung,  sodass  ich  auf  die  noch  mitzutheilenden  Unter- 
suchungen über  dieselbe  Erscheinung  an  der  Rumpf  Wirbelsäule  unseres  Thieres 
und  der  Tritonen  verweisen  muss.  Hier  sei  also  nur  konstatirt,  dass  der  Kopf- 
theil  der  Wirbelsaite  vorn  im  Knorpel  atrophirt  und  verschwindet,  in  der  Mitte 
sich  in  Knorpel  umbildet,  hinten  aber  aus  dem  Occipitalknorpel  an  dessen 
Bauchfläche  verdrängt,  sich  in  ein  faseriges  Band  verwandelt.  Dieses  liegt 
aber  immerhin  innerhalb  des  Perichondriums,  dem  sich  schon  vorher  der 
häutige  Rest  der  äusseren  Chordasciieide  angeschlossen  hatte  und  welches 
später  das  Os  sphenoideum  oder  das  Parasphenoid  (Nr.  90  S.  31,  Nr.  89  S.  647, 
Nr.  113  S.  151)  entwickelt  (Taf.  IX  Fig.  164-  166). 

Hinsichtlich  der  allgemeinen  Gestalt  der  hinteren  Schädelbasis  muss  zu- 
nächst bemerkt  werden,  dass  ihre  vordere  Hälfte  nicht  nur  zuerst  entsteht, 
sondern  während  der  ersten  Larvenperiode  und  im  Anfange  der  zweiten  auch 
allein  besteht.  Die  vorn  aus  ihr  entspringenden  Knorpelspangen  haben  schon 
längst  die  anatomische  Hirnbasis  umkreisend  sich  an  deren  Vorderende  bogen- 
förmig geschlossen  und  so  den  Umfang  der  vorderen  Schädelbasis  um- 
schrieben, ehe  die  Seitenplatten  der  hinteren  Schädelbasis  bis  hinter  die  Ohr- 
bläschen reichen.  Dort  angelangt  finden  sie  eine  bestimmte  Grenze  gegen  die 
sich  ihnen  anschliessende  Bildung  der  Rumpfwirbelsäule,  worüber  ich  weiter 


36(j  VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

unten  das  Nähere  mittheilen  werde.     Alsdann  bildet  die  hintere  Schädelbasis, 
wenn  man  ihre  Seitentheile  mit  dem  Axentheile  als  ein  Ganzes  betrachtet,  eine 
längliche  Knorpeltafel,   welche  zwischen  den  Ohrbläschen  am  schmälsten  ist, 
davor  und  dahinter  aber  sich  etwas  verbreitert,  sodass  ihre  Seitenränder  ausge- 
schweift erscheinen  (Taf.  XVIII  Fig.  329).     Ihre  erste  Anlage  verräth  jeden- 
falls die  Neigung,  dem  Hauptzuge  des  interstitiellen  Bildungsgewebes,  also  der 
Innenfläche   der  Stammsegmente   zu   folgen  und  so  zwischen   den  äusseren 
Segmenten  und  dem  Hirne  aufwärts  zu  wachsen  (vgl.  Taf.  X  V).     Im  grösseren 
mittleren   Abschnitte  werden  jedoch   die  Ränder  der  hinteren   Schädelbasis 
durch  die  Ohrbläschen  daran  verhindert,  welche  bei  ihrer  starken  Ausdehnung 
sich  dem  Hinterhirne  ziemlich  eng  anschmiegen.     Daher  bleibt  die  Schädel- 
basis in  diesem  Abschnitte  auf  den  Kaum  zwischen  den  beiden  Ohrbläschen 
und  der  Bauchseite  des  Hinterhirns  beschränkt-,  und  indem  sich  die  letztere 
weiterhin  eben  ausbreitet,  wird  die  sich  anpassende  Schädelbasis  dort  zu  einer 
ebenfalls  ebenen  Platte  (Taf.  IX).     Wo  jenes  Hinderniss  ihrer  seitlichen  Aus- 
breitung fehlt,    umwächst  sie  den  ganzen  Umfang  der  Hirnröhre  nicht  nur 
vorn  mit  den  genannten  Knorpelbögen  sondern  auch  hinter  den  Ohrbläschen, 
zwischen  diesen  und  dem  ersten  Rumpfwirbel  (Taf. XVIII Fig.  331,  Taf. XIX 
Fig.   337).      Dort    entsteht  gleichfalls   ein   vollständiger,    breiter  Ring  um 
das   Ende   des   Hinterhirns,   welcher   sich   den    davorliegenden  Ohrbläschen 
dicht  anschliesst.     Während  dieser  Entwickelung   der  hinteren  Schädelbasis 
entsteht  rund  um  jedes  Gehörorgan  eine  knorpelige  Kapsel,  deren  innerer 
unterer  Rand  mit  der  Schädelbasis  verschmilzt.     Dadurch  kann  leicht  der 
Eindruck  hervorgerufen  werden,  als  sei  wenigstens  die  horizontale,  die  Gehör- 
organe tragende,  Platte  jener  Knorpelkapsel  als  unmittelbare  Fortsetzung  der 
knorpeligen   Schädelbasis  aus  dieser  hervorgewachsen.     Einer  solchen  Auf- 
fassung widerspricht  einfach  der  Umstand,  dass  die  das  Gehörbläschen  über- 
ziehende Knorpellage  am  äussern  Umfange  desselben  bereits  entstanden  ist, 
bevor  der  mittlere  Theil  der  Schädelbasis  auch  nur  angelegt  ist,  und  dass  sie 
nach  innen  fortwachsend  erst  nachträglich  mit  dem  Seitenrande  desselben 
zusammenstösst.     Die   knorpelige  Ohrkapsel   ist   also   dem   eingeschlossenen 
Sinnesorgane  eigenthümlich  und  entspricht  durchaus  den  festen  Kapseln  der 
zwei  anderen  Sinnesorgane,  von  denen  das  Auge  bei  unserem  Thiere  gleichfalls 
eine  dünne  Knorpelschicht  in  der  Sclerotica  besitzt.  —  Anders  verhält  es  sich 
mit  den  Knorpeltafeln,  welche  im  Anschluss  an  die  beiden  Bogcnpaare  des 
Schädels  einen  Theil  seiner  Seitenwände  und   seines  Daches   bilden.      Das 


VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  367 

vordere  Bogenpaar  bildet,  indem  es  sich  zur  anatomischen  Hirnbasis  nieder- 
senkt und  dieselbe  umkreist,  einen  Knorpelrahmen,  innerhalb  dessen  man 
anfangs  nur  das  indifferente  Bildungsgewebe  erkennt,  welches  von  beiden  Seiten 
in  die  dort  früher  befindliche  Lücke  des  mittleren  Keimblattes  hineingewuchert 
ist  und  alsdann  gleichmässig  den  ganzen  Raum  zwischen  dem  Vorderhirne  und 
dem  Darmblatte  ausfüllt  (Taf.  XVIII  Fig.  322—324).  Mitten  in  der  ersten 
Larvenperiode  sondert  sich  aus  diesem  Gewebe  ein  mit  dem  Knorpelrahmen 
zusammenhängendes,  dichtes  Netzwerk  von  etwas  quergezogenen  Zellen  ab, 
dessen  Maschen  um  so  enger  werden ,  je  mehr  sich  die  Zellen  abplatten.  Die 
Dottersubstanz  ist  in  den  letzteren  bereits  grösstenteils  aufgelöst.  Im  An- 
fange der  nächsten  Periode  lässt  sich  endlich  eine  festzusammenhängende,  im 
Knorpelrahmen  lose  ausgespannte  Membran  als  Unterlage  des  Vorderhirns 
herauspräpariren.  Statt  des  dichten  Netzwerks  erkennt  man  aber  nur  eine 
kontinuirliche  Grundsubstanz,  welche  durchweg  protoplasmaartig  punktirt  ist 
und  die  nunmehr  rundlich  gewordenen  freien  Kerne  enthält;  mit  der  Inter- 
cellularsubstanz  des  Knorpelrahmens  hängt  sie  durchaus  kontinuirlich  zu- 
sammen. Von  den  früheren  Zellengrenzen  konnte  ich  dort  keine  Spur  mehr 
entdecken,  und  da  die  Grundsubstanz  durchweg  den  gleichen  Charakter  hat, 
so  ist  ein  Grund  für  die  Annahme,  dass  Zell-  und  Intercellularsubstanz  trotz- 
dem neben  einander  beständen  und  die  Grenzen  nur  undeutlich  wären,  nicht 
vorhanden.  Eine  Vermehrung  der  Kerne  geht  genau  in  derselben  Weise  vor 
sich,  wie  ich  es  von  der  äussern  Scheide  beschrieb,  sodass  dieselben  alsbald 
in  mehrfacher  Lage  über  einander  liegen  und  häufig  jene  mannigfaltig  ausge- 
schweiften Formen  (Bisquit-,  Bohnen-,  Herzform)  zeigen.  Und  wenn  ich  selbst 
bei  diesen  lebhaften  Theilungsvorgängen  jede  Andeutung  diskreter  Zellen- 
leiber vermisste,  so  musste  diese  Thatsache  in  mir  den  letzten  Zweifel  an  der 
Richtigkeit  der  allerdings  auffallenden  Beobachtung  zurückweisen ,  dass  näm- 
lich die  Embryonalzellen  dem  späteren  Knorpelgewebe  nur  die  Zellenkerne 
unmittelbar  überliefern,  nicht  aber  zugleich  die  zugehörigen  Zellenleiber.  Zur 
Zeit  wann  die  ersten  Spuren  der  knorpeligen  Wirbelbögen  im  Rumpfe  erschei- 
nen, beginnt  auch  die  Knorpelbildung  in  der  bezeichneten  Schicht  oder  der 
vorderen  Schädelbasis  {Taf.  X  Fig.  190).  Sie  geht  von  den  Rändern  des 
Knorpelrahmens  aus  und  setzt  sich  allmählich  gegen  die  Mitte  fort,  und  zwar 
schien  sie  mir  stets  am  vorderen  Ende  anzufangen  oder  dort  wenigstens 
rascher  vorzurücken.  Um  die  freien  Kerne  bildet  sich  dann  zuerst  eine  äusserst 
zarte  Grenze  in  einer  solchen  Entfernung,  dass  die  benachbarten  Grenzen  sich 


3G8  VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

nicht  berühren,  sondern  gleich  ein  gewisses  Quantum  einer  Zwischensubstanz 
übrig  lassen.      Diese  Grenzen  erscheinen  anfangs  ebenso  zart  wie  diejenigen 
membranloser  Zellen,  und  ihre  Gestalt  entspricht  weniger  dem  zugehörigen 
Kerne  als  seinem  Abstände  von  den  umgebenden  Kernen ,  sodass  sie  meist 
rundlich  eckig  ist.     Bald  darauf  verwandelt  sich  der  zarte  Umriss  in  den 
Durchschnitt  einer  derben ,  doppelt  konturirten  Membran ,  eben  der  Knorpel- 
kapsel 5  und  damit  sind  die  Bestandteile  des  fertigen  Knorpels,  der  Zellen, 
Kapseln  und  der  Interkapsularsubstanz  gegeben.     Ich  will  hierbei  auf  eine 
Erscheinung  aufmerksam   machen,   welche,   wie  ich  glaube,   den  bekannten 
Irrthum  Schwanns,  die  Abhebung  der  Zellmembran  vom  Kerne  betreffend, 
zu  erklären  im  Stande  ist.     An  den  noch  freien  Kernen  sehe  ich  häufig  und 
zwar  meist  eine  kurze  Zeit  vor  dem  Beginne  der  Knorpelbildung  einen  sehr 
feinen   aber  deutlichen  hellen  Saum,  welcher  um  so  mehr  auffallen  muss,  als 
man  gleichzeitig  in  der  Grundsubstanz  andere  Veränderungen  vermisst.     An 
einzelnen  Stellen,  wo  die  Kerne  besonders  dicht  liegen ,  umkreisen  die  zarten 
Umrisse  der  sich  neu  bildenden  Knorpelzellen  die  Kerne  in  so  geringer  Entfernung, 
dass  die  betreffenden  Durchmesser  sehr  wohl  ein  Mittelglied  zwischen  jenen 
freien  Säumen  und  den  grösseren  Knorpelzellen  darbieten  und  die  Vermuthung 
erwecken  können,  als  seien  die  Säume  in  der  That  die  ersten  Anlagen  der 
neuen  Zellenleiber,  welche  allmählich  zu  grösserem  Durchmesser  auswüchsen. 
Doch  ergibt  eine  genauere  Prüfung ,  dass  die  Säume  bleibende  Erscheinungen 
sind,  also  die  Anlage  des  sie  umgebenden  Zellenleibes  nicht  sein  können.     Und 
wenn  sie  in  den  fertigen  Zellen  weniger  auffallen,  so  mag  es  daran  liegen,  dass 
die  Substanz  der  fertigen  Knorpelzellen  klarer  ist  und  daher  von  den  Säumen 
weniger  als  die  früher  punktirte  Grundsubstanz  oder  endlich  gar  nicht  absticht. 
-  Ganz  so  wie  an  der  vorderen  Schädelbasis  entsteht  die  Knorpelsubstanz  in 
allen  sekundären  Schädeltheilen ,  d.h.  solchen,  welche  sich  erst  nachträglich 
im  unmittelbaren  Anschlüsse  an  das  ursprüngliche  Knorpelgerüst,  nämlich  die 
hintere  Schädelbasis  mit  ihren  beiden  Bogenpaaren  entwickeln.    Dazu  gehören 
die  Seitenwände  der  vorderen  Schädelkapsel  und  gewisse  Theile  des  Schädel- 
daches, welche  erst  später  ausführlich  behandelt  werden. 

Wenn  man  von  den  eben  mitgetheilten  Beobachtungen  zunächst  die 
Kontinuität  der  beiderlei  Anlagen  und  den  ununterbrochenen  Fortgang  der 
Knorpelbildung  von  den  primären  Schädeltheilen  in  die  sekundären  hinein  ins 
Auge  fasst,  so  müssen  die  letzteren  unzweifelhaft  als  wirkliche,  durch  Anlage- 
rung entstandene   und  durch  Anpassung   weiter  gebildete  Fortsetzungen   der 


VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  369 

ersteren  erscheinen .    Erinnert  man  sich  aber  an  ihre  histiologische  Entwickelung, 
so  muss   mit  Rocht  auffallen,  dass  die  einzelnen  Tkeile  eines  und  desselben 
kontinuirlichen  Gewebes  auf  die  beschriebene,  scheinbar  verschiedene  Weise 
entstellen.     Dies  kann  auf  den  verschiedenen  Ursprung  der  Embryonal-  und 
Dotterbildungszellen  nicht  zurückgeführt  werden.     Denn  abgesehen  davon, 
dass  die  Beobachtung  in  beiden  Zellenarten  eine  verschiedene  innere  Zusammen- 
setzung nicht  nachzuweisen  vermag,    kommen   dieselben  neben  einander  in 
beiderlei  Schädeltheilen,  den  primären  wie  den  sekundären  vor,  da,  wie  ich 
später  ausführen  werde,   die  Vermehrung  des  ganzen  Bildungsgewebes  auf 
einer  Einwanderung  von  Dotterbildungszellen  zwischen  die  übrigen  Embryonal- 
zellen beruht.     Zudem  wird  aus  der  folgenden  Beschreibung  der  Entwickelung 
der  Rumpfwirbel  hervorgehen ,  dass  deren  Bögen ,  obgleich  morphologisch  den 
Seitenplatten  und  Bögen  der  hinteren  Schädelbasis  gleichwerthig,  histiologisch 
genau  so  sich  entwickeln,   wie  die  sekundären  Schädeltheile.     Wenn  es  also 
feststeht,  dass  die  beiden  Arten  der  Knorpelbildung  weder  nach  der  Anlage 
noch  nach  dem  schliesslich  erzeugten  Gewebe  sich  unterscheiden,  so  lehrt 
andererseits   eine   genauere  Ueberlegung,    dass  jene  Unterschiede  nur  viel 
grösser  erscheinen,  als  sie  wirklich  sind  und  sich  im  Grunde  auf  unwesentliche 
Abweichungen  zurückführen  lassen.    Allerdings  scheinen  die  Zellen  der  Seiten- 
platten  unmittelbar    in   Knorpelzellen    überzugehen,    während    im    übrigen 
Knorpel  nur  die  Kerne  der  Embryonalzellen  in  ihrem  ursprünglichen  Bestände 
erhalten  bleiben.     Wenn  man  aber  überlegt,  dass  die  Knorpelkapseln  in  den 
Seitenplatten  unmöglich  ausserhalb  der  sich  theilweise  berührenden   Zellen 
abgelagert,  sondern  nur  aus  deren  umgebildeter'peripherischen  Schicht  hervor- 
gegangen sein  können,  dass  sie  aber  nach  ihrer  Vollendung  jedenfalls  intercellu- 
läre  Gebilde  sind,  so  folgt  daraus,  dass  die  von  ihnen  eingeschlossenen  Knorpel- 
zellen nicht  aus  den  ganzen  intakten  Embryonalzellen,  sondern  nur  je  aus  dem 
Kerne  und  der  ihn  zunächst  umgebenden  Protoplasmaschicht  entstanden ,  wie 
es  ja  auch  bei  der  zweiten  Art  der  Knorpelbildung  der  Fall  ist.    Da  wir  ferner 
ans   der   letzteren  lernen,    dass    die  Kapsel-  und  damit  die  Knorpelzellen- 
bildung von  einer  Präexistenz  vollständiger  Zellen  unabhängig,  dagegen  nur 
um  präexistirende  Kerne  erfolgt ,  so  können  wir  diese  Erfahrung  auch  für  die 
Seitenplatten   anziehen,    sodass   also   in  beiden   Fällen   der  Knorpelbildung 
gleicherweise  bloss  die  Kerne  als  thätige  Faktoren  in  Betracht  kämen.     Die 
einzigen  noch  übrigen  Unterschiede ,  die  sich  aber  weder  auf  die  Substanz  der 
Knorpelelemente  noch  auf  ihre  nächsten  Bildungsursachen  beziehen,  beständen 

Goette,  EtJtwickelungsgescbiclite.  -■* 


370  VII.   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  '  • 

also  darin,  dass  die  Zellen  der  Seitenplatten  vor  ihrer  Umwandlung  scheinbar 
nicht  verschmelzen  und  zwischen  den  Knorpelkapseln  nicht  gleich  anfangs 
eine  deutliche  Zwischensubstanz  zu  bemerken  ist.  Gegenüber  der  Thatsache, 
dass  die  Integrität  der  Zellen  für  die  Knorpelentwickelung  bedeutungslos  ist, 
wird  auch  jener  erstgenannte  Unterschied  so  unwesentlich,  dass  es  kaum 
nöthig  scheint,  darauf  hinzuweisen,  dass  er  bei  dem  schnellen  Verlaufe  der 
Verwandlung  nicht  einmal  unzweifelhaft  erwiesen  werden  kann.  Was  nun 
aber  den  zweiten  Punkt  betrifft,  so  kann  nur  die  Abwesenheit  einer  hinreichend 
deutlichen  ursprünglichen  Interkapsularsüb stanz ,  nicht  aber  einer  solchen 
überhaupt  in  äusserst  dünner  Schicht  behauptet  werden,  da  die  eben  entstan- 
denen Kapseln  durchaus  nicht  allseitig,  namentlich  nicht  an  den  Ecken  ein- 
ander berühren.  So  bleibt  also  als  einziger  nennenswerther  Unterschied 
zwischen  den  beiden  auf  den  ersten  Anblick  scheinbar  so  sehr  abweichenden 
Knorpelbildungsarten  die  wechselnde  Menge  der  ursprünglichen  Interkapsular- 
substanz  übrig;  ein  hinreichender  Grund,  um  dieselben  einander  wesentlich 
gleich  zu  setzen.  Jene  quantitative  Differenz  lässt  sich  aber  daraus  erklären, 
dass  die  Seitenplatten  der  Schädelbasis  in  der  ersten  Larvenperiode  angelegt 
werden,  also  zu  einer-  Zeit,  wo  eine  allgemeine  Ernährung  der  Gewebe  und 
ihrer  mit  Dotter  gefüllten  Zellen  noch  nicht  stattfindet,  während  die  übrigen 
Knorpelbildungen  des  Schädels  und  der  Rümpfwirbelsäule  in  die  zweite 
Larvenperiode  fallen,  wo  eine  solche  Nahrungsaufnahme  in  sehr  lebhafter 
Weise  vor  sich  geht.  Damit  hängt  auch  das  histologisch  verschiedene  Wachs- 
thum  in  jenen  älteren  und  den  jüngeren  Knorpelanlagen  zusammen.  In  der 
ersten  Larvenperiode  ist  die  Vermehrung  der  Zellen  durch  Theilung  gar  nicht 
so  bedeutend,  als  man  vielleicht  anzunehmen  geneigt  sein  möchte,  um  die  aus 
dichten  Zellenansammlungen  hervorgehenden  Anlagen  zu  erklären.  Wäre  die 
Zeilentheilung  in  der  angegebenen  Zeit  nur  einigermassen  lebhaft,  so  müssten 
die  einzelnen  Zellen,  da  sie  durch  Nahrungsaufnahme  noch  nicht  Avachsen 
können,  sich  ebenso  rasch  verkleinern,  wie  es  im  Anfange  der  Embryonal- 
entwickelung geschah.  Dies  ist  aber  ebenso  wenig  der  Fall,  als  Theilungsvor- 
gänge  in  dieser  Zeit  leicht  zur  Anschauung  zu  bringen  sind;  andererseits 
erklärt  aber  die  massenhafte  Einwanderung  der  Dotterbildungszellen  hinläng- 
lich die  Vermehrung  der  Elemente.  Desshalb  wachsen  auch  die  Anlagen 
durch  An-  und  Einlagerung  neuer  Elemente  von  aussen  her.  Im  Anfange  der 
zweiten  Larvenperiode  hört  die  Einwanderung  der  Dotterbildungszellen  auf, 
tritt  aber  dafür  eine  wirkliche  Ernährung  der  metamorphosirten  Elemente  ein 


VII.  Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  371 

und  ruft  daher  die  lebhafte,  leicht  zu  beobachtende  Thciluug  derselben  hervor. 
Unter  solchen  Umständen  müssen  aber  die  Anlagen  gleichsam  von  innen 
heraus  ohne  Zuhülfenahme  ihnen  fremder  Elemente  sich  ausdehnen.  Dass 
unter  dem  Einflüsse  dieser  aus  der  Theilung  zu  erschliessenden  reichlichen 
Ernährung  nicht  nur  die  Zahl  der  Elemente,  sondern  auch  ihre  Grösse  und  die 
Menge  der  von  ihnen  abstammenden  Zwischenzellensubstanz  zunehmen  muss, 
bedarf  wohl  keiner  weiteren  Erläuterung.  Der  Antheil  dieser  Vcrgrösserung 
der  Knorpelzellen  und  der  relativen  Zunahme  der  Interkapsularsubstanz  an 
der  ganzen  Massenzunahmo  des  Knorpels  wird  aber  vielleicht  überhaupt  unter- 
schätzt; sowie  andererseits  seine  Ausdehnung  an  gewissen  Stellen,  namentlich 
an  der  hinteren  Schädelbasis  viel  weniger  auf  einer  Massenzunahme  als  einer 
Abnahme  seiner  Mächtigkeit,  also  einer  Verschiebung  der  sich  gleich  bleiben- 
den Masse  aus  der  Dicke  in  die  Breite  beruht  (Taf.  IX Flg. 167— 170. 173-176). 
Aus  diesen  Betrachtungen  ergibt  sich  aber,  dass  mit  demselben  Ausdrucke  des 
Wachsthums  sowohl  nach  ihren  Ursachen  und  ihrer  Entwickelung ,  als  auch 
nach  ihrem  Enderfolge  verschiedene  Erscheinungen  bezeichnet  werden,  sodass 
weder  die  Zellentheilung  zu  jeder  Zeit  als  Mass  der  allgemeinen  Vergrösscrung 
einer  Anlage,  noch  umgekehrt  die  letztere  als  Beweis  einer  entsprechenden 
Zellenvermehrung  durch  Theilung  oder  überhaupt  einer  wirklichen  Ernährung 
angenommen  werden  darf. 

Wenn  es  nun  gelingt  in  Betreff  der  histologischen  Entwickelung  für  die 
ganze  knorpelige  Schädelkapsel  im  wesentlichen  eine  Uebereinstfmmung  nach- 
zuweisen, so  fehlt  doch  eine  solche  in  morphologisch  genetischer  Hinsicht,  wie 
aus  der  Beschreibung  hervorgegangen  sein  wird.  Zunächst  muss  man  von  den 
Theilen  ganz  absehen,  welche  nur  accessorisch  zur  Herstellung  der  knorpeligen 
Hirnkapsel  beitragen,  nämlich  die  Gehörorgane  und  später  zu  erwähnende 
Knorpeltheile  des  ersten  äusseren  Segments  (grosser  Flügelknorpel).  Ferner 
ist  zu  unterscheiden  zwischen  den  Theilen,  welche  schon  im  histologisch 
indifferenten  Zustande  morphologisch  bestimmte  und  selbstständige  Anlagen 
besitzen  und  solchen,  welche  sich  erst  nachträglich  durch  histologische 
Differenzirung  jenen  ersteren  anschliessen,  dieselben  gleichsam  nur  vergrössern, 
ohne  selbst  in  besonderer  Form  angelegt  gewesen  zu  sein.  Es  erhellt  aus  der 
früheren  Darstellung,  dass  in  die  erste  Kategorie  der  von  der  Wirbelsaite  und 
ihrer  äusseren  Scheide  gebildete  Axentheil  der  hinteren  Schädelbasis  und  die 
sich  daran  schliessendon  Seitenplatten  mit  dem  vorderen  und  dem  hinteren 
Bogenpaare  gehören,  welche  also  die  eigentlichen  typischen  Grundlagen  des 

24* 


372  VII.   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

Schädels  darstellen,  während  die  zur  zweiten  Kategorie  zählenden  Knorpel- 
platten ,  welche  im  Anschluss  an  das  erste  Bogenpaar  den  grössten  Theil  der 
vorderen  Hirnkapsel  und  zwischen  den  Gehörorganen  ebenso  den  grössten 
Theil  des  hinteren  Schädeldaches  bilden,  nur  als  nachträglich  ergänzende  und 
daher  dem  allgemeinen  Typus  fremde  Theile  betrachtet  werden  müssen."  Aber 
jene  Grundlagen  des  Schädels  bilden  weder  nach  ihrem  Ursprünge  (Wirbel- 
saite, Segmente,  Dotterzellen)  noch  morphologisch  ein  Ganzes,  indem,  wie 
erwähnt,  der  Axentheil  und  die  Seitenplatten  bis  in  das  spätere  Larvenleben 
hinein  unterscheidbar  bleiben,  um  dann  untereinander  und  mit  den  histiolo- 
gisch  angepassten  und  den  accessorischen  Theilen  zu  einer  einheitlichen  ana- 
tomischen Bildung,  der  knorpeligen  Schädelkapsel,  zu  verschmelzen.  —  Es 
lässt  sich  also  nicht  verkennen,  dass  wir  bei  der  Betrachtung  der  Schädel- 
bildung das  Gebiet  der  früher  bezeichneten  morphologischen  Entwickeking 
verlassen  haben,  so  sehr  auch  vom  Standpunkte  anatomischer  Betrachtung  aus 
aller  Schein  dagegen  spricht. 

Erst  nachdem  die  beschriebenen  typischen  Grundlagen  des  Schädels  in 
allen  ihren  Theilen  knorpelig  geworden  und  mit  Ausnahme  des  hinteren 
Bogenpaares ,  welches  noch  in  Gestalt  zweier  kurzer  Fortsätze  der  Seiten- 
platten erscheint,  wesentlich  fertig  ausgebildet  sind,  beginnt  die  Entwickelung 
der  knorpeligen  Piumpfwirbelsäule.  —  Wie  man  sich  erinnern  wird,  liegen 
die  dorsalen  Anlagen  anfangs  dicht  zusammengefügt;  durch  die  nachfolgende 
Abrundung  ihrer  Kanten  und  die  fassförmige  Umbildung  des  Frontaldurch- 
schnitts der  Segmente  entstehen  zwischen  jenen  Anlagen  Zwischenräume, 
welche  mit  der  allgemeinen  interstitiellen  Flüssigkeit  angefüllt  sind.  Die 
letztere  dringt  darauf  in  die  Anlagen  der  Wirbelsaite  und  des  interstitiellen 
Bildungsgewebes  (äussere  Segmentschicht,  inneres  Segmentblatt)  ein,  sammelt 
sich  aber  dort  intracellulär,  hier  intercellulär  in  ansehnlicher  Menge  an.  Die 
damit  verbundene  Anschwellung  zerstört  daher  die  morphologische  Anlage  der 
Wirbelsaite  nicht,  welche  ihren  Zusammenhang  und  im  wesentlichen  ihre  cylin- 
drische  Gestalt  behält,  d.h.  bei  ihrer  Vergrösserung  mehr  ihre  Umgebung  beein- 
flusst  als  von  ihr  in  Schranken  gehalten  wird.  Die  Zwischenzellenfiüssigkoit  des 
interstitiellen  Bildungsgewebes  ist  dagegen  in  keine  ihr  eigenthümliclien 
Grenzen  eingeschlossen,  wesshalb  ihre  Ansammlung  und  die  weitere  Ausbil- 
dung des  dadurch  erzeugten  und  durch  die  eingeschwemmten  Dotterbildungs- 
zellen fortwährend  wachsenden  interstitiellen  Bildungsgewebes  sich  nach  den 
Zwischenräumen  richten,  welche  durch  die  vorhandenen  morphologischen  An- 


VII.  Die  Wiibelsaite  und  die  Wirbelsäule.  37,'', 

lagen  bestimmt  werden.  Die  aufquellende  Wirbelsaite  findet  in  der  senk- 
rechten Richtung  anfangs  keinen  Widerstand,  da  die  seitliche  Abplattung  des 
ganzen  Körpers  die  Darmanlage  tiefer  hinabdrängt,  als  es  die  ungehinderte 
Ausbreitung  der  Wirbelsaite  bedarf  (Taf.  XIII,  XIV).  Erst  später,  wenn 
zwischen  diesen  beiden  Theilen  andere  Organanlagen  Platz  gegriffen  haben, 
platten  sich  Rückenmark  und  Wirbelsaite  an  den  gegeneinander  gedrückten 
Flächen  etwas  ab,  und  dasselbe  geschieht  auch  theilweise  an  der  Bauchseite 
der  Wirbelsaite  gegen  die  darunter  liegende  Aorta  (Taf.  XI  Fig.  198). 
Bemerkenswerther  ist  der  Einfluss  der  anschwellenden  Wirbelsaite  auf  die 
seitlich  sie  einfassenden  Segmente.  Diese  werden  von  den  konvexen  Seiten  der 
Wirbelsaite  eingedrückt,  und  daraus  erklärt  sich,  dass  dort  das  innere  Segment- 
blatt bis  auf  eine  gleich  zu  erwähnende ,  nach  der  Masse  unbedeutende  Anlage 
(Spinalnervenstamm)  zur  Herstellung  der  dünnen  äusseren  Chordascheide  ver- 
braucht wird,  sodass,  wenn  man  darauf  die  letztere  zur  Wirbelsaite  rechnet, 
diese  unmittelbar  an  die  Segmentkerne,  die  Anlagen  der  Stammuskelplatten 
anstösst.  Der  spätere  Abschluss  jener  Scheide  an  der  Ober-  und  der  Bauchseite 
der  Wirbelsaite  vollzieht  sich  unter  ähnlichen  Raumbedingungen.  Ganz  anders  ge- 
stalten sich  dieselben  für  die  oberen  Theile  des  inneren  Segmentblattes.  Indem 
das  Rückenmark  längere  Zeit  keine  wahrnehmbare  Verbreiterung  zeigt,  also 
relativ  schmäler  wird  als  die  anschwellende  und  die  Segmente  auseinander- 
drängende Wirbelsaite,  erhalten  die  das  Rückenmark  einfassenden  Abschnitte 
des  inneren  Segmentblattes  gerade  einen  grösseren  Raum  zu  ihrer  Ausbreitung 
(Taf.  XIII — XV).  Dieser  Raum  umgibt  das  Rückenmark  seitlich  in  nahezu 
gleicher  Weite ,  geht  aufwärts  ganz  unbestimmt  in  das  Gebiet  der  Membrana 
reuniens  superior  über,  und  endet  abwärts  auf  jeder  Seite  etwas  unterhalb  der 
Basalebene  des  Rückenmarks  dort,  wo  die  Berührung  desselben  mit  der  Wirbel- 
saite und  später  ihrer  äusseren  Scheide  aufhört,  und  deren  ebene  Dorsalfläche  mit 
einer  deutlichen  Kante  in  die  gebogenen  Seitenflächen  übergeht.  Dieser  Raum 
wird  nun  von  den  inneren  Segmentblättern  in  verschiedener  Weise  ausgefüllt. 
Bei  dem  fassförmigen  Frontaldurchschnitte  der  ganzen  Segmente  bilden  sie 
die  plan-konvexen  Schichten  an  deren  Innenseite,  welche  anfangs  das  Rücken- 
mark mit  ihren  Bäuchen  eindrücken,  während  dessen  relativer  Verschmäler ung 
aber  bis  zu  einer  bloss  tangentialen  Berührung  abrücken,  sodass  ihre  senk- 
rechten vorderen  und  hinteren  Ränder  an  den  Grenzeinschnürungen  je  zweier 
Segmente  vom  Rückenmarke  abstehen  und  mit  demselben  einen  freien  Raum 
einschliessen  (Taf.  VIT).     Jedes  Segmentblatt  sondert  nun  gleich  im  Anfange 


374  VII.  Diu  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

seiner  weiteren  Umbildung  aus  seinem  dicksten  mittleren  und  das  Rücken- 
mark berührenden  Theile ,  also  in  annähernd  senkrechter  Richtung  eine  platte, 
strangförmigc  Anlage  ab  {Taf.  XI  Fig.  198,  Taf.XII  Fig.  214).  Zur  Seite 
der  Wirbelsaite  ist  der  untere  dünne  Theil  dieser  Anlage,  der  spätere  Spinal- 
nervenstamm,  ausser  der  Chordascheide  das  einzige  Erzeugniss  des  inneren 
Segmentblattes.  Zur  Seite  des  Rückenmarks  füllt  die  stärkere  obere  Hälfte 
des  Stranges ,  die  Anlage  des  Spinalganglions,  den  grösseren  unteren  Theil  des 
oben  beschriebenen  Raumes  zwischen  dem  Rückenmarke  und  den  Stamm- 
muskelplatten  vollständig  aus;  und  dieses  Verhältniss  dauert  noch  längere  Zeit 
an,  indem  das  Spinalganglion  in  dem  Masse  beständig  anschwillt,  als  jener 
Raum  sich  erweitert.  Erst  mit  Berücksichtigung  aller  dieser  Raumverhältnisse, 
welchen  wesentlich  mechanische  Momente,  insbesondere  die  Anschwellung  der 
Wirbelsaite  zu  Grunde  liegen,  kann  man  eine  klare  Vorstellung  gewinnen,  in- 
welcher  Weise  die  zum  interstitiellen  Bilduugsgewebe  bestimmten  Theile  der 
inneren  Segmentblätter  von  Anfang  an  angeordnet  sind.  Sie  sind  zunächst  auf 
den  seitlichen  und  in  Verbindung  mit  der  Membrana  reuniens  superior,  welehe  ja 
theilweise  ihre  Fortsetzung  darstellt,  auf  den  oberen  Umfang  des  Rückenmarkes 
beschränkt;  abwärts  stossen  sie  auf  den  oberen  Seitentheil  der  äusseren 
Chordascheide,  welcher  zwischen  deren  Anlagerung  an  das  Rückenmark  einer- 
seits und  andererseits  an  die  Muskelplatten  für  jene  Berührung  mit  dem  inter- 
stitiellen Bildungsgewebe  allein  frei  bleibt.  Aber  nur  im  oberen  Umfange  des 
Rückenmarks  verläuft  dieses  Gewebe  kontinuirlich ;  in  seinem  unteren  Theile 
wird  es  an  jedem  Segmente  durch  die  Anlage  des  Spinalganglions  unter- 
brochen. Und  da  immer  zwischen  je  zwei  solchen  Anlagen,  wie  erwähnt, 
gleich  anfangs  ein  freier  Raum  bestand,  so  werden  gerade  dort,  also  den 
Scheidegrenzen  der  Segmente  entsprechend,  für  die  Ausbildung  des  intersti- 
tiellen Bildungsgewebes  aus  den  miteinander  verschmelzenden  inneren  Segment- 
blättern die  günstigsten  Bedingungen  geschaffen.  Die  erste  Organanlage, 
welche  in  diesem  Bilduugsgewebe  erscheint,  betrifft  nun  nicht  Theile  der  künftigen 
Wirbelsäule,  sondern  eine  besondere  Umhüllung  des  Centrainer venorgans.  Im 
unmittelbaren  Umfange  desselben  bis  zur  Wirbelsaite  hinab  entwickelt  sich 
nämlich  eine  zarte  Gefässsehiclit,  welche  an  ihrer  AussenHäche  durch  eine 
hautartige  Verdickung  und  durch  Pigmentablagerung  sich  frühzeitig  von  dem 
übrigen  Bildungsgewebe  abgrenzt  {Taf.  XI  Fig.  197. 198).  Diese  ganze  Rücken- 
markshülle endet  vorläufig  an  den  oberen  Kanten  der  Wirbelsaite  und  ihrer 
äusseren  Scheide,  d.  h.  an  der  Grenze  ihrer  innigen  Anlagerung  an  das  Rücken- 


VII.  Die  Wirbelsaite  iihd  die  Wirbelsäule.  375 

mark;  erst  später  wächst  sie  zwischen  beiden  Organen  auch  an  der  Bauchseite 
des  ersteren  zusammen.  Da  jenes  Pigment  später  die  innere  Auskleidung  der 
Dura  mater  bildet,  so  ergibt  sich  daraus,  dass  jene  erste  gefässreiche  Rücken- 
markshülle die  Anlage  der  Pia  mater  vorstellt,' zu  welcher  das  Pigment  in 
ähnlicher  Weise  gehört,  wie  das  Pigmentepithel  des  embryonalen  Auges  zur 
Netzhautanlage.  Selbstverständlich  ist  die  Anlage  der  Pia  mater  anfangs 
ebenso  wie  das  ihr  zu  Grunde  liegende  Bildungsgewebe  in  ihrer  Kontinuität  durch 
die  Spinalganglien  unterbrochen.  Bevor  nun  die  Dura  mater  sich  um  die 
erstere  anlegt,  finde  ich  die  ersten  Anzeichen  der  Wirbelbogenanlagen. 
Zwischen  je  zwei  Spinalganglien  und  nach  innen  von  den  Stellen,  wo  die  hinter 
einander  liegenden  Muskelplatten  zusammenstossen,  hat  das  die  Rückenmarks- 
hülle  umgebende  Bildungsgewebe,  wie  ich  es  eben  beschrieb,  den  ausgiebigsten 
Kaum  zu  seiner  Entwickelung.  Im  Grunde  dieser  durch  die  Spinalganglien 
getrennten  Räume  sammeln  sich  schon  in  der  ersten  Larvenperiode  die  einge- 
führten Dotterbildungszellen  in  ähnlicher  Weise  wie  bei  der  ersten  Anlage  der 

1 

Schädelbasis,  also  in  den  Zwischenräumen  des  Bildungsgewebes  zu  kleinen 
Häufchen  an,  welche  unmittelbar  den  oben  bezeichneten,  dem  Bildungsgewebe 
zunächst  allein  zugänglichen  Stellen  der  äusseren  Chordascheide  aufliegen 
1  Fig.  198).  Zuerst  unterscheiden  sich  diese  Zellenhäufchen  von  dem  übrigen 
Bildungsgewebe  nur  durch  ihre  rundlich  bleibenden  und  zusammengedrängten 
Elemente,  da  das  netzförmige  Gefüge  des  Bildungsgewebes  wenigstens  an 
Querdurchschnitten  nicht  deutlich  hervortritt,  sodass  man  wohl  zu  der  Ansicht 
geneigt  sein  könnte,  einen  wesentlichen  Unterschied  beider  Theile  überhaupt 
zu  läugnen.  Sobald  aber  die  Anhäufung  zu  einer  dichten  Aneinanderlagerung 
der  Elemente  geführt  hat,  wird  die  Intercellularsubstanz  des  Bildungsgewebes 
dort  ganz  ausgeschlossen  und  somit  eine  abweichende  histiologische  Grundlage 
geschaffen.  Diese  Abweichung  tritt  noch  klarer  hervor,  sobald  die  betreffen- 
den Zellen  zu  einer  kontinuirlichen  Grundmasse  verschmelzen,  in  welcher  die 
freigewordenen  Kerne  zerstreut  liegen  (Taf.  X  Fig.  188).  Die  auf  solche 
Weise  veränderten  und  gleich  noch  näher  zu  beschreibenden  Zellenkonglo- 
merate  sind  nun  die  Anlagen  der  Wirbelbögen,  welche  also  nach  ihrem 
Ursprünge  und  ihrer  Lage  den  Scitenplatten  der  hinteren  Schädelbasis,  nach 
ihrer  weiteren  histiologischen  Entwickelung  der  vorderen  Schädelbasis 
gleichen.  Es  sind  daher  die  Wirbelbogenanlagen,  sobald  sie  sich  überhaupt 
gesondert  haben,  von  dem  übrigen  interstitiellen  Bildungsgewebe  durchaus 
verschieden.     Sie  können  aber  auch  nicht  von  der  äusseren  Chordascheide 


376  VJ1-  Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

abgeleitet  werden  5  denn  diese  ist  von  den  noch  zelligen  Wirbelbogenanlagen 
ebenso  leicht  wie  von  den  anderen  angrenzenden  Geweben  und  Anlagen  als 
zusammenhängende,   hautartige  Schicht  zu  trennen,  und  andererseits  lagern 
sich  die  kugeligen  Dotterbildungszellen    der   frühesten  Wirbelbogenanlagen 
erst  ab,  nachdem  die  platten  Zellen  der  äusseren  Chordascheide  bereits  ver- 
schmolzen, also  zu  einer  Proliferation  überhaupt  unfähig  sind.     Erst  dann, 
wenn  diese  Veränderung  auch  in  den  Wirbelbogenanlagen  eingetreten  ist ,  ver- 
binden sie  sich  in  dem  Masse,  als  ihr  Zusammenhang  mit  dem  Bildungsgewebe 
abnimmt,  ziemlich  fest  mit  der  äusseren  Chordascheide.     Aber  selbst  nach 
diesem  Zeitpunkte  lassen  sich  beide  Theile,  welche  alsdann  eine  kontinuirliche 
Masse  zu  bilden  scheinen,  an  gewissen  Merkmalen  auch  weiterhin  unterscheiden. 
Doch  sind  gute  Querdurchschnitte  aus  der  vorgeschrittenen  zweiten  Larven- 
periode schwer  auszuführen  und  auch  sonst  für  die  vollständige  Erkenntniss 
der  Wirbelbogenanlagen  nicht  mehr  geeignet,  da  die  ursprüngliche  Regel- 
nlässigkeit aller  Grenzen  durch  die  mannigfaltigsten  Verschiebungen  gestört 
und  in  Folge    dessen    die  Konstruktion  plastischer  Bilder   aus  den  ebenen 
Schnitten  erschwert  ist.     Dagegen  gelingt  die  vollständige  Präparation  der 
ganzen  embryonalen  Wirbelsäule  zu  der  angegebenen  Zeit  ohne  alle  Mühe, 
worauf  man  an  glücklichen  Präparaten  die  jüngsten  Stufen  der  vollkommen 
gesonderten  Wirbelbogenanlagen  zur  Ansicht  bekommt*  (Taf.  XFig.  188. 18Ü). 
Die  von  ihrer  äusseren  Scheide  umkleidete  Wirbelsaite  trägt  seitlich  von  der 
abgeplatteten  Oberseite  eine  Reihe  flacher  Anschwellungen,  welche,  wie  es 
leicht  festzustellen  ist,  an  den  Grenzen  der  Muskelplatten  liegen,  und  deren 
Zwischenräume  von  den  Ganglien  ausgefüllt  werden.     Jene  Anschwellungen 
oder  die  Wirbelbogenanlagen  sind  anfangs  ganz  flach  und  in  der  Längsrichtung 
des  Körpers  ausgedehnter  als  in  der  Querrichtung,  sodass,  wenn  man  sich  die  auf 
einer  Seite  hinter  einander  liegenden  verbunden  denkt ,  sie  einer  fortlaufenden, 
regelmässig  ausgeschweiften  niedrigen  Leiste  gleichen   würden.     Erst  etwas 
später  wächst  ihr  Mittelstück  aus  der  leistenförmigen  Basis  als  warzenförmige 
Erhabenheit  hervor,  worauf  die  ganzen  Anlagen  der  gewöhnlichen  Vorstellung 


*  Es  ist  mir  nicht  möglich  das  betreffende  Entwickelungsstadium  durch  besondere 
äussere  Merkmale  der  Larve  genau  zu  bezeichnen.  Wenn  man  jedoch  eine  Anzahl  von 
Larven,  deren  hintere  Gliedmassen  eben  walzenförmig  hervorgewachsen  sind,  in  verschie- 
denen Grössen  zusammensucht,  so  wird  sich  an  der  eiuen  oder  anderen  die  gewünschte 
Entwickelungsstufe  der  Wirbelsaule  ohne  grosse  Mühe  linden  lassen. 


VII.  Dio  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  377 

von  Wirbelbogenanlagen  eher  entsprechen.  Von  der  äusseren  Chordascheide, 
welcher  sie  fest  aufsitzen,  unterscheiden  sie  sich  durch  ihre  zahlreicheren, 
rundlichen  und  nicht  abgeplatteten  Kerne,  welche  daher  dunkler  und  deutlicher 
erscheinen  als  diejenigen  der  ersteren,  welche  in  Folge  ihrer  Abplattung  so 
blass  sind,  dass  sie  ohne  künstliche  Färbung  kaum  zur  Anschauung  zu  bringen 
sind.  Die  freie  Oberfläche  der  warzenförmigen  Wirbelbogenanlagen  trennt  sich 
ganz  glatt  vom  umgebenden  Bildungsgewebe,  sodass  die  homogene  Grundmasse 
derselben,  in  welcher  zudem  die  Leiber  der  künftigen  Knorpelzellen  und  deren 
Intercellularsubstanz  gemeinsam  enthalten  sind,  schon  in  jener  beständigen 
Sonderung  einen  von  der  Zwischenzellenllüssigkeit  des  Bildungsgewebes  ver- 
schiedenen Ursprung  andeutet.  In  der  Aussenschicht  unserer  Anlagen  finde 
ich  ferner  spindelförmige  Kerne,  und  aus  den  folgenden  Entwicklungsstufen 
ist  es  mir  wahrscheinlich  geworden,  dass  diese  Schicht  zum  Perichondrium 
wird.  —  Noch  während  die  Wirbelbogenanlagen  warzenförmig  erscheinen, 
beginnt  ihre  Umwandlung  in  Knorpel  ganz  in  derselben  Weise,  wie  ich  es 
bereits  von  der  vorderen  Schädelbasis  beschrieb1;  daher  verweise  ich  dafür 
lediglich  auf  die  Abbildungen  (Taf.  X  Fig.  189. 190).  Diese  Knorpelbildimg  be- 
schränkt sich  während  längerer  Zeit  durchaus  auf  die  Wirbelbogenanlagen, 
während  die  äussere  Chordasciieide  ihre  nichtzellige  Beschaffenheit  zunächst 
behält,  sodass  die  allgemeine  histiologische  Uebereinstimmung  beider  genetisch 
verschiedenen  Theile  —  freie  Kerne  in  einer  homogenen  Grundmasse' —  nach 
kurzem  Bestände  wieder  einer  wesentlichen  Verschiedenheit  weicht.  Und  da 
selbst  nach  der  relativ  späten  Verknorpelung  der. Chordascheide  unter  der 
Wurzel  der  Wirbelbögen  gewisse  Unterschiede  der  Interkapsularsubstanz  be- 
stehen bleiben  und  dadurch  die  fortgesetzte  Unterscheidung  beider  Skelet- 
anlagen  ermöglichen,  kann  ich  ihre  weitere  Entwickelung  ganz  getrennt 
betrachten. 

Für  die  Wirbelbogenanlagen  ist  noch  nachträglich  zu  bemerken ,  dass  sie 
nicht  etwa  alle  gleichzeitig  entstehen  und  sich  fortbilden,  sondern  in  der  für 
alle  dorsalen  Bildungen  massgebenden  Reihenfolge,  also  die  vorderen  früher 
und  schneller  als  die  hinteren  und  die  paarig  zusammengehörigen  gleichzeitig. 
Doch  sind  einzelne  Abweichungen  von  dieser  Kegel  nicht  selten  und  namentlich 
korrespondiren  die  beiden  Seiten  häufig  nicht  miteinander.  —  Sobald  die 
warzenförmigen  Anlagen  knorpelig  geworden,  wachsen  sie  aufwärts  zu 
schlanken  Spangen  aus ,  welche  der  häutigen  Röhre  der  Rückenmarkshüllen 
sich  dicht  anschmiegend  nach  innen  konkave  Bögen  beschreiben.     Da  sie  der 


378  Yn-  Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

Grenze  je  zweier  Muskelplatten  entsprechend  entstanden  und  auch  bei  ihrem 
weiteren  Wachsthume  dieser  Grenze  folgen,  so  biegen  sie  gleich  dieser  in  der 
Höhe  der  Oberseite  jener  von  ihnen  umschlossenen  Röhre  nach  hinten  um  und 
legen  sich  mit  ihrer  Spitze  an  die  nächstfolgende  Spange  an,  sodass  nun  je 
zwei  derselben  ein  Spinalganglion  umkreisen  {Taf.IXFig.171.  172.177.  170, 
Taf.  X  VIII  Fig.  326.  327).  An  den  Berührungsstellen  der  bogenförmigen 
Knorpelspangen  bilden  sich  die  beiderseitigen  Gelenk fortsätze  aus,  und 
erst  von  der  Ursprungsstelle  seines  hinteren  Gelenkfortsatzes  aus  wächst  jeder 
Bogen  quer  über  den  häutigen  Rückenmarkskahal  der  Dura  mater  dem 
entsprechenden  Stücke  der  anderen  Seite  entgegen,  um  sich  mit  ihm  zu  dem 
vollständigen  Wirbelbogen  zu  vereinigen.  Ein  solcher  entsteht  also  nicht  aus 
zwei,  von  der  Wirbelsaite  her  das  Rückenmark  in  einer  und  derselben  Quer- 
ebene umwachsenden  Hälften,  um  mit  den  benachbarten  Wirbelbögen  erst 
durch  frei  hervorwachsende  Gelenkfortsätze  verbunden  zu  werden;  sondern 
diese  Verbindung  wird  von  den  ursprünglichen  Bogenhälften  selbst  durch  jene 
rückwärts  gerichtete  Biegung  ausgeführt,  sodass  die  bereits  vollzogene 
Anlagerung  jeder  Bogenhälfte  an  die  ihm  nächste  Stelle  des  dahinter  liegenden 
Bogens  erst  die  Bildung  besonderer  Gelenkfortsätze  hervorruft.  In  Folge 
dieser  Bogenbildung  kann  an  senkrechten  Querdurchschnitten  natürlich  niemals 
der  ganze  Wirbelbogen,  sondern  abwechselnd  nur  das  Paar  seiner  aufstrebenden 
Seitentheile  oder  nur  das  sie  verbindende  obere  Schlussstück  zur  Erscheinung 
kommen. 

In  der  eben  beschriebenen  Weise  entwickeln  sich  vom  Schädel  angefangen 
neue  Wirbelb« »genpaare,  hinter  diesen  aber  noch  zwei,  deren  Bildung  etwas 
einfacherist  {Taf.  XVIII  Fig.  326.  327).  Am  zehnten  Bogenpaare  habe  ich 
allerdings  die  seitliche  Bogenbildung  noch  beobachtet,  doch  kommen  dort 
hintere  Gelenkfurtsätze  nicht  zur  Entwicklung;  ob  aber  statt  dessen  die  sich 
berührenden  Knorpelbögen  verschmelzen  oder  sich  trennen,  um  später  durch 
eine  noch  zu  erwähnende  Knochenbildung  wieder  verbunden  zu  werden,  habe 
ich  nicht  ermitteln  können.  Am  eilften  Wirbelbogenpaare  entwickeln  sich 
nicht  einmal  mein'  die  Anlagen  der  Gelenkfortsätze;  doch  schliesst  es  sich  oben 
zu  einem  vollständigen  Wirbelbogen  ab  {Taf.  XI  Fig.  196,  Taf. XIX Fig. 346). 
Diese  beiden  Wirbelbögen  sind  aber  erheblich  niedriger  als  die  übrigen,  da 
nicht  nur  ihre  Scheitel  unter  die  Höhe  jener  hinabsinken,  sondern  zugleich  ihre 
Basis  nach  hinten  zu  ansteigt.  Hinter  dem  eilften  Wirbelbogen  erscheint  noch 
ein  Paar  Knorpelleisten,  welche  die  Gestalt  der  allerersten  Wirbelbogenanlagen 


VII,   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  379 

bleibend  behalten  und  da  ich  sie  über  das  nächstfolgende  zwölfte  Spinalnerven- 
paar hinaus  sich  nicht  erstrecken  sah,  als  ein  rudimentäres  zwölftes  Paar 
knorpeliger  Wirbelbögen  angesehen  werden  dürfen.  Die  Wirbelsäule  der 
Unkenlarven  besitzt  also  eilf  vollständige  und  einen  rudimentären  knorpeligen 
Wirbelbogen. 

Wie  bereits  frühere  Untersuchungen  festgestellt  haben ,  beginnt  die  Ver- 
knöcherung  der  Wirbelbügen  mit  der  Bildung  einer  oberflächlichen  Faser- 
knochenschicht, welche  aus  dem  Perichondrium  entsteht  und  daher  die 
Knorpelspangen  wie  eine  Rinde  überzieht.  Ich  habe  es  schon  als  wahrschein- 
lich ausgesprochen,  dass  das  Perichondrium  zur  ursprünglichen  Wirbelbogen- 
anlage  gehört;  daher  kann  ich  auch  den  Faserknochen  in  seiner  ersten  Anlage 
nicht  als  eine  nachträgliche  Anlagerung  betrachten.  Doch  schliessen  sich 
spater  unzweifelhaft  Zellen  aus  dem  umgebenden  Bildungsgewebe  dem  Peri- 
chondrium und  Faserknochen  an,  um  dieselben  zu  verstärken  und  wie  ich  gleich 
zeigen  werde,  über  den  Bereich  der  knorpeligen  Unterlage  fortzusetzen.  Dieser 
Faserknochen  entwickelt  sich  in  der  Weise,  dass  zuerst  die  die  Zellen  ein- 
schliessende  Grundmasse  glasartig  erhärtet ,  ohne  körnige  Kalkablagerungen 
erkennen  zu  lassen ;  darauf  werden  erst  die  anfangs  platten  oder  länglichen 
Zellen,  wie  es  scheint  durch  eine  Art  von  Schrumpfung,  zu  den  zackigen  Formen 
der  Knochenkörperchen  umgebildet.  Diese  Knochenrinde  überzieht  aber  nicht  den 
ganzen  Wirbelbogen,  sondern  hört  zu  beiden  Seiten  der  Medianlinie  des  oberen 
Schlusses  auf,  sodass  dort  der  Knorpel  in  einem  schmalen,  rückwärts  sich  etwas 
verbreiternden  und  vorspringenden  Streifen  offen  zu  Tage  liegt  (Taf.  XIX  Fig. 
346).  Dieses  Knorpelstück  erhält  sich  länger  unverändert  als  der  vom  Faser- 
knochen bedeckte  Knorpel,  welcher  einige  Zeit  nach  der  Metamorphose  sich  in 
Knochen  umzuwandeln  beginnt.  Später  erhält  es  einen  eigenen  Knochenkern. 
—  Soweit  nun  die  Wirbelbögen  die  Spinalganglien  gleichsam  einrahmen ,  also 
an  ihren  aufsteigenden  Wurzelstücken  und  am  äusseren  und  unteren  Umfange 
ihrer  rückwärts  gewandten,  horizontalen  Abschnitte,  bildet  der  Faserknochen 
eine  nach  allen  Seiten  kontinuirlich  abgeschlossene  Hülse  um  jede  Knorpel- 
spange.^  Anders  verhält  es  sich  aber  an  den  übrigen  Th eilen  der  Wirbelbögen. 
Zwischen  den  horizontalen  Seitentheilen,  welche  vorn  und  hinten  in  die  Gelenk- 
fortsätze auslaufen,  und  der  sie  verbindenden  queren  Spange  umfasst  jeder 
Wirbelbogen  einen  Raum,  welcher  von  dem  davor  liegenden  queren  Bogen- 
stücke  zu  einem  annähernd  halbmondförmigen  abgeschlossen  wird.  In  diesem 
Raumeist  eine  derbe,  bindegewebige  Membran  ausgespannt,  welche  auf  Durch- 


380  VII.  Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

schnitten  als  eine  vun  den  Rändern  der  umgebenden  Knorpelbögen  entspringende 
unmittelbare  Fortsetzung  des  Faserknochens  sich  darstellt  {Taf.  IX  Fig.  171. 
177,  Taf.  XI  Fig.  196).  Sie  schliesst  sich  der  Dura  mater  ebenso  fest  an  wie 
die  Wirbelbögen  und  verbindet  dieselben  zu  einem  kontinuirlichen  Gewölbe, 
welches  von  den  aufsteigenden  Wurzelstücken  wie  von  Säulen  getragen  wird. 
In  diesem  Gewölbe,  welches  mit  seinen  Seitenstützen  und  der  sie  tragenden 
festen  Unterlage  (Wirbelkörper)  den  weichen  Rückenmarkshäuten  'erst  den 
erforderlichen  Halt  verleiht,  sind  die  knorpeligen  queren  Wirbelbogenstücke 
und  die  zwischen  ihnen  ausgespannten  sehnigen  Membranen  oder  die  Zwischen  - 
bogenbänder  noch  an  ganz  jungen  Unken  von  gleicher  Ausdehnung, 
während  später  die  Bänder  bedeutend  verkürzt,  die  Wirbelbögen  beinahe  bis 
zur  Berührung  einander  genähert  erscheinen  {Taf.  XIX  Fig.  346).  Dieser 
scheinbar  unwesentlichen  Veränderung  liegen  aber  nicht  die  gewöhnlichen 
Wachsthumsvorgänge  zu  Grunde,  sondern  sie  wird  hervorgerufen  durch  eine 
nachträgliche  Verknöcherung  jener  Zwischenbogenbänder,  soweit  sie  die  nach 
hinten  gerichtete  Ausbiegung  jedes  Wirbelbogens  ausfüllen.  Dieser  neugebildete 
Knochen,  welcher  am  vorderen  Rande  einen  medianen  Einschnitt  zeigt,  ver- 
wächst vollständig  mit  dem  ihn  umfassenden  ursprünglichen  Wirbelbogen, 
welcher  dadurch  in  seinem  oberen  Schlussstücke  nach  vorn  um  das  Doppelte 
verbreitert  wird  und  ferner  seine  Ausbiegung  verliert,  sodass  sein  ganzer  Ver- 
lauf nunmehr  anders  als  in  cler  Larve  in  eine  Querebene  fällt*.  Jeder  Wirbel- 
bögen eines  älteren  Thieres  besteht  also  aus  zwei  genetisch  gesonderten  An- 
lagen, eine  Thatsache,  welche  sich  vielleicht  auch  bei  anderen  Wirbelthieren 
mit  breiten  Wirbelbögen  nachweisen  Messe.  —  Ueber  die  Unibildung  des 
Knorpels  in  Knochensubstanz  führe  ich  hier  nichts  an,  weil  dieser  Vorgang 
einer  relativ  späten  Lebenszeit  unseres  Thieres  angehört  und  ferner  auf  d;is 
rein  histiologische  Gebiet  beschränkt  mit  keiner  Formumbildung  der  betreffen- 
den Skelettheile  zusammenhängt.  Dagegen  ist  an  den  Wirbelbögen  noch 
einer  wichtigen  Neubildung  zu  gedenken,  nämlich  der  Entwicklung  der  queren 
Fortsätze. 

An  der  Stelle,    wo  die   Wirbelbögen   nach   hinten    umbiegen,    wachsen 


*  "Wenn  man  an  einer  solchen  Wirbelsäule  die  in  der  Verknöcherung  begriffenen 
knorpeligen  Theile  durch  Kupfervitriol  grün  färbt,  treten  sie  schon  bei  auffallendem  Lichte 
deutlich  hervor,  indem  die  sie  einfassenden  und  sieh  nicht  färbenden  Faserknochentheile 
durch  das  unterliegende  Pigment  der  Rückenmarkshüllen  dunkel  erscheinen  {Fig.  31G). 


Vir.   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  381 

knorpelige  Fortsätze  aus  ihnen  heraus  und  quer  zwischen  je  zwei  aus  den  Seg- 
menten hervorgegangene  Muskelbündel  hinein ,  wobei  ihnen  der  Weg  durch 
eine  Theilung  der  Muskelplatten  in  je  eine  obere  und  eine  untere  Masse  vorge- 
zeichnet wird  {Taf.  XVIII  Fig.  326.  327,  Taf.  XIX  Fig.  338).  Diese  soge- 
nannten Querfortsätze  der  Wirbel  liegen  also  in  den  Linien,  in  denen  sich 
die  bindegewebigen  Schichten  schneiden ,  welche  die  Muskelmasse  der  Wirbel- 
säule theils  quer,  den  Segmenten  entsprechend,  theils  horizontal  in  zwei  über 
einander  liegende  Hälften  theilen;  auf  diese  Weise  bilden  die  Querfortsätze  die 
Stützen  dieses  Bindegewebsgerüstes ,  ohne  jedoch  Differenzirungsprodukte 
desselben  zu  sein,  da  sie  deutlich  nachweisbar  von  den  Wirbelbögen  auswachsen. 
Diejenigen  des  2. — 4.  Wirbelbogenpaares  entwickeln  sich  erst,  nachdem  die 
seitlichen  Bögen  ganz  vollendet  sind,  die  übrigen  noch  später.  Der  erste  und 
der  eilfte  Wirbel  sind  hiervon  ausgeschlossen ;  doch  habe  ich  ausnahmsweise 
auch  an  dem  letzteren  Querfortsätze  gefunden.  Diese  Fortsätze  sind  lateral- 
wärts  mehr  oder  weniger  horizontal  abgeplattet  und  verbreitert;  und  sobald 
sie  eine  gewisse  Länge  erreicht  haben,  erkennt  man  an  ihnen  eine  Theilung  in 
ein  kürzeres  Wurzelstück  und  ein  längeres  Aussenglied,  indem  die  Zellen- 
masso  in  einer  zur  Länge  des  Fortsatzes  queren,  scheibenförmigen  Schicht 
weicher  bleibt  und  die  Zellen  länglich  werden  {Taf.  X  Fig.  192).  Es  ist  die 
selbe  histologische  Umbildung,  durch  welche  die  Entwickelung  der  Zwischen- 
wirbelgelenke in  den  später  zu  erwähnenden  Intervertebralwülsten  eingeleitet 
wird;  und  indem  dadurch  in  einigen  der  queren  Wirbelfortsätze  noch  lange 
nach  eingetretener  Verknöcherung  eine  gewisse  Beweglichkeit  an  jener  Stelle 
erhalten  bleibt,  stehe  ich  nicht  an,  dieselbe  für  ein  rudimentäres  Gelenk  zu 
erklären.  Im  allgemeinen  ist  diese  Entwickelung  allen  queren  Wirbelfortsätzen 
gemeinsam;  das  Mass  ihrer  Ausbildung  wechselt  aber  nicht  unerheblich  in  den 
verschiedenen  Wirbeln  {Taf.  XIX  Fig.  340).  Die  drei  ersten  Fortsätze  (2. — 4. 
Wirbel)  sind  gleich  gebildet,  ziemlich  platt  und  breit,  am  Gelenke  verdickt; 
der  zweite  derselben  (dritter  Wirbel)  ist  der  längste  und  lässt  daher  die  Einzel- 
heiten am  bequemsten  übersehen.  Sein  Aussenglied  ist  am  Gelenke  sehr  dick, 
nach  aussen  davon  aber  an  der  Oberseite  stark  ausgeschweift ,  sodass  es  einen 
besonderen  Gelenktheil  mit  leicht  konkaver  Gelenkfläche  besitzt.  Das  laterale 
Ende  ist  namentlich  rückwärts  hakenförmig  verbreitert,  und  diese  hintere 
Spitze  nähert  sich  dem  entsprechenden  Theile  des  folgenden  Wirbels  oft  nicht 
unbeträchtlich,  Die  Verknöcherung  unseres  Fortsatzes  beginnt  ebenfalls  mit 
einer  Faserknochenrinde,  welche  am  Wurzelstücke  eine  einfache  Fortsetzung 


3g2  VIT.   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

vom  Wirbelbogen  her  und  am  Gelenkwulste  unterbrochen  ist,  um  am  Aussen- 
gliede  sich  auf  den  mittleren  Abschnitt  zwischen  dem  Gelenktheile  und  dem 
breiten  Ende  zu  beschränken.  .Die  Verknöcherung  des  inneren  Knorpels  geht 
dem  entsprechend  von  zwei  durch  das  Gelenk  getrennten  Ossifikationspunkten 
im  Wurzelstücke  und  im  Aussengliede  aus,  sodass  die  ganze  Gelenkpartie  und 
das  laterale  Ende  des  Aussengliedes  noch  in  vollständig  entwickelten  Unken 
knorpelig  erscheinen.  In  älteren  Thieren  verknöchert  endlich  auch  die  erstere, 
lässt  sich  jedoch  noch  lange  in  einem  queren  Wulste  oder  Höcker  etwa  in  der 
Mitte  des  ganzen  Fortsatzes,  wesentlich  dem  Gelenktheile  des  Aussengliedes, 
wieder  erkennen;  das  freie  Ende  des  letzteren  verknöchert  aber  niemals, 
sondern  bleibt  durch  das  ganze  Leben  knorpelig.  Aehnlich,  nur  bei  etwas 
geringeren  Massen,  sind  die  Verhältnisse  des  ersten  und  dritten  Fortsatzes. 
Die  folgenden  vier  Fortsätze  (5. — 8.  Wirbel)  sind  viel  schmächtiger  und  kürzer 
als  der  zweite,  und  ihre  Gelenke  schwinden  viel  früher,  wogegen  die  knorpeligen 
Enden  sich  ebenfalls  dauernd  erhalten.  Diese  Fortsätze  sind  in  Ueberein- 
stimmung  mit  den  Verschiebungen  der  queren  Muskelgrenzen  mehr  oder 
weniger  bogenförmig  nach  vorn  gerichtet  {vgl.  Taf.  XIX  Fig.  343).  Derselbe 
Verlauf  und  Erfolg  der  Verknöcherung  wie  bei  ihnen  findet  sich  auch  am 
achten  und  neunten  Fortsatze  (9.  und  10.  Wirbel),  welche  nur  in  ihrer  Gestalt 
auffällig  abweichen.  Der  quere  Fortsatz  des  neunten  Wirbels  ist  bei  der  Unke 
bekanntlich  in  seinem  lateralen  Theile  beilförmig  verbreitert  und  ansehnlich 
grösser  als  alle  übrigen,  sodass  sein  knorpeliges  Ende  einen  langen  Saum 
bildet.  Der  letzte  Fortsatz  endlich  ist  nicht  immer  rudimentär  entwickelt ;  an 
der  von  mir  abgebildeten  Wirbelsäule  eines  beinahe  erwachsenen  Thieres  ist 
er  auf  der  rechten  Seite  ebenso  lang  und  nur  schmäler  als  der  vorangehende, 
sodass  die  Knorpelsäume  beider  zu  einer  kontinuirlichen  Platte  verschmolzen 
sind.  Ob  darin  eine  seltene  Ausnahme  oder  ein  häufigeres  Vorkommen  zu 
sehen  ist,  habe  ich  festzustellen  versäumt;  jedenfalls  lässt  ein  solcher  Befund 
vermuthen,  dass  auch  an  anderen,  namentlich  den  vorderen  Fortsätzen,  deren 
Knorpelenden  ich  bisweilen  einander  sehr  genähert  antraf,  dieselben  gelegent- 
lich verschmelzen.  —  Damit  schliesse  ich  die  Entwickelungsgeschichte  der 
Wirbelbögen,  der  lateralen  paarigen  Grundlagen  der  Wirbelsäule  und  wende 
mich  zu  dem  unpaaren,  axialen  und  zugleich  ursprünglicheren  Theile  der 
Wirbelsaite  und  ihrer  äusseren  Scheide. 

Solange  die  knorpeligen  Wirbelbögen  noch  wenig  entwickelt  sind,  bleibt 
die  äussere  Chordascheide,  der  sie  mit  ihren  länglichen  Basen  an  der  oberen 


VII.  Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  333 

Seitenlinie  aufsitzen,  in  dem  schon  früher  beschriebenen,  im  ganzen  Umfange 
der  Wirbelsaite  gleichförmigen  Zustande.    Ohngefähr  zur  Zeit,  wenn  die  Quer- 
fortsätze sich  entwickeln,  hört  der  indifferente  Zustand  auf.    Zunächst  verdickt 
sich  die  ganze  Oberseite  der  äusseren  Chordascheide  unter  Vermehrung  sowohl 
der  Grundsubstanz  wie  der  Kerne  zu  einer  festeren  Unterlage  für  die  Wirbel- 
bögen, während  ihre  Bauch-  und  Seitentheile  unverändert  bleiben  {Taf.  IX 
Fig.  171.  172).     Sehr  bald  beginnt  jene  verdickte  Oberseite  sich  in  Knorpel- 
substanz zu  verwandeln  und  zwar  in  der  Weise,  wie  ich  es  für  die  Knorpel- 
bildimg mit  reichlicher,  ursprünglicher  Interkapsularsubstanz  beschrieb,  was 
sich  also  auch  auf  die  Chordascheide  in  der  Schädelbasis  bezieht.     Aber  so 
wenig  jene  Verdickung  eine  ebene  Platte  darstellt,  so  wenig  ist  auch  die 
Knorpelbildung  in  derselben  eine  nach  Form,  Ausbildung  und  Aenderung  der 
Zellen  fortlaufend  gleichförmige.     Da  die  ursprüngliche,  leistenförmige  Basis 
an  jedem  Wirbelbogen  bestehen  bleibt,  so  wird  die  äussere  Chordasciieide  nur 
in  der  Mitte  zwischen  zwei  Wirbelbogenpaaren,  wo  deren  Basen  aufhören,  in 
ihrem,  ganzen  Umfange  frei  daliegen;    an  diesen  schmalen    Stellen   ist  ihr 
Durchschnitt  siegelringförmig.     Im  Bereiche  der  Wirbelbogenbasen  wird  aber 
ihre  obere  Platte,  da  sie  viel  schwächer  ist  als  jene,  von  ihnen  zu  beiden  Seiten 
eingedrückt,  und  ihre  Masse  daher  gegen  die  Mitte  zusammengedrängt.     Und 
zwar  beschränkt  sich  dieser  Druck  nicht  bloss  darauf,  dass  die  mit  der  noch 
unveränderten  Chordascheide  verwachsenen  Wirbelbogenbasen  deren  spätere 
Entwickelung  von  Anfang  an  beeinträchtigen ;  sondern  indem  sie  sich  in  der 
Folge  medianwärts  verdicken  und  konvexe  Anlagerungsflächen  erhalten ,  wird 
die   zwischenliegende  Masse    der  Chordascheide    thatsächlich   zusammenge- 
drückt, sodass  sie  sogar  in  der  Mitte  etwas  unter  das  Niveau  der  Wirbel- 
bogenwurzeln  einsinkt  {Taf.  IX  Fig.  177,  Taf.  X  Fig.  192).  Diese  Auffassung 
wird  wesentlich  unterstützt  durch  die  Bilder  der  Mediandurchschnitte  {Taf.  IX 
Fig.  164).     Aus  diesen  ergibt  sich,  dass  jene  freien  intervertebralen,  d.h.  an 
der  Scheidegrenze  zweier  künftigen  Wirbel  gelegenen  und  beiden  gemeinsam 
angehörigen  Abschnitte  der  Chordascheide  anfangs  mitsammt  der  Wirbelsaitc 
quer  nach  oben  ausgebogen  sind ,  sodass  die  Ptückenlinie  beider  Theile  feston- 
artig  verläuft,  in  den  vertebralen  Abschnitten  sich  einsenkt,  in  den  interverte- 
bralen aber  zu  einer  Spitze  erhebt.      Die  aus  diesen  Durchschnittsbildern 
erschlossene  plastische  Form  des  axialen  Haupttheils   der  künftigen  Wirbel- 
körper  ist  also  auch  bei  unserem  Thiere,   wenigstens  im  oberen  Theile,   die 
sogenannte  doppelkegelförmige,    wTelche    ich  mir  eben  dadurch  entstanden 


384  VII.   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

denke,  dass  die  vertebralen  Abschnitte  durch  die  Wirbelbogenbasen  zusammen- 
gedrückt und  in  Folge  dessen  die  zugehörigen  intervertebralen  Theile  in  quere 
Erweiterungen  hervorgedrängt  werden.  Und  der  weitere  Verlauf  der  Entwicke- 
lung  verleiht  der  Annahme  dieser  Formbedingungen  noch  einen  Anhaltspunkt, 
indem  die  unbehinderten  intervertebralen  Abschnitte  der  Chordasciieide  gegen- 
über den  zwischen  den  Wirbelbogenbasen  eingezwängten  vertebralen  ein  auf- 
fallend überwiegendes  Wachsthum  zeigen,  und  zwar  in  Uebereinstimmung  mit 
den  vorausgesetzten  Ursachen  in  querer  Richtung.  An  diesen  intervertebralen 
Stücken  der  äusseren  Chordascheide  kommt  zunächst  ebenso  wie  an  den  verte- 
bralen nur  die  dorsale,  verdickte  Platte  in  Betracht,  welche  dem  Quer- 
durchschnitte wie  erwähnt  die  Form  eines  Siegelrings  verleiht.  Ihre  starke 
Wucherung  äussert  sich  darin,  dass  sie  sehr  bald  nicht  nur  den  von  der 
Erweiterung  der  Wirbelsaite  eingenommenen  Raum  jener  dachförmigen  Aus- 
biegung ausfüllt,  sondern  darüber  hinaus  zu  einem  nach  innen  vorragenden 
queren  Wulste  sich  entwickelt,  dessen  fortdauernde  Anschwellung  die  vorher 
weitesten  intervertebralen  Stellen  der  Wirbelsaitc  immer  mehr  von  oben  her 
zusammendrückt  und  abplattet  (Taf.  IX  Fig.  104 — 100.  178).  Diese  nach 
oben  und  unten  (aussen  und  innen)  vorragenden  intervertebralen  Scheidentheile, 
die  Intervertebralwülste,  sind  aber  auch  histiologisch  von  den  verte- 
bralen in  einer  Weise  unterschieden,  dass  daraus  noch  weitere  Belege  für.  meine 
Auffassung  ihrer  Formbedingungen  geschöpft  werden  können  (Taf.  IX, X 
Fig.  191 — 193).  In  den  vertebralen  Abschnitten  wird  die  dorsale  Platte  der 
äusseren  Chordascheide  sehr  bald  vollkommen  knorpelig;  die  Merkmale  aber, 
welche  si<>  zu  jeder  Zeit  sehr  deutlich  von  den  aufsitzenden  Wirbelbogenbasen 
unterscheiden ,  sind  die  zur  Wirbelsaite  koncentrische  Anordnung  ihrer  Zellen 
und  das  Aussehen  der  Interkapsularsubstanz ,  welche  dunkler  erscheint  und 
sich  intensiver  färben  lässt  als  in  dem  angrenzenden  älteren  Knorpel.  Ausser- 
dem wachsen  diese  knorpeligen  vertebralen  Theile  der  Chordascheide  kaum 
merklich  und  erhalten  sehr  frühzeitig  Kalkablagerungen.  Unter  den  schräg 
aufsitzenden  Wirbelbogenbasen  verdünnen  sie  sich  lateralwärts,  um  darauf  die 
Seiten  und  die  Bauchfläche  der  Wirbelsaite  in  dem  unveränderten  früheren 
Zustande  als  nichtzellige ,  hautartige  Schicht  zu  umgeben.  Viel  später  als  in 
den  eben  beschriebenen  Platten,  den  eigentlichen  Kernen  der  künftigen 
Wirbelkörper,  erscheinen  jene  histiologischen  Umbildungen  in  den  Inter- 
vertebralwülsten,  welche  ich  daher  nicht  ohne  weiteres  Intetvertebralknorpel 
nennen  möchte.      Schon   in   ihrer  eisten,  dachförmig  ausgebogeneu    Anlage 


VII.   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  385 

vermehren  sich  die  freien  Korne  in  der  weichen  Grundmasse  ansehnlich  und 
strecken  sich  zugleich  quer  zur  Körperaxe.     In  Uebereinstimmung  mit  der 
Wucherung  der  ganzen  Wülste  steigert  sich  die  Vermehrung  der  verlängerten 
Kerne  gegen  die  ideale  Grenze  zweier  Wirbel;  dort  bilden  sie  lange  Zeit  eine 
dunkele  Scheidewand,  welche  den  Intervertebralwulst  in  seiner  Mitte  quer 
durchsetzt.     Vor  und  hinter  dieser  Scheidewand ,  also  gegen  die  anstossenden 
vertebralen  Knorpelplatten  nimmt  die  Anhäufung   der  Kerne  allmählich  ab, 
d.  h.  sie  treten  weiter  auseinander,  wobei  sie  ihre  längliche  Gestalt  und  quere 
Lage  verlieren.     Dort  beginnt  auch  die  Knorpelbildimg,  welche  wie  überall 
im  entstehenden  Knorpel  durch  massig  breite  helle  Säume  um  die  freien  Kerne 
eingeleitet  wird,  zuallererst,  um  erst  später  und  allmählich  gegen  die  mittlere 
Scheidewand  des  Intervertebralwulstes  vorzudringen.     Selbstverständlich  wird 
durch  das  Auseinanderrücken  der  Zellen  eine  Vergrösserung  der  zur  Knorpel- 
bildimg vorbereiteten  Masse  herbeigeführt,  welche  darauf  an  die  oben  bezeichne- 
ten vertebralen  Thcile  der  anstossenden  Wirbelkörper   sich  anschliesst  und 
dadurch  eine  Längenzunahme  derselben  bedingt.     Die  vorderen  und  hinteren 
Hälften  der  Intervertebralwülste  stellen  also  die  Epiphysen  der  Wirbelkörper 
dar,  welche,  wie  schon  Gegenbaur  nachwies,  das  Längenwachsthum  derselben 
wesentlich  besorgen.     Dies  wird  aber  erst  vollständig  deutlich,  wenn  man  sich 
die  Bedeutung  der  Verschiedenheit  in  den  geschilderten  histiologischen  Zu- 
ständen vergegenwärtigt.     Wenn  es  unserer  Ueberlegung  natürlich  erscheinen 
möchte,  dass  überhaupt  kein  Gewebe  in  selbstthätig  und  stark  wuchernden, 
sondern  nur  in  relativ  zur  Ruhe  gekommenen  Theilen  sich  weiter  difierenziren 
kann,  so  muss  dies  ganz  besonders  für  die  von  mir  beobachtete  Knorpelbildung 
gelten,  weil  dort  nicht  bereits  fertige  Zellen  sich  umzubilden  haben,  sondern 
solche  erst  um  freie  Kerne  herum  hergestellt  werden  sollen.     Daher  lassen 
sich  die  frühzeitige  Verknorpelung  und  Verkalkung  der  vertebralen  Platten  der 
äusseren  Chordascheide  füglich  als  eine  Folge  ihres  langsameren  Wachsthums 
betrachten,   während  die  Verzögerung  derselben  Vorgänge  in  der  unmittel- 
baren, intervertebralen  Fortsetzung  jener  Platten  auch  schon  vor  dem  Erschei- 
nen deutlicher  Intervertebralwülste  die  Stellen  andeutet,  wo  ein  überwiegendes 
Wachsthum  der  äusseren  Chordascheide  sich  vorbereitet.  In  innigem  Zusammen- 
hange damit  steht  unzweifelhaft  die  längliche  Form  und  quere  Lage  der  sich 
rapid  vermehrenden  Kerne  jener  Wülste,  indem  sie  ganz  offenbar  die  Richtung 
angeben ,  in  welcher  die  Wucherung  der  einzelnen  Elemente  und  der  ganzen 
Massen  den  freiesten  Spielraum  hat  und  andererseits  dem  stärksten  Wider- 

Goette,  Entwickelmigsgeschichte.  25 


3g(3  VII.   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

stände  ausgesetzt  ist.  Die  Intervertebralwülste  deuten  also  die  begünstigten 
Stellen  der  in  einem  gleichmässigen  Wachsthum  behinderten  äusseren  Chorda  - 
scheide  an,  von  welchen  aus  der  angesammelte  Bildungsstoff  in  dem  Masse,  als 
die  vertebralen  Widerstände  seiner  Ausdehnung  bei  der  allgemeinen  Verlänge- 
rung des  Körpers  auseinanderrücken,  sich  den  ursprünglichen  Mittelstücken 
der  Wirbelkörper  anpasst  und  sie  verlängert.  Nach  dem  Kausalzusammen- 
hänge der  Erscheinungen  ist  nun  die  Bildung  der  Intervertebralwülste,  also 
auch  der  Wirbelkörper,  für  eine  Folge  der  Wirbelbogenbildung  anzusehen; 
und  da  diese  von  den  ursprünglichen  Segmentgrenzen  abhängt,  so  ist  auch  die 
Abgrenzung  der  ganzen  Wirbelkörper,  welche  mit  den  Segmenten  nicht 
korrespondiren ,  immerhin  aus  einer  mittelbaren ,  mechanisch  morphologischen 
Wirkung  der  allgemeinen  Segmentirung  zu  erklären. 

Diebisher  allein  betrachteten  dorsalen  Theile  der  äusseren  Chordascheide  sind 
nun  freilich  die  wichtigsten,  aber  nicht  die  einzigen  Anlagen  der  Wirbelkörper, 
in  welche  vielmehr  auch  bei  unserem  Thiere  die  Wirbelsaite  mit  ihrer  ganzen 
äusseren  Scheide  eingeht.  Die  lateralen  und  ventralen  Theile  der  letzteren 
bleiben  an  den  vertebralen  wie  an  den  intervertebralen  Abschnitten  lange  Zeit 
in  ihrer  Textur  vollständig  indifferent;  und  selbst  wenn  endlich  um  ihre  freien 
Kerne  Zellen  sich  zu  bilden  anfangen,  so  bewahrt  das  Gewebe  zunächst  auch 
an  den  vertebralen  Abschnitten,  wo  es  aufwärts  in  die  dorsalen  Knorpelplatten 
übergeht,  den  indifferenten  Charakter,  welcher  am  meisten  noch  mit  der  Be- 
schaffenheit der  scheidewandähnlichen  Mitte  der  Intervertebralwülste  überein- 
stimmt {Taf.  IX, X).  Weit  auffälliger  ist  die  morphologische  Veränderung 
dieses  grössten  Theils  der  äusseren  Chordascheide,  welche  sie  aber  nur  im 
engsten  Anschlüsse  an  die  Wirbelsaite  ausführt.  Ich  erwähnte  bereits,  wie  du' 
Intervertebralwülste  die  darunterliegenden ,  vorher  weitesten  Abschnitte  der 
Wirbelsaite  von  oben  her  zusammendrücken,  sodass  dort  gerade  interverte- 
brale  Verengerungen  derselben  gegenüber  den  weiter  bleibenden  vertebralen 
Theilen  entstehen.  Wenn  man  nun  gegen  das  Ende  der  Larvenzeit  die 
intervertebralen  Chordaabschnitte  ganz  geschwunden  sieht,  so  liegt  es  aller- 
dings nahe,  diesen  Schwund  aus  dem  fortgesetzten  Drucke  der  Intervertebral- 
wülste zu  erklären.  Bei  näherer  Untersuchung  ergibt  sich  jedoch,  dass  eine 
Schrumpfung  der  Wirbelsaite  unter  entsprechender  Faltung  ihrer  ganzen 
inneren  und  des  häutigen  Theils  der  äusseren  Scheide  zu  einer  Zeit  eintritt, 
wann  der  Intervertebralwulst  eben  erst  ihre  Oberseite  abgeplattet  hat;  und 
dieses  andauernde  Zusammenfallen  der  Wirbelsaite  in   senkrechter  Richtung 


VII.   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  387 

führt  zu  ihrem  vollständigen  Schwunde  an  den  bezeichneten  Stellen,  wann  die 
Intervertebral wülste  etwa  so  tief  hinabgewachsen  sind,  dass  sie  bei  passivem 
Verhalten  der  Chorda  erst  deren  Axenhöhe  erreicht  hätten  (Fig.  16 '4  — 106). 
Mag  also  die  Atrophie  der  Wirbelsaite  durch  die  Wirbelbildung   gefördert 
werden,  so  ist  doch  ihr  Schwund  nicht  der  einfache  Ausdruck  des  von  den 
Intervertebralwülsten  ausgeübten  Druckes,  sondern  eine  Folge  ihrer  inneren 
Destruktion,  deren  Beginn  ich  bereits  in  der  zellenzerstörenden  Entwicklung 
der  Vakuolen  erblicke.     Während  jenes  Rückbildimgsprocesses  muss  natürlich 
der  gleichfalls  schrumpfende  häutige  Theil  der  äusseren  Chordascheide  seine 
beinahe  ringförmige  Gestalt  einbüssen  und  zu  einem  ebenen ,  queren  Bande 
werden,  welches  sich  der  Unterfläche  des  Intervertebralwulstes  eng  anschliesst. 
Dieses  Band  löst  sich  aber  niemals  von  dem  Wulste  ab,  dessen  seitliche,  untere 
Fortsetzung  um  die  Wirbelsaite  herum  es  ursprünglich  war,  sondern  ver- 
schmilzt mit  ihm  nach  dem  Schwunde  der  letzteren  in  der  ganzen  Fläche ,  um 
an  der  Bauch  fläche  dieser  Anlage  eines  Zwischenwirbelgelenks  in  die  gleichen 
bindegewebigen  Theile  (Zwischenwirbelbänder)  sich  zu  verwandeln,  welche 
oben  von  den  oberflächlichen  Schichten  des  Intervertebralwulstes  selbst  ge- 
liefert werden.     In  der  Gelenkregion  geht  also  die  Wirbelsaite,  wenn  sie  auch 
nicht  in  den  Knorpel  aufgenommen  wird,  immerhin  innerhalb  der  einheitlichen 
Wirbelanlage  zu  Grunde.   —  Noch  deutlicher  wird  ihre  Aufnahme  in  den 
Wirbelkörper  an  den  vertebralen  Abschnitten.     Dort  fällt  ihr  Schwund  ganz 
auf  Rechnung    ihrer  Atrophie,    indem    der   darüberliegende  Mitteltheil  des 
Wirbelkörpers  seine  zuerst  gewonnene  Form  so  gut  wie  gar  nicht  verändert, 
also  als  eine  in  der  Querrichtung  nur  wenig  gewölbte  Platte  auf  der  Wirbel- 
saite ruhen  bleibt.     Natürlich  kann  aber  die  letztere  in  diesen  vertebralen 
Abschnitten  nicht  so    schnell  schwinden  wie  unter  den  abwärts  wuchernden 
Intervertebralwülsten.    Denn  zur  Zeit,  wann  die  schrumpfende  äussere  Chorda- 
scheide die  letzteren  bereits  mit  ihrer  ganzen  Fläche  berührt,  besteht  zwischen 
ihr  und  dem  Mittelstücke  jedes  WTirbelkörpers  noch  ein  viereckiger  Raum, 
dessen  Höhe  gleich  ist  dem  Masse  der  unteren  Vorragung  der  ihn  vorn  und 
hinten  abschliessenden  Intervertebralwülste,  und  welcher  noch  von  den  verte- 
bralen Resten  der  Wirbelsaite  gefüllt  ist ;  diese  Theile  sind  also  auch  bei  den 
Unken  die  am  längsten  persistirenden.     Jene  allseitig  geschlossenen  Räume 
und  die  sie  ausfüllenden  Chordareste  nehmen  weiterhin  in  dem  Masse  ab,  als 
die  unteren  Vorragungen   der  Intervertebralwülste    bei   dem   beschriebenen 
Längenwachsthum  des  Wirbelkörpers  sich  zurückbilden;  endlich  beschränken 


25 


n* 


388  ^  H-    Die  Wirbelsaitc  und  die  Wirbelsäule. 

sie  sich  nur  noch  auf  die  flache  Wölbung  des  knorpeligen  Wirbelkörpers ,  wor- 
auf der  Atrophie  der  Wirbelsaite  in  eigenthümlicher,  gleich  näher  zu  beschrei- 
bender Weise  ein  Ziel  gesteckt  wird.     Die  zugehörigen  unteren  Theile  der 
äusseren  Chordascheide  geben  nun  freilich  gegen  das  Ende  des  geschilderten 
Rückbildungsprocesses   ihren   ursprünglichen  kontinuirlichen  Zusammenhang 
mit  den  knorpeligen  dorsalen  Scheidentheilen  oder  eben  dem  Mittelstücke  des 
Wirbelkörpers  auf,  lösen  sich  aber  dort,  d.  h.  an  der  unteren  Grenze  der 
Wirbelbogenbasen  durchaus  nicht  von  dem  betreffenden  Wirbel  ab,  sondern 
passen  sich  ähnlich  wie  an  den  Intervertebralwülsten  der  anstossenden  ober- 
flächlichen Skeletschicht,  nämlich  dem  Faserknochen  an  (Fig.  193).     Es  ver- 
wandelt sich  also  der  vertebrale  untere  Abschnitt  der  äusseren  Chordascheide 
schliesslich  in  die  periostale  Knochenrinde  an  der  Bauchfläche  des  Wirbel- 
körpers und  geht  somit  ganz  offenbar  in  den  Bestand  desselben  ein,  sowie  er 
jederzeit  die  unmittelbare  Fortsetzung  der  bereits    geschilderten  Zwischen- 
wirbelbänder bleibt.     Dadurch  werden  aber  natürlich  die  vertebralen  Chorda- 
reste in  das  Innere  des  Wirbelkörpers  eingeschlossen,  wo  sie  jedoch  nicht  völlig 
zu  Grunde  gehen,  sondern  in  bescheidenem  Masse  an  seiner  Bildung  Antheil 
nehmen.     Während  nämlich  das  Fachwerk  der  atrophischen  Wirbelsaite  sich 
allmählich  auflöst,    erscheinen  zwischen  den  zerrissenen  und  verknitterten 
Membranen,  namentlich  an  der  Innenseite  der  in  dichte  Falten  zusammenge- 
zogenen inneren  Scheide  zuerst  einzelne,   dann  immer  zahlreichere   Zellen, 
welche  theils  körnig  und  pigmentirt,  zum  Theil  wie  echte  Knorpelzellen  aus- 
sehen (Fig.  106).     Da  in  der  ausgebildeten  Wirbelsaite  unseres  Thieres  Zellen 
nicht  mehr  vorhanden  sind,    und  ich  überdiess  die  im  einzelnen  verfolgte 
Knorpelbildung  niemals  aus  fertigen  Zellen  hervorgehen  sah,   so  kann  die 
Annahme,  dass  jene  sekundären  Chordazellen  um  die  freien  Kerne  herum 
entstehen,  keine  Schwierigkeiten  bieten.     Nach  dem  völligen  Schwunde  der 
früheren  Scheidewände  füllen  die  neugebildeten  Knorpelzellen  den  Raum  des 
vertebralen  Chordarestes  immer  mehr  aus  und  schliessen  sich ,  nachdem  auch 
die  Reste  der  inneren  Scheide  sich  vollständig  verloren  haben,  dem  darüber 
befindlichen  Knorpel  in  kontinuirlichem  Zusammenhange  an  (Fig.  193).     Aus 
allen  diesen  Beobachtungen  ergibt  sich  aber,  dass  die  bisher  so  oft  wiederholte 
Lehre  von  der  „epichordalen  Wirbelbildung"  der  Unke  und  einiger  anderen 
Anuren,  wonach  die  Wirbelsaite  und  ihre  Scheiden  in  ein  kontinuirliches  Band 
verwandelt  würden,  welches  ausserhalb  der  darüber  entstehenden  Wirbelsäule 
zu  Grunde  gehen  soll,  eine  durchaus  irrige  ist.     Rinnenförmige  Vertiefungen 


VII.   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  389 

sind  nur  unter  den  Mittelstücken  der  Wirbelkörper  vorhanden,   welche  aber 
durch  die  nach  unten  vorragenden  Intervertebralwülste  in  ebenso  viele  Ab- 
schnitte geschieden  werden,  als  Wirbel  vorhanden  sind.      Die  in  diese  ge- 
trennten Vertiefungen  eingelagerten  Abschnitte  der  Wirbelsaite  sind  nicht  ein- 
mal dann,  wenn  sie  ihre  intervertebralen  Verbindungen  bereits  eingebüsst 
haben,  also  in  getrennte  Stücke  verwandelt  sind,  mit  einem  platten  und  gar 
bindegewebigen  Bande  zu  vergleichen-,  später  erfolgt  aber,   wie  ich  gezeigt 
habe,  eine  solche  Umbildung  der  isolirten  Chordareste  ebensowenig  als  ihre 
Lösung  von  den  Wirbeln  und  ein  darauffolgender  völliger  Schwund ,  indem  sie 
in  Knorpel  verwandelt  die  früheren  Vertiefungen  der  vertebralen    Knorpel- 
platten ausgleichen  und  mit   der  verknöchernden  Scheide   die  kleine  untere 
Hälfte  des  vollständigen  Wirbels  bilden.    Auch  sind  diese  Thatsachen  durchaus 
nicht  schwer  nachweisbar ,  und  man  überzeugt  sich  von  denselben  schon  mit 
Zuhilfenahme  der  Lupe  oder  selbst  mit  unbewaffnetem  Auge  an  jungen  Unken 
während  und  nach  der  Metamorphose.    Anfangs,  wenn  die  atrophische  Wirbel- 
saite sich  noch  mit  einiger  Mühe  als  kontinuirliches  Gebilde  von  der  Bauch- 
saite der  Wirbelsäule  ablösen  lässt ,  geschieht  dies  gerade  an  den  weniger  ver- 
dünnten vertebralen  Abschnitten  ziemlich  leicht,  während  die  einzigen  band- 
artigen Theile ,  nämlich  die  schmalen  intervertebralen  Streifen ,  mit  den  Inter- 
vertebralwülsten  bereits  fest  zusammenhängen,  sodass  sie  nur  bei  stärkerem 
Zuge  sich  ruckweise  von  den  letzteren  trennen  oder  selbst  mitten  durchreissen. 
Etwas  später  lässt  sich  eine  Kontinuität  der  Wirbelsaite  durchaus  nicht  mehr 
darstellen  und  die  getrennten,  aber  noch  weichen  vertebralen  Chordareste  sind 
durch  eine  derbe  Haut  nach  unten  abgeschlossen,  durch  welche  man  vermittelst 
eines  tastenden  Instruments  den  Eindruck  einer  Fluktuation  empfängt.     Diese 
Haut  oder  die  äussere  Chordascheide  lässt  sich  aber  an  ihren  schon  theilweise 
verknöcherten  Rändern  ohne  gewaltsame  Zerreissung  vom  Wirbelkörper  nicht 
mehr  trennen;  und  indem  ihre  Verknöcherung  fortschreitet,  wird  auch  die 
breiige  Innenmasse  oder  der  eigentliche  Chordarest  durch  seine  Umwandlung 
in  Knorpel  ganz  fest. 

Die  Wirbelkörper  der  Unke  entstehen  demnach  ungleich  wie  die  Wirbel- 
bögen aus  mehren  verschiedenen  Anlagen.  Unter  diesen  steht  die  äussere 
Chordascheide  obenan,  an  der  sich  unter  dem  Einflüsse  der  Wirbelbogen- 
bildung  die  vertebralen  Abschnitte  von  den  epiphysenartigen  Intervertebral- 
wülsten  scheiden.  An  beiderlei  Theilen  sind  es  bei  unserem  Thiere  die  dorsalen 
Hälften,  welchen  der  Haupttheil  der  Bildung  zufällt;   die  unteren  Hälften 


390  ■    VI1-  Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

schliessen  sich  den  ersteren  als  untergeordnete  peripherische  Schichten  der 
Bauchfläche  des  Wirbels  an.  Dadurch  wird  die  atrophische  Wirbelsaite  freilich 
in  das  Innere  des  Wirbels ,  nur  nicht  in  seinen  Axentheil  aufgenommen ;  unter 
den  Epiphysen  obliterirt  sie  dicht  unter  der  oberflächlichen  Bandmasse  voll- 
ständig, an  den  Mittelstücken  bildet  sie  ohngefähr  das  untere  Drittheil  der 
Knorpelmasse.  Es  ergibt  sich  daraus ,  dass  die  Axe  der  eben  erst  angelegten 
Wirbelsäule,  welche  anfangs  natürlich  mit  ^derjenigen  der  Wirbelsaite  zu- 
sammenfiel ,  während  der  Atrophie  der  letzteren  immer  höher  bis  in  die  dor- 
sale Platte  der  äusseren  Chordascheide  hinaufrückt.  Daher  müssen  die 
Wirbelbogenbasen ,  welche  den  primitiven  doppelkegelförmigen  Wirbelkörpern 
ganz  oben  aufsassen ,  den  sich  nach  oben  zusammenziehenden  Körpern  endlich 
vollständig  seitlich  anliegen,  was  noch  dadurch  unterstützt  wird,  dass  die 
Krümmung  der  Wirbelbögon  im  Laufe  der  Entwickelung  von  oben  her 
zusammengedrückt  wird,  und  daher  ihre  Wurzelstücke  sich  stark  zur  Seite 
neigen.  Dadurch  werden  aber  ihre  Basen  ganz  und  gar  in  den  anatomischen 
Bestand  der  Wirbelkörper  aufgenommen ,  welche  in  Folge  dessen  eine  breitere 
Form  annehmen. 

Sowie  schon  hinsichtlich  der  Bögen  der  erste  und  die  letzten  Wirbel  sich 
von  den  übrigen  unterscheiden,  gilt  auch  die  voranstehende  Beschreibung  der 
Wirbelkörper  vollständig  nur  für  den  2.— 8.  Wirbel.  Der  erste  Wirbelkörper 
enthält  freilich  keine  neuen  Theile,  zeigt  aber  doch  gewisse  Abweichungen. 
Minder  wesentlich  erscheint  es,  dass  dierWirbelbogenbasis  am  ersten  und  theil- 
weise  auch  noch  am  zweiten  Wirbel  von  Anfang  an  an  der  Seite  tiefer  hinabreicht 
und  so  sich  den  gleichen  Verhältnissen  im  hintersten  Theile  der  Schädelbasis 
anschliesst;  denn  diese  Abweichung  wird  später  durch  die  beschriebene  relative 
Lagcveränderung  der  übrigen  Wirbelbogenbasen  wieder  ausgeglichen  {Taf.  IX 
Fig.  170.  170).  Bemerkenswerther  ist  die  Thatsache,  dass  aus  dem  allerdings 
schwach  entwickelten  Intervertebralstücke  zwischen  dem  ersten  Wirbelkörper 
und  der  Schädelbasis  sich  kein  ( relenk  ausbildet  {Taf.  IX  Fig.  166).  Dies  steht 
jedenfalls  damit  in  Zusammenhang,  dass  das  hinten;  Bogenpaar  der  Schädelbasis 
nicht  rechtwinkelig  zur  Wirbelsaite,  sondern  schräg  nach  aussen  und  hinten 
aufsteigt,  sodass  zwischen  seiner  Basis  und  derjenigen  des  ersten  Wirbels  ein 
viel  grösserer  Zwischenraum  entsteht  als  zwischen  den  anderen  Wirbelkörpern. 
In  diesem  Räume  verwandelt  sich  nun  die  (jolenkanlage  der  äusseren  Chorda- 
scheide in  ein  starkes  Band,  indem  sie  noch  vor  der  Bildung  einer  vollkommenen 
Knorpelmasse  ihre  Entwickelungsrichtung  ändert  und  häutig  wird.     Dieses 


VII.   Pie  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  39] 

Band  ist  also  nicht  etwa  den  übrigen  Zwischenwirbelbändern,  sondern  nur  den 
Gelenken  selbst  vergleichbar,  besonders  da  unter  ihm  die  atrophische  Wirbel- 
saite mit  den  übrigen  Theilen  ihrer  Scheide  sich  dem  von  der  Schädelbasis 
zum  ersten  Wirbel  hinüberziehenden  Periost  anschliesst,  und  so  eine  von  An- 
fang an  rein  bindegewebige  Verbindung  beider  Skelettheile  von  dem  nachträg- 
lich umgebildeten  Gelenke  sondert.  Die  bezeichnete  Krümmung  der  Occipital- 
bögen  lässt  sie  ferner  das  Bogenpaar  des  ersten  Wirbels  in  viel  geringerer 
Höhe  erreichen,  als  es  bei  den  übrigen  Wirbeln  der  Fall  ist,  sodass,  wenn  auch 
die  an  den  beiden  lateralen  Berührungsstellen  entstandenen  Gelenke  sich 
physiologisch  als  Stellvertreter  der  zwischen  den  Wirbelkörpern  bestehenden 
einfachen  Gelenke  darstellen  mögen,  ihre  genetische  Bedeutung  als  Zwischen- 
bogengelenke  doch  nicht  in  Zweifel  gezogen  werden  kann. 

Vom  neunten  Wirbel  rückwärts  tritt  zu  den  bereits  besprochenen  Anlagen 
der  Wirbelkörper  noch  ein  besonderes ,  nur  dieser  Gegend  der  Wirbelsäule 
eigen thümliches  Stück,  nämlich  ein  in  dem  Bauchtheile  der  äusseren  Chorda- 
scheide  sich  entwickelnder  Knorpelbalken,  der  ohngefähr  unter  der  Mitte  des 
neunten  Wirbels  anfängt  und  rückwärts  eine  ansehnliche  Strecke  über  die 
letzten  Wirbelbogenanlagen  hinaus  reicht  (Taf.  XI  Fiy.  196).  Seine  erste 
Entstellung  ist  mir  nicht  bekannt;  da  ich  aber  die  Knorpelbildung  in  der 
äusseren  Chordascheide  an  anderen  Stellen  kennen  gelernt  habe,  so  zweifele 
ich  nicht  daran,  dass  auch  jener  Knorpelbalken  ebenso  entsteht.  Zwischen 
demselben  und  der  Wirbelsaite  bleibt  noch  ein  schmaler  Streifen  unveränderten 
Gewebes  von  der  äussern  Chordascheide  bestehen ;  an  beiden  Seiten  geht  er 
kontinuirlich  in  die  gleichfalls  noch  unveränderten  lateralen  Theile  derselben 
über,  welche  sich  oberhalb  der  Wirbelsaite  vom  zehnten  Wirbel  an  rückwärts 
ganz  besonders  deutlich  von  denWirbelbogenbasen  abgrenzen  {Taf.  IXFig.  179). 
Sobald  die  Schrumpfung  der  Wirbelsaite  überhaupt  anfängt,  wird  sie  unter 
dem  neunten  Wirbel  zuerst  platt  zusammengedrückt,  indem  das  Vorderende 
des  Balkens  sich  in  die  ventrale  Ausschweifung  der  oberen  Knorpelplatte  ein- 
fügt, um  so  einen  Theil  der  untern  Hälfte  des  künftigen  Wirbelkörpers  zu 
bilden  (Fig.  196).  Die  Wirbelsaite  zieht  sich  daher  hinter  dem  achten 
Zwischenwirbelgelenk  in  die  Höhe,  um  aus  dem  Bauchtheile  des  achten 
Wirbelkörpers  in  die  Axe  des  neunten  zu  gelangen  und  diese  Lage  in  den 
folgenden  Wirbeln  zu  behalten,  woselbst  sie  aber  noch  längere  Zeit  annähernd 
cvlindrisch  bleibt. 

Hinter  dem  zehnten  und 'hinter  dem  eilften  Wirbelbogen,   welche  beide 


QQO  VII.   Die  Wirbclsaitc  und  die  Wirbelsäule. 

einen  oberen  Schluss  sehr  deutlich  erkennen  lassen,  bilden  sich  ebenfalls  die 
Gelenkanlagen  gerade  so  wie  zwischen  den  übrigen  Wirbelkörpern,  sodass  an 
der  vollständigen ,  diskreten  Anlage  jener  beiden  Wirbel  nicht  zu  zweifeln 
ist,  obwohl  später  die  Gelenke  sich  nicht  ausbilden ,  sondern  einer  Verschmel- 
zung der  Wirbelbogenbasen  Platz  machen.     An  die  Basis  des  eilften  Wirbel- 
bogens  schliesst  sich  dann  die  epichordale  Knorpelplattc  des  rudimentären 
zwölften  Wirbels  an,  an  deren  Ende  ich  ebenfalls  eine  quere  Ausbiegung  als 
Andeutung  eines  rudimentären  Intervertebralwulstes  fand.     Dahinter  hört  die 
Knorpelbildung  im  dorsalen  Theile  der  äusseren  Chordascheide  ganz  auf  und 
zieht  sich  nur  noch  der  hypochordale  Knorpel  eine  Strecke  weit  unter  der 
Wirbelsaite  hin;  und  da  in  Folge  der  frühzeitigen  Verkümmerung  des  Schwanzes 
der  Amiren  auch  die  Atrophie  der  Wirbelsaite  und  ihrer  nicht  weiter  entwickel- 
ten Scheide  dort  früher  beginnt,  so  stellen  sich  ihre  Reste  schon  zur  Zeit  der 
Metamorphose  als  ein  plattes  Band  dar,  Avelches  auf  der  ziemlich  ebenen  Ober- 
seite des  hypochordalen  Knorpelbalkens   ruht  (Taf.  IX  Fig.  180).  —  Alle 
hinter  dem  neunten  Wirbel  liegenden  Theile  des  Stammskelets  verschmelzen 
später  zu  dem  sogenannten  Steissbein  der  Amiren,  welches  also  in  seiner 
vorderen  und  hinteren  Hälfte  verschieden  zusammengesetzt  ist ;  beiden  gemein- 
sam ist  als  bleibender  Bestandtheil  der  kontinuirliche  Knorpelbalken,   dazu 
kommen  in  der  vorderen  Hälfte  drei  Wirbelanlagen  [Taf.  XI  Fig.  196,  Taf.  XIX 
Fig.  346).     Diese  verschmelzen  nicht  nur  mit  ihren  Körpern,  sondern  auch  im 
Bogentheile  durch  eine  vollständige  Verknöcherung  der  Zwischenbogenbänder  zu 
einer  engen  Röhre,  welche  nur  an  jeder  Seite  zwei  feine,  später  ziemlich  weit  von 
einander  entfernte  Löcher  zeigt,  deren  Bedeutung  durch  die  austretenden  zehnten 
und  eilften  Nervenstämme*  genügend  bezeichnet  wird,  sodass  dadurch  Zahl  und 
Grenzen  der  diesem  Skelettheile  zu  Grunde  liegenden  Wirbel  auch  an  alten  Thieren 
deutlich  kenntlich  bleiben.  Diese  hinter  dem  letzten  (zwölften)  Wirbelbogen  und 
zwar  vor  der  Mitte  des  ausgebildeten  Steissbeins  frei  ausmündende,  im  späteren 
Leben  ausserordentlich  enge  Röhre  ist  also  eine  unzweifelhafte ,  nur  nach  der 
relativen  Zusammenziehung  des  Rückenmarkes  unbenutzte  Fortsetzung  des 
Rückenmarkskanals.     In  ihrem  dicken  Boden  wird  aber  die  Wirbelsaite  nicht 
einfach  zum  Schwunde  gebracht,  indem  sie  zwischen  dem  epichordalcn  und 
dem  hypochordalen  Knorpel  zusammengepresst  würde,  sondern  ich  sah  dort 


*  Das  zarte  letzte  (eilfte)  Nervenpaar  scheint  bisher  übersehen  worden  zu  sein  (vgl. 
Ecker  Nr.  41  Taf.  XXIV  Fig.  I.  II). 


VII.   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  393 

eine  Knorpelbildung  grade  so  wie  in  den  übrigen  Wirbeln  und  namentlich  in 
der  oberen  Hälfte  sich  vollziehen,  sodass  sie  jedenfalls  an  der  Verbindung  jener 
beiden  Knorpeltheile  thätigen  Antheil  nimmt.  Hinter  diesem  vorderen,  aus 
drei  Wirbeln  zusammengesetzten  Abschnitte  des  Steissbeins  besteht  der  hintere 
in  Ermangelung  jeder  Wirbelanlage  wesentlich  aus  dem  kontinuirlichen  hypo- 
chordalen  Knorpel ,  sodass  dieser  letzte  Abschnitt  der  Wirbelsäule  weder  mit 
ganzen  Wirbeln  noch  mit  Wirbelkörpern  verglichen  werden  kann.  Dieses 
einfache  Ende  der  Wirbelsäule  ist  anfangs  sehr  kurz,  da  es  dicht  hinter  dem 
zwölften  Spinalnervenpaare,  also  auch  dem  zwölften  Wirbelbogenpaare  aufhört 
(vgl  Taf.  XIX  Fig.  343).  Später  wächst  es  mit  dem  ganzen  Stcissbeine  in 
bedeutendem  Masse;  seine  hintere  Spitze  bleibt  stets  knorpelig. 

Da  alle  Beobachter  von  Duges  an  die  Wirbelbildung  der  Unke  und 
der  ihr  darin  nächstverwandten  Batrachier  (Pelobates,  Hyla,  Pipa)  als  nicht 
unwesentlich  verschieden  von  derjenigen  der  übrigen  Amphibien  behandeln,  so 
will  ich  meine  Untersuchungen  an  den  letzteren,  und  zwar  sowohl  Anuren  als 
Salamandrinen  zu  leichterem  Vergleiche  hier  folgen  lassen.  Die  sogenannte 
perichordalc  Wirbelentwickelung  des  grünen  Frosches  und  der  Kreuzkröte  fand 
ich  nur  in  untergeordneten  Punkten  von  der  unpassenderweise  sogenannten 
epichordalen  Wirbelbildung  unterschieden.  Die  Grundlagen  der  Wirbelsäule, 
die  Wirbelsaite,  die  sie  cylindriseh  einschliessende  äussere  Scheide  und  die  knorpe- 
ligen Wirbelbogenanlagen  sind  bei  allen  Anuren  die  gleichen;  und  da  ferner 
überall  die  Bögen  sich  in  gleicherweise  weiter  entwickeln,  die  äussere  Chorda- 
scheide vollständig  in  die  Wirbelkörper  aufgeht  und  die  Wirbelsaite  daher  in 
deren  Inneres  aufgenommen  wird,  so  besteht  die  Verschiedenheit  lediglich  in 
der  äusseren  Form  der  aus  der  Scheide  hervorgehenden  Theile.  Ihre  verte- 
bralen  Abschnitte  bleiben  nämlich  in  der  Gruppe  der  Frösche  und  Kröten 
gleichmässig  cylindriseh  und  verknöchern  ringförmig*,  wesshalb  sich  auch  die 
entsprechenden  Chordareste  in  derselben  Gestalt  und  in  der  Mitte  des  Wirbel- 
körpers erhalten;  während  das  einseitig  dorsale  Wachsthum  derselben  Anlage 
in  der  anderen  Amirengruppe  [Bombinator ,  Hyla]  zur  Abplattung  des  Piinges 
und  zu  einer  relativen  Verdrängung  des  ebenso  gestalteten  vertebralen  Chorda- 
restes-in  die  untere  Hälfte  des  Wirbelkörpers  führt,  Die  häufig  dauernde 
Konservirung  solcher  Reste  bei  den  Fröschen  kann  keine  besondere  Bedeutung 


*  Der  Knorpelknochen  ist  nicht  gleich  anfangs  ringförmig,  sondern  fliesst  zu  dieser 
Form  aus  zwei  Seitenhälften  zusammen,  welche  sich  oben  früher  vereinigen  als  unten, 


394  VII.   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

beanspruchen,  da  sie  zuweilen  an  einzelnen  Wirbeln  dieser  Thiere  und  bei  den 
zu  derselben  Gruppe  gehörenden  Kröten  durchweg  vermisst  wird.  Der  Unter- 
schied in  der  Entwickelung  der  intervertebralen  Wülste  ist  eigentlich  noch 
geringfügiger,  indem  die  ursprünglich  einfache  Ringform  der  intervertebralen 
Scheidentheile  überall  verändert  wird.  Zunächst  ist  deren  Erweiterung  hervor- 
zuheben, welche  die  Doppelkegelform  der  primitiven  Wirbelkörper ,  wenn  auch 
vorübergehend,  herbeiführt.  Diese  Erweiterung  ist  aber  nicht  vollständig  ring- 
förmig, sondern  bei  der  Unke  und  dem  Laubfrosche  nur  in  der  dorsalen  Platte 
ausgeführt,  bei  den  Fröschen  vorherrschend  an  den  Seiten  angedeutet.  Damit 
hängt  auch  die  gleiche  Ausbildung  des  eigentlichen  Wulstes  zusammen,  welcher 
dort  einseitig  dorsal,  hier  in  zwei  lateralen  Seitenhälften  sich  entwickelt  und  daher 
die  eingeschlossenen  Chordaabschnitte  einerseits  zu  einer  horizontalen  und  tiefge- 
legenen, andererseits  zu  einer  senkrechten,  medianen  Platte  zusammenschnürt. 
Da  jedoch  die  Kröten,  wie  schon  Gegenbatjr  nachwies  [Nr.  88  S.  23]  und  ich 
bestätigen  kann,  mit  ihren  aufwärts  konvergirenden  intervertebralen  Wülsten 
ganz  offenbar  einen  Uebergang  der  rein  lateralen  zur  dorsalen  Lage  derselben 
darbieten ,  und  ferner  jene  verschiedenen  Formen  und  Lagen  der  Wirbelsaite 
in  der  hinteren  Schädelbasis  jedes  einzelnen  Individuums  dicht  auf  einander 
folgen,  so  wird  man  jenen  Unterschieden  keinen  besonderen  Werth  beimessen 
können. 

Hat  man  einmal  den  in  den  wesentlichen  Punkten  allen  Anuren  gemein- 
samen Verlauf  der  Wirbelbildung  vollständig  erkannt,  so  wird  man  in  der 
Entwicklungsgeschichte  der  Wirbel  der  Salamandrinen ,  wenn  man  von  den 
später  zu  erwähnenden  accessorischen  Querfortsätzen  und  unteren  Bögen  absieht, 
ebenso  wenig  erhebliche  Abweichungen  von  der  ersteren  Entwickelungsform 
Hnden,  als  die  perichordale  und  epichordale  Form  einander  entgegen  gestellt 
zu  werden  verdienen.  Die  Entwickelung  der  Wirbelsaite  und  ihrer  Scheiden 
fand  ich,  wie  bereits  erwähnt,  bei  den  Tritonen  und  der  Salamandra  maculata 
durchaus  übereinstimmend  mit  derjenigen  der  Anuren.  Im  weiteren  Fortgange 
der  Wirbelbildung  offenbart  sich  an  diesem  unpaaren,  axialen  Ilaupttheile 
eine  grössere  Regel  mässigkeit,  als  sie  bei  den  Anuren  vorkommt  und  anderer- 
seits eine  länger  dauernde  Sonderung  von  den  paarigen,  lateralen  Wirbel- 
anlagen, den  Wirbelbögen  (Tu f.  X  Fig.  194,  195).  Diese  letzteren  kommen  in 
ihrer  knorpeligen  Anlage  niemals  mit  knorpeligen  Theilen  der  äusseren  Scheide 
in  Berührung,  deren  vertebrale  Abschnitte  selbst  nach  eingetretener  Ver 
knöchcrung  eine  Zellenbildung  um  ihre  freien  Kerne  vermissen  lassen;  anderer- 


VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  :;«,)."> 

seitshabe  ich  an  älteren  Salatnanderlarven  die  Wirbelsaite  mit  ihrer  verknöcher- 
ten Scheide  durch  die  aufsitzenden  Wirbelbogenbasen  sehr  deutlich  eingedrückt 
gesehen,  sodass  darin  der  von  mir  angenommene  Einfluss  der  Bogenbildung 
auf  die  Entwicklung  der  Wirbelkörper  zum  tatsächlichen  Ausdrucke  kommt. 
Doch  ist  die  bleibende  Doppelkegelform  der  letzteren  nicht  allein  jenem  Ein- 
flüsse, sondern  zugleich  dem  Umstände  zuzuschreiben,  dass  die  vertebralen 
Abschnitte  der  äusseren  Chordasciieide  schon  in  dieser  ursprünglichen  Gestalt 
verknöchern  und  zwar  im  ganzen  Umfange  der  Wirbelsaite  in  gleichmässig  dünner 
Schicht.  Dabei  wird  die  homogene  Grundmasse  glasartig  und  zeigt  noch  längere 
Zeit  die  ausserordentlich  platten ,  daher  blass  und  gross  erscheinenden  freien 
Kerne.  Was  aus  diesen  letzteren  in  der  späteren  Entwickelungszeit  wird,  weiss 
ich  nicht.  Die  Intervertebralwülste  sind  von  Anfang  an  ebenfalls  gleichmässig 
ringförmig  angelegt  und  bezeugen  durch  ihre  Verdickung  und  die  dichte  An- 
häufung ihrer  Elemente  gegenüber  jenen  vereinzelten  platten  Kernen  der 
vertebralen  Abschnitte,  dass  die  Wucherung  der  äusseren  Chordasciieide 
wesentlich  auf  die  intervertebralen  Wülste  beschränkt  ist.  Ihre  Kerne  sind 
wie  bei  den  Anuren  je  näher  der  Mitte,  um  so  mehr  in  querer  Richtung  lang- 
gestreckt und  schon  früh  von  zarten  Zellengrenzen  umgeben.  Die  Knorpel- 
bildung erfolgt  jedoch  nur  in  der  inneren  Hauptmasse  des  Wulstes;  die 
äusserste  Schicht  verknöchert  dagegen  im  Anschlüsse  an  die  zarte  vertebrale 
Knochenrinde ,  sodass  die  letztere  mit  entsprechend  zunehmender  Erweiterung 
ihres  Randes  allmählich  bis  zur  queren  Mittelebene  des  Intervei  tebralwulstes 
vorrückt.  Der  letztere  schnürt  darauf,  nach  innen  wuchernd ,  die  Wirbelsaite 
ringförmig  ein  und  bringt  sie  dort  endlich  zum  völligen  Schwunde;  doch 
bleiben  ihre  vertebralen  Erweiterungen  nicht  unverändert  bestehen ,  sondern 
werden,  wie  es  Gegenbaub,  entdeckt  hat,  in  der  Mitte  ihrer  Länge  von  einer 
in  der  Wirbelsaite  selbst  entwickelten  Knorpelmasse  durchwachsen.  Nur  kann 
ich  mit  Gegenbaue  darin  nicht  übereinstimmen,  dass  dieser  Knorpel  bloss  aus 
der  Rindenschicht,  also  ausserhalb  des  eigentlichen  Gallertkörpers  und  diesen 
ringförmig  zusammenschnürend  aus  dort  zurückgebliebenen  embryonalen 
Zellen  entstehe.  Die  letztere  Annahme  wird,  wie  ich  zeigte,  durch  die  früheste 
Entwickelungsgeschichte  der  Wirbelsaite  und  dadurch  hinfällig,  dass  die 
Knorpelzellen  auch  mitten  im  Gallertkörper  entstehen,  wo  von  zurückge- 
bliebenen embryonalen  Zellen  keine  Rede  sein  kann.  In  der  protoplasmatischen 
Rindenschicht  wie  im  Gallertkörper  sehe  ich  ganz  übereinstimmend  mit  allen 
meinen  übrigen  Befunden  über  die  Knorpelbildung  die  Zellen  um  die  freien 


396  VII.   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

Kerne  sich  entwickeln.     Am   ersten  Orte  beginnt  dieser  Vorgang  schon  zur 
Zeit,  wann  die  Intervertebrahvülste  nach  innen  zu  wuchern  beginnen.     Die 
neu  entstandenen  Knorpelzellen  nehmen  in  dem  Masse,  als  sie  durch  fort- 
dauernde Neubildungen  und  vielleicht  auch  durch  nachträgliche  Theilungen 
sich  vermehren  und  durch  Waehsthum  sich  vergrössern,  einen  immer  grösseren 
Raum  in  Anspruch,  Avas  natürlich  nur  auf  Kosten  des  schrumpfenden  Fach- 
werks und  der  allmählich  aufgesogenen  Flüssigkeit   des  Gallertkörpers  ge- 
schehen kann.     So  wird  der  letztere  nicht  nur  von  aussen  zusammengedrückt, 
sondern  auch  von  innen  her  zum  Schwunde  gebracht,  wesshalb  man  auch  an 
Querdurchschnitten,  welche  für  diese  Beobachtung  sich  besonders  empfehlen, 
in  dem  zusammengeschnürten  Gallertkörper  die  Ueberreste  seines  Fachwerkes 
zwischen  den  Knorpelzellen  unregelmässig  vertheilt  findet.     Etwas  vor  oder 
hinter  der  Mitte  des  Wirbelkörpers,  also  im  Bereiche  der  vertebralen  Fort- 
setzung des  Intervertebralknorpels  zeigen  die  Durchschnitte  älterer  Larven  eine 
gleichmässige  Knorpelscheibe,  deren  Centrum  durch  eine  vielfach  gewundene 
glänzende  Linie,  den  Durchschnitt  der  gefalteten  und  am  längsten  erhaltenen 
inneren  Chordäscheide  von  der  breiten  ringförmigen  Peripherie  (Intervertebral- 
knorpel)  getrennt  wird;  woraus  man  deutlich  erkennt,  welchen  Antheil  an  der 
Bildung  des  Wirbelkörpers  der  Gallertkörper  selbst  und  die  protoplasmatische 
Rindenschicht  haben.  —  So  finde  ich  an  den  Salamandrinen  die  Wirbelbildung 
der  Anuren  im  wesentlichen  wiederholt.     In  beiden  Batrachiergruppcn  lassen 
sich  nach  der  Entstehung  und  theilweise  auch  nach  dem  späteren  histologischen 
Verhalten  zweierlei  Wirbelanlagen  unterscheiden:  die  Bögen  und  die  Wirbel- 
saite mit  ihrer  äusseren  Scheide.     In  beiden  Gruppen  geben  die  knorpeligen 
Wirbi'lbogenanlagen  die  Veranlassung  zur  Bildung  der  intervertebralen  Erwei- 
terung der  unpaaren  Anlage  der  Wirbelkörper  und  später  der  Intervertebral- 
wiilste.  Indem  aber  die  ursprüngliche  Doppelkegelform  bloss  bei  den  Salaman- 
drinen durch  die   frühzeitige  Verknöcherung  fixirt,  bei  den  Anuren  dagegen 
durch  fortschreitende  Entwickelung  unkenntlich  wird,  ergeben  sich  die  späteren 
Unterschiede  der  Wirbelkörper  als  verschiedene  Entwickelungsstufen  desselben 
Vorganges;  ebenso  wie  die  ringförmigen  intervertebralen  Einschnürungen  der 
Wirbelsaite    den    gleichmässigen    und    daher    gewissermassen    indifferenten 
ursprünglichen  Zustand  gegenüber  den  verschiedenen  bei  den  Anuren  Platz 
greifenden  Modifikationen  im  Wachsthume  der  äusseren  Chordascheide  dar- 
stellen.    Selbst  in  den  histologischen  Verhältnissen  lassen  sich  nur  solche 
graduelle   Unterschiede    der   Entwickelung    nachweisen,    denn    die    äussere 


VII.   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  397 

Cliordascheide  zeigt  bei  allen  Batrachiern  ursprünglich  dieselbe  Zusammen- 
setzung, welche  bei  den  Salamandrinen  durch  die  vorzeitige  Verknöcherung  in 
den  vertebralen  Abschnitten  jedenfalls  Längere  Zeit  erhalten  bleibt,  während 
sie  bei  den  Anuren  in  Abwesenheit  dieser  konservirenden  Ursache  zur  Knorpel- 
bild img  hinüberführt.  Andererseits  ist  aber  in  der  Textur  der  Intervertebral- 
wülste  und  selbst  in  der  Entwickelung  des  „Chordaknorpels"  die  vollkommene 
Uebereinstimmung  beider  Batrachiergruppen  nicht  zu  verkennen. 

Der  voranstellende  Vergleich  bezieht  sich,  da  den  Anuren  eine  Schwanz- 
wirbelsäule fehlt,  natürlich  nur  auf  die  Rumpfwirbel.  An  den  Schwanzwirbeln 
der  Salamandrinen  kommen  ausser  den  bisher  genannten  Stücken  noch  die 
unteren  Bögen  hinzu,  welche  eine  vollständige  Wiederholung  der  oberen 
darstellen.  Sie  entstehen  in  knorpeliger  Anlage  zu  beiden  Seiten  der  Bauch- 
fläche des  Wirbels,  sind  also  ebenfalls  selbstständige,  von  der  äusseren  Chorda- 
scheide nicht  abzuleitende  Neubildungen ;  auch  folgen  sie  beim  Hinabwachsen 
der  Innenseite  der  Segmentmuskeln ,  um  innerhalb  des  von  den  letzteren  unter 
der  Wirbelsäule  eingeschlossenen  Raumes  mit  ihren  Spitzen  sich  zu  vereinigen. 
Diese  Vereinigungsstelle  ist  bei  Salamandra  knopfartig  verdickt  und  bleibt 
am  längsten  knorpelig.  —  Ausserdem  verdienen  die  seitlichen  Wirbelfortsätze 
der  Salamandrinen  eine  besondere  Erwähnung.  Sie  wachsen  gerade  so  wie 
bei  den  Anuren  in  knorpeliger  Anlage  aus  den  oberen  Bögen  hervor  und 
zwischen  die  segmentalen  Muskelmassen  hinein,  welche  sie  quer  durch- 
setzen ,  sodass  ihre  Enden  meist  an  der  Aussenseite  der  Muskelmassen  frei 
zu  Tage  treten.  Sie  verknöchern  auch  in  ähnlicher  Weise  wie  bei  den 
Anuren,  d.  h.  die  Faserknochenrinde  und  die  spätere  innere  Verknöcherimg 
sind  in  den  medialen  Hälften  der  Fortsätze  durch  einen  knorpeligen  Gelenk- 
theil unterbrochen  und  lassen  auch  das  laterale  Ende  frei.  Das  Merkwürdigste 
an  diesen  seitlichen  Wirbelfortsätzen  der  Salamandrinen  ist  aber  der  Umstand, 
dass  sie  an  jedem  Rumpfwirbel  jederseits  doppelt  auftreten  und  darauf  in 
eigenthümlicher  Weise  verschmelzen.  Die  beiden  Fortsätze  einer  Wirbelbogen- 
hälfte  entspringen  über  einander,  der  obere  etwas  unter  der  Höhe  der  Gelenk- 
fortsätze, der  untere  nahe  der  Wirbelbogenbasis.  Die  unteren  Fortsätze  sind 
überall  gut  entwickelt  und  setzen  sich  auf  die  Schwanwirbelsäule  fort.  Im 
vorderen  Rumpfe,  und  zwar  in  grösserer  Ausdehnung  bei  den  Tritonen  als  bei 
Salamandra,  treten  sie  unter  dem  mittleren  Seitennerven  oder  der  eigentlichen 
Seitenlinie  aus  den  segmentalen  Muskelscheidewänden  hervor  und  biegen  dann 
mit  ihren  stets  knorpelig  bleibenden  Enden,  welche  bisweilen  (Salamandra) 


398  VII.   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

ähnlich  wie  bei  den  Annren  verbreitert  sind,  nach  unten  um  (Taf.  XIX  Fig.  341). 
Im  hinteren  Rumpfe  werden  sie  (mit  Ausnahme  der  Kreuzbeinwirbel)  etwas 
kürzer,  noch  mehr  im  Schwänze.  Da  die  Grenze  der  oberen  und  unteren 
Muskelhälften  namentlich  im  vorderen  Rumpfe  bei  den  Salamandrinen  anders 
wie  bei  den  Anuren  unter  das  Niveau  der  Wirbelbogenbasis  hinabsinkt,  so 
beschreiben  die  unteren  Fortsätze,  um  zwischen  jene  Hälften  zu  gelangen,  in 
ihrem  medialen  Theile  (Wurzelstück  und  Gelenktheil  des  Aussengliedes)  einen 
nach  aussen  und  oben  konkaven  Bogen  (Taf.  XIX  Fig.  340).  Die  oberen 
Fortsätze  sind  besonders  in  ihren  Aussengliedern  kürzer  als  die  unteren ;  bei 
den  Tritonen  bleibt  aber  das  Längenverhältniss  beider  durch  den  ganzen 
Rumpf  ziemlich  gleichmässig,  während  die  oberen  Fortsätze  der  Salamander- 
larven sich  nach  hinten  zu  auch  relativ  stark  verkürzen.  Im  vorderen  Rumpfe 
beschreiben  die  oberen  Fortsätze  von  ihrem  Ursprünge  an  einen  nach  aussen 
und  oben  konvexen  Bogen,  dringen  also  zwischen  die  oberen  Muskelhälften  ein 
und  erreichen  darauf  erst  die  unteren  Fortsätze,  sodass  die  Aussenglieder 
beider  sich  anein  and  erlegen  und  endlich  verschmelzen.  .Von  dieser  Ver- 
schmelzung sind  einmal  die  medialen  Gelenkenden  jener  Aussenglieder  ausge- 
nommen ,  welche  gegen  die  zugehörigen  Wurzelstücke  divergiren ;  ferner  auch 
die  lateralen  Enden  der  oberen  Aussenglieder  an  den  ersten  Wirbeln  von  Sala- 
mandra  und  im  ganzen  vorderen  Rumpfe  der  Tritonen,  welche  Enden  aufwärts 
gekrümmt  über  der  Seitenlinie  aus  den  Muskeln  hervortreten  (Taf.  XIX 
Fig.  341).  Die  lateralen  Enden  der  unteren  Aussenglieder  nehmen  an  der 
Verschmelzung  natürlich  nirgends  Theil,  da  sie  über  die  oberen  Aussenglieder 
mehr  oder  weniger  weit  hinausragen.  Weiter  rückwärts  werden  die  beschrie- 
benen Bögen  der  beiderlei  Fortsätze  flacher,  die  von  ihnen  umschlossene 
Oeffnung  kleiner;  die  oberen  Aussenglieder  der  Salamanderlarven  werden  dort 
so  klein ,  dass  sie  eigentlich  nur  das  obere  Gelenkende  des  aus  der  Verschmel- 
zung hervorgehenden  Skeletstücks  bilden.  An  einem  oder  zwei  Kreuzbein- 
wirbeln werden  alle  Theile  der  beiden  Fortsätze  stärker,  dahinter  verlieren 
-ich  jedoch  die. oberen  vollständig.  —  Im  weiteren  Verlaufe  der  Entwickelung 
verschmelzen  auch  die  doppelten  Wurzelstücke  von  ihrer  Basis  aus ,  sodass  in 
den  fertig  ausgebildeten  Salamandrinen  nur  noch  die  gespaltenen  Gelenkenden 
der  scheinbar  einfachen  Wurzelstücke  und  Aussengliedern  die  doppelte  Anlage 
anzeigen.  Diese  fertigen  Skeletstücke  werden,  da  ihre  Artikulation  sich  bei 
den  Salamandrinen  zeitlebens  erhält,  als  Querfortsätze  und  Rippen  unter- 
schieden;  alsdann  niuss  natürlich  auch  die  von  mir  beschriebene  Gliederung 


Vir.   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  399 

der  seitlichen  Wirbelfortsätze  der  Anuren  in  gleicher  Weise  gedeutet  werden, 
sodass  man  dieselben  im  vollendeten  Zustande  als  mit  einander  verwachsene 
Querfortsätze  und  Rippen  aufzufassen  hätte.  Zwischen  den  gleichmässigen 
Theilen  beider  Gruppen  bestände  aber  der  Unterschied,  dass  sie  bei  den  Anuren 
aus  einfachen,  bei  den  Salamandrinen  aus  mit  einander  verschmolzenen  Doppel- 
anlagen hervorgehen.  —  Die  Verschmelzung  der  doppelten  Querfortsätze  schliesst 
natürlich  die  Auffassung  aus,  als  wenn  das  an  der  Basis  des  fertigen  Querfortsatzes 
befindliche  Foramen  transversarium  eine  Lücke  zwischen  zwei  Wurzeln  desselben 
wäre.  Dieses  Loch  entstellt  vielmehr  dadurch,  dass  der  untere  Querfortsatz 
mit  der  vorderen  Wirbelkörperhälfte  durch  eine  schräge  und  anfangs  sehr 
dünne  knöcherne  Brücke  verbunden  wird,  welche  das  genannte  Foramen  nach 
unten  abschliesst  und  später  als  eine  untere  vom  Wirbelkörper  entspringende 
Wurzel  des  ganzen  Querfortsatzes  erscheint  (vgl.  Stannius  Nr.  80,  S.  11.  12). 
Diese  Knochenbrücken  können  aber  mit  den  Qnerfortsätzen  nicht  zusammen- 
gestellt werden,  denn  sie  besitzen  weder  eine  knorpelige  noch  überhaupt  eine 
morphologische  Anlage  und  sind  nur  spätere,  lokale  Verknöcherungen  binde- 
gewebiger Bandmassen.  Dies  ergibt  sich  am  deutlichsten  daraus,  dass  sie  bei 
den  Tritonen  anfangs  sehr  unregelmässig,  oft  zackig  sind,  selbst  Maschen- 
bilden  und  auch  zwischen  anderen  Skelettheilen  vorkommen,  so  z.  B.  am 
Schwänze,  wo  sie  jederseits  mehrfache  unregelmässige  Brücken  zwischen  den 
unteren  Bögen  und  den  Querfortsätzen  darstellen.  Sie  können  daher  zu  den 
Faserknochenbildungen  gestellt  werden ,  welche,  wie  ich  zeigte,  die  ursprüng- 
lichen Wirbelbögen  nachträglich  verbreitern  und  zwar  bei  den  Molchen  in  noch 
höherem  Grade  als  bei  den  Anuren,  sodass  sie  dort  mehr  wie  kurze  Röhren  als 
wie  einfache  Bögen  erscheinen. 


Obgleich  die  Wirbelsaite  in  den  meisten  Wirbelthieren  eine  rein  embryo- 
nale Bildung  ist,  so  hat  man  sie  doch  gar  zu  häufig  nur  anatomisch,  d.  h.  im 
fertig  ausgebildeten  Zustande  untersucht,  daher  aber  auch  zu  manchen  irrigen 
Schlüssen  sich  verleiten  lassen.  —  Nachdem  J.  Müller  und  Rathke  an  der 
Wirbelsaite  eine  Scheide  und  den  von  ihr  umschlossenen  Kern,  welcher  aus  mit 
Gallerte  angefüllten  Zellen  bestehe,  unterschieden  hatten,  glaubte  Voor  irriger- 
weise ihre  späteren  Elemente  für  vollständige  Neubildungen  der  homogenen 


400  Vit.  Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

Masse,  welche  aus  der  gänzlichen  Zerstörung  der  Embryonalzellen  hervorgehe, 
erklären  zu  müssen;  in  dieser  Masse  erkennt  er  ganz  richtig  das  allmähliche 
Auftreten  und  Wachsen  der  Vakuolen,  hält  sie  aber  für  die  eigentlichen  noch 
kernlosen  Zellen.  Prevost  und  Lebert  haben  allerdings  die  Vakuolen  in  den  noch 
vollständig  erhaltenen  Embryonalzellen  sich  entwickeln  lassen,  wie  es  seitdem 
auch  allgemein  angenommen  wird,  aber  dieselben  mit  den  von  ihnen  über- 
sehenen Kernen  jener  Zellen  verwechselt.  Seitdem  ist  die  Natur  der  Vakuolen 
richtig  erkannt,  aber  das  spätere  Verhalten  der  von  ihnen  ausgefüllten  Zellen, 
wie  ich  glaube,  falsch  beurtheilt  worden.  Bei  Kölliker,  W.  Müller  und 
Lieberkühn  findet  sich  lediglich  eine  Bestätigung  der  alten  ScHWANN'schen 
Lehre,  dass  die  Elemente  im  Innern  der  Wirbelsaite  grosse  Zellen  mit  Mem- 
branen und  wandständigen  Kernen  seien,  um  welche  sich  eine  Rindenschicht 
von  abgeplatteten  Zellen  erhalte;  und  es  lässt  sich  nicht  leugnen,  dass  wenn 
man  nur  die  Vergrösserung  der  ursprünglichen  Embryonalzellen  durch  die 
schnell  wachsenden  Vakuolen  im  Auge  behält,  der  äussere  Anschein  jene  Auf- 
fassung befürwortet.  Dann  müssten  aber  die  Scheidewände  des  Gallertkörpers 
als  Ausdruck  der  sich  berührenden  Zellenmembranen  zweiblätterig  sein;  dieses 
habe  ich  aber  weder  selbst  an  guten  Durchschnitten  irgendwo  konstatiren 
können,  noch  von  irgend  einem  andern  Beobachter  nachgewiesen  gefunden. 
Daher  halte  ich  das  Gerüst  jener  Scheidewände  einfach  für  ein  Analogon  der 
Intercellularsubstanz  des  Knorpels  und  würde  diesen  letzteren  von  Gegenbatu 
zuerst  gebrauchten  Ausdruck  gern  wiederholen ,  wenn  er  nicht  die  Annahme 
enthielte,  dass  wenigstens  die  in  jenes  Fachwerk  eingeschlossenen  Massen 
Zellen  seien.  Da  aber ,  wie  ich  zeigte ,  den  bei  weitem  meisten  dieser  Massen 
die  in  die  Scheidewände  und  die  Rindenschicht  ausgewanderten  Kerne  fehlen, 
und  von  dem  eigentlichen  Zellenleibe  nur  noch  unbeständige  Protoplasmafetzen 
übrig  bleiben,  so  kann  von  Zellenindividuen  im  Gallertkörper  nicht  die  Rede 
sein.  Andererseits  erhalten  die  einzelnen  Embryonalzellen  oft  mehr  als  je  eine 
Vakuole,  sodass  nicht  wenige  der  in  die  Fächer  eingeschlossenen  Gallertmassen 
überhaupt  nicht  ganzen  Zellen ,  sondern  nur  kleineren  oder  grösseren ,  regellos 
abgesonderten  Theilen  derselben  entsprechen.  Ebenso  wenig  wie  der  Gallert- 
kürper  enthält  die  protoplasmatische  Rindenschicht  Zellen;  und  wenn  schon 
die  sorgfältige  anatomische  Untersuchung  Gegenbaur's  die  peripherische 
Zellenlage  wenigstens  den  Anuren  abspricht,  so  muss  die  Erneuerung  des  alten 
Irrthums  durch  W.  Müller  auf  Grund  fortlaufender  embryologischer  Unter- 
suchungen an  denselben  Thieren  um  so  mein'  auffallen,  als  gerade  die  frühesten 


VII.   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  401 

Bilder  von  der  histiologischen  Umbildung  der  Wirbelsaite  für  sich  allein  die 
Unmöglichkeit  darthun,  dass  in  diesem  Organe  irgend  eine  ursprüngliche 
Embryonalzelle  den  späteren  Entwickolungsstufen  intakt  überliefert  werde. 
Ein  Vergleich  meiner  bezüglichen  Abbildungen  (Taf.  X  Fig.  18.2 — 184),  welche 
wesentlich  gleich  alten  Embryonen  entnommen  sind,  lehrt,  dass  die  Vakuolen- 
bildung  in  allen  die  Aussenfläche  der  Wirbelsaite  zusammensetzenden  Zellen 
stattfindet*  und  dass  die  kontinuirliche  protoplasmatische  Rindenschicht  nur 
aus  sehr  kleinen  peripherischen  Abschnitten  dieser  Zellen  hervorgeht.  Und 
wenn  man  für  die  spätere  Entwickelungszeit  nicht  bloss  die  unsicheren  Befunde 
der  Querdurchschnitte  jener  Schicht,  sondern  die  Flächenansichteu  derselben, 
natürlich  nach  Entfernung  der  störenden  äusseren  Chordascheide,  zu  Käthe 
zieht,  so  wird  man  sich  dort  ebenso  vergeblich  nach  wirklichen  Zellen  umsehen. 
Ich  darf  daher  wohl  die  Vermuthung  aussprechen,  dass  für  die  Annahme 
solcher  Rindenzellen  wenigstens  an  der  Wirbelsaite  der  Salamandrinen  bei 
Gegenbatjr  der  Umstand  ins  Gewicht  fiel,  dass  er  bei  diesen  Thieren  einen 
intraehordalen  Knorpel  auffand,  welcher  damals  noch  direkt  von  fertigen  Zellen 
abgeleitet  werden  musste.  Meine  Befunde  über  die  Knorpelbildung  in  der 
vorderen  Schädelbasis,  den  Wirbelbogenanlagen  und  innerhalb  der  Wirbelsaite 
der  Unke,  in  welcher  ja  GEfrENBAiiR  selbst  die  Rindenzellen  fehlen  lässt, 
ergeben  aber,  dass  die  Knorpelzellen  überhaupt  nicht  unmittelbar  aus  voll- 
ständigen Zellen  sondern  um  freie  Kerne  herum  entstehen,  sodass  ihre  spätere 
Anwesenheit  in  der  Wirbelsaite  keinesfalls  die  Annahme  präexistirender  Zellen 
unterstützen  kann.  Daher  sehe  ich  in  der  histiologischen  Umbildung  der 
Wirbelsaite  einen  ähnlichen  Verschmelzungsprocess  der  Embryonalzellen,  wie 
ich  ihn  schon  in  der  Anlage  des  Centralnervensystems  beschrieb ,  und  wie  er 
sich  noch  klarer  an  den  Wirbelbogenanlagen  und  der  äusseren  Chordascheide 
darstellt.  Doch  gibt  es  zwischen  der  Wirbelsaite  und  den  anderen  Organen 
einen  nicht  unwesentlichen  Unterschied  hinsichtlich  der  weiteren  Entwicklung 
und  daher  des  Masses  der  physiologischen  Bedeutung.  Wenn  in  den  genannten 
( h'ganen  und  einigen  noch  zu  beschreibenden  Geweben  jene  Zellenverschmelzung 
die  Vorstufe  ist  zu  weiteren  histiologischen  Ditferenzirungen,  zur  Bildung  neuer 
Zellen  und  anderer  Gewebselemente,  so  hat  die  Wirbelsaite  der  Batrachier  mit 


*  In  der  bezeichneten  Zeit  dürfte  überhaupt  die  Gesammtheit  der  radiär  angeordneten 
GhordazeHen  an  der  Oberfläche  der  Wirbelsaite  theünehmen.  (Vgl.  Taf.  VI  Fig.  114  und 
Taf.  VII,  Fig.  137). 

(iiiBTTE,  Kntwickehingsgescbichte,  '-'0 


402  VII.   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

jenem  ersten  Erfolge  das  Ende  ihrer  eigentlichen  histiologischen  Eiitwiekelung 
erreicht;  denn  die  Bildung  des  Chordaknorpels  betrifft  weder  das  ganze  Chorda- 
gewebe noch  gewisse  Theile  desselben  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung,  sondern 
nur  einzelne  Stellen  des  ganzen ,  zudem  in  der  Atrophie  befindlichen  Organs. 
Ein  greifbarer  Erfolg  dieser  Bildung  zeigt  sich  nicht  einmal  bei  allen  Batra- 
chiern,  indem  z.  B.  die  Wirbelsaite  der  Frösche  und  Kröten  nur  ganz  vereinzelte 
Knorpelzellen  erzeugen  mag  (W.  Mülleh),  nirgends  aber  einen  wirklichen 
Chordaknorpel  aufweist.  In  Uebereinstimmung  damit  ist  die  volle  physiologische 
Wirksamkeit  der  Wirbelsaite  auf  die  Zeit  vor  der  Entwicklung  der  Wirbel 
beschränkt;  dann  dient  sie  nämlich  den  sie  seitlich  begrenzenden  Segment- 
muskeln zur  Anheftung,  wobei  die  Beweglichkeit  der  Ansatzpunkte  durch  die 
Biegsamkeit  des  ganzen.  Organs  erzielt  wird.  Diesen  Dienst  leistet  sie  auch 
noch  nach  der  Bildung  ihrer  äusseren  Scheide,  welche  darauf  die  Muskelansätze 
aufnimmt,  aber  den  nöthigen  Halt  und  die  Elasticität  nur  von  der  einge- 
schlossenen Wirbelsaite  erhält.  In  dem  Masse  jedoch,  als  die  aus  der  äusseren 
Chordascheide  hervorgehenden  Wirbelkörpertheile  fester  werden ,  lösen  sie  die 
zu  gleicher  Zeit  zusammenfallende  Wirbelsaite  in  jener  ihrer  Wirksamkeit  ab, 
indem  ihre  Biegsamkeit  durch  die  Gliederung  der  Wirbelsäule  ersetzt  wird. 
Es  hat  also  die  Wirbelsaite,  wie  es  Reichert  zuerst  lehrte,  unzweifelhaft  die 
Bedeutung  eines  vorläufigen  einfachsten  Stammskelets ;  da  jedoch  ihre  erste 
Umbildung  zu  einer  Auflösung  der  überwiegenden  Masse  ihrer  protoplasmati- 
schen Theile  oder  zu  ihrer  Verwandlung  in  feste  membranöse  Bildungen  führt, 
so  ist  es  verständlich,  dass  dieser  bekannteste  Zustand  der  elastischen  „Saite", 
welcher  ihre  Funktion  eines  passiven  Bewegungsorgans  allein  ermöglicht, 
geradezu  ein  seniler  ist,  als  solcher  aber  jede  wirkliche  Eiitwiekelung  aus- 
schliesst  und  nur  eine  vollständige  Rückbildung  zur  Folge  haben  kann.  Als- 
dann darf  aber  auch  die  Aufquellung  des  ganzen  Organs,  welches  mit  einer 
Thätigkeit  der  bereits  zerstörten  einzelnen  Zellen  nichts  mehr  zu  thun  hat, 
nicht  mit  einem  organischen  Wachsthume  verglichen  werden;  und  wenn 
Gegenbaue,  die  Erhaltung  -der  vertebralen  Chordareste  in  der  Wirbelsäule 
mancher  Batrachier  mit  Recht  aus  dem  konservirenden  Einflüsse  knöcherner 
Theile  erklärt  (Nr.  88  S.  18.  26),  so  möchte  ich  diese  Darstellung  insofern 
ergänzen,  dass  der  blosse  Mangel  solcher  konservirenden  Vorrichtungen  genügt, 
um  die  Rückbildimg  der  Wirbelsaite  als  einfache  Folge  ihrer  Entwickelung 
auch  dort  eintreten  zu  lassen,  wo  ein  äusserer,  sie  beeinträchtigender  Druck 
fehlt,  wie  v..  15.  an  den  mittleren  Wirbelabschnitten  der  Unke. 


VIT.   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  403 

In  dem  Masse,  als  die  Wirbelsaite  ihre  Thätigkeit  als  Skelettheil  aufgibt, 
erscheint  sie  nur  mehr  als  der  Grundstock,  auf  den  sich  die  sie  ablösenden 
eigentlichen  Wirbelanlagen  ablagern.  Bleiben  wir  zunächst  beim  Rumpfe 
stehen,  so  ist  die  Entwickelung  dieser  Anlagen  bei  den  Batrachiern  in  ver- 
schiedener Weise  beschrieben  worden.  Schon  J.  Müller  und  Rathke  sprechen 
von  einer  einheitlichen  Anlage  der  ganzen  Wirbel,  doch  so,  dass  die  Bögen 
einzeln  und  von  kleinen  Anfängen  aus  der  „Belegmasse"  der  Wirbelsaite  hervor- 
wachsen. Aber  schon  bei  Müller  finden  sich  die  Anfänge  einer  Lehre,  welche 
von  Kölliker  und  Gegenbaur  weiter  ausgebildet  wurde,  dass  nämlich  der 
ganzen  Wirbelsäule  ausserhalb  der  Wirbelsaite  eine  vollständig  kontinuirliche, 
häutige  Anlage,  die  „  skeletbildende  Schicht-',  zu  Grunde  liege,  welche 
aus  einer  die  Wirbelsaite  und  das  Rückenmark  einschliessenden  Doppelröhre 
bestehe,  und  sowohl  die  diskreten  Skelettheile  als  ihre  bindegewebigen  Verbin- 
dungen als  nachträgliche  Differenzirungen  einer  gemeinsamen,  indifferenten 
Gründlage  absondere.  Diese  Vorstellung  ist  aber  nach  meinen  Untersuchungen 
unstatthaft.  Denn  meine  äussere  Chordaseheide,  die  wesentliche  Anlage  der 
Wirbelkörper,  entsteht  allein  als  kontinuirliche  Röhre  um  die  eingeschlossene 
Wirbelsaite;  die  Wirbelbögen  wachsen  weder  aus  dieser  hervor,  noch  differen- 
ziren  sie  sich  aus  einer  häutigen,  das  Rückenmark  einschliessenden  Röhre, 
sondern  sind  Neubildungen,  welche  bloss  auf  der  Unterlage  der  äusseren 
Chordaseheide,  nicht  aus  ihr  hervor,  von  kleinen,  warzenförmigen  Anfängen 
aus  das  Rückenmark  umwachsen.  Dieses  Verhältniss,  welches  bereits  Bruch, 
wenn  auch  nicht  bestimmt  genug  angedeutet  hat,  ist  namentlich  in  der  aller- 
ersten Zeit,  auf  die  es  zumeist  ankommt,  leicht  zu  konstatiren.  Denn  wenn  die 
ersten  Zellenhäufchen  der  Wirbelbogenanlagen  sichtbar  werden,  ist  die  äussere 
Chordascheide  bereits  zu  einer  nichtzelligen,  von  freien  Kernen  durchsetzten 
Membran  geworden.  Ferner  gibt  es  wohl  eine  häutige  Rückenmarksröhre, 
die  Anlage  der  Rückenmarkshäute,  aber  die  Bögen  entstehen  und  wachsen  nicht 
innerhall),  sondern  ausserhalb  derselben  und  sind,  bevor  sie  die  anfangs  relativ 
sehr  grossen  Spinalganglien  umwachsen  haben ,  unter  sich  gar  nicht  unmittel- 
bar verbunden,  da  sie  sowohl  von  jener  gemeinsamen  Unterlage,  als  auch  vom 
umgebenden  interstitiellen  Bildungsgewebe  deutlich  unterschieden  sind.  Will 
man  dieses  letztere,  innerhalb  dessen  allerdings  die  WTirbelbögen  entstehen,  als 
die  skeletbildende  Schicht  betrachten,  wie  es  Gegenbaur  und  namentlich 
Kölliker,  welcher  die  Membrana  reuniens  superior  dazu  rechnet  (Nr.  48  S.  Gl), 
zu  thun  scheinen,  so  ist  daran  zu  erinnern,  dass  dieses  Bildungsgewebo  bei  dein 

2G* 


404  VII.   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

bedeutenden  Uebergewicht  der  allgemeinen  Interstitialflüssigkeit  überhaupt 
nicht  als  eine  häutige,  noch  viel  weniger  aber  als  eine  bloss  Bindesubstanzen 
erzeugende  Embryonalschicht  angesehen  werden  kann.  Denn  in  ihr  entwickeln 
sich,  wie  ich  im  nächsten  Abschnitte  zeigen  werde,  alle  allgemeinen  Gewebe, 
Muskeln,  Gefässe,  Nerven  so  gut  wie  die  Bindesubstanzen.  Die  beiderlei 
Wirb  elanlagen,  die  äussere  Chordascheide  und  die  Wirbelbögen,  sind  also  als 
besondere  und  gesonderte  Erzeugnisse  des  allgemeinen  interstitiellen  Bildungs- 
gewebes aufzufassen  und  als  solche  den  umgebenden  noch  nicht  verbrauchten 
Theilen  desselben  so  entgegenzusetzen  wie  die  übrigen  Erzeugnisse,  die  Gefäss- 
und  Nervenanlagen.  Der  Hauptunterschied  unserer  Anlagen  und  dieses  Bildungs- 
gewebes beruht  in  jener  wässerigen  Interstitialflüssigkeit,  welche  das  Bildungs- 
gewebe durchtränkt,  aus  den  Wirbelanlagen  aber  durch  die  feste  Aneinander- 
lagerung  der  Elemente  vollständig  verdrängt  wird;  damit  hängt  auch  zusammen, 
dass  beide  Theile  durchaus  nicht  einen  unmittelbaren  Uebergang  in  einander 
zeigen,  wie  es  Gegenj3AUü  behauptet,  sondern  namentlich  die  knorpeligen  Wirbel- 
bögen sich  sehr  leicht  und  ganz  glatt  aus  dem  umgebenden  „jungen  Bindegewebe" 
d.  h.  dem  übrigen  Bildungsgewebe  herauslösen  lassen.  —  Für  die  Erkenntniss  der 
allgemeinen  morphologischen  Bedeutung  der  Wirbelanlagen  ist  noch  die  Frage 
nach  dem  Ursprünge  der  dieselben  zusammensetzenden  Elemente  zu  erörtern. 
Früher  wurden  dieselben  einfach  von  den  Segmenten  (Urwirbel)  abgeleitet; 
nachdem  schon  Vogt  die  Wirbelbögen  als  Difl'erenzirungen  der  Kückenwülste 
bezeichnet,  bestimmte  Remak  ihren  Ursprung  von  den  Segmenten  namentlich 
beim  Hühnchen  genauer*,  worauf  diese  Lehre  von  Kölliker  (Nr.  48  S.  62)  und 
Gegenbaur  (Nr.  88  S.  52 — 53)  wiederholt  wurde.  Neuerdings  hat  aber 
W:  Müller  die  His'sche  Behauptung,  dass  alle  Bindesubstanzen  von  den 
Gefässadventitien  abstammten,  auch  an  den  Batrachierii  bestätigen  zu  können 
geglaubt  und  demnach  die  Wirbelanlagen  von  der  Adventitia  der  zwei  Aorten 
abgeleitet  (Nr.  74  S.  353.  417).  Meine  Beobachtungen  geben  gewissermassen 
eine  Vermittelung  beider  gegentheiliger  Auffassungen;  das  Gerüst  des  hier  in 
Betracht  kommenden  Bildungsgewebes  wird  unzweifelhaft  von  den  Segmenten, 
insbesondere  vom  inneren  Segmentblatte  geliefert  und  besteht  schon  vor  der 


*  Wie  ich  schon  früher  anführte  (S.  236),  leugnet  Remak  die  direkte  Abstammung  der 
Batrachierwirbel  von  den  Segmenten,  indem  sie  aus  einer  diese  letzteren  verbindenden 
Chordahülle  hervorgehen  sollen.  Dies  bezieht  sich  aber  nur  auf  die  formale  Erscheinung, 
denn  in  letzter  Instanz  wird  jene  Wirbelanlage  doch  auf  die  Urwirbelmassc  zurückgeführt 
(Nr.  Jo  S.  186). 


VII.   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsaule.  405 

Anlage  derGefässe,  wodurch  also  die  His-Mülleii'scIic  Ansicht  zunächst  in 
ihrer  Allgemeinheit  hinfällig  wird.  Aber  allerdings  wird  der  zweite  wesentliche 
Bestandtheil  der  Wirbelanlagen,  die  das  Bildungsgewebe  zu  kompakten  Massen 
ausfüllenden  Dotterbildungszellen,  von  den  Gefässen  geliefert,  nur  nicht  von 
der  embryonalen  Gefässwand-*  (His,  Müller),  sondern  wie  ich  im  folgenden 
Abschnitte  zeigen  werde,  aus  dem  embryonalen  Blute  selbst.  Da  nun  dieser 
zweite  Bestandtheil  der  Wirbelanlagen  nicht  etwa  bloss  schon  fertige  Anlagen 
vergrössert,  sondern  zu  ihrer  Herstellung  wesentlich  mitwirkt,  so  kann  von 
ursprünglichen  morphologischen  Anlagen  des  Stammskelets,  wie  es  die  Wirbel- 
saite ist,  nicht  die  Rede  sein;  sie  gehören  vielmehr  zu  den  histiologischen 
Umbildungen  und  Neubildungen  innerhalb  des  Bildimgsgewebes,  welches  dazu 
an  bestimmten  Stellen  durch  das  allgemeine  plastische  Ernährungsmaterial 
der  Dotterbildungszellen  wesentlich  ergänzt  wird.  Wie  ich  schon  in  der  Be- 
schreibung andeutete,  passen  sich  diese  histiologischen  Bildungen  der  Form 
und  Lagerung  gewisser  ursprünglich  morphologischer  Theile,  der  Wirbelsaite 
und  der  segmentalen  Muskelplatten  an,  bringen  also  dadurch  die  in  diesen 
Theilen  bereits  verkörperten  allgemeinen  morphologischen  Verhältnisse  der 
Rückenaxe  und  der  Quergliederung  zu  wiederholtem  Ausdruck,  und  erben 
andererseits  von  ihnen  die  typische  Anordnung.  Man  kann  sie  desshalb  als 
sekundär-typische  Theile  bezeichnen.  Alsdann  wird  aber  auch  die  Bedeutung 
der  zweierlei  Wirbelanlagen  erst  völlig  klar.  Die  Anpassung  an  die  Wirbel- 
saite und  diejenige  an  die  Segmentmuskeln  ergibt  zweierlei  Bildungen,  welche 
nach  dem  Gesagten  auseinandergehalten  werden  könnten,  selbst  wenn  sie 
histologisch  vollständig  kontinuirlich  in  einander  übergingen.  Dass  dies 
anfangs  nicht  der  Fall  ist,  wurde  schon  erörtert.  Aber  auch  weiterhin  erhält 
sich  eine  deutliche  Scheidegrenze  sehr  lange,  bei  den  Salamandrinen  in  Folge 
des  verschiedenen  Gewebes  (Knorpel  der  Wirbelbögen,  Faserknochen  des 
Wirbelkörpers) ,  bei  den  Anuren  durch  gewisse  Unterscheidungsmerkmale  des 
beiderseits  gleichartigen  Gewebes.  Die  Wirbelbogenanlagen  haben  nämlich 
anfangs  kleine  runde  Kerne,  die  äussere  Chordascheide  grosse  platte-,  ferner 
ist  die  Interkapsularsubstanz  dort  heller,  hier  dunkler,  der  Färbung  zu- 
gänglicher und  früher  verkalkt.     Aber  wie  gesagt,  diese  histiologischen  Unter- 


*  Diese  primitiven  Gefässwände  besitzen  zudem  noeb  gar  keine  Adventitia,  welche  erst 
viel  spater  erscheint,  sondern  bestehen  bloss  aas  der  netzförmigen  Anlage  der  Intima 
(Tdf.  XII  Fig.  210). 


406  VII.   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

schiede  scheinen  mir  gar  nicht  so  wesentlich  zu  sein,  wie  der  Umstand,  dass 
die  beiderlei  Wirbelanlagen  als  sekundär-typische  Theile  ihre  Bedeutung  erst 
von  den  embryonalen  Anlagen  erhalten ,  denen  sie  sich  bei  ihrer  Entwicklung 
anpassten ,  und  welche  eben  verschieden  sind.  Die  Wirbelsäule  ist,  wie  ich  sie 
geschildert  habe ,  als  primäres  Skelet  ein  unpaares ,  axiales  und  ungegliedertes 
Gebilde;  ihre  äussere  Scheide  erscheint  daher  anfangs  ebenso  und  überhaupt 
nur  als  eine  jenes  Organ  nach  aussen  verstärkende  Hülle,  w eiche  den  von  jener 
übernommenen  Muskelansätzen  nicht  selbstständig  dient,  sondern  nur  als  Ver- 
mittlerin der  diesem  Organ  allein  zukommenden  und  für  die  Funktion  eines 
Skelettheils  nothwendigen  Eigenschaften  einer  genügenden  Festigkeit  und  Be- 
weglichkeit erscheint.  Die  Wirbelbögen  dürfen  dagegen  zunächst  nur  als  durch 
die  lokalen  Verhältnisse  erzeugte  Verstärkungen  des  Gewebes  zwischen 
Rückenmarkshüllen  und  den  intersegmentalen  Muskelscheidewänden  aufge- 
fasst  werden ;  natürlich  werden  sie  aber  in  derselben  Weise  wie  jede  unter  rein 
mechanischen  Formbedingungen  erzeugte,  indifferente  Embryonalanlage  in 
ihren  weiteren  Umbildungen  durch  die  physiologische  Thätigkeit  beeinflusst, 
welche  zu  einer  gewissen  Zeit  durch  die  Form,  Lage  und  die  Wechsel- 
beziehungen jener  indifferenten  Anlage  nothwendig  hervorgerufen  wird.  Solche 
Beziehungen  ergeben  sich  im  vorliegenden  Falle  zwischen  den  Wirbelbögen 
und  den  Muskelscheidewänden,  sodass  die  ersteren  zu  den  wesentlichen  Skelet- 
theilen der  segmentalen  Muskeln  werden,  so  weit  diese  über  dem  Niveau  des 
axialen  Skeletstammes ,  der  Wirbelsaite  und  ihrer  äussern  Scheide,  eine 
unmittelbare  Befestigung  noch  entbehrten.  Die  Verbindung  der  Bögen  mit 
dem  axialen  Stamme  ist  aber  bei  ihrer  gemeinsamen  Funktion  und  den  gege- 
benen Lageverhältnissen  eine  ganz  natürliche  Anpassung.  Sie  erhalten  dadurch 
eine  festere  Unterlage  und  behalten  andererseits  eine  durch  den  elastischen 
axialen  Stamm  vermittelte  Beweglichkeit.  Es  haben  also  die  Wirbelbögen, 
noch  bevor  der  letztere  sich  wesentlich  verändert  hat,  demselben  einen  Theil 
der  ursprünglich  ihm  allein  zukommenden  Aufgabe,  den  Stammuskeln  Be- 
festigungspunkte zu  bieten,  abgenommen,  ihm  aber  die  Sorge  für  eine  genügende 
Unterstützung  und  Beweglichkeit  der  Träger  der  neuen  Muskelansätze  über- 
lassen. Diese  Theilung  der  Arbeit  geht  aber  aus  leicht  begreiflichen  Ursachen 
noch  weiter.  Einmal  erhalten  die  Wirbelbögen,  indem  sie  mit  den  queren 
Muskelgrenzen  aufwärts  auswachsen,  immer  längere  Ansatzlinien;  ein  noch 
wichtigeres  Moment  ist  aber  die  zunehmende  Gliederung  der  letzteren.  Die 
ursprüngliche  Muskelbefestigung  war  in  Uebereinstimmung  mit  der  einfachen 


VII.  Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  407 

und  beschränkten  Muskelthätigkeit  der  Embryonal-  und  ersten  Larvenperiode 
von  höchst  einfacher  Anordnung:    die   kurzen  Muskelansätze  lagen  an  der 
Wirbelsaite  in  einer  Reihe  regelmässig  hintereinander  und  ermöglichten  ledig- 
lich die  Beugung  in  horizontaler  Richtung.     Und  diese  Anordnung  ist  an  der 
Wirbelsaite  einer  Weiterentwickelung  gar  nicht  fähig,  da  diese  primäre  Skelet- 
anlage  bei  dem  Abschluss  ihrer  Entwickelung  sich  in  wechselnder  Weise  den 
Muskeln  gar  nicht  anpassen  kann.      Die  fortgesetzten  Verschiebungen  der 
Segmentmuskeln  bedingen  dagegen  gleichzeitig  eine  wachsende  Mannigfaltig- 
keit von  Ansatzpunkten  an  den  ihnen   sich  anpassenden  Wirbelbögen  und 
Fortsätzen,  wodurch  jene  ersten  Ansätze  vollkommen  entbehrlich  und  in  Folge 
des  Hinabrückens  der  Basen  der  Wirbelbögen  und  ihrer  seitlichen  Fortsätze 
diesen  letzteren  übertragen  werden  (Taf.  XIX  Flg.  338—340).     Indem  aber 
das   primäre,    axiale   Skelet   die  Muskelbefestigungen   verliert,   bildet   es  in 
gleichem  Masse  diejenigen  Seiten  seiner  Skeletfunktion  aus,  welche  ihm  gemäss 
der  schon  angedeuteten  Arbeitsteilung  besonders  zufallen,  nämlich  die  Festi- 
gung und  Beweglichkeit  der  die  Wirbelbögen  tragenden  Unterlage.    Natürlich 
ergibt  sich  aber  auch  dabei  die  „Zweckmässigkeit"  nur  als  der  Ausdruck  eines 
Zusammenhangs  der   Entwickelung,   einer   nothw endigen ,   gegenseitigen  An- 
passung.    Mit  der  frühzeitigen  Muskelthätigkeit  und  der  sich  ihr  anpassenden 
Entwickelung  der  Wirbelbögen    steigern  sich  ebenso  frühzeitig  die  auf  die 
letzteren  wirkenden  Zugkräfte  und  der  auf  die  Stützpunkte  ausgeübte  Druck. 
In  dein  letzteren  glaube  ich  aber  gerade   die  Ursache  zu   erkennen  für  das 
geringe  Wachsthuni  der  so    früh  davon  unmittelbar   betroffenen  vertebralen 
Theile  der  äusseren  Chordascheide,  welche  wiederum  aus  demselben  Anlass 
früher  erhärten,  wenn  auch  zunächst  nur  durch  eine  periostale  Yerknöcherung. 
Andererseits  verlangt  und  erzielt  die  ununterbrochene  Muskelaktion  nicht  nur 
feste  Stützpunkte,  sondern  auch  die  Beweglichkeit  derselben.     Diese  muss  sich 
in  dem  Masse  als  die  unmittelbaren  vertebralen  Stützpunkte  an  Nachgiebigkeit 
verlieren,  auf  die  Grenzen  benachbarter  Stützpunkte,  also  auf  die  interverte- 
bralen  Abschnitte  beschränken,  wo,  wie  ich  zeigte,  das  Wachsthuni  der  äussern 
Chordascheide    gerade    in   Folge    seiner   Beschränkung   in   den   vertebralen 
Abschnitten   sich  besonders  steigerte,    diese  Wucherung  des  Intervertebral- 
wulstes  aber  die  Verknöcheruug  seines  Gewebes  hintanhielt  und  dessen  Nach- 
giebigkeit wahrte.     Auf  diese  Weise  wird  durch  die  Steigerung  der  Ansprüche 
an  die  Festigkeit  des  axialen  Skeletstammes,  welche  sich  mit  der  Beweglichkeit 
nur  bis  zu  einem  gewissen  Grade  gleichmässig  vereinigen  lässt,  eine  vollständige 


J.I  is  VII.  Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

Vertheilung  beider  Eigenschaften  auf  verschiedene  Abschnitte  herbeigeführt 
und  die  Gliederung,  welche  von  den  Segmenten  ursprünglich  nur  auf  die 
Wirbelbügen  übertragen  war,  durch  diese  auch  auf  den  ursprünglich  unge- 
gliederten Skeletstamm  vererbt.  —  An  dem  letzteren  war  anfangs  nur  die 
Wirbelsaite  der  wirksame  Theil,  ihre  äussere  Scheide  von  untergeordneter  Be- 
deutung. Für  die  weitere  Entwicklung  kommt  aber  nur  die  letztere  in  Betracht, 
da  die  Wirbelsaite  als  eine  abgeschlossene  Bildung  einer  fortschreitenden 
Entwicklung  nicht  fähig  ist.  Desshalb  übernimmt  die  äussere  Chordascheide 
allmählich  ein  immer  grösseres  Mass  von  der  Aufgabe  des  axialen  Skelet- 
stammes,  wogegen  die  Wirbelsaite  in  demselben  Verhältnisse  als  sie  ausser 
Thätigkeit  gesetzt  wird,  einer  vollständigen  Rückbildung  entgegengeht.  Dass 
dabei  einzelne  Abschnitte  der  Wirbelsaite  unter  dem  konservirenden  Einflüsse 
des  sie  einschliessenden  Knochens  bei  einigen  Batrachiern  längere  Zeit,  selbst 
zeitlebens  bestehen  bleiben,  kann  gegenüber  den  allgemeinen  Ergebnissen 
ebenso  wenig  ins  Gewicht  fallen,  als  die  bei  andern  Batrachiern  eintretende 
Umbildung  einzelner  ihrer  Zellenreste  zu  Knorpelmassen,  welche  sich  den 
übrigen  Wirbelkörperanlagen  anschliessen.  Die  fernere  Ausbildung  der  Wirbel- 
körper erscheint  endlich  gleichfalls  als  eine  nothwendige  weitere  Folge  der 
für  ihre  Bildung  überhaupt  einmal  in  Wirkung  getretenen  Ursachen;  denn 
wenn  die  Entwickelung  der  Intervertebralwülste  oder  die  Gliederung  des  Axen- 
theils  in  der  angegebenen  Weise  begründet  werden  kann,  so  liegen  im  weiteren 
Fortgange  dieses  Bildungsprocesses  offenbar  auch  die  Bedingungen  zur 
Entstehung  der  Doppelkegelform  der  Wirbelkörper  und  zur  Ausbildung  der 
Zwischenwirbelgelenke.  Jene  Form  ist  eben  bloss  der  Ausdruck  für  das  ge- 
steigerte intervertebrale  Wachsthum  der  äusseren  Chordascheide,  welches  sich 
zuerst  in  einer  queren  Ausweitung  äussert;  die  folgende  Wucherung  offenbart 
aber  die  Wirkung  derselben  beschränkenden  Ursachen,  da  ihre  Höhe  in  die 
quere  Grenzebene  je  zweier  vertebralen  Abschnitte  fällt,  sodass  dort  die 
ursprünglich  freien  Kerne  nothwendig  am  stärksten  angehäuft  und  von  Anfang 
an  quergestreckt  erscheinen  und  am  längsten  in  diesem  Zustande  erhalten 
bleiben.  Auf  diese  Wreise  entstehen  die  von  mir  beschriebenen  queren  Scheide- 
wände oder  die  Anlagen  der  Zwischenwirbelgelenke  nicht  als  nachträgliche 
Umbildungen  einer  Knorpelmasse,  sondern  als  die  der  Knorpelbildimg  am 
längsten  widerstehenden  Theile  der  Intervertebralwülste. 

Aus  diesen  Betrachtungen  ergibt  sich  der  folgende  allgemeine  Entwickelungs- 
gang  des  Stammskelets  der  Batrachier.         I.  Die  einzige  morphologische  An- 


VII.   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  409 

läge  desselben  ist  die  Wirbelsaite,  ein  unpaares  axiales  Gebilde,  welches  sehr 
bald  durch  eine  den  Bestand  seiner  Embryonalzellen  auflösende  Umbildung  in 
einen  elastischen  Cylinder  verwandelt  wird.  Dieser  fungirt  während  einer 
gewissen  Zeit  als  einfachstes,  ungegliedertes  Stannnskelet;  dieser  Thatbestand 
wird  durch  eine  einfache,  dünne  und  hantige  Umhüllung  (äussere  Chorda- 
scheide) zunächst  nicht  wesentlich  verändert,  2.  Dazu  treten  als  histiolog'ische 
Anpassungen  an  die  der  Wirbelsaite  nicht  unmittelbar  anliegenden  Muskel- 
massen,  also  als  sekundär-typische  Theile  die  oberen  Wirbelbögen*,  welche 
dem  axialen  Skeletstamme  fest  aufsitzen  aber  genetisch  nicht  zu  ihm  gehören. 
Solange  die  einfache  und  regelmässige  ursprüngliche  Muskelanordnung  besteht, 
wirken  der  ungegliederte  und  gleichmässige  Axentheil  und  die  gesonderten, 
paarigen,  aber  noch  wenig  entwickelten  Wirbelbögen  gleichartig  neben  einander 
ohne  Veranlassung  zur  Veränderung.  —  3.  Die  topographische  Umbildung  der 
Muskelmassen  hat  eine  entsprechende  Entwicklung  der  sich  ihnen  anpassenden 
Wirbelbögen  (Krümmungen,  Auswüchse)  zur  Folge,  welche  daher  immer  mehr 
Muskelansätze  aufnehmen,  endlich  die  einfache  ursprüngliche  Muskelbefestigung 
an  dem  Axentheile  entbehrlich  machen  und  ganz  ablösen.  Dadurch  wird  der 
letztere  nicht  überflüssig,  sondern  nur  eine  Arbeitstheilung  im  Skeletsysteme 
eingeführt,  Die  Wirbelbögen  übernehmen  die  Aufgabe  durch  ihre  reiche 
Gliederung  den  mannigfachsten  Hebelwirkungen  Angriffspunkte  zu  gewähren 
und  enthalten  gerade  in  ihrer  Thätigkeit  die  Ursachen,  welche  ihnen,  im  axialen 
Skelettheile  entsprechend  festere  aber  doch  bewegliche  Stützpunkte  erzeugen. 
Die  nicht  entwickelungsfähige  Wirbelsaite  kann  dazu  nichts  beitragen-,  dagegen 
wird  ihre  äussere  Scheide  in  der  unmittelbaren  Unterlage  jedes  Bogenpaares 
durch  frühzeitige  Verknöcherung  fester,  in  den  intervertebralen  Abschnitten 
weicher.  Jeder  dieser  embryonalen  Wirbelkörper  ist  mehr  oder  weniger 
doppelkegelförmig,  und  die  eingeschlossene,  noch  unveränderte  Wirbelsaite  ge- 
währt ihm  noch  einen  gewissen  Halt,  ist  also  noch  nicht  von  jeder  Funktion 
ausgeschlossen.  —  4.  Die  weitere  Entwicklung  der  einmal  angelegten 
Gliederung  des  axialen  Skelettheiles  lässt  die  Erzeugnisse  der  äusseren  Chorda- 
scheide immer  vollständiger  an  die  Stelle  der  Wirbelsaite  treten ,  wobei  diese 
ausser  Thätigkeit  gesetzt  endlich  ganz  der  Rückbildung  anheimfällt.  Dabei 
tritt  der  Gegensatz  der  vertebralen  Regionen  und  der  Intervertebralwülste, 


*  Die  unteren  Bögen  werden  als  Theile  nur .  einzelner  Batrachierwirbel  ebenso  wie  die 
Querfortsätze  und  Rippen  erst  später  betrachtet  werden. 


41l)  VII.   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

worauf  ihre  eigene  Entstehung  überhaupt  beruht,  nothwendig  immer  stärker 
hervor:  jene,  die  Mittelstücke  der  künftigen  Wirbelkörper  sind  fester,  wachsen 
langsamer,  konserviren  daher  die  Wirbelsaite  länger,  dieEpiphysen  dagegen  sind 
die  weichen,  stärker  wuchernden  Theile,  welche  also  die  Wirbelsaite  zuerst  zum 
Schwunde  bringen.  Die  Ausbildung  der  Zwischenwirbelgelenke  schliesst 
wenigstens  in  morphologischer  Hinsicht  die  zusammenhängende  Kette  von  Ur- 
sachen und  Wirkungen  der  ganzen  Wirbelbildung,  welche  von  einfachem  Anfange 
ausgehend  in  immer  divergentere  Erfolge  ausläuft.  Denn  Wirbelsaite  und 
Segmente  mit  ihrer  Umgebung  liefern  zunächst  die  einzigen  mechanischen 
Formbedingungen,  welche  das  indifferente  Bildungsmaterial  zu  den  zweierlei 
Wirbelanlagen  verdichten;  und  die  sich  daraus  ergebenden  physiologischen 
Momente  der  Muskelaktion  wirken  ebenfalls  auf  mechanischein  Wege,  um  die 
Gliederung  der  Wirbelbögen  auf  die  Wirbelkörper  zu  übertragen ,  und  deren 
Form  und  Gelenkbildung  sowie  die  Verbindung  und  Arbeitstheilung  beider 
Theile  zu  veranlassen. 

An  der  Hand  dieser  allgemeinen  Uebersicht  der  Wirbelbildung  zunächst 
der  Batrachier  will  ich  versuchen,  die  besonderen  Erscheinungen  bei  diesen  und 
anderen  Wirbelthieren  in  Einklang  zu  bringen.  Für  die  Amphibien  liefert 
die  umfassende  Arbeit  Gegenbauii's  den  reichsten  und  werthvollsten  Stoff.  Es 
erhellt  daraus  (Nr.  88  S.  3—21.  64.  65),  dass  die  Perennibranchiata,  denen  sich 
Cöcilia  anschliesst,  ferner  die  Derotremen  und  Salamandrinen  eine  fortlaufende 
Entwickelungsreihe  darbieten,  welche  mit  der  dritten  der  von  mir  unterschie- 
denen Entwickelungsstufen  beginnt.  Die  gemeinsame  Grundform  dieser 
Reihe  offenbart  sich  zunächst  in  der  Doppelkegelform  der  Wirbelkörper,  welche 
um  so  deutlicher  hervortritt,  als  die  letzteren  sehr  lang  gestreckt  sind.  Hin- 
sichtlich der  Wirbelbögen  hat  aber  Gegenbaur  die  eigenthümliehe  Form  ihrer 
knorpeligen  Anlagen  nicht  beachtet,  was  namentlich  aus  den  ungenauen 
Abbildungen  hervorgeht  (Nr.  88  Taf.  I  Fig.  8,  Taf.  III),  welche  in  je  einem 
Durchschnittsbilde  stets  den  ganzen  Verlaufeines  Bogens  darstellen,  während 
derselbe  auch  nicht  annähernd  in  einer  Ebene  liegt  *.  Daher  rührt  auch  die 
falsche  Angabe  über  die  Bildung  der  Zwischenbogengelenke  durch  Ueberein- 
anderschieben  der  schon  fertigen  und  in  die  Breite  auswachsenden  Bögen.  - 


*  Eine  Ausnahme  wäre  nur  für  den  letzten  vollständigen  Bogen  denkbar,  wenn  der 
Sebnitt  nicht  senkrecht  und  ziemlich  dick  ausgeführt  wird. 


VIT.   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  411 

Der  Gesammtfortschritt  der  bezeichneten  Wirbelbildungen  fällt  zusammen  mit 
der  fortschreitenden  Entwickelung  des  Intervertebralwulstes,  welcher  aber  trotz 
seiner  Ausbreitung  und  der  vollständigen  Verdrängung  der  interyertebralen 
Chordaabschnitte  in  dieser  Reihe  noch  zu  keiner  vollständigen  Gelenkbildung 
führt.  —  Um  nun  diese  Form  der  Wirbelbildung  mit  der  peri-  und  epichordalen 
der  Anuren  in  Verbindung  zu  bringen,  hat  Gegenbaue  eine  Hypothese  vorge- 
schlagen, welcher  ich  nicht  beistimmen  kann.  Davon  ausgehend,  dass  in  der 
kontinuirlichen  Skeletschicht  der  Anuren  die  .Knorpelbildung  von  den  Bögen 
aus  sich  um  die  ganze  Wirbelsaite  fortsetze  und  dass  diese  kontinuirliche 
Knorpelröhre  schon  bei  den  Ganoiden  (Lepidosteus)  vorkomme,  also  eine  sehr 
alte  Einrichtung  sei,  hält  Gegenbaur  die  Trennung  des  Intervertebralknorpels 
und  der  knorpeligen  Wirbelbögen  der  Salamandrinen  und  noch  tiefer  stehender 
Batrachier  für  eine  aus  jener  ursprünglichen  Einrichtung  hervorgegangene 
Rückbildung,  welche  dort,  wo  der  Intervertebralknorpel  bis  zu  grosser  Annähe- 
rung an  die  Wirbelbogenbasen  ausgebreitet  erscheint  (Siredon,  Menopoma), 
am  wenigsten  vorgeschritten  sei  (Nr.  118  S.  395—397,  Nr.  89  S.  6U7).  Aus  der 
Entwicklungsgeschichte  der  Salamandrinen  wissen  wir  aber,  dass  diese  Aus- 
breitung des  Intervertebralknorpels  von  einem  beschränkten  intervertebralen 
Ausgangspunkte  fortschreitet,  also  doch  höchst  wahrscheinlich  für  alle  ge- 
schwänzten Amphibien  die  grösste  Beschränkung  jenes  Knorpels  oder  seine 
weiteste  Trennung  von  dem  Knorpel  der  Wirbelbögen  gerade  der  ursprüngliche 
Zustand  ist ;  wie  denn  Gegenbaur  selbst  die  in  der  Amphibienreihe  zunehmende 
Verdickung  des  Intervertebralknorpels  für  einen  Fortschritt  erklärt*.  Und 
da  ich  gegen  Gegenbaur  ganz  bestimmt  daran  festhalten  muss,  dass  die 
knorpeligen  Wirbelbögen  der  Urodelen  nicht  unmittelbar  auf  der  Wirbelsaite, 
d.  h.  ihrer  inneren  Scheide,  sondern  auf  der  ununterbrochenen  äusseren  Chorda- 
scheide aufsitzen,  welche  dort  früher  verknöchert  als  der  Intervertebralwulst 
überhaupt  knorpelig  wird ,  so  erscheint  die  Trennung  der  beiden  Knorpeltheile 
schon  in  den  Anfängen  der  in  Rede  stehenden  Wirbelbildung  begründet  und 
ohne  jeden  Uebergang  zum  kontinuirlichen  Zusammenhange  jener  Theile  bei  den 
Anuren.  Denn  die  stärkste  Ausbreitung  der  Intervertebralknorpel,  welche  aber 


*  Die  Vereinigung  beider  Annahmen,  dass  liämlich  das  Wachsthum  eines  und  desselben 
Theiles  nach  zwei  Richtungen  (Verdickung  und  Verlängerung),  obgleich  es  beiderseits  in 
demselben  Verhältnisse  zu-  oder  abnimmt,  für  eine  Richtung  einen  Fortschritt,  für  die 
andere  in  umgekehrter  Ordnung  eine  Rückbildung  bedeute,  scheint  mir  in  der  Darstellung 
Gegenbaur's  überhaupt  der  bedenklichste  Punkt  zu  sein. 


412  Vß.   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule 

nach  dem  Gesagten  selbst  bei  einem  Zusamnienffiessen  derselben  in  derWirbel- 
mitte  (Menopoma)  die  Trennung  von  den  Wirbelbögen  nicht  aufheben  kann, 
ist  nur  ein  Folgezustand  der  grössten  anfänglichen  Trennung,  kann  also  nicht 
als  ein  Mittelglied  zwischen  dieser  und  dem  angeblich  ältesten  Zustande  des 
kontinuirlichen  Zusammenhanges  äufgefasst  werden.  Ueberhaupt  war  jene 
Hypothese  Gegexbauks  nur  denkbar,  solange  die  von  mir  sogenannte  äussere 
Chordascheide  in  ihrer  morphologischen  Anlage  und  ihrer  späteren  Sonderung 
unerkannt  blieb.  Denn  der  histologische  Unterschied,  ob  sie  ans  ihren  inneren 
Theilen  eine  kontinuirliche  Knorpelschicht  oder  diskrete  Knorpelpartien 
herstellt,  tritt  in  seiner  Bedeutung  wesentlich  zurück,  sobald  man  die 
ursprünglich  knöchernen  Doppelkegel  mit  den  Intervertebralwülsten  ans  einer 
kontinuirlichen  Anlage  hervorgehen  sieht.  Und  wenn  man  die  Selbstständig- 
keit dieser  Anlage  gegenüber  den  Wirbelbögen  dazunimmt,  so  lässt  sich  gerade 
der  einfache  Fortschritt  von  den  Salamandrinen  zn  den  Anuren,  wie  ich 
glaube,  unschwer  begründen.  Bei  den  ersteren  verändern  sich  die  vertebralen 
Abschnitte  der  äusseren  Chordascheide  bis  zu  ihrer  frühzeitigen  Verknöcherung 
gar  nicht,  bei  den  Anuren  wuchert  ihr  Gewebe  in  derselben  Zeit  ganz  merklich, 
wenn  auch  langsamer  als  in  den  Intervertebralwülsten ,  und  wird  viel  später 
knorpelig  und  knöchern.  Es  findet  hier  also  dasselbe  Verhältniss  statt, 
welches  ich  schon  bei  den  verschiedenen  Gewebsbildungen  der  äussern  Chorda- 
scheide an  einer  und  derselben  Wirbelsäule  hervorhob :  je  lebhafter  die  Ver- 
mehrung der  Elemente  vor  sich  geht,  desto  später  erfolgt  die  Differenzirung 
und  umgekehrt.  Die  dickeren  vertebralen  Abschnitte  der  äusseren  Chorda- 
scheide bei  den  Anuren  offenbaren  also  nicht  den  ursprünglichen  Zustand 
gegenüber  demjenigen  der  anderen  Amphibien,  wie  Gegexbaue  meint,  sondern 
einen  Fortschritt  der  Bildung,  indem  die  lebhaftere  Entwicklung  jenes  Theils 
eine  frühzeitige  Verknöcherung  verhindert  und  dieselbe  erst  in  dem  Ueber- 
gangszustande  der  Knorpelbildung  eintreten  lässt.  Einen  solchen  Bildungs- 
fortschritt hat  Gegenbaue  trotz  des  erwähnten  Widerspruchs  am  Interverte- 
bralwulste  im  grossen  und  ganzen  nachgewiesen,  dabei  jedoch  übersehen,  dass 
die  Anlage  des  Gelenks  schon  ursprünglich  in  den  Bildungsursachen  jenes 
Wulstes  selbst  begründet  ist  und  daher  nicht  erst  nachträglich  in  einem 
„kontinuirlichen  Interveitebralknorpel"  entstehe.  Desshalb  bezog  auch 
Gegenbaue  das  an  der  Oberfläche  zu  Tage  tretende  (piergestreifte  Gewebe 
jener  Anlage  nur  auf  ein  oberflächliches  Ligament.  Eine  kontinuirliche  Knorpel- 
masse,  welche  alle  Wirbel  mit   einander  verbände,   habe  ich  weder  bei  Sala 


VII.  Die  Wifbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  413 

mandrinen  poch  bei  Anuren  gesehen.  Allerdings  geht  der  Knorpel  jedes 
Wirbels  allmählich  in  jene  Scheidewand  der  Gfelenkanlage  über;  dies  geschieht 
aber  auch  am  queren  Umfange  der  vertebralen  Abschnitte  bei  den  Pelohatiden, 
wo  doch  niemand  die  ventralen  Scheidentheile  als  knorpelige  bezeichnet.  - 
Mit  diesem  allmählichen  Fortschritte  in  der  Entwicklung  der  äusseren 
Chordascheide  durch  die  ganze  Keihe  der  Amphibien  hängt  auch  die  Ver- 
änderung der  Wirbelform  zusammen.  Bisher  war  die  Doppelkegelform  der 
Wirbelkörper  nur  bei  den  geschwänzten  Batrachiern  und  nach  Vogt's  Angabe 
bei  Alytes  obstetricans  bekannt;  ich  finde  sie  auch  bei  den  Anuren  im  Anfange 
der  Entwicklung  und  halte  sie  überhaupt  für  die  gemeinsame  Grundform 
aller  Batrachierwirbel,  hervorgerufen  durch  dieselben  überall  vorhandenen 
Wirkungen  der  Wirbelbögen  auf  ihre  Unterlage,  wodurch  das  Wachsthum  der- 
selben in  den  vertebralen  Abschnitten  gehemmt,  in  den  intervertebralen 
gesteigert  wird.  Man  kann  auch  eigentlich  nicht  sagen,  dass  diese  Form  bei 
den  Anuren  durch  eine  nachträgliche  abweichende  Entwickelungsrichtung  ver- 
drängt werde;  sondern  während  die  früh  entstandene  Knochenrinde  der  Sala- 
mandrinen  die  vertebralen  Abschnitte  nur  langsam  sich  verdicken  lässt,  dagegen 
über  die  sich  ausdehnenden  Intervertebralwülste  mit  immer  weiterer  Üeffnung 
auswächst,  also  die  Grundform  immer  auffallender  ausbildet,  wird  dieselbe  bei 
den  Anuren  wenig  weiter  entwickelt  und  dadurch  bloss  der  Aufmerksamkeit 
entzogen,  theils  weil  die  Wirbelkörper  sich  wenig  verlängern,  theils  weil  das 
Wachsthum  der  vertebralen  Abschnitte  weniger  gehemmt  ist,  als  bei  den  Sala- 
mandrinen.  Endlich  mag  die  breite  Wirbelbogenbasis  die  ursprüngliche  Form 
der  Wirbelkörper  der  Anuren  mehr  verdecken,  obgleich  dieselbe  im  weiteren 
Umfange  der  Epiphysen  stets  angedeutet  bleibt.  Wie  sehr  diese  Grundform 
nur  von  jener  oben  bezeichneten,  der  Wirbelbildung  aller  Amphibien  gemein- 
samen Ursache  abhängt,  erhellt  am  besten  an  den  Unkenlarven.  Bei  diesen 
äussert  sich  das  Wachsthum  der  äussern  Chordascheide  nur  im  dorsalen 
Theile ;  und  übereinstimmend  damit  zeigt  sich  auch  jene  auf  dieselbe  ausgeübte 
Wirkung  nur  in  einer  sattelförmigen  Ausbildung  der  Oberseite  des  primitiven 
Wirbelkörpers,  d.  h.  in  einer  entsprechend  partiellen  Doppelkegelform.  Diese 
Beschränkung  der  gleichmässigen  Entwickelung  des  Wirbelkörpers  enthält 
auch  den  einzigen  Unterschied  der  sogenannten  epichordalen  Wirbelbildung 
von  den  übrigen  Bildungstypen  und  ich  habe  schon  darauf  hingewiesen,  dass 
jene  Abweichung  nicht  unvermittelt  dasteht ,  sondern  in  den  bei  den  Kröten 
und  Fröschen  nachweisbaren  Formen  ein  allmählicher  Uebergang  zu  der  regel- 


414  VII.   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

massigen  Grundform  zu  finden  ist.  Auffallend  bleibt  es  nur,  dass  die  irrthüm- 
lfche  Auffassung  dieser  unregelmässigen  perichordalen  Entwickelungsform  der 
Wirbel  von  Duges  an  bis  in  die  neueste  Zeit  unbeanstandet  überliefert  werden 
konnte.  Die  genauere  Untersuchung  derselben  weist  aber  noch  einen  anderen 
zwischen  den  Anuren  und  übrigen  Amphibien  aufgestellten  Unterschied  zurück. 
Gegenbatjr  legt  einigen  Nachdruck  darauf,  dass  die  Anuren  keinen  Chorda- 
knorpel entwickelten  und  sich  dadurch  den  höheren  Wirbelthieren  näherten 
(Nr.  88  S.  65) ;  nachdem  ich  aber  diesen  Knorpel  bei  der  Unke  nachgewiesen, 
bliebe  noch  zu  untersuchen  übrig,  ob  er  nicht  auch  bei  anderen  Anuren,  welche 
ihre  vertebralen  Chordareste  verlieren,  z.B.  bei  den  Kröten,  sich  gleichfalls 
entwickele.  Jedenfalls  kann  seine  Anwesenheit  oder  sein  Fehlen  schon 
jetzt  nicht  mehr  als  Unterscheidungsmerkmal  der  beiden  Amphibiengruppen 
gelten. 

Aus  allen  allgemeinen  Betrachtungen  und  besonderen  Vergleichen  hin- 
sichtlich der  Wirbelbildung  der  Amphibien  ergibt  sich  ganz  unzweideutig,  dass 
sie  in  der  ersten  Anlage,  in  den  Bildungsursachen  und  der  ganzen  Entwickelungs- 
richtung  in  allen  Abtheilungen  dieser  Wirbelthierklasse  durchaus  gleich  ist, 
und  dass  die  Unterschiede  der  ausgebildeten  Formen  sich  nur  auf  verschiedene 
Grade  in  der  Energie  derselben  Entwickelungsvorgänge  beziehen.  Die  beiderlei 
Wirbelanlagen,  ihre  gegenseitigen  Beziehungen  und  die  doppelkegelförmige 
Anlage  des  Wirbelkörpers  sind  gemeinsam  und  nur  das  Wachsthum  der 
äusseren  Chordascheide  schreitet  von  der  äussersten  Beschränkung  auf  die 
intervertebralen  Abschnitte  (Cöcilia,  Proteus)  durch  eine  immer  grössere  Aus- 
breitung des  Intervertebralwulstes  (Menobranchus,  Siredon,  Menopoma,  Sala- 
mandrinen)  bis  zu  einem  blossen  Ueberwiegen  in  den  intervertebralen 
Abschnitten  (Anuren)  fort.  Die  intervertebrale  Beschränkung  jenes  Wachs- 
thums  bedingt  in  jedem  Fall  die  regelmässige  und  frühzeitige  Verknöcherung 
der  vertebralen  Abschnitte;  die  Wucherung  auch  der  letzteren  hält  die  früh- 
zeitige Yerknöchcrung  noth wendig  auf  und  geht  mit  einer  Abweichung  von 
jener  Regelmässigkeit  in  der  ganzen  äusseren  Chordascheide  Hand  in  Hand, 
welche  bei  den  Fröschen  ganz  gering  anfängt,  sich  dann  bei  den  Kröten 
steigert,  um  bei  den  Pelobatiden  und  ihren  nächsten  Verwandten  zur  vollen 
Einseitigkeit  zu  gelangen.  Mit  der  allmählichen  Ausbildung  der  Intervertebral- 
wülste  steht  die  ebenso  fortschreitende  Entwickelung  der  Zwischenwirbel- 
gelenke in  innigem  Kausalzusammenhange.  Nach  dieser  Darstellung  können 
abei  die  histologischen  Unterschiede  nicht  mehr  besondere  Berücksichtigung 


VIT.   Die  Wirheisaite  und  die  Wirbelsäule.  415 

finden,  da  sie  nur  die  nothwendigen  Folgen  der  quantitativen  Unterschiede  in 
wesentlich  gleichen  Entwickelungsreihen  sind.  Diese  Wachsthunisdiftercnzen 
beziehen  sich  allerdings  vorherrschend,  aber  nicht  ausschliesslich  auf  die 
äussere  Chordascheide,  denn  der  zunehmenden  Energie  in  ihrem.  Wachsthum 
geht  eine  ähnliche  Steigerung  an  den  Wirbelbögen  parallel.  Diese  sind 
nämlich  bei  den  Anuren  relativ  dicker  und  namentlich  ihre  Basen  erheblich 
verbreitert,  sodass  sie  schliesslich  einen  nicht  geringen  Theil  des  queren 
Umfanges  der  Wirbelbögen  umfassen. 

Von  den  übrigen  Wirbelthieren  schliessen  sich  hinsichtlich  der  Wirbel- 
bildung die  Knochenfische  und  die  Amnioten  an  die  beiden  Enden  der 
Amphibienreihe  an.  An  Forellen embryonen  fand  ich  die  Entwickelung 
der  Wirbelsaite  in  allen  wesentlichen  Punkten  vollkommen  übereinstimmend 
mit  derjenigen  der  Batrachier.  Anfangs  sind  die  Embryonal zellen  der  Wirbel- 
saite deutlich  radiär  angeordnet;  bald  verliert  sich  aber  dieses  Bild,  weil  die 
von  vorn  nach  hinten  sich  stark  abplattenden  Zellen  eine  entsprechende  Aus- 
dehnung im  Querschnitte  des  Organs  gewinnen  und  alsdann  scheibenförmig 
den  grössten  Theil  dieses  Querschnittes  durchsetzen.  Diese  Umbildung  bezieht 
sich  auf  alle  Zellen,  und  sobald  dieVakuolenbildung  in  der  bei  den  Batrachiern 
beschriebenen  Weise  angefangen  hat,  geht  auch  bei  den  Forellen  embryonen 
die  Integrität  der  ursprünglichen  Chordazellen  verloren,  indem  sie  in  die 
dünnen  Wände  der  mit  gallertiger  Flüssigkeit  gefüllten  Vakuolenräume  über- 
gehen, und  diese  Wände  zu  den  einfachen  Scheidewänden  des  Gallertkörpers, 
nach  aussen  aber  zur  kontinuirlichen  und  sehr  dünnen  protoplasmatischcn 
Rindenschicht  verschmelzen.  In  der  letzteren  habe  ich  bis  nach  dem 
Erscheinen  der  Wirbelbögen  keine  Zellen  entdecken  können,  welche  überdies 
bei  der  geschilderten  Entwickelung  der  Wirbelsaite  aus  den  scheibenförmigen, 
oft  die  ganze  Dicke  des  Organs  durchsetzenden  Embryonalzellen  nicht  abge- 
leitetwerden, sondern  nur  als  Neubildungen  entstehen  könnten.  Ich  muss  daher 
die  Richtigkeit  einer  Abbildung  Gegenbaue1  s  von  der  Chorda  eines  Lachs- 
embryo bestreiten  (Nr.  118  Taf.  IX  Fig.  IG).  Ueber  die  dicke  innere  Chorda- 
scheide habe  ich  nichts  besonderes  zu  bemerken.  Eine  kontinuirliche  Skelct- 
schicht  (Gegenbaue  Nr.  88  S.  58)  habe  ich  an  den  Knochenfischen  ebenso- 
wenig wie  an  anderen  Wirbelthieren  gesehen;  auch  ihre  Wirbelanlagen 
bestehen  in  der  cylindrischen,  der  Wirbelsaite  angepassten  äusseren  Scheide 
und  den  Wirbelbögen,  welche  aus  abgelagerten  Dotterbildungszellen  hervor- 
gehen.     Dadurch,  dass  ihre  protoplasmatische    Grundmasse  durch  Karmin 


41(j  VII.   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

lebhaft  gefärbt  wild,  unterscheidet  sich  die  äussere  Ch.ordasch.eide  leicht  von 
dem  umgebenden  Bildungsgewebe,  Avobei  natürlich  zunächst  Frontalschnitte  zu 
berücksichtigen  sind.  Da  diese  äussere  Chordasciieide  niemals  knorpelig  wird, 
so  bleibt  sie  auch  von  den  aufsitzenden  knorpeligen  Wirbelbögen  stets  deutlich 
•gesondert.  Die  letzteren  haben  eine  konische  Gestalt  und  wachsen  gerade 
aufwärts,  was  natürlich  von  der  einfacheren  Anordnung  der  Muskeln  abhängt. 
Sie  bleiben  daher  wie  der  ganze  Lokomotionsapparat  der  Fische  auf  einer 
niedrigen  Bildungsstufe  stehen ,  welche  von  den  Amphibien  überschritten  wird. 
Dasselbe  gilt  vom  Wirbelkörper;  die  vertebralen  Abschnitte  der  äusseren 
Chordascheide  verknöchern  gerade  so  wie  bei  den  geschwänzten  Amphibien, 
die  intervertebralen  Ringe  zeigen  aber  nicht  einmal  die  Anfänge  einer 
Wucherung  und  Knorpelbildimg,  welche  Gegenbaue  selbst  bei  den  niedersten 
Amphibien  entdeckte,  sondern  gehen  offenbar  in  die  bindegewebigen  Interverte- 
I  tralligamente  über.  Wenn  ich  daher  Gegenbaue  beistimme,  dass  der  Interverte- 
bralknorpel  die  niedersten  Amphibien  über  die  Knochenfische  erhebe  (Nr.  88 
S.  64) ,  so  geschieht  es  doch  nicht  in  dem  Sinne ,  als  wenn  derselbe  bei  den 
Teleostiern  überhaupt  kein  Homologon  hätte  und  beide  Klassen  dadurch 
eigentlich  weit  geschieden  würden  (Nr.  118  8.  397).  Hätte  Gegenbaitr  die 
allerersten  Entwickelungszustände  der  Wirbelsäule  der  Amphibien  und  Knochen- 
fische untersucht,  hätte  er  insbesondere  die  äussere  Chordascheide  als  die 
einheitlich  morphologische  Grundlage  sowohl  der  primitiven  perichordalen 
Wirbelkörpertheile  als  ihrer  intervertebralen  Verbindungen  erkannt,  so  wären 
die  Ergebnisse  seiner  sonst  so  gründlichen  und  gedankenreichen  Untersuchungen 
gewiss  anders  ausgefallen.  Denn  wie  überall  bieten  auch  im  vorliegenden 
Falle  die  weiter  entwickelten  Zustände  für  sich  allein  zu  unsichere  Ausgangs- 
punkte, um  den  onto-  und  phylogenetischen  Zusammenhang  der  Erscheinungen 
und  daraus  die  Homologie  der  einzelnen  Theile  festzustellen.  Ich  sehe  mich 
daher  veranlasst,  die  Mannigfaltigkeit  der  bezüglichen  anatomischen  Thatsachen 
und  selbst  die  embryologischen  Untersuchungen,  soweit  ich  dieselben  selbst 
nicht  prüfen  konnte,  hier  unberücksichtigt  zu  lassen  und  mich  zunächsl  auf 
den  Forellenembryo  zu  beschränken.  Dessen  Wirbelbildung  bleibt  nach 
meinen  Beobachtungen  allerdings  unter  derjenigen  von  Cöcilia  und  Proteus 
stehen;  aber  der  Unterschied  beruht  nicht  darin,  dass  die  Intervertebral- 
knorpel  dieser  Amphibien  als  vollständig  neue  Theile  dazukämen,  sondern 
darin,  dass  die  überall  gleichen  Anlagen  der  Intervertebralringe  der  äusseren 
Chordascheide  bei   der  Forelle  hloss  in  dünne   Bänder,  bei  den  Amphibien 


VII.   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  417 

ausserdem  noch  in  verschieden  dicke  Knorpelringe  sich  verwandeln.  Nach  dem 
morphologischen  Werth  schliessen  sich  also  die  Forellenwirbel  unmittelbar  an 
die  Proteuswirbel  rückwärts  an ,  wobei  jedoch  in  Folge  der  späteren  Knochen- 
ablagerung auf  den  primitiven  Wirbelkörper  und  der  Betheiligung  der  Wirbel- 
bügen an  der  Herstellung  des  anatomischen  Wirbelkörpers  Besonderheiten  von 
sekundärer  Bedeutung  sich  entwickeln  können.  Und  es  ist  nicht  unmöglich, 
dass  solche  minder  wichtige  Eigentümlichkeiten  bei  einem  grossen  Theil  der 
Teleostier  die  fundamentale  Uebereinstimmung  verdecken. 

Sowie  die  von  mir  untersuchten  Knochenfische  die  zusammenhängende 
Entwickelungsreihe  der  verschiedenen  Amphibienwirbel  rückwärts  ausdehnen, 
scheinen  die  Amnioten  sie  zu  höheren  Bildungen  fortzuführen.  Hinsichtlich 
der  Wirbelsaite  der  Vögel  und  Säuger  muss  ich  das  oft  Erwähnte  noch  ein- 
mal wiederholen.  Die  ganze  Masse  der  embryonalen  Chordazellen  wird  zur 
Herstellung  eines  Gallertkörpers  und  einer  dünnen  protoplasmatischen  Rinden- 
schicht verbraucht,  in  denen  intakte  Zellen  nicht  mehr  nachweisbar  sind.  Ihr 
ganzer  Bau  stimmt  vollkommen  mit  demjenigen  der  Chorda  der  Knochenfische 
und  Amphibien  überein;  doch  sind  die  freien  Kerne  der  Rindenschicht  an 
jungen  Schaf-  und  Kaninchenembryonen  sowie  an  5  —  Ötägigen  Hühner- 
embryonen noch  viel  deutlicher  zu  erkennen  als  bei  den  erstgenannten  Thieren, 
wobei  ich  wiederholt  darauf  aufmerksam  mache,  dass  diese  Thatsachen  nur  an 
Flächenansichten  jener  Schicht  zu  eruiren  sind,  welche  wie  es  scheint  bisher 
.wenig  benutzt  wurden.  Wenn  daher  W.  Müller  darin  Recht  haben  mag, 
dass  in  der  ersten  Zeit  der  Vakuolenbildung,  über  welche  ich  keine  Erfahrungen 
besitze,  die  peripherischen  Chordazellen  zum  Unterschied  von  den  früher  ange- 
führten Wirbelthieren  intakt  bleiben  (Nr.  74  S.  335 — 338),  so  existiren  solche 
Rindenzellen  an  5 — Gtägigen  Hühnerembryonen  ganz  bestimmt  nicht,  noch 
viel  weniger  aber  an  4  Centimeter  langen  Embryonen  des  Schafes ,  da  ich  sie 
in  viel  jüngeren  vermisste.  —  Ueber  die  eigentliche  Wirbelbildung  der  Amnioten 
habe  ich  nur  folgendes  zu  berichten.  Der  erste  Fortschritt  gegenüber  den 
niederen  Wirbelthieren  besteht  jedenfalls  darin,  dass  die  Wirbelsaite  wenigstens 
der  Vögel  und  Säuger  in  keiner  Weise  mehr  zur  Skeletfunktion  benutzt  wird, 
sondern  lediglich  als  Grundstock  zur  Ablagerung  des  sekundären  Stammskelets 
dient,  daher  aber  auch  relativ  am  frühesten  schwindet.  Eine  kontinuirliche, 
Wirbelbögen  und  Wirbelkörper  gemeinsam  differenzirende  Skeletschicht  muss 
ich  auch  für  die  Amnioten  in  Abrede  stellen  und  namentlich  die  Remak'scIic 
Darstellung  (Nr.  40  S.  41)  als  unrichtig  bezeichnen,  wonach  die  innere  Hälfte 

Goettr,  Entwicklungsgeschichte.  -' 


418  "VII-   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

jedes  Segments  sich  in  einen  vorderen  und  einen  hinteren  Abschnitt,  die  Anlage 
eines  Spinalganglions  und  eines  Wirbelbogens  spalte,  und  der  letztere  sich  erst 
nachträglich  an  die  Grenze  zweier  Segmente  verschiebe.  Die  Wirbelbögen 
sind  eben  keine  Ditferenzirungen  vorhandener  Embryonalanlagen,  sondern 
wachsen  als  Neubildungen  von  ihrer  Basis  an  aufwärts;  an  Säugethier- 
embryonen  sehe  ich  anfangs  zwischen  den  sehr  grossen  Spinalganglien  nur 
Gefässe  und  einiges  Bildungsgewebe,  die  Wirbelbögen  wachsen  erst  später 
dazwischen  hinein.  Noch  unbegründeter  ist  die  Angabe  Remak's  über  die 
zweifache  Gliederung  der  Wirbelkörpersäule  (Nr.  40  S.  42 — 43),  indem  die 
„primitiven  Wirbelkörper"  als  die  um  die  Wirbelsaite  zusammengewachsenen 
unteren  Segmentränder  in  ihren  Grenzen  durchaus  mit  den  Segmenten 
zusammenfallen,  dann  aber  verschmelzen  und  durch  die  „sekundären  Wirbel- 
körper" ersetzt  werden  sollen,  deren  Grenzen  der  Mitte  der  Segmente 
entsprächen.  Die  primitiven  Wirbelkörper  Remak's  existiren  überhaupt  nicht ; 
sein  Irrthum  liesse  sich  aber  vielleicht  dadurch  erklären  ,  dass ,  wie  ich  an 
jungen  Schafsembryonen  finde,  die  hintersten  Rumpfwirbelkörper  je  eine  quere 
Einschnürung  zeigen*,  und  Remak  seine  Auffassung  wie  es  scheint  nur  aus 
einem  ganz  ähnlichen  Bilde  schöpfte.  —  Der  Ursprung  der  Bildungszellen  der 
Wirbelbögen  wie  der  Wirbelkörper  dürfte  aber  bei  den  Amnioten  wegen  der 
viel  weniger  klaren  histiologischen  Verhältnisse  ihrer  Embryonalanlagen  nicht 
so  leicht  wie  bei  den  Amphibien  und  Fischen  nachzuweisen  sein ;  und  die  schon 
erwähnte  His'sche  Lehre ,  dass  alle  Bindesubstanzen  von  den  Gefässadventitien 
abstammten  (Nr.  109  S.  40.  41.  175—179),  ist  mir  am  Hühnchen  nicht  wahr- 
scheinlicher geworden  als  an  den  Batrachiern.  Die  erwähnte  geringe  Deutlich- 
keit der  Embryonalzellen  der  höheren  Amnioten  erschwert  natürlich  auch  die 
Erkenntniss  ihrer  ersten  Wirbelanlagen.  Zur  Zeit,  wann  sie  aus  den  umgeben- 
den Massen  klar  hervortreten,  lässt  sich  zwischen  den  Bögen  und  den  Central- 
theilen  der  Wirbelkörper  eine  Grenze  nicht  leicht  auffinden;  im  vorderen  Rumpfe 
junger  Schafsembryonen  aber,  deren  Wlrbelsaite  noch  nicht  angefangen  hatte 


*  Dies  erinnert  offenbar  an  Kölliker's  Beobachtung  von  der  Wirbelverdoppelung  bei 
Haien,  wobei  jedoch  auch  die  Nerven  sich  verdoppelten  (Nr.  44  ö.  199).  Ich  finde  dagegen 
im  Schwänze  von  Scyllium  doppelt  soviele  vollständige  Wirbel  als  Ganglien  und  Muskel- 
segmente.  Dass  diese  merkwürdige  Erscheinung  aus  einer  nachträglichen  Theilung  hervor- 
gehe, muss  ich  bezweifeln,  weil  alsdann  die  Bögen,  Interkalarknorpel  und  diskreten  Dorn- 
fortsatzanlagen sich  nicht  einfach  neben  einander  verdoppeln,  sondern  auf  uuliemviflirlie 
Weise  alternirend  stellen  müsstcn. 


VII.   Die  Wirbelsaitc  und  die  Wirbelsäule.  419 

zu  schrumpfen,  fand  ich  um  dieselbe  eine  dicke  Zellenschicht,  deren  Elemente 
durchweg  koncentrisch  angeordnet  waren ,  und  im  seitlichen  Anschlüsse  daran 
offenbare  Wirbelbogenanlagen,  deren  Zellen  jedoch  ohne  bestimmte  Anordnung 
waren ,  sodass  dadurch  eine  wenn  auch  nicht  ganz  scharfe  Grenze  gegen  die 
unmittelbare  Umhüllung  der  Wirbelsaite  gegeben  war.  Diesen  Befund  halte 
ich  für  genügend,  um  mit  Rücksicht  auf  die  klaren  Bilder  bei  den  Amphibien 
und  Knochenfischen  auch  für  die  Säuger,  denen  sich  wahrscheinlich  die 
übrigen  Anmieten  anschliessen,  eine  äussere  Chordascheide  als  besondere 
Wirbelanlage  anzunehmen.  Das  Bemerkenswertheste  an  unserem  Objekte 
waren  jedoch  die  Massenverhältnisse  und  Lagerungsbeziehungen  der  beiderlei 
Anlagen.  Die  relativ  sehr  kleinen  Masse  der  Wirbelsaite  bedingen  es,  dass 
wenn  auch  die  äussere  Scheide  bei  der  so  spät  eintretenden  Muskelaktion  und 
ihrer  Wirkung  sich  anfangs  bis  zu  einer  ansehnlichen  Dicke  unbeschränkt 
entwickeln  kann ,  dieser  ganze  axiale  Wirbeltheil  doch  nur  eine  sehr  unvoll- 
ständige Unterlage  des  Rückenmarkes  bildet;  daher  krümmen  sich  die 
mächtigen  Wirbelbogenbasen  von  Anfang  an  unter  das  letztere,  um  sich  dem 
Axentheile  in  seiner  ganzen  Höhe  anzulegen  und  mit  zugeschärftem  Rande  auf 
seine  Ober-  und  Unterseite  überzugreifen.  Dieses  Uebergewicht  der  Wirbel- 
bögen stimmt  nicht  nur  vollkommen  überein  mit  der  später  hervortretenden 
Doppelkegelform  der  Wirbelkörper,  d.  h.  dem  schliesslich  dennoch  ungleich- 
massig  abgeänderten  Wachsthum  der  dicken  Chordascheide,  sondern  erklärt 
auch  das  Fehlen  einer  deutlichen  Abgrenzung  zwischen  den  zweierlei  Wirbel- 
anlagen älterer  Embryonen :  indem  die  histologisch  noch  ziemlich  indifferenten 
Wirbelbogenbasen  den  Axentheil  vollständig  umwachsen,  ordnen  sich  ihre 
Zellen  ebenfalls  koncentrisch  um  denselben  an,  wird  also  das  frühere  Grenz- 
merkmal verwischt,  dagegen  ein  ganz  unmerklicher  Uebergang  aus  der  Zellen- 
anordnung  des  Wirbelkörpers  in  diejenige  der  freien  Bogentheile  hergestellt. 
Mit  dieser  starken  Wucherung  der  histiologisch  indifferenten  Wirbelanlagen 
stimmt  nach  den  früheren  Erörterungen  die  späte  Knorpel-  und  Knochen- 
bildung gut  überein.  —  Für  die  Reptilien  darf  ich,  gestützt  auf  die  Unter- 
suchungen Gegenbaub's  (Nr.  88  S.  40  und  flg.,  Nr.  1 18  S.  398 — 401),  annehmen, 
dass  die  Entwicklung  ihrer  Wirbel  sich  vollständig  an  diejenige  der  Amphibien 
und  zwar  zum  Theil  (Ascalobatae)  der  niedersten  unter  ihnen  sich  anschliesse. 
Wenn  ich  dabei  Gegenbatjr  folge,  so  geschieht  es  natürlich  nur  bedingt, 
indem  ich  eine  andere  Auffassung  der  Wirbelbildung  von  den  Amphibien  auf 
jene  Amnioten  übertrage  als  mein  Gewährsmann.  —  Was  ich  über  die  Form 

27* 


420  VII.    Die  AVirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

der  Wirbelbögen  der  Amphibien  und  die  damit  zusammenhängende  Bildung 
der  Zwischenbogengelenke  mittheilte,  gilt  gleicherweise  für  alle  Amnioten,  deren 
fertige  Wirbel  das  betreffende  Verhältiiiss  noch  deutlich  erkennen  lassen. 

Die  besten  Beweise  für  die  getrennte  Anlage  der  äusseren  Chordascheide 
und  der  Wirbelbögen  bieten  jene  Wirbelthiere,  in  denen  die  erstere  schon 
längst  bekannt  und  nur  nach  ihrem  Ursprung  und  ihren  Homologien  verschieden 
aufgefasst wurde  —  die  Selachier  und  die  Dipnoi.  Auch  an  dieser  Stelle  halte 
ich  eine  wiederholte  Zusammenstellung  der  verschiedenen  einzelnen  Formen 
und  Beschreibungen  für  überflüssig  und  beziehe  mich  bloss  auf  die  neuesten 
Darstellungen  (Gegenbaur  Nr.  118  S.  374.  389,  W.Müller  Nr.  74  S. 349— 353). 
Entgegen  seiner  früheren  Ansicht  (Nr.  88  S.  64)  hält  Gegenbaur  die  durch  die 
sogenannte  Elastica  externa  nach  aussen  deutlich  abgegrenzte,  knorpelig-binde- 
gewebige  Chordascheide  für  ein  Produkt  der  Rindenzellenschicht  der  Wirbel- 
saite, wie  sie  allen  Fischen  zukomme,  und  daher  für  ein  Homologon  der  nicht 
organisirten  Kutikularbildungen  der  Wirbelsaite  anderer  Wirbelthiere  (meine 
innere  Chordascheide).  W.  Müller  bestreitet  die  Zulässigkeit  dieser  Auffassung 
und  glaubt,  dass  jene  Chordascheide  dem  perichordalen  Theile  der  Skelet- 
schicht  der  Amphibien  entspreche.  Auf  Grund  freilich  sehr  beschränkter 
Untersuchungen  an  Selachierembryonen  (Acanthias,  Scvllium),  noch  mehr  aber 
aus  Rücksicht  auf  den  an  den  übrigen  Wirbelthieren  festgestellten  Entwickelungs- 
verlauf  schliesse  ich  mich  der  Auffassung  Müller's  an ,  natürlich  mit  der 
schon  erörterten  Einschränkung ,  dass  die  betreffende  Wirbelanlage  weder  von 
den  Gefässadventitien  abstamme,  noch  mit  den  Anlagen  der  Wirbelbögen  aus 
einer  kontinuirlichen  Skeletschicht  hervorgehe,  um  sich  erst  später  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  von  denselben  abzugrenzen*./  Alsdann  ist  aber  auch 
die  Uebereinstimmung  in  der  Wirbelbildung  der  bei  weitem  meisten  Wirbel- 


*  W.  Müller  sagt  an  der  betreffenden  Stelle  (Nr.  74  S.  353):  .,Sic  (die  Zellen  der 
Adventitia)  umwachsen  die  Chorda  zunächst  seitlich  und  liefern  die  Anlagen  der  Wirbel- 
I innen,  erst  später  umwächst  die  innerste  Schichte  die  Chorda  auch  oben  und  unten  unter 
Bildung  einer  koncentrischen .  aus  spindelförmigen  Zellen  bestehenden  Umhüllung.  Diese 
Umhüllung  ist  es,  welche  durch  ein  membranartiges  Netz  feiner  elastischer  Fasern  von  der 
Cutikularschicht  der  Chorda  nach  Innen  und  durch  ein  viel  lockeres  von  den  Wirbelbogen 
nach  aussen  sich  abgrenzt."  Es  erhellt  daraus,  dass  W.  Müller  die  ursprüngliche  und 
fundamentale  Trennung  der  "Wirbelbogenanlagen  und  der  perichordalen  Wirbelkörper- 
anlagcnderAnuren,  von  deren  verschiedenen  Texturverhältnissen  er  überdies  nichts  anführt, 
gar  nicht  gekannt  hat.  Uebrigens  kann  ich  die  Anwesenheit  der  elastischen  Fasern  unter 
den  Wirbelbogenbasen  nicht  bestätigen. 


VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  421 

thiere  ganz  offenbar;  denn  die  Selachier  und  Dipnoi  besitzen  nach  jener 
Annähme  dieselben  zweierlei  Wirbelanlagen,  die  äussere  Chordasciieide  und  die 
Wirbelbögen,  in  der  deutlichsten  Sonderling,  welche  ich  für  die  Knochenfische, 
Amphibien  und  Sänger  direkt  beweisen  und  für  die  übrigen  Amnioten  mit 
grosser  Wahrscheinlichkeit  annehmen  konnte.  Bemerken swerth  ist  bei  den 
Selachiern,  dass  sie  durch  das  starke  Wachsthum  ihrer  äusseren  Chorda- 
scheide eine  höhere  Entwicklungsstufe  andeuten  als  die  Amphibien,  während 
doch  das"  charakteristische  Merkmal  höherer  Wirbelbildung,  stärker  entwickelte 
Intervertebralwülste  fehlen.  Zur  Erklärung  dieser  Thatsache  erinnere  ich 
zunächst  daran,  dass  gemäss  meiner  früheren  Darstellung  vom  Zusammen- 
hange der  einzelnen  Entwickelungsvorgänge  das  Wachsthum  der  äusseren 
Chordascheide  überhaupt  nicht  nothwendig  mit  der  Bildung  eines  Interverte- 
bralwulstes  zusammenfällt,  sondern  nur  gewisse  Abänderungen  eines  gleich- 
massigen  Wachsthums  auf  Wirkungen  der  Bogenbildung  zurückgeführt  werden 
sollten.  Jene  aus  der  Entwickelungsgeschichte  anderer  Wirbel  gewonnenen 
Vorstellungen  scheinen  mir  aber  gerade  besonders  geeignet,  die  eigen- 
thümlichen  Verhältnisse  der  Selachierwirbel  in  ein  neues  Licht  zu  setzen. 
Die  dicke  Chordascheide  besteht  an  den  mir  vorliegenden  Scylliumembryonen 
zu  innerst  aus  einer  dunkleren  Schicht,  welche  die  bekannte  Doppelkegelform 
zeigt,  in  der  sie  auch  später  verkalkt,  und  welche  die  weiten  Intervertebral- 
ringe  allein  bildet.  Diese  Form  tritt  äusserlich  desshalb  weniger  hervor,  weil 
um  die  vertebralen  Verengerungen  eine  ringförmige  helle  Knorpelschicht 
derselben  Scheide  liegt,  welche  gegen  die  Intervertebralwülste  zugeschärft 
ausläuft  und  daher  gerade  die  Ausschweifung  zum  grössten  Theile  ausgleicht, 
Ihr  sitzen  die  Wirbelbögen,  allerdings  mit  verbreiteter  Basis,  sonst  aber  als 
schmächtige,  cylindrische  Stücke  auf,  welche  in  einer  senkrechten  Querebene 
aufwachsen,  ohne  jedoch  über  dem  Rückenmarke  zur  Berührung  zu  kommen, 
wie  Gegenbaur  meint  (Nr.  89  S.  605),  sodass  ihre  spätere  mediane  Verbindung 
durch  besondere  diskret  angelegte  Knorpel  (Dornfortsätze)  bewirkt  wird.  Die 
Interkalarknorpel  erscheinen  in  derselben  Gestalt,  nur  umgekehrt  nach  unten 
verschmälert  und  den  Intervertebralringen  aufsitzend ;  jene  oberen  Verbindungs- 
stücke liegen  je  zwischen  den  Spitzen  der  Bögen  und  der  Interkalarknorpel, 
sodass  ihrer  zwei  auf  jeden  Wirbel  kommen.  Dass  die  unvollkommenen 
Bögen,  welche  mit  der  einfachen  Muskelanordnung  übereinstimmen,  anfangs 
die  Doppelkegelform  hervorriefen,  aber  ähnlich  wie  bei  den  Knochenfischen 
die  Bildung  von  nach  innen  wuchernden  Intervertebralwülsten  nicht  hervorzu- 


422  VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

rufen  vermochten,  ist  nach  dem  früheren  verständlich.  Wenn  aber  darauf 
statt  eines  relativen  Stillstandes  gerade  eine  vertebrale  Verdickung  der 
äusseren  Chordascheide  erfolgt,  so  niüsste  nach  meinen  Voraussetzungen  die 
Wirkung  der  Bögen  auf  ihre  Unterlage  geradezu  sich  zurückbilden-,  und  dies 
lässt  sich,  wie  ich  glaube,  an  den  Selachierwirbeln  wirklich  begründen.  Schon 
an  älteren  Embryonen  verschiedener  Haie  sehe  ich  die  Ansätze  der  Rücken- 
muskeln auf  die  queren  Sehnenscheiden  beschränkt,  und  statt  der  bei  anderen 
Wirbelthieren  erkennbaren  Vermannigfaltigung  ihrer  Befestigung  an  den 
Wirbelbögen  erscheinen  die  letzteren  an  den  reifen  Selachiern  sammt  den 
Interkalarknorpeln  zu  breiten  Platten  umgebildet  und  diese  zu  einer  festen 
Röhre  um  das  Rückenmark  gefügt,  welche  mit  der  Muskelaktion  unmittel- 
bar nichts  mehr  zu  thun  hat.  Die  Wirbelbögen  des  Selachier  geben  also 
umgekehrt  wie  bei  anderen  Wirbelthieren  ihre  Beziehung  zu  den  Muskeln, 
durch  deren  Steigerung  und  Gliederung  sie  allein  auf  ihre  Unterlage,  die 
äussere  Chordascheide,  im  Sinne  der  Wirbelkörperbildung  wirken  können, 
ganz  auf,  um  in  einer  Anpassung  an  die  häutige  Rückenmarksröhre  ihre 
ursprüngliche  Bestimmung  vollständig  zu  wechseln.  Dann  lässt  sich  aber 
auch  die  beschriebene  Wirbelkörperbildung  durchaus  im  Einklänge  mit  dem 
von  mir  aufgestellten  Kausalzusammenhange  bei  der  Wirbelentwickelung 
erklären:  es  schwinden  die  Ursachen  für  den  Fortschritt  derselben  so  weit, 
dass  an  seine  Stelle  eine  gewisse  Entartung  des  allgemeinen  Entwicklungs- 
ganges tritt.  Diese  Beweisführung  mag  unvollkommen  sein ,  dürfte  aber  nicht 
ganz  unberechtigt  erscheinen,  da  sie  nicht  nur  Neues  erklärt,  sondern  auch 
meine  früheren  Voraussetzungen  wesentlich  erläutert.  —  Der  grosse  Förmen- 
reichthum,  welcher  nicht  nur  bei  den  Selachiern,  sondern  auch  bei  den  übrigen 
Fischen  *  die  Wirbelbildung  auszeichnet,  lässt  zunächst  bestimmte  Entwickelungs- 
reihen  nicht  mit  Sicherheit  bezeichnen ,  und  muss  ich  mich  für  meinen  Zweck 
damit  begnügen  unter  jenen  Thieren  die  Belege  für  gewisse  fundamentale 
Vorgänge  der  allgemeinen  Wirbelbildung  gefunden  zu  haben.  Nur  ein  kurzer 
Hinweis  auf  die  Cyklostomen  sei  noch  gestattet.  Bekanntlich  gilt  ihr  Stamm- 
skelet,  d.  h.  die  Wirbelsaite  mit  ihrer  äusseren  Scheide  und  die  sich  daran 
schliessende  häutige  Rückenmarksröhre  für  das  vollkommenste  Beispiel  der 


*  Gegenbaür  sagt  (.Nr.  88  S.  62).  „Es  sind  also  bei  den  Ganoidcn  die  einfachsten  wie 
die  höchsten  Formen  der  Wirbelkörperbildung  vertreten ,  und  es  einigen  sich  zugleich  bei 
ihnen  die  beiden  sonst  streng  geschiedenen  Hauptformen  der  Fischwirbelbildung,  jene  der 
Knochenhsche  mit  der  der  Selachier." 


VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  423 

kontinuirlichen  Skeletscliicht.  Wenn  aber  J.  Müllee  von  Petromyzon  angibt 
(Nr.  7(3  I  S.  84) :  ,,An  dem  oberen  häutigen  Rohr  (sind)  Knorpelschenkel  ange- 
wachsen wie  Rudimente  von  Wirbelbogen",  so  folgt  daraus,  dass  diese  Wirbel- 
bogenanlagen  ausserhalb  der  häutigen  Röhre  und  ihr  nur  dicht  anliegen,  d.  h. 
sich  genau  so  verhalten,  wie  die  homologen  Theile  der  Batrachier,  Fische  und 
Amnioten  zu  der  häutigen  Rückenmarksröhre,  welche  nicht  zum  Skeletsystem 
gehört.  Darin  und  dass  ferner  die  knorpeligen  Wirbelbögen  auch  bei  den 
Cyklostomen  von  allen  Theilen  diskreter  Wirbel  zuerst  erscheinen,  während 
der  ungegliederte  Axentheil  (die  Wirbelsaite  mit  ihrer  äusseren  Scheide)  das 
primordiale  Stammskelet  darstellt,  wie  es  bei  den  Myxinoiden  allein  bestehen 
bleibt,  finde  ich  Grund  genug,  das  ganze  Stammskelet  der  Cyklostomen  den 
ersten  von  mir  nachgewiesenen  Entwicklungsstufen  desselben  bei  höher- 
stehenden Wirbelthieren,  insbesondere  den  Batrachiern,  gleichzustellen. 

Wenn  ich  nach  dieser  freilich  sehr  unvollständigen  Durchmusterung  der 
meisten  Wirbelthierklassen   bezüglich  ihres  Wirbelbaues  die  Hauptmomente 
der  Entwickelung  kurz  zusammenfasse,  so  darf  ich  als  wesentlichstes  Ergebnis* 
obenan  stellen,   dass  die  Wirbel  überall  aus  demselben  Ursprünge  und  nach 
denselben  Gesetzen  sich  bilden,  und  dass  die  verschiedenen  Wirbeltypen  ebenso 
wie  die  auf  den  ganzen  Organismus  bezüglichen  „Typen"  nur  verschiedene 
Stufen  eines  gemeinsamen  Entvvickelungsganges  bezeichnen.     Hinsichtlich  des 
Ursprungs  der  Wirbel  ist    daran    festzuhalten,    dass    sie   weder    aus    einer 
kontinuirlichen  Skeletscliicht,  welche  auch  das  Rückenmark  röhrig  umschlösse, 
noch  überhaupt  aus  einer  einheitlichen ,  sondern  aus  zweierlei  Anlagen  hervor- 
gehen:  dem   unpaaren  Axentheile  (Wirbelsaite  und  äussere  Chordascheide) 
und  den  paarigen ,   durchweg  diskret  entstehenden  Wirbelbögen.     Die  Lehre 
von  den  „häutigen  Wirbeln"  ist  um  so  unzulässiger ,  als  der  Begriff  einer  voll- 
ständig ungegliederten  Wirbelsäule  ein  Widerspruch  in  sich  selbst  ist.     Einen 
einheitlichen  Entwickelungsverlauf  der  Wirbelbildung  hat  bisher  nur  Gegenbaue 
aufgestellt:  die  Knorpelbildung  innerhalb  der  häutigen    Skeletscliicht  sollte 
von  den  Bögen  ausgehend  sich  um  die  Wirbelsaite  ausbreiten,  und  so  aus  den 
paarigen  Bögen  allmählich  ein  einheitlicher  Wirbel  sich  entwickeln  (Nr.  118 
S.  395 — 40G).     Diskontinuirliche  Knorpelanlagen   (niedere  Amphibien)  seien 
aus  einer  Rückbildung  zu  erklären,  der  Fortschritt  der  Entwickelung  offen- 
bare sich  dagegen  in  der  Ausbildung  der  Intervertebralknorpel ,  der  Anlagen 
der  Wirbelepiphysen  und  Zwischenwirbel  gelenke.     Nachdem  ich  die  Einzel- 
heiten dieser  Darstellung  bereits  kritisirt,   will  ich  hier  nur  hervorheben,  dass 


424  VII.    Die  Wirheisaite  und  die  Wirbelsäule. 

in  ihr  jeder  Hinweis  auf  einen  Kausalzusammenhang  der  Entwickelungs- 
erscheinungen  fehlt,  und  dass,  indem  der  Schwerpunkt  in  die  Knorpelbildung 
verlegt  ist,  überall  dort,  wo  dieselbe  auf  die  Wirbelbögen  (Knochenfische"1 
beschränkt  oder  wenigstens  aus  dem  eigentlichen  Wirbelkörper  ausgeschlossen 
ist  (niederste  Amphibien) ,  dem  letzteren  überhaupt  die  wesentliche  Grundlage 
der  übrigen  Wirbelformen  fehlt ,  also  die  Wirbelbildung  nicht  durch  die  ganze 
Wirbelthierreihe  mit  denselben  Elementen  beginnt.  Ich  habe  dagegen  versucht 
aus  einem  einheitlichen  Entwickelungsverlaufe  der  Wirbelbildung  auch  ein 
einheitliches  Kausalgesetz  desselben  abzuleiten;  so  wie  ich  beides,  Verlauf  und 
Gesetz  der  Erscheinungen,  für  die  Batrachier  bis  ins  einzelne  ausführte,  kann 
es ,  wie  ich  glaube ,  als  Vorbild  auch  für  die  übrigen  Vertebraten  gelten.  Von 
den  Cyklostomen  an  durch  die  Teleostier,  Amphibien  und  Amnioten  hindurch 
finden  wir  dieselbe  Reihenfolge  der  Stammskeletformen ,  die  uns  an  der 
individuellen  Entwicklung  einer  vollkommeneren  Wirbelform  entgegentritt: 
überall  ist  die  Wirbelsaite  die  einzige  primär-morphologische  Anlage  des  Stamm- 
skelets ,  überall  sind  es  die  Staminuskeln ,  welche  theils  durch  ihre  morpho- 
logischen Anlagen  (Segmente),  theils  durch  ihre  Funktion  die  sekundäre 
Skeletbildung  veranlassen ;  überall  endlich  wird  die  Gliederung  und  weitere 
Ausbildung  der  letzteren  durch  die  diskreten  Wirbelbogenanlagen  vermittelt 
und  dadurch  dem  ursprünglichen  Skeletgebilde,  der  Wirbelsaite  die  Thätigkeit 
successiv  entzogen  und  endlich  ihr  Bestand  zerstört.  Sobald  wir  uns  aber  die 
grossen  Schwankungen  vergegenwärtigen,  welche  in  der  Entwickelungshöhe 
der  Wirbel  nahverwandter  Thiere  vorkommen  (vgl.  Köllikek  Nr.  44, 
Gegenbatjr  Nr.  88),  werden  wir  darauf  verzichten  müssen  in  den  Entwickelungs- 
reihen  der  verschiedenen  Wirbelformen  unfehlbare  Wegweiser  für  phylogene- 
tische Verbindungen  zu  suchen.  Nur  in  einem  Falle,  bei  den  Haien*,  glaube 
ich  genügende  Anhaltspunkte  gefunden  zu  haben  zu  der  Annahme,  dass  dort 
ebenso  wie  es  schon  bezüglich  der  Hirnbildung  angedeutet  wurde,  eine 
Entartung  einer  höher  angelegten  Wirbelbildung  vorliege.  Die  lebhafte 
Wucherung  der  äusseren  Chordascheide  weist  mit  ebenso  grosser  Wahrschein- 
lichkeit auf  jene  letztere  hin,  als  die  Umbildung  der  Wirbelbögen,  das  Auf- 
geben ihrer  ursprünglichen  Funktion  eine  Entfernung  von  der  allgemeinen 
Entwickelungsrichtung  deutlich  offenbaren.    Daher  befinden  sich  die  betreffen- 


*  Es  ist  sehr  wohl  möglich,  dass  das  für  die  Haie  Nachweisbare  auch  noch  auf  einige 
andere  Wirbeltbiere  (gewisse  Ganoiden,  Chimära)  übertragen  werden  könnte. 


VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  425 

den  Wirbelsäulen  trotz  ihrer  relativ  mächtigen  Wirbelanlagen  funktionell  auf 
der  niederen  Stufe  eines  einfachen  elastischen  Stabes,  wozu  die  Wirbelbögen 
als  besondere  lokoniotoriscbe  Skelettheile  nicht  mehr  gehören. 


Es  bleibt  mir  noch  übrig  einige  besondere  Theile  des  Stammskelets  einer 
näheren  Prüfung  zu  unterziehen,  die  Querfortsätze,  Rippen  und  unteren  Bögen. 
In  der  Beschreibung  habe  ich  sie  in  der  herkömmlichen  Weise  genannt  und 
dabei  festgestellt,  dass  die  Anuren  einfache  Querfortsätze  und  Rippen,  die 
Salamandrinen  und  wohl  alle  übrigen  Amphibien  dagegen  im  Rumpfe  beider- 
lei Skeletstücke  doppelt  und  paarweise  verschmolzen  besitzen ,  ausserdem  aber 
noch  untere  Bögen  an  der  Schwanzwirbelsäule.  Indem  ich  aber  hinzufüge, 
dass  ich  an  den  Larven  der  Salamandrinen  die  Anlagen  der  Querfortsätze 
und  Rippen  auch  an  den  Schwanzwirbeln,  welchen  untere  Bögen  angefügt  sind, 
wiederfinde,  und  dass  dieser  Befund  sich  noch  an  erwachsenen  Thieren  nach- 
weisen lässt,  geräth  meine  Darstellung  in  offenbaren  Widerspruch  mit  der 
neuerdings  von  Gegenbaue  durchgeführten  Deutung  jener  Anhänge  und 
Fortsätze  der  Wirbel  (Nr.  89  S.  602—605.  612—622,  Nr.  118  S.  406—417). 
Allerdings  hatte  schon  Rathke  (Nr.  47  S.  128)  eine  im  allgemeinen  zutreffende 
vergleichende  Darstellung  der  Wirbelfortsätze  gegeben,  indem  er  von  den 
Wirbelkörpern  zwei  Strahlen  aufwärts  (obere  Bögen)  und  zwei  abwärts  hervor- 
gehen Hess,  die  sogenannten  Rippen  der  Fische  und  die  unteren  Bögen  der 
Schwanzwirbel  aller  Wirbelthiere,  während  die  seitlichen  Querfortsätze  und  die 
von  ihnen  sich  abgliedernden  Rippen  der  Amphibien  und  Amnioten  besondere, 
von  jenen  unteren  Wirbelstrahlen  unterschiedene  Bildungen  sein  sollten.  Da  je- 
doch Rathke  diesen  Vergleich  weder  embryologisch  noch  sonstwie  zu  begründen 
versuchte,  vermochte  er  demselben  keine  bleibende  Anerkennung  zu  sichern, 
sodass  Gegenbaue,  mit  demselben  Recht  eine  ganz  abweichende  Auffassung 
vortragen  konnte.  Er  stellt  dem  System  der  oberen  Wirbelbögen  das  untere 
Bogensystem  entgegen,  welches  die  Querfortsätze  einerseits,  andererseits  die 
Rippen  und  unteren  Bögen,  und  diese  zwar  als  zweierlei  Entwickelungsstufen 
gleichwertiger  Anlagen,  umfasst.  Beide  Bogensysteme  seien  nicht  homotype 
Theile,  weil  sie  „bei  absoluter  Verschiedenheit  der  subvertebralen  und  supraverte- 
bralen'  Hohlräume "  überhaupt  nicht  „vergleichbare  Objekte  seien"  (Nr.  118 
S.  412).    Das  ventrale  Bogensystem,  welches  die  betreffenden  Hohlräume  ebenso 


426  VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

umschliesst  wie  die  oberen  Wirbelbögen  das  Rückenmark,  wird  durch  seine 
„Anpassung  an  den  veränderlichen  Umfang"  der  eigentlichen  Rumpfhöhle  von 

den  Wirbelkörpern  abgegliedert,  behält  dagegen  in  der  Uinschliessuug  des 
beständigeren  Kaudalkanals  die  indifferentere  Form  unbeweglicher  Wirbel- 
fortsätze. Diese  werden  von  Gegenbaur  als  „untere  Bögen",  alle  gegliederten 
Anhänge  als  „Rippen"  bezeichnet,  denen  sich  die  Querfortsätze  als  häufige 
Träger  der  Rippen  und  andererseits  bisweilen  als  Elemente  besonderer  unterer 
Dornfortsätze  (Teleostier)  ansehliessen ,  welche  jedoch  mit  den  eigentlichen 
unteren  Bögen  nicht  zusammengeworfen  werden  dürften  (Nr.  89  S.  603.  605. 
617.  618,  Nr.  118  S.  409.  413.  417). 

Da  diese  Darstellung  aus  Untersuchungen  hervorging,  welche  durch  die 
ganze  Wirbelthierreihe  ausgeführt  wurden,  so  handelt  es  sich  in  erster  Reihe 
darum,  die  bei  verschiedenen  Thieren  und  in  verschiedenen  Körperregionen 
gleichwerthigen  Stücke  herauszufinden.  Dabei  stützte  sich  aber  Gegenbaur 
nicht  auf  embryologische  Thatsachen,  welchen  allein  die  Entscheidung  über 
die  Homologie  zusteht,  sondern  nur  auf  die  fertigen  Zustände ,  die  rein  ana- 
tomische Beobachtung,  welche  wohl  die  Geltung  der  ersteren  verallgemeinern, 
aber  für  sich  allein  dieselben  niemals  mit  voller  Sicherheit  ersetzen  kann.  Die 
Unvollkommenheit  einer  solchen  anatomischen  Argumentation  ergibt  sich 
denn  auch  sofort,  wenn  wir  die  bezüglichen  Untersuchungen  Gegenbaur' s 
näher  prüfen.  Einmal  wechselte  er  seine  Definition  in  kurzer  Zeit  vollkommen 
aus:  indem  er  zuerst  von  der  gewiss  willkürlichen  Voraussetzung  ausging, 
dass  die  Rippen  nicht  als  kontinuirliche  Wirbelfortsätze  sondern  selbstständig 
sich  entwickelten ,  erschienen  ihm  dieselben  als  die  ursprünglichen  Stücke,  von 
denen  ein  Theil  durch  Verschmelzung  mit  den  Wirbeln  die  unteren  Bögen 
bilde  (Nr.  118  S.414.  415.  417);  darauf  nannte  er  sie  aber  umgekehrt  „Fortsatz- 
bildungen der  Wirbel",  welche  durch  Abgliederung  aus  den  unteren  Bögen 
sich  differenzirt  hätten  (Nr.  89  S.  617.  621).  Ebenso  schwankt  aber  auch 
seine  Deutung  einzelner  Stücke,  wie  z.  B.  der  seitlichen  Wirbelfortsätze  der 
Schildkröten,  welche  er  anfangs  für  einfache  Querfortsätze,  später  ohne 
erkennbare  Veranlassung  für  indifferente  Anlagen  solcher  nebst  den  zuge- 
hörigen Rippen  erklärte  (Nr.  118  S.  414.  415,  Nr.  89' S.  619).  Und  wenn 
Gegen iiArß  bei  der  ersten  Entscheidung  es  ausspricht,  „dass  der  auf  eine 
Vergleichung  von  Folgestücken  bei  einem  und  demselben  Thicre  sich 
gründende  Nachweis  einer  Homotypie  nur  dann  völlige  Geltung  haben  kann, 
wenn  auch   die  genetischen  Beziehungen  mit  dem  Befunde  des  ausgebildeten 


Vir.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  427 

Theiles  im  Einklänge  stehen",  so  wurde  doch  gerade  in  jenem  Falle  die 
bezügliche  embryologische  Thatsache  der  anticipirten  anatomischen  Definition 
untergeordnet  und  dadurch  ihre  Beweiskraft  illusorisch  gemacht:  weil  die 
fraglichen  Fortsätze  aus  den  Wirbeln  hervorwüchsen  (Rathke),  sollten  sie 
keine  Homologa  von  Rippen  sein,  obgleich  deren  selbstständige  Entwicklung 
eine  unbegründete  anatomische  These  war,  welche  Gegenbaur  selbst  alsbald 
aufgab.  Im  übrigen  basiren  aber  alle  seine  Feststellungen  lediglich  auf  ana- 
tomischen Vergleichen,  namentlich  der  Folgestücke  am  blossen  Skelet.  Dass 
aber  bei  einer  solchen  Methode  nicht  nur  die  einzelnen  Deutungen,  sondern 
auch  die  allgemeineren  Vorstellungen  unsicher  und  unklar  bleiben  müssen ,  ist 
natürlich.  Daher  ist  bisher,  solange  die  Bedeutung  der  morphologischen 
Entwickelung  überhaupt  nicht  genügend  erkannt  war,  auch  das  Verhältniss 
des  festen  Stammskelets  und  namentlich  seiner  Bögen  und  Fortsatzbildungen 
zu  den  übrigen  Körpertheilen  irrig  aufgefasst  worden.  Es  gehört,  wie  ich 
darzuthun  mich  bemüht  habe,  nicht  gleich  der  Wirbelsaite  zu  den  primär- 
morphologischen und  -typischen  Anlagen,  sondern  stellt  nachträgliche  Neu- 
bildungen vor,  welche  neben  manchen  andern  Bildungen  (Gefässe ,  Nerven, 
Rückenmarkshäute)  innerhalb  des  indifferenten  Bildungsgewebes  aus  dem 
plastischen  Ernährungsmaterial  (Dotterbildungszellen)  entstanden  und  sich 
dabei  ebenso  wie  jene  andern  den  bestehenden  morphologischen  Embryonal- 
anlagen anpassten.  Ja,  man  kann  sagen,  dass  sie  eigentlich  nur  den 
Lagebeziehungen  dieser  Embryonalanlagen,  den  in  denselben  enthalte- 
nen Formbedingungen  ihre  Entstehung  verdanken,  indem  das  plastische 
Ernährungsmaterial  dadurch  zu  ungleichmässiger  Verheilung  im  intersti- 
tiellen Bildungsgewebe,  zu  den  lokalen  Anhäufungen  veranlasst  wird,  deren 
histologische  Umbildung  das  gegliederte  Stammskelet  erzeugt.  Dabei- 
ist aber  auch  die  morphologische  Selbstständigkeit  dieser  von  mir  soge- 
nannten sekundär- typischen  Theile  keine  ihnen  eigen thümliche  sondern  nur 
eine  entlehnte;  und  sowie  desshalb  das  gegliederte  Stammskelet  nicht  zum 
Begriff  des  Wirbelthiertypus  gehört,  darf  es  auch  nicht  für  sich  allein  ver- 
gleichend betrachtet ,  d.  h.  die  einzelnen  Theile  wie  etwa  beim  Centralnerven- 
system  immer  nur  auf  das  Ganze  ihrer  Anlage  bezogen  werden.  Wie  sehr  die 
Verkennung  dieser  Verhältnisse  der  vergleichenden  Osteologie  schadete,  werde 
ich  ganz  besonders  beim  Kopfe  auszuführen  haben.  Für  das  Stammskelet  des 
Rumpfes  lassen  sich  die  meisten  Irrthümer  darauf  zurückführen,  dass  seine 
Bedeutung  in  der  Umschliessung  des  Rückenmarks  gesucht  wurde.  Die  daraus 


428  VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

geschöpfte  irrige  Vorstellung,  dass  seine  gegliederte  Form  der  hantigen 
Rückenmarksröhre  der  Cyklostomen  homolog  sei,  wurde  darauf  in  die 
Entwickelungsgeschichte  hineingetragen  und  veranlasste  so  die  Lehre  von  der 
kontinuirlichen,  rührigen  Skeletschicht,  welche  die  ursprünglichen  Beziehungen 
der  passiven  zu  den  aktiven  Bewegungsorganen  der  Aufmerksamkeit  ganz 
entzog.  Wurden  aber  die  oberen  Bögen  nur  auf  den  eingeschlossenen  Raum 
und  dessen  Kontenta  bezogen,  so  lag  es  nahe,  den  übrigen  Wirbelanhängen 
und  Fortsätzen  ähnliche  Beziehungen  zu  den  subvertebralen  Räumen  zuzu- 
sprechen. So  wurde  überall  eine  einfache  Reihe  unterer,  der  Rumpfhöhle  und 
dem  Kaudalkanal  angepasster  Bögen  aufgesucht  und  gefunden ,  wobei  man  ein 
ganzes  Fortsatzsystem  übersah  oder  vom  Stammskelet  willkürlich  ausschloss, 
(die  eigentlichen  Schwanzrijjpen  der  Amnioten,  die  sogenannten  Fleischgräten 
der  Fische),  andererseits  unter  dem  Namen  der  Rippen  und  Querfortsätze 
homologe  Stücke  trennte,  ungleichwerthige  zusammenstellte.  Wie  schematisch 
die  Begründung  solcher  Auffassungen  oft  war,  erhellt  daraus,  dass  die 
Abgliederung  oder  „Rippenbildung"  der  unteren  Bögen,  welche  aus  einer  An- 
passung an  den  veränderlichen  Umfang  der  Rumpf  höhle  hervorgehen  soll,  um 
den  unveränderlichen  Kaudalkanal  der  Reptilien  ebenfalls  erfolgt,  und  für  das 
Unterbleiben  einer  solchen  Abgliederung  im  Halse  und  in  der  Lendengegend 
jedenfalls  andere  Gründe  hervorgesucht  werden  müssen,  als  die  Unveränder- 
lichkeit  der  betreffenden  subvertebralen  Räume.  Die  wahren  Ursachen  aller 
Zustände  der  verschiedenen  Wirbelfortsätze  lassen  sich  eben  erst  aus  ihrer 
Entwickelungsgeschichte  erkennen,  welche  uns  ihre  ursprünglichen  Beziehungen 
und  Homologien  aufdeckt. 

Zunächst  lernen  wir  aus  der  Entwickelungsgeschichte  der  Batrachier, 
dass  die  aus  den  Segmentkernen  hervorgehenden  Stammuskeln  die  Bildung  des 
Stammskelets  beherrschen.  In  welcher  Weise  dies  am  Wirbelkörper  und  den 
oberen  Pyogen  erfolgt,  ist  bereits  geschildert  worden ;  für  alle  übrigen  Wmbel- 
fortsätze  ist  die  Kenntniss  von  der  wechselnden  Lage  jener  Muskelmassen 
wichtig.  Da  ihre  Anlagen,  die  Segmentkerne,  die  überwiegende  Masse  der 
Segmente  ausmachen,  so  verhalten  sie  sich  natürlich  durchaus  übereinstimmend 
mit  den  ganzen  Segmenten,  deren  nach  den  Körperregionen  verschiedene 
Anordnung  bereits  geschildert  wurde  (S.  209  und  flg.).  Im  Schwänze  sind 
daher  die  Stammuskeln  am  gleichmässigsten  angeordnet  (Taf.  XIII,  X  \  III); 
ihre  Mitte  liegt  ohngefähr  in  der  Höhe  der  Wirbelsaite  und  die  unteren 
Hälften  erstrecken  sich  in  ähnlicher  Weise  gerade  abwärts  wie  die  oberen  bis 


VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  429 

über  das  Rückenmark  gerade  aufsteigen.  Im  Rumpfe  verhalten  sich  die  oberen 
Hälften  ebenso,  die  unteren  dagegen  sind  zur  Seite  der  Chorda  zusammenge- 
zogen und  desshalb  von  Anfang  an  verbreitert,  um  später  mehr  oder  weniger 
seitlich  auszuwachsen*.  Ausserdem  tritt  eine  vollständige  Trennung  beider 
Hälften  aller  Stammuskeln  ein.  —  Die  diesen  präexistirenden  Muskelanlagen 
sich  anpassende  Skeletbildung  besteht  erstens  in  Bögen,  welche  unabhängig 
von  der  äusseren  Chordascheide  und  nur  auf  sie  gestützt  sich  der  Innenseite 
der  Stammuskeln  längs  der  queren  Scheidegrenzen  anlegen  und  dort  deren 
Befestigungen  aufnehmen;  zweitens  in  seitlichen  Fortsätzen,  welche  aus  jenen 
Bögen  zwischen  die  oberen  und  unteren  Muskelhälften  hineinwachsen  und 
gleichsam  als  quere  Träger  derselben  erscheinen.  Bei  der  durchgängigen 
horizontalen  Muskeitheilung  und  der  Gleichartigkeit  der  oberen  Muskelhälften 
sind  die  Formbedingungen  für  die  oberen  Bögen  und  seitlichen  Fortsätze 
überall  dieselben,  diese  Skelettheile  daher  an  allen  nicht  rudimentären  Wirbeln 
sowohl  des  Rumpfes  wie  des  Schwanzes,  wo  ein  solcher  persistirt,  vorhanden. 
Die  unteren  Muskelhälften  bieten  aber  nur  im  Schwänze  ähnliche  Anpassungs- 
bedingungen dar  wie  die  oberen  Bögen,  sehliessen  sich  dagegen  im  Rumpfe, 
nachdem  sie  zur  Seite  der  Wirbelkörper  verschoben,  vollständig  den  lateralen 
Wirbelfortsätzen  an ;  und  die  Erfahrung ,  dass  die  unteren  Bögen  nur  an  den 
Schwanzwirbeln  vorkommen  (Urodelen),  bestätigt  ihre  Abhängigkeit  von  der 
erstgenannten  Lage  der  Stammuskeln.  Obere  und  untere  Bögen  sind  mithin 
nach  Ursprung  und  Lagebeziehungen  als  homotype  Theile  zu  betrachten. 
Gegenbaur's  Einwand  ist  nach  seiner  Begründung  nicht  stichhaltig,  denn  die 
ursprünglichen,  wesentlichen  Beziehungen  der  beiderlei  Bögen  werden  eben 
nicht  durch  die  Eontenta  der  eingeschlossenen  Räume,  sondern  durch  die 
angehefteten  Muskeln  bedingt;  im  übrigen  gehört  aber  jener  Einwand 
eigentlich  nicht  ganz  hierher,  da  er  sich  auf  das  ganze  untere  Bogensystem 
Gegenbaur's,  also  auch  auf  die  seitlichen  Fortsätze  bezieht ,  welche  allerdings 
weder  den  oberen  noch  den  unteren  Bögen  homotyp  sind.  Diese  Fortsätze 
sind  bei  ihrer  Anpassung  an  die  horizontale  Muskeitheilung  in  ihrem  Wachs- 
thume  von  der  seitlichen  Ausbreitung  der  von  ihnen  getragenen  Muskelmassen 
abhängig,  welche  natürlich  im  Schwänze  am  geringsten  ist  und  sich  bis  in. den 
vorderen   Rumpftheil   steigert,    ohne    jedoch    eine   auffallende   Differenz   zu 


*  In  Folge  der  Anschwellung  des  Bauches  findet  jene  Znsammenziehung  bei  den  Anuren- 
Iarven  viel  früher  statt  als  bei  den  Larven  der  Urodelen  {vgl.  Taf.  XIX  Fig.  338—34:0). 


430  VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

erreichen.  Dabei  tritt  offenbar  unter  dem  Einflüsse  der  sieb  ausbreitenden 
und  verstärkenden  Muskelansätze  die  Gliederung  jener  Fortsätze  in  die 
medialen  Wurzelstücke  (Querfortsätze)  und  die  Aussenglieder  (Rippen)  ein; 
wo  die  Entwicklung  dieser  Fortsätze  niebt  so  weit  fortgeschritten  oder  die 
Gliederung  durch  Verwachsung  rückgängig  gemacht  ist,  müssen  sie  daher 
stets  als  die  indifferenten  Anlagen  je  eines  Querfortsatzes  und  einer  Rippe 
angesehen  und  von  Querfortsätzen  in  diesem  Sinne  unterschieden  werden. 
Ich  werde  sie  Rippenfortsätze  nennen.  Von  diesen  Rippenfortsätzen  der 
Anuren  sagt  Gegenbaur  (Nr.  89  S.  619) ;  „Bei  den  Anuren  sind  sie  (die  Rippen) 
vollständig  verloren  gegangen,  oder  werden  in  indifferentem  Zustande  durch 
die  hier  sein1  ansehnlichen  Querfortsätze  repräsentirt."  Dagegen  muss  ich 
bemerken,  dass  diese  Fortsätze  nicht  einen  unentwickelten,  sondern  einen 
rückgebildeten  Zustand  darstellen.  Eine  solche  Rückbildimg  fehlt  bekanntlich 
nicht  nur  an  den  Rumpfwirbeln,  sondern  auch  an  einigen  vorderen  Schwanz- 
wirbeln  der  ausgewachsenen  geschwänzten  Amphibien,  wie  ich  Stannius  für 
Menopoma  bestätigen  kann  (Nr.  80  II  S.  12).  Gegenbaur  erwähnt  dieses  Ver- 
hältniss  an  Menopoma,  dessen  untere  Bögen  er  untersuchte  (Nr.  118  S.  414), 
nicht;  es  bietet  aber  dieses  gleichzeitige  Vorkommen  von  Rippen  und  unteren 
Bögen  an  denselben  Wirbeln  den  klarsten  Beweis  gegen  die  Lehre  Gegenbaur's 
von  der  Identität  beider  Skelettheile.  Die  Rippenfortsätze  der  Amphibien 
entspringen  übrigens  stets,  auch  wo  sie  doppelt  vorkommen,  von  den  oberen 
Bögen;  wenn  aber  schon  in  Folge  der  Verschiebung  der  Wirbelbogenbasen  die 
Wurzel  wenigstens  des  unteren  Fortsatzes  an  die  Seite  des  fertigen  Wirbel- 
körpers zu  liegen  kommt  und  daher  irrigerweise  überhaupt  nicht  mehr  auf  die 
Wirbelbogenbasis  bezogen  wird,  so  dienen  die  früher  erwähnten,  ganz  unregel- 
n lässig  verknöchernden  Bindegewebsbrücken  zwischen  verschiedenen  Wirbel- 
theilen  dazu,  Zahl  und  Lage  der  eigentlichen  Quer-  und  Rippenfortsätze  am 
ausgebildeten  Thiere  völlig  in  Zweifel  zu  stellen,  bis  die  Entwickelungsge- 
schichte  die  Entscheidung  bringt. .  Doch  glaube  ich ,  dass ,  wenn  man  dieses 
Verhältniss  im  allgemeinen  richtig  erkannt  hat,  die  ausführliche  Deutung  an 
jeder  Species  und  jedem  auffallenden  Wirbel  (vgl.  Stannius  Nr.  80  II.  S.  1 3) 
kein  "sonderliches  Interesse  hat.  —  Gegenüber  der  GEGENBAUR'schen  Theorie 
steht  also  für  die  Amphibien  fest,  1.  dass  ihre  unteren  Bögen  den  oberen  homo- 
typ, beide  aber  den  Rippen  nicht  gleichwerthig  sind;  2.  dass  diese  letzteren  nicht 
selbstständige  Bildungen  darstellen,  sondern  in  continuo  mit  den  Querfortsätzen 


VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  431 

aus  den  oberen  Bögen  hervorwachsen  und  sich  erst  später  abgliedern,  daher 
rieben  unteren  Bögen  bestehen  können. 

Diese  Zustände  der  Amphibienwirbel  lassen  sich  im  allgemeinen  auch  an 
den  übrigen  Wirbelthieren  nachweisen,  sobald  man  ihre  Entwickehmg  berück- 
sichtigt. —  Die  Amnioten  finde  ich  darin  von  den  Amphibien  am  wenigsten 
abweichend,  indem  ihre  unteren  Bögen  auf  die  Schwanzregion  beschränkt  und 
die  Rippenfortsätze,  d.  h.  die  gemeinsamen  Anlagen  der  Querfortsätze  und 
Rippen,  seitliche  Auswüchse  der  oberen  Bögen  sind.  Dieses  letztere  Verhältniss 
habe  ich  besonders  deutlich  im  Schwänze  von  Schafsembryonen  gesehen,  wo 
die  Rippenfortsätze  von  der  Wirbelbogenbasis  zur  Seite  verlaufen  und  die 
Stammuskeln  in  zwei  sehr  symmetrische  Hälften  theilen ;  da  diese  Schwanz- 
muskeln aber  sehr  klein  sind,  reicht  die  untere  Hälfte  nur  bis  zur  Bauchfläche 
der  Wirbelkörper,  gibt  also  zur  Bildung  unterer  Bögen,  wenigstens  hinter  den 
allerersten  Wirbeln,  keine  Veranlassung.  Dies  geschieht  erst  bei  den  Thieren, 
deren  Schwanzmuskulatur  mächtiger  entwickelt  ist ,  z.  B.  bei  den  Reptilien ; 
und  beim  Chamaeleon  habe  ich  ferner  ein  Seitenstück  zu  der  Schwanzwirbel- 
säule der  Urodelen  gefunden,  indem  an  den  vorderen,  mit  unteren  Bögen 
(untere  Dornfortsätze  aut.)  versehenen  Wirbeln  jener  Gegend  den  langen  Quer- 
fortsätzen gesonderte  und  artikulirende  knöcherne  Rippen  angefügt  sind, 
welche  allerdings  bei  ihrer  ausserordentlich  geringen  Grösse  von  ca.  0.5  Mm. 
mit  den  Muskeln  leicht  unbemerkt  von  den  Querfortsätzen  abgerissen  werden 
können.  Ich  mache  auf  diese  Thatsache  deshalb  aufmerksam,  weil  Gegenbaur 
das  Fehlen  solcher  Rippen  bei  anderen  Reptilien  (Krokodile)  zu  Gunsten  seiner 
Ansicht  anzieht,  dass  nämlich  die  Rippen  in  den  unteren  Bögen  zu  suchen 
seien  (Nr.  118  S.  414,  Nr.  89  S.  620-621).  Uebrigens  steht  gar  nicht  die 
Frage  zur  Entscheidung,  ob  solche  kontinuirliche  seitliche  Wirbelfortsätze 
Querfortsätze  oder  Rippen  seien ,  sondern  es  sind  eben  gemeinsame  Anlagen 
für  beides,  welche  entweder  in  ihrem  indifferenten  Zustande  bleiben  oder  ihre 
Gliederung  nachträglich  verlieren.  Sehr  anschaulich  offenbart  sich  dies  an 
den  Schwanzwirbeln  des  Schnabelthieres ,  deren  breite  aber  spitz  auslaufende 
Rippenfortsätze  theils  kontinuirlich  erscheinen,  theils  bei  der  gleichen  Gestalt 
eine  Naht  zeigen,  welche  die  Spitze  vom  übrigen  Körper  trennt.  Dieselbe  Be- 
deutung wie  die  kaudalen  Rippenfortsätze  haben  alle  übrigen  seitlichen  Wirbel- 
fortsätze, von  denen  keine  Rippen  sich  abgegliedert  haben,  während  Querfort- 
sätze nach  der  von  mir  vorgeschlagenen  Terminologie  nur  die  bei  der 
Abgliederung  von  Rippen  am  Wirbel  zurückbleibenden  Wurzelstücke  genannt 


432  VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

werden  sollten.  Dass  aber  mit  dieser  Definition  die  Schwierigkeiten  bei  der 
anatomischen  Deutung  im  einzelnen  Falle  nicht  gehoben  sind,  wird  sich  aus 
dem  folgenden  ergeben.  Die  Wirbelfortsätze  der  Vögel  und  Säuger  (Huhn, 
Wasserhuhn ,  Schaf,  Maulwurf)  stimmen  in  ihrer  Entwickelung  im  allgemeinen 
mit  denen  der  Salamandrinen  überein,  d.  h.  im  vorderen  Rumpftheile  (Hals)  sind 
die  Rippenfortsätze  doppelt  und  mit  ihren  lateralen  Enden  verschmolzen,  im 
mittleren  Rumpftheile  (Brust)  verkümmert  der  obere  Fortsatz  gegenüber  dem 
unteren  zu  einer  blossen  Stütze  des  letzteren,  um  in  der  Lendengegend  und  im 
Schwänze  ganz  zu  verschwinden.  Indem  jedoch  bei  jenen  Anmieten  die  Massen- 
entwickelung  der  Stammuskeln  je  nach  der  Körperregion  stärker  wechselt,  die- 
selben nämlich  im  Halse  und  in  der  Lendengegend  nur  wenig  seitwärts,  in  der 
Brustgegend  dagegen  bis  an  die  Bauchseite  sich  ausbreiten  (Mm.  intercostales), 
tritt  ein  entsprechender  Unterschied  auch  an  den  davon  abhängigen  Wirbel- 
fortsätzen deutlich  hervor.  Die  doppelten  Rippenfortsätze  des  Halses  sind 
daher  so  kurz,  dass  sie  durch  ihre  Verbindung  annähernd  einen  Ring  bilden, 
dessen  Oeffnung  natürlich  entgegen  dem  gleichen  Namen  nicht  dem  Foramen 
transversarium  der  Amphibien,  sondern  nur  deren  unansehnlichen  und  desshalb 
unbeachteten  Lücke  zwischen  den  doppelten  Rippenwurzeln  entspricht*;  die 
verschmolzenen  Enden  sind  oft  nur  durch  zwei  Spitzen  am  äusseren  Umfange 
jenes  Ringes  angedeutet.  Im  Uebergange  zur  Brustregion  verlängert  sich  be- 
kanntlich an  den  letzten  Halswirbeln  der  untere  Fortsatz  und  gliedert  sich  zu 
einer  Halsrippe  ab,  sodass  das  gegen  den  oberen  Fortsatz  gerichtete  Ver- 
bindungsstück als  das  Tuberculum  der  folgenden  Brustrippen,  jener  als  das 
Ilomologon  der  bisher  sogenannten  Querfortsätze  erscheint.  Diese  Homo- 
logien sind  gewiss  richtig,  nicht  aber  die  letzte  Bezeichnung-,  denn  jene 
„ Querfortsätze"  entwickeln  sich  durchaus  selbstständig  und  gliedern  keinen 
Theilab,  welcher  etwa  mit  der  unteren  Rippe  verschmölze,  sind  also  wahre 
Rippenfortsätze  und  folglich  homolog  den  Rippen  nebst  deren  eigentlichen 
Querfortsätzen,  an  denen  ihr  Capitulum  artikulirt.  Die  vertebralen  Enden 
der  Brustrippen  sitzen  nämlich  im  Embryo  ebenfalls  auf  kleinen  Vorsprüngen 
(Querfortsätze)  an  der  Seite  des  Wirbelkörpers,  welche  erst  in  Folge  der  Ver- 
schiebung der  Rippenenden  an  die  Wirbelgrenzen  sich  zurückbilden.  Die 
Tubercula  dieser  Rippen  sehe  ich  aber  als  spätere  Anpassungen  an  den  von 


*  Gegenbauk  identificirt  daher  mit  Unrecht  beide  Oeffnungen  (Nr.  89  S.  621 1 


VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  433 

oben  heranwachsenden  Rippenfortsatz  entstehen.  Bei  dieser  Sachlage  dürfen 
natürlich  die  Wurzeln  dieser  Rippen  nicht  mit  den  gabeligen  Vertebralenden  der 
Doppelrippen  bei  den  Urodelen  verglichen  werden:  der  obere  Schenkel  der 
letzteren  gehört,  wie  ich  zeigte,  zu  einer  zweiten  Rippe,  welche  mit  der  unteren 
verschmilzt,  das  Tuberculum  der  ersteren  ist  dagegen  bloss  eine  sekundäre 
Bildung  einer  einfachen  Rippe.  Es  entsprechen  also  die  Wirbelfortsätze  der 
Vögel  und  Säuger ,  da  an  ihnen  obere  Rippen  gewöhnlich  nicht  zur  Abgliede- 
rung  kommen,  den  Wirbelfortsätzen  der  Urodelen  nur  in  der  Anlage,  nicht  in 
der  späteren  Umbildung.  Doch  dürften  Doppelrippen  in  der  vordersten  Hals- 
gegend jener  Amnioten  nicht  ganz  ausgeschlossen  sein-,  denn  am  Epistropheus 
des  Schnabelthiers  finde  ich  eine  sehr  breite,  nicht  ganz  kurze  Rippe,  welche 
mit  zwei  ganz  gleichen  dünneren  Schenkeln  an  zwei  ebenfalls  gleichen  Quer- 
fortsätzen durch  Naht  befestigt  ist,  sodass  dieses  Aussehen  viel  mehr  für  eine 
Doppelrippe  als  dafür  spricht,  dass  der  horizontale  obere  Schenkel  ein  eigen- 
thümlich  gebildetes  Tuberculum  sei.  —  Die  lumbalen  „Querfortsätze"  sind  nach 
meinen  Untersuchungen  untere  Rippenfortsätze,  während  die  oberen  in  den 
„accessorischen  Querfortsätzen"  zu  suchen  sind.  Wo  sich  Rippen  in  der 
Lendengegend  abgliedern ,  erscheinen  die  in  der  Brustgegend  verschwundenen 
Querfortsätze  vollkommen  entwickelt,  sodass  zum  Unterschiede  von  der  letz- 
teren Region  die  Rippenenden  ebenso  wie  am  Halse  vom  Wirbelkörper  entfernt 
sind.  Es  verlieren  daher  die  Rippen  beim  Uebergange  aus  der  Brust-  in  die 
Lendengegend  nicht,  wie  Gegenbaue,  meint  (Nr.  89  S.  621),  ihre  unteren 
Schenkel  (Rippenhals),  sondern  gerade  der  Höcker  fehlt  in  Folge  der  Verküm- 
merung des  oberen  Rippenfortsatzes. 

Für  die  Reptilien  fehlen  mir  eigene  embryologische  Untersuchungen-, 
wenn  ich  aber  die  Angabe  Rathke's  (Nr.  47  S.  129),  dass  die  Rippen  der 
Vögel  und  Säuger  zum  sogenannten  Querfortsatze  (oberer  Rippenfortsatz)  ge- 
hören ,  also  ihr  Hals  mit  dem  Köpfchen  eine  nachträgliche  Bildung  sei ,  als 
irrthümlich  bezeichnen  kann,  so  dürfte  die  gleiche  Angabe  für  die  Krokodile 
wenig  Vertrauen  verdienen  (Nr.  119  S.  58).  Daher  werden  die  Reptilien  wahr- 
scheinlich keine  Ausnahme  von  den  übrigen  Amnioten  machen. 

Etwas  andere  Ergebnisse  als  bei  den  bisher  genannten  Wirbelthieren 
lieferte  mir  die  embryologische  Untersuchung  einiger  Haie  (Acanthias, 
Scyllium).  Ihre  kaudalen  unteren  Bögen  besitzen  ebenso  breite  Basen  an  der 
äusseren  Chordascheide  wie  die  oberen  Bögen,  gleichen  ihnen  daher  vollständig. 
Ausserdem  zeigen  sie  aber  dicht  unter  ihrer  Wurzel  jederseits  einen  median- 

Goettk,  Entwickeluiigsgesehichte.  28 


434  VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

wärts  gerichteten  kurzen  Fortsatz,  welche  beide  durch  eine  bindegewebige 
Brücke  verbunden  sind  und  so  den  Kaudalkanal  in  eine  kleinere  obere  und 
eine  grössere  untere  Abtheilung  scheiden.  Beim  Uebergange  vom  Schwänze 
zum  Rumpfe  verlieren  sich  die  unteren  Bögen  bis  auf  die  breiten  Basen,  welche 
im  ganzen  Rumpfe  als  die  „unteren  Wirbelstücke"  der  älteren  Embryolagen 
vorhanden  sind.  Statt  der  unteren  Fortsetzung  zeigen  diese  Basalstücke 
seitliche  Auswüchse,  welche  anfangs  als  kontinuirliche  Knorpelstäbe  zwischen 
die  beiden  Hälften  der  Stammuskeln  bis  an  deren  Aussenseite  sich  erstrecken, 
also  nach  Ursprung  und  Lagebeziehungen  den  Rippenfortsätzen  der  Amphibien 
und  Amuioten  entsprechen.  Denn  der  Unterschied,  dass  sie  nicht  aus  den 
oberen,  sondern  aus  den  unteren  Bögen  entspringen,  ist  durch  die  tiefe  Lage 
der  horizontalen  Muskeitheilung  bedingt  und  verlangt  allenfalls  sie  den  Rippen- 
fortsätzen anderer  Thiere  nicht  einfach  homolog,  sondern  homotyp  zu  be- 
zeichnen. Später  gliedern  sie  sich  in  kurze  Querfortsätze  und  Rippen ,  welche 
jedoch  im  ausgebildeten  Thiere  an  Länge  und  Stärke  verlieren.  Mit  diesen 
Befunden  erledigt  sich  die  irrige  Ansicht  Gegexbaur's  von  dem  Uebergange 
auch  der  Salachierrippen  in  untere  Bögen  (Nr.  1  LS  S.  409 — 410.  417 ,  Nr.  Sil 
S.  618).  Seine  Vergleiche  am  blossen  Skelete  lassen  aber  gar  nicht  errathen, 
welche  Lagebeziehungen  zu  den  Muskeln  die  Wirbelanhänge  der  von  ihm 
untersuchten  Genoiden  haben  (Nr.  118  S.  410.  413),  ob  die  letzteren  also  sich 
den  Salachiern  auschliessen  oder  den  Teleostiern,  den  letzten  hier  zu 
betrachtenden  Thieren.  Hinsichtlich  dieser  hat  Gegeniuir  in  der  Sache  inso- 
fern Recht,  als  die  Stücke,  welche  er  Rippen  nennt,  thatsächlich  abgegliederte 
untere  Bögen  sind.  Die  Stammuskeln  der  Teleostier  reichen  nämlich  im  Rumpfe 
gerade  so  wie  im  Schwänze  bis  zur  Bauchseite  hinab,  sodass  die  Bogenbildung 
dieselben  Anpassungsbedingungen  auch  unter  der  Wirbelsäule  findet.  Desshalb 
verdienen  aber  natürlich  jene  ..Rippen"  ihren  Namen  gerade  nicht-,  sowenig  als 
die  Bezeichnung  „untere  Querfortsätze"  für  die  kurzen  Fortsätze  passt,  welche 
nach  innen  von  ihnen  häutig  schon  im  Rumpfe  und  ferner  im  Schwänze  einen 
Kanal  für  die  Hauptgefasstämme  bilden  (Stannitjs  Nr.  801  S.  27,  Gegenbaub 
Nr.  89  S.  603.  605).  Zunächst  scheinen  diese  Fortsätze  ohne  Vorbild  zu  sein  ; 
doch  enthält  «die  von  mir  angegebene  quere  Theilung  des  Kaudalkanals  der 
Salachier  einen  beachtenswerthen  Fingerzeig.  Ohne  eine  ausreichende 
Erklärung  geben  zu  wollen,  halte  ich  es  doch  nicht  für  unmöglich,  dass  jene 
ventralen  Fortsätze  der  Teleostieiwii  hol  die  mit  medialen  Auswüchsen  versehenen 
Wurzelstücke  der  unteren  Bögen   darstellen,   welche  ich    von  den  S.-dachiern 


VIT.   Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  435 

beschnei),  und  dass  von  jenen  Wurzelstücken  die  übrigen  grösseren  Bogen- 
theile  sich  abgliedern.  Wie  dem  auch  sei,  das  wichtigere  Ergebniss  bleibt, 
dass  diejenigen  Wirbelanhänge ,  welche  man  bisher  allein  als  den  Teleostier- 
vvirbeln  zugehörig  betrachtete,  bloss  dem  oberen  und  unteren  Bogensystem 
angehören,  also  wirkliche  Rippen  nicht  enthalten.  Fehlen  nun  solche  den 
Teleostiern  thatsächlich?  Zwischen  den  Hälften  der  Stammuskeln  liegen 
regelmässig  lange  Knochenstücke,  welche  mit  ihren  medialen  Enden  an  die 
Wirbelbogenbasen  oder  die  Bögen  selbst  sich  anfügen ;  sie  wurden  früher  als 
obere  oder  äussere  Rippen ,  in  neuerer  Zeit  aber  als  rein  accessorische  Skelet- 
theile bezeichnet  (Nr.  8i>  S.  022).  Nach  allem,  was  ich  über  die  Entwicklung 
der  echten  Rippen  gesagt,  scheinen  mir  jene  „Fleischgräten"  die  einzigen 
wirklichen  Rippen  der  Teleostier  zu  sein ,  deren  Bedeutung  nur  desshalb  ver- 
kannt wurde,  weil  man  sich  die  wesentlichen  Merkmale  der  Rippen  überhaupt 
nicht  klar  gemacht  hatte.  Jedenfalls  liegt  weder  in  ihrer  nicht  seltenen 
Befestigung  an  den  unteren  Bögen,  noch  in  ihrer  Spaltung  oder  Verdoppelung 
ein  Hinderniss  für  jene  vorläufige  Annahme,  da  sowohl  Rippenfortsätze  aus 
beiderlei  Bögen  hervorwachsen,  als  auch  ihre  Querfortsätze  verkümmern 
können. 


Dass  das  Stammskelet  des  Kopfes  demjenigen  des  Rumpfes  homolog  sei, 
hat  man  in  der  Schädelwirbeltheorie  angenommen,  bevor  eine  einzige  bezüg- 
liche embryologische  Thatsache  bekannt  war.  Daher  findet  sich  denn  z.  B.  bei 
Vogt  die  entschiedene  Behauptung,  dass  der  ganze  quere  Schädelumfang 
(Schädelbasis ,  Schädeldach)  einem  vollständigen  Wirbel  mit  Körper  und  Bogen 
entspreche,  während  der  vorsichtige  Rathke  nicht  einmal  über  die  ersten 
Entwickelungsstufen  der  Schädelbasis  sich  bestimmt  auszusprechen  wagt 
(Nr.  21  S.  6).  Wie  ich  zeigte,  ist  bloss  die  zwischen  den  grossen  Ohrbläschen 
befindliche  Schädelbasis  mit  den  aus  ihren  verbreiterten  Enden  hervorge- 
wachsenen  zwei  Ringen  alsKopftheil  der  Wirbelsäule  zu  betrachten,  wenngleich 
abweichende  Formbedingungen  von  Anfang  an  ihn  vom  Rumpftheile  in  nicht  ge- 
ringem Masse  unterschieden  sein  lassen.  Der  unpaare  Axentheil,  die  Wirbelsaite 
mit  ihrer  äusseren  Scheide,  sowie  der  Ursprung  der  sich  ihm  anschliessenden 
Seitentheire  sind  in  beiden  Regionen  die  gleichen ,  sodass  die  Lehre  vom  „häuti- 
gen Primordialkranium"  nicht  mehr  Boden  hat  als  diejenige  von  den  häutigen 

28* 


43G  VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule. 

Wirbeln.  Dagegen  verschwinden  die  seginentalen  Muskelplatten ,  welche  die 
Gliederung  des  Stammskelets  im  Rumpfe  bedingen,  im  Kopfe  kurz  vor  der 
Entwicklung  des  Schädels  zum  grössten  Theile,  und  desshalb  bilden  die 
Homologa  der  oberen  Wirbelbögen  im  Kopfe,  die  Seitenplatten  der  Schädel- 
basis, jederseits  vom  Axentheile  eine  kontinuirliche,  ungegliederte  Anlage,  an 
der  jede  Andeutung  von  der  Zahl  und  den  Grenzen  der  zu  Grunde  liegenden 
Segmente  fehlt.  Für  die  Frage  nach  der  Gliederung  des  Kopfes  ist  daher  seine 
Stammskeletbildung  von  gar  keiner  Bedeutung ;  die  Entscheidung  ruht  wie  in 
allen  Körperregionen  in  den  primär-morphologischen  Segmenten  und  ihren 
Erzeugnissen ,  deren  Uebersicht  einem  späteren  Abschnitte  vorbehalten  ist.  — ' 
Den  Lagewechsel  der  Wirbelsaite  in  der  hinteren  Schädelbasis  hat  Gegenbaur 
nicht  richtig  geschildert;  sie  verläuft  nicht  in  dem  hinteren  Abschnitte  mitten 
durch  Knorpel,  um  erst  vorn  an  seine  Oberfläche  herauszutreten  und  dort  in 
einer  Rinne  zu  enden,  sondern  ist  hinten  vom  Knorpel  ventral wärts  niemals 

9 

überzogen,  und  wenn  sie  ihn  darauf  nach  vorn  vollständig  durchsetzt,  also  in 
eine  oberflächliche  Rinne  zu  liegen  kommt,  so  bleibt  doch  die  eigentliche  Spitze 
stets  im  Knorpel  eingeschlossen,  wo  sie  zu  einer  senkrechten  Platte  umgebildet 
wird.    Doch  möchte  ich  diesen  Einzelheiten  keine  besondere  Bedeutung  beilegen. 


Was  den  histologischen  Entwickelungsprocess  der  Knorpelbildung  betrifft, 
so  ist  in  letzter  Zeit  die  KüLLiKERsche  Ansicht  zur  herrschenden  geworden, 
dass  die  Knorpelzellen  nur  Umbildungen  von  Embryonalzellen  seien  (vgl. 
Stricker,  Handbuch  der  Lehre  von  den  Geweben  I  S.  80);  und  der  Satz:  „Von 
freier  Zellenbildung  kommt  in  Knorpeln  nichts  vor"  (KöllikerNi\  78  I  S.  851) 
gilt  jetzt  wohl  als  selbstverständlich.  Und  doch  ist  er  grundfalsch,  wie  über- 
haupt die  ganze  allgemeine  Auffassung,  dass  die  histiologisch  ausgebildeten 
Zellen  stets  direkte  Nachkommen  der  Embryonalzellen  seien.  In  der  gewisser- 
massen  schon  von  Schwann  herrührenden  Erkenntniss,  dass  der  Knorpel  erst 
aus  den  Trümmern  der  Embryonalzellen  hervorgehe,  übertreffen  Vogt,  Prevost 
und  Gramer  Köllixer  ganz  entschieden,  wenn  ich  auch  mit  ihren  weiteren 
Darstellungen  nicht  übereinstimmen  kann;  und  zur  Erklärung  des  auffallenden 
Widerspruchs  muss  man  annehmen,  dass  Köllikers  Untersuchung  sich  auf 
jene  allererste  Knorpelbildung  um  die  Chordaspitze  herum  beschränkt  habe, 
welche  für  sich  allein  betrachtet  allerdings  den   Schein  eines  unmittelbaren 


VII.    Die  Wirbelsaite  und  die  Wirbelsäule.  437 

Uebergangs  derEmbryonalzellen  hervorruft.  Ich  habe  die  wesentliche  Ueberein- 
stimmung  dieser  Knorpelbildimg  mit  derjenigen,  welche  ich  in  der  überwiegenden 
Anzahl  der  Fälle  beobachtet  habe  (Wirbelbögen,  äussere  Chordascheide,  vordere 
Schädelbasis,  Chordaknorpel,  gewisse  Theile  des  Brustbeins)  bereits  in  der  Be- 
schreibung nachzuweisen  gesucht.  Daher  erinnere  ich  hier  nur  daran,  dass 
auch  im  ersten  Falle  ganz  offenbar  nur  die  centralen  Theile  der  Embryonal- 
zellen sich  in  die  Knorpelzellen  verwandeln,  die  Rindenschicht  aber,  und  nicht 
irgend  welche  „Ausscheidungen"  der  intakten  Zellen,  die  Bildung  der  Kapseln 
und  theilweise  wohl  auch  der  Interkapsularsubstanz  besorgen.  Dass  dabei  die 
Grenzen  der  früheren  Embryonalzellen  längere  Zeit  erhalten  bleiben,  kann 
gegenüber  der  viel  klareren  Knorpelentwickelung  an  anderen  Stellen  gar  nicht 
ins  Gewicht  fallen,  weil  darnach  jene  Konservirung  durchaus  nicht  nothwendig, 
also  als  mehr  zufällige,  lokale  Besonderheit  erscheint.  Der  Knorpel  gehört 
daher  unzweifelhaft  zu  den  Geweben,  welche  aus  sekundärer  Zellenbildung 
hervorgehen,  und  zwar  bietet  er  gerade  in  den  meisten  Fällen  die  deutlichsten 
Bilder  der  Zellenbildung  aus  homogener  Grundsubstanz  um  freie  Kerne  herum. 


VIII.  Die  Segmente  des  Rumpfes. 


Historische  Feoersicht  der  bisherigen  Untersuchungen. 

Da  die  Segmente  des  Humpfes,  wie  aus  den  früheren  Beschreibungen 
hervorgegangen  sein  wird,  mit  Ausnahme  der  Oberhaut,  des  Rückenmarks  und 
der  Wirbelsaite  die  ganze  übrige  Masse  des  Rückentheils  und  ebenso  das 
Innere  der  Leibeswand  zwischen  der  Oberhaut  und  dem  Epithel  des  Bauchfells 
(Parietalblatt)  bilden,  so  erhellt,  dass  dieses  Kapitel  die  Entwickelungsgeschichte 
der  Muskeln,  der  Nerven,  des  Bindegewebes  im  weitesten  Sinne  (Zwischen- 
gewebe, Häute)  und  der  Gefiisse  umfassen  wird.  Da  aber  die  volle  Bedeutung 
der  Segmente  bisher  unerkannt  blieb,  so  kann  ich  auch  in  der  folgenden 
Uebersicht  der  betreffenden  Literatur  keine  zusammenhängende  Beschreibung 
jener  mannigfaltigen  Leistungen  der  Rumpfsegmente  vorführen ,  sondern  nur 
mehr  einzelne  Darstellungen  über  die  Entwicklung  dieses  oder  jenes  Gewebes, 
deren  Erforschung  in  neuerer  Zeit  gerade  von  Seiten  4er  speciellen  Histiologie 
angeregt  und  gefördert  wird.  Dieser  Umstand  erklärt  es  aber  auch,  warum 
die  Literatur  für  diesen  Abschnitt  ganz  besonders  reich,  d.  h.  in  viele  kleinere 
und  grössere  Abhandlungen  vertheilt  ist,  sodass  ich  fürchten  muss,  dass  die 
eine  oder  andere  gelegentliche  Bemerkung  über  die  Histiogenese  der  Batrachier- 
larven  mir  entgangen  sein  wird. 

Ruscoxr  machte  die  ersten  Angaben  über  die  Entwickelung  der  Aorta. 
Sie  entstehe  zugleich  mit  dem  Gehirn  an  noch  schwanzlosen  Embryonen  und 
sei  alsdann  „immediatement  au-dessous  et  presque  collee  ä  Taxe  cerebro-spinal". 
Sie  besitze  anfangs  dicke,  undurchsichtige  Wände  und  zwei  Näthe  oben  und 
unten,  sodass  sie  aus  zwei  Blättern  entstanden  sein  müsse.     Vorn  geht  sie 


VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes.  439 

zuerst  rechtwinkelig,  später  unter  stumpfem  Winkel  in  zwei  Aeste  auseinander, 
woraus  Rüsconi  folgert,  dass  sie  sich  rückwärts  verschiebe  (Nr.  6.  S.  47. 48). 

Baumgäetner  beobachtete  zuerst  die  Bildung  des  Blutes  und  der  Gefässe 
in  den  Schwänzen  von  Froschlarven.  Bevor  eine  Blutbewegung  in  denselben 
sichtbar  geworden  war,  sah  er  „aus  Dotterkügelchen  bestehende  kugelichte 
Massen"  in  der  Art  reihenweise  aneinander  gelagert,  dass  dadurch  auf-  und 
absteigende  Bögen  gebildet  wurden.  In  diesen  Bahnen  oder  eben  den  Gefäss- 
anlagen  beginnen  alsdann  jene  runden  Körperchen  oder  c|je  embryonalen  Blut- 
kügelchen  sich  zu  bewegen,  wobei  sie  durch  allmählichen  Schwund  der 
undurchsichtigen  Dotterkügelchen  sich  aufhellen  und  endlich  einen  runden 
Kern  erhalten  (Nr.  12  S.  4a.  45.  46).  Nachdem  Baumgärtner  die  Blutbildung 
in  den  Kröten-  und  Tritonenlarven  im  wesentlichen  ebenso  beschrieben  (S.  49. 
50.58 — 60),  sagt  er:  „Hieraus  erhellt,  dass  der  Schwanz  der  Salamanderlarve 
nicht  blos  der  Form  nach  aus  den  ursprünglichen  Dotterkügelchen  geschaffen 
werde,  sondern  dass  auch  die  materielle  Umbildung  ohne  Hülfe  von  Blut,  das 
von  dem  Herzen  aus  hergetrieben  wird,  geschehen  könne." 

Nach  Schultz  erscheinen  die  ersten  erkennbaren  Blutkörperchen  als 
Häufchen  von  Dotterkügelchen ,  „die,  von  einer  eigenen  blasenartigen  Haut 
eingeschlossen,  in  ihrer  Mitte  eine  Luftblase  eingeschlossen  enthalten  und 
daher  ganz  hohl  erscheinen,  während  die  Dotterkügelchen  bloss  an  der  inneren 
Wand  der  Blase  ankleben"  (Nr.  18  S.  30.  31).  Allmählich  nimmt  die  Zahl  der 
Dotterkügelchen  ab  und  wird  die  Blasenform  des  ganzen  Körperchens  dadurch 
klarer,  welche  endlich  sich  länglich  auszieht  und  abplattet.  „Immer  haben  die 
plattwerdenden  Bläschen  noch  anfangs  zwei  und  mehrere  grössere  Dotter- 
körnchen, zuweilen  noch  ganze  Haufen  kleinere.  Aus  diesen  bilden  sich  die 
Kerne  entweder,  indem  mehrere  kleine  in  einen  grösseren  körnigen  Kern 
zusammenschmelzen,  oder  indem  einer  von  den  grösseren  allein  übrig  bleibt 
und  die  kleineren  nach  und  nach  schwinden"  (S.  32). 

Schwann  beschreibt  Nervenanlagen  aus  dem  Schwänze  von  Froschlarven 
als  schmale  blasse  Fasern,  welche  sich  vielfach  verzweigten  und  an  den 
Theilungsstellen  etwas  angeschwollen  wären,  zuweilen  Kerne  enthielten.  Diese 
Anschwellungen  hält  Schwann  für  die  ursprünglichen  Zellen,  aus  denen  die 
Nerven  hervorgehen,  die  feinen  Zweige  aber  für  die  Fortsätze  jener  Zellen. 
Die  weisse  Nervenmasse  sah  Schwann  von  den  Centraltheilen  aus  gegen  die 
Peripherie  sich  entwickeln  (Nr.  77  S.  177 — 179).  Unter  den  Kapillargefässen 
des  Froschschwanzes,  deren  Kerne  Schwann  auf  die  zusammensetzenden  Zellen 


440  VIII-    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

bezieht,  fand  er  netzförmige  Verbindungen ,  deren  Knotenpunkte  ansehnlich 
erweitert,  die  Verbindungen  derselben  aber  bis  zur  Feinheit  von  Zellenfort- 
sätzen verdünnt  waren-,  auch  gingen  frei  endigende  feine  Ausläufer  von  jenen 
Erweiterungen  aus.  Diese  Bilder  deutet  Schwann  in  der  Weise,  dass  jene 
Knotenpunkte  ursprünglich  Zellen  gewesen  seien,  deren  Fortsätze  sich  theil- 
weise  mit  einander  verbunden  hätten,  theilweise  noch  solche  Verbindungen  mit 
den  freien  sternförmigen  Zellen  des  umgebenden  Gewebes  suchten;  nach 
Vollendung  der  Verbindung  würden  weiterhin  die  Zellen  und  ihre  Fortsätze  in 
cylindrische  Hohlräume,  eben  die  Kapillaren  verwandelt  (S.  183 — 187). 

Reichert  konnte  die  Bildung  von  Kapillargefässen  durch  eine  Vereinigung 
verästelter  Zellen  nicht  bestätigen,  glaubte  aber  die  Lehre  v.  Baer's,  wonach 
im  Hühnerembryo  das  Blut  sich  früher  bilde  als  die  Gefässe  und  durch  seine 
Bewegung  die  ursprünglichen  wandungslosen  Blutbahnen  in  den  Geweben 
gleichsam  ausgrabe  (Nr.  8  II  S.  126.  127),  auch  auf  den  Batrachierembryo 
übertragen  zu  können  (Nr.  22  S.  22.  23.  73.  74).  Ueber  die  Muskelbildimg 
linde  ich  bei  Reichert  nur  eine  bestimmte  Angabe ,  nämlich  hinsichtlich  der 
geraden  Bauchmuskeln.  „Es  wachsen  hier  zuerst  von  der  Beckengegend  und 
später  auch  vom  Schultergürtel  aus  die  primitiven  Muskelbündel  einander  auf 
beiden  Seiten  der  Mittellinie  entgegen ,  bis  sie  sich  erreichen  und  vereinigen" 
(Nr.  22.  S.  70). 

Auch  nach  Vogt  erschienen  die  Blutgefässe  anfangs  „eher  wie  in  den 
Zellenmassen  ausgehöhlte  Rinnen  und  Kanäle  denn  als  selbstständige  Gebilde" 
(Nr.  26  S.  70).  Doch  ist  er  der  Ansicht,  ,,dass  die  Bildung  aller  Blutgefässe, 
Kapillaren  wie  Stämme,  nach  demselben  Typus  vor  sich  geht,  und  dass  diese 
Bildung  weder  von  Ramification  von  Zellen,  noch  von  der  mechanischen  Gewalt 
des  Herzens,  sondern  von  dem  selbstständigen  Zellenleben  abhängt  und  von 
dem  Vermögen  der  Zellen,  durch  nach  einer  bestimmten  Richtung  vorgezeichnete 
Gruppirungen  an  dem  einen  Orte  Anhäufungen  an  dem  andern  leere  Räume 
hervorzubringen.  Die  Gefässe  sind  nicht  verzweigte  Zellen,  sondern  zwischen 
den  Zellen  verzweigte  Räume  und  bilden  sich  durch  Auseinanderweichen  der 
Zellen  ganz  ebenso  wie  die  meisten  Canäle  des  Körpers,  namentlich  alle  Drüsen- 
ausführungsgänge und  Drüsencanäle"  (S.  78.  79). 

Platner  versichert  auf  das  bestimmteste,  dass  aus  den  sternförmigen  Zellen 
des  Froschlarvenschwanzes  sich  niemals  Kapillargefässe  bilden,  und  dass  jedes 
neue  Gefäss  eine  Fortsetzimg  bereits  vorhandener .  sei.  Die  Kapillargefässe 
enden  anfangs  stumpf,  besitzen  aber  an  diesen  Enden  je  einen  feinen  soliden 


VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes.  441 

Ausläufer,  welcher  sich  mit  einem  benachbarten  Ausläufer  bogenförmig  verbindet. 
Da  in  solchen  erst  nachträglich  ausgehöhlten  Schlingen  Zellen  wie  Zellenkerne 
vermisst  würden,  müssten  die  Kerne  der  fertigen  Kapillargefasswände  spätere 
Bildungen  sein. 

Peevost  und  Lebert  haben  sowohl  bemerkt,  dass  einige  Zellen  der  Haut 
sternförmig  auswachsend  sich  darauf  netzförmig  verbinden ,  als  auch ,  dass  die 
Elemente  der  Wirbelplatten  (Segmente)  verlängerte  Embryonalzellen  seien,  von 
denen  je  3 — 4  zu  breiten  Fasern  verschmelzen ,  in  welchen  endlich  die  querge- 
streiften Muskelelemente  entständen  (Nr.  30  S.  201-203.  224). 

Alle  Beobachtungen  über  die  Entwickelung  des  Bindegewebes,  der  Muskeln, 
Nerven  und  Gefässe  der  Froschlarven,  welche  Remak  zuerst,  in  verschiedenen 
Aufsätzen  mittheilte,  hat  er  in  seinem  Hauptwerke  vollständig  wiederholt,  so- 
dass ich  es  zweckmässig  finde,  die  Citate  dem  letzteren  allein  zu  entlehnen. 
Was  das  Bindegewebe  betrifft,  so  hat  Remak  vorherrschend  die  Unterhaut  des 
Schwanzes  untersucht.  Die  anfangs  dicht  zusammenliegenden  Zellen  dieser 
dünnen  Schicht  weichen  allmählich  auseinander  und  erzeugen  so  helle  Zwischen- 
räume zwischen  sich;  zugleich  erscheinen  sie  sternförmig  und  die  Zwischen- 
räume von  einem  ungemein  feinen  und  zierlichen  Netze  ihrer  mit  einander  ver- 
bundenen Ausläufer  durchzogen.  Die  gallertige  Zwischensubstanz  reicht  nach 
aussen  über  jene  Zellen  hinaus  und  verdichtet  sich  unter  der  Oberhaut  zu 
einer  festen  glashellen  Membran.  Dann  folgen  die  weichen,  gleichfalls  stern- 
förmigen Pigmentzellen  und  endlich  kleine  farblose  Sternzellen,  „welche  bei 
fortschreitender  Entwickelung  in  dem  Masse  an  Umfang  abnehmen,  als  die 
von  ihnen  ausgehenden  Fasernetze  an  Ausbildung  gewinnen.  Bei  grösseren 
Larven  sieht  man  an  beiden  Flächen  des  unverletzten  Schwanzes  ein  solches 
Fasernetz,  das  schon  durch  seine  Zierlichkeit  und  Feinheit  die  Aufmerksamkeit 
hätte  fesseln  sollen.  Vielleicht  haben  es  andere  Beobachter  gesehen  und  für 
eine  Zellenschicht  gehalten ,  eine  Täuschung,  welche  bei  der  Regelmässigkeit 
der  kaum  1/400  L.  messenden  Maschenräume  leicht  entstehen  kann.  Die 
Fasernetze  der  beiden  Schwanzflächen  stehen  durch  Fasern  mit  einander  in 
Verbindung,  welche,  von  den  Winkeln  der  Maschenräume  ausgehend  die  Dicke 
des  Schwanzes  durchsetzen  und  offenbar  die  Festigkeit  desselben  bedingen." 
Diese  Fasern  vergleicht  Remak  mit  den  HENLE'schen  Kernfasern  des  ausge- 
bildeten Bindegewebes  und  findet  die  Zellen  jener  Netze  an  reifen  Larven  last 
unkenntlich.  „Da  der  Schwanz  der  Larve  schwindet,  so  ist  begreiflicherweise 
nicht  die  Rede  davon ,  den  Uebergang  dieses  embryonischen,  gallertigen,  von 


442  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

Sternzellen  und  Fasernetzen  durchsetzten  Unterhautbindegewebes  in  bleiben- 
des, unterhäutiges  Bindegewebe  zu  verfolgen."  Die  Unterbaut  des  Bauches 
sah  Remak  als  eine  glashelle  Membran,  welche  wahrscheinlich  aus  einer  Ver- 
schmelzung von  Zellen  hervorgegangen  sei  und  später  Quer-  und  Längsstreifen 
zeige  als  Andeutung  sich  kreuzender  Bindegewebsbündel.  Unter  dieser  Cutis 
befinde  sich  „eine  dicke  Schicht  embryonischen  Bindegewebes,  welche  in  ihrem 
Bau  mit  der  Unterhaut  des  Schwanzes  übereinkommt."  Welche  dieser  Ele- 
mente das  definitive  Bindegewebe  erzeugen,  konnte  Remak  nicht  feststellen. 
„Sicher  ist  nur,  dass  das  gallertige,  von  Sternzellen  durchwebte  Bindegewebe 
an  den  meisten  Stellen  des  Körpers  schwindet  und  die  mit  Flüssigkeit 
erfüllten  Räume  zurücklässt ,  welche  bis  zu  Jos.  Meyer' s  Untersuchungen  als 
Lymphräume  gedeutet  worden  sind"  (Nr.  40  S.  152.  153).  —  Wie  schon 
erwähnt  hält  Remak  die  Urwirbel  bloss  für  die  Anlagen  der  Wirbelmuskeln. 
„Sie  bestehen  aus  kernhaltigen  mit  Keimkörnern  erfüllten  Zellen,  die  sich  ver- 
längern und  nach  Theilung  des  Kernes  in  querer  Richtung  auch  in  der  Längs- 
richtung theilen.  Die  Kerne  vermehren  sich  alsdann  in  den  verlängerten 
Zellen  durch  fortschreitende  Theilung  und  bilden  am  inneren  Rande  der 
cylindrischen  Zelle  eine  von  feinen  Körnchen  umgebene  Reihe,  während  die 
gröbere  Körnermasse  den  andern  nach  aussen  zugewendeten  Theil  der  Zelle 
einnimmt.  An  der  Oberfläche  dieses  äusseren  Theils  der  Zelle  erscheint  zuerst, 
und  zwar  sobald  die  Larve  innerhalb  der  Eihaut  die  ersten  Krümmungen  zeigt, 
eine  dünne  helle  homogene  quergestreifte  Schicht  von  Muskelsubstanz,  wie  es 
scheint  an  der  Innenfläche  der  Zellenmembran  abgelagert."  „Die  so  querge- 
streifte helle  Substanz  verdickt  sich  auf  Kosten  der  Keimkörnerschicht  und 
gelangt  so  bis  zum  anderen  von  den  Kernen  eingenommenen  Rande  der  ver- 
längerten Muskelzelle,  welche  nunmehr  ein  vollständig  quergestreiftes  sogenann- 
tes Muskelprimitivbündel  darstellt.  An  dem  letzteren  erscheint  alsdann  ausser 
der  primitiven  Reihe  noch  eine  von  neuen  Kernreihen  besetzte  dünne  glashelle 
Scheide,  von  welcher  ich  nicht  anzugeben  vermag,  ob  sie  die  verdickte  Zellen- 
membran oder  ein  bindegewebiges  Neugebilde  sei."  Die  Spinalganglien 
bemerkte  Remak  erst  später  und  vermuthet  wegen  ihrer  Kleinheit,  dass  die- 
selben aus  einer  oder  einigen  wenigen  Embryonalzelleu  hervorgehen,  die  sich 
durch  Theilung  vermehren.  Da  die  fadenförmigen  Anlagen  der  Hautnerven  des 
Schwanzes  sich  immer  als  Fortsätze  der  Spinalganglien  erwiesen,  so  sei 
eine  Zurückführung  derselben  auf  Embryonalzellen  nicht  gelungen.  „Ein 
solcher  Faden  ist  nicht  die  Anlage  einer  Nervenfaser  allein,  sondern  auch  der 


VIII.    Die  Segmente  des- Kumpfes.  443 

kernhaltigen  Scheide:  überdies  enthält  er  häufig  die  Anlage  mehrerer  Nerven- 
fasern. Kölliker  s  Behauptung  von  dem  Zusammenhange  dieser  Fäden  mit 
den  sternförmigen  Zellen  der  Bindegewebeschicht  konnte  ich  nicht  bestätigen" 
(S.  154).  —  lieber  die  Bildung  der  Aorta  sagt  Remak:  „Es  ist  das  einzige 
Gefäss ,  von  welchem  sich  mit  Sicherheit  behaupten  lässt ,  dass  dessen  Anlage 
zugleich  auch  eine  grosse  Anzahl  Blutzellen  liefert."  Doch  hält  Remak  es 
auch  von  den  übrigen  primitiven  Gef  ässanlagen  für  wahrscheinlich ,  dass  sie 
„aus  ihrer  Axe  Blutzellen  bilden,  während  die  Rindenzellen  sich  in  die  Gefäss- 
wände  umwandeln"  (S.  156).  Daraus  erhellt,  dass  Remak  bei  seiner  früheren 
Ansicht  blieb,  wonach  die  primitiven  Hauptgefässe  aus  soliden  cylindrischen 
Zellenmassen  hervorgehen  (vgl.  Nr.  36.  S.  56).  „Die  seeundären  Gefässe  ent- 
stehen, wie  schon  Platnee  im  Schwänze  gesehen,  als  fadenförmige  Ausläufer 
der  Gefässwände,  die  allmälig  sich  verdicken  und  in  Kanäle  umwandeln." 
Diese  lieferten  keine  neuen  Blutzellen  (S.  156). 

In  seiner  mikroskopischen  Anatomie  unterscheidet  Kölliker  zwei  Arten 
der  Bildung  von  Blutgefässen.  Die  erste  betrifft  alle  grösseren  Gefässe  (Nr.  78 
II  8.  545.  552.  554);  sie  erscheinen  zuerst  als  solide  aus  Zellen  zusammenge- 
setzte Cylinder,  „die  durch  Verflüssigung  ihres  Innern  und  Umwandlung  ihrer 
centralen  Zellen  in  Blutkügelchen  Höhlungen  bekommen",  welche  unter  ein- 
ander zu  einer  vollständigen  Blutbahn  verschmolzen.  Nach  einiger  Zeit  ver- 
wandeln sich  die  peripherischen  Zellen,  welche  die  Wände  der  Schläuche  bilden, 
in  die  Fasergewebe  und  Häute  der  fertigen  Gefässe,  wobei  ihre  Vermehrung 
theils  durch  Theilung,  theils  durch  Anlagerung  neuer  Zellen  aus  dem  umliegen- 
den Gewebe  geschieht,  Diese  Auffassung  über  die  Bildung  der  nicht  kapillären 
Gefässe  hat  Kölliker  auch  in  seiner  Gewebelehre  aufrecht  erhalten  (Nr.  79 
S.  632).  Was  die  Entwickelung  der  Kapillaren  betrifft,  so  schloss  sich 
Kölliker  ursprünglich  der  ScHWANN'schen  Darstellung  an,  wobei  er  neben 
der  Verschmelzung  sternförmiger  Zellen  auch  eine  solche  von  rundlichen  und 
spindelförmigen  in  gerader  Linie  hintereinander  erwähnte  (Nr.  32  S.  3,  Nr.  78 
S.  546 — 548.  553.  554).  Neuerdings  aber  hat  Kölliker  mit  Rücksicht  darauf, 
dass  auch  an  den  Froschlarven  „die  Zusammensetzung  der  Kapillarwand  aus 
getrennten  platten  Zellen  durch  Höllenstein  sich  nachweisen  lässt"  (Nr.  7'J 
S.  632),  seine  frühere  Darstellung  der  Entwickelung  der  Kapillargefässe  in 
einem  wesentlichen  Punkte  ändern  zu  müssen  geglaubt  (S.  633 — 655).  Auch 
jetzt  geht  er  zwar  davon  aus ,  dass  die  ersten  Anlagen  der  Kapillargefässe  im 
Schwänze  der  Batrachierlarven  solide  Verbindungsbügen  zwischen  den  schon 


444  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

bestehenden  grösseren  Gefässen  seien,  welche  in  der  Weise  entständen,*  dass 
die  letzteren  „an  bestimmten  Stellen  scheinbar  solide  Sprossen  treiben ,  welche 
dann  theils  unter  einander  sich  verbinden,  theils  —  und  diess  scheint  um  diese 
Zeit  die  Regel  zu  sein  —  je  zu  zwei  mit  spindelförmigen,  in  der  Bindesubstanz 
der  Schwanzsäume  befindlichen  Zellen  zusammenfliessen.  Einmal  gebildet, 
werden  nun  diese  Anastomosen  nach  und  nach  von  den  schon  für  das  Blut 
wegsamen  Gefässen  aus  hohl,  nehmen  erst  nur  Blutplasma,  bald  auch  Blutzellen 
auf  und  dann  sind  die  neuen  Gefässe  fertig."  Erst  solche  Kapillargefässe  ver- 
binden sich  auch  mit  sternförmigen  Zellen  oder  auch  untereinander  „ohne 
Vermittelung  selbstständiger  Zellen ,  einfach  durch  das  Verschmelzen  zweier 
Gefässausläufer."  Diese  Bildungsweise  der  Kapillargefässe  sei  früher  so  ge- 
deutet worden,  „dass  man  annahm,  die  Capillaren  seien  Intracellulargänge, 
d.  h.  durch  Verschmelzung  von  Zellenhöblungen  entstandene  Bäume  und 
bildeten  sich  auch  als  solche  weiter.  Da  nun  aber,  wie  ich  es  gefunden  )  auch 
die  Capillaren  im  Schwänze  der  Froschlarven  Intercellulargänge  sind,  und  ihre 
Wandungen  aus  nicht  verschmolzenen  Zellen  bestehen,  ist  diese  Auffassung 
nicht  mehr  möglich  und  können  die  Gefässe,  wie  sie  von  Hause  aus  Intercellu- 
largänge sind,  auch  nur  als  solche  sich  weiter  bilden.  Die  Art  und  Weise,  wie 
dies  geschieht,  ist  jedoch  erst  noch  zu  ermitteln."  Diese  Lücke  in  den 
Beobachtungen  hat  Kölliker  durch  eine  Hypothese  auszufüllen  gesucht,  wo- 
nach einmal  die  scheinbar  ungesonderten  soliden  Ausläufer  aus  platten ,  anein- 
andergelagerten  Zellentheilen  beständen,  welche  später  zur  Bildung  der  Gefäss- 
wandung  auseinanderweichen,  während  die  neu  hinzukommenden  Zellen, 
ähnlich  abgeplattet  und  gebogen,  gleichfalls  intakt  in  die  Zusammensetzung  der 
Wand  des  sich  neu  bildenden  Gefässes  eingehen.  —  Die  neuesten  Angaben 
Kölliker's  über  die  Entwickelung  der  Lymphgefässe  sind  im  wesentlichen 
nur  eine  Wiederholung  seiner  früheren  bezüglichen  Mittheilungen  (Nr.  32 
S.  3,  Nr.  78  II  S.  548.  555,  Nr.  79  S.  599.  (336).  „Die  Capillaren  des  Lymphge- 
fässsystems,  die  im  Schwänze  von  Batrachierlarven  leicht  zu  verfolgen  sind, 
nehmen  im  wesentlichen  genau  dieselbe  Entwickelung ,  wie  die  des  Blutgefäss- 
systems,  nur  dass  hier  Verbindungen  der  Gefässe  selten  sind  und  die  Bildungs- 
geschichte  mehr  auf  die  Aneinanderreihung  spindelförmiger  oder  mit  drei 
Hauptausläufern  versehener  Zellen  sich  beschränkt.  Ueber  die  grösseren 
Stämme  dieser  Gefässe  fehlen  Beobachtungen ',  doch  ist  nicht  zu  zweifeln,  dass 
auch  sie  ganz  den  Blutgefässen  folgen."  Eigenthümlich  seien  den  Lymphge- 
fässen  die  vielen  von  ihrer  Hülle  ausgehenden  feinen  Zacken  und  dass  sie  „fast 


VIII.    Die  Segmente  des  Rampfes.  445 

alle  mit  zugespitzten  freien  Ausläufern  beginnen."  Dagegen  sei  es  im  hohen 
Grade  wahrscheinlich ,  class  sie  gleich  den  Blutkapillaren  Intercellularräume 
seien,  obgleich  die  Anwendung  von  Höllenstein  Zellengrenzen  in  ihren  Gefäss- 
wänden  nicht  sichtbar  machen  konnte.  —  Die  Entwicklung  der  Muskeln  lehrte 
Kölliker  längere  Zeit  im  Sinne  der  ScHWANNsdien  Hypothese  (Nr.  32  S.  2, 
Nr.  78  I  S.  257).  „Die  Primitivbündel  der  Muskeln  des  Stammes  und  Kopfes 
bilden  sich  aus  Primitivzellen,  die  der  Extremitäten  aus  Zellen  ohne  Fettinhalt. 
Diese  Zellen  ordnen  sich,  in  Reihen  verwachsen,  zu  einer  Röhre,  deren  Membran 
aus  den  Wänden  der  Zellen,  deren  Inhalt  von  den  Kernen,  den  Körnchen  und 
der  klaren  Flüssigkeit  gebildet  wird.  Die  Primitivfasern  der  Muskeln  entstehen 
aus  einer  Metamorphose  dieses  Inhalts  entweder  im  ganzen  Umfange  an  der 
innern  Fläche  der  Membran  (so  bei  den  Extremitäten  des  Frosches  und  bei 
Triton)  oder  nur  an  einer  Seite  (Muskeln  des  Stammes  und  Kopfes  beim 
Frosche).  Im  ersten  Fall  befinden  sich  in  der  Axe  des  Primitivfaserbündels 
Zellenkerne,  welche  lange  sichtbar  bleiben.  Im  letzteren  Falle  befinden  sich 
die  Kerne  ausserhalb  des  Faserbündels  zwischen  seiner  Oberfläche  und  der 
Membran  der  Röhre.  Die  Haut,  welche  die  Primitivbündel  umgiebt,  und  die 
Kerne  sind  identisch  mit  dem  Sarcolemma  und  den  Kernen  der  Muskeln  des 
erwachsenen  Thieres."  Später  schloss  sich  Kölliker  der  PtEMAK'schen  Lehre 
an,  dass  jede  Muskelfaser  nur  aus  je  einer  Zelle  hervorgehe  (Nr.  43  S.  141, 
Nr.  79  S.  85.  177.  178).  Dabei  betont  er  namentlich  die  Vielkernigkeit  der  theil- 
weise  noch  mit  Dottermasse  angefüllten  Muskelzellen  und  nennt  die  letzteren 
bandartig. 

Cramer  folgt  hinsichtlich  der  Entwickelung  der  Muskeln  der  Schwann'- 
schen  Lehre  und  hisst  die  Kerne  der  Muskelzellen  frühzeitig  schwinden  (Nr.  34 
(S.  60.  öl).  Die  Nerven  würden  vor  den  Muskeln  gebildet  und  die  Ganglien- 
kugeln beständen  ganz  aus  Dotterkörnern,  seien  wahrscheinlich  aus  mehreren 
Zellen  zusammen  gewachsen  (S.  61 — 63). 

F.  E.  Schulze  bestätigt  im  allgemeinen  Remaks  Angaben  über  die  Muskel- 
entwickelung. In  der  embryonalen  Muskelfaser  erscheine  zuerst  nur  eine  einzige 
Muskelfibrille  (Nr.  51  S.  386);  später  kommen  immer  neue  hinzu,  welche  das 
Protoplasma,  aus  dem  sie  entstanden,  halbrinnenförmig  umschliessen.  Die 
unterdess  vermehrten  Kerne  rücken  zwischen  den  Fibrillen  in's  Innere  der 
Faser  (S.  388).  Aus  dem  Vorkommen  einkerniger  Muskelfasern ,  deren  beide 
Enden  bereits  in  Sehnen  übergehen,  ferner  aus  dem  Umstände,  dass  in 
den   fertigen   Muskelfasern  der  Tritonenlarven  7  deren  Muskelzellen  stets  nur 


44(3  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

eine  Kernreihe  enthalten ,  auf  dem  Querschnitte  nie  mehr  als  ein  Kern  in  jeder 
Muskelfaser  sich  zeigt,  schliesst  Schulze,  dass  die  Muskelzellen  weder  mit 
ihren  Enden  noch  in  ihrer  ganzen  Länge  miteinander  verschmelzen,  sondern 
jede  für  sich  allein  eine  Muskelfaser  bilden.  Dies  gelte  zunächst  nur  für  die 
Stammuskeln,  doch  glaubt  Schulze  dieselbe  Entwickelungsweise  auch  für  die 
Gliedermuskeln  annehmen  zu  dürfen.  Das  Sarcolemma  mit  den  ihm  innen  an- 
liegenden Kernen  stamme  von  der  Muskelzelle  (S.  389 — 391). 

His  gibt  in  seinen  Untersuchungen  über  den  Ursprung  der  Lymphgefässe 
an,  dass  sie  im  Froschlarvenschwanze  nicht  verschmolzene  Zellenhöhlen, 
sondern  „Paracellulargänge"  seien.  Ihre  Wand  bestehe  aus  ganzen  Zellen, 
deren  solide  Ausläufer  die  äusseren  Zacken  bilden,  welche  die  Gefässe  vielleicht 
mit  einander  verbinden;  mit  den  sternförmigen  Bindegewebszellen  hängen  sie 
nicht  zusammen. 

Ebenfalls  auf  den  Froschlarvenschwanz  beziehen  sich  die  histiogenetischen 
Bemerkungen  Hensen's.  Die  Schwanzflosse  enthalte  eine  Flüssigkeit,  welche, 
wahrscheinlich  von  der  Epidermis  abgeschieden ,  anfangs  zellenlos  sei ;  darauf 
wandern  Zellen  von  der  Schwanzaxe  aus  in  jene  Flüssigkeit,  die  erst  später 
gallertig  wird.  Diese  Zellen  sind  zuerst  rund,  schicken  aber  nachträglich 
Fortsätze  aus,  durch  welche  sie  sich  netzförmig  verbinden;  ein  Theil  dieser 
Bindesubstanzzellen  legt  sich  einer  festen,  der  Epidermis  anliegenden  Basal- 
membran an  und  durchwächst  sie  mit  seinen  Fortsätzen.  Dieses  Netzwerk  der 
„Cutiszellen"  wird  in  verschiedenem  Masse  gefärbt  (Nr.  54  S.  53 — 57 ,  Nr.  61 
S.  114.  115).  Die  Zellennetze  und  epithclartigen  Zellenlagen  Eberth's  hat 
Hensen  nicht  finden  können  (Nr.  61  S.  116).  Die  Blut-  und  Lymphgefässe 
sollen  von  den  Bindesubstanzzellen  durchaus  unabhängig  entstehen  und  be- 
stehen (Nr.  61  S.  112);  vor  ihnen  erscheinen  aber  die  Nerven  als  dünne  Fädchen 
ganz  ohne  Kerne,  welche  erst  dadurch  hinzukommen,  dass  dünne,  blasse, 
äusserst  lang  gestreckte  Zellen  jeden  Nerv  so  einscheiden,  „dass  er  in  ihrem 
Innern  zu  laufen  scheint.  Diese  Zellen  geben  nicht  anders  Ausläufer  ab,  als 
da,  wo  ein  Nervenzweig  abgeht,  und  hängen  nicht  mit  den  Parenchymzellen 
zusammen."  Sie  sollen  auch  nicht  von  den  letzteren  abstammen,  sondern 
direkt  von  der  Axe  her  den  Nerven  entlang  wachsen  (Nr.  54  S.  60).  Das  Mark 
erscheint  in  einzelnen  Tropfen  innerhalb  der  Scheide  (Nr.  54  S.  61).  Die 
Nervenenden  treten  nur  vereinzelt  an  Cutiszellen  heran,  die  meisten  senken  sich, 
ohne  sich  netzförmig  zu  verbinden,  in  die  Epidermiszellcn  hinein  (Nr.  54 
S.  61 — 64).     Um  dieses  Verhalten  zu  erklären,  macht  Hensen  folgende  Hypo- 


VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes.  447 

these  (S.  65 — 72).  Nach  ihm  sind  sowohl  alle  peripherischen  Nerven  als  auch 
die  Muskeln  Erzeugnisse  des  oberen  Keimblattes.  Er  nimmt  darauf  an  t  dass 
die  Zellen  in  diesem  noch  nicht  differenzirten  Keimblatte  sich  bei  ihrer  Ver- 
mehrung nur  unvollständig,  mit  Ausziehung  eines  Verbindungsfadens,  eben 
eines  Nerven,  theilen,  worauf  die  eine  Endzelle  ins  Epithel  oder  eine  Muskel- 
faser übergeht,  die  andere  sich  im  Centralorgan  in  eine  Ganglienzelle  ver- 
wandelt. Alle  diese  Angaben  über  die  Nerven  hat  Hensen  im  zweiten  Aufsatze 
aufrecht  erhalten  (Nr.  Gl  S.  1  IG  u.  flg.). 

Die  AnInge  der  Cutis  sieht  Eberth  an  Larven  des  Bombinator  igneus  in 
jener  gallertigen,  homogenen  Membran,  welche  unmittelbar  unter  der  Oberhaut 
liegt.  Sie  bestehe  aus  „feinen,  steifen,  unter  rechtem  Winkel  sich  kreuzenden 
Fasern",  und  werde  von  Ausläufern  der  darunter  gelegenen  Zellen  senkrecht 
durchsetzt.  Jene  Fasern  kräuseln  sich  später  und  verwandeln  sich  in  Bündel 
fibrillären  Bindegewebes,  während  in  die  erweiterten  Lücken  von  unten  her  sich 
Zellen  einschieben,  um  zu  den  Bindegewebszellen  zu  werden.  Unter  der  Anlage 
der  Cutis  stellte  Eberth  „schon  in  sehr  früher  Zeit  der  Larvenperiode"  durch 
Silbertinktion  eine  Lage  grösserer,  zackiger,  mit  geringen  Zwischenräumen  an 
einander  gefügter  Zellen  dar,  welche  einem  Gefässepithel  auffallend  gleichen, 
und  später  in  das  Epithel  der  Lymphräume  übergehen  sollen.  Unter  diesen 
Zellen  befinden  sich  einzelne  spindelförmige,  welche  wasserhelle  Bläschen  und 
stellenweise  Pigment  enthalten  und  zu  fortlaufenden  Zellenbändern  zusammen- 
treten, die  sich  untereinander  zu  rechtwinkligen  Netzen  verbinden.  Da  diesem 
Netze  entlang  die  feinsten  peripherischen,  ebenfalls  netzförmig  verbundenen 
und  mit  einzelnen  Ausläufern  versehenen  Nerven  verlaufen,  so  hält  Eberth 
dasselbe  für  die  Anlage  der  bindegewebigen  Nervenscheiden.  An  den  Nerven 
findet  er  kernhaltige  Protoplasmahäufchen,  die  Anlagen  der  späteren  Primitiv- 
scheide,  und  lässt  die  ersteren  mit  den  Sternzellen  des  Gallertgewebes  in  Ver- 
bindung stehen  (Nr.  GO  S.  491-496). 

Langer  findet  an  den  Lymphgefässen  des  Batrachierlarvenschwanzes 
„scharfe  Contouren,  ohne  jene  zackigen  Ausläufer,  welche  Kölliker  und  His 
an  ihnen  zeichneten."  Eine  Wand  der  Lymphgefässe  sei  deutlich  nachweisbar 
und  sie  umschliesse  aucli  die  Kerne  (Nr.  62  S.  6).  Blinde  Ausläufer  der  Lymph- 
gefässe seien  gewiss  vorhanden  und  wahrscheinlich  aus  der  GefässwTand  hervor- 
gewachsen; dies  und  das  Vorkommen  feiner  Schleifen  begründe  die  Annahme, 
dass  die  Fortbildung  des  Lymphgelasssystems  durch  die  Verbindung  solcher 


448  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

Ausläufer  vor  sich  gebe  (S.  10.  11).    Ein  Zusammenhang  der  Lymphkapillaren 
mit  den  Sternzellen  besteht  nach  Langer  nicht  (S.  12). 

Der  einzige  Forscher,  welcher  die  Anlage  der  Aorta  nicht  nur  als  einen 
von  den  Segmenten  abstammenden  soliden  Strang  ansieht,  sondern  denselben 
auch  als  aus  zwei  Hälften  zusammenfiiessend  zeichnete,    ist  v.  Bambecke 

(Nr.  63  S.  55). 

Golubew  untersuchte  die  Gefässbildung  in  den  Schwänzen  lebender 
Larven  und  kam  gleichfalls  zu  dem  Schlüsse,  dass  dieselbe  nur  durch  Gefäss- 
sprossen ,  ohne  die  Betheiligung  der  Sternzeil  m  vor  sich  gehe  (Nr.  (35  S.  65). 
Die  Gefässsprossen  seien  kegelförmig  zugespitzte  solide  Fortsetzungen  der 
Substanz  der  Gefässwand ,  welche  bei  weiterem  Wachsthume  vom  Mutter  - 
gefässe  aus  hohl  werden.  Die  Spitzen  je  zweier  Sprossen  treffen  alsdann 
zusammen  und  verbinden  sich  zu  einer  Schlinge,  welche  von  ihren  beiden 
Enden  her  ausgehöhlt  wird  (S.  66.  68).  Das  regelmässige  Zusammentreffen 
wenigstens  der  ersten  Sprossenenden  versucht  Golubew  folgen dermassen  zu 
erklären  :  die  gerade  gegen  den  Schwanzsaum  wachsenden  Sprossen  erreichen 
in  der  Nähe  desselben  eine  dichtere  Grundsubstanz ,  der  sie  bogenförmig  aus- 
weichen und  so  in  gegeneinander  gerichteten  Bögen  zusammenstossen  (S.  78). 
In  der  Mitte  jedes  Bogens,  wo  der  endliche  Zusammenfluss  der  beiden  hälftigen 
Aushöhlungen  stattfindet,  bilden  sich  Anhäufungen  der  Substanz  der  neu 
entstandenen  Gefässe  (S.  6S),  die  von  Golubew  sogenannten  Gefässspindeln 
oder  die  zelligen  Elemente  der  späteren  inneren  Gefässwand  (S.  64).  Diese 
Spindeln  vermehren  sich  durch  Theilung,  erhalten  Kerne  und  verdrängen 
wahrscheinlich  die  frühere  Wandsubstanz  (S.  73.83).  Aus  den  fertigen  Kapillar- 
gefässen  treten  amöboide  Blutkörperchen  heraus,  welche  in  das  umgebende 
Gewebe  wandern  und  sich  allmählich  zu  den  Sternzellen  desselben  umbilden 
(S.  75).  Hinsichtlich  der  Entwickelung  der  Lymphgefässe  bemerkt  Golubew, 
„dass  sie  in  allen  wesentlichen  Punkten  mit  jener  der  eigentlichen  Blutcapillaren 
übereinstimmt"  (S.  85). 

Klein,  welcher  einige  Einzelheiten  des  subepithelialen  Netzwerks  be- 
schreibt, spricht  sich  auch  gegen  den  Zusammenhang  der  Nerven  mit  Stern- 
zellen aus  (Nr.  70  S.  4). 

Arnold  bestätigt  Golubew's  Angaben.  Die  Gefässentwickelung  beginne 
immer  von  einem  schon  bestehenden  Gefässe  aus  durch  Sprossen,  welche  zu 
Protoplasmafäden  auswachsen,  indem  die  Substanzkörnchen  sieh  vermehren 


VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes.  449 

und  vorrücken.  Die  Körnchen  liegen  aber  getrennt  von  einander  und  bewegen 
sich  innerhall)  lichter  Bahnen ,  die  vielleicht  Spalten  des  Gewebes  darstellen. 
Durch  Verbindung  dieser  Protoplasmafäden  unter  sich  und  mit  den  Gefässen 
entstehen  die  Bögen  und  Schlingen.  Die  Kanalisirung  erfolgt  meist  von  der 
Wurzel  der  Sprossen  aus,  kann  aber  auch  weiter  im  Protoplasmafaden  beginnen. 


In  dem  Abschnitte,  welcher  von  den  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes 
handelt,  habe  ich  auseinandergesetzt,  wie  dasselbe  frühzeitig  sich  in  zwei 
Schichten  zu  spalten  und  in  einen  dicken  dorsalen  und  einen  dünnen  ventralen 
Theil  sich  zu  sondern  anfängt.  Die  vollständige  Abtrennung  und  Quer- 
gliederung des  ersteren  ergibt  dann  die  Segmente,  welche  also  ursprünglich 
zweischichtig  sind  und  später  eine  eben  solche  ventrale  Fortsetzung  erhalten. 
Diese  letztere  ist  in  beiden  Segmentschichten  gleichmässig  dünn  und  unter- 
scheidet sich  daher  äusserlich  nicht  unbedeutend  von  den  ursprünglichen  und 
eigentlichen  Segmenten,  deren  innere  Segmentschicht  in  einer  kompakten 
Masse  erscheint  und  dadurch,  dass  die  histologische  Umbildung  in  ihr  nicht 
gleichartig  erfolgt,  sehr  bald  noch  einmal  getheilt  wird,  in  den  massigen  Seg- 
mentkern und  das  innere  Segmentblatt.  Da  die  folgende  Entwickelungsge- 
schichte  dieser  Segmenttheile  zunächst  mit  der  Histiogenese  zu  thun  hat  und 
die  topographische  Anordnung  der  differenzirten  Gewebsmassen  erst  in  zweiter 
Linie  folgen  kann,  so  sollen  auch  die  verschiedenen  Gewebe  einer  Eintheilung 
des  ganzen  Stoffes  zu  Grunde  gelegt  werden. 


1.    Die  Muskeln. 

Es  werden  in  beiden  Segmentschichten  Muskeln  erzeugt,  in  der  inneren 
die  eigentlichen  Muskeln  des  Stammskelets  (Stammuskeln)  und  die  tieferen 
Bauchmuskeln,  in  der  äusseren  derM.  obliquus  externus  und  die  zu  den  Glied- 
massen gehörigen  Muskeln.  Ich  betrachte  zuerst  die  Entwickelung  der  Stam- 
muskeln im  Segmentkerne.  —  Dort  liegen  die  embryonalen  Zellen  anfangs 
dicht  gedrängt  und  nehmen  die  aus  dem  gegenseitigen  Drucke  hervorgehenden 
rundlich  eckigen  Formen  an  (Taf.  XI  Fig.  1,9.9).  Aber  sobald  der  Schwanz 
hervorzuwachsen  beginnt,   sieht  man    die  ersten  Anfänge  einer  bestimmten 

GrOETTB  ,  Entwickeluiigsgeschichte.  29 


450  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

Formveränderung    der    genannten    Zellen  {Fig.  200).      Diese   Veränderung 
erscheint  zuerst  im  vorderen  Rumpftheile  und  schreitet  dann  nach  hinten  fort, 
wie  ich  es  schon  von  mehreren  Entwickelungsvorgängen  angab-,  und  dieselbe 
lieihenfolge  halten  auch  alle  übrigen  an  den  Zellen  der  Segmentkerne  noch  zu 
beschreibenden  Erscheinungen  ein.     Indem  die  Masse  der  schmalen  Segmente 
parallel  zur  Körperaxe  ausgezogen  wird,  geschieht  dies  auch  mit  den  einzelnen 
Zellen  der  Segmentkerne;  sie  verlängern  sich  in  der  angegebenen  Richtung 
unter  entsprechender  Abnahme  ihres  Querdurchmessers ,  und  indem  sie  dabei 
aneinander  vorbeigleiten,  dauert  diese  Veränderung  so  lange  an,  bis  jede  Zelle 
die  Form  eines  ziemlich  gleichmässigen  Stabes  erreicht,  dessen  vorderes  und 
hinteres  Ende  in  den  entsprechenden  Flächen  des  ganzen  Segments  liegen. 
Diese  zur  Stäbchenform  verwandelten  Muskelzellen  sind  aber  nicht  cylin- 
derisch,  sondern  bei  der  innigen  Aneinanderlagerung  prismatisch  abgeplattet 
und  zugleich  in  ihrer  Länge  lateralwärts  konvex,  medianwärts  konkav  gebogen, 
indem    in   Folge   der   Absonderung   des    inneren    Segmentblattes   die   ganze 
Muskelplatte  jene  Form  erhält  {Taf.  XI  Fig.  197,  Taf.  XIV  Fig.  251).     Der 
Kern   liegt  ohngefähr  in  der  Mitte  der  Länge  der  Zelle  und  bedingt  eine 
geringe  Anschwellung  derselben ;  indem  diese  Anschwellungen  bei  der  Anein- 
anderlagerung  der   Zellen   einander   auszuweichen    suchen,    sieht   man   auf 
sagittalen  Durchschnitten  die  Kerne  nicht  in  einer  geraden  Linie  über  einander 
liegen,    sondern  eine  Zickzacklinie  beschreiben.      Die  stumpfen  Enden  der 
Muskelzellen  stossen  unmittelbar  mit  denjenigen  der  benachbarten  Segmente 
zusammen  und  verbinden  sich  mit  ihnen  zu  einem  ziemlich  festen  Zusammen- 
hange.     Während    der    beschriebenen    Formveränderung    der   Muskelzellen 
bleibt  ihre  Zusammensetzung  zunächst  noch  bestehen.    Sobald  aber  die  erstere 
bereits  in  den  Schwanz  vorgedrungen  ist,  bemerkt  man  im  Innern  der  ersten 
Segmente  schon  bei  schwächeren  Vergrösserungen  eine  gewisse  Ungleichheit  in 
der  Zeichnung  der  Dottersubstanz  {Taf.  XI  Fig.  201 — 203).     Bei  genauerer 
Untersuchung  erkennt  man  die  Umbildung  derselben  in  reifes  Protoplasma  in 
ähnlicher  Weise,   wie  ich  es  bereits  von  den  Embryonalzellen  des  Oentral- 
nervensystems  beschrieb.     Die  Umbildungskugeln  erscheinen  in  der  unverän- 
derten   Dottersubstanz,   der  gestreckten    Zellenform    entsprechend,    in    einer 
Reihe,   welche  in  ihrer  Mitte  durch  den  gleichfalls  verlängerten  Kern  unter- 
brochen wird;  und  indem  sie  darauf  in  dem  Masse  verschwinden,  als  die 
Dottersubstanz  sich  in  reifes  Protoplasma  verwandelt,  weisen  sie,  wie  ich 
glaube,   deutlich  genug  auf  den  Zusammenhang  beider  Erscheinungen  hin. 


1.    Die  Muskeln.  451 

Gleich  im  Anfange  dieses  Processes  beginnt  aber  schon  eine  weitere  Differen- 
zirung  des  Protoplasmas.  In  isolirten  Muskelzellen  aus  jener  Periode, 
entdeckt  man  nämlich  leicht  eine  sehr  regelmässige,  feine  und  ziemlich  dichte 
Querstreifung,  welche  sich  durch  Rollen  der  Zellen  und  bei  wechselnder  Ein- 
stellung des  Mikroskops  als  eine  oberflächliche  und  auf  die  konkave  d.  h.  in 
natürlicher  Lage  die  mediale  Seite  der  Zellen  beschränkte  nachweisen  lässt. 
Die  Bestätigung  dessen  findet  man  au  den  scheibenförmigen  Querdurchschnitten 
solcher  Muskelzellen,  in  deren  medialem  Rande  ein  schmaler  Streifen  punktirter, 
sich  lebhaft  färbender  Substanz  sehr  scharf  von  der  übrigen ,  erst  theilweise 
in  Protoplasma  verwandelten  Zellenmasse  sich  absetzt ;  dieser  Streifen  greift 
häufig  bogenförmig  auf  die  obere  oder  untere  Seite  der  Scheibe  über,  bleibt 
dagegen  selten  auf  eine  der  letzteren  beschränkt  {Taf.  XI  Fig.  197 .  198). 
Dass  aber  diese  einseitige  Rinde  der  Muskelzellen  mit  der  quergestreiften 
Muskelsubstanz  identisch  ist ,  lässt  sich  an  nur  wenig  älteren  Larven ,  deren 
Muskelzellen  in  den  verschiedensten  Entwicklungsstufen  neben  einander  liegen, 
leicht  konstatiren.  Obwohl  ich  den  Punkten  der  Durchschnittsbilder  ent- 
sprechende Längsstreifen  an  den  ganzen  Zellen  entweder  gar  nicht,  oder  doch 
nur  andeutungsweise  bemerkte ,  so  möchte  ich  dennoch  jene  Punkte  auf  Quer- 
durchschnitte von  Muskelfibrillen  beziehen.  Die  Flächenbilder  der  Muskel- 
substanz, welche  F.  E.  Schulze  aufgetrennte,  relativ  dicke  Fibrillen  bezieht, 
von  denen  zuerst  eine  einzige  entstehe,  muss  ich  nach  meinen  Erfahrungen  aus 
der  Lichtbrechung  an  den  Kanten  der  prismatischen  Zellen  erklären.  Von 
feinerem  histiologischen  Detail  sei  noch  erwähnt,  dass  an  ganz  frisch  unter- 
suchten Muskelfasern  die  hellen  Streifen  ganz  deutlich  eine  zarte  punktirte 
Linie  zeigen,  welche  sie  in  der  Mitte  und  parallel  den  einfassenden  dunkeln 
Streifen  durchzieht  {Fig.  203b).  —  Wenn  nun  die  peripherische  Anlage  der 
Muskelsubstanz  in  ihrer  ersten  dünnen  und  meistentheils  rinnenförmigen 
Gestalt  die  Neigung  erkennen  lässt,  sich  in  der  Peripherie  der  ursprünglichen 
Muskelzelle  weiter  auszudehnen  und  so  deren  übrige  noch  mit  Dotterplättchen 
durchsetzte  Masse  röhrenförmig  zu  umwachsen,  so  habe  ich  doch  eine  solche 
Entwickelung  nicht  verfolgen  können.  Vielmehr  traf  ich  es  als  Regel,  dass 
die  anfangs  dünne  Muskelschicht,  während  sie  an  Mächtigkeit  beständig  zu- 
nimmt, sich  annähernd  cylitiderisch  zusammenzieht  und  so  in  die  übrige  Masse 
der  Muskelzelle  vorragt ,  dass  diese  alsdann  ihrerseits  die  Rolle  einer  Rinden- 
schicht übernimmt  und  gewöhnlich  rinnenförmig,  zuweilen  aber  auch  cylin- 
derisch  geschlossen  erscheint  {Fig.  198).     Neben  den  scheibenförmigen  Durch- 


452  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

schnitten  dieser  regelmässigen  soliden  Cylinderform  der  Muskelsubstanz  finde 
■ich  allerdings  nicht  ganz  selten  Ringe,  welche  auf  eine  röhrenförmige  Umbil- 
dung jener  Substanz  schliessen  lassen.  Eine  solche  Röhre  kann  aber  auf  die 
oben  angedeutete  Weise  d.  h.  durch  Ausbreitung  der  Muskelschicht  über  die 
ganze  Oberfläche  der  Muskelzellen  nicht  entstanden  sein,  da  sie  nur  den 
kleineren  Theil  der  unverwandelten  Zellenmasse  einschliesst,  während  der 
grössere  ihr  aussen  anliegt.  Andererseits  ist  es  mir  nicht  gelungen  die  Röhren- 
form der  Muskelsubstanz  an  isolirten  Muskelzellen  zu  bestätigen ,  sodass 
möglicherweise  jene  ringförmigen  Durchschnitte  nicht  von  wirklichen  Muskel- 
röhren, sondern  nur  von  zufälligen,  beschränkten  Einschlüssen  einfacher  Zellen- 
masse in  die  sonst  soliden  Muskelcylinder  herrührten.  Jedenfalls  bleibt 
weder  die  eingeschlossene  noch  die  ausserhalb  der  Muskelsubstanz  befindliche 
Zellenmasse  als  solche  längere  Zeit  bestehen,  sondern  verwandelt  sich  sehr 
bald  gleichfalls  in  Muskelsubstanz,  welche  sich  der  schon  bestehenden  an- 
schliesst. 

Wenn  die  Muskelzelle  anfangs  ebenso  wenig  wie  jede  andere  Embryonal- 
zelle eine  Membran  besitzt,  so  bildet  sich  doch  eine  solche  während  der  Ver- 
wandlung der  Dottermasse  aus  der  äussersten  Schicht  der  letzteren,  welche 
nach  Beendigung  jener  Umbildung  als  dünnes  Häutchen  dem  Muskelcylinder 
anliegt,  sein  Sarkolemm  darstellt  (Fig.  204).  Dasselbe  umschliesst  aber  noch 
einen  Theil  der  ursprünglichen  Zelle,  welcher  sich  nicht  in  Muskelsubstanz 
verwandelt,  nämlich  den  Kern.  Er  streckt  sich  mit  der  ganzen  Muskelzelle, 
wird  meist  walzenförmig  und  bleibt  nach  wie  vor  in  der  Mitte  der  Zellenlänge, 
und  zwar  so  lange  es  noch  indifferente  protoplasmatische  Masse  gibt,  inner- 
halb derselben  liegen.  Sobald  aber  das  Protoplasma  soweit  in  Muskelsubstanz 
verwandelt  ist,  dass  der  Rest  nicht  mehr  die  Mächtigkeit  des  Kerns  erreicht, 
so  wird  der  letztere  nicht  etwa  in  die  zunehmende  Muskelsubstanz  eingebettet, 
sondern  nach  aussen  gedrängt,  sodass  er  das  Sarkolemm  je  länger  desto 
stärker  vortreibt.  Besonders  auffallend  erscheint  dies  an  den  kurzen  Muskel- 
fasern des  Schwänzendes ,  deren  Kerne  länger  sind  als  die  Hälfte  der  ganzen 
Faser  und  diese  auf  einer  Seife  beinahe  in  der  ganzen  Länge  ausbauchen 
{Fig.  204).  Für  diese  Lagerung  des  Kerns  fehlte  ein  Motiv,  wenn  wir  die 
Bildung  der  Muskelsubstanz  gerade  so  einfach  wie  bei  anderen  Massen- 
umbildungen  erfolgen  Hessen.  Ich  glaube  daher,  dass  dieser  Vorgang  in  der 
Ausfällung  stets  neuer  Fibrillen  beruht,  welche  alsdann  nicht  an  der  alten 
Stelle  liegen  bleiben  und  so  den  Kern  allmählich  umwachsen,  sondern  sofort 


1 .    Die  Muskeln.  453 

zur  Aktion  der  ganzen  Muskelmasse  herangezogen,  mit  dieser  sich  cylindrisch 
zusammenziehen  und  dabei  den  Kern  vollständig  aus  diesem  ihrem  kontinuir- 
lichen  Ganzen  hinausdrängen.     Erst  nachdem  die  ursprüngliche  Zellenmasse 
vollständig  in  Muskelsubstanz  übergegangen  ist,  beginnt  die  Theilung  und  Ver- 
mehrung des  Kerns;  wenigstens  scheint  dies  die  Regel  zu  sein,   da  ich  nur 
äusserst  selten  zwei  Kerne  an  einer  Muskelfaser  antraf,  in  deren  Umgebung 
noch  Dotterreste  vorhanden  waren.     Mit  der  fortdauernden  Vermehrung  der 
Kerne  geht    ihre  Ausbreitung  über    die  ganze  Oberfläche  der  Muskelfaser, 
zwischen  der  eigentlichen  Muskelsubstanz  und  dem  Sarkoleinm  Hand  in  Hand, 
sodass  die  Larven  bereits  vor  dem  Erscheinen  der  knorpeligen  Wirbelanlagen 
in    ihren   Muskelfasern    alle   Elemente    enthalten,    welche    das    vollständig 
entwickelte  Thier  besitzt,  mit  dem  einzigen  Unterschiede,  dass  die  Kerne  nicht 
im  Innern    der  Muskelsubstanz    liegen,    wo    sie   später  angetroffen  werden, 
sondern  ausserhalb   derselben,    wie  man   sich  an  Querdurchschnitten  leicht 
überzeugen  kann.    Die  Art  und  Weise,  wie  jene  definitive  Innenlage  der  Kerne 
ohngefähr  zur  Zeit  der  Verknorpelung  der  Wirbelbogenanlagen  erreicht  wird, 
ist  insofern  von  besonderem  Interesse,  als  sie  von  einer  eigenthümlichen  Ver- 
änderung der  Muskelsubstanz    bedingt  wird.     Dieselbe  vollzieht    sich  nicht 
gleichzeitig  in  allen  Muskelfasern  auch  nur  eines  einzelnen  Muskels  und  kann 
daher  leicht  an  einigen  wenigen  gelungenen  Querdurchschnitten  studirt  werden. 
Die  Muskelsubstanzsäule  jeder  Faser  zerfällt  nämlich  durch  Ein-  und  Ab- 
schnürung nach  ihrer  Länge  erst  in  zwei  und  dann  fortschreitend  in  immer 
mehr  rundliche  oder  prismatische  Säulchen ,  welche  freilich  immer  zu  einem 
Bündel  oder  der  Muskelfaser  vereinigt  bleiben ,  aber  sich  augenscheinlich  an 
einander  verschieben  {Fig.  205).     Bei  diesen  .wie  es  scheint  langsamen  und 
wahrscheinlich  wie  bei  der  Dotterzerklüftung  durch   die  Theilungsvorgänge 
selbst  hervorgerufenen  Verschiebungen  wird  ein  Theil  der  peripherisch  gelege- 
nen Kerne  erst  in  die  oberflächlich  ausmündenden  Fugen  gedrängt  und  dann 
von  den  sich  verschiebenden  Säulchen  vollständig  umlagert,    sodass  er  sich 
endlich  im  Innern  des  ganzen  Bündels  oder  der  ursprünglichen  Muskelfaser 
befindet,  welche  durch  fortgesetzte  Vermehrung,  also  auch  Verfeinerung  der 
sekundären  Säulchen  wieder  ein  einheitlicheres  Ansehen  gewinnt.    Es  ist  also 
die   Lageveränderung   der  Kerne   von  der  Peripherie  ins  Innere  der  Muskel- 
substanz   ein  nachträglicher  und   gleichsam  zufälliger  Vorgang,  der  ebenso 
wenig  wie  seine  nächste  Ursache,  nämlich  die  Zerklüftung  der  ursprünglichen 
Muskelsäule  für  die  eigentliche  Muskelbildung  von  wesentlicher  Bedeutung  zu 


454  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfe?. 

sein  scheint.  Dagegen  erklärt  uns  jene  Zerklüftung,  in  welcher  Weise  die  Kerne 
der  Muskel zellen,  welche  anfangs  gerade  durch  den  Zusammenhang  der  ganzen 
Fibrillenmasse  einer  Faser  stets  an  die  Peripherie  gedrängt  werden,  später 
doch  in  das  Innere  derselben  gelangen ,  ohne  jenen  Zusammenhang  völlig  zu 
lösen;  und  darum  liegt  es  nahe,  jene  Zerklüftung  nicht  bis  zur  Isolirung  aller 
Fibrillen ,  sondern  nur  bis  zu  einer  solchen  Verfeinerung  ihrer  sekundären 
Bündelchen  fortgehen  zu  lassen,  dass  man  die  bekannten  CoHNHEEvfschen 
Felder  für  die  Durchschnitte  derselben  halten  kann.  —  Bevor  ich  nunmehr 
auf  die  topographische  Umbildung  der  dorsalen  Muskelmassen  übergehen 
kann,  muss  ich  einiges  über  die  Entwickelung  der  Sehnen  vorausschicken. 

Schon  gleich  im  Anfange  der  Umbilduug  der  Muskelzellen  sammeln  sich  in  den 
Binnen,  welche  äusserlich  die  Grenzen  der  Muskelplatten  bezeichnen,  Zellen  des 
interstitiellen  Bildungsgewebes  an,  theils  Elemente  der  inneren  Segmentblätter 
und  der  äusseren  Segmentschichten,  zum  grösseren  Theile  aber,  wie  mir  schien,  un- 
mittelbar aus  den  embryonalen  Blutgefässen  abstammende  Dotterbildungszellen 
(Taf.  XI  Fig.  201).  Diese  Elemente  besorgen  später  auch  die  Bildung  der  Nerven, 
Gefässe  und  bindegewebigen  Scheiden  der  Muskeln,  wofür  ich  jedoch  auf  die 
weiter  unten  folgende  Entwickelungsgeschichte  dieser  allgemeinen  Gewebe  ver- 
weise, um  mich  hier  auf  die  Muskelsehnen  zu  beschränken.  Jene  an  den 
Muskelgrenzen  angesammelten  Bildungszellen  schmiegen  sich  anfangs  bloss  in 
die  Grenzfurchen,  wobei  sie  sich  durchweg  entsprechend  verlängern,  also  mit 
ihrer  Längsaxe  diejenigen  der  Muskelzellen  kreuzen  und  stets  je  mehrere  der- 
selben berühren.  Darauf  verschmelzen  sie  untereinander  zu  einer  kontinuir- 
lichen,  von  freien  Kernen  durchsetzten  Masse,  welche  mit  den  anliegenden 
Muskelfaserenden  eine  feste  Verbindung  eingeht  und  allmählich  zwischen  die- 
selben eindringt  {vgl.  Fig.  206).  Auf  diese  Weise  tritt  an  die  Stelle  des 
unmittelbaren  Zusammenhangs  der  Muskelenden  eine  besondere  Verbindungs- 
masse, welche  zuerst  den  ganzen  Muskelgrenzen  entsprechende,  dünne  quere 
Scheidewände  bildet.  Aus  Zellen  entstanden  sind  diese  jungen  Sehnenanlagen 
doch  nicht  als  Zellengewebe  in  dem  Sinne  aufzufassen,  als  wenn  die  ganzen 
Bildungszcllen  seine  weitere  Entwickelung  bedingten  und  bestimmten  und 
etwa  unmittelbar  in  die  Strukturelemente  der  fertigen  Sehne,  in  die  einzelnen 
feinsten  Bündel  übergingen.  Selbst  die  Verbindungsfäden  zwischen  einzelnen 
Muskelfasern  können  nicht  auf  einzelne  Zellen  bezogen  werden,  da,  wie  erwähnt, 
die  Bildungszellen  schon  frühzeitig  sich  über  mehrere  Muskel  fast  Menden 
erstrecken   und    die    aus    ihrer  Verschmelzung  hervorgegangene  Massi*  jene 


1.    Die  Muskeln.  ^  455 

Enden  umwächst  und  sich  mit  ihnen  verbindet,  ehe  sie  deren  unmittelbaren  Zu- 
sammenhang mit  den  gegenüberstehenden  Muskelfaserenden  auflöst.  Daher  ist 
diese  anfangs  kontinuirliche  Masse  gleichsam  als  ein  die  Muskelsegmente  verbin- 
dender Kitt  zu  betrachten,  dessen  spätere  Differenzirung  in  fibrilläres  Bindege- 
webe, wovon  später  die  Rede  sein  wird,  von  einer  Anwesenheit  von  Zellen  ganz 
unabhängig  ist,  und  dessen  Anordnung  in  grössere  und  kleinere  Bündel  erst  in 
Folge  einer  gleichen  Eintheilung  der  Muskelmassen  erscheint.  Nach  dieser  Or- 
ganisation der  Sehnen  habe  ich,  um  es  beiläufig  zu  erwähnen,  gleich  Kölliker  an 
einzelnen  Muskelfasern  des  Schwanzes  2— o  divergirende ,  sehr  dünne  Sehnen- 
fäden  an  einem  Ende  entspringen  sehen,  wobei  dieses  Muskelende  in  ebenso 
viele  verdünnte  Aeste  gespalten  war.  Neben  den  freien  Kernen  habe  ich  in 
den  Sehnen  der  Larven  bis  in  die  späteren  Perioden  ganze  Zellen  vermisst 
Fig.  204);  und  nach  der  eben  vorgeführten  Eutwickelungsgeschichte  dieses 
Gewebes  können  alle  später  darin  anzutreffenden  Zellen  nur  eingewandert  oder 
um  die  freien  Kerne  neugebildet  sein. 

Schon  bevor  die  Bildung  der  Muskellasern  ganz  vollendet  ist  hat  die  topo- 
graphiscbe  Umbildung  der  ganzen  aus  den  Segmentkernen  hervorgehenden 
Muskelplatten  begonnen.  Anfangs  verlaufen  ihre  Grenzscheiden  nahezu  senk- 
recht und  rechtwinkelig  zur  Körperaxe;  darauf  gehen  sie  aber  allmählich  in 
eine  zu  jener  Axe  schräge  Stellung  über,  sodass  der  spitze  Winkel  nach  hinten 
sieht  (Taf.  XVII  Fig.  304).  Durch  diese  Verschiebung  werden  die  Endflächen 
der  Muskelzellen  so  verändert,  dass  sie  schräg  abgeschnitten  und  mehr  oder 
weniger  zugespitzt  aussehen  {Taf.  XI  Fig.  202).  Diese  Form  zeigen  sie  aber 
nur  bei  Erhaltung  ihres  natürlichen  Zusammenhangs,  also  in  gehärteten 
Präparaten ,  während  im  frischen  Zustande  isolirte  Muskelzellen  runde  Enden 
erhalten  (Fig.  203).  Jene  Richtungsänderung  der  Muskelgrenzen  wird  noch 
dadurch  komplicirt,  dass  sie  von  oben  abwärts  eine  nach  vorn  konvexe 
Krümmung  erleiden  {Taf.  XVI  Fig.  290).  Diese  Konvexität  steigert  sich 
allmählich  bis  zur  Bildung  eines  Flächenwinkels,  dessen  Kante  ohngefähr  in 
der  halben  Höhe  der  Segmente  liegt  {Taf.  XVIII  Fig.  320.  326).  Dadurch 
entstellt  die  bekannte  Zeichnung  der  ineinandergreifenden ,  mit  ihren  Spitzen 
nach  vorn  gerichteten  Zacken,  welche  zu  beiden  Seiten  des  Rückens  hinziehen 
und  häufig  schon  an  dem  unberührten  Embryo  und  der  jungen  Larve  durch 
das  auch  an  der  Hautoberfläche  ausgeprägte  Relief  der  Segmente  erkannt 
werden  können.  Der  Grund  dieser  komplicirten  Verschiebung  der  Segmente, 
welche  sich  wesentlich  in  deren  Hauptmasse,   eben  den  Muskelplatten  aus- 


456  VITI.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

spricht,  muss  wie  ich  glaube  in  den  Beziehungen  der  letzteren  zum  primären 
Stammskelet  gesucht  werden.  Solange  die  Segmente  in  der  horizontalen 
Richtung  einen  fassförmigen  Durchschnitt  besitzen  und  die  axialen  Anlagen 
nur  berühren,  ohne  mit  ihnen  zusammenzuhängen,  erhält  sich  auch  die 
ursprüngliche  Richtung  ihrer  Grenzflächen.  In  der  ersten  Larvenperiode  lösen 
sich  die  inneren  Segmentblätter  aus  dem  Bestände  der  einzelnen  Segmente  und 
rliessen  an  den  Grenzen  kontinuirlich  zusammen,  während  ihre  dicksten  Stellen 
an  der  Segmentmitte  zu  den  Anlagen  der  Spinalganglien  und  -nerven  sich  ab- 
sondern. Das  die  letzteren  umgebende  interstitielle  Bildungsgewebe  vermag 
bei  seinem  zarten,  lockeren  Gewebe  weder  über  noch  unter  der  Wirbelsaite 
Befestigungspunkte  für  die  Muskel  platten  abzugeben-,  dagegen  gewährt  die 
Wirbelsaite  der  sie  seitlich  einfassenden  dünnen  Schicht  jenes  Bildungsgewebes, 
der  späteren  äusseren  Chordascheide,  eine  relativ  feste  Unterlage  und  dadurch 
den  in  gleicher  Höhe  liegenden  Sehnenanlagen  die  nöthigen  Ansatzpunkte,  so- 
dass ,  wenn  die  Muskelbäuche  durch  die  Spinalganglien  und  -nerven  von  dem 
primären  Stammskelet  getrennt  bleiben,  die  betreffenden  Stellen  ihrer  medialen 
Sehnenenden  zipfelig  gegen  dasselbe  angezogen  erscheinen.  Davon  kann  man 
sich  sowohl  an  Durchschnitten  wie  bei  der  Präparation  ganzer  Larven  über- 
zeugen. Nach  der  Beobachtung  dieser  einseitigen  und  beschränkten  Be- 
festigung der  Muskelplatten  braucht  man  nur  ein  ungleichmässiges  Wachs- 
thum  der  betreffenden  Anlagen,  welches  übrigens  sich  schon  aus  den  Folgen 
klar  ergibt,  anzunehmen,  um  die  beschriebene  Umbildung  der  Muskelmassen 
zu  erklären.  Bei  dem  allgemeinen,  wesentlich  nach  hinten  gerichteten  Wachs- 
thume  des  Rückens  verlängert  sich  die  Wirbelsaite,  wie  aus  der  betreffenden 
Beschreibung  (S.  356)  erhellen  wird,  relativ  schneller  dort,  wo  der  Gallert- 
körper in  der  Bildung  begriffen,  als  wo  seine  Anlage  fertig  ist,  d.  h.  die  früher 
hergestellten  vorderen  Chordaabschnitte  und  mit  ihnen  alsdann  die  äussere 
Scheide  nebst  den  Muskelbefestigungen  rücken  langsamer  vor  als  die  hinteren, 
als  Stammskelet  noch  nicht  fungirenden  Abschnitte.  Zugleich  vertheilt  sich 
aber  dasselbe  Mass  der  Gesammtverlängerung  gleichmässig  über  die  ebenfalls 
in  verschiedenem  Grade  entwickelten  Segmeute,  sodass  die  an  der  vollendeten 
Chorda  entstandenen  primären  Muskelbefestigungen  sich  langsamer  verschieben 
als  die  ganzen  nicht  unmittelbar  befestigten  Muskelmassen.  Die  Scheidewände 
der  letzteren  werden  daher  an  ihren  beschränkten  Befestigungs punkten  zurück- 
gehalten und  beschreiben  in  ihren  übrigen  Theilen  einen  um  so  grösseren 
Weg,  je  weiter  dieselben  von  jenem  Tunkte  entfernt  sind.     Die  äusseren  Theile 


1.    Die  Muskeln:  457 

müssen  folglich  weiter  nach  hinten  rücken  als  die  inneren,  die  über  und  unter 
dem  axialen  Stammskelete  befindlichen  weiter  als  die  in  der  Hohe  desselben 
und  somit  der  Befestigung  liegenden.  Die  auf  diese  Weise  konstruirte 
Wirkung  gewisser  vorausgegangener  Zustände  und  Vorgänge  stimmt  nun 
ersichtlich  mit  der  beobachteten  Muskelbildung  überein  und  lässt  die 
versuchte  Erklärung  derselben  nicht  unbegründet  erscheinen.  Denn  die  nach 
vorn  gerichteten  Spitzen  der  Zacken  der  Muskelgrenzen  liegen  thatsächlich  im 
Niveau  der  Muskelbefestigungen,  von  wo  aus  die  Verschiebung  der  Muskel- 
platten auf-  und  abwärts  ebenso  zunimmt,  wie  von  innen  nach  aussen.  Ich 
habe  mich  bei  dieser  Erörterung  aufgehalten ,  weil  ich  die  gewiss  nicht  ganz 
einfache  Entwicklung  der  ganzen  Wirbel  auf  die  eben  erläuterte  Umbildung 
der  Musketmassen  und  deren  weitere  Wirkungen  zurückzuführen  versucht  habe 
(S.  378.  381.  406  u.  flg.),  und  weil  die  Darlegung  eines  solchen  Zusammenhangs 
beweist,  wie  selbst  so  mannigfaltig  zusammengesetzte  Bildungen,  wie  der 
gesammte  passive  und  aktive  Bewegungsapparat  des  Stammes,  sich  als  die 
nothwendigen  Folgen  verhältnissmässig  einfacher  vorangegangener  Entwicke- 
lungsvorgänge  nachweisen  lassen. 

Durch  die  beschriebene  Veränderung  der  Muskelplatten  ist  bereits  eine 
gewisse  Gliederung  derselben  angelegt.  Die  Spitzen  der  Muskelzacken 
bezeichnen  die  Höhe,  in  welcher  die  Muskelplatten  in  schon  erwähnter  Weise 
in  eine  obere  und  eine  untere  Hälfte  getheilt  werden  und  die  Rippenfortsätze, 
die  Träger  der  seitlichen  Stammuskelmassen,  hervorwachsen.  Dieser  neuen 
Muskeltheilung  entspricht  zugleich  die  obere  Seitenlinie  unserer  Larven, 
in  welcher  der  N.  lateralis  superior  vagi  verläuft  und  die  Seitenorgane  der 
Haut  versorgt.  —  Da  im  vorderen  Rumpftheile  die  stärkere  seitliche  Aus- 
ladung des  Rückenmarkes  die  Ausbildung  der  inneren  Segmente  nach  oben 
anfangs  beeinträchtigte,  was  weiter  rückwärts  nicht  der  Fall  ist,  und  ferner  im 
Schwänze  schon  die  ganzen  Segmente  unter  Reducirung  der  Seitenplatten  viel 
tiefer  hinabreichen  als  im  Rücken,  so  ist  es  verständlich,  dass  auch  die  Höhe 
der  Muskelplatten  sowohl  in  ihrer  oberen  wie  in  der  unteren  Hälfte  von  vorn 
nach  hinten  ansteigt  (Taf.  XIII,  XV).  Während  sie  dicht  am  Kopfe  über 
die  WTirbelsaite  anfangs  nicht  weit  hinausreichen ,  um  erst  später  sich  den 
übrigen  Folgestücken  anzupassen,  überragen  sie  in  der  Mitte  des  Rumpfes 
bereits  die  Axengebilde,  sodass  ihre  medianwärts  gekrümmten  oberen  Ränder 
später  über  denselben    zusammenstossen-,   im  Schwänze  geschieht  dies  aber 


45.S  VII F.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

auch  unterhalb  der  Axengebilcle,  wodurch  um  die  letzteren  eine  vollständige 
Röhre  gebildet  wird.  Diese  Muskelröhre  bleibt  in  der  Nähe  der  Schwanz- 
wurzel in  der  ursprünglichen  Weite  und  der  Zusammensetzung  aus  den  dicht 
aneinandergelagerten  Muskelplatten  bestehen;  während  des  Wachsthums  des 
Schwanzes  verjüngt  sie  sich  gegen  dessen  Spitze  hin  und  dehnen  sich  die 
sehnigen  Zwischenwände  soweit  aus,  dass  sie  sogar  längere  Abschnitte  jener 
Röhre  darstellen ,  als  die  mit  ihnen  alternirenden  Muskellagen  (vgl.  Taf.  XI 
Fig.  204).  Bei  der  Schrumpfung  des  Schwanzes  gehen  diese  hintersten  Theile 
der  Stammuskulatur,  nachdem  sie  sich  wieder  zusammengeschoben,  zuerst  zu 
Grunde,  sodass  nach  dem  schon  vorher  erfolgten  Verluste  des  Flossensaumes 
der  Schwauzstummel  wesentlich  aus  einem  muskulösen  Hohlkegel  besteht,  der 
aber  mit  den  eingeschlossenen  Axengebilden  fortdauernd  von  hinten  nach  vorn 
bis  auf  seine  Basis  atrophirt  (vgl.  Taf.  XIX  Fig.  812).  —  Im  Rumpfe  besteht 
die  geschilderte  Anordnung  der  Stammuskulatur  nur  bis  zur  Entstehung  des 
knorpeligen  Skelets  und  verändert  sich  darauf,  wie  ich  schon  im  vorigen  Ab- 
schnitte beschrieb,  nicht  unwesentlich.  Die  Wirbelbögen,  welche  entsprechend 
den  bezeichneten  Muskelverschiebungen  ihre  nach  hinten  gerichteten  Krüm- 
mungen ausführen,  nehmen  die  Muskelansätze  anfangs  nicht  gleich  in  ihrer 
ganzen  Länge  auf,  sondern  wirken  zunächst  am  meisten  durch  die  in  die  sehni- 
gen Scheidewände  hineinwachsenden  Rippenfortsätze.  In  der  Folge  entwickeln 
sich  zwischen  je  zwei  benachbarten  Rippenfortsätzen,  so  weit  dieselben  die 
Stammuskulatur  durchsetzen,  dünne  bindegewebige  Brücken;  von  den  Rippen 
fortsätzen  des  9.  und  10.  Wirbels  ziehen  sie  sich  zum  Steissbein  in  seiner 
ganzen  Länge  hinüber,  laufen  also  an  seinem  Ende  spitz  aus.  Alle  diese  apo- 
neurotischen  Ausbreitungen  bilden  in  ihrer  Verbindung  mit  den  Rippenfortsätzen 
auf  beiden  Seiten  der  eigentlichen  Wirbelsäule  eine  horizontale  Platte,  welche 
die  vorher  durch  die  Seitenlinie  nur  angedeutete  Scheidung  der  Stanimuskel- 
masse  in  eine  obere  und  eine  untere  Lage  thatsächlich  und  vollständig  aus- 
führt*. Jede  derselben  ist  zunächst  freilich  nur  mit  einer  Fläche  an  den 
Rippenfortsatz  befestigt,  während  die  grosse  Masse  der  Muskelfasern  einen 
andern  Halt  als  die  aufrechten  Scheidewände  noch  entbehrt.     Im  Verlaufe  des 


*  Die  für  die  Anurenlarven  bezeichnende  beiderseitige  starke  Aufblähung  des  Bauches, 
zwischen  welche  der  Rückentheil  etwas  einsinkt,  verdeckt  in  der  Seitenansicht  die  unter 
den  Rippenfortsätzen  befindliche  Muskellage  vollständig  (vgl.  Tu/.  XVIII  Fig.  :>25, 
Taf.  XIX  Fig.  338-340). 


1.     Die  Muskeln.  459 

späteren  Larvenlebens  verändert  sich  dieser  Zustand.  Während  die  ganzen 
Wirbelbügen  von  oben  her  etwas  zusammengedrückt  werden ,  die  Rippen- 
fortsätze sich  nahezu  horizontal  stellen  und  an  Länge  zunehmen  ,  wird  die 
Masse  der  oberen  Muskelhälften  aus  der  Höhe  in  die  Breite  umgelagert:  die 
lateralen  Theile  verschieben  sich  mit  den  wachsenden  Rippenfortsätzen  nach 
aussen  und  vermehren  dabei  ihre  Befestigungspunkte  längs  derselben,  die 
oberen  Theile  legen  sich  aber  medianwärts  auf  die  Wirbelbögen  um  und  ver- 
binden sich  mit  diesen  in  der  ganzen  Breite  ihrer  medialen  Fläche.  Die  untere 
Lage  der  Stammuskeln  wird  auf  ähnliche  Weise  und  in  dem  Masse,  als  die 
embryonalen  Wirbelkörper  von  unten  her  sich  abplatten,  ebenfalls  flacher  und 
breiter  und  zuletzt  in  ihrer  ganzen  Masse  unter  die  Rippenfortsätze  verschoben, 
mit  welchen  allein  sie  verbunden  bleibt.  Bei  dieser  Umbildung  der  Muskel- 
platten sind  natürlich  auch  ihre  aufrechten  Scheidewände  bedeutend  reducirt 
und  längs  der  Rippenfortsätze  und  Wirbelbögen  in  breite,  platte  Sehnen  ver- 
wandelt, welche  in  ihrer  ganzen  Ausbreitung  mit  jenen  Skelettheilen  zusammen- 
hängen. Nur  an  den  oberflächlichen  Schichten  der  oberen  Lage  werden  die 
Sehnen  nicht  unmittelbar  an  die  Wirbelbögen  befestigt,  sondern  bleiben 
entweder  als  freie  Sehnen  in  den  Verlauf  der  oberflächlichen  Muskelmasse 
eingeschaltet  oder  verschwinden  ganz,  wodurch  die  vorher  getrennten  Muskel- 
abschnitte  kontinuirlich  zusammenfiiessen.  Dies  tritt  insbesondere  hinter  dem 
9.  Wirbel  in  der  ganzen  Masse  der  daselbst  erhalten  bleibenden  Stammuskeln 
ein,  wozu  etwa  3 — 4  Segmente  beitragen.  Verfolgt  man  die  weitere  Um- 
bildung der  ganzen  in  Rede  stehenden  Muskulatur  der  Wirbelsäule  bis  zum 
vollkommen  fertigen  Zustande,  so  ergibt  sich,  dass  aus  der  oberflächlichen,  mit 
den  Inscriptiones  tendineae  versehenen  Muskelmasse  der  lange  Rückenmuskel 
(M.  longissimus  dorsi  Ecker  Nr.  90  S.  80 — 88),  ans  den  tieferen  Schichten  der 
oberen  Lage  die  Mm.  intercrurales  und  intertransversarii  superiores,  endlich  aus 
der  ganzen  unteren  Stammuskellage  die  Mm.  intertransversarii  inferiores  her- 
vorgehen. Hinter  dem  9.  Wirbel  bleiben  die  Fortsetzungen  der  Mm.  intertrans- 
versarii gleichfalls  für  immer  und  zwar  durch  die  genannte  dreieckige  Binde- 
gewebsplatte  in  eine  obere  und  eine  untere  Portion  getrennt.  Die  erstere  ver- 
bindet sich  mit  der  Fortsetzung  der  Mm.  intercrurales  zum  M.  coccygeosacralis ; 
in  der  andern  oder  dem  Ende  der  unteren  Stammuskellage  stellt  sich  der 
Faserverlauf  allmählich  schräg  nach  aussen  und  abwärts,  sodass  endlich 
die  vorderen  Muskelenden  am  Hüftbein  und  die  hinteren  am  Steissbein 
sich     befestigen:     so     entsteht     der    M.     coccygeo  -  iliacus.      An    den    Mm. 


460  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

intertransversarii  vom  2. —  9.  Wirbel  erhält  sich  die  Zweitheilung  nicht  so 
deutlich,  weil  die  Richtung  des  Faserverlaufs  in  beiden  Lagen  dieselbe  bleibt; 
daher  wird  von  den  Anatomen  nur  eine  Lage  unterschieden  (Ecker  a.  a.  0.). 
Ebenso  muss  man  mit  Rücksicht  auf  die  wenngleich  vorübergehende  Gliederung 
der  Rippenfortsätze  auch  bei  unserem  Thiere  die  äusseren,  an  die  Rippen  be- 
festigten Theile  der  bezeichneten  Muskeln  als  von  den  eigentlichen  Mm.  inter- 
transversarii nicht  deutlich  gesonderte  Mm.  intercostales  superiores  et  inferiores 
betrachten.  -  Vor  dem  2.  Wirbel  verschmächtigt  sich  die  dorsale  Muskelmasse 
beim  Uebergange  in  den  Kopf  so  rasch,  dass  sie  dort  vollständig  unter  das 
Hinterhirn,  also  unter  die  Stelle  zu  liegen  kommt,  wo  sich  später  das  eigentliche 
Stanimskelet  des  Hinterkopfes  (hintere  Schädelbasis)  bildet  {Taf. XVI  Fig.  303). 
Während  der  Entwickelung  des  letzteren  zieht  sich  jener  Muskelstrang  stetig 
zurück  und  wird  dabei  unter  Verschmelzung  der  früheren  Segmentgrenzen 
zu  einem  kleinen  Muskelbündel  reducirt,  welches,  da  der  1.  Wirbel  einen 
Rippenfortsatz  nicht  besitzt,  vom  2.  Wirbel  direkt  zur  Schädelbasis  hinzieht 
(Taf.  XIX  Fig.  34.3).  Die  Wurzel  des  N.  vagus  lag  schon  ursprünglich  über 
und  nach  aussen  von  diesem  Muskel,  ohne  von  einem  anderen  bedeckt  zu  sein 
(Taf.  XV.  Fig.  375).  Wenn  sie  nun  später  zwischen  zwei  Muskeln  hervor- 
kommt, welche  vom  1.  Rippenfortsatze  nach  vorn  divergiren ,  so  ist  nur  der 
untere,  der  von  Ecker  sogenannte  M.  intertransversarius  capitis  inferior,  dem 
ursprünglichen  Muskelstrange  zu  vergleichen,  der  M.  intertransversarius  capi- 
tis superior  aber  als  ein  nachträglich  vorgeschobener  Zipfel  von  der  2.  Muskel- 
platte  des  Rumpfes  anzusehen,  gerade  so  wie  die  vordersten  Mm.  intercrurales 
auf  das  Schädeldach  hinübergreifen  [Taf.  XVIII  Fig.  331).  —  Mit 
der  geschilderten  Anordnung  ist  die  Entwickelungsgeschichte  der  aus  den 
Stammsegmenten  oder  dem  Rückentheile  der  inneren  Segmentschicht  hervor- 
gehenden Muskeln  erschöpft,  und  ich  wende  mich  nun  zum  Bauchtheile  dieser 
Embryonalanlage. 

Nachdem  die  Stammuskeln  sich  oben  von  der  übrigen  Masse  der  Segmente 
abgesondert  haben,  erkennt  man  den  indifferenten  Rest  der  inneren  Segment- 
schicht  leicht  in  der  noch  kompakten  Masse,  welche  gerade  unter  jenen 
Muskeln  den  ganzen  Raum  zwischen  ihnen,  dem  Darmblatte,  der  Gekrösefalte 
und  dem  aus  dem  Parietalblatte  unterdessen  entwickelten  Urnierengange  ein- 
nimmt und  nach  aussen  an  die  äussere  Segmentschicht  anstösst  (Taf.  XIII 
Fig.  241).     Indem  sie  in  Geineinsehaft  mit  dieser  sich  abwärts  ausbreitet,  ver- 


1.    Die  Muskeln.  461 

liert  sich  auch  ihre  Verdickung  unter  den  Stamnmskeln  und  macht  einer 
dünnen  Lage  von  lockerem  interstitiellen  Bildungsgewehe  Platz ,  welche  wegen 
ihrer  histologischen  Uebereinstimmung  mit  dem  inneren  Segmentblatte  nun- 
mehr als  eine  unmittelbare  Fortsetzung  desselben  erscheint  (Taf.  XIII 
Fig.  238,  Taf.  XIV  Fig.  263—205,  Taf.  XV  Fig.  279  281).  In  dem  eigent- 
lichen Bauchtheile  ist  die  innere  Segmentschicht  ebenso  wie  die  äussere  sehr 
dünn  und  liegt  dieser  wie  dem  Parietalblatte  eng  an ;  es  wird  daher  in  kurzer 
Zeit  eine  Unterscheidung  dieser  Embryonalanlagen  an  Durchschnitten  sehr 
schwierig,  und  muss  ihre  fernere  Entwickelung  von  der  Fläche  her  studirt 
werden.  Zu  diesem  Zwecke  löse  ich  die  beiden  Segmentschichten  an  ganz 
jungen  Larven  von  6 — 7  Mm.  voller  Länge  längs  des  ganzen  Rückens  ab  und 
untersuche  sie  dann  entweder  isolirt  oder  beide  zusammen ,  was  bei  dem  netz- 
förmig durchbrochenen  Gewebe  keine  Schwierigkeiten  macht.  Da  man  ferner 
aus  den  Durchschnitten  ersieht,  dass  zwischen  dem  Parietalblatte  und  der 
inneren  Segmentschicht  sich  sehr  früh  Pigmentzellen  eindrängen,  so  liefert  dieser 
Umstand  ein  bequemes  Merkmal,  um  in  zweifelhaften  Fällen  die  Grenzen  jener 
Theile  auch  in  der  Flächenansicht  zu  bestimmen  {Taf.  XVII Fig.  307  —  311). 
So  fand  ich,  dass,  während  die  indifferenten ,  rundlichen  Zellen  der  äusseren 
Segmentschicht  sehr  bald  auseinanderrücken,  um  nur  durch  schmale  Brücken 
in  Verbindung  zu  bleiben,  die  Elemente  der  inneren  Schicht  anfangs  dichter 
zusammenstehen  und  wahrscheinlich  desshalb  auch  die  segmentalen  Abthei- 
lungen aufrecht  erhalten,  welche  in  der  äusseren  Segmentschicht  sehr  bald 
verloren  gehen.  Dabei  strecken  sich  jene  Zellen  der  inneren  Schicht  in  hori- 
zontaler Richtung,  sodass  sie  den  queren  Abteilungen  ein  streifiges  Ansehen 
verleihen  (Taf.  XX.  Fig.  356).  Zu  derselben  Zeit  verwandelt  sich  aber  die 
Gestalt  des  ganzen  Bauchtheils  der  Larve:  vorher  schmal  und  lang,  wird  er 
nun  durch  die  eigenthümliche  Entwickelung  des  Darms  weit  breiter  und 
scheinbar  kürzer.  Dies  hängt  so  zusammen,  dass,  während  früher  die  Darm- 
anlage mit  der  unmittelbar  sich  ihr  anschliessenden  Dotterzellenmasse  einen 
kompakten  und  schmalen,  aber  vom  Kopfe  bis  zum  After  gleichmässigen 
Körper  bildete,  in  der  ersten  Larvenperiode  das  absteigende  Ende  des  Darm- 
kanals, der  künftige  Mastdarm,  sich  von  der  Dotterzellenmasse  trennt  und  ver- 
schmächtigt,  die  letztere  aber  sich  unter  dem  Mitteldarme  zusammenzieht, 
dessen  weitere  Entwickelung  und  die  zugleich  sich  verschiebenden  übrigen 
Eingeweide  einen  grösseren,  annähernd  kugeligen  Raum  beanspruchen, 
welcher  allein  von  den  Segmentschichten  umhüllt  wird  und  desshalb  auch 


462  VIIT.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

allein  als  Bauchtheil  imponirt,  ausserhalb  dessen  der  dahinter  befindliche 
Mastdarm  zu  liegen  kommt  (Taf.  II  Fig.  38,  Taf.  XXI  Fig.  372,  Taf. 
XIII,  XIV,  XX).  Es  ist  leicht  verständlich  ,  dass  die  Segmentschichten 
bei  dieser  Umbildung  des  Bauchtheils  einmal  dessen  hintere  Einschnürung 
zuerst  vollständig  umwachsen  und  andererseits  im  Bereiche  seiner  starken 
Erweiterung  einer  entsprechenden  Dehnung  ausgesetzt  sind.  Diese  zieht  das 
streifige,  vorher  ziemlich  dichte  Gewebe  in  den  segmentalen  Abtheilnugen  der 
inneren  Segmentschicht  auseinander  und  ermöglicht  dadurch,  seine  histolo- 
gische Entwicklung  bequem  zu  verfolgen.  Die  länglichen  Zellen  verwandeln 
sich  nämlich  in  kurzer  Zeit  in  eine  dünne  Muskelschicht,  deren  Fasern  der 
Körperaxe  parallel  verlaufen;  wo  sie  aber  etwas  dichter  liegen,  ist  es  unmög- 
lich die  Einzelheiten  ihrer  Entwickelung  klar  zu  erkennen,  sodass  man  leicht 
geneigt  sein  möchte,  dieselbe  derjenigen  in  den  Stammuskeln  analog  anzu- 
nehmen. Die  der  Untersuchung  günstigeren,  weit  auseinander  gezogenen 
Stellen  des  Gewebes  lehren  aber,  dass  jede  durch  die  Breite  je  einer  segmen- 
talen Abtheilung  verlaufende  Muskelfaser  nicht  aus  einer,  sondern  aus  mehreren 
Zellen  hervorgeht  (Taf.  XI  Fig.  206).  Sie  erhalten  alsbald  eine  spindelförmige 
Gestalt  und  legen  sich  dann  meist  so  aneinander,  dass  ein  Zellenbauch  sich  je 
an  die  dünnen  Enden  der  vorausgehenden  und  nachfolgenden  Zelle  anschmiegt. 
Die  Endzellen ,  welche  einen  solchen  Strang  an  den  Grenzen  der  segmentalen 
Abtheilung  abschlössen,  laufen  dort  breit  aus  und  verbinden  sich  mit  der  An- 
lage des  Sehnenstreifens  oder  direkt  mit  den  ähnlichen  Zellensträngen  der 
benachbarten  Abtheilung.  Da  nun  solche  Stränge  aneinandergefügter  Spindel- 
zelleu  an  den  am  meisten  ausgedehnten  Stellen  des  Gewebes  beinahe  immer 
isolirt  und  nur  durch  dünne  Substanzbrücken  mit  den  benachbarten  verbunden 
erscheinen,  so  ist  es  nicht  schwer,  ihre  Verschmelzung  zu  einer  vielkernigen 
platten  Faser  nachzuweisen.  Gegen  die  Ausbildung  der  einzelnen  Zellen  zu 
ebenso  vielen  Muskelfasern,  in  der  Weise  wie  es  bei  den  Stammuskeln  der  Fall 
ist,  spricht  schon  der  Umstand,  dass  die  Anzahl  der  eben  fertig  gewordenen 
Muskelfasern  mit  derjenigen  der  Zellenstränge  durchaus  übereinstimmt, 
während  andernfalls  die  erstere  ganz  bedeutend  überwiegen  müsste.  Wenn 
daher  das  undichte  Gitterwerk  des  eben  hergestellten  Bauchmuskels  später  zu 
einer  kompakten  Schicht  wird,  so  ist  dies  aus  einer  Neubildung  durch  nach- 
träglich eingeführte  Bildungszellen  zu  erklären.  Die  Verbindungsfäden ,  durch 
welche  die  Zellenstränge  anfangs  zusammenhängen,  und  die  wellenförmigen 
Umrisse  der  letzteren  verlieren  sich  in  dem  Masse,  als  dieselben  sich  in  band- 


1.    Die  Muskeln.  463 

förmige  Muskelfasern  verwandelt.  Während  dieser  Unibildung  verwandelt 
sich  ihre  Dottersubstanz  in  ähnlicher  Weise  wie  in  den  Stammuskeln :  erst 
schwindet  ein  Theil  der  Dotterplättchen,  dann  erscheint  ein  schmaler  einseitiger 
Saum  von  quergestreifter  Muskelsubstanz,  endlich  ist  die  ganze  Dottersubstanz 
durch  Muskelmasse  ersetzt.  Eine  wesentliche  Vermehrung  der  Kerne  erfolgt 
wohl  kaum,  da  dieselben  bereits  von  Anfang  an  in  jeder  Muskelfaser  zahlreich 
vorhanden  sind ;  über  ihr  Hineinwachsen  in  die  Muskelsubstanz  habe  ich  an 
den  Bauchmuskeln  keine  Erfahrungen  gemacht.  Alle  übrigen  Gewebe,  welche 
an  ihnen  später  vorkommen,  als  Nerven,  Bindegewebe,  Gefässe,  kann  ich  von 
der  ursprünglichen  Segmentschicht  nicht  ableiten ,  da  ich  die  letztere  vollstän- 
dig in  die  Muskeln  aufgellen  sehe;  ich  muss  daher  die  Entstehung  jener  Gewebe 
auf  nachträglich  eingewanderte  Bildungszellen  zurückführen. 

Ebenso  wie  die  eben  beschriebenen  entstehen  alle  Muskeln  des  Bauches, 
der  Extremitäten  und  des  Kopfes,  ausgenommen  die  direkte  Fortsetzung  der 
Stammuskeln  in' dem  letzteren,  während  die  Augenmuskeln,  welche,  wie  ich 
zeigen  werde,  ebenfalls  den  Stammuskeln  homolog  sind ,  in  der  zuletzt  geschil- 
derten Weise  sich  entwickeln.  Der  einzige  unwesentliche  Unterschied  zwischen 
allen  diesen  Muskeln  besteht  darin,  dass  die  später  gebildeten  nicht  aus 
dotterhaltigen  Embryonal-  oder  Dotterbildungszellen ,  sondern  aus  protoplas- 
matischen  Bildungszellen  hervorgehen  (Taf.  XI  Fig.  207).  Wenn  also  eine 
zweifache ;  auf  den  ersten  Blick  nicht  unerheblich  unterschiedene  Bildungs- 
weise der  gesammteu  der  Willkür  unterworfenen  Muskulatur  bestellt,  ohne 
dass  die  betreffenden  Muskeln  nach  ihrem  Ursprünge  oder  ihrem  späteren 
Verhalten  irgendwie  in  zweierlei  Formen  zerfielen ,  so  wird  man  unwillkürlich 
an  das  ähnliche  Verhältniss  bei  der  Knorpelbildung  erinnert  und  aufgefordert, 
auch  für  die  Muskeln  die  Ursachen  der  Verschiedenheit  in  äusseren,  neben- 
sächlichen Momenten  zu  suchen.  Allerdings  mag  es  vielleicht  nahe  liegen,  den 
Muskelfasern  selbst  einen  verschiedenen  Formwerth  zuzuschreiben,  indem  man 
die  einen  als  einzellige,  die  anderen  als  mehrzellige  betrachtet.  Von  einem 
auf  die  Bildungszellen  bezüglichen  Formwerthe  der  GewTebselemente  kann  aber 
wie  ich  glaube  nur  die  Rede  sein,  wenn  eine  Kontinuität  der  Formentwicke- 
lung  besteht;  in  den  Anlagen  der  Muskelfasern  geht  aber  der  individuelle 
Formbestand  der  Bildungszellen,  ob  es  nun  eine  oder  mehrere  verschmol- 
zene sind ,  verloren ,  indem  sowohl  der  Kern  aus  dem  Protoplasma  hervortritt, 
als  auch  dieses  in  diskrete  Elementartheile  zerfällt.  Die  Bildungszellen  über- 
liefern also  den  fertigen  Muskelfasern  nichts  von  ihrem  Formbestande,  sondern 


464  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

gewähren  nur  das  Substrat  zu  wirklichen  Neubildungen.  Die  Ein-  oder  Mehr- 
zelligkeit der  Anlagen  hat  folglich  für  die  Muskelfasern  gar  keine  morpholo- 
gische Bedeutung  und  lässt  sich  wahrscheinlich  ähnlich  wie  die  zweifache 
Knorpelbildung  auf  die  verschiedenen  Entwickelungsperioden  und  Körper- 
regionen beziehen,  in  denen  die  Bildung  vor  sich  geht. 

Ich  kehre  zu  dem  segmentirten  Bauchmuskel  zurück,  welcher  der 
späteren  Verhältnisse  wegen  der  mittlere  heissen  kann.  Seine  queren  Streifen 
reichen,  solange  sie  noch  aus  Zellensträngen  bestehen,  oben  bis  an  die  Stam- 
muskeln,  unten  noch  nicht  bis  an  die  mittlere  Bauchlinie,  sodass  dort  die 
beiderseitigen  Ränder  eine  längliche  Lücke  einfassen ,  welche  sich  nach  vorn 
erweitert,  rückwärts  aber  spitz  ausläuft,  da  die  beiden  Muskeln  frühzeitig  unter 
dem  Mastdärme  zusammenstossen,  um  dann  denselben  umgreifend  hinter  und 
über  ihm  aufzuhören  {Taf.  XX  Fig.  356).  Indem  aber  die  Vorwölbung  des 
Bauches  namentlich  an  den  Seiten  beständig  zunimmt,  wird  auch  der  mittlere 
Bauchmuskel  stärker  ausgedehnt ;  sein  oberer  Rand  entfernt  sich  dabei  in  einer 
aufwärts  konkaven  Linie  von  den  Stammuskeln,  sodass  sein  hinteres  Ende, 
welches  einer  Dehnung  nicht  ausgesetzt  ist,  gegen  dieselben  unter  spitzem 
Winkel  ausläuft,  der  mittlere  Theil  am  weitesten  von  ihnen  absteht,  und  der 
vordere  sich  ihnen  wieder  nähert  {Taf.  XVIII  Fig.  325.  326).  Zugleich  sind, 
je  höher  hinauf,  die  Muskelfasern  desto  mehr  auseinandergezogen  und  die 
segmentalen  Abtbeilungen  durch  Verschmelzung  der  Muskeln  theilweise  un- 
kenntlich geworden;  an  der  Bauchfläche  und  an  beiden  Enden  liegen  die 
Muskelfasern  dichter  und  sind  die  queren  Sehnenstreifen  deutlicher.  Ganz 
besondere  Erwähnung  verdient  aber  der  vordere  Abschnitt  des  mittleren  Bauch- 
muskels. Da  im  Kopfe  eine  Ausbreitung  der  inneren  Segmentschicht  nach 
unten  nicht  stattfindet,  so  kann  dort  von  einer  ursprünglichen  Fortsetzung 
jenes  Bauchmuskels  nicht  die  Rede  sein;  die  Seitentheile  der  hinteren  Kopf- 
hälfte enthalten  im  ganzen  Zungenbeingürtel  und  in  den  Kiemenbögen  neben 
den  Seitenplatten  nur  Erzeugnisse  der  oberen  Segmentschicht,  und  in  der  Wand 
des  unter  dem  Kiemenapparate  gelegenen  Perikardialsackes  befindet  sich 
anfangs  nur  das  Parietalblatt  {Taf.  VII,  XIII,  XIV).  Ferner  ist  aber  die 
Kiemengegend  nicht  nur  in  Folge  ihrer  lateralen  Vorwölbung  durch  eine 
Einschnürung  vom  Rumpfe  abgesetzt,  sondern  auch  in  ihrem  Innern  die 
Kontinuität  des  mittleren  Keimblattes  durch  die  nach  aussen  hervorwachsenden 
Darmblattfalten  unterbrochen,  sodass  der  vordere  Rand  der  Anlage  des 
mittleren  Bauchmuskels,  soweit  er  in   der  Höhe  jener  Einschnürung  oder  der 


1.    Die  Muskeln.  465 

nach  vorn  konkaven  hinteren  Kopfgrenze  liegt,  in  seiner  weiteren  Ausbreitung 
aufgehalten  wird  (Taf.  XIV  Fig.  254,  Taf.  XVII  Fig.  307—309).  Anders 
liegen  die  Verhältnisse  für  den  unteren  Theil  jenes  Muskelrandes:  Unter  dem 
Kiemenapparat  schliesst  sich  der  von  der  Oberhaut  unmittelbar  bedeckte  Peri- 
kardialsack  mit  allmählichem  Uebergange  an  den  dahinter  liegenden,  die  Leber 
enthaltenden  Bauchtheil  an ,  wobei  auch  das  perikardiale  Parietalblatt  konti- 
nuirlich  in  die  gleichnamige  Unterlage  des  mittleren  Bauchmuskels  übergeht. 
Auf  diesem  ununterbrochenen  Plan  und  begünstigt  durch  den  lockeren  Zu- 
sammenhang desselben  mit  der  Oberhaut  wächst  nun  unsere  Muskelschicht 
dicht  unter  den  Kiemenbögen  den  Perikardialsack  umfassend  nach  vorn  aus 
{Taf.  XVII  Fig.  310).  Zur  selben  Zeit  ist  das  2.  äussere  Segmentpaar  des 
Kopfes  am  Bauchtheile  des  Zungenbeinbogens  noch  nicht  zur  Vereinigung  ge- 
kommen, sodass  dort  das  betreffende  Stück  der  Seitenplatte  (Anlage  der 
Zungenbeinhörner)  in  unmittelbarer  Fortsetzung  des  perikardialen  Parietal- 
blattes  ebenfalls  nur  ganz  locker  mit  der  Oberhaut  zusammenhängt.  Auf  diese 
Weise  wird  dem  auswachsenden  Bauchmuskelstrange  nahe  der  ventralen 
Mittellinie  eine  freie  Bahn  bis  zum  Unterkieferbogen  eröffnet  {Taf.  XV,  XVII). 
In  Folge  der  starken  Aufblähung  des  Bauches  konvergiren  beide  Stränge  schon 
am  Perikardialsacke,  werden  aber  von  dessen  unterer  Vorwölbung  auseinander- 
gehalten ;  sobald  er  sich  später  aus  dem  Bereiche  der  Kiemengegend  nach 
hinten  zurückzieht,  schliessen  sie  sich  unter  der  letzteren  ebenso' zusammen, 
wie  sie  zwischen  Zungenbein  und  Unterkiefer  nebeneinander  verlaufen 
Taf.  XVIII  Fig.  325.  326.  328,  Taf.  XX  Fig.  348).  Endlich  muss  noch  be- 
merkt werden,  dass  diesem  unteren  strangförmigen  Vorderende  des  mittleren 
Bauchmuskels  später  auch  dessen  obere  Randtheile  sich  anschliessen,  indem 
durch  das  Zusammenfallen  der  ursprünglich  weit  offenen  Schlundhöhle  die 
bogenförmige  hintere  Grenze  des  ventralen  Kopftheils,  wo  jener  Rand  aufhörte, 
zu  einer  ganz  flachen,  beinahe  horizontalen  wird,  worauf  die  betreffenden 
Muskelenden  konvergirend  sich  zusammenschieben  und  dem  unteren  Strange 
anschmiegen.  Auf  diese  Weise  wird  die  bereits  erwähnte  Einbeziehung  des 
Perikardialsackes  in  den  eigentlichen  Bauchtheil  ausgeführt  und  erscheint  der 
in  der  Längsrichtung  verlaufende  mittlere  Bauchmuskel  auch  dort,  wo  er 
ursprünglich  nicht  angelegt  war,  an  der  Bauchseite  der  Kopfregion.  Da  dieser 
sein  Kopftheil  nur  aus  einer  excessiven  Verlängerung  der  in  der  vorderen 
Bauchwand  schon  vorher  bestandenen  Anlage  hervorgeht,  so  kann  man  auch 
nicht  annehmen,  dass  durch  ihn  die  segmentalen  Abtheilungen  des  mittleren 

Goette,  Enuvickelungsge.schichte.  30 


466  vm-    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

Bauchmuskels  vermehrt  seien.  Wie  viele  derselben  aber  an  der  Verlängerung 
theilnehmen,  ist  desshalb  nicht  leicht  zu  entscheiden,  weil  der  ganze  Muskel 
sich  von  den  Stammuskeln  entfernt  und  seine  vorderen  Segmentgrenzen 
schwinden,  ehe  man  eine  solche  Untersuchung  an  dem  enthäuteten,  sonst  aber 
intakten  Larvenkörper  vornehmen  kann.  Sobald  derselbe  die  dazu  nöthige 
Grösse  erreicht  hat,  findet  man  nämlich  nur  noch  sechs  Seimenstreifen,  welche 
der  Ausdehnung  der  Bauchwand  entsprechend  in  grösseren  Abständen  als  die 
Scheidewände  der  dorsalen  Muskelplatten,  jedoch  gleich  weit  von  einander 
entfernt  ohngefähr  die  hinteren  zwei  Drittheile  des  Bauchmuskels  vom  unteren 
Rande  bis  zur  halben  Breite  durchziehen,  während  das  vordere  Drittheil  bis 
zum  Zungenbeinknorpel  ununterbrochen  verläuft,  dort  aber  von  der  vorderen 
schmalen  Verlängerung  nur  durch  eine  nachträgliche  Verbindung  mit  diesem 
Skelettheile  geschieden  wird,  welche  also  mit  einer  segmentalen  Grenze  nichts 
zuthunhat  (Taf.  XVIII— XX).  Immerhin  lässt  sich  die  ursprüngliche  Anzahl 
der  segmentalen  Abtheilungen  des  Bauchmuskels  bestimmen,  sobald  man  die 
Nerven  des  Rumpfes  topographisch  darstellen  kann ,  was  schon  an  Larven  aus 
dem  Anfange  der  zweiten  Periode  gelingt.  Die  Nerven,  welche  dem  mittleren 
Bauchmuskel  unmittelbar  aufliegend,  vom  Rücken  her  ziemlich  gerade  abwärts 
ziehen,  sind  die  Fortsetzungen  der  an  der  Innenfläche  der  dorsalen  Muskel- 
platten gebildeten  Nervenstämme,  sodass  jedem  derselben  eine  Abtheilung  des 
Bauchmuskels  entsprechen  muss.  Allerdings  verlaufen  jene  Nerven  meist 
etwas  unregelmässig  und  werden  wohl  ebenso  wie  der  Muskel  selbst  durch  die 
starke  Ausdehnung  des  Bauches  verschoben*  (Fig.  325.  326).  Doch  sah  ich 
den  Nerv,  welcher  zu  der  5.  dorsalen  Muskelplatte  gehört,  beständig  in  die 
Abtheilung  eintreten ,  welche  von  dem  2.  und  3.  Sehnenstreifen  begrenzt  wird ; 
und  wenn  die  Richtung  der  hinteren  Nerven  einigermassen  regelmässig 
erscheint,  so  folgen  sie  der  von  jenem  erstcren  angedeuteten  Ordnung.  Hat 
man  dies  einmal  festgestellt,  so  ergibt  sich  die  weitere  Bestimmung  von  selbst: 
der  erste  Seimenstreif  entspricht  alsdann  der  3.  Scheidewand  der  dorsalen 
Muskelplatten,  mithin  sind  vor  ihm  zwei  Seimenstreifen  verloren  gegangen  und 
drei  Abtheilungen  verschmolzen,  womit  die  zugehörigen  zwei  ersten  Rumpf- 
nerven insofern  stimmen,  als  an  der  ersten  dorsalen  Muskelplatte  überhaupt 


*  An  Tritonerilarven,  deren  Bauch  niemals  so  aufgetrieben  wird  wie  bei  den  Larven 
der  ungeschwänzten  Batrachier,  verlaufen  die  Bauchnerven  regelmässig  längs  der  ihnen 
entsprechenden  queren  Abtheilungen  des  mittleren  Bauchmuskels  (Fig.  341), 


1.    Die  Muskeln.  467 

kein  Nervenstamm  sich  entwickelt.  —  Während  der  Metamorphose  bildet  sich 
im  zweiten  Sehnenstreifen  ein  länglicher  Knorpel,  welcher  mit  dem  anderseiti- 
gen  nach  vorn  konvergirend  in  der  Medianebene  zusammenstösst  und  zu  einem 
winkelig  gebogenen,  bauchrippenähnlichen  Stücke  verschmilzt  {Fig.  343.  348. 
349).  Durch  dieses  wird  nun  die  ganze  Ausbreitung  des  mittleren  Bauch- 
muskels ganz  natürlich  in  eine  vordere  und  eine  hintere  Hälfte  geschieden,  von 
denen  die  erstere  vier,  die  andere  scheinbar  fünf,  wahrscheinlich  aber  sieben 
segmentalen  Abtheilungen  entspricht.  Die  letzte  Abtheilung  darf  man  nämlich 
mit  Rücksicht  auf  die  Zahl  der  über  sie  hinziehenden  Spinalnerven  (der  8.  9.  10.) 
als  aus  drei  segmentalen  Abschnitten  zusammengesetzt  auffassen,  deren  Scheide- 
grenzen entweder  sich  gar  nicht  ausbilden  oder  sehr  frühzeitig  schwinden  {Fig. 
326).  Die  weitere  allgemeine  Veränderung  des  ganzen  Muskels  besteht  darin, 
dass  er  sich  gegen  das  Ende  der  Larvenzeit  bedeutend  nach  unten  zusammen- 
zieht und  dabei  verdickt,  sodass  er  von  den  Seiten  des  Körpers  ganz  ver- 
schwindet und  nur  der  Bauchfläche  angehört  {Fig.  343).  In  der  hinteren  Hälfte 
bleiben  die  vier  Sehnenstreifen  und  fünf  Abtheilungen  zunächst  bestehen ;  in- 
dem aber  auf  der  letzten  Abtheilung  jederseits  eine  Hälfte  des  Beckengürtels 
sich  entwickelt  und  hinabwachsend  in  der  Bucht  zwischen  dem  Mastdarm  und 
dem  eigentlichen  Bauchsacke  mit  der  anderseitigen  zusammenstösst,  verbindet 
sich  der  vordere  Beckenrand  mit  dem  hintersten  Sehnen  streifen,  sodass  für  die 
Bauchwand  im  engeren  Sinne,  zwischen  den  beiden  Extremitätengürteln  jeder- 
seits nur  vier  Abtheilungen  übrig  bleiben ,  welche  je  die  Hälfte  des  M.  rectus 
abdominis  darstellen  {Fig.  325.  326.  339.  343).  Der  vordere  Theil  der  letzten 
Abtheilung,  welcher  vom  Beckengürtel  unmittelbar  umschlossen  wird,  atrophirt 
in  der  Folge-,  die  dahinter  befindlichen  Fasern,  welche  den  Mastdarm  um- 
greifen ,  verwandeln  sich  dadurch ,  dass  sein  nacktes,  durch  die  Schwanzflosse 
verlaufendes  Ende  während  der  Atrophie  der  letzteren  sich  aufwärts  zurück- 
zieht, zu  einer  Art  von  Sphincter  ani,  welcher  aber  wegen  seiner  Befestigung 
viel  passender  M.  ischio - coccygeus  (Duges  Nr.  13  S.  126)  genannt  wird.  — 
Die  vordere  Hälfte  des  mittleren  Bauchmuskels  sondert  sich  in  Folge  der  be- 
reits erwähnten  Befestigung  am  Zungenbeine  in  zwei  Abschnitte:  der  vordere, 
welcher  am  Zungenbeinkörper  lateralwärts  von  dem  hinteren  befestigt  ist,  wird 
zum  M.  genio-hyoideus,  der  hintere  Abschnitt,  welcher  als  Fortsetzung  des  M. 
rectus  abdominis  von  dem  bauchrippenähnlichen  Skeletstücke  verhältnissmässig 
breit  entspringt  und  darauf  gegen  seine  Insertionsstelle  sich  stark  zusammen- 
zieht, ist  der  mit  einer  Inscriptio  tendinea  versehene  M.  sterno-hyoideus  (Fig. 

30* 


468  VIII.  Die  Segmente  des  Rumpfes. 

328.  348.  356).  Da  sein  Vorderrand  ursprünglich  hinter  dem  Kiemenapparate 
schräg  unter  denselben  hinabstieg ,  also  die  oberen  Theile  kürzer  sind  als  die 
unteren ,  so  wird  auch  bei  der  Zusammenschiebung  der  Muskel  selbst  wohl 
schmäler,  aber  sein  Ende  nicht  gleichmässig,  sondern  schräg  zugespitzt,  sodass 
seine  frühere  breite  Insertion  an  der  ventralen  und  hinteren  Seite  des  Kiemen- 
apparates oder  dem  Zungenbeine  nicht  aufgehoben,  sondern  nur  horizontal 
gestellt  wird  und  an  der  Seite  des  Muskelendes  verläuft.  Abzweigungen  dieses 
M.  sterno  -  hyoideus  habe  ich  nicht  finden  können ;  und  da  die  Ansicht  Henle's 
(die  Muskellehre  des  Menschen  1858  S.  116),  dass  der  vordere  Bauch  des  M. 
omo-hyoideus  des  Menschen  ein  dem  M.  sterno- hyoideus  homologer  Muskel  sei, 
durch  anatomische  Thatsachen  begründet  erscheint,  so  bemerke  ich  dagegen, 
dass  der  M.  omo-hyoideus  unseres  Thieres  keine  gemeinsame  Anlage  mit  dem 
M.  sterno-hyoideus  besitzt,  sondern  noch  bevor  der  letztere  sich  in  der  bezeich- 
neten Weise  zusammengezogen,  auf  demselben  und  dessen  Insertionsrande 
parallel  dicht  hinter  dem  M.  hypoglossus  als  Neubildung  entsteht,  was  man 
an  seinen  noch  unentwickelten  Fasern  erkennt  {Fig.  342.  348).  Diese  Ent- 
wicklung beweist,  dass  der  M.  omo-hyoideus  gar  nicht  aus  der  inneren  Seg- 
mentschicht, sondern  aus  der  dieselbe  deckenden  äusseren  Segmentschicht 
hervorgeht;  und  obwohl  ich  wegen  seiner  anfänglichen  Zartheit  nicht  nach- 
weisen konnte,  dass  er  vom  Schultergürtel  hervorwächst,  so  ist  dies  doch  leicht 
möglich,  da  ich  erkannt  habe,  dass  die  übrigen  von  den  Extremitäten  ausstrah- 
lenden Muskeln  ihre  Anheftungspunkte  am  Kopfe  und  Rumpfe  erst  allmählich 
erreichen. 

Viel  später  als  die  Differenzirung  der  inneren  Segmentschicht  beginnt  die 
Muskelentwickelung  in  der  äusseren  Segmentschicht.  Bevor  sie  aber  bemerk- 
bar wird,  hat  in  der  letztgenannten  Schicht  ein  anderer  Vorgang  Platz  gegriffen 
—  die  Entwickelung  der  Rumpfglieder.  Ihre  ersten  Anlagen  sind  ganz  be- 
schränkte hügelartige  Wucherungen  der  noch  indifferenten  äusseren  Segment- 
schicht, welche  unmittelbar  unter  der  Oberhaut  liegen.  Sie  entstehen  ohngefähr 
gleichzeitig  gegen  das  Ende  der  ersten  Larvenperiode  jederseits  an  beiden 
Enden  des  Rumpfes,  und  zwar  vorn  ziemlich  hoch  am  Eingänge  in  die  hinter 
den  Kiemen  befindliche  Tasche  und  zur  Seite  der  an  der  Innenfläche  der  Bauch- 
wand gelegenen  Urniere,  hinten  auf  dem  letzten  Abschnitte  des  mittlem  Bauch- 
muskels, wo  nach  innen  die  Trennung  des  Parietal-  und  des  Visceralblattes 
oder  die  Anlage  der  Bauchhöhle  aufhört  {Taf.  XVI Fig.  299,  Taf.  XVII  Fig. 
319).  An  diesen  Stellen  geht  die  ganze  äussere  Segmentschicht  in  jene  Anlagen 


1.  Die  Muskeln.  469 

auf;  und  da  dieselben  den  Rumpf  in  querer  Richtung  umwachsen,  ehe  eine  all- 
gemeine Umbildung  der  übrigen  Theile  der  Segmentschicht  eingetreten  ist ,  so 
werden  diese  in  drei  Abschnitte  geschieden,  in  den  kleineren  vorderen,  welcher 
zwischen  dem  Kopf-  und  dem  Schultergürtel  in  der  mehrfach  genannten  Tasche 
liegt,  in  den  grösseren  mittleren  Abschnitt ,  welcher  zwischen  beiden  Glieder- 
gürteln die  Hauptmasse  des  Bauches  umgreift,   und  endlich   in  den  an  den 
Beckengürtel  sich  anschliessenden  Schwanztheil,   welcher  aber  bloss  die  binde- 
gewebige   Bedeckung   der  Stammuskelplatten   liefert   und  daher   hier    nicht 
weiter  zur  Sprache  kommt.   Auch  auf  die  Entwickelung  der  Gliedmassen  werde 
ich  nur  soweit  eingehen ,  als  mir  nöthig  erscheint ,  um  die  genetisch  ihnen  zu- 
gehörigen Theile  von  den  übrigen  Körpertheilen  abzugrenzen,  d.  h.   es  sollen 
nur  ihre  Beziehungen  zum  Rumpfe  erörtert,  diewollständige  Ausarbeitung  ihrer 
Anlagen  aber,  insbesondere  der  aus  dem  Rumpfe  frei  hervorwachsenden  Theile 
ganz  übergangen  werden.    Mich  leitet  bei  dieser  Beschränkung  meiner  Aufgabe 
die  Ueberzeugung,  dass,  wenn  auch  die  Entwickelung  der  Glieder  einen  für  das 
spätere  Leben  sehr  wichtigen  Theil  der  Gesammtentwickeluug  zum  Ausdruck 
bringt,  dennoch  der  allgemeinere  typische  Werth  desselben  bisher  viel  zu  hoch 
angeschlagen  wird.     Mit  Rücksicht  darauf,   class  die  Gliedmassen  bis  in  die 
Reihe  der  Amnioten  hinauf  vollständig  fehlen  können ,   ferner  oft  in  engeren, 
mehr  oder  weniger  verwandten  Kreisen  eine  ansehnlich  wechselnde  Ausbildung 
zeigen,  müsste  sie  schon  der  Anatom  aus  der  Reihe  allgemein  typischer  Theile 
streichen.     Die  Entwicklungsgeschichte  bestätigt  aber  diese  Auffassung ;  die 
späte  Entstehung  der  Rumpfglieder  als  letzte  morphologische  Anlagen  hindert 
sie,  in  den  durch  die  Embryonalentwickelung  begründeten  Typus  einzugreifen 
oder  ihn  nachträglich  abzuändern ,  und  lässt  sie  als  Anpassungen  der  äusseren 
Segmentschicht  an  die  schon  bestehende  Organisation  des  Rumpfes  erscheinen. 
Indem  die  Bildung  der  Gliedmassen  auf  diese  Weise  wesentlich  auf  das   man- 
nigfach wechselnde  Moment  der  Gesammtökonomie  des  übrigen  Bewegungs- 
apparats zurückgeführt  werden  muss,   ergibt  sich  auch  ihr  beschränkter  typi- 
scher Werth ;   in  einer  Geschichte  des  allgemeinen  Aufbaues  der  Wirbel thiere 
spielen  sie  nur  eine  Rolle  als  quere  Gürtelabschnitte  der  äusseren  Segmentschicht, 
die  Ausbildung  der  freien  Aussenglieder  gehört  aber  dort  nicht  mehr  hinein. 
Die  Anlagen  der  vorderen  und  der  hinteren  Gliedmassen  entwickeln  sich 
im  allgemeinen  gleichartig.   Es  sind  kompakte  Wucherungen  der  äusseren  Seg- 
mentschicht,  hervorgerufen    durch    massenhafte  Einwanderung  von   Dotter- 
bildungszellen, für  deren  beschränkte  Ablagerung  jedoch  eine  Ursache  sich 


470  VUL   Die  Segmeute  des  Rumpfes. 

nicht  erkennen  lässt;  nachdem  sie  zu  kleinen  Hügelchen  angewachsen,  ent- 
wickeln sich  von  der  Aorta  her  ansehnliche  zuführende  Blutkanäle,  welchen 
die  weitere  Vermehrung  des  Bildungsstoffes  offenbar  zuzuschreiben  ist.  Darauf 
breiten  sich  die  dem  mittleren  Bauchmuskel  aufliegenden  Zellenmassen 
nach  oben  und  unten  aus,  um  den  Gürtel  herzustellen,  während  die  frei  hervor- 
tretenden Aussenglieder  ohngefähr  aus  der  Mitte  jeder  Gürtelhälfte  (Schulter- 
gürtel) oder  etwas  tiefer  (Beckengürtel)  hervorsprossen.  —  Die  durch  das 
Schultergelenk  geschiedenen  dorsalen  und  ventralen  Abschnitte  des  Schulter- 
gürtels sind  insofern  gleichartig  gebildet,  als  sie  von  der  Verbindungsstelle  aus 
sich  auf-  und  abwärts  verbreitern,  dort  bis  über  die  Stammuskeln ,  hier  bis  zur 
mittleren  Bauchlinie  hinab.  Der  dorsale  Theil  enthält  zwischen  einer  äusseren 
und  einerinneren  Muskellage  das  knorpelige  Schulterblatt;  die  von  diesem  oder 
dem  Oberarm  entspringenden ,  zur  Verbindung  mit  dem  Rumpfe  bestimmten 
Muskeln  sind  anfangs  sehr  zart ,  aber  von  vornherein  so  angelegt,  dass  ihre 
Richtungen  entsprechend  der  Gestalt  des  ganzen  vom  Schultergelenke  aufwärts 
sich  verbreiternden  Gürteltheils  nach  oben,  vorn  und  hinten  ausstrahlen  (Fig. 
325.  342).  An  der  Aussenfläche  des  Schulterblattes  liegt  nur  ein  zum  Rumpfe 
hinziehender  Muskel,  der  M.  latissimus  dorsi,  welcher  bei  unserem  Thiere  aus 
der  bandartig  dünnen  und  schmalen  Anlage  sich  zu  ganz  besonderer  Mäch- 
tigkeit entwickelt  und  rückwärts  bis  gegen  die  Schwanzwurzel  über  den  Rücken 
ausstrahlend  in  dieser  Ausbreitung  alle  übrigen  Wurzeln  bedeckt,  also  auch 
den  M.  obliquus  abdominis  externus,  welcher  aus  dem  breiten  Mitteltheile  der 
äusseren  Segmentschicht  entstand.  Ich  hebe  dies  hervor,  weil  der  letztgenannte 
Muskel  beim  Frosche  mit  seinem  vorderen  Rande  den  hintern  Rand  des  M. 
latissimus  dorsi  deckt,  wie  es  bereits  Ecker  richtig  angab  (Nr.  90  S.  81).  Die 
übrigen  Muskeln,  welche  den  dorsalen  Theil  des  Schultergürtels  mit  dem.  übri- 
gen Körper  verbinden,  entspringen  meist  an  der  Innenfläche,  einzelne  von  den 
Rändern  des  Schulterblattes,  um  nach  dem  Kopfe  und  nach  der  Wirbelsäule 
auszuwachsen  und  sich  dort  zu  befestigen  (vgl.  Ecker  Nr.  90  S.  84.  85.  89—91). 
Nur  der  M.  sterno-cleido-mastoideus  macht  davon  eine  Ausnahme,  indem  er 
gar  nicht  aus  der  Anlage  des  Schultergürtels  hervorgeht,  sondern  im  Anschlüsse 
an  die  äusseren  Segmentstreifen  dos  Kopfes  aus  dem  vordersten  Rumpf- 
abschnitte der  äussersten  Segmentschicht  selbstständig  sich  entwickelt  (vgl.  S. 
218).  Daher  sieht  man  ihn  vom  Hinterkopfe  rückwärts  und  abwärts  gegen 
die  Stelle  verlaufen,  wo  die  Urniere  durch  die  dünne  Bauch  wand  durch- 
schimmert, und  dort  ohne  eigentliche  Befestigung  endigen,  solange  die  dicht  an 


1.   Die  Muskeln.  471 

diesem  seinen  Ende  hervorsprossenden  vorderen  Extremitäten  noch  die  Gestalt 
von  ganz  indifferenten  Wärzchen  zeigen  {Taf.  XVI  Fig.  299—301).  Die  Ver- 
bindung des  M.  sterno-cieido-mastoideus  mit  dem  Schulterblatte  ist  also  keine 
ursprüngliche,  sondern  tritt  erst  später  ein.  —  Vom  Schulterblatte  selbst  will 
ich  noch  die  eigenthümliche  Entwicklung  des  Periostal-  oder  Deckknochens 
auf  der  oberen  knorpeligen  Hälfte  (Suprascapulare)  erwähnen  {Taf.  XX  Fig. 
349).  Diese  Knochenanlage  ist  durch  eine  quere  Streifung  der  Oberfläche  an- 
gedeutet und  besteht  aus  genau  zusammengefügten  spindelförmigen  Bildungs- 
zellen, welche  miteinander  verschmelzen,  worauf  die  Grundsubstanz  so  ver- 
knöchert, dass  um  die  Kerne  eine  zellenartige  Zone  übrig  bleibt.  Die  Analogie 
dieser  Knochenbildung  mit  der  von  mir  geschilderten  Knorpelentwickelung  er- 
gibt sich  von  selbst. 

Im  ventralen  Abschnitte  des  Schultergürtels  liegt  das  Skeletstück  zu 
innerst,  unmittelbar  auf  dem  M.  sterno-hyoideus;  aussen  bedecken  es  die  vom 
Oberarm  her  gegen  die  mittlere  Bauchlinie  ausstrahlenden  Brustmuskeln  {Taf. 
XX  Fig.  348 — 351).  Jenes  Skeletstück  besteht  anfangs  aus  einem  querver- 
laufenden Knorpelrahmen  mit  schmaler  vorderer  und  hinterer  Leiste  und  einer 
breiten,  ihre  medialen  Enden  verbindenden  Platte,  welche  ich  mit  Bezug  auf  die 
von  ihr  eingenommene  Brustbeingegend  die  Sternalplatte  des  Schultergürtels 
nennen  will.  Die  hintere  Leiste  verknöchert  vollständig  und  wird  so  zum 
Coracoideum;  an  der  vorderen  Leiste  bildet  sich  nur  ein  Deckknochen,  welcher 
sie  von  vorn  her  halbrinnenförmig  umgibt,  mit  seinem  medialen  Ende  jedoch 
auf  die  Bauchfläche  der  Sternalplatte  übergreift  und  dort  platt  ausläuft.  Ich 
halte  diesen  Deckknochen  nebst  dem  darunter  befindlichen  Knorpel  für  gleich- 
werthig  einem  Schlüsselbeine,  sodass  die  Sternalplatte  den  gemeinsamen  Brust- 
beinantheil  des  Schlüsselbeins  und  des  Korakoids  darstellte.  Diese  Sternalplatte 
ist  flach  und  breit,  ihr  medialer  Rand  konvex  gebogen;  indem  die  beiderseitigen 
Platten  nach  unten  vorrücken,  sich  also  einander  nähern,  entwickelt  sich  ein  breites 
festes  Band,  welches  vom  bauchrippenähnlichen  Knorpel  entspringt  und  sich 
überwiegend  am  Rande  der  rechten  Sternalplatte,  theilweise  auch  an  der  linken 
befestigt.  Nachdem  die  Sternalplatten  die  Mittellinie  des  Bauches  erreicht,  über- 
schreiten sie  dieselbe,  wobei  die  rechtsseitige  Platte  sich  von  unten  herüber  die 
linksseitige  schiebt*  und  das  Band  sich  zwischen  beide  Theile  legt.  Uebrigens 
verbinden  sich  die  beiden  vorderen  Ecken  der  Sternalplatten  fest  miteinander, 

*  Dies  scheint  mir  die  Regel  zu  sein ,  obwohl  auch  das  umgekehrte  Verhältniss  vor- 
kommt. 


472  VIII.  Die  Segmente  des  Rumpfes. 

sodass  die  Verschiebungen  der  letzteren  als  Drehungen  um  jenen  festen  Punkt 
erscheinen.   Das  Band  besteht  anfangs  aus  einem  indifferenten  Bildungsgewebe, 
in  welchem  die  ursprünglichen  Zellen  in  bekannter  Weise  untergingen,  sodass 
freie  Kerne  in  einer  leichtgestreiften  Grundsubstanz  eingebettet  liegen  {Fig.  350). 
Zumgrössten  Theile  geht  es  in  Bindegewebe  über;  zwischen  der  Bauchrippe  und 
den  Sternalplatten  entsteht  jederseits  frühzeitig  eine  Verdichtung  in  jenem  Bil- 
dungsgewebe, woraus  endlich  ein  länglich -rundes  Knorpelplättehen  hervorgeht 
{Fig.  349).     Beide  Knorpelstückchen  stossen  in  der  Medianebene  zusammen 
und  verschmelzen  zuletzt  noch  mit  der  Spitze  des  Bauchrippenbogens;  so  ent- 
steht jenes  merkwürdige  Skeletstück  der  Unken,   dessen  nach  hinten  diver- 
girende  Schenkel  in  die  mittlere  Bauchmuskellage  eingesenkt  sind,  und  dessen 
mediane  Scheibe  frei  aus  jener  Muskelschicht  vorragend  von  hinten  her  sich 
etwas  über  oder  auch  zwischen  die  Sternalplatten  schiebt   (Fig.  351).     Diese 
Scheibe  und  theilweise  auch  das  Band,  durch  welches  sie  an  die  rechte  Sternal- 
platte geheftet  ist,  dienen  einem  Theil  der  beiden  grossen  Brustmuskeln  zur  In- 
sertion ,  während  von  ihnen  bedeckt  jederseits  ein  schlanker  Muskel  von  der 
hinteren   Ecke   der   Sternalplatte   schräg   nach  aussen   und   rückwärts  zum 
Schenkel  des  Bauchrippenbogens  zieht  (Fig.  348).     So  sind  die  Sternalplatten 
unseres  Thiers  theils  durch  Muskel,  theils  durch  ein  Band  rnit  der  Bauchrippe 
des  geraden  Bauchmuskels  verbunden;   mit  dem  in  jenem  Bande  enthaltenen 
Knorpelstücke   hängen  sie  aber  nicht  unmittelbar  zusammen.     Um  aber  die 
Bedeutung  desselben  zu  erkennen,  habe  ich  Larven  des  grünen  Frosches  unter- 
sucht, und  gefunden,  dass  der  untere  .Knorpelrahmen  ihres  Schultergürtels  ge- 
rade so  wie  bei  der  Unke  beschaffen  ist.     In  der  Folge  schieben  sich  aber  ihre 
Sternalplatten  nicht  übereinander,  sondern  ihre  medialen  Ränder  stossen  in  der 
Medianebene  zusammen ;  von  ihren  vorderen  und  hinteren  Rändern  entspringt 
je  eine  aponeurotische  Ausbreitung ,    welche  vorn  zur  Linea  alba  der  Mm.  sub- 
hyoideus  und  submaxillaris  hinzieht  und  einem  Theile  des  M.  sterno-  radialis 
zur  Insertion  dient ,    hinten  aber  mit  der  Linea  alba  und  demjenigen  Sehnen- 
streifen des  geraden  Bauchmuskels  sich  verbindet,  welcher  der  Bauchrippe  der 
Unke  entspricht.     Am  Ursprünge  beider  Aponeurosen  entstehen  nun  Knorpel- 
scheiben, welche  sich  den  Sternalplatten  anfügen  und  zu  den  als  Epi-  undHypo- 
sternum  unterschiedenen  Skeletstücken  werden.     Es  erhellt  daraus,  dass  das 
mit  den  Sternalplatten  stets  nur  mittelbar  verbundene  hintere  Knorpelstück  der 
Unke,  freilich  nur  in  seinem  breiten  Mittelstücke,  d.  h.  mit  Ausnahme  der  ange- 
fügten Bauchrippe,  mit  dem  Hyposternum  der  Frösche  übereinstimmt,  dass 


1.   Die  .Muskeln.  473 

aber  sowohl  dieses  wie  das  Episternimi  blosse  Anhangsstücke  der  Sternal- 
platten des  Schnltergiirtels  sind,  welche  genetisch  von  diesen  Platten  durchaus 
getrennt  werden  müssen. 

Von  dem  Beckengürtel  habe  ich  schon  angeführt,  dass  seine  Hälften  in 
der  Bucht  zwischen  dem  absteigenden  Mastdarm  und  dem  eigentlichen  Bauche 
zusammenstossen  (Fig.  325).  Ihre  dorsalen  Abschnitte  wachsen  längs  der 
Grenze  zwischen  den  Stammuskeln  und  dem  Bauche  bogenförmig  nach  vorn 
aus,  und  zwar  liegt  in  diesem  anfangs  sehr  schmalen  Substanzstreifen  die 
Anlage  des  Darmbeins  oben  und  medianwärts  und  reicht  nur  bis  etwas  über  die 
Hälfte  des  Streifens ,  während  die  an  der  Seite  des  Darmbeins  und  unter  ihm 
befindliche  Muskelmasse  (M.  ileo-psoas  und  M.  glutaeus)  an  seinem  Vorderende 
durch  den  M.  ileo  -  lumbaris  (quadratus  lumborum)  fortgesetzt  wird.  Die  be- 
deutende laterale  Ausbreitung  des  Rippenfortsatzes  vom  9.  Wirbel  bringt  es 
mit  sich,  dass  das  Ende  des  Darmbeins  nicht  zur  Seite  des  ersteren ,  sondern 
etwas  unter  seinem  Rande  liegt,  während  der  M.  ileo-lumbaris  wieder  seitlich 
von  den  Enden  der  Rippenfortsätze  bis  zum  4.  Wirbel  hinzieht  und  später  sich 
an  denselben  befestigt  (Fig.  343).  An  diesem  oberflächlich  und  isolirt  gelege- 
nen Muskel  kann  man  sich  am  leichtesten  überzeugen,  wie  die  von  den  Extre- 
mitätengürteln ausstrahlenden  Muskeln  nicht  an  der  Stelle  entstehen,  wo  sie 
sich  später  zeigen,  sondern  durch  Hervorwachsen  aus  dem  betreffenden  Glieder- 
gürtel dorthin  gelangen.  Zugleich  lässt  sich  an  dieser  Muskelanlage  gut  be- 
obachten, wie  die  sie  zusammensetzenden  Spindelzellen  sich  in  Muskelfasern 
verwandeln,  ohne  die  Masse  des  ganzen  Muskels  merklich  zu  vermehren,  was 
natürlich  nur  bei  einer  Verschmelzung  der  bestehenden  Zellenreihen  zu  den 
Fasern  angeht,  bei  einem  Auswachsen  der  einzelnen  Zellen  zu  ebenso  vielen 
langen  Fasern  unmöglich  wäre  (Taf.  XI  Fig.  207).  Sehr  bemerkenswerth  ist 
an  jenem  Hervorwachsen  und.  der  späteren  Lage  des  dorsalen  Abschnittes  vom 
Beckengürtel  der  Umstand,  dass  dieser  aus  der  äusseren  Segmentschicht  her- 
vorgegangene Theil  unter  Erzeugnisse  der  inneren  Segmentschicht,  nämlich  die 
lateralen  Ränder  einiger  Mm.  intertransversarii  zu  liegen  kommt;  in  der  That 
ist  aber  die  Abweichung  von  der  ursprünglichen  Anlage  nicht  so  gross  als  es 
scheint,  da  die  innere  Segmentschicht  vom  Beckengürtel  nicht  wirklich  durch- 
brochen wird,  sondern  durch  die  Trennung  und  Entfernung  des  mittleren 
Bauchmuskels  von  den  Stammuskeln  an  der  Grenze  des  Rückens  ihre  Muskel- 
schicht verliert ,  an  deren  Stelle  der  vorgerückte  Beckengürtel  tritt  und  dabei 
etwas  unter  die  Stammuskeln  geräth,  während  die  betreffenden  Spinalnerven- 


474  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

stamme  die  Kontinuität  und  ursprüngliche  Lage  der  inneren  Segmentschicht 
aufrechterhalten,  da  sie  stets  unter  jenen  Theilen  des  Beckengürtels  liegen 
bleiben  (Taf.  XIX  Fig.  339).  —  Ausser  demM.  ileo-lumbaris  gibt  es  nur  noch 
einen  Muskel,  welcher  vom  Beckengürtel  entspringend  sich  an  der  Wirbelsäule 
befestigt,  der  M.  pyriformis  (Ecker  Nr.  90  S.  111). 

Die  ausserhalb  der  Gliedergürtel  gelegenen ,  flach  ausgebreiteten  Rumpf- 
abschnitte der  äusseren  Segmentschicht  liefern  die  schon  erwähnten  Muskeln. 
In  der  dorsalen  Hälfte  des  kleinen,  durch  den  Rumpf  und  den  Schultergürtel 
begrenzten  Abschnittes  entsteht  der  M.  sterno-cleido-mastoideus,  welcher  aber 
richtiger  M.  scapulo-mastoideus  genannt  werden  sollte  {Taf.  XVI  Fig.  300. 
301,  Taf.  XVIII  Fig.  325,  Taf.  XIX Fig.  339.  3-12).  In  der  ventralen  Hälfte 
desselben  Abschnittes  liegt  zunächst  der  M.  omo-hyoideus,  von  welchem  ich  es 
unentschieden  lassen  muss,  ob  er  als  eine  Ausstrahlung  des  Schultergürtels 
oder  als  selbstständige  Differenzirung  der  äusseren  Segmentschicht  entsteht ; 
dagegen  muss  die  Aponeurose ,  welche  die  Sternalplatten  und  Schlüsselbeine 
mit  dem  hinteren  Rande  des  M.  submaxillaris  verbindet,  dessen  Grundlage  im 
Kopfe  gleichfalls  die  äussere  Segmentschicht  ist,  wegen  dieser  Lage  und  Ver- 
bindung auf  jenen  Bauchtheil  derselben  Schicht  zurückgeführt  werden.  Den 
gleichen  Ursprung  scheint  mir  die  andere  Aponeurose  zu  haben ,  welche  den 
Schultergürtel  an  die  Bauchrippe  befestigt,  sodass  daraus  die  Homologie  des 
Epi-  und  Hyposternum  erhellt.  Die  übrige  zwischen  den  beiden  Gliedergürteln 
ausgespannte  flache  Ausbreitung  der  äusseren  Segmentschicht  bildet  den 
äusseren  Bauchmuskel,  M.  obliquus  abdominis  externus,  dessen  Fasern  im  all- 
gemeinen von  oben  abwärts,  jedoch  hinter  der  Schulter  etwas  schräg  nach 
hinten ,  vor  dem  Becken  dagegen  meist  ebenso  nach  vorn  verlaufen  (Fig.  339. 
342).  Am  Rücken  bedeckt  er  alle  Stammuskeln  und  daher  selbstverständlich 
auch  den  vorgeschobenen  Theil  des  Beckengürtels ,  am  Bauche  den  geraden 
Bauchmuskel,  wird  aber  selbst  sowohl  vom  M.  latissimus  dorsi  wie  vom  lateralen 
Rande  der  Portio  abdominalis  des  grossen  Brustmuskels  bedeckt,  welche  sich 
ziemlich  weit  nach  hinten  erstreckt.  Diese  Uebereinanderlagerung  hat  natür- 
lich nicht  die  Bedeutung  wie  die  Lage  des  Darmbeins  und  seiner  vorderen 
Muskeln  unter  den  Rippenfortsätzen;  sie  bezieht  sich  auf  nebeneinander  ange- 
legte Theile  derselben  Embryonalanlage,  welche  sich  später  in  verschiedener 
Weise  (Frosch,  Unke)  übereinander  verschieben  können,  ohne  die  Lagebeziehun- 
gen  der  ganzen  Schicht  zu  beeinträchtigen.  An  der  Bauchseite  geht  der  M. 
obliquus  externus  in  eine  aponeurotische  Ausbreitung  über,  welche  den  mitt- 


1.   Die  Muskeln.  475 

leren  (geraden)  Bauchmuskel,  bis  zum  Beckengürtel  überzieht.  —  Bei  den  Uro- 
delen  entspringt  der  äussere  Bauchmuskel  mit  einzelnen  Zacken  von  den 
Bippenenden  und  erhält  auch  mehr  oder  weniger  deutlich  die  ursprüngliche 
Segmentirung ,  welche  bei  den  Anuren  vollständig  verwischt  wird  {Taf.  XIX 
Fig.  341). 

Ausser  den  beschriebenen  Bauchmuskeln,  dem  mittleren  und  äusseren,  be- 
sitzen die  Batrachier  wie  es  scheint  durchgängig  einen  dritten,  queren.  Derselbe 
steht  später  als  die  anderen  unmittelbar  am  parietalen  Bauchfelle ,  welches  er 
in  der  ganzen  Ausdehnung  vom  Becken  bis  zum  Perikardialsacke  und  anderer- 
seits bis  unter  die  seitlichen  Stammuskeln  und  bis  unter  den  geraden  Bauch- 
muskel überzieht,  ohne  dass  jedoch  die  beiden  Seitenhälften  in  der  Median- 
ebene irgendwo  zusammenstiessen  ( Taf.  XIX  Fig.  339.  343).  Er  liegt  also 
nach  innen  von  den  Erzeugnissen  der  inneren  Segmentschicht,  kann  aber  von 
der  letzteren  nicht  abgeleitet  werden;  denn  diese  Schicht  sah  ich  vollständig 
in  den  mittleren  Bauchmuskel  aufgehen ,  als  derselbe  noch  bis  zu  den  Stam- 
muskeln hinaufreichte,  und  zwischen  ihm  und  dem  Parietalblatte  findet  sich 
anfangs  nichts  weiter  als  einige  verzweigte  Pigmentzellen.  Während  nun  diese 
Pigmentschicht  immer  dichter  wird ,  lagern  sich  auf  ihren  beiden  Seiten  Dotter- 
bildungszellen ab ,  welche  nach  innen  am  Parietalblatte ,  nachdem  es  zum 
grössten  Theile  in  das  Bauchfellepithel  übergegangen,  mit  einem  kleinen  Reste 
desselben  das  subepitheliale  Gewebe  des  Bauchfells  bilden,  nach  aussen  vom 
Pigment  aber  neben  den  übrigen  allgemeinen  Geweben  (Bindegewebe ,  Gefässe, 
Nerven)  eben  den  inneren  Bauchmuskel  erzeugen.  Dieser  besitzt  also  über- 
haupt keine  morphologische  Grundlage,  sondern  ist  als  eine  lokale  histiologische 
Differenzirung  des  interstitiellen  Bildungsgewebes  anzusehen,  welche  nach  den 
Lagebeziehungen  zu  schliessen  aus  einer  Anpassung  an  das  Bauchfell  hervor- 
ging und  daher  ihre  Produkte  diesem  letzteren  beizuzählen  gestattet.  Dieser 
Auffassung  entsprechen  auch  alle  Verbindungen  des  inneren  Bauchmuskels. 
Seinen  von  der  Lageordnung  der  Embryonalschichten  ganz  abweichenden  Ur- 
sprung  nimmt  er  an  der  Aussenseite  des  Darmbeins ,  indem  er  aus  der  Lage 
unter  den  Spinalnerven  (innere  Segmentschicht)  hervor  sich  über  den  M.  ileo- 
psoas  (äussere  Segmentschicht)  schlägt,  sodass  er  vom  6.  und  7.  jener  Nerven 
durchbohrt  wird.  Von  diesem  Ursprünge  aus  breitet  er  sich  fächerförmig  über 
die  ganze  seitliche  Bauchwand  aus ;  hinten  verlaufen  seine  Fasern  gerade  ab- 
wärts, je  weiter  nach  vorn  desto  schräger  vor-  und  abwärts  bis  unter  den  ge- 
raden Bauchmuskel  und  vom  Vorderende  des  Darmbeins  aus  ziehen  sie  sogar 


476  VILI.    Die  Segmeute  des  Rumpfes. 

theilweise  in  horizontaler  Richtung  nach  vorn.  Dieser  oberste  und  vorderste, 
unter  dem  M.  ileo  -  lumbaris  gelegene  Theil  des  inneren  Bauchmuskels  ist  am 

dicksten  und  befestigt  sich  in  der  Halsgegend,  wo  die  Rumpfhöhle  aufhört  und 
das  parietale  Bauchfell  nach  innen  auf  den  Vorderarm  sich  umschlägt ,  an  der 
Speiseröhre ;  die  nächsttieferen  Theile  desselben  Muskels  finden  ihre  Insertion 
an  der  oberen  Seite  des  Perikardialsackes,  während  an  die  Hinterwand  des 
letzteren,  in  das  später  zu  beschreibende  häutige  Zwerchfell,  keine  Muskel- 
fasern vordringen.  Aus  diesen  Verbindungen  unseres  Muskels  erhellt  zur  Ge- 
nüge, dass  er,  ohne  in  den  nach  aussen  wirkenden  Bewegungsapparat  des 
Rumpfes  einzügreifen,  wesentlich  nur  die  Baucheingeweide  zu  kbmprimiren 
vermag. 

Die  geschilderte  Anordnung  des  inneren  Bauchmuskels  habe  ich  noch  in 
nahezu  erwachsenen  Thieren  unverändert  angetroffen,  sodass  es  nicht  un- 
wichtig wäre  zu  entscheiden ,  ob  er  wirklich ,  wie  vielfach  angenommen  wird 
(vgl.  Ecker  Nr.  90  S.  82),  die  Vereinigung  der  schon  bei  den  Urodelen  deutlich 
getrennten  beiden  M.  obliquus  abdominis  internus  und  M.  transversus  abdominis 
darstelle.  Die  Untersuchung  von  Tritonenlarven ,  allerdings  nur  wenn  sie  von 
den  frühesten  Bildungsstufen  der  Bauchmuskeln  anfängt,  gibt  darauf  eine  be- 
friedigende Antwort  (Taf.  XIX  Fig.  340.  Ml).  Anfangs  sind  deren  Rumpf- 
muskeln gerade  ebenso  angeordnet  wie  bei  den  Unkenlarven :  die  Stammuskeln 
gehen  über  die  kurzen  Rippen  niemals  hinaus,  aber  im  Anschlüsse  an  dieselben 
entstehen  nachträglich  in  dem  ventralen  Abschnitte  der  inneren  Segmentschicht 
die  spärlichen  Fasern  des  gleichfalls  segmentirten  mittleren  Bauchmuskels.  In 
Bestätigung  dessen,  dass  ich  das  Hinabrücken  jenes  Muskels  bei  den  unge- 
schwänzten  Batrachiern  durch  die  Anschwellung  des  Bauches  begründete,  findet 
eine  gleiche  Lageveränderung  des  mittleren  Bauchmuskels  bei  den  stets  sehr 
schmächtig  bleibenden  Tritonenlarven  nicht  statt:  während  er  dicker  wird, 
breitet  er  sich  allmälig  bis  zur  Mittellinie  des  Bauches  aus,  bleibt  alter  mit 
seinem  dorsalen  Rande  den  Stammuskeln  innig  angeschlossen,  sodass,  wer 
seine  erste  selbstständige  Entwickelung  nicht  beobachtete,  ihn  leicht  für  eine 
einfache  Ausbreitung  der  Stammuskeln  halten' kann.  Der  Schein  eines  solchen 
unterschiedslosen  Zusammenhanges  kann  noch  dadurch  gesteigert  werden,  dass 
in  älteren  Larven,  welche  am  häufigsten  zur  Untersuchung  kommen,  der  Faser- 
verlauf beider  Muskollagen  bis  an  die  Bauchseite  gleichmässig  in  eine  schräg 
vor-  und  abwärts  geneigte  Richtung  übergeht,  während  der  eigentliche  Bauch- 
theil  horizontal  gefasert  bleibt.     Dies  veranlasst  aber  gerade  eine  Scheidung 


1.  Die  Muskeln.  477 

des  mittleren  Bauchmuskels  in  einen  schräg  verlaufenden  oberen  oder  Seiten- 
theil ,  den  M.  obliquus  abdominis  internus ,  und  in  den  horizontal  verlaufenden 
geraden  Bauchmuskel  (M.  rectus  abdominis).  Durch  diese  Entwicklung  wird 
aber  festgestellt,  dass  der  innere  schiefe  Bauchmuskel  mit  dem  inneren  queren 
Bauchmuskel,  dem  eine  morphologische  Grundlage  überhaupt  fehlt,  nicht  zu- 
sammengehört, sondern  mit  dem  M.  rectus  abdominis  und  dessen  Fortsetzungen 
ursprünglich  eine  kontinuirliche  Schicht,  eben  den  mittleren Bauchmuskel  bildet, 
welcher  je  nach  äusseren  Formbedingungen,  die  ich  in  erster  Linie  auf  die  Ge- 
stalt des  Bauches  zurückführte ,  entweder  einheitlich  bleibt  und  sich  bloss  zu 
einem  M.  rectus  abdominis  zusammenzieht  (Anura),  oder  in  die  beiden  genannten 
Muskeln,  den  geraden  und  den  inneren  schiefen  sich  trennt  (Urodela).  Darausfolgt, 
dass  die  Mm.  recti  der  beiden  Batrachiergruppen  nicht  vollständig  homolog 
sind  und  der  innere  Bauchmuskel  der  Anuren  thatsächlich  nur  einem  M.  trans- 
versa entspricht,  dessen  obere  und  vordere  Fortsetzungen  unvollkommene 
Zwerchfellmuskeln  darstellen. 

Die  Muskeln,  welche  aus  den  Rumpfseginenten  hervorgehen ,  lassen  sich 
nach  der  vorangehenden  Beschreibung  in  folgender  Weise  gruppiren,  wobei 
den  Hauptunterscheidungsgrund  die  beiden  Segmentschichten  abgeben. 

I.   Die  innere  Segmentschicht  zerfällt  in  den  Rücken-  und  den  Bauchtheil. 

1.  Der  Rückentheil  liefert  in  den  miteinander  zusammenhängenden  Segment- 
kernen die  Sta  minus  kein-,  diese  sondern  sich  in  zwei  Lagen,, von  denen 

a.  die  obere  Lage  den  M.  longissimus  dorsi,  die  Mm.  intercrurales 
und  Mm.  intertransversarii  superiores  (mit  Einschluss  der 
Mm.  intercostales  externi)  mit  den  Fortsetzungen  im  M. 
coccygeo- sacralis  und  M.  intertransversarius  capitis 
superior, 

b.  die  untere  Lage  die  Mm.  intertransversarii  inferiores  (mit 
Einschluss  der  Mm.  intercostales  intern i)  mit  den  Fortsetzungen 
im  M.  coccygeo-iliacus  und  M.  intertransversarius  capitis 
inferior*  umfasst. 

2.  Der  Bauchtheil  verwandelt  sich  in  den   mittleren   Bauchmuskel, 
welcher  bei  den  Anuren  in  die  M  m.  i  s  c  h  i  o  -  c  o  c  c  y  g  e  u  s ,   rectus   a  b- 


*  Zur  leichteren  Uebersicht  lasse  ich  an  dieser  Stelle  die  in  der  Beschreibung  erörterte 
Thatsache,  dass  dieser  Muskel  Theile  der  oberen  Stammuskellage  enthält,  unberücksichtigt. 


478  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

dominis,    sterno-hyoideus,   genio-hyoideus  zerfällt,  wozu  bei 
den  Tritonen   noch   als   Abspaltung   des  geraden  Bauchmuskels  der  M. 
obliquus  abdominis  internus  hinzukommt. 
II.   Die  äussere  Segmentschicht  zerfällt  in  4  quere  Abschnitte. 

1.  Im  ersten  entwickelt  sich  nur  der  M.  scapulo-mastoideus  (und  der 
M.  omo-hyoideus?); 

2.  im  zweiten  der  Schultergürtel  mit  allen  von  ihm  und  zu  ihm  verlau- 
fenden Muskeln  mit  Ausnahme  des  voranstellenden; 

3.  dieser  Abschnitt  liefert  den  M.  obliquus  abdominis  externus,  und 
der  letzte 

4.  den  Becken gürtel  mit  allen  von  ihm  und  zu  ihm  verlaufenden  Muskeln, 
ausgenommen  die  Bauchmuskeln,  den  M.  coccygeo-iliacus  und  M.  ischio- 
coccygeus. 

Der  innere  quere  Bauchmuskel  (M.  transversus)  nimmt  ausserhalb 
der  Segmentmuskeln  eine  besondere  Stellung  ein. 


2.    Die  Nerven. 

Bei  der  Betrachtung  der  Rumpfmuskeln  war  es  leicht,  Morphologisches 
und  Histiologisches  auseinanderzuhalten ;  denn  ihre  histologische  Entwickelung 
vollzieht  sich  an  den  morphologisch  schon  bestimmt  abgegrenzten  Anlagen. 
Anders  verhalten  sich  die  Spinalnerven.  Die  Anlagen  der  Ganglien  mit  den  sich 
ihnen  anschliessenden  Nervenstämmen  sondern  sich  unzweifelhaft  in  früher 
Zeit  aus  histiologisch  indifferenten  Embryonalaulagen  ab,  während  ihre 
peripherischen  Fortsetzungen  ebenso  unzweifelhaft  nicht  aus  einer  Ausdehnung, 
einem  Wachsthum  jener  Anlagen  hervorgehen,  sondern  dadurch  entstehen,  dass 
Theile  des  ursprünglich  von  verschiedenen  Embryonalanlagen  gelieferten,  dann 
durch  Dotterbildungszellen  wesentlich  vermehrten  interstitiellen  Bildungs- 
gewebes sich  jenen  ersten  Bildungen  anschliessen.  Daher  werde  ich  diese  beiden 
Theile  des  peripherischen  Nervensystems  des  Rumpfes  getrennt  beschreiben. 
Da  sie  aber  stets  in  kontinuirlichem  Zusammenhange  sich  entwickeln ,  also  eine 
bestimmte  Grenze  zwischen  ihnen  festzustellen  nicht  möglich  ist,  will  ich  die 
hier  zuerst  zu betrachtendeu  Nervenstämme  soweit  verfolgen,  als  sie  sich  in 
ihrem  Verlaufe  den  zugehörigen  Segmenten  anpassen,  und  nur  die  unbeständi- 
gen oder  unregelmässigen  Zweige  den  übrigen  Erzeugnissen  des  interstitiellen 
1  Uldungsgewebes  anreihen. 


2.   Die  Nerven.  479 

Untersucht  man  die  Rumpfsegmente  am  Ende  der  Embryonalperiode,  so 
erkennt  man  an  ihren  fassförmigen  Frontaldurchschnitten  unschwer,  dass  die 
inneren  Segmentblätter  nicht  wie  die  einzelnen  Abschnitte  der  äusseren  Seg- 
mentschicht konkav-convex  gebildet  sind,  sondern  plan-konvexe,  an  den  queren 
Segmentgrenzen  in  scharfe  Ränder  auslaufende  Platten  darstellen ,  deren  Vor- 
wölbung dem  Rückenmarke  zugewandt  ist  (Taf.  VII Fig.  121 — 123).  Zugleich 
gewahrt  man  auch  eine  Veränderung  in  der  früher  gleichmässigen  Anordnung 
der  Embryonal zellen,  welche  wohl  mit  jener  Gestalt  der  ganzen  inneren  Seg- 
mentblätter zusammenhängt  und  in  kurzer  Zeit  sehr  deutlich  wird.  In  den 
vorderen  und  hinteren  dünneren  Theilen  wird  nämlich  das  Gefüge  der  Zellen 
lockerer  und  geht  allmälig  in  den  Zustand  des  interstitiellen  Bildungsgewebes 
über,  während  dieselben  im  Bereiche  der  Vorwölbung,  also  in  der  senkrechten 
Queraxe  der  Segmentblätter  sich  gerade  fester  zusammendrängen,  ohne  dabei 
sich  wesentlich  zu  verändern.  Eine  richtige  Ansicht  dieser  aus  jedem  inneren 
Segmentblatte  ausfallenden  Anlagen  gewinnt  man  aber  erst  auf  sagittalen 
Durchschnitten,  also  gleichsam  von  der  Fläche  her  {Taf.  XII Fig.  214).  An- 
fangs erscheinen  sie  als  spindelförmige ,  etwas  abgeplattete  Haufen  von  rund- 
lichen Embryonalzellen,  welche  etwa  in  der  Höhe  der  unteren  Rückenmarks- 
hälfte  den  Muskelplatten  so  anliegen,  dass  ihre  Längsaxe  den  Scheidegrenzen 
der  letzteren  parallel  läuft.  Allmählich  strecken  und  verschieben  sich  die  Zellen 
in  derselben  Richtung,  sodass  beide  Spindelenden,  namentlich  aber, das  untere 
zu  einem  kurzen  Strange  ausgezogen  wird.  Dann  kann  man  den  spindelförmi- 
gen Körper  als  künftiges  S  p  i  n  a  1  gan  g  li  o  n  von  seiner  kürzeren  oberen  Fort- 
setzung oder  der  hinteren  Nervenwurzel  und  der  längeren  unteren  oder 
der  Anlage  des  Nervenstammes  unterscheiden.  Ich  will  zuerst  die  histio- 
logischen  Veränderungen  des  Spinalganglions  betrachten,  welche  in  gleicher 
Weise  bei  allen  übrigen  Ganglien  vorkommen  {Taf.  XI  Fig.  19S,  Taf.  XII  Fig. 
21-1 — 218).  Man  kann  sagen,  dass  sie  anfangs  mit  der  Entwickelung  der 
grauen  Rückenmarkssubstanz  übereinstimmen :  während  die  Dottersubstanz  ver- 
mittelst der  Umbildungskugeln  in  reifes  Protoplasma  verwandelt  wird,  ver- 
schmelzen die  Leiber  der  früheren  Embryonalzellen  zu  einer  Grundsubstanz,  in 
welcher  um  die  Mehrzahl  der  Kerne  ein  neuer  Zellenleib  sich  absondert,  ein 
Theil  derselben  aber  frei  eingelagert  bleibt.  Die  neuen  Zellenleiber  sind  oft 
etwas  dunkler  als  die  Grundsubstanz  und  ihre  Masse  erscheint  in  der  Richtung 
des  Nervenstammes  an  einer  Seite  des  Kerns  angehäuft  und  bisweilen  annähernd 
kegelförmig  ausgezogen ,  während  die  übrige  Peripherie  des  Kerns  von  einer 


430  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

dünneren  Schicht  umgeben  ist  (Fig.  WS).  Ausserdem  habe  ich  an  den  Spinalgang- 
lien deutlich  gesehen,  dass  die  neuen  Zelleuleiber  früher  protoplasmatisch  um- 
gewandelt waren  als  die  Grundsubstanz ,  welche  neben  den  Umbildungskugeln 
noch  Dotterplättchen  enthielt;  und  da  sie,  je  jünger  das  Ganglion  ist,  gegen  die 
Grundsubstanz  um  so  mehr  zurücktreten,  oft  kaum  andeutungsweise  vorhanden 
sind,  während  dieses  Verhältniss  später  sich  gerade  umkehrt,  so  möchte  ich  an- 
nehmen dass  diese  neuangelegten  Zellen  nicht  gleich  eine  fixe  Grenze  besitzen, 
sondern  aus  der  umgebenden  Grundsubstanz  fortwährend  neues  Protoplasma 
sich  ihnen  anfügt.  Die  Kerne  dieser  neuen  Zellen  bleiben  kugelig  und  erscheinen 
sehr  bald  grösser  als  die  länglichen  freien  Kerne  der  Grundsubstanz;  meist  sind 
sie  mit  einem  oder  mehreren  Kernkörpereken  verseken.  Sind  einmal  die  Umbil- 
dungskugeln aus  der  Grundsubstanz  verschwunden,  so  entwickeln  sich  in  der- 
selben Fasern,  welche  kontinuirlich  in  diejenigen  der  austretenden  Nerven  über- 
gehen ;  der  Rest  der  Grundsubstanz  verwandelt  sich  dann  in  eine  bindegewebs- 
artige  Zwischensubstanz ,  welche  später  von  aussen  her  vermehrt  wird.  Jene 
darin  eingebetteten  Zeilen  oder  die  Ganglienzellen  bleiben  bis  in  die  spätere 
Larvenzeit  ohne  alle  Verbindung  mit  den  Nervenfasern,  wachsen  aber  beträcht- 
lich in  ihren  feinkörnigen  Zellenleibem  {Fig.  217).  Sobald  sie  eine  gewisse 
Grösse  erreicht  haben,  bemerke  ich  häufig  an  gehärteten  Präparaten,  dass 
zwischen  den  scharfen  Grenzlinien  der  Ganglienzellen  und  deren  feinkörnigem 
Inhalte  entweder  stellenweise  oder  im  ganzen  Umfange  ein  schmaler  klarer 
Saum  entstanden  ist,  den  ich  an  frischen  Präparaten  nicht  wiederfinde.  Ich 
schliesse  daraus  auf  die  Anwesenheit  einer  festeren  äusseren  Hülle,  von  welcher 
die  zarte  Innenmasse  sich  bei  der  Erhärtung  trennt.  Zu  gleicher  Zeit  erhalten 
die  Ganglienzellen  ihre  Fortsätze  auf  folgende  Weise.  Zwischen  ihnen  liegen 
sowohl  breite,  doppelt  konturirte  Nervenfasern,  mit  denen  sie  eine  unmittelbare 
Verbindung  nicht  eingehen ,  als  auch  spindelförmige  Kerne ,  an  deren  beiden 
Enden  äusserst  dünne  Fäden  auslaufen,  Bildungen,  wie  ich  sie  gleich  auch  an 
den  eigentlichen  Nervensträngen  beschreiben  werde.  Diese  Kerne  schmiegen 
sich  nun  einzeln  oder  zu  zweien  (mehr  habe  ich  wenigstens  nicht  gesehen)  einer 
Ganglienzelle  an,  sodass  man  anfangs  beide  Körper  deutlich  unterscheidet; 
darauf  verschwindet  aber  die  Grenze  zwischen  ihnen ,  der  freie  Umriss  des 
Kerns  geht  unmerklich  in  denjenigen  der  Ganglienzelle  über,  und  die  Ver- 
schmelzung beider  ist  endlich  so  weit  vorgeschritten,  dass  der  frühere  Kern  nur 
wie  eine  dunkle  Spitze  der  Zelle  erscheint,  welche  in  einen  fadenförmigen  Fort- 
satz ausläuft.     Zur  weiteren  Bestätigung  dieses  Vorgangs  führe  ich  noch  an, 


2.    Die  Nerven.  481 

tlass,  solange  die  Grenze  zwischen  dem  Kerne  und  der  Ganglienzelle  noch 
scharf  ausgeprägt  ist,  die  peripherische,  durch  die  Schrumpfung  des  Zellenleibes 
zwischen  ihm  und  der  äusseren  Hülle  hervorgerufene  Lücke  auch  unter  dem 
Kerne  sichtbar  ist,  nach  der  genannten  Verschmelzung  aber  dort  unterbrochen 
erscheint,  Dass  an  den  Kernen,  welche  mit  den  Ganglienzellen  verbunden  sind, 
oft  kein  Fortsatz  sichtbar  ist,  darf  bei  der  grossen  Zartheit  dieser  Ausläufer 
und  bei  der  sich  daraus  ergebenden  Schwierigkeit,  sie  in  dem  Gewirr  der  übri- 
gen Fasern  zu  erkennen,  nicht  Wunder  nehmen;  dagegen  ist  es  auffallend,  dass 
solche  Kerne  nie  mehr  als  je  einen  Fortsatz  zu  besitzen  scheinen ,  während  die 
freien  Spindelkerne  ihrer  stets  zwei  zeigen.  Mir  scheint  dies  so  zusammenzu- 
hängen, dass  diese  zwei  Fortsätze  von  zwei  entgegengesetzten  Polen  des  Kerns 
abgehen  und  der  Axe  des  ganzen  Ganglions  parallel  verlaufen ;  sieht  man  nun 
einen  Fortsatz  mitten  aus  dem  mit  einer  Ganglienzelle  verschmolzenen  Kerne 
entspringen,  so  muss  der  andere  in  entgegengesetzter  Richtung  liegen,  also  der 
Ganglienzelle  angeschmiegt  und  dadurch  unkenntlich  sein,  um  sie  dann  ohne 
Kernanschwellung  und  daher  ebenso  unbemerkt  zu  verlassen.  Eine  andere 
Entstehungsweise  der  Ganglienzellenfortsätze  als  die  geschilderte  habe  ich  nir- 
gends angedeutet  gefunden ;  doch  genügt  diese  Kenntniss  vollständig ,  um  sich 
die  Entwicklung  der  unipolaren,  wie  der  bi-  und  multipolaren  Ganglienzellen 
zu  erklären.  Die  Erhaltung  und  Verwachsung  oder  der  Schwund  des  der  Gang- 
lienzelle angeschmiegten  Fortsatzes  kann  uni-  und  bipolare ,  bei  der  Anwesen- 
heit von  mehr  als  einem  angewachsenen  Kerne  multipolare  Zellen  oder  solche 
mit  zwei  nicht  polar  entgegengesetzten  Fortsätzen  herstellen  (Fig.  216.  217). 
Eine  wesentliche  Veränderung  der  beschriebenen  Form  der  Spinalganglienzellen 
habe  ich  bis  nach  dem  Ablauf  der  Larvenmetamorphose  nicht  angetroffen.  Er- 
wähnt sei  nur,  dass  gegen  das  Ende  dieser  Periode  die  Oberfläche  der  inneren 
Zellsubstanz  mit  der  Hülle  bisweilen  in  ähnlicher  Weise,  wie  ich  es  am  Piücken- 
marke  beschrieb,  an  vielen  diskreten  Punkten  in  festere  Verbindung  tritt,  sodass 
bei  der  schon  erwähnten  Schrumpfung  jener  Substanz  zwischen  ihr  und  der 
Hülle  eine  Anzahl  von  zarten  Brücken  ausgezogen  wird ,  welche  an  die  von  M. 
Schultze  (Nr.  120  I  S.  128)  innerhalb  der  Ganglienzellenscheide  abgebildeten 
Fortsätze  erinnern  (Fig.  218).  Diese  bindegewebige  Scheide  entwickelt  sich 
aber  natürlich  nicht  unmittelbar  aus  der  strukturlosen  Cuticula,  sondern  die 
letztere  ist  nur  die  Unterlage  für  die  von  aussen  hinzutretenden  bindegewebi- 
gen Elemente  der  Zwischensubstanz  der  Ganglien. 

Ich  bemerkte  bereits,  dass  ich  eine  Verbindung  der  Ganglienzellen  mit 

Goette,  Entwickelungsgeschichte.  ol 


482  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

markhaltigen  Nervenfasern  während  der  Larvenzeit  niemals  nachweisen  konnte; 
wenn  aber  dadurch  die  Bedeutung  der  fadenförmigen  Fortsätze  zweifelhaft  er- 
scheint, so  vermag  nur  die  Untersuchung  der  Nervenstämme  darüber  aufzu- 
klären. Sie  entwickeln  sich  aus  den  unteren  Hälften  der  breiten  aber  flachen 
Zellenanhäufungen,  deren  obere  Hälften  den  Spinalganglien  zur  Anlage  dienen 
(Taf.  XII Fig.  214).  Während  aber  die  letzteren  ihre  Ausbildung  an  Ort  und 
Stelle  erhalten ,  dehnen  sich  die  ersteren  nach  unten  aus  und  verschmächtigen 
sich  dabei  zu  dünnen  Strängen.  Dies  geschieht  dadurch,  dass  die  Zellen,  deren 
Dottersubstanz  eben  in  der  Umwandlung  in  Protoplasma  begriffen  ist,  sich  an- 
sehnlich strecken  und  so  aneinander  vorbeigleiten,  dass  nur  zwei,  höchstens 
drei  auf  den  Durchschnitt  der  Nervenanlagen  kommen.  Alsdann  verschmelzen 
je  die  hintereinander  liegenden  zu  cylindrischen ,  nur  durch  die  eingelagerten 
Kerne  etwas  aufgetriebenen,  nicht  zu  dünnen  Fäden,  von  denen  also  zwei  bis 
drei  in  einem  Strange  liegen  {Taf.  X  Fig.  187).  Endlich  fiiessen  auch  diese 
zu  einer  einzigen  Masse  zusammen ,  welche  der  Länge  nach  fein  gestreift  er- 
scheint und  die  sich  vermehrenden  spindelförmigen  Kerne  trägt  (Taf.  XII  Fig. 
216.  221).  Entsprechend  den  Längsstreifen  lösen  sich  leicht  einzelne  äusserst 
feine  Fasern  vom  Strange  ab,  mit  welchen  meist  ein  oder  zwei  von  den  spindel- 
förmigen Kernen  verbunden  erscheinen,  sodass,  wer  die  vorangehende  Ent- 
wickelung  nicht  kennt,  darin  nur  lang  und  dünn  ausgezogene  Spindelzellen 
sehen  und  geneigt  sein  könnte,  dieselben  unmittelbar  auf  die  Embryonalzellen 
zurückzuführen.  Da  aber  von  solchen  nur  zwei  bis  drei,  von  den  Fasern  aber 
ausserordentlich  viele  auf  den  Durchschnitt  des  Stranges  kommen,  sodass  nur 
ein  Theil  von  ihnen  überhaupt  mit  Kernen  verbunden  sein  kann,  so  fehlt  jener 
Ansicht  jede  Unterstützung.  Ich  muss  vielmehr  annehmen ,  dass  diese  Fasern 
ebenso  wie  in  der  weissen  Masse  des  Rückenmarks  aus  den  miteinander  ver- 
schmolzenen Leibern  der  Embryonal zellen  ohne  irgend  welche  Beziehung  zu 
deren  früherem  Bestände  sich  differenziren.  Diese  ausserordentlich  feinen 
Fasern,  die  ersten  histiologischen  Differenzirungsprodukte  der  Nervenanlagen 
umfassen  jedoch  nicht  die  ganze  Masse  derselben ;  dies  geht  daraus  hervor,  dass 
in  der  späteren  Larvenzeit  neue,  ihnen  durchaus  fremde  Bildungen  zwischen 
ihnen  sich  entwickeln,  dieAnlagen  des  Ner  v  enmarks  (Taf.  XII Fig.  222).  Sie 
erscheinen  zuerst  als  ganz  kurze  Reihen  von  hellen,  klaren  Körperchen,  welche 
in  ihrem  Aussehen  an  die  Umbildungskugeln  anderer  Gewebe  erinnern,  aber 
iieben  rundlichen  Formen  auch  längliche  zeigen  und  alsdann  häufig  eine  Ver- 
schmelzung aus  kugeligen  Stücken  andeuten.    In  längeren,  weiter  entwickelten 


2.    DieMerven.  483 

Reihen  fliessen  diese  Körperchen  zu  stabförmigen  Abschnitten  und  endHch  zu 
kontinuirlichen  Strängen  zusammen,  deren  wechselnde  Einschnürungen  aber 
nur  zum  Theil  auf  die  unvollständige  Verschmelzung,  im  übrigen  auf  die  Ein- 
wirkung der  Konservirungsmittel  zu  beziehen  sind.  Denn  diese  weiter  ent- 
wickelten Stränge  haben  bereits  das  stark  lichtbrechende  Aussehen  des  voll- 
endeten Nervenmarks  angenommen,  besitzen  also  wahrscheinlich  schon  dessen 
Zusammensetzung  und  die  Empfindlichkeit  gegen  äussere  Reize.  Die  weniger 
weit  entwickelten  Markstränge  zeigen  anfangs  dicke,  daher  relativ  dunkle 
Hüllen,  denen  einige  Spindelkerne  aufsitzen  und  welche,  während  sie  nach 
aussen  cylindrisch  erscheinen,  nach  innen  sich  den  wechselnden  Formen  der 
Markanlagen  unmittelbar  anschliessend  an  natürlich  isolirten  dünnsten  Nerven - 
anlagen,  welche  von  einem  Markstrange  soweit  ausgefüllt  werden,  dass  man 
sie  auf  einzelne  Nervenfasern  beziehen  kann ,  sehe  ich  jene  Rindenschicht  am 
Ende  der  Markanlagen  sich  in  die  ganze  cylindrische  Nervenanlage  fortsetzen. 
Später  sind  die  Markstränge  in  zarte  dünne  Scheiden  eingeschlossen,  welche 
oft  von  der  geschrumpften  Marksubstanz  weit  abstehen.  —  Weitere  Beobach- 
tungen über  die  Bildung  von  Nervenfasern  stehen  mir  nicht  zu  Gebote;  doch 
halte  ich  die  mitgetheilten  für  ausreichend,  um  daraus  eine  bestimmte  Ansicht 
über  ihren  Zusammenhang  abzuleiten.  Es  scheint  mir  zunächst  unzweifelhaft, 
dass  die  primären  feinen  Fasern  der  Nervenanlagen  die  „ Nerve nprimiti v- 
fibrillen"  M.  Schultze's  darstellen  (vgl.  Nr.  120  I  S.  108),  d.  h.  die  allen 
verschiedenen  Nervenfasern  gemeinsamen  Elemente ;  denn  bis  in  die  spätere 
Larvenzeit  sind  jene  Fibrillen  die  einzigen  und  bis  nach  der  Metamorphose  die 
überwiegenden  differenzirten  Bestandteile  der  Nervenstränge,  welche  in  dieser 
ganzen  Zeit  allem  Anscheine  nach  nicht  anders  funktioniren  als  in  älteren 
Thieren.  Es  bliebe  also  wesentlich  zu  erklären  übrig,  wie  diese  Fibrillen  sich 
zu  den  einzelnen  Nervenfasern  ordnen  und  dadurch  die  einzelnen  Leitungen 
wirksamer  isoliren.  Wie  erwähnt  nehmen  die  Primitivfibrillen  nicht  die  ganze 
Masse  der  Nervenanlagen  ein,  sondern  lassen,  wie  aus  der  Bildung  der  Mark- 
substanz zu  schliessen  ist,  eine  zunächst  indifferente  Zwischensubstanz  zwischen 
sich  zurück,  wie  eine  solche  im  Rückenmarke,  an  den  Scheidewänden  der 
weissen  Masse  direkt  nachzuweisen  ist.  Nehmen  wir  nun  an,  die  Nerven- 
primitivfibrillen  bildeten  sich  in  der  Weise,  wie  die  Fibrillen  in  den  Muskelzellen, 
also  nicht  durch  die  ganze  Substanz  zerstreut,  sondern  so,  dass  die  zusammen- 
wirkenden sich  in  getrennte  Bündel  zusammenziehen,  denen  die  sich  neubilden- 
den Fibrillen  anpassen;    bei   dieser  wie  ich  glaube  nicht  unwahrscheinlichen 


4^4  VIII.   Die  Segmente  des  Rumpfes. 

Annahme  wären  jene  „Primitivfibrillenbündel"  (M.  Schultze)  von  An- 
fang an  in  der  Nervenanlage  so  gelagert,  dass  jedes  von  der  zuerst  gleichartigen 
und  kontinuirlichen  Zwischensubstanz,  welche  zugleich  als  Grundmasse  zur 
Bildung  neuer  Fibrillen  dient ,  eingeschlossen  wird.  Der  jedem  Bündel  zuge- 
hörige Theil  der  Zwischensubstanz  kann  nun  entweder  bis  auf  einen  kutikula- 
ähnlichen  Rest,  die  sogenannte  ScmvANNSche  Scheide,  verbraucht  und  da- 
durch eine  marklose  Nervenfaser  gebildet  werden;  oder  er  verliert  seine  Indiffe- 
renz, also  die  Fähigkeit  zur  Bildung  neuer  Fibrillen  schon  früher,  bleibt  also 
mächtiger  und  entwickelt  darauf  die  Markanlagen.  Diese  können  aber  unter 
solchen  Umständen  bei  ihrer  offenbaren  Ausdehnung  und  Verbreiterung  nicht 
strangförmig  bleiben,  sondern  müssen  ihrer  Grundlage  entsprechend  das  be- 
treffende Fibrillenbündel  umwachsen  und  es  dadurch  zum  Axencyliiuler 
machen.  Dieser  Auffassung  widersprechen  wenigstens  die  beschriebenen  Bilder 
der  Markbildung  nicht,  da  die  Axencylinder  in  den  werdenden  Nervenfasern 
nicht  deutlicher  sind  als  in  den  fertigen,  folglich  die  Röhrenbildung  der  Mark- 
substanz sich  der  direkten  Beobachtung  entziehen  und  als  solide  Verdickung 
erscheinen  muss.  Der  Umstand ,  dass ,  wo  eine  Markanlage  zu  sehen  ist,  auch 
schon  eine  Grenze  der  ganzen  künftigen  Nervenfasern  besteht,  lässt  darauf 
schliessen,  dass  die  Absonderung  der  jedem  Fibrillenbündel  zugehörigen  Theile 
der  Zwischensubstanz  relativ  früh  eintritt.  Dann  ist  es  verständlich,  warum 
die  jungen  Markanlagen  von  einer  dicken,  nach  innen  ihnen  unmittelbar  ange- 
passten  Rindenschicht  umgeben  sind;  es  ist  die  noch  unverbrauchte  ursprüng- 
liche Zwischensubstanz ,  welche  bis  auf  eine  peripherische  Membran ,  eben  die 
ScHWANN'sche  Scheide,  noch  in  Marksubstanz  verwandelt  wird.  Diese  Scheide 
ist  daher  weder  als  eine  Ausscheidung  des  Marks  oder  bei  marklosen  Nerven- 
fasern der  Fibrillenbündel,  noch  als  eine  von  aussen  kommende  Anlagerung, 
sondern  nebst  dem  Marke  als  ursprüngliche  Zwischensubstanz ,  als  der  nicht 
zu  Nervenprimitivfibrillen  verbrauchte  Rest  der  embryonalen  Nervenanlage  zu 
betrachten.  Anders  verhält  es  sich  mit  den  bindegewebigen  Scheiden  der 
ganzen  Nervenstränge  und  ihrer  Unterabtheilungen,  welche  erst  später  auf- 
treten und  daher  höchstwahrscheinlich  von  aussen  angebildet  werden.  —  Wenn 
die  eben  vorgetragene  Auffassung  vom  Entwicklungsgänge  der  peripherischen 
Nervenfasern  gebilligt  wird,  so  ist  auch  die  Erklärung  ihrer  Verbindung  mit 
den  Ganglienzellen  gegeben.  Mögen  die  mit  den  letzteren  verbundenen  Fäden 
auch  nur  eine  oder  einige  wenige  Fibrillen  enthalten,  so  werden  dieselben  nach 
dem  Uebergange  in  den  Nervenstamm  sich  dem  einen  oder  anderen  Bündel 


2.    Die  Nerven.  485 

anschliessen  und  alsdann  die  sich  dort  in  zerstreuten  Anlagen  bildende  Mark- 
substanz ebenso  gut  bis  zur  Ganglienzelle  leiten  können,   wie  sie  thatsächlich 

dem  Verlaufe  der  anderen  Fibrillenbündel  folgt.  Jedenfalls  muss  hervorgehoben 

» 

werden,  dass  das  Nervenmark  nicht  vom  Centrum  ausgeht,  sondern  gerade  um- 
gekehrt von  den  peripherischen  Nerven  zu  demselben  hin  sich  entwickelt.  Im 
Rückenmarke  ist  es  zur  selben  Zeit  noch  nicht  vorhanden  (vgl.  S.  280) ;  ob  es 
dort  selbstständig  oder  im  Anschlüsse  an  die  centripetal  fortschreitende  Bildung 
in  den  Nervenstämmen  sich  bildet,  muss  ich  unentschieden  lassen. 

Während  der  histologischen  Entwicklung  der  spinalen  Ganglien  und 
Nervenstämme  vollzieht  sich  auch  ihre  Verbindung  mit  dem  Rückenmarke. 
Die  Ganglien  füllen  anfangs  in  ihrer  ganzen  Länge  den  spaltartigen  Raum 
zwischen  dem  letzteren  und  den  Muskelplatten  aus ;  während  sich  aber  dieser 
Raum  in  der  Folge  erweitert,  bleibt  ihre  Innenfläche  dem  Rückenmarke  ange- 
schmiegt, sodass  sowohl  ihr  oberes  strangförmiges  Ende  als  auch  der  unterste 
Theil  der  Berührungsfläche  mit  demselben  verwachsen  kann  (Taf.  XI Fig.  198). 
An  diesen  Stellen  tritt  die  zellige  graue  Masse  des  Rückenmarks  durch  die 
weisse  hindurch  mit  den  von  aussen  angewachsenen  Nerven  wurzeln  in  Ver- 
bindung und  vermittelt  so  deren  Uebergang  in  die  sogenannten  Hörner  der 
grauen  Masse  {Taf.  IX  Fig.  172).  Weiterhin  werden  die  Spinalganglien  vom 
Rückenmarke  etwas  abgezogen  und  dadurch  die  Nervenwurzeln  zu  kurzen 
Strängen  ausgezogen,  welche  aber  an  den  hinteren  Nerven  in  Folge  der  schon 
erwähnten  relativen  Verkürzung  des  Rückenmarkes  während  und  nach  der  Me- 
tamorphose sich  nicht  unbedeutend  verlängern.  Die  obere  (hintere)  Wurzel  be- 
hält ihren  unmittelbaren  Uebergang  in  das  Spinalganglion;  die  untere  (vordere) 
spaltet  sich  aber  allmählich  von  demselben  ab,  sodass  sie  direkt  in  den  gemein- 
samen Nervenstamm  mündet  und  alsdann  aus  demselben  hervorgewachsen  zu 
sein  scheint.  Doch  gehen  nicht  nur  die  beiden  Wurzeln  ursprünglich  aus  dem 
Spinalganglion  hervor,  sondern  ebenso  auch  der  Ramus  dorsalis  jedes  Spinal- 
nerven, welcher  anfangs  aus  einem  abgelösten  und  aufwärts  wachsenden  Zipfel 
des  Ganglions  besteht  und  erst  später  auf  dieselbe  Weise  wie  die  untere 
Wurzel  bis  zum  gemeinsamen  Nervenstamm  hinab  sich  vom  Ganglion  abspaltet 
{Fig.  172).  Daher  erscheint  dieser  Ramus  dorsalis  bei  der  seitlichen  An- 
sicht einer  blossgelegten  Wirbelsäule  aus  der  mittleren  Larvenzeit  als  eine  dem 
abwärtsziehenden  Nervenstamme  entsprechende  obere  Fortsetzung  des  Spinal- 
ganglions, während  die  anatomische  Darstellung  der  späteren  Verhältnisse 
den  aus  beiden  Wurzeln  zusammentretenden  Nervenstamm  sich  in  die  beiden 


4g(j  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

gleichwerthigeu  Aeste,  den  R.  dorsalis  und  R.  ventralis  theilen  lässt  {Taf. XVIII 
Fig.  326).  Jener  versorgt  Muskeln  und  Haut  des  ßückens,  dieser  die  gleichen 
Theile  der  Seiten  und  des  Bauches;  sowie  aber  die  Muskeln  dieser  letzteren 
Regionen  eine  mannigfaltigere  Umbildung  erfahren  als  die  Stammuskeln, 
nehmen  auch  die  von  ihnen  abhängigen  Nerven  ein  grösseres  Interesse  in  An- 
spruch. Alle  Segmente  des  Rumpfes  bis  auf  das  erste  Paar,  welches  keine 
Nervenanlagen  entwickelt,  enthalten  je  einen  Nervenstamm,  welcher  im  allge- 
meinen den  aus  dem  zugehörigen  Segmente  hervorgehenden  Muskeln  folgt  {Taf. 
XVIII,  XIX).  Allerdings  kann  ich  nicht  bestimmen,  wie  weit  der  aus  der  mor- 
phologischen Anlage  des  inneren  Segmentblattes  hervorgehende  Nervenstamm 
über  den  Bereich  der  Stammuskeln  hinausreicht,  an  deren  innerer  und  unterer 
Fläche  er  zur  Bauchwand  hinzieht,  und  wo  seine  Fortsetzung  durch  von  aussen 
angefügte  Elemente  beginnt.  Denn  einmal  gewinnt  auch  diese  Fortsetzung  sofort 
das  Aussehen  des  Stammes ,  und  ferner  verschieben  sich  die  Nerven  bei  ihrem 
Wachsthum  aus  ihrer  ursprünglichen  Lage.  Immerhin  glaube  ich  aus  einigen 
Beobachtungen  annehmen  zu  dürfen,  dass  der  ursprüngliche  Nervenstamm  sich 
ohngefähr  so  weit  erstrecke,  als  er  der  zugehörigen  segmentalen  Abtheilung 
wenigstens  in  der  ersten  Zeit  regelmässig  folgt,  und  dass  alle  End-  und  Seiten- 
zweige nicht  dazu  gehören.  Verfolgt  man  nun  die  einzelnen  ßami  ventrales  der 
Spinalnerven  in  ihrer  späteren  Umbildung,  so  ergibt  sich  Folgendes.  Bei  der 
Unke,  dem  Frosche  und  wahrscheinlich  allen  Batrachiern,  deren  Bauchmuskeln 
sich  ähnlich  verhalten,  treten  jene  Nervenstränge  unter  den  Stammuskeln  in 
die  Lücke  zwischen  diesen  und  dem  mittleren  Bauchmuskel  ein,  um  darauf  an 
der  Aussenfläche  des  letzteren  abwärts  zu  verlaufen;  bei  den  Salamandrinen, 
deren  mittlerer  Bauchmuskel  sich  von  den  Stammuskeln  nicht  entfernt,  bleiben 
jene  Nerven  durchweg  an  der  Innenfläche  der  inneren  Segmentschicht  liegen  und 
befinden  sich  daher  später  zwischen  dem  inneren  und  mittleren  Bauchmuskel 
oder  dem  M.  transversus  und  M.  obliquus  internus  abdominis  {Fig.  341).  Der 
erste  vom  zweiten  ßumpfsegmente  stammende  ßamus  ventralis  wird  gewöhnlich 
als  N.hypoglossus  bezeichnet;  er  beschreibt  entsprechend  der  Verschiebung  des 
unteren  Theils  vom  zugehörigen  Abschnitte  des  mittleren  Bauchmuskels  einen 
nach  vorn  konkaven  Bogen  und  zieht  über  den  M.  sterno  -  hvoideus  zum  M.  ge- 
nio-hyoideus,  welchen  er  bis  an  den  Unterkiefer  begleitet  {Fig.  326,  328,  343. 
348).  Die  beiden  folgenden  Seitenrumpfnerven  verlaufen  anfangs  ziemlich  ge- 
rade zur  hinteren  Hälfte  des  M.  sterno-hyoideus  hinab,  wo  ihre  beiden  Ver- 
breitungsbezirke nach  der  segmentalen  Eintheilung  durch  den  ersten  Sehnen- 


2.    Die  Nerven.  487 

streifen  geschieden  sein  sollten.  Während  aber  die  Anlage  des  Schultergürtels 
sich  unmittelbar  auf  ihnen  entwickelt,  erhalten  sie  ziemlich  bald  nach  ihrem 
Ursprünge  eine  direkte  Fortsetzung  in  die  Gliedmasse,  wobei  die  beiden  be- 
treffenden Aeste'  zu  einem  Stamm,  dem  Plexus  brachialis ,  zusammenfliessen 
(Fig.  3:26).   Indem  diese  Aeste  nebst  den  über  ihrem  Ursprung  befindlichen 
Abschnitten  der  beiden  Nervenstämme  sehr  bald  ansehnlich  anschwellen,  er- 
scheint der  Plexus  brachialis  als  die  eigentliche  Fortsetzung  des  2.  und  3. 
Seitenrumpfherven,  während  ihre  ursprünglichen  Stämme  das  Ansehen  von 
Seitenzweigen  annehmen,  insbesondere  da  sie  mit  den  Brachialästen  so  weit 
verschmelzen,  dass  ihr  selbstständiger  Verlauf  später  erst  vom  Armgeflecht 
ausgeht,  sie  also  gewissermassen  aus  diesem  entspringen  (Fig.  326,  343).   Sie 
bleiben  natürlich   unter  dem  Schultergürtel  liegen  und  versorgen  mit  ihren 
späteren  Verzweigungen  wesentlich  die  Brustmuskeln    und   den  M.   sterno- 
hyoideus,  weshalb  sie  als  Nn.  thoracici  anterior  et  posterior  unterschieden  wer- 
den können.  Der  regelmässige  Verlauf  der  Spinalnerven  wird  also  im  Bereiche 
des  Armgeflechts  nur  durch  nachträgliche  Anpassungen  verdeckt.  Die  folgenden 
Rami  ventrales  sind  dadurch  ausgezeichnet,  dass  sie  nicht  nur  unter  den  Stam- 
muskeln,  sondern  auch,  wie  ich  bereits  erwähnte,  unter  den  dorsalen  Muskeln 
des  Beckengürtels,  dem  M.  ileo-lumbaris  und  M.  ileo-psoas  hervorkommen,  ob- 
gleich dieselben  theilweise  unter  der  Wirbelsäule  und  ihren  Muskeln  liegen. 
Vom  4.  und  5.  Seitenrumpfherven  ist  nichts  weiter  zu  bemerken,  als  dass  sie 
sich  wie  die  zwei  folgenden  meist  schon  in  der  Mitte  der  Seitenhöhe  in  zwei 
Aeste  theilen ;  sie  versorgen  die  in  ihrem  Bezirke  liegenden  Bauchmuskeln.  Der 
6.  und  der  vordere  Ast  des  7.  Nerven   (N.  ileo-hypogastricus)  durchbohren 
ausserdem,  um  an  die  Aussenfläche  des  M.  transversus  zu  gelangen,  denselben 
dicht  am  Beckengürtel,  wo  dieser  Muskel  sich  vom  Bauchfelle  abhebt,  um  an 
der  freien  Kante  des  Darmbeins  eine  Befestigung  zu  suchen  (Fig.  343).   Am 
8.  und  9.  Seitenrumpfnerven  habe  ich  eine  Theilung  in  zwei  Aeste  nicht  be- 
merkt, sondern  sie  scheinen  mit  ihrer  ganzen  Masse  den  Plexus  ischiadicus  zu 
bilden  (Fig.  327),  sollte  dies  thatsächlich  und  nicht  bloss  einer  mangelhaften 
Beobachtung*  zuzuschreiben  sein,  so  erklärt  sich  jenes  Verhalten  dadurch,  dass 
der  Theil  des  mittleren  Bauchmuskels,  dem  jene  Nerven  angehören,  innerhalb 
des  Beckengürtels  alsbald  atrophirt,  und  dass  ausserdem  die  Stämme  der- 


*  Ich  bemerke  hier  beiläufig,  dass  ich  die  Untersuchung  des  Nervenverlaufs  mit  einer 
BRücKE'schen  Lupe  von  6— 8facher  Linearvergrösserung  ausführte. 


/ 


4gg  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

selben  entsprechend  dem  Ende  der  Bauchwand  so  kurz  sind,  dass  gleichsam 
die  Enden  ihres  ventralen  Verlaufs  in  den  Plexus  ischiadicus  aufgenommen 
werden,  also  eine  Fortsetzung  der  Stämme,  wie  sie  unterhalb  des  Armgeflechts 
vorkommt,  unterhalb  des  Plexus  ischiadicus  gar  nicht  angelegt  wäre.  An  den 
letzteren  schliesst  sich  auch  der  hintere  Ast  des  7.  Seitenrumpfnerven  an,  ver- 
schmilzt aber  mit  ihm  nur  in  einer  ganz  kurzen  Strecke,  während  seine  Fort- 
setzung, schon  bevor  diese  Verbindung  erfolgt,  ganz  selbstständig  den  N.  cru- 
ralis  bildet.  Vollständig  geht  aber  in  jenes  Geflecht  der  vordere  Ast  des  10. 
Nerven  ein,  indess  der  hintere  Ast  dem  Endstücke  des  mittleren  Bauchmuskels, 
dem  M.  ischio-coccygeus  verbleibt  und  als  N.  perinealis  figuriren  mag.*  Der 
11.  und  letzte  unserer  Nerven  verläuft  ursprünglich  jenseits  des  Endes  vom 
mittleren  Bauchmuskel ;  indem  aber  gerade  die  hintere  Hälfte  des  Steissbeins 
mit  der  Anheftung  des  M.  ischio-coccygeus  gleichsam  unter  dem  11.  Nerven 
nach  hinten  auswächst,  bleibt  dieser  so  weit  zurück,  dass  er  dem  Steissbeine 
dicht  anliegend  eine  ansehnliche  Strecke  rückwärts  laufen  muss,  ehe  er  hinter 
dem  genannten  Muskel  seinen  eigentlichen  Verbreitungsbezirk  am  After  findet 
{Fig.  343,  346).  Ich  glaube  ihn  daher  mit  Recht  als  den  eigentlichen  N.  coccy- 
geus  bezeichnen  zu  dürfen.  Der  12.  Spinalnerv,  welcher  im  kegelförmigen 
Schwanzstummel  noch  über  das  Ende  des  Steissbeins  hinabzieht,  verschwindet 
später  mit  allen  übrigen  Schwanznerven.  Diese  Anordnung  der  hinteren  Spinal- 
nerven ist  aber  weder  bei  den  Unken  beständig,  noch  finde  ich  sie  bei  andern 
Anuren  (Rana)  in  unveränderter  Wiederholung.  Es  schwankt  nämlich  die  Zu- 
sammensetzung des  Plexus  ischiadicus,  indem  sich  daran  bald  nur  der  8.  und 
9.  oder  der  9.  und  10.,  bald  der  8.  bis  10.,  9.  bis  11.  oder  der  8.  bis  11.  Nerv 
betheiligen.  Vollständig  gehen  dabei  in  den  Plexus  höchstens  zwei  von  den  ge- 
nannten Nerven  ein;  diese  können  alsdann  von  den  benachbarten  Nerven- 
stämmen Zweige  aufnehmen  oder  umgekehrt  ihnen  solche  abgeben,  wodurch 
eben  jene  verschiedenen  Zusammensetzungen  des  Plexus  ischiadicus  entstehen. 
Aus  welchem  Nerven  die  Anastomosen  entspringen,  bestimme  ich  nach  den 
Winkeln,  welche  sie  mit  der  Axe  der  mit  ihnen  verbundenen  Nervenstämme 
bilden-,  diese  Winkel  und  damit  die  Bestimmung  der  Richtungen  können  sich 
aber  unzweifelhaft  allmählich  verändern,  sei  es  durch  ungleichmässiges  Wachs- 


*  Vgl.  Fig.  326,  327.  Fig.  343  zeigt  bereits  eine  so  vollständige  Verschmelzung  des  vor- 
deren Astes  vom  10.  Nerven  mit  dem  Plexus  ischiadicus,  dass  der  freie  hintere  Ast  aus  dem 
letzteren  zu  entspringen  scheint. 


2.  Die  Nerven.  4,s9 

tlium  der  verbundenen  Nervenstämme,  sei  es  durch  fortschreitende  Verschmel- 
zung eines  Anastomosenendes  mit  dem  betreffenden  Stamme,  sodass  der 
Wechsel  in  der  Anordnung  der  Lumbal-,  Sakral-  und  Steissbeinnerven  selbst 
im  Bildungsgange  eines  einzelnen  Individuums  vorkommen  kann.  Gegen- 
über dieser  Unbeständigkeit  in  der  Anordnung  scheint  die  Gesammtzahl  jener 
Nerven  bei  den  Amiren  sich  gleich  zu  bleiben,  und  desshalb  wiederhole  ich  die 
Notiz  (vgl.  S.  392),  class  auch  der  Frosch  ein  11.  Spinalnervenpaar  besitzt, 
welches  wohl  wegen  seiner  ausserordentlichen  Zartheit  bisher  übersehen  wer- 
den konnte. 

Wenn  das  beschriebene  System  der  Spinalnervenstämme  aus  dem  grösseren 
oberen  Theile  des  inneren  Segmentblattes  entsteht,  so  entwickelt  sich  innerhalb 
des  interstitiellen  Bildimgsgewebes,  welches  von  dem  untersten  Theile  jenes 
Blattes  abstammend  den  Betroperitonealraum  ausfüllt,  gleichfalls  ein  Nerven- 
system, das  wenigstens  im  Anfange  seiner  Ausbildung  eine  durchaus  selbst- 
ständige Existenz  hat  und  erst  nachträglich  mit  den  Spinalnerven  in  Verbin- 
dung tritt,  —  das  Eingeweidenervensystem.  Aehnlich  wie  bei  dem 
ersteren  entsteht  auch  bei  dem  Eingeweidenervensystem  zuerst  der  Stammtheil, 
der  sogenannte  Grenzstrang,  während  die  weiteren  Verzweigungen  in  den  Ein- 
geweiden  erst  später  erscheinen.  Die  ersten  Andeutungen  des  Grenzstranges 
glaube  ich  bereits  am  Ende  der  ersten  Larvenperiode  in  kleinen  Gruppen  von 
Zellen  gefunden  zu  haben,  welche,  in  ihrem  Aussehen  mit  den  Ganglienzellen 
der  Spinalnerven  übereinstimmend,  zu  beiden  Seiten  der  Aorta  zwischen  dieser 
und  den  Anlagen  der  Nieren  liegen.  Der  Umstand,  dass  ich  sie  nur  an  einzelnen 
Querdurchschnitten  antraf,  scheint  darauf  hinzudeuten,  dass  die  gangliösen 
Anschwellungen  die  ersten  Anlagen  bilden.  In  der  Mitte  der  zweiten  Larven- 
periode konnte  ich  den  Grenzstrang  bereits  als  ein  zusammenhängendes,  dem 
unteren  Theile  der  Wirbelsaite  anliegendes  Gebilde  vom  Kopfe  bis  über  die 
Mitte  des  Rumpfes  herauspräpariren  (Fig.  327).  Er  bestand  aus  den  spindel- 
förmigen Ganglien  und  deren  Verbindungssträngen;  jene  waren  vorn  grösser 
und  lagen  in  unregelmässigen  Abständen  näher  beisammen  als  hinten.  Die  vom 
Grenzstrauge  entspringenden  Nervenzweige  waren  äusserst  zart  und  ebenfalls 
unregelmässig  vertheilt.  An  Querdurchschnitten  konnte  ich  mich  hinlänglich 
davon  überzeugen,  dass  die  aussen  und  dicht  am  Grenzstrange  hinablaufenden 
Spinalnervenstämme  mit  demselben  noch  keine  Verbindung  eingegangen  waren, 
sowie  auch  sein  vorderes  Ende  nur  erst  bis  zum  N.  vagus  reichte,  aber  mit 
demselben  noch  nicht  zusammenhing  (Taf.  IX  Fig.  172).  Etwas  später  waren 


4<J()  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

die  vermissten  Verbindungen  vorhanden:  das  Vorderende  des  Grenzstranges 
kommunicirte  vermittelst  einiger  äusserst  dünnen  Fädchen  mit  dem  N.  vagus 
dicht  unterhalb  seines  Ganglions,  und  von  den  Verbindungsstellen  des  Stranges 
mit  den  Spinalnerven  aus  spalteten  sich  kurze  Stämmchen  der  letzteren  auf- 
wärts von  dem  Hauptstamme  ab  (Taf.  IX  Fig.  178,  Taf.  XVIII  Fig.  329). 
Eine  weitere  Verfolgung  der  Verbindungen  und  Verzweigungen  des  Grenz- 
stranges  lag  nicht  in  meiner  Absicht.  Die  mikroskopische  Untersuchung  seines 
Gewebes  ergab,  dass  seine  Histiogenese  bis  nach  der  Metamorphose  von  der- 
jenigen des  Spinalnervensystems  nicht  wesentlich  abweicht.  Unter  den  Nerven- 
fasern vermisste  ich  die  markhaltigen ,  und  die  Leiber  der  Ganglienzellen  sind 
durchweg  viel  kleiner  als  in  den  Spinalganglien,  sodass  beim  ersten  Hinsehen 
nur  die  kreisrunden  Zellenkerne  auffallen. 

3.  Das  interstitielle  Bildungsgewebe. 

Dieses  embryonale  Gewebe  entwickelt  sich  aus  allen  den  Theilen  der  Seg- 
mente, welche  nicht  zu  den  Muskeln,  Ganglien  und  Nervenstämmen  verbraucht 
werden,  also  im  Rumpfe  aus  den  inneren  Segmentblättern  mit  Ausnahme  des 
von  der  Nervenanlage  eingenommenen  mittleren  Streifens,  ferner  aus  den  ganzen 
oberen  Säumen  und  einzelnen  anderen  Theilen  der  äusseren  Segmentschicht. 
Im  Schwänze  geht  die  ganze  äussere  und  der  Bauchtheil  der  inneren  Segment- 
schicht in  das  Bildungsgewebe  über  {Taf.  VIT).  Diese  seine  ursprünglichen 
Anlagen  bezeichnen  aber  nur  die  Ausgangspunkte  für  seine  weitere  Ausbrei- 
tung, welche  durch  die  Ansammlung  der  Interstitialfliissigkeit  und  eine 
dauernde  Einwanderung  von  Dotterbildungszellen  vermittelt,  .in  alle  zugäng- 
lichen Zwischenräume  zunächst  zwischen  den  morphologischen  Anlagen  und 
dann  zwischen  den  Gewebstheilen  der  letzteren  selbst  eindringt.  Durch  diese 
allgemeine  Entwicklung  rechtfertigt  das  interstitielle  Bildungsgewebe  das  Bei- 
wort seines  Namens  und  offenbart  sich  anderseits  als  eine  rein  histiologische 
Anlage,  welche  nach  der  Auflösung  des  Formbestandes  seiner  embryonalen 
Grundlagen  (Segmentschicht,  Segmentblatt)  eine  Selbstständigkeit  im  ganzen 
und  daher  jede  morphologische  Bedeutung  entbehrt,  um  von  der  jeweiligen 
Umgebung  unbedingt  abhängig  sich  ihr  erst  formal  anzupassen  und  dann  ihre 
späteren  Differenzirungen  unter  dem  verschiedenen  Einflüsse  dieser  formalen 
Anpassung  einzuleiten.  Desshalb  repräsentirt  auch  das  interstitielle  Bildungs- 
gewebe keine  bestimmte  physiologische  Gewebsform,  etwa  die  Gruppe  der 
Bindesubstanzen  allein,  sondern  dient  allen  allgemeinen  Geweben  zur  Grund- 


'S.    Das  interstitielle  Bildungsgewebe.  491 

läge,  welche  ausserhalb  der  primär-morphologischen  Theile  entstehen;  dahin 
gehören  aber  ausser  den  Bindesubstanzen  alle  Gefässe,  die  weiteren  Nerven- 
verzweigungen und  einzelne  Muskeln  fM.  transversus,  Hautmuskeln).  Anderer- 
seits ist  es  aber  auch  verständlich,  dass  überall  dort,  wo  die  formale  Anpas- 
sung des  interstitiellen  Bildungsgewebes   an   seine   Umgebung   in    sehr   be- 
stimmten und  engen  Schranken  auftritt,  sie  die  Gestalt  von  dem  die  Anpas- 
sung beherrschenden  Theile  entlehnt  und   dadurch  die  sekundär -morpholo- 
gischen oder  -typischen  Körpertheile  erzeugt,  von  denen  einige,  z.  B.  das  Stamm - 
skelet,    die  röhrigen  Rückenmarkshüllen,  der  innere  Bauchmuskel,  bereits  als 
solche  geschildert  wurden.   Alle  diese  Formbeziehungen  des  interstitiellen  Bil- 
dungsgewebes zu  den  uns  bekannten  Embryonalanlagen  prägen  sich  der  Vor- 
stellung leicht  ein,  wenn  man  die  Hauptzüge  seiner  Ausbreitung  und  seiner 
Verbindungen  verfolgt  {Taf.  VII,  XIII,  XIV).   Zuerst  denke  man  sich  die 
inneren  Segmentblätter  jeder  Körperseite  in  eine  kontinuirliche  Schicht  ver- 
wandelt, in  welcher  die  ursprünglichen  Nervenlagen    eingelagert   sind   und 
welche  im  allgemeinen  die  Axenorgane  (Rückenmark,  Wirbelsaite,  Axenstrang 
des  Darmblattes)  von  den  Stammuskeln  trennt.   Die  beiderseitigen  Schichten 
verbinden  sich  darauf  zwischen  diesen  Axenorganen  und  um  sie  herum,  sodass 
dieselben  gewissermassen  ebenso  wie  jene  Nervenanlagen  in  das  Bildungs- 
gewebe  eingebettet  erscheinen.   Dabei  entstehen  aus  enger  Anpassung  an  die 
beiden  mächtigeren  Organe  die  äussere  Chordascheide  und  die  Rückenmarks- 
hülle,  beides  röhrige  Bildungen,  welche  aber  in  Ermangelung  eines  selbststän- 
digen Formwerths  den    sekundär -morphologischen   Körpertheilen   zugezählt 
werden  müssen.   Lateralwärts  ruft  die  Anpassung  des  Bildungsgewebes  an  die 
Segment-   oder   Muskelgrenzen    die    sekundär  -  morphologische   Bildung   der 
Wirbelbögen  und  ihrer  Fortsätze  hervor.    Ueber  dem  Rückenmarke  eröffnet 
sich  den  vereinigten  Segmentblättern  in  Folge  einer  entsprechenden  Ausdeh- 
nung des  Oberhautsackes  ein  weiterer  Raum,  in  welchem  sie  mit  den  aufwärts 
wachsenden  Säumen  der  äusseren  Segmentschicht  zur  Hersteilimg  der  soge- 
nannten Membrana  reuniens  superior  zusammentreffen,  welcher  Namen  aber 
nur  eine  topographische  Bedeutung  hat  und  weder  ein  besonderes  noch  ein 
vergängliches  Gewebe  bezeichnet.   Ein  ähnlicher  freierer  Zwischenraum  wird 
unter  der  Wirbelsaite  dadurch  gebildet,  dass  die  Darmanlage  unter  Zurück- 
lassung ihres  der  Chorda  angehefteten  Axenstranges  sich  von  derselben  ent- 
fernt, wobei  das  Bildungsgewebe  die  von  der  Wirbelsaite,  dem  Parietalblatte 
und  den  Stammuskeln  begrenzte  Lücke,  den  Retroperitonealraum,  in  dem 


492  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

Masse  als  er  entstellt  gleich  ausfüllt.  Von  diesem  Räume  aus  dringt  das  inter- 
stitielle Bildungsgewebe  einmal  in  die  Bauchwand  vor,  wo  es  mit  den  gleichen 
Gewebstheilen  der  äusseren  Segmentschicht  zusammentrifft  und  die  segmen- 
talen Bauchmuskeln  einscheidet  und  den  inneren  sogar  erst  bildet ;  anderseits 
verbindet  es  sich  mit  dem  Bildungsgewebe,  welches  zwischen  dem  Darmblatte 
und  dem  Visceralblatte  aus  dem  letzteren  entsteht  und  in  alle  Anhangsorgane 
des  Darmkanals  sich  verbreitet.  Im  Schwänze,  dessen  untere  Hälfte  eine 
symmetrische  Wiederholung  der  Anordnung  in  der  oberen  Hälfte  zeigt, 
erfährt  auch  das  interstitielle  Bildungsgewebe  eine  entsprechend  symmetrische 
Anpassung;  daraus  erklärt  sich  die  Entwickelung  der  unteren  Wirbel- 
bögen und  einer  unteren  medianen  Platte  des  Bildungsgewebes,  welche 
allein  passenderweise  als  Membrana  reuniens  inferior  bezeichnet  werden  kann, 
wenn  man  diese  Benennung  überhaupt  beibeb  alten  will.  Beide  Verbindungs- 
häute liefern  dort  die  Innenmasse  der  oberen  und  unteren  Schwanzflosse. 

Nach  dieser  Uebersicht  der  topographischen  Entwickelung  des  intersti- 
tiellen Bildungsgewebes  wende  ich  mich  zu  seiner  Histiogenese.  Die  erste  und 
charakteristische  Bildung  dieser  Gewebsanlage  kann  man  an  den  Segment- 
theilen  des  Rumpfes  desshalb  nicht  gut  kennenlernen,  weil  die  betreffenden  Em- 
bryonalanlagen,  die  inneren  Segmentblätter  und  die  äussere  Segmentschicht, 
zu  dünn  sind,  um  auf  Durchschnitten  ein  klares  Bild  zu  gewähren.  Ich  habe 
aus  diesem  Grunde  entsprechende  Segmenttheile  des  Kopfes  zur  Demonstration 
jener  Anfänge  gewählt.  Ursprünglich  liegen  die  rundlichen  Embryonalzellen 
auch  in  den  hier  in  Rede  stehenden  Anlagen  (innere  Segmente)  dicht  zusam- 
mengeschlossen. Aber  schon  gegen  das  Ende  der  Embryonalperiode  treten  sie 
auseinander,  und  die  sie  trennenden,  mit  Flüssigkeit  'gelullten  Lücken  ver- 
größern sich  allmählich  so  sehr,  dass  sie  endlich  einen  grösseren  Raum  ein- 
nehmen als  die  Zellen  (Taf.  XI  Fig.  208).  Bei  dem  Vergleiche  der  ersten  Ent- 
wickelungsstufen  dieses  Vorganges ,  welche  oft  nebeneinander  angetroffen 
werden,  rnuss  uns  die  einfachste  Ueberlegung  davon  überzeugen,  dass  wir  es 
liier  nicht  mit  einer  selbstthätigen  Bewegung  der  Embryonalzellen  zu  thun 
haben.  Ich  habe  allerdings  schon  eine  solche  ausführlich  beschrieben,  die  Ver- 
schiebung der  Embryonalzellen  bei  ihren  Theilungen,  und  dieselbe  als  die 
eigentliche  bewegende  Kraft  bei  den  ersten  Umbildungen  und  Ausbreitungen 
der  Embryonalanlagen  hingestellt.  Dieses  Moment  fehlt  natürlich  auch  den- 
jenigen Theilen  nicht,  welche  für  die  Entwickelung  des  interstitiellen  Bildungs- 
gewebes bestimmt  sind.  Aber  ebenso  natürlich  scheint  es  mir,  dass  es  sich  nur 


3.    Das  interstitielle  Bildimgsgewebe.  493 

auf  den  Zustand  der  kompakten  Embryonalanlagen  bezieht-,  soll  dagegen  ge- 
rade die  unmittelbare  Flächenberührung  der  Embryonalzellen  aufhören,  so 
kann  dafür  die  gegenseitige  Verschiebung  der  sich  drängenden  Zellen  offenbar 
nicht  angezogen  werden.  Ebensowenig  kann  das  geschilderte  Auseinandertreten 
der  Embryonalzellen  durch   eine   solche   selbstthätige   Bewegung  derselben 
erklärt  werden,  wie  sie  etwa  in  Form  von  Kontraktionen  die  unzweifelhafte 
Ortsveränderung  fertiger  protoplasmatischer  Elementarorganismen  herbeiführt. 
Denn  der  Kaum,  in  welchem  eine  solche  Ortsveränderung  ausgeführt  werden 
inuss,  wird  erst  durch  jenes  Auseinandertreten  der  Embryonalzellen  und  in 
Folge  dessen  der  Embryonalanlagen  erzengt,  sodass  gewisse  zellenfreie  Räume 
bloss  nachträgliche  Erweiterungen  bereits  bestehender  weiter  Zelleninterstitien 
sind.  Kurz,  es  bleibt  nichts  übrig,  als  in  der  die  Lücken  ausfüllenden  Flüssig- 
keit die  nächste  Ursache  für  die  uns  hier  beschäftigende  Erscheinung  anzu- 
sehen. Die  Quelle  jener  in  die  Embryonalanlagen  eindringenden  Flüssigkeit  ist 
in  dem  embryonalen  Darmraume  zu  suchen,  dessen  wasserheller  flüssiger  In- 
halt genau  dieselben  Eigenschaften  wie  die  erstere  zeigt,  bei  der  Erhärtung  der 
Embryonen  theilweise  gerinnt  und  alsdann  durch  Karmin  sehr  schwach  gefärbt 
wird.  Die  Ursachen  für  den  Uebertritt  der  Flüssigkeit  aus  dem  Darmraume  in 
die  Masse  des  eigentlichen  Keims  glaube  ich  mit  Recht  in   den  veränderten 
Spannlingsverhältnissen  der  letzteren  zu  erkennen.    Schon  gleich  im  Anfange 
der  Entwickelung  hatte  ein  ähnlicher  Vorgang  stattgefunden.    Die  Keimhöhle 
entstand  durch  die  Zusammenziehung  der  radiär  gestellten  Dottertheilstücke 
an  ihren  centralen  Enden  und  vergrösserte  sich  in  Folge  der  koncentrischen 
Ausbreitung  und  daher  Verdünnung  ihrer  Decke  oder  der  primären  Keimschicht 
(Taf.  II).  Indem  darauf  der  hervorwachsende  Rand  der  sekundären  Keimschicht 
eine  Lage  Von  Dotterzellen  vom  Boden  der  Keimhöhle  hob  und  sie  in  der  ganzen 
Höhe  der  letzteren  mit  sich  zog,  wurde  der  Keimhöhleliraum  successiv  ver- 
engt und  endlich  zum  Schwunde  gebracht,  während  auf  der  anderen  (dorsalen) 
Seite  der  vorrückenden    Scheidewand   die   Darmhöhlenspalte   in   demselben 
Masse  sich  erweiterte.   Da  jene  Scheidewand  der  dünnste  von  allen  die  Keim- 
höhle umschliessenden  Theilen  ist,  so  erhellt,  dass  die  Flüssigkeit  der  letzteren 
durch  jene  Wand  in  die  Darmhöhle  übertritt,  welche  darauf  zum  Sammelraume 
der  Interstitialflüssigkeit  des  ganzen  Eies  wird.    Zwischen  den  aneinander- 
gelagerten  runden  Zellen  der  Keimschichten  bestehen  alsdann  nur  kleine  mit 
derselben  Flüssigkeit  gefüllte  Zwischenräume/ welche  gerade  hinreicht,  um  die 
fortdauernde  Zellenbildung  zu  unterhalten.  Im  weiteren  Verlaufe  der  Entwicke- 


494  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

lung  unterliegen  aber  die  einzelnen  Theile  der  relativ  gleichmässigen  und  kon- 
tinuirlichen  Keimscliichten  und  -blätter  verschiedenen  mechanischen  Form- 
bedingungen, welche  die  allgemeine,  noch  immer  unmittelbar  auf  die  sich 
theilenden  und  verschiebenden  Embryonalzellen  zurückführbare  Bewegungs- 
ursache in  immer  divergentere  Bahnen  ausstrahlen  lassen.  In  dem  Masse  als 
diese  Bewegungsströme  und  die  von  ihnen  veranlassten  Zellenanhäufungen  und 
Schichtungen  sich  von  einander  sondern,  fliessen  die  aus  dem  festen  Zusammen- 
hange ausgeschlossenen  Lücken  zwischen  den  Anlagen  zu  spaltförmigen  sie 
deutlich  trennenden  Räumen  zusammen.  Wenn  also  gerade  die  morphologische 
Entwicklung  die  einzelnen  Embryonalanlagen  fester  zusammenfügt,  so  wird 
ein  Nachlass  ihrer  Wirksamkeit  den  Zusammenhang  der  Zellen  lockern,  sodass 
die  davon  betroffenen  Theile  oder  die  Anlagen  des  Bildungsgewebes  sich  nicht 
weiter  zusammenziehen,  d.  h.  die  ursprünglichen  Zelleninterstitien  hinaus- 
drängen, sondern  im  Gegentheil  bei  den  fortdauernden  Verschiebungen  der 
festen  Embryonaltheile  durch  den  ganzen  von  diesen  übrig  gelassenen  Raum 
sich  gleichmässig  vertheilen.  Diese  Ausbreitung  der  sich  formal  auflösenden 
Anlagen  des  interstitiellen  Bildungsgewebes  wird  aber  erst  dann  evident,  wenn 
jener  ganze  Raum,  oder  was  auf  dasselbe  hinauskommt,  die  mit  Flüssigkeit  ge- 
füllten Interstitien  sich  vergrössert  haben.  Dies  erfolgt  aber  im  Zusammen- 
hange mit  der  schon  früher  beschriebenen  Umbildung  des  Darmraums  (vgl. 
Abschnitt  IV,  3,  Taf.  II,  IV —  VII).  Derselbe  nahm  während  der  Entwicke- 
lung  der  Keimblätter  und  ihrer  ersten  Sonderlingen  beständig  zu;  sobald  aber 
seine  anfangs  breite  Decke  oder  der  Rückentheil  während  der  Ausbildung  des 
Centralnervensystems  und  der  Segmente  sich  zusammenzuziehen  begann, 
wurde  er  einer  andauernden  Einschränkung  unterworfen.  Dabei  wird  gerade  so 
wie  bei  dem  Schwunde  der  Keimhöhle  der  Raum,  welcher  in  der  Darmhöhle 
verloren  geht,  den  Interstitien  zwischen  den  übrigen  Anlagen  zugelegt,  und 
natürlich  das  entsprechende  Mass  von  Flüssigkeit  in  dieselben  übergeführt. 
Die  Wirkungen  dieses  Vorgangs  äussern  sich  zunächst  eben  in  der  Entwicke- 
lung  und  Ausbreitung  des  interstitiellen  Bildungsgewebes  durch  die  ansehn- 
liche Zunahme  seiner  Zwischenräume.  Die  wichtigeren  Enderfolge  sind  aber 
jedenfalls  in  der  Einwirkung  der  sich  ansammelnden  Interstitialfiüssigkeit  des 
Bildungsgewebes  auf  die  innere  Umbildung  aller  von  ihr  umspülten  Zellen- 
massen  oder  deren  Histiogenese  zu  suchen.  Unter  diesem  Gesichtspunkte  er- 
scheint die  Anwesenheit  jener  ursprünglichen  Flüssigkeit  überhaupt  als  eine 
Grundbedingung  für  die  ganze  Entwicklung  des  Individuums.  Hervorgegangen 


3.    Das  interstitielle  Bildungsgewebe.  495 

aus  den  endosmotischen  Wechselwirkungen,  welche  die  erste  Entwicklung 
des  Eies  einleiten,  unterhält  sie  fortdauernd  die  Auflösung  des  Dotters ,  wo- 
durch zuerst  die  Dottertheihmg  und  deren  Fortsetzung,  die  Vermehrung  der 
Embryonalzellen,  damit  aber  ihre  die  morphologischen  Umbildungen  bedin- 
genden Bewegungen  herbeigeführt  werden;  sobald  aber  die  einzelnen  Zellen- 
gruppen eben  in  Folge  dieser  Umbildungen  verschiedenen  und  mannigfaltigeren 
Bedingungen  der  fortgesetzten  Dotterauflösung  unterworfen  werden,  läuft  die 
letztere  in  ebenso  verschiedene  Wirkungen  innerhalb  der  Zellen  selbst  aus. 
Denn  dass  ihre  letzten  Akte  unter  dem  Einflüsse  der  in  die  Embryonalzellen 
aufgesogenen  Interstitialflüssigkeit  zur  Histiogenese  hinüberführen,  glaube  ich 
schon  in  der  Entwickelungsgeschichte  der  Sinnesorgane  (Netzhaut),  des  Cen- 
tralnerven- und  Skeletsystems,  der  Muskeln  und  Nerven  genügend  erwiesen  zu 
haben;  und  für  die  übrigen  Gewebe  wird  sich  derselbe  Zusammenhang  ergeben. 
Um  aber  die  ganze  Wichtigkeit  jener  Substanz  hier  vorausgreifend  anzudeuten, 
füge  ich  hinzu,  dass  sie  vom  Darmraume  aus  auch  in  die  Dotterzellenmasse 
eindringend  dort  höchst  wahrscheinlich  die  Blutbildung  und  endlich  die  Auf- 
lösung der  übrigen  Masse  zu  einer  wirklichen  Dotternahrung  herbeiführt;  dass 
sie  ferner  als  erste  Blutflüssigkeit  und  überhaupt  den  ganzen  Körper  durch- 
tränkende Ernährungsflüssigkeit  zur  Grundlage  aller  und  jeder  Zwischenzellen- 
flüssigkeit wird ,  welche  daher  nur  in  sehr  bedingter  Weise  als  ein  Produkt 
der  Zellen  und  Gewebe  betrachtet  werden  kann.  Aber  obgleich  Grundbedin- 
gung der  Gesammtentwickelung,  verläuft  ihre  Thätigkeit  dennoch  unter  dem 
massgebenden  Einflüsse  der  morphologischen  Momente,  sodass,  wo  dieser  Ein- 
fluss  nachlässt,  auch  gleich  der  Gegensatz  jener  Thätigkeit  gegen  das  Form- 
gesetz sich  offenbart :  so  werden  einige  morphologische  Anlagen  als  solche  auf- 
gelöst, sobald  in  ihnen  die  Entwicklung  des  interstitiellen  Bildungsgewebes 
beginnt,  zu  deren  Erscheinungen  ich  jetzt  zurückkehre. 

Während  die  Interstitialflüssigkeit  in  den  Anlagen  des  Bildungsgewebes 
die  Embryonalzellen  auseinander  drängt,  büssen  dieselben  nicht  alle  ihre  frü- 
heren Verbindungen  ein,  sondern  bleiben  durch  Substanzbrücken  in  Zusam- 
menhang (Taf.  XI  Flg.  208).  Diese  Brücken,  deren  Zahl  je  nach  der  früheren 
Lage  der  einzelnen  Zellen  ausserordentlich  schwankt,  erscheinen  anfangs,  so- 
lange sie  noch  eine  geringe  Länge  besitzen,  verhältnissmässig  breit  und  be- 
stehen aus  der  vollständigen,  mit  Dotterplättchen  angefüllten  Dottersubstanz. 
In  dem  Masse  jedoch,  als  sie  sich  bei  dem  anhaltenden  Auseinanderrücken  der 
Zellen  verlängern,   werden  sie   auch  schmäler,  endlich  fadenförmig,  und  ver- 


4<iii  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

wandelt  sich  ihre  Substanz  unter  Verlust  der  Dotterplättehen  in  eine  gleich- 
artige protoplasmatische  Masse  {Taf.  XI,  Fig.  209).   Dabei  bietet  das  ganze 
Gewebe  schon  frühzeitig  lokale  äussere  Unterschiede  dar;  so  erscheint  es  in 
engen  Räumen  dichter  als  in  weiten,  daher  in  der  Membrana  reuniens  superior 
lockerer  als  in  der  unmittelbaren  Umgebung  des  Centralnervensystems  und  der 
Wirbelsaite  {Taf.  XI  Fig.  209,  Taf  XII  Fig.  211).    Die  Gestalt  der  Zellen- 
körper wird  dadurch,  dass  die  fadenförmigen  Ausläufer  ihre  Ursprungsstellen 
allmählich  kegelförmig  ausziehen,  zackig,  sternförmig,  woraus  sich  der  Namen 
„Sternzellen"  erklärt;  die  Spindelform  ist  wie  die  sie  bedingende  Anwesenheit 
bloss  zweier  Ausläufer  an  den  embryonalen  Zellen  selten.   Wenn  die  Fortsätze 
sich  bis  zu  einem  gewissen  Grade  verdünnt  haben,  endigen  einzelne  scheinbar 
frei;   dies  kann  auch  thatsächlich  sein,  indem  die  betreffenden  Fortsätze  bei 
einer  gewissen  Anspannung  rissen.   Doch  glaube  ich  gestützt  auf  Beobachtung 
und  Ueberlegung  solche  mögliche  Fälle  von  frei  endigenden  Fortsätzen  in  dem 
noch  nicht  differenzirten  Gewebe  auf  eine  so  geringe  Zahl  beschränken  zu 
müssen,  dass  dieselben  für  die  richtige  Auffassung  der  folgenden  Entwickelungs- 
processe  nicht  in  Betracht  kommen  können.  Einmal  muss  man  die  Möglichkeit 
zugeben ,  dass  bei  der   künstlichen  Erhärtung  der  Objekte,  welche  für  solche 
Untersuchungen  unerlässlich  ist,*  hier  und  da  ein  Verbindungsfaden  reisst, 
obgleich  ich  selbst  solche  Fälle  bei  gelungenen  Präparaten,  an  denen  sich  die 
feinsten  Fasernetze  intakt  erhalten,  für  sehr  selten  halte.    Scheut  man  jedoch 
die  Mühe  nicht,  eine  grössere  Anzahl  von  solchen  Zellenfortsätzen,  welche  im 
mikroskopischen  Bilde  zuerst  frei  zu  enden  scheinen,  mit  der  nöthigen  Geduld 
zu  verfolgen,  so  wird  man  finden,  dass  ein  nicht  unbedeutender  Theil  derselben 
allerdings  mit  anderen  Fortsätzen  zusammenhängt.   Von  den  übrigen  werden 
manche  in  ihrem  Verlaufe  durch  Theile  verdeckt,  welche  über  oder  unter  ihnen 
liegen;    und  anderseits  wird  man  zugeben,   dass   alle  diejenigen  Fortsätze, 
deren   Ursprung  im  mikroskopischen  Bilde  sichtbar  ist,  welche  aber  nicht  in 


*  Frische  Objekte  kann  man  nämlich  erst  von  dem  Zeitpunkte  an  untersuchen,  wann 
die  Theile  durchsichtig  werden ;  dies  tritt  aber  erst  in  den  späteren  Phasen  des  vorliegenden 
Entwickelungsprocesses  ein.  Um  jeden  störenden  Einfluss  hiutanzuhalten.  wäre  es  ferner 
nöthig,  die  zu  untersuchenden  Theile,  unter  denen  der  Larvenschwanz  jederzeit  eine  grosse 
Rolle  gespielt  hat,  ohne  weitere  Vorbereitung,  also  auch  ohne  die  Haut  abzulösen,  unter  das 
.Mikroskop  zu  bringen.  Dass  aber  dadurch  manche  feinere  Einzelheiten  sich  der  Beobach- 
tung entziehen,  wird  Keiner  bezweifeln,  der  den  Durchschnitt  eines  ohne  wahrnehmbare 
Schrumpfung  gehärteten  Objekts  dagegenhält. 


.3.    Das' interstitielle  Bild uugsgewebe.  4(J7 

der  Fläche  derselben,  sondern  in  daraus  hervortretenden  Richtungen  verlaufen, 
als  frei  endigende  imponiren,  während  sie  im  unzerlegten  Körper  sicherlich 
gerade  ebenso  sich  verhalten  wie  die  im  vorhegenden  Bilde  vollständig  zu  über- 
sehenden. Berücksichtigt  man,  dass  dieses  letztgenannte  Verhältniss  den  bei 
weitem  grössten  Theil  aller  in  einem  Durchschnitte  sichtbaren  Fortsätze  be- 
trifft, so  braucht  man  nur  noch  für  einige  anzunehmen,  dass  ihr  Verlauf  theil- 
weise  verdeckt  ist  oder  wegen  ihrer  Zartheit  undeutlich  bleibt,  um  zu  dem  Er- 
gebniss  zu  kommen,  dass,  solange  der  bisher  betrachtete  embryonale  Charakter 
des  interstitiellen  Bildungsgewebes  besteht,  die  Zellen  desselben  durch  ihre 
Fortsätze  nach  allen  Seiten  in  Zusammenhang  stehen,  ein  Netzwerk  bilden, 
welches  gleich  ursprünglich  durch  die  erste  Ansammlung  der  Zwischenzellen- 
fiüssigkeit  angelegt  wurde.  Doch  bleibt  noch  ein  Punkt  zu  erörtern.  Vergleicht 
man  die  ersten  und  die  späteren  Zustände  dieses  Zellennetzes,  so  überzeugt 
man  sich  leicht,  dass  die  Zahl  der  Fortsätze  zugenommen  hat,  und  dass  im  Zu- 
sammenhange mit  ihnen  zarte  Fasernetze  entstanden  sind,  welche  man  früher 
vermisste.  Sollte  man  nun  nicht  annehmen,  dass  die  Zellen  neue  freie  Fort- 
sätze hervorgetrieben  haben,  welche  zum  Theil  unter  sich  und  mit  den  anderen 
verschmolzen?  Ich  halte  diese  Annahme  für  unwahrscheinlich,  weil  der  Nach- 
weis solcher  Erscheinungen  an  den  Embryonalzellen  vollständig  fehlt.  Ander- 
seits ist  jene  Annahme  unnöthig,  weil  eine  andere,  vollkommen  nachweisbare 
Erscheinung  die  vermisste  Erklärung  gibt.  Sobald  das  Netzwerk  des  Bildungs- 
gewebes sich  entwickelt  hat,  finde  ich  in  demselben  keine  einzige  runde, 
fortsatzlose  Zelle  mehr  •,  aber  von  dem  Zeitpunkte  an,  wann  die  Aorta  ent- 
standen ist,  auf  deren  Bildung  ich  gleich  zu  sprechen  komme,  erscheint  eine 
Anzahl  beinahe  kreisrunder  Zellen  in  jenem  Gewebe,  wie  sie  nur  noch  im 
Herzen  und  den  eben  angelegten  Gefässen,  namentlich  der  weiten  Aorta  als 
Blutzellen  vorkommen  (Taf.  XI  Fig.  197,  Taf.  XII  Flg.  211).  Wenn  man  erst 
erkannt  hat,  dass  diese  Gefässe  während  längerer  Zeit  eine  netzförmig  durch- 
brochene Wand  besitzen  und  anfangs  in  die  ZAvischenräume  des  Bildungs- 
gewebes offen  auslaufen,  so  wird  man  über  den  Ursprung  der  in  dem  letzteren 
neu  auftretenden  runden  Zellen  nicht  zweifelhaft  sein :  es  sind  die  durch  den 
Herzstoss  aus  der  Aorta  und  den  übrigen  primitiven  Gefässen  hinausgetriebenen 
embryonalen  Blutzellen  oder  Dotterbildungszellen,  welche  alsdann  von  der 
durch  die  wiederholten  Stösse  und  die  eigene  Ansammlung  beständig  bewegten 
Zwischenzellenflüssigkeit  des  Bildungsgewebes  weiter  geschwemmt  werden. 
Diese  durch  ihre  Gestalt  von  den  ursprünglichen  Zellen  des  Netzwerkes  leicht 

Goette,  Kntwickoluugsgescliichte.  32 


40S  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

unterscheidbaren,  in  ihrer  Zusammensetzung  aber  mit  denselben  durchaus 
übereinstimmenden  Dotterbildungszellen  verbinden  sich  früher  oder  später  mit 
einem  ihnen  anstossenden  Zellenfortsatze  oder  Zellenkörper;  die  anfangs  kurze 
Brücke  wird  allmählich  lang  und  dünn  ausgezogen,  die  daran  befestigte,  in  der 
Flüssigkeit  flottirende  Dotterbildungszelle  findet  neue  Befestigungspunkte,  an 
denen  bei  der  anhaltenden  Ausdehnung  des  ganzen  Gewebes  wieder  neue  Fäden 
ausgezogen  werden,  und  endlich  ist  sie  von  den  übrigen  Zellen  des  Netzwerkes 
nicht  mehr  zu  unterscheiden  und  vollständig  in  dessen  Bestand  eingetreten, 
wodurch  aber  zugleich  die  Zahl  der  Fortsätze  an  den  früheren  Zellen  vermehrt 
ist,  und  durch  Verschmelzung  sich  kreuzender  und  zufällig  berührender  Ver- 
bindungsfäden  bereits  Fasernetze  entstanden  sein  können.  Die  einzelnen  Stufen 
einer  solchen  Umbildung  habe  ich  übrigens  in  jeder  Variirung  häufig  genug 
beobachtet,  um  jenes  Bild  des  ganzen  Vorganges  zusammenstellen  zu  dürfen 
{vgl.  Fig.  211).  Da  nun  die  Einwanderung  der  Dotterbildungszellen  in  das  inter- 
stitielle Bildungsgewebe  längere  Zeit  ununterbrochen  andauert,  so  erklärt  sich 
daraus  ebenfalls  dessen  bedeutende  Massenzunahme,  welche  aber  den  Cha- 
rakter des  Gewebes  zunächst  nicht  verändert,  sondern,  indem  sie  mit  der  An- 
sammlung der  Interstitialflüssigkeit  Hand  in  Hand  geht,  lediglich  die  Ausbil- 
dung des  Zellennetzes  und  seine  Ausbreitung  in  alle  Zwischenräume  der  Em- 
biTonalanlagen  bewirkt.  Die  wenigen  Ausnahmen  von  dem  vollständigen  Zu- 
sammenhange aller  Zellen  au  släufer  unter  einander  kommen  hier  nicht  in 
Betracht ;  dagegen  entstehen  später  allerdings  Neubildungen  im  interstitiellen 
Bildungsgewebe  durch  kompakte  Ansammlungen  der  Dotterbildungszellen, 
welche  an  bestimmt  begrenzten  Stellen  das  Netzwerk  vollständig  ausfüllen  und 
in  sich  aufnehmen.  Diese  Bildungen,  nämlich  die  Anlagen  gewisser  Knorpel- 
theile  und  der  Muskelselmen,  habe  ich  bereits  beschrieben-,  die  eigentliche  Be- 
deutung des  Zellennetzes  wird  dagegen  aus  der  folgenden  Entwickelungs- 
geschichte  der  übrigen  Gewebe,  und  zwar  zuerst  des  Blutgefässsystems, 
erhellen. 

Die  ersten  Blutgefässanlagen  betreffen  die  Wurzeln  und  Stämme  des 
arteriellen  und  venösen  Gefässsystems,  welche  im  Kopftheile  (Aortenbögen, 
Aortenwurzeln,  A.  carotis,  A.  basilaris,  Vv.  jugulares)  oder  doch  unmittelbar  an 
dessen  hinterer  Grenze  (A.  vertebralis,  Ductus  Cuvieri,  Endstücke  der  Vv. 
jugulares,  V.  cardinalis)  entstehen  (Taf.  XIII).  Da  die  topographische  Au 
Ordnung  und  Ausbildung  aller  dieser  Gefässe  erst  später  behandelt  werden  soll, 
so  stelle  ich  hier  nur  die  Hauptarterienstämme  als  Mustor  für  alle  übrigen  hin. 


3.    Das  interstitielle  Bildungsgewebe.  499 

—  Die  Aorta  entspringt  in  der  Schlundwand  mit  den  sogenannten  Aortenbögen, 
welche  zu  den  Aortenwurzeln  und*  durch  diese  zur  eigentlichen  Aorta  zusam- 
menfliessen;   in  dieser  selben  Ordnung  erfolgt  auch  ihre  Entstehung   {Taf. 
XIII—  XVII,   Taf.  XX  Fig.  308).     Im  interstitiellen  Bildungsgewebe  der 
Kiemenbögen  zeigen  sich   im  Anfange    der  zweiten  Larvenperiode  Längliche 
Lücken ,  welche  sich  von  den  übrigen  ganz  unregelmässigen  Lücken  desselben 
Gewebes  bloss  dadurch  auszeichnen,   dass  sie  mit  etwas  weiterer  Lichtung  der 
Axe  jener  Bögen   folgen  {Taf.  XIII  Fig.  234).     Denn  ohne  besondere  Wan- 
dungen  zu  besitzen ;   werden  sie  lediglich  von  dem  lockeren  Bildungsgewebe 
umschlossen,  welches  aber  durch  die  angesammelte  Interstitialflüssigkeit  aus- 
einandergedrängt im  unmittelbaren  Umfange  der   kanalförmigen  Lücken  in 
einer  nahezu  cylindrischen  Fläche  angeordnet  wird ,    indem  die  Zellen  dieser 
zunächst  noch  vollständig  netzförmigen  Grenzschicht  entsprechend  abgeplattet 
werden.  Durch  diese  Abplattung  wird  das,  Netzgefüge  jener  Grenzschicht  oder 
eben  der  primitiven  Gefässwand  engmaschiger  und  dichter  als  in  dem  übrigen 
Bildungsgewebe,  sodass  dieselbe  dadurch  auf  Durchschnittsbildern  in  gewissem 
Grade  von  der  Umgebung  abgesondert  erscheint  {vgl.  Taf.  XI  Fig.  197).  Diese 
Zusammensetzung   der   primitiven  Gefässwand   habe   ich  aber  nicht  an  den 
Aortenbögen,  sondern  erst  an  der  Aorta  selbst  entdeckt,  deren  Untersuchung 
wegen  des  grösseren  Umfangs  leichter  ist  {Taf  XII  Fig.  210).  Natürlich  lässt 
sich  dieses  Ergebniss  nicht  aus  Querdurchschnitten  der  Gefässe  gewinnen,  auf 
denen  die  Wand  aus  fest  aneinandergefügten  Spindelzellen  zu  bestehen  scheint, 
sondern  nur  aus  Flächenansichten,  wie  sie  sich  an  einzelnen  glücklichen  Längs- 
durchschnitten darstellen.     Am  Schnittrande  erkennt  man  alsdann  leicht  die 
starke  Abplattung  der  Zellen.    —   Diese  schlauchförmigen  Gewebslücken  ent- 
stehen ferner  nicht  mit  gleichmässig  verlaufender  Lichtung-,  diese  verengt  sich 
vielmehr  an  einzelnen  Stellen  so  sehr,  dass  die  Entstellung  dieser  Gefässanlagen 
aus  mehreren  erst  nachträglich  zusammenfliessenden  Abschnitten  wahrschein- 
lich wird  {Taf '.  XIII Fig.  234).     Endlich  lässt  sich  an  verschiedenen  Durch- 
schnitten konstatiren,    dass,    indem  die  Aortenbögen  unter  den  äusseren  Seg- 
menten    des  Hinterkopfs  zu    den  Aortenwurzeln  und  diese  zum  Anfange  der 
Aorta  zusammenfliessen,    die  jeweiligen  Enden  dieser  Gefässanlagen  ganz  un- 
merklich in  das  übrige  Bildungsgewebe  auslaufen.     Bis  zum  Zusammentreffen 
der  beiden  Aortenwurzeln,  wenn  die  Artt.  carotis,    basilaris,  vertebralis  gleich- 
falls schon  angelegt  sind,  habe  ich  eine  Verbindung  der  Aortenbögen  mit  dem 
Herzen  vermisst;  und  selbst  gleich  nachdem  diese  Verbindung  zu  Stande  ge- 

32* 


5()()         .  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

kommen,  finde  ich  in  der  Intorstitialflüssigkeit  jener  Gelässanlagen  und  des 
Herzens  selbst  keine  Spur  von  Blutzellen ,  welche  zur  selben  Zeit  erst  in  ganz 
spärlichen  Anlagen  an  der  Oberfläche  der  Dotterzellenmasse  sich  zu  bilden  an- 
fangen (Taf.  XIII,  XIV).     Dasselbe  gilt  von  den  Venenstämmen,   welche  mit 
Ausnahme  der  Dottervenen  noch  später  als  die  Arterienstämme   sich  mit  dem 
Herzen  verbinden.     Ich  sehe  aber  auch  gar  keine  Möglichkeit,   wie  die  freien 
runden  Blutzellen  in  den  Gef  ässanlagen  selbst,  also  aus  den  platten,  netzförmig 
verbundenen  Zellen  ihrer  Wandung  entstehen  sollten,  und  kann  alle  meine  Be- 
obachtungen gar   nicht   anders  deuten,    als  dass  die  Blutzellen  bloss  in  der 
Dotterzellenmasse  entstehen,  von  dort  durch  die  Dotternerven  erst  in  das  Herz 
und  von  diesem  Sammelraumeaus  in  alle  übrigen  Gefässe  gelangen  (vgl.  w.u.  und 
Abschnitt  X,  XI).  Die  bezeichneten  primitiven  Gefässe  entwickeln  sich  also  nicht 
nur  unabhängig  vom  Herzen,  sondern  auch  ohne  jede  Beziehung  zum  wirklichen 
Blute  als  schlauchförmige  Erweiterungen  von  Interstitien  des  Bildungsgewebes, 
deren  Inhalt,  ein  Theil  der  allgemeinen  Interstitialfiüssigkeit,  vor  der  Einfüh- 
rung von  Blutzellen  vom  Herzen  her  nur  ein  embryonales  Blutserum  vorstellt. 
Diese  schlauchförmigen  Erweiterungen  können  aber  nicht  durch  ein  aktives 
Auseinanderweichen  des  Zellennetzes  entstanden  gedacht  werden ;  denn  abge- 
sehen von  der  schon  mehrfach  erörterten  unvollkommenen  Lebensthätigkeit  der 
Embryonalzellen  ist  jenes  Auseinanderweichen  mit  einer  entsprechenden  Ab- 
plattung der  betheiligten  Zellen  verbunden,   welche  bei  dem  deutlichen  An- 
schwellen  der  Lichtung  nur  aus  dem  Drucke  der  eingeschlossenen  und  in  Zu- 
nahme begriffenen  Interstitialfiüssigkeit  sich   erklären  lässt.     Ferner  deutet 
aber  noch  ein  Umstand  auf  lediglich  ausserhalb    des   Bildimgsgewebes   ge- 
legene Ursachen  dieser  ganzen  Gefässbildung,  nämlich  die  Gesetzmässigkeit 
in  dem  Verlaufe  und  den  Verbindungen  der  genannten  Gefässanlagen.    Da  der 
allgemeine  Formbestand  und  damit  das  Formgesetz  des  interstitiellen  Bildungs- 
gewebes im  ganzen  verloren  gehen,  so  können  seine  gesetzmässigen,  morpholo- 
gischen Bildungen  nur  aus  dem  Einflüsse  der  sie  umgebenden  Theile  erklärt 
und  daher  bloss  als  sekundär- morphologische  im  bekannten  Sinne  aufgefasst 
werden.  An  den  Aortenbögen,  welche  in  der  Axe  der  in  den  einzelnen  Kiemen- 
bögen  eingeschlossenen  Stränge  von  Bildungsgewebe  (Seitenplatte)  verlaufen, 
springt   dies  sofort  in  die  Augen,   und  ihr  Zusammenfliessen  zu  den  Aorten- 
wurzeln ist  ebenfalls  durch  die  bereits  in  der  Anlage  gegebene  Biegung  ihrer 
oberen  Enden   nach  innen  und  hinten  vorgezeichnet.     Wenn  also  jene  vom 
Herzen  und  vom  Blute  unabhängigen   Gefässanlagen    bloss  durch   ihre   Kon- 


3.    Das  interstitielle  Bildungsgewebe.  501 

tinuität  und  ihren  gesetzinässigen  Verlauf  ausgezeichnete  Lücken  des  inter- 
stitiellen Bildungsgewebes  sind,  deren  zunehmende  Erweiterung  erst  die  Anlage 
der  Gefässwand  hervorruft,  so  lassen  sich  ihre  Bildungsursachen  so  bezeichnen, 
dnss  die  von  verschiedenen  Seiteu  her  aus  dem  Dannraum  in  das  interstitielle 
Bildungsgewebe  übertretende  Flüssigkeit  in  gewissen  massig  weiten  Zwischen- 
räumen der  geformten  Embryonalanlagen  günstige  Bedingungen  zur  Ansamm- 
lung, zugleich  aber  bestimmte  Schranken  und  Verlaufsbahnen  dieser  Ansamm- 
lung durch  jene  Anlagen  vorgezeichnet  findet.  Dann  erklärt  es  sich  auch, 
warum  solche  Gefässanlagen  nicht  mitten  in  den  weiten  und  rasch  wachsenden 
Regionen  des  interstitiellen  Bildungsgewebes,  wie  z.  B.  den  Membranaereunientes, 
sich  entwickeln,  wo  die  sich  ansammelnde  Flüssigkeit  gleichmässig  nach  allen 
Seiten  sich  ausbreiten  kann;  und  warum  sie  anderseits  zuerst  im  Kopfe  auf- 
treten, dessen  zur  Gefässbildung  geeignete  Zwischenräume  früher  gebildet  sind 
als  im  Rumpfe,  wo  zur  selben  Zeit  der  Retroperitonealraum,  welchen  die  Aorta 
später  durchzieht,  eigentlich  noch  nicht  vorhanden  ist.  —  Diese  Ergebnisse  der 
Bildungsgeschichte  der  ersten  Gefässe  dürfen,  soweit  es  sich  bloss  um  den  Auf- 
bau der  primitiven  Gefässe  und  nicht  um  die  Gesetze  des  Kreislaufs  handelt 
(vgl.  Abschnitt  X) ,  auch  auf  die  Fortsetzungen  jener  ersten  Gefässe  ausgedehnt 
werden,  welche  nach  der  Verbindung  der  Aortenbögen  mit  dem  Herzen,  also 
nach  dein  Eintritt  des  Blutes  in  die  für  dasselbe  vorbereiteten  Bahnen  sich  ent- 
wickeln. Zunächst  erscheint  diese  Verbindung  gar  nicht  als  ein  besonderer, 
von  den  bisher  betrachteten  Vorgängen  wesentlich  unterschiedener  Akt.  Das 
Herz  kann  nämlich  nach  seiner  Entwicklung  insofern  mit  einem  Gefässe  ver- 
glichen werden,  als  es  ebenfalls  einen  erweiterten,  mit  der  allgemeinen  Inter- 
stitialflüssigkeit  angefüllten  Zwischenraum,  allerdings  nicht  im  Bildungsgewebe, 
sundern  unmittelbar  zwischen  morphologischen  Embryonalanlagen  darstellt 
{Tdf.  VII  Fig.  133,  Taf.  XIII  Fig.  225.  226.  234).  Ferner  liegt  diese  Herz- 
lücke an  der  Bauchseite  der  Schlundhöhle  und  ist  von  den  unteren  Enden  der 
Aortenbögen  nur  durch  eine  spaltförmige  Verengerung  der  Interstitien  getrennt, 
sodass  eine  zunehmende  Erweiterung  der  letzteren  die  beiderlei  Bluträume  in  der- 
selben Weise  verbindet,  wie  die  anfangs  mehr  oder  weniger  getrennten  Abschnitte 
der  Aortenbögen  und  -wurzeln  zusammenfliessen.  Jene  Verbindung  erfolgt  nun 
zu  der  Zeit,  wann  die  Aortenwurzeln  ihrer  medianen  Vereinigung  an  der  hin- 
teren Kopfgrenze  sehr  nahe  gekommen  sind  oder  dieselbe  eben  ausgeführt 
haben,  sodass  die  sie  fortsetzende  und  in  dem  Masse  als  der  Iletroperitoncalraum 
entsteht,  nach  hinten  fortschreitende  Aortabildung  bereits  während  der  offenen 


502  VIII.    Die  Segmente  des  Rampfes. 

Verbindung  mit  dem  Herzschlauche  vor  sich  £eht  (Taf.  XIII,  XI}').  Es  wäre 
aber  voreilig  daraus  zu  schliessen,   dass  von  dein  Zeitpunkte  jener  Verbindung 
an  die  nächsten  Fortsetzungen  der  schon  angelegten  Gefässe  bloss  durch  den 
drängenden  und  sie  im  Bildungsgewebe  gleichsam  ausgrabenden  Blutstrom  er- 
zeugt würden.     Bei  dem  durchgängig  netzförmigen  Gefüge  der  primitiven  Ge- 
fässwände  dringt  das  durch  den  Herzstoss  vorgetriebene  Blut  an  allen  Stellen 
der  von  ihm  erfüllten  Gefässe  in  die  benachbarten  Theile  ein ,  und  daher  nach 
bekannten  Gesetzen  an  den  jeweiligen  Gefässenden,  also  dort,  wo  die  Gefäss- 
bildung  eben  fortschreitet,   gerade  mit  der  geringsten  Kraft.     Aber  auch  der 
Einwand,  dass  es  dabei  auf  die  Stärke  des  andrängenden  Blutstromes  nicht  an- 
komme, sondern  darauf,  welchen  Widerstand  er  ausserhalb  des  Gefässes  finde, 
und  dass  folglich  die  Gefässbildung  in  der  Richtung  des  relativ  geringsten  der- 
artigen Widerstandes  erfolge,  ist  nicht  stichhaltig.     Allerdings  findet  das  all- 
seitig austretende  Blut  in  den  umgebenden  Theilen  einen  Widerstand ;  welcher 
zudem,  wie  ich  annehmen  muss,  sehr  gross  ist,  da  ein  allgemeiner  Umlauf  der 
Interstitialfiüssigkeit  noch  nicht  besteht,  und  sie  daher  im  Bildungsgewebe  nur 
in  dein  Masse  Blut  aufnehmen  kann,  als  der  ganze  Raum  in  Folge  der  morpho- 
logischen Umbildungen  wächst.  Dies  geschieht  aber  ganz  allmählich,  und  desshalb 
verlässt  auch  das  Blut  die  durchbrochenen  Gefässe  nur  ganz  unmerklich.  Jener 
Widerstand  ist  auch  unzweifelhaft  verschieden ,    geringer  in  der  reichlichen  In- 
terstitialfiüssigkeit des  Bildungsgewebes   als  in   den  kompakten  Embryonal- 
anlagen, sodass  die  sich  neubildenden  primitiven  Gefässe  ganz  natürlich  nur 
in  dem  ersteren   erscheinen.     Trotzdem  bliebe  die  Erklärung,  dass  die  fort- 
schreitende Gefässbildung  der  Richtung  folge,  in  welcher  der  vordringende 
Blutstrom  dem  geringsten  Widerstände  ausserhalb  der  Gefässe  begegne,  man- 
gelhaft.    Denn  die  Beobachtung  lehrt,  dass  die  in  Rede  stehenden  Gefässe  in 
die  weitesten  Regionen  des  interstitiellen  Bildungsgewebes ,  in  welche  sich  das 
Blut  am  reichlichsten  ergiesst,  sich  gerade  nicht  fortsetzen,  sondern  ebenso  wie 
vor  der  Verbindung  der  Aortenbögen  mit  dem  Herzen  den  kompakten  Em- 
bryonalanlagen folgen,    wo  dieselben  dem  Bildungsgewebe. massig  weite,    be- 
stimmt begrenzte  Bahnen  vorzeichnen.     So  sehen  wir  z.  B. ,   dass  am   oberen 
Ende  des  ersten  Aortenbogens,  wo  der  Blutstrom  doch  die  grösste  Kraft  besitzt, 
weder  unmittelbar  noch  durch  die  Wurzel  der  A.  carotis,  welche  zwischen  dem 
1.  äusseren  Segmente  und  dem  Darmblatte  entstand,  Gefässstämme  in  den  nach 
innen  anstossenden  weiten  Raum  des  Bildungsgewebes  (2.  inneres  Segment)  ab- 
zweigen, obwohl  der  starke  Blutaustritt  gerade  an  dieser  Stelle  aus  den  über- 


Ü.    Das  interstitielle  Bildungsgewebe.  50o 

wiegend  vielen  freien  Dotterbildungszellen  direkt  bewiesen  werden  kann  {Taf. 
XIV  Fig.  258.  .259,  Taf.  XV  Fig.  271. 272).  Dasselbe  wiederholt  sich  etwas 
spater  an  der  Membrana  reuniens  superior  {Taf.  X  V  Fig.  279  —281).  Indem 
wir  aber  durch  diese  Beobachtungen  an  die  allererste,  unter  Ausschluss  eines 
Blutstromes  erfolgende  Gefässbildung  erinnert  werden ,  finden  wir  in  der  An- 
nahme derselben  Bildungsursachen  auch  für  die  spätere  Fortsetzung  jener 
Bildung  die  gewünschte  Erklärung.  Das  Vordringen  des  Blutstroms  und  die 
Gefässbildung  fallen  eben  nicht  ohne  weiteres  zusammen.  Wo  das  Blut  in 
weite  Räume  des  lockeren  Bildungsgewebes  austritt,  verbreitet  es  sich  ähnlich 
der  sich  ansammelnden  Interstitialflüssigkeit  bei  der  Bildung  jenes  Gewebes 
gleichmässig  nach  allen  Seiten  und  wird  dabei  gleichsam  in  ein  formloses  Zwi- 
schengewebe aufgelöst,  dessen  flüssige  Grundmasse  die  allgemeine  Ernährungs- 
flüssigkeit fortdauernd  ergänzt  und  vermehrt,  und  dessen  zellige  Bestandteile 
als  allgemeines  plastisches  Bildungsmaterial  sich  zunächst  dem  Bildungsgewebe 
selbst,  dann  aber  allen  übrigen  Geweben  und  Organen  anpasst.  Nur  dort  da- 
gegen ,  wo  der  Blutstrom  in  die  beschränkteren  Bahnen  des  Bildungsgewebes 
einlenkt,  wird  er  durch  die  benachbarten  festeren  Theile  so  zusammengehalten, 
dass  seine  Bewegung  gleich  der  Ansammlung  der  Interstitialflüssigkeit  bei  den 
ersten  selbstständigen  Gefässanlagen  nur  in  bestimmter  Richtung  wirken,  also 
das  entgegenstehende  Netzwerk  des  Bildungsgewebes  allmählich  zu  röhrenförmi- 
gen Bahnen  auseinanderdrängen  kann.  Die  aus  dem  Darmraume  in  die  Em- 
bryonalänlagen  übertretende  Interstitialflüssigkeit  und  das  durch  denHerzstoss 
vorgetriebene  Blut,  welches  ja  im  Grunde  dieselbe,  nur  mit  Blutzellen  vermengte 
Flüssigkeit  ist,  rufen  also  die  Bildung  der  primitiven  Gefässe  mit  den  gleichen 
Mitteln  und  unter  gleichen  Bedingungen  hervor ;  und  da  für  die  mechanische 
Auffassung  dieses  Vorgangs  jener  Unterschied  der  Kraftträger  nach  Zusammen- 
setzung und  Ursprung  gleichgiltig  ist,  so  darf  der  übereinstimmende  Kausal- 
zusammenhang als  das  einzige  wesentliche  Moment  betrachtet  werden.  Aus 
einer  solchen  Entwickelungsgeschichte  der  primitiven  Gefässe  ergibt  sich ,  dass 
unter  ihren  Bildungsursachen  nicht  der  bewegenden  Kraft,  sondern  den  in  der 
morphologischen  Entwickelung  gegebenen  Formbedingungen  die  erste  Stelle 
eingeräumt  werden  muss ;  denn  jene  wirkt  gleicherweise  auch  in  der  formlosen 
Ausbreitung  des  Bildungsgewebes  und  des  austretenden  Blutes ,  wird  aber  erst 
durch  jene  besonderen  Bedingungen  zur  gesetzmässigen  Leistung  der  Gef  äss- 
bildung  gezwungen.  —  Eine  andere  und  höhere  Bedeutung  gewinnt  die  Bildungs- 
thätigkeit  des  Blutstromes,  sobald  wir  nicht  nur  den  Aufbau  der  primitiven 


5i)4:  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

Gefässe,  sondern  ihren  Zusammenhang,  dio  kontinnirliclio  Leitung  dos  kreisen- 
den Blutes  ins  Auge  fassen.     Morphologisch  bleiben  jene  Gefässe  gesetzmässig 
ausgebildete  und  angeordnete  Lücken  des  interstitiellen  Bildungsgewebes;  da- 
durch alier,   dass  ihre  ersten  in  unmittelbarer  Nähe  des  Herzens  befindlichen 
Anlagen  sich  sein*  frühzeitig  mit  demselben  verbinden,  wird  die  aktive  Bildungs- 
ursache in  die  schon  bestehenden  Gefässe  verlegt  und  wirkt  von  dort  aus  succes- 
siv  in  bestimmten  Richtungen   fortschreitend ,  sodass  einerseits  das  arterielle, 
anderseits   das   venöse   Gefässsystem,    deren  Trennung  erst    später  erörtert 
worden  soll  (vgl.  Abschnitt  X),  von  den  Wurzeln  aus  in  zusammenhängenden 
Verzweigungen  ans  wachsen.     Es  fragt  sich  nur,  wie  weit  eine  solche  Entwicke- 
lung   fortgeht.     Aus  der  bisherigen  Darstellung  erhellt,    dass  die  primitiven 
Gefässe  als  sekundär-morphologische  Theilenur  unter  bestimmten  Bedingungen 
entstehen,  welche  durchaus  nicht  an  allen  Stellen  des  ganzen  Körpers  gegeben 
sind;   im  folgenden  werde  ich  eine  zweite  Art  von  Gefässbildung  beschreiben, 
welche  die  von  der  ersteren  zurückgelassenen  Lücken  ausfüllt,  daher  unter  ganz 
veränderten  Bedingungen  die  nicht  bestimmt  vorgeschriebenen  Blutbahnen  her- 
stellt.  Wenn  es  nun  auch  unmöglich  ist ,  die  einzelnen  Grenzen  beider  Gebiete 
durch  direkte  embryologische  Beobachtungen  zu  bestimmen,  so  glaube  ich  doch 
mit  Rücksicht  auf  jene  doppelte  Bildungsweise  ohne  wesentliche  Fehler  zur 
ersten  Gruppe  der  primären  oder   Hauptgefässe  alle  im    allgemeinen 
regelmässig  verlaufenden  Arterien  und  Venen,  zu  den  sekundären  Gefässen 
dagegen  die  unbeständigen  und  unregelmässigen  Fortsetzungen  der  ersteren 
mit  Einschluss  aller  Haargefässe  zählen  zu  dürfen.  Von  dieser  Eintheilung  kann 
man  die  Dottergefässe  ausschliessen,  insofern  ihre  Entstehung  mit  der  Blutbil- 
dung zusammenhängt;  und  auch  die  Gefässe  der  Leber  und  der  Urnieren  ent- 
stehen aus  einer  gewissen  Modifikation  des  ersten  Typus  (vgl.  Abschnitt  X,  XI).  - 
Bevor  ich  jedoch  zur  sekundären  Gefässbildung  übergehe,   will  ich  noch  über 
den  Bau  der  Wand  der  Hauptgefässe  einige  Worte  hinzufügen.     Als  der  die 
primitiven   Gefässräume    unmittelbar    begrenzende   Theil    des   interstitiellen 
Bildungsgewebes  ist  die  ursprüngliche  Gefässwand  ein  von   innen  her  abge- 
plattetes und  geebnetes  Zellennetz,  welches  aber  nach  aussen  seine  Verbindun- 
dungen  mit  dem  übrigen  Bildungsgewebe  behält  und  dadurch  gerade  die  un- 
unterbrochene Fortsetzung  der  Gefässbildung  ermöglicht.    Ich  bemerkte  eben- 
falls, dass  offenbar  in  Folge  der  Abplattung  und  Verbreiterung  der  nicht  ent- 
sprechend auseinanderrückenden  Zellen  ihre  Verbindungsbrücken  kürzer  und 
breiter,   die  von  ihnen  umschlossenen  Maschen  enger  würden  (Fig.  210).     Die 


."!.    Das  interstitielle  Bildimgsgewcbe.  505 

Umbildung  dieses  Netzwerks  zu  einer  zusammenhängenden  Haut  habe  ich  im 
einzelnen  nicht  verfolgen  können.  Wenn  man  aber  die  nachweisbar  noch  fort- 
dauernde Verdünnung  der  primitiven  Gefässwand  und  den  ganz  ähnlichen 
Entwickelungsgang  der  äusseren  Chordascii eide  berücksichtigt,  so  darf  man 
annehmen,  dass  die  spätere  Haut  als  eine  Fortsetzung  des  anfangs  beobachteten 
Vorgangs  entsteht,  indem  mit  der  Abplattung  der  Zellen  die  Verengerung  ihrer 
Zwischenräume  Schritt  hält  und  zuletzt  eine  vollständige  Verschmelzung  der 
orsteren  zu  einer  nicht  mehr  zelligen  Membran  herbeiführt  {vgl.  Taf.  XII 
Fig.  212 a).  Eine  solche  Membran,  welche  ähnlich  der  noch  nicht  differen- 
zirten  äusseren  Chordascheide'  aus  einer  kontinuirlichen  homogenen  Grund- 
substanz  mit  den  eingestreuten  Kernen  besteht,  halte  ich  für  die  Anlage  der 
epithelialen  Innenhaut  der  Arterien  und  Venen,  weil  sie  nach  der  Entwicklung 
der  sich  anschliessenden  Haargefässe  unmittelbar  in  deren  Wand  übergeht. 
Alsdann  würden  die  Epithelzellen  nachträglich  um  die  freien  Kerne  entstehen, 
alle  übrigen  Theile  der  Gefässwand  aber  aus  dem  interstitiellen  Bildungsgewebc, 
der  Anlage  der  meisten  Bindesubstanzen,  von  aussen  angelagert  werden,  wobei 
natürlich  zunächst  an  die  freien  Dotterbildungszellen  und  deren  spätere  Ana- 
loga gedacht  werden  muss. 

Ich  habe  es  oben  zu  erklären  versucht,  warum  die  Hauptgefässe  nur  in 
bestimmten  Linien  sich  entwickeln ,  und  alle  übrigen  Räume  daher  auf  eine 
andere  Weise  mit  Gefässen  versehen  werden  müssen.  Solche  Räume  sind  über- 
all dort  zu  finden,  wo  das  Bildungsgewebe  nicht  in  regelmässige  Grenzen  von 
bestimmter  Ausdehnung  eingeschlossen  ist,  also  zunächst  in  den  Membranae 
reunientes  und  an  fortlaufenden  Flächen  (Oberfläche  des  Centralnervensystems. 
der  Bauchmuskeln),  später  gerade  in  den  engsten  Spalten  innerhalb  der  Organe, 
sobald  das  Bildungsgewebe  so  weit  vorgedrungen  ist,  oder  in  der  nächsten  Um- 
gebung der  schon  bestehenden  Hauptgefässe.  Da  allen  diesen  Räumen  be- 
stimmt angeordnete  Widerstände  gegen  die  sich  ansammelnde  Interstitiab 
llüssigkeit  gerade  fehlen,  so  können  die  sekundären  Gefässe  auch  nicht  aus  den 
Interstitiell,  d.h.alslntercellularräume  entstehen;  und  die  bisherige  Darstellung 
lenkt  daher  die  Aufmerksamkeit  ganz  naturgemäss  auf  das  Zollennetz  des 
Bildungsgewebes  selbst.  —  Etwa  in  der  Mitte  der  zweiten  Larvenperiode  be- 
ginnt an  einzelnen  Stellen  desselben,  welche  aber  mit  den  schon  bestehenden 
Gefässen  gewöhnlich  in  keinem  unmittelbaren  Zusammenhange  stehen,  eine 
Umbildung  der  Zellensubstanz,  welche  an  die  Vakuolenbildung  in  den  ursprüng- 
lichen Chordazellen   erinnert   und  im  wesentlichen  in  einer  verstärkten  Auf- 


5)  )i ;  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

saugung  der  Interstitialflüssigkeit  in  das  Innere  der  Zellen  beruht  (Tu f.  XII 
Fiy.  211.  212).  In  den  eigentlichen  Zellenkörpern  wird  erst  die  feste  Dotter- 
substanz aufgelöst  und  dann  verflüssigt,  was  man  an  der  Lichtbrechung  der 
an  ihre  Stelle  tretenden  Substanz  erkennt.  In  den  dünnen  Verbindungsfäden 
und  ihren  konischen  Ursprungsstellen,  wo  die  Dotterplättchen  bereits  fehlen, 
scheint  aus  diesem  Grunde  die  Aufsaugung  der  Flüssigkeit  beschleunigt  zu  sein ; 
denn  diese  Theile  schwellen  rasch  bis  zu  einem  ansehnlichen  Durchmesser  an 
und  sind  schon  mit  klarer  Flüssigkeit  gefüllt,  während  die  Dottersubstanz  der 
Zellenkörper  noch  in  der  Auflösung  begriffen  ist.  Zugleich  bemerke  ich  aber 
in  dieser  Flüssigkeit  zerstreute  Dotterplättchen,  welche  unmittelbar  vorher  in 
den  Verbindungsfäden  fehlten  und  daher  nur  aus  den  anstossenden  Zellen- 
körpern hineingeschwemmt  sein  können;  woraus  zu  schliessen  ist,  dass  die 
Flüssigkeit  jener  röhrenförmigen  Verbindungsstücke  die  feste  Substanz  der  an- 
stossenden Zellenkörper  unterwühlt  und  deren  Zerfall  beschleunigt.  Und  wenn 
man  ferner  berücksichtigt,  wie  die  letzteren  sich  in  ihrer  Gestalt  den  sie  ver- 
bindenden kurzen  Röhrchen  anpassen,  so  wird  man  den  Einfluss  solcher  im 
wesentlichen  bereits  fertigen  Abschnitte  den  Gefässanlagen  auf  die  ihnen  an- 
geschlossenen, noch  in  der  Umbildung  begriffenen  nicht  verkennen  (vgl.  Fig. 
211).  Es  ist  klar,  dass  die  Entwicklung  dieser  mit  Flüssigkeit  gefüllten 
Röhren  die  gleichzeitige  Bildung  einer  sie  umschliossenden  Membran  voraus- 
setzt, da  die  Embryonalzellen  eine  solche  nicht  besitzen.  Eine  derartige  Ver- 
dichtung der  peripherischen  Schichten  scheint  überhaupt  eine  nothwendige 
Begleiterscheinung  oder  Folge  der  Verflüssigung  eines  Zelleninnern  zu  sein,  und 
wenn  ich  dabei  wiederum  an  die  sich  umbildenden  Chordazellen  erinnere,  so 
lässt  sich  gleich  noch  eine  Aehnlichkeit  der  sekundären  Gefässanlagen  mit  den- 
selben hervorheben.  In  beiden  Fällen  werden  die  Kerne  in  die  Auflösung  der 
übrigen  Zellensubstanz  nicht  einbezogen,  sondern  an  die  Peripherie  gedrängt, 
abgeplattet  und  in  die  sich  gerade  bildende  Membran  aufgenommen.  An  den 
Gefässanlagen  ist  übrigens  die  Vermehrung  ihrer  Kerne  durch  Theilung  leicht 
nachweisbar,  indem  man  oft  in  einem  Zellenkörper  zwei  und  mehr  Kerne  dicht 
zusammengedrängt,  und  anderseits  einen  Theil  derselben  bis  in  die  ursprüng- 
lichen Fortsätze  vorgerückt  findet.  Es  spricht  sich  darin  sehr  deutlich  die  Auf- 
lösung des  Bestandes  der  einzelnen  Zellen  aus,  indem  nicht  nur  ihre  mit  einan- 
der verschmolzenen  Leiber  in  kontinuirliche  Röhren  verwandelt  werden,  sondern 
ihre  in  die  Röhrenwand  verdrängten  Kerne  sich  in  derselben  ohne  Rücksicht 
auf  die  ehemaligen  Grenzen  der  zugehörigen  Zellen  verbreiten:  die  Eiuzeltheile 


3.    Das  interstitielle  Bildungsgewebe.  507 

der  letzteren  weiden  eben  aus  der  individuellen  Anordnung  in  eine  Massenord- 
nung übergeführt.  —    Alle  diese  Umbildungen  des  Zellennetzes  des  Bildungs- 
gewebes fassen  sich  an  geeigneten  Stellen,  z.  B.  an  der  Oberhaut  des  Central  - 
nervensystems  (Pia  mater),  nebeneinander  und  in  kontinuirlichem  Uebergango 
beobachten.     Die  betreffende  Abbildung  Fig.  212  zeigt  uns  ferner  diejenige 
seltenere  Form  der  sekundären  Gefässbildung,  wo  das  gesammte  Zellennetz  des 
va\  Grunde  liegenden  Bildungsgewebes  in  der  angegebenen  Weise  kanalisirt  wird 
{vgl.  Taf.  XI  Flg.  209).  Die  natürliche  Folge  davon  ist,  dass  die  neugebildete n 
Gefässe  gleichfalls  ein  Netzwerk  darstellen,  welches  in  Folge  der  Anschwellung 
der  ursprünglichen  Zellenfortsätze  ziemlich  engmaschig  ist  und  sich  frühzeitig 
mit  dem  nächsten  Hauptgefässe,   im  angezogenen  Falle  der  A.  basilaris,  ver- 
bindet.    Denn  es  erhellt,  dass,  wenn  alle  Zellenfortsätze  einer  bestimmten  Re- 
gion des  Bildungsgevvebes  zur  Gefassbildung  herangezogen  werden,  dies  auch 
diejenigen  trifft,  welche  mit  den  Wandzellen  der  benachbarten  Hauptgefässe 
zusammenhängen.     Bei   der  Eröffnung  des  sekundären  Gefässnetzes   in    das 
Hauptgefäss  fliessen  aber  zuerst  nur  die  beiderlei  Fluida  zusammen,    weil  die 
Lichtung  der  sekundären  Gefässröhren  anfangs  noch  zu  eng  ist,  um  den  Ein- 
tritt der  Blutzellen  zu  gestatten  (Fig.  212).  Da  jedoch  die  beiderseitigen  Flüs- 
sigkeiten gleicherweise  aus  der  Interstitialfiüssigkeit  abstammen,   so  verhalten 
sich  die  sekundären  Gefässe  zum  eindringenden  Blutstrom  ebenso  wie  die  aller- 
ersten Gefässe :   der  in  beiderlei  isolirten  Anlagen  befindliche  flüssige  Inhalt 
ist  mit  vollem  Recht  auch  vor  der  Beimischung  von  Blutzellen  ein  embryonales 
Blutserum  zu  nennen,  sodass  der  Blutstrom  ebenso  wenig  einen  völlig  neuen 
Inhalt  in  die  vorgebildeten  Bahnen  einführt,   als  er  dieselben  erst  ausgräbt. 
Denn  wenn  auch  die  vom  Hauptgefäss  entspringenden  Zellenfortsätze  in  man- 
chen Fällen  früher  ausgehöhlt  werden  als  die  davon  entfernteren ,   so  scheint 
mir  doch ,  nachdem  ich  die  unzweifelhaft  isolirten  Gefassanlagen  beobachtet 
habe,  die  Annahme  natürlicher,  dass  der  Blutstrom  die  auf  endosmotischem 
Wege  bereits  kanalisirten  Fortsätze  bloss  erweitere,  als  dass  sein  Stoss  gerade 
diejenigen  Stellen  der  von  ihm  bespülten  Gef ässwand ,  welche  Fortsätzen  zum 
Ursprung  dienen,  durchbohre  und  darauf  die  letzteren  aushöhle.  — Diese  Be- 
merkungen über  die  Verbindung  mit  den  Hauptgef  ässen  beziehen  sich  auf  alle 
sekundären  Gefässe;  nicht  alle  entstehen  jedoch  wie  die  erwähnten  unter  Be- 
nutzung des  gesammten  zur  Stelle  befindlichen  Bildimgsgewebes.     Gerade  in 
den  weiteren  Regionen  desselben ,  z.  B.  in  der  Membrana  reuniens  superior  des 
Rückens,  wo  die  vollständig  isolirten  Gefassanlagen  so  überaus  deutlich  zu 


508  VIII.    Die  Segmente_des  Rumpfes. 

sehen  sind,  umfassen  sie  nur  gewisse  verzweigte  Linien  in  dem  ganzen  Zellen- 
netze, bei  deren  unregelniässiger  Gestalt  es  ganz  unmöglich  ist,  die  lokalen 
Ursachen  der  getroffenen  Auswahl  zu  entdecken  (Fig.  Ml).  Im  einzelnen  geht 
dort  die  Entwickeluug  durchaus  in  der  beschriebenen  Weise  vor  sich ,  und  es 
bliebe  nur  die  Erscheinung  zu  erörtern,  dass  solche  Gefässanlagen  trotz  ihrer 
unregelmässigen  Form  und  Ausdehnung  endlich  doch  zu  einem  geschlossenen 
Röhrensystem  und  mit  den  Hauptgefässen  zusammenfliessen.  Ohne  die  mehr- 
fach betonte  allseitige  Kontinuität  des  interstitiellen  Bildimgsgewebes  wäre  ein 
solcher  Fortgang  der  Entwickeluug  nicht  recht  verständlich,  wenn  man  nicht  zu 
unbegründeten  Hypothesen  seine  Zuflucht  nehmen  will;  durch  die  Erkenntniss 
jener  besonderen  Erscheinungsform  des  Bildungsgewebes  ist  zunächst  die  Mög- 
lichkeit sichergestellt,  dass  die  sekundären  Gefassanlagen  nach  allen  Seiten 
Fortsetzungen  erhalten  und  folglich  Verbindungen  sei  es  unter  sich,  sei  es  mit 
Hauptgefässen  eingehen.  In  der  Ausführung  dessen  vermag  ich  aber  ein  be- 
stimmtes allgemeines  Formgesetz  nicht  zuerkennen;  ebenso  wie  die  Ausbildung 
der  ersten,  auf  gewisse  Linien  beschränkten  und  isolirten  sekundären  Gefäss- 
anlagen  von  der  zufälligen  Anordnung  der  dazu  geeignetsten  Stellen  des  Bil- 
dungsgewebes abhängt,  müssen  auch  die  späteren  Verbindungen  ihrer  unregel- 
mässigen Verzweigungen  gewissennassen  dem  Zufall  unterliegen,  wobei  jedoch 
gewisse  günstige  und  sie  daher  bestimmende  Bedingungen  nicht  zu  verkennen 
sind.  Wenn  sekundäre  Gefässanlagen  einander  oder  primären  Gefässen  so 
nahekommen,  dass  nur  eine  relativ  kurze  Zellenbrücke  zwischen  ihnen  übrig 
bleibt,  so  wird  sie  wie  ich  glaube  unter  dem  Einflüsse  der  von  zwei  Seiten  sich 
ihr  anschliessenden,  mit  Serum  gefüllten  Hohlräume  leichter  ausgehöhlt  werden 
als  andere  in  indifferentes  Bildungsgewebe  übergehende  Fortsätze  derselben 
Anlagen;  gerade  so  wie  in  den  ersten  sekundären  Gefässanlagen  die  Aushöh- 
lung der  zwischen  die  bereits  röhrenförmigen  Abschnitte  eingeschalteten,  noch 
undurchgängigen  Theile  (Zellenkörper)  unter  dem  Einflüsse  der  ersteren  be- 
schleunigt wird.  Mit  anderen  Worten,  die  Verbindung  zweier  benachbarter 
Enden  von  sekundären  Gefässanlagen  oder  einer  solchen  und  eines  benach- 
barten Hauptgefässes  auf  dem  nächsten  Wege  des  mit  ihnen  zusammenhängen- 
den Bildungsgewebes  ist  im  allgemeinen  wahrscheinlicher  als  ihre  Fortsetzung 
in  getrennten  Bahnen.  Und  diese  günstigen  Bedingungen  für  die  Her- 
stellung eines  geschlossenen  Gefässnetzes  steigern  sich  noch,  sobald  der  Blut- 
strom in  das  sekundäre  Gefässsystem  eingedrungen  ist  und  ähnlich  wie  bei  den 
Hauptgefässen  die  Kanalisirung  der  mit  den  fertigen  Gefässen  Zusammenbau- 


3.    Das  interstitielle  Bildungsgewebe.  509 

genclen  Theile  des  Bildungsgewebes  unterstützt  und  anregt.     Auf  diese  Weise 
verbreitet  sich   das  sekundäre  Gefässsystem  als  kontinnirliche  Fortsetzung  des 
primären  schon  zu  Ende  der  ersten  Larvenperiode  durch  alle  Körpertheile,  so- 
dass für  isolirte,    d.  h.    mit  fertigen  Gefässen  nicht  unmittelbar  verbundene 
sekundäre  Gefässanlagen  eigentlich  kein  Raum  mehr  vorhanden  ist,  und  die 
quellenden,  zur  Gef  ässbildung  sich  vorbereitenden  Zellenstränge  oder  einzelnen 
Fäden  des  Bildungsgewebes  nur  im  Anschlüsse  an  die  fertigen  Gefässe  und  vor- 
zugsweise ,   wenn   nicht  ausschliesslich  von  den  Stellen  aus  kanalisirt  werden, 
wo  sie  mit  jenen  zusammenhängen  und  die  Verflüssigung  ihres  Innern  vom 
Blutstrome  her  begünstigt  und  beschleunigt  wird.     In  diesen  vorgerückten 
Perioden,  wann  die  Dotterplättchen  bereits  aus  dem  ganzen  Bildungsgewebc 
verschwunden  sind,  erscheinen  die  Bilder,  an  denen  man  bisher  allein  die  Ent- 
wickelung  der  Gefässe  studirte  und  welche  man,  wie  ich  behaupten  muss,  falsch 
deutete ,  weil  die  nothwendige  Kenntniss  von  der  vorausgegangenen  Entwicke- 
lung  und  überhaupt  von  dein  Bestände  des  interstitiellen  Bildungsgewebes,  so- 
wie von  der  Abstammung  aller  Gefässe  aus  demselben  fehlte.     Auch  ich  sehe 
an  den  Gefässen  des  Larvenschwanzes,  dieses  bevorzugten  Objekts  histiogene- 
tischer  Untersuchungen,   feinere  und  gröbere  Fortsätze  entspringen,   welche 
theils  mit  noch  indifferenten  Zellen  des  Bildungsgewebes  und  so  indirekt  unter- 
einander zusammenhängen,  theils  unmittelbar  fertige  Gefässe  verbinden ,  oder 
endlich  scheinbar  frei  enden  (Taf.  XII  Fig.  ,213).  Die  Kanalisirung  der  ersteren 
habe  ich  an  lebenden  Larven  verfolgt,  und  gefunden,  dass  sie  durchaus  über- 
einstimmend mit  der  oben  gegebenen   Darstellung  verläuft.     Erst    schwellen 
die  Fortsätze  vor  ihrer  Aushöhlung  etwas  an  ,  ferner  erfolgt  die  letztere  zuerst 
an  den  dazu  geeignetsten  Ursprungsstellen  der  Fortsätze,  um  dann  in  den  dazu 
vorbereiteten  Bahnen  fortzuschreiten.     Dass  dabei  ein  Zusammenfluss  der  be- 
nachbarten Röhrenenden   vermittelst  der  nächsten  Verbindungsbahn  des  Bil- 
dungsgewebes stattfindet,  bedarf  nach  dem  oben  Gesagten  keiner  weiteren  Er- 
läuterung. *   Noch  einfacher  liegen  die  Verhältnisse  bei  den  direkten ,  nieist 
fadenförmigen  Verbindungen  zweier  Blutgefässe,  welche  Fäden  bei  der  Ausdeh- 


*  In  der  Fig.  213  sind  diese  Verbindungen  der  fertigen  Blutgefässe  mit  den  Zellen-  und 
Fasernetzen  des  Bildungsgewebes  nur  an  zwei  Stellen  (h,  h)  in  geringer  Entwicklung,  viel 
charakteristischer  dagegen  an  den  Lymphgefässen  zu  sehen  ( m ,  m,  o,  o),   welche  sich  im 


wesentlichen  ganz  so  wie  die  Blutgefässe  entwickeln. 


510  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

nung  der  ganzen  wachsenden  Gewebsmassen  gewöhnlich  in  geraden  Linien  an- 
gespannt erscheinen  {Fig.  213  i,  i).  Wie  steht  es  nun  aber  mit  den  scheinbar 
frei  auslaufenden  Gef ässfortsätzen ,  aus  denen  schliesslich  fortlaufende  Gefäss 
schlingen  entstehen?  Dass  sie  aus  der  glatten  Gefässwand  hervorwüchsen  (Ge- 
fässsprossen),  behauptet  doch  wohl  niemand  thatsächlich  gesehen  zu  haben  •, 
ich  darf  sie  daher  mit  Recht  für  die  ursprünglichen  Fortsätze  derjenigen  Zellen 
erklären  ,  welche  die  zugehörigen  Gefässe  in  der  einen  oder  der  andern  Weise 
bildeten.  Wenn  man  sich  ferner  davon  überzeugt  hat,  welche  Mühe  es  kostet, 
an  möglich  dünnsten  Präparaten  der  Gewebe  eben  des  Larvenschwanzes  die 
feinsten  Fasernetze  des  Bildungsgewebes  zu  verfolgen  (vgl.  Fig.  220),  wird  man 
nicht  behaupten  können,  dass  alle  am  unversehrten  Schwänze  der  lobenden 
Larve,  also  unter  sehr  viel  ungünstigeren  Beobachtungsbedingungen  gesehenen, 
scheinbar  freien  Gefässfortsätze  wirklich  solche  sind.  Und  wenn  endlich  ein 
solcher  Fortsatz  nach  der  herrschenden  Ansicht  während  seiner  Umbildung  mit 
seinem  freien  Ende  bogenförmig  und  genau  auf  dasjenige  des  benachbarten 
Fortsatzes  stossen  soll,  um  eine  Gefässschlinge  zu  bilden,  so  kann  ich  mich  zu 
der  Annahme  eines  solchen  unerklärlichen,  aus  offenbar  unvollkommener  Be- 
obachtung erschlossenen  Vorgangs  um  so  weniger  entschliessen,  als  sich  die 
ganze  Erscheinung  natürlich  und  mit  den  günstiger  beobachteten  analogen 
Fällen  vollkommen  übereinstimmend  erklärt,  sobald  man  annimmt,  dass  die 
ursprünglichen  feinen  Verbindungen  der  Fortsätze  bei  der  Ungunst  der  Be- 
obachtungsbedingungen sich  der  Erkenntniss  entzogen.  Das  allmähliche  Hervor- 
wachsen der  angeblich  frei  auslaufenden  Gefässfortsätze  wäre  demnach  als  die 
von  ihrer  Wurzel  aus  fortschreitende  Anschwellung  der  am  lebenden  Thiere 
unsichtbaren  Fäden  aufzufassen ,  deren  schon  vorher  bestehender  Zusammen- 
hang die  Bildung  der  Gefässschlingen  vorzeichnet,  indem,  wie  ich  auseinander- 
setzte, die  nächsten  Verbindungen  zweier  Gefässröhren  leichter  kanalisirt 
werden  als  ihre  ins  indifferente  Zellennetz  übergehenden  Fortsetzungen.  —  Da 
die  spätere  Ausbreitung  des  sekundären  Blutgefässnetzes  von  dem  durch  die 
Dotterbildungszellen  unterhaltenen  Wachsthume  des  interstitiellen  Bildungs- 
gewebes abhängig  ist,  so  bedarf  es  kaum  der  Erwähnung,  dass  die  Faser-  und 
Zellennetze  des  letzteren  nur  in  Bezug  auf  die  einzelne  in  ihnen  stattfindende 
Gefässentwickelung  als  vorgebildet  betrachtet  werden  müssen,  im  übrigen  aber 
sich  zu  jeder  Zeit  neubilden  können.  Denn  nachdem  Golubew  die  Umbildung 
der  aus  fertigen  Kapillargefässen  austretenden  Blutzellen  in  die  sogenannten 
Sternzellen,  d.  li.  die  Elemente  des  Bildungsgewebes,  in  späteren  Entwickekings- 


3.    Das  interstitielle  Bildungsgewebe.  511 

perioden  direkt  beobachtet  hat,  ist  es  höchst  wahrscheinlich ,  dass  dieser  Ver- 
lauf der  beständigen  Ergänzung  des  allgemeinen  Bildungsgewebes,  welcher 
schon  vor  der  Existenz  von  Kapillargefässen  durch  die  Vermittel ung  der  primi- 
tiven Hauptgefässe  in  ganz  ähnlicher  Weise  bestand,  sich  mit  gewissen  Abän- 
derungen bis  in  das  spätere  Leben  des  ausgebildeten  Thieres  erhält.  Diese 
Abänderungen  bestehen  einmal  darin,  dass  die  sekundären  Gefässe  nicht  netz- 
örmig  durchbrochen  sind,  der  unzweifelhafte  Austritt  der  Blutzellen  aus  ihnen 
daher  unter  anderen,  noch  nicht  genügend  erkannten  Bedingungen  erfolgt;  und 
da  die  Wände  der  Hauptgefässe  und  eines  Theiles  der  sekundären  Gefässe  sich 
allmählich  verdichten  und  verdicken,  so  wird  der  Blutaustritt  endlich  gerade  auf 
die  aus  den  letzteren  hervorgehenden  Kapillaren  beschränkt.  Ferner  sind  die 
später  austretenden  Blutzellen  nicht  mehr  die  indifferenten,  dotterhaltigen  Ge- 
bilde wie  in  der  ersten  Larvenperiode,  sondern  vollständige  und  wirkliche  „Ele- 
mentarorganismen" (vgl.  Abschnitt  X,  XI),  deren  selbstständige  Bewegungen 
und  Formveränderungen  ihre  Anpassung  an  die  verschiedensten  Gewebe, 
namentlich  aber  die  Einfügung  in  das  Zellennetz  des  interstitiellen  Bildungs- 
gewebes wesentlich  unterstützen.  Immerhin  bleibt  es  sehr  bemerkenswerth, 
dass  die  doppelte  Thätigkeit  des  Blutes ,  nämlich  der  allgemeinen  Ernährung 
durch  die  beständige  Erneuerung  und  Ergänzung  jeder  Interstitialfiüssigkeit 
und  der  plastischen  Bildung  durch  die  auswandernden  Bildungszellen  (Wander- 
zellen), schon  zu  derselben  Zeit  wie  die  histologische  Entwickelung  des  Embryo 
überhaupt  ihren  Anfang  nimmt. 

Ein  Vergleich  der  primären  und  sekundären  Gef  ässbildung  weist  zunächst 
einen  bedeutsamen  Unterschied  beider  nach  ihrem  Ursprünge  auf;  die  erstere 
verwandelt  röhrenförmige  Intercellulargänge  des  Bildungsgewebes,  die  andere 
ebensolche  Intracellulargänge  in  Blutgefässe,  wobei  dort  nur  die  schon  be- 
stehende Interstitialfiüssigkeit  als  erstes  Blutserum  eingeschlossen,  hier  dasselbe 
erstdurch  Vermischung  der  aufgesogenen  Flüssigkeit  mit  dem  aufgelösten  Zellen- 
innern  hergestellt  wird.  Die  Ursachen  dieser  Verschiedenheit  habe  ich  weiter 
oben  zu  erläutern  versucht;  der  schliessliche  Erfolg  der  Bildung  ist  aber  in 
beiden  Fällen  derselbe.  Denn  einmal  ist  der  letztgenannte  Unterschied  ein 
ganz  unwesentlicher,  da  es  sich  bei  der  Bildung  des  Blutserums  doch  nur  um 
die  stoffliche  Zusammensetzung  handelt,  welche  dieselbe  bleibt,  ob  nun  die 
Dotterlösung  innerhalb  der  Zellen  diluirt  oder  in  Folge  der  endosmotischen 
Vorgänge  bei  der  allmählichen  Umbildung  der  Zellen  ausserhalb  derselben  der 
Interstitialfiüssigkeit  beigemischt  wird.  Was  aber  den  Formwerth  des  Gewebes 


512  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

der  einfachen  Gefässwände  (Innenhaut  und  Kapillarwand)  Detrifft,  so  muss  ich 
ihn  auf  Grund  derselben  Erwägung,  welche  mich  bei  der  Beurtheilung  der 
verschieden  angelegten  Muskelfasern  leitete,  bei  primären  und  sekundären  Ge- 
lassen für  ganz  gleich  erklären.  In  beiden  Fällen  wird  der  Formbestand  der 
die  Gefässwand  bildenden  Embryonalzellen,  wie  aus  meiner  Darstellung  genug- 
sam erhellt,  vollständig  aufgelöst  und  dadurch  ihre  individuelle  Formentwicke- 
lung unterbrochen,  sodass  der  Formwerth  der  Elemente  einer  fertigen  Gefäss- 
wand nicht  mehr  genetisch,  sondern  nur  nach  dem  gerade  vorliegenden  ana- 
tomisch-physiologischen Befunde  beurtheilt  werden  darf.  Nun  besteht  aber 
die  Wand  der  primären  wie  der  sekundären  Gefässe  in  der  früheren  Larvenzeit 
gleicherweise  aus  einer  homogenen  Membran  mit  eingestreuten,  sich  stetig  ver- 
mehrenden Kernen;  wo  sie  später  in  den  Arterien  und  Venen  zur  Innenhaut 
wird,  zerfällt  die  Grundsubstanz  in  zellenähnliche  Bezirke,  welche  sich  um  je 
einen  Kern  bilden ,  und  in  den  Kapillaren ,  deren  Wand  durch  keinen  äusseren 
Ueberzug  verstärkt  wird ,  lässt  sich  jene  sekundäre  Zellenbildung  wenigstens 
künstlich  veranschaulichen,  sodass,  wenn  man  in  den  bekannten  Silberfiguren 
auch  nicht  den  Ausdruck  eines  vollkommenen  Zellengefüges  sehen  mag,  die- 
selben doch  im  allgemeinen  die  Grenzen  der  von  den  einzelnen  Kernen  be- 
herrschten Gebiete  der  Grundsubstanz  darstellen  dürften,  in  dem  Sinne  wTic 
Viechow  die  von  ganzen  Zellen  abhängigen  „Zellenterritorien"  auffasste.  Man 
kann  also  sagen,  dass  die  Zellenbildung  in  den  Wänden  der  Haargefässe  bloss 
weniger  weit  fortgeschritten  ist  als  in  der  Innenhaut  der  Arterien  und  Venen, 
was  aber  die  wesentliche  Uebereinstimmung  beider  Membranen  nicht  beein- 
trächtigt. Ganz  besonders  wird  dies  dadurch  bestätigt,  dass  in  jenen  sekun- 
dären Gefässen,  welche  sich  in  Arterien  und  Venen  verwandeln,  dieselbe  Mem- 
bran zur  epithelialen  Innenhaut  wird,  welche  in  der  unmittelbaren  kapillären 
Fortsetzung  keine  vollkommenen  Zellen  entwickelt ;  dass  also  zwischen  beiden 
Zuständen  kontinuirliche  Uebergänge  in  derselben  Grundlage  bestehen.  Wenn 
daher  die  Bedeutung  der  intra-  und  intercellulären  Abschnitte  des  Blutgefäss- 
systems  auf  die  allerersten  Entwicklungsstufen  desselben  beschränkt  bleibt, 
so  bringt  uns  dies  wieder  einen  Schritt  näher  zur  Auffassung ,  dass  ganz  allge- 
mein der  Formwerth  der  Gewebselemente  von  ihrer  Genese  unabhängig  ist. 

In  der  voranstellenden  Entwickelungsgeschichte  der  Blutgefässe  habe  ich 
dargestellt,  wie  sie  anfangs  in  selbstständigen  Anlagen,  dann  im  Anschlüsse 
an  die  schon  bestehenden  Gefässe  und  unter  dem  Einflüsse  des  sie  durch- 
strömenden Blutes  im  Bildungsgewebe  entstehen  und  durch  die  konthmirlichen 


3.   Das  interstitielle  Bildungsgewebe.  513 

Netzbahnen  desselben  sieb  allmählich  immer  weiter  ausbreiten.  Aber  schon 
während  der  ersten  Ausbildung  dieses  Gefässnetzes  haben  sich  andere  davon 
unberührte  Tlieile  des  interstitiellen  Bildungsgewebes  in  anderer  Weise  umzu- 
bilden begonnen,  sodass  sie  dadurch  die  Fähigkeit  zur  Gefässbildung  verlieren. 
Ueberall  wo  diese  Tlieile  des  Bildungsgewebes  mit  den  fertigen  oder  in  Ent- 
wickelung  begriffenen  Gefässen  zusammenhängen,  lösen  sich  die  Verbindungs- 
fäden entweder  in  Folge  der  heterogenen  Differenzirung  von  den  Gefässen  all- 
mählich ab,  oder  wenn  dies  trotz  der  divergenten  Entwickelung  nicht  geschieht, 
so  büssen  sie  doch  die  innige  G.ewebskontinuität  mit  der  primitiven  Gefässwand 
ein  und  werden  zu  bloss  angelagerten  Gewebstheilen ,  welche  die  Anfügung 
neuer  Bildungselemente  an  jene  Gefässwand  unterstützen  oder  deren  späteren 
Zusammenhang  mit  anderen  Geweben,  insbesondere  den  Nerven  vermitteln 
mögen.  Auf  diese  Weise  wird  das  Blutgefässnetz  aus  dem  kontinuirlichen  Ge- 
füge dos  interstitiellen  Bildungsgewebes  als  besonderes  Gewebssystem  heraus- 
gelöst, ohne  jedoch  allen  Zusammenhang  mit  den  übrigen  Geweben  einzubüssen 
und  unbeschadet  der  Fähigkeit,  bei  der  ununterbrochenen  Ausbreitung  und 
Ergänzung  des  Bildungsgewebes  den  eigenen  Bestand  fortdauernd  auszudehnen. 
Während  dieser  Herauslösung  des  Blutgefässsystems  entwickelt  sich  das 
Lymphgefässsystem,  welches  Kölliker  im  Schwänze  der  Froschlarven 
entdeckte  und  dessen  Verzweigungen  ich  an  dem  gleichen  Objekte  untersuchte. 
Ihre  erste  Entstehung  im  Bildungsgewebe  konnte  ich  nicht  mit  Sicherheit  er- 
mitteln ;  da  sie  aber  auf  einer  vorgeschrittenen  Entwickelungsstufe  nur  durch 
den  Mangel  eines  Blutstroms,  durch  kleinere  Lichtung  und  grössere  Zartheit, 
nicht  aber  in  ihrer  äusseren  Gestalt  und  dem  Bau  ihrer  Wand  sich  vor  den 
sekundären  Blutgefässanlagen  auszeichnen,  und  da  sie  ferner  alsdann  noch  mit 
unvollkommen  ausgehöhlten  oder  selbst  soliden  Zellen-  und  Fasernetzen  zu- 
sammenhängen und  in  solche  auslaufen,  soschliesse  ich  daraus,  dass  die  Lymph- 
gefässe  sich  in  ähnlicher  Weise  bilden,  wie  die  sekundären  Blutgefässe  (Taf. 
XII  Fig.  213).  Aus  diesem  Grunde  will  ich  mich  bei  ihrer  Histiogenese  nicht 
aufhalten  und  nur  noch  die  Verbindung  dieser  Gefässanlagen  zu  einem  beson- 
deren kontinuirlichen  Röhrensystem  der  Betrachtung  unterziehen.  Entwickelte 
sich  das  ganze  Lymphgefässsystem  bloss  aus  dem  Zusammenflusse  jener  feinen 
netzförmigen  Anlagen  und  gar  zur  selben  Zeit  mit  den  isolirten  sekundären 
Blutgefässanlagen,  so  wüsste  ich  keinen  haltbaren  Grund  anzugeben,  warum 
die  beiderlei  gleichartigen  Anlagen  in  dem  ihnen  gemeinsam  zu  Grunde  liegen- 
den kontinuirlichen  Netzwerke  des  Bildungsgewebes  sich  nicht  vielfach  mitein- 

Goettk,  Eutwickeliuigsgescbichte,  33 


514  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes 

ander  verbinden  sollten.  Das  LymphgefäsSsystem  hat  aber  auch  eine  morpho- 
logische Anlage,  welche  jedoch  als  Theil  des  Darmblattes  (Schwanzdarm)  erst 
später  beschrieben  werden  soll  (vgl.  Abschnitt  X).  Dieser  unter  der  Wirbelsaite 
hinziehende  Zellenstrang,  an  welchen  sich  das  umgebende  Bildungsgewebe 
schon  bei  seiner  ersten  Entstehung  befestigt ,  verwandelt  sich  in  den  subverte- 
bralen  Lymphgefässstamm,  nachdem  das  sekundäre  Blutgefässnetz  bereits  an- 
gelegt ist;  und  erst  darauf  erscheinen  die  in  zarte  Zellennetze  auslaufenden 
Verzweigungen  jenes  Stammes  (Taf.  XIII Fig.  244.  245,  Taf.  XXI  Fig.  372. 
377).  Es  folgt  daraus,  dass  das  aus  dem  Bildungsgewebe  hervorgehende  Lymph- 
gefässsystem  erst  im  Anschlüsse  an  den  bereits  hergestellten  Gefässstamm 
entsteht  und  zwar  zu  einer  Zeit,  wann  auch  die  weitere  Ausbildung  dos  Blut- 
gefässsystems  sich  lediglich  auf  eine  wachsende  Verzweigung  und  Verbindung 
schon  bestehender  Blutbahnen  beschränkt.  Die  beiden  Gefässsysteme  breiten 
sich  also,  von  einem  bestimmten  Zeitpunkte  an,  von  genetisch  gesonderten 
Stammbahnen  in  dasselbe  Bildungsgewebe  aus,  jedoch  mit  einem  bemerkens- 
werthen  Unterschiede  in  den  wirkenden  Bildungsursachen.  Sobald  der  Lymph- 
gefässstamm vollendet  ist,  mündet  er  auch  schon  an  der  Schwanzwurzel  in  die 
Venen,  sodass  der  Abfluss  seines  Inhalts  die  Aufsaugung  der  Interstitialflüssig- 
keit  in  die  mit  ihm  unmittelbar  verbundenen- Theile  des  Bildungsgewebes  und 
dadurch  deren  Umbildung  zu  Verzweigungen  des  Lymphgefässstammes  hervor- 
ruft. Da  nun  jener  Abfluss  fortdauert,  eine  andere  Zufuhr  als  aus  der  Inter- 
stitialiliissigkeit  sich  aber  nicht  entwickelt,  so  wird  die  Aufsaugung  der  letzteren 
zur  bleibenden  Funktion  des  Lymphgefässsystems.  Das  Blutgefässsystem, 
welches  ganz  in  derselben  Weise  durch  stärkere  Ansammlung  oder  Aufsaugung 
jener  Flüssigkeit  in  die  zu  bildenden  Röhren  angelegt  wurde,  hat  diesen 
Bildungsgang  zur  Zeit  der  Lymphgefässentwickelung  bereits  verändert  und  ge- 
wissermassen  umgekehrt,  indem  das  in  die  ersten  Gefässe  einströmende  Blut 
unter  dem  Drucke  des  Herzstosses  nur  nach  aussen  diffundiren  kann,  d.  h.  so- 
wohl in  die  freie  Interstitialflüssigkeit  als  auch  in  die  sich  an  die  Gefässwand 
unmittelbar  anschliessenden  Zellenstränge,  welche  dadurch  eben  von  den  fertigen 
Gefässen  aus  kanalisirt  werden  und  dann  deren  Thätigkeit  erben.  Diese 
formale  Verschiedenheit  der  endosmotischen  Grundbedingungen  beider Gefäss 
bildungen,  welche  allerdings  den  allgemeinen  Charakter  der  betreffenden  Histio- 
genese  nicht  berührt  und  dieselbe  bei  Lymph-  und  sekundären  Blutgefässen 
gleich  verlaufen  lässt,  scheint  mir  dagegen  die  Verbindung  beider  verschiedenen 
Stromgebiete  im  Biläungsgewebe  zu  verhindern;   denn   wo  eine  Lymph-  und 


3.    Das  interstitielle  Bildungsgewebe.    .  515 

eine  Blutgefässanlage  auf  den  Zellenbahnen  des  Bildungsgewebes  einander  nahe 
kommen,  werden   ihre  verschieden  gerichteten  Diffusionsströme  leichter  ein 
jeder  für  sich  in  den  anstossenden  indifferenten  Theilen  des  Gewebes  Anpas- 
sungen hervorrufen,    als  sich  einander  anpassen ,    ist  also  eine  getrennte  Fort- 
setzung beider  Anlagen  viel  wahrscheinlicher   als  ihr  Zusammenfluss.     Diese 
Trennung  beider  Gefässsysteme  und  ihre  entgegengesetzten  Funktionen  stehen 
aber  auch  in  innigem  ursächlichen  Zusammenhange.     Denn  sowie  bekanntlich 
die  Diffusion  des  Blutes  aus  den  geschlossenen  Blutbahnen  nur  so  lange  möglich 
ist,  als  einerseits  die  allgemeine  Interstitialflüssigkeit  durch  den  ununterbroche- 
nen Abfluss  in  die  Lymphgefässe  und  anderseits  das  Blut  selbst  durch  die  Zu- 
fuhr desselben  Lymphstromes  in  den  erforderlichen   Spannungsverhältnissen 
erhalten  werden ,    so  beruht  auch  die  Fortentwickelung  beider  Gefässsysteme 
auf  denselben  Grundsätzen.   Vor  der  Entwrickelung  des  peripherischen  Lymph- 
m'fässsystems  ist  nämlich  der  Uebertritt  des  Blutes  in  die  Gewebszwischenräume 
abhängig  von  der  andauernden  Ausdehnung  derselben  einerseits  und  der  be- 
ständigen Zufuhr  von  der  Dotterzellenmasse  (Blutzellen)   und  dem  flüssigen 
Darminhalte  anderseits.     Sobald  diese  Zufuhr  bei  der  fortschreitenden  Umbil- 
dung des  Darmkanals  versiegt  und  von  der  periodisch  unterbrochenen  Aufsau- 
gung der  aufgenommenen  Nahrung  ersetzt  wird,  würden  die  Spannungen  des 
geschlossenen  Blutkreislaufs  und  der  allgemeinen  Interstitialflüssigkeit  während 
der  Pausen   sofort   ausgeglichen   und  mithin  die  Diffusion  des  Blutes  sistirt 
werden ,  wenn  nicht  die  Entwicklung  des  Lymphgef  ässsystems  jene  Ausglei- 
chung  verhinderte  und  gleichsam  einen  beständigen  Kollateralkreislauf  von 
den  Blutkapillaren  durch  die  Gewebe  in  die  Lymphgefässe  und   darauf  die 
Venen   herstellte.    Der   regelmässige  Verlauf  dieses  vom  Blute  ausgehenden 
Stromes  Ist  aber  gerade  die  Ursache,   dass  stets  die  ihm  nächsten  Zellennetze 
des  Bildungsgewebes  im  Zusammenhange  kanalisirt  werden  und  das  Blutgefäss- 
system  auf  diese  Weise  kontinuirlich  auswächst,    während  andernfalls  seine 
Zunahme  vom  zufälligen  Anschluss  getrennter  und  blind  endigender  Röhren- 
netze  abhängig  und  eine  ebenso  zufällige  Verbindung  mit  dem  Lymphgef  äss- 
system  nicht  ausgeschlossen  wäre.  Anderseits  ist  die  Ausbreitung  des  letzteren 
unmittelbar  abhängig  von  einer  entsprechenden  Entwich elung  der  Blutbahnen, 
indem  diese  die  Menge  der  aufzunehmenden  Lymphe,  also  auch  den  Abfluss 
derselben  bestimmen,  welcher,  wie  ich  oben  ausführte,  als  die  Ursache  der 
Bildung  von  neuen  Lymphgefässen  angesehen  werden  kann.  —   Ausser  den 

eben  besprochenen  Lymphgefässen ,  die  ich  gleich  meinen  Vorgängern  nur  im 

33* 


5lß  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

Larvenschwanze,  einen  Theil  der  Rückenflosse  mit  einbegriffen,  verfolgt  habe, 
gibt  es  noch  andere  Lymphbahnen,  auf  welche  ich  erst  weiter  unten  beim 
Bindegewebe  zu  sprechen  komme. 

Die  selbstständig  angelegten  Nervenstamme  kommen,  indem  sie  in  das 
Bildungsgewebe  hineinwachsen,  alsbald  mit  T heilen  desselben  in  Berührimg 
und  verbinden  sich  darauf  mit  ihnen.  Da  ich  niemals  isolirte  Anlagen  von 
Nervenverzweigungen  im  Bildimgsgewebe  antraf,  welche  sich  nicht  hätten 
bis  zu  den  Nervenstämmen  verfolgen  lassen,  so  muss  ich  annehmen,  dass  die 
eigentümliche  histologische  Sonderung  dieser  Stämme  durch  ihre  Fortsetzung 
in  die  angeschlossenen  Zellenbahnen  des  Bildimgsgewebes  die  letzteren  erst 
dem  Nervensystem  anpasst.  Auf  diese  Weise  schreitet  die  feinere  Nervenver- 
zweigung allerdings  centrifugal  fort,  aber  nicht  von  den  eigentlichen  Nerven  - 
centren ,  sondern  bloss  von  den  ursprünglich  angelegten  Nervenstämmen  aus, 
und  nicht  durch  ein  Auswachsen  derselben,  sondern  durch  eine  Anpassung  von 
sich  ihnen  anfügenden  neuen  Theilen.  Dies  sind  natürlich  nur  solche  Abschnitte 
des  interstitiellen  Zellennetzes,  welche  nicht  schon  in  irgend  einer  anderen 
Richtung  sich  zu  differenziren  begonnen  haben;  und  auf  diesen  Bahnen  geht 
die  Nervenbildung  so  weit  fort,  bis  sie  die  zur  Schlussbildung  der  Nervenenden 
geeigneten  Stellen  in  Muskeln,  Epithel-  und  Drüsenzellen  u.  s.  w.  erreicht  hat. 
Innerhalb  des  Bildungsgewebes  ist  es  auch  leicht  nachzuweisen,  dass  die  einzel- 
nen ursprünglichen  Zellenfortsätze  desselben  zu  ganzen  Nervenbündeln  werden, 
und  gerade  im  Schwänze  jüngerer  Larven  offenbaren  sich  die  Knotenpunkte 
des  feinen,  meist  geradlinigen  Nervennetzes  auf  das  deutlichste  als  die  regel- 
mässigsten  Sternzellen,  deren  Verbindungen  durch  die  Ausdehnung  des  ganzen 
Netzes  sehr  lang  ausgezogen  wurden  {Taf.  XII  Fig.  213).  Aber  auch  für 
stärkere  Nervenzweige  lässt  sich  die  ursprüngliche  Zusammensetzung  eines 
längeren  Abschnittes  aus  wenigen  Zellen ,  deren  Fortsätze  theils  sich  zu  einem 
Stämmchen  verbinden,  theils  zu  selbstständigen  Verzweigungen  divergiren,  mit 
aller  Sicherheit  feststellen,  wenn  diebetreffende  Stelle,  wie  z.  B.  am  Ende  des 
Ramus  nasalis  vom  N.  trigeminus,  an  verschiedenen  Larven  leicht  aufgefunden 
und  bestimmt  werden  kann  (Fi//.  219).  Für  die  ausserordentlich  reichen  netz- 
förmigen Endverzweigungen  der  Schwanznerven  oder  mit  anderen  Worten,  für 
ihre  Zusammensetzung  aus  stark  verästelten  Sternzellen  verweise  ich  bloss  auf 
Fig.  220. 

Die  dritte  (iewebsform,  welche  aus  dem  interstitiellen  Bildungsgewebe  her- 
vorgeht, umfasst  eine  Gruppe  von  äusserlich  verschiedenen  Bildungen,  welche 


3.   Das  interstitielle  Bilduiigsgewebe.  51 7 

aber  wegen  ihrer  gleichartigen  Funktionen  und  der  mannigfachen  Uebergänge 
in  einander  sehr  nahe  verwandt  erscheinen  und  desshalb  mit  einem  gemeinsamen 

Namen  als  „Bind  es  üb  stanz"  bezeichnet  werden.  Vergegenwärtigt  man  sich, 
dass  dieselbe  nicht  nur  als  Bindemittel  der  physiologisch  höheren   Gewebe, 
sondern  auch  in  Form  von  Scheiden,  Stützen  und  Unterlagen  für  dieselben  er- 
scheint,  so  wird   man  finden,    dass   die   Bindesubstanz  dem  ursprünglichen 
Charakter  des  interstitiellen  Bildungsgewebes  insofern  am  meisten  getreu  bleibt, 
als  sie  beide  eine  allgemeine,  indifferentere  Grundmasse  darstellen,  in  welcher 
die  anderen  Körpertheile  eingebettet  liegen.  —  Eine  ganze  Reihe  dieser  Zwi- 
schengewebe, nämlich  die  verschiedenen  Skeletbildungen,  habe  ich  im  vorigen 
Abschnitte  bereits  eingehend  beschrieben  und  fasse  deshalb  hier  nur  die  wich- 
tigsten Momente  ihrer  EntWickelung  zusammen.     Die  früheste  Skelotbildung 
ist  der  Knorpel.    Seine  Grundlage  im  Bilduiigsgewebe  stellt  sich  je  nach  den 
Anpassungsbedingungen  in  zweierlei  Form  dar.  Wo  sie  in  ausgedehnter  dünner 
Schicht  erscheint ,  wie  in  der  röhrenförmigen  äusseren  Chordascheide  oder  in 
der  im  Knorpelrahmen  der  vorderen  Schädelbasis    ausgespannten  Membran, 
da  wiederholt  sie  den  Entwicklungsgang  der  Wand  der  Hauptgef  ässe ,  indem 
das  Zellennetz  des  Bildungsgewebes  durch   die  andauernde  Abplattung  und 
Ausdehnung  der  Zellen  in  einer  fortlaufenden  Fläche  zu  einer  kontinuirlichen, 
nichtzelligen  und  bloss  kernhaltigen  Haut  verschmilzt.  Wo  dagegen  die  Grund- 
lage des  Knorpels ,    wie  z.  B.  in  den  Wirbelbogenanlagen ,  gleich  im  Anfange 
massig  erscheint,  entsteht  sie  durch  eine  Ausfüllung  des  ursprünglichen  Zellen  - 
netzes  mit  den  rundlichen  Dotterbildungszellen,   worauf  das  ganze  Zellenkon- 
glomorat   ebenfalls   zu  einer  kontinuirlichen ,    mit  freien  Kernen  durchsetzten 
Masse  verschmilzt.     Ob  während  dieser  Verschmelzung  der  sich  berührenden 
peripherischen  Zellentheile ,  wodurch  der  individuelle  Bestand  der  Embryonal- 
zellen jedenfalls  aufgelöst  wird,  die  centralen,  den  Kern  umschliessenden  Zellen- 
theile sich  von  jenen  ersteren  oder  der  künftigen  Zwischenzellensubstanz  sofort 
absondern  und  dadurch  zu  sekundären  Zellen  werden  (hintere  Schädelbasis), 
oder  ob  diese  sekundäre  Zellenbildung  erst  nach  einer  gewissen  Dauer  des  nicht- 
zelligen Zustandes  der  Masse  eintritt  (Wirbel,  Hyposternum),  scheint  von  äusse- 
ren Umständen  abzuhängen  und  begründet  jedenfalls  keinen  durchgreifenden 
Unterschied.    Denn  auch  im  ersten  Falle  dürfen  weder  die  Knorpelkapseln  mit 
der   übrigen  Zwischenzellensubstanz   als  ein  Produkt   der   zurückbleibenden 
Zellen,   noch  die  letzteren  als  die  fortdauernden  Embryonalzellen  aufgefasst 
werden,    indem   beide  Theile  zu  gleicher  Zeit  und  aus  derselben  Grundlage, 


518  VIII.    Die  Segnieute  des  Rumpfes. 

nämlich  den  einzelnen  Embryonalzellen,  gleichsam  als  Spaltungsprodukte  der- 
selben sich  entwickeln.  Das  Knorpelgewebe  hat  also  zur  unmittelbaren  Grund- 
lage ganz  allgemein  eine  bloss  aus  untergegangenen  Embryonal-  und  Dotter- 
bildungszellen zusammengesetzte  nicht  zellige  Masse,  in  welcher  sich  darauf 
um  die  freien  Kerne  neue  Zellenleiber  absondern  und  der  Rest  der  aus  den  Lei- 
bern der  primären  Zellen  hervorgegangenen  Grundsubstanz  als  Zwischenzellen- 
masse zurückbleibt.  —  Gerade  dasselbe  lässt  sich  von  dem  Knochengewebe 
aussagen,  welches  sich  ohne  die  Zwischenstufe  eines  Knorpels  bildet,  und  dessen 
bleibende  Formelemente  (Knochenkörperchen)  ebenso  wie  beim  Knorpel  ent- 
weder schon  während  der  Verschmelzung  der  Bildungszellen  ( Knochenkruste 
der  oberen  Schulterblatthälfte)  oder  erst  einige  Zeit  darnach  um  die  freien 
Kerne  der  nichtzelligen  Grundlage  entstehen,  wie  in  der  äusseren  Chordascheide 
der  Salamandrinen.  Die  äussere  Chordascheide  zeigt  ausserdem  die  Verwandt- 
schaft der  Bindesubstanzen  sehr  anschaulich,  indem  dort  Knorpel,  Faserknochen 
und  Bindegewebe  kontinuirlich  in  einander  übergehen;  ich  erinnere  bloss  an 
die  Intervertebralknorpel  und  vertebralen  Knochenröhren  der  Salamandrinen 
und-  an  den  Zusammenhang  des  Knorpels  mit  seinem  Perichondrium  und  den 
Zwischenwirbelbändern  (S.  362.  387).  Den  sogenannten  echten,  erst  in  rück- 
gebildetem Knorpel  sich  entwickelnden  Knochen  übergehe  ich  hier,  da  er  als 
epigonale  Gewebsform  auch  mit  seiner  Bildungsgeschichte  mehr  in  die  reine 
Ilistiologie  als  in  eine  allgemeine  Entwicklungsgeschichte  gehört. 

Die  wichtigste  Form  der  Bindesubstanz  ist  jedenfalls  das  eigentliche 
Bindegewebe,  welches  nicht  nur  für  sich  allein  alle  Funktionen  der  Binde- 
substanz ausüben  und  daher  die  Skeletbildungen  ersetzen  kann ,  sondern  auch 
neben  diesen  durch  die  Ausfüllung  aller  Zwischenräume  in  und  zwischen  den 
Organen  und  übrigen  Geweben  die  weiteste  Verbreitung  im  Körper  und  die 
mannigfaltigste  Anordnung  erfährt.  Dabei  zeigt  das  Bindegewebe  in  seiner 
Entwicklung  ähnliche  Verschiedenheiten,  wie  sie  bei  den  Skeletbildungen  er- 
wähnt wurden,  indem  es  bald  unmittelbar  aus  dem  Zellennetze  des  Bildungs- 
gewebes hervorgeht,  bald  in  massigen  Ansammlungen  der  Bildungszellen  seine 
Grundlage  findet.  In  der  ersten  Form  findet  sich  die  Anlage  des  Bindegewebes 
in  allen  Zwischenräumen,  welche  weit  genug  sind,  um  die  Ausbildung  eines 
netzförmigen  Zusammenhangs  der  Bildungszellen  zu  gestatten.  An  den  durch 
die  verschiedenen  Embryonalanlagen  gebildeten  Wänden  dieser  Zwischenräume 
plattet  sich  das  Zellennetz  gerade  so  ab,  wie  ich  es  von  der  Anlage  der  äusseren 
Chordascheide  beschrieb,  und  bildet  einfache  und  mehrfache  Schichten,  deren 


3.   Das  interstitielle  Bildungsgewebe.  519 

Netzgefüge  durch  die  Abplattung  und  Ausdehnung  der  Zellen  und  die  daraus 
folgende  Verengerung  der  von  ihnen  umschlossenen  Maschen  immer  dichter 
wird,  sodass  schliesslich  der  Eindruck  eines  Netzes  ganz  verlorengeht,  und 
man  nur  von  einer  durchlöcherten  Membran  reden  kann  {Taf.  XXI  Fi (j.  306). 
Dabei  vertheilen  sich  die  sich  stark  vermehrenden  Kerne  unregelmässig  durch 
die  ganze  aus  den  verbundenen  Zellenleibern  bestehende  Membran ,  sodass  die 
Abgrenzung  und  damit  der  individuelle  Formbestand  der  früheren  Zellen  voll- 
ständig aufgehoben  wird.  Solche  mit  Kernen  durchsetzte,  stärker  oder  spär- 
licher durchlöcherte  Membranen  habe  ich  dort,  wo  das  Bildimgsgewebe  sich 
einem  spaltartigen  Raunte  anzupassen  hat,  oft  in  mehrfacher  Schichtung  ange- 
troffen, so  z.  B.  zwischen  der  Schädelbasis  und  dem  Epithel  der  Mundhöhlen- 
decke, ferner  zwischen  den  Basen  der  Rippenfortsätze,  wo  die  horizontale  binde- 
gewebige Scheidewand  zwischen  der  oberen  und  der  unteren  Stammuskelmasse 
anfängt  (S.  458).  Da  mir  gerade  an  dieser  letzteren  Stelle  der  Nachweis  ge- 
lang, dass  die  Zahl  und  die  Grösse  der  Löcher,  welche  meist  eine  regelmässige 
Rundung  zeigen,  gegen  das  Ende  der  Larvenzeit  ganz  merklich  abnehmen  ,  so 
glaube  ich,  dass  jene  feste  Scheidewand  im  allgemeinen  ebenso  entsteht  wie 
etwa  die  äussere  Chordascheide  oder  die  Innenhaut  der  Hauptgefässe,  mit  dem 
geringen  Unterschied,  dass  in  die  erstere  wenigstens  zwei  von  den  dünnen  Zellen- 
schichten  eingehen,  welche  von  Anfang  an  mehrfach  miteinander  zusammen- 
hängen, und  dass  ein  Theil  der  Löcher  bestehen  bleiben  kann.  Ein  Durch- 
schnittsbild solchen  geschichteten  Bindegewebes  lässt  mit  Ausnahme' der  kurzen 
Verbindungen,  welche  alsdann  allein  eine  Flächenansicht  darbieten,  die  eigent- 
lichen Platten  wegen  ihrer  ausserordentlich  geringen  Dicke  als  lange  dünne 
Fortsätze  der  eingelagerten  Kerne  erscheinen,  welche,  ebenfalls  abgeplattet,  in 
jenen  Durchschnitten  spindelförmig  aussehen  (Taf.  XXI Fig.  368).  Ich  mache 
auf  dieses  Bild  aufmerksam,  weil  eine  Verwechselung  solcher  Durchschnitte  mit 
lang  ausgezogenen  Zellen,  welche  als  die  Grundlage  des  tibrillären  Bindegewebes 
angesehen  werden  könnten,  leicht  eintreten  kann.  — Die  Entwickelung  einfacher 
Bindegewebsmembranen  habe  ich  am  Umfange  der  Nerven  und  der  primitiven 
Gef  ässwände  verfolgt.  Dass  diese  Anlagen  der  Nervenscheiden  und  fibrösen  Ge- 
f  ässhäute  anfangs  netzförmig  die  eigentlichen  Nerven  und  primitiven  Gef  äss- 
röhren  umspinnen,  tritt  namentlich  in  jenen  Strecken,  wo  sie  pigmenthaltig  sind, 
deutlich  hervor  (Taf.  IX  Fig.  172).  Die  anfangs  sehr  lockeren  und  weit- 
maschigen Netze  verdichten  sich  allmählich,  indem  die  amöboiden  Bildimgs- 
zellen, welche   in  der  späteren  Larvenzeit  die  Dotterbildungszellen  vertreten, 


520  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

selbstständig  Fortsätze  ausschicken  und  durch  dieselben  ihre  allseitigen  Ver- 
bindungen vermehren.  Endlich  fliesst  das  ganze  Zellennetz  zu  einer  kontinuir- 
lichen  dünnen  Membran  zusammen,  welche  später  wohl  durch  neue  Anlagerun- 
gen sich  verdickt  {Taf.  XII  Fig.  221).  Dieselben  Entwickelungsvurgänge  habe 
ich  ferner  an  der  Aussenfläche  des  Parietalblattes  oder  des  parietalen  Baüch- 
fellepithels  und  in  den  Rückenmarkshüllen  beobachtet,  an  welchem  letzteren 
Orte  ganz  besonders  stark  ausgezackte  Zellen  vorkommen,  welche  in  Folge  der 
Abplattung  ausserordentlich  gross  erscheinen  und  so  zart  sind ,  dass  sie  sich 
nur  schwer  auffinden  und  in  ihrem  netzförmigen  Zusammenhange  darstellen 
lassen.  Von  allen  diesen  Schichten  und  Membranen  ist  übrigens  zu  bemerken, 
dass  sie  nicht  immer  und  überall  alle  ihre  ursprünglichen  Lücken  einbüssen 
und  daher  auch  später,  wenn  nicht  netzförmig,  so  doch  durchlöchert  er- 
scheinen können.  Ihre  weitere  Umbildung  ist  sehr  einfach  •,  zu  einer  gewissen 
Zeit  und  zwar  an  einigen  Stellen  bedeutend  früher  als  an  anderen  zeigt  die 
Grundsubstanz  erst  eine  leichte  Streifung  und  dann  einen  deutlichen  Zerfall  in 
die  bekannten  Bindegewebsfibrillen  {Taf.  XXI  Fig.  367).  Die  in  der  Richtung 
des  Faserverlaufs  etwas  verlängerten  Kerne  liegen  meist  scheinbar  frei  zwischen 
den  Fibrillen ;  bisweilen  treten  sie  aber  aus  der  Fibrillenmasse  heraus  und  zei- 
gen dann  zwei  lange  und  dünne  Fortsätze,  welche  an  beiden  Enden  des  Kerns 
konisch  entspringen.  Ob  diese  Gebilde  als  wirkliche  Spindelzellen  anzusprechen 
sind,  will  ich  nicht  entscheiden;  jedenfalls  sind  sie  keine  Umbildungen  der 
ursprünglichen  Bildungszellen,  welche  lange  vorher  untergegangen  waren ,  und 
könnten  so  entstanden  sein,  dass,  soweit  die  Fibrillenbildung  durch  die  Kerne 
gleichsam  unterbrochen  wird,  die  in  dieser  Richtung  vor  und  hinter  ihnen  lie- 
genden Theile  der  protoplasmatischen  Grundsubstanz  sich  ihnen  in  zellen- 
ähnlicher  Form  anschlössen.  Es  soll  damit  nicht  behauptet  sein,  dass  nicht 
auch  neu  eingewanderte  Bildungszellen  sich  der  Fibrillenmasse  anschliessen 
und  durch  einfache  Gestaltveränderung  in  ähnliche  Zellen  übergehen ;  nur  muss 
ich  auf  Grund  der  mitgetheilten  Beobachtungen  behaupten,  dass,  solange  im 
vollständig  fertigen  iibrillären  Bindegewebe  nicht  eine  grosse  Anzahl  von  freien 
Kernen  nachgewiesen  ist,  der  allem  Anschein  nach  überwiegende  Theil  der 
Zellen  dieses  Gewebes  einer  sekundären  Bildung  aus  den  Resten  der  unter- 
gegangenen primären  Bildungszellen  seine  Entstehung  verdankt.  Die  genannten 
Spindelzellen  würden  demnach  zur  Fibrillenmasse  gerade  dieselbe  Stellung 
einnehmen,  wie  die  sekundär  gebildeten  Knorpelzellen  zu  ihrer  Intercellular- 
snbstanz.     Bei   diesem  Anlass   will  ich  noch  eine   Vermuthung  aussprechen, 


3.   Das  interstitielle  Bildungsgewebe.  521 

welche  durch  Analogien  gut  unterstützt  wird.  Wenn  innerhalb  des  Binde- 
gewebes, z.  B.  an  den  Wänden  der  interstitiellen  Lymphräume ;  später  epithel- 
artige Auskleidungen  gefunden  werden,  su  sind  meiner  Ansicht  nach  nur  zwei 
Vorstellungen  über  die  Entwicklung  jener  Zellenschichten  möglich:  entweder 
lügten  sich  die  allmählich  sich  ansammelnden  Bildungszellen  an  der  Wandfläche 
unmittelbar  zu  einer  kontinuirlichen  Epithelschicht  aneinander,  oder  sie 
bildeten  längs  der  Wand  ein  flaches  Netzwerk  und  daraus  eine  kontinuir- 
liche,  kernhaltige  Membran,  in  welcher  das  zellige  Gefüge  erst  sekundär  ent- 
stand. Für  die  erste  Möglichkeit  spricht  weder  irgend  eine  direkte  Beobachtung 
noch  eine  Analogie;  wenn  ich  dagegen  die  sekundäre  Zellenbildung  nicht  nur 
in  den  übrigen  Zellenhäuten  (Innenhaut  der  Gefässe,  Kapillarwände),  sondern 
überhaupt  in  allen  zellenhaltigen  Bildungen  (Knorpel,  Faserknochen)  nach- 
weisenkonnte, welche  in  derselben  Grundlage  des  interstitiellen  Bildungsgewebes 
entstehen  wie  die  fraglichen  Zellenauskleidungen,  so  glaube  ich  diesen  Ent- 
wickelungsgang  auch  für  die  letzteren  als  sehr  wahrscheinlich  bezeichnen  zu 
dürfen.  —  Endlich  mag  hier  noch  eine  Bemerkung  über  die  Pigmentzellen  des 
Bindegewebes  ihren  Platz  finden.  Dieselben  sind  in  ihren  bekannten,  reich  ver- 
ästelten Formen  gerade  bei  den  Batrachiern  so  weit  verbreitet ,  dass  ich  dem 
Einwände  begegnen  muss,  als  seien  die  von  mir  unter  den  Grundlagen  der 
eigentlichen  Bindesubstanz  aufgeführten  Pigmentzellen  mit  Unrecht  so  gedeutet 
worden,  und  vielmehr  identisch  mit  jenen  intakt  bleibenden  Pigmentzellen.  Zur 
Unterstützung  meiner  Darstellung  muss  ich  bemerken,  dass  die  ersteren  that- 
sächlich  ebenso  wie  die  ungefärbten  Bindegewebsanlagcn  zu  Membranen  ver- 
schmelzen ,  an  denen  Zellen  nicht  mehr  zu  unterscheiden  sind  5  da  aber  das 
Pigment  ziemlich  ausnahmslos  die  äussersten  Enden  der  Zellen  frei  lässt,  sodass 
beim  Zusammenwachsen  einer  solchen  Pigmentzellenschicht  immer  unfegel- 
niässige  pigmentfreie  Lücken  zurückbleiben,  so  können  die  auf  diese  Weise  ge- 
trennten Pigmentflecke  ebensolche  Zellen  vortäuschen.  Untersucht  man  solche 
Schichten  an  etwas  grösseren  Larven ,  so  findet  man  die  scheinbaren  Pigment- 
zellen häutig  zerrissen  und  die  Pigmentkörnchen  so  sehr  durch  die  Zwischen- 
zellenräume zerstreut,  dass  diese  ganz  allmählich  und  ohne  eine  bestimmte 
Grenze  in  die  dunkleren,  zellenförmigen  Pigmentflecke  übergehen.  Auch  ist  es 
dann  trotz  vorsichtiger  Behandlung  nicht  möglich,  die  Pigmentmasse  nicht 
theilweise  in  die  umgebende  Flüssigkeit  hinauszuschwemmen.  Endlich  findet 
man  oft  au  Stelle  des  Kerns  eine  Lücke,  in  welcher  keine  Spur  einer  Kernmasse 
zu  entdecken  ist,  während  die  darunter  liegenden  Theile  völlig  klar  und  unver- 


522  VltL.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

deckt  erscheinen.  Bei  einem  solchen  Befunde  kann  man  an  dem  unverletzten 
Zustande  der  Pigmentzellen  nicht  festhalten;  und  man  wird  zunächst  geneigt 
sein  anzunehmen,  dass  man  es  mit  einem  vollständigen  Auflösungsprocesse  von 
Zellen  zu  thun  habe.  Eine  solche  Auflösung,  schon  "an  sich  auffallend,  wird  erst 
recht  zweifelhaft,  wenn  mau  die  wenig  veränderte  Lage  des  Pigments,  nament- 
lich in  der  Umgebung  des  Kerns  berücksichtigt;  denn  das  Auflösungsmittel,  die 
Interstitialflüssigkeit,  müsste  mit  der  eigentlichen  Zellsubstanz  auch  deren  Pig- 
ment gleichmässig  in  sich  vertheilen.  Nimmt  man  aber  an ,  dass  das  Proto- 
plasma und  die  Kerne  der  miteinander  netzförmig  verbundenen  oder  membran- 
artig verschmolzenen  Pigmentzellen  sich  in  dieBindegewebsfibrillen  und  Binde- 
gewebskörperchen  verwandelt  haben,  welche  man  unter  dem  Pigmente  liegen 
sieht,  so  erscheint  es  ganz  erklärlich ,  dass  auch  die  zwischen  den  Fibrillen  frei 
gewordenen  Pigmentkörner,  wenn  auch  auf  die  eine  Seite  der  ungemein  dünnen 
Fibrillenschicht  hervorgedrängt,  im  allgemeinen  ihre  frühere  Anordnung  be- 
halten und  dadurch  noch  längere  Zeit  die  Anwesenheit  von  wirklichen  Pigment- 
zellen vortäuschen.  Diese  Beobachtung  offenbart  es  aber  recht  klar,  wie  der 
Formbestand  der  ursprünglichen  Zellen  völlig  gelöst  und  nur  ihre  metaniorpho- 
sirte  Substanz  in  grössere,  gleichartige  Gewebsmassen  übergegangen  ist. 

Im  Anschlüsse  an  die  einfachen Bindegewebsmembranen  erwähne  ich  noch 
die  von  Remak  und  Eberth  beschriebene  subepidermoidale  Schicht,  welche 
von  ihnen  als  Anlage  der  Cutis  gedeutet  wird.  Schon  an  Larven  aus  der  Mitte 
der  ersten  Periode  {vgl  Taf.  XX  Fig.  3ö2 — 354)  habe  ich  sie  als  völlig  homo- 
gene, glasartige  dünne  Haut  in  grösseren  Lappen  am  ganzen  Körper  isoliren 
können.  Sie  liegt  zwischen  der  Oberhaut  und  einem  ihr  eng  angepassten  platten 
Zellennetze  des  Bildungsgewebes,  dessen  dotterhaltige  Elemente  noch  voll- 
ständig den  embryonalen  Charakter  zeigen.  Es  kann  also  jene  feste  Haut  in 
keiner  Weise  auf  umgebildete  Zellen  zurückgeführt  und  nur  .als  kutikulare 
Ausscheidung  sei  es  von  der  Epidermis  oder  von  der  Interstitialflüssigkeit  auf- 
gefasst  werden.  In  der  zweiten  Larvenperiode  findet  man  sie  von  rechtwinkelig 
sich  kreuzenden  steifen  Fasern  durchzogen,  an  ihrer  Innenseite  aber  statt  des 
Zellennetzes  nur  noch  die  ausserordentlich  zarten  und  grossen  scheibenförmi- 
gen Kerne  und  zwischen  ihnen  diffuse  protoplasmaähnliche  Substanz,  beides 
mit  der  Faserhaut  innig  verbunden.  Zur  Zeit  der  Metamorphose  sehe  ich  an 
Stelle  dieser  Protoplasmaschicht  ein  sehr  zartes  Gewirr  von  gewundenen  Fasern 
und  kleineren  Kernen,  welche  zum  Theil  in  das  straffere  Gewebe  der  geraden 
Fasern  eingelagert  erscheinen,  sodass  sich  beide  Schichten  nicht  mehr  sondern 


3.   Das  interstitielle  Bildungsgewebe.  523 

lassen.  Das  letztgenannte  Gewebe  bildet  alsdann  noch  immer  eine  vollständig 
kontinuirliche  Haut,  welche  am  Rande,  längs  dessen  sie  abgerissen  wurde,  nicht 
ausgefasert,  sondern  stufenförmig  ausgezackt  aussieht,  sodass  man  die  angeb- 
lichen steifen  Fasern  ebenso  gut  für  Spalten  erklären  könnte.  Desshalb  halte 
ich  diese  Membran  nicht  für  die  eigentliche  Anlage  der  Unterbaut,  sondern  nur 
für  eine  verdichtete  Grenzschicht  der  Interstitialsubstanz ,  welche  das  Unter- 
hautbindegewebe gegen  die  Epidermis  abschliesst.  Hätten  dagegen  Remak 
und  Eberth  Hecht  —  was  ich  nicht  sicher  entscheiden  kann,  da  ich  die  bezüg- 
liche Untersuchung  ebenso  wenig  wie  sie  über  die  Larvenmetamorphose  hinaus 
fortsetzte  — ,  dann  wäre  die  Unterhaut  nach  Ursprung  und  Entvvickelung  von 
allen  übrigen  Bindesubstanzen  so  sehr  verschieden,  dass  sie  keinesfalls  als 
Typus  für  die  Entwickelung  des  fibrillären  Bindegewebes  hingestellt  werden 
könnte.  —  Nach  innen  schliesst  sich  an  die  genannte  Schicht  lockeres,  vonGe- 
fässen  und  Nerven  durchzogenes  Bindegewebe,  über  welches  ich  gleich  ausführ- 
licher sprechen  werde  •,  doch  traf  ich  darin  stellenweise  sehr  klare  Bilder  von 
jenen  oben  beschriebenen  durchlöcherten  Bindegewebsmembrauen.  In  diesem 
Gewebe  liegt  zu  innerstdas  bekannte  schwarze  Pigmentzellennetz,  dessen  lange 
und  schlanke  Fortsätze  meist  gerade  verlaufen  und  sich  oft  regelmässig  unter 
rechten  Winkeln  kreuzen.  Zwischen  diesem  Netze  und  dem  äussersten  unter- 
häutigen  Bindegewebe  findet  man  an  mittelgrossen  Larven  breite  schwarze 
Pigmentzellen  auf  allen  Stufen  der  beschriebenen  Auflösung;  später  schwinden 
sie  nebst  dem  zerstreuten  körnigen  Pigment  immer  mehr  und  au  ihre  Stelle 
tritt  ein  ausserordentlich  dichtes  Netz  von  vielfach  gezackten  helleren  aber 
doch  sehr  deutlich  konturirten  Zellen.  Es  sind  die  weissen ,  silberglänzenden 
Pigmcntzellen,  welche  im  durchfallenden  Lichte  bräunlich  erscheinen.  Da  ich 
im  selben  Baume  auch  mit  Ilöllensteinlösüng  keine  andere  epithelartige  Zellen- 
lage  nachweisen  konnte,  so  ist  es  wahrscheinlich,  dass  das  von  Ebeuth  an  der- 
selben Stelle  ähnlich  beschriebene  Epithel  mit  jener  weissen  Pigmentschicht 
identisch  ist. 

•  Ich  habe  die  ganze  Histiogenese  des  fibrillären  Bindegewebes  ander  einen 
hautartigen  Form  desselben  geschildert  und  kann  nun  die  übrigen  Formen 
kürzer  behandeln.  —  So  wie  die  Schichtung  und  Hautbildung  offenbar  aus 
einer  Anpassung  an  entgegenstehende  Flächen  hervorgeht,  so  bedingen  die 
weiten  Zwischenräume  zwischen  den  Organen  die  Entwickelung  des  kompak- 
teren oder  lockeren,  nach  allen  Seiten  unteivsich  zusammenhängenden  Binde- 
gewebes.    Am  frühesten  beginnt  diese  Entwickelung  zwischen  der  Oberhaut 


524  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

und  den  tieferen  Theilen  des  Kopfes.  Dort  steigert  sich  die  Zunahme  der  Inter- 
stitialnussigkeit  des  Bildungsgewebes  schon  in  der  ersten  Larvenperiode  in  dem 
Masse,  dass  die  Oberhaut  zu  einem  unförmlichen,  von  den  tieferen  Theilen  weit 
abstehenden  Sacke  ausgedehnt  wird,  an  welchem  das  frühere,  die  innere  Kopf- 
bildung abspiegelnde  Relief  vollständig  verloren  geht  (Taf.  III Fig.  54,  Taf. 
XX  Fig.  355.  350',  Taf.  XVI,  XVII).   Diese  das  subepidermoidale  Bildungs- 
gewebe betreffende  Anschwellung  verändert  aber  auch  die  Anordnung  seines 
Netzwerks.     Seine  an   die  Oberhaut  befestigten  Maschen  sind   an  mehreren 
Stellen   erweitert   und  durch  Zerreissen  einzelner  Netzstränge  zu  grösseren 
Räumen  zusammengeflossen,  in  den  zwischenliegenden  Theilen  dagegen  zusam 
mengeschoben  (Taf.  XXI  Fig.  364).    Ich  glaube  keinen  Widerspruch  zu  er- 
fahren, wenn  ich  diese  erste  Umbildung  des  früher  gleichmässigen  Netzwerks 
durch  den  Druck  der  sich  stellenweise  stärker  ansammelnden  Flüssigkeit  be- 
gründe.  In  der  Folge  verschmelzen  aber  die  strangförmig  zusammengeschobe- 
nen,   meist   senkrecht  zur   Oberhaut  gerichteten   Netztheile   zu  Balken  und 
Scheidewänden ,  welche  jedoch  in  feinere  Bälkchen  und  Bänder  gespalten  er- 
scheinen (Fig.  305).    Später  verwandelt  sich  dieses  Gerüst  in  der  beschriebenen 
Weise  in  fibrilläres  Bindegewebe,  und  indem  zugleich  die  weiten  Zwischenräume 
zu  spaltartigen  Lücken  zusammenfallen,  treten  an  die  Stelle  des  weitmaschigen 
Gerüstes   kompaktere  Bindegew ebsmassen ,  deren  von  Gefässen  und  Nerven 
durchzogene  Bündel  sich  mannigfach  kreuzen.     Wie  schon  bemerkt,  kommen 
unter  diesen  subepidermoidalen  Bindegewebsanlagen,    welche   vorherrschend 
aus  einem  Balken-  und  Fachwerke  bestehen ,  mitunter  auch  membranöse  Bil- 
dungen vor,  und  es  mögen  selbst  einige  freigebliebene  Zellenfortsätze  unmittel- 
bar in  Fibrillen  sich  verwandeln,  obgleich  ein  Beweis  dafür  sich  schwer  führen 
Hesse.    Wo  die  Dichtigkeit  dieses  Gewebes  gegen  die  Oberhaut  zunimmt,  be- 
ginnt eben  die  Unterhaut,  welche  ich  vom  übrigen  Bindegewebe  genetisch  nicht 
trennen  möchte.  —  In  den  spaltartigen  das  Bindegewebe  durchziehenden  Lücken 
sehe  ich  die  Anlagen  des  Lymphgefässsystems  des  Rumpfes  und  der  sogenann- 
ten Saftkanäle.  Da  die  letzteren  thatsäehlich  nichts  anderes  sind  als  die  feinsten 
Bindegewebslücken,  welche  in  unregelmässiger  Gestalt   und   ohne  besondere 
Wandungen  vielfach  miteinander  zusammenhängen,  und  in  denen  die  allge- 
meine, vom  Blute  her  stets  erneuerte  Ernäliruiigstiüssigkeit  alle  Gewebe  durch- 
strömt, um  darauf  von  den  Lymphgefässen  wieder  aufgesogen  und  abgeführt 
zu  werden  (vgl.  Nr.  1  j?0  IX,  das  Lymphgefässsy stein  von  F.  v.  RECKI/INGKHAUSEN ). 
so  steht  nichts  im  Wege ,  sie  für  die  letzten  Reste  der  ursprünglichen  Inter- 


3.    Das  interstitielle  Bihlungsaewebe.  525 

stitien  des  Bildungsgewebes  zu  erklären,  welcbe  etwa,  durch  fortschreitende 
Zerklüftung  des  Bindegewebes  an  Ausbreitung  und  Verfeinerung  gewannen. 
Weniger  einfach  erscheint  die  Sachlage  bei  den  grösseren  Lücken,  welche  ich 
für  die  Lymphgefässe  anspreche;  denn  diese  sind  mit  einer  Zellenhaut  ausge- 
kleidet und  zudem  in  ihren  feineren  Theilen  röhrig.  Jene  Auskleidung  besorgen 
aber  offenbar  in  der  oben  angegebenen  Weise  die  freien  Bildungszellen,  welche 
jederzeit  in  den  Interstitiell  des  Bildungsgewebes  angetroffen  werden  (vgl.  Taf. 
XXI  Fig.  364.868);  und  was  die  röhrenförmigen  Intercellulargänge  betrifft, 
so  bestehen  sie  ja ,  ganz  übereinstimmend  mit  meinen  Voraussetzungen  über 
die  Bildung  solcher  Gange,  nur  in  engeren  Räumen,  während  im  lockeren  sub- 
epidermoidalen  Bindegewebe  nur  die  grossen  Lymphsäcke  vorkommen.  Mit 
einer  solchen  Vorstellung,  dass  das  ganze  Lymphgefässsystem  des  Rumpfes 
sammt  den  Saftkanälen  und  in  beständigem  Zusammenhange  mit  denselben 
aus  dem  interzellulären  Lückensystem  des  Bildungsgewebes  hervorgehe,  stimmt 
der  Umstand  gut  übeiein,  dass  im  Rumpfe  der  Batrachierlarven  solche  Lymph- 
gefässe wie  diejenigen  des  Schwanzes  bisher  nicht  gefunden  wurden.  Wenn  es 
aber  höchst  unwahrscheinlich  ist,  dass  nur  der  Larvenschwanz  ein  Lymph- 
gefässsystem mit  allen  damit  verbundenen  Folgen  besitzen  sollte,  so  wird  man 
schon  dadurch  zur  Annahme  geführt,  dass,  sowie  die  grossen  Lymphräume 
ganz  offenbar  mit  den  grösseren  Bindegewebslücken  der  Larve  identisch  sind, 
auch  dieses  ganze  Lückensystem  in  der  Larve  als  unvollkommenes  Lymph- 
gefässsystem fungire.  Wenn  in  manchen  Organen  dennoch  intrazelluläre 
Lymphgefässanlagen  gleich  denen  des  Schwanzes  entstehen  sollten,  so  fehlte 
ihnen  ein  Zusammenhang  mit  den  einfachen  Bindegewebslücken;  denn  den 
spitz  auslaufenden  Enden  der  kaudalen  Lymphgefässe  wird  man  entsprechende 
Oeffnungen  kaum  zuschreiben  wollen.  L^ebrigens  will  ich  durch  diese  mehr 
hypothetische  Darstellung  der  Lymphgefässentwickelung  im  Rumpfe  der  Ba- 
trachier  nichts  entschieden  und  nur  weitere  Untersuchungen  angeregt  haben. 
Nachdem  ich  die  ersten  Anlagen  der  Muskelsehnen  als  feste  Massen,  welche 
aus  der  Verschmelzung  von  Bildungszellen  hervorgingen,  bereits  geschildert 
habe  (S.  454),  bedarf  ihre  weitere  histologische  Umbildung  keiner  besonderen 
Beschreibung,  da  sie  von  derjenigen  des  gemeinen  fibrillären  Bindegewebes,  so- 
weit ich  sehe,  in  keinem  wesentlichen  Punkte  abweicht  (Taf.  XI  Fig.  204.  206). 
Ebenso  will  ich  hier  nur  daran  erinnern,  dass  der  Glaskörper  und  die  Hornhaut 
des  Auges,  deren  bereits  im  Abschnitt  VI  Erwähnung  geschah,  ebenfalls  Er- 
zeugnisse  des   interstitiellen  Bildungsgewebes   sind,    welche  zu   den   Binde- 


526  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

Substanzen  gerechnet  werden  könnten.  Dagegen  ist  es  mindestens  zweifelhaft, 
ob  man  ein  Recht  hat,  die  Reste  des  interstitiellen  Bildungsgewebes  imLarven- 
schwanze  der  Annren,  soweit  sie  nicht  zur  Anlage  bestimmter  Gewebstheile 
(Gefässe,  Nerven,  Sehnen)  dienen,  für  eine  Art  von  Bindegewebe  anzusehen. 
Da  die  Atrophie  eine?  solchen  Schwanzes  nicht  durch  einen  abnormen 
pathologischen  Prosess,  sondern  durch  die  ganze  individuelle  Entwickelung  be- 
dingt ist,  so  muss  man  auch  annehmen,  dass  ihre  Ursachen  nicht  plötzlich  ein- 
treten, sondern  verhältnissmässig  früh  zu  wirken  anfangen.  Daher  ist  es  aber 
mehr  als  wahrscheinlich,  dass  schon  in  den  beinahe  zur  vollen  Grösse  ausge- 
wachsenen Schwänzen  der  Zustand  der  Gewebe  von  demjenigen  der  persistiren- 
den  Tlieile  sich  unterscheide,  und  zwar  trotz  des  allgemeinen  Wachsthums 
mindestens  eine  Verzögerung  in  der  histologischen  Entwickelung,  in  manchen 
Theilen  selbst  die  ersten  Anfänge  eines  Rückschritts  derselben  -anzeige.  Dies 
letztere  betrifft  nun  insbesondere  jenes  sogenannte  „embryonale  Bindegewebe", 
die  in  der  Zwischenzellensubstanz  zerstreuten,  zu  keiner  besonderen  Bildung 
verwandten  Sternzellen 5  denn  im  Vergleich  mit  analogen  Theilen  des  Rumpfes 
ist  der  Stillstand  in  der  Entwickelung  jenes  Gewebes  ganz  offenbar  (vgl.  Taf. 
XII  Fig.  213).  Unter  solchen  Umständen  halteich  es  für  passender,  statt 
darin  eine  besondere  Form  der  Bindesubstanzen  zu  erblicken,  es  bloss  als 
sich  rückbildende  Reste  des  ursprünglichen  allgemeinen  Bildungsgewebes  auf- 
zufassen. 

Ich  will  die  Entwickelungsgeschichte  des  interstitiellen  Bildungsgewebes 
nicht  abschliessen,  ohne  die  Aufmerksamkeit  noch  einmal  auf  zwei  Thatsachen 
zu  lenken,  welche  allerdings  schon  erwähnt  worden  sind,  aber  bei  ihrer  Bedeu- 
tung für  die  allgemeine  Histiogenese  eine  Wiederholung  an  dieser  Stelle  recht- 
fertigen. —  Wenn  ich  in  der  voranstehenden  Darstellung  in  dem  Begriffe  jenes 
Gewebes  das  ursprüngliche,  aus  den  Embryonalanlagen  hervorgegangene  Netz- 
werk von  den  beständig  einwandernden  Dotterbildungszellen  und  den  sie 
später  vertretenden  indifferenten  Bildungszellen  nirgends  trennte,  so  kann  ich 
auch  den  Bestand  und  die  Thätigkeit  des  Bildungsgewebes  zu  keiner  Zeit  des 
individuellen  Lebens  für  beendet  erklären.  Die  dem  Blute  entstammenden  und 
in  den  zurückgebliebenen  Interstitiell  des  früheren  Bildungsgewebes  (Saftkanäle) 
alle  Organe  und  Gewebe  durchwandernden  Zellen  halteich  für  das  indifferente 
plastische  Ernährungs-  und  Bildungsmaterial  auch  des  ausgebildeten  Thieres, 
welches  alle  Ausfülle  ergänzt  und  alle  Neubildungen  ausführt,  und  eben  daher 
nach  Ursprung  und  Bedeutung  als  eine  Fortsetzung  des  embryonalen  Bildungs- 


3.    Das  interstitielle  Bildungsgewebe.  527 

gewebes  erscheint.  Bei  einer  solchen  Auffassung  wird  man  aber  nicht  geneigt 
sein,  die  wie  immer  geformten  Bildungszellen  zu  den  zelligen  Elementen  des 
Bindegewebes  zurechnen-,  denn  dasselbe  ist  eben  nicht,  wie  es  so  häufig  ange- 
nommen wird,  eine  einfache  Fortsetzung  des  ursprünglichen  Bildungsgewebes, 
zu  welchem  die  Dotterbildungszellen  allerdings  gehören,  sondern  eiu  specifisch 
diffcrcnzirter  Theil  desselben,  zu  welchem  die  späteren  Bildungszellen  in  keiner 
näheren  Beziehung  stehen  als  zu  allen  übrigen  Erzeugnissen  des  interstitiellen 
Bildimgsgewebes.  Der  Bestand  des  letzteren  ist  eben  ein  flüssiger:  von  Anfang 
an  werden  Theile  von  ihm  ausgefällt,  neue  ihm  zugeführt;  aber  während  die 
eigentliche  Entwickelungszeit  zu  den  vielen  Neubildungen  grösserer  vorräthiger 
Massen  bedurfte,  welche  uns  als  zusammenhängendes,  besonderes  Gewebe  ins 
Auge  fallen,  erfüllt  es  im  fertig  eingerichteten  Organismus  seine  Aufgabein  so 
bescheidener  Gestalt,  dass  seine  selbstständige  Bedeutung  sich  leicht  der  Er- 
kenntniss  entzieht.  —  Der  zweite  Punkt,  auf  den  ich  hier  hinzuweisen  habe, 
betrifft  den  Umstand ,  dass  dem  in  diesem  Abschnitte  besprochenen  Bildungs- 
gewebe ein  nach  seinem  Ursprünge  durchaus  verschiedenes,  aber  in  seiner 
Entwickelung  und  Wirksamkeit  ebenso  vollständig  entsprechendes  Bildungs- 
gewebe gegenübersteht.  Ich  meine  die  Zellen  und  Zellentheile,  welche,  soweit 
ich  linden  konnte,  nur  im  Centralnervensystem  und  der  Netzhaut  des  Auges 
von  deren  besonderen,  dem  oberen  Keimblatte  angehörigen  Anlagen  abfallen, 
um  Gefässe  und  verschiedene  Bindesubstanzen  zu  entwickeln.  Ich  erwähnte 
in  dieser  Beziehung  bereits  die  stützenden  und  scheidenden  Zwischensubstanzen 
des  Rückenmarks  und  Hirns  (S.  277 — 280),  woraus  hervorging,  dass  sie  ebenso 
wenig  wie  die  übrigen  Bindesubstanzen  unmittelbar  auf  ganze  umgebildete  Em- 
bryonalzellen zurückgeführt  werden  können.  Ich  glaube  aber  auch  die  Gefäss- 
bildungen  der  Centralnervenorgane  von  den  ursprünglichen  Anlagen  derselben 
ableiten  zu  können.  Denn  zu  einer  gewissen  Zeit  sehe  ich  Zellen  aus  der  Anlage 
der  grauen  Masse  in  die  weisse  Fasermasse  einwandern,  sich  dort  strecken  und 
verzweigen  und  dann  Verbindungen  mit  den  Gefässen  der  weichen  Hirnhaut 
anspinnen  (Taf.  X  Fig.  181).  Allerdings  erkennt  man  diese  Gefässanlagen 
nicht  in  ihrer  primitiven  Gestalt;  denn  die  dichtgelagerten  Nervenfasern  ver- 
decken die  Zellenumrisse  so  sehr,  dass  man  um  den  Kern  herum  eben  nur  einen 
halbverwischten  hellen  Saum,  von  eigentlichen  Fortsätzen  aber  nichts  unter- 
scheidet. Immerhin  spricht  die  Auswanderung  der  Zellen  gegen  die  Peripherie 
des  Organs  -  -  wobei  sie  von  den  radiären  Scheidewänden  geleitet  werden 
mögen  (vgl.  Taf.  IX  Fig.  172)  —  kurz  vor  der  Bildung  der  Gefässe  deutlich 


528  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

genug  für  meine  Ansicht.  -  Dasselbe  Verhältniss  halte  ich  für  die  Netzhaut 
des  Auges,  obgleich  die  betreffenden  Untersuchungen  nicht  weit  genug  geführt 
wurden,  für  sehr  wahrscheinlich ,  weil  ich  ein  Eindringen  des  übrigen  Binde- 
gewebes in  die  Retina  vermisste  (vgl.  S.  325 — 326). 


Auch  in  dem  folgenden  vergleichenden  Theile  dieses  Abschnittes  werde 
ich  die  histologischen  Beobachtungen  voranstellen.  —  Wie  die  üebersicht  der 

früheren  Untersuchungen  ergibt,  war  es  Remak,  welcher  zuerst  die  noch  heute 
giltige  Lehre  von  der  Einzelligkeit  der  Muskelfaseranlagen  aulstellte.  Ausser 
diesem  allgemeinen  Ergebniss,  welches  für  die  Rückenmuskeln  richtig  ist,  sind 
aber  die  Einzelheiten  seiner  Untersuchung  irrig.  Er  zeichnet,  wie  es  scheint 
nach  frischen  Objekten,  an  den  erst  wenig  verlängerten  Zellen  der  Segment- 
kerne klare,  kreisrunde  Kerne  in  mehrfacher  Anzahl,  welche  meist  paarweise 
in  der  Nähe  der  beiden  Zellenenden  liegen  ;  an  den  grössten  Zellen  wird  merk- 
würdigerweise nur  ein  quergestreckter  Kern  dargestellt.  Ich  fand  dagegen,  dass 
die  Kerne  sich  mit  ihren  Zellen  verlängern,  stets  in  der  Mitte  derselben  und  bis 
zur  Vollendung  der  Muskelfasern  einfach  bleiben,  ausserdem  blass  und  granu- 
lirt  sind,  sodass  sie  wie  in  allen  dotterh altigen  Zellen  nur  durch  Karminfärbung 
deutlich  gemacht  werden  können.  Wenn  ich  ferner  die  Vermehrung  der  Em- 
bryonal z  eilen  der  Segmentkerne  durch  Th eilung  durchaus  nicht  bestreiten  will, 
so  muss  ich  doch  das  Verfahren  Remak's  als  willkürliches  bezeichnen,  wenn 
er  aus  einem  quergestreckten  oder  zwei  in  derselben  Richtung  nebeneinander 
liegenden  Kernen  auf  eine  folgende  Längstheilung  der  Zelle  schliesst,  aber  die 
in  der  Längsrichtung  gestreckten  oder  vermehrten  Kerne  zur  Deutung  einer 
Quertheilung  nicht  benutzt.  Und  mehr  als  solche  vermeintliche  Kerne,  welche 
ich  nicht  dafür  anerkennen  kann,  hat  Remak  für  die  nach  seinen  Angaben  sein 
lebhafte.  Längstheilung  der  Muskelzellen  nicht  angeführt.  Nicht  zuverlässiger 
ist  seine  übrige  Beschreibung  dieser  Zellen.  Die  vermehrten  Kerne  sollen  in 
iU^v  feinkörnigen  Substanz  an  der  medialen  Seite  der  Zelle  liegen,  die  .Muskel- 
substanz an  der  Aussenseite  innerhalb  der  grobkörnigen  Dottermasse  entstehen. 
Querdurchschnitte  unseres  Objekts,  aus  welchen  die  Lage  derTheile  unbedingt 
sicherer  bestimmt  werden  kann  als  an  isolirten  Zellen,  wie  sie  Remak  benutzte, 
ergeben,  dass  jene  Lage  der  beiden  Dottersubstanzen  allerdings  richtig,  die- 


VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes.  529 

jenige  der  Kerne  und  der  Muskelsubstanz  aber  gerade  umgekehrt  angegeben 
ist.  Dies  führt  uns  auf  die  Quelle  des  Irrthums  bezüglich  der  Kerne.  Bleibt 
nämlich  der  wirkliche,  stets  einfache  und  längliche  Kern  der  Muskelzelle  von 
der  Dottersubstanz  verdeckt,  so  treten  um  so  deutlicher  die  klaren,  kreisrunden 
Umbildungskugeln  hervor,  welche  Remak  als  solche  gar  nicht  erwähnt;  nimmt 
man  dazu,  dass  sie  anfangs  in  geringer,  dann  in  stets  zunehmender  Anzahl  und 
in  einer  Reihe  die  Länge  der  Zelle  durchsetzen ,  so  wird  man  sich  der  Ueber- 
zeugung  nicht  verschliessen ,  dass  Remak  die  Umbildungskugeln  mit  Kernen 
verwechselt,  den  wirklichen,  in  der  Mitte  liegenden  Kern  dagegen  ganz  über- 
sehen hat.  Ein  Vergleich  seiner  Abbildung  (Nr.  40  Taf.  XI  Fig.  7a)  mit  den 
meinigen  {Taf.  XI  Fig.  ,201—203)  wird  meine  Ansicht  wesentlich  unterstützen. 
Ganz  demselben  Irrthume  unterlag  Kölliker-,  aus  seiner  bezüglichen  Abbildung 
(Nr.  79  S.  177  Fig.  127)  ergibt  sich  bei  dem  angegebenen  Vergleiche  die  Ver- 
wechselung noch  klarer,  und  man  versteht  erst  dann  seinen  Ausdruck  von  den 
mehrfachen  „  prächtigen  Kernen  "  der  jüngeren  Muskelzellen  (Nr.  413).  Es  ist 
aber,  wie  schon  bemerkt,  die  Thatsache  richtig,  dass  jede  Muskelfaser  der 
Rückenmuskeln  der  Batrachier  aus  einer  Embryonalzelle  hervorgeht,  wie  es 
seit  Remak  Kölliker  und  Schulze  bestätigten.  Daraus  wurde  nun  trotz 
gegentheiliger  Ansichten  und  nicht  zustimmender  Beobachtungen  geschlossen, 
dass  sämmtliche  Muskelfasern  der  Wirbelthiere  auf  dieselbe  Weise  aus  ein- 
zelligen Anlagen  hervorgingen  (vgl.  Kölliker  a.  a.  0.,  Stricker  Nr.  120  S. 
1227).  Dieser  Schluss  ist  aber,  wie  meine  Beobachtungen  lehren,  selbst  in  der 
Beschränkung  auf  die  Stammuskeln  der  Batrachier  unzulässig,  da  nebst  dem 
vordersten  Abschnitte  dieser  Muskeln  ( Augenmuskeln  )  alle  übrigen  von  mir 
untersuchten  Muskeln  des  Kopfes,  des  Rumpfes  und  der  Gliedmassen  mehr- 
zellige Anlagen  ihrer  Fasern  besitzen.  Ausser  der  Beobachtung,  dass  die 
Rückenmuskeln  der  Knochenfische  sich  ebenso  bilden  wie  bei  den  Batrachiern, 
fehlen  mir  eigene  zusammenhängende  Untersuchungen  über  die  Muskelbildung 
bei  anderen  Wirbelthieren.  Immerhin  dürften  die  Angaben  über  mehrzellige 
Muskelfaseranlagen  jetzt  wieder  mehr  Vertrauen  verdienen ,  seitdem  jene  ein- 
seitige Auffassung  nicht  mehr  für  so  „gesichert  angesehen  werden  kann",  als 
Kölliker  meint.  Nur  finde  ich,  wie  ich  schon  früher  ausführte  (S.  4(J4),  in 
dieser  Thatsache  von  der  zweifachen  Bildungsweise  der  Muskelfasern  durchaus 
keine  Veranlassung,  einen  verschiedenen  Formwerth  der  letzteren  anzunehmen, 
und  sehe  in  den  bezüglichen  Beobachtungen  nur  eine  Bestätigung  dafür,  dass 

Goette,  Entwickelungsgescliicbte.  34 


530  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

der  ursprüngliche  Formwerth  der  Gewebsanlagen  in  der  Histiogenese  erlischt. 
—  Von  der  Entwickelung  der  Textlirverhältnisse  der  Muskelfasern  will  ich  hier 
nur  einen  Punkt  hervorheben.  Nachdem  zuletzt  noch  Schulze  bis  zur  Evidenz 
erwies ,  dass  das  Sarcolemma  von  den  ursprünglichen  Muskelzellen  abstamme, 
hat  Stricker  neuerdings  dieses  Häutchen  sammt  den  ihm  innen  ansitzenden 
sogenannten  Muskelkörperchen  von  nachträglich  angelagerten  Bindegewebs- 
körperchen  abzuleiten  versucht  (Nr.  120  S.  1227. 1228).  Dass  das  Sarcolemma 
eine  ursprüngliche  Zellenmembran  sei,  wird  jetzt  wohl  niemand  behaupten 
wollen;  wer  aber  die  Muskel  entwickelung  an  dem  bei  weitem  günstigsten  Ob- 
jekte, an  den  Batrachiern  studirt,  wird  die  Ansicht  Schulze's  bestätigen,  dass 
jenes  Häutchen  aus  der  äussersten  Rindenschicht  der  Muskelzellen  hervorgehe. 
Dann  kann  aber  auch  über  den  Ursprung  der  Muskelkörperchen  kein  Zweifel 
bestehen :  es  sind  die  an  der  Oberfläche  der  Muskelfaser  zurückgebliebenen 
Muskelzellenkerne,  denen  die  peripherischen  Reste  des  zur  Fibrillenbildung 
nicht  ganz  verbrauchten  Protoplasmas  anhängen.  Sie  entstehen  also  in  den 
Muskelanlagen  gerade  so  wie  die  ursprünglichen  Bindegewebskörperchen  aus 
den  Bindegewebsanlagen  und  sind  wie  diese  nicht  als  ganze,  bloss  in  der  Ge- 
stalt umgebildete  Embryonalzellen ,  sondern  als  aus  den  Resten  solcher  unter- 
gegangenen Zellen  hervorgehende  Neubildungen  aufzufassen. 

Ueber  die  Entstehung  der  Nervenelemente  hat  sich  in  neuerer  Zeit  keine 
bestimmte  Ansicht  herausgebildet,  sodass  eigentlich  nur  die  Angaben 
Schwanns  und  Remak's  zu  diskutiren  wären.  Schwann  hat  darin  vollkom- 
men Recht,  dass  die  peripherischen  Nervenstämme  selbstständig  und  an  dem 
Orte,  wo  sie  später  liegen,  aus  indifferenten  Zellen  entstehen  (Nr.  77  S. 
175 — 177).  Nur  irrt  er  in  der  von  seiner  allgemeinen  Zellentheorie  gebotenen 
Vorstellung,  dass  die  Nervenfasern  wie  alle  übrigen  Gewebselemente  bloss  um- 
geformte ganze  Zellen  oder  Zellenkomplexe  seien.  An  den  Nervenanlagen  ist 
es  wohl  noch  deutlicher  zu  erkennen  als  selbst  an  den  Muskelfaseranlagen,  dass 
der  Bestand  der  sie  bildenden  Embryonalzellen  in  gar  keiner  Beziehung  zu  den 
entfernteren  oder  näheren  Elementen  der  daraus  hervorgehenden  Gewebe.steht; 
denn  wenige,  selbst  einzelne  verlängerte  Embryonalzellen  bilden  einen  gewissen 
Abschnitt  eines  ganzen  Nervenstranges  mit  allen  seinen  zahlreichen  Fasern. 
Das  Objekt,  welches,  von  Schwann  selbst  benutzt,  gerade  die  leichteste  Wider- 
legung seiner  Ansicht  vom  Formwerthe  der  Nervenfasern  gestattet,  das  Nerven- 
system des  Larvenschwanzes  der  Anuren,  hat  nun  aber  gerade  die  Veranlassung 
zu  einer  neuen,  noch  weniger  haltbaren  Annahme  gegeben.     Remak,  welcher 


VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes.  531 

wie  alle  folgenden  Beobachter  bloss  ziemlich  vorgeschrittene  Nervenanlagen 
untersuchte,  an  denen  die  sie  zusammensetzenden  Zellen  bereits  unkenntlich 
geworden  waren ,  Hess  die  Nervenfaden  als  auf  Embryonalzellen  nicht  zurück- 
führbare Bildungen  aus  dem  Rückenmarke  hervorwachsen ;  und  Kölliker  ver- 
suchte diese  Hypothese  noch  weiter  auszuspinnen,  indem  er  nach  dem  Vorgange 
von  Bidder  und  Küpefer  die  Nervenfasern,  beziehungsweise  deren  Axencylinder 
einfach  für  Protoplasmafortsätze  der  Nervenzellen  sowohl  der  Centralorgane 
wieder  Ganglien  erklärt,  welche  im  Schwänze  der  Froschlarven  in  die  aus  ver- 
schmolzenen Zellen  vorgebildeten  Scheiden  hineinwüchsen  (Nr.  79  S.  334 — 335). 
Noch  kühner  ist  die  Hypothese  Hensen's-,  doch  finde  ich  mich  nicht  bemüssigt, 
diese  Darstellungen,  welche  an  die  Stelle  leicht  anzustellender  Beobachtungen 
zum  Theil  rein  willkürliche  Vorstellungen  setzen,  anders  als  durch  einen 
Hinweis  auf  meine  Beobachtungen  zu  widerlegen.  Aus  diesen  geht  hervor,  dass 
die  Nervenfasern  sowohl  in  den  Centralorganen  (vgl.  S.  276)  wie  in  den  periphe- 
rischen Verzweigungen  aus  einer  von  verschmolzenen  und  aufgelösten  Em- 
bryonalzellen hergestellten  Bildungsmasse  sich  entwickeln;  dass  insbesondere 
die  Nervenstränge  theils  in  selbstständiger  morphologischer  Anlage,  theils  durch 
Anfügung  und  Anpassung  einzelner  Theile  des  interstitiellen  Bildungsgewebes 
an  die  ersteren  entstehen,  sodass  der  centrifugale  Fortschritt  ihrer  Ausbildung 
lediglich  auf  die  dorsale  Lage  jener  selbstständigen  Anfänge  zurückzuführen, 
und  die  Verbindung  mit  dem  Rückenmarke  als  eine  nachträgliche  und  gerade 
centripetale  zu  betrachten  ist.  Zudem  ist  die  Fasermasse  der  Nervenstränge 
beinahe  vollständig  gebildet,  ehe  die  Ganglienzellen  die  ersten  Fortsätze  und 
zwar  durch  Verschmelzung  mit  jenen  schon  gebildeten  Fasern  oder  Fibrillen 
erhalten.  Wenn  die  meisten  Untersucher  des  Froschlarvenschwanzes,  auch 
wenn  sie  über  die  Entwickelung  der  Nerven  nichts  Neues  auszusagen  haben, 
es  zu  bemerken  nicht  unterlassen,  ob  dieselben  nach  ihrer  Ansicht  mit  den 
Sternzellen  zusammenhängen  oder  nicht,  offenbar  um  daraus  Anhaltspunkte 
für  oder  gegen  den  genetischen  Zusammenhang  beider  Bildungen  zu  gewinnen, 
so  kann  ich  diesen  Beobachtungen  insofern  nur  geringe  Bedeutung  zuerkennen, 
als  sie  durchweg  an  viel  zu  alten  Larven  angestellt  sind.  Wer  die  Nerven- 
anlagen nicht  als  einen  Theil  des  Bildungsgewebes,  als  ein  Netz  von  vielstrahli- 
gen  Zellen,  sondern  nur  als  ein  bereits  gleichmässiges  Fadennetz  kennen  lernt, 
kann  ihre  Verwandtschaft  mit  den  Sternzellen,  mögen  sie  nun  mit  diesen  Resten 
des  Bildungsgewebes  noch  verbunden  sein  oder  nicht,  beliebig  leugnen  oder  be- 
haupten, dies  aber  nicht  begründen.  Denn  dass  gerade  die  Ausbildung  der  diffe- 

34* 


532  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

renten  Erzeugnisse  des  Bilclungsgewebes  sie  von  einander  und  von  jenen  indiffe- 
renten Resten  desselben  trennt,  habe  ich  in  der  Beschreibung  auseinander- 
gesetzt, sodass  ein  Befund  ihrer  Trennung  weder  gegen  den  genetischen  Zu- 
sammenhang, noch  die  etwa  noch  vorhandenen  spärlichen  Verbindungen  dafür 
sprechen,  dass  jene  von  der  Differenzirung  offenbar  ausgeschlossenen  Theile 
des  Bildungsgewebes  unbedingt  als  künftige  Fortsetzungen  der  Nervenanlagen 
anzusehen  seien.  —  Ueber  das  Nervenmark  sei  hier  noch  bemerkt,  dass 
Schwann  es  mit  Unrecht  vom  Centralorgan  in  die  peripherischen  Nerven 
wachsen  liisst ;  bei  den  Batrachiern  wenigstens  existirt  am  Ende  der  Entwicke- 
lungszeit  in  der  weissen  Rückenmarksmasse  noch  kein  Mark,  wohl  aber  an 
vielen  peripherischen  Nervenfasern.  Aber  auch  an  diesen  tritt  es  erst  auf,  nach- 
dem die  Sonderung  der  Organe ,  in  denen  die  Nervenfasern  enden ,  so  z.  B.  der 
Muskeln,  ziemlich  weit  vorgeschritten  ist;  und  die  anfangs  sehr  geringe  Anzahl 
markhaltiger  Fasern  nimmt  ganz  allmählich  zu.  Diese  Thatsachen  erlauben 
die  Vermuthung  auszusprechen ,  dass  die  Markbildimg ,  welche  jedenfalls  eine 
verstärkte  Isolirung  der  umhüllten  Axencylinder  bezweckt,  eine  nothwendige 
Folge  von  der  fortschreitenden  Absonderung  der  terminalen  Wirkungsbezirke 
sei,  wofür  noch  der  Umstand  ins  Gewicht  fällt,  dass  die  Eingeweidenerven, 
deren  Wirkungbezirke  in  grossen  Strecken  ungesondert  zusammenfliessen,  nackt 
bleiben. 

Ueber  die  Entwickelung  der  Ganglien  bestanden  bisher  nur  die  spärlichen 
Angaben  Remak's  und  Cramer's;  Jener  hält  die  ganzen  Ganglien  für  Erzeug- 
nisse einer  oder  doch  nur  weniger  Zellen,  Dieser  jede  einzelne  Ganglienzelle  für 
ein  Zellenkonglomorat,  Beweis  genug,  dass  die  Untersuchung  an  der  Entsteh- 
ung dieser  Ansichten  wenig  Antheil  hatte.  Die  Behauptung  Kölliker's  ferner, 
dass  die  Nervenzellen  ausgebildete  Embryonalzellen  seien ,  lässt  sich  nur  da- 
durch erklären,  dass  ungünstige  Objekte  von  höheren  Wirbelthieren  zur  Be- 
obachtung kamen.  Denn  ich  kann  versichern,  dass  es  mir  wenigstens  nicht 
gelang,  die  an  den  Batrachiern  gewonnenen  Ergebnisse  über  die  Nervenent- 
wickelung  an  den  Embryonen  der  Amnioten  zu  bestätigen,  aus  dem  einfachen 
Grunde,  weil  deren  Embryonalzellen  zu  klein  und  undeutlich  sind,  um  die 
klaren  Bilder  ihrer  Umwandlung  zu  zeigen,  wie  sie  an  den  Batrachiern  zur 
Anschauung  kommen.  Eine  ganz   neue   Ansicht  über  den  Ursprung  der 

Spinalganglien  des  Hühnchens  hat  bekanntlich  His  vorgetragen :  sie  sollen  aus 
einer  zwischen  das  Rückenmark  und  die  Segmente  vorragenden  Falte  des 
oberen  Keimblattes  (Zwisebenrinne ,  Zwischenstrang)  hervorgehen,  welche  sich 


VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes.  533 

darauf  von  ihrem  Mutterboden  ablöse,  um  mit  jenen  beiden  Theilen  Verbindun- 
gen einzugehen  (Nr.  109  S.  87.  117).  Ich  habe  diese  Thatsachen,  nachdem 
ich  sie  für  die  Batrachier  zurückweisen  konnte,  an  Forellen-,  Hühner-  und 
Säugethierembryonen  (Kaninchen,  Schaf)  geprüft  und  dabei  folgendes  Ergeb- 
niss  gewonnen.  Die  Zwischenrinne  besteht  allerdings  als  seichte  Einsenkung 
des  oberen  Keimblattes  lateralwärts  vom  auf-  und  einwärts  gekrümmten  Rande 
der  Medullarplatte;  bei  zu  starker  Einwirkung  der  Erhärtungsmittel  zieht  sie 
sich  zu  einer  tieferen  Falte  ein.  Gleich  oder  sehr  bald  nach  dem  Schlüsse  der 
Medullarfurche,  wann  sie  nach  His  (Nr.  109  Taf.  IX  Fig.  4 — 7)  als  Zwischen- 
strang abwärts  wachsen  soll,  findeich  sie  unverändert,  dagegen  zwischen  den 
Segmenten,  deren  Theilung  in  inneres  Segmentblatt,  Kern  und  äussere  Segment- 
schicht alsdann  vollendet  ist,  und  dem  Rückenmarke  in  der  ganzen  Höhe  des- 
selben eine  gleichmässig  dünne  Zellenschicht,  deren  oberer  Rand  naturgemäss 
an  den  Boden  der  Zwischenrinne  stösst,  aber  mit  ihm  nicht  kontinuirlich  zu- 
sammenhängt. Da  der  Schein  eines  solchen  Zusammenhangs  an  manchen 
Durchschnitten  von  Embryonen  der  Anmieten  sehr  auffallend  sein  kann,  so 
bemerke  ich  noch  ausdrücklich,  dass  jene  dünne  Zwischenschicht  nicht  zapfen- 
förmig  und  allmählich  von  oben  hinabwächst,  sondern  in  gleicher  Mächtigkeit 
und  gleich  in  ihrer  ganzen  Höhe  entsteht,  indem  die  anfangs  zerstreuten  Zellen 
sich  allmählich  zu  einer  Schicht  ansammeln,  welche  längs  der  ganzen  Seite  des 
Rückenmarks  kontinuirlich  fortläuft.  Die  Forellenembryonem  bei  denen  diese 
Verhältnisse  sich  besonders  klar  darstellen  ,  bieten  daher  zu  jener  Verwech- 
selung keinen  Anlass.  Ganz  vollständige  Analoga  der  beschriebenen  Bildung 
findet  man  zwischen  den  hintereinander  liegenden  Segmenten,  indem  dort  das 
obere  Keimblatt  sich  gleichfalls  rinnenförmig  den  Einschnitten  der  Segment- 
grenzen anpasst,  und  im  Anschlüsse  daran  die  segmentalen  Scheidewände  mil- 
den sie  durchziehenden  Gefässen  entstehen.*  Folgerichtig  hätte  His  auch  diese 
Muskelsehnenanlage  vom  oberen  Keimblatte  ableiten  sollen.  Wenn  aber  auch 
seine  Behauptung  von  der  Abschnürung  des  Zwischenstranges  und  dessen  Ver- 
wandlung in  jene  Zwischenschicht  richtig  wäre,  so  hätte  er  damit  bewiesen,  dass 
nicht  die  Spinalganglien,  sondern  die  gefässreichen  Hirnhäute  vom  oberen 
Keimblatte  abstammten ;  denn  diese  Bedeutung  hat  die  fragliche  Zellenschicht, 


*  Vgl.  His  Nr.  109  Taf.  X  Fig.  V.  VI,  wo  die  Scheidewände  allerdings  noch  nicht  zu 
sehen  sind.  Das  frühzeitige  Erscheinen  der  Blutgefässe  in  den  Embryonen  der  Amnioten 
erlaubt  es,  die  genannte  Schicht  auf  ausgewanderte  Bildungszellen  des  Blutes  zu  beziehen. 


534  VIIT.    Die  Segmente  des  Rumpfes 

wie  ich  mich  namentlich  an  Kaninchenembryonen  überzeugte.  Frontaldurch- 
schnitte aus  verschiedenen  Entwickelungsstufen  ergeben  auf  das  unzwei- 
deutigste, dass  die  äussere  Segmentschicht  (Rückentafel  His)  am  längsten  un- 
verändert bleibt  und  sjmter  in  die  Bauchwand  hineinwächst ,  um  den  äusseren 
Rumpfmuskeln  zur  Anlage  zu  dienen-,  die  schmächtigen  Segmentkerne  ver- 
wandeln sich  frühzeitig  in  die  Stammuskeln ,  und  die  inneren  Segmentblätter, 
welche  immer  in  deutlicher  Abgrenzung  gegen  die  Segmentkerne  und  die  dem 
Rückenmarke  unmittelbar  angefügte  neugebildete  Zellenschicht  bleiben,  ver- 
dicken sich  am  meisten,  um  endlich  die  alternirenden  Anlagen  der  spinalen 
Ganglien  und  des  dazwischen  übrigbleibenden  Bildungsgewebes  (Bindegewebe, 
Gefässe,  Wirbel)  auszusondern.  Jene  zwischen  den  Ganglien  und  dem  Rücken- 
marke befindliche  dünne  Schicht  lässt  sich  freilich,  sobald  die  bei  allen 
Amnioten  ausserordentlich  mächtigen  und  in  der  Längsrichtung  beinahe  zu- 
sammenstossenden  Nervenwurzeln  sich  mit  dem  Rückenmarke  verbunden  haben, 
nicht  mehr  in  der  früheren  Ausdehnung  demonstriren,  doch  kann  man  stellen- 
weise nachweisen ,  dass  sie  sich  in  eine  ähnliche  lockere  und  gefässreiche  Hülle 
des  Contralnervenorgans  verwandelt,  wie  ich  sie  bei  den  Batrachiern  als  erste 
Bildung  des  aus  den  Segmentblättern  hervorgehenden  Bilduugsgewebes  be- 
schrieb. Der  Umstand ,  dass  bei  diesen  Thieren  die  Auflösung  der  Segment- 
blätter  nach  der  Ausfällung  der  Ganglien  bereits  eingetreten  ist,  bevor  die  Ge- 
fässe entwickelt  sind  und  damit  die  Möglichkeit  von  Neubildungen  durch 
Dotterbildungszellen  gegeben  ist,  erklärt  es  zur  Genüge,  warum  dort  die  Anlage 
der  Rückenmarkshäute  sich  von  dem  anstossenden  Bildungsgewebe  nicht  so 
deutlich  absondert  wie  bei  den  Amnioten.  —  Auf  Grund  meiner  Untersuchun- 
gen behaupte  ich  also ,  dass  die  Spinalganglien  und  Spinalnervenstämme  bei 
allen  Wirbelthieren  aus  den  Segmenten  hervorgehen  (Remak)  und  nicht  aus 
dem  oberen  Keimblatte,  wie  His  irrthümlich  angegeben  hat.*  Hinsichtlich  der 
peripherischen  Nervenausbreitung  fand  ich  eine  Bestätigung  des  bei  den 
Batrachiern  Beobachteten  nur  bei  den  Forellenembryonen';  bei  den  Amnioten 
habe  ich  aber  klare  Befunde  über  diesen  Vorgang  vermisst,  und  wenn  His,  wie 
es  scheint,    der -Ansicht  ist,    dass  die  peripherischen  Nerven  aus  dem  Rücken- 


*  Die  Zwischenrinne  hat  mithin  keine  andere  Bedeutung,  als  dass  sie  vorübergehend 
die  Grenze  von  Rückenmark  und  Segmenten  äusserlich  andeutet,  wie  es  bereits  Dubsy  dar- 
gethan  hat,  ohne  übrigens  auf  die  wirkliche  Bildung  der  Spinalganglien  einzugehen  (Nr.  110 

S.  54.  55). 


VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes.  535 

marke  und  den  Ganglien  herauswüchsen  (Nr.  109  S.  169),  so  scheint  es  mir  bei 
dem  Mangel  eines  Beweises  dafür  um  so  mehr  gerechtfertigt ,  den  Amnioten 
dieselbe  selbstständige  Entwickelung  der  Nervenzweige  aus  dem  Bildungs- 
gewebe zuzuschreiben,  wie  sie  bei  Batrachiern  und  Fischen  thatsächlich 
besteht. 

Indem  ich  jetzt  in  der  vergleichenden  Betrachtung  auf  das  interstitielle 
Bildungsgewebe  übergehe,  muss  ich  gleich  eingangs  konstatiren,  dass  ein 
solches  bisher  gar  nicht  bekannt  war.  So  oft  noch  von  einem  embryonalen 
Bildungsgewebe  die  Rede  war,  verstand  man  darunter  lokale  indifferente 
Grundlagen  einzelner  Organe  und  Gewebe;  nirgends  finde  ich  aber  eine  An- 
deutung, dass  die  Gesammtheit  der  lockeren  Zellennetze  mit  den  darin  zeit- 
weilig frei  herumwandernden  Bildungszellen,  indem  sie  die  Zwischenräume  in 
und  zwischen  allen  morphologisch  geschlossenen  Embryonalanlagen  erfüllen, 
als  die  gemeinsame  und  zusammenhängende  Grundlage  des  überwiegend 
grössten  Theils  aller  Bindesubstanzen,  Gefässe,  peripherischen  Nerven  und 
mancher  Muskeln*  aufgefasst  wurden.  Den  Grund  dafür  sehe  ich  hauptsächlich 
darin,  dass  die  Untersuchungen  an  viel  zu  vorgeschrittenen  Entwickelungs- 
stufen  angestellt  wurden ,  wann  das  Bildungsgewebe  kein  indifferentes  Gepräge 
mehr  aufweist,  und  die  Anlagen  der  Gefässe  und  Nerven  nicht  mehr  so  deutlich 
wie  früher  als  unmittelbare  Theile  jenes  Gewebes  erscheinen.  Der  ausge- 
wachsene Larvenschwanz  ist  eben  ein  so  bequemes  Objekt,  dass  man  immer 
wieder  bei  demselben  stehen  blieb,  und  die  dort  gesehenen  Bilder  sowie  die 
daraus  gezogenen  Schlüsse  als  massgebend  für  alle  analogen  Entwickelungs- 
vorgänge  betrachtete.  Da  nun  in  diesen  vorgerückten  Perioden  die  sich  neu- 
bildenden  Gefässe  und  Nerven  aus  den  bereits  fertigen  hervorzuwachsen 
scheinen,  so  ergab  sich  die  Auffassung  von  selbst,  dass  die  von  mir  als  allge- 
meines Bildimgsgewebe  erkannten  Zellenmassen  bloss  die  Anlage  der  Binde- 
substanz seien.  Am  schärfsten  wurde  diese  Auffassung  von  His  am  Hühnchen 
durchgeführt,  dem  sich  darauf  W.  Müller  hinsichtlich  der  Batrachier  an- 
schloss  (vgl.  S.  404).  Die  Darstellung  von  His,  welche  ich  übrigens  schon  an 
anderer  Stelle  kritisirt  habe  (Nr.  121  S.  165.  183.  192),  lässt  sich  dahin  zu- 
sammenfassen, dass  der  Keimwall  (Nebenkeim),  welcher  an  den  jungen  Batra- 


*  Ausser  deu  schon  erwähnten  Hautmuskeln  und  dem  M.  trausversus  ist  hier  noch  der 
M.  depressor  maxillae  inferioris  (Ecker,  Nr.  90  S.  72)  zu  nennen,  welcher  erst  während  der 
Metamorphose  entsteht. 


536  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

chierlarven  der  blutbildenden  peripherischen  Schicht  der  Dotterzellenmasse 
entspricht,  nicht  nur  die  Blutzellen  (Blutinseln) ,  sondern  auch  die  ganze  Platte 
von  „gefässbildenden  Zellen"  erzeugt,  in  welche  die  peripherischen  Theile  des 
mittleren  Keimblattes  auslaufen ,  und  dass  darauf  diese  netzförmigen  Gef  äss- 
anlagen  durch  Sprossen  in  den  Embryo  hineinwachsend  dessen  sämmtliche  Ge- 
fässe  herstellen,  während  von  der  primitiven  Gefässwand  fortwährend  Zellen 
sich  ablösen,  welche  als  parablastische  Anlagen  der  Bindesubstanzen  alle 
Zwischenräume  zwischen  den  übrigen  Anlagen  ausfüllen  (Nr.  101)  S.  95 — 100. 
175.  176).  Wenn  man  aber  erfährt,  dass  His  den  Beweis  für  seine  Darstellung 
nur  aus  dem  Vergleiche  der  isolirten  Elemente  des  Keimwalls  und  seiner  Ge- 
fässschicht  schöpfte  (S.  96.  97),  so  versteht  man,  wie  ihm  entgehen  konnte, 
was  sich  nur  aus  systematisch  gesammelten  Durchschnittspräparaten  erkennen 
lässt ,  dass  nämlich  jene  Gef  ässschicht  als  peripherischer  Theil  des  mittleren 
Keimblattes  (Randwulst)  stets  vom  Keimwalle  deutlich  geschieden  besteht,  und 
schon  vor  dem  Erscheinen  der  ersten  Blutinseln  gerade  so  wie  ich  es  vom  inter- 
stitiellen Bildungsgewebe  der  Batrachier  beschrieb ,  sich  in  ein  Zellennetz  ver- 
wandelt, welches  zur  Gefässbildung  im  Gefässhofe  verbraucht  wird ,  während 
die  erst  im  Fruchthofe  deutlicher  werdende  Sonderung  der  Seitenplatten  sich 
allmählich  über  jene  Gef  ässschicht  ausbreitet  (vgl.  Nr.  121  S.  184 — 186.  Taf. 
XII,  Nr.  122  S.  46—48.  Fig.  8).  Es  entspricht  also  diese  Gef  ässschicht  durch- 
aus dem  Bildungsgewebe,  welches  bei  den  Batrachiern  am  Umfange  der 
Dotterzellenmasse  sich  an  der  Innenseite  des  Visceralblattes  ausbildet,  um  die 
Blutanlagen  (Blutinseln)  einzuscheiden  und  in  das  Herz  überzuführen  (vgl. 
weiter  unten).  Eine  zweite  Keimstätte  des  allgemeinen  interstitiellen  Bildungs- 
gewebes Hnde  ich  in  den  inneren  Segmentblättern  (mediale  und  untere  Ur- 
wirbelwande  His),  deren  Umbildung  in  der  Entwickelungsgeschichte  der  Spinal- 
ganglien erwähnt  wurde;  inwieweit  die  äussere  Segmentschicht  (Rückentafel 
aut.)  sich  später  am  Bildungsgewebe  betheiligt,  ist  mir  bei  den  Amnioten  nicht 
klar  geworden,  wogegen  ihr  vollständiger  Uebergang  in  die  subepidermoidalen 
Theile  desselben  Gewebes  in  Forellenembryonen  leicht  zu  verfolgen  ist,  bei 
welchen  ich  überhaupt  dieselbe  Entwickelung  des  interstitiellen  Bildungs- 
gewebes  wie  bei  den  Batrachiern  nachweisen  konnte.  Es  scheint  mir  daher 
festzustehen,  dass  in  allen  Fällen  gewisse  Theile  des  mittleren  Keimblattes  die 
ersten  Grundlagen  des  interstitiellen  Bildungsgewebes  abgeben;  und  nur  zur 
Ergänzung  und  Vermehrung  desselben  dient  die  Einwanderung  indifferenter 
Blutzellen,  welche  ich  mit  Rücksicht  auf  nieine  Beobachtungen  aii  den  Anuren- 


VIII.   Die  Segmente  des  Rumpfes.  537 

larven  für  alle  Wirbelthierembryonen  annehme.  His  leitet  nun  alles  lockere 
Zwischengewebe  von  diesen  überall  in  Begleitung  der  Gefässe  auftretenden 
Bildungszellen  ab,  welche  er  zudem  „von  den  Gefässwandungen  weitersprossende 
Zellen"  nennt  (S.  175).  Da  er  aber  nach  seinem  eigenen  Geständniss  die  Bil- 
dung und  Zusammensetzung  der  primitiven  Gef  ässröhren  nieht  bestimmt  er- 
kannt hat  (S.  98)  und  uns  ferner  die  Erklärung  schuldig  bleibt ,  wie  er  jenen 
merkwürdigen  Vorgang  sich  selbst  vorstellt ,  so  sehe  ich  in  dieser  Hypethese 
am  allerwenigsten  ein  Hinderniss , -die  einzelnen  Lücken  der  Beobachtung  über 
die  Entwickelung  des  Bildungsgewebes  bei  den  Amnioten  durch  meine  an  den 
Batrachieren  und  Fischen  gemachten  Erfahrungen  auszufüllen.  Die  Behaup- 
tung W.  Müllers  dagegen ,  dass  die  His'sche  Lehre  auch  für  die  Batrachier 
Geltung  finde  (Nr.  74  S.  353.  417),  wird  wohl  einfach  durch  denHiuweis  darauf 
widerlegt,  dass  bei  diesen  Thieren  das  Bildungsgewebe  sieh  früher  als  die  Ge- 
fässe entwickelt  und  dass  die  „zwei  Aorten",  von  welehen  diese  Entwickelung 
ausgehen  soll,  bei  den  Batrachiern  niemals  vorhanden  sind.  —  Aus  dieser 
ganzen  Darstellung  ergibt  sich  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  für  alle  Wirbel- 
thiere,  dass  ihr  interstitielles  Bildungsgewebe  theils  aus  vorgebildeten  Theilen 
des  mittleren  Keimblattes,  theils  aus  eingewanderten  Blutzöllen  entsteht.  Gegen- 
über der  Ansicht  aber,  dass  es  nur  eine  embryonale  Bindesubstanz  darstelle, 
muss  ich  an  den  von  mir  an  einer  anderen  Stelle  erhobenen  Einwand  erinnern 
(Nr.  121  S.  192),  dass  es  durchaus  nicht  möglich  ist,  jene  Beschränkung  in 
der  Thätigkeit  des  Bildungsgewebes  zu  beweisen,  während  auf  der  anderen  Seite 
es  mir  zunächst  bei  Batrachiern  und  Knochenfischen  gelang,  seine  allgemeine 
Bedeutung  nachzuweisen. 

Von  den  Erzeugnissen  des  Bildungsgewebes  sind  hier  noch  die  Gefässe 
und  das  Bindegewebe  vergleichend  zu  betrachten.  —  In  der  Entwickelungs- 
geschichte  des  Blutgefässsystems  haben  sieh  von  An  läng  an  bis  in  die  neueste 
Zeit  die  verschiedensten  Ansichten  gegenübergestanden;  und  dies  erklärt  sich 
leicht  aus  dem  Umstände,  dass  es  drei  Arten  der  Gefässbildung  gibt  (primäre, 
sekundäre,  Dottergefässe),  deren  Verschiedenheit  aber  bisher  unbekannt  blieb, 
sodass  meist  das  an  einer  Art  Gesehene  auf  das  ganze  Gefässsy stein  übertragen 
wurde  und  natürlich  den  anderen  ebenso  einseitigen  und  an  verschiedenen 
Thieren  ausgeführten  Beobachtungen  widersprechen  musste.  Bei  einer  solchen 
Mannigfaltigkeit  der  zu  kritisirenden  Untersuchungen  sehe  ich  mich  veranlasst, 
hier  einige  Bemerkungen  über  die  Dottergefässe  der  Batrachierembryonen, 
deren  Entwicklungsgeschichte  eigen tlieh  in  ein  späteres  Kapitel  gehört,  sowie 


538  VIII.   Die  Segmente  des  Rumpfes. 

meine  eigenen  Beobachtungen  über  die  Gef  ässbilclung  der  Knochenfische  und 
Vögel  vorauszuschicken. 

Am  unteren  und  seitlichen  Umfange  der  Dotterzellenmasse  der  Batrachier- 
embryonen  bilden  sich  in  der  ersten  Larvenperiode  Inseln  von  Blutzellen,  indem 
einzelne  von  den  grossen  peripherischen  Dotterzellen  in  Haufen  kleinerer  runder 
Zellen  zerfallen.  Zugleich  löst  sich  von  der  anstossenden  Innenseite  des  Vis- 
ceralblattes  eine  Anzahl  von  Zellen  ab ,  welche  unter  Ansammlung  einiger  In- 
terstitialflüssigkeit  eine  flache  Schicht  von  Bildungsgewebe  herstellen.  Dieses 
Bildungsgewebe  deckt  anfangs  die  von  den  neugebildeten  Blutzellen  ausgefüll- 
ten Gruben  der  Dotterzellenmasse-,  indem  aber  die  zunehmende  Zwischen- 
flüssigkeit die  Blutzellenmassen  lockert  und  ausdehnt,  treten  sie  aus  der  Ober- 
fläche der  Dotterzellenmasse  hervor  und  wirken  dann  auf  das  umgebende 
Bildungsgewebe  in  der  gleichen  Weise  wie  die  sich  ansammelnde  Interstitial- 
flüssigkeit  bei  der  Entstehung  der  primären  Gef  ässe,  d.  h.  sie  erzeugen  um  sich 
herum  netzförmige  Schläuche,  welche  miteinander  in  Verbindung  treten  und 
so  das  Dottergefässnetz  zusammensetzen.  Da  die  Dotterzellenmasse  vorn 
unmittelbar  an  die  Leberanlage  (Vordarm)  und  diese  wieder  an  das  Herz  an- 
stösst,  sodass  das  Visceralblatt  von  jener  Masse  in  einer  Fläche  über  die  Leber 
hinweg  in  die  Herzwand  übergeht,  so  ist  es  verständlich,  dass  sein  Bildungs- 
gewebe die  Verbindung  zwischen  dem  Dottergefässnetz  und  der  Herzhöhle 
vermittelt.  In  diesen  den  Vordarm  umschliessenden  Theilen  des  Gewebes 
entstehen  ganz  nach  dem  Typus  der  primären  Gefässe  die  Dottervenen, 
welche  die  Blutzellenmasse  in  das  Herz  überführen.  —  Dieses  Bildungsgewebe 
des  Visceralblattes  ist  eben  als  Bedeckung  des  Nahrungsdotters  homolog  der 
oben  bezeichneten  Gefässschicht  des  Hühnerembryo,  welche  dem  Nahrungs- 
dotter (Keimwall)  ebenfalls  unmittelbar  aufliegt;  und  nimmt  man  dazu,  dass 
auch  dieser  Dotter,  wie  ich  es  bereits  ausführlich  beschrieben  habe  (Nr.  121 
S.  180 — 186),  Dotterzellen  erzeugt,  welche  in  Haufen  von  Blutzellen  zerfallend 
f  Blutinseln)  sich  in  jene  Schicht  eindrängen  und  das  sie  zunächst  umgebende 
Zellennetz  in  primitive  Gefässwandungen  verwandeln,  und  dass  darauf  diese 
mit  Blut  gefüllten  Schläuche  sich  netzförmig  verbinden,  so  hat  man  eine  voll- 
ständige Uebereinstinnnung  in  der  Dottergefässbildung  der  Batrachier  und  des 
Hühnchens.  Der  Fruchthof  des  letzteren,  in  welchen  nur  selten  einige  Blut- 
inseln vorrücken ,  entspricht  aber  dem  Gebiete  der  sammelnden  Dottervenen, 
welche  in  der  Batrachierlarve,  in  Folge  der  Beschränkung  ihres  Nahrungs- 
dotters  auf  die  Ausbreitung  des  Mitteldarms  hinter  der  Leberanlage,  neben 


VIII.   Die  Segmeute  des  Rumpfes.  539 

dieser  einen  sehr  kurzen  Verlauf  bis  zum  Herzen  haben.  Diese  Venen  entstehen 
höchst  wahrscheinlich  auch  im  Fruchthofe  des  Hühnchens  nach  dem  Typus  der 
Hauptgefässe;  schon  v.  Baer  und  Remak  sahen  dort  anfangs  nur  blutleere 
Kanäle  (Nr.  SIS.  31.  32,  Nr.  40  S.  14).  Von  den  übrigen  Gefässen  des  Hühner- 
embryo  kann  ich  noch  anführen,  dass  dort,  wo  jederseits  eine  der  beiden  primi- 
tiven Aorten  entsteht,  nämlich  in  dem  dreieckigen  Räume  zwischen  dem 
medialen  Rande  des  Visceralblattes ,  den  Segmenten  und  dem  Darmblatte  un- 
mittelbar vor  dem  Erscheinen  des  Gef  ässes  etwas  lockeres  Bildungsgewebe  liegt, 
welches  einen  Zusammenhang  mit  demselben  Gewebe  des  Visceralblattes  nur 
stellenweise  zeigt  und  daher  unbedenklich  wie  bei  den  Batrachiern  von  den 
inneren  Segmentblättern  (untere  Segmentfläche)  abgeleitet  werden  kann.  In 
dieser  Beobachtung  sehe  ich  einen  Beweis ,  dass  die  Aorta  weder  aus  einem 
soliden  Zellenstrange  sich  entwickelt,  noch  aus  der  peripherischen  Gef  ässschicht 
in  den  Stammtheil  hineinwächst.  —  An  den  Embryonen  der  Knochenfische 
fand  ich,  dass,  wenn  auch  der  eigentliche  Ursprung  der  blutbildenden  Elemente 
nicht  ganz  sicher  zu  ermitteln  ist,  immerhin  die  Blutinseln  ebenso  wie  bei  den 
Batrachiern  und  Vögeln  an  der  Oberfläche  des  Nahrungsdotters  entstehen  und 
in  die  anliegende  Schicht  des  mittleren  Keimblattes  aufgenommen  werden, 
worauf  die  Dottergef  ässbildung  in  der  geschildertun  Weise  fortschreitet  (Nr. 
121  S.  196).  Hinsichtlich  der  bleibenden  Körpergefässe  beobachtete  ich,  dass 
die  Aortenwurzeln  und  die  Aorten  mit  ihren  ersten  Verzweigungen  (-die  inter- 
segmeutalen  Zweige  ,  die  Artt.  sufrclaviae)  in  dem  sehr  deutlich  ausgebildeten 
Lückensystem  des  Bildungsgewebes  so  entstehen,  dass  vor  dem  Erscheinen  einer 
scharfumgrenzten  grossen  Lichtung  an  derselben  Stelle  bereits  erweiterte 
Lücken  lagen ;  die  eben  entstandenen  Gef ässwände  bestehen  aus  einer  Lage 
von  Zellen,  welche  zum  Theil  untereinander  verschmolzen  sind  und  jedenfalls 
hier  und  da  kleine  Lücken  zwischen  sich  frei  lassen,  also  ein  freilich  sehr 
dichtes ,  plattes  Netz  bilden.  Diese  Beobachtungen  halte  ich  gleichfalls  für 
geeignet ,  das  bei  den  Batrachiern  unmittelbar  Erkannte  zu  bestätigen ,  dass 
nämlich  die  Hauptgefässe  des  Körpers  aus  regelmässig  angeordneten  Inter- 
cellulargängen  des  allgemeinen  Bildungsgewebes  hervorgehen. 

Aus  allen  meinen  Untersuchungen  über  die  Bildung  der  Dottergef  ässe  und 
der  Hauptgefässe  des  Körpers  ergibt  sich,  dass  ihre  Entwickelungsweise  im 
Grunde  genommen  dieselbe  und  nur  in  der  äusseren  Erscheinung  verschieden 
ist.  Denn  der  wesentliche  Bildungsvorgang ,  nämlich  die  Ausweitung  gewisser 
Lücken  des  Bildungsgewebes  zu  cylindrischen  Intercellulargängen  durch  eine 


540  VIII.   Die  Segmente  des  Rumpfes. 

in  ihnen  sich  ansammelnde  Flüssigkeit,  bleibt  sich  gleich;  und  da  selbst  im 
Körper  die  nach  dem  Deginn  der  Herzthätigkeit  entstehenden  Hauptgefässe 
den  ausweitenden  Inhalt  von  einer  bestimmten  Seite  her  und  zuletzt  sogar  in 
Form  vollständigen  Blutes  aus  den  bereits  fertigen  Gef  ässen  zugeführt  erhalten, 
so  beschränkt  sich  der  ganze  Unterschied  in  der  Entwickelung  der  Dutter-  und 
Hauptgefässe  auf  die  nicht  sehr  bedeutenden  Differenzen  des  ursprünglichen 
Inhalts,  welcher  bald  als  blosses  Serum,  bald  in  der  Form  kompakter  Blut- 
zellenheerde,  oder  endlich  als  vollständiges  Blut  erscheint,  nirgends  aber  mit 
den  Gefässwänden  aus  derselben  zelligen  Anlage  hervorgeht,  sowie  er  auch 
später  nicht  zu  ihnen  gehört.  Ich  hätte  daher  auch  die  Entwickelungsgeschichte 
der  beiderlei  Gefässe  gar  nicht  so  vollständig  auseinandergehalten,  wenn  nicht 
gerade  jene  wechselnde  äussere  Erscheinung  zur  Quelle  der  meisten  Verwech- 
selungen und  Irrthümer  in  diesem  Gebiete  geworden  wäre.  • —  Die  Dottergefässe 
der  Batrachier  sind  freilich  bei  den  Salamandrinen  (vgl.  Rusconi  Nr.  39Taf.  I  II) 
und  bei  Alytes  (vgl.  Vogt  Nr.  26  Taf.  I) ,  nicht  aber  bei  den  am  häufigsten  un- 
tersuchten übrigen  Anuren  bekannt  gewesen;  über  ihre  Entstehung  berichtet 
uns  Vogt  nichts  Besonderes,  sondern  bringt  sie  mit  allen  übrigen  Gefässen,  die 
Kapillaren  eingeschlossen,  unter  ein  Bildungsgesetz,  wonach  sie  ohne  Mitwir- 
kung eines  Inhalts  entstandene  Gewebszwischenräume  wären.  Diese  irrige 
Auffassung  war  offenbar  der  Rückschlag  gegen  die  v.  BAER'sche  Lehre,  welche 
das  zuerst  gebildete  und  in  Bewegung  gesetzte  Blut  seine  Bahnen  in  indifferen- 
tem. Bildungsgewebe  ausgraben ,  und  Wandungen  derselben  erst  nachträglich 
entstehen  liess.  Diese  nur  von  Reichert  anerkannte  Lehre  enthält,  trotz  der 
offenbaren  Fehler  in  der  allgemeinen  These,  in  ihren  Anfängen,  in  den  Be- 
obachtungen v.  Baer's  5  viel  mehr  Richtiges  als  alle  späteren  Theorien.  Auch 
bei  dieser  Gelegenheit  inuss  ich  darauf  aufmerksam  machen,  wie  sehr  man  v. 
Baek  Unrecht  thut,  wenn  man  über  seinen  theoretischen  Auseinandersetzungen 
seine  eigentlichen  Beobachtungen  vergisst,  jene  allein  als  das  Ergebniss  seiner 
\rbeit  betrachtet.  Die  Beobachtungen ,  welche  nach  v.  Baer's  eigenem  Ge- 
ständniss  seinen  vorgefassten  und  später  zu  jener  Theorie  benutzten  Ver- 
muthungen  nicht  entsprachen,  enthalten  Folgendes  (Nr.  SIS.  31 — 36).  Im 
Gefässhofe  des  Hühnerembryo  allein  füllt  wirkliches  Blut  gleich  anfangs  die 
(  M'l'iisso,  von  denen  wenigstens  die  Grenzvene  zuerst  eine  blosse  Lücke  im  Ge- 
webe sei,  welche  erst  später  von  einer  festeren  Wandung  umschlossen  werde. 
Die  Gelasse  des  Fruchthofes  sowie  die  jüngsten  Aortenanlagen  enthalten  zuerst 
bloss  Blutserum,    und  jene  zeigen   sofort   Andeutungen  einer  zarten   Wand, 


VIII.  Die  Segmente  des  Rumpfes.  541 

wahrend  eine  solche  an  den  Aorten  eine  Zeit  lang  zu  fehlen  scheine,  und  das 
Blut   wahrscheinlich  unbestimmt  im  Bildungsgewebe  sich  verliere,  um  sich 
erst  allmählich  festbegrenzte  Bahnen  auszugraben.     Aus  diesen  Bemerkungen 
ergibt  sich ,  dass  meine  eigenen  Beobachtungen  über  die  Dotter-  und  primären 
Körpergefässe  sich  unmittelbar  an  die  v.  BAEß'schen  anknüpfen  lassen  ,  indem 
sie  lediglich  als  Ergänzungen  und  weitere  Ausführungen  der  letzteren  erscheinen 
und  den  gesammten  Bildungsvorgang  näher  bestimmen.     Remak  brachte  da- 
gegen die  Ansicht  auf,  welche  in  verschiedener  Gestalt  sich  bei  allen  folgenden 
Embryologen  erhalten  hat,    dass  nämlich  alle  Dotter-  und  Hauptgefässe  zu- 
gleich mit  einem  Blutinhalte  als  Differenzirungsprodukte  einer  gemeinsamen 
Anlage  entstehen.     An  den  nicht  ganz  leicht  zu  erforschenden  Dottergefässen 
kann  man  dies  noch  zu  sehen  glauben  ;  nirgends  habe  ich  aber  im  Körper  dieser 
und  aller  anderen  Wirbelthiercmbryonen  einen   noch  so  schwachen  Anhalts- 
punkt für  jene  Behauptung  gefunden,  da  die  ersten  Gefässanlagen  überall  blut- 
leere Röhren  darstellen ,   welche  erst  später  vom  Herzen  aus  mit  Blut  gefüllt 
werden.     Diese  irrige  Ansicht  Remak's  wurde  nur  von  Kölliker  unverändert 
adoptirt;  His  folgt  ihr,  wenn  auch  nicht  ganz  bestimmt,  in  Betreff  der  Dotter- 
gefässe  (Nr.  109  S.  98),  natürlich  unter  Voraussetzung  des  anderen  Ursprungs 
der  ganzen  Gef ässschicht.     Die  Entstehung  der  übrigen  Gefässe  hat  His  nur 
ganz  allgemein  dargestellt:   aus  der  Wand  der  Dottergefässe    sollen  Zellen- 
stränge hervorsprossen,  welche  quer  gegen  die  Längsaxe  des  Embryo  wachsend 
sich  in  demselben  zu  Längssträngen,  den  Anlagen  der  Aorten  und  Kardinal venen, 
verbinden,   deren  Wucherungen  das  übrige  Gefässnetz  erzeugen  (Nr.  109  S. 
100.  175.  176).     Da  jedoch  His  über  die  Zusammensetzung  der  Wand  der 
Dottergefässe  nur  eine  Vermuthung  ausspricht,  für  die  übrigen  Gefässe  aber 
nicht  einmal  andeutet,    wie  sie  aus  den  nicht  weiter  beschriebenen  „Zellen- 
strängen" entstehen  sollen,  so  befinde  ich  mich  nicht  in  der  Lage,  die  Behaup- 
tung eines  bestimmten  Thatbestandes  zu  widerlegen;  sollte  übrigens  His  unter 
den  strangförmigen  Gefässanlagen  etwas  Aehnliches  verstehen  wie  Remak  ,  so 
verweise  ich  auf  das  darüber  Gesagte.  -  -  Klein  glaubte  zu  erkennen,  dass  die 
Gefässe  des  Gefäss-  und  Fruchthofes  aus  miteinander  verschmelzenden  Blasen 
entständen,  aus  deren  Wand  zudem  die  Blutzellen  hervor  wüchsen ,  oder  aus 
Riesenzellen,  welche  das  Blut  endogen  erzeugten;  ich  habe  diese  Auffassimg, 
der  sich   auch   Stricker  anschloss  (Nr.  120  S.  1218),  schon  früher  zurück- 
gewiesen (Nr.  121  S.  194.  195)  und  will  hier  nur  hinzufügen,  dass  Klein  jene 
merkwürdige  Entstehungsweise  auch  auf  die  Aorten  ausgedehnt  wissen  will 


542  Ylll.   Die  Segmente  des  Rumpfes. 

(Nr.  122  S.  44).  —  Die  fadenförmigen  Verbindungen  zwischen  den  Dotter- 
gefässen ,  welche  seit  Remak  bekannt  sind,  gehören  offenbar  in  die  Kategorie 
der  kapillären  Gef  ässanlagen,  zu  denen  ich  jetzt  übergehe. 

Ueber  die  Entwickelung  der  Haargefässe  des  Froschlarvenschwanzes, 
welche  das  Vorbild  für  alle  analogen  Vorgänge  geblieben  sind,  hat,  nach  der 
sehr  ungenauen  Beschreibung  Baumgärtner's,  Schwann  die  ersten  und  nach 
meiner  Erfahrung  bisher  relativ  richtigsten  Beobachtungen  bekannt  gemacht. 
Richtig  ist  nämlich  die  Ansicht,  dass  das  Kapillarnetz  aus  einem  vorgebildeten 
Zellennetze  entsteht;  irrig  aber  die  später  so  oft  wiederholte  Lehre,  dass  das 
Netz  in  der  Weise  sich  entwickele,  dass  die  Bildungszellen  Fortsätze  ausschicken, 
welche  sich  mit  ihren  Spitzen  zu  kontinuirlichen  Fäden  verbinden.  Diese  Vor- 
stellung, welche  noch  auffallender  wird,  wenn  es  sich  um  dotterh altige,  also 
unvollkommene  Zellen  handelt,  ist  so  geläufig  geworden ,  dass  ich  es  nicht  für 
überflüssig  halte,  noch  einmal  darauf  zurückzukommen  (vgl.  S.  493.  495).  Ein- 
mal setzt  jene  Vorstellung  voraus ,  dass  die  Zellen  in  ganz  ausserordentlichem 
Grade  amöboid  beweglich  seien,  was  für  die  Embryonalzellen  mindestens  nicht 
erwiesen  ist-,  ferner  verlangt  sie,  dass  solche  Zellen  vor  ihrer  selbstthätigen 
Verzweigung  den  dazu  nöthigen  Raum  vorfinden ,  was  aber  nirgends  zutrifft. 
Denn  es  ist  nicht  richtig,  dass  z.  B.  in  der  Schwanzflosse  ein  solcher  Raum  vor- 
gebildet wird,  in  welchen  alsdann  runde  Embryonalzellen  einwandern ,  um  sich 
dort  nachträglich  netzförmig  zu  verbinden  (Hensen);  sondern  die  Zunahme  des 
ganzen  Innenraums  der  Schwanzflosse  fällt  mit  der  Vergrösserung  der  Inter- 
stitiell der  dort  vorher  zusammengedrängten  Embryonalzellen  zusammen ,  und 
indem  zu  gleicher  Zeit  die  früheren  Verbindungen  der  Zellen  zu  kurzen  Brücken 
und  endlich  zu  längeren  Fäden  ausgezogen  werden,  so  geht  die  Entwickelung 
der  Intercellularräume  mit  derjenigen  eines  vollständigen  Zellennetzes  von 
Anfang  an  Hand  in  Hand.  In  diesem  Thatbestande  fehlen  also  nicht  nur  die 
nothwendigen  Voraussetzungen  für  die  oben  bezeichnete  Ansicht,  sondern  es 
wird  dieselbe  dadurch  auch  vollkommen  überflüssig.  Ich  habe  ferner  bereits 
ausgeführt,  dass  und  wie  die  in  das  ursprüngliche  Netzwerk  ergossenen  Dotter- 
bildungszellen dasselbe  vervollständigen,  ohne  dass  zunächst  amöboide  Aus- 
strahlungen derselben  angenommen  zu  werden  brauchten,  und  anderseits  führt 
die  andauernde  Ausdehnung  des  ganzen  Gewebes  in  Folge  des  allgemeinen 
Kürperwachsthums  so  vielfache  Verschiebungen  und  neue  Verbindungen  herbei, 
dass  ich  alle  diese  Bedingungen  zur  Herstellung  des komplicirtesten  Netzwerkes 
für  vollständig  genügend  erachte.  Für  die  späteren  Perioden,  in  denen  die  Um- 


VIII.   Die  Segmente  des  Rumpfes.  543 

bildung  aller  Zellen  in  vollkommene  „Elementarorganismen"  vollendet  ist, 
will  ich  die  amöboiden  Verästelungen  der  Bildimgszellen  nicht  in  Abrede 
stellen,  namentlich  wo  dieselben  gewissen  Flächen  sich  anpassend  (Gef  ässwände, 
Oberflächen  mancher  Organe),  leicht  zur  Ausbildung  oder  doch  zur  Vervoll- 
ständigung netzförmiger  Verbindungen  führen  können.  Es  fragt  sich  nur,  ob 
wir  in  der  Entwickelungsgeschichte  der  Haargefässe  zur  ausschliesslichen  oder 
nur  bevorzugten  Annahme  solcher  Ursachen  gezwungen  sind.  Durch  meinen 
Nachweis  der  isolirten  Anlagen  der  sekundären  Gefässe  und  ferner  der  mit 
fertigen  Gefässen  zusammenhängenden  weitläufigen  Zellennetze,  welche  bei 
der  theilweise  schon  eingeleiteten  Umbildung  ganz  unzweifelhaft  für  Gefäss- 
anlagen  gehalten  werden  müssen,  ist  es  einmal  festgestellt,  dass  die  seit 
Platnee,  übliche  Erklärung  der  Kapillarbildimg  sich  nur  auf  spätere  Perioden 
und  Vorgänge  beziehen  könnte,  welche  allerdings  auch  allein  zur  Untersuchung 
kamen,  da  man  stets  die  leichtere,  aber  wie  ich  früher  ausführte  (S.  49G), 
durchaus  ungenügende  Beobachtung  älterer  Larven  vorzog.  Anderseits  be- 
ruhen aber  gewisse  wesentliche  Voraussetzungen  der  neueren  Theorie  lediglich 
auf  der  Unkenntniss  über  jene  unzweifelhafte  Kanalisation  von  Zellennetzen.* 
Denn  aus  meinen  bezüglichen  Beobachtungen  ergibt  sich,  dass  die  in  gewissen 
Linien  des  Zellennetzes  ausgebildeten  sekundären  Gefässe  ebenso  wie  die  pri- 
mären nach  verschiedenen  Seiten  und  au  vielen  Stellen  noch  unbenutzte  Zellen- 
verbindungen behalten,  oder  solche  durch  die  wandernden  Dotterbildungszellen 
neugebildet  werden  können.  Es  fehlt  daher  jede  Nöthigung,  die  von  den  Ge- 
fässwänden  ausgehenden  Fortsätze  für  „Sprossen",  d.  h.  Wachsthumsprodukte 
der  ersteren  zu  erklären:  sie  sind  nicht  zur  Gefässbildung  neu  entstanden, 
sondern  aus  der  Zeit  zurückgeblieben ,  wo  die  Gefässe  aus  verzweigton  Zellen 
hervorgingen  oder,  was  ich  für  den  selteneren  Fall  halte,  nachträglich  sich  mit 
solchen  verbanden.  Hier  erhebt  sich  nun  freilich  der  Einwand ,  dass  man  jene 
Fortsätze  unmittelbar  habe  wachsen  sehen  (Golubew  ,  Arnold).     Ein  solcher 


*  Es  bleibt  fraglich,  ob  aucb  die  Bilder,  welche  die  ScHWANN'sche  Auffassung  seinen 
Nachfolgern,  z.  B.  Kölliker,  empfahlen,  wirklich  so  frühe  Entwicklungsstufen  betrafen, 
dass  sie  genügende  Beweiskraft  besassen.  Denn  wenn  Kölliker  auch  anfangs  die 
ScHWANN'sche  Darstellung  derjenigen  von  Platner  so  sehr  vorzog,  dass  er  über  keinen 
Gegenstand  in  der  ganzen  Histiologie  sich  glaubte  zuversichtlicher  äussern  zu  können  (Nr. 
78  II  S.  551),  so  hat  er  doch  später  nicht  nur  die  Sprossentheorie  Platner's,  sondern  auch 
noch  andere  Hypothesen  jener  ersten  Darstellung  substituirt. 


544  VIII.  Die  Segmente  des  Rampfes. 

Befund  wird  aber  gegenwärtig  in  einem  anderen  Lichte  erscheinen  als  früher. 
Die  fertigen  Harngefässe  des  Larvenschwanzes  der  Anuren,  von   denen   die 
Untersuchung  bisher  ausging,  besitzen,  wie  ich  gefunden,  ebenso  wie  alle  übri- 
gen Gefässe  von  ihrer  ersten  Entstehung  her  mehrfache  Verbindungen  mit 
noch  indifferenten  Theilen  des  interstitiellen  Bildungsgewebes.     Diese  Verbin- 
dungsfäden erreichen  mitunter  eine  solche  Feinheit,  dass  nur  die  günstigsten 
Präparate  sie  zu  verfolgen  erlauben,  und  sie  daher  unter  weniger  günstigen 
Beobachtungsbedingungen ,  wie  solche  bei  der  Untersuchung  lebender  Larven 
unzweifelhaft  vorhanden  sind  (vgl.  S.  496),  nach  kürzerem  oder  längerem  Ver- 
lauf mit   freiem  Ende  auszulaufen  scheinen,     Wenn  also  ein  solcher  dünner 
Gefässfortsatz   von    seiner   Wurzel   in  der  Gefässwand  an  nach  aussen  fort- 
schreitend aufzuquellen  beginnt,  so  kann  er  unter  jenen  ungünstigen  Beobach- 
tungsbedingungen allerdings  nur  zuwachsen  scheinen,   obgleich  in  der  That 
bloss  die  Sichtbarkeit  seines  Verlaufs  in  derselben  Richtung  fortschreitet.     Da 
nun  diese  ursprünglichen  Verbindungsfäden  der  Haargefässe  mindestens  ebenso 
zahlreich  sind  als  deren  spätere  Zweige,  so   ist  es  im  höchsten  Grade  wahr- 
scheinlich,   dass  jedes  Hervorwachsen  eines  Gefässsprosses  nur  scheinbar  ist. 
Diese  Wahrscheinlichkeit  wird  noch  verstärkt  durch  den  Umstand,    dass  die 
Spitzen  benachbarter  angeblicher  Gefässsprossen  sei   es  im  kürzesten  Bogen 
oder  trotz  einzelner  abweichender  Biegungen  stets  auf  einander  zu  wachsen, 
um  sich  darauf  zu  den  bekannten  Gefässschlingen  zu  vereinigen.     Denn  nach 
meiner  Darstellung  erklärt  es  sich  leicht,  dass  die  Gefässbildung  auf  den  Bah- 
nen des  ausgespannten  Zellennetzes  die  Maschen  desselben  umschreibt,  also 
bogenförmig  verläuft,   und  dass  wohl  die  meisten  Gefässanlagen  die  nächste 
Verbindung   zum  Zusammenrluss   benutzen   und  so  die  Bögen  und  Schlingen 
schliessen  (vgl.  S.  508).     Im  anderen  Falle  bleibt  aber  das  regelmässige  Er- 
geh niss  ein  wunderbares,  und  der  Erklärungsversuch  von  Golubew  scheint  mir 
weniger  sein  Ziel  zu  erreichen,  als  vielmehr  die  Schwierigkeit  erst  recht  zu  be- 
leuchten.    Denn   das  vorausgesetzte   mechanische   Hinderniss  eines  geraden 
Wachsthüms  der  Gefässsprossen  müsste,  von  allen  übrigen  Bedenken  abgesehen, 
für  jede  einzelne  Gefässschlinge  besonders  konstruirt  werden,  un'd  würde  auch 
dann  überhaupt  nur  eine  Biegung  der  einzelnen  Sprossen,  aber  in  keiner  Weise 
das  regelmässige  Zusammentreffen  ihrer  Enden  erklären.     Auf  Grund  meiner 
Beobachtungen  darf  ich  also  die  Gefässsprossentheorie  für  jeden  einzelnen  Fall 
anzweifeln,  weil  die  ihr  zu  Grunde  liegenden  Beobachtungen  sich  als  unzuver- 
lässig, gewisse  Folgeerscheinungen  mit  ihnen  unvereinbar  erweisen-,  ich  darf 


VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes.  545 

ferner  jene  Theorie  als  überflüssig  erklären,   da  die  dabei  nicht  beachtete  vor- 
ausgegangene Entwicklung  der  betreffenden  Theile  eine  einfachere  und  natür- 
lichere,   weil  mit  der  Bildung  der  ersten  sekundären  Gefässanlagen  überein- 
stimmende Deutung  auch  der  späteren  Gef  ässentwickelung  gestattet.*  Endlich 
möchte  ich  aber  auch  die  innere  Wahrscheinlichkeit  der  Gef  ässsprossentheorie, 
die  Möglichkeit  der  von  ihr  behaupteten  Vorgänge  überhaupt  in  Frage  stellen. 
Dass  eine  neugebildete  Kapillarwand,  an  der  weder  selbstständige,  noch  zu- 
nächst überhaupt  welche  Zellen  vorhanden  sind,    dieselbe  ausserordentliche 
amöboide  Beweglichkeit  besitze  wie  die  einzigen  vollkommen  selbstständigen 
Zellen  und  Elementarorganismen  des  Wirbelthierkörpers ,  nämlich  die  den  Ge- 
fässen   entstammenden  wandernden  Bildungszellen,    kann    nur    demjenigen 
möglich  und  gar  selbstverständlich  erscheinen,  der  darauf  verzichtet  hat,  die 
Begriffe  des  Protoplasmas  und  des  Organismus,  d.  h.  der  stofflichen  Unterlage 
gewisser  Elementarvorgänge  und  des  individuellen  Trägers  einer  bestimmten 
Organisation  jener   Vorgänge,  worin  eben  das  Leben  besteht,   auseinander- 
zuhalten. Da  ich  auf  diesen  Gegenstand  weiter  unten  ausführlich  zurückkomme, 
so   sei   hier   nur   bemerkt,    dass  der  Begründer   der   Gefässsprossentheorie, 
Platnek,   seine  Ansicht  mit  der  Unbefangenheit  äussern  konnte,    welche  der 
unentwickelte  Zustand  der  Zellen-  und  Entwicklungslehre  damals  bedingte, 
dass  wir  aber  gegenwärtig  nicht  in  der  Lage  sind,  die  für  den  einzelnen  Fall 
nächstliegende  Deutung  einer  auffallenden  Erscheinung    insbesondere  in  der 
Entwickelungsgeschichte  als  Thatsache  zu  verzeichnen,  ehe  wir  ihre  Beziehungen 
zu  den  thatsächlich  festgestellten  analogen  Kenntnissen  und  namentlich  ihre 
genetischen  Voraussetzungen  geprüft.    —   Was  nun  die  der  Gefässsprossen- 
theorie angehängte,  ganz  unhaltbare  Hypothese  Kölliker's  betrifft,   so  zeigt 
sie  uns  das  Seitenstück  zu  der  eben  kritisirten  Auffassungs weise:  überwog  dort 
die  Wahrnehmung  einer  isolirten  Erscheinung  jedes  allgemeine  Bedenken ;   so 
lässt  uns  diese  Hypothese  die  Stärke  eines  Vorurtheils,  nämlich  hinsichtlich  des 
ununterbrochenen  Zusammenhangs  der  Zellenbildung,  gegenüber  anerkannten 
Beobachtungen  bemessen. 

Ueber  die  Lymphgef  ässe  des  Larvenschwanzes  kann  ich  mich  kurz  fassen. 
Von  den  meisten  Beobachtern  werden  sie  nach  ihrer  Entstehung  mit  Recht  den 


*  Selbst  in  erwachsenen  Thieren  linden  sich  Bilder  von  reichverzweigten ,  mit  Haar- 
gefässen  verbundenen  „Sternzellen"  (vgl.  Eberth  Nr.  120  S.  205),  welche  die  Annahme 
sichern,  dass  dort  die  Neubildung  von  Gelassen  keine  abweichende  sei. 

Goette,  Entwickelungsgeschichte.  35 


546  \Ill.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

Blutgefässen  gleichgestellt.  Wenn  His  sie  als  „  Paracellulargänge  "  entstehen 
lässt,  so  müsste  er,  um  den  Widerspruch  zwischen  Beobachtung  und  Auflassung 
zu  lösen,  sich  die  eben  bezeichnete  Hypothese  Kölliker's  oder  eine  ähnliche 
aneignen.  —  Was  den  Zusammenhang  der  Lymphgefässe  mit  den  Sternzellen 
und  ihre  „Zacken"  betrifft,  so  gilt  hier  dasselbe,  was  ich  über  die  ähnlichen 
Verhältnisse  der  Nerven  bemerkte :  es  haben  His ,  Hensen  und  Langer  es  gar 
nicht  beachtet,  dass  sie  offenbar  ältere  Entvvickelungsstufen  vor  sich  hatten  als 
Kölliker,  der  die  früheren  Zustände ,  namentlich  den  deutlichen  Zusammen- 
hang der  Lymphgefässe  mit  dem  übrigen  Bildungsgewebe  im  allgemeinen 
richtig  schilderte.  Die  Zacken  erklären  sich  nach  den  vorausgeschickten  Be- 
merkungen über  die  Blutkapillareneinfach  als  die  Ursprungsstellen  der  feinsten 
und  daher  oft  unsichtbaren  ursprünglichen  Fortsätze;  auf  meiner  Abbildung 
(Taf.  XII  Fig.  213)  fehlt  nur  einer  Zacke  jede  Andeutung  einer  Fortsetzung. 
Die  kegelförmige  Vorragung  der  Gef  ässwand  ist  übrigens  nicht  ohne  weiteres 
auf  eine  beginnende  Kanalisirung  des  Fortsatzes,  sondern  gewiss  zum  grössten 
Theile  auf  die  Zugwirkimg  des  sich  beständig  ausdehnenden  Zellennetzes  zu 
beziehen;  denn  dieselbe  Gestalt  der  Fortsatzwurzeln  besteht  auch  an  den  soliden 
Gefässanlagen  wie  überhaupt  am  ganzen  Zellennetze  des  Bildungsgewebes. 
Ebenso  wie  hinsichtlich  dieser  Zacken  muss  ich  auch  die  Angabe  Kölliker's 
über  die  blinden  Ausläufer  der  Lymphgefässe  bestätigen.  —  Mit  Rücksicht  auf 
das,  was  ich  über  die  Lymphgefässe  des  Larvenschwanzes  im  Vergleiche  zu 
denen  des  übrigen  Körpers  in  der  Beschreibung  sagte,  dürfte  es  geboten  sein, 
die  bisherigen,  auf  das  erste  Objekt  beschränkten  Erfahrungen  über  die  Lymph- 
gef ässentwickelung  nicht  unbedingt  für  alle  Lymphgef  ässe  oder  selbst  Lymph- 
kapillaren anderer  Körpertheile  und  anderer  Wirbelthiere  zu  verwerthen. 

Das  Bindegewebe  ist  bisher  von  allen  Bindesubstanzen  der  Batrachier  am 
wenigsten  embryologisch  untersucht  worden.  Die  homogene  subepidermoidale 
Membran,  welche  Remak  als  vorläufige,  Eberth  als  bleibende  Unterhaut  auf- 
f;tsst,  glaube  ich  mit  mehr  Recht  nach  dem  Vorgange  Hensen's  für  eine  blosse 
Basalmembran  erklären  zu  dürfen.  Auffallend  bleibt  es,  dass  Remak  diese 
Membran  im  Schwänze  ganz  richtig  als  verdichtete  Zwischensubstanz,  am 
Bauche  aber  als  ein  Verschmelzungsprodukt  von  Zellen  betrachtet.  Ihr  leicht 
nachweisbarer  Ursprung  in  der  erstgenannten  Weise  schliesst  die  Möglichkeit 
aus,  ihr  zerklüftetes  oder  faseriges  Gewebe  mit  dem  eigentlichen  fibrillären 
Bindegewebe  zu  vergleichen.  Die  Entwickelung  des  letzteren  ist  an  höheren 
Wirbel thieren  häufiger  untersucht,    aber  in  sehr  verschiedener  Weise  gedeutet 


VIII.  Die  Segmente  des  Rumpfes.  547 

worden.  Schwann  glaubte,  dass  die  Spaltung  spindelförmiger  Bildungszellen 
in  feinste  Fasern  die  Fibrillenbündel  des  gewöhnlichen  Bindegewebes  und  der 
Sehnen  herstelle  (Nr.  77  S.  137.  147);  seitdem  beachtete  man  aber  auch  be- 
sonders die  Zwischensubstanz  der  zelligen  Elemente  der  Bindegewebsanlagen, 
und  der  Ursprung  dieser  Substanz,  sowie  der  Antheil,  den  man  ihr  bei  der  Ent- 
wicklung des  Bindegewebes  zuschrieb,  bilden  die  wichtigsten  Differenzpunkte 
aller  späteren  Auffassungen.  Kölliker  führt  alle  Bindegewebsformen  zurück 
auf  die  einfache  zellige  Bindesubstanz ,  welche  ursprünglich  einzig  und  allein 
aus  runden,  indifferenten  Embryonalzellen  bestehe  (Nr.  79  S.  57.  76).  Wenn 
dieselben  in  Kontinuität  bleiben,  bilden  sie  die  unächten  Epithelien  der  serösen 
Säcke,  des  Herzens  und  der  Gefässe  (S.  62).  Meist  scheiden  sie  aber  eine 
Flüssigkeit  aus,  welche  sich  zu  einer  festeren  Grundsubstanz  verdichtet,  wäh- 
rend die  Zellen  sich  netzförmig  verbinden  oder  getrennt  verschiedene  Formen 
annehmen  (S.  40.  58).  Die  Grundsubstanz  kann  dabei  gallertig  weich  bleiben 
(Gallertgewebe),  oder  sie  verknöchert  (echter  Knochen,  Zahnbein),  oder  zerfällt 
endlich  in  die  leimgebenden  Fibrillen  des  gewöhnlichen  Bindegewebes ,  wobei 
die  ursprünglichen  Embryonalzellen  sich  in  die  zelligen  Elemente  der  ausge- 
bildeten Formen  (Knochen-,  Bindegewebskörperchen )  verwandeln  (S.  58.  76). 
Eine  Grundsubstanz  des  einfachen  netzförmigen  Bindegewebes  erwähnt 
Köllikee  überhaupt  nicht;  die  Zellennetze  werden  aber  bloss  mit  den  zelligen 
Elementen  des  fibrillären  Bindegewebes  verglichen  (S.  79).  M.  Schfltze 
brachte  dagegen  die  Ansicht  auf,  dass  die  Fibrillenmasse  aus  den  Leibern  mit- 
einander verschmolzener  Zellen  hervorgehe,  deren  unveränderte  Beste  mit  den 
zurückbleibenden  Kernen  die  Bindegewebskörperchen  bilden  (Nr.  92  S.  12.  13). 
Diese  Ansicht  hält  auch  Rollett  für  die  wahrscheinlichste  (Nr.  120  S.  67), 
während  Stricker  sie  für  unerwiesen,  dagegen  als  Thatsache  erklärt,  dass, 
wie  es  Ku/snetzoff  und  Obersteiner  behaupten  (vgl.  Nr.  120  S.  62),  die 
Fibrillen  aus  Zellenfortsätzen  entstehen  (Nr.  120  S.  1217).  Boll's  Darstellung 
scheint  mir  von  denjenigen  Schwann'«  und  M.  Schf/ltzes  nicht  wesentlich 
abzuweichen   (Nr.   126).  Ich  habe  über   die   Entwickelung   des   Binde- 

gewebes nur  an  Batrachiern  ausreichende  Untersuchungen  angestellt ,  glaube 
aber  in  denselben  genügende  Anhaltspunkte  zur  Beurtheilung  der  analogen 
Vorgänge  bei  anderen  Wirbelthieren  zu  finden.  Zunächst  liefern  also  meine 
Untersuchungen  die  thatsächliche  Bestätigung  dessen ,  was  M.  Schultze  aus 
allgemeinen  Gründen  glaubte  annehmen  zu  dürfen.  Und  zwar  gilt  es  nicht 
bloss  für  das  Bindegewebe ,  sondern  für  alle  Bindesubstanzen  mit  fester  Grund- 

35* 


548  VHI-    I^ie  Segmente  des  Rumpfes. 

oder  Zwischensubstanz,  dass  dieselbe  aus  den  verschmolzenen  Leibern  der 
Bildungszellen  hervorgeht,  die  Knorpel-,  Knochen-  und  eigentlichen  Binde- 
gewebskörperchen  aber  sekundäre  Bildungen  sind ,  ganz  analog  den  Muskel- 
körperchen  und  Nervenzellen.  Ja  selbst  die  Elemente  der  epithelialen  Binde- 
substanzen, vor  allem  der  Innenhäute  der  Gefässe  und  der  Kapillarwände 
sind  nach  meiner  Erfahrung  sekundäre  Bildungen  und  keinesfalls  die  End- 
produkte einer  kontinuirlichen  Formentwickelung  der  ursprünglichen,  embryo- 
nalen Bildungszellen.  Aus  diesem  Thatbestande  ergibt  sich  nicht  nur  die  Un- 
haltbarkeit  der  KöLLiKERSchen  Anschauung,  sondern  auch  eine  relative  Ueber- 
einstimmung  im  Bildungsverlaufe  aller  Bindesubstanzen ,  welche  in  allen  ihren 
wesentlichen  Theilen  auf  die  ursprünglichen  Bildungszellen  selbst  zurückzu- 
führen sind.  Allerdings  glaubt  auch  Kölliker  einen  „genetischen  Zusammen- 
hang" der  Bindesubstanzen  in  ihrer  gleichen  Anlage  zu  erkennen  (Nr.  79  S.  57); 
diese  Anlage  aus  ganz  indifferenten  Zellenmassen  hätten  aber  die  Bindesub- 
stanzen mit  allen  übrigen  Geweben  gemein,  auch  wenn  man  den  Umstand  nicht 
berücksichtigen  wollte,  dass  die  interstitielle  Bindesubstanz  des  Centralnerven- 
organs ,  der  Netzhaut  und  der  Ganglien  ebensowenig  aus  durchweg  vollstän- 
digen Embryonalzellen  sich  entwickelt  wie  die  Innenhäute  aller  sekundären 
Gefässe.  Weiter  hätten  aber  die  epithelialen  und  einfach  netzförmigen  Binde- 
substanzen nach  Kölliker's  Darstellung  gar  keine  Gemeinschaft  mit  den 
wesentlichen  Theilen  des  fibrillären  Bindegewebes  und  überhaupt  mit  der  soge- 
nannten Grundsubstanz  aller  übrigen  Bindesubstanzen.  Abgesehen  von  der 
ungenügenden  Beobachtung  offenbart  aber  die  Theorie  Kölliker's  auch  ge- 
wisse Mängel  der  Vorstellung ,  welche  ich  hervorhebe ,  weil  sie ,  unbeachtet  ge- 
lassen ,  in  ähnlichen  Fällen  leicht  wiederholt  werden  könnten.  Kölliker  hat 
nämlich  die  Intercellularsubstanzen  mit  den  Ausscheidungsprodukten  der 
Drüsen  und  freien  Oberflächen  zusammengestellt  (a.  a.  0.  S.  38).*  Bei  den 
letzteren  Bildungen  erfolgt  die  Ausscheidung  auf  einer  anderen  Seite  der  be- 
treffenden Zellenschicht  als  die  Stoffaufnahme ,  sodass  man  die  Ausscheidungs- 
produkte allerdings  gesondert  bestimmen  kann.  Wie  soll  man  sich  aber  bei 
den  übrigen  Geweben,  deren  Zellen  allseitig  von  einer  Intercellularsubstanz 
umgeben  werden,  die  Entstehung  der  letzteren  „durch  Ausscheidung  von  Flüs- 


*  Eine  theilweise  Ausnahme  wird  nur  für  den  Knorpel  zugelassen ,  indem  die  Knorpel- 
kapseln  als  Zellenwandungen  an  der  Bildung  der  Grundsubstanz  des  Knorpels  theilnebmen 
(Nr.  79  S.  G8) 


I 

VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes.  549 

sigkeit  im  Innern  von  ursprünglich  zusammenhängenden  Zellenmassen"  vor- 
stellen? Mag  man  nun  an  die  Embryonalzellen  oder  die  späteren  Bildungs- 
zellen denken,  so  ist  es  klar,  dass  sie  ohne  entsprechende  Aufsaugung  keine 
Flüssigkeit  ausscheiden  können,  sodass,  wo  dieser  Stoffwechsel  allseitig  und 
gleichartig  erfolgt,  irgendeine  von  aussen  stammende  Intercellularflüssigkeit 
gerade  die  nothwendige  Voraussetzung  jeder  Ausscheidung  ist,  welche  wieder- 
um beständig  sich  mit  jener  vermischt.  Sollte  in  dieser  die  ursprünglichen 
Zellen  umspülenden  Flüssigkeit  rund  um  dieselben  eine  Verdichtung  entstehen, 
so  könnte  diese  Umbildung  nicht  einseitig  auf  die  gar  nicht  isolirbare  Zellen- 
ausscheidung,  sondern  nur  auf  die  Wechselwirkung  der  schon  bestehenden  und 
durch  Zufuhr  stets  erneuerten  Zwischensubstanz  und  der  Zellenthätigkeit  zu- 
rückgeführt werden.  Also  auch  bei  der  Annahme ,  dass  die  M.  ScHULTZE'sche 
Theorie  falsch  wäre,  erschiene  die  Auffassung  Kölliker's  nicht  zutreffend,  dass 
die  festen  Grundmassen  der  Bindesubstanzen  Abscheidungen  der  Zellen  wären, 
„die  sie  in  sich  bereitet  haben"  (S.  38).  Wenn  aber  diese  Massen,  soweit  meine 
Erfahrung  reicht,  ohne  Ausnahme  als  Verschmelzungsprodukte  von  Zellen  und 
daher  als  sekundäre  Intercellularsubstanzen  sich  ergeben,  so  sind  davon  die 
Bildungen  wohl  zu  unterscheiden,  in  denen  die  ursprüngliche  Interstitialflüssig- 
keit  unter  gewissen  Bedingungen,  wozu  in  erster  Linie  ein  gewisser  Abschluss 
gegen  die  Umgebung  zu  gehören  scheint,  sich  eigenthümlich  verdichtet.  Eine 
solche  Bildung,  z.  B.  der  Glaskörper  des  Auges,  darf  in  toto  mit  den  anderen 
Bindesubstanzen  gar  nicht  verglichen  werden;  nur  sein  Zellengerüst  und  dessen 
Umbildungsprodukte  sind  das  vergleichbare  Aequivalent,  während  die  gallertige 
Zwischensubstanz  ihm  gegenüber  dieselbe  Stellung  einnimmt  wie  die  lymphoiden 
Zellenmassen  zum  bindegewebigen  Fasergerüst  eines  lymphatischen  Follikels, 
aber  durchaus  nicht ,  wie  Kölliker  meint  (S.  58) ,  der  Grundsubstanz  des 
Knorpels  und  Knochens  oder  der  Fasermasse  des  Bindegewebes  entspricht.  — 
Hält  man  daran  fest ,  dass  nach  unseren  jetzigen  Kenntnissen  alle  Bindesub- 
stanzen unmittelbar  aus  Zellen  hervorgehen,  so  wird  man  zugeben,  dass  die  von 
Schwann  gelieferte  Entwicklungsgeschichte  des  fibrillären  Bindegewebes  im 
wesentlichen  richtig  ist ,  und  dass ,  nachdem  andere  Auffassungen  sie  verdräng- 
ten, die  neueren  Beobachtungen  und  Deutungen  eine  Rückkehr  zu  der 
ScHWANN'schen  Ansicht  bedeuten.  Denn  es  stehen  die  neueren  Wiener  Unter- 
suchungen und  die  Beobachtungen  Rollett's  gar  nicht  im  principiellen  Wider- 
spruche, sondern  es  wird  nur  für  eine  Bindegewebsform  (Sehnen)  die  getrennte 
Umbildung  der  ursprünglichen  Bildungszellen  behauptet,  während  auf  der  an- 


550  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

deren  Seite  die  Entwickelung  der  Fibrillen  in  einer  Verschmelzungsmasse  der- 
selben für  wahrscheinlich  gehalten  wird.  Nach  meinen  Erfahrungen  ninss  ich 
die  erste  Bildnngsweise ,  wie  ich  schon  in  der  Beschreibung  erwähnte,  auf  ein- 
zelne Zellen  beschränken,  für  die  ganze  Masse  jedoch  in  Abrede  stellen. 


Ebenso  wie  die  vergleichende  Betrachtung  der  Leistungen  des  mittleren 
Keimblattes  zur  näheren  Prüfung  der  ganzen  morphologischen  Entwickelung 
einlud,  ist  hier  der  Ort,  nach  der  Darstellung  der  Entwickelung  der  verschiede- 
nen Gewebsformen,  die  Bedeutung  der  ganzen  Histiogenese,  ihr  Verhältniss  zur 
morphologischen  Entwickelung  und  überhaupt  zur  Herstellung  des  ganzen 
individuellen  Lebens  zu  erläutern.  Nur  eine  Gewebsform,  welche  in  den  fol- 
genden Abschnitten  häufiger  vorgeführt  werden  wird ,  ist  bisher  nur  ganz  bei- 
läufig bei  der  Oberhaut  und  den  Sinnesorganen  erwähnt  worden ,  nämlich  das 
Epithel  und  seine  Modifikation  in  den  absondernden  Drüsen.  Desshalb  be- 
merke ich  hier  zur  Ergänzung  ihrer  allgemeinen  Bildungsgeschichte ,  dass  alle 
echten  Epithelien  mit  den  unmittelbar  aus  ihnen  abgeleiteten  Bildungen  dadurch 
sich  von  allen  ähnlichen  Geweben ,  den  unechten  Epithelien  oder  Endothelien, 
unterscheiden,  dass  ihre  Elemente  unmittelbar  auf  die  Embryonalzellen  sich 
zurückführen  lassen  und  daher  nebst  den  Blutzellen*  als  primäre  Zellen  allen 
übrigen  entgegengestellt  werden  können. 

Nachdem  v.  Baer  den  Grund  zur  morphologischen  Entwiekelungs- 
geschichte  der  Wirbelthiere  gelegt,  gab  die  bald  darauf  bekannt  gewordene 
Zellenlehre  Schwanns  die  Veranlassung,  das  Verhältniss  der  Histiogenese  zu 
jener  Entwicklungsgeschichte  zu  prüfen.  Dies  geschah  zuerst  durch  Reichert. 
Er  nimmt  zwei,  die  ganze  individuelle  Entwickelung  beherrschende  Principien 
an,  1.  eine  dein  zelligen  Bildungsmaterial  eigenthümliche  Kraft  der  Umbildung 
in  einzelne  Organe  und  Gewebe  (Nr.  28  S.  21.  33.  37),  2.  den  Endzweck  der 
Entwickelung,    welcher  im  Typus  des  fertigen  Thieres  zum  Ausdruck  komme 


*  Ich  kann  liier  mit  Sicherheit  nur  die  Blutzellen  und  natürlich  auch  die  Dotterbildungs- 
zellen  der  jüngeren  Larven  anführen.  Denn  es  scheint  festzustehen,  dass  die  Masse  der 
späteren  Blut-  und  Bildungszellen  (Wanderzellen)  durch  Lymphzellen  ergänzt  wird,  deren 
Ursprung  und  Entwickelung  aber  noch  unbekannt  sind. 


VITI.   Die  Segmente  des  Rumpfes.  551 

und  die  Anordnung  jener  Einzeltheile  von  Anfang  an  bestimme  (S.  41 — 44.  60). 
Es  wird  also  die  Verschiedenheit  der  Gewebsbildung  in  gar  keinen  Kausal- 
zusammenhang mit  der  morphologischen  Entwickelimg  gebracht ,  sondern  nur 
von  der  „eigenen  Energie"  der  Embryonalzellen ,  d.  h.  da  die  letzteren  in  den 
einzelnen  Embryonalanlagen  nach  Ursprung  und  Zusammensetzung  vollkom- 
men gleich  sind ,  von  übersinnlichen  Ursachen  abhängig  gemacht.  Dass  die 
Lehre  von  dem  die  morphologische  Entwickelung  bestimmenden  Endzwecke 
auf  dasselbe  Ergebniss  hinausläuft,  brauche  ich  nicht  weiter  auszuführen. 

Remak  glaubte  bei  seinem  Versuche,  jlie  leitenden  Gesichtspunkte  in  der 
Entwickelungsgeschichte  der  Wirbelthiere  festzustellen,  einseitige  teleologische 
Erklärungen  entbehren  zu  können,  weil  sowohl  manche  Zweckmässigkeitsrück- 
sichten  als  auch  anderseits  die  „Umwege"  und  die  „Unbequemlichkeit"  bei  der 
Bildung  der  Organe  sich  gleicherweise  zurückführen  Hessen  auf  „  eine  innere 
Notwendigkeit ,  sie  aus  einer  bestimmten  Anlage  hervorgehen  zu  lassen"  (Nr. 
40  S.  102.  103).  In  demselben  Sinne  einer  einheitlichen,  besonderen  Bedeutung 
jedes  Keimblattes  ist  Remak  der  Ueberzeugung,  „dass  die  Bildungsgesetze  des 
Thieres  mit  den  physiologischen  Gesetzen  des  entwickelten  Zustandes  im  Ein- 
klänge stehen"  (S.  76),  und  sucht  diesen  Einklang  sowohl  in  den  Beziehungen 
der  Keimblätter  zur  Bildung  der  verschiedenen  Organe  ( morphologische  Ent- 
wickelung) als  zu  den  grossen  physiologisch  differenten  Gewebsgruppen  des 
erwachsenen  Körpers  zu  finden.  In  ersterer  Hinsicht  sieht  er  „  den  entwicke- 
lungsgeschichtlichen  Werth  des  oberen  Keimblattes  in  dessen  Bestimmung,  die 
Sinnesorgane  und  deren  Centralorgane  zu  bilden"  (S.  75);  doch  bekennt  er 
selbst ,  dass  damit  nur  die  hervorragenden  Leistungen  des  Sinnesblattes  be- 
zeichnet seien ,  und  die  übrigen  ganz  anderen  Zwecken  dienen  ( S.  76 ) ,  dass 
ferner  die  Einheit  jener  Bildungsthätigkeit  nur  in  den  Beziehungen  zu  den 
Sinnesorganen  überhaupt  zu  suchen  sei,  während  die  einzelnen  Bildungen  im 
übrigen  die  grössten  histiologisch-  physiologischen  Verschiedenheiten  darböten 
(S.  100).  In  der  physiologischen  Charakteristik  des  mittleren  Keimblattes 
wird  die  motorische  Eigenschaft ,  welche  die  verschiedensten  Gewebe  (Muskeln, 
Nerven,  Skelettheile)  vereine,  in  den  Vordergrund  gestellt;  ihre  Verwandtschaft 
mit  der  demselben  Keimblatte  zukommenden  keimbereitenden  Thätigkeit  sucht 
Remak  daraus  zu  erweisen,  dass  auch  der  Bewegungsapparat  „die  Fähigkeit 
besitzt ,  durch  Wirkungen  nach  aussen  hin  die  Existenz  des  Individuums  zu 
sichern"  (S.  101  —  103).  Dagegen  „trotzen  die  Urnieren  jedem  Versuche,  ihnen 
im  Entwickelungsplan  eine  entsprechende  Stelle  anzuweisen",  weil  sie  nicht  aus 


552  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

dem  Darmdrüsenblatte  entspringen,  dessen  Bedeutung  in  der  Bildung  assimi- 
lirender  und  absondernder  Organe  der  Ernährung  beruhe  (S.  76.  77).  —   Aus 
dieser  kurzen  Uebersicht  des  REMAK'schen   „Entwicklungsplans"  erhellt  zur 
Genüge,  zu  welcher  Einschränkung  der  angenommenen  specifischen  Bedeutung 
der  Keimblätter  ihn  seine  Beobachtungen  zwangen.     Die  ganze  physiologische 
Gleichartigkeit  in   den  Leistungen  eines  Keimblattes  beruht  eben  nur  in  dem 
gleichen  „physiologischen  Zweck"  bei  verschiedenem  „physiologischen  Werth" 
der  aus  derselben  Anlage  hervorgehenden  Organe  (S.  77);  und  jener  bezeichnet 
zudem  nicht  einmal  die  ausschliessliche,  sondern  bloss  eine  subjektiv  bemessene 
hervorragende  Verwendung  der  Keimblätter,  sodass  der„thierische  Charakter" 
des  Sinnesblattes   nach   der  Abschnürung  des  Centralnervenorgans  und  der 
Sinnesorgane  im  Hornblatte  sich  sogar  in  den  „pflanzlichen  Charakter"  des 
Darmdrüsenblattes  verwandle  (S.  78).  —  Remak  erwähnt  ferner  beim  Horn- 
blatte und  beim  Darmdrüsenblatte  eine  histologische  Uebereinstimmung  ihrer 
Erzeugnisse ,    welche  aber  wenigstens  im  ersteren  durchaus  nicht  mit  dem  die 
morphologische  Entwickelung  beherrschenden  physiologischen  Zweck  oder  dem 
schliesslichen  histiologisch-physiologischen  Werth  jener  Erzeugnisse  zusammen- 
fällt, sondern  sich  auf  die  gleichartige  äussere  Erscheinung  während  der  Ent- 
wickelung beschränkt,  sodass  z.  B.  die  Linse,  das  Nasen-  und  Mundepithel,  die 
Horngebilde  u.  s.  w.  als  oberhäutige,    gefäss-  und  uervenlose  Theile  nebenein- 
ander gestellt  werden  (S.  100).     Es  lässt  sich  darin  die  Andeutung  nicht  ver- 
kennen ,  dass  jene  Uebereinstimmung  wesentlich  in  der  freien  Oberfläche  der 
genannten  Blätter  oder,  allgemeiner  ausgedrückt,  in  einer  Lagebeziehung  der- 
selben begründet  ist.     Dass  eine  solche  Auffassung  Remak  selbst  vorschwebte, 
beweist  er  dadurch,  dass  er  das  Gemeinsame  der  Sinnesanlagen  in  den  blasigen 
Ausstülpungen,   also  lediglich  in  der  Formbildung  erkannt  und  die  ganze 
sensorielle  Thätigkeit  des  oberen  Keimblattes  mit  der  Oberfläche  des  embryo- 
nalen Körpers  in  Verbindung  bringt  (S.  100.  101).     Ja,  diese  Erkenntniss  ver- 
anlasst ihn,  das  Hörn  -  und  das  Darmdrüsenblatt  als  oberhäutige  und  drüsen- 
bildende Embryonalanlagen  direkt  miteinander  zu  vergleichen  und  in  dieser 
Gleichartigkeit,  deren  morphologische  Begründung  ihm  allerdings  nicht  klar 
wurde,   „eine  breite  und  sichere    Grundlage  der  Histologie"   anzuerkennen 
(S.  78.  100).     Es  konnte  aber  Remak  unmöglich  entgehen,  dass  diese  Begrün- 
dung der  Histiogenese  weder  mit  der  Lehre  vom  besonderen  physiologischen 
Zweck  der  Keimblätter  noch   mit  der  blossen  Sonderung  der  letzteren  zusam- 
menhing, und  so  vcrlässt  er  uns  am  Schlüsse  seiner  trefflichen  Untersuchungen 


VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes.  553 

in  der  schlecht  verdeckten  Unsicherheit,  ob  er  in  der  vergleichenden  Entwicke- 
lungsgeschichte  der  Wirbelthiere  das  Hauptgewicht  in  der  That  auf  jenen 
mangelhaft  erwiesenen  Endzweck  der  einzelnen  Keimblätter  legen  sollte,  wel- 
chem er  doch  die  morphologische  Entwickelung  unterstellt  hatte,  oder  ob  nicht 
in  jener,  nach  ihren  Ursachen  allerdings  nicht 'klar  erkannten  Grundlage  der 
Gewebsentwickelung  ein  noch  Avichtigerer  Anhaltspunkt  gegeben  sei.  —  Unsere 
Betrachtung  führt  uns  zu  dem  Ergebniss,  dass  Remak  trotz  seiner  Verwahrung 
gegen  eine  unbeschränkte  teleologische  Erklärung  anfangs  doch  der  herge- 
brachten Auffassung  vom  Einflüsse  des  Endzwecks  auf  die  Entwickelung  und 
von  der  specifischeu  Bedeutung  der  Keimblätter  für  die  morphologische  Ent- 
wickelung anhing ;  dass  aber  gerade  seine  mit  anerkennenswerther  Unbefangen- 
heit angestellten  Untersuchungen  ihn  ganz  allmählich  dahin  brachten,  die 
Autorität  jener  Lehre  anzuzweifeln  und  wenigstens  daneben  einen  ursächlichen 
Zusammenhang  gewisser  allgemeiner  Vorgänge  unmittelbar  in  einer  eingehen- 
den Beobachtung  zu  suchen.  Indem  er  dies  zunächst  bei  der  Histiogenese 
unternahm,  konnten  ihm  deren  innige  Beziehungen  zur  morphologischen  Ent- 
wickelung um  so  weniger  klar  werden,  als  die  letztere  sich  ihm  noch  immer  im 
Lichte  der  bezeichneten  Vorurtheile  darstellte. 

Wie  wenig  indessen  dieser  Fortschritt  Remak's  in  der  Erkenntniss  der 
Entwickelungserscheinungen  verstanden  wurde,  ergibt  sich  daraus,  dass  von 
seinen  Nachfolgern  als  sein  Hauptverdienst  bezeichnet  wurde,  die  histiologische 
Sonderung  mit  der  Keimblattbildung  in  Parallele  gebracht  zu  haben  (vgl.  His 
Nr.  109  S.  49),  während  er  selbst,  wie  ich  eben  zeigte,  dies  gar  nicht  einmal 
versucht  hat.  Diese  missverständliche  Auffassung  der  REMAK'schen  Darstel- 
lung entsprang  daher,  dass  die  meisten  seiner  Nachfolger  ihre  histiogenetischen 
Einzelforschungen  in  eine  ganz  bestimmte  Verbindung  mit  seiner  Keimblatt- 
lehre zu  bringen  suchten;  bei  His  aber,  dem  ersten  Embryologen,  der  seit 
Remak  eine  umfassende  und  selbstständige  Entwickelungsgeschichte  eines 
Wirbelthiers  schrieb,  überwog  zu  sehr  die  Neigung  zur  Spekulation ,  um  nicht 
gerade  die  ähnlichen  Seiten  in  Remak's  Untersuchungen  besonders  hervorzu- 
heben. Was  aber  nach  meiner  Ansicht  Remak  besonders  auszeichnet,  dass 
bei  ihm  die  traditionelle  und  anfangs  von  ihm  selbst  anerkannte  allgemeine 
Auffassung  in  Folge  der  objektiven  Beobachtung  eigentlich  vollständig  Schiff- 
bruch leidet,  hält  His  offenbar  für  die  Folge  unvollkommener  Handhabung  der 
aprioristischen  Theorie,  welche  bei  ihm  überall  dort,  wo  die  Beobachtung  sich 
ihr  nicht  zwanglos  oder  gezwungen  fügt,  einfach  über  sie  hinwegschreitet.    Ich 


554  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

habe  die  His'sche  Darstellung  bereits  an  anderen  Stellen  aufgezeichnet  (vgl. 
S.  256.  257,  Nr.  121  S.  145-162.  187  —  192),  aber  noch  keine  Gelegenheit 
gehabt,  sie  in  ihrem  ganzen  Zusammenhange  zu  kritisiren,  wie  es  hier  ge- 
schehen soll. 

His  geht  bekanntlich  von  der  Annahme  zweier  nach  Ursprung  und  Lei- 
stungen durchaus  getrennten  Keime  aus:  der  Hauptkeim  oder  der  umgewandelte 
Hauptdotter  (Primordialei  Waldeyer)  liefere  alle  Gewebe  mit  Ausnahme  des 
Blutes  und  der  Bindesubstanzen  und  führe  zudem  die  morphologische  Gliede- 
rung allein  und  ganz  selbstständig  aus-,  der  Nebenkeim  stamme  vom  Neben- 
dotter  und  des  weiteren  direkt  von  den  Bindesubstanzzellen  des  mütterlichen 
Organismus  ab,  bilde  das  Blut  und  die  Bindesubstanzen  und  passe  sich  in 
seiner  Formbildung  vollständig  dem  Hauptkeime  an  (Nr.  109  S.  34—42.  183). 
Die  morphologische  Entwickelung  erfolge  dadurch ,  dass  ein  ungleichmässiges 
Wachsthum  (Massenzunahme)  des  Keims  Faltungen  hervorrufe,  in  denen 
die  mechanischen  Bedingungen  für  alle  weitere  Formbildung  zu  suchen 
seien  (S.  184).  Neben  dieser  mechanischen  Begründung  kehrt  aber  bei  His, 
wie  ich  in  meiner  oben  citirten  Arbeit  nachgewiesen  habe ,  das  Dogma  wieder, 
dass  der  physiologische  Werth  eines  Körpertheils  seinen  Ursprung  und  seine 
Entwickelung  bestimme,  und  dass  daher  auch  in  Ermangelung  eines  Beweises 
die  beiden  ursprünglichen  Keimblätter  als  animales  und  vegetatives  anzusehen 
seien.  Hinsichtlich  der  histologischen  Entwickelung  unterscheide  sich  der 
Hauptkeim  wieder  bedeutsam  vom  Nebcnkeime,  indem  „für  die  archiblastischen 
Gewebe  das  Entwickelungsgesetz  im  Akte  der  Zeugung  scharf  bestimmt  wird. 
Eine  archiblastische  Zelle  durchläuft  sonach  niemals  eine  Entwickelungsstufe, 
in  der  sie  eben  so  gut  Muskel-  als  Nerven  -  oder  Epithelialzelle  werden  könne, 
und  in  welcher  es  blos  von  äusseren  Verhältnissen  abhinge,  ob  sie  das  eine 
oder  das  andere  wird.  Jeder  Zelle  ist  vielmehr  ihre  Entwickelungsbahn  vor- 
geschrieben1' (S.  200).  Der  Nebenkeim  sei  dagegen  auch  in  seiner  histologischen 
Entwickelung  von  den  Organen  und  Geweben  des  Hauptkeims,  denen  ersieh 
anschliesse,  abhängig.  Feiner  soll  die  histologische  Entwickelung  des  letzteren 
nur  in  untergeordneten  Punkten  von  der  morphologischen  Gliederung  beein- 
flusst  werden  (S.  198),  dennoch  alter  in  den  vier  Hauptformen  der  archiblasti- 
schen Gewebe  (Nerven,  animale  und  organische  Muskel,  Epithel)  mit  der  vier- 
fachen Keimschichtung,  in  der  obersten  Schicht  zudem  mit  deren  Sonderung 
in  einen  centralen  und  einen  peripherischen  Theil  zusammenfallen,  wobei  das 


VIIT.    Die  Segmente  des  Rumpfes.  555 

ungleichmässige  Wachsthum  in  ein  ganz  bestimmtes  Verhältniss  zum  physio- 
logischen Werth  jener  Gewebe  gebracht  wird  (S.  195.  196).* 

His  selbst  sieht  in  der  Annahme  seiner  zwei  Keime  und  eines  allgemeinen 
Grundgesetzes  ihres  Wachsthums  die  zwei  Principien ,  deren  Feststellung  die 
Aufgabe  seiner  Arbeit  sei  (S.  VI).  Den  grundverschiedenen  Ursprung  und  die 
völlig  gesonderte  Entwickelung  beider  Keime  begründete  His  1.  aus  der  Ent- 
wickelung  des  Eierstockseies ,  2.  aus  der  Entwicklungsgeschichte  des  Keim- 
walls. Die  merkwürdige  Einwanderung  der  ovarialen  Bindesubstanzzellen  in 
den  jungen  Eifollikel  hat  sich  aber  durch  die  Untersuchungen  von  Waldeter 
als  Irrthum  erwiesen,  und  ich  konnte  Oellacher  darin  bestätigen,  dassin  dem 
sogenannten  weissen  Dotter  des  eben  befruchteten  Eies  überhaupt  keine  Zellen 
vorkommen  ( vgl.  Nr.  121  S.  155  u.  flg.)  Aber  selbst  wenn  die  von  His  ange- 
nommene Zusammensetzung  des  Eierstockseies  richtig  wäre,  so  steht  ihm  doch 
gar  kein  Urtheil  über  die  ferneren  Schicksale  der  ovarialen  Keime  zu,  da  er 
von  der  ganzen,  so  ausserordentlich  wichtigen  Entwickelung,  welche  das  reife 
Ei  bis  zum  Beginn  der  Bebrütung  durchläuft,  nichts  Erwähnenswerthes  weiss 
(Nr.  109  S.  38),  also  die  Erhaltung  der  beiden  Keime,  insbesondere  der  Ueber- 
gang  des  Nebenkeims  in  den  Keimwall  sich  nur  als  eine  durch  keine  einzige 
Thatsache  unterstützte  Vermuthung  ergeben  (vgl.  Nr.  1218.  156).  Und  auch 
die  letzte  Stütze  der  His'schen  Darstellung,  die  Entwickelungsgeschichte  des 
Keimwalls  (Nebenkeim),  bestätigt  sich  m  keinem  einzigen  Punkte  (Nr. 
121  S.  192).  Das  einzige, .  was  vom  Keimwalle  her,  nicht  aus  ihm  selbst,  in 
den  Embryo  übergeht,  ist  das  Blut,  und  die  einzige  Anlage,  welche  in  der 
äusseren  Erscheinung  an  den  His'schen  Nebenkeim  erinnert ,  ist  mein  inter- 
stitielles Bildungsgewebe;  offenbar  hat  nun  His  aus  einer  irrthümlichen  Ver- 
mengung beider  Erscheinungen  sich  das  Bild  seines  den  Hauptkeim  durch- 
wuchernden Nebenkeims  konstruirt.  Wenn  aber  in  meinem  Bildungsgewebe 
eine  Scheidung  der  von  den  Embryonalanlagen  abstammenden  und  der  aus 
dem  Blute  eingewanderten  Elemente  gar  keinen  Sinn  hätte,  ist  der  genaue 
Nachweis  der  angeblich  strengen  histologischen  Sonderling  der  beiderlei 
Keimtheile  für  His  ganz  unerlässlich ;  er  hat  dieselbe  aber  nicht  einmal  wahr- 
scheinlich gemacht,  und  sich  eben  wieder  mit  der  blossen  Behauptung  begnügt. 


*  His  formulirt  das  betreffende  Gesetz  folgendermassen :  „Es  steigt  die  physiologische 
Dignität  eines  arcliiblastischen  Gewebsblastems  mit  der  Grösse  der  Wacksthumsgesckwin- 
digkeit,  welche  dem  Blastem  im  Beginn  der  Entwickelung  zukommt"! 


556  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

Kurz ,  die  Lehre  von  den  beiden  Keimen  ist  weniger  aus  unvollkommener  Be- 
obachtung als  aus  überwiegender  Spekulation  hervorgegangen. 

Ebenso  illusorisch  erweist  sich  auch  das  zweite  Princip  der  His'schen  Ent- 
wickelungsgeschichte.  Sein  in  den  ,, theoretischen  Ableitungen"  so  mühsam 
ausgearbeitetes  Wachsthumsgesetz  soll  die  morphologische  und  histologische 
Sonderung  gleicherweise  erklären.  Die  Thatsache  der  Massenzunahme  des 
Keims  vom  ersten  Anfange  der  Entwickelung  an  wird  dabei  als  selbstverständ- 
lich vorausgesetzt.  Diese  Auffassung  ist  ganz  erklärlich,  solange  man  seine 
Aufmerksamkeit  auf  die  Formveränderungen  beschränkt:  die  äusseren  Formen 
„wachsen"  so  augenfällig,  ein  Nahrungsmaterial  (Nahrungsdotter)  ist  so  reich- 
lich vorhanden,  dass  die  Massenzunahme,  welche  man  in  den  vorgeschrittenen 
Embryonalperioden  mit  der  wägenden  Hand  feststellen  kann,  auch  am  Keime 
und  den  jüngsten  Embryonen  unzweifelhaft  erscheint.  Einer  weitläufigen 
Theorie  ihres  organischen  Wachsthums  hätte  aber  doch  eine  Prüfung  der 
grundlegenden  Thatsache  vorausgehen  sollen.  Bei  einer  solchen  Prüfung  sind 
wir  auf  die  Vergleichung  der  Durchschnitte  und  der  einzelnen  Elemente  ange- 
wiesen. Berücksichtigt  man,  dass  der  sich  furchende  Keim  kompakt  ist,  und 
dass  seine  Elemente  später  grossentheils  sehr  locker  angeordnet  sind,  so  wird 
man  bei  dem  Vergleich  der  medianen  Durchschnitte,*  welche  ich  in  meinem 
Aufsatze  abbildete  (Nr.  121  Fig.  1 — 7),  und  welche  bis  zur  Zeit  der  beginnenden 
Abschnürung  des  Kopfes  reichen,  1.  eine  Massenzunahme  des  Keims  nicht  wahr- 
scheinlich finden,  geschweige  sich  von  ihr  überzeugen  können,  dagegen  2.  er- 
kennen, dass  die  Ausbreitung  des  Keims  zuerst  in  der  Mitte  und  dann  am 
Rande  auf  Kosten  seiner  Mächtigkeit  erfolgt.  Ferner  kann  man  sich  aus  der 
vergleichenden  Untersuchung  der  Querdurchschnitte  verschiedener  Keime 
überzeugen ,  dass  deren  Formveränderungen  nicht  auf  einer  Massenzunahme, 
sondern  einer  Massenverschiebung  beruhen ,  wie  ich  es  in  der  morphologischen 
Entwicklungsgeschichte  der  Batrachier  ausführlich  darstellte.  Während  jener 
Umbildungen  vermehren  sich  nun  allerdings  die  Elemente  des  Keims,  aber 
die  Fig.  1  —  7  und  37—46**  der  bezeichneten  Arbeit  erweisen,  dass  ihre 
Verkleinerung  mit  der  Vermehrung  Schritt  hält  und  allein  während  derBebrü- 


*  Solche  Durchschnitte  fallen  mit  der  Queraxe  des  ganzen  Eies  zusammen,   sind  also 
auch  an  den  unbehrüteten  Keimen  mit  ziemlicher  Genauigkeit  ausführbar. 

**  Da  die  Fig.  37  und  3b  nur  stärker  vergrößerte  Theile  der  Fig.  6  und  7  darstellen,  so 
bieten  die  bezeichneten  Abbildungen  eine  durchaus  fortlaufende  .Reihe. 


VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes.  557 

tung  bis  zum  Beginn  der  Biutbilduiig  die  Masse  der  einzelnen  Zelle  auf  den  vier- 
ten Theil  und  noch  mehr  reducirt.  Ich  muss  daher  die  Behauptung  von  His : 
„Die  Keimscheibe  wächst  durch  Vermehrung  und  Vergrösserung  ihrer  Zellen" 
(Nr.  109  S.  53)  für  durchaus  unbegründet  erklären.  Mit  der  Herstellung  der 
Gefässe  beginnt  jedenfalls  eine  nachweisbare  Massenzunahme  des  Keims,  aber 
einmal  sind  alsdann  die  meisten  fundamentalen  Vorgänge  der  morphologischen 
Entwickelung  bereits  abgeschlossen ,  und  ferner  berührt  nach  His  selbst  diese 
Massenzunahme  nicht  den  dem  Wachsthumsgesetze  unterworfenen  Hauptkeim. 
Den  Anfang  einer  wirklichen  Ernährung  der  Embryonalzellen  und  daher  einer 
Massenzunahme  während  ihrer  Vermehrung  setze  ich  entsprechend  einer 
früheren  Darstellung  (S.  104)  in  die  Zeit,  wo  die  Umbildung  der  Dottersubstanz 
vollendet  ist.  Noch  leichter  ist  der  Nachweis  einer  mangelnden  Massenzunahme 
des  Keims  und  des  Embryo  bei  den  Batrachiern ,  indem  selbst  die  Möglichkeit 
derselben  sowohl  für  das  ganze  Ei  (S.  78)  wie  insbesondere  für  den  Keim  von 
dem  zelligen  und  längere  Zeit  unveränderten  Nahrungsdotter  (Dotterzellen- 
masse) her  ausgeschlossen  werden  kann.  Mit  solchem  Nachweise  ist  natürlich 
auch  das  ganze  Wachsthumsgesetz  gerichtet.  Doch  will  ich  seine  Bedeutung 
gar  nicht  bloss  von  seiner  äusseren  Berechtigung  abhängig  machen  und  es  auch 
unter  der  Voraussetuung  eines  thatsächlichen  Wachsthums  prüfen.  Nachdem 
His  alle  möglichen  Folgen  eines  ungleichmässigen  Wachsthums  erwogen  (Nr. 
109  S.  51 — 56. 184 — 188),  zählt  er  „die  durch  die  Beobachtung  constatirbaren 
Eigenschaften  des  Wachsthumsgesetzes "  auf,  also  den  thatsächlichen  Inhalt 
seiner  auf  den  Hühnerkeini  bezogenen  Theorie,  um  darauf  zu  dem  überraschen- 
den Ergebniss  zu  kommen,  dass  jene  Sätze  der  „unmittelbare  Ausdruck  der 
Beobachtung"  seien  (S.  190).  Diese  aus  v.  Baer's  Entwickelungsgeschichte 
entlehnten  geistreichen  Verallgemeinerungen  gewisser  Formveränderungen  der 
Keimschichten  könnte  man  allenfalls  ein  P]rscheinungsgesetz  nennen,  welches 
das  Wesentliche  und  Gesetzmässige  einer  Erscheinung  zusammenfasst  und  her- 
vorhebt und  dadurch  die  Aufmerksamkeit  auf  das  zu  Grunde  liegende  Kausal- 
gesetz lenkt,  ohne  es  selbst  zu  enthalten  oder  zu  bezeichnen.  Allerdings  sucht 
His  sowohl  seine  Keimfalten  aus  den  Formbedingungen  der  sich  ungleichmässig 
ausdehnenden  Keimschichten  und  aus  ihnen  wieder  andere  Erscheinungen  zu 
erklären;  aber  er  selbst  bezeichnet  die  Spaltungen,  Falten  u.  s.  w.  nur  als 
Folgen  seines  Wachsthumsgesetzes  (S.  55),  und  dieses  bleibt  eine  blosse  Summe 
von  gesetzmässigen  Wachsthumserscheinungen,  deren  einheitlicher  Ursprung 
und  Verlauf  bei  His  um  so  geheimnissvoller  erscheinen  müssen,  als  ihm  die 


558  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

nicht  ganz  kurze  Entwickelung  des  Keims  bis  zu  dem  Punkte ,  wo  seine  Unter- 
suchungen anfingen,  völlig  unbekanntblieb.  Unter  der  Voraussetzung  des  Wachs- 
thums  ist  also  das  His'sche  Wachsthumsgesetz  thatsächlich  nur  eine  Auf- 
zählung gewisser  allgemein  ausgedrückter  morphologischer  Erscheinungen,  wie 
wir  sie  in  ähnlicher  Weise  schon  bei  v.  Baer  antreffen.  Und  sollte  es  etwa  an- 
deuten,  dass  man  auf  demselben  Wege  der  Untersuchung  bis  zu  einer  einheit- 
lichen Begründung  jener  Vorgänge  gelangen  könnte,  so  wäre  es  im  günstigsten 
Falle  ein  Problem  zu  nennen,  dessen  ganze  Bedeutung  natürlich  davon  abhinge, 
dass  seine  fundamentale  Voraussetzung,  eben  das  Wachsthum ,  sich  bestätigte. 
Nach  der  Widerlegung  der  letzteren  kann  das  His'sche  Grundgesetz  nicht  ein- 
mal den  Anspruch  erheben,  ein  genauer  Ausdruck  der  Beobachtung  zu  sein: 
eine  bei  dem  jetzigen  Stande  der  Wissenschaft  verunglückte  Wiederholung  der 
v.  BAEß'schen  Reflexionen ,  verliert  es  jeden  empirischen  und  theoretischen 
Werth. 

Wenn  nun  die  morphologische  Entwickelung  durch  das  Wachsthumsgesetz 
nichts  weniger  als  erklärt  wird,  so  tritt  dafür  um  so  unzweideutiger  ein  anderes 
Erklärungsmoment  hervor,  der  Einfluss  des  physiologischen  Endzweckes.  Dass 
eine  solche  Annahme  neben  den  so  häufig  in  den  Vordergrund  gestellten  Ver- 
suchen einer  rein  mechanischen  Begründung  Platz  findet,  ist  kein  Zeugniss  für 
eine  klare  Auffassung  der  zu  lösenden  Probleme;  um  so  weniger,  als  His  in 
der  Erörterung  der  histologischen  Sonderung  denselben  Widerspruch  noch  in 
einer  anderen  Form  sich  aneignet.  Diese  Sonderung  wird  nur  im  Nebenkeime 
(Bindesubstanzen,  Blutgefässe)  von  der  morphologischen  Entwickelung 
mechanisch  abhängig  gemacht.*  Für  die  Gewebe  des  Hauptkeims  wird  dagegen 
eine  ganze  Reihe  verschiedener  Beziehungen  ihrer  Entwickelung  aufgeführt 
(s.  oben),  wobei  allerdings  der  gänzliche  Mangel  histiogenetisoher  Untersuchun- 
gen in  einem  merkwürdigen  Gegensatze  zu  der  Sicherheit  der  Aussprüche  steht. 
Will  man  zunächst  in  dem  kühnen  Satze  vom  Zusammenhange  der  Histiogenese 
mit  der  Wachsthumsgeschwindigteit  einen  Hinweis  auf  eine  empirische  Erklä- 
rung erkennen,  wobei  aberHis  dennoch  von  einem  Kausalnexus  zwischen  histio- 


*  Die  Vorstellung,  dass  die  Bindesubstanzzellen  des  mütterlichen  Organismus  im  Eie 
zu  indifferenten  Dotterzellen  werden,  im  Embryo  wieder  zu  Bindesubstanzzellen  u.  s.  f.,  also 
ein  gewissermassen  unsterbliches  Leben  in  einem  beständigen  Wechsel  von  „Rückschlag" 
und  Fortentwickelung  führen,  dürfte  in  diesen  Konsequenzen  nicht  geeignet  erscheinen,  eine 


ernstliche  Prüfung  anzuregen. 


VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes.  559 

logischer  und  morphologischer  Entwickelung  nichts  wissen  will,*  so  werden 
wir  durch  die  Behauptung  von  der  Uebereinstimmung  der  Hauptgewebe  mit 
ebenso  vielen  gesonderten  morphologischen  Anlagen,  nämlich  den  Keimschich- 
ten, zu  der  weiteren  Behauptung  hinübergeführt,  dass  die  Umbildung  jeder 
einzelnen  archiblastischen  Zelle  schon  vor  dein  Beginn  der  Entwickelung  im 
Zeugungsakte  scharf  bestimmt  sei !  Wir  hätten  also  eine  geheimnissvolle  Präde- 
stination in  der  Gewebsbildung  so  gut  wie  in  der  morphologischen  Entwicke- 
lung; und  da  sie  in  beiden  Richtungen  mit  der  von  His  konstruirten  Keim- 
schichtung zusammenfällt,  so  darf  man  annehmen,  dass  ihm  selbst  eine  Einheit 
wenigstens  des  übersinnlichen  Princips,  des  so  zu  sagen  ursächlichen  End- 
zwecks ,  vorgeschwebt  habe.  Andernfalls  würde  die  Dualität  desselben  ganz 
auffallend  an  Reichert's  bezügliche  Darstellung  erinnern.  Bei  solchen  Er- 
gebnissen muss  man'  darauf  verzichten,  in  der  His'sehen  Entwicklungs- 
geschichte irgend  eine  einheitliche  Auffassung  zu  finden ;  und  daher  konstatire 
ich  bloss,  dass  darin  von  einer  bestimmten  Vorstellung  über  das  Verhältniss 
der  morphologischen  und  der  histologischen  Sonderling  zur  Gesammtentwicke- 
lung  und  zu  einander  nichts  zu  entdecken  ist. 

Aus  der  voranstellenden  Kritik  der  verschiedenen  Entwicklungspläne  lässt 
sich  entnehmen,  wie  wenig  man  bisher  geneigt  war,  einen  innigen  Kausalzusam- 
menhang zwischen  histologischer  und  morphologischer  Entwickelung  anzuneh- 


*  In  diesen  Angaben  von  His  häufen  sich  Widerspruch  und  Unklarheit  ganz  besonders  an. 
Hinsichtlich  des  eben  genannten  Satzes  folgertHis  so  (S.  195):  „Im  Kopftheil  des  Keims  waltet 
die  Masse  des  Nervenblastems  beträchtlich  vor  über  die  Masse  der  übrigen  Blasteme".  „Im 
Rumpf-  und  Schwanztheil  des  Keimes  dagegen  nimmt  die  absolute  und  relative  Menge  des 
Nervenblastems  ab,  diejenigen  der  Muskelblasteme  zu''.  „Fassen  wir  das  Hauptergebniss 
des  obigen  Befundes  zusammen,  so  ergiebt  sich ,  dass  das  Nervenblastem  in  denjenigen  Ab- 
schnitten der  Keimscheibe  sich  bildet,  welche  beim  Beginn  der  Entwickelung  die 
grösste  Wachsthunisgesc'hwiiidigkeit  besitzen ,  während  das  Muskelblastem  in  den  Ab- 
schnitten mittlerer,  und  das  Epithelialgewebe  in  denjenigen  geringerer  Wachsthums- 
geschwiiidigkeit entsteht".  Es  erhellt,  dass  dieser  Schluss  und  das  daraus  abgeleitete  Ge- 
setz vom  Zasammenhange  der  physiologischen  Dignität  eines  Gewebes  mit  der  Wachsthums- 
geschwindigkeit  (s.  oben)  sich  nur  auf  den  Kopf  beziehen  können,  im  Rumpfe  aber  gerade 
umgekehrt  lauten  müssten,  was  zum  Ergebniss  hätte,  dass  dieselben  Gewebe  im  Kopfe  und 
Rumpfe  einen  verschiedenen  physiologischen  Wertb  hätten !  —  Wenn  ferner  jener  Zusam- 
menhang keine  „Erklärung"  der  betreffenden  Histiogenese  enthalten  soll,  auf  derselben 
Seite  aber  dennoch  zu  den  „Erklärungsmomenten:"  gerechnet  wird  (S.  197);  wenn  endlich 
das  Wachsthuin  der  Keimschichten  als  Ausdruck  morphologischer  Vorgänge  die  gewebliche 
Entwickelung,  wie  eben  bemerkt,  wesentlich  „beeinflussen"  (S.  200),  trotzdem  aber  der 
morphologischen  Gliederung,  worunter  auch  die  Keimschichtung  verstanden  ist  (S.  195), 
„kein  entscheidender  Einfluss"  auf  die  histiologische  Entwickelung  zukommen  soll,  so  darf 
eine  solche  Darstellung  auf  Ueberzeugungskraft  keinen  Anspruch  erheben. 


560  VIH-   ^ie  Segmente  des  Rumpfes. 

men,  die  Ursachen  der  ersteren  geradein  dernatürlichsten  Weise  in  den  greifbar 
vorliegenden  lokalen  Beziehungen  zu  suchen.  Den  Grund  dafür  glaube  ich  darin 
zu  erkennen,  dass  man,  einem  sehr  verbreiteten  Irrthum  folgend ,  Kausalgesetz 
und  Erscheinungnicht  gehörig  unterschied  und  die  Identität  des  ersteren  mit 
einer  Einheit  der  Erscheinungen  verwechselte.  Dieser  Irrthum  hatte  schon  die 
Auffassung  der  morphologischen  Entwicklung  geschädigt,indem  das  Gemeinsame 
in  den  gesonderten  Organen,  ihr  physiologischer ZwTeck,  ihr  animaler  odervege- 
tativer Charakter ,  nicht  nur*  auf  die  gleichen  Ursachen  bezogen ,  sondern  auch 
gleich  für  den  gemeinsamen  Ursprung  verantwortlich  gemacht  wurde.  Ebenso 
glaubte  man  ferner  die  Einheit  der  histiologischen  Entwickelung  nur  in  der  Ver- 
einigung aller  gleichen  Gewebstheile  in  je  einer  besonderen  Anlage  voraussetzen  zu 
müssen,  ohne  sich  dessen  klar  bewusst  zu  werden,  dass  man  dadurch  theoretisch 
morphologische  und  histiologische  Anlagen,  Organe  und  Gewebe  vollkommen 
schied,  was  wiederum  mit  der  einfachsten  Erfahrung  nicht  im  Einklänge  stand. 
Daher  beruht  auch  die  am  häufigsten  wiederkehrende  Vorstellung,  dass  die 
Keimblätter  sowohl  für  die  Organe  wie  für  die  Gewebe  eine  besondere  einheit- 
liche Bedeutung  hätten ,  auf  einer  Täuschung ,  welche  nur  durch  ungenaue  Be- 
obachtung und  oberflächliche  Ueberlegung  sich  aufrechterhalten  liess.  Ich 
habe  bisher  aus  den  betreffenden  Arbeiten  selbst  theils  jenen  Widerspruch  auf- 
zudecken, theils  nachzuweisen  gesucht,  wie  er  nur  durch  die  Annahme  unklarer 
übernatürlicher  Eingriffe  verdeckt  werden  könnte.  Jetzt  werde  ich  durch  eine 
Zusammenstellung  einiger  entscheidender  Thatsachen,  wie  sie  sich  aus  meinen 
Untersuchungen  ergeben,  ausführen,  wie  gründlich  jene  irrigen  Voraussetzun- 
gen durch  die  einfache  Beobachtung  widerlegt  werden. 

Zählen  wir  bloss  die  histiologischen  Leistungen  der  einzelnen  Keimblätter 
auf,  so  schwindet  schon  von  vorn  herein  jede  Aussicht,  jedes  von  ihnen  auch 
nur  in  dem  Umfange,  wie  es  noch  Remak  möglich  war,  durch  einige  besondere 
Gewebsformen  zu  charakterisiren.  Gehen  wir  vom  Darmblatte  aus ,  dessen 
Leistungen  jener  Forscher  noch  auf  die  epitheliale  Form  beschränken  konnte, 
so  finden  wir  neben  dieser  noch  die  endotheliale  Auskleidung  des  Herzens  (vgl. 
Abschnitt  X)  und  die  Erzeugnisse  des  Axenstranges  und  des  Schwanzdarms, 
welche  wenigstens  theilweise  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  auf  endotheliale 
Lymphgef  ässwände  bezogen  werden  können.  Des  weiteren  bezeichnet  aber  die 
„epitheliale  Form"  nur  eine  sehr  allgemeine  äussere  Gleichartigkeit  der  betref- 
fenden Gewebe.  Denn  zwischen  dem  Leberparenchym ,  dem  Lungenepithel 
und  etwa  den  Geschmackszellen,  welche  letzteren  mit  dem  Ueberzug  des  ganzen 


VIII.  Die  Segmente  des  Rumpfes.  561 

Mundhöhlenbodens  vom  Darmblatte  abstammen  (S.  332.  335),  dürfte  der 
Unterschied  gerade  so  gross  sein  wie  etwa  zwischen  den  Nerven-  und  Knorpel- 
zellen des  Bildungsgewebes.  Denn  wenn  man  die  einzige  wirkliche  Gemein- 
schaft der  erstgenannten  Bildungen,  nämlich  ihre  Zusammensetzung  aus  pri- 
mären Zellen  hervorhebt,  so  hat  man  kein  Recht,  die  entsprechende  Aehnlich- 
keit  in  jenen  sekundären  Zellen  des  Bildimgsgewebes  geringer  anzuschlagen. 
Ferner  ist  die  epitheliale  Gewebsform  innerhalb  des  mittleren  Keimblattes  in 
der  Auskleidung  der  Nieren  und  Geschlechtsorgane  und  der  grossen  serösen 
Höhlen,  innerhalb  des  oberen  Keimblattes  in  der  ganzen  Oberhaut,  dem  Epithel 
der  Nasen-  und  Mundhöhle  so  reichlich  vertreten,  dass  auch  von  einer  relativen 
Beschränkung  dieser  Gewebsform  auf  das  Darmblatt  abgesehen  werden  muss. 
Noch  auffallender  offenbart  sich  die  Ungleichartigkeit  der  Gewebsbildung  in 
den  beiden  andern  Keimblättern.  Im  oberen  bildet  der  centrale  Theil  (Axen- 
platte)  nicht  nur  die  Nervenmasse,  sondern  auch  die  Bindesubstanz  des  Hirns 
und  Kückenmarks  nebst  der  Epithelbekleidung  der  Adergeflechte,  also  ganz 
verschiedene  Gewebe  innerhalb  einer  einheitlich  bleibenden  Anlage ;  eine  Ab- 
gliederung  dieses  centralen  Theils,  die  Sinnesplatte,  erfährt  in  der  Riechschleim- 
haut, der  Netzhaut  mit  dem  Sehnerven  und  der  Auskleidung  des  Gehörorgans 
ebenfalls  eine  wechselnde  gewebliche  Umbildung.  Die  peripherischen  Ab- 
schnitte des  oberen  Keimblattes  endlich  liefern  neben  den  oberhäutigen  Bil- 
dungen (Oberhaut,  Drüsen,  Schleimhaut  der  Mundhöhle)  noch  die  Linse 
und  das  ganze  System  der  Seitennerven  mit  den  Seitenorganen.  Alle  diese 
Bildungen  sind  nun  aber  nicht  im  geringsten  eine  ausschliessliche  Eigenthüm- 
licltkeit  des  oberen  Keimblattes;  abgesehen  von  den  schon  erwähnten  Epithelien 
bildet  das  mittlere  Keimblatt  ebenso  wie  das  Darmblatt  (Geschmacksorgan) 
eine  Art  von  Sinnesorganen,  nämlich  die  sogenannten  Tastkörperchen,  und 
ferner  eine  ganze  Reihe  von  diskreten  Nervencentren,  die  Ganglien.  Es  ist  daher 
nur  eine  Gewebsform,  die  Muskeln,  auf  ein  Keimblatt,  nämlich  das  mittlere 
beschränkt,  während  alle  übrigen  Gewebe  auf  zwei  oder  alle  drei  Blätter  vertheilt 
sind,  und  zwar  nicht  in  einheitlichen  Anlagen,  von  denen  aus  ihre  Bildungs- 
zellen dem  „Endzwecke"  gemäss  zu  den  entferntesten  Organen  auswandern 
müssten  (His),  sondern  in  rein  lokaler  Anordnung.  Diese  Auffassung  wird 
durch  die  Thatsache  der  wandernden  Bildungszellen  nicht  beeinträchtigt ;  denn 
einmal  dienen  sie  nur  zur  Ergänzung  schon  bestehender  Anlagen,  und  ferner 
stellen  sie  kein  besonderes  einzelnes  Gewebe  dar,  sondern  bleiben  bis  zur  Zeit 
ihrer  lokalen  Niederlassung  völlig  indifferent,  um  erst  dann  je  nach  den  vorge- 

Gortte,  Entvvickelungsgeschichte.  ■*() 


562  VIII.  Die  Segmente  des  Rumpfes. 

fundenen  Bildungsbedingungen  in  Nerven,  Muskeln,  Bindesüb  stanz  oder  epi- 
theliale Bildungen  überzugehen. 

Eine  genaue  Beobachtung  widerlegt  aber  nicht  nur  vollständig  die  speci- 
fische  Bedeutung  der  Keimblätter  und  -schichten  für  die  Gewebsbildung, 
sondern  erweist  auch  die  rein  lokale  Begründung  ihrer  Verschiedenheit  durch 
die  morphologische  Entwickelung.  Die  aktiven  oder  Bewegungsursachen  der 
Histiogenese  sind  natürlich  die  in  jeder  Embryonalzelle  sich  entwickelnden, 
anfangs  überall  gleichen  physiologischen  Vorgänge,  deren  Massenwirkungen 
zuerst  in  der  schon  geschilderten  morphologischen  Entwickelung  zu  Tage  treten, 
in  der  Folge  aber  sich  in  die  einzelnen  histiologischen  Erscheinungen  auflösen. 
Die  Bedingungsursachen  dagegen,  welche  jenen  Bewegungen  Form  und  Ziel 
vorschreiben  und  dadurch  eben  allein  die  histiologischen  Unterschiede  begrün- 
den, sind  nun ,  wie  ich  aus  einer  Vergleichung  der  Beobachtungen  glaube  ent- 
nehmen zu  können,  in  den  örtlich  verschiedenen,  von  der  vorausgegangenen 
morphologischen  Entwickelung  gesetzten  Formbedingungen  zu  suchen,  d.  h.  in 
der  Summe  von  Lagebeziehungen  der  ganzen  Anlagen  und  ihrer  Elemente, 
wozu  die  äussere  Form,  Grösse,  Umgebung  der  ersteren  und  das  besondere 
Gefüge  der  letzteren  gehören.  —  Im  Anfange  der  Entwickelung  sind  die 
Embryonal-  und  Dotterzellen  nach  Inhalt  und  Zusammensetzung  und  selbst 
in  der  indifferenten  rundlichen  Gestalt  einander  vollständig  gleich-,  aber  schon 
die  ersten  Abweichungen,  welche  die  Gestalt  betreffen,  werden  von  der  morpho- 
logischen Entwickelung  herbeigeführt,  indem  diese  einige  Zellenmassen  in  epi- 
theliale Schichten  zusammendrängt,  andere  in  lockerem  Gefüge  lässt  oder  zu 
Netzen  auseinander  zieht.  Der  Beginn  der  inneren  histiologischen  Veränderung 
ist  ebenfalls  in  allen  Zellen  gleichartig,  da  er  von  der  vorausgehenden  Auf- 
lösung der  Dottersubstanz  abhängig  ist,  welche  überdies  in  den  verschiedensten 
Gewebsanlagen  von  der  Erscheinung  der  von  mir  so  genannten  Umbildungs- 
kugeln  begleitet  ist.  Da  diese  Einleitung  der  Histiogenese  nicht  gleichzeitig 
in  allen  Anlagen,  für  die  einzelnen  aber  stets  in  ganz  bestimmten  Zeitpunkten, 
also  auch  bei  ganz  bestimmten  morphologischen  Zuständen  eintritt,  so  dürfte 
der  wesentliche  Einfluss  der  letzteren  schon  im  Beginne  der  Gewebsbildung 
nicht  zu  verkennen  sein.  In  einzelnen  Fällen,  wie  bei  der  ersten  Gefassent- 
wickelung  und  der  Umbildung  der  Wirbelsaite  können  wir  sogar  diesen  Ein- 
iluss  näher  bestimmen.  Im  ersteren  Falle  ist  jedenfalls  die  Herstellung  des 
Bildungsgewebes  als  der  nothwendigen  Voraussetzung  der  Gefässbildung,  ob- 
wohl dabei  gewisse  morphologische  Anlagen  aufgelöst  werden,  vollständig  ab- 


VIII.  Die  Segmente  des  Rumpfes.  563 

hängig    von   einem   bestimmten   Fortsehritte    der   ganzen    morphologischen 
Entwickelung   (S.  492  u.  flg.);    und    ebenso    erscheint    die   Umbildung  der 
Wirbelsaite   als    eine   Folge    eines  allgemeinen   morphologischen    Vorgangs, 
nämlich  der  Verlängerung  der  dorsalen  Anlagen  (S.  356).    Noch  offenbarer 
wird  der  EinÜuss  der  morphologischen  Entwickelung ,  genauer  gesagt  der  von 
ihr  gesetzten  Formbedingungen  im  weiteren  Verlaufe  der  Histiogenese.    So 
linden  wir  zunächst,  dass  das  Mass  der  Veränderung  in  der  zusammenhängen- 
den morphologischen  und  histiologischen  Entwickelung,  soweit  wir  beurtheilen 
können,  sich  völlig  gleich  bleibt,  d.  h.  geringere  oder  grössere  morphologische 
Sonderung  bedingt  auch  geringere  oder  grössere  histiologische  Differenzirung. 
Solange  das  obere  Keimblatt  morphologisch  indifferent  erscheint,  lässt  sich 
auch  an  seinen  Zellen  kein  Unterschied  wahrnehmen.  In  der  sich  absondernden 
Axenplatte  nehmen  sie  bereits  eine  andere  Gestalt  und  Lagerung  an  als  in  den 
peripherischen  Theilen,  um  nach  der  Abschnürung  der  Cerebromedullarröhre 
einen  völlig  heterogenen  Entwickelungsgang  einzuschlagen.  Aber  gerade  dieses 
Beispiel  malmt  uns,  die  wirkenden  Formbedinguugen  nicht  ohne  weiteres  mit 
der  äusseren  Formerscheinung  zu  verwechseln;  denn  die  letztere  ist  bei  der 
Entwickelung  des  Centralnervenorgans  der  Knochenfische  eine  andere  als  bei 
derjenigen  anderer  Wirbelthiere,  und  nicht  immer  ist  es  möglich,  die  Gleichheit 
der  dabei  wirksamen  Ursachen  und  somit  der  Formbedingungen  der  bereits 
eingeleiteten  Histiogenese  dennoch  so  wahrscheinlich  zu  machen,  wie  in  diesem 
Falle  (vgl.  S.  185- — 187).   Zum  Beweise,  wie  eng  sich  die  histiologische  Diffe- 
renzirung an  die  morphologische  Sonderuug  anschliesst,  sei  hier  an  die  Knickung 
der  Hirnaxe  und  die  ihr  parallel  laufende  Biegung  der  weissen  Markfaserstränge 
erinnert.    Dagegen  zeigen  wiederum  die  Schicksale  der  Sinnesplatte,  dass  die- 
selbe Anlage  unter  wesentlich  veränderten  Formverhältnissen  ihrer  einzelnen  Ab- 
schnitte auch  einer  wesentlich  divergirenden  geweblichen  Umbildung  unterliegt: 
die  Fortsetzung  jener  Platte  im  Rumpfe  (hinterer  Rückenmarksstrang)  entbehrt 
eine  morphologische  Scheidung  vom  Rückenmarke  und  daher  auch  eine  beson- 
dere Histiogenese,  während  die  dreitheilige  Sinnesplatte  des  Kopftheils  mit 
ihrer  Absonderung  vom  Hirne  auch  die  abweichende  gewebliche  Umbildung 
erwirbt.    Und  noch  einmal  tritt  uns  in  diesem  engeren  Kreise  verwandter  Bil- 
dungen ein  Beispiel  entgegen,  wie  die  unvollkommene  Beobachtung  des  morpho- 
logischen Zusammenhangs  auch  gleich  das  Verständniss  der  histiogenetischen 
Beziehungen  trübt;  denn  den  früheren  Embryologen  erschienen  die  homologen 
Sinnesanlagen  in  der  Nasengrube,  der  Linse  und  dem  Gehörbläschen,  welche 

36* 


564  VIII.  Die  Segmente  des  Rumpfes. 

vom  physiologischen  Endzwecke  geleitet,  aus  dem  scheinbar  gleichartigen 
Hornblatte  hervorwuchsen,  während  in  der  That  die  Augenblase  an  die  Stelle 
der  Linse  zu  treten  hat,  und  alsdann  die  drei  Anlagen  der  empfindenden  Sinnes- 
apparate eine  gewisse  histiologische  und  physiologische  Verwandtschaft  unter 
sich  schon  in  der  gemeinsamen  morphologischen  Anlage  offenbaren ,  welche 
nicht  weniger  von  der  Stirnplatte  als  von  der  Oberhautanlage  sich  absondert. 
Wie  aber  die  Linse  aus  einer  nachträglichen  mechanischen  Anpassung  an  die 
Augenblase  hervorgeht,  habe  ich  in  einem  früheren  Abschnitt  erörtert  (S.  326), 
damit  aber  auch  erklärt,  warum  dieses  Organ  auch  geweblich  der  Oberhaut 
näher  steht  als  den  empfindenden  Sinnestheilen.  Die  Oberhaut  endlich  erfährt 
die  geringsten  morphologischen  Umänderungen  und  daher  auch  die  am  wenig- 
sten wesentliche  gewebliche  Differenzirung:  alle  ihre  Bildungen  bewahren  mehr 
oder  weniger  den  epithelialen  Charakter,  und  dadurch  nähert  sie  sich  eben  dem 
Darmblatte,  welches  zum  weitaus  grössten  Theile  ebenfalls  in  epitheliale  Bil- 
dungen übergeht.  Desshalb  wurde  schon  Bjemak,  wie  wir  sahen,  zu  einem 
eigentümlichen  Vergleiche  beider  Keimblätter  veranlasst,  wobei  die  histio- 
logische Uebereinstimmung  mit  den  verschiedenen  physiologischen  Zwecken  in 
Widerstreit  gerieth.  His  verlegte  sogar  alle  echten  Epithelien  in  seine  beiden 
Grenzblätter.  Dass  aber  die  Epithelbildung  ihnen  nicht  ausschliesslich  eigen- 
thümlich  ist,  habe  ich  schon  gezeigt;  und  es  kommt  hier  nur  darauf  an  zu 
erweisen,  dass  sie  überhaupt  nicht  aus  ursprünglichen  Eigenthümlichkeiten  der 
Keimblätter,  sondern  aus  bestimmten,  erst  durch  die  ganze  morphologische 
Entwickelung  örtlich  zusammengeführten  Formbedingungen  hervorgeht.  Wenn 
ich  die  Epithelbildung  für  eine  nothwendige  Folge  einer  Lagebeziehung,  näm- 
lich der  freien  Oberfläche  erkläre,  wie  es  schon  Remak  vorschwebte,  so  mag 
dies  Manchem  selbstverständlich  erscheinen ;  dagegen  muss  ich  aber  bemerken, 
dass  alsdann  bisher  wenigstens  die  selbstverständlichen  Schlüsse  daraus  nicht 
abgeleitet  wurden,  auf  die  es  hier  allein  ankommt.  Die  Oberfläche  des  ursprüng- 
lichen indifferenten  Keimblattes  bedingt  nicht  ohne  weiteres  seine  Umbildung 
in  ein  epitheliales  Gewebe,  sondern  diese  tritt  nur  dort  ein,  wo  die  mit  jener 
Lagebeziehnng  der  freien  Oberfläche  verbundenen  besonderen  Formbedingungen 
bis  zum  Beginn  der  betreffenden  Gewebsbildung  erhalten  bleiben  oder,  wenn 
sie  anfangs  nicht  vorhanden  waren,  sich  im  Verlaufe  der  morphologischen  Ent- 
wickelung zusammenfinden ;  und  ferner  betrifft  diese  Bildung  gar  nicht  durch- 
weg die  ganze  Mächtigkeit  des  zu  Grunde  liegenden  Keimblattes,  sondern 
reicht  nur  so  weit,  als  jene  Formbedinguugen  wirken.    Desshalb  sehen  wir  die 


VIII.  Die  Segmente  des  Rumpfes.  565 

Axenplatte,  welche  anfangs  von  den  peripherischen  Theilen  des  Keimblattes 
kaum  verschieden  ist,  durch  ihre  morphologische  Umbildung  die  Fähigkeit 
zur  Epithelbildung  grösstenteils  verlieren,  und  der  Hirnanhang  hat  mit  einer 
solchen  nichts  mehr  gemein.  Anderseits  hindert  die  Epithelbildung  die  tiefe- 
ren Theile  nicht,  sich  an  gewissen  Stellen  histologisch  vollkommen  abzusondern, 
wofür  ich  besonders  das  aus  der  Oberhautanlage  abstammende  Seitennerven- 
system anführe.  Doch  wird  meine  Erklärung  namentlich  durch  die  Entwicke- 
lung  des  mittleren  Keimblattes  unterstützt.  Die  Seitenplatten  liefern  die 
Epithelien  der  serösen  Höhlen,  der  Harn-  und  Geschlechtsorgane  auf  demselben 
histiogenetischen  Wege  wie  das  obere  Keimblatt  die  Oberhaut,  aber  nach  einer 
ganz  anderen  vorausgehenden  morphologischen  Entwickelung.  Sie  sind  anfangs 
weder  hautartig  noch  im  Besitz  einer  freien  Oberfläche ;  beides  entsteht  erst 
im  Verlaufe  der  morphologischen  Entwickelung,  nach  der  Spaltung  der  Seiten- 
platten, welche  aber  alsdann  nicht  vollständig  in  ein  Epithel  übergehen,  sondern 
im  Rumpfe  aus  ihren  tieferen  Elementen  interstitielles  Bildungsgewebe  (Ge- 
fässe,  Nerven,  Bindegewebe  und  Muskeln  des  Darmkanals,  des  Herzens  u.  s.  w.) 
erzeugen,  im  Kopfe  dagegen  (Zungenbein-,  Kiemenbögen)  in  Folge  einer  nach- 
träglichen Verwachsung  der  freien  Oberflächen  die  Fähigkeit  zur  Epithelbildung 
vollständig  einbüssen.  Nach  solchen  Erfahrungen  werden  wir  der  Thatsache, 
dass  das  Darmblatt  entsprechend  seiner  ursprünglichen  Fonnbildung  ganz 
überwiegend  in  oberhäutige  Gebilde  übergeht,  keine  besondere  Bedeutung  mehr 
zuschreiben  wollen ;  es  ist  vielmehr  das  mittlere  Keimblatt  kaum  weniger  als 
das  obere,  darin  dem  Darmblatte  verglichene,  ein  Epithelblatt  zu  nennen,  und 
die  Epithelbildungen  aller  drei  Blätter  stellen  sich  als  Wirkungen  der  in  ihren 
unmittelbaren  morphologischen  Grundlagen  vereinigten  Formbedingungen  dar, 
ganz  ohne  Rücksicht  darauf,  ob  die  letzteren  bereits  in  den  indifferenten  Keim- 
blättern theilweise  vorgebildet  waren,  oder  erst  während  der  morphologischen 
Entwickelung  neu  entstanden.  Auch  der  letzte  Einwand,  dass  diese  Epithelien 
nur  äusserlich  gleichartig,  funktionell  aber  ganz  verschieden  seien,  ist  hinfällig-, 
wenn  wir  beim  Vergleich  der  Funktionen  naturgemäss  eine  gewisse  Grenze  der 
Aehnlichkeit  nicht  überschreiten  dürfen,  so  kann  ich  eine  Grundverschiedenheit 
jener  drei  Epithelformen  nicht  einsehen.  Die  sensorielle  Bedeutung  der  Ober- 
haut müssen  wir  jetzt,  wo  die  besonderen  Anlagen  der  drei  höheren  Sinnes- 
organe (Sinnesplatte)  nicht  mehr  mit  derselben  zusammengeworfen  werden 
können,  auf  eine  untergeordnete  Beziehung  zu  den  empfindenden  Sinnesaparaten 
(Linse,  äusserer  Gehörgang,  Ueberzug  der  Tastnervenendigungen)  und  ebenso 


566  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

untergeordnete  eigentliche  Sinnesbildungen  (Seitenorgane)  beschränken.  Und 
gerade  ebenso  verhalten  sich  die  Epithelien  der  anderen  Keimblätter  zur  Bil- 
dung eigener  Sinnesorgane  (Zunge)  oder  zu  ausser  ihnen  befindlichen  Empfin- 
dungsapparaten,  wie  das  Darmblatt  am  ganzen  Mundhöhlenboden,  die  Epithelien 
des  mittleren  Keimblattes  im  Gekröse  und  der  Scheide  zu  den  Kkause'scIicii 
und  VATEß'schen  Körperchen.  Gegenüber  jener  beschränkten  sensoriellen  Be- 
deutung der  Oberhaut  erscheint  ihre  perspiratorische  und  überhaupt  absondernde 
Thätigkeit  von  weit  grösserer  Bedeutung;  und  wenn  gewissen  Wirbelthieren 
auch  eine  Aufsaugung  aus  dem  umgebenden  Medium  durch  die  Oberhaut'  nicht 
fehlt,  so  stehe  ich  nicht  an,  sie  in  funktioneller  Beziehung  den  Epithelbildungen 
des  Darmblattes  und  der  Seitenplatten  im  allgemeinen  gleichzustellen. 

Prüfen  wir  jetzt  den  behaupteten  Kausalzusammenhang  der  histologischen 
und  morphologischen  Entwicklung  von  einer  anderen  Seite,  an  der  Bildung 
homologer  Theile,  zunächst  der  Gegen-  und  Folgestücke.   Die  sie  bedingende 
Gliederung  vollzieht  sich  an  den  Wirbelthierembryonen  zuerstund  selbstständig 
im  mittleren  Keimblatte;    die  daraus  hervorgehenden   Segmente  bieten  als 
Folgestücke  grösstenteils  völlig  gleiche,  als  Gegenstücke  durchweg  symmetrisch 
gleiche   Formbedingungen,  und  ihre  gewebliche  Umbildung  folgt  durchaus 
dieser  Anordnung.    Als  Folgestücke  gewähren   sie  aber  gleichsam  noch  eine 
Gegenprobe.   Ihre  Formbedingungen  verändern  sich  nämlich  beim  Uebergange 
aus  dem  Rumpfe  in  den  Kopf;  und  zwar  schwächt  sich  die  morphologische 
Gliederung  der  inneren  Segmente  bis  zum  Vorderkopfe  ab,  wogegen  diejenige 
der  äusseren  Segmente  in  derselben  Richtung  an  Intensität  zunimmt.  In  Ueber- 
einstimmung  damit  fällt  und  steigt  auch  die  histologische  Differenzirung :  den 
inneren  Segmenten  entfällt  schon  vor  dem  ersten  Wirbel  die  Nervenanlage,  um 
erst  am  zweiten  Kopfsegmente,  aber  dort  ohne  eine  zugehörige  Muskelbildung 
wiederzuerscheinen  (vgl.  Abschnitt  IX);  die  äusseren  Segmente,  im  Schwänze 
morphologisch  alsbald  aufgelöst  und  nur  in  interstitielles  Bildungsgewebe  ver- 
wandelt, erhalten  sich  im  Rumpfe  in  blattförmiger  Anlage,  welche  entsprechende 
Muskelschichten  liefert,  während  ihre  mächtigere  Entwickelung  im  Kopfe  neben 
zusammengesetzten  Muskelmassen  selbstständige  Nervenanlagenund  Skelettheile 
hervorruft.  Wir  lernen  daraus,  dass  ursprünglich  gleiche  morphologische  Anlagen 
durchaus  nicht  den  gleichen  Entwickelungsverlauf  nothwendig  involviren,  indem 
nachträgliche  Formveränderungen  derselben,  welche  von  der  Anpassung  an  die 
umgebenden  Anlagen,  also  von  äusseren  Formbedingungen  abhängen,  ebenfalls 
nachträgliche  Veränderungen  der  histiologisch-physiologischen  Ergebnisse  zur 


VIII.  Die  Segmente  des  Rumpfes.  567 

unausbleiblichen  Folge  haben.    Wir  können  ferner  diese  Betrachtung  verallge- 
meinern und  von  den  Folgestücken  ausgehend,  welche  so  offenbar  durch  eine  all- 
mählich sich  steigernde  Divergenz  ihrer  anfangs  relativ  gleichen  Formbeding- 
ungen zu  verschiedenen  Zielen  geführt  werden,  für  jede  einzelne  morphologische 
Grundlage  eines  Organs  oder  Gewebes  behaupten,  dass,  was  wir  ihre  besonde- 
ren Formbedingungen  nennen,  nicht  eine  ihr  innewohnende  und  ursprünglich 
an  sie  gebundene  Eigenthüinlichkeit  ist,  sondern  sich  erst  allmählich  im  Gefolge 
der  ganzen  morphologischen  Entwickelung  im  Wirkungskreise   der  einzelnen 
Anlage,  theils  an  ihr  selbst,  theils  in  ihren  Beziehungen  nach  aussen  ansammelt. 
Desshalb  ist  auch  der  Werth  des  Komplexes  von  Formbedingungen,  welche  an 
eine  Aidage  geknüpft  sind,  ein  während  ihrer  eigenen  Ausbildung  wechselnder 
und  gewinnt  erst  im  Beginne  der  daraus  hervorgehenden  Gewcbsbildung  die 
volle  Bedeutung  einer  sie  mit  Notwendigkeit  hervorrufenden  Grundlage.    Da 
nun  nach  allen  Beobachtungen,  wie  ich  noch  näher  ausführen  werde,  der  An- 
fang der  Histiogenese  im   allgemeinen  das  Ende  der  betreffenden  morpholo- 
gischen Entwickelung  bezeichnet,  so  liegt  die  Bedeutung  der  letzteren  für  das 
physiologische  Endresultat  nur  in  ihrem  eigenen  Endziel,  nicht  in  den  wechseln- 
den Fähigkeiten  früherer  Zustände.     Ueber  diesen  Wechsel  können  wir  uns 
aber  nicht  nur  aus  dem  eben  besprochenen  Beispiele  der  verschieden  umge- 
bildeten homologen  Folgestücke  eine  Vorstellung  machen,  sondern  vielleicht 
noch  besser  aus  dem  Vergleich  einer  verschiedenen  Entwickelung   identischer 
Theile.  Ein  solcher  Vergleich  lässt  sich  natürlich  nur  an  verschiedenen  Thieren 
anstellen,  bietet  sich  aber  im  Bereich  der  Wirbelthiere  häufig  genug  dar  in  den 
sogenannten  rudimentären  oder  rückgebildeten  Organen.  Es  erhellt,  dass  diese 
Rückbildung    sich   von  derjenigen   einzelner   Folgestücke   desselben  Thieres 
nicht  unterscheidet;  ich  erwähne  sie  nur,  weil  sie  stets  eine  besondere  Auf- 
merksamkeit auf  sich  zog.     Wenn  die  gleichen  morphologischen  Anlagen   der 
Kiemen  bei  dem  einen  Thiere  zu  einem  bestimmten  physiologischen  Endresultat 
führen,  bei  dem  andern  schon  vor  einer  besonderen  histologischen  Entwickelung 
atrophiren  und  verschwinden,  so  müssen  wir  im  letzteren  Falle  offenbar  die 
abweichenden  Anpassungsbeziehungcn   zum  übrigen  embryonalen  Körperbau 
anschuldigen,  die  in  den  ursprünglichen  morphologischen  Anlagen  gelegenen 
Fähigkeiten  unterdrückt  zu  haben,  und  daher  gestehen,  dass  dieselben,  mögen 
wir  sie  nun   auf  ein  Keimblatt  oder   ein  Gliederungsprodukt  desselben  be- 
ziehen, ein  bestimmtes  Ziel  nicht  nothwendig  involviren.    Dies  wird  an  dem 
gewählten  Beispiele  dadurch  noch  besonders  gut  illustrirt,  dass  selbst  das  er- 


5(38  VITT.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

reichte  physiologische  Endresultat  unbeständig,  schon  in  der  Entwicklungs- 
zeit vergänglich  sein  kann ,  wie  bei  den  meisten  Batrachiern ;  wobei  die  Ver- 
theidiger  des  vorherbestimmten  Ziels  in  Verlegenheit  gerathen  müssen,  ob  es 
für  die  Kiemenbögen  in  dem  zeitweilig  bestehenden  Kiemenapparate  oder  in 
den  spärlichen  Schlundmuskeln  und  -nerven  zu  suchen  sei,  welche  zuletzt  für 
das  vollkommene  Leben  übrig  bleiben.  —  Von  nicht  geringerem  Gewicht  für 
meine  Ansicht  ist  die  von  mir  als  Gaumenleisten  noch  zu  beschreibende  Larven- 
bildung, welche  sich  füglich  mit  den  Anlagen  des  Gaumens  der  Anmieten  ver- 
gleichen lässt  {vgl.  Abschnitt  IX,  Taf.  XVIII,  Fig.  329.  332).  Bei  den 
Batrachiern,  wo  dieses  Organ  in  der  ganzen  Wirbelthierreihe  zuerst  auftritt, 
geht  es  über  den  Zustand  der  getrennten  seitlichen  Leisten,  den  wir  bei  den 
Anmieten  als  Anlage  bezeichnen,  nicht  hinaus,  ist  zudem  sehr  vergänglich  und 
daher  gewiss  von  geringer  Bedeutung  für  den  ganzen  Organismus.  Man  darf 
also  behaupten,  dass  hier  das  umgekehrte  Verhältniss  wie  bei  den  Kiemen  vor- 
liege, nämlich  nicht  eine  in  der  Entwickelungsreihe  eines  Typus  fortschreitende 
Rückbildung,  sondern  eine  in  derselben  Richtung  sich  allmählich  steigernde  Aus- 
bildung eines  Organs,  wobei  derGrad  der  letzteren  und  daher  die  physiologische 
Bedeutung  offenbar  nicht  von  der  relativ  gleichen  Anlage,  sondern  vielmehr  von 
der  während  der  Entwicklung  wechselnden  Korrelation  der  Theile  abhängt. 
—  Es  beweisen  also  die  verschieden  entwickelten  Folgestücke,  die  rudimentären 
Anlagen  und  die  provisorischen  Larvenorgane,  dass  das  thatsächliche  Endziel 
und  die  Bedeutung  für  den  fertigen  Organismus  in  durchaus  homologen  und 
ursprünglich  gleichen  Anlagen  sehr  verschieden  sein  können,  dass  also  das 
jeweilige  Endresultat  nicht  von  der  einzelnen  ursprünglichen  Anlage,  sondern 
von  der  schliesslich en  Zusammensetzung  ihrer  inneren  und  äusseren  Formbe- 
dingungen abzuleiten  sei,  welche  erst  durch  den  Gesammtverlauf  der  morpho- 
logischen Entwicklung  und  daher  auch  bei  gleichen  Anlagen  unter  Umständen 
in  ganz  verschiedener  Weise  zusammengeführt  werden. 

Ich  kann  mich  aber  nicht  enthalten,  zur  Beleuchtung  des  Gesagten 
noch  auf  eine  grosse  Reihe  von  Bildungen  hinzuweisen,  welche  den  Mangel 
einer  ursprünglichen  Bestimmung  vielleicht  am  klarsten  offenbaren.  Ich  nieine 
die  dem  interstitiellen  Bildungsgewebe  entstammenden  und  insbesondere  die 
sekundär-morphologischen  Gebilde.  Sie  entbehren  insgesammt  morphologische 
Anlagen  und  entstehen  aus  einem  ganz  indifferenten  und  ungefonnten  Bildungs- 
material, welches  durch  äussere  Umstände  von  verschiedenen  Seiten  heran 
gewissen  Stellen  zusammengeführt  wird,  um  dann  morphologisch  sich  der  Um- 


VIII.  Die  Segmente  des  Rumpfes.  569 

gebung  anzupassen  und  in  seiner  weiteren  histiologischen  Umbildung  dieselbe 
Abhängigkeit  von  den  lokalen  Formbedingungen  zu  bethätigen,  wie  ich  sie  eben 
an  den  primär-morphologischen  Anlagen  nachzuweisen  suchte.  Angesichts 
einer  solchen  Entwickelung  ist  die  Ansicht  natürlich  ganz  unhaltbar,  dass  die 
Bildimgsursachen  auch  vor  ihrem  schliesslichen  Zusammenwirken  in  der  be- 
treffenden Gewebsentwickehmg  beständig  in  irgendeiner  Anlage  vereinigt  seien 
und  daher  derselben  einen  bestimmten  Entwickelungsverlauf  vorschrieben. 
»Sucht  man  diese  Ursachen  genau  zu  verfolgen,  so  verzweigen  sie  sich  gleich- 
sam in  dem  ganzen  morphologischen  Aufhau;  und  schon  zur  Erklärung 
einer  einzigen  Wirbeanlage  hat  man  die  Bildung  des  Blutes,  der  Gefässe  und 
überhaupt  des  Bildungsgewebes,  ferner  die  formalen  und  funktionellen  Be- 
ziehungen der  dorsalen  Hauptanlagen  (Centralnervenorgan,  Wirbelsaite,  Rücken- 
muskeln und  Spinalnerven),  endlich  den  Einfiuss  der  Muskelwirkung  auf  die  in 
der  Entwickelung  begriffenen  Skelettheile  in  ursächlichen  Zusammenhang  zu 
bringen. 

Alle  vorstehenden  Beobachtungen  und  Betrachtungen  sollten  meiner  An- 
sicht nach  Jeden  überzeugen,  dass  die  Gewebsentwickehmg  und  die  sich  weiter 
daraus  ergebenden  physiologischen  Folgen  für  das  Leben  des  ganzen  Individuums 
ihre  Ursachen  nothwendig  und  ausschliesslich  in  ihren  unmittelbaren  morpholo- 
gischen Grundlagen  finden,  oder  mit  andern  Worten  —  damit  nicht  selbstver- 
ständlich erscheine,  was  bisher  dafür  nicht  gegolten  — ,  dass  die  Gewebsent- 
wickehmg nirgends  in  einem  besonderen  Bildungsmaterial,  seien  es  Enibryonal- 
anlagen  oder  einzelne  Bildungszellen,  ursächlich  vorherbestimmt,  sondern  ein 
Ergebniss  der  Gesammtentwickelung  desIndividuums  ist,  welche  von  einem  formal 
und  funktionell  durchaus  einfachen  und  einheitlichen  Anfänge  aus  sich  in  ein 
immer  mannigfaltigeres  zusammenhängendes  Gefüge  gliedert,  worin  jeder  Einzel- 
theil nur  in  dem  Zusammenwirken  vieler  anderen  bedingt,  seinerseits  wieder 
wesentlich  in  die  Bildung  und  den  Bestand  anderer  eingreift.  —  Ich  habe  dieses 
Entwickelungsleben  in  der  morphologischen  Entwickelung  aufzudecken  gesucht ; 
da  jedoch  die  histiologisch-physiologische  Ausbildung  der  Einzeltheile  nur  den 
endlichen  Ausfluss  der  morphologischen  Entwickelung  darstellt,  so  ist  auch  die 
erstere  demselben  Gesetze  unterworfen.  Ich  habe  ferner  nicht  nur  für  die  ganze 
morphologische  Entwickelung,  sondernauch  für  die  Einleitung  der  Gewebsbildung 
die  mechanischen  Formbedingungen  mit  Recht  stets  in  den  Vordergrund  ge- 
stellt; denn  die  eigentliche  Triebkraft  der  Entwickelung,  welche  wir  in  den 
Lebensherden  der  einzelnen  Elemente  zu  suchen  haben,  wirkt  in  den  bezeich- 


570  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

neten  Perioden  in  völlig  gleichartiger,  ebenfalls  mechanischer  Weise  durch  die 
Theilungsbewegungen,  sodass  das  eigentliche  Motiv  jeder  Sonderung  gerade  in 
jenen  beständig  wechselnden,  sich  gliedernden  Formbedingungen  zu  suchen  ist. 
Es  erscheint  daher  geboten,  auf  das  Wesen  und  den  Ursprung  dieser  Formbe- 
dingungen näher  einzugehen,  als  es  bisher  geschehen  ist. 

Es  ergibt  sich  aus  der  früheren  Darstellung  der  morphologischen  Ent- 
wicklung (S.  31-35.  77—105.  139.  241—252),  dass  für  den  Beginn  und 
weiteren  Verlauf  derselben  zwei  ursächliche  Momente  auseinanderzuhalten 
sind:  die  von  dem  besonderen  Stoff  abhängigen  Beziehungen  zum  umgebenden 
Medium  und  die  Umstände^  welche  dieselben  in  eine  gesetzliche  Form  über 
führen.  Der  Ursprung  der  ersteren  liegt  also  in  den  sämmtlichen  physikalischen 
und  chemischen  Eigenschaften  der  Dottersubstanz.  Wie  wenig  aber  dieselben 
für  sich  allein  genügen,  um  die  Entwickelung  hervorzurufen,  geht  aus  der  Be- 
obachtung des  nicht  befruchteten  Eies  hervor,  welches  gewöhnlich  ganz  ohne 
Ansatz  der  Dottertheilung  abstirbt,  nicht  weil  die  Wechselwirkung  zwischen 
Dotter  und  Wasser  ausbleibt  oder  in  ihrem  Wesen  abändert,  sondern  weil  die 
bestimmte  Regelung  derselben  fehlt  (S.  83 — 85);  und  selbst  wenn  in  den 
selteneren  Fällen  ein  unbefruchtetes  Ei  sich  zu  entwickeln  anfängt,  so  geht  es 
doch  an  der  Unregelmässigkeit  der  Dottertheilung  und  ihren  Folgen  zu  Grunde 
(S.  49).  Es  ist  also  die  bestimmte  Zusammensetzung  der  Dottersubstanz  die 
erste  nothwendige  Voraussetzung  für  den  Beginn  der  Entwickelung,  indem  die 
darin  begründete  Wechselwirkung  mit  dem  umgebenden  Medium  die  Bewegungen 
und  Veränderungen  des  Stoffes  erzeugt,  welche  ich  die  aktiven  Entwickclungs- 
ursachen  oder  die  Elementaraktionen  nenne.  Aber  erst  die  Summe  der 
Bedingungen,  welche  zunächst  weder  den  Stoff  noch  jene  seine  Wechselwirkung 
ihrem  Wesen  nach  verändern,  dagegen  das  Mass  und  die  Anordnung,  dadurch 
aber  die  Leistung  derselben  bestimmen,  ruft  die  Entwickelung  thatsächlich 
hervor.  Diese  Bedingungen  habe  ich,  da  sie  sich  nicht  auf  die  stofflichen  Ver- 
änderungen an  sich  beziehen,  als  Formbedingungen,  ihre  Gesammtwirkunu 
als  Formgesetz  der  Entwickelung  bezeichnet.  Dieses  Formgesetz  sehen 
wir  schon  im  Verlaufe  der  morphologischen  Entwickelung  oder  der  Embryonal- 
periode im  werdenden  Organismus  selbst  enthalten ,  und  daraus  entsprang  der 
Irrthum ,  dass  man  desshalb  auch  den  Ursprung  des  Formgesetzes  oder,  wie 
man  zu  sagen  pflegt,  der  „  Organisation "  in  den  sichtbaren  Ausgangspunkt 
der  Entwickelung ,  in  die  Dottermasse  selbst  verlegte,  sodass  die  ganze  Ent- 
wickelungsfähigkeit  mit  der  stofflichen  Zusammensetzung  derselben  zusammen- 


VIII.  Die  Segmente  des  Rumpfes.  571 

fiele.  Die  Beobachtung  gestattet  uns  aber  einen  solchen  Schluss  nicht.  Die 
Formbedingungen  beziehen  sich  einmal  auf  die  Herstellung  der  radiären 
Diffusion  in  der  Dotterkugel  und  zweitens  auf  die  bestimmte  formale  Differenz 
derselben  gleich  im  Anfange  ihrer  Entstehung.  Jene  Diffusion  ist  eine  Folge 
der  Kugelgestalt  des  Dotters  und  der  Verdichtung  seiner  Rindenschicht,  diese 
sind  aber,  wie  ich  früher  auseinandersetzte  (S.  bo  u.  flg.),  auf  Wirkungen  der 
Eihüllen  zu  beziehen,  welche  jedoch  zum  Tlveil  erst  ausserhalb  des  Eierstocks 
dem  Eie  angefügt  werden  (Gallerthülle),  am  Eierstocksei e  aber  (Dotterhaut) 
ganz  allgemein  unmittelbar  von  der  Follikelthätigkeit  abgeleitet  werden.  Die 
ursprüngliche  und  wie  aus  meiner  Darstellung  der  Dottertheilung  hervorgeht 
so  bedeutsame  formale  Differenz  in  den  radiären  Diffusionsströmen  ist  nun 
allerdings  in  der  Entwicklung  des  Eies  selbst,  aber  docli^  nicht  stofflich  be: 
gründet.  Denn  zur  Erklärung  der  excentrischen  Lage  des  ersten  Lebenskeims 
weiss  ich  für  das  Batrachierei  nichts  anderes  anzuführen  als  die  nachträgliche 
Verschiebung  des  centralen  Sammelpunktes  der  Diffusion  oder  des  Dotterkerns 
in  Folge  seines  abnehmenden  Gewichts;  die  Lage  des  Keimbläschens  stimmt 
mit  derjenigen  des  Dotterkerns  nicht  überein  (S.  52.  53) ,  kann  also  auch 
in  diesem  Falle  nicht  herangezogen  werden.  Allerdings  erscheint  eine  solche 
Uebereinstimmung  bei  den  meroblastischen  Eiern,  indem,  wie  es  namentlich 
Oellachee  für  das  Hühner-  und  Forellenei  nachwies*),  die  Austrittsstelle  des 
Keimbläschens  den  späteren  Keim,  also  auch  den  Theilungspol  bezeichnet.  Bei 
solchen  Eiern  mag  die  ausserordentlich  excentrische  Lage  des  Keimbläschens 
die  Verstärkung  der  feinkörnigen  Dotterrinde  in  seiner  nächsten  Umgebung 
und  dadurch  die  beständige  Pollage  derselben  bedingen.  Jedenfalls  sind  aber 
die  beiderlei  Vorgänge,  das  Aufsteigen  des  Keimbläschens  und  des  Dotterkerns, 
vollständig  -ausserhalb  der  chemischen  Zusammensetzung  der  Dottermasse  be- 
gründete Ursachen  für  die  Herstellung  der  ungleichen  Diffusionsradien.  — 


*'  Ich  nehme  hier  Gelegenheit,  die  bezügliche  Arbeit  Oellachek's  nachträglich  anzu- 
führen, da  sie  am  rechten  Orte  durch  ein  Verschen  übergangen  wurde:  Beiträge  zur  Ge- 
schichte des  Keimbläschens  im  Wirbelthiereie,  in  M.  Schultze's  Archiv  für  mikroskopische 
Anatomie  Bd.  VIII,  1872.  Der  Unterschied  im  Schwunde  des  Keimbläschens  bei  den 
Batrachiern  und  andern  Wirbelthieren  —  dort  Austritt  der  Flüssigkeit  und  Auflösung  der 
festen  Theile  innerhalb- des  Dotters,  hier  vollständiger  Austritt  —  ist  natürlich  von  gar  keiner 
weiteren  Bedeutung.  Wenn  dagegen  dieser  Vorgang  für  eine  „Lebensäusserung"  erklärt  wird 
(S.  14),  weil  seine  angeblichen  Ursachen,  die  Zusammenziehungen  des  Keims,  eine  solche 
seien,  so  konstatire  ich  hier  bloss,  dass  eine  solche  Erklärung  eine  einfache  Konsequenz  der 
weiter  unten  zu  erörternden  Protoplasmatheorie  ist. 


572  Vi  11.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

Alle  diese  äusseren  Formbedingungen  kommen  nun  im  Formgesetz  der  Bewegun- 
gen und  Umbildungen  des  Dotters  zur  Wirkung  und  zwar  so,  dass  dasselbe  früher 
oder  später  von  seinen  Ursachen  unabhängig  wird  und  sich  in  den  Entwickelungs- 
vorgängen  selbstständig  erhält.  So  ist,  wie  wir  uns  leicht  überzeugen  können, 
die  Dotterhaut  auch  nach  dem  Beginn  der  Dottertheilung  zur  Erhaltung  der 
Kugelgestalt  des  Eies  und  der  davon  abhängigen  Erscheinungen  unentbehrlich, 
während  sie  nach  der  Herstellung  einer  fest  zusammenhängenden  Eioberfläche 
selbst  vor  dem  naturgemässen  Ausschlüpfen  der  jungen  Larve  ohne  Nachtheil 
entfernt  werden  kann  •,  und  wo  die  Lage  des  Keimbläschens  ganz  ausschliesslich 
für  die  Ursache  der  excentrischen  Lage  des  ersten  Theilungscentrums  gehalten 
werden  kann,  da  wird  die  betreffende  Wirkung  noch  früher  von  dem  Fortbe- 
stande der  Ursache  unabhängig.  Es  ist  daher  unser  Formgesetz,  obgleich 
später  ausschliesslich  an  die  Entwickelungsersclieinungen  und  deren  Substrat, 
den  Dotter  und  seine  Umbildungsprodukte,  gebunden,  nach  seinem  Ursprünge 
als  ein  ausserhalb  derselben  verursachtes  und  vorbereitetes  Motiv  der  Ent- 
wickelung  anzusehen,  von  welchem  sogar  hinsichtlich  der  unumgänglichen 
Wirkung  des  Samens  behauptet  werden  kann,  dass  es  in  diesem  wichtigen 
Punkte  gewissermassen  zufällig  zum  Keimstoffe  hinzukomme.  Doch  brauche 
ich  bei  einem  Hinweise  auf  meine  ganze  Darstellung  nicht  weiter  auszuführen, 
dass  in  dem  bezeichneten  Formgesetze  der  Entwickelung  kein  irgendwie  ausser - 
empirischer ,  etwa  teleologischer  Eingriff  in  die  natürlichen,  d.  h.  naturnoth- 
wendigen  Wirkungen  des  uns  beschäftigenden  Dotterstoffes  enthalten  sei.  Die 
weiblichen  Wirbelthiere  bereiten  einen  für  die  Elementaraktionen  der  Ent- 
wickelung geeigneten  Stoff  und  umgeben  ihn  zugleich  mit  gewissen  Vorrich- 
tungen, welche  ausserhalb  des  mütterlichen  Organismus  noch  wesentlich  er- 
gänzt, die  nothwendigen  Wechselwirkungen  jenes  Keimstoffes  mit  dem  Medium, 
in  welches  er  unter  normalen  Umständen  geräth,  unter  ein  ganz  besonderes 
Gesetz  des  Masses,  der  Ordnung  und  daher  der  schliesslichen  Leistung  stellen. 
Ich  will  mit  meiner  Darstellung  nur  immer  von  neuem  hervorheben,  dass,  wenn 
die  Entwickelung  eines  individuellen  Lebens,  eines  Organismus,  in  den  bezeich- 
neten Elementaraktionen  keine  anderen  aktiven  Mittel  besitzt,  als  wie  sie  aus 
den  chemisch-physikalischen  Eigenschaften  gewisser  nicht  lebendiger  Stoffe, 
eben  der  Keimstoffe,  bei  ihrer  Wechselwirkung  mit  bestimmten,  sie  gewöhnlieh 
unigebenden  Medien  sich  ergeben,  anderseits  ihre  Verwendung  zu  der  Leistung 
eines  wirklichen  Lebens ,  und  zwar  eines  sich  ausserordentlich  mannigfaltig 
gliedernden  Lebens,  nicht  bereits  an  die  blosse  Existenz  jener  Elementaraktionen 


VIII.  Die  Segmente  des  Rumpfes.  573 

und  ihres  Substrats,  sondern  an  eine  Reihe  besonderer,  sie  formal  regelnder 
Bedingungen  geknüpft  ist,  welche  wenigstens  in  ihrer  nothwendigen  Gesammt- 
heit  mit  der  Entstehung  jener  Keimstoffe  nicht  in  ursächlichem  Zusammenhange 
stehen,  und  daher  als  von  aussen  zufällig  hinzugekommene  Momente  betrachtet 
werden  müssen.  ' 

Dass  diese  ganze  Auffassung  sich  auch  auf  die  übrigen  Wirbelthiere  aus- 
dehnen lasse,  scheint  mir  selbst  nach  den  bisherigen  unvollständigen  Beobach- 
tungen über  ihre  Entwickelung  nicht  zweifelhaft  zu  sein  (vgl.  S.  105—110. 
143 — 145.  156.  107,  Nr.  108,  121)*,  sodass  ich  auch  alle  aus  jener  Auffassung 
abzuleitenden  allgemeinen  Schlüsse  als  für  alle  Wirbelthiere  giltige  glaube  be- 
zeichnen zu  dürfen.  Diese  nicht  unwichtigen  Schlussfolgerungen  fasse  ich  in  nach- 
stehender Weise  kurz  zusammen.  —  Da  die  Keimstoffe  und  ihre  Elementar- 
aktionen den  selbstverständlichen  Inhalt  der  organischen  Existenz  überhaupt 
bilden,  so  kann  bei  einem  Vergleiche  nichtlebendiger  Vorgänge  und  des  Lebens 
das  Formgesetz__fü glich  als  die  eigentliche  und  wesentliche 
Grundursache  der  organischen  Entwickelung  bezeichnet  werden. 
Mit  Rücksicht  auf  frühere  Erläuterungen  meiner  bezüglichen  Beobachtungen 
(S.  98  u.  flg.)  will  ich  hier  hervorzuheben  nicht  unterlassen,  dass  zunächst  für 


*  Die  äusseren  Umstände,  unter  denen  sich  die  verschiedenen  Eier  der  Wirbelthiere 
entwickeln,  weichen  nur  in  ihrer  Erscheinung,  nicht  in  ihrer  Wirkung  in  erheblichem  Masse 
von  einander  ab.  Wenn  wir  als  das  mit  dem  Keimstoffe  in  Wechselwirkung  tretende  Medium 
genau  genommen  nur  die  innerhalb  der  Dotterhaut  befindliche  eiweisshaltige  Flüssigkeit 
betrachten  dürfen,  so  scheinen  die  verschiedenen  Eihüllen  nur  dazu  zu  dienen,  trotz  der  je 
nach  der  Species  oft  innerhalb  desselben  Geschlechts  wechselnden  äusseren  Umgebung  des 
Eies  jenes  nothwendige  innere  Medium  in  seiner  relativen  Gleichartigkeit  herzustellen  oder 
zu  erhalten.  Die  auf  eine  dünne  Dotterhaut  reducirten  PJihüllen  der  lebendiggebärenden 
Halamandra  dürften  dem  Umstände  entsprechen,  dass  der  Eihälter  bereits  eine  eiweiss- 
haltige Flüssigkeit  liefert,  welche  dem  Dotter  unmittelbar  zugeführt  werden  kann;  die 
umfänglichen  Eihüllen  der  im  Wasser  befruchteten  Eier  sind  dagegen  offenbar  dazu  be- 
stimmt, den  unmittelbaren  und  plötzlichen  Zutritt  des  Wassers  zum  Dotter  aufzuhalten, 
und  es  nur  in  dem  Masse  heranzuleiten,  als  ihm  die  nöthige  Beimischung  gegeben  werden 
kann.  Und  noch  innerhalb  der  Abtheilung  der  Batrachier  sehen  wir  endlich  diejenigen 
Eier,  welche  sehr  bald  aus  dem  Wasser  in  die  Luft  gelangen  (Alytes),  an  der  Oberfläche 
erhärten,  um  wie  es  scheint  die  Verdunstung  des  aufgenommenen  Wassers  zu  verhindern. 
Aehnlich  gestalten  sich  diese  Verhältnisse  bei  den  übrigen  Wirbelthieren;  und  für  die 
Amnioten  will  ich  zum  Schluss  noch  darauf  aufmerksam  machen,  dass  auch  die  ausserembryo- 
nalen  Theile  der  Keimhaut,  indem  sie  nach  der  Absonderung  des  Embryo  morphologisch 
bedeutungslos  werden,  im  Amnion  und  theilweise  im  Chorion  zu  Vorrichtungen  benutzt 
werden,  welche  dieselbe  Bestimmung  wie  die  einfachen  Eihüllen  offenbaren,  nämlich  das  für 
die  Entwickelung  nothwendige  äussere  Medium  zu  sammeln. 


574  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

die  uns  gerade  beschäftigenden  Organismen  das  vollkommene  Leben  nicht  etwa 
ein  zeitlich  unmittelbares  Produkt  von  der  Unterstellung  der  bezeichneten 
Elementaraktioncn  unter  das  Formgesetz  ist,  wobei  die  Entwickelung  als  Folge 
des  erzeugten  Lebens  erschiene,  sondern  dass  vielmehr  umgekehrt  die  Entwicke- 
lung des  ursprünglich  nicht  lebendigen  Keimstoffes  oder  die  Wirkung  und  eigen- 
thümliche  Gliederung  des  Formgesetzes  in  demselben  erst  ganz  allmählich  das 
Leben  hervorruft.    Die  Entstehung  des  Lebens  ist  nothwendig  an 
eine  gewisse  Entwickelung  seines   Substrates,    also  an  das  die- 
selbe  beherrschende  Formgesetz  gebunden.   Nicht  minder  wichtig  ist 
die  Erkenntniss,  dass  die  volle  Bedeutung  des  Formgesetzes  erst  in  seiner  Ein- 
heit gefunden  wird.    Es  äussert  sich  anfangs  in  einem  einfachen,  einheitlichen 
Vorgange,   der  radiären    Diffusion,    innerhalb  eines    durchaus  einheitlichen 
Körpers ;  und  indem  sich  dieser  Körper  theilt,  werden  durch  das  noch  von  aussen 
auf  das  Ganze  wirkende  Formgesetz  nicht  nur  die  Theile  in  inniger  gegenseiti- 
ger Anpassung  erhalten  und  dadurch  endlich  in  thatsächlichen  Zusammenhang 
gebracht,  sondern  damit  zugleich  die  in  ihnen  hervorgerufenen  Lebensvorgänge 
in  regster  Wechselwirkung  entwickelt,  sodass  fernerhin  kein  einziger  Entwicke- 
lungsvorgang  isolirt  für  sich  verlaufen  kann.  Jeder  von  ihnen  entspringt  gemein- 
sam mit  anderen  aus  einer  Gliederung  und  geweblichen  Sonderung  einer  einfachen 
Grundlage  und  kann  in  den  vom  Formgesetz  gezogenen  Grenzen  nur  in  wechsel- 
seitiger Anpassung  an  jene  anderen  Vorgänge  und  überhaupt  an  seine  ganze 
Umgebung  sich  ausbilden;  und  seine  eigene  Bildung  setzt  daher  bereits  die 
unvermeidlichen  Bedingungen  für  die  folgende  Entwickelung.     Die  Einheit 
des  individuellen  Lebens  wurzelt  daher  nur  in  der  individuellen 
Entwickelung.    Aus  dieser  Abhängigkeit  des  einzelnen  Vorgangs,  der  ein- 
zelnen Erscheinung  nach  allen  Seiten  hin,   einer  nothwendigen  Folge  von  der 
Gliederung  eines  einheitlichen  Ganzen  bei  der  Fortdauer  seines  Einheitsgrundes, 
erhellt,  dass  das  im  einzelnen  Theile  erreichte  Ziel  niemals  bloss  auf  den  Ur- 
sprung seiner  stofflichen  Unterlage,    sondern  stets  auf  das  Ganze  bezogen 
werden  muss,  dass,  sowie  jeder  Theil  integrirend  für  das  Ganze  erscheint,  dieses 
demselben  erst  Ziel  und  Zweck  bestimmt.     Die   volle  Bestimmung  d  es 
einzelnen  Körpertheils  ist  vor  seiner  Vollendung  nirgends  lokal 
vorgebildet;  sie  entwickelt  sich  in   und  mit  dem  Ganzen.    That- 
sächlich  ist  freilich  die  Erhaltung  des  Ganzen  nicht  unbedingt  an  die  vollstän- 
dige Erhaltung  der  P'inzeltheile  gebunden ;  soweit  die  Wirkung  des  Einzelnen 
auf  das  Ganze  sich  in  dem  Masse  abschwächt,  dass  sie  eventuell  durch  andere 


VIII.   Die  Segmente  des  Rumpfes.  575 

Tlicile  ergänzt  und  ersetzt  werden  kann ,  wird  das  Ganze  auch  beim  Verluste 
einzelner  Theile  bestehen  bleiben  können.  Grundsätzlich  steht  aber  fest,  dass 
nur  der  volle  Zusammenhang  des  einheitlichen  Formgesetzes  den  Bestand  des 
individuellen  Lebens  gewährleistet;  und  in  dieser  Unverletzlichkeit  des;den  Or- 
ganismus einheitlich  aufbauenden,  einheitlich  zusammenhaltenden  Formgesetzes 
•liegt  offenbar  das,  was  wir  die  Individualität  nennen.  Die  Individualität  ist 
der  physiologische  Ausdruck  des  Formgesetzes. 

Ich  glaube  nicht,  dass  der  flüchtige  Ueberblick,  welcher  die  eben  hervor- 
gehobenen Hauptsätze  zusammenlas,  vollständig  genügt,  um  von  ihrer  Wahr- 
heit zu  überzeugen.  Ich  hoffe  indessen,  in  den  weiter  unten  folgenden  Bemer- 
kungen sie  besser  beleuchten  zu  können.  Ich  habe  diese  Sätze  in  ihrem  kurz 
motivirten  Zusammenhange  an  dieser  Stelle  vorgeführt,  weil  es  mir  für  das 
Folgende  dienlich  erscheint,  an  ihrer  Hand  eine  Kritik  der  entsprechenden 
Auffassungen,  wie  sie  bisher  geboten  wurden,  vorauszuschicken. 

Noch  immer  machen  sich  bei  der  Betrachtung  des  Lebens  und  bei  der  Un- 
tersuchung seiner  Ursachen  und  Bedingungen  zwei  entgegengesetzte  Auffassun- 
gen unter  den  Naturforschern  geltend.  Die  ältere  von  ihnen  glaubt  aus  allge- 
meinen Gründen  daran  festhalten  zu  müssen,  dass  für  die  Entstehung  und  Er- 
haltung des  Lebens  die  blossen  Stoffe  und  ihre  Kräfte  nicht  genügen,  und  dass 
dazu  noch  ein  besonderes  Moment  hinzukomme.  Dieses  Moment  bezeichnete 
man  Trüber  als  Lebenskraft  und  stand  nicht  an,  derselben  nicht  nur  ein  nicht 
empirisches,  aussernatürliches  Wesen  zuzuschreiben,  sondern  sie  auch  in  der- 
selben Weise  in  den  natürlichen,  empirisch  fassbaren  Verlauf  der  Erscheinun- 
gen eingreifen  zu  lassen.  Nachdem  die  Unhaltbarkeit  dieser  krassen  Negation 
jeder  Empirie  erkannt  war,  suchte  man  das  Princip  in  der  Weise  zu  wahren, 
dass  man  die  unnatürlichen  Eingriffe  in  den  Verlauf  der  naturnothwendig  be- 
stimmten Erscheinungen  aufgab,  aber  im  gesetzlichen  Zusammenhange  der- 
selben ein  auf  deren  Substrat  nicht  zurückführbares  Moment,  den  „Zweck",  an- 
zuerkennen fortführ.  Der  gediegenste  Fürsprecher  dieser  Ansicht,  v.  Baer, 
hat  dafür  jüngst  den  Ausdruck  „Zielstrebigkeit"  vorgeschlagen  (Nr.  124).  Gegen 
die  Annahme  einer  unnatürlichen  Lebenskraft  oder  des  Endzwecks  überhaupt 
entwickelte  sich  mit  der  Lebhaftigkeit  eines  Extrem's  die  Lehre,  dass,  da  jene 
Annahmen  den  Boden  der  einfachen  Erfahrung  verliessen,  diese  uns  dagegen 
für  den  Ursprung  und  Zusammenhang  aller  Naturerscheinungen  nur  die  An- 
nahme der  unabänderlichen,  Zweck  wie  Zufall  ausschliessenden  Notwendigkeit 
gestatte,  die  Lebenserscheiuungen  gerade  ebenso  wie  die  Vorgänge  in  der  an- 


576  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

organischen  Natur  lediglich  aus  den  besonderen  Stoffen  und  ihren  Eigenschaf- 
ten zu  erklären  seien.  Der  hervorragendste  Vorkämpfer  dieser  Richtung  in 
unserer  Zeit  und  Wissenschaft  ist  Haeqkel  (vgl.  Nr.  100).  Aus  meinen  bis- 
herigen Erörterungen  wird  wohl  bereits  erhellen,  dass  ich  keiner  von  den  beiden 
genannten  Auffassungen  beistimme :  wo  die  eine  ihrem  richtigen  Gefühl  eine 
entsprechende  Deutung  nicht  zu  geben  wusste  und  dadurch  in  unklare  An- 
schauungen und  Folgerungen  gerieth,  suchte  die  andere  jeden  Zweifel  durch 
blosse  Negation  zu  heben,  und  über  die  kritischen  Punkte  durch  das  Pochen 
auf  die  von  keiner  Seite  mehr  angefochtenen  Sätze  hinwegzukommen.  Die 
Beweisführung  für  diese  Behauptung  will  ich  aber  nicht  schuldig  bleiben. 

Die  Teleologie  v.  Baer's  betont  den  zweckmässigen  Zusammenhang  aller 
Theile   eines   Organismus,    das   Ineinandergreifen,  die  gegenseitigen  Zweck  - 
beziehungen  ihrer  immerhin  nothwendigen  Wirkungen,   welche  nur  in  dieser 
Weise  das  Leben  ermöglichen,    während  die  ohne  diese  Zielstrebigkeit  verlau- 
fenden Vorgänge  zu  einer  einheitlichen  Wirkung  unfähig  seien,   in  sich   selbst 
die  Kraft  dazu  nicht  besässen.     So  weit,   d.  h.  bis  zur  Anerkennung  einer  die 
einheitliche  Existenz  gewisser  Naturkörper  beherrschenden  besonderen  Ursache 
schliesse  ich  mich  jener  Auffassung  an,  dann  aber  gehen  unsere  Wege  ausein- 
ander.    Es  scheint  nichts  natürlicher,  als  dass  v.  Baer  das  unter  gewissen  Be- 
dingungen immer  wiederkehrende  Zusammenwirken  von  Naturnothwendigkeiten 
mit  dem  einzig  passenden  Namen  eines  Gesetzes  bezeichnet  hätte,  welches  eben 
jenen  Naturkörpern  eigenthümlich  sei ;  die  Unterlassung  scheint  mir  dadurch 
veranlasst  zu  sein,  dass  v.  Baer  dem  Einwände  nicht  zu  begegnen  wusste,  das 
Gesetz,  welches  die  innere  Einheit  eines  lebenden  Naturkörpers  beherrsche, 
sei  eben  nichts  weiter  als  der  Ausdruck  für  die  im  Zusammenhange  wirkenden 
Eigenschaften  der  Einzeltheile,  also  lediglich  in  diesen  begründet.     Ich  glaube 
aber,  dass  man  auf  Grund  der  von  mir  mitgetheilten  Beobachtungen  und  ihrer 
Erörterung  jenes  Gesetz,  also  in  der  Entstehungsgeschichte  der  Wirbelthiere 
mein  Formgesetz  recht  gut  von  den  inhärenten  Eigenschaften  der  stofflichen 
Träger  der  Entwickelung  unterscheiden  könne:  es  ist  eben  der  Ausdruck  für  eine 
Summe  von  gesetzmässig  zusammengefügten  Formbedingungen,  welche  ausser- 
halb des  Keimstoffes  verursacht,  theilweiso  sogar  zufällig  zusammentreffen,  um 
seine  naturnoth wendigen,  aber  an  sich  nichts  weniger  als  formbildenden  Wir- 
kungen zu  formal  und  daher  funktionell  ganz  bestimmten  Leistungen  zu  zwin- 
gen.    Solange  nun  diese  Bedeutung  des  Formgesetzes  unerkannt  blieb,  musste 
die  Teleologie  entweder  das  besondere  Princip  des  Lebens  und  der  Entwicke- 


VIII.    Die  Segmente. des  Rumpfes.  577 

lung  in  besonderen,  individuell  wirkenden  „Zwecken"  suchen,  wie  die  ältere 
Lehre  lautete,  oder  sie  erkannte  bei  universeller  Auffassung  dasselbe  allgemeine 
Princip  der  Zielstrebigkeit  der  nothwendigen  Erfolge  auch  im  Bereich  der  An- 
organe  an,  im  Kreislaufe  tellurischer  und  kosmischer  Erscheinungen,  und  führte 
es  in  letzter  Reihe  auf  die  Grundlagen  des  empirisch  fassbaren  Seins  überhaupt 
zurück  (v.  Baer).  In  der  That  lässt  sich  auch  gar  nicht  leugnen,  dass  ein  ganz 
ähnliches  Formgesetz  wie  das  von  mir  aus  der  thierischen  Entwickelungs- 
geschichte  abgeleitete  die  Bildung  und  den  Bestand  gewisser  kosmischer  und 
tellurischer  Vorgänge  beherrscht.  Auch  steht  wahrlich  der  Empirie  kein  Ur- 
theil  darüber  zu,  ob  es  zulässig  sei,  einen  letzten  Grund  des  empirisch  fass- 
baren Seins  überhaupt  anzunehmen  und  mit  demselben  den  Begriff  des  Zweckes 
zu  verbinden.  Sobald  aber  der  Nachweis  desselben  in  den  Naturerscheinungen 
versucht  wird,  tritt  auch  gleich  die  Kontrole  der  Naturforschung  in  ihre  Rechte. 
Von  einem  solchen  dem  Ausgangspunkte  alles  Seins  inhärenten  Zwecke  könnte 
man  einmal  annehmen,  dass  er  mit  der  Gliederung  des  ursprünglichen  Substrats 
sich  allen  Naturerscheinungen  ohne  Ausnahme  mittheilte;  dann  liesse  sich  vom 
empirischen  Staudpunkte  nichts  dagegen  einwenden ,  da  die  Allgegenwart  des 
Zweckes  ihn  eben  nirgends  unterscheiden,  also  auch  nirgends  ausschliessen 
liesse.  Aber  eine  solche  Annahme  hätte  für  die  empirische  Erkenntniss  natür- 
lich gar  keinen  Werth,  da  die  Zweckidee  sich  überall  mit  der  Vorstellung  von 
der  gleichfalls  allgegenwärtigen  Naturnotwendigkeit  deckte.  Ferner  könnte 
der  ursprüngliche  Zweck  bloss  durch  alle  zweckmässigen  oder  zielstrebigen 
Vorgänge  durchlaufend  gedacht  werden,  während  die  sogenannten  zufälligen 
davon  unberührt  blieben;  und  gerade  bei  dieser  Annahme,  auf  welche  die  v. 
BAER'sche  Darstellung  hinauszulaufen  scheint,  lässt  sich  die  Inkonsequenz  un- 
schwer nachweisen.  Der  beschränkte  Zweck  bedingt  natürlich  die  Annahme 
unzweckmässiger  Vorgänge  und  Bildungen,  welche  man  unter  den  Begriff  des 
Zufalls  zusammenfasst.  v.  Baer  hat  denselben  definirt  als  „ein  Geschehen,  das 
mit  einem  anderen  Geschehen  zusammentrifft,  mit  dem  es  nicht  in  ursächlichem 
Zusammenhange  steht"  oder  „nicht  von  einem  gemeinschaftlichen  Grunde  aus- 
geht" (Nr.  124  S.  71);  und  indem  er  an  einer  anderen  Stelle  die  „nothwendige 
Wirksamkeit"  eben  als  die  zweckmässige  der  zufälligen  gegenüberstellt  (S.  84), 
so  sollte  man  meinen,  die  Zielstrebigkeit  sei  nur  darin  begründet,  dass  die  Ur- 
sachen einer  solchen  Erscheinung  nicht  unabhängig  von  einander,  sondern  in 
Folge  eines  vorangehenden,  gesetzlichen  Zusammenhangs  zusammenwirkten. 
Diese  folgerichtige  Auffassung  wird  aber  sofort  vernichtet  durch  die  Erklärung, 

Goette,   Entwickeluugsgeschichte.  *j' 


578  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes 

dass  das-  Ziel,  die  Aufgabe  den  Zusammenhang  einer  zielstrebigen  Erscheinung 
bestimme  (S.  71.  72.  81.  82),  wobei  v.  BAERden  Widerspruch  mit  seiner  eigenen 
Definition  übersieht;  denn  wenn  er  in  einer  Reihe  von  Vorgängen,  z.  B.  derjeni- 
gen, welche  den  Zusammenhang  zwischen  der  Sonnenwärme  und  dem  thieri- 
schen  Leben  bilden,  deren  gegenseitige  Beziehungen  in  Bezug  auf  ein  bestimmtes 
Ziel  zweckmässige  nennt,    so  ist  daran  zu  erinnern,    dass  aus   denselben  .Be- 
ziehungen auch  zufällige  Erscheinungen  hervorgehen,  also  dasselbe  Verhältniss 
je  nach  dem ,   welche  von  seinen  Folgen  man  ins  Auge  fasst ,  zielstrebig  wäre 
oder  nicht,    während  doch  nach  der  ersten  Definition  die  Bedeutung  einer  Er- 
scheinung lediglich  von  der  Art  ihrer  Verursachung  abhängen  sollte.    So  wäre, 
um  ein  Beispiel  aus  dem  hier  nächstliegenden  Erscheinungskreise   anzuführen, 
die  Begattung  im  Hinblick  auf  die  befruchteten  Eier  ein  zweckmässiger  Vorgang, 
hinsichtlich  der  nicht  befruchteten  Eier  aber  jedenfalls  nicht  zweckmässig ;  und 
die  Befruchtung  selbst  dürfte  desshalb,  weil  sie  in  der  Entwickelung  des  Thieres 
ein  eminentes  ,,Ziel"  hat,  doch  nicht  zweckmässig  genannt  werden,  da  das  Zu- 
sammentreffen des  Samens  und  des  einzelnen  Eies  gar  nicht  gesetzlich  bestimmt 
und  absolut  nothwendig  ist,  folglich  im  besten  Falle  ein  sehr  gewöhnlicher  Zu- 
fall genannt  werden  müsste.     Gewiss  gibt  es  Vorgänge  in  der  Natur,  welche 
man  als  zielstrebige  bezeichnen  könnte  in  dem  Sinne ,    dass  gewisse  Ursachen- 
komplexe nicht  nur  eine  nächste  Wirkung  involviren,  sondern  unabhängig  von 
anderen  Einflüssen  eine  ganze  Reihe  von  gesetzlichen  Folgen ;  und  es  ist  leicht 
zu  erkennen ,    dass    die  Vorstellung  einer  solchen  Erscheinungsreihe  mit  dem 
Begriffe  der  individuellen  Entwickelung  zusammenfällt;  denn   die   Fähigkeit 
eines  Vorgangs,  ohne  Anziehung  neuer  Ursachen  in  andere  Wirkungen  überzu- 
gehen, finden  wir  bloss  in  den  eigenthümlichen,  durch  das  Formgesetz  begrün- 
deten Verhältnissen   der  Entwickelung.     Will  man  also  schlechtweg  die  Ent- 
wickelungsvorgänge  als  zielstrebige  allen  übrigen  Vorgängen  in  der  Natur  als 
zufälligen  entgegensetzen ,  so  beruht  der  Unterschied  lediglich  in  der  Art  des 
Kausalzusammenhangs,  welcher  im  ersten  Falle  durch  das  Formgesetz  der  Be- 
dingungen zu  einer  fortlaufend  sich  potenzirenden  Wirkung  befähigt  wird,   bei 
den  zufälligen  Erscheinungen  dagegen  zu  einer  formgesetzlich  nicht  geregelten 
Leistung  führt,  welche  daher  in  sich  ein  Motiv  zu  bestimmten  weiteren  Wirkun- 
gen nicht  besitzt.  —  Ich  zeigte,  wie  sehr  v.  Baer  in  der  Definition  des  Zufalls 
sich  dieser  Ansicht  nähert,  wie  er  aber  bei  der  Verkennung  des  eigentlichen  In- 
halts des  Formgesetzes  die  Ursachen  des  Unterschieds  dennoch  wieder  in  den 
Zielen  sucht,  welche  für  die  Bedeutung  und  das  Wesen  des  Entwickelungsver- 


VIII.   Die  Segmente  des  Rumpfes.  579 

laufs  gar  nicht  in  Frage  kommen.  Ebenso  wenig  hängen  die  verschiedenen 
Entwickelurigsverläufe  unmittelbar  zusammen  und  bilden  eine  kontinuirliche 
Kette  von  Zweckbeziehungen;  jeder  von  ihnen  verliert  nach  längerer  oder  kür- 
zerer Wirksamkeit  die  Energie  der  ursprünglichen  Fähigkeit ,  um  dann  erlah- 
mend wieder  in  bloss  zufällige  Erscheinungen  sich  aufzulösen ,  und  selbst  die 
Fortpflanzung  wohl  aller  eierzeugenden  Thiere  beruht,  wie  ich  schon  vor  län- 
gerer Zeit  erklärte,  nicht  airfeiner  Kontinuität  des  Lebens,  sondern  auf  einer 
Neubildung  des  Entwickelungsgesetzes  für  jedes  Individuum,  wozu  der  mütter- 
liche Organismus  nur  das  Substrat  liefert.  So' wechseln  Zufall  und  Entwickelung 
im  unaufhörlichen  Wogen  des  Seins,  und  wenn  wir  im  weiten  und  im  ganzen  doch 
beschränkten  Ueberblick  von  der  frühesten  Jugend  unseres  Sonnensystems  bis  zu 
den  höchsten  thierischen  Schöpfungen  der  Erde  eine  steigende  Vervollkommnung 
der  Entwickelungsverläufe  wahrnehmen,  so  dürfen  wir  nicht  vergessen,  dass 
neben  den  höchsten  derselben  die  elementaren  noch  fortdauern,  und  gewiss 
noch  fortdauern  werden,  wann  längst  das  letzte  lebende  Wesen  auf  der  veröde- 
ten Erde  verschwand.  Wer  trotzdem  in  jener  Vervollkommnung  den  Fortschritt 
des  Weltzweckes  sieht ,  für  den  schliesst  derselbe  allerdings  im  Menschen  ab, 
und  alle  übrigen  daneben  entwickelten  „Ziele"  werden  zwecklos,  sobald  sie  mit 
jenem  Erfolge  entweder  gar  nicht  oder  nicht  mehr  unmittelbar  zusammenhän- 
gen. So  kann  aber  die  unbefangene  Naturforschung  nicht  urtheilen;  in  ihren 
Augen  geht  der  Werth  eines  Entwickelungsverlaufs  über  sein  eigenes  Ziel  nicht 
hinaus ,  und  widerspricht  ein  durch  die  Entwickelungsreihen  durchlaufender 
Zweck  ebenso  sehr  der  Erfahrung,  wie  ein  Allzweck  des  Seins  jede  Bedeutung 
entbehrt.  Der  isolirte  „Selbstzweck"  der  einzelnen  Entwickelung  hebt  sich  aber 
entweder  selbst  auf,  insofern  seine  erste  Begründung  immer  gewissermassen  zu- 
fällig ist,  und  er  anderseits,  soweit  unsere  Kenntniss  reicht,  nothwendig  in  eine 
schliessliche  Vernichtung  seines  Erfolges  ausläuft;  oder  er  streift  jede  aus- 
schliessliche Beziehung  auf  irgendwelches  Ziel  ab  und  fällt  mit  dem  empirischen 
Wesen  der  Entwickelung,  mit  ihrem  thatsächlichen  Gesetze  zusammen:  dann 
hat  aber  der  Selbstzweck  mit  dem  teleologischen  Begriff  nur  noch  den  Namen 
gemein,  der  mehr  verwirrt  als  nützt. 

Ich  habe  mich  bei  dieser  Erörterung  etwas  aufgehalten ,  nicht  so  sehr  um 
die  oft  besprochenen  Irrthümer  der  Teleologie  von  neuem  aufzudecken ,  als  um 
zu  zeigen,  was  ihre  Gegner  bisher  kaum  gethan,  dass  ihr  Ausgangspunkt  im 
Grunde  ein  berechtigter  ist.     Diejenigen  Erscheinungen ,    welche  zunächst  die 

Vorstellung  des  Zweckes  und  der  Zweckmässigkeit  in  der  Natur  weckten }  näm- 

37* 


580  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

lieh  die  verschiedenen  individuellen  Lebensformen  mit  ihren  wechselnden,  aber 
stets  auf  die  Selbsterhaltung  hinzielenden  inneren  und  äusseren  Beziehungen, 
unterscheiden  sich  allerdings,  nicht  in  analytischer  Hinsicht,  sondern  nach  der 
Art  des  Kausalzusammenhangs  von  den  übrigen  Naturerscheinungen,  v.  Baer 
kam  der  Erkenntniss  dieses  Zusammenhangs  sehr  nahe,  seine  Zielstrebigkeit 
steht  eigentlich  mitten  inne  zwischen  dem  wirkenden  Zwecke  und  dem  empiri- 
schen Entwicklungsgesetz,  und  könnte  sogar  mit  dem  letzteren  im  wesentlichen 
zusammenfallen,  wenn  nicht  gar  zu  viele  Reminiscenzen  aus  der  älteren  Teleo- 
logie  hinzugezogen  wären  und  so  mit  der  einen  Hand  genommen  würde,  was 
die  andere  gab. 

Prüfen  wir  jetzt  die  gegenteilige  Auffassung.  Die  unhaltbaren  Folgerungen, 
zu  denen  ein  Thei]  der  Naturforscher  durch  eine  richtige,  aber  in  ihrer  Allge- 
meinheit unklare  Vorstellung  von  der  Besonderheit  des  Lebens  uud  der  Eut- 
wickelungsvorgänge  überhaupt  sich  verleiten  Hess,    mussten  den  Widerspruch 
um  so  mehr  reizen,  als  Jene  die  unzutreffende  Erklärung  von  jener  Thatsache 
der  Besonderheit   selbst   nicht  zu    trennen    wussten  und  daher  nicht  geneigt 
waren,  mit  der  ganzen  Lehre  auch  die  nicht  unbegründete  allgemeine  Ueber- 
zeugung  aufzugeben.     Dieselbe  Unklarheit  leitete  aber  auch  die  lebhaften  An- 
griffe gegen  den  Zweckbegriff;  der  leichte  Erfolg  gegenüber  dem  letzteren  führte 
sie  über  das  natürliche  Ziel  hinaus,    und  an  die  Stelle  der  irrigen  Unterschei- 
dung trat  der  Beweis  von  dem  Mangel  eines  wesentlichen  Unterschieds zwischen 
lebendigen  und  leblosen  Naturkörpern.  Dem  Unempirischen  Zwecke  wurde  die 
Naturnothwendigkeit  gegenübergestellt;    aber  mit  dem  Ausschluss  übernatür- 
licher Principien   hat   auch   die  Naturnothwendigkeit   ihre  Rolle  ausgespielt. 
Wenn  man  ihr  darüberhinaus  eine  besondere  Beweiskraft  bei  der  Beurtheilung 
des  Lebensbegriffes  zuschreibt ,   so   beruht   dies  auf  einer  missverständlichen 
Deutung.     Die  Naturnothwendigkeit  alles  Geschehens  enthält  nur  die  Behaup- 
tung, dass  dasselbe  die  unausbleibliche  Wirkung  natürlicher  Ursachen  sei,  sagt 
aber  nichts  aus  über  das  Wesen  und   die  Gleichheit  oder  Verschiedenheit  des 
Kausalzusammenhangs,  welcher  sich  erst  aus  dem  besonderen  Gesetze  des  ein- 
zelnen Geschehens  ergibt.     Ein  solches  Gesetz  bezeichnet  aber  nicht  nur  die 
aktiven  Ursachen,  gleichsam  die  Träger  der  Naturnothwendigkeit  an  sich,  son- 
dern stellt  auch  die  Bedingungen  fest,    unter  deren  Voraussetzung  allein  die 
naturnothwendige  Wirkung  eintreten  kann.  In  vielen  Fällen  sind  diese  Beding- 
ungen mit  der  thatsächlichen  Möglichkeit  der  Wechselwirkung  jener  Ursachen 
erschöpft:  die  blosse  Anwesenheit  zusammenwirkender  aktiver  Ursachen  genügt 


VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes.  581 

zur  erwarteten  Wirkung;  und  dieser  einfachste  Fall  des  Naturgeschehens  hat 
offenbar  zu  der  irrigen  Ansicht  geführt,  als  sei  dasselbe  überall  eine  Folge  aus- 
schliesslich der  aktiven  Ursachen,  der  in  Wechselwirkung  tretenden  Stoffe,  und 
somit  durch  die  Naturnotwendigkeit  genügend  erklärt.  Ich  habe  aber  aus- 
einandergesetzt, dass  die  Entwickelungsvorgänge  ausser  jener  Wechselwirkung 
als  Bewegungsursache  noch  einen  Komplex  von  sie  formal  bestimmenden  Be- 
dingungen voraussetzen,  deren  Ausdruck  ich  in  demnäher  beschriebenen  Form- 
gesetz linde.  Zum  Beweise,  dass  diese  Bedingungen  bei  der  eben  bezeichneten 
Ansicht  nicht  etwa  in  den  wirkenden  Ursachen  mit  inbegriffen,  sondern  that- 
sächlich  und  vollständig  übersehen  sind,  soll  die  folgende  Beleuchtung  der 
HAECKEL'schen  Erklärung  des  Lebens  dienen. 

Haeckel  beginnt  seinen  Vergleich  der  leblosen  Naturkörper  oder  Anorgane 
und  der  lebendigen  Organismen  mit  der  Untersuchung  ihrer  Stoffe  (Nr.  10!»  I. 
S.  111  u.  flg.)  Hier  begeht  er  nun  gleich  die  Inkonsequenz,  die  Stoffe  jener  von 
ihm  selbst  so  definirten  beiden  Arten  von  Naturkörpern  mit  den  organischen 
und  anorganischen  Stoffen  im  Sinne  der  Chemiker  zu  verwechseln.  Allerdings 
ist  der  Vergleich  in  diesem  Sinne  seit  langer  Zeit  gebräuchlich  und  daher  seine 
Wiederholung  sehr  natürlich;  indem  man  die  Stoffe,  welche  allen  Lebens- 
äusserungen  ohne  Ausnahme  zu  Grunde  liegen,  mit  denjenigen  verglich,  welche 
die  grosse  Masse  der  leblosen  Körper  zusammensetzen,  kam  man  zu  dem  be- 
friedigenden Ergebniss,  dass  die  Organismen  stofflich  nur  relativ  von  den  An- 
organen  verschieden  seien.  Wenn  man  aber  jene  Verwechselung  vermeidet  und 
der  Frage:  wie  unterscheiden  sich  leblose  und  lebendige  Naturkörper  nach  ihren 
Stoffen  —  die  Antwort  genau  anpasst ,  so  kommt  man  nicht  nur  schneller  zum 
Ziel,  sondern  entgeht  der  Gefahr  eines  Grundirrthums,  welcher  bisher  unver- 
meidlich gewesen  zu  sein  scheint,  dass  nämlich  gewisse  Stoffe,  wenn  sie  auch 
nur  relativ  von  den  übrigen  unterschieden  seien,  dennoch  den  Organismen  aus- 
schliesslich eigenthümlieh  seien.  Es  ist  klar,  dass  die  leblosen  Naturkörper, 
welche  Haeckel  Anorgane  nennt,  nicht  mit  den  sogenannten  anorganischen 
Stoffen  zusammenfallen ;  denn  die  organischen  Kohlenstoffverbindungen,  welche 
keine  Lebewesen  darstellen,  müssen  ebenfalls  zu  jenen  Anorganen  gezählt  wer- 
den, und  dazu  gehören  nicht  etwa  bloss  lebensunfähige  Substanzen  (Fette, 
organische  Säuren  u.  s.  w.),  sondern  unter  Umständen  dieselben  Stoffe,  welche 
unter  gewissen  Bedingungen  Lebensträger  werden.  Ich  glaube  dafür  kein 
besseres  Beispiel  anführen  zu  können  als  die  meroblastischen  Eier  der  Vögel : 
mag  man  an  denselben    dem   eigentlichen  Keime  eine  besondere  Zusammen- 


532  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

Setzung  zuschreiben,  so  ist  es  doch  gewiss  unmöglich,  die  Dotterzellen  stofflich 
von  dem  übrigen  nicht  organisirten  Keimhöhlenboden  ( Nahrungsdotter )  zu 
unterscheiden,  aus  welchem  sie  sich  je  nach  zufälligen  Umständen,  bald  hier, 
bald  dort  herauslösen  (vgl.  Nr.  1*21).  Und  wenn  ich  ferner  daran  erinnere,  dass 
jeder  Organismus  und  jeder  Theil  desselben  zu  leben  aufhört,  sobald  man 
seinen  formalen  Zusammenhang  völlig  zerstört,  so  bedarf  es  wohl  keines 
weiteren  Beweises  mehr,  dass  die  Stoffe  lebloser  und  lebendiger  Naturkörper 
identisch  sein  können,  dass  also  die  ganze  Erörterung  von  den  Unterschieden 
anorganischer  und  organischer  Stoffe  in  einer  direkten  und  präcisen  Beantwor- 
tung der  eben  bezeichneten  Frage  gar  nicht  am  Platze  ist.  Gewisse  organische 
Stoffe,  welche  man  unter  den  Kollektivbegriff  des  Protoplasmas  zusammenfassen 
kann,  sind  allerdings  durch  ihre  besonderen  Eigenschaften,  worunter  der  fest- 
flüssige  Aggregatzustand  und,  die  damit  verbundene  Quellungsfähigkeit  obenan 
stehen,  allein  befähigt,  Lebensäusserungen hervorzurufen-,  dajedochdie  letzteren 
an  denselben  Stoffen  unter  Umständen  auch  ganz  fehlen,  also  nicht  der  einfache 
Ausdruck  der  allgemeinen  Eigenschaften  derselben  sein  können,  so  sind  für  die 
Erklärung  des  Lebens  noch  andere  Ursachen  zu  entdecken  als  die  blosse  An- 
wesenheit jener  Stolle.  Solange  es  sich  nicht  um  eine  Einsicht  in  den  Verlauf 
der  einzelnen  Lebenserscheinungen ,  sondern  wie  bei  der  Untersuchung 
Haeckel's  darum  handelt,  den  empirischen  Grund  des  Lebens  überhaupt  zu 
erkennen,  kann  es  zunächst  gleichgiltig  sein,  die  Unterschiede  der  protoplas- 
matischen  Stoffe  und  der  anorganischen  Substanzen  zu  erfahren;  die  Haupt- 
frage lautet  vielmehr:  was  verwandelt  jene  erstgenannten  Stoffe  aus  leblosen 
in  lebendige  oder  umgekehrt?  —  Haeckel  stellt  allerdings  eine  solche  Frage 
gar  nicht,  denn  die  beständige  Verwechselung  von  Organismen  und  organischen 
Stoffen  ist  nicht  nur  unvereinbar  mit  der  Erkenntniss,  dass  dieselben  sich  in 
keinem  Falle  ohne  weiteres  decken,  sondern  führt  ihn  gerade  zu  einer  entgegen- 
gesetzten Ansicht.  Die  Bekämpfung  der  „Lebenskraft"  verlangte  den  Nach- 
weis, dass  die  Organismen  vor  den  Anorganen  weder  durchaus  andere  Stoffe 
noch  wesentlich  verschiedene  Kräfte  voraus  hätten;  die  häufige  Wiederholung 
dieser  Analyse  Hess  endlich  die  allein  derselben  zugänglichen  Stoffe  auch  als 
die  einzigen  für  das  Leben  in  Betracht  kommenden  Faktoren  erscheinen ,  und 
es  wurde  daher  dasselbe  ausschliesslich  für  den  Kollektivbegriff  der  gewissen 
Stoffen  inhärenten  Kräfte  erklärt.  Diese  Folgerung,  dass  die  synthetische  Auf- 
fassung des  Lebens  mit  den  Ergebnissen  der  analytischen  Untersuchung  seines 
Substrats  zusammenfalle,    musste   trotz  ihres  Anspruchs  auf  eine  empirische 


VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes.  583 

Thatsächlichkeit  Hypothese  bleiben,  solange  nicht  ein  völlig  unorganisiiter 
protoplasmatisclur  St  oll' unmittelbar  als  Lebensträger  demonstrirt  war.  Haeckel 
glaubt  dies  an  den  seither  entdeckten,  denkbar  niedersten  Organismen,  den 
Moneren,  nachweisen  zu  können.  Dieselben  seien  vollkommen  homogene,  form- 
und  strukturlose  Protoplasmaklümpchen  (Nr.  100  I  S.  133 — 136),  d.  h.  es  be- 
stehe an  ihnen  weder  eine  Differenzirung  noch  eine  feststehende  Anordnung  und 
Wechselwirkung  ihrer  nach  allen  Richtungen  frei  verschiebbaren  Theile.  Es 
sei  daher  das  Leben  dieser  Moneren  (Ernährung,  Bewegung,  Fortpflanzung) 
ganz  offenbar  der  „unmittelbare  Ausfluss  der  formlosen  organischen  Materie", 
ihrer  „atomistischen  Constitution  als  ein  leicht  zersetzbarer  und  imbibitions- 
fähiger  Eiweissstoff. "  „Indem  bei  diesen  homogenen  belebten  Naturkörpern 
von  differenten  Formbestandth eilen,  von  „Organen"  noch  keine  Spur  zu  ent- 
decken ist,  erscheinen  vielmehr  alle  Moleküle  der  structurlosen  Kohlenstoffver- 
bindung, des  lebendigen  Eiweisses,  in  gleichem  Masse  fähig,  sämmtliche  Lebens- 
tünetionen  zu  vollziehen."  Da  Haeckel  zur  Verallgemeinerung  seiner  Schlüsse 
die  Moneren  für  gleichwertig  mit  allen  Cytoden  erklärt,  welche  Bedeutung  auch 
den  Wirbelthiereiern  vor  dem  Beginn  der  Entwicklung  zukommen  soll  (vgl. 
S.  73  Anm.) ,  so  muss  ich  zunächst  mit  aller  Entschiedenheit  das  schon  mehr- 
fach Behauptete  wiederholen,  dass  die  morphologische  und  physiologische  Ent- 
wickclung  der  Wirbelthiere  wohl  einen  bestimmten  und  besonderen  Stoff,  eben 
den  protoplasinatischen  Dotter,  nothwendig  voraussetzt,  aber  durchaus  nicht 
eine  blosse  Folge  seiner  materiellen  Zusammensetzung  und  der  davon  ab- 
hängigen Wechselwirkung  mit  dem  umgebenden  Medium  ist,  sondern  dass  die 
daraus  hervorgehenden  Elementaraktionen  nur  durch  das  von  aussen  bedingte 
Formgesetz  zu  den  Leistungen  jener  Entwickelung  und  des  Lebens  befähigt 
werden.  Und  ich  habe  allen  Grund  zur  Annahme,  dass  ein  solches  Formgesetz 
auch  das  Leben  jener  niedersten  Organismen  hervorrufe  und  unterhalte,  wo  es 
Haeckel  allerdings  völlig  übersah.  M.  Schultze  beschreibt  sehr  anschaulich 
das  Absterben  der  Pseudopodien  von  Foraminiferen,  deren  Körper  durch  Druck 
zerstört  war  (Nr.  126  S.  22.  23)-,  das  Protoplasma  jener  Pseudopodien  blieb 
ebenso  intakt  wie  ihre  Beziehung  zum  umgebenden  Medium,  und  dennoch  ver- 
loren sie  nach  der  theilweisen  Abtrennung  vom  übrigen  Körper  ihre  Lebens- 
fähigkeit, „bis  der  diftundirende  Einfluss  des  Wassers  endlich  die  Auflösung  der 
Fadenreste  herbeiführte."  Dass  dies  in  noch  höherem  Grade  von  dem  zerdrück- 
ten Protoplasma  gilt,  ist  selbstverständlich.  Wenn  es  gewiss  statthaft  erscheint, 
diese  Erfahrungen  am    „  amorphen  Protoplasma  "   der  Foraminiferen  auf  das- 


584  VII 1.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

jenige  der  Moneren  zu  übertragen,  so  stehen  sie  mit  den  bezüglichen  Behahp- 
hingen  Haeckel's  in  vollem  Widerspruche.  Denn  sie  lehren ,  d.ass  dag  Leben 
jener  niedersten  Organismen  lediglich  an  eine  gewisse  Integrität  des  formalen 
Zusammenhangs  gebunden  ist  und  ohne  die  geringste  vorhergehende  Vera»,- 
derung  in  der  chemischen  Zusammensetzung  des  Stoffes  und  der  ihn  beein- 
flussenden Medien  dennoch  ausnahmslos  vernichtet  wird,  sobald  jenerindividuelle 
Zusammenhang  verletzt  wird.  Wie  wäre  dies  aber  zu  verstehen,  wenn  die 
Lebensfähigkeit  in  den  einzelnen  Molekülen  der  strukturlosen  Kohlenstoffver- ' 
bindimg  vollständig  vorhanden  wäre,  welche  alsdann  doch  in  jenen  Pseudo- 
podien, ja  selbst  in  den  zerrissenen  Körpertheilen  das  Leben  ununterbrochen 
fortsetzen  müssten?  Um  nichts  zu  übersehen,  sei  hier  noch  der  mögliche  Ein- 
wurf erwähnt,  dass  bei  jeder  mechanischen  Zerstörung  eines  Organismus  ganz 
gewöhnlich  früher  oder  später  eine  Zersetzung  des  Stoffes,  also  auch  eine  Ver- 
änderung seiner  früheren  Eigenschaften  eintrete,  sodass  in  dem  angeführten 
Falle  bloss  die  Zersetzung  des  lebenzeügeiiden  Protoplasmas  auch  seine  Lebens- 
eigenschaften vernichtete.  Dieser  Einwurf  erledigt  sich  aber  durch  die  Ueber- 
legung,  dass,  wenn  jener  mechanische  Eingriff  weder  die  chemische  Zusammen- 
setzung des  Protoplasmas,  noch  die  äusseren  Lebensbedingungen  (das  umgebende 
Medium  u.  s.  w.)  unmittelbar  verändert,  die nothwendig  folgende  Zersetzung 
doch  nur  aus  der  Zerstörung  des  formalen  Zusammenhangs  hervorgehen  kann, 
dieser  also  auch  als  die  ausschliessliche  und  unentbehrliche  Lebensbedingung 
im  Organismus  selbst  sich  herausstellt;  dass  also  die  Zersetzung  dem  Tode  des 
Ganzen  oder  eines  Theils  nicht  vorausgeht,  sondern  gewöhnlich  ganz  unzweifel- 
haft als  Folge  desselben  erscheint.  Ergibt  sich  daraus  die  Unmöglichkeit,  das 
Leben  der  Moneren  bloss  aus  der  chemischen  Mischung  ihres  Protoplasmas  zu 
erklären,  so  provociren  dagegen  alle  bezüglichen  Beobachtungen  die  Annahme, 
dass  in  ihnen  ein  ähnliches  einfaches  Formgesetz,  wie  ich  es  für  die  Eier  der  1  latra- 
chier  als  radiäre  Endosmose beschrieb,  die  Wechselwirkungen  der  einzelnen  Stoff- 
ftheilchen  ztirGesammtleistungdes  Lebens  anordnet.  Indem  die  mechanische  Zer- 
störung des  Organismus  ausschliesslich  dieses  Formgesetz  trifft,  isteinenothwen- 
dig  darauf  folgende  Einstellung  der  Lebensthätigkeit  ohne  vorausgehende  Ver- 
änderung in  der  stofflichen  Zusammensetzung  genügend  erklärt.*     Wenn  aber 


-*Die  Beobachtung  Haeckel's  über  die  Vermehrung  der  Moneren  durch  künstliche 
Theilung  (Nr.  101 'S.  22)  kann  gegen  meine  Darstellung  nicht  angerufen  werden,  »da  eine 
solche,  auch  hei  viel  höheren  Organismen  nicht  ungewöhnliche  Theilbarkeit  an  gewisse  Be- 


VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes.  585 

r 

HjVECkel  von  einer  Organisation  der  Moneren  nichts  wissen  will  —  und  das 
Formgqsetz  ist  doch  nichts  weiter  als  ein  allgemeiner  Ausdruck  dafür  —  so 
rührt  dies  theilweise  daher,  dass  er  in  der  heftigen  Opposition  gegen  die  teleo- 
logische Anschauung  alle  ihre  Lehren,  daher  auch  diejenige  von  der  allen  Lebe- 
wesen eigenthümlichen  Organisation  prinzipiell  verwarf,  zum  Theil  aber  auch 
von  den  ganz  unklaren  Definitionen  von  Organisation  und  Struktur.  Wenn  die 
letztere  bloss  die  Zusammensetzung  aus  gleichartigen  oder  ungleichartigen 
Theilen  (Nr.  1001  S.  25)  oder  ganz  allgemein  „das  Verhältniss  der  einzelnen 
eonstituirenden  Bestandteile  der  Organismen  zu  einander  und  zum  Ganzen" 
(ebend.S.  370)  bedeuten  soll,  so  ist  natürlich  eine  Struktur  überall  dort  vorhanden, 
wo  Ganzes  und  Theilc  unterschieden  werden  können,  fehlt  also  auch  den  „form- 
und  strukturlosen"  Moneren  keineswegs,  wie  denn  Haeckel  selbst  in  der  48. 
These  von  ihrer  Struktur  spricht.  *  Dieser  Widerspruch  wird  aber  dadurch 
wenigstens  erklärlich,  dass  Haeckel  an  anderen  Stellen  (vgl.  S.  133)  die 
Struktur  als  „Zusammensetzung  aus  bestimmt  angeordneten  Theilen"  definirt, 
welche  letzteren  in  den  Organismen  durch  die  Organe  dargestellt  würden.  Eine 
solche  Struktur  fehlt  den  Moneren  allerdings-,  und  auch  die  erste,  von  Haeckel 
selbst  für  sie  angenommene  Struktur  erweist  sich  als  ein  für  ihre  Morphologie 
ganz  bedeutungsloser  Begriff.  Sie  soll  nämlich  in  den  Lagebeziehungen  aller 
konstituirenden  Moleküle  bestehen;  der  stete  Wechsel  dieser  Beziehungen  in 
dem  fortwährend  strömenden  Protoplasma  der  niedersten  Organismen  spottet 
aber  natürlich  jeder  Bestimmung.     Damit  ist  aber  noch  nicht  die  Möglichkeit 


dingungen  des  Masses  u  s.  w.  geknüpft  ist,  also  mit  einer  beliebigen  mechanischen  Zer- 
störung nicht  identisch  ist;  und  weil  ferner  die  Theilstücke  nicht  unverändert  das  Leben 
weiter  fortsetzen,  sondern  gewöhnlich  in  einem  Ruhezustände  das  dem  ursprünglichen 
Ganzen  eigentümliche  Formgesetz  und  seine  Organisation  wiederherstellen  müssen,  ehe  die 
entsprechenden  Lebensäusserungen  wiederkehren.  Wenn  wir  überlegen,  dass  diese  Fähig- 
keit nur  solchen  Organismen  zukommt,  deren  Organisation  ein  relativ  einfaches  Formgesetz 
oder  doch  eine  sehr  gleichartige  Gliederung  zu  Grunde  liegt,  so  brauchen  wir  nur  anzuneh- 
men, dass  jedes  regenerationsfähige  Theilstück  einen  den  übrigen  gleichwertigen  Abschnitt 
des  gesammten  Formgesetzes  enthalte,  um  zu  verstehen,  dass  jene  Regeneration  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  einer  eigentlichen  Entwickelung  gleicht,  also  jene  Theilstücke  von 
beliebigen  Substanzpartikeln  desselben  Organismus  sich  ebenso  unterscheiden  wie  ein  ent- 
wicklungsfähiges Ei  von  anderen  nicht'organisirten  Substanzen. 

*  Derselbe  Widerspruch  begegnet  uns  bei  Haeckel  auch  hinsichtlich  des  Ausdrucks 
„Form."  Gegenüber  der  Behauptung,  dass  das  Leben  der  Moneren  einAusfluss  der  ,, form- 
losen organischen  Materie"  sei  (S.  136),  finden  wir  wenige  Seiten  weiter  den  Satz,  dass 
„sämmtliche  Lebenserscheinungen  der  Organismen  ohne  Ausnahme  Wirkungen  der  geform- 
ten organischen  Materie"  seien  (S.  140). 


586  VIII.    Die  Segmente  des-Rumpfes. 

t  : 

erschöpft,  hei  den  Moneren  ein  Formgeserz  überhaupt  nachzuweisen.  Das  was 
ich  so  nenne,  und  z.  B.  sowohl  im  noch  ungetheilten  Batrachierei  wie  in  dessen 
Dottersfccken  und  den  indifferenten  Embryonalzellen  in  der  radiären  protoplas- 
matisclien  Strömung  erblicke,  ist  eben  gar  nicht  der  Inbegriff  der  gegenseitigen 
Lage-  oder  Wirkungsbeziehungen  aller  einzelnen  Moleküle,  sondern  bezieht  sich 
nur  auf  das  Gesammtziel  aller  einzelnen  elementaren  Bewegungen,  mögen  die- 
selben im  einzelnen  je  nach  wechselnden  Umständen  noch  so  häufig  von  einer 
bestimmten  Richtung  abweichen ;  gerade  so  wie  die  einzelnen  Wassertheilchen 
eines  Flusses  in  Wellen  und  Wirbeln  eine  ganz  andere  Bahn  beschreiben  als  die 
ganze  Wassermasse,  welche  einen  ganz  bestimmten,  relativ  unveränderlichen 
Verlauf  zeigt.  Und  folgerecht  besteht  das  Leben  als  sich  allmählich  ent- 
wickelnde Wirkung  der  formgesetzlich  geordneten  Elementaraktionen  des 
Dotters  nicht  in  deren  einzelnen  Vorgängen,  sondern  lediglich  in  ihrer  einheit- 
lichen Gesamnitleistung.  Genau  dieselben  Verhältnisse  wie  in  dem  sich  ent- 
wickelnden Eie  finden  sich  nun  auch  in  den  lebenden  Moneren  wieder.  Denn 
eine  radiäre  Anordnung  aller  ihrer  protoplasmatischeu  Strömungen  lässt  sich 
meist  unmittelbar  erkennen ,  und  in  dieser  bestimmten  Gesammtform  ihrer 
inneren  Elementarvorgänge  darf  ich  wohl  mit  demselben  Rechte  wie  bei  den 
Batrachiereiern  ihr  Formgesetz  oder  ihre  eigentliche  Struktur  erkennen.  Soweit 
nun  eine  solche  Gesammtform  der  Elementaraktionen  mit  einer  vollständigen 
Einheit  auch  der  äusseren  Formerscheinung  zusammenfällt,  können  wir  die 
letztere  ein  formgesetzliches  oder  morphologisches  Element  nennen,  so- 
dass also  die  sogenannten  monoplastiden  Organismen  über  den  Werth  eines 
einfachen  morphologischen  Elements  nicht  hinausgehen  und  daher  von  einer 
Korrelation  von  Formtheilen  bei  ihnen  nicht  die  Rede  sein  kann ,  während  die 
Struktur  aller  übrigen,  aus  vielen  solchen  Elementen  zusammengesetzten  Or- 
ganismen aus  den  Wechselbeziehungen  derselben  und  ihrer  Produkte  (Gewebe; 
und  Organe)  bestimmt  werden  kann.  Auf  diese  Weise  wird  die  Kluft,  welche; 
nach  Haeckel's  Darstellung  bezüglich  des  Baues  zwischen  den  mono-  und 
polypiastiden  Organismen  besteht,  ganz  natürlich  ausgefüllt,  und  zugleich  durch 
eint;  solche  Auffassung  das  eigentliche  Wesen  der  Organisation  richtig  beleuchtet. 
Sic  hat  eben  nur  Sinn  als  Ausdruck  für  die  Formbedingungen  des  Lebens,  und 
wenn  wir  in  der  organischen  Morphologie  uns  auf  die  blossen  Körperformen 
glauben  beschränken  zu  dürfen,  so  erscheint  dies  doch  nur  unter  der  Voraus- 
setzung statthaft,  dass  uns  die  Beziehung  der  organischen  Form  auf  die  Form- 
gesetze eines  Geschehens  stets  gegenwärtig  bleibe.  Und  sowie  sie  daher  natur- 


VIII.    Die  "Segmente  des  Rumpfes.  587 

gemäss  nicht  in  den  Bewegungen  der  einzelnen  Moleküle  sich  äussern  kann, 
sondern  im  Gesetz  ihrer  Gesamnitleistung  in  den  morphologischen  Elementen, 
so  kann  auch  anderseits  die  Formerscheinung  der  letzteren,  deren  Elementar- 
aktionen durch  die  stete  Wechselwirkung  mit  der  Aussenwelt  unterhalten  wer- 
den, ebenso  wenig  starr  und  unabänderlich  sein,  als  ihr  Formgesetz  Mass  und 
Ordnung  nur  relativ  bestimmt.     Nur  wird  mit  der  steigenden  Gliederung  des 
Kormgesetzes  und  der  Struktur  und  mit  der  dadurch  bedingten  physiologischen 
Arbeitsteilung  die  Veränderlichkeit  der  Formerscheinung  theils  beschränkt, 
theils  sehr  ungleich  im  Organismus  vertheilt;   wenn  in  den  morphologisch  und 
physiologisch  ungesonderten  Moneren  noch  der  ganze  Körper  die  Ernährung, 
die  Lokomotion  besorgt,  so  kann  er  dabei  keine  starre  äußere  Form  behalten 
wie  gewisse  Theile  höherer  Organismen,    äussert  aber  im  Grunde  genommen 
keine  grössere  Beweglichkeit  als  die  Ernährungs-   und  Lokomotionsvorgänge 
der  letzteren.     Dazu  kommt,  dass  mit  der  höheren  Differenzirung'eine  gewisse 
Periodicität   im  ganzen  Lebensverlaufe  auftritt,  die  einzelnen   Aeusserungen 
desselben  intermittirend  erscheinen ,  und  dass  es  uns  anderseits  unmöglich  ist, 
mit  Ausnahme  eben  der  niedersten  Organismen,   den  Zusammenhang  der  Or- 
ganisation  am   lebenden  Thiere  unmittelbar  zu  beobachten.     Daraus  erklärt 
sich  aber  zur  Genüge  die  Gewohnheit,  die  Vorstellung  von  der  Organisation  der 
betreffenden  Geschöpfe  dem  indifferentesten  Ruhezustande  der  Erscheinung  zu 
entnehmen;  und  alsdann  widerspricht  allerdings  die  ruhelose  Erscheinung  eines 
Moners  jenen  Vorstellungen  von  der  feststehenden  Struktur  der  übrigen  thieri- 
schen  Organismen.     Folgerichtig  wäre  aber  mit  der  letzteren  auch  nur  der  in- 
differente Ruhezustand  des  Moners  zu  vergleichen  gewesen;    und  in  der  ency- 
stirten  regelmässigen  Protoplasmakugel  hätte  sich  eine  sehr  bestimmte  Form 
und  damit  auch  das  Moment  der  Vergleich ung  ergeben.     Es  offenbart  eben 
jeder  Organismus  ein  beständiges  Formgesetz  im  nothwendig  ununterbroche- 
nen Wechsel  der  Erscheinungen;  dass  dasselbe  in  der  Gliederung  und  Sönderung 
deutlicher  zum  Ausdruck  kommt,  ist  von  untergeordneter  Bedeutung,  wichtiger 
dagegen  die  Erkenntniss ,  dass  es  ein  ursächliches  Moment  des  Lebens ,  eines 
Komplexes  von  Vorgängen  und  Bewegungen, ist,  und  daher  in  der  allein  wahr- 
nehmbaren und  meist  in  der  Vorstellung  unnatürlich  isolirten  Formcrscheinung 
nicht  aufgeht.     Der  Grundirrthum  Haeckels  besteht  aber  darin,   dass  er  die 
Morphologie  der  Organismen  ebenso  wie  diejenige  derAnorgane  auf  eine  unver- 
änderliche äussere  Formerscheinung  bezieht,  und  daher  beide  in  ihrem  Wesen 
identifieirt.     Die  Morphologie  der  Krystalle  fällt   allerdings  thatsächlich  mit 


588  VIII.   Die  Sesmente  des  Rumpfes. 

den  unveränderlichen  Lagebeziehungen  der  Moleküle  zusammen,  also  mit  den 
Folgen  einer  Bewegung,  welche  der  jeweiligen  Existenz  des  Krystalls  voraus 
ging;  aber  gerade  in  diesem  Sinne  würden  nicht  nur  die  Moneren,  sondern  über- 
haupt alle  Organismen  eine  Struktur  entbehren,  da  die  stete  Auswechselung 
und  Bewegung  ihrer  Theile  eine  starre  Form  ausschliessen,  und  überhaupt  jede 
Beständigkeit  derselben  verhindern  würden,  wenn  nicht  das  bestimmte  Form- 
gesetz  zugleich  mit  der  Bewegung  auch  ihren  sinnlichen  Ausdruck  in  der  Form- 
erscheinimg beherrschte  und  beschränkte.  Dass  einzelne  starre  Körpertheije 
das  Wesen  der  organischen  Morphologie  als  eines  Ausdrucks  von  formgesetz- 
lichen Bewegungen  oder  der  besonderen  Existenzform  der  Organismen  nicht 
verändern  können,  ist  selbstverständlich;  und  wenn  Haeckel  sich  den  Ausdruck 
entschlüpfen  lässt,  dass  die  Radiolarien  „zum  Thoil  vollständig,  in  ihrer  ge- 
sammten  Körperform",  „die  reinsten  und  regelmässigsten  Krystallformen  dar- 
stellen", so  verbessert  er  sich  doch  gleich  dahin,  dass  zu  dem  Krystallskelet 
stets  noch  diu  „amorphe  Sarkode"  als  eigentlicher  Lebensträger  dazu  komme 
(Nr.  100  I  S.  138).  Es  offenbart  sich  also  bei  diesen  Organismen,  welche  bei 
oberflächlicher  Betrachtung  den  Krystallen  in  morphologischer  Beziehung  nahe 
zu  stehen  scheinen,  das  Leben  oder  ihr  eigentliches  Wesen  in  den  Theilen, 
welche  nach  IIaeckel's  Bestimmung  gerade  die  strukturlosen,  nach  meiner 
Ansicht  aber  die  Träger  des  organischen,  also  für  die  Organismen  allein  in 
Frage  kommenden  Formgesetzes  sind.  Dass  das  letztere  sich  gar  nicht  wesent- 
lich von  demjenigen  der  Moneren  zu  unterscheiden  braucht,  um  das  regelmässige 
Kalkskelet  hervorzurufen,  dürfte  ohne  weiteres  erhellen,  sobald  man  an  eine  in 
den  einzelnen  Strahlen  etwa  bloss  quantitativ  verschiedene  radiäre  Lebensthätig- 
keit  denkt.  —  Gegenüber  dem  im  ersten  Momente  der  Entstehung  unveränder- 
lich festgesetzten  Strukturgesetze  der  Krystalle-  erstreckt  sich  also  die  Formen- 
lehre in  jedem  einzelnen  Organismus  auf  die  ganze  Reihe  von  wechselnden 
Erscheinungen,  welche  aus  dem  nothwendig  allmählichen  Werden  und  der  fort- 
schreitenden Gliederung  des  Formgesetzes  bis  zu  seiner  Vollendung,  mit  anderen 
Worten  aus  der  noth wendigen  organischen  Entwickelung  hervorgehen.  In  der 
Entwickelung'liegt  das  Wesen  der  organischen  Morphologie  und 
des  Lebens  überhaupt,  die  Entwickelung  scheidet  die  Organismen 
von  den  Anorganen.  Wer  aber  wie  Haeckel  statt  dieses  fundamentalen  Un- 
terschiedes zwischen  Organismen  und  Anorganen  bloss  ihre  oberflächliche  Form- 
älinliehkeit  hervorhebt,  gelangt  in  nothwendiger  Konsequenz  zu  ganz  unhalt- 
baren Anschauungen  und  in   letzter  Linie  zu  einer    Verneinung  des  Lebens- 


VIII.   Die  Segmente  des  Rumpfes^.  589 

begriffes.     Haeckel  nennt  die  Moneren  und  Cytoden  strukturlos-,   die  That- 
sache  ihrer  Fortentwickeluug  zu  mannigfach  organisirten  Geschöpfen  erkennt 
er  natürlich  an,  erklärt  dieselbe  jedoch  für  eineunmittelbare  Wirkung  der  form- 
losen Materie,  ihrer  besonderen  chemischen  Konstitution  (Nr.  100.1  S.  1G4.  165- 
190).     Es  muss  uns  aber  die  einfachste  Ueberlegung  überzeugen,  dassganz  im 
allgemeinen    die  Form   niemals   eine   unmittelbare  Funktion  ihres  stofflichen 
•Substrats  sein  kann;  sie  ist  stets  eine  mechanische  Leistung,   hervorgegangen 
aus  bestimmten  Beschränkungen   einer  Bewegung,    sodass,    wenn  die  ah  sich 
regellosen  Elementaraktioneii  in  einem  ünorganisirten  Stoffe  einmal  eine  gesetz- 
miissige  Gesammtform  und  in  Folge  dessen  eine  sich  mehr  oder  weniger  ent- 
wickelnde Organisation  erhalten,  diese  Formbeschränkung  (Formgesetz)  nicht 
von  Anfang  an  im  amorphen  Substrate  gelegen  haben,  sondern  als  neues  ursäch- 
liches Moment  der  Formerscheinung  nur  von  aussen  eingeführt  sein  kann.     Da 
die  organische  Form  überall  erst  mit  einer  geregelten  Gesammtleistung  der  zu 
einem  morphologischen  Elemente  verbundenen  Moleküle  anfängt,  und  die  Kräfte 
des  amorphen  Protoplasmas  in  den  einzelnen,    zu  einer  regellosen  Gesammt- 
erscheinung  verbundenen  Molekülen  beruhen,  so  fehlt  uns  auch  jede  Vorstellung 
darüber,  worin  die  angebliche  „formbildende  Funktion  des  Plasmas"  (Nr.  K'O 
1  S.  190)  begründet  sein  könnte.     Wie  sollen  dieselben  Eigenschaften,    welche 
den  ünorganisirten  Zustand  bedingen,  allein  und  unmittelbar  die  Organisation 
hervorrufen,  und  gar  auf  dem  Wege  der  Entwicklung,  einer  kausal  zusammen- 
hängenden Reihe  von  sieh  stetig  weiter  gliedernden  Formerscheinungen  ?     Ist 
überhaupt  in  jenem  Ausdrucke  der  „formbildenden  Funktion  des  Protoplasmas" 
mehr  enthalten  als  eine  Umschreibung  der  Thatsache,  dass  die  Entwickeluugs- 
vorgänge  und  die  organischen  Formen  nur  an  protoplasmatischen  Substraten 
sich  offenbaren?  —  Die  von  aussen  bedingte  und  allmählich  zur  Wirkung  kom- 
mende   formale  Beschränkung   der    Elemeutaraktionen    eines    Protopiasma- 
klumpens  oder  die  Thätigkeit  unseres  Formgesetzes  veranlasst  und  erklärt  da 
gegen  die  Entwicklung  als  unmittelbarste naturnoth wendige  Folge,  woraus  erst 
die  Organisation    des   ganzen  Substrats  und  die  einheitliche  Gliederung  der 
physiologischen  Wirkungen  oder  das  Leben  hervorgehen,  sodass  diese  drei  Mo- 
mente nicht  als  verschiedene  Funktionen  des  Stoffes,  sondern  nur  als  verschie- 
dene Aeusserungen  desselben  Vorgangs  erscheinen ,    welche  sich  bloss  unserer 
Erkenntniss  und  Auffassung  einzeln  präsentiren  und  in  ihrem  ursächlichen  Zu- 
sammenhange  keinem  Organismus  fehlen.     Ganz   im    Gegensatze  dazu  hält 
Haeckel  die  Entwickelung  für  den  Ausfluss  besonderer  Eigenschaften  des  nicht 


590  VIII.   Die  Segmente  des  Rumpfes. 

organisirten,  aber  schon  vollkommen  lebendigen  Protoplasmas,  wesshalb  sie  bei 
der  Unterscheidung  der  Organismen  von  den  Anorganen  kaum  berücksichtigt 
wird.  Dabei  wird  aber  entweder  in  dem  einer  Entwickelungsreihe  vorangehen- 
den Zustande  das  schon  bestehende  Formgesetz  übersehen ,  wenn  z.  B.  dem 
„formlosen  Eiweissklumpen"  des  Radiolarienkörpers  die  Fähigkeit  zugeschrie- 
ben wird,  „lediglich  vermöge  seiner  specifischen  atomistischen  Constitution" 
das  komplicirte  formenstrenge  Kalkskelet  zu  erzeugen,  während  dieses  doch  nur 
das  Formgesetz  des  Protoplasmaleibes  zum  sichtbaren  Ausdruck  bringt;  oder 
es  wird  anderseits  dem  Eie  im  Beginn  seiner  Formentwickelung  ein  Leben  zu- 
erkannt, welches  ihm  in  der  That  noch  fehlt.  Nach  meiner  Ansicht,  welche 
ich  weiter  unten  noch  näher  ausführen  will,  macht  ein  vollkommenes  Leben  die 
Entwickelung  unmöglich,  sowie  eine  solche  und  folglich  ein  Formgesetz  im 
ersten  Anfange  der  individuellen  Existenz  unbedingt  nöthig  sind,  um  das  Leben 
in  seiner  individuellen  Einheit  zu  erzeugen.  Die  Existenz  und  der  Ursprung 
dieser  Einheit  bleiben  aber  in  der  HAECKELSchen  Darstellung  unerklärt. 

Alle  Untersuchungen  und  Betrachtungen  Haeckel's  über  das  Wesen  der 
Organismen  laufen  in  dem  einen  Ziel  zusammen,  welches  schon  im  Anfange 
kenntlich  wurde,  dass  nämlich  der  Gesammtinhalt  der  organischen  Existenz 
nach  Form-  und  Bewegungserscheinungen  ausschliesslich  eine  natumothwendi^e 
Wirkung  der  chemischen  Mischung  des  Substrates  sei,  dass  folglich  die  Or- 
ganismen sich  nur  durch  die  letztere  von  den  Anorganen  unterschieden.  „Alle 
uns  bekannten  Naturkörper  der  Erde,  belebte  und  leblose,  stimmen  überein 
in  allen  wesentlichen  Grundeigenschaften  der  Materie,  in  ihrer  Zusammen- 
setzung aus  Massen- Atomen  und  darin,  dass  ihre  Formen  und  ihre  Funktionen 
die  unmittelbaren  und  nothwendigen  Wirkungen  dieser  Materie  sind.  Die  Un- 
terschiede, welche  zwischen  beiden  Hauptgruppen  von  Naturkörpern  hinsicht- 
lich ihrer  Formen  und  Funktionen  existiren,  sind  lediglich  die  unmittelbare  und 
nothwendige  Folge  der  materiellen  Unterschiede,  welche  zwischen  Beiden  durch 
die  verschiedenartige  chemische  Verbindungs-Weise  der  in  sie  eintretenden  Ele- 
mente bedingt  werden"  (a.  a.  0.  S.  164).  Ich  habe  dagegen  gezeigt,  1.  dass 
die  Organismen  sich  von  den  Anorganen  unter  Umständen  stofflich  gar  nicht 
unterscheiden,  da  es  ebenso  wohl  lebloses  als  lebendiges  Protoplasma  gibt,  2. 
dass  das  Leben  folglich  eine  Wirkung  des  blossen  Stoffes  nicht  sein  kann,  viel- 
mehr nothwendig  eine  Organisation  desselben,  d.  h.  eine  von  aussen  bedingte 
formgesetzliche  Anordnung  seiner  Elementaraktionen  voraussetzt,  3.  dass  diese 
wichtigste  Lebensursache   oder  das  Formgesetz  durch  seine  allmähliche  Aus- 


VIII.   Die  Segmente  des  Rumpfes.  591 

bildung  in  dem  zu  organisirenden  Stoffe  die  Formentwickelung  und  steigende 
physiologische  Ärbeitstheilung  herbeiführt,  sodass  die  Entwickelung  ganz  im 
allgemeinen  zur  nothwendigen  Entstehungsform  des  Lebens  und  seiner  körper- 
lichen Träger  wird,  4.  dass  das  Fonngesetz  ferner ,  da  es  nur  in  seiner  Einheit 
Bestand  findet,  das  Leben  nothwendig  an  die  Bedingung  knüpft,  dass  es  eine 
in  ihren  Theilen  kausal  zusammenhängende  Gesammtleistung  eines  nach  aussen 
bestimmt  abgeschlossenen  Körpers  oder  mit  anderen  Worten  durchaus  individuell 
sei.  Aus  diesen  Ergebnissen  meiner  Untersuchung  ergibt  sich  natürlich  die 
Unmöglichkeit,  die  Organismen  in  irgend  einer  anderen  Hinsicht  als  gerade 
nach  der  chemischen  Konstitution  mit  gewissen  Anorganen  in  Parallele  zu 
bringen.  Wenn  aber  Haeckel  die  Organismen  nicht  nur  bezüglich  der  Struktur 
mit  den  Krystallen  vergleicht,  welche  ich  in  den  beiderlei  Naturkörpern  für 
grundverschieden  erklärte,  sondern  auch  Analoga  wahrer  Lebenserscheinungen 
an  den  Krystallen  glaubt  nachweisen  zu  können,  so  beruht  auch  dieser Irrthum 
auf  seiner  fehlerhaften  Auffassung  des  Lebens  und  unzureichenden  Begriffs- 
bestimmungen. So  soll  die  Erscheinung  des  Wachsthums  den  Organismen  und 
Krystallen 'gemeinsam  sein  (a.  a.  0.  S.  141  u.  flg.).  Der  Ausdruck  „Wachs- 
thum"  bezieht  sich  aber  ursprünglich  nur  auf  die  betreffende  Lebenserscheinung 
und  bezeichnet  eine  bestimmte  Folge  der  Ernährung ;  da  die  letztere  den  Kry- 
stallen fehlt,  so  kann  ihr  Wachsthum  nur  in  einem  übertragenen  und  wesentlich 
anderen  Sinne  gemeint  sein,  welcher  einen  unmittelbaren  Vergleich  mit  dem 
organischen  Wachsthum  gar  nicht  zulässt.  Zur  Durchführung  der  Analogie 
erklärt  Haeckel  das  Wachsthum  für  eine  durch  die  Anziehungskraft  des  be- 
treffenden Körpers  herbeigeführte  Massenzunahme  desselben  (a.  a.  0.  S.  142. 
144.  152);  in  welcher  Weise  dies  aber  für  die  Organismen  Geltung  finden  soll, 
deren  Nahrungsaufnahme  doch  nicht  durch  eine  Anziehung  erfolgt,  ist  mir 
durchaus  räthselhaft  geblieben ,  wie  nicht  minder  die  aus  jener  Behauptung 
konsequent  abgeleitete  Folgerung,  dass  die  Ernährung  nicht  die  Ursache,  son- 
dern nebst  der  Fortpflanzung  eine  Folge  der  Besonderheiten  des  organischen 
Wachsthums  sei  (S.  1G6).  Solche  Behauptungen  würden  allerdings  den  genann- 
ten Vergleich  unterstützen,  wenn  sie  nur  mit  der  bisher  allgemein  üblichen 
Auffassung  und  Bestimmung  der  Ernährung  und  des  Wachsthums  irgendwie  in 
Uebereinstimmung  gebracht  werden  könnten. 

Es  lässt  sich  nun  nicht  verkennen,  dass  die  von  Haeckel  verfochtene  Auf- 
fassung des  Lebens  als  einer  unmittelbaren  Wirkung  des  Protoplasmas  nur 
eine  konsequente  Ausführung  der  sogenannten  Protoplasmatheorie  ist,  welche 


592  VIII.   Die  Segmente  des  Rumpfes. 

in  M.  Scinjltze  ihren  Haiuptbegründer  gefunden  hat.  Indem  dieser  ausge- 
zeichnete Forscher  die  alte  schematische  Begriffsbestimmung  der  Zelle  als  un- 
haltbar nachwies  und  ihre  Hauptbedeutung  in  das  Protoplasma,  „dieunge- 
formte  contractile  Substanz'1  verlegte  (Nr.  93  S.  2),  wollte  er  zunächst  gewiss 
nicht  der  Zelle  die  ihr  eigentümliche,  wenn  auch  unsichtbare  Organisation 
absprechen  und  ihre  Lebensursache  mit  den  chemisch  -  physikalischen  Eigen- 
schaften des  Protoplasmas  identificiren.  Die  Individualität  des  lebendigen  Zell- 
protoplasmas sollte  sieh  nicht  nur  durch  „seine  eigentümliche' Consistenz"  er- 
halten, sondern  ebenso  „durch  sein  centripetales  Leben,  durch  die  Eigenthüm- 
lichkeit,  mit  dem  Kern  ein  Ganzes  zu  bilden,  in  einer  gewissen  Abhängigkeit 
von  demselben  zu  stehen"  (a.  a,  0.  S.  12).  Ich  linde  in  dieser  Aeusserung  ganz 
unverkennbar  diejenige  Struktur  oder  Organisation  angedeutet,  welche  ich 
selbst  für  alle  werdenden  oder  fertigen  Piastiden  als  unentbehrliche  Lebens 
bedingung  annehme,  und  wenn  die  Ursache  dafür,  nämlich  das  von  mir  soge- 
nannte Fonngesetz,  unerkannt  blieb,  so  lag  dies  daran,  dass  die  Entwickelung 
iler  Zellen  zu  wenig  beachtet  wurde.  Denn  schon  die  deutlichen  Bilder  der 
Knorpelzellenbildung  hätten  davon  überzeugen  müssen,  dass  die  Leiber  dieser 
Zellen  nicht  lediglich  durch  die  Eigenschaften  des  Protoplasmas,  sondern  durch 
die  ausser  ihm  in  den  freien  Kernen  enthaltenen  Formbedmgungen  aus  der 
formlosen  (mmdsubstanz  ausgefüllt  werden,  während  der  Rest  derselhen  in  der 
Zwischenzellensubstanz  unverändert  zurückbleibt.  M.  Schultze  ging  aber  über 
jene  Andeutungen  von  der  Eigenthümlichkeit  des  Lebens  in  seineu  einfachsten 
Existenzformen  nicht  hinaus;  und  solange  die  bestimmte  Formel  zur  Erklärung 
ihres  kausalen  Zusammenhangs  fehlte,  musste  jeder  Versuch,  ihn  näher  zu  de- 
finiren  ,  entweder  zu  Widersprüchen  oder  zur  einfachen  Negation  jener  lugen 
thümlichkeit  führen.  So  meint  Stricker,  dass  zum  Begriff  einer  Zelle  oder 
eines  Elementarorganismus  ein  Klümpcheu  Protoplasma  genüge,  schliesst  aber 
daran  die  Behauptung,  dass  nicht  jedes  Stück  lebender  Materie  eo  ipso  eine 
Zelle  sei:  „damit  wir  ein  isolirtes  Klümpchen  lebender  Materie  eine  Zelle  nen- 
nen, müssen  wir  daran  die  ganze  Gruppe  von  Erscheinungen  wahrnehmen, 
welche  ein  selbständiges  Thierindividuum,  einen  selbständigen  Organismus 
charakterisiren"  (Nr.  120  I  S.  (J.  7).  Diese  eigentümliche  Ansicht,  dass 
lebende  Körper  und  Organismen  nicht  identisch  seien,  beleuchtet  die  Mängel 
der  neuesten  Protoplasmatheorie  aufs  klarste.  Während  man  einerseits  sich 
daran  gewöhnt  hat,  die  Kralläusserungen  des  Protoplasmas,  insbesondere  seine 
Kontraktilität,    schlechtweg   als  Leben  zu  bezeichnen,    scheut  man  sich  doch, 


VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes.  593 

dasselbe  mit  dem  Inbegriff  der  die  Organismen  auszeichnenden  Thätigkeiten, 
was  doch  stets  für  die  allgemeinste  Bestimmung  des  Lebens  galt,  ohne  weiteres 
zu  identificiren.  Man  braucht  dasselbe  Wort  für  zwei  Erscheinungen,  deren 
wesentlichen  Unterschied  man  doch  nicht  leugnet;  und  da  das  Substrat  in  beiden 
Fällen  dasselbe  bleibt ,  so  muss  das  unterscheidende  Moment  eben  ausserhalb 
des  blossen  Stoffes  liegen.  Der  Unterschied  von  der  teleologischen  Auffassung 
reducirt  sich  alsdann  darauf,  dass  an  die  Stelle  der  Lebenskraft  oder  des 
Zweckes  ein  unbekanntes  X  tritt;  indem  man  aber  die  Erörterung  desselben  zu 
umgehen  öderes  durch  jenen  Doppelsinn  des  Wortes  „Leben"  zu  verdecken  sucht, 
lässt  sich  der  innere  Widerspruch  doch  nicht  vermeiden.  Die  natürliche  Lösung 
desselben  ergibt  sich  nach  meiner  Ansicht  durch  die  Erkenntniss  des  von  mir 
erörterten  Formgesetzes;  wer  dagegen  den  Schwierigkeiten  der  Untersuchung 
dadurch  zu  entgehen  glaubt,  dass  er  jene  unbekannte  besondere  Lebensursache 
einfach  leugnet,  verlegt  den  Widerspruch  bloss  in  die  weiteren  Schlussfolgerun- 
gen, wie  ich  es  in  der  Kritik  der  IlAECKEL'schen  Darstellung  nachwies. 

Ich  glaube  durch  die  voranstehende  Untersuchung  jedem  möglichen  Ein- 
wände gegen  die  Annahme  und  die  Bedeutung  des  Formgesetzes  der  Organis- 
men begegnet  zu  sein  und  nehme  jetzt  die  nähere  Erörterung  der  sich  daraus 
ergebenden  Folgerungen  wieder  auf,  welche  ich  in  einigen  Hauptsätzen  bereits 
andeutete  (S.  573— 575),  und  welche  uns  den  richtigen  Standpunkt  für  die 
Beurtheilung  der  Gewebe  nach  ihrem  Formwerthe  anweisen  sollen.  Die  Unter- 
suchung über  die  Beziehungen  der  morphologischen  und  histiologischen  Ent- 
wickelung  führt  zum  Ergebniss,  dass  die  erstere  gewissermassen keine  unmittel- 
bare Bedeutung  für  das  vollständige  individuelle  Leben  hat,  sondern  eine  Art 
von  Vorbereitimg  für- die  Gewebsbildung  darstellt,  sodass  die  ursächliche  Dis- 
position für  die  letztere  und  damit  für  jenes  Leben  erst  am  Schlüsse  der  morpho- 
logischen Entwicklung  vollständig  gegeben  ist.  Wenn  also  schon  daraus 
hervorgeht,  dass  das  individuelle  Leben  während  der  morphologischen  Ent 
Wickelung  nur  ein  unvollkommenes  sein  kann,  so  lässt  sich  dies  noch  be- 
stimmter begründen.  Ich  habe  in  dem  III.  und  IV.  Abschnitte  dieses  Buchs 
'erörtert,  dass  ich  keine  Möglichkeit  sehe,  die  morphologischen  Entwickelungs- 
Vorgänge  anders  als  durch  die  Massenverschiebungen  der  Embryonalzellen 
in  Folge  ihrer  fortlaufenden  Theilungen  zu  erklären.  Mit  der  Indifferenz  der 
Embryonalzellen  hört  auch  diese  ununterbrochene  Theilung  auf,  theils  weil  ihre 
individuelle  Existenz  in  den  meisten  Geweben  überhaupt  verloren  geht,  theils 
weil   die  Theilung   nunmehr  als  Fortpflanzung  nur  noch  einen  Theil  der  Ge- 

'  Goettb,  Eutvvickeluugsgescliichte.  38 


594  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

sammtleistimg  der  individuell  erhaltenen  Zellen  bildet,  also  viel  seltener  er- 
scheint als  früher.  Anderseits  würden  die  individuell  verschiedenen  Ernäh- 
rungs- ,  Wachsthuins-  und  Anpassungsvorgänge  vollkommener  Zellen  die  Gleich- 
artigkeit der  Massenbewegung ,  welche  mir  für  die  morphologische  Entwicke- 
lung  unumgänglich  scheint ,  in  verschiedenster  Weise  stören  und  daher  ihre 
notwendigen  Leistungen  wesentlich  beeinträchtigen.  Die  Aufgabe  aber,  welche 
dadurch  der  Natur  gestellt  wird,  nämlich  dieselben  Bewegungen,  welche  später 
Lebensäusserungen  hervorrufen,  anfangs  in  nicht  lebendigen  Wirkungen  der 
morphologischen  Elemente  sich  äussern  zu  lassen ,  diese  Aufgabe  wird  in  ein- 
fachster Weise  dadurch  gelöst,  dass  im  Innern  dieser  unvollkommen  lebendigen 
Elemente  wirkliches  Leben  und  daher  individuelle  Lebensträger  (Kerne)  sich 
allmählich  entwickeln,  deren  Lebensbewegungen  bei  der  Gleichmässigkeit  ihrer 
in  der  umgebenden  Dottermasse  gegebenen  Bedingungen  ebenfalls  gleichartig 
verlaufen,  durch  die  Ernährung  stets  zum  Wachsthum ,  durch  dieses  zur  be- 
ständig wiederholten  Fortpflanzung  führen  und  dadurch  zu  den  fortdauernden 
Ursachen  der  mechanischen  Theilung  und  Verschiebung  der  ganzen  Embryonal- 
zellen werden.  Es  ist  ferner  natürlich,  dass  die  fundamentale  Lebensbedingung 
dieser  Kerne,  ihre  Ernährung,  innerhalb  der  sie  enthaltenden  morphologischen 
Elemente  durch  die  früher  beschriebene  Dotter  Schmelzung  unterhalten  wird, 
also  durch  einen  Vorgang,  welcher  unter  Ausschluss  eines  Gesammtlebens  des 
Eies  und  des  Embryo  dennoch  das  Theilleben  in  jenen  Elementen  ermöglicht. 
Die  feste  Dottersubstanz  enthält  die  Spannkräfte,  deren  massenhafte  Auf- 
speicherung jede  Nahrungszufuhr  entbehrlich  macht,  indem  dieselben  durch 
die  fortdauernde  Umwandlung  in  lebendige  Kräfte  die  isolirten  und  be- 
schränkten Lebensprocesse  nicht  nur  zu  unterhalten,  sondern  allmählich  auf 
das  Ganze  oder  die  ganzen  morphologischen  Elemente  auszudehnen  vor-  * 
mögen.  *  In  dem  nothwendigen  Vorrath  von  immanenten  Spannkräften  liegt  ^ 
daher,  auch  die  besondere  Bedeutung  der  Dottersubstanz  für   die  Entwicke- 


*  Gleichsam  als  Gegenprobe  zu  dem  früher  gebrachten  Beweise  von  dem  Mangel  einer 
Ernährung  und  einer  Massenzunahme  des  Keims  (S.  78.  556.  557,}  dürfte  hier  die  Notiz  am 
Platze  sein,  dass  nach  einem  von  mir  mehrfach  angestellten  Versuche  100  Eier  und  ebenso 
viele  Larven  aus  der  ersten  Periode,  also  vor  dem  Beginn  der  Nahrungsaufnahme ,  auf  einer 
genauen  Wage  sich  das  Gleichgewicht  halten.  Die  beiderlei  Entwickehmgsformcn  wurden 
dazu  natürlich  ohne  ihre  Hüllen  und  im  getrockneten  Zustande  benutzt.  —  Für  die  Säuge- 
thicre  wäre  noch  insbesondere  zu  bemerken,  dass  die  rasche  Anschwellung  ihrer  Eier  durch- 
aus nicht  ein  von  den  übrigen  Wirbelthieren  abweichendes  Verhalten  bedeutet,  da  sie  wohl 
die  sogenannte  Keimblase,  aber  nicht  den  davon  unterschiedenen  und  hier  allein  in  Betracb.1 
kommenden  Keim  (vegetatives  Blatt  aut.)  betrifft  (vgl.  Nr.  103). 


VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes.  595 

hing  und  die  Berechtigung  sie  als  unreifes  Protoplasma  zu  bezeichnen.  Das 
Mass  jener  Spannkräfte  stellt  nämlich  im  geraden  Verhältniss  zum  Mass  oder 
Fortgange  der  morphologischen  Entwickelung,  indem  ein  relativ  geringerer 
Vorrath  von  fester  Dottersubstanz  ihre  vollständige  Auflösung,  damit  aber  auch 
den  Eintritt  der  histologischen  Differenzirung  oder  das  Ende  der  morphologi- 
schen Entwickelung  natürlich  früher  herbeiführt  als  ein  grösserer  Vorrath,  und 
umgekehrt.  Aus  einer  solchen  Ueberlegung  ergibt  sich,  dass  die  morphologische 
Entwickelung,  welche  den  Grund  zu  der  ganzen  individuellen  Existenz  legt,  mit 
der  histologischen  Differenzirung  oder  der  Ausbildung  eines  vollständigen  Lebens 
der  morphologischen  Elemente  im  Wechselverhältniss  gegenseitiger  Beschrän- 
kung  steht,  sodass  im  ganzen  wie  im  einzelnen  der  Satz  gilt:  die  histologische 
Differenzirung  schliesst  die  morphologische  Entwickelung  ab, 
und  diese  verträgt  sich  wieder  nicht  mit  einem  Gesammtl eben  des 
werdenden  Organismus.*  Mit Rücksicht  auf  das  praktische Ergebniss kann 
man  dies  auch  so  ausdrücken:  je  früher  jene  Differenzirung  oder  das  vollständige 
Leben  in  einem  Entwickelungsverlaufe  erscheint,  desto  geringer  wird  die  typische 
Entwickelungshöhe  des  betreffenden  Organismus  sein.  Von  diesem  Gesichts- 
punkte aus  müssen  die  bisher  noch  immer  verfochtenen  Ansichten,  dass  die 
Entwickelung  der  Anfang  des  Wachsthums  und  daher  gewissermassen  eine  Lebens- 
äusserung  sei  (vgl.  His  Nr.  109  S.51,  Haeckel  a.  a.  0.),  als  ungenaue  oder  un- 
klare bezeichnet  werden;  die  Entwickelung  ist  die  Entstehungsform  des'  Lebens 
und  der  Organismen  und  kann  folglich  nicht  eine  Wirkung  derselben  vorstellen. 
Dies  wird  noch  ganz  besonders  erläutert  durch  ihr  Verhältniss  zur  Indi- 
vidualität der  Organismen.  Ich  nannte  diese  den  physiologischen  Ausdruck 
des  Formgesetzes  mit  Rücksicht  darauf,  dass  weder  die  zusammengesetzte  Form- 
erscheinung,  noch  die  Summe  der  analytisch  wahrgenommenen  einzelnen  Wir- 
kungen des  Organismus,  sondern  füglich  nur  das  Erscheinung  und  Bewegung 
einheitlich  umfassende  Kausalgesetz  auf  die  Bezeichnung  der  Unverletzlichkeit 
oder  Untheilbarkeit  Anspruch  erheben  kann.  Dieses  Gesetz  ist  aber,  wie  ich 
schon  früher  andeutete  (S.  570  u.  flg.),  wohl  in  seinen  Ursachen,  den  äusseren 
Formbedingungen,   nothwendig  von  Anfang  an  gegeben,  jedoch  nicht  sofort 


*  Natürlich  muss  man  dabei  im  Auge  behalten,  dass  weder  alleKörpertheile  sich  gleich 
schnell  entwickeln ,  noch  der  Uebergang  von  der  morphologischen  und  histologischen  Ent- 
wickelung ein  plötzlicher  ist.  Wenn  ich  hinzufüge,  dass  ich  die  nachträglichen  topographi- 
schen Anpassungen  nebst  allen  Rückbildungen  und  histiologischen  Neubildungen  nicht  mehr 
zur  eigentlichen  morphologischen  Entwickelung  zähle ,  glaube  ich  alle  möglichen  Einwürfe 
gegenmieine  Behauptung  berücksichtigt  zu  haben  (vgl.  S.  249—255). 


596  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

vollständig  an  den  werdenden  Organismus  selbst  geknüpft,  und  daher  auch  die 
Individualität  desselben  nicht  gleich  vollkommen  angelegt.     Selbst  in  der  ein- 
fachen Dotterkugel  ist  die  radiäre  Diffusion  nicht  gleich  mit  der  Herstellung 
jener  Bedingungen  vollendet,  sondern  entwickelt  sicherst  allmählich;  und  gleich 
darauf  wird  mit  der  ersten  Dottertheilung  die  Einheit  der  im  Eie  verlaufenden 
Elementaraktionen  zunächst  wieder  aufgehoben,  indem  jener  Vorgang  zwei  ge- 
trennte Diffusionssysteme  schafft,  welche  mit  jeder  folgenden  Theilung  vermehrt, 
gewissermassen  ebenso,  viele  getrennte  Individuen  vorbilden.    Und  in  der  That 
.  zeigen  uns  homologe  Vorkommnisse,  auf  die  ich  im  Schlusskapitel  zurückkom- 
men werde,  dass  solche  getrennte  Eitheile,  indem  sie  durch  histiologische  Aus- 
bildung den  weiteren   Fortgang   der  morphologischen  Entwickelung   unter- 
brechen ,  zu  vollständigen  Einzelindividuen  werden  können.     Im  Wirbelthiere 
werden  sie  aber  durch  die  noch  bestehenden  äusseren  Formbedingungen ,   ins- 
besondere die  Dotterhaut,  in  der  ursprünglichen  Gesammtform  des  Eies  zuerst 
bloss   zusammengehalten,    dann  aber  in  Folge  der  andauernden   Berührung 
wenigstens  an  den  freien  Oberflächen  durchweg  in  festere  Verbindung  gebracht, 
sodass  im  weiteren  Verlaufe  der  Entwickelung  die  Gliederung  des  Formgesetzes 
in  einem  thatsächlich  zusammenhängenden  Körper  sich  vollzieht.     Bei  dieser 
gruppenweisen  yerbindung  der  morphologischen  Elemente  zu  Gewebs  -  und 
Organanlagen  büssen  dieselben  jene  Fähigkeit  ein ,   selbstständige  Individuen 
herzustellen,  indem  das  Formgesetz  der  einzelnen  Zelle  bis  zu  einem  nicht  mehr 
unbedeutenden  Grade  von  den  mit  ihr  verbundenen  Theilen  mitbestimmt  wird, 
also  in  ihr  allein  nicht  mehr  zu  individuellem  Abschluss  gelangt.  Und  dasselbe, 
was  für  die  einzelnen  morphologischen  Elemente  gilt,    lässt  sich  von  den  zu 
ganzen  Körperth eilen  verbundenen  Zellengruppen,  den  Geweben  und  Organen, 
aussagen*  je  weniger  die  Gliederung  des  Formgesetzes,    nicht  extensiv  sondern 
im  Sinne  divergirender  Bildungen,  vorgeschritten  ist,  also  je  einfacher  der  ganze 
Bau  und  je  gleichartiger  die  einzelnen  Abschnitte  sind,  desto  beschränkter  ist 
die  Unverletzlichkeit  jenes  Gesetzes  oder  die  Individualität  des  ganzen  Organis- 
mus.    Denn   die  Gleichartigkeit  des  Formgesetzes  in  jenen  homologen   Ab- 
schnitten sichert  ihnen  eine  gewisse  Unabhängigkeit  von  einander,  indem  keiner 
von  ihnen*  durch  ihm  selbst  fehlende,  daher  integrirende  Formbedingungen  der 
anderen  mitbestimmt   wird;  und   diese  Beschränkung  der  Individualität   des 
ganzen  Organismus  zu  Gunsten  seiner  Einzelabschnitte  geht  bisweilen  so  weit, 
dass  er  spontan  oder  in  Folge  äusserer  Eingriffe  in  zwei  und  mehr  sieh  voll- 
kommen individiuilisirende  Theile  zerfallen  kann,     im  ersten  Falle,    bei  der 


VIII.    Die  Segmeute  des  Rumpfes.  597 

Fortpflanzung   durch  Theihmg  oder  Knospcnbildung,   wird  die  volle  Unab- 
hängigkeit der  gleichwertigen  oder  von  den  übrigen  abgesonderten  Abschnitte 
im  natürlichen  Lebensprocesse  herbeigeführt,  bei  der  künstlichen  Vermehrung 
.  dagegen  das  Formgesetz  des  abgelösten  Theils  individuell  hergestellt.     Ander- 
seits nimmt  aber  in  dem  Masse,  als  die  einzelnen  gröberen  Körpertheile  eine 
divergente  Entwicklung  erfahren,  ihre  gegenseitige  Anpassung  und  Abhängig- 
keit zu  Gunsten  des  Gesammtindividuums  zu,  dagegen  ihre  Fähigkeit  zur  Aus- 
bildung einer  eigenen  Individualität  ab,  indem  die  aus  jener  Entwickelung  re- 
sultirende  physiologische  Arbeitstheilung  die   verschiedenen  Gewebe,   Organe 
und  ganzen  Körperabschnitte  theils  über  ein  gewisses  Mass  hinaus,  theils  über- 
haupt nach  ihrer  Eigenschaft  für  die  Erhaltung  des  einheitlichen  Formgesetzes 
und  dieses  wieder  für  die  Existenz  des  Einzeltheils  unentbehrlich  macht.  Solche 
Betrachtungen  führen  uns  noth wendig  zu  dem  Ergebniss,  dass  die  Individualität 
eines  Organismus  nur  ein  besonderer  Ausdruck  seines  Entwickelungsziels  ist, 
also   während   seiner  Entstehung  sich  ebenfalls  allmählich  und  parallel   der 
Gliederung  des  Formgesetzes  entwickelt.  Je  mehr  dabei  die  Einzeltheile,  seien 
es  die  morphologischen  Elemente  oder  deren  Verbindungen  zu  Organen  und 
Körpersegmenten,    sich  einer    morphologischen   Gleichartigkeit  und   physio- 
logischen Koordination  nähern,  desto   lockerer  wird  der  Bestand  der  Indivi- 
dualität des  Ganzen  bis  zu  einer  vollständigen  Vertheilung  derselben  auf  jene 
Elemente  und  Abschnitte ;  dagegen  erhöht  sich  ihre  Intensität  mit  der  steigen- 
den Divergenz  in  der  Gliederung  des  Formgesetzes  und  der  dadurch  herbei- 
geführten Unterordnung  der  Theile,  sodass  zunächst  die  ursprünglich  angelegte 
Individualität  der  morphologischen  Elemente  in  der  Herstellung   der  Organe 
und  Körpersegmente ,   und  in  zweiter  Linie  die  Selbstständigkeit  der  letzteren 
•  im  Kausal  zusammenhange  des  ganzen  Organismus  aufgeht. 

Wollen  wir  auf  Grund  dieser  Ergebnisse  den  Formwerth  der  verschiedenen 
Gewebe  der  Wirbelthiere  prüfen,  so  muss  vor  allem  vorausgeschickt  werden, 
dass  die  verschiedenen  Stufen  in  der  Ausbildung  der  Individualität,  wie  sie  sich 
in  der  allgemeinen  Betrachtung  ergaben ,  in  dem  Entwickelungsverlaufe  eines 
bestimmten  Thieres  natürlich  nicht  thatsächlich  durchlaufen  werden ,  aus  dem 
einfachen  Grunde,  weil  sie  selbst  ein  Entwickelungsergebniss  und  als  „physio- 
logischer Ausdruck  des  Formgesetzes"  (S.  575)  erst  im  vollendeten  Zustande 
des  Organismus  erfasst  werden  kann.  Dieselbe  Ueberlegung,  welche  dem 
ganzen  Eis  sowie  den  einzelnen  Dotter  und  Embryonalzellen  ein  vollkommenes 
Leben  abspricht,  kann  ihnen  auch  nur  die  Anlage  zur  Ausbildung  einer  eigenen 


598  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

Individualität  zugestehen.    In  der  Gewebsbildung  wird  aber  diese  Anlage  nicht 
weiter  entwickelt,  sondern  wie  erwähnt  gerade   zurückgebildet;  sobald  jene 
Zellen  durch  ihre  innere  Umbildung  zum  wirklichen  individuellen  Leben  fähig 
werden,  gehen  sie  auch  sehen  gruppenweise  in  Massenprodukten  auf,  werden 
gewissermassen  zu  neuen  Formbeständen  höheren  Grades  „verwebt."  Ich  habe 
es  für  die  Mehrzahl  der  Gewebe,    für  die  Bindesubstanzen  im  weitesten  Sinne, 
für  die  Muskelfasern  und  Xervenelemente  nachgewiesen,    dass  bei  ihrer  Ent- 
wicklung der  frühere  Formbestand  der  Embryonalzelleu  aufgelöst  und  aus 
dem  dadurch  gewonnenen  Bildungsmaterial  unter   dem  Eintiusse  der  lokalen 
Formbedingungen  theils  neue  Zellenformen,  theils  nichtzellige  Gewebsbestand- 
theile  hervorgehen.     Aber  auch  diese  sekundären  Zellen  können  als  wirkliche 
Organismen  (Elementarorganismen)  nicht  angesprochen  werden,  da  ihnen  ein 
selbstständiges  Formgesetz,  eine  vollkommene  Individualität  fehlt.     Sie  treten 
meist  in  den  engsten  anatomisch-physiologischen  Zusammenhang  mit  anderen, 
selbst  nichtzelligen  Gewebstheilen,  wie  z.  B.  die  Nervenzellen  mit  den  Nerven- 
fasern, sodass  schon  ihre  körperliche  Abgrenzung  ganz  unbestimmt  wird ;  ander- 
seits sind  die  sie  betreffenden  Lebensvorgänge,  namentlich  die  Ernährung,  nicht 
in  ihnen  abgeschlossen,    sondern  verbreiten  sieh  in  einheitlicher  Gliederung 
durch  das  ganze  Gewebe.     Sie  bleiben  also  integrirende  Theile  desselben  und 
verhalten  sich  zu  ihm  gerade  so  wie  die  Kerne  zu  den  ganzen  Zellen,  verdienen 
daher  den  Namen   eines  Elementarorganismus  so  wenig  wie  die  Zellenkerne. 
Die  Zellen   als  Gewebstheile  sind  keine  Organismen,  keine  or- 
ganischen Individua.     Man  wird  mir  vielleicht  erwidern ,    dass   diese  Be- 
weisführung auf  eine  Spitzfindigkeit  hinauslaufe ,   da  jene  sekundären  Zellen 
jedenfalls  lebende  Körper  seien.     In  diesem  Ausdrucke  liegt  aber  der  Doppel- 
sinn  von  lebenden  Individuen  und  von  Körpern,    die  an  einem  Leben  theil- 
nehmen.     Dies  letztere  kommt  natürlich  ebenfalls  den  Zellenkernen  und  den 
nichtzelligen  Gewebselementen,  den  Fasern,  festen Intercellularsubstanzen  u.  s.  w. 
in  gleichem  Grade  zu,  sie  werden  ernährt,  sie  wachsen,  bewegen  sich  und  ver- 
mehren sich  selbst  unter  Umständen  durch  Theilung.    Und  folglich  konnte,  so- 
lange die  Anwesenheit  eines  selbstständigen  Formgesetzes  als  eine  nothwendige 
Voraussetzung  der  Existenz  eines  Organismus  nicht  erkannt  war,    eine  grund- 
sätzlich  verschiedene  Bedeutung   der  Zellen   und  der  übrigen  Protoplasma- 
produkte wenigstens  nicht  genügend  begründet  werden:  sollten  die  zelligen  Ge- 
webstheile Elementarorganismen  sein,  so  hatten  die  übrigen  Gewebselemente 
denselben  Anspruch  auf  diese  Bezeichnung.  Dieselbe  Ueberzeugung  aber,  welche 


VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes.  599 

mich  veranlasst,  den  bisher  besprochenen  unselbstständigen  zelligen  Gewebs- 
elementen  den  Werth  eines  Elementarorganismus  nicht  zuzuerkennen ,  lässt 
mich  ganz  allmähliche  Uebergänge  von  denselben  zu  völlig  selbstständig  und 
individuell  lebenden  Zellen  finden.     Die  Epithelien  stellen  eine  solche  Ueber- 
gangsstufe  dar;  dehn  wenn  sie  sich  durch  die  spärliche,  ihre  Zellen  verbindende 
Kittsubstanz  auch  nur  graduell  etwa  vom  Knorpel  unterscheiden,  so  erscheinen 
doch  die  Epithelzellen  bisweilen  so  locker  gefügt,    dass  sich  einzelne  aus  dem 
Gewebe  herauszulösen  und  in  dem  umgebenden  Medium  eine  Zeit  lang  ein 
scheinbar  vollkommen  individuelles  Leben  zu  führen  vermögen.  Endlich  finden 
wir  in  den  Bildungszellen  des  vollendeten  Thieres  (Lymph-,  junge  Blut-  und 
Wanderzellen),  solange  sie  nicht  thatsächlich  in  den  Bestand  eines  Gewebes 
eingehen,  wirkliche  Elementarorganismen,  d.h.  Formelemente  mit  einem  voll- 
kommen individuellen  Leben.     Da  sie  aber  ein  solches  Leben  nur  eine  relativ 
kurze  Zeit  führen  und  nach  meiner  Ansicht  im  vollendeten  Organismus  ebenso 
wie  ich   für  gewisse  Entwickelungsperioden   nachweisen  konnte ,    in  die  ver- 
schiedensten Gewebe  übergehen  und  sich  denselben  anpassen,  so  besitzen  wir 
an  ihnen  das  beste  Beispiel  eines  thatsächlichen,  allmählichen  Uebergangs  von 
Elementarorganismen  in  untergeordnete  Theile  eines  einheitlichen  Gesammt- 
individünms.     Ich  bestreite  jedoch ,  dass  wegen  eines  solchen  Uebergangs  das 
Anfangs-  und  das  Endglied  des  betreffenden  Entwickelungsverlaufs  als  gleich- 
artig angesehen  werden  dürften;  denn  nach  diesem  Grundsatze  müsste  man 
auch  den  gar  nicht  bestimmt  begrenzten  Lebenskeimmassen  den  Form  werth  von 
Zellenkernen,  also  ganz  bestimmt  gesonderter  Körper,  zuschreiben.  Daher  kann 
auch  nach  meiner  Ansicht  nicht  alles,  was  man  eine  Zelle  zu  nennen  gewohnt 
ist,  unter  allen  Umständen  und  in  jeder  Umbildungsform  denselben  Werth  be- 
halten, so  wenig  wie  die  verschiedenen  Entwicklungsstufen  des  ganzen  Organis- 
mus den  gleichen  morphologisch -physiologischen  Werth  besitzen.     Nun  wird 
aber  häufig  davon  gesprochen,  dass  der  eine  oder  andere  Gewebstheil,  welcher 
nicht  einmal  in  seiner  äusseren  Erscheinung  an  Zellen  erinnert,  denFormwerth 
einer  oder  mehrerer  Zellen  habe.     Wenn  damit  in  den  meisten  Fällen  nur  der 
Ursprung  des  betreffenden  Gewebstheiles  aus  einer  oder  mehreren  Zellen  be- 
hauptet werden  sollte,  so  wäre  an  dem  Ausdrucke  nur  auszusetzen,   dass  er 
wenig  exakt  ist.     Denn  es  ist  nicht  einzusehen,   warum  die  Beziehung  auf  die 
Zahl  der  Bildungszellen  durch  das  Wort,,  Formwerth"  bezeichnet  wird,  da  doch 
ihr  Formbestand  gerade  aufgelöst  wird.     Neuerdings  hat  sich  aber  Haeckel 
derselben  Ausdrucksweise  in  einem  andern  Sinne  bedient ,  indem  er  den  Form- 


(j(j()  VIII.  Die  Segmente  des  Rumpfes. 

werth^  der  mehrkernigen  Gewebstheile  (Zellfusionen,  Zellenstöcke )  ganz  uline 
Rücksicht  auf  die  Zahl  der  Bildungszellen  nur  nach  derjenigen  der  späteren 
Kerne  bemisst.  Allerdings  sagt  er  an  einer  Stelle  von  den  Muskelfasern:  „Die 
Zahl  dieser  Kerne  bezeichnet  die  Zahl  der  Zellen ,  welche  in  der  Bildung  des 
Zellenstockes  aufgegangen  sind"  (Nr.  100  I  S.  2U7);  aber  wenn  wir  sehen,  dass 
die  einfachen  Kerne  der  Primitivfasern  der  Stammuskulatur  sich  erst  zu  theiien 
anfangen,  nachdem  die  Muskelsubstanz  längere  Zeit  fertig  bestand  und  thätig 
war,  so  lässt  sich  eine  solche  Kern- Vermehrung  natürlich  nicht  auf  eine  unvoll- 
ständige Theilung  der  Bildungszellen  beziehen.  Auch  erwähnt  Haeckel  die 
Bildungszellen  bei  der  eigentlichen  Erörterung  seiner  Auffassung  überhaupt 
nicht.  Er  schliesst  folgendermassen.  Da  ein  einfacher  Protoplasmaklumpen 
(Cytode)  von  einem  kernhaltigen  (Zelle)  unterschieden  werden  müsse,  so  be- 
stimme „einzig  und  allein  der  Nucleus  die  Individualität  der  Zelle1',  wobei 
natürlich  die  von  Haeckel  sogenannte  morphologische  Individualität,  d.  h.  die 
Einheit  der  Formerscheinung  gemeint  ist.*  Folglich  habe  ein  Gewebstheil  den 
Formwerth  von  soviel  Zellen,  als  Kerne  in  ihm  enthalten  seien,  wogegen  der 
Ausdruck  „vielkernige  Zelle"  eine  contradictio  in  adjecto  sei.  Die  einkernigen 
Gewebstheile  werden  daher  einfachen  Zellen  gleichgesetzt  und  einzellige  Ele- 
nientarorganismeu  genannt  (vgl.  Nr.  100 1  S.  2bo.  278.296,  Nr.  127  S.  15.  17. 
21 — 22.  40,  Nr.  128  I.  S.  105.  106).  Ich  glaube,  dass  diese  Darstellung  zunächst 
nicht  anders  zu  verstehen  ist,  als  dass  ein  Gewebstheil  aus  so  viel  „morpholo- 
gischen Individuen"  bestehe,  als  Kerne  vorhanden  sind.  Dieses  Raisonnement 
Haeckel's  ist  aber  an  sich  und  mit  Bezug  auf  andere  seiner  Definitionen 
fehlerhaft,  wenn  wir  dieselben  vorläufig  annehmen.  Wenn  ganz  unzweifelhaft 
die  Anwesenheit  eines  Kerns  die  Formerscheinung  einer  Zelle  gegenüber  einer 
Cytode  bestimmt,  so  darf  doch  daraus  nicht  ohne  weiteres  gefolgert  werden, 
dass  ein  Kern  in  einem  Gewebe  nun  unter  allen  Umständen  die  Existenz  einer 
Zelle  andeute ;   der  Erörterung,  ob  ein  mehrkerniger  Gewebstheil  einer  oder 


*  Haeckel  »unterscheidet  nämlich  die  Individualität  nach  der  untheilbaren  Form- 
erscheinung  und  der  theilbaren  Lebenseinheit  (morphologische,  physiologische  Individualität), 
und  sondert  ferner  die  entsprechenden  Individuen  in  verschiedene  Ordnungen,  sodass  jedes 
morphologische  Individuum  unter  Hinzutritt  der  physiologischen  Individualität  für  sich  allein, 
oder  ohne  dieselbe  als  untergeordneter  Theil  einer  höheren  Ordnung  bestehen  kann  (Nr. 
100  I  S.  265  und  flg.  33.3— 335.  367).  Die  morphologische  Individualität  wird  durch  den 
Mangel  der  physiologischen  nicht  beeinträchtigt,  sondern  kann  trotz  aller  Unterordnung 
„scharf  ausgeprägt-  bleiben  (ebciid.  S.  304);  zur  Herstellung  eines  Organismus  ist  daher 
offenbar  das  Zusammentreffen  der  beiderlei  Individualitäten  erforderlich. 


VIII.   Die  Segmente  des  Rumpfes.  601 

mehreren  Zellen  entspreche,  hätte  der  Beweis  vorausgehen  sollen,  dass  jenem 
eine  Zellennatur  wenigstens  im  morphologischen  Sinne  überhaupt  zukomme. 
Nun  bezeichnet  aber  Haeckel  die  morphologischen  Individuen,  also  in  erster  Linie 
Cytoden  und  Zellen,  als  räumlich  abgeschlossene  Körper  von  bestimmter  Ge- 
stalt (Nr.  100  I  S.  265);  dann  kann  aber  doch  ein  einheitliches  aber  vielkerniges 
Plasmastück,  z.  B.  gerade  eine  sogenannte  vielkernige  Zelle,  eine  Mehrheit  von 
solchen  Körpern  nicht  genannt  werden,  um  so  weniger,  als  Haeckel  selbst 
ausspricht,  dass  die  Zellen  als  morphologische  Individuen  bei  ihrer  Verbindung 
zu  höheren  Formindividuen  „ihre  individuelle  Selbständigkeit  mehr  oder  weniger 
aufgeben"  (cbend.  S.  290).  Da  nun  bei  einer  solchen  Beurtheilung  des  Form- 
werthes  vielkerniger  Gewebstheile  die  Beziehung  auf  die  Bildungszellen  ebenso 
wie  die  einfache  Identiticirung  mit  ebenso  vielen  morphologischen  Individuen 
als  Kerne  vorhanden  sind,  ausgeschlossen  werden  muss,  so  ist  nicht  leicht  ein- 
zusehen, was  der  bezeichnete  „Formwerth  von  mehreren  Zellen"  eigentlich  be- 
deuten soll.  —  Ansprechender  ist  schon  die  Bezeichnung  einkerniger  Muskel- 
fasern und  Ganglienkugeln  als  Zellen ,  sobald  man  die  letzteren  lediglich  als 
kernhaltige  Protoplasmastiicke  und  nicht ,  wie  ich  es  allein  für  richtig  halte, 
jede  Bildung  nach  dem  ihr  eigentümlichen  Formgesetze  definirt.  Nun  bleibt 
aber  Haeckel  bei  ihrer  morphologischen  Zellennatur  nicht  stehen,  sondern  er- 
klärt sie  gleich  für  Elementarorganismen.  Ein  Organismus  involvirt  aber  die 
physiologische  Individualität  im  Sinne  Haeckel's  (vgl.  die  letzte  Anm.) ,  d.  h. 
die  Fälligkeit,  vollkommen  selbstständig  zu  leben,  wenigstens  sich  zu  ernähren 
( a.  a.  0.  S.  266 ) ,  was  freilich  nach  meiner  Ansicht  auch  schon  Bewegung, 
Wachsthum,  Fortpflanzung  facultate  einsehliesst;  und  eine  solche  Fähigkeit  den 
genannten  Gewebstheilen  zuzuschreiben,  dürfte  nicht  leicht  Jemand  sich  bereit 
finden,  es  sei  denn,  dass  man  bereits  in  ihrem  normalen  Zustande  innerhalb  des 
Gewebes  jenes  vollkommen  selbstständige  Leben  erkennen  wollte,  was  aber 
nach  der  oben  citirten  Bemerkung  Haeckel's  bei  ihm  nicht  der  Fall  ist. 
Noch  schärfer  treten  die  Mängel  solcher  Bestimmungen  hervor,  wenn  man  den 
ausgesuchten,  ansprechenden  Beispielen  andere,  unzweifelhaft  analoge  Fälle 
zur  Seite  stellt.  Die  Ganglienzellen  sind  von  blossen  kernhaltigen  Stellen  des 
Axencylinders  nur  quantitativ  zu  unterscheiden  (vgl.  M.  Sciiultze  Nr.  120  I 
S.  115.  126.  127);  folglich  wäre  ein  kernhaltiger  Axencylinder  eine  Kolonie  oder 
ein  Stock  von  Elementarorganismen,  ein  kernloser  dagegen  mit  Zellen  und  Ele- 
mentarorganismen überhaupt  nicht  vergleichbar  und  daher  im  Formwerthe  nur 
etwa  einer  Bindegewebsfaser  verwandt.     Und  erinnern  wir  uns  der  thatsäch- 


602  VE!    Die  Segmente  des  Eumpfes. 

liehen  Entstellung  einer  Muskelprimitivfaser,  so  müssen  wir  gestehen,  dass 
nach  der  Formerscheinung  die  Muskelfibrillen  zu  den  Muskelkörperehen  gerade 
so  sich  verhalten,  wie  die  Fibrillen  eines  Bindegewebsbündels  zu  den  anhaften- 
den Bindegewebskörperchen,  dass  demnach,  wenn  die  gesammte  Muskelprimitiv 
faser  so  vielen  Zellen  entspräche,  als  Kerne  in  ihr  vorhanden  sind,  auch  jene 
Bindegewebsfibrillen  auf  alle  zugehörigen  Bindegewebskörperchen  vertheilt  ge 
dacht  werden  müssten,  um  mit  ihnen  „untheilbare  Formindividuen"  zu  bilden! 
Diese  Konsequenzen,  welche  sich  beträchtlich  vermehren  Hessen,  sind  folge- 
richtig, aber  ich  muss  bezweifeln,  dass  Haeckel  selbst  sie  annehmen  möchte. 
Ganz  anders  gestaltet  sich  die  Sache,  wenn  wir  die  organische  Formerscheinung 
als  Ausdruck  eines  Formgesetzes  von  Bewegungen  auffassen  und  so  die  Morpho- 
logie und  Physiologie  zur  Lehre  von  der  formgesetzlichen  Erscheinung  des 
Lebens  wahrhaft  synthetisch  verbinden.  Dann  muss  auch  bei  der  Beurtheih in- 
des Formwerthes  der  Gewebe  die  organische  Entwickelung  zu  Grunde  gelegi 
werden;  aus  dem  Neben-  und  Nacheinander  verschiedener  Formen  lässt  sich 
aber  ein  einheitlicher  Vorgang  erkennen,  welcher,  wie  ich  bereits  erwähnte, 
aus  ungleichartigen  Gliedern  besteht,  deren  grösste  Divergenz  an  den  End- 
punkten ersichtlich  wird.  Die  freien  Bildungszellen  sind  die  einzigen  wirklichen 
Elementarorganismen  des  Wirbelthierkörpers  ;  diese  Bedeutung  verlieren  sie  in" 
dem  Masse,  als  sie  sich  zu  Formelementen  eines  Gewebes  umbilden.  Soll  da- 
her der  Begriff  der  Zelle  mit  demjenigen  eines  Elementarorganismus  zusammen- 
fallen, so  wird  der  Name  „Zellen"  auf  die  noch  nicht  in  Gewebe  übergegangenen 
Formelemente  beschränkt  werden  müssen.  Da  man  aber  höchst  wahrscheinlich 
diesen  Namen  stets  so  weit  ausdehnen  wird,  als  die  äussere  Formerscheinung 
im  wesentlichen  dieselbe  bleibt,  so  wird  die  Zelle  einen  wechselnden  Indivi- 
dualitätswerth  behalten.  Wo  aber  nicht  nur  die  Individualität  des  ursprüng- 
lichen Elementarorganismus,  sondern  auch  seine  frühere  Form  in  der  fortschrei- 
tenden Metamorphose  vollständig  aufgelöst  ist,  dort  noch  von  einem  Zellen- 
bestande  zu  reden ,  halte  ich  für  willkürlich  und  für  schädlich ,  weil  der  Ge- 
brauch eines  Wortes  in  ganz  verschiedenem  Sinne  nur  bei  vollständig  befestig- 
ten Begriffen  ohne  nachtheilige  Folgen  bleibt. 

Bei  einem  schnellen  Rückblick  auf  die  voranstellenden  Betrachtungen  der 
Zellenlehre  kann  es  uns  nicht  entgehen,  dass  alle  Widersprüche,  Ungenauig- 
keiten  und  offenbaren  Irrthümer  in  dieser  Lehre  die  nothwendigen  Folgen  der 
einseitig  analytischen  Methode  und  der  schematischen  Begriffsbestimmungen 
sind,  welche  sich  meist  bloss  an  die  äussere  Erscheinung  hielten,    und  wo  sie 


VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes.  603 

das  Wesen  der  organischen  Form  zu  erschöpfen  versuchten,  seine  Einheit  in 
eine  Reihe  getrennter  Begriffe  zersplitterten.  So  verstand  Haeckel  wohl  den 
relativen  Werth  des  [ndividualitätsbegriffs  wie  aller  verwandten  Begriffe  (Leben, 
Organisation)  auf  analytischem  Wege  zu  zerlegen,  aber  nichtmehr  zurthatsäch- 
liehen  Einheit  zurückzuführen.  Die  Neigung  zur  vollsändigen  Sonderung  der 
thatsächlichen  Verhältnisse  je  nach  den  verschiedenen  Seiten  unseres  Erkennt- 
nissvermögens hängt  aber  gerade  aufs  innigste  zusammen  mit  der  Neigung,  die 
qualitativen  Unterschiede  zu  leugnen,  die  bestehenden  Differenzen  zu  nivelliren, 
in  der  Zellenlehre  nicht  weniger  als  in  allen  übrigen  Beziehungen  des  organi- 
schen Lebens.  Indem  man  sieh  in  der  analytischen  Untersuchung  verlor,  über- 
sah man  das  einzig  und  allein  untheilbare  Gesetz  des  Zusammenhangs ,  wurde 
jede  in  ihre  Elemente  zerlegte  Erscheinung  zur  blossen  Summe  derselben, 
welche  daher  in  ihrem  Wesen  dem  Ganzen  gleich  sein  mussten.  So  wurde  das 
Leben  zur  Summe  der  ihm  zu  Grunde  liegenden  Elementaraktionen  der  Materie 
und  konsequenter  Weise  mit  den  inhärenten  Eigenschaften  des  Protoplasmas 
identificirt,  der  Organismus,  das  organische  Individuum  als  blosses  Aggregat 
von  Formelementen  und  auf  der  niedersten  Stufe  nur  als  indifferente  „Baum- 
einheit" jenes  speeifischen  Lebensstoffes  hingestellt.  Dabei  wurde  die  Bedeutung 
der  Entwickdung  für  die  Entstehung  des  Lebens,  der  Organisation,  der 
Individualität  vollkommen  übersehen,  das  Wesen  dieser  Erscheinungsformen 
als  der  Endprodukte  eben  des  individuellen  Entwickelungsverlaufs  , durchaus 
verkannt,  und  daher  brachte  man  auch  den  letzteren  unter  das  Schema  jener 
Analyse  und  Summirung,  welche  man  so  oft  für  synthetische  Betrach- 
tung ausgab:  die  einzelnen  Entwicklungsstufen  der  Organisation  und  des 
Lebens  wurden  nur  äusserlich ,  nach  dem  Masse  der  Gliederung  unterschieden, 
im  Wesen  war  das  noch  unveränderte  Ei  so  gut  ein  Organismus  wie  alle  seine, 
späteren  Theilungsprodukto,  die  Embryonalzellen  und  deren  weitere  Umbildun- 
gen, und  diese  unterschieden  sich  nur  durch  ihre  elementare  Form  (Elementar- 
organismen) von  dem  Gesammtorganismus  oder  Gesammtindividuum.  Indem 
ich  aber  hier  insbesondere  dieser  letzteren  Auffassung  entgegentrete,  kommt  es 
mir  natürlich  nicht  darauf  an,  den  Sprachgebrauch  abzuändern,  welcher  nun  ein- 
mal den  Ausdruck  „Leben"  nicht  auf  die  Gesämmtleistung  des  Organismus  be- 
schränkt, sondern  auch  alle  Einzeltheile  desselben  lebendige  nennt.  Ich  ver- 
lange nur,  dass  man  sich  den  grundsätzlichen  Unterschied  eines  solchen  Theil- 
lebens  von  dem  individuellen  Leben  eines  vollkommenen  Organismus  vergegen- 
wärtige und  sieh  dessen  stets  bewusst  bleibe.     Da  ich  jedoch  der  Ansicht  bin, 


ß04  VIII.  Die  Segmente  des  Rumpfes. 

dass  die  Entstehung  eines  jeden  Organismus  unmittelbar  oder  mittelbar  (bei 
der  Fortpflanzung  durch  Theilung)  auf  eine  Entwickelung  aus  einem  ursprüng- 
lich unorganisirten  protoplasmatischen  Stoffe  zurückzuführen,  und  selbst  jeder 
Theil  des  vollendeten  Thieres  in  seiner  früheren  Anlage  niemals  nach  seinem 
ganzen  wesentlichen  Inhalte  enthalten  sei,  sondern  der  letztere  ganz  allmählich 
durch  die  Gesammtentwickelung  zusammengeführt  werde,  so  kann  es  mir  natür- 
lich nicht  einfallen,  zwischen  dem  vollendeten  und  dem  unvollkommenen  Zu- 
stande oder  noch  weiter  zurückliegenden  Ursachen  des  Lebens,  der  Organisation 
und  Individualität  an  irgend  einem  Punkte  des  Entwickelungs Verlaufs  eine  be- 
stimmte Grenze  abzustecken.  Sobald  man  diese  Begriffe  aus  dem  Wesen  der 
Entwickelung  erklärt,  welches  in  der  vollständigen  aber  ganz  allmählichen  Ein- 
führung eines  neuen,  von  aussen  bedingten  Moments,  eben  des  Formgesetzes, 
in  die  Existenz  gewisser  Naturkörper  besteht,  so  ist  darin  die  Thatsache  des 
unmittelbaren  Zusammenhangs  der  einzelnen  Zustände  ebenso  begründet  wie 
die  Anerkennung  eines  grundsätzlichen  Unterschieds  zwischen  Anfang  und 
Ende  des  ganzen  Vorgangs.  In  dieser  Auffassung  der  organischen  Entwicke- 
lung liegt  eben  die  Ausgleichung  der  bisherigen  Gegensätze,  der  Annahme  einer 
übernatürlichen  Lebensursache  und  der  radikalen  Identificirung  des  Lebens 
mit  nichtlebendigen  Vorgängen :  ohne  einen  unnatürlichen  Eingriff  in  den  Zu- 
sammenhang und  Verlauf  der  Elementaraktionen  des  Protoplasmas  werden  sie 
doch  in  begrenzten  Körpern  auf  eigentümliche  Weise  zu  einer  Gesammtleistung 
vereinigt,  deren  Theile  durch  ihre  Entstehung  ursächlich  zusammenhängen, 
daher  sich  nothwendig  gegenseitig  voraussetzen  und  bedingen  und  so  ein  relativ 
untheilbares  Ganze,  eine  organische  Individualität  konstituiren ,  deren  form- 
gesetzliche  Wirksamkeit  sie  von  dem  blossen  Aggregate  der  Elementaraktionen 
in  unorganisirten  Körpern  wesentlich  unterscheidet.  Wer  aber  dieser  Auffas- 
simg sich  anschließt,  wird  meine  übrigen  Folgerungen  kaum  zurückweisen. 
Die  zuletzt  erörterte  war  aber  der  Satz,  dass  die  Individualität  des  Wirbelthier- 
organismus  eine  so  vollständige  ist,  dass  von  einem  individuellen  Sonderleben 
seiner  einzelnen  Theile  nicht  die  Rede  sein  kann,*  vielmehr  von  denElenienten 
durch  die  Gewebe ,   Organe,   Körpersegmente  bis  aufwärts  zum  Ganzen  jeder 


*  Die  Ausnahme,  welche  die  freien  Bildungszellen  machen,  muss  durch  die  Ueberlegung 
auf  ihr  richtiges  Mass  zurückgeführt  werden,  dass  ihre  Thätigkeitgewisfiermassen  die  letzten 
Ausläufer  oder  eine  Furtsetzung  der  plastischen  Entwickelung  darstellt,  welche  für  die  Er- 
haltung der  endgiltig  erreichten  Form  ebenso  nothwendig  ist  wie  für  deren  Entstehung 


VIII.   Die  Segmente  des  Rumpfes.  ß05 

Theil  als  mehr  oder  weniger  untergeordnetes  Glied  in  den  Bestand  der  nächst- 
höheren Kategorie  aufgehe  und  dadurch  seine  eigene  Selbstständigkeit  oder  In- 
dividualität einbüsse.  Jeder  nimmt  Theil  am  Leben,  welches  aber  nicht  eine 
Summe,  sondern  ein  durch  den  Kausalzusammenhang  der  Entwicklung  ge- 
wonnenes Resultat  aller  der  Theilvorgänge  ist ,  nur  in  der  einheitlichen  Ge- 
sammtleistung  des  Ganzen  oder  des  organischen  Individuums  besteht. 


Bietet  die  an  den  Rumpfsegmenten  nachzuweisende  Histiogenese  einen 
passenden  Ausgangspunkt  zu  einer  Reihe  von  allgemeinen  Betrachtungen ,  so 
finden  wir  anderseits  in  der  morphologischen  Gliederung  der  segmentalen  Ge- 
websmassen  der  Batrachier  Anknüpfungspunkte  an  die  entsprechenden  Ver- 
hältnisse aller  übrigen  Wirbelthiere. 

Sowenig  der  vollendete  Zustand  der  Teleostier  eine  Uebereinstimmung 
ihrer  Rumpfmuskulatur  mit  derjenigen  der  Batrachier  vermutheu  lässt,  so  offen- 
bart sich  eine  solche  doch  unzweifelhaft  in  der  Entwickelung  und  zwar  insbe- 
sondere zwischen  Teleostiern  und  Salamandrinen.    Die  Segmente  dieser  Fische 
(Forelle,  Lachs)  entsprechen  einmal  in  ihrer  Anlage  und  Sonderung  vollständig 
der  uns  bekannten  Form:  die  Anlage  der  Muskeln,  der  Segmentkern,   liegt  als 
die  Hauptmasse  des  Segments  zwischen  der  hautartigen  äusseren  Segmentschicht 
und  dem  ebenfalls  dünnen  inneren  Segmentblatte  mit  seinen  Nervenanlagen  ein- 
geschlossen und  zeigt  frühzeitig  eine  Sonderung  in  zwei  Hälften,    indem  das 
ganze  Segment  in  der  Höhe  der  Wirbelsaite  und  entsprechend  der  Erweiterung 
des  an  den  Embryo  sich  anschliessenden  Dottersackes  nach  aussen  umgebogen 
erscheint  (Taf.  XXII  Fig.  382).     In   die  dadurch   entstehende  fortlaufende 
Längsfurche  wachsen  von  der  Oberhaut  die  Seitenorgane  hinein  und  bezeichnen 
daher  die  Linie,   in  welcher  die  Stammuskeln  später  sich  vollständig  in  eine 
dorsale  und  eine  ventrale  Masse  trennen.     In  dem  Masse,  als  sich  der  Embryo 
über  den  Dottersack  erhebt,   gleicht  sich  jene  Winkelstellung  beider  Hälften 
aus;  die  untere  erstreckt  sich  alsdann  gerade  abwärts,  ist  ebenso  hoch  wie  die 
obere  und  läuft  mit  zugeschärftem  Rande  an  der  Grenze  des  Dottersackes  aus, 
sodass  dieser  Rand  am  After  in  die  Bauchlinie  des  Schwanzes  übergeht.     Die 
queren  Scheidewände  der  Muskelsegmente  verlaufen  gleichfalls  in  gebrochenen 
Linien,  deren  nach  vorn  gerichtete  Spitzen  an  der  Grenze  beider  Muskelhälften 
liegen  und  daher  sämmtlich  in  die  Seitenlinie  fallen.     Diese  ganze  horizontal 


606  VIII.    Die  Segmente  dos  Rumpfes. 

gefaserte   Muskelmasse   entspricht   also  durchaus   der  Stammuskulatur  der 
Batrachier.     An   dem   eben   ausgeschlüpften  Fischchen  finde  ich  nun  an  der 
Aussenseite  dieser  Stammuskelmasse,  also  an  der  Stelle  der  früheren  äusseren 
Segmentschicht,    ausser   spärlichem  Bildungsgewebe  eine  dünne  Muskellage, 
deren  Fasern  schräg  nach  unten  und  hinten  gerichtet  ist;  es  ist  darin  die  An- 
lage eines  M.  obliquus  externus  nicht  zu  verkennen ,  welche  noch  an  Fischchen 
von  einigen  Centimetern  Länge  sich  unterscheiden  lässt ,  aber  später  offenbar 
den  Stammuskeln  sich  anpasst  und  spurlos  in  sie  aufgeht.     An  dem  eben  aus- 
geschlüpften, noch  mit  einem  ansehnlichen  Dottersacke  versehenen  Fische  habe 
ich  ferner  eine  deutliche  Fortsetzung  der  Stammsegmente  oder  der  inneren 
Segmentschicht  in  die  Wand  des  Dottersackes  oder  die  spätere  Bauchwand  auf- 
gefunden,   welche  natürlich  auf  den  eigentlichen  Rumpf  zwischen  Kopf  und 
After  beschränkt  bleibt,   da  im  Schwänze  die  Stammsegmente  bis  zur  Bauch- 
seite hinabreichen.     Diese  ventrale  Fortsetzung  der  inneren  Segmentschicht 
besteht  zum  grössten  Theile  aus  Bildungsgewebe,  enthält  aber  darin  eine  dünne 
Muskellage ,  welche  in  der  angegebenen  Zeit  erst  in  der  Bildung  begriffen  ist. 
und  deren  Fasern  gerade  so  wie  ich  es  für  den  mittleren  Bauchmuskel  schilderte, 
je  aus  mehreren  Zellen  sich  zusammensetzen.     Diese  Muskelschicht  schliesst 
sich  nur  mit  einigen  weit  auseinander  stehenden  Fasern  an  den  unteren  Band 
der  Stammuskeln  an,  während  sie  weiter  abwärts ,  wo  auch  ihre  Entwicklung 
noch  im  Rückstande  ist,  gleich  in  dichtem  Gfefüge  entsteht.     Ferner  verlaufen 
die  Fasern  in  jenem  oberen  Theile  nicht  horizontal ,    sondern  denen  dos  M. 
obliquus  externus  gerade  entgegengesetzt  schräg  nach  vorn  und  unten,  und  ihre 
erst  zart  angedeuteten  segmentalen  Scheidegrenzen  fallen  ebenfalls  nach  vorn 
ab  ,  sodass  sie  mit  denen  der  unteren  Stammuskelhälfte  einen  nach  hinten  ge- 
richteten Winkel  bilden.  Die  Neubildung  dieser  Muskeischicht  innerhall)  eines 
reichlichen  jungen  Bildungsgewebes,  der  abweichende  Verlauf  ihrer  Fasern  und 
Segmentgrenzen ,    endlich  ihr  lockerer  Zusammenhang  mit  den  Stammuskeln, 
während  ihre  Hauptmasse  gleich  kompakt  entsteht,    lassen   in  ihr  nicht  eine 
einfache  Fortsetzung  eben  dieser  Stammuskeln ,  sondern  die  Grundlage  eines 
neuen  Muskels  erkennen ,   welcher  nur  dem  mittleren  Bauchmuskel  der  Batra- 
chier verglichen  werden  kann,   sodass  die  gesammte  Rumpfmuskulatur  des 
jungen  Teleostiers   bis  *  auf  die  geringere  Ausdehnung  des  äusseren  schrägen 
Bauchmuskels  vollständig  mit  derjenigen  der  Urodelcnlarven  übereinstimmt 
(vgl.  Tu. f.  XIX  Fiij.  341).     Statt  einer  weiteren  Ausbildung   dieser  ursprüng- 
lichen Sonderung  tritt  aber  bei  den  Teleostiern  allmählich  eine  Rückbildung 


VIII.  Die  Segmente  des  Rumpfes.  007 

ein,  indem  die  Stammuskeln  mit  dem  mittleren  Bauchmuskel ,  welcher  die  An- 
lagen eines  M.  obliquus  internus  und  M.  rectus  abdominis  enthält,  und  mit  dem 
M.  obliquus  externus  zu  dem  sogenannten  Seitenrumpfmuskel  verschmelzen,  an 
welchem  nur  die  Trennung  der  Stammuskelhälften  erhalten  bleibt.  Es  scheint 
mir  auch  zweifelhaft,  ob  in  den  untersten  Zacken  der  segmentalen  Scheidewände 
des  fertigen  Seitenrumpfmuskels  die  frühere  Grenze  des  mittleren  Bauchmuskels 
wiederzuerkennen  ist,  da  solche  Zacken  alsdann  auch  ander  Bauchseite  des 
Schwanzes  vorkommen  (vgl.  Nr.  129  Taf.  H),  welcher  ja  anders  wie  der  Rumpf 
ausschliesslich  Stammuskeln  enthält.  —  Der  Mangel  eines  inneren  Bauch- 
muskels (M.  transversus  abdominis)  bei  den  Fischen  kann  nicht  auffallen,  da 
er  lediglich  eine  aus  nachträglicher  Anpassung  an  das  parietale  Bauchfell  her- 
vorgehende Bildung  darstellt,  und  die  innige  Verbindung  desselben  mit  der  be- 
schriebenen Hauptmuskelmasse  bei  den  Fischen  die  Entwickelung  eines  M. 
transversus  unmöglich  zu  machen  scheint.  —  An  Selachierembryonen  lässt  sich 
eine  Trennung  der  Stammuskeln  von  einem  Bauchmuskel  noch  deutlicher  nach- 
weisen als  bei  den  Teleostiern.  An  den  schon  früher  erwähnten  Scyllium- 
embryonen  sehe  ich  die  untere  Stammuskelhälfte  im  Rumpfe  nur  wenig  unter 
das  Niveau  des  Rückens  hinabreichen ;  daran  schliesst  sich  der  Bauchmuskel, 
dessen  Fasern  oben  schräg,  unten  horizontal  verlaufen,  und  dessen  verdünnter 
oberer  Rand  kaum  merklich  über  denjenigen  der  Stammuskeln  übergreift.  An 
reifen  Mustelusembryonen  reichen  die  letzteren  tief  hinab  und  werden -zu  einem 
ganzen  Drittheil  vom  Bauchmuskel  bedeckt,  sodass  jenes  Drittheil  dort  wo  es 
hinter  dem  Becken  frei  zu  Tage  tritt,  bei  flüchtiger  Untersuchung  eine  Fort- 
setzung des  Bauchmuskels  vortäuscht.  Die  Untersuchung  von  der  Bauchhöhle 
aus,  sowie  die  Inkongruenz  der  segmentajon  Abtheilungen  in  den  beiderlei 
Muskelgruppen  schützt  jedoch  leicht  vor  jener  Verwechselung.  Aus  dem  Ver- 
gleiche beider  Befunde  schliesse  ich,  dass  die  Ueberlagerung  des  Bauchmuskels 
über  die  Stammuskeln  nachträglich  eintritt.  —  Ferner  beweisen  uns  die  Unter- 
suchungen M.  Schultze's,  dass  die  allereinfachste  unter  den  Wirbelthieren 
vorkommende  Rumpfmuskulatur,  nämlich  diejenige  der  Neunaugen,  nicht  einer 
niedersten  Entwicklungsstufe ,  sondern  nur  einer  am  weitesten  gediehenen 
Rückbildung  gesonderter  Grundlagen  entspricht.  Denn  er  hebt  ausdrücklich 
hervor ,  dass  die  Embryonen  dieser  Thiere  ausser  den  segmentirten  „  Seiten- 
muskeln", welche  nach  den  beigefügten  Abbildungen  nur  wenig  unter  die 
Wirbelsaite  hinabreichen,  noch  ein  „System  von  Bauchmuskeln"  besitzen, 
„welche  der  Längsaxe  des  Körpers  parallel  laufen"  (Nr.  02  S.  34,  Taf.  VII.  VIII). 


(30g  VIII.  Die  Segmente  des  Rampfes. 

Ich  kann  diese  Muskeln  nur  als  einen  mittleren  Bauchmuskel  und  eine  ungetheilte 
Stammuskelmasse  deuten.  Dann  ist  es  aber  für  die  meisten  Fische*  nachweis- 
bar, dass  ihre  einfache  Rumpfmuskulatur  aus  der  Rückbildung  einer  typischen 
ursprünglichen  Sonderung  hervorgeht,  welche  mit  derjenigen  der  Batrachier 
vollständig  oder  doch  im  wesentlichen  übereinstimmt. 

Für  die  Vögel  und  Säugethiere  habe  ich  dieselbe  Sonderung  und  topo- 
graphische Anordnung  der  Segmenttheile  wie  bei  den  Batrachiern  nachgewiesen 
(S.  533 — 534).  Die  Verwandlung  des  in  jenen  Klassen  schmächtigen  Segment- 
kerns in  die  Stammuskulatur  sowie  das  Hinabwachsen  der  längere  Zeit  indiffe- 
renten äusseren  Segmentschicht  und  einer  ebensolchen  Fortsetzung  der  inneren 
Segmentschicht  in  die  Bauchwand  lassen  es  mir  unzweifelhaft  erscheinen,  dass 
die  gesammte  Rumpfmuskulatur  dieser  Thiere  und  überhaupt  aller  Amnioten 
dem  Typus  folge,  welchen  ich  aus  der  Entwicklungsgeschichte  des  Muskel- 
systems der  Batrachier  erkannte,  wesshalb  auch  der  fertige  Zustand  in  beiden 
Abtheilungen  leicht  in  Uebereinstimmung  zu  bringen  ist,  **  Für  die  Stamm- 
muskulatur der  Amnioten  wäre  nur  besonders  hervorzuheben ,  dass  sie  sich  im 
Bereiche  der  Rippen  mit  denselben  bis  zur  Bauchseite  erstreckt  (vgl.  S.  432. 
460)  •,  bei  der  Herstellung  eines  kostalen  Brustbeins  wird  der  mittlere  Bauch- 
muskel von  demselben  überlagert  und  dort  ganz  oder  theilweise  zum  Schwunde 
gebracht  (vgl.  Meckel  Nr.  130  Bd.  III  S.  304. 450),  sowie  er  nachweislich  durch 
den  Beckengürtel  erst  nachträglich  unterbrochen  wird  (vgl.  S.  467).  Ferner 
kann  die  untere  Stamnmskelhälfte  ebenso  wie  sie  am  Halse  in  die  langen  tiefen 
Halsmuskeln  sich  verwandelt,  auch  am  Sehwanze  besondere  Längsmuskel  bilden  •, 
so  finde  ich  beim  Cbamaeleon  zwei  starke  Rollmuskeln  des  Schwanzes,  welche 
vom  Becken  entspringend  und  in  besondere,   den  unteren  Wirbelbögen   ange- 


*  Die  Rumpfmuskeln  der  Myxinoiden  besitzen  eine  Anordnung',  welche  mit  derjenigen 
anderer  Wirbelthiere  nicht  ohne  weiteres  übereinstimmt,  und  die  ich  daher  bei  dem  Mangel 
embryologischer  Daten  nicht  sicher  zu  deuten  weiss. 

**  Sil  sehr  auch  in  den  meisten  Einzelheiten  der  Entwicklung  und  des  anatomischen 
llaues  gerade  die  Anuren  nähere  Beziehungen  zu  den  Amnioten  zeigen  als  die  Sala- 
mandrinen,  welchen  in  vieler  Hinsicht  mit  Recht  eine  nähere  Verwandtschaft  mit  den  Fischen 
zugeschrieben  wird,  so  liefert  doch  der  vorliegend»!  Fall  gerade  keine  Belege  dafür.  Die 
Gliederung  der  Efcückenmuskeln  bleibt  allerdings  bei  den  Urodelen  auf  niederer  Stufe  stehen 
und  gleicht  mehr  derjenigen  der  Fische,  sowie  sie  in  den  Anuren  Ins  zu  der  bei  den  Amnio- 
ten gewöhnlichen  Anordnung  fortschreitet.  Aber  den  letztgenannten  Batrachiern  fehlt  mit 
ausgebildeten  Rippen  auch  deren  besondere  Muskelgruppe,  und  was  von  grösserem  Gewichte 
ist.  ihr  mittlerer  Bauchmuskel  entbehrt  die  Sonderung  in  einen  M.  obliuuus  internus  und 
rectus  abdominis,  welche  wohl  allen  Amnioten  zukommt. 


VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes.  609 

heftete  Scheiden  eingeschlossen  ihre  Sehnen  bis  zur  Schwanzspitze  erstrecken 
und  wie  die  Beuger  der  Finger  und  Zehen  wirken.  —  Der  wichtigste  ventrale 
Theil  des  mittleren  Bauchmuskels  muss  in  seiner  ursprünglichen  Anlage  als 
eine  vom  Kinne  bis  zum  After  oder  der  Schwanzwurzel  kontinuirlich  fortlaufende 
Muskelmasse  angesehen  werden,  welche  erst  sekundär  in  die  Mm.  genio-,  sterno- 
hyoidei,  recti  abdominis  und  die  hinter  dem  Becken  gelegenen  Längsmuskel 
zerfallt.  Diese  letztere  Abtheilung  wird  bei  den  Batrachiern  nur  durch  den 
M.  ischio-coccygeus  repräsentirt,  dessen  ursprüngliche  Verhältnisse  aber  meist 
verdeckt  werden,  indem  nur  seine  den  After  oben  und  seitlich  umgürtende  Partie 
muskulös  bleibt,  während  die  absteigenden  Schenkel  sehnig  werden.  Nur  bei 
der  gemeinen  Kröte  bilden  auch  diese  Schenkel,  wie  bereits  Duges  sehr  richtig 
hervorhob  (No.  13  S.  126),  schlanke  Muskelbäuche,  deren  Enden  ich  unter  der 
Symphyse  der  Sitzbeine  in  eine  Sehne  zusammenlaufen  und  sogar  mit  der  End- 
sehne des  M.  rectus  abdominis  sich  verbinden  sehe, was  aber  wahrscheinlich  eine 
spätere  Anpassung  ist,  da  ihre  gemeinsame  Anlage  bei  der  Unke  nach  innen  vom 
Becken  liegt.  Der  M.  ischio-coccyeus  der  Kröte  lässt  es  aber  kaum  zweifelhaft 
erscheinen,  dass  alle  im  Becken ausgange,  zwischen  der  Schwanzwurzel  oder  dem 
Steissbeine  einerseits  und  den  Sitz-  und  Schanibeinen  anderseits,  mehr  oder 
weniger  sagittal  ausgespannten  Muskeln,  welche  namentlich  bei  den  Säugern 
eine  reichere  Gliederung  zeigen,  aus  Umbildungen  jenes  hintersten  Abschnittes 
vom  mittleren  Bauchmuskel  hervorgehen. — Wenn  man  ferner  für  denM.  sterno- 
cleido-mastoideus  den  gleichen  Ursprung  annehmen  darf  wie  für  den  M.  scapulo- 
mastoideus  der  Batrachier,  so  ergeben  sieh  natürlich  der  erstere  und  der  M. 
obliquus  externus  abdominis  der  Amnioten  als  Homologa. 

Auf  Grund  dieser  vergleichenden  Untersuchungen  und  Betrachtungen 
glaube  ich  ein  System  der  Rumpfmuskulatur aufstellen  zu  dürfen,  nach  welchem 
die  Grundlagen  derselben  allen  daraufhin  untersuchten  Wirbelthieren  durch- 
aus gemeinsam  sind,  und  nur  die  fortschreitende  Ausbildung  der  ursprünglichen 
Sonderung  oder  deren  nachträgliche  Rückbildung  die  späteren  Unterschiede 
herbeiführen.  In  der  folgenden  Tabelle  habe  ich  dieses  System  übersichtlich 
zu  schematisiren  versucht,  wobei  die  einzelnen  Ausnahmen,  wie  z.  B.  Ostracion 
unter  den  Fischen,  nicht  weiter  berücksichtigt  wurden. 


Goette  ,  Kntuickelungsgeschichte.  39 


610 


VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 


Muskeln  der 
äusseren  Segment 
Schicht  ( die  Glied 
massen  ausge- 
nommen) 


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fehlt, 


1.  M.  scapulo-  oder  sterno-cleido- 

mastoideus. 

2.  M.  ohliquus  externus  abdominis 


die  über  der  Rippenlinie  befindlichen  Rücken-  und 
Schwanzmuskeln. 


mit  Absonderung  der  Mm. 
intercostales  externi. 


die  unter  der  Rippenlinie  befindlichen  Rücken- und 
Schwanzmuskeln. 


mit  Absonderung  der  Min. 
intercostales  interni. 


M.  ischio-coccygeus. 


Längsmuskeln  des 
Beckenausgangs 


M.  rectus  abdominis 


1.  M.  rectus  abdominis. 

2.  M.  obliquus  internus 

abdominis. 


1.  M.  sternohyoideus 

2.  M.  geniohyoideus 


(vgl.  Nr.  SO  I  S.  113.  117.) 


Innerste  Bauch- 
muskelschichl 


fehlt. 


M.  transversus 
abdominis. 


1.  M.  transversus 

abdominis 

2.  M.  diaphrag- 
matis. 


Wenn  die  bisherigen  Leistungen  in  der  vergleichenden  Muskellchre  nach 
zuständigem  Urtlieile  (vgl.  Geghenbauk  Nr.  89  S.  706)  unvollkommene  blieben, 
so. lag  dies  nicht  nur  an  dem  Mangel  vergleichender  Betrachtung,  sondern,  auch 
wo  eine  solche  durchgeführt  wurde,  daran,  dass  zur  Grundlage  derselben  aus- 
schliesslich die  fertigen  anatomischen  Zuständedienten.  Es  offenbart  sich  darin 
wiederholt  die  irrige  Meinung,  dass  die  Homologien  anmittelbar  aus  der  fertigen 


VIII.   Die  Segmente  des  Rumpfes.  (Jl  1 

Formerscheinung    erschlossen    werden    könnten,    dass    die    Bedeutung    der 
letzteren  schon  in  der  unmittelbaren  Wahrnehmung  enthalten  sei.     Ich  muss 
aber  dagegen  an  der  Auffassung  festhalten,  dass  die  organische  Form  als  Aus- 
druck eines  Geschehens,  welches  das  Ergelmiss  einer  Entwicklung  ist,  eben- 
falls nur  aus  ihrer  Entstehungsgeschichte  verstanden  werden  kann,   und   dass 
daher  ein  Vergleich  organischer  Formen  nur  auf  eine  Vergleichung  ihres  Bil- 
dungsganges sich  gründen  kann.      -  J.  Müller  hat  die  Rumpfmuskulatur  der 
Wirbelthiere  bekanntlich  zuerst  in  drei  Systeme  geschieden ,  „welche  sich  auf 
einander  nicht  reduciren  lassen ,   sich  meistens  gegenseitig  beschränken" ;  es 
sind  dies  die  Seitenrumpfmuskeln,  die  Interkostalmuskeln  und  die  seitlichen 
Bauchmuskeln  (Nr.  7G  I  S.  225  u.  flg.).     Gegenbaue  folgt  dieser  Eintheilung 
mit  der  Modifikation,  dass  er  die  Interkostal-  und  geraden  Bauchmuskeln  als 
eine  zusammengehörige  aus  den  Seitenrumpfmuskeln  hervorgehende  Gruppe  be- 
trachtet (Nr.  89  S.  707  u.  flg.).    Der  Seitenrumpfmuskel  erscheine  in  seiner  in- 
differentesten Gestalt  bei  den  Fischen,    bei  denen  er  von  der  dorsalen  bis  zur 
ventralen  Mittellinie  theils  ungesondert  (Petromyzon),  theils  in  zwei  übereinander 
gelegene  Hälften  geschieden  vom  Kopfe  bis  zur  Schwanzspitze  sich  erstrecke. 
Dieser  Muskel  habe  sich  auch  noch  auf  die  Amphibien  ,,  vererbt ",  indem  die 
Perennibranchiaten  und  die  Larven  der  übrigen  Amphibien   ihn  besässen;  bei 
den  ausgebildeten  Salamandrinen  sei  sein  Baue]  itheil  am  Rumpfe  verschwunden 
und  bleibe  nur  noch  am  Schwänze    erhalten.      Bei    den  Anmieten  komme  ein 
solcher  Bauchtheil    im  Rumpfe  überhaupt   nicht  zur  Entwickelung,    sondern 
werde  ebenso  wie  bei  den  Batrachiern  durch   die  Interkostalmuskeln  ersetzt, 
denen  sich  der  gerade  Bauchmuskel  mit  dem  M.  sterno-hyoideus  anschliesse. 
Ebenfalls  als  Modifikationen  jenes  Bauchtheils  vom  Seitenrumpfmuskel  werden 
die  tiefen  Halsmuskeln  und  der  M.  quadratus  lumborum,  dagegen  die  beiden 
schiefen  und  der  quere  Bauchmuskel  sowie  der  Zwerchfellmuskel  als  besondere 
Bildungen  vorgeführt.  — -  Diese  Darstellung  wird  nun  durch  die  embryologischen 
Thatsachen  widerlegt.     Der  so  oft  genannte  Seitenrumpfmuskel  der  Fische  ist 
im  Rumpfe  aus  drei  getrennten  Anlagen  (Stammuskeln,  mittlerer  Bauchmuskel, 
M.  obliquus  externus  abd.)  und  nur  im  Schwänze  einfach,  bloss  aus  den  Stamm- 
muskeln entstanden,  also  weder  eine  genetisch  einheitliche,  noch  überhaupt  eine 
in  der  ganzen  Länge  des  Körpers  gleichwerthige  Bildung.     Als  Rückbildungs- 
produkt kann  er  daher  nicht  den  einfachen  Ausgangspunkt  für  weitere  Umbil- 
dungen darstellen.    So  besitzen  denn  auch  die  Larven  der  Salamandrinen  wohl 
die  gleiche  Muskulatur  wie  die  noch  unentwickelten  Fische,  aber  niemals  deren 

39* 


612  VIII.  Die  Segmente  des  Rumpfes. 

Seitenrumpfmuskel;  auch  verschwindet  in   der  Metamorphose  gar  kein  Th eil, 
sondern  wird  nur  jede  Schicht  schärfer  gesondert  und  in  geringem  Masse  um- 
gebildet.    Die  Anurenlarven  zeigen  aber,    sobald  ihre  Muskeln  gebildet  sind, 
niemals  eine  kontinuirliche  Seitenmuskulatur,  also  auch  nicht  einmal  eineäusser- 
liche    Aehnlichkeit   derselben  mit  dem   Seitenrumpfmuskel.     Die  Batrachier 
führen  uns  aber  zu  den  Amnioten  hinüber.     Für  diese  wäre  noch  insbesondere 
zu  bemerken,  dass  die  tiefen  Halsmuskeln,  die  Zwischenrippenmuskeln  und  die 
unteren  Schwanzmuskeln  nicht  Modifikationen  des  Bauchtheils  vom  Seitenrumpf- 
muskel, sondern  nur  derStammuskeln  sind,  und  zwar  die  Zwischenrippenmuskeln 
der  oberen  wie  der  unteren  Hälfte  derselben,  die  übrigen  nur  der  unteren.  Der 
M.  quadratus  lumborum  ist  aber  ein  Extremitätenmuskel,  sowie  anderseits  der 
M.  sterno-cleido-mastoideus  genetisch  nicht  zum  Schultergürtel,  sondern  mit  dem 
M.obliquus  externus  zusammengehört.  Der  letztere  fehlt  aber  den  Fischen  nicht 
vollständig,  sondern  verliert  nur  frühzeitig  seine  Selbstständigkeit,  welche  von 
den   Amphibien  aufwärts  erhalten  bleibt.     Der  M.  obliquus  internus  ist  zu- 
sammen mit  dem  M.  rectus  abdominis  nur  ein  Gliederungsprodukt  einer  ein- 
heitlichen Anlage,    was  namentlich  deutlich  aus  dem  Vergleiche  der  Anuren 
und  Urodelen  hervorgeht;  und  diese  Anlage  oder  der  mittlere  Bauchmuskel  ist 
eben  der  eine  ursprüngliche  Bestandtheil  des  sogenannten  Seitenrumpfmuskels, 
zu   welchem  sich   die  Stammuskulatur  und  bei  den  Fischen  noch  der  äussere 
schräge  Bauchmuskel  gesellen.     Die  Enden  des  mittleren  Bauchmuskels  sind 
aber  nicht  am  Zungenbein  und  dem  Becken  zu  suchen,  sondern  am  Unterkiefer 
(M.  genio-hyoideus)  und  dem  Steissbein  oder  der  Schwanzwurzel  (Muskeln  des 
Beckenausgangs).  -  -  Sowie  die  Mm.  recti  und  obliqui  interni  abd.  scheinen  mir 
der  M.  transversus  und  der  Zwerchfellmuskel  der  Amnioten  zusammenzugehören; 
jedenfalls  fehlt  beiden  eine  besondere  morphologische  Grundlage  und  jede  Be- 
ziehung zu  den  Segmenten,  sodass  sie  viel  passender  mit  der  übrigen  Muskula- 
tur der  Seitenplatten,    nämlich  den  Eingeweidemuskeln  des  Herzens  und  des 
Darms  zusammengestellt  werden  können. 

Ausser  der  eben  kritisirten  und  bisher  allgemein  anerkannten  Auffassung 
des  Muskelsystems  des  Rumpfes  liegt  uns  eine  neueste  vergleichende  Darstellung 
desselben  von  Schneieer  vor  (Nr.  131).  Der  Seitenrumpfmuskel  der  Fische 
wird  bloss  den  Rückenmuskeln  der  übrigen  Wirbelthiere  verglichen;  und  indem 
Schneider  den  Begriff  des  Rumpfes  von  der  Anwesenheit  eines  M.  rectus  ab- 
dominis abhängig  zu  machen  scheint,  erklärt  er:  „Die Pisces bestehen  demnach 
nur  aus  Kopf  und  Schwanz."     Ich  brauche  aber  wohl  nicht  erst  auf  die  voll- 


VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes.  613 

ständige  Irrigkeit  jener  Deutung  der  Muskeln  wiederholt  hinzuweisen,  um  einen 
solchen  Ausspruch  als  völlig  unbegründeten  zu  bezeichnen.  Als  eine  Fortsetzung 
des  M.  rectus  sieht  Schneider  ebenso  wie  ich  es  bereits  in  meiner  vorläufigen 
Mittheilung  angab  (M.Schhltze's  Archiv  18  72),  auch  denM.  genio-hyoideus  an; 
der  M.  sterno-hyoideus  soll  eine  Fortsetzung  bald  der  Rückenmuskeln  (Hyodorsa- 
lis)  bald  der  Bauchmuskeln  (Hyöventralis)  sein.   Diese  Unterscheidung  ist  aber 
nicht  nur  grundfalsch,  indem  der  M.  sterno-hyoideus  stets  ein  Theil  des  freilich 
nicht  immer  kenntlich  bleibenden  mittlerenBauchmuskels  ist,  sondern  hebt  auch 
für  alle  Fälle,  wo  einHyodorsalis  neben  einemM.rectus  vorkommen  soll  (Amphibien, 
Reptilien),  den  genetischen  Zusammenhang  des  letzteren  mit  dem  genio  -  hyoi- 
deus  auf.  *  In  der  „äusseren  Querfaserschicht"  werden  der  M.  obliquus  externus, 
M.  mylo-hyoideus,  einige  Kiemen-  und  Halsmuskeln  ohne  Bedenken  zusammen- 
geworfen, und  ebenso  verfährt  Schneider  hinsichtlich  der  „inneren  Querfaser- 
schicht" ,  zu  welcher  einige  ungenannte  Muskeln  des  Kopfes  und  Halses ,   im 
Bauchtheile  aber  die  Mm.  obliquus  internus  und  transversus   abdominis  ge- 
rechnet werden.     Dass  die  letzteren  nichts  mit    einander  gemein  haben,   geht 
aus  meinen  Untersuchungen  hervor ,  ebenso  aber  auch ,    dass  weder  den  Am- 
phibien überhaupt  ein  M.  transversus  fehlt,  noch  den  Anuren  ein  M.  obliquus 
internus  zukommt,  wie  Schneider  meint.     Er  behauptet  auch  auf  Grund  von 
Untersuchungen  an  Froschlarven,    dass  mit  Ausnahme  des  M.  rectus  und  M. 
sterno-hyoideus  alle  an  die  Gliedergürtel  sich  ansetzenden  Muskeln  weder  vor 
denselben   bestanden,    noch   Theile  der   Rumpfniuskeln   („Stammesmuskeln" 
Schneider)  seien;  dies  ist  aber  für  den  M.  sterno  -  cleido-mastoideus  und  die 
Muskulatur  des  Beckenausgangs  falsch.     Kurz ,  ich  vermag  in  der  Schneider- 
schen  Auffassung  einen  Fortschritt  gegenüber  der  früheren  nicht  zu  erkennen. 
Ganz  neu  ist  aber  der  Anspruch,  auf  die  vergleichende  Anatomie  der  Muskeln  ein 
neues  System  der  Wirbelthiere  zu  begründen,   weil  diese  Organe  ebenso  frühe 
aufträten  als  andere  zur  Eintheilung  benutzte  Hauptorgane  und  ihren  ursprüng- 
lichen Charakter  behielten.     Aber  das  Centralnervenorgan  tritt  noch  früher 
auf  als  die  Muskeln ,  und  von  der  Beständigkeit  ihrer  ursprünglichen  Anlagen 
kann  man  eben  doch  nur  bei  einer  völligen  Vernachlässigung  ihrer  Entwicke- 
lungsgeschichte  reden;  man  findet  wohl  kein  zweites  Organsystem,  welches  durch 
fortschreitende  Gliederung,  Neu-  und  Rückbildung  sich  so  mannigfach  verändert 


*  Die  Verwechselung  gewisser  selbstständiger  Kiemenmuskeln  mit  abgelösten  Enden 
des  M.  sterno-hyoideus  a.  a.  0.  S.  7)  beruht  auf  einer  willkürlichen  Annahme. 


ßl4  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

wie  das  Muskelsystem.  Und  zwar  legt  Schneider  selbst  in  seinen  Bemerkungen 
über  die  Veränderung  der  Rückenmuskulatur  der  Anuren  (a.  a.  0.  S.  4.  5)  da- 
für Zeugniss  ab.  Nur  kann  ich  allerdings  diesen  seinen  Angaben  nicht  beistim- 
men. Dass  die  Rückenmuskulatur  der  Froschlarven  fischähnlich  sei ,  später 
aber  derjenigen  der  Amnioten  gleiche,  dürfte  nicht  neu  sein;  dass  aber  die  Lar- 
venmuskulatur und  die  epigonalen  Rückenmuskeln  zweierlei  nebeneinander 
entstehende,  getrennte  Bildungen  seien,  welche  demnach  in  dem  Verhältniss 
wie  die  Urnieren  und  die  bleibenden  Nieren  zu  einander  ständen,  ist  allerdings 
eine  neue,  aber  nach  meinen  Untersuchungen  irrige  Meinung.  Von  den  defini- 
tiven Rückenmuskeln  sollen  die  Mm.  intertransversarii  und  interspinales  wenig- 
stens gleichzeitig,  wahrscheinlich  aber  schon  vor  der  Bildung  der  vertebralen 
Knorpel  entstehen  und  von  den  Larvenmuskeln  durch  Lymphräume  getrennt 
sein,  „sodass  sie  bei  älteren  Larven  sich  leicht  von  einander  ablösen  lassen." 
Aber  auch  „innerhalb  der  Fascien  der  Larvenmuskeln "  und  zwar  an  deren 
medialen  Rändern  entständen  neue  Muskelfasern  als  Anlagen  des  M.  extensor 
dorsi  communis.  Nach  der  Metamorphose  lösten  sich  die  Larvenmuskeln,  deren 
Primitivfasern  durch  ihre  Dicke  sich  vor  den  neuen  auszeichnen,  vollständig  auf. 
„Keiner  von  den  übrigen  Muskeln  erleidet  eine  ähnliche  Metamorphose."  Das 
Thatsächliche  aller  dieser  Angaben  reducirt  sich  darauf ,  dass  die  bis  zu  ihrer 
Gliederung  während  und  nach  der  Metamorphose  stets  nur  zweitheilige  Stamni- 
muskulatur  der  Anuren  (Rana,  Hyla,  Bombinator,  vgl.  Taf.  XIX  Fig. 338.339) 
alsdann  ihre  einzelnen  Fasern  gegen  neue  austauscht,  indem  zwischen  den 
alten  neue  und  daher  dünnere  erscheinen  und  nach  der  Auflösung  der  ersteren 
au  ihre  Stelle  treten.  Diese  Neubildung  von  Muskelfasern,  welche  mir  zum 
Theil  wenigstens  von  den  Muskelkörperchen  auszugehen  scheint,  tritt  einmal 
unregelmässig  in  den  ursprünglichen  Muskelmassen  auf,  sodass  der  Querdurch- 
schnitt derselben  wegen  des  verschiedenen  Durchmessers  der  atrophischen  und 
neuen  Elemente  und  wegen  ihrer  verschiedenen  Tinktionsfähigkeit  unregel- 
mässig gefleckt  aussieht;  oder  die  neugebildeten  Fasern  sammeln  sich  am 
Rande  der  ursprünglichen  Muskelmassen  zu  gleichartigen  Gruppen  an  ,  welche 
aber  anfangs  von  jenen  nur  durch  die  kompakte  Anhäufung  der  neuen  Elemente 
gesondert  sind.  In  diesem  ganzen  Vorgange  sehe  ich  aber  nur  eine  ungewöhn- 
liche Steigerung  des  normalen  Ersatzes  verbrauchter  Gewebstheile  durch  neue, 
welche  durch  die  allgemeine  Metamorphose  herbeigeführt ,  den  neuen  Gewebs- 
theilen  auch  gleich  neue  Ansatzpunkte  in  den  vollendeten  Wirbelbögen  und 
Rippenfortsätzen  bietet.     Wenn  aber  dadurch  die  allmählich  neu  eingeführten 


VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes.  6X5 

Gewebstheile  zugleich  einer  reicheren  Gliederung  entgegengeführt  werden ,  als 
sie  bei  den  ursprünglichen  Stannnuskeln  möglich  war,  so  tritt  doch  diese  Um- 
bildung niemals  aus  dem  Rahmen  einer  Gliederung  des  Formgesetzes  innerhalb 
der   ursprünglichen   Muskelanlage   hervor.     Die  dabei  stattfindende  Gewebs- 
erneuerung ist  nur  am  Muskelgewebe  besonders  auffallend,  aber  durchaus  nicht 
auf  die  Rückenmuskulatur  beschränkt,  wie  Schneider  meint,  sondern  noch  in 
höherem  Masse  am  Kopfe  nachweisbar.     Wenn  man  die  nach  gleichem  Mass- 
stabe gezeichneten  Fig.  326  und  342  vergleicht,  so  wird  man  finden,  dass  der 
M.  temporalis  der  Larve  während  der  Metamorphose  nicht  nur  kürzer  wird, 
sondern  seinen  Ursprung  von  der  Hinterwand  der  Augenhöhle  auf  die  Schädel- 
decke verschiebt.  Diese  Veränderung  ist  ohne  eine  lebhafte  Gewebserneuerung 
unmöglich-,  doch  erkenne  ich  darin  nur  eine  Verwandlung  des  Schläfenmuskels 
aus   seinem   Larvenzustande  in  den  definitiven,   nicht  aber  den  Ersatz  eines 
Larvenmuskels  durch  eine  morphologische  Neubildung.     Dasselbe  gilt  für  die 
meisten  übrigen   Kopfmuskeln   und   die  definitiven   Rückenmuskeln;  ja   ich 
behaupte,    dass  die   auffallende   Umbildung   gewisser   Kopfskelettheile ,    des 
Darms  u.  s.  av.  während  der  Larvenmetanmrphose  dieselbe  Bedeutung  hat,  wie 
jene  Veränderung  der  Muskeln.  Die  schlagendste  Widerlegung  der  Schneider- 
schen  Auffassung  von  dem  thatsächlichen  Wechsel  der  Rückenmuskulatur  der 
Anuren  finde  ich  endlich  darin ,  dass  die  jungen  Larven  der  Salamandrinen  die 
gleichen  Erscheinungen  der  gruppenweisen  Neubildung  von  Muskelfasern  in 
ihren  Stammuskeln  darbieten,  obgleich  die  letzteren  fischälmlich  bleiben  und 
jene  Metamorphose  nicht  eingehen  sollen  (a.  a.  O.  S.  4). 

Hinsichtlich  der  Bildung  der  Gliedmassen  habe  ich  schon  Gelegenheit 
gehabt  zu  erläutern  (S.231.  236),  dass  v.  Baer  eigentlich  der  einzige  Embryolog 
ist,  welcher  sie  richtig  von  den  Segmenten  und  zwar  einer  äusseren  Fortsetzung 
derselben ,  also  der  äusseren  Segmentschicht  (äussere  Fleischschicht  v.  Baer) 
ableitete,  obgleich  die  weitere  Ausführung,  dass  dieses  röhrenförmige  Primitiv- 
organ in  seiner  Gesammtheit  durch  Zusammenziehung  sich  in  die  beiden  Glied- 
massengürtel  verwandle,  nicht  zutrifft.  Diese  Angaben  v.  Baer's  müssen  um 
so  beachtenswerther  erscheinen,  wenn  man  damit  die  Darstellung  von  der  Ent- 
wickelung  der  Gliedmassen  vergleicht ,  welche  neuerdings  His  geliefert  hat 
(Nr.  109  S.  153.  154),  und  welche  sich  darauf  beschränkt,  die  Ursachen  zu  be- 
zeichnen, welche  die  Lage  der  Extremitäten  bestimmen  sollen,  über  den  Ur- 
sprung ihres  Bildungsmaterials  aber  nichts  anzugeben  weiss.  Jene  Ursachen 
wären  nach  His  in  gewissen  am  Hühnerkeime  sichtbaren  Faltungen  zu  suchen ; 


Q[Q  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

es  wird  aber  dabei ,  wie  überhaupt  in  der  ganzen  von  His  aufgestellten  Falten- 
theorie, übersehen,  dass  den  Keimen  und  Embryonen  der  Anamnia  solche  Fal- 
tungenfehlen, und  überdies  sehe  ich  an  jungen  Kaninchenembryonen  die  Entwicke- 
lung  der  vorderen  Gliedmassen  an  einer  ebenen  Stelle  der  Leibeswand  ganz  ebenso 
verlaufen  wie  bei  den  Batrachiern.  Die  erste  Anlage  jenes  Schultergürtels  er- 
scheint als  ein  ausserordentlich  kleines  Hügelchen,  welches  unmittelbar  aus  der 
dort  leicht  kenntlichen  äusseren  Segmentschicht  (Muskelplatte  aut.)  nach  aus- 
sen hervorwächst  und  die  Oberhaut  in  der  entsprechenden  beschränkten  Aus- 
dehnung vorwölbt,  Bei  den  Knochenfischen  dagegen  entsteht  der  Schultergür- 
tel gleich  mit  sehr  breiter  Basis  aus  einer  Fortsetzung  der  äusseren  Segment- 
schicht. Es  passt  daher  die  Erklärung  von  His,  welche  selbst  für  die  Vögel  un- 
genügend begründet  erscheint,  für  die  übrigen  Wirbelthiere  ganz  entschieden 
nicht,  sodass  wir  uns  nach  anderen  allgemeinen  Ursachen  der  Gliedmassenbil- 
dung umzusehen  haben. 

Ich  habe  schon  in  der  Beschreibung  hervorgehoben  (S.  469) ,  dass  die 
Gliedmassen  nicht  als  allgemein  typische  Theile  gelten  können,  sondern  ledig- 
lich als  besondere  und  nachträgliche  Anpassungen  der  äusseren  Segmentschicht 
an  die  schon  bestehende  Organisation  des  Rumpfes  erscheinen.  Es  äussert  sich 
nämlich  in  der  Entwicklung  der  Gliedmassen  in  ganz  besonders  hohem  Grade 
die  Abhängigkeit  des  Einzeltheils  von  der  Gesammtentwickelung.  Ihre  mor- 
phologischen Grundlagen  sind  einzelne  Abschnitte  der  äusseren  Segmontschicht, 
Avelche  aber  für  sich  allein  keine  Andeutung  von  besonderen  jene  Neubildungen 
hervorrufenden  Formbedingungen  enthalten  und  in  gewissen  Abtheiluugen  der 
Wirbelthiere  trotz  eines  gleichen  allgemeinen  Entwickelungsganges  die  Extre- 
mitätengürtel bald  erhalten  bald  entbehren.  Es  müssen  also  deren  Bildungs- 
ursachen  nothwendig  unmittelbar  aus  allgemeinen  Formbedingungen  der  Ge 
sammtorganisation  zusammenfliessen.  Prüfen  wir  dieselbe  in  verwandten  Arten, 
von  denen  ein  Theil  Gliedmassen  besitzt,  ein  anderer  Theil  aber  nicht,  so  er- 
gibt sich  alsbald,  dass  die  wesentlichen  Unterschiede  nicht  in  besonderen  Ab- 
weichungen der  Bildungsgesetze,  sondern  in  gewissen  Massverhältnissen  be- 
ruhen. Je  allmählicher  der  Uebergang  in  der  Ausbildung  der  Segmente  vom 
Kopfe  bis  zum  Schwanzende  ist,  je  gleichmässiger  sich  also  auch  grössere 
Körperabschnitte  gestalten,  desto  weniger  Gelegenheit  rindet  sich,  den  Zufluss 
an  Bildungsmaterial  an  einzelneu  Stellen  zu  koncentriren ;  jene  Bedingungen 
finden  aber  ihren  Ausdruck  theils  in  einem  langgestreckten  Rumpfe,  theils  in 
einem  stark  entwickelten,  vom  Rumpfe  nicht  merklich  abgesetzten  Schwänze, 


VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes.  617 

sodass  wir  in  einer  solchen  gleichmässigen  Vertheilung  der  Körpermasse  oder 
in  der  embryonalen  Disposition  dazu  den  Grund  für  eine  unvollkommene  Aus- 
bildung der  Gliedmassen  oder  einen  vollständigen  Mangel  derselben  erkennen 
dürfen,  während  ihre  kräftige  Entwicklung  mit  einer  ausgeprägten  Sonderung 
der  Körperabschnitte  zusammenfällt.  Da  nun  diese  Massenverhältnisse  selbst 
in  engeren  Kreisen  der  Wirbelthiore  nicht  unbedeutend  wechseln,  habe  ich  auf 
eine  umfassende  Entwicklungsgeschichte  der  Gliedmassen  verzichtet,  und 
selbst  ihre  demRunipfe  unmittelbar  angelagerten  Theile nur  bei  den  Batrachiern 
in  ihrer  Entstehung  verfolgt.  Es  kann  hier  folglich  von  einer  vergleichenden 
Betrachtung  der  Extremitäten  nicht  die  Rede  sein,  und  beschränke  ich  mich 
lediglich  auf  einzelne  Bemerkungen.  —  An  dem  ventralen  Skelettheile  des 
Schultergürtels  der  Anuren  habe  ich  nach  dem  Vorgange  älterer  Autoren  den 
vorderen  Ast  des  Knorpelrahmens  als  Clavicula  und  das  ihm  angefügte  Knochen- 
stück als  seinen  Deckknochen  bezeichnet.  Gegenbaur  (Nr.  132  S.  52  u.  flg.) 
sieht  aber  nur  in  letzterem  die  eigentliche  Clavicula ,  in  dem  anderen  Stücke 
aber  ein  Procoracoideum.  Die  Gründe,  welche  Gegenbaur  zu  Gunsten  seiner 
Deutung  anführt,  halte  ich  nicht  für  entscheidend,  muss  aber  auf  eine  ein- 
gehende Kritik  verzichten,  da  mir  genügende  vergleichende  Beobachtungen  über 
die  Entwicklung  der  entsprechenden  Theile  anderer  Wirbelthiere  fehlen.* 
Dagegen  gestattet  die  Entwicklungsgeschichte  des  Schultergürtels  der  Anuren 
eine  nähere  Bestimmung  des  Brustbeins  und  seiner  Theile.  Zunächst  versteht 
man  darunter  das  Skeletstück  der  Amnioten,  welches  aus  einer  Vereinigung  der 
beiderseits  die  Rippenenden  verbindenden  Knorpelstreifen  hervorgeht;  und  als- 
dann besitzen  die  Amphibien  kein  Brustbein.  Wenn  Gegenbaur  das  Hypo- 
sternum  der  Batrachier  einfach  für  ein  Brustbein  erklärt,  welches  seine  Beziehun- 
gen zu  den  rückgebildeten  Rippen  verloren  habe  (Nr.  89  S.  G23.  626,  Nr.  132 
S.  64) ,  so  erhellt  die  Hinfälligkeit  dieses  Vergleichs  aus  der  Entwickelungs- 
geschichte.     Denn  das  Hyposternum  ist  ein  Erzeugniss  der  äusseren  Segment- 


*  Wenn  übrigens  Gegenbaur  selbst  für  die  Schildkröten  die  Möglichkeit  zugibt ,  dass 
die  Clavicula  in  das  Procoracoideum  aufgenommen  sei,  so  könnte  eine  solche  Vereinigung 
in  dem  Schlüsselbeine  der  Sauger  ebenfalls  bestehen ,  dieses  also  der  Clavicula  und  dem 
Procoracoideum,  wo  sie  getrennt  vorkommen ,  entsprechen  (vgl.  S.  471).  Denn  dass  das 
letztgenannte  Stück  nicht  bloss  in  medialer  Verbindung  mit  dem  Coracoideum,  sondern  auch 
mit  freiem  Ende  vorkommen  kann,  beweisen  die  Urodelen  (vgl.  Nr.  132  Taf.  III);  ich  selbst 
habe  bei  Menopoma  auf  einer  Seite  die  beiden  Knorpelstücke  verbunden ,  auf  der  anderen 
getrennt  gefunden. 


ß!8  VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes. 

schickt  dicht  hinter  der  Mitte  des  Schultergürtels,  welches  daher  zu  den  aus  den 
Wirbeln  hervorwachsenden  und  im  Rückentheile  bleibenden  Rippen  in  gar 
keiner  genetischen  Beziehung  stehen,  noch  einst  gestanden  haben  kann.  Es  ist 
eine  selbstständige  Bildung,  welche  nach  ihrem  Ursprünge  dem  Schultergürtel 
näher  verwandt  ist  als  einem  kostalen  Brustbeine.  Uebrigens  ist  die  Verbin- 
dung dieses  Skelettheils  mit  einer  Bauchrippe  bei  der  Unke  bisher  unbekannt 
geblieben  (vgl.  Nr.  132  S.  65).  Den  Anfang  einer  Brustbeinbildung  erkenne 
ich  dagegen  in  der  Verbreiterung  der  vorderen  Rippenenden  bei  Anuren  und 
Salamandra,  welche  Enden  dadurch  beinahe  bis  zur  Berührung  sich  einander 
nähern  können.  Und  wenn  man  die  homologen  Stücke  aus  der  Beckengegend 
thatsüchlieh  mit  ihren  Enden  verschmelzen  sieht  (vgl.  Tu  f.  XIX  Fig.  346),  so 
hat  man  in  dem  zusammenhängenden  Seitenrande  des  Kreuzbeins  auch  der 
höheren  Wirbelthiere  ein  Homologon  einer  Brustbeinhälfte  anzuerkennen.  An- 
derseits finde  ich 'an  Maulwurfembryonen,  dass  ihr  Manubrium  aus  der  Ver- 
wachsung der  vertebralen  Enden  der  Schlüsselbeine  gerade  so  entsteht  wie  das 
unpaare  mediane  Knorpelstück  aus  den  von  mir  so  genannten  „Sternalplatten" 
<lcs  Frosches-,  sodass  man  eine  solche  Abgliederung  des  Schultergürtels  als 
klavikulares  oder  korakoidales  Brustbein  von  dem  eigentlichen  kostalen  unter- 
scheiden muss.  Da  das  embryonale  Manubrium  des  Maulwurfs  sehr  bald  aus 
einem  Hauptstücke ,  welches  Spuren  einer  medianen  Theilung  zeigt,  und  zwei 
getrennten  vorderen  Seitenstücken  besteht ,  so  dürfte  darin  die  Uebereinstini- 
mung  mit  den  Bildungen  nicht  zu  verkennen  sein,  welche  Gegenbaue  als  Epi- 
sternalknochen  der  mit  einem  Schlüsselbeine  versehenen  Säuger  besonders  auf- 
führt (vgl.  Nr.  132  Taf.  II  Fig.  6—9,  Nr.  89  S.  628).  Die  Episterna  der  Am- 
phibien und  Reptilien  sind  dagegen  selbstständige  Anhangsgebilde  des  Schulter- 
gürtels oder  Brustbeins,  welche  wegen  des  gleichen  Ursprungs  aus  der  äusseren 
Segmentschicht  mit  dem  Hyposternum  verglichen  werden  können.  Nach  der 
Bestimmung  des  letzteren  bietet  die  Annahme,  dass  der  Schwert fortsatz  der 
Sänger  die  gleiche  Entstellung  habe,  keine  Schwierigkeiten.  —  Das  Ergebniss 
dieser  Vergleiche  ist  folgendes.  Unter  der  Bezeichnung  „Brustbein"  werden 
zweierlei  nach  ihrem  Ursprünge  aus  den  Embryonalanlagen  verschiedene 
Bildungen  zusammengefasst:  einmal  die  Abglicderungsprodukte  der  Rippen 
—  kostales  Brustbein,  Brustbeinkörper;  ferner  Abglicderungsprodukte  des 
Schultergürtels  —  klavikulares  oder  korakoidales  Brustbein.  Dazu  kommen 
vordere  und  hintere  Anhangsgebilde,  welche  der  äusseren  Segmentschicht 
angehören   —   Epi-,    Hyposternum.       Diese    Skeletstücke    können   sich   in 


VIII.    Die  Segmente  des  Rumpfes.  619 

verschiedener  Weise  zusammenfinden  und  miteinander  verbinden,  durch  Ge- 
lenke, Näthe  oder  völlige  Verschmelzung.  1.  Die  Säuger  besitzen  ein  klaviku- 
lares  Brustbein  (Manubrium  mit  den  Episterna  Gegenbaue's  ) ,  ein  kostales 
Brustbein  ( Brustbeinkörper )  und  ein  Hyposternum  (Schwertfortsatz)-,  einigen 
Säugern,  welchen  Schlüsselbeine  fehlen,  mag  auch  ein  selbstständig  angelegtes 
Episternum  zukommen.  2.  Bei  den  Reptilien  ist  das  letztere  unzweifelhaft 
vorhanden,  und  da  das  Brustbein  des  Chamaelcons  und  der  Krokodile  indem 
vordersten  grossen,  mit  dem  Schultergürtel  verbundenen  Stücke  nach  meiner 
Ansicht  unzweifelhaft  ein  Homologon  des  Manubriums  enthält,  so  sind  die  bei- 
den Formen  des  Brustbeins  in  dieser  Klasse  vertreten.  3.  Für  die  Vögel  bleibt 
es  noch  der  weiteren  Untersuchung  zur  Entscheidung  überlassen ,  ob  ihr  Ster- 
niim  bloss  ein  kostales  ist  oder  noch  andere  Theile  aufgenommen  hat.  4.  Die 
Amphibien  besitzen  meist  nur  die  endständigen  Anhangsgebilde,  Epi-  und 
Hyposternum,  welche  mit  den  unveränderten  Schultergürtelhälften  verbunden 
sind ;  nur  bei  den  Fröschen  hat  sich  ein  Homologon  eines  Manubriums  von  dem 
Schultergürtel  abgegliedert,  welches  daher  auf  den  Namen  eines  Brustbeins  am 
meisten  Anspruch  hat. 

Die  topographische  Anordnung  Und  Umbildung  der  segmentalen  Rumpf- 
nerven, wie  ich  sie  für  die  Anuren  nachwies  (S.  485 — 490),  halte  ich  für  ge- 
eignet, der  Deutung  derselben  Körpertheile  in  anderen  Wirbelthieren ,  wo  sie 
namentlich  im  Bereiche  der  Gliedergürtel  nicht  ohne  weiteres  in  die  Augen 
springt,  zu  Grunde  gelegt  zu  werden ;  doch  fehlen  mir  die  direkten  bezüglichen 
Untersuchungen.  Die  ohne  jeden  Nachweis  hingestellte  Bemerkung  von  His, 
(lass  die  motorischen  Wurzeln  der  Spinalnerven  des  Hühnchens,  „wie  kaum  zu 
bezweifeln  ist",  aus  dem  Rückenmarke  in  die  Muskeln  hineinwüchsen  (Nr.  109 
S.  107.  1(39),  scheint  mir  nicht  geeignet,  die  vorläufige  Annahme  einer  Ueber- 
einstimmung  aller  Wirbelthiere  in  Bezug  auf  die  Entwicklung  der  Spinalnerven 
zu  stören. 


IX.  Der  Kopf. 


Da  dieser  Abschnitt  sich  mit  der  weiteren  und  zwar  vorherrschend  mit 
der  topographischen  Umbildung  der  bereits  besprochenen  fundamentalen  An- 
lagen des  Kopfes  beschäftigen  soll ,  über  diese  Entwickelung  der  Batrachier- 
larven  bisher  aber  meist  nur  ganz  vereinzelte,  zusammenhangslose  Angaben  be- 
standen, so  sehe  ich  keinen Vortheil  darin  sie  voranzustellen,  und  werde  sie  daher 
erst  in  den  vorgleichenden  Betrachtungen  zur  Sprache  bringen.  Die  allgemeine 
Histiogenese  wird  nach  ihrer  ausführlichen  Erörterung  im  vorigen  Abschnitte 
natürlich  nicht  wiederholt  werden. 


Nach  dem  Bilde  von  der  Zusammensetzung  des  embryonalen  Kopfes, 
welches  ich  bei  der  Besprechung  der  Leistungen  des  mittleren  Keimblattes  ent- 
warf, werden  die  einzelnen  Regionen,  in  welche  sich  derselbe  natürlich  gliedert, 
nach  den  verschiedenen  Segmenten  bestimmt ,  denen  die  Anlagen  der  übrigen 
Keimblätter  je  nach  ihren  Beziehungen  zugetheilt  werden  müssen.  So  bezeich- 
nen also  einerseits  die  inneren  Segmente  den  Stammtheil,  welcher  als  eine  Fort- 
setzung des  gleichnamigen  Theiles  im  Rumpfe  erscheint,  die  äusseren  Segmente 
aber  die  Seitentheile  des  Kopfes,  während  anderseits  das  erste  Doppelpaar  der 
Segmente  den  Vorderkopf  vom  Hinterkopfe  abscheidet  (vgl.  S.  216  u.  flg.). 

1.  Der  Vorderkopf. 

In  der  ersten  Embryonalzeit,  wann  die  Entscheidung  schwankt ,  ob  mau 
es  mit  einem  etwas  differenzirten   Eie   oder  schon  mit  einem  noch  kugeligen 


1.   Der  Vorderkopf.  621 

Embryo  zu  thun  habe,   ist  der  ganze  spätere  Kopf  in  einem  kreisrunden  Seg- 
mente der  Keimblase  enthalten,  welche  Form,  wie  es  scheint,  in  dorn  Keime 
aller  Wirbelthiere  sich  wiederfindet,  aber  auffallender  Weise  oft  auf  das  Hirn 
allein  bezogen  wird.  Etwas  später,  wann  der  ganze  Embryo  länglich  geworden, 
und  die  dem  zweiten  Kopfsegmentpaare  entsprechende  Zone  bereits  als  der  vor- 
dere Rand  des  cylindrischen  Körpers  angesehen  werden  kann,  bildet  der  Vorder- 
kopf in  Gestalt  einer  dicken  Platte  den  vorderen  Schluss  des  Cylinders".     Ihre 
hintere  Fläche   steht  alsdann  ziemlich  senkrecht,   entspricht  im  Rückentheile 
genau  der  Grenze  zwischen  Mittel-  und  Hinterhirn  und  der  Chordaspitze,  wird 
darunter  zur  Vorderwand  des  Kopfdarmes,  welcher  zur  Zeit  erst  die  Schlund- 
höhle  enthält,  und  endet  ohngefähr  an  der  Stelle  der  Bauchfläche  des  Kopfes, 
wo  die  epidermoidalen  Haftorgane  später  in  der  Medianebene  zusammenstossen 
{Taf.  II  Fig.  37.  38,  Taf.  IV  Fig.  70—79,  Taf.  X  VI  Fig.  286—  287).     Die 
Vorderfläche  des   Kopfes   fällt  anfangs   schräg   nach   hinten  ab,    indem  der 
Kiefertheil  unter  dem  vorragenden  Vorderhirne  ohne  Abgrenzung  in  die  Bauch- 
fläche  des  Rumpfes  übergeht.     AeusserMch  markirt  sich  die  hintere  Grenze  des 
Vorderkopfes  oben  durch  eine  Einsenkung  zwischen  den  genannten  Hirntheilen, 
seitlich  durch  die  seichte  Furche,   welche  die  Anlage  der  ersten  Schlundspalte 
bezeichnet  {Taf.  III Fig.  50.  51).     Dadurch,   dass  die  lateralen  Stücke  des 
ersten  Segmentpaares  vom  Rückentheile  in  den  Bauch  -   oder  Kiefertheil  des 
Vorderkopfes  hinabwachsen,  wird  die  Plattenform  desselben  in  derschon  be- 
schriebenen Weise   verändert.     Indem  zwischen  dem  Stammtheile   und   dem 
Unterkieferbogen  die  Oberkieferwülste  und  die  mittlem  Gesichtstheile  sich  ent- 
wickeln, wird  der  erstere  gehoben  und  seine  senkrechte  hintere  Wand  zur  flachen 
Mundhöhlendecke  umgewandelt,  zwischen  den  auseinander  tretenden  Kiefer- 
wülsten aber  aussen  die  Mundbucht,  nach  innen  die  Mundhöhle  angelegt  {Taf. 
III,  XIV,  XVI,  XVII).     Da  aber  in  der  Bildung  der  Oberkieferwülste  die 
beiderlei  Segmente  konkurriren ,  sodass  ihre  Beschreibung  daselbst  nicht  wohl 
getrennt  werden  kann,  so  werde  ich  die  zuerst  angedeutete  einfache  Eintheilung 
des  Vorderkopfes  in  einen  Stammtheil  und  Seitentheil  dahin  abändern,  dass 
ich  die  erstere  Bezeichnung  auf  die  nächste  Umgebung  der  vorderen  Hirnhälfte 
beschränke  und  die  aus  ihm  hervorwachsenden  Gesichtstheile  mit  dem  Unter- 
kieferbogen zusammen  bespreche. 


I 
I 


022  IX-  Dcr  Kopf. 

Der  Stammtheil  des  Vorderkopfes. 

Da  ich  die  Entwicklung  des  Hirnes  und  des  Auges  bereits  abgehandelt  habe, 
so  sind  für  den  »Stammtheil  des  Vorderkopfes  nur  noch  die  Umbildung  des  inneren 
Segmentpaares  und  die  zwischen  seinen  Erzeugnissen  und  jenen  Theilen  sich  all- 
mählich entwickelnden  Lagebeziehungen  zu  betrachten.  Ich  knüpfe  dazu  an  die 
frühere,  Beschreibung  der  morphologischen  Anlagen  des  Vorderkopfes  an  (vgl. 
S.225  u.flg.).  Anfangs  nimmt  die  vordere  Hirnhälfte,  welche  an  ihrem  Ende  jeder- 
seits  zur  Anlage  einer  Augenblase  ausgebuchtet  ist,  noch  den  bei  weitem  gross 
ten  Tlieil  jener  Kopfregion  ein,  und  die  Oberbaut  liegt  ihr  vorn,  oben  und  theil- 
weise  an  den  Seiten  eng  an,  sodass  sie  erst  im  hinteren  und  unteren  Umfange 
der  Augenanlage  an  die  Segmente  stösst,  welche  die  ganze  hintere  Hälfte  des 
Vorderhirns  von  innen  nach  aussen  und  vorn  umgreifen  (Taf.  VI  Fig.  89— 107). 
Das  äussere  Segment  bedeckt  dabei  die  hintere  Aussenseite  der  Augenanlage, 
krümmt  sich  darauf  an.  ihrer  Unterseite  bis  unter  das  Vorderhirn,  um  dort  als 
kompakte  Masse  die  entsprechende  Hälfte  des  Kiefertheils  auszufüllen  (Taf.  VI 
Fig.  Jos.  W9,  Taf.  XVI  Fig.  286.  287).  Die  Masse  des  Stammsegments  liegt 
Dach  innen  vom  äusseren,  umgreift  von  der  Chordaspitze  aus  die  Basis  des 
Vorderhirns,  um  dann  rechtwinkelig  zu  dessen  Axe,  also  ziemlich  horizontal 
nach  vorn  seine  Seitentheile  zu  umwachsen.  Die  Gleichmässigkeit  dieses 
Wacbsthums  wird  aber  zunächst  durch  die  weite  Verbindung  zwischen  Augen- 
anlage  und  Vorderhirn  oder  die  verhältnissmässig  noch  kolossale  Sehnervenanlage 
gehindert,  welche  daher  das  Segment  in  einen  oberen  und  einen  unteren  Zipfel 
auslaufen  lässt  und  ihm  eine  sichelförmige  Gestalt  verleiht.  In  dem  Masse  aber, 
als  sich  die  Sehnervenanlage  zu  einem  dünnen  Strange  abwärts  zusammenzieht, 
füllt  der  obere  Zipfel  des  Stammsegments  die  dadurch  entstehende  Spalte 
zwischen  Augenblase  und  Hirn  aus  und  fliesst  vor  dem  Sehnerven  mit  dem  un- 
teren Zipfel  zusammen,  sodass  alsdann  das  ganze  Stammsegment  wieder  eine 
einheitliche  nur  von  jenem  Nerven  durchbohrte  Platte  darstellt,  Indem  die 
beiderseitigen  Platten  von  ihrem  geineinsamen  Ausgangspunkte  an  der  Chorda- 
spitze längs  der  Schlussseite  des  Vorderhirns  durch  die  weite  mediane  Lücke 
des  mittleren  Keimblattes  geschieden  sind,  aber  bei  ihrem  Wachsthume  nach 
vorn  hinaus  am  Gewölbetheile  des  Vorderhirns  zur  Vereinigung  kommen,  bilden 
sie  wie  alle  übrigen  Stammsegmente  einen  rechtwinkelig  zur  Axe  des  eingeschlos- 
senen Abschnittes  vom  Gentralnervenorgane  gerichteten  Ring, welcher  aber  wegen 
der  Abbiegung  des  ganzen  Vorderkopfes  nicht  zugleich  senkrecht  zur  übrigen 


1.  Der  Vorderkopf.  623 

Körperaxe,  sondern  ihr  parallel  oder  horizontal  liegt.  Diese  horizontale  Ring- 
form  kommt  jedoch  desshalb  nicht  zu  deutlicher  Anschauung,  weil  die  beiden 
ersten  Segmente  bei  ihrem  Wachsthum  sich  auf-  und  rückwärts  bis  zum  zweiten 
senkrecht  stehenden  Segmentpaare  ausdehnen,  ähnlich  wie  die  Seiten  der  recht- 
winkelig hinuntergebogenen  vorderen  Hirnhälfte  von  ihrer  kurzen  Basis  bis  zur 
Schlusslinie  der  konvexen  Decke  merklich  an  Ausdehnung  gewinnen.  Diese 
Umbildung  des  ersten  Stammsegmentpaares  erfolgt  aber  nicht  so  einfach  und 
so  rasch,,  als  die  eben  gegebene  Darstellung  andeuten  dürfte,  welche  nur  den 
Zweck  hat,  über  die  wesentlichen,  bleibenden  Lagebeziehungen  jener  Theile  zu 
orientiren.     Der  Gang  der  Entwicklung  ist  vielmehr  folgender. 

Sowie  das  Hirn  anfangs  überhaupt  alle  Umbildungen  der  anliegenden  Seg- 
menttheile  beherrscht,  so  ist  auch,  solange  an  seiner  vorderen  Hälfte  die  Breiten- 
dimension überwiegt,  die  Masse  des  ersten  Stammsegments  in  dem  engen  Räume 
über  und  hinter  der  Augenanlage  zu  der  erwähnten  kompakten,  sichelförmigen 
Anlage  zusammengedrängt  (Taf.  VI,  XVI).  Sobald  jedoch  das  Vorder-  und 
das  Mittelhirn  auf  Kosten  ihrer  Breite  sich  nach  vorn  und  oben  hervorzuwölben 
beginnen,  verengt  sich  auch  der  den  Segmenten  zugewiesene  Raum  in  querer 
Richtung,  um  in  der  allgemeinen  Längsrichtung  und  in  die  Höhe  zu  wachsen. 
Zugleich  legt  sich  die  stärker  hervortretende  Augenblase  mit  breiterer  Fläche 
der  Oberhaut  an  und  drängt  dadurch  das  äussere  Segment  vollständig  an  ihren 
hinteren  Umfang,  was  natürlich  wiederum  das  Stammsegment  in  derselben 
Richtung  beeinträchtigt  (Taf.  VII  Fig.  121—123).  Dafür  erhalten  die  oberen 
Theile  beider  Segmente  einen  freieren  Spielraum  in  der  geräumigen  Bucht, 
welche  an  dem  bogenförmigen  Uebcrgange  aus  dem  Hinterhirn  in  die  vordere 
Hirnhälfte  unter  dem  sich  erweiternden  Gewölbe,  zwischen  der  verschmälerten 
Basalhalfte  der  Hirnröhre  und  der  Oberhaut  entsteht.  In  Folge  dessen  rücken 
nun  die  oberen  Wurzeltheile  beider  Segmente  auf-  und  rückwärts  über  die 
Grenze  des  Vorderkopfes  etwas  hinaus  und  kommen  an  den  vorderen  Abschnitt 
des  Hinterhirns  zu  liegen,  mit  dem  ihre  Erzeugnisse  später  in  Verbindung  zu 
treten  haben ,  obgleich  sie  nach  ihrer  ursprünglichen  Lage  zur  vorderen  Hirn- 
hälfte gehören  (Taf.  VII  Fig.  121.  129.  130,  Taf  XIV  Fig.  246,  Taf.  XVI 
Fig.  286 — -280).  Es  sondert  sich  nämlich  schon  sehr  frühe  und  noch  bevor 
dasselbe  im  Rumpfe  geschieht,  in  jenen  beiden  Thcilen  je  eine  kompakte  spindel- 
förmige Anlage  eines  Nervenknotens  ab,  welche  beide  mit  ihren  hinteren  oberen 
Enden  zusammenstossen  und  später  zum  Ganglion  G a s  s  e r  i  verschmelzen, 
nach  vorn  aber  divergireu ,  sodass  die  Fortsetzung  des  äusseren  schräg  zum 


ß24  IX-  Der  Kopf. 

Unterkieferbogen  hinabzieht,  die  des  inneren  nurwenig  gegen  die  Spalte  zwischen 
Auge  und  Vorderhirn  neigt,  im  wesentlichen  jedoch  einen  horizontalen  Verlauf 
nimmt  {Taf.  XVI).     Die  übrige  Zellenmasse  jener  Wurzeltheile  beider  Seg- 
mente, in  welche  die  Doppelanlage  des  GASSER'schen  Nervenknotens  eingebettet 
ist,  verwandelt  sich  in  interstitielles  Bildungsgewebe  und  überzieht  als  solches 
sowohl  das  Mittelhirn,  wie  den  Basaltheil  des  Vorderhirns,  an  welchem  es  die 
Spitze  der  Wirbelsaite  einfasst,  um  sowohl  zur  Keimstätte  für  die  Wurzeln  des 
ersten  Wirbelbogenpaars  zu  werden ,  als  auch  von  dort  aus  in  die  davor  und 
darüber  entstehende  Tasche  zwischen  dem  platten  Hirntrichter  und  der  Hinter- 
hirnbasis wuchernd,  die  bindegewebige  quere  Leiste  zu  bilden ,    welche  man 
seit  Rathke  den  mittleren  Schädelbalken  zunennen  pflegt  {Taf.  XV  Fig.  283. 
284,  Taf.  XVI).  —  Die  Formbedingungen,  in  Folge  deren  das  erste  Stamm 
segment  anfangs  zurückgedrängt  wurde,  bleiben  jedoch  nicht  lange  bestehen, 
indem  durch  die  allmähliche  Ausdehnung  der  Oberhaut  die  Zwischenräume 
zwischen  ihr  und  dem  Hirne  zunehmen  und  dadurch  die  Ausbreitung  des  Stamm- 
segments gerade  nach  vorn  ermöglichen.    Sein  oberer  Zipfel  wächst  einmal  an 
der  Seite  des  Vorderhirns  in  die  Höhe,  um  an  dessen  Decke  eine  Fortsetzung 
der  Membrana  reuniens  superior  zu  Stande  zu  bringen,  anderseits  aber  wie  er- 
wähnt in  den  spaltförmigen  Raum  zwischen  dem  Augapfel  und  dem  Hirne  hin- 
ein {Taf.  VII).   Dieser  Kaum  war  vorn  zuerst  dadurch  abgeschlossen,  dass  die 
dicke  Geruchsplatte  die  anfangs  flache  Einsenkung  zwischen  dem  Vorderhirn 
und  der  Augenblase  vollständig  ausfüllte.    Sobald  diese  Einsenkung  sich  spalt- 
förmig  vertieft,  dringen  die  Elemente  des  genannten  Segmenttheils  in  derselben 
vorwärts  und  verbinden  sich  an  der  Vorderfläche  der  Sehnervenanlage  mit  der 
unteren  Segmenthälfte,  welche  vom  Wurzeltheile  aus  an  der  unteren  Fläche 
des  Auges,  zwischen  diesem  und  dem  sehr  deutlich  begrenzton  äusseren   Seg- 
mente ebenfalls  bis  an  die  Geruchsplatte  sich  erstreckt  {Taf.  XIII ,  Taf.  XVI 
Fig.  294:-  297).     Nachdem   auf  diese  Weise  das   Stammsegment  wieder  zu 
einer  Platte  geworden,  deren  Kontinuität  durch  die  nunmehr  unwesentliche  Lücke 
für  den  Durchtritt  des  Sehnerven  nicht  mehr  beeinträchtigt  wird,  wächst  sie, 
wieich  schon  auseinandergesetzt  habe,  im  allgemeinen  gerade  vorwärts  und  bildet, 
wo  sie  über  die  nächste  Umgebung  des  Hirnes  hinausgeht,  unter  Mitbetheiligung 
des  äusseren  Segments  die  entsprechende  Hälfte  der   subcpidermoidalen  Gc- 
sichtsthcile.     Soweit  aber  jene  Platte  im  nächsten  Bereiche  des  Centralnerven- 
systems  bleibt  und  den  dorsalen  Abschnitten  der  übrigen  Stammsegmente  ent- 
spricht, bildet  sie  den  hier  zunächst  in  Betracht  kommenden  Stamm- oder  Hirn- 


1.  Der  Vorderkopf.  625 

theil  des  Vorderkopfes.  Ausser  in  der  genannten  vorherrschenden  Wachsthums- 
richtung  breitet  sie  sich  in  dünner  Schicht  nach  allen  Seiten  aus  und  stösst  da- 
her mit  der  anderseitigen  Platte  in  der  Medianebene  und  zwar  nicht  nur  an  der 
ursprünglichen  Grundfläche  und  der  Decke,  sondern  zuletzt  auch  an  der 
Schlussseite  des  Vorderhirns  zusammen  (S.  367).  So  verwandelt  sich  der  hori- 
zontal liegende  erste  Segmentring  in  eine  die  ganze  vordere  Hirnhälfte  ein- 
schliessende  Kapsel,  welche  aber  mit  einer  vorläufigen  Schädelkapsel  ebenso- 
wenig identificirt  werden  darf  als  ein  Paar  Rückensegmente  mit  einem  Wirbel. 
Denn  in  jener  kapseiförmigen  Verbindung  der  beiden  ersten  Stammsegmente 
sind  ganz  dieselben  Anlagen  enthalten  wie  in  jedem  andern  Stammsegmente, 
deren  Erkenntniss  nur  durch  die  abweichenden  Lage  Verhältnisse  der  Einzel- 
theile  des  Vorderkopfes  erschwert  wird.  Die  Anlage  des  zugehörigen  Ganglions, 
nämlich  der  inneren  Portion  des  GASSEß'schen  Nervenknotens  habe  ich  schon 
beschrieben.  Da  das  erste  Stammsegment  keine  ventrale  Ausdehnung  gleich 
der  inneren  Segmentschicht  des  Rumpfes  erfährt,  sondern  auf  den  Rückentheil 
beschränkt  bleibt,  so  ist  es  natürlich,  dass  von  jenem  Ganglion  aus  sich  nur 
nach  einer  Richtung  hin  ein  Nervenstamm  fortsetzt ;  und  zwar  bringt  es  die 
abweichende  Richtung  der  Axe  des  ganzen  Vorderkopfes  mit  sich ,  dass  sein 
Stammnerv,  indem  er  wie  alle  Spinalnerven  jene  Axe  rechtwinkelig  kreuzt,  mit 
Rücksicht  auf  die  natürliche  Lage  des  ganzen  Körpers  horizontal  verläuft  (Taf. 
XVI).  Wenn  die  Muskelanlage  des  ersten  Stammsegments  in  ihrer  Lage  und 
Anordnung  ebenso  wie  der  zugehörige  Stammnerv  mit  den  homologen  Theilen 
des  Rumpfes  übereinstimmen  sollte ,  so  müsste  sie  parallel  zur  Medianebene 
liegen  und  müssten  ihre  Fasern  der  Axe  des  Vorderkopfes  parallel,  d.  h.  senk- 
recht verlaufen.  Im  grossen  und  ganzen  ist  auch  eine  solche  Anordnung  nicht 
zu  verkennen ,  doch  tritt  der  Einfluss  des  Auges  auf  die  Umbildung  des  ersten 
Stammsegments  bei  den  Muskeln  desselben  früher  und  stärker  hervor  als  beim 
Nervenstamme.  Die  Muskulatur  entsteht  nämlich  aus  jenen  Theilen  des  Stamm- 
segments, welche  der  Innenseite  des  primitiven  Augapfels  anliegen  und  von 
dort  aus  ihn  in  seinem  ganzen  Umfange  lateralwärts  umwuchern  (Taf.  XIII, 
XIV,  XV Fig.  269.  270).  Daher  wird  die  genannte  Muskelanlage,  welche 
übrigens  nur  bis  zum  grössten  sagittalen  Durchschnitte  des  Auges  vordringt, 
zu  einer  nach  aussen  konkaven  Form  gezwungen  und  kann,  da  das  Auge  hinten 
und  unten  von  der  kompakten  Masse  des  äusseren  Segments  ( Kaumuskeln, 
Flügelgaumenbogen)  umkreist  wird  und  vorn  beinahe  an  die  Nasengrube  stösst, 
im  allgemeinen  nur  eine  geringe  Mächtigkeit  besitzen,  welche  natürlich  dadurch 

Goette,   Eutwickelungsgeschichte.  40 


626  IX.   Der  Kopf. 

nicht  verändert  werden  kann ,  dass  um  die  vollendete  zusammenhängende  An- 
lage nachträglich  weite,  von  Bildungsgewebe  erfüllte  Räume  sich  entwickeln 
(Taf.  XVI).  Gehen  wir  nun  auf  die  topographischen  Verhältnisse  des  den 
Augapfel  umgebenden  primitiven  Orbitalraumes  näher  ein,  so  finden  wir,  dass 
die  stärkste  mediale  Vorwölbung  des  Augapfels  gegen  das  Vorderhirn  die  Mäch- 
tigkeit der  zwischenliegenden  Segmenttheile  am  meisten  beeinträchtigt,  sodass 
in  der  Mitte  der  dem  Auge  angepassten  schalenförmigen  Vertiefung  die  Muskel- 
anlage sich  überhaupt  nicht  entwickelt,  vielmehr  eine  sphärisch  gekrümmte 
Zone  darstellt,  die  Anlage  der  gesammten  Augen  muskula tu r  ,  welche  diese 
ihre  ursprüngliche  Form  auch  im  vollendeten  Zustande  im  allgemeinen  bei- 
behält, indem  sowohl  die  ganze  laterale  als  ein  gewisser  Theil  der  medialen 
Mache  des  Augapfels  von  Muskeln  nicht  überdeckt  wird  (Taf.  XVI  Fig.  30.2). 
Die  vordere  Hälfte  dieser  Muskelzone  ist  schon  durch  ihre  Entstehung  in  dem 
engen  Räume  zwischen  Auge,  Hirn  und  Nasengrube  und  in  dem  dünnen  Seg- 
mentstreifen unterhalb  des  Auges  flach  angelegt.  Ihr  demselben  angepasstes, 
gekrümmtes  Blatt  zieht  sich  am  Augenhöhlenboden  bis  an  dessen  hintereGrenze 
hin,  wo  es  später  die  aus  der  hinteren  Zonenhälfte  hervorgehenden  Muskeln  von 
unten  her  verdeckt;  an  die  Oberseite  des  Augapfels  greift  es  dagegen  viel  weni- 
ger hinüber.  Da  diese  dünne  aber  breite  Muskelplatte  an  der  Vorderwand  der 
Augenhöhle  Befestigungspunkte  findet,  so  th eilt  sie  sich  natürlich  in  einen 
oberen  kleineren  Abschnitt,  der  M.  obliquus  superior,  und  einen  unteren 
grösseren,  welcher  sich  in  der  Hauptmasse  in  den  grossesten  Augenmuskel,  den 
M.  levator  bulbi*  verwandelt,  während  der  M.  obliquus  inferior  nur  als  ein  ab- 
gelöstes Bündel  desselben  zu  betrachten  ist.  Die  hintere  Hälfte  der  ganzen 
Muskellage  ist  von  Anfang  an  nicht  flach  gebildet  wie  die  vordere,  sondern  nach 
hinten  und  oben  verdickt  und  mit  einer  in  gleicher  Richtung  vorspringenden 
Ecke  versehen  (Taf.  XIV  Fig.  257,  Taf.  XV  Fig.  270,  Taf.  XVII  Fig. 804) 
Im  Innern  enthält  diese  Muskelanlage  eine  spaltförmige,  scharfbegrenzte  Lücke 
und  erscheint  dadurch  wie  aus  Platten  zusammengesetzt,  welche  jene  Lücke 
unischliessen.  Drei  derselben,  nämlich  die  horizontale  obere,  die  sagittale  innere 
und  die  quere  hintere,  stossen  in  jener  anfangs  scharf  ausgeprägten  Ecke  pyra- 
midal zusammen,  und  der  zwischen  ihnen  befindliche  Raum  wird  gegen  das 
Auge  durch  eine  gekrümmte,  der  Oberfläche  des  letzteren  angepasste  Platte 
abgeschlossen.     Zur  Zeit,  wann  die  Muskelfasern  durch  Verschmelzung  der 


Für  die  Benennungen  der  Augenmuskeln  verweise  ich  auf  Ecker  Nr.  90  S.  GG— 70. 


1.  Der  Vorderkopf.  627 

länglichen  Zellen  sich  zu  bilden  beginnen,  werden  die  Kanten  der  Pyramide 
und  die  innere  Lücke  undeutlich;  die  ganze  Anlage  sinkt  etwas  tiefer  hinab  und 
verwandelt  sich  in  einen  niedrigen  Kegel ,  dessen  Fasern  von  seiner  medialen 
Spitze  gegen  den  ganzen  hinteren  Umfang  des  Auges  ausstrahlen  (Taf.  XVII 
Fig.  314.  315).  Es  entstehen  daraus  die  Mm.  recti  und  der  M.  retractor  bulbi, 
sodass  es  sehr  wahrscheinlich  ist,  dass  schon  jene  erste  pyramidale  Form  der 
hinteren  Muskelhälfte  auf  die  Sonderung  der  einzelnen  Muskeln  bestimmend 
einwirkt,  indem  die  geraden,  in  je  einer  Ebene  verlaufenden  Platten  den  geraden 
Augenmuskeln  zur  Grundlage  dienen*  die  von  ihnen  verdeckte  gekrümmte 
Platte  aber  dem  an  mehreren  Punkten  der  Augenoberfläche  sich  inserirenden 
M.  retractor  bulbi  entspricht,  welcher  auch  im  erwachsenen  Frosche  „inner- 
halb des  von  den  geraden  Augenmuskeln  gebildeten  Conus  gelagert  ist" 
(Eckek  S.  67). 

Die  Ausbildung  dieser  in  verschiedenen  sich  kreuzenden  Pachtungen  ver- 
laufenden Augenmuskeln  bedingt  auch  die  allmählich  eintretende  Verzweigung 
des  zugehörigen  Stamm  nerven,  dessen  Wurzel  gerade  hinter  dem  Ursprünge 
der  geraden  Augenmuskeln  liegt  {Taf.  XVI,  XVII).  Während  der  ersten 
Larvenperiode  ist  nur  ein  Hauptast  desselben  vorhanden ,  der  spätere  Piamus 
nasalis  nervi  trigemini,  welcher  zwischen  der  oberen  Hälfte  des  Auges  und  dem 
Yorderhirne,  später  der  seitlichen  Schädelwand  lateralwärts  dicht  anliegend  bis 
an  die  Nasenhöhle  vordringt,  dort  aber  sich  theilt,  um  die  letztere -von  innen 
und  aussen  mit  je  einem  Zweige  zu  umfassen  (Fig.  302.  314).  Der  laterale 
Zweig  bleibt  bis  in  die  spätere  Larvenzeit  oberflächlich  liegen ,  wird  alsdann 
beim  Austritte  aus  der  Augenhöhle  über  dem  Gaumenbeinknorpel  von  einem 
lateralwärts  vordringenden  Knorpelflügel  der  Nasenkapsel  umwachsen  und  ver- 
liert sich  mit  mehreren  Ausläufern  in  der  Haut  der  Zwischenkiefergegend  (Taf. 
X  VIII  Fig.  325,  Taf.  XIX  Fig.  335.  342).  Der  mediale  Zweig,  welcher  an 
der  Seite  des  Vorderhirns  bleibt  und  zwischen  demselben  und  der  Geruchsplatte 
den  Geruchsnerven  überschreitet,  durchläuft  später  die  ganze  Nasenkapsel 
längs  der  medianen  Nasenscheidewand,  um  nach  innen  und  unten  von  der 
äusseren  Nasenöffnung  gleichfalls  an  die  Oberfläche  hervorzutreten  und  dem 
lateralen  Zweige  parallel  hinabzuziehen,  mit  dem  er  Ziel  und  Endigungsweise 
gemein  hat.  Uebrigens  mögen  von  ihm  auch  die  Nasenmuskeln  innervirt  werden 


*  Eine  besondere  Anlage  des  M.  rectus  inferior  würde  entweder  fehlen  oder  übersehen 
worden  sein. 

40* 


628  IX.  Der  Kopf. 

(vgl.  Fischer  Nr.  82  S.  7).  Ausser  dieser  Endverzweigung  entsendet  der  un- 
geteilte Stamm  unseres  Nerven  schon  in  der  ersten  Larvenperiode  ohngefähr 
aus  der  Mitte  seines  orbitalen  Verlaufs  zwei  zarte  Zweige  gerade  aufwärts, 
welche  allerdings  mit  dem  noch  zu  erwähnenden  N.  trochlearis  anastomosiren, 
aber  medianwärts  an  den  oberen  Augenmuskeln  vorüberziehen,  um  sich  an  der 
Oberseite  des  Schädelsund  in  dem  oberen  Augenlide  zu  verbreiten.  Der  erste 
ausgebildete  Ast  des  Stammnerven  des  Vorderkopfes  ist  also  ganz  vorherrschend 
ein  Empfindungsnerv.  Die  motorischen  Aeste  entstehen  später,  und  zwar  als 
neue  Fortsätze  des  zugehörigen  Ganglions  oder  der  medialen  Hälfte  des  Gakser- 
schen  Knotens,  also  in  derselben  Weise  wie  die  dorsalen  Aeste  der  Spinalnerven 
sich  entwickeln  (vgl.  S.  485).  Am  deutlichsten  habe  ich  dies  hinsichtlich  des 
N.  abducens  und  N.  trochlearis  an  jungen  Larven  erkannt,  welche  eben  in  die 
zweite  Periode  eingetreten  waren  (Taf.  XIX  Fig.  344).  Der  N.  abducens  ent- 
springt von  der  Unterseite  des  Ganglions  mit  einer  verdickten  Wurzel,  welche 
zahlreiche  Ganglienkugeln  enthält,  sodass  der  Stamm  des  Nerven  sich  offenbar 
allmählich  aus  dem  Ganglion  herauszieht.  Er  ist  dem  N.  nasalis  dicht  ange- 
schmiegt, und  durchsetzt  daher  mit  ihm  gemeinsam  die  quere  Knorpelwand' 
welche  sich  zwischen  die  Nervenwurzeln  des  Vorderkopfs  und  deren  weitern 
Verlauf  einschiebt  (Schläfenflügelknorpel  s.  unten).  In  der  Augengrube  wendet 
er  sich  dicht  am  M.  rectus  inferior  vorbei  lateralwärts  zum  M.  rectus  externus. 
Der  N.  trochlearis  geht  ebenfalls  mit  ganglionärer  Wurzel  aus  der  Oberseite 
desselben  Ganglions  hervor,  steigt  aber  hinter  dem  Schläfenflügelknorpel  nach 
vorn  an,  um  ersjt  dann  die  seitliche  Schädelwand,  sobald  sie  gebildet  ist,  lateral- 
wärts zu  durchsetzen  und  an  ihr  entlang  zum  oberen  schiefen  Augenmuskel  zu 
gelangen.  Auf  diesem  Wege  anastomosirt  er  mit  dem  ersten  Orbitalzweige  des 
'N.  nasalis  dort,  wo  die  beiden  Nerven  sich  kreuzen.*  Die  erste  Entstehung  des 
N.  oculomotorius  habe  ich  überhaupt  nicht  verfolgen  können ,  weil  er  bis  zu 


*  An  dem  Präparate,  welches  meiner  Abbildung  zu  Grunde  lag,  war  diese  Anastomose 
in  Folge  der  unvermeidlichen  Verschiebung  der  weichen  Theile  während  der  schwierigen 
Entfernung  des  Schläfenflügelknorpels  nicht  zu  erkennen.  Diese  Verschiebung  täuschte 
mich  damals  auch  in  der  Deutung  der  Nerven,  indem  ich  den  N.  lateralis  capitis  superior, 
welchen  ich  erst  weiter  unten  beschreiben  werde,  für  den  bereits  abgelösten  N.  trochlearis, 
diesen  für  einen  zweiten  N.  oculomotorius  hielt.  Daher  stammt  die  irrige  Bezeichnung  n  t 
für  den  Seitennerv,  vo  für  den  Bollmuskclnerv.  Bei  der  Nachuntersuchung,  welche  ich  für 
diese  Theile  wie  für  die  meisten  anderen  längere  Zeit  nach  der  ersten  Beobachtung  ausführte, 
erhielt  ich  von  jungen  Froschlarven  (.'5—4  Mm.  Länge  ohne  den  Schwanz),  indem  ich  jenen 
Knorpel  im  Präparate  Hess,  klarere  Bilder,  auf  welche  meine  Beschreibung  sich  wesentlich 
stützt. 


1,   Der  Vorderkopf.  029 

seinem  Eintritt  in  die  Augengrube  zwischen  den  zusammenstossenden  Ursprün- 
gen der  geraden  Augenmuskeln  hervor  theils  durch  diese,  theils  durch  den  N. 
nasalis  und  den  Knorpel  verdeckt  wird.  Wenn  man  jedoch  überlegt,  dass  die 
Wurzel  des  N.  oculomotorius  anfangs  dem  Ganglion  der  bisher  genannten  Nerven 
dicht  anliegt,  dass  ferner  sein  oberer  Zweig  bei  den  Salamandrinen  durch  einen 
Zweig  des  N.  nasalis  vertreten  wird  (Fischer  Nr.  82  S.  26.  27),  dass  endlich 
bei  Pipa  dieser  letztere  Nerv  neben  dem  N.  oculomotorius  die  meisten  Augen- 
muskeln gleichfalls  versorgt  (a.  a.  0.  S.  16),  so  wird  es  sehr  wahrscheinlich, 
dass  der  N.  oculomotorius  ebenso  wie  die  anderen  Augenmuskelnerven  eine 
Abzweigung  der  gemeinsamen  Nervenanlage  des  ersten  Stammsegments  ist.  — 
Im  Stammtheile  des  Vorderkopfes  kommen  noch  zwei  Nervenpaare  vor,  je  ein 
Gaumennerv  und  ein  Hautnerv,  welche  aber  aus  dem  ersten  Stammsegmente 
nicht  hervorgehen  und  daher  später  beschrieben  werden  sollen. 

Diejenigen  Theile  des  ersten  Stammsegments ,  welche  zur  Bildung  der  be- 
schriebenen Muskeln  und  Nerven  nicht  verwendet  werden,  verwandeln  sich  sehr 
frühe  in  interstitielles  Bildimgsgewebe,  welches  sowohl  die  bindegewebigen 
Theile  des  Vorderkopfes,  die  Hirnhäute  und  Gefässe,  die  verschiedenen  Hüllen 
des  Auges,  das  Gerüst  des  Glaskörpers  u.  s.  w.,  als  auch  die  Skelettheile 
liefert.  Die  ersteren  habe  ich  schon  theils  im  Abschnitte  über  die  Sinnesorgane, 
theils  bei  der  Darstellung  der  allgemeinen  Histiogenese  ausreichend  besprochen. 
Auch  die  Entwicklung  der  Knorpelkapsel,  welche  vom  ersten  Bögenpaare 
der  hinteren  Schädelbasis  aus  die  ganze  vordere  Hirnhälfte  unten  und  seitlich 
umwächst,  wurde  im  allgemeinen  und  nach  ihrer  histologischen  Seite  darge- 
stellt (S.  360.  367.  368),  sodass  nur  mehr  Einzelheiten  unerwähnt  blieben.  — 
Die  ursprüngliche  Grundlage  des  ganzen  Schädels  besteht  erstens  in  der  hin- 
teren Schädelbasis,  einer  die  Wirbelsaite  einschliessenden  Knorpeltafel,  in  wel- 
cher ich  gleichwie  an  den  Rumpfwirbeln  einen  Axentheil ,  die  Wirbelsaite  mit 
ihrer  äusseren  Scheide,  und  die  den  Wirbelbögen  homologen  Seitenplatten 
unterscheide;  dazu  kommen  noch  die  zwei  Bögenpaare,  welche  als  Fortsetzun- 
gen dieser  Seitenplatten  an  dem  vorderen  und  hinteren' Ende  derselben  dort  die 
anatomische  Vorderhirnbasis,  hier  einen  Theil  des  Hinterhirns  seitlich  um- 
greifen und  endlich  ringförmig  umschliessen  (Taf.  XVII Fig.  324.  327.  331). 
Das  vordere  Bogenpaar  gehört  also  dem  in  Rede  stehenden  ersten  Körperseg- 
mente an;  es  bildet  den  ersten Wirbelbogen,welcher  inUebereinstimniungmit  der 
ganzen  Lage  dieses  Segments  horizontal  liegt,  aber  einen  entsprechend  gelagerten 
Wirbelkörperabschnitt  entbehrt,  da  das  einen  solchen  erzeugende  Axengebilde, 


630  IX   Der  K°Pf- 

die  Wirbelsaite,  aus  dem  Vorderkopfe  sich  bis  zur  vorderen  Grenze  des  Hinter- 
kopfes zurückzog.  Das  erste  Stammsegment  enthält  also  nicht  sowohl  die  Anlage 
eines  vollständigen  Wirbels,  sondern  nur  eines  Wirbelbogens ,  dessen  Wurzeln 
mit  dem  Axentheile  der  übrigen  Kopfwirbelreihe  verbunden  sind.  Dass  dieser 
Wirbelbogen  anfangs  nicht  unter  dem  Niveau  der  anatomischen  Vorderhirnbasis 
liegt,  wie  man  von  ihm  als  Grundlage  der  vorderen  Schädelbasis  annehmen 
könnte,  geht  schon  daraus  hervor,  dass  seine  Ursprungsstelle  oder  die  Chorda- 
spitze an  die  embryonale  Vorderhirnbasis  (Hirntrichter)  stösst  (Taf.  XVI  Fig. 
303,  Taf.  XVII Fig.  314— 316).  Sein  querer  Wurzeltheil  umgreift  diese 
Basis  jederseits  in  einem  flachen,  nach  vorn  konkaven  Bogen,  welcher  nach 
innen  vom  GAssER'schen  Nervenknoten  gerade  bis  zum  gemeinsamen  Ausgangs- 
punkte der  geraden  Augenmuskeln  reicht ,  durch  den  sein  Verlauf  abgelenkt 
wird  (a.  a.  0.).  Hinter  diesem  Muskelursprunge  biegt  sich  nämlich  der  Wirbel- 
bogen abwärts,  um  dicht  unter  demselben  und  dem  davor  liegenden  Sehnerven 
an  den  Seitenrand  der  anatomischen  Vorderhirnbasis  zu  gelangen.  Anfangs 
folgt  er  aber  der  letzteren  nicht  bis  zu  ihrem  Vorderrande,  sondern  krümmt 
sich  noch  hinter  dem  eben  angelegten  Riechnerven  abwärts  in  den  unterdessen 
hervorgewachsenen  und  mehr  unter  als  vor  dem  künftigen  Zwischenhirn  befind- 
lichen Gesichtstheil.  Dabei  sind  beide  Wirbelbogenhälften  gegen  einander 
konkav  gekrümmt,  also  mit  ihren  vorderen  Enden  einander  genähert;  zwischen 
ihnen  spannt  sich  die  hautartige  Zellenschicht  aus ,  welche  in  Verbindung  mit 
dem  sie  haltenden  Knorpelrahmen  die  Anlage  der  vorderen  Schädelbasis  dar- 
stellt. Diese  reicht  also  zuerst  nicht  so  weit  nach  vorn  als  das  von  ihr  getragene 
Vorderhirn ;  erst  dadurch,  dass  dieses  gegenüber  den  anderen  Theilon  des  Vor- 
derkopfes  im  Wachsthum  etwas  zurückbleibt,  schiebt  sie  sich  allmählich  bis 
unter  das  vordere  Eno)e  der  Grosshirnlappen  vor,  wo  ihre  Ränder,  eben  die 
Wirbelbogenhälften,  sich  bis  zur  Berührung  einander  nähern  und  so  einen  voll- 
ständigen Wirbelbogenring  bilden  {a.  a.  0.  und  Taf.  XV Fig.  284,  Taf.  XXI 
Fig.  377).  Da  die  Geruchsorgane  bei  dieser  Ausdehnung  der  vorderen  Schädel- 
basis an  die  Vorderseite  des  Grosshirns  verschoben  werden,  so  ist  es  verständ- 
lich, dass  alsdann  die  Wurzeln  der  Geruchsnerven  den  Wirbelbogen  nicht  mehr 
seitlich,  sondern  an  seiner  Schlussseite  überschreiten.  Gleich  darauf  beginnt 
auch  die  Bildung  der  Seitentheile  der  vorderen  Hirnkapsel,  welche  im  Anschlüsse 
an  den  Wirbelbogen  gerade  aufwärts  wachsen  und  dabei  für  die  ihre  Anlage  quer 
durchsetzenden  Gebilde  ebenso  wie  die  Schädelbasis  Lücken  frei  lassen.  Von 
diesen  verdienen  ausser  den  Oeffnungen  für  den  Austritt  der  Geruchs-,  Seh-  und 


1.  Der  Vorderkopf.  631 

Augenmuskelrierven  noch  besonders  erwähnt  zu  werden  die  Lücken,  durch 
welche  jederseits  die  Ursprungsenden  der  geraden  Augenmuskeln  und  hinter 
ihnen  die  beiden  inneren  Karotiden  in  die  Hirnkapsel  eindringen  (Taf.  XVI 
Fig.  297,  Taf.  XVII Fig.  314—316,  Taf.  XVIII  Fig.  327).  Jene  Muskel- 
ursprünge biegen  sich  vor  und  über  dem  queren  Wurzelstücke  desWirbelbogen- 
knorpels  etwas  rückwärts  an  dessen  Innenfläche  und  befestigen  sich  daher 
eigentlich  an  der  seitlichen  Innenwand  der  Bucht,  welche  die  Schädelbasis  vor 
der  Chordaspitze  unter  dem  Einflüsse  des  nach  unten  vorragenden  Basaltheils 
vom  Vorderhirne  bildet.  Später  ziehen  sie  sich  in  die  Schädelwand  selbst  zu- 
rück, so  dass  sie  gleichsam  nur  eine  Lücke  derselben  ausfüllen ;  im  vollständig 
entwickelten  Thiere  endlich  werden  sie  durch  Knorpelmasse  an  die  Aussen- 
fläche  der  seitlichen  Schädelwand  verdrängt,  und  behält  nur  noch  der  N.  ocu- 
lomotorins  an  der  Stelle  der  früher  gleichmässig  weiten  Lücke  ein  kleines 
Durchtrittsloch.  Die  Karotiden  treten  hinter  den  Ursprüngen  der  Mm.  recti 
aber  dicht  unterhalb  der  Wirbelbogenwurzeln  in  die  Hirnkapsel  ein,  sodass 
durch  diese  Muskelursprünge  und  Gelasse  der  Verlauf  des  ursprünglichen 
Wirbelbogens  auch  späterhin  bestimmt  werden  kann.  Denn  wenn  derselbe 
während  des  grössten  Theils  des  Larvenlebens  in  dem  Rande  jener  Bucht 
und  weiter  nach  vorn  in  dem  verdickten  Seitenrande  der  vorderen  Schädelbasis 
leicht  zu  erkennen  ist,  so  gleichen  sich  diese  Unterschiede  zwischen  den  eigent- 
lichen Grundlagen  des  Schädels  und  den  sekundär  sich  daran  schliessenden 
Knorpeltafeln  später  vollständig  aus,  sodass  sie  schon  an  dem  sogenannten 
Primordialkranium  der  noch  ganz  jungen  Thiere  nicht  mehr  unmittelbar  unter- 
schieden werden  können.  Verfolgt  man  nun  die  Ausdehnung  und  die  Grenzen 
der  Seitenwände  der  vorderen  Hirnkapsel,  so  vermisst  man  an  ihnen  eine 
solche  vollständige  und  kontinuirliche  Fortsetzung  in  die  Seitenwände  des 
hinteren  Schädeltheils,  wie  sie  an  den  Basaltheilen  beider  Schädelhälften  statt- 
findet. Zunächst  sieht  man  leicht  ein,  dass  sie  nur  so  weit  dem  ursprünglichen 
Wirbelbogeu  aufsitzen  können,  als  dieser  zur  Seite  des  Vorderhirns  hinzieht, 
und  dort  aufhören  müssen,  wo  die  Wurzeltheile  jener  Knorpelspangen  sich 
medianwärts  unter  das  Hirn  biegen,  um  sich  an  der  Chordaspitze  zu  ver- 
einigen {Taf.  XVIII  Fig.  324.  326.  327).  Diese  Stelle  liegt  dicht  hinter  dem 
Ursprünge  der  geraden  Augenmuskeln;  ebendaselbst  erreicht  aber  auch  die 
Knorpelplatte  des  ersten  äusseren  Segments,  welches,  wie  erwähnt,  mit  seinem 
Wurzeltheile  sich  medianwärts  hinter  das  zugehörige  Stammsegment  einschob, 
denWirbelbogen  desselben,  um  mit  ihm  zu  verschmelzen  (a.  a.  0.  und  Taf.  XVII 


632  IX-  Der  K°Pf- 

Fig.  314.  315).  Dieses  Winkelstück  des  Skeletgürtels  des  ersten  äusseren 
Segments,  welches  ich  aus  später  zu  erörternden  Gründen  den  grossen  oder 
S  c  h  1  ä  f  e  n  -  F 1  ü  g  e  1  k  n  o  r  p  e  1  nenne ,  ist  eine  senkrecht  und  quer  gestellte 
Platte,  welche  vom  Wirbelhogen  aufwärts  auch  mit  dem  hinteren  Rande  der 
vorderen  Hirnkapsel  zusammenfliesst,  sodass  deren  Seitenwand  an  ihrer  hin- 
teren Grenze  mit  einer  beinahe  rechtwinkeligen  Krümmung  nach  aussen  fort- 
gesetzt erscheint.  Auf  diese  Weise  schliesst  der  Schläfenflügelknorpel  den 
Raum,  welcher  zugleich  einer  Augenhöhle  und  Schläfengrube  entspricht,  nach 
hinten  ab  und  bildet  ferner  eine  Scheidewand  zwischen  dem  GASSEß'schen 
Nervenknoten  und  allen  übrigen  Segmenttheilen  des  Vorderkopfes.  Da  aber  die 
Nerven  dieses  Ganglions  nach  vorn  verlaufen,  so  müssen  sie,  soweit  sie  sich 
uicht  schon  frühzeitig  medianwärts  entfernt  haben,  wieder  N.  oculomotorius  und 
N.  trochlearis ,  jene  Scheidewand  entweder  durchsetzen  oder  überschreiten. 
Ersteres  geschieht  durch  die  Nu.  nasalis  und  abducens,  die  von  dem  Schläfen- 
flügelknorpel dicht  an  seinem  Uebergange  in  die  vordere  Schädelkapsel  um- 
wachsen werden;  der  zum  äusseren  Segment  gehörige  Nervenstamm  der  late- 
ralen Portion  des  GASSER'schen  Ganglions  bleibt  aber  frei  auf  dem  oberen, 
medianwärts  etwas  ausgeschweiften  Rande  des  Schläfenflügelknorpel s  liegen, 
und  krümmt  sich  erst  von  dort  aus  seitwärts  auf  die  Oberfläche  des  Schläfen- 
muskels, wo  er  sich  sofort  in  die  beiden  Kiefernerven  spaltet.  —  Anfangs  be- 
findet sich  zwischen  dem  Schläfenflügelknorpel  oder  der  hinteren  Wand  oder 
Schläfen- Augengrube  und  dem  Gehörbläschen  ein  merklicher,  von  dem  Gas- 
SER'schen  Nervenknoten  und  dem  Wurzeltheile  des  zweiten  Kopfsegmeiits 
(Ganglion  des  N.  facialis  und  N.palatinus)ausgefüllterZwischenraum,  welcher  nach 
aussen  offen  daliegt,  da  der  entsprechende  Abschnitt  der  Schädelbasis  kaum  an- 
gelegt ist,  also  von  einer  lateralen  Fortsetzung  derselben  zur  Bildung  einer  Seiten- 
wand nicht  die  Rede  sein  kann  (Taf.XVII.  XVIII).  In  dem  Masse  aber,  als  der 
Hinterkopf  in  seinem  Längenwachsthum  durchaus  hinter  dem  Vorderkopfe  zu- 
rückbleibt, wird  jene  Oeffnung  nicht  nur  relativ,  sondern  durch  dieVergrösserung 
der  knorpeligen  Ohrkapsel  auch  thatsächlich  kleiner,  sodass  die  nach  hinten 
ausgebogene  laterale  Hälfte  des  Schläfeuflügelknorpels  endlich  die  knorpelige 
Ohrkapsel  berührt  und  auf  dieseWeise  den  seitlichen  Abschluss  des  Hirnraumes 
hinter  der  Schläfen-Augengrube  bis  auf  eine  an  der  Schädelbasis  zurück- 
bleibende Lücke  herbeiführt  (Taf.  XV III Fig.  329.  331).  Medianwärts  von 
jener  Verbindung  bleibt  ein  etwa  dreieckiger  Raum  als  seitliche  Ausbuchtung 
der  Schädelhöhle  bestehen;  von  den  Ganglien,  welche  ihn  einnehmen,  entsendet 


1.  Der  Vorderkopf.  633 

das  hintere,  zum  zweiten  Segment  gehörige  seinen  Nervenstamm  durch 
die  erwähnte  Lücke  am  Boden  der  Schädelbucht  nach  aussen.  Es  erhellt  uns 
dieser  Beschreibung  und  den  Abbildungen,  dass  der  Schläfenflügelknorpel  die 
seitliche  Schädelwand  unmittelbar  vor  der  Ohrkapsel  allein  bildet,  dass  also 
im  Vorderkopfe  ein  Skelettheil  des  äusseren  Segments  sich  der  ursprünglichen 
Schädelanlage ,  welche  in  einem  Wirbelbogenpaar  und  den  sich  aus  demselben 
entwickelnden  Bildungen  besteht,  zur  Umschliessung  des  Hirnes  an  -  und  so  in 
die  Zusammensetzung  des  definitiven  Schädels  einfügt.  Dabei  offenbart  sich 
wiederum  das  Hinübergreifen  von  dorsalen  Theilen  des  Vorderkopfes  in  die 
Region  des  Hinterkopfes,  und  dem  Nerven-  und  Skelettheil  folgt  darin  schliess- 
lich ein  Muskel,  indem  der  Ursprung  des  M.  temporalis  sich  vollständig  auf 
die  Oberseite  der  Ohrkapsel  verschiebt  {Taf.  XIX  Fig.  337.  342).  Hinter  dem 
Schläfenflügelknorpel  wird  die  seitliche  Schädelwand  ebenfalls  durch  einen 
nicht  zum  Wirbelsystem  gehörigen  Theil,  die  Ohrkapsel,  gebildet,  und  erst 
nach  dieser  doppelten,  ansehnlichen  Unterbrechung  schliesst  wieder  eine  Wirbel - 
bogenbildung,  nämlich  das  ringförmig  verbundene  hintere  Bogenpaar  der 
Schädelbasis,  den  Schädel  auch  seitlich  ganz  allein  ab.  —  An  der  Herstellung 
des  knorpeligen  Seh  äd  eldachs,  welches  ich  bisher  noch  nicht  erwähnt  habe, 
betheiligen  sich  nur  die  Wirbelbogenhomologa  oder  ihre  Fortsetzungen.  Der 
obere  Rand  der  vorderen  knorpeligen  Hirnkapsel  überragt  die  Oberseite  des 
Vorderhirns  mit  einem  ganz  unbedeutenden,  medianwärts  umgebogenen  und 
zugeschärften  Streifen,  während  das  Perichondrium  von  einer  Seite  kontinuir- 
lich  zur  anderen  hinüberzieht,  gerade  so  wie  ich  es  von  den  aufeinanderfolgen- 
den Wirbelbögen  des  Rumpfes  beschrieb  Taf.  XVIII  Fig.  331,  Taf .  XIX 
Fig.  337.  347).  Dieser  horizontale  Knorpelstreifen  nimmt  an  metamorpho- 
sirten  Thieren  an  Breite  zu,  geht  aber  über  die  Form  eines  eine  weite  mittlere 
Lücke  umschliessenden  Saumes  auch  am  vorderen  Schädeldach  ganz  erwachse- 
ner Thiere  nicht  hinaus. .  Rückwärts  setzt  sich  jener  Knorpelrand  anfangs  in 
den  konkaven  oberen  Rand  des  Schläfenflügelknorpels  fort;  während  aber 
dieser  unverändert  bleibt,  wächst  der  erstere  noch  in  der  Larvenzeit  über  des- 
sen Niveau  in  die  Höhe  und  nach  hinten  und  aussen  zu  einer  horizontalen 
Platte  aus,  welche  ich  den  kleinen  oder  Orbital-Flügelknorpel  nenne. 
Er  bildet  die  etwa  dreiekige  Decke  der  lateralen  Ausbuchtimg  der  Schädel- 
hohle  zwischen  der  Ohrkapsel  und  dem  Schläfenflügelknorpel ;  sein  vorderer 
Seitenrand  legt  sich  über  den  Ausschnitt  des  letzteren  und  verwandelt  ihn  in 
eine  Austrittsöffnung  für  den  Kiefernervenstamm ,  die  äussere  Ecke  und  der 


634  IX.  Der  Kopf. 

hintere  Seitenrand  verschmelzen  dagegen  theils  mit  dem  Schläfenflügelknorpel, 
theils  mit  der  Ohrkapsel.  Dieser  entlang  zieht  sich  nun  eine  Fortsetzung  des 
Orbitalflügelknorpels  nach  hinten  und  trifft  mit  einem  ebensolchen  vorwärts 
wachsenden  Fortsatze  des  hinteren  Wirbelbogenringes  zusammen,  sodass  auch 
am  hinteren  Schädeldache  ein  lateraler  Knorpelsaum  entsteht.  Zugleich 
wächst  etwa  aus  der  Mitte  des  medialen  Randes  des  Orbitalflügelknorpels  ein 
schmaler  Knorpelzipfel  hervor,  welcher  in  querer  Richtung  unter  dem  häutigen 
Schädeldache,  d.  h.  unter  der  erwähnten  Fortsetzung  des  Perichondriums,  mit 
dem  anderweitigen  zu  einer  queren  Brücke  zusammenstösst.  Indem  diese  Bil- 
dung ganz  augenscheinlich  der  Vordergrenze  des  rückwärts  verschobenen 
paarigen  Mittelhirngewölbes  folgt,  ist  die  Mitte  jener  Brücke  nach  hinten  in 
einen  Zipfel  ausgezogen,  welchem  eine  ähnliche  mediane  Spitze  des  hinteren 
Wirbelbogenringes  entgegenwächst.  Nachdem  daraus  auch  eine  mediane 
Knorpelbrücke  entstanden,  bilden  alle  Knorpeltheile  des  Schädeldaches  einen 
Rahmen,  der  durch  eine  quere  Brücke  in  einen  grösseren  vorderen  und  kleine- 
ren hinteren  Abschnitt  getheilt  ist,  von  denen  der  letztere  wiederum  durch  den 
medianen  Knorpelstreif  in  zwei  Seitenhälften  zerfällt.  Die  grosse  unpaare  Lücke 
des  vorderen  Theils  entspricht  dem  Vorderhirne,  die  zwei  kleineren  hinteren 
den  Mittelhirnhemisphären;  nach  aussen  werden  diese  knorpelfreien  Stellen 
bloss  durch  das  kontinuirlich  darüber  hinziehende  Perichondrium  verdeckt, 
welches,  soweit  die  Lücken  erhalten  bleiben,  über  ihnen  die  einzige  Grundlage 
des  Schädels  bildet.  Aber  sowie  jene  Lücken  nicht  aus  einer  nachträglichen 
Auflösung  innerhalb  einer  kontinuirlichen  Knorpeltafel,  sondern  aus  der  Ver- 
bindung schmaler  Knorpelstreifen  hervorgehen,  nimmt  ihre  Grösse  im  Verlaufe 
des  Lebens  nicht  zu,  sondern  gerade  ab;  dies  bezieht  sich  namentlich  auf  die 
beiden  hinteren  Lücken ,  welche  zuletzt  zu  kleinen  Löchern  werden  (vergl. 
Ecker  No.  90  S.  34).  Das  perichondrale  häutige  Schädeldach ,  welches  ich 
mit  der  ähnlichen  Bildung  in  der  vorderen  Hälfte  der  horizontalen  Wirbel- 
bogenabschnitte  des  Rumpfes  verglich,  verknöchert  in  der  Folge  gleichfalls, 
jedoch  mit  anderem  Erfolge.  In  den  Wirbelbögen  des  Rumpfes  schliesst  sich 
der  betreffende  Faserknochen  an  die  vollständige  knöcherne  Hülse  an,  in  welcher 
die  knorpeligen  Wirbelbögen  stecken,  um  endlich  einer  inneren  Verknöcherung 
Platz  zu  machen;  am  Schädeldache  bleibt  aber  die  Knochenbildung  einseitig 
und  erzeugt  dadurch  zwei  symmetrische  Platten  (Ossa  frontuparietalia  Ecker 
a.  a.  0.  S.  31),  welche  dem  unveränderten  Knorpel  nur  äusserlich  angefügt  er- 
scheinen. 


1 .    Der  Vorderkopf.  635 

Der  Unterkieferbogen  und  der  ({esichtstheil  des  Vorderkopfes. 

Der  Umfang  und  die  Begrenzung  des  von  mir  so  genannten  Gesiehtstheils 
ist  aus  dem  Vorangehenden  leicht  zu  ersehen  :  er  umfasst  die  Nasen-,  Zwischen- 
kiefer- und  Oberkiefergegend,  während  das  Auge  wegen  seiner  Lage  und  der 
Bedeutung  seiner  Muskeln  zum  Stammtheile  im  engeren  Sinne  gehört.  Der 
Gesichtstheil  entsteht  wesentlich  durch  eine  Fortentwickelung  des  Vorderendes 
des  ersten  Stammsegmentpaares;  weil  aber  der  Kiefertheil  in  eigentümlicher 
Weise  an  jener  Bildung  theilnimmt,  werde  ich  dessen  Entwicklung  zuerst  be- 
trachten. 

Aus  der  Beschreibung  der  ersten  Umbildung  des  Vorderkopfes  (S.  225 — 
228)  wird  man  sich  erinnern,  dass  das  äussere  Segment  nach  seinen  topo- 
graphischen Verhältnissen  in  einen  dorsalen  und  einen  ventralen  Abschnitt 
zerfällt,  obgleich  seine  Erzeugnisse  kontinuirlich  aus  dem  einen  in  den  anderen 
übergehen  und  daher  in  ihrer  Hauptmasse  als  Unterkieferbogen  aufgefasst 
werden  können.  *  Jene  Unterscheidung  beruht  aber  darauf,  dass  die  obere 
Hälfte  des  Segments  im  Hirntheile  des  Vorderkopfes,  also  über  der  Mundhöhle 
liegen  bleibt,  die  ventrale  Hälfte  aber  nach  der  vollendeten  Drehung  der  Kiefer- 
wülste die  Mundhöhle  seitlich  und  von  unten  umschliesst  und  dort  nach  der 
Zusammenziehung  der  Seitenplatte  nach  oben  dem  Darmblatte  unmittelbar 
anliegt  (Taf.  VII  Fig.  128.  129).  Von  der  Grenze  beider  Abschnitte  geht 
dann  noch  ein  kleiner  Theil  des  äusseren  Segments  schräg  vor-  und  aufwärts  in 
den  Oberkieferwulst  hinein  (lateraler  Gesichtsfortsatz),  welcher  sich  keilförmig 
zwischen  Hirn-  und  Kiefertheil  entwickelt  {Taf.  XVI  Fig.  288—291).  —  Der 
dorsale  Abschnitt  des  äusseren  Segments  oder  des  Unterkieferbogens  geräth 
durch  die  Ausdehnung  der  Augenblase  hinter  dieselbe  und  die  ihr  anliegenden 
Muskelanlagen  des  Stammsegments.  Sein  oberster  Zipfel  verbindet  sich  dar- 
auf unter  Verwandlung  in  die  spindelförmige  Anlage  eines  Nervenknotens  mit 
dem  analogen  Theile  des  Stammsegments  zum  GASSER'schen  Doppelganglion. 
Doch  bemerkte  ich  bereits,  dass ,  während  die  aus  der  inneren  Portion  der 
letzteren  entspringenden  Zweige  des  ersten  Stammnerven  ziemlich  horizontal 
nach  vorn  verlaufen,  der  aus  der  äusseren  Portion  hervorgehende  Kiefern erven- 


*  Ich  werde  die  epithelialen  Bildungen  des  Darmblattes  und  der  Oberhaut ,  soweit  sie 
nur  durch  Flächenausbreitung  am  allgemeinen  VVachsthum  theilnehmen,  hier  unberück- 
sichtigt lassen. 


636  IX-  Der  Kopf. 

stamm  steil  gegen  die  Unterseite  des  Auges  hinabzieht.  Die  Embryonalzellen, 
welche  diese  Nervenanlage  des  äusseren  Segments  umgeben,  und  überhaupt 
die  ganze  Rindenschicht  der  Segmentmasse  verwandeln  sich  in  interstitielles 
Bildungsgewebe.  Unterhalb  des  Ganglions  hebt  sich  alsdann  die  centrale 
Masse  als  ein  kompakter  dicker  Zellenstrang  gegenüber  dem  schon  gelockerten 
umgebenden  Bildungsgewebe  ab,  welcher  etwa  von  der  halben  Augenhöhe  an 
sich  der  hinteren  Oberfläche  des  Auges  nähert,  dasselbe  bis  nach  unten  um- 
greift und  darauf  zur  Seite  der  Mundhöhle  abwärts  zieht,  wobei  er  sich  gegen 
sein  unteres  Ende  verschmächtigt.  Dieser  durch  seine  zusammengedrängten 
und  längere  Zeit  mit  Dotter  gefüllten  Elemente  leicht  kenntliche  Zellenstrang 
ist  die  Anlage  für  die  Muskeln  des  Unterkieferbogens,  sodass  also  die 
Nerven  und  Muskeln  im  äusseren  Segmente  ebenso  wie  im  Stammsegmente 
von  allen  Geweben  zuerst  angelegt  erscheinen.  Um  aber  die  Gliederung  dieser 
Muskelanlage  zu  verstehen,  muss  man  die  Veränderungen  im  Verlaufe  des 
Unterkieferbogens  berücksichtigen.  Er  mnschliesst  die  Mundhöhle  anfangs 
mit  zwei  abwärts  bogenförmig  konvergirenden  Hälften.  In  dem  Masse  jedoch, 
als  sich  der  rinnenförmige  Mundhöhlenboclen  ebnet  und  verbreitert,  erfährt  der 
ventrale  Abschnitt  des  Unterkieferbogens  in  der  Höhe  jenes  Bodens  eine 
Knickung;  darüber  bleibt  er  in  der  seitlichen  Mundhöhlenwand  sagittal  ge- 
lagert, darunter  biegt  er  sich  aber  horizontal  unter  den  Mundhöhlenboden  und 
kommt  so  mit  seinem  Gegenstücke  in  eine  Fläche  zu  liegen  {Taf.  VII Fig.  120, 
Taf.  XIII  Fig.  231,  Taf.  XIV  Fig.  257,  Taf.  XV Fig.  270).  Nach  dieser 
Umbildung  des  Unterkieferbogens  kann  man  selbstverständlich  nicht  mehr  von 
einem  dorsalen  und  ventralen  Abschnitte  desselben  reden,  sondern  nur  einen 
ventralen,  horizontal  liegenden  und  einen  lateralen,  bis  in  den  Rückentheil  hin- 
aufreichenden Abschnitt  unterscheiden,  deren  Axen  sich  nunmehr  rechtwinkelig 
schneiden.  Dem  entsprechend  sondert  sich  auch  die  dicke  strangförmige 
Muskelanlage  in  einen  längeren  oberen  Theil,  welcher  bis  zum  Niveau  des 
Mundhöhlenbodens  steil  hinabsteigt,  und  einen  kleineren  horizontalen  Theil 
unter  demselben.  Der  erstere  spaltet  sich  alsbald  in  zwei  Hälften.  Die  äussere 
oder  die  Anlage  des  M.  temporalis  beginnt  mit  breitem  Ursprungsrande  hinter 
dem  Kiefernervenstamme ;  weiter  abwärts  gliedert  sich  der  M.  masseter  seitlich 
von  ihr  ab  (a.  a.  0.  und  Taf.  XVIII Fig. 331).  Die  innere  Hälfte  oder  der  M. 
pterygoideus  liegt  der  hinteren  Augenfläche,  also  auch  den  betreffenden  Augen- 
muskeln ziemlich  dicht  an  und  tritt  erst  am  Augenhöhlenboden  lateralwärts 
hervor,  um  mit  seinem  lateralen  Rande  sich  unter  den  M. temporalis  zuschieben. 


1.  Der  Vorderkopf  G37 

Die  untere  Muskelanlage  entwickelt  einen  Antagonisten  der  genannten  Kau- 
muskeln oder  einen  Oeffner  des  Mundes,  den  M.  submentalis,  welcher  jederseits 
nach  innen  und  etwas  rückwärts  zieht.  Während  die  Muskelfasern  dieser  An- 
lagen sich  durch  Zellenverschmelzung  auszubilden  beginnen  ,  wächst  der 
Kiefernervenstamm  in  zwei  Aeste  aus,  welche  bis  unter  die  hintere  Augen- 
hälfte neben  einander  liegen  bleiben,  von  dort  an  aber  so  auseinandergehen, 
dass  der  laterale  oder  untere  Kiefernerv  (R.  maxillaris  inferior  n.  trigernini) 
über  die  vordere  Fläche  des  M.  temporalis  schräg  nach  aussen  und  unten  ver- 
läuft, um  die  Kiefermuskeln  zu  versorgen,  der  mediale  obere  Kiefernerv  (R. 
maxillaris  superior  n.  trigernini)  dagegen  unter  dem  Auge  nach  vorn  in  die 
Oberkiefergegend  (lateraler  Gesichtsfortsatz)  hinabzieht,  wo  er  oberflächlich 
gelegen  in  der  Haut  und  vielleicht  dem  oberen  Lippenmuskel  seine  Endigung 
findet  {Taf.  XVI  Fig.  294,  Taf.  X  VIII  Fig.  825—327).  Diese  Kiefernerven 
sind  schon  mitten  in  der  ersten  Larvenperiode  kenntlich;  zu  gleicher  Zeit  er- 
scheinen die  ersten  Anlagen  für  die  knorpeligen  Skelettheile  des  ganzen 
Unterkieferbogens.  Da  die  Gliederung  desselben  in  einen  lateralen  und 
ventralen  Theil  alsdann  vollendet  ist,  so  wird  die  Knorpelanlage  des  ventralen 
Theils  oder  der  Unterkiefer  von  Anfang  an  quer  unter  der  Mundhöhle  lie- 
gen, diejenige  des  lateralen  Theils  oder  das  gesammte  Kiefersuspensorium 
von  oben  herab  unter  einem  rechten  Winkel  auf  das  laterale  Unterkieferende 
stossen;  beide  Anlagen  werden  sehr  frühzeitig  in  Knorpel  verwandelt  {Taf.  XV 
Fig.  270.  271,  Taf  XVI  Fig.  299—303).  Da  der  ganze  ventrale  Theil  des 
Unterkieferbogens  alsbald  unter  reichlicher  Entwicklung  eines  weitmaschigen 
oder  mit  grossen  Lymphräumen  versehenen  Bindegewebes  stark  aufgetrieben 
wird,  so  nimmt  der  knorpelige  Unterkiefer  nur  den  kleinen  oberen  Theil  des 
ganzen  Raumes  unmittelbar  unter  der  queren  Scheidewand  ein,  welche  die 
innere  Mundhöhle  und  die  äussere  Mundbucht  trennt,  sodass  er  zwischen  der 
inneren  und  äusseren  Bekleidung  des  ganzen  Bogens,  d.  h.  zwischen  Darmblatt 
und  Oberhaut  eingeschlossen  liegt.  Sowie  aber  der  ganze  ventrale  Unter- 
kieferbogen noch  längere  Zeit  einen  medianen  Einschnitt  behält,  die  letzte  Spur 
seiner  Entwicklung  aus  zwei  konvergirenden  Hälften  und  folglich  eine  Art 
Fortsetzung  oder  Ausläufer  der  Mundbucht,  so  verläuft  auch  die  cylindrische 
Anlage  des  Unterkiefers  nicht  geradlinig  von  einer  Seite  zur  anderen ,  sondern 
besteht  aus  zwei  Seitenhälften,  welche  hinter  jenem  Einschnitte  in  einer  rück- 
wärts und  abwärts  gerichteten  Spitze  zusammentreffen ,  von  dort  aus  aber 
lateralwärts  einen  nach  vorn  konvexen  Bogen  beschreiben,  dessen  Ende  wieder 


(338  IX-  Der  Kopf. 

nach  aussen  umgebogen  ist ,  sodass  jede  Unterkieferhälfte  S-förmig  gekrümmt 
erscheint  (Taf.  XVII  Fig.  318.  319).  Jenes  laterale  Ende  umgreift  den  hin- 
abziehenden Muskelstrang  von  hinten  her  und  zwar,  da  es  im  Niveau  des 
Mundhöhlenbodens  die  Grenze  des  Bauchtheils  vom  Unterkieferbogen  gegen 
dessen  Seitentheil  bildet,  gerade  an  der  Stelle,  wo  die  dicke  obere  Muskelmasse 
(Mm.  pterygoideus ,  temporalis,  masseter)  in  die  schmächtigere  untere  Fort- 
setzung (M.  submentalis)  übergeht  (Taf.  XV.  Fig.  269.  270).  Allmählich 
schiebt  sich  aber  dieses  quere  Unterkieferstück  zwischen  die  anfangs  zusam- 
menhängenden Enden  beider  Muskelmassen  und  trennt  sie  dadurch  vollständig. 
Die  Kaumuskeln  befestigen  sich  an  ihm  an  der  ursprünglichen  Berührungsstelle, 
d.  h.  etwas  medianwärts  von  seinem  äusersten  Ende  (Taf.  XVIII).  Die  beiden 
einwärts  gerichteten  Hälften  des  M.  submentalis  rücken  indessen  gegen  die 
Medianebene  vor  und  vereinigen  sich  schliesslich  zu  einem  einzigen  queren 
Muskel,  welcher  die  Enden  der  Mm.  geniohyoidei  von  unten  verdeckt  (vergl. 
S.465.  407)  und  deren  Ansatzstellen,  nämlich  das  eingeknickte  Mittelstück  des 
Unterkiefers  von  hinten  her  umgreift,  indem  er  seine  bleibenden  Insertionen 
jederseits  nach  aussen  von  dem  Scheitel  der  konvexen  Krümmung  des  Unter- 
kiefers findet  (Taf.  XX  Fig.  363).  Wie  schon  aus  den  Ansätzen  dieser  Mus- 
keln hervorgeht,  muss  der  M.  submentalis  die  lateralen  Abschnitte  des  Unter- 
kiefers einander  zu  nähern  suchen,  während  die  Mm.  geniohyoidei  die  beiden 
Schenkel  des  eingeknickten  Mittelstückes,  an  denen  sie  sich  befestigen,  rück- 
wärts ziehen  müssen.  Da  nun  der  Unterkiefer  jederseits  in  der  sich  allmählich 
ausbildenden  Gelenkverbindung  mit  dem  Suspensorium  einen  festen  Drehpunkt 
besitzt,  so  sind  jene  Muskelwirkungen  nur  ausführbar  bei  einer  zusammenge- 
setzten Bewegung  jeder  Unterkieferhälfte,  wobei  ihre  Seitenstücke  bei  einer 
Drehung  nach  hinten  ihre  medialen  Enden  rückwärts  nähern  und  zugleich  das 
Mittelstück  stärker  einknicken.  Dies  setzt  aber  nothwendig  voraus  oder  ver- 
anlasst die  Bildung  dreier,  wenngleich  unvollkommener  Gelenke  des  ganzen 
Unterkiefers  in  den  Zwischenräumen  der  vier  Muskelansätze,  also  am  Scheitel 
der  beiden  konvexen  Krümmungen  und  an  der  medianen  Spitze.  In  Folge 
dessen  muss  man  am  Unterkiefer  unserer  Larven  zwei  Paare  symmetrischer 
Stücke  unterscheiden,  zwei  kleinere  mediale  und  zwei  grössere  laterale,  von 
denen  jene  nach  hinten  und  unten,  diese  in  horizontaler  Lage  nach  vorn  kon- 
vergiren.  Diese  ursprüngliche  Stellung  der  Seiten-  und  Mittelstücke  des 
Unterkiefers,  wobei  die  Mundhöhle  eine  ziemlich  weite  Lichtung  besitzt  und 
die  Mundränder  von  einander  abstehen,  entspricht  auch  bei  der  ihre  Kiefer 


1.    Der  Vorderkopf.  639 

bereits  bewegenden  Larve  dem  Zustande  bei  geöffnetem  Munde.  Wird  er  ge- 
schlossen, so  tritt  eine  sehr  auffallende  Lageveränderung  der  Unterkieferstücke 
ein,  welche  ich  jedoch  erst  nach  der  Beschreibung  des  gesammten  Bewegungs- 
apparats der  Kiefer  erörtern  kann. 

Das  Suspensorium  des  Unterkiefers  ist  eine  vielfach  gebogene,  mit  mehre- 
ren Fortsätzen  versehene  Knorpelplatte,  welche  desshalb  an  den  jüngsten  Lar- 
ven, welche  eine  plastische  Zergliederung  noch  nicht  gestatten,  in  einzelnen 
Durchschnitten  nur  unvollständig  dargestellt  werden  kann.  Doch  ergibt  sich 
ihr  Bau  ohne  Schwierigkeit  aus  ihrer  Entwicklungsgeschichte,  welche  die  ein- 
zelnen Theile  erst  nacheinander  auftreten  lässt  und  zum  Ganzen  fügt.  Ihre 
erste  Anlage,  zugleich  ihr  Hauptstück,  ist  eine  relativ  dünne  und  sich  erst  all- 
mählich verbreiternde  Platte,  welche  an  der  Hinter-  und  Aussenseite  der  Heber 
des  Unterkiefers  schräg  nach  vorn  hinabzieht  und  in  zwei  dicke  Gelenktheiie 
ausläuft  (Taf.  XVI  Fig.  300).  Der  eine  liegt  in  der  angegebenen  Richtung, 
stösst  auf  den  Unterkiefer  und  artikulirt  mit  ihm  auswärts  von  der  Insertion 
jener  Muskeln.  Seine  geschweifte  Gelenkfläche  sieht  nach  innen,  vorn  und 
unten ,  sodass  das  eingefügte  Unterkieferende  bei  der  Ausführung  seiner  Be- 
wegungen am  seitlichen  Ausweichen  aus  dem  Gelenke  verhindert  wird  (Taf. 
XVIII  Fig.  324.  327.  329.  331).  Der  zweite  Gelenktheil  wächst  aus  der 
unteren  Hälfte  des  Suspensoriums  nach  hinten  und  unten  hervor  und  besteht 
in  einem  niedrigen  aber  breiten  Stumpfe,  dessen  Ende  eine  Gelenkgrube  ent- 
hält, in  welche  der  flache  vordere  Seitenhöcker  des  grossen  Zungenbeinhorns 
sich  einsenkt.  Im  oberen  Theile  geht  die  ganze  Knorpelplatte  oder  der  Qua- 
dratbeinknorpel hinter  dem  dorsalen  Ende  des  M.  temporalis  medianwärts 
in  den  schon  früher  beschriebenen  Schläfenflügelknorpel  über,  welcher  sich 
allmählich  in  den  Schädel  einfügt  (S.  633).  Der  Uebergang  beider  Theile  in 
einander  ist  ein  durchaus  kontinuirlicher,  unmerklicher,  und  ihre  Unterschei- 
dung ist  nicht  genetisch,  sondern  durch  das  spätere  Verhalten  begründet  und 
gerechtfertigt.  Oben  und  seitwärts  an  der  konkav  gebogenen  Vorderfläche 
des  Schläfenflügelknorpels  befestigt  sich  der  M.  temporalis  in  flacher  Ausbrei- 
tung,- um  sich  abwärts  zu  einem  rundlichen  Bauche  zusammenzuziehen,  dessen 
Ende  den  Unterkiefer  von  oben  etwas  umgreifend  sich  an  dessen  Vorderfläche 
ansetzt.  Der  M.  temporalis  rollt  daher  das  Seitenstück  des  Unterkiefers  nach 
oben  und  hinten  um,  während  er  es  zurückzieht.  Ein  lateraler,  ziemlich  star- 
ker Bündel  inserirt  sich  während  der  Larvenzeit  an  dem  noch  zu  beschreiben- 
den, unmittelbar  davor  liegenden  Oberkieferknorpel.     Die  mediale  Fläche  des 


6AÖ  IX.  Der  Kopf. 

Sehläfenflügelknorpels,  an  welcher  die  einzelnen  Ae'ste  des  Stammnerven  und 
der  Kiefernervenstamm  aus  der  Schädelhöhle  in  die  Augengmbe  eintreten, 
bleibt  frei;  sein  unterer  Rand  dagegen  dient  dem  M.  pterygoideus  zum  Ur- 
sprünge, dessen  Insertionsende  sich  unter  den  M.  temporalis  schlägt  und  nach 
aussen  von  dessen  Ansatzstelle,  hart  neben  dem  Unterkiefergelenk  sich  am 
Unterkiefer  befestigt.  Ausser  den  genannten  Theilen  entwickelt  der  Quadrat- 
beinknorpel noch  zwei  Fortsätze:  die  Flügelgaumenplatte  und  den 
Joe  lifo  rtsatz.  Der  letztere  ist  eine  dreieckige  Knorpelplatte,  welche  am 
Aussenrande  des  Quadratbeinknorpels  über  und  vor  dem  Zungenbeingelenke 
mit  breiter  Basis  entspringt,  die  Kaumuskeln  lateralwärts  verdeckt  und  mit 
ihrer  Spitze  vor-  und  aufwärts  gerichtet  ist  (Taf.  XVII Flg.  316,  Taf.  XVIII 
Fig.  324-327.  331,  Taf.  XIX  Fig.  335-337).  Von  der  Innenfläche  des 
Jochfortsatzes  entspringt  der  kurze  M.  masseter  mit  zwei  Bündeln-,  sie  kon- 
vergiren  nach  innen ,  vorn  und  unten  und  erreichen  lateralwärts  vom  M.  tem- 
poralis das  Seitenstück  des  Unterkiefers,  welches  sie  umrollen  und  zurück- 
ziehen, d.  h.  in  einer  Kegelfläche,  deren  Spitze  im  Hauptgelenke  liegt,  auf-  und 
rückwärts  bewegen  helfen ,  wobei  das  geknickte  Mittelstück  des  Unterkiefers 
etwas  quer  gestreckt  wird.  Die  Aussenfläche  des  Jochfortsatzes  dient  dem 
zum  Zungenbeinbogen  gehörigen  breiten  M.  depressor  ossis  hyoidei  zum  Ur- 
sprünge; von  ihm  bedeckt  und  mit  ihm  sich  kreuzend  zieht  der  gleichfalls  aus 
dem  zweiten  äusseren  Segmente  hervorgehende  M.  depressor  mandibulae  von 
der  Hinterfläche  des  Quadratbeinknorpels  zwischen  dem  Jochfortsatze  und 
dem  Zungenbeingelenke  zum  äussersten  Ende  des  Unterkiefers  hinab  (a.  a.  0. 
und  Taf .XVI Fig. 294. 299).  Dicht  unter  seinem  Ansätze  liegt  derjenige  des 
M.  levator  ossis  hyoidei,  welcher  horizontal  vom  Ende  des  grossen  Zungenbein- 
horns  kommt.  —  Aehnlich  wie  der  Jochfortsatz  am  Aussenrande  des  Quadrat- 
beinknorpels, wächst  die  Flügelgaumenplatte  an  seinem  Innenrande  hervor;  sie 
liegt  dem  Darmblatte,  soweit  es  die  seitliche  Auskleidung  der  Mundhöhle 
bildet,  dicht  an,  steigt  also  unter  den  Kaumuskeln  und  medianwärts  von  ihnen 
in  gleichmässiger  Breite  vorwärts  auf  und  verschmilzt  mit  dem  ersten  Wirbel- 
bogen, dem  späteren  Seitenrande  der  Schädelbasis  {Taf.  XVI  Flg.  290.  302, 
Taf  XVII Fig.  310.  317,  Taf.  XVIII Flg.  324.  331).  Diese  Verbindung 
rückt  während  der  Ausdehnung  der  Schädelbasis  endlich  so  weit  vor ,  class  die 
Flügelgaumenplatte  die  innere  Nasenöffnung  von  hinten  begrenzt.  Auf  diese 
Weise  umgibt  das  Knorpelstück,  welches  ich  zuerst  ganz  allgemein  als  Sus- 
pensorium des  Unterkiefers  bezeichnete,  indem  es  sich  mit  der  Mitte  und  dem 


1.   Der  Vorderkopf.  641 

Vorderende  der  ganzen  seitlichen  Schädelwand  verbindet,  eine  Oeffnung,  welche 
den  Boden  der  Schläfenaugengrube  einnimmt  und  durch  Bindegewebe  und  Mus- 
keln ausgefüllt  wird.  Aus  der  Verbindimg  der  Flügelgaumenplatte  und  der 
Schädelwand  entwickelt  sich  weiterhin  eine  hinter  der  Nasenkapsel  aufsteigende 
Leiste ;  sie  wird  unter  Einschliessung  des  äusseren  Zweiges  vom  N.  nasalis  vom 
Ürbitalfortsatze  des  Nasenknorpels  bedeckt  und  beide  bilden  alsdann  eine  nie- 
drige vordere  Wand  der  Augenhöhle  (Taf. XV II  Fig.  331,  Taf.  XIX  Fig.  342. 
343).  Vervollständigt  wird  dieselbe  durch  straffes  Bindegewebe,  welches  von 
ihr  zum  Jochfortsatze  sich  erstreckend  (Jochbogen)  zugleich  die  von  letzterem 
dargestellte  Seitenwand  der  Schläfenaugengrube  ergänzt.  Die  hintere  und  die 
innere  Wand  derselben  Grube  (laterale  Schädelwand,  Schläfenflügelknorpel) 
habe  ich  bereits  beschrieben.  Es  besitzt  also  schon  die  Larve  eine  gut  begrenzte 
Schläfenaugengrube,  deren  vorderer  innerer  Theil  vom  Auge  und  dessen  vom 
ersten  Stammsegmente  gelieferten  Muskeln  und  Nerven,  der  hintere  und  äus- 
sere Theil  von  den  Muskeln  und  Nerven  des  ersten  äusseren  Segments  einge- 
nommen wird. 

Die  Betrachtung  der  Flügelgaumenplatte  führt  naturgemäss  zur  Entwickl- 
ungsgeschichte des  zuletzt  angelegten  und  ausgebildeten  Theils  des  Vorder- 
kopfes, nämlich  des  Gesichtstheils;  denn  jene  Knorpelplatte  entsteht  bereits  in 
dem  am  Aufbaue  des  Gesichts  betheiligten  lateralen  Gesichtsfortsatze  des  äus- 
seren Segments.  Da  das  Gehirn  und  damit  der  ganze  Rückentheil  des  Vor- 
derkopfes anfangs  den  Unterkieferbogen  nach  vorn  überragt,  so  muss  alsdann 
die  ganze  Vorderfläche  des  Kopfes  schräg  nach  hinten  abfallen.  Aus  dieser 
schrägen  Kopfseite  wächst  nun  der  Gesichtstheil  der  Larve  hervor.  Betrachtet 
man  das  äussere  Relief  dieser  Kopfregion  an  verschiedenen  Larven  der  er- 
sten Periode,  wobei  also  der  Blick  den  Kopf  von  vorn  und  unten  treffen  muss, 
so  kann  man  folgende  Entwicklungsstufen  der  Gesichtsbildimg  unterscheiden. 
Zur  Zeit,  wenn  das  Centralnervensystem  eben  in  der  Schliessung  begriffen  ist, 
wird  die  ganze  Vorderseite  des  Kopfes  unter  der  Oberhaut  nur  von  zwei  Haupt- 
anlagen eingenommen:  die  durch  die  Augenanlagen  verbreiterte,  in  dieser 
Ansicht  ohngefähr  dreieckige  vordere  Hirnhälfte  bildet  den  oberen  Theil,  die 
sich  darunter  hinziehenden,  in  einem  flachen  Bogen  zusammenstossenden  Kie- 
ferwülste den  unteren  Theil  der  Gesichtsgegend  (Taf.  III  Fig.  45).  Zwischen 
beiden  und  in  der  Medianebene  liegt  eine  Einsenkung,  gleichsam  eine  Erweite- 
rung der  trichterförmigen  Anlage  des  Hirnanhangs,  welche  seitlich  am  unteren 
Rande  des  Hirns  in  je  eine  flache  Furche,  den  Anfang  der  Nasengrube,  ausläuft, 

Goettk,   Entwickelungsgeschichte.  41 


642  IX-   Der  Kopf. 

abwärts  aber  sich  zwischen  die  Kieferwülste  fortsetzt  und  so  die  Anlage  der 
äusseren  Mundbucht  herstellt.  Während  der  seitlichen  Abplattung  des  ganzen 
Kopfes  verändert  sich  das  äussere  Bild  ganz  auffallend  (Fig.  46).  Der  vor- 
derste Abschnitt  des  Vorderhirns  erscheint  als  ein  schmaler  Vorsprung  zwi- 
schen den  vertieften,  aufwärts  gerichteten  Nasengruben,  welche  unter  jenem 
Vorsprunge  durch  rinnenförmige  Fortsetzungen  mit  dem  obersten  Ende  der 
Mundbucht  oder  der  Anlage  des  Hirnanhangs  zusammenhängen  (vgl.  S.  318. 
330).  Darunter  ist  der  flache  Bogen  der  Kieferwülste  durch  die  ansehnliche 
Höhenzunahme  auf  Kosten  der  Breite  unkenntlich  geworden,  und  seine  Stelle 
nehmen  dann  paarige  seitliche  Wülste  und  die  beiden  ventralen  Hälften  des 
Unterkieferbogens  ein,  unter  denen  die  beiden  vorher  auseinanderstehenden 
Haftorgane  zusammengestossen  sind.  Die  folgende  Entwickelungsstufe  zeigt 
Veränderungen  vorherrschend  in  der  Umgebung  der  Nasengrube  (Fig.  47).  Die 
sie  mit  der  Mundbucht  verbindenden  Furchen  sind  ausgeglichen  oder  nur  noch 
schwach  angedeutet,  die  Gruben  selbst  durch  paarig  zwischen  ihnen  und  dem 
Vorderhirn  hervortretende  Fortsätze  von  einander  entfernt;  diese  letzteren 
aber  verbinden  sich  miteinander  in  der  Medianebene,  anderseits  lateral-  und 
abwärts  unter  den  Nasengruben  mit  den  oben  bezeichneten  seitlichen  Wülsten, 
sodass  aus  diesen  vier  Vorsprüngen  endlich  ein  gewölbtes  Dach  der  Mundbucht 
hervorwächst,  welches  sich  mit  seinen  seitlichen  Enden  auf  den  Unterkiefer- 
bogen stützt  und  mit  ihm  die  äussere  Mundöffnung  umschliesst  (Fig.  48).  Im 
weiteren  Verlaufe  der  Entwickelung  schwindet  dieses  durch  die  Umbildung 
der  einzelnen  Segmenttheile  hervorgerufene  Relief  des  Gesichts,  indem  die 
Oberhaut  durch  die.  weiten  Lymphräume  des  subepidermoidalen  Bindegewebes 
ziemlich  gleichmässig  aufgetrieben  wird  (Fig.  49).  —  Hält  man  sich  nun  an 
die  eben  gegebene  Uebersicht  der  äusseren  Erscheinungen  bei  der  Entwicke- 
lung des  Gesichts,  welche  bisher  für  die  Bildungsgeschichte  des  letzteren  mass- 
gebend waren,  so  würde  jeder  mit  der  Entwickelungsgeschichte  der  Wirbel- 
thiere  einigermassen  Vertraute  in  der  ersten  der  angeführten  Entwicklungs- 
stufen einen  einfachen  unter  dqm  Hirn  hinziehenden  Unterkieferbogen,  darauf 
zwei  seitlich  daraus  hervorwachsende  „Oberkielerwülste"  und  ferner  einen 
zwischen  den  Nasengruben  erst  einfach,  dann  paarig  hervorwuchernden  „Stirn- 
fortsatz" zu  erkennen  glauben.  Eine  solche  Deutung  wäre  aber  sowohl  im 
Vergleiche  mit  anderen  Wirbclthierembryonen  falsch  als  auch  an  sich  für  die 
Erkenntniss  der  betreffenden  Entwickelungsvorgänge  von  geringem  oder  gar 
keinem  Werthe,  und  ich  halte  gerade  die  genannten  Erscheinungen  bei  der 


1.  Der  Vorderkopf.  643 

Bildung  des  Batrachiergesichts  für  besonders  geeignet  die  Unvollkommenheit 
der  bisher  geübten  Methode  darzulegen,  welche  die  Entwickelungsgeschichte 
des  Gesichts  zum  grössten  Theile  auf  die  Beschreibung  des  äusseren  Reliefs 
beschränkte.  Fürs  erste  kann  der  laterale  oder  Oberkieferwulst  der  Batrachier 
dem  Oberkieferfortsatze  anderer  Wirbelthierembryonen  gar  nicht  verglichen 
werden,  da  er  sowohl  das  Homologon  des  letzteren,  den  lateralen  Gesichts- 
fortsatz des  äusseren  Segments,  als  auch  eine  dem  sogenannten  „seitlichen 
Stirnfortsatze"  oder  „äusseren  Nasenfortsatze"*)  entsprechende  Fortsetzung 
des  inneren  Segments  enthält,  welche  Theile  aber  äusserlich  allerdings  nicht 
geschieden  erscheinen  (Taf.  XVI  Fig.  295.  29G).  Ferner  scheint  es  mir  un- 
passend, den  lateralen  Gesichtsfortsatz  (Oberkieferfortsatz  aut.)  aus  dem  Un- 
terkieferbogen abzuleiten,  da  die  nähere  Untersuchung  ergibt,  dass  beide 
Theile  gleichzeitig  und  neben  einander  sich  aus  dem  indifferenten  Kieferwulste 
absondern  (Taf.  XVI  Fig. 288  n.  flg).  Endlich  ist  der  „mittlere  Stirnfortsatz" 
wenigstens  im  Anfange  seines  Bestehens  nur  der  Ausdruck  des  vorragenden 
Vorderhirns  und  sind  in  seinem  Innern  die  für  das  Gesicht  bestimmten  Theile 
des  mittleren  Keimblattes  kaum  spurweise  enthalten  {Taf.  XIV  Fig.  251,  Taf^ 
XVII  Fig.  305).  Ueberdies  muss  ich  aber  die  bisher  üblichen  Bezeichnungen 
zurückweisen,  weil  sie  falschen  Voraussetzungen  über  die  Bedeutung  der  Theile 
entsprangen.  In  dem  allerdings  nur  bei  den  Batrachiern  vorkommenden  unge- 
sonderten Oberkieferwulste  sind  freilich  die  Grundlagen  für  die  ganze  Ober- 
kiefergegend enthalten,  nicht  aber  bloss  in  seinem  äusseren  Theile,  welcher  bei 
anderen  Wirbelthierembryonen  als  Oberkieferfortsatz  bekannt  ist.  Denn  der 
Oberkieferknorpel  unserer  Larven  entsteht,  wie  ich  gleich  zeigen  werde,  mit  der 
Hauptmasse  des  Gesichts  aus  den  beiderlei  „Stirnfortsätzen."  Dieser  letztere 
Ausdruck  ist  aber  nicht  nur  für  den  in  den  Oberkieferwulst  eingehenden  Theil 
des  Stammsegments  unzulässig,  da  derselbe  zur  Stirn  in  gar  keiner  Beziehung 
steht  (vgl.  Kölliker  a.  a.  0.),  sondern  auch  für  den  mittleren,  zwischen  den 
Nasengruben  gelegenen  Theil  unpassend,  weil  derselbe  auch  nicht  einmal  theil- 
weise  „aus  dem  Schädeldache"  hervorwächst,  sondern  unter  dem  Hirn  hervor 
umfänglich  sich  zu  entwickeln  beginnt,  während  zwischen  der  Oberhaut  und  dem 
Vorderhirngewölbe  eine  Grundlage  der  späteren  Stirntheile  entweder  noch  gar 
nicht  oder  doch  nur  in  den  spärlichen  Andeutungen  eines  interstitiellen  Bil- 


*  Dieser  Fortsatz  legt  sich  keilförmig  zwischen  den  „Oberkieferfortsatz"  und  den  „mitt- 
leren Stirnfortsatz"  (vgl.  Kölliker  No.  48  S.  211). 

41* 


644  !X.    Der  Kopf. 

dungsgewebes  vorhanden  ist  {Taf.  XVI  Fig.  293.  298.  303).  Die  sogenannten 
Stirnfortsätze  und  die  Stirnanlagen  sind  vielmehr  als  Erzeugnisse  des  das 
Centralnervenorgan  über  seiner  Axe  umwachsenden  Stammsegments  gleicher- 
weise Homologa  der  Membrana  reuniens  superior  des  Rumpfes  und  daher  ge- 
netisch durchaus  koordinirte  Sonderungen  derselben  Grundlage-,  und  wenn  man 
an  ihnen  wie  gewöhnlich  die  Skelettheile  zunächst  ins  Auge  fasst,  so  ist  die 
Stirnwand  oder  das  Schädeldach  vielmehr  als  Fortsetzung  der  Schädelbasis 
und  ihrer  Ausläufer  in  den  Gesichtstheil  zu  betrachten  als  umgekehrt.  Und 
da  die  beiderlei  Stirn-  oder  Nasenfortsätze,  obgleich  sie  anfangs  äusserlich 
durch  die  Nasengrube  und  ihre  zur  Mundbucht  hinabziehende  Furche  geschie- 
den erscheinen,  in  der  Folge  gar  keine  entsprechend  gesonderten  anatomischen 
Theile  entwickeln,  sondern  in  durchaus  gemeinsamer  Arbeit  das  Gesichtsskelet 
entwickeln,  so  wähle  ich  für  beide  den  gemeinsamen  und  ganz  allgemeinen 
Namen  des  medialen  Gesichtsfortsatzes.  —  Es  werden  auf  diese  Weise 
die  Bildungsanlagendes  Gesichts  nicht  nach  dem  äusseren  Relief,  sondern  nach 
ihrem  Ursprünge  aus  den  Segmenttheilen  unterschieden-,  der  mediale  Gesichts- 
fortsatz, welcher  mit  zwei  Schenkeln  die  Nasengrube  umwächst,  ist  eine  Bildung 
des  Stammsegments,  der  laterale  Gesichtsfortsatz  des  äusseren  Segments  (Aus- 
sentheil des  ganzen  Oberkiefervvulstes)  legt  sich  nur  von  aussen  und  hinten  dem 
ersteren  an.  Die  Bedeutung  dieser  Lagebeziehungen  erhellt  aber  erst  vollstän- 
dig, sobald  wir  die  Ursachen  der  genannten  Fortsatzbildimgen  uns  klar  zu 
machen  suchen. 

Das  durch  die  Sehnervenanlage  anfänglich  getheilte  Stammsegment  fiiesst 
vor  dem  Auge,  zwischen  diesem,  der  Geruchsplatte  und  dem  Vorderhirne  wieder 
zusammen,  um  von  dort  aus  in  alle  anstossenden ,  zwischen  den  genannten  Or- 
ganen und  der  Oberhaut  befindlichen  spaltartigen  Räume  hineinzuwachsen 
(Taf.  XVI  Fig.  288  n.  flg.).  Dies  ist  eben  die  ungetheilte  Wurzel  des  medialen 
Gesichtsfortsatzes.  Sie  erstreckt  sich  nun  nicht  gleichmässig  über  die  ganze 
Fläche  des  anliegenden  Vorderhirnabsclmittes ,  sondern  läuft  aufwärts  in  eine 
verdünnte  Zellenlage,  eben  die  erste  Stirnanlage,  aus,  während  ihre  grössere 
Masse  sich  gerade  um  die  vordere  anatomische  Hirnbasis  ansammelt,  um 
darauf  schräg  vor-  und  abwärts  auszuwachsen.  Diese  ungleichmässige  Anord- 
nung der  mit  einer  Membrana  reuniens  superior  zu  vergleichenden  Theile  des 
Vorderkopfes  hängt  unzweifelhaft  aufs  innigste  zusammen  mit  dessen  komplicir- 
ten  Lagebeziehungen.  Die  Bildung  des  Vorderhirngewölbes  ist  dabei  nicht  in 
erster  Linie  massgebend;  denn  sie  ist  in  der  in  Rede  stehenden  Periode  noch  un- 


1.  Der  Vorderkopf.  645 

bedeutend,  und  anderseits  liegt  jenes  Gewölbe  im  Uebergange  zur  Schlussseite 
des  Hirns  der  Oberhaut  ursprünglich  ebenso  eng  an  wie  weiter  oben.  Von  ent- 
scheidender Bedeutung  für  die  Bildung  des  mittleren  Gesichtsfortsatzes  scheint 
mir  aher  der  Umstand  zu  sein,  dass  das  erste  äussere  Segmentpaar  das  Hirn 
nicht  vorwärts  umkreist,  sondern  durch  die  mediane  Scheidewand  des  Kiefer- 
theils  in  dessen  seitliche  Taschen  gedrängt  nach  unten  auswächst.  Der  daraus 
hervorgehende  Unterkieferbogen  bildet  also  mit  dem  horizontal  auswachsenden 
Vorderhirne  einen  Winkel,  welcher  aber  durch  die  zwischen  beiden  Theilen 
ausgespannte  Oberhaut  äusserlich  verdeckt  wird.  Dieser  durch  die  Einsenkung 
der  Mundbucht  gewissermassen  in  eine  Falte  verwandelte  Oberhautabschnitt 
unischliesst  einen  von  der  Seite  gesehen  dreieckigen  Baum,  welcher  für  die 
Ausbreitung  der  angrenzenden  Segmenttheile  die  günstigsten  Formbedingungen 
darbietet,  also  auch  ihre  Richtung  bestimmt.  Aus  der  vorangegangenen  Be- 
schreibung wird  man  erkennen,  dass  diese  neuentstehende  Kopfregion  äusser- 
lich durch  den  Oberkieferwulst  bezeichnet  wird,  und  ferner  verstehen,  warum 
sie  trotz  ihrer  topographischen  Einheit  von  zwei  Seiten  her  ganz  verschiedene 
und  durch  embryonale  Lymphräume  deutlich  gesonderte  Segmenttheile  erhält. 
Dieser  Inhalt  des  Oberkieferwulstes  wächst  eben  nicht  aus  einer  einheitlichen 
Wurzel  im  Grunde  des  oben  bezeichneten  Winkels  hervor,  sondern  das  Stamni- 
segment  wie  das  äussere  Segment  entsenden  in  den  sich  neben  ihnen  neu  er- 
öffnenden Baum  Ausläufer  ihrer  noch  indifferenten  Bildungsmassen, -welche  da- 
her für  das  eine  von  oben,  vorn  und  innen  (medialer  Gesichtsfortsatz),  für  das 
andere  von  unten,  hinten  und  aussen  herkommen  (lateraler  Gesichtsfortsatz) 
und  bei  weiterer  Ausbreitung  sich  auch  entsprechend  decken.  Da  jedoch  die  be- 
zeichnete Abhebung  der  Oberhaut  vom  Hirntheile  des  Vorderkopfes  sich  selbst- 
verständlich nicht  auf  die  Aussenseite  beschränkt,  sondern  gleicherweise  dessen 
laterale  Bauchseite  betrifft,  soweit  ihr  nicht  durch  die  mediane  Mundbucht 
Grenzen  gesteckt  werden,  so  entwickelt  sich  der  mediale  Gesichtsfortsatz  nicht 
nur  lateralwärts  von  der  entgegenstehenden  Nasengrube  (seitlicher  Stirnfort- 
satz, äusserer  Nasenfortsatz),  sondern  auch  medianwärts  von  ihr  nach  unten 
und  vorn  (mittlerer  Stirnfortsatz);  und  da  beide  Schenkel  des  Fortsatzes  durch 
die  Nasengrube  ebenso  wie  weiter  rückwärts  das  Stammsegment  durch  den 
Sehnerven  nur  zeitweilig  getrennt  erscheinen,  sehr  bald  aber  um  die  Nasen- 
höhle herum  kontinuirlich  zusammenfliessen,  so  ist  ihre  Zusammenfassung  zu 
einem  medialen  Gesichtsfortsatze  auf  jeder  Körperseite  gerechtfertigt. 

Nach  dieser  Darstellung  des  ursächlichen  Zusammenhangs  der  embryo- 


646  IX-  Dei'  Ko  f. 

nalen  Gesichtsbildimg  mit  den  ursprünglich  im  Vorderkopfe  enthaltenen  Form- 
bedingungen wende  ich  mich  zur  speciellen  Entwickelungsgeschichte  des  Ge- 
sichtstheils.  —  Die  Grenzen  des  medialen  Gesichtsfortsatzes  lassen  sich  anf- 
and rückwärts  nicht  bestimmt  angeben,  da  er  dort  kontinuirlich  in  die  schon 
betrachteten ,  das  Vorderhirn  und  das  Auge  umgebenden  Stammsegmenttheile 
übergeht.  Abwärts  bleibt  er  gegen  den  lateralen  Gesichtsfortsatz  des  äusseren 
Segments  so  lange,  bis  die  histologische  Sonderung  der  einzelnen  Anlagen  an- 
gefangen hat,  durch  deutliche  Spalten  getrennt,  und  daher  lassen  sich  auch 
seine  späteren  Erzeugnisse  leicht  bestimmen  (Taf.  XVI).  Von  seiner  Wurzel 
aus  umwächst  der  mediale  Gesichtsfortsatz  zuerst  die  davor  liegende  Geruchs- 
platte, wobei  deren  dem  Vorderhirn  angeschmiegte  konvexe  Fläche  seine  Masse 
in  einen  oberen  und  einen  unteren  Strang  theilt,  zwischen  denen  der  Geruchs- 
nerv sich  absondert  (Taf.  XIII Fig.  223.  227—229,  Taf.  XV Fig.  266—268). 
Nachdem  diese  Stränge  sich  vor  dem  Geruchsnerven  wieder  vereinigt  haben, 
ist  die  Kontinuität  des  ganzen  Fortsatzes  in  derselben  Weise  wiederhergestellt, 
wie  der  Sehnerv  den  älteren  Theil  des  Stammsegments  nur  zeitweilig  spaltete. 
Die  laterale  Umwachsung  des  Geruchsorgans  fällt  mit  der  Herstellung  einer 
wirklichen  Nasengrube  zusammen.  Ich  habe  früher  gezeigt  (S.  330),  dass  die 
Nasengrube  nicht  aus  einer  Einstülpung  der  Geruchsplatte,  sondern  dadurch 
entsteht,  dass  die  Oberhaut  zuerst  am  oberen  und  hinteren  Umfange  jener 
Platte  mit  einer  freien  Falte  nach  vorn  auswächst  und  indem  sie  dadurch  der 
medialen  Geruchsplatte  eine  seitliche  Nasenplatte  entgegenstellt,  zwischen  bei- 
den die  anfangs  enge  Nasenhöhle  erzeugt  (Taf.  XVII).  In  diese  Oberhautfalte 
dringen  auch  sofort  Theile  des  Gesichtsfortsatzes  vom  Stammsegmente  von 
hinten  ein,  welche  die  epitheliale  Auskleidung  der  Nasenhöhle  nunmehr  von 
innen,  oben  und  aussen  kontinuirlich  umgeben.  Nur  der  Boden  der  Nasengrnbe 
entwickelt  sich  später  als  ihre  Seitenwand,  indem  die  früher  erwähnte  rinnen- 
förmige  untere  Fortsetzung  der  Grube  in  die  Mundbucht  die  beiden  Seiten- 
wände während  einiger  Zeit  als  getrennte  Vorsprünge,  eben  die  beiderlei  Stirn- 
oder Nasenfortsätze,  erscheinen  lässt  (Taf.  III).  Diese  kurzdauernde  Erschei- 
nung wird  aber  bei  den  Batrachiern  nicht  dadurch  aufgehoben,  dass  die  beiden 
Vorsprünge  jene  Furche  wie  bei  den  Amnioten  überbrücken ;  dieselbe  wird  viel- 
mehr von  hinten  her  ausgeglichen,  indem  die  beiden  durch  sie  getrennten  Theile 
des  medialen  Gesichtsfortsatzes  von  ihrer  gemeinsamen  Wurzel  hinter  der  Na- 
sengrube aus  und  unter  entsprechender  Vortreibung  der  Oberhaut  successiv 
nach  vorn  zusammenwachsen.    Auf  diese  Weise  erhält  die  Nasengrube  einen 


1.    Der  Vorderkopf'.  647 

Boden  und  wird  in  einen  Blindsack  verwandelt,  dessen  Oeffnungin  dem  Masse, 
als  sie  vorgeschoben  wird,  sich  zugleich  verengt.  In  der  Felge  scheint  diese 
äussere  Nasenöffnung  successiv  nach  üben  zu  rücken;  diese  Lageveränderung 
ist  aber  keine  thatsächliche,  sondern  bloss  eine  relative  und  dadurch  hervor- 
gerufen, dass  der  die  Nasengrube  nunmehr  vollständig  umschliessende  mediale 
Gesichtsfortsatz  in  einer  gleich  näher  zu  erläuternden  Weise  sich  rasch  vor- 
und  abwärts  ausdehnt,  also  sein  Rand  sich  von  der  Nasenöffnung  entfernt, 
welche  durch  die  ganze  mit  dem  Hirn  verbundene  Nasengrube  an  ihrer  früheren 
Stelle  zurückgehalten  und  nur  durch  den  darunter  entstehenden  Gesichtstheil 
aufwärts  gekehrt  wird.  Der  Grund  der  blind  endigenden  Nasengrube  verlän- 
gert sich  unterdessen  abwärts  und  einwärts  gegen  die  Mundbucht-,  bevor  er 
aber  mit  ihrer  Oberhautauskleidung  verschmelzen  kann,  hat  sich  die  innere 
Mundhöhle  mit  der  sie  quer  verschliessenden  Scheidewand  in  Folge  jenes  star- 
ken Vorwachsens  des  Gesichtsfortsatzes  so  weit  vorgeschoben,  dass  jener  untere 
hintere  Zipfel  der  Nasenhöhle  dicht  hinter  der  queren  Scheidewand  in  die  eigent- 
liche Mundhöhle  durchbricht  {Taf.  XV Fig.  268,  Taf.  XVIII Fig.  320—323). 
Wenn  ich  eben  von  einem  vor-  und  abwärts  gerichteten  Wachsthume  des 
medialen  Gesichtsfortsatzes  sprach,  so  ist  dies  nicht  so  zu  verstehen,  als  wenn 
derselbe  in  der  angegebenen  Richtung  frei  hervorwucherte.  Aus  der  Darstel- 
lung, welche  ich  vom  Kausalzusammenhänge  der  Gesichtsbildung  mit  den  all- 
gemeinen im  Vorderkopfe  enthaltenen  Formbedingungen  gab,  geht  hervor,  dass 
der  Ueberschuss  von  indifferentem  Bildungsmaterial  am  Vorderende  des  Stamm- 
segments  die  bequemsten  Bedingungen  zu  seiner  Ausbreitung  in  der  weiten 
Oberhautfalte  findet,  welche  jederseits  zwischen  der  Vorderhirnbasis  und  dem 
Unterkieferbogen  sich  ausspannt  und  die  Mundbucht  seitlich  begrenzt.  Der  me- 
diale Gesichtsfortsatz  des  Stammsegments  breitet  sich  daher  während  der  Um- 
wachsung der  Nasengrube  zugleich  abwärts  und  rückwärts  in  jener  Falte 
(Oberkieferwulst,  Seitenwand  der  Mundbucht)  gegen  den  Unterkieferbogen  aus. 
Dabei  füllt  er  die  seiner  Wurzel  am  nächsten  liegenden  vorderen  und  oberen 
Theile  des  wulstigen  Mundbuchtrandes  zuerst  und  ausschliesslich  aus,  um  sich 
gegen  den  Unterkieferbogen  etwas  zu  verschmächtigen,  während  der  ihm  ent- 
gegenwachsende laterale  Gesichtsfortsatz  des  äusseren  Segments  seine  Haupt- 
masse hinter  dem  ersteren  entwickelt  und  auf  den  genannten  wulstigen  Rand 
nur  seitlich  mit  verdünntem  Saume  übergreift  {Taf.  XVI  Fig.  288  u.  flg).  Da 
dem  seitlichen  Mundbuchtrande  oder  dem  Oberkieferwulste  durch  die  früh- 
zeitig beginnende  Einwärtsbiegung  des  ventralen  Abschnittes  vom  Unterkiefer- 


g48  IX-  Der  Kopf. 

bogen  eine  bestimmte  untere  Grenze  gestcekt  wird,  so  endet  auch  der  in  ihm 
enthaltene  mediale  Gesichtsfortsatz  an  derselben  Stelle  und  geht  darauf  mit 
dem  Unterkieferbogen  die  schon  kurz  erwähnte  innige  aber  vergängliche  Ver- 
bindung ein  (Oberkieferknorpel  und  M.  temporalis).  Der  hintere  innere  Hand 
unseres  Fortsatzes,  welcher  vom  Augenhöhlenboden  ziemlich  steil  zu  jener 
Stelle  hinzieht,  bleibt  von  den  dahinter  liegenden  Kaumuskeln  längere  Zeit 
durch  embryonale  Lymphräume  deutlich  getrennt.  Die  Hauptmasse  des  Fort- 
satzes ist  daher  im  ganzen  Umfange  der  Nasengrube  und  im  seitlichen  oberen 
Mundbuchtrande  zu  suchen.  Diese  beiderseitigen  Randwülste  divergiren  an- 
fangs von  ihrer  oberen  Verbindung  nur  wenig  abwärts,  umfassen  also 
eine  median  gestreckte  Mundbucht,  welche  oben  am  Ausgangspunkte  der  An- 
lage des  Hirnanhangs  beginnt  und  unten  in  die  beide  Unterkieferhälften  schei- 
dende Furche  ausläuft  {Taf.  III).  In  dem  Masse,  als  die  letzteren  sich  quer 
stellen  und  dadurch  die  Mundbucht  mit  ihrer  Scheidewand  verbreitern,  nimmt 
auch  die  Divergenz  der  oberen  Randwülste  zu,  sodass  sie  endlich  die  querge- 
zogene  Mundbucht  ganz  flach  überragen  und  in  der  Medianebene  immer  mehr 
zu  einem  kontinuirlichen  schirmähnlichen  Dach  zusammenfliessen,  welches 
von  einer  Seite  zur  anderen  gekrümmt  die  Mundbucht  von  vorn  her  verdeckt 
{Taf.  XVI  Fig.  303).  Die  äussere  Mundöffnung  wird  dadurch  natürlich  nach 
unten  gerichtet.  Die  breite  Basis  dieses  Daches  geht  zwischen  und  unter  den 
Nasenhöhlen  in  die  Gegend  der  vorderen  Schädelbasis  und  der  vorderen  Schä- 
delwand über;  unmittelbar  hinter  jenen  Höhlen  steigt  sie  zum  Unterkieferbo- 
gen  hinab,  auf  den  sich  die  lateralen  Enden  des  Daches  in  der  Nähe  des  Unter- 
kiefergelenks gleichsam  stützen. 

Anfangs  schickt  das  Stammsegment  in  den  medialen  Gesichtsfortsatz  nur 
interstitielles  Bildungsgewebe  hinein.  Sobald  aber  die  beiden  Wirbelbogen- 
hälften  des  Vorderkopfes  angelegt  sind,  erscheint  auch  sofort  eine  Fortsetzung 
derselben  in  den  medialen  Gesichtsfortsätzen  oder  dem  Dache  der  Mundbucht, 
wo  sie  an  seiner  Innenseite  der  Oberhaut  dicht  anliegen  ( Taf. X  Fi"  Fig.  303,  Taf. 
X  VII  Fig.  316 — 318).  Solange  aber  dieser  Gesichtstheil  noch  unter  dem 
Zwischenhirne  entspringt,  die  künftige  Schädelbasis  über  den  Sehnervenur- 
sprung wenig  hinausreicht,  stehen  die  konvergirenden  Wirbelbogenhälften  auch 
beim  Uebergange  in  den  Gesichtstheil,  wo  sie  lateralwärts  die  inneren  Nasen- 
mündungen unmittelbar  begrenzen,  ziemlich  weit  auseinander  und  wachsen  im 
Mundbuchtdache  divergirend  nach  aussen  und  unten,  sodass  ihre  abgeplatteten 
Enden  an  dessen  unterster  Grenze  sich  dem  Unterkiefergelenke  nähern.    Wäh- 


y 


1.    Der  Vorderkopf.  649 

rend  die  Schädelbasis  und  damit  die  Basis  des  medialen  Gesichtsfortsatzes 
sieh  bis  unter  das  vordere  Hirnende  vorschieben ,  verbinden  sich  dort  die  Wir- 
bel bogen hälften  ringförmig;  und  von  diesem  vorderen  Schlüsse  der  Schädel- 
basis oder  der  Wurzel  der  vorderen  Schädelwand  setzt  sich  die  Verschmelzung 
der  Bogenhälften  noch  in  den  Gesichtstheil  fort  und  bildet  dadurch  die  unpaare 
mediane  Wurzel  oder  die  Stammplatte  des  Gesichts skelets  (Taf.  XV 
Fig.  284,  Taf.  X  VIII Fig.  324. 326. 327. 331,  Taf.  XIX  Fig.  337. 343).  Mit  den 
ursprünglichen  Hälften  dieser  Stammplatte  sind  auch  die  ihnen  anliegenden 
inneren  Nasenöffnungen  nach  vorn  und  medianwärts  gerückt,  sodass  sie  end- 
lich zur  Seite  der  Stammplatte  liegen.  Dabei  haben  die  eigentlichen  Nasen- 
höhlen ihre  Lage  in  gleichem  Sinne  verändert  und  lagern  daher  jederseits  vor 
der  Schädelkapsel  nahe  bei  einander  auf  den  Seitentheilen  der  Stammplatte. 
Zwischen  ihnen  entwickelt  sich  später  von  der  Stammplatte  aus  eine  mediane 
Knorpelwand,  die  N a  s  e n  s  c  h  e  i  d  e  w  a n  d,  während  die  übrigen  die  Nasenhöhlen 
später  umgebenden  Knorpelstücke  selbstständige  Bildungen  sind,  ähnlich  den 
Knorpelkapseln  des  Gehörorgans  und  de"s  Auges.  —  Aus  der  Stammplatte  tre- 
ten die  beiden  Wirbelbogenhälften  wieder  divergirend  hervor;  indem  sie  sich 
aber  abwärts  gekrümmt  dem  Rande  des  Mundbuchtdaches  nähern,  erleiden  sie 
gewissermassen  eine  Knickung  gegen  die  Median  ebene  und  stossen  mit  den  da- 
durch gebildeten  Vorsprüngen  an  jenem  Rande  zusammen,  ehe  sie  längs  des- 
selben nach  beiden  Seiten  diametral  auseinanderfahren.  Diese  ihre  Seitenflügel, 
welche  durch  eine  rasch  zunehmende  Abplattung  und  Verbreiterung  eine  ohn- 
gefähr  viereckige  Gestalt  mit  geschweiften  Rändern  erhalten,  sondern  sich  als- 
bald durch  einen  Einschnitt  von  den  medialen  Theilen  ab  und  verdienen  als- 
dann die  Bezeichnung  von  Oberkieferknorpeln.  Denn  indem  sie  sich  dem 
Mundbuchtdache  entsprechend  nach  hinten  umbiegen,  stösst  ihre  laterale  obere 
Ecke  an  das  Insertionsende  des  M.  temporalis  und  verbindet  sich  mit  einem 
Bündel  desselben,  einem  zeitweiligen  M.  retrahens  maxillae  superioris,  sodass 
die  fragliche  Knorpelplatte  den  lateralen  oberen  Mundrand  bis  zum  Unterkie- 
ferbogen umzieht.  Dann  ergeben  sich  aber  die  beiden  medialen  Knorpelstücke, 
welche  in  der  Mitte  des  oberen  Mundrandes  zusammenstossen,  seitlich  in  den 
Oberkiefer,  aufwärts  rückwärts  um  eine  mediane  Spalte  herum  in  die  Nasen- 
scheidewand übergehen,  als  die  Hälften  des  Zwischenkiefers.  —  Auf  diese 
Weise  entsteht  die  ganze  knorpelige  Grundlage  des  vorderen  Gesichtsskelets 
aus  den  Enden  des  ersten  Wirbelbogenpaars,  soweit  sie  über  den  Wirbelbogen- 
ring  hinauswachsen;  und  wenn  die  ganze  subepidermoidale  Masse  des  medialen 


550  IX-  Der  Kopf. 

Gesichtstheils  mit  der  Membrana  reuniens  des  Hinterkopfes  und  Rumpfes  ver- 
glichen werden  kann,  so  darf  man  jenes  ursprüngliche  Gesichtsskelet  als  Homo- 
logon  der  Darmfortsätze  der  Rumpfwirbel  betrachten,  welche  allerdings  bei 
unserem  Thiere  in  den  knorpeligen  Spitzen  der  queren  Bogenstücke  nur  ange- 
deutet sind. 

Der  laterale  Gesichtsfortsatz  des  äusseren  Segments  ist  theils  in  die  Tiefe 
des  Oberkieferwulstes,  theils  auf  dessen  untere  Aussenseite  verwiesen  (Taf. 
XVI).  Am  erstgenannten  Orte  entsteht  die  schon  beschriebene  Flügelgaumen- 
platte als  Brücke  vom  Unterkieferbogen  zur  Schädelbasis.  Aussen  zwischen 
demselben  und  dem  Mundbuchtdache  erzeugt  der  laterale  Gesichtsfortsatz  vor- 
herrschend interstitielles  Bildungsgewebe;  nur  sein  unterster  Theil,  welcher  vom 
Ende  des  lateralen  Unterkieferbogens  nach  vorn  ausstrahlt,  verwandelt  sich  in 
spärliche  Muskelbündel.  Doch  wird  diese  dünne  Muskellage  von  der  im  oberen 
Mundrande  überwiegenden  Masse  des  medialen  Gesichtsfortsatzes  so  weit  hin- 
abgedrängt, dass  der  anfangs  stumpfe  seitliche  Mundwinkel,  indem  er  sich  all- 
mählich zuspitzend  quer  vorrückt,  jene  nach  vorn  ausstrahlende  Muskelschicht 
in  zwei  Hälften  theilt,  von  denen  nur  die  obere  die  Seite  des  Mundbuchtdaches 
bedeckt,  die  andere  unter  dem  Mundwinkel  in  den  queren  Unterkieferwulst 
verschoben  wird  (Taf.  XVII  Fig.  318.  319,  Taf.  XVIII  Fig.  326.  328.  331). 
Beide  Muskeln  entspringen  mit  schlanken  Sehnen  von  der  Mitte  der  vorderen 
Fläche  des  lateralen  Unterkieferstückes;  um  aber  ihre  Insertionen  am  oberen 
und  unteren  Mundrande  zu  verstehen,  muss  man  die  besondere  Umbildung  der 
letzteren  kennen  lernen.  —  Wenn  das  Knorpelgerüst  des  Gesichtstheils  an- 
fangs in  der  Tiefe  desselben,  an  seiner  visceralen  Seite  liegt,  so  wird  der  nicht 
unansehnliche  Raum  zwischen  demselben  und  der  vorgewölbten  äusseren  Ober- 
haut theils  von  den  Nasenhöhlen  eingenommen,  zum  grösseren  Theile  aber  von 
einem  bindegewebigen  Balkenwerke  durchzogen,  dessen  Stränge  nach  vorn  aus- 
strahlen und  sehr  weite  Lymphräume  zwischen  sich  frei  lassen  (Taf.  XV  Fig. 
283,  Taf.  XVI  Fig.  302.  303).  Dieses  lockere  und  leicht  verschiebbare  Ge- 
webt erfüllt  also  auch  den  ganzen  wulstigen  Mundrand,  dessen  Oberhaut  da- 
gegen resistenter  ist,  da  sie  schon  sehr  frühe  verdickt  erscheint.  Diese  Ver- 
dickung zieht  sich  vom  unteren  Bande  des  Zwischen-  und  Oberkieferknorpels 
an  deren  hintere  viscerale  Fläche  hinüber,  wo  beide  Theile  so  innig  zusammen- 
hängen, dass  eine  Trennung  derselben  ohne  wesentliche  Beschädigung  des  einen 
oder  anderen  nur  selten  gelingt.  Eine  ähnliche  Oberhautverdickung  befindet 
sich  auf  dem  vorgewölbten  Theile  des  ventralen  Unterkieferbogens,  dicht  unter 


1.   Der  Vorderkopf.  651 

dem  Mittelstücke  des  Unterkiefers,  deren  obere  Fortsetzung  dem  letzteren  eben- 
falls angelöthet  ist.  Beide  Oberhautbildungen  oder  die  Hornlippen  der  Larve 
geben  lateral  wärts  mit  einem  Umschlag  in  einander  über,  und  zwar  in  einem 
solchen  Abstände  von  der  Medianebene ,  dass  die  Seitenstücke  des  Unterkie- 
fers zum  grössten  Theile  und  von  den  Oberkieferknorpeln  die  hinteren 
Fortsätze  frei  bleiben  (Taf.  XVIII  Fig.  329).  Diese  Hornplatten  entwickeln, 
soweit  sie  nicht  mit  den  Kieferknorpeln  verwachsen  sind,  einige  parallele  Quer- 
reihen  von  sogenannten  Hornzähnen,  deren  Entwickelungsgeschichte  und  Hi- 
stiologie  mir  zu  fern  lag,  um  sie  genauer  zu  untersuchen  (vgl.  Vogt,  Leydig, 
Schulze).  Jede  Hornplatte  besteht  also  aus  zwei  Theilen,  dem  unbeweglich 
an  den  betreffenden  Kieferknorpel  befestigten  und  dem  davon  nach  vorn  ab- 
gehenden, zähnetragenden  Theile,  welcher  nach  innen  mit  dem  beschriebenen 
lockeren  Bindegewebe  in  Verbindung  steht  und  daher  am  Knorpelrande  wie 
an  einem  Charnier  bewegt  werden  kann  (Fig.  326—331).  Bevor  die  Larven 
zu  fressen  anfangen,  stehen  diese  beweglichen  Theile  beider  Lippen  so  zu  ein- 
ander, dass  die  obere  Platte  mit  ihrer  konkaven  Fläche  schräg  nach  unten  und 
hinten  sieht,  die  untere  nach  vorn  und  in  Folge  einer  dem  eingeknickten  Mit- 
telstücke des  Unterkiefers  entsprechenden  Einbiegung  etwas  nach  oben  gekehrt 
ist.  Und  da  die  Ansatzlinien  beider  Lippen  kürzer  sind  als  ihre  freien  Aussen- 
ränder,  so  umschliessen  sie  in  der  bezeichneten  Periode  einen  von  zwei  Seiten 
her  etwas  zusammengedrückten  trichterförmigen  Raum;  diese  ihre  Stellung 
deutet  daher  ebenso  wie  die  schon  erwähnte  gleichzeitige  Lage  des  Kieferge- 
rüstes den  Zustand  des  massig  weit  geöffneten  Mundes  an,  welcher  zunächst  in 
die  vorherrschend  im  oberen  Theile  entwickelte  Mundbucht  oder  den  Ptaum  vor 
dem  Unterkiefer  und  den  hinteren  Nasenöffnungen ,  und  nach  dem  alsbald  er- 
folgenden Durchbruche  und  Schwunde  der  queren  Scheidewand  in  die  ganze 
eröffnete  Mundhöhle  führt  (Taf.  XX  Fig.  352-356).  An  die  bezeichneten 
Hornlippen  setzen  sich  nun  die  beiden  dünnen  Muskeln  an,  welche  als  ein  nach- 
träglich gespaltenes  Erzeugniss  des  lateralen  Gesichtsfortsatzes  betrachtet  wer- 
den können.  Der  obere  Lippenmuskel,  M.  constrictor  labii  superioris,  schlägt 
sich  um  den  hinteren  Seitenrand  des  Oberkieferknorpels  und  strahlt  über  des- 
sen Seitenfläche  fächerförmig  gegen  den  Rand  der  Oberlippe  aus,  welche  er 
hebt  und  da  ihre  Enden  befestigt  sind,  stärker  krümmt.  Aehnlich  inserirt  sich 
der  andere  Lippenmuskel  an  der  unteren  Hornlippe,  welche  durch  ihn  gleich- 
falls gekrümmt  wird;  er  wird  vom  unteren  Kiefernerven  versorgt,  welcher  wahr- 
scheinlich auch  den  oberen  Muskel  mit  Zweigen  versieht.    So  klein  und  zart  auch 


652  IX.   Der  Kopf. 

diese  beiden  Lippenmuskeln  erscheinen,  so  sind  sie  doch  nicht  unwichtige  Theile 
des  ganzen  Bewegungsapparats  der  Kiefer,  welcher  bei  der  Larve  viel  kom- 
plicirter  ist  als  im  erwachsenen  Thiere. 

Im  beständigen  Zustande  des  geöffneten  Mundes,  welcher  den  noch  nicht 
fressenden  Larven  der  ersten  Periode  eigen  ist,  wird  die  trichterförmige  Stel- 
lung der  beiden  Hornlippen  theils  durch  den  gekrümmten  Oberkieferrand 
(Zwischen-  und  Oberkieferknorpel),  theils  durch  den  Unterkiefer  aufrecht  er- 
halten, dessen  Seitenstücke  ziemlich  horizontal  liegen,  also  von  der  Mundhöh- 
lendecke abstehen ,  und  dessen  stark  geknicktes  Mittelstück  nach  hinten  und 
unten  gerichtet  ist.  Dieser  Zustand  der  noch  unbeweglichen  Kiefer  kann  aber 
natürlich  nicht  das  Maximum  der  Oeffnung  darstellen,  da  in  diesem  Falle  bei 
dein  Eintritte  der  Bewegungsfähigkeit  den  Oeffnungsmuskeln  die  Möglichkeit 
einer  Verkürzung,  also  der  Thätigkeit  überhaupt  fehlte.  Es  ist  also  ein  mitt- 
lerer Ruhezustand  des  Kieferapparats,  der  aber  dem  Maximum  der  Oeffnung 
näher  steht  als  dem  vollständigen  Verschlusse  des  Mundes.  Soll  jene  ursprüng- 
liche Oeffnung  erweitert  werden,  so  kann  dies,  da  die  zusammenhängenden 
Flächen  der  Lippen  sich  nicht  ausdehnen  können,  nur  durch  ihre  stärkere 
Krümmung  oder  eine  Vervollkommnung  der  Trichterform,  und  ein  Verschluss 
des  Mundes  nur  durch  ein  Zusammenpressen  der  abgeplatteten  Lippen  erreicht 
werden.  In  beiden  Fällen  führt  aber  die  Unterlippe,  wie  man  sich  an  lebenden 
Larven  leicht  überzeugt ,  die  stärkere  Bewegung  aus  und  unterstützt  dabei  die 
entsprechenden  Veränderungen  der  Oberlippe.  Diese  würde  zum  Zweck  der 
Oeffnung  des  Mundes  durch  den  M.  constrictor  labii  superioris  nur  wenig  ge- 
hoben werden,  wenn  ihre  Enden  nicht  durch  die  sich  gleichzeitig  senkende 
Unterlippe  hinabgezogen  und  dadurch  der  obere  Mundrand  stärker  gekrümmt, 
also  der  Trichterraum  des  Mundeingangs  nach  oben  vergrössert  würde.  Die 
Senkung  und  Krümmung  der  Unterlippe  setzen  aber  eine  entsprechende  Lage- 
und  Formveränderung  ihrer  Ansatzlinie  oder  des  Unterkiefers  voraus.  Die  Sen- 
kung wird  durch  den  M.  depressor  mandibulae  herbeigeführt,  welcher  das  Sei- 
tenstück des  Unterkiefers  wie  einen  zweiarmigen  Hebel  um  das  Hauptgelenk 
abwärts  dreht;  da  aber  beide  Gelenkstücke .ursprünglich  horizontal  lagen,  so 
würde  diese  Bewegung  ihre  medialen  Enden  von  einander  entfernen,  daher  das 
Mittelstück  strecken  und  die  Krümmung  der  daran  befestigten  Unterlippe  ge- 
rade abflachen,  wenn  nicht  die  Mm.  geniohyoidei  jenes  Mittelstück  nach  hinten 
zögen  und  mit  der  dadurch  herbeigeführten  Annäherung  seiner  Enden  auch 
seine  Knickung  vergrößerten,  wobei  der  M.  submentalis  wesentlich  mitwirkt. 


1.    Der  Vorderkopf.  653 

Es  wird  also  durch  die  vereinigte  Wirkung  dieser  Muskeln  die  mittlere  Spitze 
des  Unterkiefers  unter  Verkleinerung  ihres  Winkels  schräg  rückwärts  und  ab- 
wärts bewegt,  und  in  Folge  dessen  das  durch  die  Hornlippen  gebildete  Larven- 
maul  trichterförmig  erweitert.     Diese  Bewegung  kann  aber  die  eigentliche 
Mundhöhle,  welche  hinter  dem  queren  Unterkiefer  über  dem  grossen  embryona- 
len Zungenbeinapparate  liegt,  und  die  sich  daran  schliessende  Schlundhöhle 
nicht  wesentlich  verändern.     Ursprünglich  stellen  beide  allerdings  einen  weit 
offenen  Raum  dar,  welcher  sogar  höher  als  breit  ist;  allmählich  wird  er  aber 
niedriger  und  breiter,  sodass  er  am  Ende  der  ersten  Larvenperiode  zu  einer 
horizontalen  Spalte  geworden  ist,  welche  Decke  und  Boden  des  ganzen  Kopf- 
darmraums sich  berühren  lässt  {Taf.  XIII— XV,  XXI  Fig.  360.  370,  Taf. 
XVI  Fig.  202.  203.  298.  303).     Soll  nicht  bloss  das  Larvenmaul  kauen,  son- 
dern Nahrung,  Wasser  oder  Luft  in  die  Mundhöhle  aufgenommen  und  von  dort 
weiter  befördert  werden,  so  muss  der  Boden  der  letzteren  gleichfalls  gesenkt 
und  darüber  auf  diese  Weise  ein  freier  Raum  geschaffen  werden-,  dies  geschieht 
durch  den  M.  depressor  ossis  hyoidei,   welcher  jederseits  das  laterale  Ende  des 
Zungenbeinhorns  rückwärts  hebt,  das  mediale  aber  senkt,  Dabei  fixirt  er  diesen 
Skelettheil  für  die  oben  erwähnte  Oefmungsbewegung  des  M.  geniohyoideus. 

Die  Schliessung  des  Mundes  erfolgt,  sobald  die  genannten  Oeffn er  erschlaf- 
fen, durch  die  Thätigkeit  der  Kaumuskeln  (Mm.  temporalis,  pterygoideus,  mas- 
seter).  Wie  schon  erwähnt  (S.  339.  340),  rollen  sie  die  Seitenstücke  des  Unter- 
kiefers in  einer  Kegelfläche,  deren  Spitze  im  Hauptgelenke  liegt,  nach  oben  und 
hinten  um  und  heben  sie  lateralwärts ;  dadurch  wird  das  geknickte  Mittelstück 
quer  gestreckt  und  nach  vorn  gehoben ,  zugleich  aber  an  den  Oberkieferbogen 
gedrückt,  welcher  seinerseits  durch  die  beiden  Mm.  retrahentes  maxillae  su- 
perioris  zurückgezogen,  also  dem  Unterkiefer  entgegengepresst  wird.  Da  nun 
der  letztere  durch  seine  quere  Streckung  die  Krümmung  der  Unterlippe  ab- 
plattet, so  passt  sich  ihr  die  angelagerte  Fläche  der  Oberlippe  an,  und  beide 
verwandeln  so  den  Mundtrichter  in  eine  geschlossene  quere  Spalte.  Zugleich 
schliesst  sich  auch  die  Mundhöhle  theils  durch  Erschlaffung  des  M.  depressor 
ossis  hyoidei,  theils  durch  die  Wirksamkeit  seines  Antagonisten ,  des  Zungen- 
beinhebers, welcher  an  dem  durch  die  Kaumuskeln  fixirten  Unterkiefer  einen 
festen  Ursprungspunkt  erhält.  Da  aber  die  Bewegungen  des  Mundhöhlen- 
bodens Drehungen  um  eine  quere,  die  seitlichen  Zungenbeingelenke  verbindende 
Axe  sind,  so  muss  meiner  Ansicht  nach  eine  Hebung  vor  dieser  Axe  (Mund- 
höhle) mit  einer  Senkung  dahinter  (Schlundhöhle)  zusammenfallen,  sodass  der 


654  IX.     Der  Kopf. 

Inhalt  der  Mundhöhle  durch  ihre  Schliessung  ganz  natürlich  in  die  Schlund- 
höhle  geschoben  wird. 

Es  bleiben  noch  einige  Bildungen  im  Bereiche  der  Nasenhöhlen  zu  er- 
wähnen. An  den  letzteren  sind,  nachdem  sie  die  zuletzt  geschilderte  Ausbil- 
dung erlangt,  zwei  Abtheilungen  zu  unterscheiden:  die  weitere  obere  Höhle 
mit  der  eigentlichen  Geruchsplatte  und  der  untere  enge  Ausgang  in  die  Mund- 
höhle {Tat.  XVI  Fig.  302,  Taf.  XVIII  Fig.  326,  Taf.  XXI  Fig.  377).  Die 
erstere  liegt  allein  auf  der  Stammplatte  und  stösst  hinten  mit  blindem  Ende 
an  die  vordere  Schädelwand ;  aus  ihrer  vorderen,  unter  der  äusseren  Oeffnung 
gelegenen  Bucht  geht  abwärts  und  einwärts  ein  kleiner  Blindsack  ab ,  welcher 
von  oben  durch  ein  horizontal  aus  der  Wand  hervorgewachsenes  Blättchen  be- 
deckt wird,  abwärts  sich  aber  mit  einer  Drüse  verbindet,  welche  vom  Mund- 
epithel aus  sich  zwischen  die  beiden  Zwischenkieferschenkel  entwickelt  (Kiefer- 
drüse Letdig  Nr.  81  S.  30).  Es  dürfte  daher  jene  Ausstülpung  der  Nasen- 
höhle einem  JACOBSONSchen  Organ ,  welches  mit  beiden  Haupthöhlen  des  Ge- 
sichts in  Verbindung  steht,  verglichen  werden.  Auch  fehlt  der  Nasenhöhle  der 
Batrachier  eine  besondere  knorpelige  Umhüllung  nicht.  Der  Boden  und  die 
gemeinsame  Scheidewand  entspringen  allerdings  aus  der  Stammplatte.  Das 
Dach  und  die  Seitenwand  der  Nasenhöhle  werden  aber  von  einem  Knorpel- 
blatte überdeckt,  welches  der  bindegewebigen,  pigmentirten  Unterlage  des 
Nasenepithels  dicht  anliegt,  aber  von  der  angrenzenden  Schädelwand  und  der 
Nasenscheidewand  anfangs  leicht  getrennt  werden  kann,  sodass  mir  seine 
Uebereinstimraung  mit  den  eigenen  Knorpelkapseln  des  Auges  (Sklerotikal- 
knorpel)  und  des  Ohres  nicht  zweifelhaft  ist  {Taf.  X  VIII  Fig.  331,  Taf.  XIX 
Fig.  336).  Der  Nasenknorpel  umkreist  die  äussere  Nasenöffnung  von 
hinten  und  innen,  wo  er  später  mit  dem  Schädel  und  der  Nasenscheidewand 
verschmilzt,  und  legt  sich  ferner  mit  einem  gekrümmten  dünnen  Blatte  über 
die  ganze  vordere  äussere  Fläche  der  Nasenhöhle;  dabei  umfasst  er  auch  das 
JACOBSON'sche  Organ,  dessen  untere  Kommunikation  ihn  durchbohrt,  und 
schickt  auch  einen  Fortsatz  in  das  erwähnte  horizontale  Blättchen,  worauf 
dasselbe  eine  unbestreitbare  Aehnlichkeit  mit  einer  Nasenmuschel  erhält  (vgl. 
Ecker  Nr.  90  S.  33).  Rückwärts  erreicht  diese  vordere  äussere  Platte  des 
Nasenknorpels  dessen  hinteren  Theil,  aus  dem  ihr  eine  kurze  Spitze  entgegen- 
wächst, nicht;  ein  anderer  Fortsatz  desselben  Theils,  der  Orbitalfortsatz  des 
Nasenknorpels,  erstreckt  sich  seitwärts  auf  die  Leiste  des  (Jaumenbeinknorpels 
und  verbindet  sich  mit  ihr  je  länger  desto  fester.  Er  umwächst  den  Scitcnzweig 


1.   Der  Vorderkopf.  655 

des  N.  nasalis  und  erhöht  die  vordere  Augenhöhlenwand  (Taf.  XIX  Fig.  335, 
336.  342).  Der  kanalförmige  enge  Ausgang  der  beschriebenen  weiten  Nasen- 
höhle entsteht  dadurch,  dass  die  noch  nicht  verbundenen  Wirbelbogenhälften 
als  getrennte  Anlagen  der  Stammplatte  den  ursprünglichen  Blindsack  der  Nase 
in  seiner  halben  Fläche  von  innen  her  eindrücken,  sodass  der  untere  Theil  des- 
selben nach  seiner  Verbindung  mit  dem  Epithel  der  Mundhöhle  um  den  Rand 
der  Stammplatte  gekrümmt  und  abgeplattet  bleibt  (Taf.  XVIII  Fig.  322). 
Daher  besitzt  er,  obgleich  spaltartig  eng,  eine  gewisse  Höhe  und  sagittale 
Länge  und  verdient  den  Namen  eines  Nasenrachenganges.  Seine  Mündung 
liegt  in  dem  Winkel  zwischen  der  Stamm-  und  der  Flügelgaumenplatte,  und 
ist  vor  dem  Beginn  oder  Metamorphose  schräg  nach  innen  gerichtet,  sodass 
ein  wulstiger  lateraler  Saum  sie  von  unten  bis  auf  das  vorderste  Ende  verdeckt 
(Fig.  323).  In  der  Basis  dieser  wulstigen  Lippe  entwickelt  sich  später  ein 
festes  Band,  welches  an  der  Aussenseite  der  Nasenöffnung  zwischen  jenen 
beiden  Knorpelplatten  ausgespannt,  aus  kurzen  Fortsätzen  derselben  entspringt 
(Fig.  327.  331).  Von  diesen  bezeichnet  der  vordere  ohngefähr  die  Grenze 
zwischen  Stammplatte  und  Zwischenkiefer;  der  hintere  scheidet  ebenso  die 
Flügelgaumenplatte  in  den  medianen  Graumenbeinknorpel  und  den  late" 
ralcn  Flügelbeinknorpel.  Unterdessen  hat  sich  jene  wulstige  äussere 
Lippe  der  inneren  Nasenöffnung  eigenthümlich  weiter  entwickelt  {Fig.  329). 
Nach  vorn  setzt  sie  sich  in  einen  niedrigen  Wall  fort,  welcher  bogenförmig 
mit  dem  anderseitigen  zusammenstösst  und  so  den  Gaumenbogen  bildet. 
Vom  vorderen  Ende  der  Nasenöffnung  an  wächst  die  genannte  Lippe,  indem 
sich  ihre  Bildung  in  der  ursprünglichen  schrägen  Richtung  über  die  ganze 
Bauchfläche  des  Gaumen-  und  Flügelbeinknorpels  fortsetzt,  zu  einer  dünnen 
aber  breiten  Platte  aus,  welche  horizontal  gegen  die  Medianebene  gerichtet  ist. 
einen  vorderen  queren  und  einen  medialen  nach  hinten  und  aussen  gekrümmten 
Rand  besitzt,  der  mit  kurzen  Zäpfchen  besetzt  ist.  Nach  ihrer  Lage  gehört 
sie  vorn  dem  medialen,  hinten  dem  lateralen  Gesichtsfortsatze  an;  ihre  Be- 
ziehungen zur  inneren  Nasenöffnung  und  zur  Mundhöhle  gestatten  sie  als 
Gaumenleiste  zu  bezeichnen.  Die  Spalte,  welche  zwischen  beiden  nach  hinten 
divergirenden  Gaumenleisten  liegt  und  nach  vorn  sich  gleichsam  innerhalb  des 
Gaumenbogens  erweitert,  stellt  alsdann  eine  mediane  Gaumenspalte  dar. 
Verwüchse  dieselbe,  so  entstände  auch  bei  den  Batrachiern  ein  vollständiger 
Gaumen  als  Boden  einer  weiten  gemeinsamen  Fortsetzung  der  beiden  kurzen 
Nasenrachengänge ;  und  selbst  für  eine  Theil  ung  dieses  Raums  findet  sich  eine 


656  IX-   Der  Kopf. 

Anlage  in  unseren  Larven,  indem  ein  medianer  dreizipfeliger  Fortsatz  zwischen 
den  Gaumenleisten  aus  der  Mundil öhlendecke  hervorwäclist.  Alle  diese  Bil- 
dungen beginnen  sich  zurückzubilden,  sobald  die  Larvenmetamorphose  eintritt, 
welche  auch  alle  übrigen  Theile  des  Vorderkopfs  wesentlich  verändert. 

Die  Larven  metamorph  ose  der  Batrachier  ist  eine  Periode  im  Ge- 
sammtverlaufe  ihrer  Entwicklung,  welche  sich  dadurch  auszeichnet,  dass  eine 
Anzahl  von  bereits  funktionirenden  Organen  und  Organsystemen  in  relativ 
kurzer  Zeit  wesentlich  und  in  gegenseitiger  Anpassung  verändert  werden,  und 
dadurch  das  Bild  einer  gründlichen  Umwälzung  in  der  gesammten  Organi- 
sation und  Oekonomie  der  Larve  hervorgerufen  wird.  Es  darf  jedoch  dabei 
die  Vorstellung  nicht  Platz  greifen,  als  wenn  die  wichtigste  Veränderung,  näm- 
lich diejenige  des  Ernährungssystems,  die  ausschliessliche  Ursache  der  ganzen 
Metamorphose  oder  diese  ein  Entwickelungsvorgang  sui  generis  sei,  ohne  rechte 
Analogie  im  übrigen  Entwickelungsverlaufe.  Man  hat  sich  daran  gewöhnt, 
den  Begriff  der  in  Rede  stehenden  Larvenmetainorphose  in  durchaus  unnatür- 
licher Weise  so  zu  bestimmen,  dass  sie  im  Verluste  gewisser  provisorischer 
Larvenorgane  bestehe  (vergl.  Haeckel  Nr.  100  II  S.  24.  25);  diese  auf  die 
äussere  Erscheinung  beschränkte  und  daher  von  den  Ursachen  derselben  ganz 
absehende  Auffassung  muss  aber  nothwendig  den  Schluss  provoeiren,  dass  die 
Gesammtveränderung  eine  Folge  jenes  Verlustes  der  provisorischen  Larven- 
organe sei.  Gegenüber  den  entwickelungsgeschichtlichen  Thatsachen  scheint 
mir  aber  eine  solche  Vorstellung  ganz  unhaltbar  zu  sein.  Einmal  findet  jeder 
Verlust  einen  Ersatz  oder  eine  Ausgleichung  durch  korrelative  Ausbildung- 
anderer  Theile :  an  die  Stelle  der  Kiemen  treten  die  Lungen,  die  räumliche  Re- 
duktion des  Kiemenapparats  steht  im  Zusammenhange  mit  der  stärkeren  Ent- 
wickelung  des  davor  liegenden  Unterkiefers  und  Flügelgaumenbogens,  die  Ver- 
änderung der  Fresswerkzeuge  mit  der  Umbildung  des  Darms,  und  die  Korre- 
lation in  der  Ausbildung  des  Schwanzes  und  des  übrigen  Bewegungsapparats 
habe  ich  schon  früher  erörtert  (S.  616).  Ferner  verläuft  die  korrelative  Aus- 
bildung der  bleibenden  Theile  im  allgemeinen  gleichzeitig  mit  der  Rückbildung 
der  provisorischen  Organe,  sodass  ebenso  oft  die  erstere  die  Ursache  zu  sein 
scheint  als  umgekehrt.  So  finden  wir  bei  den  Anurenlarven  die  Lungenath- 
mung  in  energischer  Ausbildung  begriffen,  während  die  innere  Kiemenathmung 
noch  in  vollem  Flor  steht,  und  im  Zusammenhange  damit  schwindet  auch  die 
letztere  relativ,  d.  h.  im  Veihältniss  zur  Bildung  des  ganzen  Thiers  bis  zur  Ge- 
schlechtsreife, viel  früher  als  bei  den  Tritonen,  deren  Lungen  viel  später  zu 


I.     Der  Vorderkopf.  (357 

funktioniren  anfangen;  ferner  ist  bei  den  Tritonen,  deren  Kiemenapparat  beim 
Mangel  innerer  Kiemensäcke  eine  viel  geringere  räumliche  Reduktion  erfährt 
als  bei  den  Anuren,  auch  der  Unterkiefer  von  Anfang  an  stärker  und  vor- 
springender entwickelt  als  bei  den  letzteren.  Kurz,  alle  bezüglichen  Beobach- 
tungen reden  der  Auffassung  das  Wort,  dass  das  Wesen  der  Metamorphose 
nicht  in  den  einzelnen  Rückbildungen,  sondern  in  der  gegenseitigen  Anpassung 
gewisser  in  verschiedenem  Grade  entwickelter  Theile  beruhe ,  wobei  Rückbil- 
dung und  Fortbildung  sich  gegenseitig  bedingen  und  zum  Ganzen  in  bestimm- 
tem Wechselverhältnisse  bleiben.  Dann  werden  wir  aber  auch  in  der  Larven- 
metamorphose nur  eine  besondere  Form  der  korrelativen  Entwicklung  erkennen, 
welche  bereits  in  der  embryonalen  Periode  deutlich  genug,  aber  in  der  äusseren 
Erscheinung  weniger  auffallend  hervortritt,  weil  die  Differenzirung  aller  Körper- 
theile  weniger  weit  vorgeschritten  ist.  Und  wenn  man  darauf  Gewicht  legen 
wollte,  dass  es  in  dein  ersten  Falle  sich  um  Theile  handle,  wrelche  bereits  funk- 
tionirt  haben,  in  dem  andern  Falle  aber  um  histologisch  und  physiologisch 
noch  indifferente  Embryonalanlagen,  so  erinnere  ich  an  die  Stammuskeln  des 
Hinterkopfes  und  die  Haftorgane  der  eben  ausgeschlüpften  Larven,  welche  voll- 
kommen, aber  nur  bis  zum  Anfange  der  zweiten  Larvenperiode,  mit  welcher 
das  physiologische  Gesammtleben  erst  beginnt,  funktioniren,  und  deren  alsdann 
eintretende  Rückbildung  doch  wohl  nicht  den  Anfang  der  Larvenmetamorphose 
bezeichnen  soll.  Es  kommt  der  letzteren  folglich  nur  eine,  wenn  ich  so  sagen 
darf,  praktische,  nicht  theoretische  Bedeutung  zu,  indem  gewisse  Entwicklungs- 
vorgänge aus  Ursachen ,  die  ich  erst  an  einer  anderen  Stelle  erörtern  will ,  auf 
eine  Zeit  verschoben  sind,  welche  uns  für  eingreifende  Veränderungen  un- 
gewöhnlich spät  erscheint.  Mit  welchem  Recht  soll  erst  später  untersucht 
werden.  Bei  einer  solchen  Beurtheilung  der  Larvenmetamorphose  kann  die 
Beschreibung  ihrer  einzelnen  Erfolge  nur  eine  einfache  Fortsetzung  der  voran, 
gegangenen  Darstellung  sein.  —  Während  der  aufgetriebene  Bauch  der  Larve 
durch  die  beträchtliche  Verkürzung  des  Darmkanals  abschwillt,  um  erst  in 
einen  walzenförmigen,  dann  einen  abgeplattet  breiten  Rumpf  überzugehen, 
während  ferner  der  Lokomotionsapparat  in  der  Stammuskulatur  eine  reichere 
Gliederung,  in  den  wachsenden  Gliedmassen  eine  stärkere  Entwickelung  erfährt, 
dafür  aber  im  Schwänze  das  seitherige  Ruderorgan  verliert,  ist  es  eigentlich  der 
Kopf,  an  welchem  sich  die  mannigfaltigsten  Veränderungen  vollziehen.  Sie 
lassen  sich  leicht  in  zwei  Gruppen  scheiden,  welche  sich  auf  den  Vorder-  und 
den  Hinterkopf  vertheilen,   nämlich  für  diesen  als  Rückbildung  des  Kiemen 

Gof.ttk  ,  Entwickelungsgeschichte.  42 


658  IX.     Der  Kopf. 

apparats,  für  jenen  als  Umbildung  des  Kieferapparats.     Zunächst  beschäftigt 
uns  nur  der  letztere. 

Der  eigentliche  Gesichtstheil  wird  während  der  Larvenmetamorphose 
einer  merklichen  Reduktion  unterworfen  (Täf.  XVIII,  XIX).  Zuerst  schwin- 
det die  Hornlippe  mit  ihren  Muskeln,  sodass  der  obere  Mundrand  sich  bis  auf 
den  horizontalen  unteren  Rand  der  Kieferknorpel  zurückzieht  (Fig.  336.  336). 
Ferner  verkürzen  sich  die  Zwischenkieferhälften  bis  zur  Gestalt  zweier  nach 
unten  und  aussen  gekrümmten  unansehnlichen  Fortsätze  der  Stammplatte-,  die 
Oberkieferknorpel  lösen  sich  von  ihnen  ab,  schrumpfen  zu  niedrigen  Platten  ein 
und  büssen  ihre  Verbindung  mit  dem  M.  temporalis  ein  {Flg.  337.  343).  Diese 
Schrumpfung  der  Knorpeltheile  des  vorderen  Gesichts  geht  Hand  in  Hand  mit 
einer  Zusammenziehung  des  lockeren  Bindegewebes,  welches  sie  vorn  bedeckte 
und  den  relativ  grossen  seitlichen  Zwischenraum  zwischen  ihnen ,  den  Nasen- 
kapseln und  dem  Unterkieferbogen  ausfüllte.  Es  verwandelt  sich  in  ein  dich- 
tes Binde-  und  Bildungsgewebe,  und  zieht  sich  mit  den  darin  enthaltenen 
Zwischen-  und  Oberkieferknorpeln  bis  zum  unteren  Umfang  der  unterdessen 
vergrösserten  Nasenkapseln  hinauf,  welchem  es  sich  in  Form  eines  das  Vorder- 
ende des  Gesichts  abschliessenden,  abwärts  in  den  oberen  Mundrand  aus- 
laufenden Bogens  eng  anschliesst.  Die  Nasenkapseln  dehnen  sich  vorherrschend 
in  die  Breite  aus,  woran  insbesondere  ihr  knorpeliger  Boden  oder  die  Stamm- 
platte theilnimmt,  sodass  die  inneren  Nasenöffnungen  lateralwärts  verschoben 
sich  von  einander  entfernen  (vgl.  Fig.  329.  332).  Zugleich  wächst  am  Ur- 
sprünge des  jede  dieser  Nasenöffnungen  lateralwärts  umziehenden  Bandes  ein 
halbmondförmiger  Fortsatz  der  Stammplatte  hervor,  welcher  dasselbe  theil- 
weise  ersetzt,  sowie  auch  der  Gaumenbeinknorpel  eine  Spitze  in  jenes  Band  vor- 
schiebt (Fig.  337).  Diese  nunmehr  theilweise  knorpelige  laterale  Einfassung 
der  inneren  Nasenöffnung  bezeichnet  die  Wurzel  des  jederseitigen  hinteren  Ab- 
schnitts vom  Gaumenbogen,  welcher  im  übrigen  mit  der  sich  ausdehnenden 
Stammplatte  flach  in  die  Breite  ausgezogen  den  vorderen  und  seitlichen  Umfang 
der  Nasenkapseln  umschreibt.  Daraus  erhellt  aber,  dass  der  sich  ausdehnende 
Gaumenbogen  endlich  sehr  dicht  nach  innen  von  dem  sich  aufwärts  um  die 
Nasengegend  zusammenziehenden  Oberkieferbogen  zu  liegen  kommt,  dessen 
hinteres  Ende  mit  dem  atrophischen  Oberkieferknorpel  sich  gleichfalls  an  den 
lateralen  Vorsprung  des  Gaumenbeinknorpels  befestigt  {Fig.  332.  330.  337). 
Während  aber  der  Gaumenbogen  in  den  vollendeten  Zustand  des  Batrachier- 
kopfes  mit  hinübergenommen  wird,  atrophiren  die  Gaumenleisten  so  weit,  dass 


1.    Der  Vorderkopf.  659 

an  ihrer  Stelle  der  schmale  Gaumenbogen  auf  den  Flügelbeinknorpel  fortgesetzt 
erscheint.  Mit  jenen  Leisten  schwindet  auch  der  ganze  wulstige  Saum  der 
inneren  Nasenüfihungen,  welche  in  Folge  der  Ausdehnung  der  Nasenhöhlen  aus 
der  früheren  schräg  seitlichen  Lage  in  eine  horizontale  übergehen;  durch  diese 
Veränderungen  verlieren  sie  die  ursprüngliche  Form  kurzer  abgeplatteter 
Kanäle  (Nasenrachengänge)  und  werden  zu  unmittelbaren  OefFnungen  der 
Nasenhöhlen  mit  weiter  runder  Lichtung.  —  Aehnlich  dem  Gaumenbogen  er- 
hält auch  der  Oberkieferbogen  eine  Art  Fortsetzung  nach  hinten,  indem 
zwischen  seiner  konvexen  Aussenseite  und  dem  vorderen  Gelenkende  des 
Quadratbeinknorpels  sich  ein  breites  Band  entwickelt  {Fig.  335 — 337.  342. 
343).  Diese  Anlage  eines  unteren  Jochbogen s  steht  anfangs  von  dem  hin- 
teren Theile  des  Oberkieferbogens  ziemlich  weit  nach  aussen  ab.  In  Folge  des 
queren  Wachsthums  des  Gaumenbeinknorpels  erreicht  aber  sein  laterales  Ende 
jenen  Jochbogen,  welcher  also  davor  mit  dem  Oberkieferbogen  völlig  verschmilzt 
und  selbst  rückwärts  dem  unterdessen  in  sagittaler  Richtung  lang  ausgezogenen 
P'lügelbeinknorpel  und  dem  von  ihm  getragenen  hinteren  Gaumenbogen  eine 
Strecke  weit  sich  eng  anschliesst.  —  Schon  während  der  Metamorphose  beginnen 
an  dem  geschilderten  Gesichtsskelete  Verknöcherungen  aufzutreten.  Zuerst 
bilden  sich  schmale  und  dünne  knöcherne  Platten,  welche  die  Zahnwurzeln  des 
oberen  Mundrandes  befestigen  und  verbinden.  Diese  Alveolarplatten  zerfallen 
jederseits  in  ein  vorderes  und  ein  hinteres  Stück ;  die  beiden  vorderen  schliessen 
sich  den  Zwischenkieferknorpeln  an,  welche  mit  ihren  hinteren  von  der  Stamm- 
platte und  der  Nasenscheidewand  abgelösten  Enden  sich  aufrichten  und  ganz 
verknöchern.  Die  0  s  s  a  i  n  t  e  r  m  a  x  i  1 1  a  r  i  a  des  ausgebildeten  Thieres  bestehen 
daher  aus  einem  aufgerichteten  medialen  und  einem  unteren  horizontalen 
Seitenstücke,  von  denen  nur  das  erstere  knorpelig  vorgebildet  aus  dem  ersten 
Kopfwirbelbogen  hervorging.  An  die  Zwischenkieferbeine  schliesst  sich  jeder- 
seits eine  Alveolarleiste,  welche  nach  aussen  von  dem  atrophischen  und  alsbald 
ganz  verschwindenden  Oberkieferknorpel  gelegen  und  in  wechselnder  Länge  in 
dem  unteren  Jochbogen  sich  fortsetzend  als  Os  maxillare  beschrieben  wird. 
Mit  den  genannten  Knochen  verbindet  sich  medianwärts  eine  schmale  horizon- 
tale Knochenplatte ,  welche  im  Gaumenbogen  entsteht  und  daher  ein  echtes, 
wenngleich  unansehnliches  Homologon  eines  nicht  zum  medianen  Abschluss 
kommenden  harten  Gaumens  darstellt.  Der  hinterste  Abschnitt  des  Joch- 
bogenbandes  verknöchert  ebenfalls  und  zieht  zugleich  einen  kleinen  Theil  vom 

Gelenkende  des  Quadratbeinknorpels  in  seine  Verknöcherung  hinein,  sodass 

42* 


660  IX.    Der  Kopf. 

das  Os  jugale  an  der  Herstellung  der  Gelenkgrube  betheiligt  ist  (vgl.  Ecker 
Nr.  DO  S.  36).  Die  Nasenbeine  gehören  als  Deckknochen  der  Nasenkapselo 
durchaus  nicht  in  dieselbe  Kategorie  wie  die  Schädeldachknochen;  dagegen 
dürfen  zum  eigentlichen  Schädel  mit  mehr  Recht  die  Pflugscharbeine  ge- 
rechnet werden,  welche  anfangs  an  der  Grenze  von  Schädelbasis  und  Stamm- 
platte  sich  ebenso  bilden  wie  dahinter  das  sogenannte  Os  sphenoideum.  Die 
V  erknöcherang  des  Vorderrandes  der  knorpeligen  Schädelkapsel  (Os  en  ceinture) 
habe  ich  in  den  von  mir  untersuchten  Entwiekelungsstufen  nicht  beobachtet. 
Bei  der  Metamorphose  des  Unterkieferbogens  greifen  ebenfalls  Rückbildung 
und  Wachsthum  in  einander,  um  den  Kauapparat  denveränderten  Verhältnissen 
anzupassen.  Wenn  der  laterale  Abschnitt  des  Unterkieferbogens  durch  das 
mit  ihm  verbundene  Larvenmaul  zu  einer  sehr  schrägen  Lage  nach  vorn  ge- 
drängt war,  der  Unterkiefer  alsdann  nur  einen  queren  Träger  der  unteren  Horn- 
lippe  darstellte,  so  wächst  er  in  dem  Masse  zu  einem  weiten  Bogen  aus,  als  sein 
Suspensorium  oder  der  Quadratbeinknorpel  nach  der  Atrophie  jenes  zeit- 
weiligen Kauapparats  zusammenschrumpft  und  nach  hinten  rückt,  wo  ihm  der 
reducirte  Zungenbein-  und  Kiemenapparat  Platz  machen.  Dabei  stellt  sich 
der  Quadratbeinknorpel  aufrecht  und  später  sogar  von  oben  nach  hinten  und 
unten.  Während  dieser  Lageveränderung  löst  er  seine  Kontinuität  mit  dem 
Schläfenflügelknorpel  des  Schädels,  um  nach  einer  kurzdauernden  Selbst- 
ständigkeit mit  dem  letzteren  neuerdings  und  zwar  etwas  rückwärts  von 
der  ersten  Stelle  bleibend  zu  verschmelzen.  Jene  allerdings  vergängliche 
Trennung,  wobei  der  Quadratbeinknorpel  über  die  Aussenfläche  des  Schädels 
hinzugleiten  scheint,  lässt  seine  Homologie  mit  dem  gleichnamigen  Theile 
anderer  Wirbelthiere  deutlich  hervortreten.  Die  Gelenkgrube  für  das  Zungen- 
beinhorn  verstreicht,  sobald  das  letztere  sich  herauslöst  um  einer  eigenthüm- 
lichen  Umbildung  zu  unterliegen.  Auch  der  Jochfortsatz  schrumpft;  ein  Theil 
von  ihm  geht  aber  in  die  Verknöcherung  des  oberen  Jochbogens  (vorderer  Arm 
des  Os  tympanicum,  Processus  zygomaticus  Ecker  Nr.  90,  S.  35)  ein,  wesshalb 
auch  der  von  jenem  Fortsatze  entspringende  M.  masseter  später  an  dem  be- 
zeichneten Knochen  befestigt  erscheint.  Mit  dem  Zurückweichen  des  Quadrat- 
beinknorpels geht  eine  Verlängerung  des  unteren  Jochbogens  und  des  Flügel- 
beinknorpels Hand  in  Hand;  der  letztere  wird  dabei  aus  seiner  queren  Lage,  in 
welcher  er  die  unmittelbare  Fortsetzung  des  Gaumenbeinknorpels  darstellt,  von 
demselben  nach  hinten  abgebogen  und  sagittal  gestreckt.  Von  dem  Deck- 
knochen  dieses  Flügelbeinknorpels  heisstes,  dass  er  rückwärts  in  zwei  Schenkel 


1.    Der  Vorderkopf.  661 

ausläuft,  von  denen  der  eine  dem  Knorpel  folgt,  der  andere  nach  innen  zum 
Felsenbeine  ablenkt  (Ecker  Nr.  90,  S.  37).  Dies  muss  dahin  berichtigt  wer- 
den ,  dass  schon  der  Knorpel  einige  Zeit  nach  der  Metamorphose  sich  an  seiner 
Wurzel  spaltet  und  darauf  der  theilweise  verknöcherte  innere  Schenkel  sich 
dem  Deckknochen  des  äusseren  Schenkels  anschliesst.  —  Mit  dem  Quadrat- 
beinknorpel müssen  natürlich  auch  die  Kaumuskeln  sich  wieder  steil  aufrich- 
ten, woljei  die  Ursprungsenden  der  Mm.  temporalis  und  pterygoideus  sich  theils 
auf  den  Schläfenflügel,  theils  auf  das  Schädeldach  verschieben. 

Die  Umbildung  des  Unterkiefers  erfolgt  nicht  einfach  so,  dass  sein  mehr- 
fach gebogener  querer  Verlauf  in  horizontaler  Richtimg  sich  zu  einer  kontinuir- 
lichen  Bogenlinie  ausdehnt ,  sondern  mit  einer  gleichzeitigen  Drehung  seines 
Mittelstücks.  Eine  solche  findet  in  der  Larvenzeit  bei  der  Streckung  dieses 
Stückes  während  der  Schliessung  des  Mundes  statt;  dass  aber  während  der 
Metamorphose  der  Mund  ziemlich  beständig  geschlossen  bleibt,  geht  schon 
daraus  hervor,  dass  das  Fressen  eingestellt  wird  und  die  Oeffner  des  Mundes 
mit  Ausnahme  der  Mm.  genio-hyoidei  atrophiren ;  die  letzteren  werden  erhal- 
ten, weil  sie  bei  einer  Fixirung  des  Unterkiefers  durch  die  Kaumuskeln  als  Anta- 
gonisten der  Mm.  sterno-hyoidei  zu  wirken  haben.  Indem  also  während  jener  an- 
haltenden Schliessungslage  das  geknickte  Mittelstück  des  Unterkiefers  wächst, 
richtet  sich  seine  mediane  Spitze  ganz  nach  vorn  und  streckt  es  sich  quer  in  der 
ganzen  Breite  des  Unterkieferbogens.  Dabei  weichen  ihm  die  ursprünglich  gleich- 
falls queren  Seitenstücke  aus,  welche  durch  die  weite  Verschiebung  des  Unter- 
kiefergelenkes nach  hinten  in  eine  sagittale  Richtung  gerathen.  Dass  bei  einer 
solchen  Umbildung  des  dreifach  gebogenen  Unterkiefers  der  Larve  in  einen  kon- 
tinuirlichen  Bogen  die  unvollkommenen  Gelenke  in  seinem  Verlaufe  ganz  ver- 
schwinden, brauche  ich  kaum  zu  bemerken.  Wenn  aber  die  eigentlichen  Kau- 
muskeln des  sich  metamorphosirenden  Kieferapparates  erhalten  bleiben,  so 
tritt  an  die  Stelle  der  schwindenden  Senker  des  Unterkiefers  ein  neuer  M.  cl  e  - 
pressormandibulae,  welcher  vom  Unterkieferende  etwas  rückwärts  gegen 
die  Schädeldecke  ausstrahlt  und  die  noch  zu  erwähnenden  Schlundmuskeln 
verdeckt.  Zur  Zeit,  wann  der  Schwanzstummel  nur  noch  als  ein  kleiner  Kegel 
sichtbar  ist,  finde  ich  die  Anlage  dieses  Muskels  noch  aus  spindelförmigen,  nur 
zum  Theil  in  Stränge  verschmolzenen  Zellen  bestehend. 

Nach  dieser  Einzelbeschreibung  lassen  sich  die  wesentlichen  Momente  in 
der  ganzen  Umwandlung  des  Kieferapparates  übersehen.  Die  Anurenlarven 
besitzen  zwei  bewegliche  Kieferhälften ,  welche  aber  nicht  die  Rahmen  zweier 


662  ]X-    Der  Kopf. 

entgegengesetzten  Mundflächen  darstellen,  deren  Oeffnen  und  Zusammen- 
scbliessen  dazu  diente,  die  Nahrung  zu  ergreifen  und  zu  kauen,  sondern  welche 
im  allgemeinen  quergestellt  als  Träger  der  beiden  Hornlippen  oder  des  vor  der 
eigentlichen  Mundhöhle  befindlichen  und  von  ihren  Bewegungen  unabhängigen 
Kauapparats  fungiren.  Dadurch ,  dass  er  bei  der  Oefi'nung  eine  Trichterform 
annimmt,  kann  er  zum  Ergreifen  der  Pflanzenblätter ,  welche  die  Nahrung  der 
Anurenlarven  ausmachen,  nicht  gerade  geschickt  sein.  Es  ist  mir  daher  sehr 
wahrscheinlich,  dass,  indem  der  Trichter  an  eine  Blattfiäche  angedrückt  und 
dann  dahinter  die  Mundhöhle  erweitert  wird,  eine  saugende  Wirkung  auf  jene 
Fläche  ausgeübt  und  durch  Kauen  des  etwas  eingezogenen  Blattes  Theile  des- 
selben abgelöst  und  dann  in  die  Mundhöhle  aufgenommen  werden.  Es  wäre 
also  der  Kauapparat  der  Anurenlarven  dem  Cyklostomenmaul  zu  vergleichen, 
ihre  Mundhöhle  dagegen,  welche  mit  der  Schlundhöhle  sich  wechselsweise 
öffnet  und  schliesst,  ausser  zu  jenem  Ansaugen  nur  noch  zur  Fortbewegung  der 
aufgenommenen  Stoffe  bestimmt  (vgl.  S.  653).  Die  Umwandlung  besteht  nun 
darin,  dass  unter  Schwund  des  saugenden  und  kauenden  Larvenmauls  das 
Kieferskelet  rückwärts  die  Mundhöhle  umrahmt  und  so  zwei  horizontal  zusam- 
menschliessende  Mundflächen  bildet,  von  denen  die  obere  oder  der  Oberkiefer 
unbeweglich  mit  dem  ganzen  Kopfe  verbunden  die  feste  Wand  bildet,  gegen 
welche  der  an  hinteren  Gelenken  deckelartig  bewegliche  Unterkiefer  angepfesst 
werden  kann,  sodass  die  Nahrung  nunmehr  unmittelbar  von  den  Kiefern  er- 
griffen wird  und  in  die  Mundhöhle  gelangt.  Der  eigenthümliche  Bau  des  Kie- 
ferapparats der  Anurenlarven  ist  daher  daraus  zu  erklären,  dass  er  eine  der 
unvollendeten  Entwickelung  des  späteren  Kieferapparats  zeitweilig  angepasste 
Vorrichtung  zu  einer  dennoch  relativ  vollkommenen  Nahrungsaufnahme  darstellt. 

2.  Der  Hinterkopf. 

Der  embryonale  Hinterkopf  hat  die  Form  eines  kurzen  Cylinders  und  ist  aus 
drei  segmentalen  Ringen  zusammengesetzt  (vgl.  S.  216 — 225).  Denkt  man  sich 
aber  die  innere  Auskleidung  oder  den  kontinuirlichen  und  vollständigen  Darm- 
blattcylinder  entfernt,  so  ist  nur  der  erste  Abschnitt,  der  Zungenbeinbogen,  ring- 
förmig geschlossen ;  die  folgenden  Kiemenbögen  hören  im  mittleren  und  oberen 
Keimblatte  an  der  Grenze  des  Perikardialsackes  auf,  welcher  ihre  unteren  Enden 
auseinanderhält.  Später  wachsen  jedoch  die  Seitenplatten  dieser  Bögen  median- 
wärts  zwischen  den  Perikardialsack  und  das  Darmblatt  und  schliessen  dort  die 


2.  Der  Hinterkopf.  663 

eigentliche  Schlundwand  auch  im  mittleren  Keimblatte  cylinderisch  ab  (Taf. 
XIII—  XV).  Indem  endlich  der  Perikardialsack  sich  in  die  Bauchgegend  zu- 
rückzieht, und  an  seiner  Stelle  nur  die  Fortsetzung  des  mittleren  Bauchmuskels 
(Mm.  sterno-,  genio-hyoidei)  zurückbleibt,  fällt  diese  und  die  sie  deckende  Ober- 
haut der  Schlundgegend  anheim  (Taf.  XVIII  Fig.  328,  Taf.  XX  Fig.  348). 
-  Der  Rückentheil  des  Hinterkopfes  enthält  in  der  medianen  Region  das  Hin- 
terhirn,  darunter  die  Wirbelsaite  mit  den  inneren  Segmenten-,  zur  Seite  dieser 
Anlagen  liegen  die  Wurzelstücke  der  drei  lateralen  Segmente,  zwischen  deren 
erstes  und  zweites  (2.  und  3.  des  ganzen  Kopfes)  das  Ohrbläschen  sich  von 
aussen  einschiebt  (Taf.  VII  Fig.  12  t).  Die  Seitenwand  des  Hinterkopfes  oder 
die  Schlundwand  besteht  vorn  im  Anschlüsse  an  den  Unterkieferbogen  aus  dem 
Zungenbeinbogen,  welcher  im  lateralen  Abschnitte  jederseits  nur  das  zweite 
laterale  Kopfsegment,  an  der  breiteren  Bauchseite  daneben  auch  noch  Reste  der 
Seitenplatte  enthält  (Fig.  130. 131).  Die  hinter  dem  Zungenbeinbogen  gelegenen 
Kiemenbögen  werden  je  weiter  nach  hinten  desto  kürzer  und  bestehen  zum 
grösseren  Theile  aus  den  verschmolzenen  Schichten  der  Seitenplatte,  während 
die  sie  von  aussen  deckenden  lateralen  Segmente  nur  als  dünne  Streifen  er- 
scheinen {Taf.  XIII.X  VI).  Da  das  Ohrbläschen  gerade  über  dem  ersten  Kiemen- 
bögen sich  entwickelt  und  das  dorsale  Wurzelstück  des  dritten  lateralen  Kopf- 
segments nach  hinten  verdrängt,  so  beschreibt  dasselbe  einen  Bogen  um  die 
hintere  und  die  Bauchseite  des  Gehörorgans,  ehe  es  in  den  Kiemenbögen  ein- 
tritt. Das  vierte  laterale  Kopfsegment  vertheilt  sich,  wie  ich  es  früher  erklärte, 
auf  die  drei  anderen ,  d.  h.  den  2. — 4.  Kiemenbögen. 

Vom  dorsalen  Stammtheile  des  Hinterkopfes  sind  das  Hinterhirn 
und  der  Schädel  bereits  ausführlich  beschrieben  worden.  Ebenso  bemerkte  ich 
schon  (S.  217),  dass  die  drei  inneren  Segmentpaare  im  allgemeinen  dieselbe 
Entwickelung  zeigen  wie  die  entsprechenden  Rumpfsegmente,  mit  dem  Unter- 
schiede jedoch,  dass  sie  zum  Theil  unvollständig  bleibt  oder  einer  Rückbildung 
anheimfällt.  In  ihremlnnern  entstellt  jederseits  neben  der  Wirbelsaite  einMuskel- 
strang ,  an  dem  man  die  Abtheilung  für  das  dritte  und  vierte  Segment  längere 
Zeit  deutlich,  diejenige  für  das  zweite  Segment  dagegen  nur  unsicher  oder  gar 
nicht  erkennt  (Taf.  XVI  Fig.  303,  XVII,  Fig.  304.  314—316).  Dafür  er- 
zeugt das  letztere  allein  von  den  Stammsegmenten  des  Hinterkopfes  eine  Ner- 
venanlage, welche  nach  ihrer  Lage,  medianwärts  neben  derjenigen  des  zu- 
gehörigen lateralen  Segments  (N.  facialis),  für  ein  Homologon  eines  Spinalgan- 
glions gelten  darf  (Taf.  XVI  Fig.  302,  Taf.  XVII  Fig.  315).     Diese  Ansicht 


664  IX-   Der  Kopf. 

wird  dadurch  unterstützt,  dass  der  aus  dieser  Anlage  entspringende  Gaurn  en- 
nerv  in  der  Region  der  Stamm segmente  bleibt,  und  da  ein  solches  im  Zungen- 
beinbogen fehlt,  sich  in  den  entsprechenden  Theil  des  Vorderkopfes  begibt.  Unter 
dem  ersten  Wirbelbogen ,  dicht  neben  seiner  Verbindung  mit  dem  Schläfen- 
migelknorpel,  gelangt  der  Gaumennerv  an  die  Bauchfläche  der  vorderen 
Schädelbasis  und  folgt  ihr  jederseits  bis  zur  Gaumengegend  {Taf.  XVIII  Fig. 
320).  Doch  hindert  nicht  bloss  jene  Deutung  des  Gaumennerven,  einer  zweiten 
gesonderten  Nervenbildung  desselben  Stammsegments,  nämlich  dem  Hörnerven, 
die  gleiche  Bedeutung  zuzuschreiben.  Denn  der  letztere  geht  aus  einer 
histologischen  Differenzirung  des  zwischen  dem  Hinterhirne  und  dem  Ohrbläs- 
chen eingezwängten  Bildungsgewebes  hervor,  gleicht  also  darin  durchaus  dem  Ge- 
ruchsnerv, welcher  mit  den  Stammsegmentnerven  des  Vorderkopfes  nichts 
gemein  hat.  Allerdings  verbindet  sich  aber  sehr  bald  die  Anlage  des  Hör- 
lici ven  abwärts  mit  derjenigen  des  N.  facialis,  welche  von  vorn  und  unten  dem 
Ohrbläschen  angeschmiegt  ist,  sodass  beide  Nerven,  obgleich  sie  genetisch  durch- 
aus nicht  zusammengehören,  später  aus  einer  gemeinsamen  Wurzel  entspringen 
{Taf.  XVI  Fig.  288—291.  296,  Taf.  XVII Fig.  304.  314.  315).  Im  übrigen 
verwandelt  sich  die  Hauptmasse  der  Stammsegmente  des  Hinterkopfes  unter 
Verlust  ihrer  segmentalen  Gliederung  in  interstitielles  Bildungsgewebe,  welches 
ausser  den  noch  besonders  zu  beschreibenden  Gefässen  den  Skelettheilen  jener 
Gegend  (hintere  Schädelhälfte)  zur  Grundlage  dient  {Taf.  XV,  XXI  Fig.  369 
— 371).  Dieses  schon  ursprünglich  hervortretende  Uebergewicht  des  Bildungs- 
gewebes über  die  unvollständigen  primär -morphologischen  Anlagen  in  den 
Stammsegmenten  des  Hinterkopfes  wird  noch  durch  eine  nachfolgende  Rück- 
bildung ihrer  Muskeln  erhöht,  welche  durch  die  Entwickelung  der  hinteren 
Schädelbasis  nach  hinten  gedrängt  und  ausser  Thätigkeit  gesetzt ,  atrophiren 
und  mit  ihren  Resten  jederseits  in  den  M.  intertransversarius  capitis  inferior 
aufgenommen  werden  (S.  460). 

Die  Unvollständigkeit  und  Rückbildung  jener  primär -morphologischen 
Anlagen  der  Stammsegmente  wird  durch  [die  reichere  Entwickelung  der  zuge- 
hörigen lateralen  Segmente  aufgewogen,  welche  alle  Muskeln  und  die  meisten 
und  wichtigsten  Nerven  des  Hinterkopfs  liefern  und  durch  ihre  die  Stammseg- 
mente überwiegende  sagittale  Ausdehnung  dieselben  rückwärts  so  weit  über- 
ragen, class  der  dorsaleRumpftheil  in  den  Kopf  eingekeilt  erscheint.  —  Bevor  das 
erste  dieser  Segmente  oder  das  zweite  des  ganzen  Kopfes  die  Bauchseite  des 
Znngenbeinhogens  erreicht  hat,  sondert  sich  sein  dorsaler  Wurzeltheil  zu  einem 


2.    Der  Hinterkopf.  665 

schräg  aufgerichteten  spindelförmigen  Nervenknoten  ab,  dessen  obere  Verbindung 
mit  dem  Hörnerven  bereits  erwähnt  wurde,  und  dessen  untere  Fortsetzung  im 
Zungenbeinbogen  zum  N.  f  aci  ali  s  wird  (Taf  VII Fig.  131, Taf  XIII Fig.  233, 
Tu  f.  XIV  Fig.  250,  Taf  XVI  Fig.  290.  204).  Jener  Nervenknoten  liegt  anfangs 
frei  zwischen  dem  Ohrbläschen  und  dem  GASSER'schen  Ganglion;  später,  wann 
der  Zwischenraum  zwischen  diesen  Theilen  sich  bedeutend  verengt,  kommen 
die  beiden  Nervenknoten  in  der  Bucht  des  Schädelraums,  welche  zwischen  dem 
Sehläfenflügelknorpel  und  der  Ohrkapsel  entsteht,  in   Berührung  und  ver- 
schmelzen so  weit,  dass  ihre  beiden  Massen  nur  durch  eine  leichte  Einschnürung 
unterscheidbar   bleiben  (Taf.   XVIII  Fig.  326).      Dagegen   vereinigt   sich 
die  ganglionäre  Anlage  des  N.  palatinus  mit  dem  Ganglion  des  N.  facialis 
sehr  bald  vollständig ,  sodass  der  erstere  in  der  Folge  nur  wie  ein  Zweig  des 
Gesichtsnerven    erscheint.      Der  letztere  versorgt   sämmtliche   Muskeln   des 
Zungenbeinbogens.     Sein  Stamm  folgt  vom  M.  depressor  mandibulae  verdeckt 
und  dem  Quadratbeinknorpel  angeschmiegt  dem  Verlaufe  jenes  Muskels  bis  zu 
dessen  Ansatzpunkte,  dem  Unterkieferende,  schlägt  sich  sodann  um  dieses  an 
die  Innenseite  des  Unterkiefers,  um  derselben  entlang  nach  vom  zu  verlaufen 
(Taf.  XVIII  Fig.  326.  328.  329,  Taf.  XIX  Fig.  335.  336,  Taf  XX  Fig. 
348.)    Er  bezeichnet  also,  sowie  er  im  vorderen  Theile  des  Zungenbeinbogens 
sich  entwickelte ,  auch  späterhin  die  Grenze  desselben  gegen  den  Unterkiefer- 
bogen.    Auf  diesem  Verlaufe  giebt  der  Stamm  des  Gesichtsnerven  einen  stär- 
keren Zweig  an  der  Mitte  des  Unterkiefersenkers  ab ,  welcher  an  die  Aussen- 
seite  dieses  Muskels  tritt,  gerade  abwärts  ziehend  auch  den  M.  levator  ossis 
hyoidei  überschreitet  und  dann  an  der  Bauchseite  des  Zungenbeinbogens  den 
vierten  gleich  zu  erwähnenden  Muskel  desselben  versorgt.     Die  Entwickelung 
der  Muskulatur  des  Zungenbeinbogens  entspricht  insofern  derjenigen 
des  Unterkieferbogens ,  als  in  jenem  ebenfalls  frühzeitig  ein  mittlerer  heller 
Zellenstrang  von  kompaktem  Gefüge  als  Muskel  anläge,  welche  mit  der  Nerven- 
anlage in  Verbindung  bleibt,  sich  von  der  umgebenden,  mehr  lockeren  und  pig- 
mentirten  Schicht  von  interstitiellem  Bildungsgewebe  absondert,   und  ferner 
dieser  Zellenstrang  der  Form  des  ganzen  Zungenbeinbogens  entsprechend  in 
einen  oberen  lateralen  und  einen  ventralen  Abschnitt  zerfällt  (Taf  VII,  XIII, 
XIV).     Der  erstere  füllt  mit  seiner  Umhüllung  von  Bildungsgewebe  ,  welches 
gleichfalls  vom  äusseren  Segmente  abstammt,  den  Seitentheil  des  Zungenbein- 
bogens vollständig  aus,  da  die  Seitenplatte  dort  schon  vorher  verdrängt  war; 
er  spaltet  sich  in  den  Senker  des  Unterkiefers  und  den  Senker  des  Zungenbeins, 


666  XL    Der  Kopf. 

welche  erst  allmählich  auseinandertreten  (Taf.  XV Fig.  272,  Taf.  XVI  Fig. 
294.  290).  Die  ventrale  Muskelmasse  des  Zungenbeinbogens  wächst  mit  einer 
Portion  gerade  vorwärts  (M.  levator  ossis  hyoidei),  mit  einer  andern  aber  ebenso 
wie  der  M.  submentalis  quer  gegen  die  Medianebene,  in  der  er  mit  seinem 
Gegenstücke  durch  Vermittelung  eines  zarten  Sehnenstreifens  zum  M.subhyoideus 
sich  verbindet  {Taf.  XVII I  Fig.  328).  Als  Erzeugniss  eines  lateralen  Segments 
deckt  er  alle  übrigen  Theile  des  mittleren  Keimblattes,  welche  aus  der  inneren 
Segmentschicht  (Mm.  sterno-,  genio -hyoidei)  oder  der  Seitenplatte  (Zungenbein) 
hervorgegangen  in  seinem  Bereiche  liegen.  Die  ersteren  sind  schon  mehrfach 
erwähnt,  die  Umbildung  der  ventralen  Seitenplatte  des  Zungenbeinbogens  aber 
noch  nicht  erörtert  worden. 

Anfangs ,  wenn  die  Grenzfalte  oder  die  künftige  Decke  des  Perikardial- 
raumes  unmittelbar  hinter  dem  queren  Kiefertheile  des  Vorderkopfes  aufsteigt, 
existirt  ein  besonderer  Bauchtheil  des  Zungenbeinbogens  ebensoAvenig  als  ein 
solcher  des  Unterkieferbogens :  beide  Bögen  laufen  unter  der  ersten  Schlund- 
falte  unmerklich  aus  {Taf.  VII  Flg.  110.  120).  Erst  während  der  allgemeinen 
seitlichen  Abplattung  und  Verlängerung  des  Embryo  dehnt  sich  auch  der  Raum 
vor  der  Grenzfalte  so  weit  aus,  dass  die  hinunterwachsenden  lateralen  Segmente 
jener  beiden  Bögen  auch  deren  ventrale  Abschnitte  abstecken  können;  bevor 
aber  der  Unterkieferbogen  seinen  queren  ventralen  Schluss  erhält,  haben  seine 
Seitenhälften  bereits  angefangen,  jene  Drehung  nach  vorn  und  aussen  um  eine 
an  ihrer  hinteren  Grenze  oder  in  der  ersten  Schlundfalte  befindlichen  Axe  aus- 
zuführen ,  wodurch  zwischen  ihren  einander  zugekehrten  inneren  Flächen  die 
im  Frontaldurchschnitte  dreieckige  innere  Mundhöhle  entsteht.  Dadurch  muss 
die  noch  indifferente  Schlüsselte  beider  Bögen  in  dem  Boden  der  neuen  Mund- 
höhle eine  entsprechende  Ausdehnung  von  annähernd  dreieckiger  Gestalt 
erahren  {Taf.  XIV  Fig.  249 — 253).  Die  beiden  lateralen  Segmente  des  Unter- 
kieferbogens benutzen  aber  diese  Vergrösserung  des  ihnen  zugewiesenen  ven- 
tralen Raums  nicht,  indem  sie  während  der  gedachten  Drehung  eine  Wachs- 
thumsrichtung  nach  vorn,  unten  und  innen  erhalten  ,  und  so  jenen  dreieckigen 
Mundhöhlenboden  nur  mehr  mit  konvergirenden  Schenkeln,  deren  hintere 
Theile  nur  Bindegewebe  enthalten,  einrahmen.  Dafür  breitet  sich  die  ventrale 
Seitenplatte  des  Zungenbeins,  welche  bereits  durch  den  Perikardialsack  in  zwei 
nach  vorn  konvergirende  Hälften  angeordnet  war,  in  derselben  Gestalt  in  jenen 
davor  befindlichen  Baum  aus.  Wesentlich  beeinfiusst  wird  die  Entwickelung 
dieser   Seitenplatte   noch    durch    die    Anlage   der  Schilddrüse.     Sie  ent- 


2.    Der  Hinterkopf.  CHT 

wickelt  sich  aus  einer  Grube  des  Darmblattes,  welche  als  Rest  der  früher 
bestandenen,  durch  die  mediane  Verwachsung  der  Oberhaut  und  des  Darm- 
blattes hervorgerufenen  Einsenkimg  des  letzteren  hinter  dem  Unterkieferbogen 
zurückblieb  (Taf.  VII  Fig.  127—130,  Taf.  XIII— XV,  XVI Fig.  292.  293). 
Anfangs  hängt  sie  noch  nach  vorn  mit  der  medianen  Scheidewand  zusammen, 
welche  jenen  Bogen  durchsetzt-,  nach  dem  Schwunde  derselben  erscheint  die 
Anlage  der  Schilddrüse  als  ringsum  freie,  trichterförmige  Vertiefung  des  Darm- 
blattes, welche  durch  die  geschilderte  Ausdehnung  des  Mundhöhlenbodens  in 
den  vorderen  Theil  des  Zungenbeinbogens  geräth  und  dadurch  von  vorn  her 
einen  Einschnitt  in  dessen  Seitenplatte  veranlasst.  Indem  sich  nun  die  letztere 
zu  einer  ventralen  Knorpelanlage  des  Zungenbeinbogens  verdichtet,  nimmt  die- 
selbe die  durch  die  genannten  Formbedingungen  vorgeschriebene  Gestalt  an: 
sie  besteht  aus  einer  queren  Platte,  welche  von  beiden  Seiten  medianwärts  und 
nach  vorn  sich  verbreitert,  aber  gerade  in  der  Mitte  durch  die  Schilddrüsen- 
anlage einen  so  tiefen  Einschnitt  erfährt,  dass  sie  dadurch  in  zwei  nach  vorn 
konvergirende  Seitenhälften  zerfällt  {Tu f.  XVII  Fig.  309).  Wo  diese  Hälften 
oder  die  grossen  Zungenbeinhörner  hinter  dem  sie  trennenden  vorderen 
Einschnitte  zusammenstossen ,  bildet  sich  eine  weichere  Verbindungsmasse, 
unter  welcher  und  dem  sich  dahinter  anschliessenden  Zungenbeinkörper  die 
Schilddrüsenanlage  in  zwei  divergirende  Schenkel  ausläuft,  deren  Enden  sich 
zuletzt  als  kugelige  Massen  abschnüren,  während  der  Stiel  atrophirt*  (Taf. 
XVI  Fig.  298,  Taf.  XVII  Fig.  319,  Taf.  XVIII Flg.  332—334).  Die 
Seitentheile  der  grossen  Zungenbeinhörner  sind  schmäler  aber  dicker  als  die 
platten  Mittelstücke  und  besitzen  zwei  seitliche  Höcker,  einen  vorderen,  auf- 
wärts gerichteten,  welcher  zur  Seite  der  ersten  Schlundfalte  mit  dem  Quadratbein- 
knorpel in  Gelenkverbindung  tritt,  und  einen  hinteren,  weiter  nach  aussen  vor- 
ragenden Höcker,  welcher  den  Hebelwirkungen  des  Zungenbeinhebers  und 
-senkers  zum  Angriffspunkte  dient  (Taf.  XVI,  XVIII).  Der  M.  subhyoideus 
befestigt  sich  jederseits  an  der  Bauchfläche  desselben  Höckers  und  mag  schon 
in  der  Larvenzeit  den  Schlundhöhlenboden  heben.  Nach  der  Larvenmetamor- 
phose thut  er  es  gewiss,  und  zwar  im  Anschlüsse  an  einen  andern  Muskel, 
dem  die  Stellvertretung  des  geschwundenen  M.  levator  ossis  hyoidei  zufällt.  Es 
ist  der  M.  submaxillaris ,  welcher  jedoch  in  der  Larvenzeit  so  schwach  ist, 
dass  ihm  eine  nennenswerthe  Wirkung  nicht  zugeschrieben  werden  kann  (Taf. 


*  Eine  ausführliche  Entwicklungsgeschichte  der  Schilddrüsen  des  Frosches  hat  W, 
Mueller  geliefert  (Nr.  71  111). 


668  IX.     Der  Kopf. 

XVIII Fig.  328).  Er  entspringt  an  der  Hinterfläche  des  Unterkiefers  mich 
aussen  von  den  Lippenmuskeln  und  strahlt  unter  den  Mm.  genio-hyoidei  fächer- 
förmig gegen  die  Medianebene  aus,  so  dass  seine  vordersten  Fasern  quer,  die 
hintersten  schräg  rückwärts  verlaufen  und  mit  einigen  vorgeschobenen  Fasern 
des  M.  snbhyoideus  sich  sehr  frühe  verbinden.  Während  der  definitiven  Um- 
bildung des  Unterkiefers  breitet  sich  der  Ursprung  des  M.  submaxillaris  über 
die  ganze  Länge  der  lateralen  Unterkieferstücke  aus  und  nimmt  in  Folge  ihrer 
Lageveränderung  eine  vollständig  quere  Stellung  ein  {Taf.  XX  Fig.  348). 
Die  beiderseitigen  Muskellagen  verbinden  sich  gerade  so  wie  der  M.  subhyoideus 
durch  einen  medianen  Sehnen  streifen  und  erreichen  jenen  Muskel  wenigstens  in  der 
Mitte,  sodass  die  Anatomen  bisher  beide  Muskeln  bloss  für  zw"ei  Partien  eines  ein- 
zigen ansahen  (vgl.  Ecker  Nr.  90  S.  74).  Nach  ihrer  Entwickelung*  und  ihren 
Ursprüngen  sind  sie  aber  füglich  zu  trennen.  Die  späte  Ausbildung  des  M.  sub- 
maxillaris ist  aus  dem  provisorischen  Kieferapparate  der  Larve  verständlich : 
sie  war  verhindert  durcli  die  quere  Lage  des  ganzen  Unterkiefers,  und  zudem  der 
Muskel  zur  Hebung  des  Mundhöhlenbodens  überflüssig,  da  dieselbe  bereits 
durch  die  breiten  Zungenbeinhörner  besorgt  wurde.  Sobald  diese  letztere 
Thätigkeit  in  der  Metamorphose  aufhört,  tritt  die  Funktion  des  M.  submaxillaris 
an  ihre  Stelle;  da  es  mir  aber  für  die  Schling-  und  Athembewegungen  nöthig 
scheint,  dass  der  Boden  der  Mundhöhle  und  derjenige  des  Schlundes  nicht 
gleichzeitig,  sondern  wie  ich  es  von  der  Larve  beschrieb,  nacheinander  gehoben 
werden,  so  halte  ich  auch  die  Wirkungen  des  M.  submaxillaris  und  M.  sub- 
hyoideus weder  für  gleichzeitige  noch  für  durchaus  analoge.  Wird  der  erstere 
einem  M.  mylo-hyoideus  verglichen,  so  dürfte  der  andere  einem  M.  stylo-hyoideus 
am  meisten  entsprechen. 

Der  von  den  grossen  Zungenbeinhörnern  getragene,  nach  vorn  verschmä- 
lerte und  daher  beinahe  dreieckige  Mundhöhlenboden  ist  anfangs  glatt  und 
eben;  darauf  erhält  er  seitlich  kleine  runde  Papillen,  aus  seiner  Mitte 
wächst  aber  ein  ganz  neues  Organ  hervor  —  die  Zunge  {Taf.  XV  Fig.  283, 
Taf.  XVI  Fig.  303,  Taf.  XVII  Fig.  318,  Taf.  XVIII  Fig.  330).  Sie  ent- 
wickelt sich  unmittelbar  hinter  dem  Ursprünge  der  Schilddrüse,  und  da  die 
quere  Scheidewand  der  beiden  ursprünglichen  Mundräume,  der  äusseren 
Mundbucht  und  der  inneren  Mundhöhle,  über  dem  Unterkiefer  aufsteigt,  so  ist 


:::  Es  kommt  mir  sehr  wahrscheinlich  vor,  dass  der  M.  submaxillaris  nicht  aus  dem 
Zungenbeinbogen,  in  dessen  Gebiete  er  später  liegt,  sondern  aus  dem  Unterkieferbogen  her- 
vorgeht. 


±     Der  Hinterkopf.  669 

die  Bildungsstätte  der  Zunge  ganz  unzweifelhaft  der  ursprüngliche  Darmraum. 
Ihre  Anlage  besteht  in  einem  nach  vorn  gerichteten  Auswüchse  des  Darmblattes 
und  des  zwischen  diesem  und  dem  Zungenbeine  befindlichen  Bildungsgewebes 
der  Seitenplatte,  in  welchem  ich  längere  Zeit  jede  Spur  von  Muskeln  vermisste. 
Diese  scheinen  erst  während  der  Metamorphose  aus  einer  einheitlichen  An- 
lage hervorzugehen,  welche  von  der  Zungenbasis  nach  vorn  (M.  genio-glossus) 
und  hinten  (M.  hyo-glossus)  ausstrahlt  und  erst  nach  begonnener  Bildung  der 
Muskelfasern  sich  in  zwei  Massen  sondert.  Nach  ihrem  Ursprünge  sind  diese 
Muskeln  von  allen  übrigen  Kopfmuskeln  verschieden  und  nur  der  gleichfalls 
aus  der  Seitenplatte  (Visceralblatt)  hervorgehenden  Darmmuskulatur  ver- 
gleichbar. —  Im  Anfange  der  histologischen  Differenzirung  des  Zungenbein- 
und  Unterkieferbogens  beginnt  auch  die  Rückbildung  der  sie  trennenden  ersten 
Schlundfalte.  Nachdem  sie  sich  von  der  Oberhaut  wieder  abgelöst  und  ihre 
beiden  Blätter  lateralwärts  zu  einer  einfachen  Platte  verschmolzen  sind, 
schrumpft  dieselbe  zu  einem  unansehnlichen  Klümpchen  zusammen,  welches 
sich  endlich  vom  medialen  Theile  abschnürt  und  entweder  ganz  vergeht  oder 
den  gleichen  Resten  der  zweiten  Schlundfalte  sich  anschliesst,  woraus,  wie  ich 
weiter  unten  zeigen  werde,  die  Halsdrüse  entsteht  (Taf.  XV  Fig.  271.  Taf. 
XVI  Fig.  294.  295.  300,  Taf.  XV IL  Flg.  807). 

Die  Umbildung  des  Zungenbeinbogens  in  der  Larvenmetamorphose  erfolgt 
im  innigen  Anschlüsse  an  diejenige  des  Kiemenapparats,  dessen  Ent- 
wickelungsgeschichte  daher  der  Betrachtung  der  ersteren  vorangehen  soll.  — 
Wenn  wir  die  anfangs  weite  und  namentlich  hohe  Kopfdarmhöhle  allmählich 
in  einen  viel  breiteren  aber  spaltförmig  niedrigen  Raum  sich  verwandeln  sehen, 
so  sind  die  Ursachen  davon  unschwer  in  der  Form-  und  Lageveränderung  der 
Seitentheile  jenes  Darmraumes  oder  der  so  oft  genannten  lateralen  Bögen  des 
Kopfes  zu  erkennen.  Darin  gehen  die  zwei  ersten  und  zugleich  stärksten,  der 
Unterkiefer-  und  der  Zungenbeinbogen,  voran,  indem  sie  aus  der  ursprünglich 
nahezu  senkrechten  Lage  in  eine  schräg  nach  vorn  und  unten  gerichtete  über- 
gehen, und  ihre  unteren  Abschnitte  horizontal  umlegen,  wodurch  die  Höhe  der 
von  ihnen  umschlossenen  Mundhöhle  in  zweifacher  Weise  verkürzt  wird.  Diese 
Umbildung  der  beiden  ersten  Bögen  beeinflusst  diejenige  der  Kiemenbögen  um 
so  mehr,  als  sie  schwächer  angelegt  sind  und  zwischen  jene  und  den  Rumpf 
eingekeilt  sich  nach  allen  Seiten  äusseren  Formbedingungen  zu  fügen  haben. 
Indem  der  Zimgenbeinbogen  sich  besonders  stark  zur  Seite  ausbaucht,  zieht  er 
den  ersten  Kiemenbögen  zu  derselben  Breite  aus,  während  der  letzte  Kiemen- 


670  IX-  Der  Kopf. 

bogen  in  der  zwischen  Kopf  und  Rumpf  entstandenen  Einschnürung  zurück- 
gehalten wird;  es  muss  folglich  die  Gesammtheit  der  Kiemenbögen  schräg  nach 
aussen  und  hinten  gerichtet  werden,  wozu  sich  allmählich,  in  Anpassung  an  die 
betreffende  Lage  der  zwei  ersten  Kopfsegmente  noch  die  Richtung  nach  hinten 
und  unten  gesellt  (Taf.  XIV,  XVI,  XXII).  Und  selbst  eine  ventrale 
Umlagerung  ihrer  unteren  Seitenflächen  kommt  an  den  Kiemenbögen  zu 
Stande ,  obgleich  dem  ganzen  Kiemenapparate  eine  freie  Bauchseite  anfangs 
fehlt.  Der  Boden  der  Schlundhöhle,  welcher  die  ganz  lateralen  Kiemenbögen 
beider  Körperseiten  mit  einander  verbindet,  ist  zugleich  die  Decke  des  Perikar- 
dialraums  und  muss  durch  dessen  stete  Erweiterung  ebenso  beständig  gehoben 
werden  {Taf.  XIV.  XV,  XXI  Flg.  369—371).  Dadurch  werden  aber  die 
Kiemenbögen  nach  aussen  vorgewölbt  und  endlich  ihre  unteren  Abschnitte  seit- 
lich vom  Schlundhöhlenboden  beinahe  horizontal  umgelegt,  sodass  die  darin 
enthaltenen  Schlundfalten  und  ihre  alsbald  entstehenden  spaltförmigen  äusseren 
Mündungen  nach  unten  und  hinten  sehen,  während  die  oberen  Kiemenbogen- 
abschnitte,  in  deren  Bereiche  die  Schlundfalten  die  Oberhaut  nicht  durch- 
brechen, aus-  und  aufwärts  gekehrt  bleiben.  —  Nach  der  Feststellung  dieser 
allgemeinen  Lageverhältnisse  der  Kiemenbögen  gehe  ich  zur  Entwickelungs- 
geschichte  ihrer  äusseren  Segmente  über. 

Im  ersten  Kiemenbögen  erzeugt  das  dritte  laterale  Kopfsegment  den  N. 
glosso-pharyngeus,  dessen  Wurzel  hinter  dem  Ohrbläschen  mit  dem 
Ganglion  des  folgenden  Hauptnerven,  des  N.  vagus,  verschmilzt  (Taf.  XVI). 
Von  dort  beschreibt  der  mit  einem  sehr  lauggezogenen  Ganglion  versehene  N. 
glosso-pharyngeus  den  schon  erwähnten  Bogen  unter  das  Gehörorgan,  um  seinen 
Kiemenbögen  zu  erreichen,  und  entsendet,  bevor  er  in  denselben  eintritt,  eine 
Anastomose  zum  N.  facialis,  den  R.  communicans.  Im  weiteren  Verlaufe  durch 
den  ersten  Kiemenbögen  versorgt  der  N.  glossu-pharyngeus  dessen  ebenfalls 
aus  dem  äusseren  Segmente  hervorgegangene  Muskeln  (Taf.  XVIII  Fig. 
325 — 328).  Es  sind  ihrer  drei,  welche  nach  ihrer  Lage  als  Kiemenöffner 
zu  bezeichnen  sind.  Der  obere  entspringt  breit  und  dünn  am  Schädel,  ver- 
deckt den  oberen  Verlauf  des  Nerven  und  setzt  sich  über  der  ersten  Kiemen- 
spalte und  mit  ihrer  Axe  einen  nach  vorn  offenen  Winkel  bildend  an  der  Aussen- 
fläche  des  Kiemenbogens  an;  ebenfalls  an  der  Ausscnfiäche,  aber  tiefer,  befindet 
sich  die  Insertion  des  zweiten  Muskels,  welcher  am  Aussenrande  des  Zungen- 
beinhorns  entspringt;  der  dritte  und  unterste  endlich  ist  wie  der  vorige  schmal 
und  platt  und  an  der  Bauchseite  des  Kiemenbogens  zwischen  diesem  und  dem 


2.    Der  Hinterkopf.  671 

Innenrande  des  Zungenbeinhorns  ausgespannt.  Er  enthält  in  der  Larvenzeit 
das  Ende  des  N.  glosso-pharyngeus.  —  Das  vierte  und  letzte  laterale  Kopfseg- 
ment bildet  an  seiner  Wurzel  das  Ganglion  und  den  Stamm  des  N.  vagus, 
welcher  anfangs  über  den  Stammuskeln  des  Kopfes  und  später  zwischen  den 
beiden  Mm.  intertransversarii  capitis  nach  aussen  hervortritt  (vergl.  S.  460). 
Seine  Verbindung  mit  dem  N.  glosso-pharyngeus  habe  ich  oben  erwähnt;  die- 
jenige mit  dem  Hinterhirn  erfolgt  wohl  zur  selben  Zeit  wie  an  den  übrigen 
Hirnnerven.  Unter  jener  Nervenanlage  theilt  sich  das  vierte  laterale  Segment 
in  3  Streifen  für  den  2.-4.  Kiemenbogen  {Taf.  XV  Fig.  275.  276,  Taf. 
XVIII,  XXI  Fig.  371.  377).  Der  vorderste  liefert  nur  einen  oberen  Kiemen- 
öffner des  zweiten  Kiemenbogens ,  demjenigen  des  ersten  Bogens  in  Beschaffen- 
heit und  Befestigung  ähnlich,  und  den  zugehörigen  zweiten  Kiemennerv ,  wel- 
cher sich  alsbald  bis  zum  Ganglion  vom  gemeinsamen  Stamme  abspaltet.  Der 
zweite  Streifen  des  vierten  Segments  zieht  an  der  Aussenseite  des  dritten 
Kiemenbogens  hinab ,  welcher  die  Vorderwand  der  zwischen  dem  Kiemen- 
apparate und  dem  Rumpfe  frühzeitig  angelegten  und  sich  immer  mehr  ver- 
tiefenden Tasche  bildete,  sodass  sie  endlich  bei  äusserer  Ansicht  der  enthäuteten 
Larve  sich  dem  Blicke  ganz  entzieht.  Die  Muskeln  dieses  Segmentstreifens 
sind  der  dritte  obere  Kiemenöffner,  welcher  in  allem  den  zwei  ersten  entspricht, 
und  weiter  unten  der  gemeinsame  Ki  einen  s  chliesser,  der  am  Grunde  jener 
Tasche  vom  unteren  Ende  des  dritten  Kiemenbogens  entspringt  und  an  der 
unteren  Grenze  des  gauzen  Kiemenapparates,  also  lateralwärts  vom  M.  sterno- 
hyoideus  ziemlich  horizontal  nach  vorn  verläuft,  alle  Kiemenbogen  unten  um- 
greift  und  an  der  Bauchfläche  des  ersten  endigt.  Nach  dieser  Lage  kann  es 
freilich  zweifelhaft  erscheinen,  ob  der  bezeichnete  Muskel  zum  zweiten  Theile 
des  vierten  lateralen  Segments  gehöre.  Mir  scheint  aber  seine  Innervirung 
durch  den  zweiten  Ast  des  N.  vagus  entscheidend  zu  sein,  während  die 
Verschiebung  des  Insertionsendes  über  den  ursprünglichen  Bezirk  hinaus  eine 
ganz  gewöhnliche  Erscheinung  ist.  Dasselbe  gilt  für  einen  anderen  Muskel, 
welcher  von  der  Basis  des  Kiemengerüstes  entspringend  unter  den  vom  Bulbus 
arteriosus  kommenden  Gelässstämmen  zum  Zungenbeinkörper  zieht,  und  in 
welchen  hinein  ich  einen  Ausläufer  des  zweiten  Vagusastes  verfolgen  konnte. 
Der  dritte  Abschnitt  des  vierten  lateralen  Kopfsegments,  welcher  hinter  der 
fünften  Schlundfalte  auf  den  vierten  Kiemenbogen  fällt,  verwandelt  sich  eben- 
falls in  einen  oberen  flachen  Muskel  mit  seinem  Nerven.  Es  sind  aber  dieselben 
nicht  nur  für  den  vierten  und  kleinsten   Kiemenbogen  bestimmt.      An  der 


672  IX-    Der  K°Pf- 

äussersten  Kopfgrenze  gelegen  schliesst  er  sich  nämlich  in  dein  Masse,  als  die 
schräge  Verschiebung  des  Kiemenapparates  nach  hinten  erfolgt,  der  unmittel- 
baren Fortsetzung  der  Schlundhöhle  von  aussen  an,  welche  beim  Uebergange 
in  den  Rumpf  noch  eine  ungespaltene  Seitenplatte  um  die  Darmblattrühre  ent- 
hält (Taf.  XV  Fig.  27  ö.  270,  Taf.  XVI  Fig.  303,  Taf.  XVII  Fig.  SOS.  318). 
Dieser  vorderste  Abschnitt  des  Vordarms  stellt  in  seiner  unteren  Hälfte  die  mit 
der  darüber  liegenden  Speiseröhre  noch  weit  kommunicirende  Anlage  des  Kehl- 
kopfes dar;  und  daher  kommt  es,  dass  die  Hälfte  unseres  Kiemenmuskels  schräg 
gegen  den  Kehlkopf  ziehend  sich  an  ihm  befestigt  und  der  betreffende  Nerv 
zum  vorderen  Kehlkopf  aste  desN.  vagus  wird.  Dieser  hinterste  Ast 
der  im  vierten  Kopfsegmente  entstehenden  Nervenanlage  spaltet  sich  in  Folge 
seiner  tiefen  Lage  nur  wenig  vom  gemeinsamen  Stamme  ab,  und  erscheint  daher 
als  ein  Seitenzweig,  der  zweite  und  stärkste  Ast  (3.  Kiemennerv)  dagegen  als 
die  eigentliche  Fortsetzung  desselben  {Taf.  XVIII  Fig.  326.  327). 

Wenn  die  bisher  beschriebenen  drei  Vaguszweige  die  einzigen  ursprüng- 
lichen und  nach  ihrer  Entstehung  zusammengehörigen  sind,  so  verbinden  sich 
doch  im  Laufe  der  Entwickelung  ganz  heterogene  Nervenanlagen  mit  dem  N. 
vagus,  welche  später  als  seine  Aeste ,  der  eine  sogar  als  der  eigentliche  Vagus- 
stamm gelten.  Es  sind  dies  die  Seitennerven  und  der  Eingeweideast 
des  N.  vagus.  Jedoch  gibt  es  im  Vorderkopfe  einen  Seitennerven,  welcher 
selbstständig  bleibt,  den  ich  aber  hier  mit  beschreiben  will.  —  Zur  Zeit,  wann 
die  Sonderung  des  zweiten  lateralen  Segments  im  Zungenbeinbogen  beginnt, 
bemerke  ich  eine  längliche  Verdickung  der  Oberhaut  zwischen  dem  Gassee'- 
schen  Ganglion  und  demjenigen  des  Gesichtsnerven  {Taf.  XIII  Fig.  233).  Das 
obere  Ende  dieser  Verdickung  löst  sich  von  der  übrigen  Haut  ab,  wächst  bis 
zum  Hinterhirn  hinauf,  mit  dem  es  sich  verbindet  und  verwandelt  sich  in  einen 
Nervenstamm  (Taf.  XV  Fig.  272,  Taf.  XVI  Fig.  291.  294.  295,  Taf  XVII 
Fig.  304).  Die  eigentliche  Hautverdickung  wird  gangliös  und  zieht  sich  eben- 
falls in  einen  zweitheiligen  Nerven  aus,  der  mit  der  Oberhaut  in  eigenthüinlicher 
Verbindung  bleibt,  indem  er  die  in  seinem  Verlaufe  entstehenden  Seitenorgane 
des  Kopfes  versorgt  (Taf. XIX  Fig.  344.  345).  Sein  Stamm  kommt  über  dem 
Orbitalflügelknorpel  hervor,  theilt  sich  hinter  dem  Auge  und  umfasst  dasselbe 
innen  und  aussen,  um  darauf  in  der  Kiefergegend  auszulaufen  (Taf. XVIII  Fig. 
325 — 327).  An  gehärteten  Larven  ist  sein  Verlauf  schon  äusserlich  an  den 
Seitenorganen  kenntlich,  welche  Reihen  von  hellen  Punkten  darstellen.  Ebenso 
entsteht  etwas  später  der  dorsale  und  der  ventrale  Seitennerv  des  Rumpfes. 


2.    Der  Hinterkopf.  673 

Der  erstere  geht  von  einer  gangliosen  Anschwellung  aus ,  welche  dicht  hinter 
dem  Ganglion  des  N.  vagus  in  horizontaler  Richtung  sich  von  der  Haut  ablöst  und 
wegen  dieser  Lage  sich  leicht  mit  jenem  Ganglion  verbindet;  der  aus  dieser  An- 
lage ausgesponnene  Nervenstamm  verläuft  in  der  schon  erwähnten  Seitenlinie 
des  Rumpfes,  also  längs  der  Grenze  zwischen  den  oberen  und  unteren 
Stammuskelhälften  (Taf.  XIV  Fig.  251.  202—265.  Taf.  XV Fig.  276— 
278,  Taf.  XVI  Fig.  291.  296.  802,  Taf  XVII.  Fig.  305).  Bei  den  Anuren- 
larven  wird  jedoch  durch  die  starke  Auftreibung  des  Bauches  und  die  Abhebung 
der  Oberhaut  von  den  tieferen  Organen  die  Reihe  der  Seitenorgane  aus  ihrer 
ursprünglichen  Lage  aufwärts  verdrängt ;  bei  den  Tritonen  verharrt  sie  aber  in 
derselben  (Taf.  XVIII  Fig.  325.  326,  Taf.  XIX  Fig.  341.  342).  Da  übrigens 
Stannius  (Nr.  80  II  S.  148)  und  Fischer  (Nr.  82  S.  34)  an  Tritonen  nur  einen 
Seitennerven  des  Rumpfes  kennen,  so  bemerke  ich,  dass  ihre  Larven  ebenso 
wie  Proteus  und  Menobranchus  drei  solcher  Nerven  besitzen,  indem  sowohl 
über  dem  beschriebenen  ein  oberster  Seitennerv  verläuft,  als  auch  der  ventrale 
vorkommt.  Der  letztere  entwickelt  sich  übrigens  bei  der  Unke  ebenso  selbst- 
ständig wie  der  obere  Seitennerv  an  der  vorderen  Grenze  des  Rumpfes,  vor  der 
Anlage  des  M.  scapulo-mastoideus  und  ihr  parallel;  aufwärts  verbindet  er  sich 
mit  dem  Hauptstamme  des  Vagus  ziemlich  entfernt  vom  Ganglion,  in  der  Nähe 
der  Bauchseite  wendet  er  sich  rückwärts,  um  in  einer  grossen  S-förmigen 
Biegung  die  Spinalnerven  zu  kreuzen  (Taf.  XV  Fig.  276,  Taf  XVI Fig.  300, 
Taf.  XVI II  Fig.  325 — 327).  —  Der  Eingeweideast  des  N.  vagus  besitzt  eben- 
falls eine  durchaus  selbstständige  Anlage  in  einem  länglichen  Ganglion,  welches 
sich  jederseits  in  der  Wand  der  Speiseröhre  über  der  Lungenwurzel  bildet  und 
daher  dem  ursprünglichen  Vagusstamme  sehr  nahe  liegt  (Taf  XVIII  Fig. 
327).  Er  verbindet  sich  zuerst  mit  demselben  dicht  unter  dessen  Ganglion 
durch  einige  dünne  Fädchen,  dann  immer  fester,  indem  er  sich  ihm  abwärts 
eine  Strecke  weit  anlegt,  sodass  der  Eingeweideast  endlich  ziemlich  tief  unter 
dem  Ganglion  vom  N.  vagus  abgeht  (Taf.  XIX  Fig.  343).  Und  wenn  er  bis- 
her für  den  Stamm  des  N.  vagus  gehalten  wurde,  aus  welchem  die  Schlund-  und 
Hautzweige  mit  wesentlich  anderem  Ziele  entsprängen,  so  erhellt  aus  den  ange- 
führten Thatsachen,  dass  dieser  in  einer  gemeinsamen  Wurzel  vereinigte  Nerven- 
komplex gar  nicht  aus  einer  einheitlichen  Nervenanlage,  ja  nicht  einmal  inner- 
halb derselben  Embryonalanlage  sich  entwickelt,  vielmehr  der  typische  Kopf- 
nerv nur  in  der  Verzweigung  der  Schlundnerven  und  des  vorderen  Kehlkopfastes 
zu  suchen  ist,  während  die  Hautäste  und  der  scheinbare  Stamm  (Eingeweideast) 

Ooette,  Eutwickelungsgeschichte.  43 


(374  IX    Der  Kopf. 

nach  Genese  und  Wirkung  ganz  anderen  Gebieten  des  Rumpfes  angehörig  und 
ohne  eigene  Verbindimg  mit  dem  Centralnervensytem  erst  nachträglich  sich 
jenem  typischen  Kopfnerven  anschliessen. 

Von  der  Seitenplatte  der  Kienienbögen  habe  ich  schon  erwähnt, 
dass  ihr  Bildungsgewebe  allmählich  zwischen  den  Perikardialsack  und  das 
Darmblatt  wächst  und  auf  diese  Weise  die  inneren  Theile  der  Kienienbögen 
zum  ventralen  Schlüsse  und  ausserhalb  des  Bereichs  der  Schlundfalten  zur 
kontinuirlichen  Wiedervereinigung  bringt.  Dieses  Bildungsgewebe  verbindet 
sich  vorwärts  mit  der  Anlage  der  grossen  Zungenbeinhörner  und  geht  rückwärts 
in  die  Seitenplatte  des  Rumpfes  über,  welche  den  unmittelbar  angrenzenden 
Darmtheil,  die  Kehlkopfanlage,  gleichfalls  zwischen  Perikardialsack  (Sinus 
venosus)  und  Darmblatt  (Kehlkopfepithel)  an  der  Bauchseite  umgreift  (Taf, 
XIV—  XVI).  Die  erste  histologische  Umbildung  der  Seitenplatte  des 
Kiemenapparats  beginnt  aber  nicht  in  dem  eben  geschilderten  neugebildeten 
Theile  des  Schlundhühlenbodens  und  im  Anschlüsse  an  die  ihm  homologen 
vorderen  Zungenbeinhörner,  sondern  in  den  lateralen  Kienienbögen  selbst.  In 
jedem  derselben  entsteht  nämlich  eine  Knorpeln nlage,  welche,  seiner  Axe 
folgend,  zwischen  dessen  äusseren  Segmenttheilen,  Muskeln  und  Nervenstämmei), 
und  der  inneren  Darmblattauskleidung  einen  entsprechend  gebogenen  cyliu- 
drischen  Stab  darstellt,  welcher  aufwärts  an  die  Schädelbasis  anstösst,  und 
dessen  uuteres  Ende  in  dem  Schlundhöhlenboden  eine  Fortsetzung  erhält 
(Taf.  XVI,  XVII).  Zwischen  dem  vordersten  Paare  dieser  einander  gegen- 
überstehenden unteren  Fortsetzungen  der  Kiemenknorpel  finde  ich  ein  geson- 
dertes medianes  Stück ,  welches  mit  dem  homologen  Mittelstücke  der  ersten 
Zungenbeinhörner  in  Verbindung  steht;  und  aus  dem  späteren  Verhalten  der 
übrigen Kuorpelanlagen  schliesse  ich,  dass  alleKiemenknorpelpaare  im  Schlund- 
höhlenboden anfangs  solche  mediane  Schlussstücke  besitzen  (Fi<j.  318).  Dies 
ist  desshalb  nicht  leicht  unmittelbar  festzustellen ,  weil  die  Sonderung  der  ge- 
nannten Anlagen  im  Schlundhöhlenboden  nur  kurze  Zeit  besteht;  nachdem  sie 
aber  dort  zu  einer  kontinuirlichen  Knorpelplatte,  dem  Zungenbeinkörper, 
verschmolzen  sind,  zeigt  derselbe  in  der  Mittellinie  eine  Reihe  flacher  runder 
Vorsprünge,  welche  ich  eben  auf  jene  Copulae  beziehe  (Taf.  XV III  Fig.  332). 
Er  füllt  den  ihm  zugewiesenen  Raum  zwischen  den  grossen  Zungenbein- 
hörnern, den  Kienienbögen  und  dem  Rumpfe  vollständig  aus  und  entlehnt 
daher  seine  Gestalt  von  den  Grenzen  des  Schlundhöhlenbodens.  Dieser  ver- 
schmälert   sich    von    der  grössten  vorderen  Breite,    welche  über  der  queren 


•2.  Der  Hinterkopf.  675 

Drehungsaxe  beider  Zungenbeinhörner  liegt,  nach  hinten  zu,  ebenso  wie  es  am 
Mundhöhlenboden  nach  vorn  zu  der  Fall  ist,  sodass  beide  einen  rautenförmigen 
Plan  herstellen  (Taf.  XVIII  Fig.  330).  Der  Zungenbeinkörper  wird  daher 
zwei  zum  Kehlkopf  konvergirende  hintere  Seitenränder  erhalten ,  welche  jeder- 
seits  die  untere  Grenze  der  bereits  schräg  verschobenen  Kiemenbögen  bezeich- 
nen. An  seinem  hinteren  Ende  läuft  er  in  zwei  kurze  Fortsätze  aus,  welche  ab- 
wärts vom  letzten  Kiemenknorpel  gleich  diesem  schräg  nach  aussen  und  hinten 
gerichtet  sind  und  den  Kehlkopf  von  unten  umgreifen ,  sodass  dieser  in  den 
durch  jene  Fortsätze  oder  die  hinteren  kleinen  Zungenbeinhörner  ge- 
bildeten Ausschnitt  eingefügt  erscheint.  Lateralwärts  von  der  Wurzel  dieser 
hinteren  Hörner  liegen  die  beiden  Schilddrüsen.  Der  Vordertheil  des  Zungen- 
beinkörpers zeigt  dagegen  entsprechend  dem  ihn  aufnehmenden  stumpfen 
Winkel,  unter  welchem  die  vorderen  Zungenbeinhörner  zusammentreffen,  eine 
mediane  Spitze.  Die  beiden  von  derselben  ausgehenden  Kanten  stossen  übrigens 
nicht  gerade  auf  die  angrenzenden  Kanten  jener  Hörner,  sondern  schieben  sich 
seitwärts  etwas  unter  dieselben,  sodass  die  sich  senkenden  Hörner  des  Zungen- 
beins auch  den  Vordertheil  seines  Körpers  hinunterdrücken,  zugleich  aber 
dessen  hintere  Hälfte  lieben. 

Ich  kann  mich  nun  zum  wichtigsten,  dem  eigentlichen  respiratorischen 
Theile  des  Kiemen apparats  wenden.  Sobald  die  Kiemenbögen  nach  aussen 
vorgewölbt  und  ihre  unteren,  die  äusseren  Spaltmündungen  enthaltenden  Ab- 
schnitte  ventral  umgelegt  sind,  beginnen  an  ihrer  von  der  Oberhaut  überzogenen 
pigmentirten  Aussenfläche  fingerförmige  Fortsätze  auszuwachsen,  welche  unter 
der  Haut  Bildungsgewebe  mit  je  einer  Gefässschlinge  des  den  ganzen  Bogen 
durchziehenden  Hauptgefässes  (Aortenbogen)  enthalten*  {Taf.  XIV — XVII). 
Diese  ersten  äusseren  Kiemenfransen  sind  auf  das  laterale  Ende  der  ven- 
tralen Kiemenbogenabschnitte  beschränkt,  was  man  aber  erst  bei  einer  gewissen 
Ausdehnung  der  letzteren  und  der  von  ihnen  eingefassten  Kiemenspalten  deut- 
lich erkennt-,  sie  stehen  büschelweise,  sind  am  ersten  Kiemenbögen  am  längsten 
und  nehmen  bis  zum  dritten  au  Länge  ab.  Der  vierte  Kiemenbögen  entwickelt 
solche  Kiemen  nicht.  Anfangs  hängen  sie  frei  in's  Wasser  hinein  und  sind 
daher  äusserlich  sichtbar;  bevor  aber  die  hinteren  genügend  entwickelt  sind, 


*  Eine  ausführliche  Beschreibung  der  Gefässverzweigungen  in  den  äusseren  Kiemen 
der  Froschlarven  hat  Rusconi  geliefert  (Nr.  6  S.  51—53);  dieselben  Organe  der  Unkenlarven 
sind  zu  einer  gleichen  Untersuchung  weniger  geeignet,  doch  glaube  ich  Rusconi's  Angaben 
im  allgemeinen  auch  für  diese  Larven  bestätigen  zu  können. 

43* 


676  IX    Der  Kopf. 

beginnt  vorn  die  Bildung  des  Kiemendeckels,  welcher  sie  alsbald  völlig 
verdeckt  und  der  Ansicht  von  aussen  entzieht  {Taf.  XV  Fig.  273,  Taf.  XVI 
Fig.  299—301,  Taf.  XVII).  Die  Oberhaut  und  das  subepitheliale  Bildungs- 
gewebe des  Zungenbeinbogens  wachsen  nämlich  in  einer  wulstigen  Falte  über 
dessen  hintere  Grenze  hinaus-,  diese  Anlage  des  Kiemendeckels  geht  aber 
nur  über  die  ventralen,  die  äusseren  Kiemenfransen  erzeugenden  Abschnitte  der 
Kiemenbögen  frei  hinüber,  verwächst  aber  sowohl  mit  den  oberen  Abschnitten, 
welche  von  den  Schlundfalten  nicht  mehr  durchbrochen  werden,  als  auch  unter 
den  Kiemenbögen  mit  der  Hautbedeckung  des  Perikardialsackes ,  sodass  die 
Anheftung  des  Kiemendeckels  aus  einer  geraden  Linie  in  eine  bogenförmige 
übergeht,  welche  den  respiratorischen  Kiemenapparat  von  vorn  her  auf-  und 
abwärts  umkreist.  Hinter  demselben  geht  sie  nicht  etwa  auf  den  letzten  im 
Grunde  der  tiefen  Grenzeinschnürung  zwischen  Kopf  und  Rumpf  befindlichen 
Kiemenbögen  über,  sondern  umzieht  diese  ganze  Bucht  von  oben,  um  dann 
hinter  ihr  und  sogar  unmittelbar  hinter  der  Anlage  der  vorderen  Gliedmassen 
auf  der  Bauchhaut  fortzugleiten.  In  gleicher  Weise  umwächst  der  Kiemendeckel 
den  Kiemenapparat  auch  von  unten,  sodass  sehr  freier  Band  hinter  und  unter 
demselben  einen  engen  Zugang  zu  dem  ganzen  überdeckten  Baume,  dem 
äusseren  Kiemensacke  oder  der  äusseren  Kiemenhöhle,  begrenzt  {Taf. 
XX  Fig.  252 — 258).  Solange  jene  Oeffnung  noch  breit  und  nicht  weit  nach 
hinten  vorgerückt  ist,  hängen  die  beschriebenen  Kiemenbüschel  aus  ihr  heraus; 
sobald  sie  aber  abwärts  und  rückwärts  vorgeschoben  sich  in  einen  engen  all- 
seitig von  der  Oberhaut  ausgekleideten  Kanal  verwandelt,  werden  jene  Büschel 
vollständig  in  den  äusseren  Kiemensack  aufgenommen,  welcher  übrigens  nach 
dem  Gesagten  nicht  nur  die  äusseren  Kiemen ,  sondern  auch  die  vordere  Ex- 
tremität beherbergt.  Indem  die  beiderseitigen  etwas  abgeplatteten  Kiemen- 
gänge oder  Athemr Öhren  in  der  angegebenen  Richtung  gleichmässig  vor- 
rücken, stossen  sie  in  der  Mittellinie  des  Bauches  zusammen  und  vereinigen  sich 
alsdann  zu  einer  einzigen  Oeffnung,  welche  noch  weiter  rückwärts  wächst,  so- 
dass aus  jener  Vereinigung  beider  Röhren  noch  ein  gemeinsames  medianes  End- 
stück ausgezogen  wird  {Taf.  XVIII Fig.  328).  Diese  Beschreibung  der  Athem- 
röhren  gilt  übrigens  zunächst  nur  für  die  Larven  der  Unke  und  der  gemeinen 
Kröte.  Bei  den  übrigen  Anuren  verbinden  sich  beide  Kiemensäcke  durch  einen 
queren  ventralen  Kanal,  ohne  dass  die  Kiemendeckelöffnungen  zusammen- 
treffen, sodass  der  rechte  Kiemensack,  auch  nachdem  seine  Oeffnung  sich  ge- 
schlossen hat,  durch  jenen  Verbindungskanal  und  die  erhalten  bleibende  linke 


2.    Der  Hinterkopf.  677 

Oeffhung  einen  Ausgang  behält  (vergl.  v.  Baer  Nr.  9  S.  304 — 305).  Merkwür- 
digerweise schweigen  die  späteren  Darstellungen  von  jenem  Verbindungskanale, 
sodass  der  Schein  erweckt  wird,  als  wenn  durch  den  Verschluss  der  rechten 
Oeffnung  der  betreffende  Kiemensack  einen  Ausgang  überhaupt  verliert  (vergl. 
Eemäk  Nr.  40  S.  156,  Eckee  Nr.  41  Taf.  XXIII  Fig.  XXVII  XXIX).  Die 
Lage  des  unpaaren  Kiemenlochs  korrespondirt  übrigens  mit  der  Stellung  des 
Hautafters:  ist  jene  median,  so  ist  es  auch  diese,  dem  bloss  linkerseits  erhal- 
tenen Kiemenloche  entspricht  eine  Verschiebung  des  Afters  an  die  rechte  Seite 
der  ventralen  Schwanzflossenwurzel. 

Nachdem  die  Kiemendeckel  vollendet,  beginnen  die  in  dem  engen  Kiemen- 
sacke eingeschlossenen  Kiemenfransen  zu  atrophiren ;  dafür  wachsen  aber  an 
den  bis  dahin  freien  medialen  Abschnitten  der  Kiemenspaltränder  neue  und 
zwar  verzweigte  Kiemenfransen  —  bei  den  Fröschen  sind  auch  die  ersten  ver- 
zweigt —  nach  aussen  hervor,  welche  kürzer  als  die  ersten  sind,  aber  dichter 
und  nach  der  Ausdehnung  der  ganzen  Spalten  in  längeren  Reihen  stehen  {Taf. 
XVIII  Fig.  325.  328,  Taf.  XIX  Fig.  335).  Da  jeder  Rand  eine  Kiemenreihe 
trägt ,  so  besitzen  der  erste  und  vierte  Kiemenbogen  je  eine ,  der  zweite  und 
dritte  zwei  Reihen.  Ich  bezeichne  diese  neuen  Kiemen  zum  Unterschiede  von  den 
ersten,  am  lateralen  oder  oberen  Ende  jedes  Kiemenbogens  entspringenden  als 
die  medialen;  diese  beiden  Gruppen  sind  aber  nach  ihrem  Ursprünge  an  der 
von  der  Oberhaut  überzogenen  Aussenseite  der  Kiemenbogen  durchaus  gleich- 
werthige  Bildungen  und  können  daher  ohne  Rücksicht  darauf,  ob  sie  vom 
Kiemendeckel  stets  verdeckt  werden  oder  nicht,  um  so  mehr  gleicherweise 
Au  s  s  enk  i e  m  e  n  genannt  werden,  als  die  Anurenlarven  noch  eine  ganz  andere 
Art  von  Kiemen  besitzen ,  welche  weder  an  der  Aussenseite  des  Körpers  ent- 
stehen, noch  an  dieselbe  hervortreten.  Diese  Innenki einen  entwickeln  sich 
nämlich  an  den  einander  zugekehrten  vom  Darmblatte  überzogenen  Flächen 
einiger  Schlundfalten.  Von  der  ersten  derselben  war  bereits  die  Rede;  die 
zweite  bildet  sich  in  ähnlicher  Weise  zurück,  indem  sich  ihre  beiden  Blätter  von 
der  Oberhaut  trennen  und  lateralwärts  zu  einer  einfachen  Scheidewand  ver- 
schmelzen, sodass  nur  der  mediale  Abschnitt  dieser  Schlundfalte  unmittelbar 
vor  dem  inneren  Kiemenapparat  zu  einer  Seitenbucht  der  Schlundhöhle  sich 
eröffnet  {Taf.  XVII  Fig.  317—319,  Taf.  XXI Fig.  369).  Jene  Scheidewand 
trennt  noch  einige  Zeit  den  ersten  Kiemenbogen  von  der  ihn  nach  aussen  be- 
deckenden Fortsetzung  des  Zungenbenibogens  oder  der  Wurzel  des  Kiemen- 
deckels ;  später  löst  sie  sich  von  dem  medialen  Darmblatte  vollständig  ab  und 


578  IX-  ^er  KoPf- 

ballt  sich  zu  einem  runden  Körperchen  zusammen,  welches  als  Haisdr üse 
durchaus  den  ähnlichen  Rückbildungsprodukten  der  Schlundfalten  bei  höheren 
Wirbelthieren,  den  sogenannten  Nebendrüsen  der  Schilddrüse  entspricht  (vgl. 
Remak  Nr.  40  S.  123)  und  daher  mit  einer  Thymus  nicht  verglichen  werden 
kann,  wie  es  durch  Leydig  geschieht  (Nr.  81  S.  63.  64  Anm.j.  Sie  verschiebt 
sich  alsbald  unter  den  ersten  oberen  Kiemenöffner  {Taf.  X  VIII  Fig.  325,  Taf. 
XIX  Fig.  335).  Die  mediale  Bucht  der  zweiten  Schlundfalte  befindet  sich 
nach  dem  Schwunde  der  sie  ursprünglich  vorn  begrenzenden  Muskeln  des 
Zungenbeinbogens  und  des  hinter  ihr  liegenden  ersten  Kiemenknorpels  zwischen 
dem  Quadratbeinknorpel  und  den  Schlundmuskeln  oder  den  umgewandelten 
Kiemenöffnern  und  unter  dem  Stamme  des  Gesichtsnerven.  Bald  nach  der 
Metamorphose  wird  sie  bei  der  Unke,  einigen  verwandten  Anuren  und  allen 
Urodelen  (vgl.  StanniusNi-.  80 II S.  161)  vollständig  ausgeglichen;  bei  anderen 
Anuren  (Rana,  Bufo  etc.)  bleibt  sie  aber,  wie  ich  es  an  Larven  von  Rana  escu- 
lenta  fand,  als  Anlage  der  Paukenhöhle  und  der  Tuba  Eustachi i 
erhalten. 

Zeigen  uns  nun  die  zwei  ersten  Schlundfalten  der  Batrachierlarven  eine 
theilweise  oder  vollständige  Rückbildung,  so  deutet  die  Entwicklung  der  fol- 
genden Falten  bei  allen  von  mir  untersuchten  Anuren  jedenfalls  ihre  ursprüng- 
lichere Bestimmung  an.  Nachdem  die  Falte  in  ihrem  unteren  Theile  die  Ober- 
haut erreicht  hat,  spaltet  sie  sich  der  Länge  nach,  sodass  jedes  Faltenblatt 
einen  eigenen  lateralen  Saum  erhält  {Taf.  XIV  Fig.  248).  Diese  Säume  diver- 
giren  an  der  entgegenstehenden  Einsenkung  der  Oberhaut  so,  dass  sie  dieselbe 
zwischen  sich  fassen,  und  erst  dann  spaltet  sich  auch  die  Oberhautrinne,  sodass 
jeder  Spaltrand  der  Oberhaut  mit  dem  unter  ihn  geschobenen  Darmblattsaum 
verschmilzt  {Fig.  254,  Taf.  XVII  Fig.  308).  Während  nun  an  den  Aussen- 
flächen  der  Kiemenbögen  die  lateralen  Aussenkiemen  entstehen,  entfernen  sich 
die  beiden  Blätter  der  früheren  Darmblattfalten  von  einander  und  erzeugen  so 
je  einen  anfangs  platten  Raum,  der  aber  durch  beständige  Erweiterung  sich  in 
eine  runde  Höhle  verwandelt  {Fig.  317.  318,  Taf.  XXI  Fig.  370).  Dies  hängt 
natürlich  lediglich  von  der  Formveränderung  der  Kiemenbögen  ab.  Würden 
sie  ihre  früheren  Dimensionen  in  querer  und  sagittaler  Richtung  beibehalten, 
so  könnten  sie  auch  später  nur  cylindrische  Spangen  und  die  ursprünglichen 
Schlundfalten  zwischen  ihnen  bloss  die  Auskleidung  unmittelbarer  Spaltöff- 
nungen der  Schlundhöhle  darstellen.  Indem  sie  aber  frühzeitig  sich  in  querer 
Richtung  ausdehnen  und  dabei  dünner  werden,  verwandeln  sie  sich  in  wirk- 


2.   Der  Hinterkopf.  ß7<j 

liehe  Seheidewände  der  in  der  Bildung  begriffenen  Schlundfaltenräume  oder 
der  inneren  K  i  e  me  n  h  ö  h  len.    Diese  Ausbildung  der  Kiemenbögen  bezieht 
sich  aber  nicht  auf  ihre  Aussenseiten ,  welche  daher  nicht  zu  dünnen  Aussen- 
rändern  der  queren  weit  auseinanderstellenden  Innenwände  werden  und  so  die 
Kiemenspalten  ausserordentlich  erweitern ,  sondern  im  Gegentheil  von  Anfang 
an  in  sagittaler  Richtung,  rechtwinkelig  zu  jenen  Wänden  sich  in  demselben 
Masse   ausdehnen,   als  die  letzteren  sich    von  einander  entfernen   oder   die 
zwischenliegenden  Höhlen  sich  erweitern  5  diese  nach  aussen  und  unten  gewölb- 
ten Aussenwände  schliessen  also  die  inneren  Höhlen  bis  auf  die  ursprünglichen 
Spaltöffnungen  gegen  den  äusseren  Kiemensack  ab  (Taf.  XVIII  Fiy.  330). 
Doch  ist  die  Betheiligung  der  einzelnen  Kiemenbögen  an  der  Herstellung  des 
inneren  Kiemenapparats  eine  ungleiche.  Da  der  erste  Bogen  mit  seiner  vorderen 
Darinblattrläche  theils  die  Paukenhöhlenbucht  begrenzt,  theils  seitlich  mit  der 
Wurzel  des  Kiemendeckels  sich  verbindet ,  so  bildet  er  keine  innere  Kienien- 
scheidewand,  sondern  nur  die  ausgedehnte  Vorderwand  der  ersten  inneren 
Kiemenhöhle.     Im  2.  und  3.  Kiemenbögen  stossen  die  queren  Innenwände  auf 
die  Längsaxe  der  gewölbten  Aussenwände;  sodass  der  horizontale  Durchschnitt 
dieser  Verbindung  T-förmig  wird;  der  2.  umschliesst  die  hintere  Hälfte  der 
ersten  und  die  Vorderhälfte  der  zweiten  Kiemenhöhle,  der  3.  ebenso  die  zweite 
und  dritte  Kiemenhöhle.     Der  4.  und  letzte  Kiemenbögen  endlich  legt  sich  in 
Ermangelung  einer  sechsten  Schlundfalte  rückwärts  und  einwärts  analen  Kehl- 
kopf an,  sodass  seine  freie,  etwas  rückwärts  geneigte  Vorderfläclie  zur  hinteren 
Schlusswand  der  dritten  Kiemenhöhle  wird,  seine  hintere  Hälfte  aber  bereits  in 
die  Zusammensetzung  des  Kehlkopfs  eingeht.    Auf  diese  Weise  nehmen  an  der 
Bildung  des  inneren  Kiemen  apparates  nur  zwei  ganze  Kiemenbögen,  der  2.  und 
3.,  und  zwei  halbe,  der  1.  und  4.,  Theil.     In  die  geschilderte  äussere  Formver- 
änderang  der  Kiemenbögen  werden  aber  nicht  alle  ihre  inneren  Bestandteile 
gleichmässig  hineingezogen ;  indem  sich  ihre  anfangs  cylindrischen  Knorpel  in 
der  Aussenwand  und  mit  ihr  abplatten ,  schliessen  sie  die  inneren  Kiemenhöh- 
len  vollständig  gegen  die  äusseren  Segmente  und  die  Aussenkiemen  ab ;  selbst 
die  Gefässstämme  der  letzteren,  die  Aortenbögen,  bleiben  in  äusseren  Längs- 
rinnen  der  Knorpel  liegen.  Im  ersten  Kiemenbögen  setzt  sich  die  Knorpelplatte 
auf  die  Vorderwand  der  ersten  Kiemenhöhle  fort,  im  letzten  Bogen  ebenso  auf  die 
Hinterwand  der  dritten  Höhle;  wie  weit  dies  in  den  Scheidewänden  des  2.  und 
3.  Bogens  geschieht,  weiss  ich  nicht.     Die  zwei  ersten  Knorpelplatten  artiku- 
liren  am  Zungenbeinkörper ,  die  zwei  folgenden  verschmelzen  alsbald  mit  dem- 


680  IX-  Der  Kopf. 

selben  und  unter  einander  zu  einer  einzigen  von  der  kleinen  dritten  Kiemen- 
spalte durchbrochenen  Platte  (Taf.  XVIII Flg.  332).  Aehnlich  verbinden  sich 
die  oberen  Enden  aller  Knorpel  einer  Seite.  —  Die  inneren  Kiemenhöhlen  wer- 
den aber  nicht  bloss  gegen  einander  und  nach  aussen  in  der  beschriebenen 
Weise  abgeschlossen,  sondern  auch  nach  innen  gegen  die  Mundhöhle.  An  den 
beiderseitigen,  nach  hinten  konvergirenden  Grenzen  des  inneren  Kiemenappa- 
rats und  des  Schlundhöhlenbodens  erhebt  sich  nämlich  sehr  frühe  ein  Wulst, 
welcher  sich  darauf  in  eine  niedrige  aber  breite  Leiste  mit  zwei  scharfen  Rän- 
dern verwandelt,  von  denen  einer  gegen  die  Schlundhöhle,  der  andere  gegen  die 
Kiemenhöhle  vorragt  (Fig.  330.  370).  Vorn  und  auswärts  geht  jene  Leiste  in 
die  Vorderwand  der  ersten  Kiemenhöhle  über;  die  zwei  folgenden  Scheide- 
wände laufen  an  ihr  mit  vorspringenden  Ecken  aus,  wodurch  die  Leiste  feston- 
artig  geschweift  erscheint.  Die  hinteren  Ecken  beider  Leisten  verbinden  sich 
quer  vor  dem  Kehlkopfe,  wobei  sie  eine  ziemlich  weite  Kommunikation  des 
letzten  Kiemenhöhlenpaars  überdachen;  der  Kehlkopf  wird  daher  vorn  und 
seitlich  von  einer  kontinuirlichen  Bucht,  einer  Art  Vorhof,  umgeben.  Jener  un- 
teren Grenzleiste  des  inneren  Kiemenapparats  entgegen  entwickelt  sich  von  der 
Schlundhöhlendecke  ein  länglicher  Wulst,  welcher  vorn  mit  den  Leisten,  aber 
hinten  weder  mit  ihnen  noch  mit  seinem  Gegenstücke  sich  verbindet  (Fig. 
329).  Auch  reichen  die  queren  Scheidewände  nicht  bis  zu  ihm  hinauf,  sodass 
die  drei  Kiemenhöhlen  unvollkommen  geschieden  bleiben.  Immerhin  bilden 
die  beiderlei  Vorsprünge  einen  solchen  Abschluss  der  Kiemenhöhle  gegen  die 
Schlundhöhle ,  dass  nur  eine  spaltförmige  Verbinduug  zwischen  ihnen  übrig 
bleibt.  An  der  Innenfläche  unserer  Kiemenhöhlen,  welche  ausschliesslich  vom 
Darmblatte  gebildet  wird ,  entwickelt  sich  eine  nicht  geringe  Anzahl  gegen  die 
äusseren  Spalten  rechtwinkelig  auslaufender  zarter  Leistchen ;  sie  fehlen  nur 
an  der  glatt  bleibenden  Höhlendecke.  Aus  ihren  Rändern  sprossen  kleine 
kolbige  oder  verzweigte  Blättchen  hervor,  welche  ihnen  ein  zickzackförmiges 
Aussehen  verleihen.  Diese  Leistchen ,  welche  mit  ihren  Auswüchsen  die  Ober- 
fläche der  inneren  Kiemenhöhlen  ansehnlich  vergrössern,  finde  ich  mit  Blut  ge- 
füllt und  kann  sie  daher  nur  für  einen  respiratorischen  Apparat  halten,  woraus 
sich  die  Bedeutung  der  inneren  Kiemenhöhlen  ergibt. 

Während  der  Larvenmetamorphose  gehen  auch  im  Hinterkopfe  Rückbil- 
dung und  Fortentwickelung  neben  einander  her.  Indem  die  lateralen  Muskeln 
des  Zungenbeinbogens  (Mm.  depressor  mandibulae ,  clepressor  et  levator  ossis 
hyoidei)  schwinden,  wird  auch  die  ganze  Hebeleinrichtung  der  grossen  Zungen- 


2.   Der  Hinterkopf.  681 

beinhörner  überflüssig.  Es  schwindet  der  den  Zungenbeinkörper  überragende 
Rand  ihrer  breiten  medialen  Platten  und  macht  einem  Ausschnitte  Platz; 
medianwärts  von  diesem  verschmelzen  sie  mit  dem  Körper  und  beschreiben  von 
diesem  aus  jederseits  einen  nach  vorn  konvexen  Bogen ,  während  ihre  Seiten- 
theile  die  Gelenkverbindung  mit  dem  Quadratbeinknorpel  aufgeben  und  sich 
schlank  ausziehend  zur  Schädelbasis  hinaufwachsen ,  an  der  sie  sich  befestigen 
(Taf.  XVIII  Fig.  332—334).  Der  Zungenbeinkörper  wächst  in  die  Breite  und 
erhält  dadurch  einen  weiten  Ausschnitt  zwischen  den  Ursprüngen  der  grossen 
Hörner;  der  hintere  Seitenrand,  welcher  den  Kiemenknorpeln  zum  Ansätze 
diente,  erscheint  nach  dem  Schwunde  derselben  ebenfalls  tief  ausgeschnitten, 
indem  ein  Ptest  des  ersten  jener  Knorpel  ihn  mit  einer  vorderen ,  das  stärker 
sich  entwickelnde  hintere  Zungenbeinhorn  mit  einer  hinteren  Spitze  versieht. 
In  den  Grund  dieses  Ausschnittes  hat  sich  jederseits  die  Schilddrüse  einge- 
bettet ;  indem  er  sich  aber  rückwärts  zusammenzieht,  richtet  sich  der  ursprüng- 
liche Vorderrand  des  Zungenbeinkörpers  immer  entschiedener  seitwärts  und 
wächst  in  derselben  Richtung  bogenförmig  aus.  Das  ganze  Wachsthum  des 
Zungenbeinapparats  lässt  ihn  aber  trotzdem  im  Verhältniss  zu  den  übrigen 
Kopftheilen  bedeutend  zurücktreten,  sodass  aus  den  breiten  horizontalen 
Knorpelstücken,  welche  den  Boden  der  Mund-  und  Schlundhöhle  in  der  Larven- 
zeit vollständig  einnahmen  und  die  Schaukelbewegung  seiner  Hebung  und 
Senkung  besorgten,  ein  von  der  Schädelbasis  hinabhängendes  schlankes 
Knorpel-  und  Knochengerüst  geworden  ist ,  dessen  ventrales  Schlussstück  nur 
einen  kleinen  Theil  des  Mundhöhlenbodens  einnimmt  und  mit  seinen  Be- 
wegungen unmittelbar  nicht  viel  zu  thun  hat,  Während  es  in  dieser  seiner 
früheren  Funktion  durch  die  zum  Theil  neugebildeten  Mm.  subhyoideus  und 
submaxillaris  ersetzt  wird,  erscheint  es  dagegen  mehr  als  eigentliches  Zungen- 

* 

bein,  d.  h.  als  Träger  der  stärker  anwachsenden  Zunge.  —  Die  am  meisten 
in  die  Augen  fallende  Veränderung  am  Hinterkopfe  ist  der  Schwund  des  Kie- 
menapparats. Zuerst  schrumpfen  und  schwinden  die  Aussenkiemen  mit  den 
sie  stützenden  Knorpeln,  worauf  auch  die  Kiemenspalten  sich  schliessen.  Der 
Kiemendeckel,  welcher  auch  die  Vordergliedmassen  in  den  äusseren  Kiemen- 
sack einschloss ,  wird  zuerst  von  denselben  durchbrochen ,  sodass  sie  wie  aus 
kurzen  Aermeln  hervorragen  {Taf.  XIX  Fig.  335.  336);  dann  verwächst  er 
mit  den  anliegenden  Kiemenbögen  und  geht  auf  diese  Weise  in  die  Haut  der 
Schlundwand  über.  Aehnlich  schwinden  die  Athemröhren  in  der  Bauchhaut, 
Die  inneren  Kiemen  atrophiren  erst  später;   die  verödeten  inneren  Kiemen- 


682  IX.  Der  Kopf. 

höhlen  bestehen  noch  bis  ans  Ende  der  Metamorphose ,  und  es  ist  mir  wenig- 
stens bei  Hyla  wahrscheinlich  geworden,  dass  sie  sich  in  die  dem  Kehlkopfe 
vorn  und  seitlich  angeschlossenen  Kehlsäcke  ausziehen.  Die  auf  einen 
schmalen  Streifen  hinter  und  unter  dem  Gehörorgan  reducirte  Schlundwand 
wird  nur  noch  von  den  Kiemennervenstämmen  (N.  glossopharyngeus,  Rami 
n.  vagi)  und  den  früheren  oberen  Kiemenöffnern  umgürtet,  welche  von  der  ge- 
sammten  Muskulatur  dieser  Gegend  allein  übrig  bleiben  und,  indem  ihre  unteren 
Ansatzenden  bis  zum  Zungenbeinkörper  hinabrücken,  sich  in  die  Konstrik- 
toren  des  Schlundes  verwandeln  (Mm.  petro-hyoidei  Ecker  Nr.  90,  S.  77.  78), 
deren  vorderster  den  Stamm  des  N.  glossopharyngeus  und  wenigstens  noch 
einige  Zeit  nach  der  Metamorphose  die  Halsdrüse  halb  verdeckt  (Taf.  XIX 
Fig.  342.  343).  Die  Bauchseite  des  Schlundes,  also  auch  des  ganzen  Zungen- 
beinkörpers tritt  in  Folge  des  Zurückweichens  des  Perikardialsackes  in  unmittel- 
bare Berührung  mit  den  breiter  gewordenen  ventralen  Längsmuskeln,  den  Mm. 
sterno-und  genio-hyoidei,  welche  wiederum  entsprechend  den  ursprünglichen 
Lagebeziehungen  der  zu  Grunde  liegenden  Seginentschichteu  von  unten  durch 
die  Mm.  subhyoideus  und  submaxillaris  völlig  verdeckt  werden.  Die  Kiemen- 
nervenstämme  behalten  die  Zweige,  mit  welchen  sie  die  erhalten  bleibenden 
Schlundmuskeln  versorgen,  der  N.  glossopharyngeus  zudem  seine  Verbindung 
mit  dem  N.  facialis;  ihre  untern  Fortsetzungen  erhalten  aber  in  Folge  des 
Schwundes  der  unteren  Kiemenmuskeln  eine  andere  Verwendung.  Der  N. 
glossopharyngeus,  dessen  unteres  Ende  schon  anfangs  zwischen  dem  grossen 
Hörne  und  dem  Körper  des  Zungenbeins  lag  (Taf.  XVIII  Fig.  328),  kommt 
mit  dem  N.  hypoglossus,  welcher  den  Mm.  geniohyoidei  folgt,  dadurch,  dass  die 
Zungenbeinmuskulatur  sich  unter  dem  Zungenbein  ausbreitet  (M.  hyoglossus), 
in  die  unmittelbare  Nähe  derselben-,  und  da  die  Zunge  keine  eigenen  Nerven- 
anlagen besitzt,  so  bezieht  sie  die  nöthigen  Nervenzweige  von  jenen  ihr  zu- 
nächst liegenden  Nervenstämmen ,  und  zwar  aus  dem  Bereiche  sowohl  der 
inneren  Segmentschicht  des  Rumpfes  (N.  hypoglossus)  als  der  .äusseren  Kopf- 
segmente (N.  glossopharyngeus)  (Taf.  XX  Fig.  348).  Durch  die  Verschiebung 
des  Unterkiefersuspensoriums  "nach  hinten  werden  beide  Nervenstämme  im 
lateralen  Verlaufe  gleichfalls  zurückgedrängt  und  beschreiben  daher,  bevor  sie 
die  Bauchseite  des  Kopfes  erreichen,  zwei  parallele  nach  hinten  konvexe  Bö- 
gen (Fig.  343).  Zwischen  denselben  liegt  der  Vagusstamm,  dessen  Verzweigung 
eigentlich  nach  allen  Richtungen  ausstrahlt.  Seine  drei  ursprünglichen  Aeste 
bleiben  in  zwei  Schlundnerven  und  dem  vorderen  Kehlkopfnerven  erhalten;  in 


IX.  Der  Kopf.  68? 


0 


welcher  Weise  der  mit  ihm  nachträglich  verbundene  Eingeweideast  später  als 
die  eigentliche  Fortsetzung  des  Stammes  erscheint,  habe  ich  bereits  erörtert. 
Nach  dem  Schwunde  der  Seitennerven  entsendet  der  Vagusstamm,  sei  es  direkt 
oder  aus  den  Wurzeln  jener  Nerven  Zweige  in  die  benachbarten  Hals-  und 
Schultermuskeln. 


Ich  glaube  in  dem  beschreibenden  Theile  die  wesentlichsten  Momente  in 
der  Entwickelungsgeschichte  des  Batrachierkopfes  genügend  hervorgehoben  zu 
haben.  Das  Hirn,  die  Sinnesorgane  und  die  Oberhaut  sind  wegen  ihrer  Grösse, 
scharfen  Sonderung  und  ihrer  oberflächlichen  Lage  zu  jeder  Zeit  leicht  zu  unter- 
scheiden und  einzeln  zu  verfolgen ;  im  übrigen  spielen  sie  mit  Ausnahme  des 
Hirns  in  der  allgemeinen  Architektonik  des  embryonalen  Kopfes  keine  wesent- 
liche Rolle  und  finden  nur  gelegentlich  in  ihren  Lagebeziehungen  zu  den  übrigen 
Theilen  Beachtung.  Am  Hirn  spricht  sich  aber  ein  sehr  bedeutsames  Form- 
verhältniss  des  Kopfes  aus,  nämlich  die  Axenbiegung,  wodurch  Vorder-  und 
Hinterkopf  bleibend  geschieden  und  für  den  ersteren  ganz  besondere  Lagever- 
hältnisse herbeigeführt  werden.  Als  einheitliche  Embryonalanlage  nimmt 
daran  unmittelbaren  Antheil  das  Darmblatt,  was  aber  bisher  nicht  richtig  auf- 
gefasst  wurde.  Am  mittleren  Keimblatte  ist  eine  solche  Biegung  desshalb  nicht 
immer  unmittelbar  nachweisbar ,  weil  es  keine  durch  alle  Kopfregiouen  zusam- 
menhängende Bildung  bleibt.  Dafür  bietet  aber  seine  Sonderung  in  die  ver- 
schiedenen Segmente,  die  daraus  hervorgehende  Gliederung  ihrer  den  verschie- 
densten Organsystemen  angehörigen  Erzeugnisse  und  endlich  die  theilweise 
Uebertragung  dieser  Gliederung  auf  andere  Anlagen  (Schlundbögen)  das  reichste 
Material  für  eine  vergleichend  -  anatomische  Analyse  des  Wirbelthierkopfes. 
Die  Anpassung  dieser  Segmenttheile  an  die  Lageverhältnisse,  welche  durch 
die  Hirnröhre  und  den  Kopfdarm  bereits  vorgezeichnet  waren,  ist  der  Schlüssel 
zum  Verständniss  des  ganzen  Aufbaues  des  Kopfes.  Die  Kenntniss  der  bezüg- 
lichen Thatsachen  kann  nach  meinen  Erfahrungen  zunächst  nur  aus  der  Ent- 
wickelungsgeschichte der  Batrachier  in  ausreichendem  Masse  geschöpft  wer- 
den ;  diese  gewährt  uns  aber  ferner  die  Anhaltspunkte,  um  auch  an  den  übrigen 
Wirbelthieren  den  wesentlich  gleichen  Entwicklungsgang  zu  verfolgen.  Für 
die  Entwickelung  des  Batrachierkopfes  bestehen  aber  noch  immer  die  alten 
Arbeiten  Reichert's  als  die  einzigen  einigermassen  umfassenden.  Ich  habe 
dieselben  schon  einmal  kritisirt  (vgl.  S.  190—193.  234.  235),  jedoch  nur  mit 


684  IX.   Der  Kopf. 

Rücksicht  auf  die  Gliederung  des  mittleren  Keimblattes  überhaupt,  sodass  die 
ganze  Entwiekelung  des  Kopfes  hier  besonders  ausgeführt  werden  muss. 
Reichert  betrachtet  den  Batrachierkopf  als  eine  unmittelbare  Fortsetzung 
des  Rumpfes  mit  den  durch  die  Chorda  getrennten  Röhren  des  Centralnerven- 
und  Darmsystems  und  den  sie  auf-  und  abwärts  umwachsenden  Rücken-  und 
Visceralplatten  (Nr.  20S.2u.  flg.  152  u.  flg.).  Dass  aber  Reichert  den  Kopfdarm 
überhaupt  nicht  näher  untersucht  hat,  geht  sowohl  aus  seinen  bereits  citirten 
Angaben  über  die  Bildung  des  Darmblattes  als  besonders  aus  der  häufig  wieder- 
holten Behauptung  hervor ,  dass  die  Batrachier  ebenso  wie  alle  niederen  Wir- 
belthiere  wegen  der  schwächeren  Entwiekelung  des  Geruchsorgans  (!)  niemals  eine 
Gesichtskopf  beuge  besässen,  sodass  die  genannten  röhrenförmigen  Kopfanlagen 
mit  ihren  Rücken-  und  Visceralplatten  in  unveränderter  Richtung  vom  Rumpfe 
bis  an  das  vordere  Kopfende  verliefen  (Nr.  20  S.  13.  156.  157.  206).  Schon 
daraus  lässt  sieh  entnehmen,  dass  die  senkrechten  queren  Abschnitte,  welche 
Reichert  am  Kopfe  als  Fortsetzung  der  „Wirbelabtheilungen"  des  Rumpfes 
unterscheidet,  unmöglich  mit  den  von  mir  nachgewiesenen  Kopfsegmenten  des 
mittleren  Keimblattes  übereinstimmen  können,  von  denen  das  erste  von  Anfang 
an  eben  in  Folge  der  ursprünglichen  Kopfbeuge  rechtwinkelig  nach  unten  um- 
gelegt ist.  Die  ganz  willkürliehe  Bestimmung  der  REiCHERT'schen  Kopfwirbel 
wird  vollends  evident ,  wenn  man  erfährt ,  dass  sie  im  Rückentheile  zuerst  in 
den  drei  Hirnblasen  sich  ausprägen,  in  den  Rückenplatten  oder  dem  „häutigen 
Schädel"  dagegen  erst  durch  die  Ossifikation  gleichfalls  in  der  Dreizahl  hervor- 
treten (Nr.  20  S.  28.  44.  91.  208.  209).  Denn  jene  Hirntheile  haben  mit  der 
grundlegenden  Segmentirung  des  mittleren  Keimblattes  nichts  zu  thun ,  da  die 
beiden  ersten  Hirnblasen  in  den  Bereich  des  ersten  Segments  fallen ,  während 
auf  die  letzte  drei  von  jenen  Segmenten  kommen-,  und  ferner  ist  diese  Glie- 
derung des  mittleren  Keimblattes  von  Reichert  um  so  gewisser  übersehen  wor- 
den, als  er  die  bezüglichen  „Wirbelabtheilungen"  erst  nach  der  vollständigen 
Umbildung  der  Segmente  erkennt.  Nicht  anders  steht  es  mit  den  Wirbel- 
abtheilungen in  der  Visceralplatte  des  Kopfes ,  den  sogenannten  Visceralfort- 
sätzen  und  -bögen.  Reichert  nimmt  für  die  Batrachier  nur  zwei  solche  Bögen 
an,  welche  durch  die  erste  Visceralspalte  von  einander  getrennt  würden-,  die 
darauf  folgenden  Kiemenbögen  seien  keine  Visceralbögen  und  daher  der  ganze 
Raum  zur  Seite  des  Kieinenapparats  zwischen  dem  zweiten  Visceralbögen 
(Zungenbeinbogen)  und  dem  Rumpfe  als  zweite  Visceralspalte,  als  eine  wirk- 
liche „Oeffnung  in  der  Kopfvisceralröhre"  zu  betrachten  (Nr.  20  S.  55. 56. 155. 207) 


IX.   Der  Kopf.  685 

—  eine  Auffassung,  die  sich  nicht  weiter  kritisiren  lässt.  Auch  die  beiden 
Visceralhögen  Reichert1*  entsprechen  meinem  Unterkiefer-  und  Zungenbein- 
bogen nicht;  denn  der  erste  soll  erst  unter  dem  Auge  und  zwar  mit  breiter,  bis 
zum  Geruchsorgan  reichender  Basis  entspringen  und  senkrecht  hin  unterziehen, 
bezeichnet  also  nur  die  untere  Hälfte  meines  Unterkieferbogens  nebst  dem  late- 
ralen Gesichtsfortsatze,  während  die  dorsale  Hälfte  jenes  Bogens  dem  zweiten 
Visceralhögen  zugerechnet  wird  (Nr.  20  S.  22).  Diese  Verwechselung  wird  aus 
der  Weiteren  gleich  zu  erwähnenden  Darstellung  Reichert's  ganz  evident.  Eine 
Neubildung,  welche  der  Kopf  vor  dem  Rumpfe  voraushaben  soll,  sei  das  Ge- 
sicht; es  entstehe  dadurch,  dass  die  Basis  der  Rückenplatten  oder  die  „Schädel- 
basis" in  der  geraden  Richtung  der  gesammten  Wirbelreihe  über  den  ersten 
Kopfwirbel  hinauswachse  und  sich  ihr  dabei  seitliche  Fortsätze  sowohl  der- 
selben Platten  (Nasen-,  Stirnfortsätze)  als  auch  des  ersten  Visceralfortsatzes 
(Oberkiefer)  anschliessen  (Nr.  20  S.  6.  7.  14.  15.  155.  183).  Aus  der  weiteren 
Angabe,  dass  der  Oberkiefer  die  ganze  Seitenwand  der  Nasenhöhle  bilde,  geht 
aber  hervor,  dass  in  dieser  Anlage  Theile  der  beiderlei  Segmente  und  Gesichts- 
l'ortsätze  unterschiedslos  zusammengeworfen  werden  (vgl.  S.  642.  643). 

Indem  Reichert  auf  diese  Weise  die  ganze  fundamentale  Kopfbildung 
bloss  nach  dem  äusseren  Relief  und  ohne  Rücksicht  auf  die  ursprüngliche  innere 
Zusammensetzung  zu  veranschaulichen  und  zu  erklären  suchte,  musste  ihm  die 
Einsicht  in  den  ursprünglichen  Zusammenhang  zwischen  der  morphologischen 
Entwickelung  und  dem  anatomischen  Verhalten  der  Einzeltheile  entgehen  und 
konnten  sich  selbst  in  die  Darstellung  des  letzteren  mannigfache  Irrthümer 
einschleichen.  Ist  schon  die  Unterscheidung  von  Rücken-  und  Visceralplatten 
selbst  für  die  erste  Entwickelungsperiode  unpassend,  da  sowohl  in  der  dorsalen, 
wie  in  der  ventralen  Kopfhälfte  verschiedene  Theile  des  mittleren  Keimblattes 
nebeneinander  vorkommen,  so  ist  die  Annahme,  dass  die  Rückenplatten,  indem 
sie  das  Hirn  umwüchsen,  einen  „häutigen  Schädel"  darstellten,  geradezu  falsch; 
denn  dieser  angebliche  Schädel  bildet  die  Anlagen  für  die  Muskeln  und  Nerven 
dieses  Kopftheils  (Augen-,  hintere  Stammuskeln,  alle  Segmentnerven)  früher  als 
diejenigen  des  Skelets ;  ausserdem  aber  noch  alle  zu  dem  letzteren  nicht  ge- 
hörenden Bindesubstanzen  (Hirnhäute,  Gefässe  u.  s.  w.),  lauter  Theile,  welche 
über  den  „Schädelwirbeln"  vergessen  wurden,  abgesehen  davon,  dass  die  ver- 
tebralen  Skelettheile  als  sekundär-morphologische  Bildungen  eine  ursprüng- 
liche Anlage  gar  nicht  besitzen.  Hiernach  bedarf  es  keiner  näheren  Erörterung, 
dass  Reichert's  Schädelwirbel  mit  den  von  mir  beschriebenen  vertebralen 


686  IX    Der  Kopf. 

Schädeltheilen  nur  den  Namen  gemein  haben ;  und  daraus  folgt  weiter,  dass  er 
die  Knorpel  der  Stirnfortsätze  als  einfache  Verlängerungen  des  ersten  Wirbel- 
bogenpaars  nicht  zu  erkennen  vermochte.  Von  der  weiteren  Entwicklung  des 
ersten  Visceralfortsatzes  berichtet  uns  Reichest,  dass  in  dessen  oberstem 
Theile,  und  zwar  als  sehr  späte  Bildung,  der  Gaumenflügelbogen,  gerade  dar- 
unter der  Quadratbeinknorpel  entstehe,  welcher  letztere  anfangs  nur  durch 
seinen  Orbitalfortsatz  (Jochfortsatz)  an  der  Wurzel  der  Stirnfortsätze  mit  dem 
Schädel  verbunden  sei ,  und  dem  sich  im  ventralen  Schlüsse  des  ganzen  Bogens 
der  in  Mittel-  und  Seitentheile  gesonderte  Unterkiefer  anschliesse.  Die  breite 
ursprüngliche  Fortsetzung  des  Quadratbeinknorpels  in  den  Schläfenfiügel- 
knorpel,  welche  Reichert  gegen  Duges  ein  „unscheinbares  Knorpelstückchen" 
nennt,  soll  im  oberen  Theile  des  zweiten  Visceral-  oder  des  Zungenbeinbogens 
entstehen  (Nr.  20  S.  30 — 37.  234).  Die  Unhaltbarkeit  auch  dieser  Angaben 
ergibt  sich  ohne  weiteres,  sobald  man  die  betreffenden  Theile  genauer  unter- 
sucht (vgl.  Taf.  XVI).  Wenn  es  ferner  anzuerkennen  ist,  dass  Reichert  zuerst 
die  Bedeutung  der  später  sogenannten  Urwirbel  auf  die  Muskeln  ausdehnte 
(vgl.  S.  234),  so  muss  es  um  so  mehr  auffallen ,  dass  er  es  unterlassen  hat ,  die 
von  ihm  beschriebene  Muskulatur  des  Kiefer-  und  Zungenbeinapparats  (Nr.  20 
S.  38 — 40)  auf  seine  Visceralbögen  als  ventrale  Wirbelabschnitte  zu  vertheilen. 
Sollte  übrigens  die  Eintheilung  jener  Muskeln  in  Beweger  der  Kiefer  und  des 
Zungenbeins  und  Kiemendeckels  ihre  verschiedene  Zugehörigkeit  zu  den  beiden 
Visceralbögen  ausdrücken,  so  wäre  dies  fehlerhaft,  indem  der  M.  depressor 
mandibulae  nicht  aus  dem  Unterkiefer-,  sondern  aus  dem  Zungenbeinbogen  her- 
vorgeht. Von  den  Kiefermuskeln  beschreibt  Reichert  einen  grossen  auf  dem 
Quadratbeinknorpel  liegenden  Kaumuskel,  welcher  durch  seinen  Ansatz  am 
Unterkiefer  denselben  vorziehe  und  durch  ein  abgezweigtes  Bündel  den  knor- 
peligen Zwischenkiefer  (Oberkieferknorpel)  senke.  Diese  ganz  unbegründete 
Vereinigung  der  drei  sehr  deutlich  geschiedenen  Kaumuskeln  —  was  schon  mit 
blossem  Auge  erkannt  werden  kann  und  die  schon  gegen  den  äusseren 
Augenschein  sprechende  Angabe  ihrer  Wirkung  hebe  ich  besonders  hervor, 
weil  Reichert  seiner  Beschreibung  eine  spöttische  Bemängelung  der  durchaus 
zutreffenden  bezüglichen  Darstellung  von  Duges  (Nr.  13  S.  146)  vorausschickt. 
Dagegen  hat  er  die  gleichzeitige  Querstreckung  des  Unterkiefers  und  die  damit 
zusammenhängende  Abplattung  der  Unterlippe  richtig  beobachtet.  Diese 
Wirkung  soll  ein  zweiter  Muskel  unterstützen,  von  dem  es  heisst:  „Er  kommt 
von  dem  mittleren  Tlieil  des  hinteren  Randes  vom  Meekel'schen  Knorpel  und 


IX.   Der  Kopf.  687 

setzt  sich  an  den  äusseren  Rand  des  entsprechenden  unteren  Kieferstücks, 
gleichfalls  ungefähr  in  der  Mitte."  Dieser  von  Reichest  sogar  abgebildete 
Muskel  (Nr.  20  Taf.  I  Fig.  17)  existirt  aber  bei  den  Froschlarven  ebensowenig 
wie  bei  den  Unkenlarven;  und  wenn  er  vorkäme,  so  würde  er,  wie  namentlich 
aus  der  Abbildung  klar  genug  hervorgeht,  die  Biegungen  des  Unterkiefers 
nicht  abschwächen  können,  sondern  sie  gerade  verstärken  müssen.  Die  folgen- 
den Muskeln  sind  von  Reichert  ebenfalls  nicht  benannt  worden ,  aber  aus  der 
Beschreibung  nicht  zu  verkennen.  Die  Mm.  depressor  mandibular  submaxil- 
laris  und  genio-hyoideus  sollen  durch  ihre  vereinigte  Aktion  das  Mittelstück 
des  Unterkiefers  stärker  knicken,  was  ich  für  richtig  halte,  dabei  aber  den  Unter- 
kiefer zurückziehen  und  die  Mundspalte  verengen,  wogegen  Duges  den  ersten 
Muskel  als  Unterkiefersenker*  richtig  bezeichnet  (Nr.  13  S.  147).  Da  nun  mit  Aus- 
nahme der  schwachen  Lippenmuskeln  und  des  M.  subrnentalis**  andere  Kiefer- 
muskeln als  die  von  Reichert  beschriebenen  nicht  existiren,  ***  so  nmss  die  Vor- 
stellung, welche  ersieh  von  der  Kieferbewegung  macht,  namentlich  im  Hinblickeauf 
die  ihm  vorliegende,  im  allgemeinen  richtige  Beschreibung  von  Duges,  eine 
höchst  unvollkommene  genannt  werden.  Wenn  die  eigentlichen  Kaumuskeln 
durch  Vorziehen  und  Strecken  des  Unterkiefers  und  Senken  des  Oberkiefers 
„die  Mundöffnung  zuschliessen,"  die  Antagonisten  jener  Muskeln  oder  die  Zu- 
rückziehet- des  Unterkiefers  „die  Mundspalte  verengen"  sollen ,  so  vermag  ich 
weder  einen  Gegensatz  in  der  Wirkung  beider  Gruppen,  noch  die  eigentlichen 
Oeffner  des  Mundes  zu  entdecken.  Die  zwei  von  Reichert  bezeichneten 
Zungenbeinmuskeln  (M.  depressor  ossis  hyoidei,  M.  subhyoideus)  bewegen  an- 
geblich den  Kiemendeckel;  bei  den  Unkenlarven  sind  aber  während  der  kurzen 


*  Der  Unterkiefer  stellt  für  den  M.  depressor  mandibulae  einen  zweiarmigen  Hebel  vor, 
indem  die  Last,  die  Unterlippe,  medianwärts  vom  Unterstützungspunkte  oder  dem  Gelenke, 
die  Kraft  auf  der  entgegengesetzten  lateralen  Seite  angreift;  die  Richtung  der  Kraft  — 
schräg  auf-  und  rückwärts  —  muss  also  der  Bewegungsrichtung  der  Last  entgegengesetzt 
sein,  folglich  die  Unterlippe  sich  schräg  vor-  und  abwärts  bewegen ,  wobei  die  Mitwirkung 
des  einfach  zurückziehenden  M.  genio-hyoideus  das  Vorziehen  paralysirt.  —  Bei  gleicher 
Beurtheilung  ist  der  Unterkiefer  hinsichtlich  der  Mm.  temporalis  und  pterygoideus  ein 
einarmiger  Hebel,  sodass  diese  dein  M.  depressor  mandibulae  parallel  laufenden  Muskeln 
doch  seine  Antagonisten  werden. 

**  Duges  kennt  die  Lippenmuskeln,  hält  aber  den  M.  subrnentalis,  den  er  an  der  Larve 
vermisst,  irrthümlicherweise  für  den  metamorphosirten  unteren  Lippenmuskel  (Nr.  13 
S.  144.  145). 

***Der  M.lavator  ossis  hyoidei  könnte  unter  Umständen,  bei  einer  Fixirung  des  Zungen- 
beins durch  dessen  Senker,  auch  den  Unterkiefer  bewegen,  nämlich  vorziehen;  jedoch  kommt 
diese  Möglichkeit  liier  gar  nicht  in  Betracht,  da  Reichert  diesen  Muskel  nicht  anführt. 


688  lx-     ßer  Kopf. 

Zeit  seines  fischähnlichen ',  deckelartigen  Zustandes  weder  jene  Muskeln  noch 
das  Zungenbein  bis  zur  Bewegungsfähigkeit  entwickelt  (Taf.  XVII  Fig.  308 
— 311),  dagegen  mögen  solche  Bewegungen  bei  den  Fröschen  stattfinden,  deren 
Kiemendeckel  länger  frei  bleibt  und  überdies  einen  eigenen  Muskel  entwickelt 
(vgl.  Duges  Nr.  13  S.  148). 

Die  übrigen  Kopftheile  (Nerven,  Augen-,  Stamm-,  Kiemenmuskeln  u.  s.  w.) 
hat  Reichert  so  vollständig  ausser  Acht  gelassen,  dass  man  sehr  bald  einsieht, 
dass  er  unter  der  Entwickelungsgeschichte  des  Kopfes  eigentlich  nur  die  Bil- 
dung des  Kopfskelets  verstanden  habe.  Aber  auch  dieses  ist  nur  zum  Theil 
eingehender  untersucht  worden;  vom  Kiemenapparate  erfährt  man  nur,  dass, 
obgleich  die  eigentlichen  Bögen  ausser  allen  Vergleich  mit  den  Visceralbögen 
gestellt  werden,  ihr  ventrales  Verbindungsstück  oder  der  spätere  Zungenbein- 
körper (Kiemenbogenträger)  dennoch  wieder  der  Visceralplatte  angehöre, 
wozu  dann  noch  das  mit  dem  vierten  Kiemenknorpel  verwechselte  hintere 
Zungenbeinhorn  gerechnet  wird  (Nr.  20  S.  56—59).  —  Ueber  die  Verän- 
derungen des  Kopfskelets  in  der  Larvenmetamorphose  ist  Reichert  gleichfalls 
in  mancher  Beziehung  weniger  gut  unterrichtet  als  Duges.  Allerdings  hat  auch 
dieser  Beobachter,  da  er  die  Entwickelung  bis  zur  zweiten  Larvenperiode  so  gut 
wie  gar  nicht  verfolgt  hat,  weder  die  Bedeutung  des  Schläfenflügelknorpels, 
noch  den  Zusammenhang  der  Skelettheile  der  Nasengegend  erkannt.  Aus  Be- 
schreibung und  Abbildungen  erhellt,  dass  sein  Rostrale  superius  zugleich 
meinem  Oberkieferknorpel  und  dem  unteren  Theile  des  Zwischenkieferknorpels, 
das  Adrostrale  der  hinteren  oberen  Spitze  des  ersteren  entspricht  (Nr.  13  S. 
84 — 80,  Fig.  70 — 72).  Die  Kontinuität  dieser  beiden  Knorpelstücke  unter- 
einander und  mit  dem  oberen  Theile  meiner  Zwischenkieferknorpel  (Ethmoi- 
dale  Duges)  ist  aber  Duges  entgangen ,  so  wie  ihr  völliger  Schwund  während 
der  Metamorphose  und  die  vorausgehende  Entwickelung  der  Zwischen-  und 
( )berkieferknochen  als  Deckknochen  auf  denselben  falsch  angegeben  ist  (a.  a. 
( ).  S.  90 — 92).  Der  Oberkieferknorpel  löst  sich  vielmehr  alsdann  erst  vom 
Zwischenkieferknorpel  ab  und  atrophirt  ganz  unabhängig  von  der  Faserknochen- 
anlage des  Maxillare ,  während  der  gesammte  von  der  Stammplatte  abgelöste 
Zwischenkieferknorpel  in  den  aufsteigenden  Ast  des  Intermaxillare  übergeht. 
Die  Ethmoidalia  endlich  scheinen  nicht  nur  den  oberen  Theil  meiner  Zwischen- 
kieferknorpel, sondern  auch  die  Stammplatte  und  einen  Theil  der  Nasenscheide- 
wand und  der  Nasenhöhlendecke  zu  umfassen  (a.  a.  0.  und  Taf.  XVIII);  es  sind 
zwei   nach  einer  sehr  ungenauen  Untersuchung  willkürlich   konstruirte   und 


IX.   Der  Kopf.  689 

daher  ganz  falsch  wiedergegebene  Skelettheile.  Die  Umbildung  des  übrigen 
Kopfskelets  wird  von  Duges  richtig  beschrieben  (a.  a.  0.  S.  88 — 102).  Reichest 
hat  nun  die  oben  bezeichneten  Irrthümer  seines  Vorgängers  nicht  verbessert, 
dagegen  bezüglich  der  Metamorphose  andere  hinzugefügt.  So  sollen  alle  Zu- 
rückzieher  des  Unterkiefers  vollständig  und  die  zwei  erwähnten  Zungenbein- 
muskeln „zum  grössten  Theile"  atrophiren  (Nr.  20  S.  42.  43);  die  Mrn.  sub- 
maxillaris,  genio-  und  subhyoideus  wachsen  aber  gerade  während  der  Metamor- 
phose ansehnlich,  wie  es  schon  Duges  bekannt  war.  Und  da  Reichert  einmal 
den  äusseren  Kiemensack  als  zweite  Visceralspalte  aufgefasst  hatte,  hält  er  es 
konsequenterweise  für  wahrscheinlich,  dass  derselbe  bei  den  mit  einer  Pauken- 
höhle versehenen  Batrachiern  sich  in  die  letztere  verwandele  (a.  a.  0.  S.  74). 
Seit  den  Untersuchungen  Reichert's  sind  manche  Beiträge  zur  Entwicke- 
lungsgeschichte  des  Batrarchierkopfes  geliefert,  dieselbe  aber  nicht  mehr  um- 
fassend, durch  die  Embryonal-  und  beide  Larvenperioden  hindurch,  behandelt 
worden.  Wo  aber  auch  die  Embryonalpeiiode  scheinbar  vollständig  unter- 
sucht wurde,  fehlte  immer  die  Erkenntniss  von  dem  Ineinandergreifen  jener 
beiden  wichtigsten  Formverhältnisse,  der  Kopf  beuge  und  der  Segmentirung 
(vgl.  S.  229 — 239).  Ferner  ist  seit  Reichert's  Arbeiten  auf  die  von  ihm  be- 
haupteten Unterschiede  in  der  Entwicklung  der  Anuren  und  Tritonen  nicht 
mehr  die  Rede  gekommen ,  wahrscheinlich  weil  die  angeblichen  Folgen  jener 
Unterschiede,  namentlich  der  Mangel  eines  Flügelgaumenbogens  bei' den  Tri- 
tonen ,  von  der  vergleichenden  Anatomie  mit  Recht  nicht  anerkannt  wurden. 
Immerhin  verdienen  die  bezüglichen  Bemerkungen  Reichert's  eine  grössere 
Beachtung,  als  ihnen  bisher  geschenkt  wurde,  weil  die  individuelle  Entwicke- 
lung  jener  beiden  Batrachiergruppen,  obgleich  in  den  allgemeinen  Anlagen  über- 
einstimmend, in  der  gegenseitigen  Anpassung  derselben  nur  Unterschiede  offen- 
bart ,  deren  Bedeutung  für  den  Vergleich  mit  der  Bildungsgeschichte  anderer 
Wirbelthiere  Reichert  im  allgemeinen  richtig  herausgefühlt  hat,  obschon  ihm 
das  klare  Verständniss  der  einzelnen  Vorgänge  fehlte.  Um  nur  an  eines  zu  er- 
innern, so  hat  er  die  Beschränkung  der  Larvenmetamorphose  bei  den  Urodelen 
als  Folge  jener  ursprünglichen  Verschiedenheit  ganz  zutreffend  hervorgehoben 
(a.  a.  0.  S.  75.  207),  wobei  freilich  mehr  der  „Endzweck"  als  der  natürliche 
Kausalzusammenhang  zur  Erklärung  dienen  muss.  Doch  kann  ich  hier  auf 
diese  Verhältnisse  nicht  in  ihrer  Allgemeinheit,  sondern  nur  in  der  besonderen 
Beziehung  auf  die  Entwicklungsgeschichte  des  Kopfes  eingehen.  Ich  habe 
dieselbe  bei  den  Tritonen  nicht  fortlaufend  verfolgt,  aber  durch  die  Unter- 

Goette,   Entwickelungsgeschiehte.  44 


690  1X     Der  Kopf. 

suchimg  einzelner  Entwickelungsstufen  aus  der  Embryonal-  wie  aus  den  Lar- 
venperioden  die  Aveseutliclien  Abweichungen  von  der  Bildung  der  Anuren- 
embryonen  und  -larven  wie  ich  glaube  genügend  erkennen  können.  Reichert 
sieht  diese  Abweichungen  namentlich  darin,  dass  der  erste  Visceralfortsatz  bei 
den  Anuren  einen  breiten  Ursprung  an  der  Schädelbasis  bis  vor  das  Auge  be- 
sitze, bei  den  Tritonen  dagegen  hinter  dem  Auge  hervorwachse.  Die  Folge 
davon  sei,  dass  die  Tritonen  mit  jenem  suborbitalen  Theile  des  Visceralfort- 
satzes  auch  seine  Erzeugnisse,  den  Flügelgaumenbogen,  entbehrten,  während 
er  bei  den  Anuren  durch  das  Zurück  weichen  des  Quadratbeinknorpels  während 
der  Metamorphose  vor  demselben  freigelegt,  ebenso  wie  bei  den  Anmioten  jenen 
Skeletbogen  ausbilden  könne  (a.  a.  0.  S.  82 — 102.  123).  Wenn  nun  schon 
der  knorpelige  Flügelgaumenbogen  der  Urodelen  ganz  evident  ist  (vgl.  Ruscoxi 
Nr.  39  S.  69.  73,  Gegenbaur  Nr.  133).  so  sind  auch  die  angeblichen  Ursachen 
seines  Mangels  nur  aus  der  schon  erwähnten  missverständlicheu  Bestimmung 
der  Visceralfortsätze  entnommen.  Allerdings  reicht  der  ursprüngliche  Kiefer- 
theil  der  Urodelen  mit  seiner  ganzen  Masse  nicht  so  weit  unter  das  Auge  wie 
bei  den  Anuren ;  dies  hat  aber  seinen  Grund  nicht  in  einem  anderen  Ursprünge 
desselben,  welcher  bei  allen  von  mir  untersuchten  Wirbelthierembryonen  hinter 
dem  Auge  zu  suchen  ist,  sondern  in  den  besonderen  Formbedingungen,  welche 
sein  Hinabwachsen  und  daher  seine  spätere  Lage  bestimmen.  Wir  sehen  den 
Kopf  der  jüngsten  Anurenembryonen  so  allmählich  aus  der  Form  einer  sphäri- 
schen Scheibe  zu  derjenigen  eines  Cylinders  hervorwachsen ,  dass  der  Yorder- 
kopf  anfangs,  statt  einen  ersten  Cylinderabschnitt  zu  bilden,  eine  quere  und  fast 
senkrechte  Platte  darstellt,  in  deren  oberer  Hälfte  (Hirntheil)  die  künftige 
Decke,  darunter  im  Kiefertheile  die  ungesonderten  Seiten-  und  Bauchtheile 
des  noch  gar  nicht  existirenden  vordersten  Kopfdarmabschnittes  oder  der  inne- 
ren Mundhöhle  enthalten  sind.  Die  neben  und  hinter  dem  platten  Yorder- 
hirne  und  seiner  Augenanlage  hervorkommenden  Aussensegmente  werden  da- 
her nicht  gerade  abwärts,  sondern  etwas  schräg  vorwärts  unter  jene  Theile  ge- 
leitet, sodass  der  dadurch  gebildete  quere  und  breite  Kieferwulst  eigentlich 
ganz  vor  dem  Kopfdarme  und  unter  dem  Hirne  liegt  und  durch  seine  mediane 
Scheidewand  einen  ebensolchen  Durchbruch  des  Kopfdarms  nach  aussen,  d.  h. 
eine  senkrechte  Mundspalte  vorzubereiten  scheint.  Dieses  Lageverhältniss 
wird  durch  die  folgende  seitliche  Abplattung  der  Anurenembryonen  noch  star- 
ker hervorgehoben,  indem  die  beiden  Hälften  des  Kieferwulstes  sich  in  zwei 
absteigende  Kieferschenkel   verwandeln,   denen   sich  vorn  und  oben  von   der 


X 


IX.   Der  Kopf.  691 


Hirnbasis  her  die  medialen  Gesichtsfortsätze  auflagern  (Oberkieferwulst),  so- 
dass zwischen  den  beiderseitigen  Kieferbildungen  auch  thatsächlich  eine  äussere 
Mundbucht  von  der  Form  einer  medianen  Furche  entsteht,  welche  an  das  ge- 
schlossene Cyklostomenmaul  erinnert.  Durch  die  früher  erörterte  Drehung 
beider  Kieferschenkel  und  die  damit  verbundene  dachförmige  Ausbreitung  der 
medialen  Gesichtsfortsätze,  was  natürlich  mit  dem  Auswachsen  des  Hirntheils 
zusammenhängt,  werden  allerdings  die  Mundbucht  wie  die  durch  die  quer- 
gezogene Scheidewand  noch  abgeschlossene  innere  Mundhöhle  verbreitert-,  da 
aber  der  Kiefertheil  von  Anfang  an  soweit  vorgeschoben  war,  dass  sein  ven- 
trales Schlussstück  auch  beim  Hervorwachsen  der  medialen  Gesichtsfortsätze 
sich  unmittelbar  unter  denselben  befindet  und  mit  ihnen  in  Verbindung  bleibt, 
so  wird  dadurch  einmal  die  seitliche  Beschränkung  der  Mundbucht  und  später 
der  Mundöfinung  durch  die  ineinander  übergehenden  Lippen  und  ferner  die 
Anpassung  der  Skelettheile  des  Ober-  und  Unterkiefers  zu  queren ,  annähernd 
ringförmig  zusammengefügten  Trägern  bloss  jener  Lippen  erzielt.  In  Folge 
dessen  wird  der  grössere  Theil  der  Masse  des  Kiefertheils  zum  schräg  vorge- 
schobenen Suspensorium  des  schwach  entwickelten  Unterkiefers  verbraucht, 
der  laterale  Gesichtsfortsatz  zunächst  nach  aussen  und  hinten  verdrängt  und 
von  der  Begrenzung  der  Mundöfinung  ausgeschlossen.  Auf  diese  Weise  wird  also 
der  für  die  unmittelbare  Nahrungsaufnahme  bestimmte  Abschnitt  des  Kiefer- 
apparats auf  das  von  den  Lippen  gebildete  weit  vorgeschobene  Rundmaul  be- 
schränkt, weh  lies  sich  vom  Cyklostoineumaul  im  allgemeinen  nur  dadurch  un- 
terscheidet, dass  es  sich  von  der  ersten,  zur  aufrechten  Mundöffnung  neigenden 
Anlage,  welche  bei  den  Cyklostomen  noch  im  geschlossenen  Maule  zum  Aus- 
drucke kommt,  weiter  entfernt  hat,  indem  seine  Schliessung  in  einer  queren 
Spalte  erfolgt.  Dieses  Verhalten  bahnt  aber  auch  schon  die  Metamorphose 
des  Kieferapparats  der  Anuren  an ,  deren  allgemeine  Bedeutung  darin  beruht, 
dass  das  vorgeschobene  runde  Saugmaul  in  ein  weit  zurückweichendes,  breit- 
gespaltenes Greifmaul  umgebildet  wird.  Mit-  den  ineinander  übergehenden 
Lippen  schwindet  auch  das  dadurch  bedingte  ringförmige  Gefüge  ihrer  Skelet- 
theile; das  Unterkiefersuspensorium  zieht  sich  aus  der  schrägen  Lage  in  eine 
immer  steilere  zurück,  wobei  der  Unterkiefer  zum  horizontalen  Bogen  aus- 
wächst und  die  Mundöffnung  immer  weiter  rückwärts  sich  ausdehnt;  der  late- 
rale Gesichtsfortsatz  (Oberkieferfortsatz)  endlich  tritt  an  die  Stelle  der  ver- 
kümmernden Seitentheile  des  Oberkiefers  der  Larve  und  damit  in  die  unmittel- 
bare obere  Begrenzungder  Mundöffnung.  —  Aus  diesem  Bildungsgange  des  Kiefer- 

44* 


692  IX.  Der  Kopf. 

apparats  der  Amiren  lässt  sich  entnehmen,  dass  das  langsame  Hervorwachsen  des 
embryonalen  Vorderkopfes  die  Ursache  der  vorgeschobenen  Lage  des  Kiefertheils 
und  folglich  der  Ausbildung  des  Rundmauls  ist,  und  dass  die  entgegengesetzt  wir- 
kende, durch  die  Hirnentwickelung  bedingte  Verbreiterimg  der  Mundhöhle  und 
Mundöffnung  zu  spät  eintritt,  um  die  zeitweilige  Larvenbildung  zu  verhindern. 
Die  Urodelen  zeigen  dagegen  von  Anfang  an  günstigere  Bedingungen  für  die 
Herstellung  des  definitiven  Kieferapparats.  Die  Abschnürung  des  Vorder- 
kopfes erfolgt  sehr  bald,  indem  der  Hirntheil  sich  frühzeitig  vorwölbt,  und  der 
ihn  umkreisende  Keimtheil  sich  rückwärts  umlegend  zum  Boden  des  breiten 
und  flachen  vorderen  Kopfdarmabschnittes  wird.  Begreiflicherweise  wächst 
dann  das  äussere  Segmentpaar  in  diesen  hinter  dem  Vorderhirne  den  Kopf- 
darm umschliessenden  Kieferbogen  ziemlich  steil  hinab  und  füllt  dessen  flach- 
gebogenen ventralen  Abschnitt  oder  den  Unterkiefer  gleich  mit  grösserer 
Masse  aus.  Und  da  der  vordere  Faltenrand  des  platten  Darmblattsackes  der 
Mundhöhle  zwischen  dem  vorgewölbten  Hirntheile  und  dem  noch  zurücktreten- 
den Unterkieferbogen  mit  der  Oberhaut  verwächst,  so  stellt  sich  die  Mund- 
bucht umgekehrt  wie  bei  den  Anurenlarven  als  eine  quere,  übrigens  wenig  ver- 
tiefte Furche  dar,  welche  den  lateralen  Gesichtsfortsatz  (Oberkiefer  Reichert) 
gleich  bei  seiner  Entstehung  vom  zurückgedrängten  Unterkieferbogen  trennt. 
Diese  Mundbucht  öffnet  sich  alsdann  nach  innen  ganz  nach  dem  Vorbilde  der 
Kiemenspalten,  sodass  der  Mundraum  der  jungen  Urodelenlarven  nicht  aus 
zwei  durch  eine  Scheidewand  getrennten  Höhlen  besteht,  sondern  einem  voll- 
ständigen Munde  bei  geschlossenen  Kiefern  und  Lippen  gleicht  (vgl.  meinen 
Aufsatz  Nr.  64  Fig.  29).  —  Also  nur  eine  wesentlich  durch  die  Hirnentwicke- 
lung herbeigeführte  Verschiedenheit  in  den  Formbedingungen  der  topographi- 
schen Anordnung  dergleichen  Kopfanlagen  ruft  jenen  Unterschieden  der  Entwicke- 
lung  der  Anuren  und  Urodelen  hervor,  wodurch  die  ersteren  während  ihrer  Lar- 
venzeit sich  hinsichtlich  des  Kieferapparats  den  niedersten  Wirbelthieren  nähern, 
die  Urodelen  ähnlich  den  Teleostiern  und  Amnioten  sich  von  Anfang  an  dem  blei- 
benden Zustande  anpassen.  Leider  lässt  sich  aber  die  Entwickelungsgeschichte 
des  Oyklostomenkopfes  auch  aus  den  Untersuchungen  M.  Schultze's  nicht  ein- 
mal annähernd  erkennen;  denn  die  äussere  Erscheinung,  namentlich  die  Ab- 
schnürung des  Kopfendes  (vgl.  Nr.  92  Taf.  III.  IV),  erinnert  weit  mehr  an  die 
Embryonen  der  Urodelen,  während  der  vollendete  Zustand  des  Kopfes  wenig- 
stens der  Neunaugen  ganz  entschieden  auf  die  Anurenlarven  hinweist.  Doch 
habe  ich  schon  häufig  auf  die  Unsicherheit  der  Schlüsse  aus  der  äusseren 


IX.   Der  Kopf.  693 

Erscheinung  aufmerksam  gemacht,  und  es  bietet  sich,  indem  wir  auf  die 
Knochenfische  übergehen,  hier  gleich  die  Gelegenheit,  jene  Erfahrung  von  neuem 
zu  bestätigen. 

Ueber  die  Entwickelung  des  Teleostierkopfes,  soweit  sie  sich  auf  die 
Theile  des  mittleren  Keimblattes  und  des  Darmblattes  bezieht,  liegen  bisher  nur 
die  spärlichen  Beobachtungen  Oellacher's  vor.  Er  erwähnt  eine  mediane  Lücke 
des  mittleren  Keimblattes  in  der  Kopfregion,  welche  die  Hirnanlage  mit  dem 
Darmblatte  in  der  ganzen  Kiemengegend  oder  dem  Hinterkopfe  bis  vor  die 
Augenanlagen  in  Berührung  bringe  (Nr.  107  S.  44.  45.  56.  57);  die  Wirbelsaite 
schiebe  sich  erst  nachträglich  in  den  Hinterkopf  vor.  Bei  dieser  irrigen  Dar- 
stellung ist  aber  eine  Vergleichung  jener  Lücke  des  mittleren  Keimblattes  mit 
derjenigen  der  Batrachier  nicht  möglich ;  vielmehr  besteht  die  Chordaanlage 
der  Forellenembryonen  gleich  ursprünglich  bis  gegen  die  Mitte  zwischen  Augen- 
uncl  Ohranlage ,  und  jene  Lücke  entsteht  ebenso  wie  bei  den  Batrachiern  vor 
der  Chordaspitze ,  um  den  vordersten  Theil  des  mittleren  Keimblattes  durch- 
weg in  zwei  Seitenhälften  zu  theilen,  in  welchen  die  Seitenplatten  gleichfalls 
zur  Herstellung  der  Segmentplatten  (1.  Segmentpaar)  aufgebraucht  werden. 
Im  übrigen  Kopfe  unterscheidet  Oellacheb,  nur  die  das  Hirn  umfassenden 
Kopfplatten  und  die  lateralwärts  gelegenen  Perikardialplatten,  welche  beiderlei 
Gebilde  jederseits  durch  einen  soliden,  bis  zu  den  Augenanlagen  reichenden 
seitlichen  Auswuchs  des  Darmblattes  geschieden  würden ;  dieser  Wulst  sei  die 
Anlage  der  Kiemenhöhle ,  welche  erst  hohl  werde ,  nachdem  sich  an  den  Ver- 
bindungsstellen mit  der  Oberhaut  die  Kiemenspalten  gebildet  und  Fortsetzungen 
der  Kopfplatten  zwischen  jene  Kiemenhöhlenanlage  und  die  Perikardialplatten 
die  Kiemenbögen  angelegt  hätten  (a.  a.  0.  S.  70.  73.  74.  78 — 82).  Auch  diese 
durchaus  irrigen  Angaben  erklären  sich  theils  aus  einer  mangelhaften  Unter- 
suchung der  Querdurchschnitte,  theils  daraus,  dass  die  letzteren  allein  über  die 
Form-  und  Lagebeziehungen  des  Kopfes  nur  sehr  ungenügend  orientiren  kön- 
nen. Eine  gleichzeitige  Prüfung  von  Frontal-  und  Sagittaldurchschnitten  hat 
mich  belehrt ,  dass  die  Knochenfische  auch  hinsichtlich  der  Kopfentwickelung 
im  wesentlichen  den  Batrachiern,  insbesondere  den  Urodelen  sich  anschliessen. 
Schon  von  Anfang  an  gehen  die  zweischichtigen  Seitenplatten  ganz  unmerklich 
in  die  Segmentplatten  über;  darauf  schlägt  das  Darmblatt,  während  der  ganze 
Kopftheil  sich  höher  hebt,  eine  nach  aussen  und  oben  gerichtete  Falte,  und 
indem  der  untere  Faltenumschlag  nach  innen  vorrückt  und  sich  mit  dem  ander- 
seitigen  vereinigt,  wird  der  breite  aber  spaltförmig  enge  und  vom  Hirn  konkav 


694  IX.    Der  Kopf. 

eingedrückte  Kopfdarm    gebildet,   welchen  Oellachee  für  eine  solide   Ver- 
dickung des  Darmblattes  und  die  Anlage  der  Kiemenhöhle  erklärt  (vgl.  S.  263). 
An  dieser  Herstellung  des  Kopfdarmes  durch  das  Darmblatt  nimmt  auch  das 
mittlere  Keimblatt  Theil,  indem  die  Seitenplatten  sich  unter  die  Darmblatt- 
falte einschlagen;  doch  erscheint  der  ihr  unmittelbar  anliegende  und  rückwärts 
den  Segmentplatten  angeschlossene  Theil  ungespalten  und  geht  erst  im  Grunde 
der  Tasche  in  den  gespaltenen  Theil ,  Oellacher's  Perikardialplatten ,  über. 
Wir  haben  daher  in  jenem  ersteren  Theile  die  rückgebildete  Seitenplatte  der 
Schlundwand  der  Batrachier  vor  uns,  nicht  nachträgliche  Auswüchse  der  oberen 
Segmentplatten.     Da  nun,  wie  erwähnt,  im  Vorderkopfe  die  gesammte  Seiten- 
platte in  die  Segmentplatte  aufgeht,  kann  der  Faltenrand  des  abgeplatteten 
Kopfdarms  unter  der  letzteren  im  ganzen  vorderen  und  seitlichen  Umfange  des 
Vorderkopfes  mit  der  Oberhaut  verwachsen  und  dadurch  eine  ausgedehnte  aber 
noch  geschlossene  horizontale  Mundspalte  anlegen.     Eine  Strecke  weit  hinter 
dem  Mundwinkel  erreicht  jener  Falteiirand  mit  einer  nach  hinten  stark  geneig- 
ten und  zu  einer  gewissen  Höhe  auswachsenden  Fortsetzung  die  Oberhaut  aber- 
mals, um  die  erste  Schlundfalte  zu  bilden;  die  zweite  entsteht  unter  dem  Ohr- 
bläschen,  dahinter  noch  vier  weitere.  Bei  ihrer  schrägen  Stellung  kann  man  ihre 
Grenzen,  Zwischenwände  u.  s.  w.  an  Querdurchschnitten  natürlich  nicht  erken- 
nen, welche  vielmehr  eine  fortschreitende  Annäherung  des  ganzen  Seitenrandes 
vom  Kopfdarme  an  die  Oberhaut  vortäuschen.     Was  endlich  die  Kopfsegmente 
des  Forellenembryo  betrifft,  so  sind  sie  allerdings  nicht  so  klar  zur  Anschauung 
zu  bringen  wie  bei  den  Batrachiern.  Immerhin  habe  ich  an  einigen  glücklichen 
Frontaldurchschnitten  zwei  sehr  grosse  zwischen  Ohr  und  Auge  gelegene  und 
zwei  kleinere  hinter  dem  Ohr  nachweisen  können ;  die  ersteren  werden  abwärts 
durch  die  erste  und  zweite  Schlundfalte  begrenzt,  sodass  ihre  ventralen  Fort- 
setzungen gleichfalls  schräg  nach  vorn  und  unten  auswachsen.    Das  erste  late- 
rale Kopfsegment  wird  dabei  durch  den  Mundwinkel  gleichsam  gespalten,  so- 
dass der  obere  Schenkel  oder  der  laterale  Gesichtsfortsatz  und  der  Unterkiefer- 
bogen in  einer  weiten  Strecke  von  einander  geschieden  werden,  wodurch  die 
Uebereinstimmung   mit   der    embryonalen   Anlage   des   Kieferapparates   der 
Urodelen  deutlich  hervortritt.     Aeusserlich  gibt  sich  dies  alles  nicht  zu  erken- 
nen, weil  die  Oberhaut  an  der  beschriebenen  Abschnürung  des  Kopfes  zunächst 
gar  keinen  Antheil  nimmt,  vielmehr  von  der  Unterlippe  und  den  oberen  Theil en 
aller  seiner  Bögen  sich  unmittelbar  auf  den  Dottersack  umschlägt,  unter  dessen 
Oberfläche  daher  der  Kopfdarm  mit  den  längeren  ventralen  Abschnitten  jener 


IX.   Der  Kopf.  695 

Bögen  verborgen  bleibt.  Erst  um  die  Zeit  des  Ausschlüpfens  der  jungen  Fisch- 
ehen beginnt  die  Oberhaut  von  den  eben  bezeichneten  Grenzen  an  sich  um  die 
fertige  Bauchwand  des  Kopfdarms  und  des  Perikardialsackes  zusammen- 
zuziehen und  sie  vom  Dottersacke  vollends  abzuschnüren.  —  Von  weiteren  Ein- 
zelheiten der  Kopfbildung  sei  hier  noch  hervorgehoben ,  dass  die  segmentalen 
Nervenanlagen  sich  gerade  so  verhalten  wie  bei  den  Batrachiern,  dass  folglich 
die  Nervengruppe  des  Vorderkopfes  auf  zwei  Hauptanlagen  zu  vertheilen  ist 
und  der  N.  vagns  mit  Ausnahme  des  R.  lateralis  und  R.  intestinalis  einheitlich 
entsteht.  —  Von  der  morphologischen  Entwickelung  des  Teleostierkopfes  wäre 
also  besonders  hervorzuheben,  dass  er  durch  die  frühzeitige  Abschnürung  eines 
flachen  Kopfdarms  und  die  Anlage  einer  ausgedehnten  queren  Mundspalte  sich 
nicht  weniger  als  bei  den  Urodelen  von  einer  Neigung  zur  Bildung  eines  runden 
Saugmauls  entfernt,  obgleich  äusserlich  weder  von  jener  Abschnürung  noch  von 
der  bereits  angelegten  queren  Mundspalte  etwas  zu  erkennen  ist.  Und  ebenso 
wie  die  gemeinsamen  Bildungsursachen  bei  der  Entwickelung  des  Centralner- 
vensystems  der  Teleostier  und  der  übrigen  Wirbelthiere  auch  bei  der  inneren 
Untersuchung  nicht  sofort  in  der  äusseren  Erscheinung  sich  offenbaren,  ergeben 
sie  sich  hinsichtlich  der  allgemeinen  Kopfbildung  ebenfalls  nicht  ohne. weiteres 
aus  den  uns  vorliegenden  Bildern.  Bei  den  Urodelen  und,  wie  ich  weiter  unten 
zeigen  werde,  auch  bei  den  Amnioten  erscheint  die  Vorlagerung  des  Vorder- 
hirns vor  den  Kopfdarm  als  das  wesentlichste  ursächliche  Moment  für  die  Zu- 
rückdrängung des  Kiefertheils;  und  dieses  fehlt  den  Teleostiern  anfangs  voll- 
ständig. Aber  sowie  es  in  Verbindung  mit  der  Kopfbeuge  auch  den  rund- 
mäuligen  Amirenlarven  nicht  völlig  mangelt,  spricht  sich  darin  der  Einfluss  des 
Hirns  auf  die  übrige  Kopfbildung  nur  ganz  einseitig  aus-,  von  nicht  geringerer 
Bedeutung  ist  die  Verbreiterung  und  Abplattung  des  vordersten  Kopfdarmab- 
schnittes mit  der  daraus  folgenden  Anlage  einer  queren  Mundspalte,  welche  den 
Unterkieferbogen  von  dem  vorderen  Hirntheile  trennt  und  dadurch  die  Bildung 
des  vorgeschobenen  Rundmauls  hindert.  Und  dieser  Umstand  ist  gerade  bei 
den  Teleostiern  entscheidend,  und  muss  trotz  der  späten  Abbiegung  und  Vor- 
lagerung des  Vorderhirns  dennoch  auf  eine  Wirkung  der  tief  eingesenkten  und 
anfangs  so  massigen  Hirnanlage  zurückgeführt  werden.  Also  nicht  ein  be- 
stimmtes Formverhältniss  des  Hirns,  sondern  seine  stärkere  oder  schwächere 
anfängliche  Entwickelung  nach  der  einen  oder  andern  Seite  bleibt  überall  das 
Hauptmoment  in  der  typischen  Kopfbildung. 

Ueber  die  embryonale  Kopfbildung  bei  den  Vögeln  und  Säugethieren 


696  IX.    Der  Kopf. 

hat  Duesy  die  letzten  umfassenden  Untersuchungen  veröffentlicht,  Er  unter- 
scheidet in  seiner  Beschreibung  einen  dorsalen  Kopftheil  von  einem  ventralen. 
Jener  bestehe  aus  der  Hirnröhre  und  der  sie  allseitig  umschliessenden  Schädel- 
röhre,  welche  beide  sich  gleichzeitig  durch  die  seitliche  Auf  krümmung  des  Keimes 
(Medullarwülste)  von  einer  ebenen  Grundfläche  aus  bilden  und  daher  bis  zum 
ursprünglichen  Vorderende  des  Kopfes  oder  dem  Chordaknopfe  (Hypophysis- 
gegend)  ganz  gerade  ohne  jede  Biegung  verlaufen  (Nr.  136  S.  45  —  48.  53). 
Die  Schädelröhre  bestehe  aus  den  Wirbelplatten,  welche  sich  nicht  in  Urwirbel 
gliedern,  aber  bis  zu  seinem  Vorderende  von  den  Seitenplatten  gesondert 
blieben-,  an  der  Vorderseite  der  geraden  Hirnröhre  fliessen  sie  im  Schlussbogen 
oder  der  primitiven  Stirnwand  zusammen,  welche  abwärts  mit  dem  Chorda- 
knopfe oder  dem  Ende  der  primitiven  Schädelbasis  (Spheno  Occipitaltheil)  zu- 
sammenhänge (a.  a.  0.  S.  8.  9).  Um  eine  dieses  Ende  durchsetzende  quere 
Axe  drehe  sich  darauf  das  Vorderende  des  dorsalen  Kopftheils  nach  vorn  und 
unten ,  sodass  die  primitive  Stirnwand  vom  Chordaknopfe  nicht  mehr  steil  auf- 
sondern absteige  und  dadurch  zu  einer  stark  umgebogenen  Fortsetzung  der 
ursprünglichen  Schädelbasis,  d.  h.  zum  Spheno  -  Ethmoidaltheile  derselben 
werde  (a.  a.  0.  S.  54).  Diese  ganze  Darstellung  soll  sich  auf  alle  Wirbelthier- 
embryonen  gleicherweise  beziehen  (S.  57.  59).  Der  ventrale  Kopftheil  oder  der 
Kopfdarm  bilde  sich  durch  Umschlag  und  Abschnürung  der  Keimhaut  vom 
Chordaknopfe  aus  nach  unten  und  rückwärts,  sodass  das  spitze  Ende  der  Kopf- 
darmhöhle im  Grunde  der  Kopf  beuge  eingeklemmt  zur  RATHKE'schen  Tasche 
oder  der  Anlage  des  Hirnanhangs  werde  (S.  90' — 93).  Nach  den  beigefügten 
schematischen  Zeichnungen  berührt  aber  die  vordere  Schlussseite  des  Kopf- 
darms oder  die  quere,  angeblich  aus  allen  drei  Keimblättern  bestehende  Scheide- 
wand der  Mundhöhle  den  vor  ihr  liegenden  umgebogenen  Hirn-Schädeltheil 
nicht,  sondern  ist  von  dessen  Basalfiäche  durch  eine  enge  Bucht  getrennt.  Seit- 
lich umwüchsen  den  Kopfdarm  dieSchlundbögen,  die  unteren  durch  die  Schlund- 
spalten geschiedenen  Fortsetzungen  der  Bauchplatte,  von  denen  der  erste  Unter- 
kiefer und  Zungenbein  gemeinsam  erzeuge ,  der  zweite  den  Kiemendeckel  her- 
vortreibe, welcher  alle  folgenden  Spalten  verdecke  und  mit  den  Bögen  ver- 
wachse (a.  a.  0.  S.  112.  113.  115).  Während  die  vordere  Schädelbasis  in  ihrer 
ganzen  Breite  zwischen  den  beiden  Nasengruben  als  deren  Scheidewand  hervor- 
wächst, schliessen  sich  ihr  zur  Bildung  des  Gesichts  die  seitlichen  Stirn-  und  die 
Oberkieferfortsätze  an ,  welche  aus  dem  ursprünglichen  Kopfende  der  Bauch- 
platte entspringen  sollen  (a.  a.  0.  S.  92.  107.  143.  145).     Der  Oberkieferfort- 


IX.  Der  Kopf.  697 

satz  soll  hinter  dem  Auge  mit  der  Schädelbasis  verbunden  sein,  und  unter  dem- 
selben hervorkommend  von  dem  seitlichen  Stirnfortsatze  oder  der  seitlichen 
Nasenhöhlenwand  durch  eine  Spalte  vollkommen  getrennt  bleiben ;  hinter  dem 
Auge  umkreist  er  es  mit  einer  Fortsetzung,  welche  die  Grundlage  für  das  Joch- 
bein und  die  Weichtheile  der  Schläfengrube  enthalte,  abwärts  bilde  eine  zum 
Unterkiefer  hinüberziehende  Falte  die  Backe  (a.  a,  0.  S.  131.  162 — 165).  Der 
Gaumen  endlich  entstehe  aus  einem  medialen  Längswulste  des  Oberkieferfort- 
satzes (S.  171).  Nach  ihrer  Entwickelung  hätten  die  seitlichen  Stirn-  und  die 
Oberkieferfortsätze  die  Bedeutung  von  Visceral-  oder  Schlundbögen,  welche  nur 
nicht  zur  medianen  Vereinigung  gelangen,  und  die  sie  trennende  Spalte  sei  da- 
her einer  Visceralspalte  homolog  (S.  3.  164.  165). 

Auch  wenn  es  Duesy  nicht  selbst  im  Vorworte  ausspräche,  so  müsste  man 
es  bei  der  Durchsicht  seiner  Arbeit  erkennen ,  dass  gewisse  Einzelheiten  der 
späteren  Kopfbildung  (Entwickelung  des  Gaumens,  der  Nasenhöhlen  u.  s.  w.) 
das  eigentliche  Thema  seiner  Untersuchung  bildeten,  dass  hingegen  erst  nach- 
träglich versucht  wurde,  jene  einzelnen  Vorgänge  auf  frühere  Entwicklungs- 
stufen des  ganzen  Kopfes  zurückzuführen,  welche  theils  nur  nach  dem  äusseren 
Relief  beurtheilt,  theils  nur  schematisch  konstruirt  wurden.  Je  schwieriger 
aber  die  Aufgabe  ist,  eine  den  gegenwärtigen  Anforderungen  entsprechende 
Entwickelungsgeschichte  des  Kopfes  gerade  der  Amnioten  zu  liefern,  desto 
weniger  konnte  die  angedeutete  Untersuchungsmethode  Dursy1  s  zum  Ziele  füh- 
ren. Gleich  der  wichtigste  morphologische  Bildungsvorgang  des  Kopfes ,  die 
embryonale  Kopf  beuge,  ist  durchaus  falsch  und  zwar  so  dargestellt,  dass  man 
leicht  erkennt,  wie  der  Verfasser  sich  denselben  lediglich  auf  Grund  der  späteren 
Zustände  zurechtlegte.  Der  vordere  Hirntheil  des  Kopfes  mag  später  aller- 
dings unabhängig  vom  Kopfdarm  und  bei  der  Ansicht  ganzer  Hühnerkeime, 
welche  Dursy  allein  zu  Rathe  zog ,  wohl  auch  erst  nach  der  Schliessung  der 
Hirnröhre  abwärts  umgebogen  zu  sein  scheinen.-  Thatsächlich  verhält  es  sich 
aber  ganz  anders.  Mediane  Durchschnitte  solcher  Keime,  an  denen  der  Um- 
schlag am  Kopfende  beginnt,  lehren,  dass  dort  das  mittlere  Keimblatt  allen- 
falls noch  in  geringen  Spuren  (vgl.  Nr.  121  Fig.  8),  meist  aber  gar  nicht  mehr 
vorhanden  ist,  sodass  das  obere  Keimblatt  und  das  Darmblatt  im  Bereiche  der 
ganzen  S-förmigen  Biegung  sich  unmittelbar  und  zwar  in  fester  Verbindung 
berühren.  Ob  diese  Verbindung  bei  der  Betrachtung  des  ganzen  Keims  von 
oben  und  im  durchfallenden  Lichte  den  rundlichen  Flecken  verursacht,  welchen 
Dursy  auf  einen  Chordaknopf  bezieht  (vgl.  Nr.  13G  Taf.  II  Fig.  10),  weiss  ich 


(398  IX    Der  KoPf- 

nicht;  jedenfalls  existirt  in  jener  Zeit  an  der  Unibiegungsstelle  des  Keims  weder 
ein  Chordaknopf  noch  überhaupt  ein  mittleres  Keimblatt,  welches  aus  dem 
ganzen  vorderen  Theile  des  Keims  sich  zurückzieht  und  somit  die  Erscheinung 
wiederholt,  welche  ich  bei  Batrachiern  und  Knochenfischen  als  Lücke  des  mitt- 
leren Keimblattes  im  Kopfe  beschrieb.  Jene  erste  Faltung  des  noch  wenig 
veränderten  Keims  betrifft  an  den  Seiten  des  Kopftheils  allerdings  nur  die  Bil- 
dung des  Kopfdarms,  indem  die  Axenplatte  in  denUmschlagnicht  hineingezogen 
wird,  sondern  zwischen  den  beiden  seitlichen  Umsehlagsrändern  noch  flach 
ausgebreitet  zurückbleibt.  Es  entbehrt  auch  der  epitheliale  Kopfdarmsack 
ebenso  wie  bei  den  Knochenfischen  eine  eigentliche  Seitenwand,  da  seine  kon- 
kave Oberseite  mit  einem  einfachen  Faltenumschlage  in  die  konvexe  Bauch- 
seite übergeht.  Vorn  bildet  aber  das  absteigende  Darmblatt  eine  wirkliche 
Vorderwand  des  Kopfdarms,  welche  mit  winkeliger  Biegung  nicht  nur  in  dessen 
Decke,  sondern  auch  in  den  Boden  seines  abwärts  erweiterten  vorderen  Endes 
übergeht.  Das  mit  dieser  Vorderwand  des  epithelialen  Kopfdarmsackes  innig 
verbundene  und  mit  ihr  zugleich  aus  der  ebenen  Keimfläche  abwärts  gebogene 
Stück  des  oberen  Keimblattes  ist  nun,  wie  Untersuchungen  an  Hühner-  und 
Kaninchenembryonen  mich  gelehrt  haben,  die  ursprüngliche  Vorderhirnbasis, 
von  welcher  aus  das  Vorderhirn  nicht  im  gleichen  Plan  wie  das  Hinterhirn, 
sondern  von  dessen  Anlage  bereits  rechtwinkelig  abgebogen  sich  röhrig  ent- 
wickelt. Wenn  man  an  dem  in  Fig.  36  oder  37  dieser  Arbeit  abgebildeten 
Mediandurchschnitte  eines  Unkenembryo  die  unter  dem  Hirne  absteigende 
Kopfdarmwand  (Kiefertheil)  sich  horizontal  nach  hinten  umgelegt ,  das  Darm- 
blatt bis  zu  seiner  obersten  Biegung  mit  der  Vorderhirnbasis  in  Berührung  und 
endlich  den  RATHKE'schen  mittleren  Schädelbalken  bereits  entwickelt  denkt 
—  also  lauter  Umbildungen,  welche  den  Batrachiern  nicht  ganz  fehlen,  son- 
dern lediglich  erst  später  eintreten  — ,  so  hat  man  das  Bild  eines  Kaninchen- 
embryo, welches  selbst  die  vordere  Abplattung  der  abgebogenen  Hirnhälfte  sehr 
deutlich  zeigt.  Solchen  Befunden  gegenüber  lässt  sich  die  DüRSY'sche  Dar- 
stellung um  so  weniger  bloss  auf  unvollkommene  Beobachtung  zurückführen, 
als  sie  den  Anspruch  erhebt,  die  allen  Wirbelthieren  gemeinsamen  Normen  der 
embryonalen  Kopfbildung  thatsächlich  wiederzugeben;  sie  entsprang  vielmehr 
dem  noch  immer  üblichen  wenig  empirischen  Verfahren,  aus  den  späteren  Ent- 
wiekelungszuständen  die  früheren  mit  mehr  oder  weniger  Scharfsinn  zu  kon- 
struiren.  Dies  trifft  aber  nicht  nur  zu  für  die  eben  besprochene  embryonale 
Kopfbeuge  nebst  der  Bildung  des  Vorderhirns  und  des  Kopfdarms,  sondern 


IX.   Der  Kopf.  699 

auch  für  das  ganze  übrige  Verhalten  des  mittleren  Keimblattes  im  Kopfe.  Wenn 
wir  auch  bei  Dursy  als  Erbtheil  von  den  ältesten  embiyologischen  Unter- 
suchungen des  Kopfes  die  Bezeichnung  der  das  Hirn  umgebenden  noch  indiffe- 
renten Theile  des  mittleren  Keimblattes  oder  der  dorsalen  Segmenttheile  als 
primitive  häutige  Schädelröhre  wiederfinden,  so  verweise  ich  hinsichtlich  der  in 
die  Augen  springenden  Unrichtigkeit  solcher  Deutung  auf  das,  was  ich  darüber 
bei  der  Besprechung  der  REiCHERT'schen  Untersuchungen  sagte,  und  will  hier 
nur  bei  der  Behauptung  verweilen,  dass  jene  angebliche  Schädelröhre  zugleich 
mit  der  Hirnröhre  entstehe.  Diese  Angabe  kann  sich  wie  bemerkt  auf  that- 
sächliche  Beobachtung  gar  nicht  stützen,  weil  einige  wenige  sagittale  und 
mediane  Durchschnitte  aus  der  Zeit  bis  nach  dem  Schlüsse  der  Hirnröhre  voll- 
kommen genügen,  um  von  der  medianen  Lücke  des  mittleren  Keimblattes  und 
überhaupt  von  dessen  Fehlen  an  der  ganzen  von  der  Oberhaut  überdeckten 
Oberfläche  des  Vorderhirns  zu  überzeugen.  Der  „Schlussbogen  der  Urwirbel- 
platten"  des  Kopfes  existirt  ebenso  wenig  wie  die  ,, primitive  Stirnwand",  welche 
durch  die  nachträgliche  Kopfbeuge  in  die  vordere  Schädelbasis  verwandelt  wer- 
den soll.  Vielmehr  finde  ich  die  ursprünglichen  Segmenttheile  des  Amnioten- 
kopfes  in  denselben  Lagebeziehungen  zu  dessen  übrigen  Embryonalanlagen  wie 
bei  den  schon  behandelten  niederen  Wirbel thieren ,  sodass  sich  hier  sofort  die 
Frage  erhebt ,  ob  nicht  auch  in  der  segmentalen  Gliederung  des  Kopfes  eine 
Uebereinstimmung  beider  Gruppen  nachweisbar  sei.  Wenn  es  nun  auch  wegen, 
der  eigenthümlichen  formalen  und  histologischen  Beschaffenheit  des  embryona- 
len Anmiotenkopfes  vielleicht  unmöglich  bleiben  sollte,  eine  ursprüngliche  seg- 
mentale  Eintheilung  an  demselben  unmittelbar  nachzuweisen,  so  darf  doch  der 
diesbezügliche  Befund  an  Batrachiern  urfd  Teleostiern,  denen  jene  Eintheilung 
bisher"  irrthümlicherweise  ebenfalls  abgesprochen  wurde  (vgl.  S.  236)  den 
Schluss  rechtfertigen,  dass,  da  die  übereinstimmende  Anordnung  der  morpho- 
logisch bereits  gesonderten  Anlagen  des  Kopfes ,  namentlich  der  Nerven ,  bei 
allen  Wirbelthieren  gewiss  aus  gleichen  Ursachen  erfolgt,  dieselben  auch  bei 
den  Amnioten  in  einer  ursprünglich  angelegten  und  nur  äusserlich  verdeckten 
segmentalen  Gliederung  der  dorsalen  Theile  des  mittleren  Keimblattes  beruhen. 
Auch  glaube  ich  beim  Hühnerembryo  wenigstens  ganz  im  allgemeinen  äussere 
und.  innere  Segmenttheile  in  indifferentem  Zustande  unterscheiden  zu  können, 
von  denen  die  ersteren  über  den  Stammsegmenten  liegend  den  His'schen ,  an- 
geblich aus  dem  „Zwischenstrange"  abstammenden  Nervenanlagen  entsprechen 
würden.     Daraufhin  muss  ich  aber  auch  den  Amnioten  vier  Stammsegment- 


700  lx-  Der  KoPf- 

paare  und  ebenso  viele  laterale  Segmente  des  Kopfes  mit  derselben  Bedeutung 
wie  bei  den  niederen  Wirbel thieren  zuschreiben.  Das  Homologon  des  1.  Stamm- 
segmentpaares finde  ich  namentlich  an  Kaninchenembryonen  in  dem  sogenann- 
ten mittleren  Schädelbalken  Rathke's,  welcher  bei  den  Amnioten  sehr  früh- 
zeitig und  stark  entwickelt  ist,  und  in  seinen  seitlichen  bis  hinter  das  Auge 
reichenden  Fortsetzungen.  Von  dort  wächst  es  in  der  Folge  zu  beiden  Seiten 
der  medianen  Verbindung  zwischen  der  vorderen  aufrechten  Darmblattwand 
und  der  Vorderhirnbasis  abwärts  und  rund  um  das  Auge  vorwärts,  gerade  so 
wie  ich  es  von  den  Batrachiern  schilderte.  Nach  aussen  von  diesem  Stamm- 
segmente  erstreckt  sich  eine  dichtere  Zellenmasse  des  mittleren  Keimblattes 
hinter  den  Seitentheilen  der  Vorderhirnbasis  und  den  daran  stossenden  Kopf- 
darm umgreifend  abwärts ;  und  da  das  Darmblatt  in  der  Medianebene  nicht 
nur  mit  der  davor  liegenden  Hirnbasis,  sondern  auch  mit  der  ventralwärts  es 
überziehenden  Oberhaut  innig  verbunden  ist,  so  bilden  jene  beiderseitigen 
Zellenmassen  einen  den  vordersten  Kopfdarmabschnitt  umgürtenden,  an  seiner 
Bauchseite  aber  durch  einen  medianen  Einschnitt  getheilten  Wulst  oder  den 
Kieferwulst,  woraus  die  Bedeutung  der  Zellenmassen  als  des  ersten  lateralen 
Kopfsegmentpaars  erhellt.  Da  nun  das  Vorderhirn  anfangs  sich  nicht  weiter 
hinab  erstreckt  als  seine  ursprüngliche  mit  der  Vorderwand  des  Kopfdarms  ver- 
bundene Basis,  so  erreicht  der  Kieferwulst  bereits  zu  jener  Zeit  jederseits  von 
der  medianen  Einsenkung  das  Niveau  der  Schlussseite  des  Vorderhirns  oder 
dessen  späterer  anatomischer  Grundfläche,  an  welcher  das  Stammsegment 
^Dursy's  vordere  Schädelbasis)  sich  auszubilden  anfängt.  Indem  darauf  ge- 
rade jene  anatomische  Hirnbasis  mit  dem  ganzen  Vorderhirngewölbe  mächtig 
auswächst,  zeichnet  sie  nicht  nur  dem  Stammsegnient  die  Bahnen  seines  Wachs- 
thuins  vor  (medialer  Gesichtsfortsatz),  sondern  zieht  auch  jenen  vordersten 
untersten  Zipfel  des  lateralen  Segments  nach  vorn  aus  (lateraler  Gesichtsfoit- 
satz).  Ich  habe  oben  gezeigt,  dass  wenn  bei  träge  entwickeltem  Vorderhirn  der 
Kiefertheil  weit  unter  dasselbe  vorrücken  konnte,  ehe  eine  quere  Mundbucht 
angelegt  war,  mit  der  Anlage  eines  Rundmauls  auch  die  schwache  äussere  Ab- 
sonderung des  lateralen  Gesichtsfortsatzes  von  dem  schräg  vorgeschobenen 
Unterkieferbogen  verbunden  ist  (Anuren),  während  eine  stärkere  Hirnentwicke- 
lung  auch  eine  Verbreiterung  des  Kopfdarms  und  darauf  die  Anlage  einer 
queren  Mundspalte  zur  Folge  hat,  welche  den  Unterkieferbogen  frühzeitig  vom 
lateralen  Gesichtsfortsatze  trennt  (Urodelen,  Teleostier).  Die  Säuger,  welche 
schon  durch  die  Lage  ihres  Kiefertheils  diese  letztere  Bildungsweise  erkennen 


IX.   Der  Kopf.  701 

lassen ,  erhalten  denn  auch  frühzeitig  im  seitlichen  Anschlüsse  an  die  trichter- 
förmige Anlage  des  Hirnanhangs  eine  quere  Mundbucht  unter  dem  vordersten 
Ende  des  Kopfdarms,  welche  den  auswachsenden  Kiefertheil  in  die  eben  bezeich- 
neten Schenkel  spaltet,  Da  aber,  wie  ich  es  bereits  bei  den  Batrachiern  aus- 
führte, die  meisten  Einzeltheile  aus  der  Wurzel  des  Kiefertheils  kontinuirlich 
und  gerade  zum  Unterkieferbogen  hinabziehen ,  so  fasse  ich  die  Gesammtheit 
dieser  Erzeugnisse  des  ersten  lateralen  Kopfsegments  (Kaumuskeln,  unterer 
Kiefernerv,  Anlagen  des  Unterkiefers  und  seines  Suspensoriums)  als  Unter- 
kieferbogen zusammen,  und  betrachte  den  lateralen  Gesichts-  oder  Oberkiefer- 
fortsatz als  Abspaltung  von  demselben.  Da  dieser  Fortsatz  bei  den  Amnioten 
nicht  nur  äusserlich  sich  von  der  Umgebung  deutlich  absetzt,  sondern  auch  in 
den  Durchschnittsbildern  durch  ähnliche  Gewebslücken  wie  bei  den  Anuren- 
larven  von  den  anstossenden  Gewebsmassen  abgesondert  erscheint,  so  ist  seine 
ganze  Entwickelung  leicht  zu  verfolgen.  Hinter  dem  Auge  entspringend  und 
unter  demselben  neben  dem  medialen  Gesichtsfortsatze  nach  vorn  ziehend 
nimmt  er  den  unteren  Seitenrand  des  unter  dem  Vorderhirn  sich  entwickeln- 
den Gesichts  ein;  vorn  wird  er  durch  die  in  den  medialen  Gesichtsfortsatz  ein- 
gesenkte Nasenhöhle  mehr  auswärts  gedrängt,  sodass  erst  seine  unter  dem 
Niveau  dieser  Nasengegend  frei  hervorwachsende  Gaumenleiste  sich  median- 
wärts  wenden  kann,  während  er  hinter  dem  Blindsack  der  Nasenhöhle  von  An- 
fang an  dem  Stammsegmente  angeschmiegt  bis  gegen  die  Medianebene  sich 
erstreckt.  —  Die  Einheit  des  medialen  Gesichtsfortsatzes  ist  gerade  bei  den 
jüngeren  Embryonen  der  Amnioten  (Maulwurf)  sehr  deutlich  zu  erkennen ,  in- 
dem der  hintere  Blindsack  der  noch  unentwickelten  Nasenhöhle  von  einer 
völlig  indifferenten  und  kontinuirlichen  Masse  des  mittleren  Keimblattes  all- 
seitig umschlossen  wird  (vgl.  Taf.  XIII  Fig.  228),  welche  erst  weiter  nach  vorn 
durch  die  offene  Nasenfurche  abwärts  gespalten  erscheint.  Die  beiderseitigen 
medialen  Gesichtsfortsätze  sind  anfangs  durch  die  mediane  Lücke  des  mittleren 
Keimblattes,  in  welche  sich  das  Vorderhirn  gleichsam  einsenkt,  viel  weiter  von 
einander  entfernt  als  es  bei  den  Batrachiern  der  Fall  ist  (vgl.  Taf  XIII Fig.  223), 
und  fliessen  daher  auch  viel  später  in  der  Medianebene  zusammen,  erst  dadurch 
die  vermeintliche  und  angeblich  ursprüngliche  vordere  Schädelbasis  (Duüsy) 
bildend.  Die  Divergenz  ihrer  vorderen  Enden  lässt  sie  zuerst  in  ziemlicher  Breite 
das  Gesicht  vorn  abschliessen ;  später  scheinen  mir  aber  die  Oberkieferfortsätze 
jenen  Zwischenkiefertheil  vollständig  zu  überwachsen,  denn  die  Lippenmuskeln  der 
Sä  uger  h  alte  ich  für  richtige  Homologa  der  gleichnamigen  Theile  der  Anurenl  arven . 


702  IX    Der  KoPf- 

Diese  allgemeine  Entwickelung  der  Vorderkopfsegmente ,  wovon  ich  nur 
die  für  meinen  Zweck  wichtigsten  Punkte  hervorhob,  ist  von  Dursy  vielfach 
anders  gedeutet  worden.  Den  medialen  Gesichtsfortsatz  zerlegt  er  nach  dem 
Vorgange  Reichert's  in  einen  mittleren  und  einen  seitlichen  Stirnfortsatz.  Mit 
Rücksicht  auf  das  Relief  und  zum  Zwecke  der  Beschreibung  mag  diese  Unter- 
scheidung ganz  nützlich  sein;  nur  darf  sie  nicht  auf  den  Ursprung  beider  Fort- 
sätze ausgedehnt  werden,  wie  es  Dursy  thut,  indem  er  den  mittleren  mit  der 
vorderen  Schädelbasis,  also  dem  Schlussbogen  der  Urwirbelplatten  identifi- 
cirt,  den  seitlichen  als  Visceralfortsatz  von  der  „Bauchplatte"  des  Kopfes  ab- 
leitet. Zunächst  bleibt  uns  dabei  Dursy  die  Erklärung  schuldig ,  wie  jene 
Bauchplatte  zwischen  dem  Oberkieferfortsatze  und  dem  Schädel,  welche  hinten 
von  dessen  Basis  an  bis  über  das  Auge  hinauf  in  Berührung  geschildert  wer- 
den, nach  vorn  vordringen  kann.  Ferner  hätte  im  Hinblicke  auf  die  bedeut- 
samen Folgerungen,  die  daraus  gezogen  werden,  jener  wiederholten  Behaup- 
tung vom  Ursprünge  und  der  Bedeutung  des  seitlichen  Stirn-  und  des  Ober- 
kieferfortsatzes eine  Untersuchung  vorangehen  sollen,  was  die  Bauchplatte 
eigentlich  sei,  und  ob  sie  überhaupt  am  Kopfe  in  dem  gleichen  Sinne  wie  am 
Rumpfe  vorkomme.  Ich  habe  sowohl' in  der  Beschreibung  der  morphologi- 
schen Entwickelung  des  Batrachierkopfes  als  auch  in  der  Kritik  der  bisherigen 
Vorstellungen  über  die  Zusammensetzung  des  embryonalen  Wirbelthierkopfes 
überhaupt  auseinandergesetzt,  dass  die  Kopfdarmwand  eine  durchaus  andere 
Zusammensetzung  hat  wie  die  Leibeswand  des  Rumpfes  und  nicht  einmal  in 
ihren  einzelnen  Abschnitten  übereinstimmt  (S.  218 — 229.  231  u.  flg.).  Mag 
daher  Dursy  die  Bauchplatte  im  Sinne  v.  Baer's  oder  eines  anderen  Embryo- 
logen auffassen,  so  bleibt  die  Annahme,  dass  sie  sich  in  den  Kopf  fortsetze, 
jedenfalls  ganz  irrig.  Nehmen  wir  aber  auch  die  Existenz  der  Bauchplatte  im 
Kopfe  und  den  Ursprung  der  bezeichneten  Gesichtstheile  aus  derselben  als  rich- 
tig an,  so  lässt  sich  noch  immer  nicht  deren  Bezeichnung  als  Visceralfortsätze 
rechtfertigen.  Die  von  Reichert  zuerst  so  genannten  Theile  sind  Bögen,  welche 
das  vordere  Kopfdarmende  abwärts  umschliessen  •,  der  seitliche  Stirn-  und  der 
Oberkieferfortsatz  umwachsen  dagegen  vordem  Kopfdarme  nur  die  Gesichtshöh- 
len, welche  dem  Kopfdarme  nichts  weniger  als  homolog  sind.  Die  Spalte  endlich, 
welche  nach  Dursy  jene  Fortsätze  trennen  soll,  thatsächlich  aber  nicht  existirt,* 

*  Da  Dursy  Durchschnitte  jüngerer  Embryonen  überhaupt  nicht  untersucht  hat.  so  hat 
er  bei  der  Besichtigung  von  Durchschnittsflächen  bei  auffallendem  Lichte  und  schwacher 
Vergrösserung  wahrscheinlich  die  von  mir  bezeichneten  Gewebslücken  des  mittleren  Keim- 
blattes mit  einer  durchgehenden,  von  der  Oberhaut  ausgekleideten  Spalte  verwechselt. 


IX.  Der  Kopf.  703 

könnte  nur  bei  einer  vollständigen  Verkennung  des  Begriffs  der  Homologie  mit 
einer  Visceralspalte  verglichen  werden.  Kurz,  ich  komme  zum  Schlüsse  dieser 
Bemerkungen  darauf  zurück,  dass  die  DmtSYsche  Arbeit  trotz  der  zutreffenden 
Untersuchungen  über  einzelne  spätere  Entwickelungszustände  des  Säugethier- 
kopfes  über  den  eigentlichen  morphologischen  Aufbau  desselben  nur  mangel- 
hafte und  irrige  Aufschlüsse  geliefert  hat.  Dagegen  muss  ich  hervorheben, 
dass  die  morphologische  Entwickelung  des  Kopfes ,  soweit  ich  sie  nur  verfolgt 
habe,  bei  allen  Wirbelthieren  von  denselben  Grundlagen  ausgeht  und  ganz  im 
allgemeinen  auch  denselben  Gang  offenbart,  sodass  nur  die  allmählich  stärker 
hervortretenden  Folgen  der  gegenseitigen  Anpassung  der  in  ihren  Massen-  und 
äusseren  Formverhältnissen  wechselnden  Einzeltheile  die  definitiven  Unter- 
schiede hervorrufen.  Von  diesen  treten  diejenigen  des  Vorderkopfes,  also 
der  vorderen  Hirnhälfte  und  des  Gesichtes  mit  dem  Kieferapparate  am  stärksten 
hervor,  wesshalb  ich  auch  deren  wahrscheinliche  Ursachen  besonders  hervor- 
hob. Je  träger  sich  der  Hirntheil  anfangs  entwickelt  und  je  ungünstiger  sich 
alsdann  das  Massenverhältniss  zum  Kiefertheile  gestaltet,  desto  weiter  rückt 
dieser  unter  ihm  vor,  um  den  unter  dem  schmalen  Hirntheile  gleichfalls  schma- 
len Kopfdarm  (innere  Mundhöhle)  mit  zwei  abwärts  wachsenden  Schenkeln  zu 
umfassen ;  durch  ihre  obere  vordere  Verbindung  mit  den  unter  dem  Vorderhirn 
hervortretenden  medialen  Gesichtsfortsätzen  wird  zwischen  den  sagittalen  wul- 
stigen Rändern  beider  Bildungen  eine  mediane  Mundfurche  angelegt,  sodass 
das  dadurch  vorgezeichnete  Rundmaul  nur  den  kleineren  Abschnitt  des  ganzen 
Kiefertheils  in  Anspruch  nimmt,  der  grössere  zu  dem  schräg  auf-  und  rückwärts 
ziehenden  Bewegungsapparat  desselben  verbraucht  wird  (Anurenlarven).  Die 
Ursachen,  welche  das  Massenübergewicht  des  Kiefertheils  hervorrufen,  wirken 
aber  offenbar  auch  noch  auf  den  Zungenbeinbogen ,  dessen  Muskelmassen  sich 
dem  Kiefersuspensorium  anschliessen.  Diese  mächtige  Entwickelung  der  Kie- 
fermuskulatur und  des  ihr  zur  Stütze  und  Befestigung  dienenden  Suspensoriums 
passt  insofern  zum  kleinen  Bewegungsobjekt,  dem  eigentlichen  Larvenmaul, 
als  die  meisten  jener  Muskeln  gegen  die  zu  bewegenden  Hebel  ausserordentlich 
geneigt  liegen  und  daher, unter  ungünstigen  Bedingungen  wirken.  Ganz  an- 
ders gestaltet  sich  das  Ergebniss  dort,  wo  das  Hirn  gleich  anfangs  durch  seine 
Entwickelung  den  Kiefertheil  so  sehr  überwiegt,  dass  es  sich  ganz  vor  ihn  und 
den  von  ihm  eingeschlossenen  Kopfdarm  lagert  und  die  Ausbildung  dieser 
Theile  in  die  Breite  veranlasst  (Teleostier,  Amnioten).  In  Folge  der  sich  daraus 
ergebenden  queren  Mundbucht  wird  auch  ein  grösserer  Abschnitt  des  Kiefer- 


704  IX     Der  Kopf. 

theils  in  den  queren  ventralen  Unterkiefer  verwandelt,  welcher  durch  die  zu- 
rückgedrängten und  steiler  gerichteten  Kaumuskeln  unter  günstigeren  Be- 
dingungen bewegt,  einen  in  die  Gesichtsbildung  viel  weniger  eingreifenden  und 
doch  viel  stärkeren  Hebelapparat  darstellt,  als  es  im  ersten  Falle  möglich  war. 
Indem  aber  den  Anurenlarven  die  Bedingungen  zur  Herstellung  dieses  zweiten 
Typus  der  Vorderkopf  bildung  nicht  ganz  fehlen,  sondern  erst  spät  zur  Geltung 
kommen,  stellen  sie  sich  als  die  erwünschtesten  Verbindungsglieder  beider 
Typen  dar.  Wenn  aber  der  Uebergang  ihrer  Larvenform  in  die  definitive,  den 
Teleostiern  und  Amnioten  entsprechende  Kopfform  klar  vorliegt,  so  scheint  mir 
nunmehr  auch  ein  Vergleich  der  ersteren  mit  der  Organisation  des  Cyklostomen- 
kopfes  wenigstens  der  Neunaugen  ausführbar.  Abgesehen  von  der  auffallenden 
Uebereinstimmung  im  Schädel  der  jungen  und  erwachsenen  Neunaugen  und 
der  Anurenlarven,  worauf  ich  später  zurückkomme,  will  ich  hier  nur  auf  den  dem 
Schädel  der  Neunaugen  seitlich  angefügten  Knorpelrahmen  hinweisen,  welcher 
das  Auge  trägt  und  vorn  und  hinten  einen  Fortsatz  ausschickt,  von  denen  der 
erstere  schräg  vor-  und  abwärts  gerichtet  sich  mit  einem  vorderen  Mundknor- 
pel verbindet,  der  hintere  wenigstens  ebenfalls  nach  vorn  zum  Munde  ziehen- 
den Muskeln  zum  Ursprünge  dient  (vgl.  J.  Mueller  Nr.  76  I  S.  106 — 110 
Taf.  IV).  Schon  J.  Mueller  verglich  diesen  ganzen  Skelettheil  mit  dem  Kie- 
fersuspensorium und  dem  Flügelgaumenbogen  der  Knochenfische  und  nannte 
den  hinteren  Fortsatz  ein  Zungenbeinhorn  (a.  a.  0.  S.  162  —  163);  ungleich  an- 
sprechender finde  ich  aber  den  Vergleich  mit  den  gleichnamigen  Theilen  der 
Anurenlarven  {vgl.  Taf.  XV III  Fig.  324).  Die  schräg  vorwärts  gerichtete  Lage 
dieses  Suspensoriums  der  Neunaugen  und  der  von  ihm  entspringenden  mäch- 
tigen Muskelmassen  stimmt  nach  der  oben  gegebenen  Auseinandersetzung 
mit  dem  weit  vorgerückten  Saugmaul  gut  überein ;  da  sich  aber  dieses  bei  den 
Neunaugen  viel  stärker  und  entschiedener  entwickelt  als  bei  den  Auurenlarven, 
wo  es  doch  schon  den  Unterkiefer  rudimentär  erscheinen  lässt,  so  finde  ich  es 
nicht  auffallend ,  dass  die  ersteren  einen  Unterkiefer  ganz  entbehren  und  statt 
dessen  im  knorpeligen  Lippenringe  und  dem  vorderen  Mundschilde  nebst  ihren 
knorpeligen  Anhängen*  ganz  eigenthümliche,  ausschliesslich  der  Unterstützung 
der  Lippen  dienende  Bildungen  besitzen.  Diese  Auffassung  gewinnt  durch  den 
Umstand,   dass    das  Larvenmaul    der  Neunaugen    (Ammocoetes)   durch   die 


*  Es  könnte  vielleicht  die  hintere  Seitenplatte  des  Mnndschildes  (J.  Mueller  a.  a.  0.) 
davon  ausgenommen  werden,  indem  sie  wegen  ihrer  Lage  und  Verbindung  mit  dem  Suspen- 
sorium dem  Oberkieferknorpel  der  Anurenlarven  verglichen  werden  dürfte. 


IX.  Der  Kopf.  705 

Anwesenheit  einer  grossen  schirmdachähnlichen  Oberlippe  und  einer  kleinen 
zurückstehenden  und  quergeschweiften  Unterlippe  (vgl.  Rathke  Nr.  137 
S.  68.  75,  Taf.  III  Fig.  15,  M.  Schultze  Nr.  92  S.  25),  sowie  durch  die  Ab- 
wesenheit jenes  besonderen  Mundskelets  dem  Larvenmaul  der  Anuren  bedeu- 
tend ähnlicher  ist  als  dasjenige  der  erwachsenen  Neunaugen-,  die  Neunaugenlarve 
steht  also  nach  ihrer  allgemeinen  Kopfbildung  in  der  Mitte  zwischen  dem  fertig 
entwickelten  Neunauge  und  den  Anurenlarven,  deren  beider  Formen  von  jenem 
indifferenten  Zustande  immer  mehr  divergiren,  indem  einmal  der  cyklostome 
Charakter,  immer  einseitiger  ausgeprägt,  zu  ganz  besonderen  Bildungen  hin- 
führt, anderseits  in  die  Organisation  des  ursprünglichen  Rundmauls  neue  Form- 
elemente wie  der  am  Suspensorium  befestigte  Unterkiefer  eingehen,  welche  die 
Verwandlung  dieses  Typus  in  einen  wesentlich  anderen,  den  des  queren  Greif- 
mauls,  ermöglichen.  Dadurch,  dass  dies  in  der  individuellen  Entwickelung  der 
Anuren  wirklich  ausgeführt  wird,  gewähren  sie  uns  die  befriedigendste  Einsicht 
in  den  ursprünglichen  und  ursächlichen  Zusammenhang  beider  Typen.  Die 
morphologischen  Grundlagen  beider  sind  eben  dieselben ,  und  selbst  die  Ur- 
sachen ihrer  Umbildung  in  der  einen  oder  anderen  Richtung  schliessen  sich 
nur  in  den  extremsten  Bildungen  aus  (Cyklostomen  und  Amnioten),  und  können 
im  übrigen  sich  mannigfaltig  kombiniren.  So  sehen  wir  die  Ursachen  beider 
Entwickelungsrichtungen  in  den  Anurenlarven  gewissermassen  vereinigt  und 
nur  abwechselnd  das  Uebergewicht  erlangen.  Bei  den  Teleostiern  ferner  über- 
wiegen die  Formbedingungen  für  den  zweiten  Typus  der  Vorderkopf bildung 
allerdings  gleich  im  Anfange  der  Entwickelung;  doch  nimmt  das  Uebergewicht 
der  Hirnbildung  in  der  Folge  so  stark  ab,  dass  trotz  der  quermäuligen  Anlage 
unter  Umständen  nachträglich  eine  Annäherung  an  die  Kieferbildung  der 
Anurenlarven  darin  sich  zu  erkennen  gibt,  dass  die  beweglichen  Skelettheile 
des  oberen  Mundrandes  (Maxillare,  Intermaxillare)  sich  auf  den  Unterkiefer 
stützen,  und  zwar  oft  so  steil,  dass  die  genannte  Aehnlichkeit  in  Form  und  Be- 
wegung sofort  in  die  Augen  springt. 

Die  Ucbereinstimmung  aller  Wirbelthiere  in  den  primär-morphologischen 
Anlagen  und  der  allgemeinen  Entwickelung  des  Hinterkopfes  ist  weit  leich- 
ter kenntlich  als  diejenige  des  Vorderkopfes,  weil  dort  die  Lagebeziehungen 
und  Umbildungen  der  ursprünglichen  Anlagen  während  der  Entwickelung  sich 
länger  gleich  bleiben.  Hinsichtlich  der  segmentalen  Gliederung  und  der  grund- 
legenden Zusammensetzung  der  Schlundwand  habe  ich  jene  Uebereinstimmung 
allerdings  nur  für  die  Batrachier  und  Knochenfische  unmittelbar  nachweisen 

Goette,  Entwicklungsgeschichte.  45 


706  IX    Der  Kopf- 

können. Wenn  wir  aber  an  den  Embryonen  der  Amnioten  wenigstens  diesel- 
ben ursprünglichen  Nervenanlagen  im  Rückentheile  des  Hinterkopfes,  deren 
Entstehung  zu  den  frühesten  Sonderungen  der  Embryonalanlagen  gehört,  und 
ferner  dieselbe  Schlundspaltung  wie  bei  den  niederen  Wirbelthieren  erkennen, 
so  dürfen  wir  wohl  mit  vollem  Recht  annehmen ,  dass  den  schliesslich  noch  so 
differenten  Kopfformen  aller  Wirbelthiere  homologe  Embryonalanlagen  mit 
derselben  segmentalen  Gliederung  zu  Grunde  liegen. 

Wenn  ich  nun  auf  Grund  der  voranstehenden  Vergleiche  die  Ueberzeugung 
ausspreche,  dass  die  Batrachier,  weil  sie  wie  in  den  meisten  embryologischen 
Beziehungen,  so  auch  in  der  Bildungsgeschichte  des  Kopfes  die  einzigen  klaren 
und  vollständigen  Befunde  liefern,  und  ferner  die  Uebergänge  von  niederen  zu 
höheren  Formzuständen  uns  lebendig  vor  die  Augen  führen,  desshalb  die  einzig 
sichere  Grundlage  für  jede  vergleichende  Betrachtung  des  Wirbelthierkopfes 
bieten ,  so  trete  ich  damit  in  scharfen  Gegensatz  zu  Gegenbaue,  ,  welcher  die- 
selbe Frage  von  einer  ganz  anderen  Seite  her  zu  lösen  versucht  hat  (Nr.  135). 
Dieser  Versuch,  in  formeller  Hinsicht  ein  Muster  vergleichend-anatomischer 
Darstellung  und  in  der  Durchführung  ein  glänzendes  Zeugniss  anatomischen 
Scharfsinns,  hat  nach  meiner  Ansicht  sein  Ziel  desshalb  verfehlt,  weil  der  Ver- 
fasser von  der  die  Methode  und  den  Gang  seiner  Untersuchungen  bestimmenden 
Auffassung  ausgeht,  dass  die  rein  anatomische  Vergleichung  fertiger  Formen 
wirklich  zuverlässige  Ergebnisse  liefere,  und  bei  der  Unzulänglichkeit  embryo- 
logischer Nachweise  allein  die  Lücken  unserer  Erkenntniss  vom  Zusammen- 
hange der  verschiedenen  Formen  auszufüllen  fähig  sei.  Ich  habe  schon  mehr 
als  einmal  irrige  Deutungen  hervorgehoben,  welche  jener  Auffassung  und  Me- 
thode ihren  Ursprung  verdanken  und  hoffe  in  dem  Folgenden  wiederholt  den 
Beweis  zu  erbringen ,  dass  die  vergleichende  Anatomie  nur  als  letzte  Schluss- 
folgerung einer  vergleichenden  Ontogenie  volle  Sicherheit  und  bleibende  Be- 
deutung gewinnt,  ohne  genügende  Berücksichtigung  derselben  aber  jedes  Kri- 
terium für  die  Richtigkeit  ihrer  Schlüsse  entbehrt. 

Gegenbaur  hat  sich  die  Aufgabe  gestellt,  die  Genese  des  Kopfskelets  der 
Wirbelthiere  zu  erklären,  indem  er  es  an  dem  angeblich  günstigsten  Objekte, 
den  Salachiern,  in  seinen  einzelnen  Theilen  vergleichend  untersucht.  Der 
Angelpunkt  der  Frage  ist  die  Vergleichbarkeit  des  Kopfskelets  mit  dem  Wir- 
belsystem des  Rumpfes.  Dabei  werden  zunächst  die  Fehler  der  älteren  Wirbel- 
theorie aufgedeckt,  welche  das  fertige  knöcherne  Kopfskelet  in  eine  Reihe 
vollständiger  Wirbel  zu  zerlegen  versuchte,  während  die  embryonale  Grund- 


IX.   Der  Kopf.  707 

läge  desselben,  das  häutige  und  knorpelige  Primordialkranium,  „keine  Spur 
einer  Gliederung  in  Wirbel"  zeige,  und  der  Grundstock  der  Wirbelbildung,  die 
Wirbelsaite,  nur  die  hintere  Hälfte  der  Schädelanlage  durchziehe  (Nr.  135 
S.  1—8).  Wenn  daher  der  Schädel  nicht  als  aus  wirklichen  Wirbeln  zusam- 
mengesetzt angesehen  werden  dürfe,  so  seien  doch  in  seiner  Entstehungs- 
geschichte und  seinem  späteren  Verhalten  genügende  Anhaltspunkte  vorhan- 
den, um  seine  Bildung  auf  dieselben  Grundlagen  wie  bei  den  Wirbeln  des 
Rumpfes  zurückzuführen.  Soweit  die  Wirbelsaite  den  embryonalen  Kopf 
durchzieht,  wird  sie  von  denselben  skeletogenen  Theilen  wie  im  Rumpfe  um- 
geben, *  von  denen  die  den  Wirbelbögen  entsprechende  kontinuirliche  Knorpel- 
schicht aufwärts  das  Hirn  und  das  ihm  anliegende  Gehörorgan  umwächst 
(a.  a.  0.  S.  26 — 29) ;  dabei  sei  die  Anpassung  dieses  vertebralen  Schädelknor- 
pels an  das  Gehörorgan  so  offenbar,  dass  in  den  Wirbelthierformen,  welche  das 
letztere  noch  nicht  besassen ,  die  Labyrinthregion  nothwendig  ebenso  einfach 
gestaltet  war  wie  die  Occipitalregion,  welche  sich  in  ihrer  Gestalt  oft  noch  un- 
mittelbar an  die  Wirbelsäule  anschliesse  (S.  30 — 52.  258 — 260).  Ferner  könne 
der  Mangel  einer  Gliederung  im  Schädelknorpel  nicht  gegen  seine  Wirbelnatur 
zeugen :  denn  jene  Gliederung  könne  auch  an  einzelnen  Abschnitten  der  Wirbel- 
säule fehlen,  sodass  das  Kriterium  des  Wirbels  nicht  sowohl  in  seiner  vollstän- 
digen Sonderung  als  in  der  Beziehung  zu  einem  bestimmten  Körpersegmente 
(Metamer)  zu  suchen  sei  (S.  260 — 263).  Es  entwickele  sich  also  der  bis  zum 
Vorderende  der  Wirbelsaite  oder  bis  zur  Sattelgrube  reichende  Abschnitt  des 
Primordialschädels  im  wesentlichen  ebenso  wie  die  Rumpfwinkel,  wogegen  die 
vor  der  Sattellehne  befindliche  Schädelhälfte  sowohl  wegen  der  Abwesenheit 
der  Wirbelsaite  und  ihrer  Scheide  als  auch  desshalb,  weil  ihre  Grundlagen,  die 
beiden  seitlichen  Schädelbalken  Rathke's  erst  nachträglich  aus  der  hinteren 
Schädelbasis  hervorwüchsen,  von  jener  Homologie  als  prävertebraler  Schädel- 
theil  ausgeschlossen  werden  müsse  (S.  119 — 134.  295). 

Bleiben  wir  zunächst  bei  diesen  grundlegenden  Ausführungen  Gegenbaur's 
stehen,  so  muss  die  Unhaltbarkeit  der  alten  Wirbeltheorie  ebenso  unbedingt 
zugegeben  werden  wie  die  Uebereinstimmung  der  allgemeinen  Grundlagen  der 
Rumpfwirbel  und  des  Schädels.    In  der  näheren  Begründung  und  Bestimmung 

*  Da  mir  die  in  Rede  stehende  Schrift  Gegenbaub's  bei  der  Abfassung  des  VII.  Ab- 
schnittes (vgl.  S.  420)  noch  nicht  vorlag,  so  muss  ich  nachträglich  hinzufügen,  dass  Gegen- 
baur  nunmehr  zu  seiner  ersten ,  später  verworfenen  und  von  W.  Mueller  wieder  aufge- 
nommenen Ansicht  zurückgekehrt  ist  (Nr.  135.  S.  123.  126),  dass  die  äussere  (skeletogene) 
Chordascheide  nicht  von  der  Wirbelsaite  selbst  abstamme. 

45* 


708  IX.   Der  Kopf. 

dieser  Homologie  kann  ich  aber  Gegenbaue  nicht  folgen.  Allerdings  kann 
nur  der  hintere  chordale  Abschnitt  der  Schädelbasis  mit  einer  Reihe  von  noch 
ungesonderten  Wirbelkörperanlagen  verglichen  werden ;  die  zugehörigen  Homo- 
loga  der  Wirbelbögen  sind  aber  weder  auf  jene  hintere  Schädelhälfte  be- 
schränkt, noch  die  ausschliesslichen  Elemente  der  Seitenwand  und  der  Decke  des 
Primordialkraniums.  Allerdings  sind  nach  meinen  Erfahrungen  die  Embryonen 
der  Haie  nicht  geeigneter  als  diejenigen  der  Amnioten,  die  elementare  Zusam- 
mensetzung des  Kopfes  im  Bereiche  des  mittleren  Keimblattes  uns  kennen  zu 
lehren;  um  so  bestimmter  sind  nun  aber  die  Aufschlüsse,  welche  uns  die  Ent- 
wicklungsgeschichte der  Batrachier  liefert,  und  welche  aus  den  schon  mehr- 
fach bezeichneten  Gründen  auf  alle  übrigen  Wirbelthiere  angewandt  werden 
dürfen.  Darnach  gehören  alle  ursprünglich  vor  der  Chordaspitze  befindlichen 
Schädeltheile  einem  einzigen  vordersten  Stammsegmentpaare  an,  welches  in 
Folge  der  embryonalen  Kopf  beuge  horizontal  umgelegt  war-,  und  da  als  Grund- 
lage dieses  vorderen  Schädelabschnitts  bei  allen  Wirbelthieren  ein  Paar  Knor- 
pelbögen erscheint,  welche  von  der  Chordaspitze  entspringend  längs  der  ana- 
tomischen Vorderhirnbasis  nach  vorn  verlaufen  und  sich  endlich  ringförmig 
schliessen,  so  sehe  ich  darin  gerade  den  vollkommensten,  weil  am  deutlichsten 
gesonderten  Wirbelring,  dessen  Körper  bloss  durch  die  frühzeitige  Zurück- 
ziehung der  Wirbelsaite  in  den  Bereich  des  Hinterkopfes  verschoben  ist.  Auf 
den  möglichen  Einwurf,  dass  dieser  Wirbelring  das  Hirn  gar  nicht  umgreife, 
was  doch  eine  wesentliche  Lagebeziehung  aller  Wirbel  sei,  ist  zu  erwidern, 
dass  es  am  Hirntrichter  wohl  bei  allen  Wirbelthieren,  bei  den  Batrachiern  da- 
gegen noch  in  viel  grösserem  Masse  geschieht  (vgl.  Taf.  XVII  Fig.  314—316), 
und  dass  bloss  die  überall  nachweisliche  nachträgliche  Zusammenziehung  der 
ursprünglich  getrennten  Wirbelbögen  unter  das  Vorderhirn  bei  den  meisten 
Wirbelthieren  auch  schon  während  der  ersten  Entwickelung  mitgewirkt  haben 
mag.  Es  liegt  demnach  auf  der  Hand,  dass  der  vertebrale  Charakter  des  vor- 
deren Schädelabschnittes  mit  der  Thatsache,  dass  die  Wirbelkörperanlagen 
des  ganzen  Schädels  nur  bis  zur  Sattellelme  reichen  ,  sich  ganz  wohl  verträgt. 
Jener  erste  Wirbelbogenring  ist  aber  nicht  die  einzige  Grundlage  der  vorderen 
Schädelhälfte.  Rathke,  welcher  diese  seine  seitlichen  Schädelbalken  in  allen 
Wirbelthieren  nachwies*  und  selbst  im  Knorpelringe  der  vorderen  Schädel- 

*  Da  Rathke  gerade  bei  den  niederen  Wirbelthieren  die  jüngsten  Entwickelungsstui'en 
dieser  Skelettheile  nicht  kannte,  so  ist  ihm  auch  entgangen,  dass  sie  an  der  Stelle  ihrer  spä- 
teren Vereinigung  ursprünglich  weit  auseinanderstehen.  Der  mittlere  Schadelbalken  oder 
die  bindegewebige  Leiste  über  der  künftigen  Sattellehne  hat  mit  den  seitlichen  Balken  gar 


IX.  Der  Kopf.  709 

basis  der  Neunaugenlarven  mit  Recht  dieselbe  Bildung  erkannte  (Nr.  21  S.  7. 
8.  16.  19.  22),  hat  deren  Betheiligung  am  Aufbau  der  vorderen  Schädelhälfte 
im  allgemeinen  richtig  gesehen ,  aber  irrig  gedeutet.     Er  nahm  an ,  dass  die 
orbitale  Schädelwand  (vorderer  Keilbeinflügel)  der  Batrachier  und  Knorpel- 
fische eine  unmittelbare  Fortsetzung  der  seitlichen  Schädelbalken  sei  (a.  a.  0. 
S.  17.  25) ;  bei  den  Knochenfischen  (Blennius  viviparus)  und  den  Amnioten,  aus- 
genommen die  Eidechsen  und  Vögel,  entständen  allerdings  gesonderte  Knor- 
peltafeln der  vorderen  Keilbeinflügel,  aber  immerhin  in  einer  aus  den  Schädel- 
balken hervorgewucherten  Grundlage,  sodass  sie  gleich  dieser  zum  Wirbcl- 
system  gerechnet  werden  müssten  (a.  a.  0.  S.  13.  20.  25).    Ich  kann  diese  Auf- 
fassung nicht  theilen.     Bei  den  Batrachiern  wächst  die  orbitale  Schädelwand 
mir  bis  zu  einem  gewissen  Grade  ganz  bestimmt  aus  den  cylindrischen  Wirbel- 
bögen (Schädelbalken)  hervor,  da  diese  sich  zusehends  abplatten.    Da  sie  aber 
dabei  an  den  Rändern  ihre  bestimmte  Grenze  einbüssen,  so  muss  ich  an  der 
Ansicht  festhalten,  dass  ihr  Wachsthum  nicht  weniger  durch  Anlagerung  neuer 
Bildungselemente  an  jene  Ränder  erfolgt  (vgl.  S.  367.  368).     Dasselbe  dürfte 
für  alle  mit  einem  sehr  vollständigen  Primordialschädel  versehenen  Knorpel- 
fische, also  gerade  die  Selachier,  um  so  mehr  gelten,  als  die  noch  immer  voll- 
ständigsten Untersuchungen  über  die  Entwickelung  desselben,  welche  wir  Let- 
dig  verdanken,  dieser  Auflassung  das  Wort  reden  (Nr.  139  S.  100.  103.  106. 
108).     Die  unbedeutende  orbitale  Schädelwand  der  Neunaugen  mag  dagegen 
allerdings  ausschliesslich  aus  den  ursprünglichen  Wirbelbögen  der  Ammocoetes- 
form  hervorgehen.  Bei  den  Forellene  mbryonen  sehe  ich  aberdie  vorderen  Wirbel- 
bögen in  ihrer  Gestalt  längere  Zeit  unverändert  unter  dem  Vorderhirn  bloss  immer 
mehr  zusammenrücken,  während  im  Umfange  des  vorderen  Schädeldachs,  also  von 
ihnen  vollständig  getrennt  und  sogar  weit  entfernt  ein  schmaler  Knorpelstreif  ent- 
standen ist.    Ebenso  kann  ich  an  Coronella  laevis  bestätigen,  was  Rathke  von 
Coluber  natrix  aussagt,  dass  nämlich  die  orbitale  Schädelwand  aus  einer  grossen 
von  den  Schädelbalken  gesonderten  Knorpelplatte  hervorgeht,  welche  später  den 
grössten  Theil  der  vorderen  Schädelkapsel  bildet,  während  jene  Balken  sich 
unverändert  in  der  Schädelbasis  erhalten  (Nr.  115  S.  124  194).     Duesy's  Be- 
obachtung ,  dass  die  Orbitaldecke  und  die  Orbitalflügel  der  Säugethiere  nicht 
aus  dem  hinteren,  noch  in  die  Schädelhöhle  hineinragenden  Rande  der  medianen 

keine  Aehnlichkeit  und  ist,  wie  es  Rathke  selbst  angibt,  ein  vergängliches  Gebilde  (Nr.  21 
S.  8).  Da  dieser  Tbeil  übrigens  nicht  eine  Eigentümlichkeit  der  Amnioten  ist  (vgl.  Rathke 
a.  a.  0.  S.  7),  sondern  allen  Wirbelthieren  nur  in  wechselndem  Masse  zukommt,  verdient  er 
eine  eigene  Bezeichnung,  wozu  ich  die  eingebürgerte  Rathke'scIic  beibehalte. 


710  IX.   Der  Kopf. 

Scheidewand  des  Gesichts,  also  nach  Rathke;s  Erklärung  der  miteinander  ver- 
schmolzenen Schädelbalken,  hervorwachsen,  sondern  durch  lokale  Differenzirung 
entstehen,  spricht  natürlich  gerade  gegen  ihren  vertebralen  Charakter,  wäh- 
rend Duksy  sie  trotzdem  nach  der  alten  Schädelwirbellehre  für  Wirbelbögen 
erklärt  (Nr.  136.  S.  182.  193.  206).  Was  endlich  die  Ausfüllung  des  vorderen 
Wirbelbogenrings  oder  die  Bildung  des  Mitteltheils  von  der  vorderen  Schädel- 
basis betrifft,  so  beruht  dieselbe  überall,  wo  sie  vorkommt,  auf  einem  selbst- 
ständigen Vorgange.  Dies  war  bereits  Rathke  bekannt  (Nr.  21  S.  10 — 12. 
17.  22,  Nr.  115  S.  123);  bei  seiner  Auffassung  der  Schädelbalken  als  Wirbel- 
bogenbasen  musste  ihm  jedoch  jenes  Mittelstück  des  vorderen  Keilbeinkörpers 
als  Bestandtheil  eines  Wirbelkörpers  imponiren ,  während  nach  meiner  Dar- 
stellung darin  nur  das  quere  Schlussstück  der  in  den  Kopf  fortgesetzten  und 
an  seinem  Vorderende  horizontal  umgebogenen  Wirbelröhre  zu  sehen  ist.  — 
Es  ergibt  sich  aus  diesen  Thatsachen,  dass  der  erste  Wirbelbogenring  (Schädel- 
balken) entgegen  der  Deutung  Rathke1  s  nicht  durchweg  die  Grundlage  auch 
nur  der  seitlichen  und  oberen  Knorpeltheile  des  vorderen  Primordialkraniums 
ist,  sondern  wahrscheinlich  bloss  bei  den  Neunaugen  diese  Rolle  spielt,  bei  den 
übrigen  Knorpelfischen  und  den  Batrachiern  in  geringem  Grade,  ganz  entschie- 
den aber  bei  den  höheren  Wirbelthieren  durch  accessorische  Bildungen  zu 
jenem  Schädeltheil  ergänzt  wird. 

Ebenso  wenig  wie  der  mit  Unrecht  „prävertebral"  genannte  vordere  Ab- 
schnitt des  Primordialkraniums  verdient  der  hintere  Abschnitt  die  Bezeichnung 
„vertebral"  in  dem  Sinne,  dass  alle  seine  Knorpeltheile  aus  kontinuirlich  mit- 
einander hervorgewachsenen  Wirbelbögen  bestehen.  Schon  Rathke  sieht  in 
der  Ohrkapsel  eine  vom  Wirbelsystem  ganz  gesonderte  Bildung-,  dagegen  wer- 
den die  unmittelbar  vor  derselben  gelegenen  hinteren  Keilbeinflügel,  mögen  sie 
auch  gesondert  auftreten  wie  bei  der  Natter,  gleich  den  vorderen  Keilbeinflügeln 
und  dem  Occipitalringe  von  der  hinteren  Schädelbasis  abgeleitet  und  daher  dem 
Wirbelsystem  hinzugezählt  (Nr.  21  S.  13.  25,  Nr.  115  a.  a.  0.).  Meine  Unter- 
suchungen an  den  meisten  Wirbelthieren  haben  mich  zur  Ueberzeugung  ge- 
bracht, dass  die  ihnen  allen  gemeinsamen  ventralen  Theile  der  hinteren  Schädel- 
hälfte nur  die  Schädelbasis  und  der  Occipitalring  sind ,  dass  aber  die  Bedeu- 
tung der  übrigen  Bestandteile,  wenn  dieselben  auch  nach  dem  anatomischen 
Verhalten  sehr  ähnlich  erscheinen,  je  nach  den  einzelnen  Abtheilungen  sehr 
verschieden  sein  kann.  —  Wie  ich  es  für  die  Batrachier  bereits  nachgewiesen 
habe  (S.  632),  wird  der  grössere  Theil  der  hinteren  seitlichen  Schädelwand  von 


IX.   Der  Kopf.  711 

dem  Schläfenfliigelknorpel  und  der  knorpeligen  Ohrkapsel  eingenommen,  also 
Skelettheilen,  welche  beide  getrennt  von  den  in  der  Schädelbasis  enthaltenen 
Wirbelelementen  entstehen  und  von  denen  das  erstere  durch  seine  Grundlage 
(äusseres  Segment)  von  der  Bildungsstätte  der  Wirbel  (Stammsegmente)  fun- 
damental geschieden,  den  nicht  entwickelten  Wirbelbogen  des  zweiten  Kopf- 
segments vertritt,  das  andere  aber,  die  Knorpelkapsel  des  Ohrs ,  eine  dem  Wir- 
belsystem noch  fremdere  Einschaltung  darstellt,  an  welche  sich  erst  wieder  ein 
vertebrales  Stück  der  seitlichen  Schädelwand  anschliesst.  Da  das  letztere  oder 
der  Occipitalring  dem  3.  und  4.  hinter  das  Ohrbläschen  verdrängten  Kopfseg- 
mente gemeinsam  angehört,  auch  deren  beide  Nervenstränge  (N.  glossopharyn- 
geus,  N.  vagus)  seine  Wurzel  durchsetzen,  so  muss  man  in  ihm  das  Aequivalent 
zweier  miteinander  verschmolzenen  Wirbelbogenabschnitte  anerkennen.  Wie 
weit  der  in  den  Hinterkopf  übergreifende  Orbitalflügelbogen  sowie  überhaupt  die 
vor  dem  Occipitalringe  befindlichen  Knorpeltheile  des  Schädeldachs  von  jenem 
oder  dem  vorderen  Wirbelringe  abzuleiten  sind,  ist  gerade  bei  den  Batrachiern 
schwer  zu  entscheiden.  Die  häutigen  Theile  des  Schädeldachs  habe  ich  in  der 
Beschreibung  als  unmittelbare  Fortsetzungen  des  Perichondriums  der  beschrie- 
benen Knorpel  „perichondrale"  genannt,  um  damit  anzudeuten,  dass  es  nicht 
Reste  eines  häutigen  Primordialschädels  sind,  welcher  als  Vorläufer  des  knor- 
peligen demselben  zugleich  als  Grundlage  diente.  Die  Anlage  eines  Knorpels 
ist  weder  jemals  häutig  noch  ein  fertiges  Gewebe ,  und  jene  Verbindungshäute 
des  Schädels  entstehen  ebenso  wie  die  ihnen  homologen  Zwischenbogenbänder 
des  Rumpfes  später  als  die  Wirbelbögen;  so  lange  man  aber  diese  Bänder 
nicht  zu  den  Wirbelelementen  zählt,  können  auch  jene  häutigen  Schädeltheile 
überall  nur  als  accessorische  betrachtet  werden. 

Der  Seh  ädel  der  Neunaugen  bietet  in  seiner  hinteren  Hälfte  gewisse  Unter- 
schiede vom  Primordialkranium  der  Batrachier  dar.  Die  Wurzel  des  Kiefer- 
suspensoriums, welche  bei  den  Neunaugenlarven  unmittelbar  vor  und  unter  dem 
vorderen  Ende  der  Ohrkapsel  mit  dem  vorderen  Wirbelbogen  zusammenhängt, 
behält  diese  Lage  auch  im  erwachsenen  Thiere ,  sodass  es  höchst  wahrschein- 
lich ist,  dass  der  in  die  Höhe  auswachsende  Wirbelbogen  über  ihr  mit  der  Ohr- 
kapsel zusammenstösst  und  sie  somit  von  der  Betheil igung  am  Aufbaue  der 
Schädelwand  ausschliesst,  wenn  nicht  diese  Betheiligung  vielleicht  an  der 
Schädelbasis  in  bescheidenem  Masse  stattfindet  (vgl.  J.  Muellee  Nr.  76  I  S. 
106—110,  Taf.  IV,  Langerhans  Nr.  138  S.  34  Taf.  IV  Fig.  2).  Ferner  ist  der 
dorsale  Schluss  des  Occipitalringes  jener  orbitalen  Schädelwand  so  nahe  ge- 


7^2  IX.   Der  Kopf. 

rückt,  dass  ihr  unmittelbares  Zusammentreffen  an  der  Seite  des  Schädeldachs 
angenommen  werden  darf.  Unter  diesen  Voraussetzungen  besitzen  natürlich  die 
Neunaugen  die  einfachste  Zusammensetzung  des  Schädels,  indem  derselbe  neben 
den  beschriebenen  Wirbelelementen  nur  die  Ohrkapsel  und  das  Schlussstück  der 
ganzen  Wirbelröhre  (harter  Gaumen  J.  Mueller)  als  accessorische  Stücke  enthält. 
Denn  dass  die  Ohrkapsel  mit  den  Wirbelanlagen  nichts  gemein  hat,  scheint  mir  auch 
abgesehen  von  den  bezüglichen  embryologischen  Beweisen  für  die  übrigen  Wir- 
belthiere,  aus  den  angeführten  Darstellungen  selbst  deutlich  genug  hervorzugehen. 
Die  Knochenfische  stehen  in  den  eben  erörterten  Punkten  den  Batra- 
chiern  wieder  näher  als  dieNeunaugen.  Die  hintere  Schädelbasis  der  von  mir  unter- 
suchten Forellenembryonen  ist  von  dem  das  Gehörorgan  anfangs  nur  lateral wärts 
bedeckenden  Knorpel  durch  eine  deutliche  und  stellenweise  breite  Lücke  ge- 
trennt; nur  an  beiden  Enden  des  Gehörorgans  setzt  sie  sich  in  seitliche  Bö- 
gen fort,  welche  mit  dem  äusseren  Ohrknorpel  alsbald  in  kontinuirlichen,  wenn- 
gleich längere  Zeit  nur  lockeren  Zusammenhang  gerathen.   Das  hintere  Bogen- 
paar  unterscheidet  sich  vom  Occipitalringe  der  Batrachier  nicht.     Der  vordere 
Seitenast  der  Schädelbasis  beginnt  am  vorderen  Wirbelbogen,  bald  nachdem 
derselbe    die   Wirbelsaite    verlassen   hat,  *     zieht   dann   bogenförmig    nach 
aussen  und  zwischen  den  Stämmen  des  Trigeminus  und  Facialis  unter  das 
Vorderende  des  Gehörorgans  und  verschmilzt  mit  dessen  äusserer  Knorpel- 
wand nur  wenig  einwärts  von  der  Stelle,  wo  das  Hyomandibulare  dieselbe  noch 
sehr  nahe  von  der  Basalseite  berührt.    Wenn  ich  hinzufüge,  dass  das  Hyoman- 
dibulare, wie  ich  weiter  unten  beweisen  werde,  zum  Kiefersuspensorium  gehört, 
und  daran  erinnere,  wie  bei  den  Batrachiern  die  ursprüngliche  Wurzel  des 
Suspensoriums  (Schläfenflügelknorpel)  sich  von  seinem  äusseren  Theile  trennt, 
so  ist  es  kaum  zweifelhaft,  dass  wir  in  jenem  Seitenaste  des  ersten  Wirbel- 
bogens  nicht  einen  Auswuchs  desselben,  sondern  ein  mit  ihm  sekundär  verbun- 
denes Homologon  des  Schläfenflügelknorpels  der  Batrachier  vor  uns  haben. 
Seine  geringe  Entwicklung  bei  unseren  Fischen  ist  dadurch  bedingt,  dass  ihr 
Auge  und  Ohr ,  welche  anfangs  weit  auseinander  vor  und  hinter  dem  ersten 
äusseren  Segment  lagen,  während  und  nach  der  Bildung  der  Kopf  beuge  sehr 
nahe  zusammenrücken  und  dadurch  sowohl  das  Wachsthum  des  Schläfenflügel- 
knorpels in  die  Höhe  unterdrücken,  als  ihn  auch  von  den  zurückgedrängten 
Aussentheilen  des  Kiefersuspensoriums  trennen.     Durch  seine  frühzeitige  Ver- 


*  Bei  den  Salmoniden  verlässt  der  vordere  Wirbelbogen  die  Wirbelsaite  sebon  hinter 
ihrer  Spitze,  sodass  dieselbe  frei  hervorragt  (vgl.  Vogt   Nr.  123  S.  111  Taf.  VII  Fig.  166). 


IX.   Der  Kopf.  713 

Schmelzung  mit  der  Ohrkapsel  lassen  sich  seine  Grenzen  später  ebenso  wenig 
bestimmt  unterscheiden  wie  bei  den  Batrachiern  ;  jedenfalls  ist  er  im  vorderen 
unteren  Theile  des  Pro-oticum  enthalten.  Im  Anschlüsse  an  das  äussere  Ende  des 
Schläfenflügelknorpels  der  Forelle  setzt  sich  ein  nach  vorn  über  das  Gehör- 
organ vorragender  Saum  seiner  Knorpelwand  aufwärts  fort ,  um  in  den  schon 
erwähnten  seitlichen  Knorpelstreifen  des  vorderen  Schädeldachs  überzugehen. 
Ob  nun  diese  Bildungen ,  welche  ich  für  die  Grundlagen  des  Ali-  und  Orbito- 
sphenoids  und  des  Schädeldachs  halte,  vom  Schläfenfiügelknorpel  oder  von  der 
Ohrkapsel  ausgehen  oder  endlich,  was  wohl  wahrscheinlicher  ist,  eine  ganz 
lokale  Entstehung  haben,  ist  von  gar  keinem  Belang  gegenüber  der  Thatsache, 
dass  sie  ausserhalb  des  Wirbelsystems  stehen. 

An  die  oben  erläuterte  Zusammensetzung  des  Teleostierschädels  schliesst 
sich  der  Schädelbau  der  Reptilien  ziemlich  eng  an.  Bei  Coronella  laevis  und 
Anguis  fragilis  finde  ich  die  hintere  Schädelbasis  im  allgemeinen  so  wie  sie 
Rathke  von  Coluber  natrix  beschrieben  hat  (Nr.  115  S.  33.  34.  122  u.  flg.); 
nur  hat  er  die  vordere  Hälfte  des  Schädelabschnitts  der  Wirbelsaite  desshalb 
übersehen,  weil  dieselbe  nicht  in  der  Schädelbasis  steckt  wie  die  hintere  Hälfte, 
sundern  ihr  nur  aufliegt  und  daher  bei  der  Abtragung  der  Hirnhäute  mit  die- 
sen entfernt  wird.  Ueber  die  gesonderte  Anlage  der  Ohrkapsel  und  die  Bil- 
dung des  Occipitalringes  habe  ich  nichts  hinzuzufügen.  Von  anderen  Stücken 
der  hinteren  Schädelhälfte  beschreibt  Rathke  nur  die  sogenannten  hinteren 
Keilbeinflügel,  welche  als  Knorpel  getrennt,  von  der  Schädelbasis  auftreten,  aber 
wahrscheinlich  doch  ursprünglich  aus  derselben  hervorgewachsen  seien  und 
später  ausser  der  Schläfengegend  gleich  den  vorderen  Keilbeinflügeln  die  zuge- 
hörigen Abschnitte  des  Schädeldachs,  die  Parietalia,  bilden  (Nr.  115  S.  124. 
193.  194,  Nr.  21  S.  13.  25).  Die  Auffassung  Rathke' s  über  den  Ursprung 
dieser  Knorpelplatten  der  Schlangen  ist  aber  nach  meinen  Beobachtungen  un- 
begründet, und  wenn  selbst  die  Beschreibung  derselben  richtig  ist,  so  ist  da- 
gegen ihre  Bezeichnung  unpassend.  Das  Homologon  des  Schläfenflügelknor- 
pels der  Batrachier  und  Teleostier,  welches  die  Schlangen  und  Eidechsen  ge- 
meinsam besitzen,  hat  Rathke  allerdings  gezeichnet  (Nr.  115Taf.  VII  Fig.  17  c*), 
aber  als  bedeutungslosen  Fortsatz  der  Ohrkapsel  unbeachtet  gelassen.  Er  be- 
steht schon  von  dem  Erscheinen  der  erstgenannten  Knorpelplatte,  beginnt  an 
der  Wurzel  des  ersten  Wrirbelbogens  dort,  wo  nach  Rathke  ursprünglich  das 
stielförmige  Kiefersuspensorium  aus  der  Schädelbasis  hervortritt,  und  zieht  durch 
den  zwischen  der  letzteren  und  dem  Vordertheil  der  Ohrkapsel  befindlichen 


714  IX.   Der  Kopf. 

Zwischenraum  aus-  und  rückwärts  unter  diese  Kapsel  (vgl.  Nr.  115  Taf.  VII 
Fig.  12.  17).  Nach  seinen  Verbindungen,-  seiner  Lage  zwischen  den  Aus- 
trittsstellen des  Trigerainus  und  Facialis  entspricht  er  ebenso  sehr  den  oben  be- 
zeichneten Schläfenflügelknorpeln ,  namentlich  demjenigen  der  Fische,  als  der 
RATHKE'sche  Keilbeinflügel  durch  seine  Lage  vor  dem  Trigeminus,  durch  seine 
späte  und  wie  ich  an  Coronella  laevis  sehe,  von  dem  unterdessen  rückwärts 
verschobenen  Kiefersuspensorium  vollkommen  getrennte  Entstehung  von  jener 
Homologie  ausgeschlossen  wird.  Die  Verbindung  jenes  Schläfenflügelknorpels 
der  Reptilien  mit  dem  äusseren  Kiefersuspensorium  habe  ich  in  Ermangelung 
genügend  junger  Embryonen  allerdings  nicht  gesehen  •,  da  jedoch  sein  mediales 
Ende  dieselbe  Stelle  einnimmt  wie  nach  Rathke's,  Beobachtung  der  ursprüng- 
liche Stiel  des  Kiefersuspensoriums,  und  sein  laterales  Ende  ganz  entsprechend 
der  starken  Verschiebung  des  letzteren  nach  hinten  ebenfalls  dorthin  gerichtet 
ist,  so  halte  ich  es  für  mehr  als  wahrscheinlich,  dass  bei  den  Reptilien  die*nach 
Ursachen  und  Folgen  gleiche  frühzeitige  Trennung  der  Wurzel  oder  des  Stiels 
vom  äusseren  Theile  des  Kiefersuspensoriums  eintritt  wie  bei  den  Batrachiern 
und  Knochenfischen.  Dann  erscheint  es  aber  auch  erklärlich ,  dass  Rathke 
jenen  an  der  Schädelbasis  zurückgelassenen  Stiel,  weil  er  ihn  in  der  veränder- 
ten Lage  nicht  wiedererkannte,  sich  mit  dem  übrigen  Suspensorium  ablösen 
und  verkümmern  Hess  (Nr.  115  S.  126.  127).  Ist  einmal  der  Schläfenflügel- 
knorpel  der  Reptilien  bestimmt,  welcher  später  ebenso  wie  bei  den  Knochen- 
fischen in  das  Pro-octicum  aufgeht,  so  ergibt  sich  die  richtige  Deutung  des 
RATHKE'schen  Keilbeinflügels  von  selbst:  es  ist  bloss  ein  Parietale,  welches 
wegen  der  geringen  Ausbildung  des  eigentlichen  Keilbeinflügels  vor  demselben 
und  der  Ohrkapsel  bis  an  die  Schädelbasis  hinabreichen  kann.  Zum  Ueber- 
flusse  mache  ich  darauf  aufmerksam,  dass  er  niemals  den  sogenannten  hinteren 
Keilbeinkörper  berührt,  sondern  eine  gute  Strecke  davor  an  die  vorderen 
Wirbelbögen  oder  Schädelbalken  herantritt.  Nach  seiner  Entstehung  ist  er 
dem  Wirbelsystem  ebenso  fremd  wie  die  Ohrkapsel  oder  der  Schläfenflügel-, 
denn  die  Annahme  Rathke's,  dass  der  letztere  oder  sein  Kieferstiel  mit  dem 
Unterkiefer  und  Flügelgaumenbogen  gleich  einer  Rippe  aus.  der  Schädelbasis 
hervorwüchse  (Nr.  115  S.  78),  entbehrt  in  demselben  Masse  jede  direkte  Be- 
gründung, als  sie  indirekt  durch  den  Vergleich  mit  den  Batrachiern  widerlegt 
wird.  Die  Columella  der  Eidechsen  kann  nach  Rathke's  Vorgang  auf  Grund 
ihrer  Lagebeziehungen  sehr  wohl  mit  dem  Seitentheile  des  Parietale  der 
Schlangen  verglichen  werden  (Nr.  21  S.  13)-,  denn  ihre  besondere  Verbindung 


IX.   Der  Kopf.  715 

mit  dem  Flügelbein  lässt  sich  aus  der  bei  den  Schlangen  fehlenden  Anlagerung 
des  letzteren  an  die  Schädelbasis  erklären.  Jedenfalls  lässt  sich  das  Parietale 
der  Schlangen  mit  den  knorpeligen  Grundlagen  des  Alisphenoids  und  des 
Schädeldachs  der  Teleostier  ebenso  gut  vergleichen  wie  die  Orbito-Frontalia 
(vordere  Keilbeinflügel,  vorderes  Schädeldach)  beider  Formen;  und  da  das 
„Alisphenoid"  gar  zu  sehr  an  den  „Schläfenflügelknorpel"  erinnert,  so  wäre 
es  vielleicht  passender,  den  ersteren  Namen  ganz  aufzugeben  und  den  Orbito- 
Frontalia  die  Temporo-Parietalia  entgegenzustellen,  welche  beiden  in  wech- 
selnder Ausdehnung  sich  auf  je  einen  der  durch  ihren  Namen  'bezeichneten 
Theile  beschränken  können  (Orbitalia,  Frontalia;  Temporalia,  Parietalia). 

Ueber  die  Genese  des  Vogelschädels  weiss  ich  nichts  weiter  anzugeben 
als  was  schon  Rathke  bekannt  war  und  wonach  sie  in  den  vertebralen  Schädel- 
anlagen (Schädelbasis,  Occipitalring)  mit  der  bereits  betrachteten  Schädelent- 
wickelung namentlich  der  Reptilien  übereinstimmt.  —  Dasselbe  gilt  auch  von 
den  Säugethieren ,  deren  Keilbeinflügel  sich  übrigens  leicht  mit  dem  Orbital- 
und  Schläfenflügelknorpel  der  Batrachier  in  Parallele  bringen  lassen.  Die 
Uebereinstimmung  der  Schläfenflügel  halte  ich  wegen  ihrer  gleichen  Lage- 
beziehungen zur  Schädelbasis,  zur  Ohrkapsel  und  zum  Trigeminus  für  ge- 
sichert. Dann  braucht  man,  um  die  Homologie  der  vorderen  Flügel  vollstän- 
dig zu  machen,  zum  Bestände  des  von  mir  so  genannten  Orbitalflügels  der  Ba- 
trachier nur  noch  dessen  Wurzelstück  bis  zum  Austrittsloche  des  Opticus  hinzu- 
zurechnen (vgl.  Taf.  XVIII  Fig.  331).  Darnach  weicht  aber  auch  der  Säuge- 
thierschädel  hinsichtlich  seiner  vertebralen  Zusammensetzung  in  keinem  wesent- 
lichen Punkte  von  den  bereits  betrachteten  Schädeln  ab. 

Wenden  wir  uns  nun  zuletzt  zu  den  höheren  Knorpelfischen,  insbesondere 
den  Selachiern,  so  stimmt  das,  was  uns  Leydig  über  die  Genese  ihres  späteren 
Primordialkraniums  mittheilt  (Nr.  139  a.  a.  0.),  mehr  zu  meinen  Befunden  an 
den  übrigen  Wirbelthieren  als  zu  der  Auffassung  Gegenbaur's.  Leydig  gibt 
nämlich  an,  dass  die  „festen  Gehörkapseln"  erst  zur  Zeit,  wann  der  vordere 
Wirbelring  bereits  ausgefüllt  ist  und  der  Occipitalring  sich  zu  bilden  begonnen, 
mit  der  zwischen  ihnen  liegenden  Schädelbasis  kontinuirlich  verwachsen ,  und 
ist  offenbar  der  Ansicht,  dass  die  Knorpelsubstanz  auch  ausserhalb  der  genann- 
ten Theile  lokal  entstehe.  Wenn  also  Leydig  ein  kontinuirliches  Aufwachsen 
des  gesammten  knorpeligen  Primordialkraniums  von  der  Schädelbasis  nicht 
kennt,  Gegenbaur  es  aber  behauptet  (Nr.  135  S.  27 — 29),  so  dürften  doch  die 
zahlreichen  unzweifelhaften  Befunde  an  anderen  Wirbelthieren,   welche  ganz 


716  IX.   Der  Kopf. 

unvergleichlich  günstigere  Untersuclmngsobjekte  darbieten,  den  Ausschlag 
geben.  Berücksichtigt  man,  dass  die  Primordialschädel  aller  übrigen  Wirbel- 
thiere  aus  diskreten  und  ungleichwerthigen  Knorpelanlagen  hervorgehen, 
welche  in  den  einzelnen  Abtheilungen  in  verschiedenem  Grade  zu  einem  Kon- 
tinuum  verschmelzen  und  auswachsen,  sodass  das  fertige  Primordialkranium 
der  Batrachier  demjenigen  der  Selachier  an  Vollständigkeit  nicht  viel  nach- 
steht ,  so  stellt  das  letztere  eben  nur  die  letzte  Stufe  dieser  sekundären  Ausbil- 
dung dar,  ohne  dass  es  darum  in  seinen  Anlagen  irgendwie  von  den  anderen 
Wirbelthieren  abzuweichen  brauchte. 

Die  Ergebnisse  der  angeführten  vergleichenden  Betrachtungen  des  Primor- 
dialkraniums der  Wirbelthiere  sind  folgende.  1.  Nicht  nur  die  hintere  Hälfte 
desselben,  sondern  auch  die  vordere  enthält  Theile,  welche  Wirbelanlagen 
homolog  sind.  2.  Diese  Wirbelanlagen  erhalten  aber  durch  die  embryonale 
Kopfbeuge  in  beiden  Kopfhälften  eine  verschiedene  Lage,  indem  die  Bögen  im 
Hinterkopfe  gleichwie  im  Rumpfe  auf  den  horizontal  verlaufenden  Wirbelkörper- 
anlagen aufrecht  stehen,  im  Vorderkopfe  sich  horizontal  umlegen  und  daher  den 
zugehörigen  Wirbelkörperabschnitt  an  der  Chordaspitze  oder  der  Grenze  bei- 
der Hälften  zurücklassen.  3.  Dieser  vorderste  Wirbelring  und  der  Occipitalring 
sind  nebst  der  sie  verbindenden  Schädelbasis  die  einzigen  ursprünglichen  Schädel- 
wirbeltheile,  welche  allen  Wirbelthieren  gemeinsam  sind.  4.  Der  dem  Vorderkopfe 
angehörige  vordere  Wirbelring  entspricht  dem  ersten  Kopfsegment,  repräsentirt 
daher  einen  einzigen  Wirbel,  welcher  den  in  der  Grösse  sehr  wechselnden  vor  der 
Sattellehne  liegenden  Abschnitt  der  Schädelbasis  bildet  und  theilweise  seitlich 
auswachsen  kann  (orbitale  Schädelwand  der  Cyklostomen  und  Batrachier) ;  mit 
seinen  vorderen  Fortsetzungen  gehört  er  dem  Gesichte  an.  Die  Bögen  des 
zum  2.  Kopfsegment  gehörigen  Wirbelsegments  kommen  nirgends  zur  Ent- 
wickelung;  der  auf  das  3.  und  4.  Kopfsegment  gemeinsam  fallende  Occipital- 
ring enthält  ebendesshalb  die  stets  ungesonderten  Elemente  zweier  vollständigen 
Wirbel.  5.  Die  zwei  genannten,  nur  in  ihren  Basaltheilen  kontinuirlich  ver- 
bundenen, in  den  Bogentheilen  getrennten  Wirbelringe  bilden  das  Primordial- 
kranium nur  in  Gemeinschaft  mit  anderen  von  ihnen  unabhängig  entstehenden, 
nicht  vertebralen  Knorpeltheilen ,  welche  theils  dem  Wirbelsystem  fremden 
Organen  angehören,  wie  die  Ohrkapsel  und  das  den  2.  Kopfwirbelbogen  ver- 
tretende Schädelende  des  Kiefersusponsoriums  (Schläfcnflügelknorpelj,  theils 
den  Interkalarknorpeln  der  Rumpfwirbelsäule  verglichen  werden  können,  wie 
die  Orbito-Frontalia  und  Tempora-Parietalia  der  Knochenfische  und  Reptilien 


IX.    Der  Kopf.  717 

oder  das  den  ersten  Wirbelring  ausfüllende  Schlussstück  der  ganzen  Wirbel- 
reihe.* Die  Ohrkapsel  ist  ein  allen  Wirbelthieren,  der  Scbläfenflügelknorpel 
ein  den  meisten  von  ihnen  zukommender  Bestandtheil  des  Schädels-,  die  übrigen 
Schaltstücke  sind  weder  in  ihrem  Vorkommen ,  noch  in  ihrer  Lage  und  Aus- 
dehnung beständig  und  können  selbst  durch  Auswüchse  der  Wirbelbögen  theil- 
weise  ersetzt  werden.  6.  Die  vergleichende  Entwicklungsgeschichte  der  ver- 
schiedenen Primordialschädel  lehrt  uns  aber  nicht  nur,  dass  sie  weder  als  Kon- 
tinuum  noch  aus  lauter  homologen  Wirbelanlagen  entstehen,  sondern  vermag 
allein  uns  den  Weg  ihrer  phylogenetischen  Entwickelung  anzudeuten.  Wir 
erfahren  dadurch,  dass  die  Schädelanlagen  die  spätesten  Bildungen  des  Kopfes 
sind,  welche  sich  den  schon  vorhandenen  primär -morphologischen  Theilen 
(Hirn,  Sinnesorgane,  Wirbelsaite)  und  deren  charakteristischenLagebeziehungen 
von  kleinem  Anfange  aus  bis  zu  immer  grösserer  Ausdehnung  anpassen  und 
nicht  etwa  aus  einem  gleichartigen  früheren  Bestände  durch  jene  Theile  nach- 
träglich abgeändert  werden.  Eine  solche  Annahme  hat  nur  einen  Sinn ,  wenn 
man  den  knorpeligen  Wirbelanlagen  häutige  vorangehen  lässt,  welche  mit  ge- 
wissen fundamentalen  Segmenttheilen  identisch  wären  (vgl.  Gegenbattr  Nr. 
135  S.  26);  denn  dass  z.  B.  das  Gehörbläschen  früher  da  ist  als  irgend  eine  ver- 
tebrale  Knorpel  anläge ,  geht  aus  der  Entwicklungsgeschichte  aller  Wirbel  - 
thiere  ganz  unzweifelhaft  hervor.  Sie  weist  aber  auch  ebenso  entschieden  die 
Lehre  vom  häutigen  Primordialschädel  und  den  häutigen  Wirbeln  zurück.  Die 
Zusammensetzung  der  uns  vorliegenden  Primordialschädel  ist  also  nicht  ein 
Zeugniss  für  die  allmähliche  Umbildung,  der  seine  einfachen  und  gleichmässigen 
ursprünglichen  Grundlagen  unterlagen,  sondern  nur  ein  Ausdruck  für  die  vor 
seiner  Herstellung  bereits  erreichte  Entwickelungshöhe  des  Wirbelthierkopfes. 
Da  ferner  der  Schädel  früher  erscheint  als  die  Rumpfwirbelsäule,  so  dürfte  es 
konsequenter  sein,  in  seinen  von  der  Wirbelsaite  ausgehenden  Skelettheilen 
nicht  sowohl  durch  ungünstige  Bedingungen  nicht  zur  vollen  Entwickelung  ge- 
kommene Wirbelanlagen,  als  vielmehr  in  der  Rumpfwirbelsäule  eine  höhere 
Entwickelung  jener  im  Schädel  bereits  vorgebildeten  Skeletstücke  zu  sehen. 

Bei  der  embryologischen  Untersuchung  des  Schädelbaues  habe  ich  die 
Frage  nach  der  Wirbelnatur  des  Primordialschädels  im  allgemeinen  von  der 
besonderen  Bestimmung  der  einzelnen  vertebralen  Theile  gar  nicht  trennen 

*  Mir  scheint  es  richtiger,  nur  solche  Schädeltheile  mit  den  Interkalarknorpeln  zu  ver- 
gleichen, welche  neuen  der  Ergänzung  des  Wirheisystems  des  Schädels  keine  anderen  ur- 
sprünglichen Beziehungen  hahen;  daher  kann  ich  Rathke  nicht  heistimmen,  wenn  er  jenen 
Knorpeln  allein  die  Ohrkapsel  zur  Seite  stellt  (Nr.  21  S.  32). 


718  IX.   Der  Kopf. 

können,  weil  eben  die  letzteren  nicht  die  einzigen  Bestand th eile  des  Schädels 
sind  und  daher  von  den  übrigen  einzeln  unterschieden  weiden  mussten.  Indem 
aber  Gegenbatjr  zur  Ansicht  gelangte,  dass  die  hintere  Schädelhälfte  bloss  aus 
kontinuirlich  verbundenen  Wirbeln  entstehe,  musste  er  die  Bestimmung  ihrer 
Zahl  und  Lage  zum  Gegenstande  einer  besonderen  Untersuchung  machen.  Da 
er  nun  von  der  Ueberzeugung  ausgeht,  dass  die  Unzulänglichkeit  der  Entwicke- 
lungsgeschichte  in  diesem  Punkte  feststehe  (Nr.  135  S.  301),  sucht  er  seine 
Aufgabe  dadurch  zu  lösen ,  dass  er  die  den  fraglichen  Wirbeln  zu  Grunde  lie- 
genden, den  Rumpfsegmenten  homologen  Abschnitte  aus  den  Merkmalen  der 
vollendeten  anatomischen  Formen  nachweist.  Dabei  leiten  ihn  die  Nerven  als 
die  beständigsten,  mindest  wandelbaren  Theile  (Nr.  134,  Nr.  135,  S.  264 — 293). 
Die  der  vertebralen  Schädelhälfte  angehörigen  Kopfnerven,  also  den  N.  olfac- 
torius  und  N.  opticus  ausgenommen,  werden  nun  durchweg  für  Homologa  der 
Spinalnerven  erklärt ;  und  da  sie  mit  den  ventralen  Hauptästen  je  einen  Vis- 
ceralbogen  versorgen,  in  welchen  Bögen  sich  eine  Metamerenbildung  gleich 
derjenigen  des  Rumpfes  offenbare,  wo  auf  jedes  Metamer  je  ein  Spinalnerv 
komme  (Nr.  135  S.  257),  so  müssten  im  Kopfe  ursprünglich  so  viele  gesonderte 
Spinalnerven  bestanden  haben,  als  es  Visceralbögen  gibt.  Da  jedoch  an  den 
letzteren  eine  Reduktion  nicht  zu  verkennen  sei,  so  bezeichneten  die  noch  be- 
stehenden Visceralbögen  die  Minimalzahl  der  ursprünglichen  und  nur  allmäh- 
lich vielfach  miteinander  verschmolzenen  spinalen  Kopfnervenstämme  (Nr.  135 
S.  278).  Doch  erklärt  Gegenbaur  die  beiden  Kiefernerven  nur  mit  Vorbehalt 
für  die  ventralen  Aeste  zweier  Spinalnervenhomologa ,  weil  auch  ihm  die  Vis- 
ceralbogennatur  des  ersten  zugehörigen  Bogens,  nämlich  des  Labialbogens,  nicht 
ganz  unzweifelhaft  erscheint.  Der  R.  ophthalmicus  sei  der  dorsale  Ast,  die 
Augenmuskelnerven  die  motorischen  Zweige  des  1.  und  2.  Trigeminusastes 
(Nr.  135  S.  286 — 290).  Der  N.  facialis  mit  dem  N.  palatinus  stelle  den  Haupt- 
nervenstamm  des  Zungenbeinbogens  vor,  wozu  sich  der  N.  acusticus  als  R.  dor- 
salis  gesellt  (S.  280 — 286).  Hinter  dem  N.  glosso  - pharyngeus ,  dem  ersten 
Kiemennervenstamm,  stelle  der  N.  vagus  einen  Komplex  von  mindestens  fünf 
solchen  ebenso  vielen  Spinalnerven  entsprechenden  Stämmen  dar,  woran  die 
Hypothese  geknüpft  wird,  dass  der  R.  lateralis  und  R.  intestinalis  als  umgebil- 
dete Reste  von  verloren  gegangenen,  d.  h.  in  das  Darmrohr  umgewandelten 
Kiemenbögen  zurückgeblieben  seien  (S.  264 — 280).  Aus  diesen  mindestens 
neun  nach  dem  Typus  der  Spinalnerven  angelegten  Kopfnervenstämmen  der 
Selachier  ergebe  sich  die  gleiche  Zahl  von  ursprünglichen  Metameren  des  verte- 


IX.   Der  Kopf.  719 

bralen  Kopfabschnittes  und  folglich  von  ursprünglichen,  später  durch  Konkrescenz 
verbundenen  Wirbelsegmenten  des  vertebralen  Primordialkraniums  (S.  290— 293). 

Soweit  sich  diese  Ausführungen  Gegenbaur's  auf  die  ursprünglichen  Me- 
tameren  und  Wirbelsegmente  des  Kopfes  beziehen,  kann  ich  ihnen  mit  dem 
kurzen  Hinweise  darauf  begegnen,  dass  während  er  eine  grössere  Zahl  jener 
Theile  auf  indirekte  Weise  wahrscheinlich  zu  machen  sucht,  die  Entwickelungs- 
geschichte,  wie  ich  gezeigt  habe,  vier  Kopfsegmente  und  die  zugehörigen 
Schädelwirbelanlagen  direkt  und  mit  aller  Bestimmtheit  nachweist  und  dadurch 
die  endgiltige  Entscheidung  fällt.  Aber  auch  hinsichtlich  der  anderen  wich- 
tigen Verhältnisse  der  Kopfbildung,  aufweiche  näher  einzugehen  Gegenbaub 
bei  seiner  Beweisführung  sich  veranlasst  sah ,  namentlich  hinsichtlich  der  Spi- 
nalnervennatur der  Kopfnerven  und  der  Metamerenbildung  und  Homologie  der 
Visceralbögen  stimmen  die  Ergebnisse  der  GEGENBAUR'schen  Untersuchungen 
mit  den  embryologischen  Befunden  nicht  überein.  Zur  leichteren  Uebersicht 
werde  ich  im  Folgenden  die  beiderlei  Auffassungen,  und  zwar  zuerst  mit  Bezug 
auf  die  Kopfnerven,  dann  auf  die  Visceralbögen  vergleichend  betrachten. 

Bei  der  Untersuchung  der  Kopf  nerven  handelt  es  sich  zunächst  um 
ihre  Zugehörigkeit  zu  den  ganzen  hintereinander  liegenden  segmentalen  Ab- 
theilungen des  Kopfes,  ferner  um  ihre  Unterscheidung,  je  nach  dem  Ursprünge 
aus  dem  inneren  oder  äusseren  Segmente  des  mittleren  Keimblattes  oder  aus 
anderen  Embryonalanlagen  jeder  Abtheilung.  Zu  den  letzteren  gehören  der 
Sehnerv  und  die  Seitemierven  als  Erzeugnisse  des  oberen  Keimblattes;  die 
übrigen  Kopfnerven  entstehen  aus  dem  mittleren  Keimblatte.  Gegenbaub. 
vertheilt  dagegen  alle  Kopfnerven  auf  seine  beiden  grundlegenden  Abschnitte 
des  Kopfes  in  der  Art,  dass  der  Olfactorius  und  Opticus  auf  den  prävertebralen, 
alle  übrigen  auf  den  vertebralen  Theil  kommen.  Jene  beiden  Sinnesnerven 
seien  mit  den  anderen  Kopf-  und  den  Spinalnerven  des  Rumpfes  nicht  ver- 
gleichbar ,  einmal  weil  sie  in  ihren  Stämmen  als  zum  Gehirn  gehörige  Central- 
organe  sich  ergeben,  und  ferner  weil  der  prävertebrale  Kopftheil  eine  Meta- 
merenbildung überhaupt  entbehre  (Nr.  135  S.  290 — 292).  Da  es  nun  aber 
einen  prävertebralen,  von  der  Metamerenbildung  ausgeschlossenen  Kopftheil 
nicht  gibt,  so  können  auch  jene  beiden  Sinnesnerven  die  ihm  eigenthümlichen 
Nervenbildungen  nicht  darstellen ;  sie  fallen  vielmehr  mit  dem  ganzen  Trigemi- 
nus,  den  vorderen  Seitennerven  mit  inbegriffen ,  und  den  Augenmuskelnerven 
gemeinsam  in  den  Bereich  der  ersten  segmentalen  Kopfabtheilung  (Vorder- 
kopf).    Auch  kann  ihre  Bedeutung  als  Centralorgane  gegen  ihre  Vergleichung 


720  IX-  Der  Kopf. 

mit  peripherischen  Nerven  gar  nicht  aufgeführt  werden,  da  die  embryologi- 
schen Beweise,  auf  welche  sich  Gegenbaur  dabei  stützt,  nicht  stichhaltig 
sind.  Für  den  Olfactorius  der  Batrachier  habe  ich  nachgewiesen,  dass  sein 
Stamm  nicht  aus  einer  unmittelbaren  Verschmelzung  der  Geruchsplatte  und 
des  Vorderhirns,  sondern  durch  Vermittelung  einer  zwischengelagerten  Masse 
des  mittleren  Keimblattes  entsteht  (S.  331).  Und  wenn  ich  dabei  auch  der 
Vermuthung  Raum  gab,  dass  später  auch  Elemente  des  Hirns  in  jene  ursprüng- 
liche Nervenbrücke  einwandern,  so  scheint  mir  doch  die  Annahme,  dass  die 
letztere  auf  jene  Weise  endlich  durch  einen  specifischen  Hirntheil  vollständig 
ersetzt  werde ,  ebenso  unbegründet  wie  etwa  die  Bezeichnung  der  in  ähnlicher 
Weise  entstehenden  Spinalnervenwurzeln  als  besondere  Centralorgane.  *  Wenn 
ich  aber  gleichfalls  den  Tractus  olfactorius  ausser  allen  Vergleich  mit  den 
übrigen  aus  dem  mittleren  Keimblatte  hervorgehenden  Nervenstämmen  stelle, 
so  geschieht  es  desshalb ,  weil  ihm  die  ursprüngliche  morphologische  Anlage 
fehlt,  w eiche  jene  auszeichnet,  er  vielmehr  aus  einer  sekundären  Anpassung 
eines  morphologisch  indifferenten  Theils  an  besondere  lokale  Formverhältnisse 
sich  entwickelt.  —  Hinsichtlich  des  Opticus  kann  seine  Auffassung  als  Central- 
organ  nur  auf  der  bisher  üblichen  Vorstellung  beruhen,  dass  die  Augenanlage 
ein  wirklicher  Auswuchs  des  Hirns  sei.  Diese  Vorstellung  ist  aber  nach  meinen 
Untersuchungen  für  das  Auge  nicht  weniger  unstatthaft  wie  für  das  Geruchs- 
und Gehörorgan  (S.  180);  soll  daher  der  Opticus  nach  seiner  Genese  —  denn 
nach  seinem  anatomisch-physiologischem  Verhalten  unterscheidet  er  sich  von 
allen  übrigen  Nervenwurzeln  in  keinem  wesentlichen  Punkte  —  sich  als  Central- 
organ  ausweisen ,  so  liegt  kein  Grund  vor ,  dieselbe  Bedeutung  der  Netzhaut, 
der  Geruchsplatte  und  den  epithelialen  Bildungen  des  Labyrinths  vorzuenthal- 
ten, welche  gemeinsam  aus  der  von  der  Hirnanlage  abgegliederten  Sinnesplatte 
hervorgehen.  Wenn  wir  aber  diese  Organe  als  peripherische  Endapparate  dem 
Centralnervensystem  entgegensetzen,  so  ergibt  sich  daraus,  dass  eine  solche 
Unterscheidung  lediglich  aus  physiologischen  Anschauungen  hervorging,  und 
dass  wir  auf  Grund  derselben  den  Opticus  nicht  weniger  als  den  Olfactorius 
oder  Acusticus  als  die  vermittelnden  Leiter  oder  als  peripherische  Nerven  anzu- 
sehen haben,  welche  aber  durch  ihre  Entwickelung  jede  Verwandtschaft  mit 

*  Bei  gewissen  Wirbelthieren,  z.  B  den  Plagiostomen,  mag  die  Höhlung  des  Tractus 
olfactorius  dafür  zu  sprechen  scheinen,  dass  es  ein  Hirnauswuchs  sei;  wenn  sich  dies  aber 
auch  bewahrheiten  sollte,  so  ist  damit  noch  nicht  gesagt,  dass  auch  dem  endstäudigen  Bul- 
bus dieselbe  Bedeutung  zukomme  und  er  dadurch  von  der  Homologie  mit  dem  Geruchs- 
nerven der  Batrachier  ausgeschlossen  wäre. 


IX.   Der  Kopf.  721 

allen  eigentlich  segmentalen  Nerven  entbehren.  Dasselbe  gilt  von  den  Seiten- 
nerven. Da  der  vordere  Seitennerv  der  Anurenlarven  sich  nachträglich  mit 
dem  Trigeminus  verbinden  kann ,  wesshalb  ihn  schon  Fischee  als  Zweig  des 
letzteren  beschrieb  (Nr.  82  S.  59),  so  ist  es  nicht  unwahrscheinlich,  dass  er  in 
gewissen  dorsalen  Trigeminusästen  namentlich  der  Teleostier  Homologa  findet 
(vgl.  Stannius  Nr.  80  I  S.  155),  welche  alsdann  vom  übrigen  Trigeminus  prin- 
cipiell  geschieden  werden  müssen.  —  Von  segmentalen  Nerven  enthält  der 
Vorderkopf  den  Trigeminus  und  die  Augenmuskelnerven.  Bei  der  Deutung 
dieser  Nervengruppe  schwankt  Gegenbaur  allerdings  hinsichtlich  der  Zahl 
der  von  ihr  vertretenen  Metameren;  indem  er  ihr  aber  ausschliesslich  den 
Charakter  von  Spinalnerven  zuerkennt,  bleibt  die  Ansicht,  dass  sie  bloss  einen 
Spinalnerv  repräsentire,  nicht  viel  weniger  fehlerhaft  als  die  Annahme  zweier 
Spinalnerven,  welcher  Gegenbaur  übrigens  den  Vorzug  zu  geben  scheint,  da 
sie  in  der  von  ihm  ausgeführten  Tabelle  allein  zum  Ausdruck  kommt  (Nr.  135 
S.  293).  Der  Trigeminus  und  die  Augenmuskelnerven  der  Batrachier  ent- 
wickeln sich  innerhalb  der  einen  segmentalen  Abtheilung  des  Kopfes  allerdings 
aus  zwei  Anlagen,  welche  aber  nicht  gleichwerthig  sind,  sondern  den  zweierlei 
Theilen  jedes  ganzen  Segments  entsprechen.  Sie  verhalten  sich  folglich  zu 
einander  wie  die  Nerven  der  aus  äusseren  Segmenten  sich  entwickelnden 
Rumpfgliedmassen  zu  den  mit  ihnen  verbundenen  Spinalnervenstämmen:  der 
N.  nasalis  mit  den  Augenmuskelnerven  repräsentirt  den  durch  die  abweichen- 
den Lagebeziehungen  des  ersten  Kopfsegments  in  seinem  Verlaufe  veränderten 
und  nachträglich  zersplitterten  Spinalnervenstamm,  die  zwei  Kiefernerven  sind 
aber  die  mit  ihm  verbundenen  Homologa  der  Extremitätennerven.  Die  theil- 
weise  Zersplitterung  und  anderseits  die  Verbindung  der  beiden  ursprünglichen 
Anlagen  erfolgen  erst  im  Laufe  der  individuellen  Entwickelung ;  und  da  diese 
Umbildung  selbst  in  so  nahverwandten  Kreisen  wie  die  einzelnen  Batrachier- 
gruppen  es  sind ,  mannigfach  wechselt  (vgl.  Fischer  Nr.  82),  so  kann  aus  den 
ähnlichen  Abweichungen  bei  den  übrigen  Wirbelthieren  ein  Argument  gegen 
die  Gleichartigkeit  der  ersten  Anlagen  bei  ihnen  allen  nicht  entnommen 
werden. 

Ganz  ähnlich  wie  diese  Nerven  in  der  ersten  segmentalen  Kopfabtheilung 
verhält  sich  in  der  zweiten  die  Doppelanlage  des  Gesichts-  und  Gaumennerven, 
welche  genetisch  ebenso  wenig  zu  einander  wie  mit  dem  Acusticus  zusammen- 
gehören, wie  es  Gegen'baur  annimmt.  Wenn  er  ferner  die  gesonderte  Anlage 
des  Acusticus  und  den  Mangel  eines  Ganglions  an  diesem  rein  sensiblen  Aste 

Goette,  Entwickelungsgeschichte.  46 


722  IX-    Der  Kopf. 

dadurch  erklärt  findet,  dass  die  Bildung  der  Spinalganglien  wie  die  Verbindung 
der  beiden  Spinalnervenwurzeln  lediglich  aus  sekundären  Vorgängen  resultiren 
(Nr.  135  S.  284),  so  muss  ich  diese  bestimmte  Behauptung,  mag  sie  nun  einer 
mir  unbekannten  embryologischen  Quelle,  oder,  wie  es  wahrscheinlicher  ist, 
einer  allgemeinen  Ueberlegung  entnommen  sein,  als  durchaus  unzutreffend  be- 
zeichnen; denn  der  ganze  Spinalnerv  mit  seinen  beiden  Wurzeln  und  seinen 
dorsalen  Zweigen  spinnt  sich  gerade  von  der  ursprünglichen  Anlage  des  Gang- 
lions aus  (S.  479.  485).  Uebrigens  habe  ich  meine  Ansicht  über  den  Acusticus 
als  peripherischen  Nerven  bereits  ausgesprochen.  —  Der  N.  glosso-pharyngeus 
und  N.  vagus  enthalten  überhaupt  keine  Elemente,  welche  mit  Spinalnerven 
übereinstimmten ;  sie  gehören  bloss  zwei  äusseren  Segmenten  an.  Damit  fallen 
alle  Versuche  Gegenbaur's,  in  ihnen  eine  grössere  Anzahl  spinaler  Nerven 
nachzuweisen ,  besonders  da  die  zu  demselben  Zwecke  herangezogene  „Meta- 
merenbildung"  der  Visceralbögen ,  wie  ich  gleich  zeigen  werde ,  auf  eine  solche 
Bezeichnung  gar  keinen  Anspruch  hat.  Die  Verzweigung  und  selbst  vollstän- 
dige Spaltung  des  Vagus  kann  aber  dabei  um  so  weniger  von  Belang  sein,  als 
das  analoge  Verhalten  der  Augenmuskelnerven  Gegenbaue  zu  keiner  solchen 
Auffassung  provocirt  hat.  Dass  der  R.  intestinalis  und  die  Rr.  laterales  des  Vagus 
ursprünglich  weder  zum  letzten  Nervenstamme  des  Kopfes  noch  überhaupt  zu 
den  segmentalen  Bildungen  gehören,  wird  aus  meiner  Beschreibung  genügend 
erhellen.  Den  N.  hypoglossus  hält  Gegenbaur  für  einen  Theil  des  Vagus- 
komplexes (Nr.  134  S.  530.  531,  Nr.  135  S.  269);  wenn  wir  ihn  aber  nach 
seinem  Wirkungsbereich  überall  zu  den  Fortsetzungen  der  ersten  Rumpfseg- 
mente (Mm.  genio-hyoidei  etc.)  gehören  sehen,  und  wenn  er  auch  wie  bei  den 
Batrachiern  thatsächlich  aus  einem  Spinalnerven  sich  entwickelt,  ihn  nachträg- 
lich mit  dem  Vagus  verbunden  finden  (vgl.  Fischer  Nr.  82  S.  63),  so  scheint  mir 
die  Annahme  berechtigt,  dass  auch  bei  den  höheren  Wirbelthieren  der  N.  hypo- 
glossus ursprünglich  aus  dem  ersten  SjDinalnerven  hervorgehe  und  mit  dem 
Vagus  nur  eine  sekundäre  Anastomose  eingehe ,  welche  in  Folge  eines  über- 
wiegenden Wachsthums  das  Aussehen  des  eigentlichen  Nervenursprungs  erwirbt. 
Für  solche  den  genetischen  Zusammenhang  der  Nervenursprünge  verdeckende 
Umbildungen  besitzen  wir  eine  ganze  Reihe  von  Analogien,  z.  B.  an  dem  eben 
erwähnten  Eingeweideast  des  Vagus,  welcher  fälschlich  für  den  Stamm  dessel- 
ben gilt,  dann  am  Armgefiecht,  wo  die  eigentliche  Fortsetzung  der  zugehörigen 
Spinalnervenwurzeln  nicht  gemäss  der  gewöhnlichen  Auffassung  in  den  Arm- 
nerven selbst,  sondern  in  den  schwachen  Brustzweigen  derselben  zu  suchen  ist 


IX.   Der  Kopf.  723 

(vgl.  S.  487)  u.  s.  w.  Es  würde  alsdann  die  GEGENBAUR'sche  Auffassung  den 
anatomisch-physiologischen  Verhältnissen  der  erwachsenen  Thiere,  die  mehlige 
dem  genetischen  Zusammenhange  entsprechen. 

In  ganz  ähnlicher  Weise  wie  die  Kopfnerven  weder  unter  sich  noch  mit  den 
Spinalnerven  völlig  übereinstimmen,  unterscheiden  sich  die  Visceralbögen 
von  der  Leibeswand  des  Rumpfes.  Was  zunächst  ihre  von  Gegenbaür  behaup- 
tete Homologie  mit  den  segmentalen  Abtheilungen  des  Rumpfes  betrifft,  so 
muss  ich  hier  noch  einmal  auf  das  eigenthümliche  Verhältniss  der  Metameren- 
bildung  in  der  Schlundwand  zurückkommen.  Die  Metamerenbildung  ist  lange 
nicht  in  allen  Theilen,  an  denen  sie  später  erscheint,  ein  und  derselbe  Vorgang, 
sondern  betrifft  primär  nur  die  dorsalen  Segmente  des  mittleren  Keimblattes. 
Der  Satz,  dass  die  Metamerenbildung  der  Schlundwand  nothwendig  den  dor- 
salen Kopftheil  in  Mitleidenschaft  gezogen  haben  müsse  (Nr.  13ö  S.  257)  be- 
ruht daher  auf  einer  ganz  irrigen  Anschauung ,  indem  die  primäre  Metameren- 
bildung des  Kopfes  ebenfalls  nur  von  dessen  dorsalen  Segmenten  abhängig  ist. 
Die  ursprünglichen  Segmente  übertragen  nun  ihre  Eintheilung  auf  die  übrigen 
Embryonalanlagen  erst  sekundär,  durch  sehr  verschiedene  Anpassung  und  in 
verschiedenen  Perioden  (S.  246).  Ein  Beispiel  dafür  sind  die  Wirbel,  von  deren 
Körpern  immer  je  eine  vordere  und  hintere  Hälfte  einem  und  demselben  Seg- 
mente entsprechen ,  während  von  ihren  an  den  Segmentgrenzen  entstehenden 
Fortsätzen  (Bögen,  Rippen)  eigentlich  gar  nicht  gesagt  werden  kann,  ob  sie 
zum  vorderen  oder  hinteren  Segmente  gehören.  In  anderen  Fällen  wird  die 
ursprüngliche  Metamerenbildung  durch  die  Verschiebung  gewisser  segmentaler 
Systeme  in  den  Bereich  anderer  geradezu  verwischt.  Das  Vorrücken  der  vor- 
dersten ventralen  Rumpfsegmente  an  die  Bauchseite  des  Kopfes  stört  bereits 
die  durchgehende  segmentale  Eintheilung  desselben,  da  die  betreffenden  Mus- 
keln (Mm.  sterno-,  genio-hyoidei)  im  Bereiche  des  Kopfes  nur  vom  ersten 
Rumpfnerven  (N.  hypoglossus)  versorgt  werden,  also  höchstens  zwei  Segmente 
auf  der  ganzen  dorsalwärts  von  den  vier  Kopfsegmenten  beherrschten  Strecke 
darstellen  (vgl.  S.  466).  Eine  noch  intensivere  Störung  wird  durch  die 
Schlundfalten  herbeigeführt.  Ich  habe  ihre  Entstehung  dadurch  wahrschein- 
lich zu  machen  gesucht ,  dass  das  bei  der  Abschnürung  des  Kopfes  in  den- 
selben hineingezogene  Darmblatt  nur  im  dorsalen  Theile  die  entsprechende 
ebene  Ausdehnung  erfährt,  in  den  Seitenplatten  aber  bei  der  geringeren  Aus- 
dehnung der  Unterlage  zu  Faltungen  veranlasst  wird,  welche  sich  im  allge- 
meinen den  Segmenten  anpassen  (S.  222 — 225.  247.  262).    Die  drei  ersten 

46* 


724  IX-   Der  Kopf. 

Schlundfalten  werden  dabei  durch  die  drei  ersten  lateralen  Kopfsegmente  und  zwar 
durch  deren  an  Masse  anfangs  noch  überwiegenden  dorsalen  Theile  bestimmt; 
dies  ergibt  sich  daraus,  dass  die  Anlagen  jener  Schlundfalten  an  der  Decke  der 
Schlundwand  in  unmittelbarer  Anpassung  an  die  bezeichneten  Segmenttheile 
und  weiter  abwärts,  wo  die  letzteren  noch  fehlen  oder  zunächst  nur  in  dünnen 
Strängen  vorhanden  sind,  dennoch  in  den  gleichen  Proportionen  wie  oben  er- 
scheinen (Taf.  VI  Fig.  98—107,  Taf.  VII  Fig.  121—126).  Da  jedoch  schon 
vor  der  Entwicklung  der  vierten  Schlundfalte  das  vierte  laterale  Kopfsegment 
im  Bereiche  des  Darmblattes  sich  zu  einer  breiten  aber  dünnen  Platte  aus- 
gedehnt hat,  welche  an  der  Grenzeinschnürung  des  Kopfes  unmerklich  in  die 
laterale  Segmentschicht  des  Kopfes  übergeht  (Fig.  123.  124),  so  kann  dieselbe 
die  folgende  Schlundfalte  nicht  mehr  bestimmen,  und  diese  wie  die  fünfte  ent- 
stehen beide  mitten  im  Bereich  des  vierten  Kopfsegments  unter  anderen  Form- 
bedingungen als  die  drei  ersten  Falten.  Diese  Bedingungen  setzen  sich  fol- 
gendermassen  zusammen.  Der  Kopf  wächst,  wie  ich  es  schon  früher  erwähnte, 
ungleichmässig  hervor  (S.  647).  Während  im  Rumpfe  die  Ausdehnung  der 
Segmente  von  den  mächtigeren  Stammtheilen  abhängt,  welche  die  dünnen 
Platten  der  lateralen  Segmente  mit  sich  ziehen,  können  im  Kopfe  die  an  Masse 
überwiegenden  und  von  den  Stammsegmenten  völlig  unabhängigen  Aussenseg- 
mente  über  die  Grenzen  der  letzteren  hinaus  sich  ausbreiten.  Die  Veranlassung 
dazu  findet  insbesondere  das  4.  laterale  Kopfsegment  in  der  seine  untere  Hälfte 
enthaltenden  und  während  der  Faltenbildung  sich  ansehnlich  ausdehnenden 
Schlundwand.  So  verschieben  sich  die  hinteren  Aussensegmente  über  den  Be- 
reich ihrer  rudimentären  Stammsegmente  rückwärts,  wogegen  das  1.  Stamm- 
segment des  Rumpfes  keilförmig  zwischen  sie  vorrückt  (Taf.  VI,  Taf.  VII). 
Während  nun  das  Darmblatt  vom  4.  lateralen  Kopfsegmente  nicht  weiter  be- 
einflusst  wird,  schmiegt  es  sich  jenem  ersten  Rumpfsegmente  ebenso  an  wie  allen 
übrigen  (S.  247)  und  springt  folglich  an  der  eingezogenen  vorderen  und  hin- 
teren Segmentgrenze  mit  zwei  queren  Leisten  vor,  welche  weiter  abwärts  die 
Bildung  der  beiden  letzten  Schlundfalten  im  Bereiche  des  vierten  lateralen 
Kopfsegments  bestimmen,  obwohl  sie  nach  ihrem  Substrat  und  ihren  Bildungs- 
ursachen dem  Rumpfe  angehören.  *  So  ist  es  verständlich ,  dass  die  durch  die 
beiden  letzten  Schlundfalten  erzeugten  drei  Kiemenbögen  nicht  aus  einer  ein- 


*  Ich  habe  leider  versäumt,  jene  Anpassung  des  Darmblattes  an  die  Rumpf segmente 
abzubilden,  und  kann  daher  dieselben  nur  am  Axenstrange  des  Darmblattes  demonstriren 
(Fig.  123). 


IX.   Der  Kopf.  725, 

fachen  Metamerenbildung,  sondern  aus  einem  sehr  komplicirten  Vorgange 
resultiren,  wobei  eine  sekundäre  Segmentirung  des  Rumpfes  in  Folge  nachträg- 
licher Verschiebung  das  eigentliche  letzte  Metamer  des  Kopfes  mehrfach  spal- 
tet; folglich  können  sie  weder  als  Metameren  des  Kopfes  noch  überhaupt  als 
primäre  Metameren  bezeichnet  werden.  Was  aber  für  die  zwei  letzten  Schlund- 
falten  der  Batrachier  gilt,  muss  bei  der  sonstigen  Uebereinstimmung  offenbar 
auch  für  die  drei  letzten  Schlundfalten  der  meisten  Fische  gelten ,  deren  Zahl 
bekanntlich  nur  selten  um  eine  oder  zwei  überschritten  wird.  —  Das  Ergebniss 
dieser  Untersuchung  lautet  daher:  der  Unterkiefer-,  Zuagenbein-  und  erste 
Kiemenbogen  sind  die  ventralen  Abschnitte  der  drei  ersten  Metameren  des 
Kopfes,  die  übrigen  Kiemenbogen  dagegen  Spaltungsprodukte  eines  einzigen 
Metamers.  Da  sich  dies  natürlich  auch  auf  die  in  den  Bögen  eingeschlossenen 
Nerven  bezieht,  so  werden  auch  von  dieser  Seite  her  die  betreffenden  Vagus- 
zweige genetisch  einem  einzigen  Stamme  zugewiesen.  Schon  dadurch  ist  eine 
völlige  Homologie  der  ganzen  Visceralbögen  unter  sich  widerlegt,  und  es 
bliebe  noch  zu  erwägen,  wie  weit  sie  bei  Nichtberücksichtigung  des  Metameren- 
charakters  die  von  Gegenbaur  befürwortete  gleichwertige  Zusammensetzung 
zeigen. 

Für  den  Kiefer-  und  Zungenbeinbogen  führt  Gegenbaur  zunächst  den 
Nachweis,  dass  sie  in  den  früheren  Stammformen  der  Selachier  ebenfalls  voll- 
ständige Kiemen  getragen  hätten,  und  da  die  Gleichartigkeit  der  Funktion  auf 
ein  gleichartiges  morphologisches  Verhalten  schliessen  lasse,  auch  im  Bau  der 
Skelettheile  einfache  Kiemenbogen  gewesen  seien,  welche  nur  durch  spätere 
Anpassungen  sich  zu  ihrer  gegenwärtigen  Gestalt  entwickelt  hätten  (Nr.  135 
S.  183— 18G.  205—211.  231.  236).  Auch  die  Labialknorpel  werden  den 
kiementragenden  Bögen  gleichgestellt,  obgleich  dieselbe  Funktion  in  zurück- 
liegenden Bildungszuständen  für  sie  nur  wahrscheinlich  gemacht ,  nicht  bewie- 
sen werden  könne  (S.  228 — 230).  Ferner  seien  alle  diese  Bögen  namentlich 
wegen  ihrer  Innervirung  als  zum  Kopfe  gehörig  zu  betrachten;  und  da  ihre 
Skeletbögen,  wenn  auch  wegen  des  Mangels  der  serösen  Leibeshöhle  im  Kopfe 
den  Rippen  nicht  vollständig  homodynam,  so  doch  im  allgemeinen  homolog  er- 
scheinen ,  so  müsse  für  sie  ein  gleicher  ursprünglicher  Kontinuitätszusammen- 
hang  mit  den  zugehörigen  Wirbelanlagen  wie  für  die  Rippen  vorausgesetzt, 
d.  h.  alle  Visceralskeletbögen  als  untere  Bogenbildungen  des  vertebralen 
Schädeltheils  aufgefasst  werden  (S.  252 — 257).  —  Gegenbaur  stützt  sich  bei 
diesem  Vergleiche  auf  die  im  besten  Falle  nur  wahrscheinlich  gemachte  ana- 


726  IX-   Der  Kopf. 

tomische  Uebereinstimmung  der  fraglichen  Theile ;  aber  die  anatomische  Aehn- 
lichkeit  allein  erlaubt  nicht  einmal  auf  die  Gleichwerthigkeit  der  verschiedenen 
Abschnitte  eines  kontinuirlichen  Theils,  also  noch  viel  weniger  diskreter  Theile 
mit  aller  Sicherheit  zu  schliessen.  Oder  ist  nicht  der  Körper  des  Steissbeins 
der  Anuren  in  seinem  hinteren  Abschnitte,  welcher  nur  aus  dem  hypochor- 
dalen  Knorpelstabe  entsteht ,  wesentlich  verschieden  von  dem  kurzen ,  bogen- 
tragenden  Vordertheile ,  dessen  Knorpel  die  theilweise  ebenfalls  verknorpelnde 
Wirbelsaite  einschliesst?  Und  wenn  die  unteren  Bögen  und  die  Rippen  der- 
selben oder  verschiedener  Thiere  noch  so  ähnlich  erscheinen,  so  ergibt  sich 
doch  ihre  Ungleichwerthigkeit  aus  der  Entwickelungsgeschichte  mit  voller  Be- 
stimmtheit (S.  392.  393.  425  u.  flg).  Ebenso  gewiss  ist  aber  auch  die  geneti- 
sche Verschiedenheit  der  Visceralskeletbögen  unter  sich  und  im  Vergleich  mit 
unteren  Wirbelbögen  zunächst  bei  den  Batrachiern  und  Knochenfischen  und  in 
Folge  dessen  sehr  wahrscheinlich  auch  bei  den  übrigen  Wirbelthieren,  in  erster 
Reihe  bei  den  Selachiern.  Die  Visceralskeletbögen  entsprechen  den  Schädel- 
wirbeln weder  in  der  Zahl ,  noch  wachsen  sie  überhaupt  aus  denselben  hervor, 
unterscheiden  sich  also  in  ihrer  Entwickelung  von  den  Rippen  und  unteren 
Wirbelbögen  ganz  wesentlich ,  wie  sie  denn  auch  zu  ganz  anderen  Muskel-  und 
Nervengruppen  in  Beziehung  treten.  Auch  sind  die  Knorpelbögen  der  Kiemen 
(bei  den  Selachiern  die  inneren  Kiemenbögen)  als  Erzeugnisse  der  Seitenplatte 
wohl  den  Zungenbeinknorpeln  nicht  aber  den  Knorpeln  des  Kieferbogens  homo- 
log, welche  als  Skelettheile  eines  gürtelförmig  die  inneren  Körpertheile  um- 
wachsenden äusseren  Segmentpaars  ausschliesslich  den  Skeletgürteln  der 
Rumpfgliedmassen  an  die  Seite  gestellt  werden  dürfen.  Der  Schwund  der 
Seitenplatte  im  Unterkieferbogen  kann  dabei  die  Homologie  ebenso  wenig 
stören ,  als  der  Mangel  der  Rumpfhöhlenbildung  innerhalb  des  Beckengürtels 
dessen  Gleichwerthigkeit  mit  dem  Brustgürtel  aufhebt.  Dagegen  ist  allerdings 
die  Gesammtheit  der  aus  den  äusseren  Segmenten  jedes  Kiemenbogens  und  des 
Zungenbeinbogens  hervorgehenden  Bildungen  (Muskeln,  Nerven ,  Kiemenstrah- 
len) mit  der  Masse  einer  Rumpfextremität  ebenfalls  vergleichbar ,  sodass  eine 
solche  nach  der  Sonderung  der  Einzeltheile  vor  jenen  Organkomplexen  eben 
nur  den  die  Aussentheile  tragenden  Skeletbogen  voraushätte ,  welcher  in  jenen 
Bögen  des  Kopfes  durch  einen  genetisch  verschiedenen  Skelettheil  ersetzt  wird. 
Daher  muss  der  Vergleich  zwischen  dem  Kiemenbögen-  und  Gliedmassenskelet 
auf  die  Aussenglieder,  die  Kiemenstrahlen  und  die  Flosse,  beschränkt,  alsdann 
aber  auch  auf  eine  wirkliche  allgemeine  Homologie  bezogen  werden ,  während 


IX.  Der  Kopf.  .  727 

Gegenbaur  bei  der  Erwähnung  jener  Vergleichung  offenbar  die  ganzen 
Skeletkomplexe  im  Auge  hatte  und  daher  konsequenterweise  bei  der  angeb- 
lichen Uebereinstimniung  der  inneren  Kiemenbogenknorpel  mit  Rippen  von 
einer  Homologie  jener  ganzen  Komplexe  nicht  reden  konnte  (Nr.  135  S.  181). 
Um  so  leichter  lässt  sich  aber  unter  solchen  Umständen  der  Kiemenstrahlen 
tragende  Unterkieferbogen  der  Haie  (Nr.  135  S.  203—207)  mit  deren  ganzen 
Gliedmassen  in  Parallele  bringen.  —  Am  wenigsten  glücklich  ist  Gegenbaur 
beim  Vergleiche  der  Lippenknorpel  der  Haie  mit  den  übrigen  Visceralskelet- 
bögen.  Denn  nach  seiner  Ansicht,  welcher  ich  gern  beitrete,  sind  sie  den  oberen 
Lippenknorpeln  der  Anurenlarven  homolog  (Nr.  89  S.  648),  alsdann  aber  auch 
als  kontinuirliche  erst  sehr  spät  abgegliederte  Fortsetzungen  des  ersten  dor- 
salen Kopfwirbelbogens  von  allen  sogenannten  Visceralskeletbögen  grundsätz- 
lich verschieden,  wie  ich  sie  denn  genetisch  in  Gemeinschaft  mit  ihrem  Wurzel- 
stücke oder  der  Stammplatte  nur  knorpelig  vorgebildeten  Dornfortsätzen  an 
die  Seite  zu  setzen  weiss. 

Nach  diesen  mehr  allgemeinen  Betrachtungen  will  ich  noch  auf  einige  be- 
sondere Ergebnisse  der  vergleichenden  Entwickelungsgeschichte  des  Wirbel- 
thierkopfes  aufmerksam  machen.  Ich  beginne  mit  dem  Gesichtstheil  des 
1.  Kopfwirbelbogens.  Es  ist  bekannt,  dass  dieses  Wirbelbogenpaar  oder 
die  von  Rathke  so  genannten  seitlichen  Schädelbalken  in  sehr  verschiedener 
Ausdehnung  zur  Verschmelzung  kommen  (Rathke  Nr.  21  S.  8,  Nr.  47  S.  133). 
Auf  der  niedersten  Entwicklungsstufe  aller  Wirbelthiere  umfassen  sie  die  vor- 
dere Schädelbasis  bis  zu  den  Geruchsorganen  mit  einem  länglichen  Ringe,  aus 
dessen  vorderem  Schlüsse  sie  vereinigt  hervortreten,  um  darauf  nach  beiden 
Seiten  auseinanderzufahren;  die  gemeinsame  Wurzel  dieser  vorderen  Hörner 
oder  die  Stammplatte  des  Gesichts  wird  zum  Boden  des  unpaaren  Geruchs- 
organs oder  wächst  zur  senkrechten  Scheidewand  der  paarigen  Nasenhöhlen 
aus.  Bei  den  Cyklostomen  und  Batrachiern  bleiben  diese  Lagebeziehungen 
durch  das  ganze  Leben  erhalten :  die  vom  Wirbelringe  umschriebene  vordere 
Schädelbasis  bildet  stets  in  der  ursprünglichen  Gestalt  und  relativen 
Grösse  das  einzige  Verbindungsglied  zwischen  der  hinteren  Schädelbasis  und 
jenen  Nasenskelettheilen.  Die  Teleostier  zeigen  noch  nach  der  Enthüllung 
einen  ähnlichen  vorderen  Wirbelring ,  wie  ihn  Rathke  von  einem  jungen  Nat- 
terembryo abbildet  (Nr.  115  Taf.  VII  Fig.  12)-,  erst  später,  also  in  einer  sehr 
vorgerückten  Bildungsperiode  beginnen  die  beiden  Wirbelbögen  von  der  ur- 
sprünglichen Nasenscheidewand  rückwärts  fortschreitend  sich  zu  nähern,  um 


728  '  IX-  Der  Kopf. 

endlich  miteinander  zu  verschmelzen,  und  im  Anschlüsse  an  sie  verwandeln 
sich  die  über  ihnen  liegenden  orbitalen  Schädelwände  in  ähnlicher  Weise  von 
unten  und  vorn  aus  in  eine  mediane  Scheidewand,  die  Interorbitalwand,  welche 
alsdann  wie  eine  Fortsetzung  der  Nasenscheidewand  erscheint.  Diese  Umbil- 
dung und  insbesondere  die  Verschmelzung  der  Wirbelbögen  geht  bis  an  die 
Stelle ,  wo  deren  Wurzeln  den  Hirntrichter  mit  dem  Hirnanhange  umkreisen ; 
diese  Wurzelstücke  bleiben  getrennt,  und  da  ich  den  M.  rectus  externus  des 
Auges  schon  sehr  frühe  das  Wurzelstück  seiner  Seite  überschreiten  und  unter 
die  hintere  Schädelbasis  vorrücken  sehe,  so  ist  es  klar,  dass  die  beiden  Wirbel- 
bogenwurzeln  ,das  sogenannte  Sphenoideüm  superius  oder  Basisphenoid  kon- 
stituiren  und  ferner  den  Umfang  der  Sattelgrube  bleibend  bezeichnen  (Hall- 
mann Nr.  140  S.  57,  Stannius  Nr.  80 1  S.  61).  In  Folge  dessen  ist  aber  natür- 
lich auch  nur  die  Decke  des  Augenmuskelkanals  als  hintere  Schädelbasis  und 
das  Parasphenoid  der  einen  solchen  Kanal  besitzenden  Fische  nicht  als  Deck- 
knochen der  Bauchseite  des  Schädels  anzusehen.  Jenes  scheinbare  Vorrücken  der 
Nasenscheidewand  unter  den  verkümmernden  vorderen  Schädelraum,  welches  von 
dessen  ursprünglicher  Basis  nur  einen  kleinen  Rest  vor  der  Sattellehne,  die  so- 
genannte Sattelgrube  zurücklässt ,  ist  nur  denkbar  bei  einer  zurückbleibenden 
Entwicklung  des  Vorderhirns,  wodurch  dasselbe  aus  dem  früher  eingenomme- 
nen Räume  sich  successiv  zurückzieht;  und  diese  Formbedingung  der  geschil- 
derten Umbildung  des  Schädels  zeigt  sich  bei  allen  Teleostiern  in  gleichem 
Masse,  sodass,  wo  der  in  seiner  Grösse  ausserordentlich  wechselnde  Rest  des 
vorderen  Schädelraums  am  wenigsten  reducirt  erscheint  (Cyprinoiden),  er  auch 
vom  zurückgewichenen  Vorderhirn  am  wenigsten  ausgefüllt  wird.  Das  wech- 
selnde Mass  der  Konservirung  des  vorderen  Schädelraums  und  der  damit  zusam- 
menhängenden Ausbildung  der  Interorbitalwand  hängt  mithin  von  sekundären 
Ursachen  ab,  während  der  gesammte'Rückbildungsproccss  der  vorderen  Hirn- 
und  Schädelhälfte  in  seinem  wesentlichen  Kausalzusammenhange  allen  Te- 
leostiern gleicherweise  gemeinsam  zu  sein  scheint.  Aehnlich  verhalten  sich  die 
Reptilien  und  Vögel,  unter  denen  sich  bekanntlich  bloss  die  Schlangen  durch 
den  Mangel  einer  Interorbitalwand  und  die  Erhaltung  des  allerdings  ausser- 
ordentlich komprimirten  Wirbelrings  auszeichnen  (vgl.  Ratiike  Nr.  115  S.  194, 
Taf.  VII  Fig.  17 ,  Huxley  Nr.  113  S.  203);  da  jedoch  ihr  Hirn  keine  grössere 
Entfaltung  zeigt  als  bei  den  übrigen  Reptilien  und  anderseits  ihre  orbitalen 
Schädelwände  sich  über  den  Wirbelbögen  zu  einer  neuen  vorderen  Schädel- 
basis verbinden,  so  werden  dieselben  immerhin  unzweifelhaft  durch  die  gleichen 


IX.   ÜerKopf.  729 

Ursachen  aus  ihren  früheren  Lagebeziehungen  zum  grössten  Theile  verdrängt 
und  gewissermassen  überflüssig,  um  nur  noch  in  der  den  Hirntrichter  mit  der 
Hypophysis  aufnehmenden  Grube  die  ursprüngliche  Lage  und  Funktion  zu  be- 
halten. Ich  will  noch  hinzufügen,  dass  ich  bei  der  Forelle  und  wenn  ich  mich 
nicht  täusche,  auch  beim  Hühnchen  eine  Einschnürung  des  ursprünglichen  Wir- 
belrings  in  seiner  hinteren  Hälfte  erkannt  habe,  als  frühzeitig  angedeutete 
Grenze  zwischen  seinem  unter  der  Interorbitalwand  verschmelzenden  vorderen 
und  dem  hinteren  Abschnitte,  welcher  bei  den  mit  einem  Basisphenoid  ver- 
sehenen Teleostiern  so  gut  wie  bei  den  Reptilien  und  Vögeln  den  Umfang  ihrer 
Sattelgrube  bleibend  bezeichnet.  —  Behält  man  jenes  Verhältniss  der  Schlangen 
zu  den  übrigen  Reptilien  im  Auge  und  überlegt  ferner,  dass,  Avie  ich  bei  einem 
Vergleich  meiner  Präparate  von  jüngeren  Acanthiasembryonen  mit  den  Abbil- 
dungen Letdig's  von  solchen  älteren  Embryonen  (Nr.  139  Taf.  III  Fig.  9)  finde,  bei 
den  Selachiern  der  vordere  Wirbelring  sich  ebenfalls  von  den  Seiten  zu  einer  rela- 
tiv schmalen  Platte  zusammenzieht,  und  dass  auch  ihr  darüber  gebildeter  vorderer 
Schädelraum  vom  zurückbleibenden  Vorderhim  nicht  ausgefüllt  wird,  so  scheint  es 
mir  richtiger,  sie  mit  Bezug  auf  die  vordere  Schädelbildung  nicht  einfach  etwa  den 
Batrachiern  an  die  Seite  zu  setzen,  sondern  ihnen  dieselbe  Stellung  zu  den  Teleos- 
tiern anzuweisen,  welche  die  Schlangen  zu  den  übrigen  Reptilien  einnehmen. 

Die  geschilderten  Verhältnisse  sind  bei  den  Säugethieren  noch  nicht  ver- 
gleichend festgestellt  worden.  Berücksichtigt  man  jedoch,  dass  ihre  Sattel- 
grube ganz  allgemein  mit  dem  gleichnamigen  Theile  der  übrigen  Wirbelthiere 
verglichen  und  ihr  Praesphenoid,  welches  das  Ende  der  medianen  Scheidewand 
des  Gesichts  nebst  den  oft  beträchtlichen  hintersten  Abschnitten  der  Nasen- 
höhlen enthält,  im  ganzen  vom  Primordialkranium  abgeleitet  wird  (Gegenbaue 
Nr.  89  S.  658),  so  ergibt  sich  daraus  unausgesprochen  aber  konsequenterweise 
die  Auffassung ,  dass  auch  bei  den  Säugethieren  der  vorderste  Theil  ihres  pri- 
mordialen Schädelgrundes  sich  abwärts  in  eine  senkrechte  Scheidewand  ver- 
wandele, welche  als  hintere  Fortsetzung  der  knorpeligen  Nasenscheidewand 
den  Charakter  einer  Interorbitalwand,  welcher  sie  homolog  wäre,  nur  dadurch 
verlöre,  dass  zu  ihren  beiden  Seiten  sich  die  Nasenhöhlen  in  die  ursprüngliche 
Schädelbasis  hineinzögen.  Wie  ungenügend  Nasenscheidewand  und  Inter- 
orbitalwand auseinandergehalten  werden ,  erhellt  übrigens  auch  daraus ,  dass 
Huxley  die  Interorbitalwand  der  Vögel  als  hinter  der  eigentlichen  Nasen- 
scheidewand liegendes  Ethmoideum  bezeichnet  (Nr.  llo  S.  242).  Dagegen 
muss  ich  in  Bestätigung  der  DüRSY'schen  Untersuchungen  (Nr.  136  S.  97.  142. 


730  IX.   Der  Kopf. 

143.  191)  bemerken,  dass  das  Septum  und  die  seitlichen  Höhlen  des  Prae- 
sphenoids  schon  in  den  ursprünglich  bis  an  den  vorderen  Boden  der  Sattelgrube 
reichenden  Anlagen  der  Nasenscheidewand  und  der  Nasenhöhlen  vorgebildet 
sind,  und  zwar  so,  dass  nur  das  knorpelige  Septum  in  den  Schädelgrund  konti- 
nuirlich  übergeht,  die  untern  Seitentheile  des  späteren  Praesphenoids  aber  frei 
daneben  liegen  (Durst  a.  a.  0.  Taf.  VII  Fig.  14.  15).     Es  wird  folglich  kein 
Theil  des  primordialen  vorderen  Schädelgrundes  der  Säugethiere  in  der  Weise 
wie  bei  den  Vögeln,  Reptilien  und  Teleostiern  umgewandelt ,  derselbe  vielmehr 
zwischen  der  Sattellehne  und  der  Wurzel  des  Keilbeinseptums ,  nicht  aber  im 
ganzen  Praesphenoid,  in  seinem  ursprünglichen  Bestände  unverändert  erhalten ; 
wie  denn  auch  über  diesem  Theil  der  anatomischen  Schädelbasis  der  Wirbel- 
thiere  die  ganze  Basis  des  Vorderhirns  vom  Hirnanhange  bis  zum  Ursprünge 
des  Balkens  liegt.     Es  folgt  also  die  Entwickelung  der  Schädelbasis  der  Säuge- 
thiere   lediglich    dem    durch    die    Batrachier    repräsentirten    Typus,     und 
nur  aus  ihrer  relativen  Verkürzung  könnte  man  vielleicht  den  Schluss  ziehen 
wollen,  dass  sie  eine  gewisse  Rückbildung  anzeige.     Darin  passt  sie  sich  aber 
vollständig  dem  Vorderhirn  an ,  dessen  an  der  Basis  allerdings  zurückbleiben- 
des Wachsthum  durch  die  Entfaltung  der  Gewölbetheile  mehr  als  aufgewogen 
wird;  und  indem  dieselbe  die  temporalen  und  orbitalen  Schädelwände  nebst 
ihrem  vorderen  Schlüsse  theilweise  horizontal  nach  aussen  umlegt ,  veranlasst 
sie  nicht  nur  eine  entsprechende  stärkere  Entwickelung  dieser,  sondern  nament- 
lich der  Schädeldachtheile,  sodass  die  vordere  Schädelhälfte  der  Säugethiere  in 
ihrer    Gesammtentwickelung    diejenige  der  ihr  morphologisch  am  nächsten 
stehenden  Wirbelthiere  weit  überholt.    Als  Begleiterscheinung  eines  fundamen- 
taleren Vorgangs ,  eben  der  Hirnentwickelung ,  bekundet  auch  die  Schädelbil- 
dung in  denselben  Beziehungen,  welche  uns  bei  den  Cyklostomen  und  Ba- 
trachiern  einen  relativen  Stillstand ,  bei  den  Selachiern ,  Teleostiern ,  Reptilien 
und  Vögeln  einen  allmählichen  Rückschritt  der  Entwickelung  anzeigen,  bei  den 
Säugethieren  im  allgemeinen  einen  entschiedenen  Fortschritt. 

Aus  dem  vorderen  Schlüsse  des  ersten  Wirbelbogenrings  geht  bei  allen 
Wirbelthieren  die  Stammplatte  hervor.  Bei  den  Monorrhina  entwickelt  sie 
sich  natürlich  nur  zum  Skeletboden  des  unpaaren  Nasenorgans  (Rathke  Nr. 
21  S.  22.  23)*;  bei  den  Amphirrhina  verwandelt  sie  sich  vorherrschend  in  die 


*  Der  Umstand,  dass  Langerhans  den  betreffenden  Fortsatz  des  Ringschlusses  bei 
Ammocoetes  nicht  erwähnt  (Nr.  138  S.  33),  erklärt  sich  vielleicht  auf  dieselbe  Weise  wie  die 
Thatsache,  dass  der  umsichtige  Rathke  bei  der  ersten  Untersuchung  von  Ammocoetes  zum 


IX.   Der  Kopf.  731 

Nasenscheidewand,  was  aber  die  gleichzeitige  Entwicklung  eines  Nasenhöhlen- 
bodens aus  derselben  Grundlage  nicht  ausschliesst  (Batrachier,  Reptilien).  In- 
dem man  den  unteren  Rand  der  Nasenscheidewand  und ,  wo  eine  Interorbital- 
wand  vorkommt,  auch  diese  als  eine  Art  Fortsetzung  der  Schädelbasis  betrach- 
tet, werden  die  Biegungen  ihres  Gesammtverlaufs  mit  der  embryonalen  Kopf  beuge 
in  Zusammenhang  gebracht.  Da  man  jedoch  die  letztere  meist  nach  den 
weiter  entwickelten  Zuständen  in  ganz  unzutreffender  Weise  bestimmte, 
wurde  vollkommen  übersehen,  dass  wenn  auch  die  spätere  Schädelbasis  ganz 
eben  ausläuft,  die  Erfolge  der  embryonalen  Kopf  beuge  an  ihr  nicht  weniger 
als  am  Hirn  erhalten  bleiben  (S.  303).  Die  Biegung  der  Schädelwirbelröhre 
ergibt  sich  überall  aus  dem  Winkel ,  den  der  vordere  Wirbelring  mit  dem  occi- 
pitalen  bildet.  Dabei  darf  natürlich  nur  die  ursprüngliche  vordere  Schädel- 
basis, also  wohl  auch  der  untere  Rand  einer  Interorbitalwand  zur  Bestimmung 
des  vorderen  Winkelschenkels  dienen,  nicht  aber  gleicherweise  die  Nasen- 
scheidewand, deren  unterer  Rand  oft  nicht  in  der  Ebene  jener  Schädelbasis 
fortläuft.  —  Die  Entwicklung  und  Umbildung  der  vorderen  Hörner  der  Stamm- 
platte des  Gesichts  habe  ich  an  den  Batrachiern  eingehend  geschildert  (S.  649. 
658).  Noch  viel  entschiedener  als  bei  diesen  tritt  die  Unabhängigkeit  des  Maxillare 
von  jenen  knorpeligen  Hörnern  bei  den  Teleostiem  hervor,  bei  denen  der  ge- 
nannte Knochen  weit  hinter  jeneu  Enden  der  Stammplatte  entsteht  und  erst 
nachträglich  mit  seinem  vorderen  Ende  deren  Spitzen  erreicht.  Ob  die  Prae- 
maxillaria  der  Knochenfische  sich  zu  den  bezeichneten  Knorpeln  ebenso  ver- 
halten wie  bei  den  Batrachiern  oder  ihnen  nur  aufliegen,  weiss  ich  nicht.  Ge- 
genbauk  hält  nach  dem  Vorgange  von  Duges  die  Maxiilaria  undPraemaxillaria 
der  Batrachier  für  Deckknochen  ihrer  embryonalen  oberen  Lippen-  oder 
Schnauzenknorpel  oder  der  von  mir  sogenannten  Oberkieferknorpel  (Nr.  89 
S.  648);  und  indem  er  ferner  die  letzteren  in  den  Labialknorpeln  der  Selachier 
wiedererkennt,  erklärt  er  die  genannten  Kieferknochen  der  übrigen  Wirbel- 
thiere  gleichfalls  für  ursprüngliche  Deckstücke  von  Labialknorpeln,  welche  nach 
ihrer  Rückbildung  die  ersteren  allein  hätten  forterben  lassen  (Nr.  135  S.  222. 
223.  227).  Nach  meinen  Beobachtungen  passt  aber  diese  Auffassung  für  die 
Batrachier  und  wenigstens  zum  Theil  auch  für  die  Knochenfische  nicht;  am 
wenigsten  kann  ich  mich  aber  der  Behauptung  anschliessen ,  dass  ein  Deck- 


Erstaunen  J.  Müellee's  gerade  die  härtesten  Theile,  eben  den  ersten  Wirbelring  oder  die 
Gaumeuleisten  Müellee's  nicht  gefunden  hat.  Es  liegt  nämlich  jetzt  die  Vermuthung  nahe, 
dass  den  genannten  Forschern  verschiedene  Altersstufen  jener  Larve  vorlagen. 


732  XI-  Der  Kopf. 

stück  auch  ohne  seine  knorpelige  Unterlage  vererbt  werden  könne.  Entweder 
fehlt  ein  genetischer  Zusammenhang  solcher  Bildungen ;  dann  ist  natürlich  die 
einseitige  Vererbung  des  Deckknochens  möglich,  aber  zugleich  jede  morpholo- 
gische Beziehung  desselben  zur  früheren  Unterlage  auszuschliessen.  Oder 
jener  Zusammenhang  besteht  in  der  Weise,  dass  der  Knorpel  die  Bildung  des 
Deckknochens  veranlasst;  dann  kann  nach  dem  Wegfall  des  ersteren  als  der 
nothwendigen  Formbedingung  der  Knochenbildung  die  letztere  allein  nicht 
identisch  vererbt  werden.  An  die  Stelle  der  Doppelbildung  mag  freilich  eine 
einfache  Kiiochenbildung  treten;  sie  ist  aber  alsdann  der  früheren  nicht  homo- 
log ;  es  sei  denn,  dass  man  die  Homologie  nach  dem  anatomisch-physiologischen 
und  nicht  nach  dem  genetischen  Verhalten  beurtheilt.  Ersteres  kann  uns  aber 
zunächst  nur  über  die  Analogie  Auskunft  geben,  weil  auch  die  genetisch  dispa- 
ratesten Theile  endlich  zu  grosser  Aehnlichkeit  sich  umbilden  können.  Daher 
sollte  nach  meiner  Ansicht  die  morphologische  Gleichwerthigkeit  lediglich  aus 
der  Entwicklungsgeschichte  begründet,  in  letzter  Instanz  nur  aus  der  Gleich- 
artigkeit der  Bildungsursachen  abgeleitet  werden.  Wenn  wir  also  die  bisherigen 
identischen  Bezeichnungen  für  die  Randtheile  des  knöchernen  Oberkiefers  bei- 
behalten wollen,  so  dürfen  wir  damit  den  Begriff  ihrer  Homologie  nicht  ver- 
binden. 

Einen  sehr  guten  Beleg  für  diese  meine  Ansicht  liefert  uns  die  vergleichende 
Betrachtung  des  Kiefer  Suspensoriums  der  Wirbelthiere.  Ich  habe  damit 
jenes  primordiale  Skeletstück  der  Batrachierlarven  bezeichnet,  welches  in  der 
oberen  Hälfte  des  Unterkieferbogens  gelegen ,  zuerst  mit  seinem  oberen  Ende 
gerade  einwärts,  dann  durch  einen  Ast  vor-  und  aufwärts  sich  mit  der 
Schädelbasis  verbindet  (Schläfenflügel,  Flügelgaumenbogen),  am  unteren  Ende 
aber  die  betreffende  Unterkieferhälfte  trägt.  Bei  den  Cyklostomen  behält  es 
diese  primitiven  Beziehungen  zum  Schädel  und  den  kontinuirlichen  Zusam- 
menhang seiner  Theile.  Im  weiteren  Entwickelungsverlaufe  der  Batrachier 
sondert  es  sich  in  zwei  Stücke,  indem  das  mediale  Schädelende  sich  vom 
äusseren  Theile  vollständig  ablöst  und  als  Schläfenflügelknorpel  in  den  Zusam- 
menhang der  seitlichen  Schädelwand  eingeht,  während  das  frei  gewordene 
obere  Ende  des  Aussentheils  alsbald  weiter  rückwärts  mit  der  Ohrkapsel  ver- 
schmilzt. Diese  erste  Theilung  des  primitiven  Kiefersuspensoriunis  habe  ich 
bei  den  Teleostiern  und  Reptilien,  denen  sich  wohl  die  Vögel  und  Säuger  an- 
schliessen  lassen,  wiedererkannt;  und  wenn  wir  das  Quadrato-Palatum  der 
scheinbar  niedersten  Haie  in  einer  Gelenkverbindung  mit  dem  oberen  Theile 


IX.   Der  Kopf.  733 

der  Ohrkapsel  antreffen  (Gegenbaur  Nr.  135  S.  53),  so  dürfte  auch  für  diese  die 
Annahme  eines  in  die  Schädelbasis  aufgenommenen  Homologons  eines  Schläfen- 
flügelknorpels  nicht  unwahrscheinlich  sein.  An  dem  abgesonderten  Aussen- 
theile  des  primitiven  Kiefersuspensoriums  lassen  sich  bei  den  Batrachiern  zwei 
Theile  unterscheiden,  der  eigentliche  Träger  des  Unterkiefers  und  Zungenbeins 
oder  das  Quadratum  und  der  von  diesem  nach  vorn  aufsteigende  und  es  offen- 
bar stützende  Flügelgaumenbogen.  Ihre  knorpeligen  Grundlagen  bleiben  im 
kontinuirlichen  Zusammenhange,  lassen  aber  durch  die  völlig  getrennten 
knöchernen  Auflagerungen  bereits  eine  Neigung  zum  weiteren  Zerfall  erkennen. 
Ganz  besondere  Beachtung  verdient  aber  der  Umstand ,  dass  die  Wurzel  des 
Flügelgaumenbogens  nach  der  festeren  Verbindung  des  Quadratum  mit  dem 
Schädel  sich  spaltet  und  der  mediale  Ast  mit  seinem  Ende  weiter  gegen  die 
Schädelbasis  vorrückt.  Da  bei  allen  Teleostiern  an  der  Stelle,  wo  das  Qua- 
dratum und  der  Flügelgaumenbogen  der  Batrachier  liegen,  eine  Reihe  diskreter 
Knochen  sich  vorfinden,  von  denen  keiner  die  Merkmale  eines  jener  ersteren 
Skeletstücke  ganz  vereinigt,  so  hat  sich  der  anatomische  Scharfsinn  in  sehr 
verschiedenen  Deutungen  derselben  versucht.  Da  ich  mit  den  älteren  ebenso 
wenig  übereinstimmen  kann  wie  mit  der  neueren,  werde  ich  nur  die  letzteren 
als  die  gegenwärtig  massgebenden  berücksichtigen.  Nach  Huxley  und  Ge- 
genbaur hat  man  in  dem  ganzen  vom  Schädel  zum  Ober-  und  Unterkiefer 
absteigenden  Skeletkomplex  Theile  des  Kiefer-  und  ZungenbeinbogenS  zu  schei- 
den; zum  ersteren  gehören  das  Quadratum  mit  dem  Flügelgaumenbogen  (Ekto-, 
Meta- ,  Entopterygoid  und  Palatinum) ,  zum  Zungenbeinbogen  das  Hyomandi- 
bulare  mit  dem  Symplecticum  (Nr.  113  S.  133,  Nr.  89  S.  643).  Die  Entwicke- 
lungsgeschichte  dieser  Knochen  lehrt  nun  Folgendes.  Ihre  knorpeligen  Grund- 
lagen bestehen  in  zwei  länglichen,  anfangs  ausserordentlich  geneigt  verlaufen- 
den sagittalen  Knorpelplatten,  einer  grösseren  hinteren,  welche  mit  dem  breiten 
Haupttheile  an  der  Ohrkapsel  hängt  und  vor-  und  abwärts  in  einen  stielför- 
migen  Fortsatz  ausläuft,  und  einer  kleineren  länglich-ovalen  Platte,  welche  sich 
dem  Vorderrande  der  ersteren  eng  anschmiegt.  Das  grössere  Knorpelstück 
stellt  das  Hyomandibulare  mit  dem  Symplecticum,  das  andere  die  Grundlage 
des  Quadratum  und  Metapterygoids  und  später,  nachdem  es  vorwärts  gegen  die 
Schädelbasis  mit  einem  schmäleren  Fortsatze  ausgewachsen  ist,  in  diesem  die 
übrigen  Stücke  des  Flügelgaumenbogens  dar.  Die  spätere  Sonderung  dieser 
einfachen  Grundlagen  wird  theils  durch  getrennte  innere  Verknöcherungen,  theils 
durch  die  Entwickelung  getrennter  Deckknochen  herbeigeführt.      Sowie  das 


734  IX.   Der  Kopf. 

auf-  und  rückwärts  überwiegende  Hyomandibulare  die  Verbindung  mit  dem 
Schädel  besorgt,  trägt  das  vor-  und  abwärts  über  das  Symplecticum  vorragende 
Ende  der  vorderen  Platte  oder  das  künftige  Quadratum  den  Unterkiefer-  das 
breite  Zungenbeinhorn  ist  durch  einen  kurzen  dünnen  Stiel  an  dem  Hinterrande 
der  grösseren  Platte  an  der  Grenze  zwischen  Symplecticum  und  Hyomandi- 
bulare befestigt,  von  diesen  aber  immer  deutlich  gesondert.  Die  erste  Schlund- 
falte, welche  die  Verbindung  mit  der  Oberhaut  sehr  frühe  aufgibt  und  sich 
etwas  einwärts  zurückzieht,  liegt,  wie  ich  es  am  besten  an  successiven  Frontal- 
durchschnitten feststellen  konnte,  zwischen  dem  Zungenbeinhorn  einerseits  und 
dem  Unterkiefer  und  Symplecticum  anderseits  und  verstreicht  nach  innen  vom 
Zungenbeinstiele.  Dadurch  ist  einmal  erwiesen,  dass  das  Hyomandibulare  mit 
dem  Symplecticum  gleichfalls  im  Unterkieferbogen  entstehen  und  nach  ihren 
Lagebeziehungen  eben  nur  zu  der  als  Kiefersuspensorium  thatsächlich  fungiren- 
den  vorderen  Platte  gehören  können.  Vergleicht  man  nun  diesen  ganzen  Auf- 
hängeapparat der  Teleostier  mit  demjenigen  der  Batrachier  (vgl.  Taf.  XVI 
Fig.  294—296.  300— SO 2,  Taf..  XIX  Fig.  343),  so  ergibt  sich  als  einziger 
wesentlicher  Unterschied  die  ursprüngliche  oder  vielleicht  nur  sehr  frühe  Tren- 
nung des  ersteren  in  die  zwei  beschriebenen  Hälften.  Da  nun  die  Sonderung 
des  ganzen  primitiven  Suspensoriums  in  getrennte  Stücke  (Schläfenflügelknorpel, 
Quadratum)  schon  bei  den  Batrachiern  beginnt,  so  kann  ein  weiterer  Fort- 
schritt dieser  Erscheinung  bei  den  Teleostiern  die  Vergleichung  im  allgemeinen 
nicht  beeinträchtigen.  Ich  sehe  daher  im  Hyomandibulare  und  Symplecticum 
das  Quadratum  der  Batrachier,  in  der  Grundlage  des  Quadratum  der  Teleostier 
und  ihres  Ektopterygoids  einerseits ,  und  des  Meta-  und  Entopterygoids  ander- 
seits die  beiden  Wurzeläste  des  Flügelgaumenbogens  der  Batrachier.  Allerdings 
könnte  der  Uebergang  des  Unterkiefergelenks  von  der  ihm  nach  der  eben  ausge- 
führten Vergleichung  zukommenden  Stelle,  also  dem  Symplecticum,  auf  den 
äusseren  Wurzelast  des  Pterygoids  (Quadratum  aut.)  die  Ansicht  vertheidigen 
lassen,  dass  der  ursprüngliche  Gelenkfortsatz  des  Kiefersuspensoriums  sich  vom 
unteren  Theile  desselben  abgelöstund  mit  dem Pterygoid verbunden  hätte;  da  aber 
nicht  nur  allgemeine  Gründe,  wie  die  oft  nachweisbare  Uebertragung  eines  Ge- 
lenks auf  benachbarte  Theile  und  der  Umstand ,  dass  das  Symplecticum  an- 
fangs den  Unterkiefer  ebenfalls  erreicht ,  sondern  auch  der  direkte  Nachweis 
einer  Antheilnahme  des  Pterygoids  an  der  Bildung  des  Unterkiefergelenks  bei 
einem  Amphibium,  dem  Cryptobranchus  (vgl.  Htütl  Nr.  141  §  15  Taf.  I  Fig.  1), 
für  die  erste  Auffassung  sprechen,  so  gebe  ich  ihr  den  Vorzug.     Da   der 


IX.  Der  Kopf.  735 

Zungenbeinbogen  der  Teleostier  in  seiner  dorsalen  Hälfte  anfangs  so  wie  bei 
den  Batrachiern  ohne  Skelettheile  bleibt,  und  auch  die  erste  Schlundfalte  nicht 
so  hoch  hinaufreicht,  so  verwachsen  seine  Weichtheile  dort  mit  dem  davor 
liegenden  Kieferbogen  und  zwar,  weil  in  demselben  die  Nerven  und  Muskeln 
ebenfalls  vorn  und  aussen,  die  Skelettheile  hinten  und  innen  liegen,  mit  dem 
sogenannten  Hyomandibulare.  Indem  nun  die  in  ziemlicher  Breite  miteinander 
verschmolzenen  dorsalen  Hälften  beider  Bögen  eine  rückwärts  von  der  zweiten 
Schlundfalte  begrenzte  Platte  bilden,  welche  sich  mit  dem  ganzen  Kiemen- 
apparate aus  der  ursprünglichen  queren  Lage  schräg  nach  hinten  und  beinahe 
ganz  sagittal  umlegt,  so  wird  in  ihr  zuletzt  das  Hyomandibulare  nach  aussen  von 
seinen  Muskeln ,  nach  innen  von  den  dünnen  Weichtheilen  des  Zungenbein- 
bogens  bedeckt,  wesshalb  auch  der  N.  facialis  als  der  zu  diesem  Bogen  gehörige 
Nervenstamm  nach  seinem  Austritt  aus  dem  Schädel  an  der  medialen  Seite  des 
Hyomandibulare  abwärts  verläuft  und  wo  er  dessen  schrägen  Hinterrand  über- 
schreitet, erst  ganz  allmählich  von  demselben  umwachsen  wird/  Aus  demselben 
Grunde  wurzelt  die  Kieme  des  Zungenbeinbogens  anfangs  scheinbar  an  der 
Innenseite  des  Kieferbogens ,  an  der  Grenze  des  Hyomandibulare  und  der 
Grundlage  des  Metapterygoids ;  der  als  Kiemendeckel  frei  hervorwachsende 
Hinterrand  des  Zungenbeinbogens  endlich  muss  als  eine  Fortsetzung  des 
Hinterrandes  vom  Kieferbogen  erscheinen,  und  kann  in  Folge  dessen  das 
Kiemendeckelskelet  sich  dem  Hyomandibulare  und  Symplecticum  rückwärts 
unmittelbar  anschliessen.  Wenn  man  sich  über  diese  Verschiebungen  an 
Batrachierembryonen  orientirt  (Taf.  XVI Fig.  300—302,  Taf.  XVII Fig.  307. 
308,  Taf.  XVIII  Fig.  326,  Taf.  XIX  Fig.  343),  so  lässt  sich  dadurch  jedem 
Einwurfe  begegnen ,  der  sich  bei  einer  Ausdehnung  des  oben  vorgenommenen 
Vergleichs  auf  die  Selachier  erheben  könnte.  Gehen  wir  dabei  von  den  Noti- 
daniden  aus  (vgl.  Gegenbaue  Nr.  135)  und  denken  uns  bei  ihnen  so  wie  es  bei 
den  Teleostiern  geschieht,  die  Erzeugnisse  der  ersten  Schlundfalte  oder  das 
Spritzloch  atrophirt,  die  Skeletbogentheile  des  Zungenbeinbogens  auf  die  ven- 
trale Hälfte  desselben  beschränkt ,  so  würde  das  Quadratum  genannte  dorsale 
Skeletstück  des  Kieferbogens,  welches  an  der  Labyrinthregion  des  Schädels 
artikulirt,  vorwärts  in  den  Flügelgaumenbogen  kontinuirlich  übergeht  und  den 
Unterkiefer  trägt,  scheinbar  auch  die  Kieme  des  Zungenbeinbogens  tragen,  und 
der  Facialis,  welcher  eigentlich  hinter  dem  Spritzloch  liegt  (Nr.  134  S.  514), 
in  seinem  ganzen  Verlaufe  jenem  Quadratum  angeschmiegt  sein;  kurz,  unter 
Berücksichtigung  sekundärer  Erscheinungen ,  wozu  auch  die  Abgliederung  des 


736  IX.   Der  Kopf. 

Flügelgaumenbogens  und  die  Verschiebung  des  Unterkiefergelenks  gehören, 
stimmt  das  Quadratum  der  Notidaniden  sowohl  mit  demjenigen  der  Batrachier 
wie  auch  mit  dem  Hyomandibulare  der  Teleostier  überein.  Und  da  Gegenbaur 
die  abweichenden  Verhältnisse  des  Kiefer-  und  Zungenbeinskelets  der  übrigen 
Haie  und  der  Rochen  mit  jenem  der  Notidaniden  in  Einklang  gebracht  hat,  so 
gilt  jener  Vergleich  auch  für  diese  Plagiostomen ,  und  kann  daraus,  dass  bei 
ihnen  der  dorsale  Skelettheil  des  Zungonbeinbogens  oder  des  Hyomandibulare 
theilweise  in  die  Funktion  des  zurückgebildeten  und  vom  Schädel  abgelösten 
Quadratum  tritt  und  diese  Theile  dadurch  den  bisher  ebenso  genannten  Skelet- 
stücken  der  Knochenfische  äusserlich  sehr  ähnlich  werden,  ein  anatomischer 
Beweis  für  deren  Homologie  im  Sinne  Huxley's  und  Gegenbaur's  (vgl.  Nr.  135 
S.  174)  jetzt  nicht  mehr  geschöpft,  sondern  müssen  imGegentheil  alle  Selachier 
in  der  gedachten  Beziehung  den  Teleostiern  um  so  weniger  ähnlich  erklärt 
werden ,  je  weiter  sie  sich  in  der  Organisation  ihres  Kieferapparates  von  den 
Notidaniden  entfernen.  Es  darf  daher  das  Hyomandibulare  der  Teleostier 
seinen  Namen  nicht  gemeinsam  mit  dem  gleichbenannten  Stücke  der  Haie  und 
Rochen  führen ,  welches  als  oberes  Skeletstück  des  Zungenbeinbogens  bei  den 
Teleostiern  entweder  gar  nicht  vorkommt  oder  sein  Homologon  allenfalls  nur 
in  dem  kurzen  Zungenbeinstiel  findet. 

Ueber  die  erste  Entwicklung  des  Kiefersuspensoriums  der  Amnioten 
geben  uns  zunächst  nur  die  Beobachtungen  Rathke's  an  der  Natter  einige 
Aufklärung.  Ihr  Suspensorium  besteht  aus  einem  kurzen  Stiele,  welcher 
zwischen  Auge  und  Ohr  mit  der  Schädelbasis  zusammenhängt,  und  zwei  davon 
ausgehenden  Bögen,  wovon  der  eine  als  Flügelgaumenbogen  im  Oberlüefer- 
fortsatze,  der  andere  als  MECKEL'scher  Knorpel  im  Unterkiefer wulste  liegt 
(Nr.  115  S.  77.  78).  An  der  gemeinsamen  Wurzel  dieser  Bögen  wächst  der 
Quadratbeinknorpel  hervor,  und  gliedert  sich  darauf  von  ihnen  ab-,  alsdann 
verkümmert  auch  der  erstgenannte  Stiel,  löst  sich  von  der  Schädelbasis  ab  und 
wird  in  Folge  der  Verschiebung  des  Quadratbeins  nach  hinten  zu  dem  rück- 
wärts vorspringenden  Ende  des  MECKEL'schen  Knorpels,  mit  welchem  der 
Flügelgaumenbogen  in  Verbindung  bleibt  (Nr.  115  S.  126.  127).  Beim  Ver- 
gleiche mit  den  Batrachiern  wird  man  den  ursprünglichen  Kieferstiel  der 
Natter  mit  dem  primitiven  Schläfenflügelknorpel  jener  Thiere  und  ebenso  die 
beiderlei  Quadrata  für  Homologa  erklären.  Da  ich  nun  bei  etwas  älteren 
Embryonen  an  der  Stelle  jenes  Kieferstiels  ein  Knorpelstück  finde ,  welches  in 
allen  Lagebeziehungen  mit  dem  bezeichneten  Schläfenflügelknorpel  überein- 


IX.     Der  Kopf.  737 

stimmt,  so  kann  die  Erklärung  ihrer  Identität  um  so  eher  gebilligt  werden,  als 
Rathke's  Deutung  die  bezügliche  Entwickelung  der  Natter  ausser  alle  Be- 
ziehung zu  den  übrigen  Wirbelthieren  brächte,  während  meine  Auffassung  ihre 
vollständige  Uebereinstimmung  auch  in  diesem  Punkte  befürwortet.  Auch  das 
von  Rathke  angenommene  Hervorwachsen  des  knorpeligen  Zungenbeinbogens  aus 
der  Schädelbasis  kann  ich  auf  Grund  meiner  Erfahrungen  an  Batrachiern  und 
Fischen  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  für  einen  Irrthum  erklären.  Wenn  das 
Gehörknöchelchen  der  Reptilien  wirklich  als  oberster  Abschnitt  des  Zungen- 
beinhorns  (Nr.  115  S.  78.  128),  also  wohl  auch  dem  Zungenbeinstiele  der 
Teleostier  und  dem  Gelenkkopf  des  Zungenbeinhorns  der  Batrachier  homolog 
zu  betrachten  ist,  so  stimmt  seine  frühzeitige,  auch  von  mir  gesehene  Anschmie- 
gung an  das  Quadratum  mit  der  Suspension  jener  andern  Theile  gut  überein. 
Bei  den  Batrachiern,  Teleostiern  und  Reptilien  finden  wir  also  gleicherweise 
ein  primitives  Kiefersuspensorium,  welches  drei  Abschnitte  unterscheiden  lässt : 
1.  einen  medialen,  mit  der  Schädelbasis  stets  an  der  gleichen  Stelle  (Wurzel 
des  vorderen  Wirbelrings,  hinterer  Keilbeinkörper)  verwachsenen  Stiel,  welcher 
allmählich  zum  Schläfenflügel  auswächst;  2.  eine  äussere  längliche  Platte, 
welche  sich  von  jenem  Stiel  früher  oder  später  ablöst  und  als  Quadratum  der 
Ohrkapsel  angelagert  oder  mit  ihr  verwachsen  den  ursprünglichen  Träger  des 
Unterkiefers  und  des  Zungenbeins  darstellt ,  um  später  bald  die  eine ,  bald  die 
andere  Verbindung  aufzugeben;  3.  den  im  Anschlüsse  an  das  Quadratum 
entstehenden  Flügelgaumenbogen,  dessen  Wurzel  sich  am  Unterkiefergelenke 
betheiligen  oder  es  ganz  übernehmen  kann.  Hinsichtlich  ihres  späteren  Ver- 
haltens zeigt  aber  dieselbe  nicht  unbedeutende  Verschiedenheiten.  Ihre  ein- 
fache Verbindung  mit  dem  unteren  Ende  des  Quadratum  scheint  von  der 
ursprünglichen,  vorwärts  absteigenden  Richtung  des  letzteren  abhängig  zu  sein; 
wenigstens  besteht  sie  nur  bei  den  Neunaugen  und  den  Anurenlarven.  In  dem 
Masse  als  sich  das  Quadratum  steiler  stellt ,  verbreitert  sich  die  Wurzel  des 
Pterygoids  und  beginnt  eine  Spaltung  desselben  in  zwei  Schenkel  oder  Aeste; 
und  zwar  zeigen  die  Batrachier  bereits  die  Vorbilder  für  die  betreffenden  Um- 
bildungen aller  übrigen  Wirbelthiere.  An  den  schon  erwähnten  jungen 
Embryonen  von  Anguis  finde  ich  die  Verbindung  des  Pterygoids  mit  der 
Schädelbasis  bereits  in  der  bekannten  Form  des  erwachsenen  Thieres :  es  ist 
mit  einem  stumpfen,  noch  sehr  lange  knorpelig  bleibenden  Höcker  einem  beii- 
förmigen  Fortsatze  der  Schädelbasis  angelagert.  Man  braucht  daher  nur  die 
Abbildung  Eckee's  vom  Pterygoid  des  Frosches  (Nr.  90  S.  37)  mit  dem  Flügel- 

Goette,  Entwiekelungsgeschichte.  47 


738  IX     Der  Kopf. 

bein  der  Eidechsen  zu  vergleichen,  um  in  dem  beschriebenen  medialen  Gelenk- 
höcker des  letzteren  den  medialen  Wurzelast  des  ersteren  wiederzuerkennen, 
wie  denn  schon  Ditges  einen  ähnlichen,  nur  wie  es  scheint  auf  die  Knochen 
beschränkten  Vergleich  anführt  (Nr.  13  S.  25).  Bei  den  Embryonen  von  Coro- 
nella  laevis  vermisse  ich  die  genannte  Verbindung;  nach  dem  anatomischen 
Verhalten  der  meisten  Reptilien  und  Vögel  muss  sie  aber  als  die  Regel  be- 
trachtet werden.  Sowie  also  die  Anuren  durch  ihr  schlankes  und  deutlich  ge- 
spaltenes Pterygoid  zu  den  Reptilien  und  Vögeln  hinüberführen,  weisen  uns 
die  Urodelen  mit  ihrem  breiten,  ungespaltenen  Flügelbein  auf  die  übrigen 
Wirbelthiere.  Den  Salamandrinen  und  dem  Axolotl  z.  B.,  deren  Flügelbein 
wesentlich  am  Quadratum  entspringt  und  über  dessen  mediale  Grenze  hinaus 
den  Schläfenflügel  nicht  erreicht  (vgl.  Nr.  39  Taf.  IV,  Nr.  133),  entsprechen  im 
allgemeinen  die  Teleostier ,  bei  denen  nur  der  spätere  Zerfall  der  einheitlichen 
Anlagen  in  mehre  Stücke  störend  eingreift ;  Cryptobranchus  endlich ,  dessen 
Flügelbein  unter  dem  Schläfenflügel  bis  vor  denselben  sich  der  Schädelbasis  an- 
schliesst  (Nr.  141  Taf.  I)  macht  es  uns  verständlich,  wie  bei  einer  Rückbildung 
und  Ablösung  des  Quadratum  von  Pterygoid ,  wie  es  bei  den  Säugern  eintritt, 
dieses  unter  der  Sattelgrube  befestigt  erscheinen  kann,  ohne  dass  man  kompli- 
cirte  Lagenveränderungen  anzunehmen  brauchte.  Dass  auch  die  Haie  sich 
hinsichtlich  dieser  Anpassungen  des  Pterygoids  von  den  übrigen  Wirbelthieren 
nicht  ausschliessen ,  lehren  uns  die  Untersuchungen  Gegenbaur's  über  die 
Palato-Basal- Verbindung  jener  Thiere  (Nr.  135  S.  63). 

Den  Kiemen ap parat  sehe  ich  bei  den  Selachiern,  Teleostiern  und 
Urodelen  in  gleicher  Weise  entstehen  und  sich  entwickeln.  Es  verdient  nur 
bemerkt  zu  werden,  dass,  sowie  die  Kiemenstrahlen  dem  Operculum  homolog 
sind  (Gegenbatjr  Nr.  89  S.  667),  die  namentlich  bei  den  Selachiern  weit  ent- 
wickelten Kiemenscheidewände  lauter  Kiemeudeckel  darstellen,  welche  den 
Urodelen  schon  wegen  der  ausschliesslichen  Anwesenheit  dorsaler  Aussen- 
kiemen  auf  den  oberen  Enden  der  Kiemenbögen  fehlen.  Die  Selachier  besitzen 
also  die  am  meisten  differenzirten  Aussenkiemen.  Der  Kiemenapparat  der 
Anurenlarven  zerfällt  dagegen  in  zwei  durchaus  verschiedene  Abtheilungen, 
von  'denen  nur  die  äussere,  d.  h.  die  Knorpelbögen  mit  den  Aussenkiemen, 
Muskeln  und  Nerven  dem  Kiemenapparate  der  genannten  Thiere  gleichwerthig 
sind ;  die  inneren  Kiemen  entwickeln  sich  ganz  abweichend  von  jenen  aus  der 
Oberhaut  Ihervorwuchernden  Aussenkiemen  am  Darmblatte,  welches  die  ein- 
wärts erweiterten  Kiemenspalten  überzieht,  und  finden  ihre  Homologa  wahr- 


IX.    Der  Kopf.  739 

scheinlich  nur  in  den  Kiemensäcken  der  Cyklostomen ,  welche  alsdann  mit  den 
Kiementaschen  der  Selachier  nicht  vergleichbar  wären.  Da  diese  Ansicht  sich 
zunächst  noch  nicht  direkt  beweisen  lässt*,  will  ich  sie  durch  die  Darstellung 
dessen,  was  aus  der  Ontogenie  für  die  phylogenetische  Entwicklungsgeschichte 
des  Wirbelthierkopfes  geschlossen  werden  könnte,  zu  unterstützen  suchen. 
Wenn  ich  dabei  zu  ganz  anderen  Resultaten  gelange  als  Gegenbatjr,  dessen 
Untersuchungen  ganz  vorherrschend  den  Nachweis  des  phylogenetischen 
Zusammenhangs  der  verschiedenen  Wirbelthierformen  zum  Ziel  haben,  so  liegt 
dies  weniger  an  den  einzelnen  Schlussfolgerungen  und  Beweisen  als  in  den  ver- 
schiedenen Voraussetzungen  und  Ausgangspunkten  unserer  Arbeiten. 

Aus  der  vergleichenden  Anatomie  der  Selachier  glaubt  Gegenbauk 
schliessen  zu  können,  dass  deren  Kopf  ursprünglich  dem  Rumpfe  wesentlich 
gleich  aus  morphologisch  übereinstimmenden  Metameren  gebildet  gewesen  sei, 
in  welchen  diskrete  obere  Wirbelbögen  von  der  Wirbelsaite  ausgehend  das 
Centrainerve nsystem  und  ähnliche  untere  Bögen  den  ventralen  Eingeweideraum 
umschlossen;  ebenso  habe  jedes  Metamer  des  Kopfes  einen  Nerv  enthalten, 
welcher  den  Spinalnerven  in  jeder  Beziehung  gleich  war.  Ein  Unterschied 
beider  Körperabschnitte  hätte  nur  insofern  bestanden,  als  im  Kopfe  zwischen 
den  unteren  Bögen  Spalten  vom  Darm  nach  aussen  durchbrachen,  deren  Wände 
ein  respiratorisches  Gefiissnetz  trugen,  während  die  unteren  Bögen  des  Rumpfes 
in  die  kontinuirliche  Leibeswand  eingeschlossen  waren.  Ein  solcher  Zustand 
stände  demjenigen  von  Amphioxus  am  nächsten,  indem  dieses  Thier  in  seinen 
Metameren  die  diskreten  Elemente  der  Wirbel  durch  den  ganzen  Körper  hin- 
durch ,  im  vorderen  Abschnitte  aber  jene  einfachste  Form  des  Kiemenapparats 
darstelle,  welcher  Abschnitt  somit  auch  in  Abwesenheit  eines  kontinuirlichen 
Kraniums  zuallererst  den  Kopf  bezeichne.  Die  Umwandlung  der  Acrania  in 
Craniota  (Haie)  gehe  von  einer  Differenzirung  des  Kiemenapparats  aus,  welcher 
in  seinen  hinteren  Abschnitten  reducirt,  vorn  mannigfaltig  umgebildet  werde. 
Von  den  zwei  vordersten  Visceralbögen  (Lippenknorpel)  abgesehen,  deren  ehe- 
malige Kiemenbogennatur  zweifelhaft  erscheine,  verwandle  sich  der  dritte  in 
den  Kieferbogen  und  verliere  alsdann  die  zugehörige  Kieme  bis  auf  geringe 


*  Aus  M.  Schultze's  Untersuchungen  geht  allerdings  hervor,  dass  die  äusseren 
Kiemenspalten  der  Neunaugenembryonen  ohne  die  Dazwischenkunft  von  lateralwärts  hervor- 
wuchernden  Scheidewänden  sich  in  die  bleibenden  äusseren  Kiemenöffnungen  verwandeln; 
doch  hat  er  die  Frage,  ob  die  Kiemenhöhlen  von  der  Oberhaut  oder  dem  Darmblatte  ausge- 
kleidet würden,  unentschieden  gelassen  (Nr.  92  S.  24.  25). 

47* 


740  IX.     Der  Kopf. 

Reste  (Spritzlochkierne)  •,  geringer  sei  die  Veränderung  des  folgenden  Bogens 
(Zungenbeinbogen).  Die  übrigen  Visceralbögen  (Kiemenbögen)  lösten  sich  in 
Folge  der  gesteigerten  Ansprüche  an  ihre  Bewegungsfähigkeit  vom  dorsalen 
Kopftheile  ab ,  welcher  vor  allem  dadurch  den  Anstoss  zur  Konkrescenz  seiner 
diskreten  Wirbelelemente  zu  einem  kontinuirlichen  Kranium  erhält.  Der  Zu- 
stand der  zugehörigen,  zum  Theil  gleichfalls  miteinander  verschmolzenen 
Nerven  scheine  dafür  zu  sprechen,  dass  auch  die  ursprünglich  zu  den  verloren 
gegangenen  hinteren  Kiemenbögen  gehörenden  Wirbelelemente  in  das  kontinu- 
irliche  Primordialkranium  aufgegangen  seien.  Die  weitere  Entwickelung 
desselben  werde  durch  den  nachträglich  hervorwachsenden  prävertebralen  Ab- 
schnitt sowie  durch  den  Einfluss  des  Hirns  und  der  Sinnesorgane  herbeigeführt. 
—  Als  Hauptergebniss  der  GEGENBAUß'schen  Untersuchung  darf  also  hinge- 
stellt werden ,  dass  der  Kopf  der  Craniota  aus  dem  kiementragenden  vorderen 
Rumpftheile  einer  dem  Amphioxus  sehr  nahe  stehenden  Stammform  durch  Zu- 
sammenziehung und  Differenzirung  vieler  ursprünglich  gleichartiger  Metameren 
und  zwar  in  Folge  der  nach  dem  Princip  der  Arbeitsteilung  divergirenden 
Umbildung  des  Kiemenapparats  entstand  (Nr.  89  S.  746,  Nr.  135  S.  294 — 305). 
Die  vergleichende  Entwicklungsgeschichte  der  Craniota  gestattet  mir 
nicht  solche  Folgerungen  zu  ziehen.  1.  Die  Hauptunterschiede  in  den  morpho- 
logischen Verhältnissen  des  Kopfes  und  Rumpfes  sind  in  letzter  Instanz  nicht 
auf  Veränderungen  der  anfangs  gleichartigen  ventralen  Abschnitte  zurückzu- 
führen, sondern  gehen  .umgekehrt  von  den  dorsalen  Theilen  aus.  2.  Von  diesen 
sind  es  zunächst  die  Segmente,  welche  die  Metamerenbildung  des  Bauches  erst 
ausführen,  also  von  ihnen  eine  Aenderung  ihrer  eigenen  grundlegenden  Formen 
nicht  erfahren  können-,  zugleich  mit  der  Metamerenbildung  bedingen  die  dor- 
salen Segmente  durch  ihre  eigene  Verschiedenheit  die  divergente  Entwickelung 
der  Leibeswand  in  der  vorderen  und  hinteren  Körperhälfte.  3.  Die  Ver- 
schiedenheit der  dorsalen  Segmente  muss  wiederum  auf  die  Differenzirung  des 
Central nervensystems  zurückgeführt  werden.  Die  besondere  Ausbildung  des 
Kopftheils  der  Axenplatte  bedingt  zugleich  die  embryonale  Kopf  beuge,  Avelche 
zur  Grundlage  der  Besonderheiten  des  Vorderkopfes  wird ,  und  führt  anderer- 
seits zur  Entwickelung  der  drei  höheren  Sinnesorgane,  welche  die  Kopfbildung 
noch  weiter  beeinflussen.  4.  Kein  kraniotes  Wirbelthier  gestattet  die  Annahme, 
dass  sein  Kopf  aus  der  Zusammenziehung  vieler  theils  zurückgebildeter  Meta- 
meren hervorgegangen  sei ;  vielmehr  sind  an  allen  übereinstimmend  nur  vier 
ursprüngliche  Metameren  des  Kopfes  nachweisbar,  auf  deren  jedes  ein  Theil 


IX.   Der  Kopf.  741 

der  allgemeinen  Organsysteme  des  Kopfes  (Muskeln,  Nerven,  Skelet)  zurück- 
geführt werden  kann,  und  deren  erstes  insbesondere  die  Anlage  des  Vorder- 
kopfes enthält,  welcher  daher  aus  der  Metamerenreihe  nicht  ausgeschlossen 
werden  darf.  Das  sogenannte  Visceralbogensystem  der  Craniota  stellt  in 
seinem  hinteren  Abschnitte  keine  einfache  Metamerenbildung,  sondern  eine 
komplicirte  sekundäre  Erscheinung  dar.  5.  Alle  genannten  Bildungsmomente 
beziehen  sich  zunächst  nur  auf  die  primär -morphologischen  Organe  (Central- 
nervensystem ,  höhere  Sinnesorgane,  Wirbelsaite,  Muskeln,  Nerven),  während 
das  vertebrale  Skeletsystem  als  eine  sekundär-morphologische  Bildung ,  welche 
aus  der  Anpassung  an  die  bereits  erreichte  fundamentale  Absonderung  des 
Kopfes  hervorgeht,  im  indifferenteren  Zustande  des  Wirbelthiers  überhaupt 
nicht,  also  auch  niemals  in  gleicher  Form  am  Kopf  und  Rumpf  bestanden 
haben  kann.  Ausserdem  entstehen  die  dorsalen  und  ventralen  Skelettheile  des 
Kopfes  viel  früher  als  diejenigen  des  Rumpfes,  können  daher  füglich  nicht  als 
Modificationen  des  letzteren  betrachtet  werden. 

Dies  sind  die  Thatsachen,  welche  uns  die  individuelle  Entwickelungsge- 
geschichte  als  Richtschnur  bei  phylogenetischen  Untersuchungen  überliefert. 
Gehen  wir  nun  ebenfalls  vom  Amphioxus  als  der  ältesten  Wirbelthierform  aus, 
so  fehlt  an  seinem  vorderen  Körperabschnitte  in  Uebereinstimmung  mit  dem 
Mangel  einer  besonderen  Entwicklung  des  Centralnervensystems  sowohl  die 
von  mir  beschriebene  Abänderung  der  Segmente  und  der  Leibeswand  als  auch 
ein  Merkmal  der  Kopf  beuge;  folglich  kann  kein  Abschnitt  seines  Körpers  als 
Kopf  unterschieden  und  dürfen  höchstens  die  vom  Rumpfe  noch  in  keiner  Be- 
ziehung verschiedenen  vier  ersten  Metameren  nach  Zahl  und  Lage  mit  den- 
jenigen verglichen  werden,  aus  denen  in  der  Stammform  der  mit  einem  Kopf 
versehenen  Wirbelthiere  sich  dessen  Grundlagen  entwickelten.  Wenn  ich  auch 
mit  Gegenbaur  den  ganzen  Kiemenapparat  der  Craniota  zum  Kopfe  rechne, 
so  ist  doch  der  Kiemenapparat  des  Amphioxus  nach  seiner  morphologischen 
Anlage  mit  dem  ersteren  gar  nicht  durchweg  zu  vergleichen.  Bei  den  Amphir- 
rhina  besteht  jener  Apparat  wesentlich  aus  den  von  den  äusseren  Segmenten 
des  Kopfes  und  der  Oberhaut  abstammenden  Aussenkiemen.  Von  den  inneren, 
aus  der  Seitenplatte  hervorgehenden  Knorpelbögen  kann  dabei  ganz  abgesehen 
werden ;  denn  einmal  fehlen  sie  manchen  Kiemen  (Spritzloch-,  Operkularkieme) 
vollständig,  ferner  können  sie  bei  den  Anurenlarven  ebenso  gut  zu  den  inneren 
Kiemen  gerechnet  werden,  und  endlich  ergeben  sie  sich  aus  der  Entwicklungs- 
geschichte als  sekundäre  Anpassungen    an   den    schon  angelegten  Kiemen- 


742  IX-    Der  KoP*'- 

apparat,  welche  zu  seinem  Wesen  ebenso  wenig  gehören  wie  die  Wirbel  zum 
primitiven  Bewegungsapparat  des  Rumpfes.  Auch  die  Darmblatt! alten  müssen 
morphologisch  von  den  Aussenkiemen  getrennt  werden,  mit  welchen  sie  in 
keinem  unmittelbaren  Kausalzusammenhänge  stehen,  da  sie  sich  in  den  bei 
weitem  meisten  Fällen  zum  blossen  Epithelüberzuge  der  erstgenannten 
Knorpelbögen  zurückbilden.  Nur  in  den  Anurenlarven  zeigen  sie  eine  höhere 
Difierenzirung  zu  einem  selbstständigen  inneren  Kiemenapparate,  welcher  nach 
seinen  morphologischen  Grundlagen  und  sogar  nach  seiner  physiologischen 
Ausbildung  allein  den  Darmkiemen  des  Amphioxus  an  die  Seite  gestellt  werden 
kann,  und  dem  folglich  die  ursprünglichen  Kiemenspalten  zugezählt  werden 
müssen*.  Da  nun  ein  Theil  von  den  Anlagen  dieser  Darmkiemen  auch  bei 
den  Batrachiern  nachweislich  dem  Rumpfe  angehört  und  erst  nachträglich 
und  bloss  in  den  Darmblatttheilen  in  den  Kopf  vorrückt,  so  kann  die  ursprüng- 
liche Lage  derselben  bei  Amphioxus  am  wenigsten  zur  Abgrenzung  eines  Kopf- 
abschnittes benutzt  werden.  Dieses  Thier  hat  also  weder  einen  Kopf  noch  kann 
die  Entwickelung  eines  solchen  von  einer  Difierenzirung  der  Darmkiemen  zu 
dem  morphologisch  nur  den  Gliedmassen  vergleichbaren  Aussenkiemenappa- 
rate  der  Craniota  abgeleitet  werden.  Die  Entwickelung  des  Hirns  und  der 
höheren  Sinnesorgane  ist  die  eigentliche  Ursache  der  Kopfbildung  der  Wirbel- 
thiere,  indem  dadurch  die  Besonderheit  der  Kopfsegmente  und  die  Kopf  beuge 
mit  allen  ihren  Folgen  hervorgerufen  werden.  Im  Vorderkopfe  oder  dem 
ersten  Metamer  des  Körpers  erscheint  die  grösste  Veränderung  in  den  Anlagen 
des  mittleren  Keimblattes  durch  die  vollständige  Auflösung  der  Seitenplatte, 
wahrend  die  drei  folgenden  Metameren  nur  mehr  in  den  abweichenden  Massen- 
verhältnissen jener  Anlagen  vom  Rumpfe  differiren.  Die  weitere  Umbildung 
des  doppelten  Segmentpaars  in  jenem  ersten  Metamer  zum  Gesicht  und  Kiefer- 
apparat  ist  aber,  wie  ich  zeigte,  noch  insofern  von  der  Hirnentwickelung  sehr 
wesentlich  abhängig,  als  ein  geringeres  Mass  derselben  zur  cyklostomen  Bildung 
führt,  in  welcher  die  Bedeutung  der  Kiefer  kaum  angedeutet  ist,  während  eine 
grössere  Energie  jener  Entwickelung  dieselben  Anlagen  zum  vollkommeneren 
plagiostomen  Kieferapparate  umbildet.     .Ferner  unterdrückt  das  Hirn  in  den 


*  Dass  diese  Kiemenspalten  auch  bei  den  übrigen  Wirbelthieren  nur  als  rückgebildete 
innere  Kiemenanlagcn  aufzufassen  sind ,  welche  sich  dem  äusseren  Kiemenapparate  erst 
sekundär  einfügen,  dürfte  aus  dem  Umstände  erhellen,  dass  die  ins  Wasser  frei  hinein- 
hängenden Aussenkiemen  bereits  funktioniren,  bevor  die  sie  trennenden  Kiemenspalten 
eröffnet  sind  (  Taf.XVIl),  was  bereits  den  älteren  Embryologen  bekannt  war  (Nr.  9  S.  304). 


IX.     Der  Kopf.  743 

inneren  Segmenten  die  Grundlagen  für  den  allgemeinen  Bewegungsapparat, 
wie  er  im  Rumpfe  bestellt,  und  drängt  mit  den  äusseren  Segmenten  die  Anlagen 
der  von  Anfang  an  mehr  lokal  angeordneten,  weil  nicht  an  den  durchgehenden 
Skeletstamm    (Wirbelsaite)    geknüpften   Muskelgruppen    als  Homologa   der 
Extremitäten  an  die  Seiten  des  Kopfes.     Was  von  den  Muskeln  und  Nerven 
jener  inneren  Segmente  sich  nicht  unter  ganz  neuen  Formbedingungeu  den 
lokalen  Bedürfnissen  des  Auges  anpasst,  geht  im  Hinterkopfe  allmählich  zu 
Grunde ,  sodass  jedoch  dieser  mit  der  Ausbildung  der  seitlichen  Muskulatur 
zusammenhängende  Schwund  erst  nach  der  Entwickelung  des  Gehörbläschens 
aber  vor  der  Anlage  der  hinteren  Schädelbasis  oder  der  hinteren  Kopfwirbel- 
theile  erfolgt.    Die  beginnende  Bildung  des  Primordialkraniums  musste  daher 
die  besonderen  morphologischen  Grundlagen  des  Wirbelthierkopfs  bereits  vor- 
finden; und  da  sie  im  Vorderkopfe  beginnend  die  Entstehung  der  Wirbelsäule 
einleitete,  so  erweisen  sich  auch  darin  die  Cyklostomen  als  diejenigen  von  den 
uns  bekannten  Craniota,  welche  der  vorausgesetzten  Stammform  der  Wirbel- 
thiere  am  nächsten  stehen.     Kommen  wir  endlich  zum  Kiemenapparate,  so 
konnten  die  uns  bekannten  Aussenkiemen  erst  nach  der  Entwickelung  der 
lateralen  Kopfsegmente  entstehen,  d.  h.  nachdem  die  wesentlichen  Grundlagen 
des  Wirbelthierkopfes  bereits  gelegt  waren.  Bis  dahin  funktionirten  also  wahr- 
scheinlich die  Darmkiemen  allein  und  zwar  im  Kopfe  nach  der  Rückbildung 
seiner  etwa  vorher  bestandenen  serösen  Höhle  *  in  der  Form ,  wie  „wir  sie  bei 
den  Anurenlarven  kennen.     Dann  werden  die  beiderlei  Kiemenapparate  neben- 
einander existirt  haben ,  wie  es  die  Anurenlarven  noch  zeigen ,  bis  der  äussere 
das  Uebergewicht  gewann  und  der  innere  sich  bis  auf  wenige  Reste  zurück- 
bildete.    Da  nun  die  Cyklostomen  sich  in  der  Bildung  aller  übrigen  Kopftheile 
als  älteste  der  uns  bekannten  Craniotenformen  erwiesen  haben,  ihre  Kiemen 
dagegen  mit  den  übrigen  Fischkiemen  verglichen  eine  ausserordentlich  weit 
vorgeschrittene  Umbildung  einfacher  Aussenkiemen  bekunden  würden ,  ander- 
seits aber  viel  mehr  mit  den  Innenkiemen  der  Anurenlarven  korrespondiren,  so 
sehe  ich  in  ihnen  die  modificirten  und  zum  Theil  aus  dem  Rumpfe  in  den  Kopf 
vorgeschobenen  Darmkiemen  des  Amphioxus.     Wenn  wir  aber  ihre  morpho- 
logischen Anlagen  bis  auf  die  höchsten  Wirbelthiere  vererbt  und  theilweise  in 
neuer  Umbildung  erhalten  sehen  (Paukenhöhle  mit  ihrem  Rachengange),  so 


*  Aus  der  Anlage  der  beiden  Schichten  der  Seitenplatte  im  Kopfe  (S.  221.  222)  könnte 
auf  eine  frühere  Ausdehnung  der  serösen  Rumpfhöhle  bis  in  den  letzteren  hinein  ge- 
schlossen werden. 


744  IX    Der  Kopf. 

Hesse  sich  vielleicht  noch  die  weitere  Hypothese  verth eidigen,  dass  nämlich  die 
Lungen  weniger  weit  veränderte  Homologa  der  Darm-  oder  Innenkiemen  seien. 
Wenn  man  ihre  hintersten  Anlagen  bei  den  Anuren  in  den  Rumpf  verlegen 
muss ,  wenn  man  dann  die  Anlage  der  Lungen  dicht  hinter  der  letzten  in  den 
Kopf  vorgerückten  Schlundfalte  ebenfalls  in  einem  Paar  seitlicher  Darmblatt- 
falten erkennt  {Taf.  XIV  Fig.  254,  Taf.  XVII Fig.  308),  welche  nur  wegen 
ihrer  bleibenden  Lage  innerhalb  der  Rumpfhöhle  eine  andere  Fortentwicke- 
lung erfahren ,  so  wird  man  jene  Hypothese  nicht  ohne  weiteres  von  der  Hand 
weisen.  —  Das  Ergebniss  dieser  Betrachtungen  über  die  sogenannte  paläonto- 
logische Entwickelung  des  Wirbelthierkopfes  wäre  nun  folgendes.  Nicht  der 
Primordialschädel  unterscheidet  die  Craniota  von  Amphioxus,  sondern  der  Be- 
sitz eines  dem  letzteren  fehlenden  Kopfes;  nach  der  Entwickelung  desselben 
stehen  aber  dem  Amphioxus  ganz  unbedingt  die  Cyklostomen  am  nächsten, 
und  auf  sie  folgen  nicht  etwa  die  Selachier,  sondern  die  Batrachier ,  vor  allem 
die  Anuren.  Die  Selachier  zeigen  ein  im  Verhältniss  zu  den  Batrachiern  mächtig 
angelegtes  und  erst  nachträglich  zurückbleibendes  Hirn  (S.  312),  daher  eine 
starke  Kopfbeuge  und  ein  frühes  Uebergewicht  der  plagiostomen  Form,  endlich 
sehr  weit  differenzirte  Aussenkiemen  ohne  Spur  der  inneren,  lauter  Momente, 
welche  ihrem  Ursprünge  eine  höhere  phylogenetische  Stufe  anweisen  als  den 
Anuren.  Der  knorpelige  Zustand  ihres  Kopfskelets,  welcher  übrigens  bei  den 
Batrachiern  erst  spät  und  nur  theilweise  aufgegeben  wird,  kann  als  histolo- 
gisches Moment  am  wenigsten  in  allgemeinen  morphologischen  Fragen  mass- 
gebend sein,  besonders  da  es  sich  dabei  nur  um  sekundär-morphologische  Theile 
handelt;  wenigstens  mit  dem  gleichen  Rechte  könnte  der  Zustand  der  Oberhaut 
zum  gleichen  Zwecke  benutzt  werden  und  aus  der  weichen,  indifferenteren 
Haut  der  Batrachier  gerade  ihr  engerer  Anschluss  an  die  Cyklostomen  und  die 
Stammform  gegenüber  den  Selachiern  gefolgert  werden. 


X.  Das  Herz  und  das  Gefässsystem. 


1.    Das  Herz. 

Die  morphologischen  Grundlagen  des  Herzens  und  des  Perikardialsackes 
sind  die  beiden  Schichten  der  Seitenplatte  unter  der  Schlundhöhle.  Der  Boden 
dieses  Darmabschnittes  und  überhaupt  des  ganzen  Vorderdarms  wird  im  ersten 
Anfange  der  Embryonalentwickelung  unmittelbar  vor  der  Dotterzellenmasse, 
wo  dieselbe  in  das  einfache  Darmblatt  übergeht,  durch  die  aneinandergeschlos- 
senen  drei  Keimblätter  gebildet  {Taf.  II  Fig.  35 — 37).  Sehr  bald  zeigt  sich 
auch  dort  in  Folge  der  dorsalwärts  gerichteten  Zellenbewegung  eine  Fort- 
setzung der  medianen  Lücke  des  mittleren  Keimblattes  vom  Vorderkopie  her, 
welche  weiterhin  auch  auf  den  Rumpf  übergeht;  in  der  Schlundhöhle  senkt  sich 
das  Darmblatt  zwischen  die  getrennten  Ränder  der  beiden  Seitenplattenhälften 
bis  zur  Oberhaut  ein  (Taf.  V  Fig.  91,  Taf.  VI  Fig.  111.  112).  Indem  aber 
darauf  die  Rückbildung  der  Seitenplatte  in  der  Schlundwand  beginnt  und  da- 
durch jene  Zellenbewegung  aufgehalten  wird,  behalten  die  ventralen  Abschnitte 
jener  Platte  im  primitiven  Schlundhöhlenboden  einen  genügenden  Ueberfluss 
an  Bildungsmaterial,  um  in  rückläufiger  Bewegung  ihre  beiden  Schichten,  das 
Visceral-  und  das  Parietalblatt  in  ganz  bedeutender  Ausdehnung  auszubilden 
(S.  213.  214.  246).  In  dieser  Entwickelung  werden  sie  durch  die  Entstehung  der 
Grenzfalte  gefördert,  wodurch  das  Darmblatt  zwischen  der  vor  der  Dotter- 
zellenmasse zurückbleibenden  Tasche  des  Vorderdarms  und  dem  Zungenbein- 
bogen zuerst  aus  ihrer  medianen  Einsenkung  und  dann  noch  höher  gehoben 
wird,  und  so  zwischen  dem  unmittelbaren  Boden  der  Schlundhöhle  und  der  in 
ihrer  früheren  Lage  zurückbleibenden  Oberhaut  sich  der  Herzraum  successiv 
erweitert  (S.  220).  Dieser  Raum  ist  also  innerhalb  der  genannten  Grenzen  dem 


746  X.    Das  Herz  und  das  Gefässsystem. 

Darmblattboden  der  Schlundböhle  genau  angeschlossen,  sodass  seine  oberen 
Seitenränder  mit  der  fortlaufenden  unteren  Grenze  der  Kiemenbögen  zusam- 
menfallen ( Taf.  XIII  Fig.  225.  226.  235—237).  In  dem  Masse  als  der  Herz- 
raum wächst,  erweitern  sich  auch  die  in  ihm  enthaltenen  Abschnitte  der  Seiten- 
platte, und  indem  ihre  beiden  Blätter  auseinanderweichen,  verwandeln  sich  die 
sie  zusammenhaltenden  Ränder  in  Falten,  welche  mitten  durch  den  Herzraum 
einander  entgegenwachsen   und  sich  in  der  Medianebene  endlich  verbinden 
(Taf.  VII  Fig.  132—134,  Taf.  XIII).  Dabei  erhält  sich  ein  medianer  Zusam- 
menhang der  beiden  Blätter  noch  einige  Zeit,  sodass  die  beiderseitigen  von 
ihnen  eingeschlossenen  Spalträume  getrennt  bleiben.     Rückwärts  setzt  sich 
natürlich  die  so  gebildete  Seitenplatte  mit  ihren  beiden  Blättern  kontinuirlich 
in  die  gleichnamigen  Theile  des  Rumpfes  fort,  wobei  sie  sich  tiefer  senkend  zu- 
nächst die  Tasche  des  Vordarms  umgreift  (Taf.  II  Fig.  38,  Taf.  VII,  XIII). 
Da  nun  die  von  beiden  Blättern  eingeschlossenen  grösstentheils  noch  spaltför- 
migen  Lücken  im  Herzräume  die  künftige  Perikardialhöhle,  im  Rumpfe 
die  sogenannte  Pleuroperitoneal  höhle  darstellen,  so  ergibt  sich  daraus 
die  kontinuirlich e,  einheitliche  Anlage  beider  Höhlen.     Aber  noch  ein  anderer 
ursprünglicher  Zusammenhang  der  Herzbildung  ist  hier  hervorzuheben.     Die 
eigentliche  H  e  r  z  h  ö  h  1  e  ist  nämlich  in  der  Lücke  zu  suchen,  welche  zwischen  dem 
sich  hebenden  Darmblattboden  der  Schlundhöhle  und  der  von  den  Kiemenbögen 
gleichsam  herabhängenden  Seitenplatte,  genauer  gesagt  deren  Visceralblatte 
entsteht.     Während  diese  beiden  Blätter  auseinanderweichen,  löst  sich  eine 
lockere,  nicht  zusammenhängende  Schicht  vom  Darmblatte  ab,  um  vielleicht 
in  Verbindung  mit  einigen   vom  Visceralblatte  stammenden   Bildungszellen 
eine  zarte,    zunächst   bloss  untere  und  seitliche  Auskleidung  der  primitiven 
Herzhöhle  zu  bilden.     Verfolgen  wir  das  Visceralblatt  rückwärts,  wo  es  sich 
senkend  die  Vordarmtasche  umgreift ,  so  treffen  wir  bereits  eine  Ausbuchtung 
dieses  Darmtheils  gegen  den  Herzraum  und  im  Anschlüsse  daran  eine  begin- 
nende seitliche  Abschnürung  desselben  gegen  den  darüberliegenden  Vordarm- 
abschnitt;  die  dadurch  entstandene  Furche  schliesst  das  sich  darüber  spannende 
Visceralblatt  zu  einer  kanalartigen  Lücke  ab,  welche  den  oberen  Umfang  jener 
sich  abschnürenden  Darmblatttasche  oder  der  Leberanlage  umkreist,  vorn  im 
unmittelbaren  Zusammenhange  mit  der  Herzlücke  steht  und  jederseits  an  der 
hinteren  Grenze  der  Leberanlage  in  den  Spaltraum  zwischen  der  Dotterzellen- 
masse und  dem  Visceralblatte  des  Rumpfes  übergeht  (Taf.  VII,  XIII).     In 
diesem  Spaltraume  entstehen  die  D  ottergefässe  und  in  jener  die  Wurzel 


1.     Das  Herz.  747 

der  Leberanlage  umgreifenden  Lücke  die  Dotter  darin  venen  in  der  Weise, 
dass  ein  vom  Visceralblatte  geliefertes  Bildungsgewebe  die  von  Blut  oder  bloss 
Serum  gefüllten  Lücken  mit  einer  primitiven  Gefässwand  umkleidet,  welche 
dort,  wo  die  beiden  Dotterdarmvenen  über  der  vorderen  Ausbuchtung  der 
Leberanlage  zusammentreffen,  sich  alsbald  mit  der  inneren  Auskleidung  der 
primitiven  Herzhöhle  oder  dem  Epithel  des  Endocardium  verbindet 
(S.  538).  Daraus  ergibt  sich  aber  der  ursprüngliche  kontinuirliche  Zusammen- 
hang aller  dieser  in  analoger  Weise  entstandenen  Bluträume  von  selbst.  Wen- 
den wir  uns  nun  wieder  dem  Herzen  zu,  welches  von  allen  Bluträumen 
zuerst  angelegt  wird,  so  betrifft  seine  Absonderung  anfangs  nur  die  Höhle: 
die  künftige  Her  zw  and,  nämlich  das  zumeist  vom  Darmblatte  abstammende 
Endokardialblatt  und  das  ihm  unterliegende  Visceralblatt  bilden  zuerst  nur 
den  muldenförmigen  Boden  jener  Höhle.  Mit  der  wachsenden  Erweiterung  des 
ganzen  Herzraums  nimmt  aber  auch  die  Ausdehnung  der  Seitenplatte  zu,  und 
da  das  Visceralblatt  wie  im  ganzen  übrigen  Körper  das  Parietalblatt  an  Dicke 
übertrifft,  schreitet  auch  seine  Ausdehnung  schneller  fort  und  zwingt  es  daher 
innerhalb  des  vom  Parietal-  und  dem  Darmblatte  begrenzten  Raumes  zu  Fal- 
tungen. Die  Lage  und  Richtung  derselben  wird  durch  die  noch  bestehende 
mediane  Verlöthung  beider  Blätter  bestimmt;  sie  zieht  das  Mittelstück  des 
Visceralblattes  hinunter  und  lässt  in  Folge  dessen  seine  Seitentheile  an  der 
Darmblattdecke  jederseits  in  einer  medianwärts  gerichteten  Falte  vorrücken 
und  so  die  muldenförmige  Herzwand  allmählich  zu  einem  Schlauche  ab- 
schnüren, während  zugleich  die  Decke  des  Herzraums  eine  perikardiale  Aus- 
kleidung erhält  (Fig.  133.  225.  226.  234—236).  Indem  das  Parietalblatt  da- 
bei an  der  Oberhaut  zurückbleibt,  *  verwandelt  jene  Abschnürung  die  spalt- 
förmigen  Perikardiallücken  in  weitere  Räume,  welche  nach  der  Lösung  der  sie 
trennenden  medianen  Verbindung  zu  einer  Höhle  zusammenfiiessen,  in  welche 
der  Herzschlauch  frei  hinabhängt.  Eine  vollständige  Abschnürung  dieses  dop- 
pelwandigen  Schlauches  erfolgt  übrigens  nur  in  seinem  mittleren  Abschnitte 
Vorn  bleibt  er  gegen  das  Darmblatt  geöffnet,  sodass  die  Enden  der  ersten 
Kiemenbögen  mit  den  darin  gebildeten  primitiven  Aortenbögen  zwischen  dem 
Visceral-  und  dem  Darmblatte  bis  an  dieses  Vorderende  des  Herzschlauches  oder 


*  An  den  Durchschnittspräparaten  berühren  sich  Parietalblatt  und  Oberhaut  gewöhn- 
lich nicht ;  wenn  man  aber  berücksichtigt ,  dass  in  anderen  Fällen  oft  ganz  unzweideutige 
Zeichen  einer  durch  die  Präparation  gelockerten  oder  gelösten  Verbindung  jener  Theile 
vorliegen  (Taf.  XIII  Fig.  236),  so  darf  der  bisweilen  relativ  grosse  Abstand  derselben 
auch  in  Abwesenheit  jener  Zeichen  für  unnatürlich  gehalten  werden. 


748  X.    Das  Herz  und  das  Gefässsystem. 

den  zukünftigen  Bulbus  arteriosus  vorrücken  und  sich  mit  dessen  Endo- 
kardialsacke  verbinden  können  (Fig.  234) ;  rückwärts  erweitert  sich  der  Herz- 
schlauch gewissermassen  trichterförmig  gegen  den  ganzen  Vordarm,  indem  sein 
Visceralblatt  in  dessen  unmittelbare  Umhüllung  übergeht  (Taf.  XIV  Fig.  249. 
250.  252).  Dabei  legt  es  sich  der  Vorderseite  der  Leberanlage  eng  an ,  lässt 
aber  über  ihrem  Vorsprunge  die  Lücke  frei ,  in  welcher  die  primitiven  Dotter- 
darmvenen aus  ihrem  seitlichen  Verlaufe  medianwärts  gelenkt  zusammen- 
treffen und  endlich  zum  Sinus  venosus  verschmelzen  (Taf.  XIII,  XIV, 
XVI  Fig.  292.  293).  Darüber  geht  dann  die  Abschnürung  des  Herzschlauches 
bis  an  die  hintere  Grenze  des  Venensackes  fort,  sodass  derselbe  bis  auf  die  hin- 
tere und  untere  Anlagerung  an  die  Leber  frei  in  die  Perikardialhöhle  vorragt. 
Die  Wände  dieser  Höhle  werden  nur  vorn,  unten  und  seitlich  vom  Parietal- 
blatte  gebildet,  das  Visceralblatt  überzieht  dagegen  nicht  nur  den  eigentlichen 
Herzschlauch  mit  seinen  Uebergängen  in  die  Gefässe,  sondern  auch  die  obere 
und  hintere  Wand  der  Perikardialhöhle.  Dort,  wo  beide  Blätter  an  der  vor- 
deren und  seitlichen  Grenze  des  Herzraums  in  die  Seitenplatte  des  Zungenbein- 
bogens  und  der  Kiemenbögen  übergehen ,  verschmelzen  sie  alsbald  zu  einem 
kontinuirlichen  Zusammenhang  und  lösen  sich  von  ihrer  ursprünglichen  Fort- 
setzung ab.  Dasselbe  geschieht,  nur  später,  im  vorderen  queren  Umfange  des 
Vordarms,  soweit  derselbe  die  ursprüngliche  Hinterwand  des  Perikardialsackes 
bildet-,  nur  sind  dabei  folgende  Punkte  hervorzuheben.  Anfangs  biegt  der 
horizontale  Darmblattboden  der  Schlundhöhle  unmittelbar  in  die  Vorderwand 
des  Vordarms  um,  sodass  die  letztere  den  Herzraum  nur  rückwärts  begrenzt 
(Taf.  II  Fig.  38);  allmählich  legt  sich  aber  der  oberste  Abschnitt  jener  Wand 
nach  vorn  um  und  nimmt  daher  als  mehr  oder  weniger  gerade  Fortsetzung  des 
Schlundhöhlenbodens  an  der  oberen  Begrenzung  des  Herzraums  Theil  (Taf. 
XVI).  Nach  der  vollständigen  Abschuürung  des  Herzschlauchs  und  seines 
Sinus  venosus  erscheint  jener  Vordarmabschnitt  (Kehlkopf,  Lungenwurzel)  mit 
dem  ihn  überziehenden  Visceralblatte  als  Decke  der  über  dem  Venensacke  be- 
findlichen engen  Bucht  der  Perikardialhöhle  (Taf.  XIII  Fig.  237.  238,  Taf. 
XIV  Fig.  261.  262,  Taf.  XV  Fig.  274—277).  Das  sich  daran  schliessende 
zur  Leberanlage  absteigende  Stück  des  Vordarms  (Magen,  vorderes  Duodenum) 
begrenzt  mit  seinem  Darmblatte  den  Innenraum  des  Venensackes  von  hinten, 
welcher  das  der  Vorderseite  dieses  Darmtheils  zukommende  Visceralblatt  ihm 
völlig  entzieht  (Taf.  XVI).  Darunter  bildet  die  vom  Visceralblatte  überzogene 
Vorderfläche  der  Leberanlage  den  grössten  Theil  der  Hinterwand  der  Perikardial- 


1.    Das  Herz.  749 

höhle.  Diese  dem  eigentlichen  Darmkanal  und  verschiedenen  seiner  Anhangs- 
organe angehörigen  Visceralblattflächen  bleiben  dort,  wo  sie  an  die  Leibeswand 
anstossen,  d.  h.  unter  der  vorderen  Leberfläche,  zur  Seite  derselben,  des 
Venensackes  und  des  horizontalen  oberen  Vordarmabschnittes  (Lungenwurzel) 
mit  dem  Parietalblatte  in  Berührung  ,  um  von  dort  aus  die  betreffenden  Ein- 
geweide weiter  einzuscheiden.  An  jener  Berührungsgrenze  zieht  aber  das 
Parietalblatt  nicht  eben  weiter,  sondern  schiebt  auf  jene  Visceralblattflächen 
eine  kurze  Falte  vor,  welche  mit  ihnen  nach  einiger  Zeit  verwächst  und  so  die 
Perikardialhöhle  auch  gegen  die  Pleuroperitonealhöhle  vollends  abschliesst 
(Taf.  XIII  Fig.  237,  Taf.  XIV,  XV).  Wenn  aber  in  der  Folge  mit  dem  ganzen 
Larvenkörper  auch  die  genannten  Höhlen  an  Breite  zunehmen,  wachsen  jene 
in  die  Perikardialhöhle  schauenden  Visceralblattflächen  nicht  in  entsprechen- 
dem Masse,  sondern  nebst  den  betreffenden  Eingeweiden  etwas  langsamer  in  die 
Breite ;  dadurch  werden  aber  die  an  ihren  Rand  gehefteten  Falten  des  Parietal- 
blattes  als  Duplikaturen  in  die  Scheidewand  beider  grossen  Höhlen  hinein- 
gezogen {Taf.  XXI  Fig.  373).  Soweit  diese  Duplikaturen  den  Rand  der 
Scheidewand  bilden,  soweit  allein  wird  sie  selbstständig,  während  die  gleich- 
sam von  diesem  Rande  umschriebene  grosse  mittlere  Lücke  nur  durch  ein- 
geschobene Eingeweide,  die  Leber  und  die  Lungenwurzel,  ausgefüllt  wird.  Die 
grosse  Bedeutung  dieser  Entwickelungsvorgänge  für  die  Erkenntniss  der  gene- 
tischen Beziehungen  der  übrigen  Eingeweide  wird  sich  im  nächsten  Abschnitte 
ergeben,  hier  soll  nur  das  den  Perikardialsack  unmittelbar  Betreffende  er- 
wähnt werden.  Da  derselbe  nach  vorn,  unten  und  den  beiden  Seiten  vollkom- 
men abgeschlossen  und  abgesondert  ist  und  durch  keine  irgendwie  festere  Ver- 
bindung gehalten  wird,  und  auch  mit  dem  Schlundhöhlenboden  nur  durch  die 
Aortenbögen  zusammenhängt,  welche  bei  der  bekannten  Leichtigkeit  der 
Wachsthumsausdehnung  der  Gefässe  kein  bedeutendes  Hinderniss  für  die  Ent- 
fernimg des  Perikardialsackes  von  jenem  Boden  und  dem  darin  enthaltenen 
Zungenbeine  sein  können,  so  hängt  seine  Lage  lediglich  von  jenen  Eingeweiden 
ab,  welche  mit  breiter  Fläche  seiner  Wand  eingefügt,  also  aufs  innigste  mit  ihm 
verbunden  sind,  —  die  Lungenwurzel  und  die  Leber  (Taf.  XVI Fig.  292.  293. 
298,  Taf.  XXI Fig.  272.  277).  Das  absteigende  Vordarmstück  (Magen,  Duo- 
denum) kommt  hier  desshalb  nicht  in  Betracht,  weil  es  sein  vorderes  Visceral- 
blatt  ganz  dem  Venensacke  überlässt  und  darauf  in  später  zu  erläuternder 
Weise  sich  von  dem  letzteren  völlig  abschnürt  und  zurückzieht.  Schon  die 
horizontale  Umlagerung  der  unteren  Wand  der  Lungenwurzel  ist  ein  Ausdruck 


750  X.  Das  Herz  und  das  Gefässsystem. 

der  Streckung  und  Verlängerung  dieses  Darmabschnittes ,  wodurch  der  Peri- 
kardialsack  bereits  ein  wenig  über  die  hintere  Grenze  der  Schlundhöhle  hin- 
ausgerückt wurde ;  geschieht  dies  in  noch  höherem  Grade  und  wird  zugleich  die 
Leber  zurückgezogen,  so  muss  natürlich  der  ganze  Perikardialsack  mit  seinem 
Inhalte  ihnen  folgen  und  so  seine  Bildungsstätte,  die  Bauchseite  der  Kopfregion, 
verlassen,  um  ganz  in  den  Rumpf  überzutreten,  während  von  diesem  aus  schon 
vorher  die  Mm.  genio-  und  sterno-hyoidei  zwischen  Perikardium  und  Oberhaut 
an  jene  Bauchseite  des  Kopfes  vorgerückt  sind,  welche  sie  später  an  Stelle  des 
Herzbeutels  allein  einnehmen. 

Die  Beschreibung  des  embryonalen  Herzschlauches  habe  ich  auf  jener 
frühen  Entwickelungsstufe  unterbrochen ,  wann  er  zwischen  seinen  befestigten 
Enden  eben  zur  vollen  Abschnürung  gelangt.  Schon  während  dieses  Vorgangs 
beginnt  er  sich  zu  verlängern,  und  da  seine  Endpunkte  sich  nicht  entsprechend 
von  einander  entfernen,  muss  er  seinen  gestreckten  Verlauf  aufgeben  und  seine 
Verlängerung  in  Windungen  zum  Ausdruck  bringen  (Fig.  252.  253.  255. 
260.  273).  Diese  sind  ganz  gesetzmässig  und  daher  müssen  auch  die  Ursachen 
ihrer  bestimmten  Richtung  gesetzmässig  konstante  sein.  Wenn  es  aber  auch 
gelingt,  nachzuweisen,  dass  bevor  jene  bestimmte  Asymmetrie  im  Verlaufe  des 
Herzschlauches  eintritt,  bereits  ebenso  konstante  asymmetrische  Form-  und 
Lageveränderungen  der  mit  ihm  in  engstem  Zusammenhange  stehenden  Theile 
des  Vordarms  sich  zeigen ,  welche  sogar  schon  auf  den  Mitteldarm  hinüber- 
greifen (vgl.  Taf.  XIII  Fig.  23S — 240),  so  ist  es  mir  doch  nicht  gelungen, 
irgend  einen  haltbaren  Grund  für  diese  eigenthümliche  Erscheinung  zu  ent- 
decken, als  deren  Folgen  alle  späteren  Asymmetrien  des  Situs  viscerum  er- 
scheinen. Der  ungleichmässige  oder  unsymmetrische  Zufluss  des  Blutes,  wel- 
chen v.  Baer  zur  Erklärung  der  gleichen  Erscheinungen  am  Hühnerembryo 
glaubte  benutzen  zu  können  (Nr.  8  I  S.  177.  178.  2V6 — 219),  kann  abgesehen 
davon,  dass  er  selbst  ebenso  unerklärt  bliebe,  desshalb  in  unserem  Falle  nicht 
angezogen  werden,  weil  er  erst  später  eintritt  als  die  ersten  Zeichen  der  übrigen 
Asymmetrie.  Ihr  gesetzmässiger  Ausdruck  am  Herzschlauche  ist  nun  fol- 
gender. Zuerst  beschreibt  er  mit  seinem  Haupttheile  einen  Bogen  nach  links 
und  unten ;  dann  schnürt  sich  sein  Vorderende  oder  der  Bulbus  arteriosus  bis 
an  die  gerade  aufwärts  gerichtete  Verbindung  mit  den  Aortenbögen  vollends  ab 
und  weicht  von  der  Medianebene  in  der  Weise  nach  rechts  ab ,  dass  er  nach 
hinten,  aussen  und  unten  gerichtet,  in  der  Tiefe  quer  in  den  linken  Bogen  über- 
gehen kann,  welcher  den  hintersten,  unmittelbar  an  den  Venensack  stossenden 


1.   Das  Herz.  751 

Abschnitt  des  freien  Herzschlauches  noch  kaum  merklich  nach  rechts  hinüber- 
drängt. Es  beschreibt  also  der  ganze  Herzschlauch  von  dem  Ursprung  der 
Aortenbögen  bis  zum  Sinus  venosus,  welche  beiden  die  oberen ,  ziemlich  genau 
median  gelegenen  Endpunkte  darstellen ,  einen  vollständigen  Schraubengang, 
von  vorn  nach  rechts  und  unten,  dann  nach  links  hinüber,  endlich  rückwärts 
und  aufwärts  wieder  in  die  Medianebene  zurück.  Durch  allmählich  entwickelte 
Einschnürungen  theilt  sich  der  gewundene  Herzkanal  in  den  vorderen ,  rechts 
hinabsteigenden  Bulbus  arteriosus,  in  die  Kammer,  welche  den  nach  links  ge- 
wandten Haupttheil  umfasst,  und  in  den  venösen  Vorhof,  welcher  in  dem  hin- 
teren aufsteigenden  Abschnitte  enthalten  ist  {Taf.  XIV,  XVI).  Indem  schon 
durch  die  Zusammenziehung  und  schräge  Verschiebung  der  Kiemenbögen  nach 
hinten  der  Ursprung  der  Aortenbögen  zurückgedrängt  wird,  nähert  sich  natür- 
lich auch  der  Bulbus  arteriosus  der  Vorderwand  des  Vorhofs,  an  die  er  sich 
schliesslich  anlegt,  während  die  Kammer  unter  den  letzteren  rückt,  wobei  sie 
jedoch  die  Richtung  ihres  Grundes  nach  links  beibehält  {Fig.  298.  310 — 312. 
372.  377).  Daraufweitet  sich  der  Vorhof  auf  jeder  Seite  zu  einem  sogenann- 
ten Herzohre  aus ,  welches  auf  die  Kammer  hinabhängt.  Inzwischen  hat  «r 
auch  seine  anfangs  ziemlich  symmetrische  Stellung  aufgegeben  und  ist  ganz 
entschieden  vor  die  rechte  Hälfte  des  Sinus  venosus  gerückt ,  sodass  seine  am 
meisten  über  der  Kammer  gelagerte  linke  Wölbung  durch  eine  ziemlich  tiefe 
Bucht  von  der  linken  Hälfte  des  Venensackes  und  überhaupt  der  Hinterwand 
des  Perikardialsackes  getrennt  wird  {Fig.  255.  311.  319).  Indem  nun  von  der 
Decke  des  Vorhofs  eine  Scheidewand  schräg  nach  hinten  und  links  hinüber 
gegen  den  an  der  linksseitigen  Grenze  von  Vorhof  und  Venensack  nach  innen 
vorspringenden  Grund  der  genannten  Bucht  hervorwächst  und  darauf  bis  zur 
Kommunikationsöffnung  zwischen  Kammer  und  Vorhof  vordringt,  wird  die 
linke  Hälfte  des  letzteren  nicht  nur  von  der  rechten ,  sondern  auch  von  ihrer 
früher  gemeinsamen  Wurzel,  dem  Venensacke,  völlig  getrennt  und  bildet,  wenn 
man  von  einer  inzwischen  neu  entstandenen  Gefässöffnung  an  ihrer  hinteren 
oberen  Wand  (V.  pulmonalis)  absieht,  einen  bloss  in  die  Kammer  sich  öffnen- 
den Blindsack  {Fig.  310.  319.  370).  Der  Venensack  bleibt  dann  nur  mit  der 
rechten  Vorhofshälfte  in  Verbindung.  Eine  ähnliche  nur  unvollkommene  Hal- 
birung  der  Kammer  und  des  Bulbus  arteriosus,  deren  physiologische  Bedeutung 
uns  Bruecke  geschildert  hat  (Nr.  142  S.  354—357),  habe  ich  allerdings  schon 
frühe  beginnen  sehen,  doch  nicht  näher  untersucht  {Fig.  372). 

Bezüglich  der  Histiogenese  des  Herzens  habe  ich  zu  bemerken ,  dass  das 


752  %■■   Das  Herz  und  das  Gefässsystem. 

Visceral-  und  Parietalblatt  überall  das  ganze  Perikardium,  das  erstere  am 
Herzen  ausserdem  noch  die  ganze  Muskulatur  und  überhaupt  alle  Gewebe  bis  auf 
das  endokardiale  Epithel  bilden.  Dieses  leitet  aber  die  Bildung  der  Vorsprünge 
ein,  welche  schon  sehr  zeitig  die  innere  Kammerwand  bedecken  (Fig.  370). 

2.  Die  Arterien. 

Während  der  Herzschlauch  in  der  Abschnürung  begriffen  ist,  vollzieht  sich 
die  schon  erwähnte  Verbindung  seines  Bulbus  arteriosus  mit  den  Aorten- 
bögen, indem  die  letzteren  von  Bildungszellen  umgeben,  welche  die  ventrale 
Vereinigung  der  getrennten  Kiemenbogenenden  im  Schlundhöhlenboden  ein- 
leiten, zwischen  das  Darmblatt  und  das  Perikardium  bis  zum  offen  daliegenden 
Endokardialsack  hineinwachsen  (Fig.  234).  Daher  entspringen  die  beider- 
seitigen einfachen  Wurzelstücke  der  Aortenbögen  nicht  divergirend ,  sondern 
rechtwinkelig  aus  dem  Ende  des  Bulbus  arteriosus  (Fig.  309.  319).  In  den 
Kiemenbögen  verlaufen  sie  in  der  äusseren  Schicht  der  Seitenplatte,  liegen  also 
später  dem  knorpeligen  Kiemgerüste  aussen  an ,  der  zweite  Aortenbogen  ins- 
besondere in  einer  Rinne  des  unterliegenden  Knorpels ,  was  an  das  ähnliche 
Verhalten  bei  den  Fischen  erinnert  (Taf.  XVIII  Fig.  332);  von  den  aus  den 
äusseren  Segmenten  hervorgehenden  Muskeln  und  Nerven  werden  die  Aorten- 
bögen, soweit  sie  mit  ihnen  in  denselben  Querebenen  liegen,  bedeckt.  Sehr 
bald  nach  seiner  Entstehung  verdoppelt  sich  jedes  solche  Hauptgefäss  eines 
Kiemenbogens  im  Bereiche  der  Kieme  in  der  von  Rusconi  (Nr.  6  S..  50 — 54) 
beschriebenen  Weise  (vgl  XVI  Fig.  295.  300—302,  Taf.  XVII  Fig.  309. 
319);  da  ich  mich  aber  auf  die  Einzelheiten  des  Blutumlaufs  in  den  Kiemen 
nicht  einlassen  will,  werde  ich  von  den  Aortenbögen  als  von  einfachen  Gefäss- 
stämmen  reden  oder  vielmehr  nur  die  bleibenden  Hälften  vom  Doppelbogen  be- 
rücksichtigen. —  Zuerst  entsteht  der  Aorten  bogen  des  ersten  Kiemen- 
bogens, welcher  sich  alsbald  mit  dem  Herzen  in  Verbindung  setzt-,  unter  dem 
Ohrbläschen  und  auf  der  Darmblattdeke  der  Schhmdhöhle  angelangt,  wendet 
er  sich  rückwärts  und  etwas  einwärts,  sodass  er  unter  den  Stammuskeln  zu  lie- 
gen kommt,  und  endet  vorläufig,  da  eine  Aorta  noch  nicht  besteht,  an  der 
Hintergrenze  des  Kopfes  (Taf.  XIII  Fig.  234 — 237).  An  dieser  Stelle  schliesst 
sich  ihm  aber  bereits  ein  Seitenast  an,  welcher  die  Stammuskeln  von  aussen 
und  aufwärts  umgreifend  das  Hinterhirn  erreicht,  um  an  dessen  Basis  und  nach 
innen  von  den  Wurzeln  der  Kopfnerven  vorwärts  zu  ziehen.     Es  ist  dies  die 


2.    Die  Arterien.  753 

primitive   Wirbelarterie    mit    ihrer    Fortsetzung,    der   A.   basilaris 
(Fig.  237.  274).     Zur  selben  Zeit  ist  auch  schon  ein  zweiter  Ast  des  ersten 
Aortenbogens  vorhanden,  die  A.  carotis,  welche  denselben  dort  verlässt,  wo 
er  die  Schlundhöhlendecke  unter  dem  Ohrbläschen  erreicht ,   und  auf  dieser 
Decke  gerade  vorwärts  zieht.     Beide  Aeste  des  ersten  Aortenbogens  verlieren 
sich  jedoch    gleich   ihm   selbst  nach   kurzem    Verlaufe  im   Bildimgsgewebe. 
Immerhin   erhellt  aus  der  selbstständigen  Entwickelung  des  ersten  Aorten- 
bogens bis  jenseits  des  Ursprunges  der  primitiven  Wirbelarterie,   dass  er  die 
dorsale  Verbindungsbahn  der  Aortenbögen  bis  zum  Anfange  der  Aorta  ganz 
allein  bildet.  —  Der  zweite  Aortenbogen  fliesst  am  Bulbus  arteriosus  mit 
dem  ersten  zusammen  und  ergiesst  sich  in  dessen  oberen  horizontalen  Verlauf, 
sodass  darauf  die  jenseits  ihrer  Vereinigung  liegende  Aortenwurzel  von  den 
eigentlichen  Bögen  unterschieden  werden  kann ,   obgleich  sie  ebenso  wie  der 
sogenannte  R.  communicans ,  nämlich  der  zwischen  dem  Anfange  der  Aorten- 
wurzel und  der  Carotis  liegende  Gefässabschnitt ,  lediglich  aus  dem  ersten 
Aortenbogen  entsteht.     Der  dritte  Aortenbogen  der  Anurenlarven  kann 
jedoch  als  an  der  Bildung  der  Aortenwurzel  mitbetheiligt  gar  nicht  angesehen 
werden;  denn  sowie  er  nicht  mehr  aus  dem  Bulbus  arteriosus,  von  dem  er  be- 
reits zu  weit  entfernt  ist,  sondern  aus  dem  Wurzelstück  des  zweiten  Aorten- 
bogens entspringt,   so  mündet  er  auch  gar  nicht  unmittelbar  in  die  Aorten- 
wurzel; indem  er  im  dritten  Kiemenbogen  schräg  rückwärts  aufsteigt  und  in 
derselben  Richtung  über  die  letzte  Kiemenspalte  hinzieht,  schickt  er  dem  End- 
stück des  zweiten  Aortenbogens  bloss  einen  Verbindungszweig,  während  der 
Gefässstamm  in  den  vierten  Kiemenbogen,  nach  innen  vom  dritten  ursprüng- 
lichen Vagusaste  (N.  laryngeus  anterior),  eindringt  und  medianwärts  gewandt 
sich  der  Lungen wurzel  anschliesst  {Taf.  XV Fig.  275.  276,  Taf.  XX  Fig.  233, 
Taf.  XXI  Fig.  377).    Aehnlich  wie  der  zweite  Aortenbogen  zum  zweiten,  ver- 
hält sich  der  letzte  Kiemengefässstamm  zum  dritten,  mit  dem  er  sich 
an  dessen  Wurzel  und  auf  seinem  Verlaufe  zur  Lungenwurzel  verbindet.  — 
Obgleich  es  nicht  möglich  ist,  an  den  kleinen  schwarzen  Unkenlarven  die  Rich- 
tung der  verschiedenen  Blutströme  unmittelbar  und  sicher  festzustellen,  so  gibt 
es  doch  genügende  Anhaltspunkte,  um  jene  Bestimmung  indirekt  auszuführen. 
Der  dritte  Aortenbogen  führt  sein  Blut  nur  so  lange,  als  der  Lungenkreislauf 
noch  gar  nicht  angelegt  ist,  vollständig  in  den  zweiten  Aortenbogen  über.     Da 
jener  Kreislauf   aber   schon    im  Anfange  der   zweiten   Larvenperiode  fertig 
entwickelt  ist,  so  ist  es  wenigstens  möglich ,  dass  von  diesem  verhältnissmässig 

Goktte,   Eutwickeluugsgescliiclite.  48 


754  X.   Das  Herz  und  das  Gefässsystem. 

frühen  Zeitpunkte  an  das  Blut  des  dritten  Aortenbogens  nur  zum  Theil  in  die 
Aorta,  zum  Theil  in  die  Lunge  abfiiesst.  Wahrscheinlich  wird  dies  erstens  da- 
durch, dass  der  Uebergang  jenes  Bogens  nach  hinten  gegen  die  Lunge  stumpf- 
winkelig ,  nach  vorn  zum  2.  Aortenbogen  spitzwinkelig  erscheint ,  dass  also  das 
Blut  in  der  ersten  Richtung  einen  bequemeren  Abfluss  hat.  Der  4.  Kiemen- 
gefässbogen  kann  aber  abgesehen  davon,  dass  seine  Mündung  in  den  ursprüng- 
lichen hinteren  Ast  des  3.  Aortenbogens  nach  hinten  gerichtet  ist,  schon  wegen 
seines  schwächeren  Durchmessers  nicht  zugleich  die  stärkere  Verbindungsbahn 
zum  3.  Aortenbogen  und  den  rückwärts  weiter  ziehenden  Lungenast  mit  seinem 
Blut  füllen.  So  sprechen  alle  Umstände  dafür,  dass  der  3.  Aortenbogen  schon 
ausserordentlich  frühe  den  grösseren  Theil  seines  Blutes  rückwärts  der  Lunge 
zuführt,  also  die  Rolle  spielt,  welche  ihm  durch  die  Metamorphose  ganz  un- 
zweifelhaft zufällt,  nämlich  als  Lungen art er ie  zu  fungiren,  wodurch  sein 
Verbindungsast  zum  2.  Aortenbogen  als  Botalli'scher  Gang  erscheint.  Der 
spät  entwickelte  4.  Kiemengetässbogen  hat  daher  wohl  niemals  die  Bedeutung 
eines  Aortenbogens,  sondern  stellt  nur  einen  der  Lungenarterie  angefügten 
Seitenbogen  dar.  Wenn  frühere  Beschreibungen  bei  den  Anuren  vier  Aorten- 
bögen erwähnen,  welche  zur  Aortenwurzel  zusammenÜiessen  und  von  denen 
der  letzte  den  Lungenast  abgebe  (Rusconi  Nr.  6  S.  53.  54 ,  v.  Baer  Nr.  9 
S.  307),  so  widerspricht  dem  schon  der  anatomische  Befund,  wonach  der  3. 
und  4.  Gefässbogen  gar  nicht  mehr  unmittelbar  mit  der  Aortenwurzel  zu- 
sammenhängen ,  und  die  Thatsache ,  dass  der  Lungenast  schon  vor  der  Ent- 
wickelung  des  letzten  Bogens  besteht;  die  Auffassung  aber,  dass  alle  Bögen 
ihr  Blut  zur  Aortenwurzel  schicken  und  nur  der  letzte  einen  Theil  zur  Lunge 
fliessen  lasse,  wird  auch  abgesehen  von  den  schon  angeführten  Gründen  allein 
beim  Vergleiche  mit  den  Urodelenlarven  unwahrscheinlich.  Diese  zeigen  aller- 
dings das  von  den  Anuren  irrthümlich  behauptete  Verhalten  der  Aortenbögen, 
indem  alle  vier,  von  denen  der  letzte  keine  Kieme  speist,  unter  spitzen,  strom- 
abwärts gerichteten  Winkeln  zusammenfliessen ,  sodass  sämmtliches  Kiemen- 
blut in  die  Aorta  gelangt,  während  die  vom  4.  Bogen  abgehende  Lungenarterie 
nur  einen  Theil  seines  nicht  oxydirten  Blutes  empfängt.  Diese  selben  Larven 
machen  aber  auch  bis  kurz  vor  der  Metamorphose  von  ihren  wenig  entwickelten 
Lungen  so  gut  wie  gar  keinen  Gebrauch,  während  die  Anurenlarven  schon  sehr 
frühe  energische  Lungenathmung  erkennen  lassen,  was  sich  aus  dem  anatomischen 
Zustande  und  der  verschiedenen  Anfüllung  der  Lungen  mit  Luft  leicht  konstatiren 


2.    Die  Arterion.  755 

lässt*.  Dass  nun  dieser  bedeutsame  Unterschied  in  der  Atlmiung  der  beiden 
Larvenformen  ganz  ausser  Beziehung  zur  Anordnung  des  Blutkreislaufs  stände, 
scheint  mir  undenkbar.  Um  so  mehr  muss  der  genannte  Unterschied  zu 
Gunsten  meiner  Ansicht  sprechen ,  dass  die  überwiegende  und  so  gut  wie  aus- 
schliessliche Kiemenathmung  der  Urodelenlarven  nur  einen  Theil  des  vom 
letzten  und  kleinsten  Gefässbogen  geführten  Blutes  zur  Lunge  gelangen  lasse, 
bei  den  mit  Kiemen  und  Lungen  gleichmässig  athmenden  Anurenlarven  aber 
in  Folge  einer  für  die  Lungen  vortheilhafteren  Einrichtung  der  gleichen  Gefäss- 
bahnen  jene  Organe  schon  von  Anfang  an  alles  Blut  des  4.  Gefässbogens  und 
den  grösseren  Theil  des  Blutes  vom  3.  Bogen  empfangen. 

Jede  wesentlich  aus  den  zwei  ersten  Aortenbögen  gebildete  Aortenwurzel 
unserer  Unkenlarven  umkreist  die  hintere  Schädelbasis  und  vereinigt  sich  dicht 
hinter  der  Grenze  des  Kopfes  mit  der  anderseitigen  (Taf.  XVII Fig.  305.  306. 
316.  317).  Vor  ihrer  Vereinigung  oder  dem  Anfange  der  Aorta  finde  ich  eine 
quere  strangförmige  aber  zarte  Brücke  zwischen  beiden  Aortenwurzeln  ausge- 
spannt. Ihre  Bedeutung  ist  mir  unbekannt  geblieben-,  doch  habe  ich  durch 
sie  feststellen  können ,  dass  jene  Vereinigungsstelle  der  beiden  Aortenwurzeln 
zur  ungeteilten  Aorta,  welche  später  viel  weiter  rückwärts  angetroffen  wird, 
diese  Lageveränderung  nicht  mittelst  einer  Ausdehnung  oder  Verschiebung  der 
ganzen  Wurzeln  (vgl.  Rusconi  Nr.  6  S.  48) ,  sondern  durch  eine  nach  hinten 
fortschreitende  Spaltung  der  Aorta  ausführt.  Bevor  jedoch  die  Aorta  voll- 
ständig angelegt  ist,  entwickelt  sich  eine  neue  besondere  Verbindungsbahn 
zwischen  dem  1.  Aortenbogen  und  der  Aortenwurzel.  Die  Carotis  hat  sich 
nämlich  schon  während  der  Entwickelung  des  zweiten  Aortenbogens  bis  an  das 
Wurzelstück  des  ersten  Wirbelbogens  verlängert,  unter  welchem  sie  in  die 
Sattelgrube  eintritt,  um  von  dort  aus  sich  in  zwei  Aeste  fortzusetzen.  Der 
vordere  verläuft  als  ihre  gerade  Fortsetzung  jederseits  an  der  anatomischen 
Hirnbasis  nach  vorn,  wobei  er  durch  das  Austrittsloch  des  Sehnerven  eine 
A.  ophthalmica  abgibt ;  der  andere  Ast  (R.  communicans  carotidis  posterior) 
steigt  aus  der  Sattelgrube  gerade  auf  und  umgreift,  dem  Vorderhirn  dicht 
anliegend,  dessen  Basaltheil  oder  den  Hirntrichter  bis  au  seine  Oberseite,  wo 


*  Die  Urodelenlarven  zeigen  solche  Lungen,  wie  sie  den  Anurenlarven  in  der  ersten 
Larvenperiode  eigen  sind  {Taf.  XVII  Fig.  318),  dickwandige  Cylinder,  welche  selten 
vereinzelte  Luftblasen  enthalten;  die  Lungen  der  Anurenlarven  erscheinen  von  dem  ange- 
gebenen frühen  Zeitpunkte  an  als  weite  und  dünnwandige,  gewöhnlich  prall  mit  Luft  ge- 
füllte Säcke. 

48* 


756  X.    Das  Herz  und  das  Gefässsystem. 

er  in  dem  sogenannten  mittleren  Schädelbalken  Rathke's  eingebettet  ist 
(Fig.  305.  316.  377).  Von  dort  aus  geht  unser  R.  communicans  in  die  Basilar- 
arterie  seiner  Seite  über,  welche  alsdann  auch  eine  hintere  Fortsetzung  im 
Rückenmarkskanale  besitzt  (A.  spinalis  inferior);  indem  aber  beide  Basilar- 
arterien  sowie  diese  ihre  Fortsetzungen  unter  dem  Hirn  und  Rückenmark 
allmählich  zusammenrücken  und  sich  endlich  zum  unpaaren  medianen  Stamme 
vereinigen,  erscheint  dieser  als  Zusammenfluss  jener  nach  hinten  konvergirenden 
Karotiszweige.  Die  beiden  primitiven  Wirbelarterien  und  ihre  noch  getrennten 
vorderen  Fortsetzungen,  die  Basilararterien ,  bilden  also  jederseits  die  hintere 
Hälfte,  die  inneren  Karotiden  mit  ihren  hinteren  Verbindungszweigen  die 
vordere  Hälfte  eines  cerebralen  Gefässbogens,  welcher  dem  extra- 
kraniellen  Herz-Aortenbogen  gleichsam  von  oben  aufgesetzt  ist.  Bevor  dieser 
cerebrale  Gefässbogen  vollendet  ist,  müssen  die  ersten  ins  Herz  und  die  Aorten- 
bögen eintretenden  Blutwellen  von  beiden  Seiten  her,  von  vorn  durch  die 
Karotiden,  von  hinten  durch  die  primitiven  Wirbelarterien  dem  Gehirn  zuge- 
führt werden.  Während  der  Vollendung  des  Bogens  bilden  sich  bereits  die 
Seitenbahnen,  in  welche  sich  die  beiderseitigen  Blutströme  verth eilen,  sodass 
sie  nicht  mit  der  ganzen  Masse  in  der  Hauptbahn  aufeinanderstossen ,  sondern 
die  Karotiden  mehr  das  Hirn,  die  primitiven  Wirbelarterien  das  Rückenmark 
versorgen;  und  wenn  der  Blutzufluss  zu  den  letzteren  schon  durch  die  indess 
erfolgte  Bildung  der  Aorta  abnimmt,  was  man  an  den  sich  verengenden  Gefäss- 
lichtungen  erkennt,  so  hört  er  sehr  bald,  noch  zu  Ende  der  ersten  Larven- 
periode ganz  auf,  indem  die  primitiven  Wirbelarterien  verschwinden  und  ihr 
Gebiet  ganz  den  Karotiden  überlassen. 

An  das  bisher  geschilderte  zusammenhängende  Gefässbogensystem  des 
Kopfes  fügt  sich  als  letztes  Glied  eine  im  Zungenbeinbügen  verlaufende  Arterie 
an.  Sie  entsteht  ganz  wie  die  Aortenbögen  in  der  Aussenschicht  der  Seiten- 
platte und  nach  innen  vom  lateralen  Segmente,  liegt  also  im  Bauchtheile  des 
betreffenden  Bogens  zwischen  dem  M.  subhyoideus  und  dem  grossen  Zungen- 
beinhorn,  welcher  den  Kiemenknorpeln  homolog  ist,  im  Seitentheile  des 
Zungenbeinbogens  dagegen,  welcher  seine  Seitenplatte  frühzeitig  verlor, 
zwischen  dem  Darmblatte  und  den  Senkern  des  Unterkiefers  und  Zungenbeins 
an  der  Vorderseite  der  Paukenhöhlenbucht;  der  Gesichtsnerv  verläuft  vor  dem 
Gefässe  (Taf.  XIV  Fig.  259,  Taf.  XVI  Fig.  294.  295,  Taf.  XVII  Fig.  316, 
Taf.  XXI  Fig.  377).  Dasselbe  hängt  an  der  Bauchseite  des  Schlundes  mit 
der  Wurzel  des  ersten  Aortenbogens  zusammen;    dieser  Ursprung  wird  aber 


2.   Die  Arterien.  757 

durch  das  Auswachsen  des  letzteren  etwas  lateral wärts  verschoben,  sodass 
jenes  Gefäss  wie  ein  Zweig  des  Aortenbogens  erscheint  (Fig.  319).  Im  Zungen- 
beinbogen aufsteigend  erreicht  es  hinter  und  unter  dem  Ganglion  des  N.  facia- 
lis den  Karotisast  des  ersten  Aortenbogens  und  mündet  in  denselben.  Da  nun 
der  vorwärts  gerichtete  Strom  der  Carotis  schon  vor  jener  Verbindung  bestand, 
und  die  in  sie  mündende  Arterie  des  Zungenbeinbogens  viel  dünner  ist,  so  kann 
gar  nicht  daran  gedacht  werden ,  dass  die  letztere  ihr  Blut  durch  die  Carotis 
zu  den  übrigen  Aortenbögen  hinüberleite  und  auf  diese  Weise  sich  ihnen 
funktionell  anschliesse.  Sie  kann  folglich  ihren  Blutstrom  ,  solange  und  wenn 
er  überhaupt  aufsteigt,  nur  demjenigen  des  cerebralen  Gefässbogens  beimischen 
und  verhält  sich  zu  den  Aortenbögen  so  wie  die  4.  Kiemenarterie:  sie  stimmt 
mit  ihnen  in  der  Anlage ,  nicht  aber  in  der  Bedeutung  für  den  allgemeinen 
Kreislauf  überein.  Wenn  ich  aber  die  Möglichkeit  zugebe ,  dass  das  Blut  des 
in  Rede  stehenden  arteriellen  Verbindungsbogens  anfangs  in  den  cerebralen 
Gefässbogen  aufsteige,  so  dauert  dies  jedenfalls  nur  kurze  Zeit.  Schon  im  An- 
fange der  zweiten  Larvenperiode  finde  ich  sein  Mittelstück  enger  als  die  beiden 
Endstücke,  von  denen  das  untere  in  der  geraden  Fortsetzung  seiner  nach  vorn 
gerichteten  Wurzel  alsbald  einen  Zweig  entwickelt,  der  an  der  Aussenseite  des 
M.  genio-hyoideus  verläuft.  Nach  einiger  Zeit  obliterirt  jenes  Mittelstück  voll- 
ständig, sodass  ich  vom  ganzen  ursprünglichen  Gefässbogen  nur  noch  seine 
ventrale  Wurzel  mit  der  geraden  vorderen  Fortsetzung  oder  die  A.  lingualis 
mit  einem  dünnen  in  den  Zungenbeinbogen  aufsteigenden  Seitenzweige,  und 
das  obere  Endstück  finde,  welches  sich  gleichfalls  nur  als  Wurzel  einer  neuge- 
bildeten Arterie  erhält,  welche  für  den  Unterkieferbogen  bestimmt  ist  (Fig.  294. 
305.  363.  377).  Sie  dringt  unter  dem  Suspensorium  in  die  Masse  der  Kau- 
muskeln und  gelaugt  zuletzt  unter  und  hinter  den  Unterkiefer,  um  vor  dem 
Ursprünge  der  Schilddrüse  im  Bildungsgewebe,  später  wohl  im  M.  submaxilla- 
ris  zu  enden.  Dass  diese  A.  temporo -maxillaris  noch  viel  weniger  als 
die  vergängliche  Verbindungsbahn  des  Zungenbeinbogens  mit  einem  Aorten- 
bogen verglichen  werden  kann,  liegt  auf  der  Hand. 

Während  der  Larvenmetamorphose  unterliegen  die  Aortenbögen  gewissen 
Abänderungen ,  wodurch  das  bleibende  Gefässsystem  des  Kopfes  hergestellt 
wird  (Taf.  XXI  Fig.  378).  Indem  die  Fortsetzung  des  1.  Aortenbogens  vom 
Ursprünge  des  Karotisastes  bis  zur  Mündung  des  2.  Aortenbogens  (R.  commu- 
nicans  aut.)  obliterirt  und  nur  als  dünner  Strang  bestehen  bleibt,  wird  das 
Blut  des  genannten  Bogens  nicht  mehr  dem  Rumpfe,   sondern  ausschliesslich 


758  X.   Das  Herz  und  das  Gefässsy stein. 

der  vorderen  Kopfhälfte  zugeführt;  er  wird  so  zum  Stamm  der  Carotis,  welcher 
die  längst  bekannte,  aber  von  Leydig  zuerst  richtig  erkannte  Anschwellung 
zeigt  (Nr.  81  S.  55).  Der  2.  Aortenbogen  wird  dadurch  und  durch  die  gleich- 
zeitige Rückbildung  des  EoTALLischen  Ganges  zum  ausschliesslichen  Ur- 
sprünge der  Aorten wurzel,  der  3.  Aortenbogen  nach  dem  Schwunde  des  4. 
Kiemengefässbogens  zur  einfachen  Lungenschlagader  seiner  Seite.  Ein  zweiter 
Ast  des  3.  Aortenbogens,  nämlich  die  von  Biraow  zuerst  genauer  beschriebene 
A.  cutanea  (Nr.  144  S.  11),  entwickelt  sich  erst  während  der  Metamorphose.  — 
Die  Aorten  wurzel  verliert  ihren  ersten  Zweig,  die  primitive  Wirbelarterie, 
bereits  sehr  frühe ;  dadurch  wird  aber  der  Zuüuss  zur  A.  spinalis  inferior  von 
unten  her  nicht  ganz  aufgehoben,  indem  jene  vergängliche  Wirbelarterie  abge- 
sehen von  kleinereu  neugebildeten  Aortenzweigen  namentlich  durch  eine  blei- 
bende Wirbelarterie  ersetzt  wird,  welche  an  derselben  Stelle  wie  die 
erstere  aus  der  Aortenwurzel  entspringt,  aber  nach  innen  von  den  Stammuskeln 
(M.  intertransversarius  capitis  inferior) ,  zwischen  diesen  und  der  Wirbelsaite 
und  durch  das  erste  Zwischenwirbelloch  in  den  Rückenmarkskanal  eindringt 
(Taf.  XXI  Fig.  371).  Sie  entlässt  auch  die  A.  supravertebralis  anterior. 
Hinter  der  Wirbelarterie  entwickelt  sich  aus  der  Aortenwurzel  in  dem  Masse, 
als  die  vordere  Extremität  hervorwächst,  die  A.  subclavia.  —  Gleich  hinter 
der  Vereinigung  beider  Aortenwurzeln  entsendet  die  A<Ma  ihren  stärksten  Ast, 
die  A.  mesenterica,  welche  an  derselben  Stelle  wie  die  Hohlvene  die  Wirbel- 
säule verlässt,  sodass  jene  rechts,  die  Arterie  links  hinüberneigt  (Fig.  363.  372. 
377).  Da  die  Gekrösearterie  im  erwachsenen  Thiere  als  Ast  der  linken  Aorten- 
wurzel erscheint,  so  liefert  dies  einen  neuen  Beweis,  dass  die  Aorta  der  Anuren 
sich  rückwärts  spaltet  und  dadurch  ihre  Wurzeln  verlängert.  Rückwärts  ver- 
läuft die  Aorta  der  Larven  bis  an  das  Schwanzende  der  Wirbelsaite  und  gibt 
auf  diesem  Wege  zahlreiche  obere  und  untere  Zweige  ab.  Die  ersteren  steigen 
an  der  Innenseite  der  Stanimuskelplatten  und  längs  deren  Scheidewänden  auf, 
und  gelangen  mit  einer  geraden  Fortsetzung  in  die  dorsale  Flosse,  während  ein 
Seitenzweig  in  der  halben  Hohe  jeder  Muskelscheidewand  dieselbe  durchbohrt 
und  an  ihrer  Aussenseite  sich  in  eine  obere  und  eine  untere  Vene  (V.  vertebra- 
lis)  theilt.  Die  unteren  Aortenzweige  versorgen  im  Rumpfe  die  Baucheinge- 
weide  und  die  Leibeswand ,  im  Schwänze  dessen  untere  Flosse.  Mit  der  Ent- 
wicklung der  hinteren  Extremitäten  erscheinen  die  beiden  Aa.  iliacae.  Nach 
der  Larvenmetamorphose  bleibt  von  der  kaudalen  Fortsetzung  der  Aorta  nur 


3.  Die  Venen.  759 

ein  kleines  unpaares  Stämmchen  zurück,  welches  im  Theilungswinkel  der  beiden 
Aa.  iliacae  wurzelt  (Taf.  XXI  Fig.  380). 

m 

3.  Die  Venen. 

Das  Venensystem  entwickelt  sich  von  mehreren  getrennten  Hauptanlagen 
aus,  welche  sich  in  zwei  natürliche  Gruppen  scheiden:  die  eine  gehört  dem 
Kopfe,  den  Stamm-  und  Seitentheilen  des  Rumpfes  an,  die  andere  ausschliess- 
lich den  Eingeweiden.  Alle  Hauptanlagen  der  ersten  Gruppe  erscheinen  zuerst 
als  Reihen  zusammenhängender  grösserer  Lakunen  des  interstitiellen  Bildungs- 
gewebes, welche  sich  darauf  in  Kanäle  verwandeln  und  dann  gleich  den  Arte- 
rienstämmen ihre  feineren  Verzweigungen  vom  Stamme  aus,  aber  im  Hinblick 
auf  ihre  spätere  Stromrichtung  stromaufwärts  entwickeln.  Die  zuerst  auf- 
tretende dieser  Anlagen,  welche  mit  den  Aortenbögen  ohngefähr  um  dieselbe 
Zeit  entsteht,  kann  mit  Rücksicht  auf  ihre  spätere  Ausbildung  gleich  anfangs 
in  drei  Abschnitte  zerlegt  werden,  welche  in  einem  Punkte  zusammentreffen, 
sodass  der  eine  die  gemeinsame  Fortsetzung  der  beiden  anderen  bildet.  Dies 
sind  Theile  der  Drosselvene,  die  Stammvene  (V.  cardinalis  Rathke)  und  der 
sie  vereinigende  Ductus  Cuvieri  (Rathke). 

Von  der  Drosselvene  finde  ich  zunächst  ein  kurzes,  horizontales  Stück, 
welches  unter  dem  äusseren  Rande  der  ersten  Stammuskelplatten  des  Rumpfes 
liegt  und  alsbald  sich  in  eine  vordere  Wirbelvene  fortsetzt,  welche  aussen 
an  der  Grenze  der  2.  und  o.  Stammuskelplatte  aufsteigt  und  die  dorsalen 
Venen  des  vorderen  Rumpftheils  sammelt  (Fig.  238 — 240),  An  dieses  horizon- 
tale Stück  schliesst  sich  an  der  hinteren  Kopfgrenze  ein  gleichfalls  an  der 
Aussenseite  der  Muskeln  aufsteigendes  Stück  der  Drosselvene,  welches  von 
hinten  her  zwischen  die  Vaguswurzel  und  das  Hinterhirn  tritt  und  so  den  Anfang 
der  V.  j  u  g  u  1  a  r  i  s  interna  bezeichnet.  Bevor  aber  diese  letztere  sich  ausbildet, 
erscheint  die  V.  jugularis  externa  als  der  mächtigste  Theil  des  Drossel- 
venensystems {Fig.  273—278.  305.  306.  315—317.  377).  Sie  umkreist  in 
weitem  Bogen,  welcher  dem  inneren  arteriellen  Bogen  von  dem  Schädeleintritt 
der  Carotis  bis  zu  den  Aortenwurzeln  koncentrisch  verläuft,  den  unteren  äusseren 
Umfang  des  Ohrbläschens  und  liegt  dabei  lateralwärts  vom  Facialis,  Glossopharyn- 
geus  und  Vagus,  sodass  also  diese  Nerven  den  arteriellen  vom  venösen  Bogen 
trennen.  Hinten  mündet  die  äussere  Drosselvene  unter  der  Wurzel  des  Seiten- 
nerven in  die  innere  Vene;  vorn  dringt  sie  zwischen  dem  Facialis  und  dem 
GASSERSchen  Nervenknoten  in  den  Schädelraum,  nachdem  sie  vorher  einige 


7(50  X.   Das  Herz  und  das  Gefässsystem. 

stärkere  Zweige  in  den  Zungenbein-  und  Unterkieferbogen  entsandt  hat.     Der 
horizontale  Stamm  der  vorderen  Wirbel vene  und  die  gemeinsame  Wurzel  der 
inneren  und  äusseren  Drosselvene  verbinden  sich  zu  einem  kurzen  gemeinsamen 
Stamme  oder  der  V.  jugularis  communis,   welche  hinter  dem  Kiemen- 
apparate hinabläuft;  dort  trifft  sie  mit  der  von  der  Urniere  kommenden  Stamm- 
vene zum  abwärts  ziehenden  Ductus  Cuvieri  zusammen.     Die  letztgenannten 
Venenstämme  liegen  dem  Parietalblatte  aussen  an,  also  in  der  künftigen  Leibes- 
wand, und  werden  von  den  später  erscheinenden  Bauchmuskeln  bedeckt.  — 
Mit  diesen  Beobachtungen,  welche  bis  in  den  Anfang  der  zweiten  Larvenperiode 
reichen,  schliesse  ich  die  Entwickelungsgeschichte  der  V.  jugularis,  da  es  mir 
nicht  gelang,  Präparate  derselben  aus  der  späteren  Larvenzeit  herzustellen. 
Die  Stamm  vene  wendet  sich  aus  dem  Ductus  Cuvieri  sofort  auf-  und 
rückwärts  zur  Urniere  und  geht  vollständig  in  die  Zwischenräume  der  Schläuche 
derselben  über,  um  erst  am  oberen  hinteren  Ende  des  Organs  wieder  zu  einem 
Gefässezusammenzufliessen(J«/.  238—240.  263—265.  278—281.  308—311). 
Um  eine  richtige  Vorstellung  von  den  genetischen  Beziehungen  der  Urniere 
und  der  Stammvene  zu  gewinnen,  muss  man  sich  vergegenwärtigen,  dass  die 
Anlage  dieses  Gefässes  in  Lakunen  besteht,  welche  zwischen  dem  Parietalblatte 
und  der  ihm  sonst  eng  anliegenden  inneren  Segmentschicht  auftreten,  und  dass 
anderseits  die  Urniere  aus  schlauchförmigen  lateralen  Ausstülpungen  desselben 
Parietalblattes  sich  entwickelt,  welche  jene  Segmentschicht  ebenfalls  nach 
aussen  abheben  und  so  zwischen  und  um  sich  unregelmässige,  von  spärlichen 
Bildungszellen  durchzogene  Zwischenräume  hervorrufen,  welche  mit  den  an 
sie  herantretenden  Venenanlagen  in  Kommunikation  treten  und  von  ihnen  aus 
mit  Blut  gefüllt  werden.     Indem  der  vom  ganzen  Organ  eingenommene  Baum 
sich  allmählich  gegen  die  Umgebung  abschliesst  'und  abkapselt,  liegen  seine 
Schläuche  gleichsam  frei  in  einem  von  Bildungszellen  durchzogenen  Vonensinus, 
der  in  den  Verlauf  der  Stammveue  eingeschaltet  ist ;  und  während  ferner  die 
sich  verlängernden  und  aufknäuelnden  Urnierenschläuche  diesen  Sinus  in  ein 
System  von  allseitig  zusammenhängenden  Spalträumen  verwandeln,  können  die 
Bildungszellen  die  engen  Stellen  derselben  ganz  abschliessen,  die  weiteren  zum 
Theil  oder  ganz  auskleiden  und  so  den  weiten  ursprünglichen  Gefässsack  in  ein 
pfortaderähnliches  Gefässnetz  der  Urniere  umbilden,  welches  ausderStammvenc 
kommt  und  in  deren  Fortsetzung  wieder  übergeht.     Die  Stammvene  verlässt 
die  Urniere  zugleich  mit  dem  Urnierengange,  an  dessen  mediale  Seite  sie  ange- 
schlossen bleibt,  und  gleitet  dann  über  das  Parietalblatt  (parietales  Bauchfell) 


3.  Die  Venen.  761 

median-  und  rückwärts  bis  gegen  die  Gekrösefalte,  sodass  beide  Gefässe  den 
medianwärts  von  ihnen  gelegenen  Aortenwurzeln  ohngefähr  parallel  nach  hinten 
konvergiren ;  unter  den  Stammuskeln  angelangt  wenden  sie  sich  gerade  nach  hinten, 
lateralwärtsnoch  immer  von  den  Urnierengängen,  medianwärts  von  den  aus  den  Ge- 
krösefalten hervorwachsendenNierenanlageneingefasstundunterdem  Niveau  der 
Aorta  gelegen  (Taf.  XI  Fig.  197,  Taf.  XX  Fig.  362.  363).  Während  darauf  die 
Gekrösefalten  unter  der  Aorta  zusammenstossen,  nähern  sich  auch  die  Nierenan- 
lagen mit  den  Venen  und  Urnierengängen  der  Medianebeue,  indem  sie  zwischen  die 
Aorta  und  die  neugebildete  Gekrösewurzel  eindringen,  sodass  zuletzt  nur  noch  die 
komprimirten  Wurzeln  der  Nierenanlagen  die  Venen  unter  der  Aorta  trennen, 
während  der  Haupttheil  jener  Anlagen  jederseits  zwischen  den  beiderlei  Ge- 
fässen  nach  aussen  und  oben  gedrängt,  über  die  Stammvene  hinüber  den  Ur- 
nierengang  erreicht  (Fig.  198).  Zu  Ende  der  ersten  Larvenperiode  löst  sich  die 
Verbindung  der  Nieren  und  Gekrösefalten  vollends,  sodass  die  beiden  Stamm- 
venen lediglich  durch  ihre  eigenen  dünnen  Wände  geschieden  den  Raum  zwischen 
der  Gekrösewurzel  und  der  Aorta  ausfüllen.    Diese  ihre  Aneinanderlagerung 
reicht  bis  gegen  das  Ende  des  Rumpfes ,  wo  an  Stelle  der  Nieren  der  oberste 
Theil  der  Darmanlage  sich  aufwärts  zwischen  die  Venen  drängt  und  sie  dort 
bleibend  trennt.     Indem  aber  die  gerade  Fortsetzung  jenes  Darmtheils  als 
Schwanzdarm  aus  dein  hinabziehenden  Afterdarm  frei  hervortritt,   stossen  die 
unter  seinem  Niveau  verlaufenden  Stammvenen  unter  ihm  zusammen  und  ver- 
schmelzen  zur   unpaaren   unteren   Schwanz vene   (Fig.  363.   377).     Der 
Schwanzdarm  liegt  also  zwischen  den  kaudalen  Fortsetzungen  der  arteriellen 
und  venösen  Hauptgefässe  des  Stammes.  Dort,  wo  die  Stammvenen  die  Wurzel 
des  Schwanzdarmes  nach  unten  und  hinten  umgreifen,  entwickeln  sie  jederseits 
in  derselben  Richtung  einen  starken  Ast,  die  V.  iliaca,  welche  zwischen  dem 
Afterdarm  und  der  Anlage  des  Beckens  abwärts  verläuft,  um  darauf  nach  vorn 
in  die  A.  iliaca  bogenförmig  überzugehen.    Der  ganze  Kreislauf  an  der  Wurzel 
der  hinteren  Extremität'  besteht  also  anfangs  in  einer  einfachen  mit  der  Aorta 
und  der  Stammvene  zusammenhängenden  Schlinge;  durch  Wachsthum,  Ver- 
zweigung und  fortgesetzte  Schlingenbildung  dieser  ersten  Anlage  entsteht  dann 
der  definitive  Kreislauf  mit  arteriellem,  venösem  und  kapillärem  Gebiete  ganz 
ähnlich  wie  derjenige  des  Schwanzes  aus  den  einfachen  bogenförmigen  Ueber- 
gängen  der  ursprünglichen  kaudalen  Hauptgefässe  (S.  509 — 511).  Auf  dieselbe 
Weise  sammelt  also  die  untere  Schwanzvene  das  zurückströmende  Blut  der 
unteren  Schwanzhälfte,  sowohl  aus  den  gerade  nach  unten  gerichteten  wie  auch 


762  X.   Das  Herz  und  das  Gefässsystem. 

aus  den  durch  die  Muskelplatten  zurücklaufenden  Zweigen.  Die  zwischen  den 
oberen  Rändern  der  Muskelplatten  hinziehende  obere  Schwanzvene  sammelt 
die  übrigen  Venenzweige  der  dorsalen  Flosse  und  ergiesst  sich  an  der  Schwanz- 
wurzel jederseits  mit  zwei  äusseren,  intersegmentalen  Stämmchen  in  die  V. 
cardinalis.  Eine  Fortsetzung  der  oberen  Schwanzvene  in  den  Rumpf  hinein 
existirt  nicht-,  vielmehr  werden  die  dorsalen  Gefässschlingen  der  hinteren 
Rumpfhälfte  in  einzelne  Venenäste  hinübergeleitet,  welche  unregelmässig,  bald 
die  Muskeln  ganz  von  aussen  umgreifend,  bald  dieselben  durchbohrend  die 
Stammvenen  erreichen.  Die  stärkste  dieser  hinteren  Wirbelvenen  scheint 
mir  die  erste  zu  sein,  welche  an  der  nächsten  hinter  der  vorderen  Wirbelvene 
gelegenen  Muskelscheidewand  und  hinter  der  Urniere  hinabsteigt  (Fig.  362). 
Dicht  über  der  Mündung  dieser  hinteren  Wirbelvene  finde  ich  in  der  letzten 
Zeit  der  ersten  Larvenperiode  eine  Erweiterung  des  Gefässes,  welche  alle  übrigen 
Gefässlichtungen  an  Grösse  übertrifft.  Wenn  ich  das  Mikroskop  auf  die  ent- 
sprechende Stelle  der  Oberfläche  einer  etwas  älteren  lebenden  Larve  einstelle, 
so  sehe  ich  einen  runden,  blutrothen  Fleck,  welcher  durch  regelmässige  Pul- 
sationen bewegt  wird.  Da  nun  J.  Müller  solche  von  dem  vorderen  Lymphherz 
abhängige  Pulsationen  an  der  vorderen,  in  die  Drosselvene  sich  ergiessenden 
Wirbelvenen  des  erwachsenen  Frosches  nachgewiesen  hat  (Nr.  143  S.  209), 
so  muss  ich  annehmen,  dass  jene  erste  hintere  Wirbelvene  später,  wenn  ihr 
Abfluss  in  die  atrophirende  Stammvene  aufhört,  mit  der  vorderen  Wirbelvene 
sich  verbindet  und  so  deren  Gebiet  vergrössert. 

In  der  beschriebenen  Anordnung  bleiben  die  Stammvenen  und  die  meisten 
ihrer  Zweige  nicht  lange  bestehen.  Die  erste  Veränderung  wird  durch  die  Ent- 
wickelung  des  vorderen,  von  der  Wirbelsäule  zur  Leber  niedersteigenden  Ab- 
schnitts der  hinteren  Hohlvene  herbeigeführt.  Ich  werde  diesen  Vorgang  weiter 
unten  genauer  schildern  und  erwähne  hier  nur  seinen  Enderfolg,  welcher  darin 
besteht,  dass  jener  von  den  Stammvenen  unabhängig  entwickelte  Hohlveinn- 
abschnitt  die  rechte  Stammvene  von  vorn  und  unten  dicht  vor  ihrem  Zusammen- 
treffen mit  der  linken  und  neben  der  Wurzel  der  A.  mesenterica  erreicht  und  mit 
ihr  sich  verbindet  {Fig.  363 ) .  Dies  geschieht  im  Anfange  der  zweiten  Larvenperiode 
und  hat  zur  Folge,  dass  das  Blut  aus  dem  hinter  jener  neuen  Mündung  der 
rechten  Stammvene  gelegenen,  bei  weitem  grossesten  Abschnitte  derselben  durch 
zwei  Bahnen,  also  leichter  abfliessen  kann  als  aus  der  linken  Stammvene.  Zu 
gleicher  Zeit  ist  auch  die  zwischen  den  aneinandergelagerten  Stammvenen  noch 
bestehende  Scheidewand   gegen  die  linke  Gefasslichtung  konvex  vorgewölbt, 


3.  Die  Venen.  ■  703 

also  die  linke  Vene  viel  weniger  gefüllt  als  die  rechte,  was  wohl  so  zusammen- 
hängen mag,  dass  der  leichtere  Abfluss  durch  die  letztere  auch  einen  stärkeren 
Zufluss  zu  derselben  aus  der  gemeinsamen  Quelle  beider  Blutbahnen,  nämlich 
der  Schwanzvene  hervorruft.  Unterdessen  drängen  sich  die  frei  gewordenen 
Nierenanlagen  jederseits  zwischen  die  Stammvene  und  den  Urnierengang  ein 
und  geben  dadurch  Veranlassung,  zu  zweierlei  Umbildungen  der  Stammvenen. 
Wenigstens  möchte  ich  auf  diesen  Umstand  zunächst  ihre  Verschmelzung  in 
dem  grösseren  vorderen  Theile  ihres  Verlaufes  zwischen  den  Nieren  zurück- 
führen, da  die  letzteren  dort  am  stärksten  entwickelt  und  einander  am  meisten 
genähert  sind,  während  ihre  schmächtigen,  sich  von  einander  entfernenden 
hinteren  Abschnitte  auch  die  getrennt  bleibenden,  in  der  angegebenen  Weise 
ungleichen  Stammvenenabschnitte  zwischen  sich  fassen  (Fig.  380).  Der  auf 
diese  Weise  entstandene  unpaare  Venenstamm  stellt  die  hintere  Hälfte  oder 
den  Nierentheil  der  Hohlvene  dar,  sodass  also  dieses  Hauptgefäss  des 
erwachsenen  Thieres  aus  zwei  genetisch  ganz  geschiedenen  Hälften  hervorgeht. 
Seine  vollständige  Herstellung  hat  aber  die  Rückbildung  der  beiden  ursprüng- 
lichen Urnierenab  schnitte  der  Stammvenen  von  ihrem  Zusammenfluss  bis  zu 
ihren  Mündungen  in  die  Ductus  Cuvieri  nicht  zur  unmittelbaren  Folge,  sondern 
dieselbe  wird  erst  durch  die  allmähliche  Schrumpfung  der  von  ihnen  durch- 
strömten Urnieren  herbeigeführt.  Diese  Organe  scheinen  freilich  in  dem  Masse, 
als  ihre  Funktion  an  die  bleibenden  Nieren  übergeht  und  sie  in  Fol'ge  dessen 
atrophiren,  sich  von  den  Stammvenen  abzuschnüren  (Fig.  363);  dennoch  müssen 
sie  dabei  dem  centripetalen  Blutstrome  dieser  Gefässe  hinderlich  werden,  denn 
dieselben  veröden  zuerst  gerade  in  den  vor  den  Urnieren  gelegenen  Hälften, 
während  ich  die  mit  der  Hohlvene  zusammenhängenden  Abschnitte  noch  bei 
einjährigen  Thieren  theilweise  mit  Blut  gefüllt  angetroffen  habe  {Fig.  380).  — 
Die  bleibenden  Nieren  beeinflussen  jedoch  nicht  nur  die  Umbildung  der  Stamm- 
venen, sondern  auch  diejenige  ihrer  Seitenzweige  oder  der  hinteren  Wirbel- 
venen. Während  die  Nieren  zur  Seite  der  Stammvenen  zwischen  jene  ihre  Längs- 
axe  quer  durchschneidenden  Gefässe  hineinwachsen,  erhalten  sie  von  ihnen 
zahlreiche,  zu  einem  Gefässnetze  zusammenfliessende  Zweige,  unter  denen  die 
ursprünglichen  Stämmchen  im  engeren  Bereiche  der  Nieren  unkenntlich  werden, 
sodass  sie  nur  an  den  Rändern  derselben,  wo  sie  das  Organ  verlassen,  als 
stärkere  Gefässe  hervortreten.  Von  diesen  heissen  nunmehr  die  medialen, 
welche  sich  in  den  Nierentheil  der  Hohlvene  ergiessen,  Vv.  renales  adve- 
hentes;  die  lateralen  Stämmchen  werden  am  Seitenrande  der  Niere  durch 


7(j4  X.    Das  Herz  und  das  Gefässsystem. 

fortlaufende  Anastomosen  oder  die  Jacobson'sche  Vene  verbunden,  welche,  da 
die  letzten  Wirbelvenen  an  der  Mündung  der  V.  iliaca  die  Stammvene  noch 
unmittelbar  erreichen,  ebendaselbst  mit  der  letzteren  zusammentrifft  und  daher 
wie  eine  Fortsetzung  derselben  oder  später  der  V.  iliaca  erscheint.  Die  Jacob- 
soNSche  Vene  scheidet  also  jene  lateralwärts  von  der  Niere  liegenden  Abschnitte 
der  ursprünglichen  Wirbelvenen  in  innere  Stämmchen,  welche  sich  in  die  Niere 
einsenken  und  Vv.  renales  advehentes  heissen  und  äussere,  welche  im 
Grunde  dieselbe  Bedeutung  haben,  aber  immerhin  den  alten  Namen  „hintere 
Wirbelvenen"  behalten  mögen.  Ihre  Zahl  ist  schliesslich  gering,  was  wohl  eine 
Folge  mehrfacher  Verschmelzungen  ist-,  denn  wenn  die  ursprünglichen  Wirbel- 
venen kaum  mehr  als  je  zwei  Segmenten  angehören,  haben  die  späteren  weit 
grössere  Bezirke.  Bei  der  Unke  finde  ich  zwei  solche  Venen,  welche  am 
Vorderende  und  der  Mitte  der  Niere  sich  in  die  JACOBSON'sche  Vene  ergiessen ; 
eine  dritte  mündet  mit  der  V.  iliaca  zusammen.  Dass  die  vor  der  Niere  befind- 
lichen hinteren  Wirbelvenen  sich  später  wahrscheinlich  an  die  vordere  Wirbel- 
vene anschliessen,  wurde  bereits  erwähnt.  —  Die  getrennten  hinteren  Stamm- 
venenabschnitte bleiben  den  medialen  Rändern  der  Nieren  bis  zu  derer  hinterem 
Ende,  wo  sie  mit  der  JACOBSON'schen  Vene  und  der  Hüftvene  zusammentreffen, 
und  von  dort  an  den  Urnierengängen  dicht  angeschmiegt.  Indem  nun  im  Ver- 
laufe der  Entwickelung  die  beiden  hinteren  Nierenenden  divergirend  auseinander- 
weichen, sodass  hinter  ihnen  die  freien  Urnierengänge  bis  zu  ihrer  gemeinsamen 
medianen  Mündung  wieder  konvergiren,  bilden  die  getrennten  Stamm  venen- 
abschnitte  eine  rautenförmige  Figur,  deren  vordere  Spitze  in  die  Hohlvene,  die 
hintere  in  die  untere  Schwanzvene  übergeht,  und  deren  laterale  Winkel  den 
Zusammenfluss  der  Stammvenen  mit  den  oben  genannten  Venen  bezeichnen. 
Erst  nach  der  Larvenmetamorphose  atrophiren  die  vorderen  Schenkel  jeuer 
Rautentigur  und  zwar,  sowie  die  linke  Stammvene  schon  frühzeitig  die  schwächere 
wurde,  zuerst  der  linke  Schenkel,  während  der  rechte  als  Andeutung  einer  aus 
den  Hüftvenen  entspringenden  Hohlvene,  wie  sie  bei  höheren  Wirbelthieren  be- 
steht, bisweilen  noch  in  einjährigen  Unken  vorhanden  ist  (Fig.  380).  Doch  habe  ich 
auch  das  umgekehrte  Verhalten  angetroffen.  Die  lateralen  Winkel  der  Rauten- 
figur  ziehen  sich  allmählich  je  in  ein  kurzes  unpaares  Venenstämmchen  aus, 
welches  nach  dem  Schwunde  der  vorderen  Schenkel  einerseits  eine  V.  renalis 
advehens  für  das  Nierenende  entwickelt,  anderseits  in  den  hinteren  Schenkel 
übergeht;  diese  beiden  hinteren  Rautenschenkel  erhalten  sich  aber,  nachdem 
ihre  Vereinigung  in  dem  Reste  der  unteren  Schwanzvene  sich  gelöst,  als  zwei 


•">.  Die  Venen.  7(55 


hinter  dem  Mastdarm  rückwärts  verlaufende  Venen.  Es  sind  die  einzigen  in 
den  vollendeten  Zustand  des  Venensystems  übergebenden  Reste  der  getrennten 
Stammvenen. 

Hinsichtlich  der  Ductus  Cuvieri  kann  ich  mich  kurz  fassen.  Es  sind 
kurze  Gefässstämme,  welche  anfangs  vom  Zusammenfluss  der  Drossel-  und  der 
Stammvene  hinter  der  Kopfregion  senkrecht  in  der  Leibeswand  hinablaufen 
und  nach  dem  Schwunde  der  Stammvenen  als  Vv.  cavae  anteriores  s.  ano- 
nym a  e  jederseits  die  Verbindung  der  Drosselvene  und  der  V.  subclavia  darstellen 
(Fig.  238—240.  255.  262.  296.  302.  311.  312.  318.  319.  363.  377).  Sie  haben 
zuerst  wie  alle  grossen  primitiven  Gefässe  keine  Mündung,  sondern  endigen 
blind  im  obersten  Abschnitte  jener  Falte  des  Parietalblattes,  welche  dieses  auf 
die  perikardiale  Visceralblattfläche  der  Leber  vorschiebt;  während  der  Ver- 
wachsung jener  sich  berührenden  Blätter  durchbrechen  die  Ductus  Cuvieri  diese 
sie  von  der  Höhle  des  Venensacks  trennende  Scheidewand  und  münden  dann 
seitlich  in  den  letzteren  ein.  In  ihre  Mündung  ergiesst  sich  noch  ein  selbst- 
ständig entstehender  Venenstamm  des  Kopfes,  die  V.  jugularis  inferior 
(V.  jugularis  externa  Gruby  Nr.  145  S.  224.  225).  Sie  verläuft  ohngefähr 
parallel  der  A.  lingualis,  aber  am  medialen  Rande  des  M.  genio-hyoideus,  und 
nachdem  sie  ihn  an  seinem  Ursprünge  überschritten,  am  lateralen  Rande  des 
M.  sterno-hyoideus  *  und  unter  den  Wurzeln  der  Aortenbögen  rückwärts  bis 
zur  Mündung  der  Ductus  Cuvieri,  welche  sie  von  oben  her  erreicht  {Fig.  255. 
273—277.  302.  310.  312.  319.  363).  Während  die  zwischen  der  Bauch-  und 
Perikardialhöhle  hergestellte  Scheidewand  in  ihren  freien,  selbstständigen 
Randtheilen  oder  der  beschriebenen  Duplikatur  des  Parietalblattes  sich  aus- 
dehnt, also  auch  die  Leber  mit  dem  Venensack  von  der  Leibeswand  entfernt, 
werden  die  anfangs  unmittelbaren  Mündungen  der  Ductus  Cuvieri  in  kurze, 
zwischen  der  Leibes  wand  und  dem  Venensacke  ausgespannte  Stämme  aus- 
gezogen. 

Als.  letzter  Venenstamm  der  ersten  Gruppe  ist  die  V.  abdominalis  zu 
nennen.  Ihre  paarigen  Anlagen  liegen  jederseits  in  der  unteren  Bauchwand 
unmittelbar  auf  dem  Parietalblatte  oder  dem  Bauchfelle  und  erstrecken  sich 
zuerst  von  der  Lebergegend  nur  eine  kurze  Strecke  rückwärts.  Neben  der 
Leber  durchbrechen  sie  die  ihr  angeheftete  Duplikatur  des  Parietalblattes 
gerade  so  wie  die  Ductus  Cuvieri,  nur  dass  diese  mehr  von  oben,  die  Bauch- 


*  Dieser  laterale  Rand  ist  anfangs,   solange  der  Muskel  den  Herzbeutel  nur  oben  um- 
greift, natürlich  ein  oberer  Rand. 


7(36  X.   Das  Herz  und  das  Gefässsystem. 

venen  von  unten  in  den  Venensack  münden  {Fig.  277.296.  302.371).  Rückwärts 
verlängern  sie  sich  bis  in  die  Beckengegend,  wo  sie  mit  den  Venen  der  Extremitäten 
in  Verbindung  treten  (Vv.  epigastricae)  und  namentlich  das  Venennetz  der 
Harnblase  aufnehmen.  Später  verschmelzen  diese  hinteren  Abschnitte  der  Bauch- 

m 

venen  von  der  Harnblase  an  vorwärts  zu  einem  Stamme  (Fig.  380),  worauf  in  dem 
noch  getrennten  vorderen  Verlaufe  die  rechte  Bauchvene  völlig  schwindet,  sodass 
die  linke  allein  die  Fortsetzung  des  hinteren  Stammes  bildet.  Wenn  man  die  Be- 
ziehungen der  Allantois  zur  Harnblase  bei  den  höheren  Wirbelthieren  berück- 
sichtigt, so  erscheinen  die  Bauchvenen  der  Anuren  als  richtige  Stellvertreter 
der  Umbilikalvenen  der  Amnioten,  um  so  mehr,  als  sie  später  in  unmittelbare 
Beziehungen  zu  den  Dotterdarmvenen  treten,  welche  sich  als  Homologa  der 
Vv.  omphalo-mesentericae  erweisen.  Diese  und  eine  andere  Verbindung  der 
Bauchvene  können  aber  erst  nach  der  Betrachtung  der  eigentlichen  Eingeweide- 
venenstämme verständlich  werden. 

Das  viscerale  Venensystem  im  engeren  Sinne  scheidet  sich  gleichfalls  in 
mehre  Gruppen.  —  Die  Dotterdarmvenen  habe  ich  als  zwei  Gefässstämme 
beschrieben,  welche  jederseits  das  Dotterblut  sammeln  und  über  der  Leber- 
anlage dem  Herzen  zuführen,  an  dessen  hinterem  Ende  sie  sich  zum  Venen- 
sacke verbinden  (Taf.  XIII — XV).  Diese  Darstellung  passt  aber  nur  auf 
den  ersten  Entwickelungszustand  der  Dotterdarmvenen.  Was  zunächst  deren 
Wurzeln,  die  Dottergefässe  betrifft,  so  sind  sie  nicht  von  sehr  langem  Bestände; 
denn  sobald  die  Dotterzellenmasse  bis  unter  den  Mitteldarm  abgeschnürt  ist, 
beginnt  ihre  Umwachsung  durch  das  Darmblatt,  welches  folglich  an  Stelle  der 
ersteren  zur  Unterlage  des  Visceralblattes  wird  und  dadurch  die  Bildung  des 
Dotterblutes  und  seine  Abführung  in  die  Dotterdarmvenen  unterbricht  (S.  265. 
266).  Desshalb  ist  aber  der  Blutzufiuss  zu  den  letzteren  nicht  aufgehoben. 
Sehr  bald  nach  der  Anlage  der  ersten  Dottergefässe  finden  sich  auch  primäre 
Gefässanlagen  zwischen  dem  Visceralblatte  und  unzweifelhaften  Dotterblatt- 
theilen,  welche  auf  der  kontinuirlichen  Unterlage  (Darmblatt,  Dotterzellen- 
masse)  mit  den  Dottergefässen  ähnlich  wie  die  Dotterdarmvenen  in  Verbindung 
treten  und  sich  in  demselben  Masse  ausbreiten  als  die  ersteren  durch  das  aus- 
wachsende Darmblatt  beschränkt  und  verdrängt  werden  (Fig.  362).  Die 
Dotterdarinvenen  kommuniciren  also  sehr  bald  nicht  nur  mit  den  Dottergefäs- 
sen, welche  man  ja  wohl  als  Venen  bezeichnen  muss,  sondern,  wie  ihr  Name 
besagt,  auch  mit  eigentlichen  Darm-  und  Eingeweidevenen,  welche  wäh- 
rend der  Rückbildung  der  Dottergefässe   an  deren  Stelle  treten  und  so  die 


3.  Die  Venen.  767 

Dotterdarinvenen  in  blosse  Darmvenenstänime  verwandeln.  Während  dieses 
eigenthümlichen  Wechsels  im  Ursprungsgebiet  unseres  Venensystems  werden 
auch  seine  ausführenden  Stämme  wichtigen  Veränderungen  unterworfen.  Wenn 
sie  anfangs  in  ihren  vordersten  Abschnitten,  namentlich  in  der  Anlage  des 
Venensackes  und  sogar  im  Uebergange  zum  freien  Herzschlauche  bloss  als 
zwei  getrennte  primitive  Gefässrühren  erscheinen,  so  finden  sich  doch  schon  in 
jener  ersten  Zeit  ihrer  Entstehung  etwas  rückwärts  neben  der  Wurzel  der 
Leberanlage  einige  kleinere  Gefässlichtungen  statt  der  einen  grossen  (Fig. 
237 — 239.  253).  Diese  Vermehrung  der  Dotterdarmvenen  nimmt  während 
ihrer  weiteren  Ausbildung  zu,  sodass  zwei  einfache  Stämme  derselben  eigent- 
lich nur  ganz  vorn  und  wegen  der  frühzeitigen  Verschmelzung  zum  Venensacke 
nur  kurze  Zeit  bestehen.  Indem  sich  nun  die  Leberanlage  gegen  den  übrigen 
Vordarm  abzuschnüren  beginnt,  wobei  ihre  Wurzel,  der  primitive  Lebergang 
mit  der  medianen  unteren  Aussackung  der  Gallenblasenanlage,  sich  abwärts 
zusammenzieht,  rücken  die  über  dieser  Wurzel  gelagerten  Dotterdarmvenen 
gleichfalls  hinab.  Die  eigentliche  Leberanlage  wächst  dagegen  vorwärts  und 
aufwärts  gegen  den  Perikardialsack  aus,  hebt  also  den  Venensack  und  zieht 
zugleich  ihre  Wurzel  vor,  sodass  sie  gewissermassen  zwischen  diese  Theile  sich 
einfügt  (Taf.  XVI,  XXI  Fig.  372).  Ferner  verändert  sich  ihre  blindsack- 
artige Darmblattanlage  sehr  wesentlich.  Wenn  ihre  Fläche  anfangs  ganz  glatt 
und  darauf  mit  flachen  Buckeln  sich  demVisceralblatte  anlegte  und  daher  nur 
im  Verlaufe  der  Grenzeinschnürung  gegen  den  Vordarm  zur  Bildung  der  Dotter- 
darmvenen geeignete  Lücken  unter  dem  Visceralblatte  entstehen  liess,  so  nimmt 
ihre  Unebenheit  allmählich  so  zu,  dass  die  Buckeln  in  kolbige  Auswüchse,  diese 
aber  durch  mannigfache  Verschmelzung  in  ein  massiges  Balkenwerk  sich  ver- 
wandeln, wubei  die  sackartige  Grundlage  zu  dieser  Umbildung  verbraucht,  in 
"sie  hineingezogen  wird.  Auf  diese  Weise  schiebt  sich  in  den  Verlauf  der  in  der 
Entwickelung  begriffenen  Dotterdarmvenen  und  zwar  zwischen  ihre  Mündungen 
in  den  Venensack  und  ihre  zur  Seite  der  Gallenblasenanlage  gelegenen  hinteren 
Abschnitte  allmählich  eine  von  netzförmig  verzweigten  und  verbundenen 
Zwischenräumen  durchzogene  Masse  ein ;  und  gerade  so  wie  ein  ähnliches  In- 
einandergreifen der  Entwickelung  eines  Gefäss Verlaufs  und  eines  drüsigen  Or- 
gans die  Stammvene  zur  Auflösung  in  ein  die  Urniere  durchziehendes  Gefäss- 
netz  brachte,  verwandeln  sich  auch  die  Zwischenräume  der  Leber  gleichsam  in 
Folge  einer  Zerklüftung  der  noch  unausgebildeten  Dotterdarmvenen  in  ein  voll- 
ständiges Gefässnetz,  welches  nur  vorn  mit  dem  Venensacke,  rückwärts  und 


768  X.  T>as  Herz  und  das  Gefässsystem. 

unten  mit  den  noch  intakten  hinteren  Anschnitten  der  Dotterdarmvenen  kom- 
municirt.  Ich  mache  noch  besonders  darauf  aufmerksam,  dass  in  der  Leber 
anfangs  ebenso  wenig  wie  in  der  Urniere  die  Gefässanlagen  vollkommen  sind, 
das  Blut  vielmehr  die  Zwischenräume  beinahe  ganz  ohne  eigene  Wandungen 
durchströmt  (Fig.  371) ;  diese  entwickeln  sich  erst  allmählich  von  den  benach- 
barten Gefässen  aus  und  unter  direkter  Betheiligung  der  embryonalen  Blut- 
zellen ,  welche  ja  als  Dotterbildungszellen  das  interstitielle  Bildungsgewebe 
überall  ergänzen.  Die  Umbildung  dieses  einfachen  kontinuirlichen  Lebergefäss- 
netzes  in  ein  zu-  und  ein  ausführendes  Gefässsystem  durch  sekundäre  Vorgänge, 
wie  solche  die  einfache  Gefässschlinge  der  Extremitätenanlage  in  die  Gesammt- 
heit  ihrer  Arterien,  Venen  und  Kapillaren  verwandeln,  widerlegt  hinlänglich 
die  Auflassung,  dass  jenezwei  Lebergefässsysteme  von  zwei  getrennten  Ursprüngen 
aus  in  die  Lebermasse  hineinwüchsen.  Von  den  ausserhalb  der  Leber  zurück- 
gebliebenen Abschnitten  der  ursprünglichen  Dotterdarmvenen  sind  nun  die 
Mündungen  in  den  Venensack  als  die  ausführenden  Lebervenen  zu  be- 
trachten; die  hinten  in  das  Organ  eintretenden  Gefässe  atrophiren  auf  der 
rechten  Seite  frühzeitig,  links  von  der  Gallenblase  vereinigen  sie  sich  aber  zu  einem 
Stamm,  der  Pfortader.  Da  die  Pfortader  ebenso  wie  ihre  Anlagen  innerhalb 
des  Visceralblattes  an  der  Hinterscite  der  Leber,  also  auch  innerhalb  der 
späteren  Bauchhöhle  liegt,  die  in  der  Leibeswand  verlaufende  Bauchvene  aber 
erst  durch  die  stets  mit  der  Vorderfläche  der  Leber  zusammenhängende  Dupli- 
katur  des  Parietalblattes  an  den  Venensack  gelangt,  so  kann  von  einem  ursprüng- 
lichen Zusammenhangebeider  Gefässanlagen  keine  Ptede  sein.  Nur  die  Mündungen 
der  Bauchvenen  und  der  Lebervenen  in  den  Venensack  sind  anfangs  insofern  ver- 
bunden, als  die  erstere  nach  ihrem  Durchbruch  unter  das  Visceralblatt  der  Leber 
nicht  weiter  abgesondert  erscheint  sondern  dort  eigentlich  mit  den  Mündungen 
aller  übrigen  Venenstämme  zusammenfliesst  (Fig.  371).  Diese  zuerst  vermisste 
Absonderung  des  extraparietalen  Verlaufs  der  Bauchvene  vollzieht  sich  in  der 
Folge  ähnlich  wie  ich  es  von  den  Ductus  Cuvieri  beschrieb.  Wenn  aber  diese 
innerhalb  der  Duplikatur  des  Parietalblattes  in  der  ursprünglichen  queren 
Richtung  ausgezogen  werden,  so  tritt  dagegen  die  Bauchvene  rückwärts  aus 
derselben  hervor,  indem  sie  auf  dem  Wege  durch  die  vordere  Bauchwand  und 
an  der  linken  Seite  der  Leber  bis  zum  Venensacke  eine  sie  einschliessende  und 
in  die  Bauchhöhle  vorspringende  Peritonealfalte  abhebt.  Nachdem  aus  der  ur- 
sprünglichen Leberanlage  ein  linker  Lappen  zur  Seite  jener  Falte  hervorgewachsen 
ist,  leitetdieselbe  die  Bauch vene  durch  den  Einschnitt  zwischen  dem  Mittelstück 


3.  Die  Venen.  769 

und  dem  linken  Lappen  der  Leber  unter  und  vor  letzterer  zum  Venensacke,  verhält 
sich  also  bis  auf  die  abweichende  Lage  der  Vene  —  vor  statt  hinter  der  Leber 
—  wie  das  Lg.  Suspensorium  hepatis  der  Säuger.  Auch  geht  die  Bauchvene 
dort,  wo  sie  die  Leber  streift,  mit  dem  Gefässsystem  derselben  direkte  und 
durch  die  Pfortader  indirekte  Verbindungen  ein;  dies  geschieht  aber  erst  sehr 
spät.  Lange  vorher  ist  sie  mit  einer  Herzvene,  welche  in  der  Einschnürungs- 
furche zwischen  der  Kammer  und  dem  Vorhofe  entsteht  und  auf  der  rechten 
Seite  sich  unter  den  Venensack  begibt,  an  der  Mündung  zusammengeflossen 
(Fig.  37 9).  Diese  gemeinsame  Mündung  der  Bauch-  und  der  Herzvene  atrophirt 
indessen  zur  Zeit,  wann  weiter  rückwärts  und  unten  die  Verbindung  der  ersteren 
mit  der  Pfortader  zu  Stande  kommt  und  das  Bauchvenenblut  nicht  mehr  direkt 
zum  Venensacke,  sondern  in  das  Pfortadersystem  und  in  die  Leber  fliesst,  in 
Folge  dessen  auch  das  Herzvenenblut  in  den  gleichsam  unbenutzten,  der  unteren 
Leberseite  angeschmiegten  vorderen  Abschnitt  der  Bauchvene  und  dann 
gleichfalls  in  die  Leber  geleitet  wird.  Die  so  ausserordentlich  abweichenden 
Verhältnisse  des  Pfortadersystems  der  Batrachier  (vgl.  Nr,  145,  Nr.  80 II S.  233) 
entstehen  also  dadurch,  dass  in  Folge  der  nachträglichen  Verbindung  der 
Bauchvene  mit  der  Leber  ihr  vorderster  Abschnitt  unter  Umkehrung  seines 
früheren  Blutstroms  in  eine  Fortsetzung  der  Herzvene  bis  zur  Leber  ver- 
wandelt wird. 

Wenn  das  Pfortadersystem  der  Batrachier  sich  aus  mehreren  getrennten 
Anlagen  (Darm-,  Herz-,  Bauch vene)  entwickelt,  so  zeigen  die  übrigen  Venen 
des  engeren  visceralen  Gebiets  sehr  viel  einfachere  Verhältnisse.  Die  Lungen- 
vene  sehe  ich,  noch  bevor  die  Theilung  des  primitiven  Vorhofs  sich  vollzogen 
hat,  an  der  Decke  des  Venensacks  in  einer  nach  innen  vorspringenden  Leiste 
entstehen  und  an  der  Hintergrenze  des  Venensackes  aufwärts  zur  Lungenwurzel 
ziehen  (Fig.  371. 372).  Ob  diese  Leiste  eine  Fortsetzung  der  hervorwachsenden 
Vorhofsscheidewand  ist,  habe  ich  nicht  entscheiden  können.  Indem  sich  die 
Lungenvene  darauf  vom  Venensacke  nach  aussen  und  oben  abschnürt  und 
anderseits  in  den  linken  Vorhof  eröffnet,  ist  ihre  Bildung  vollendet.  —  Der  von 
der  Wirbelsäule  zum  Herzen  niedersteigende  vordere  Abschnitt  der 
Hohl  vene  entsteht  ganz  evident  stromaufwärts  (Fig.  378 — 380.  359 — 362. 
376.  377).  Ich  werde  im  nächsten  Kapitel  auseinandersetzen,  wie  nach  der  Ver- 
schiebung der  embryonalen  Leberanlage  auf  die  rechte  Seite  sie  dort  in  beständigem 
Zusammenhange  mit  dem  übrigen  Vordarme  bis  zu  dessen  Gekröse  rückwärts 
auswächst,  sodass  von  ihrer  Oberseite,  welche  unmittelbar  an  den  Venensack 

Goette,   EntwickcluDgsgeschichte.  49 


770  X.    Das  Herz  und  das  Gefässsystem. 

stösst,  bis  zur  Gekrösewurzel  eine  besondere  kontinuirliche  Brücke  hergestellt 
wird.  Im  Visceralblatte  dieser  Brücke  entwickelt  sich  nun  von  der  Hinter- 
wand des  Venensackes  aus  ein  Gefäss,  dessen  Lichtung  anfangs  unter  allmäh- 
licher Abnahme  nur  bis  in  die  Nähe  der  Gekrösewurzel  sich  verfolgen  lässt, 
und  erst  in  der  zweiten  Larvenperiode  die  rechte  Staramvene  erreicht,  worauf 
sie  mit  dem  sich  daranschliessenden  unpaaren  Abschnitte  beider  Stammvenen 
oder  der  hinteren  Hohlvenenhälfte  die  ganze  V.  cava  posterior  koustituirt. 
Ihrer  Mündung  in  den  Venensack  schliessen  sich  später  die  Lebervenen  an. 

Ueber  die  definitive  Umbildung  der  embryonalen  Blutzellen,  deren  Ent- 
stehung ich  bereits  beschrieben  habe  (S.  538)  kann  ich  zu  dem  von  früher  her 
Bekannten  nichts  hinzufügen:  während  die  Dotterplättchen  in  den  Blutzellen 
allmählich  schwinden,  nehmen  die  Zellenleiber  und  Kerne  ein  homogenes, 
etwas  opalisirendes  Aussehen  an,  dann  verlängern  sie  sich  unter  Abplattung 
von  zwei  entgegengesetzten  Seiten  und  erhalten  einen  leichten  gelblichen 
Schimmer.  Diese  fertigen  gelben  Blutzellen  scheinen  im  Anfange  der  ersten 
Larvenperiode  eine  Zeit  lang  die  einzigen  Formelemente  des  Blutes  zu  sein; 
darauf  erscheinen  aber  in  demselben  auch  weisse  Zellen,  deren  Ursprung  ich 
aber  erst  im  nächsten  Kapitel  erörtern  kann. 

Bevor  ich  das  Blutsystem  ganz  verlasse,  mögen  hier  noch  einige  Be- 
merkungen über  die  ersten  Anfänge  der  Blutbewegung,  des  Kreis  1  aufs,  Platz 
finden.  Die  ersten  Herzkontraktionen  habe  ich  an  den  Unkenlarven  nicht 
beobachten  können ;  doch  scheint  es  mir  nach  den  direkten  Beobachtungen 
Vogt's  an  der  Geburtshelferkröte  sicher  zu  sein,  dassjene  Bewegungen  bei  allen 
Batrachiern  nicht  später  beginnen  als  bei  Fischen  und  Vögeln,  nämlich  noch 
vor  dem  Eintritt  wirklichen  Blutes  in  das  Herz  (Vogt  Nr.  2(3  S.  69,  Nr.  123 
S.  182.  185.  189,  v.  Baer  Nr.  8  I  S.  31-34).  Nur  kann  ich  Vogt  darin  nicht 
beistimmen,  dass  die  Herzkontraktionen  die  ausschliessliche  Ursache  jeder 
Blutbewegung  seien.  Zuerst  rufen  sie  nur  undulirende  Bewegungen  des  serösen 
Inhalts  des  Herzens  und  der  mit  ihm  gleich  anfangs  verbundenen  Dotterdarm- 
venen (Venenschenkel  aut.)  hervor;  dann  beginnt  aus  den  letzteren  Blut  ins 
Herz  hineinzufliessen  und  seinen  Lauf  stets  in  derselben  Richtung  vom  venösen 
zum  arteriellen  Ende  und  in  die  sich  daran  schliessenden  Gefässstämme  fort- 
zusetzen. Nun  kann  schon  jener  nachträgliche  Eintritt  des  Dotterblutes  ins 
Herz  weder  durch  die  Herzkontraktionen  noch  durch  den  Anschluss  der 
Körpergefässstämme  verursacht  werden;  denn  die  ersteren  bestehen  schon 
stundenlang  vor  jenem  Einströmen  des  Blutes  und  anderseits  kann  jener  An- 


3.  Die  Venen.  771 

schluss  die  Spannung  des  Herzinhalts  nicht  vermindern  und  dadurch  auf  das 
Blut  gleichsam  saugend  wirken,  da  die  primitiven  Gefässanlagen  nicht  leere 
sondern  ebenso  gefüllte  Räume  sind  wie  das  Herz.  Und  da  ferner  niemals  ein 
Kreislauf  des  blossen  Serums  im  Körper  beobachtet  wird,  bevor  nicht  das 
Dotterblut  oder  wenigstens  das  Serum  der  Dotterdarmvenen  in  ihn  einzu- 
fliessen  begonnen  hat ,  so  kann  auch  die  bestimmte  Richtung  jenes  Umlaufs 
nicht  ohne  weiteres  allein  von  den  lange  vorher  thätigen  Herzkontraktionen 
abhängig  sein.  Denken  wir  uns  dagegen,  dass  die  Spannung  in  den  Dotter- 
gefässen  in  Folge  der  fortgesetzten  endosmotischen  Ansammlung  von  Inter- 
stitialflüssigkeit  in  den  anfangs  kompakten  Blutinseln,  der  jene  Gefässe  ihre 
Entstehung  verdanken  (S.  538),  allmählich  über  das  Mass  des  Druckes  ge- 
steigert wird,  unter  welchem  der  Herzinhalt  steht,  so  lässt  sich  daraus  die  ver- 
misste  Erklärung  ohne  Zwang  ableiten.  Einmal  muss  jene  gesteigerte  Spannung 
in  den  Dottergefässen  eine  Ausgleichung  in  den  kontinuirlich  mit  ihnen  ver- 
bundenen, aber  unter  geringerem  Drucke  stehenden  Bluträumen,  nämlich  dem 
Herzen  und  den  ihm  bereits  angeschlossenen  Gefässen,  suchen,  folglich  das 
Dotterblut  allmählich  in  dieselben  hineintreibenvwas  durch  die  Herzkontraktionen 
weder  gefördert  noch  gehindert,  sondern  bloss  rhythmisch  geregelt  werden  kann. 
Und  wenn  die  Spannung  in  den  Körpergefässen  durch  das  einströmende  Blut  mo- 
mentan auch  vergrössert  würde,  so  muss  sie  doch  bei  dem  beständigen  Austritt  des 
Blutes  aus  jenen  Gefässen  immer  wieder  unter  das  Mass  derjenigen  der  Dotter- 
gefässe  hinabgedrückt  werden,  welches  durch  den  zunächst  noch  andauernden 
Ersatz  des  Abflusses  sich  relativ  unverändert  erhält.  Die  Dotterdarmvenen 
münden  ferner  von  hinten  her  in  das  Herz ,  sodass  ihr  Blut  in  der  Fortsetzung 
seiner  ersten  Strömung  gegen  das  Vorderende  des  Herzens  andringt  und 
somit  während  des  peripherisch  getrennten  Bestandes  der  Arterien  und  Venen 
in  grösserer  Masse  in  die  Aortenbögen  gelangen  muss  als  in  die  Venenstämme, 
deren  Mündungen  theils  gleich  denen  der  Dotterdarmvenen  nach  vorn  gerichtet, 
theils  ihnen  wenigstens  nicht  entgegengesetzt  sind.  Dass  aber  immerhin  auch 
in  die  blind  endigenden  Venen  Blut  eindringt,  sehe  ich  am  deutlichsten  am 
Mündungsstücke  der  Hohlvene,  bevor  es  sich  mit  dem  subvertebralen  Nieren- 
theile  derselben  verbunden  hat.  Sobald  nun  die  peripherische  Verbindung  der 
Arterien  und  Venen  hergestellt  ist,  kann  kein  nennenswerthes  Blutquantum  aus 
dem  Herzen  in  die  Venenstämme  eindringen,  weil  alsdann  eben  jener  durch  die 
Arterien  auf  sie  fortgepflanzte  Hauptstoss  des  Herzblutes  stärker  ist  als  der 
vom  Venensacke  her  rückwärts  auf  sie  ausgeübte  Druck  des  an  ihren  Mündungen 

49* 


772  X.   Das  Herz  und  das  Gefässsystem. 

vorüberströmenden  Dotterblutes,  und  folglich  das  Venenblut,  wenngleich  es 
früher  unmittelbar  aus  dem  Herzen  kam,  allmählich  umgekehrt  in  dasselbe 
zurückströmen  muss.  Dieser  venöse  Blutstrom  kann  natürlich  anfangs  nur  sehr 
schwach  sein,  weil  die  Stosskraft  des  Aortenblutes  im  Verlaufe  des  Arterien- 
systems durch  den  Blutaustritt  abgeschwächt  wird,  und  anderseits  das  mit 
Dotterblut  gespeiste  Herz  nicht  zugleich  einen  der  in  die  Aortenbögen  abge- 
gebenen Blutmasse  entsprechenden  Venenstrom  aufnehmen  kann.  Wir  werden 
durch  diese  Ueberlegung  vielmehr  zu  der  weiteren  Folgerung  gedrängt,  class 
das  Venenblut  nach  seinen  ersten  Oscillationen  nur  in  dem  Masse  einen  centri- 
petalen  Strom  einleiten  kann,  als  der  Zufluss  des  eigentlichen  Dotterblutes  sich 
erschöpft,  und  die  Dotterdarmvenen  mehr  und  mehr  mit  aus  dem  Körper  zurück- 
kehrendem Blute  gefüllt  werden.  Und  als  Ersatz  des  in  die  Gewebe  und 
Organe  entlassenen  Blutes  schiebt  sich  der  Zufluss  der  Lymphgefässe  in  die 
Venen  allmählich  in  den  allgemeinen  Kreislauf  ein,  sodass  das  quantitative 
Gleichgewicht  in  dem  das  Herz  verlassenden  und  es  wieder  füllenden  Blute  er- 
halten bleibt  (vgl.  S.  515).  Da  jedoch,  wie  ich  eben  erwähnte,  die  Produktion 
des  Dotterblutes  nach  nicht  sehr  langer  Zeit  abnimmt,  so  würde  damit  die 
Triebkraft  der  fortdauernden  Blutbewegung  versiegen,  wenn  nicht  alsdann  die 
von  hinten  nach  vorn  fortschreitenden  Herzkontraktionen  bereits  vollkommen 
ausgebildet  wären  und  jene  Bewegung  im  Gange  erhielten.  Die  Drucksteigerung 
des  Dotterblutes  kann  also  nur  die  Bedeutung  haben,  dasselbe  in  den  Körper 
einzuführen  und  dadurch  in  Folge  der  ihm  durch  die  morphologische  Ent- 
wicklung vorgeschriebenen  Bahnen  einen  bestimmten  Kreislauf  einzuleiten, 
während  die  Erhaltung  dieses  Zustandes  auch  nur  von  einer  konstanten  Be- 
wegungsursache abhängen  kann,  eben  den  Herzkontraktionen,  welche  dagegen 
für  sich  allein  den  ersten  und  bestimmt  gerichteten  Blutstrom  nicht  zu  erzeugen 
vermögen.  —  Sowie  nun  die  wenigstens  ihrem  Wesen  nach  primäre  Bewegungs- 
ursache allmählich  zurücktritt,  so  muss  auch  die  sekundäre  mit  langsamer 
Steigerung  stellvertretend  eingreifen,  sodass  man  annehmen  darf,  dass  eine 
normale  Entwickelung  der  Blutcirkulation  ein  genau  abgewogenes  Wechsel- 
verhältniss  beider  Thätigkeiten  nicht  entbehren  könne.  Dann  wäre  aber  auch 
die  Auffassung  wenig  befriedigend,  dass  die  beiderlei  Ursachen  der  Blutbewegung 
sich  unabhängig  von  einander  entwickelten,  folglich  die  bestimmt  geregelte 
Herzthätigkeit  lediglich  von  lokalen  histologischen  Prädispositionen  abhinge, 
welche  mit  der  Bildung  der  Dottergefässe  natürlich  in  keine  direkte  ursächliche 
Beziehung  gebracht  werden  könnten,  obgleich  die  Erfolge  beider  Vorgänge 


3.  Die  Venen.  773 

stets  in  derselben  Weise  unmittelbar  zusammentreffen.  Ich  halte  daher  folgen- 
den Zusammenhang  der  Erscheinungen  nicht  für  unwahrscheinlich.  Die  centri- 
petale  Blutströmung  bringt  zuerst  notwendigerweise  bloss  das  Serum  der  Dotter- 
darmvenen ins  Herz,  ehe  dasselbe  sich  mit  den  Blutzellen  der  Dottergefässe  füllen 
kann;  dies  stimmt  auch  mit  den  Beobachtungen  v.  Baer's,  welcher  beim  Hühnchen 
zuerst  die  Bewegungen  des  Herzens,  dann  das  Serum  aus  den  Gefässen  des  Frucht- 
hofes und  zuletzt  das  rothe  Blut  des  Gefässhofes  in  das  Herz  fliessen  sah  (a.  a.  0.). 
Da  aber  eine  langsame  Strömung  des  farblosen  Serums  jedenfalls  schwerer  zu  er- 
kennen ist  als  die  Herzbewegung,  so  steht  der  Annahme  nichts  im  Wege,  dass  jene 
Strömung  schon  vor  der  letzteren,  nur  unmerklich  beginnt,  und  dass  die  ersten 
wurmförmigen  Bewegungen  des  Herzens  nur  Auslösungen  des  Reizes  sind, 
welchen  die  durch  jene  unmerkliche  Zufuhr  sich  steigernde  Spannung  des  Herz- 
inhalts auf  die  Herzwand  ausübt.  Unter  dieser  Voraussetzung  erscheint  es 
ganz  natürlich,  dass  auch  schon  jene  ersten  Herzbewegungen  dem  Verlaufe  der 
bezeichneten  Steigerung  oder  langsamen  Strömung  folgen,  d.  h.  vom  Venenende 
des  noch  geschlossenen  Herzens  zum  arteriellen  fortschreiten,  um  durch  die 
von  v.  Baer  zuerst  beobachtete  zurückschlagende  Welle  der  Herzflüssigkeit 
zur  fortgesetzten  Wiederholung  dieses  Spiels  veranlasst  zu  werden,  bis  der  durch- 
gehende Blutstrom  ihrer  Thätigkeit  wesentlichere  Erfolge  sichert.  Erst  bei  einer 
solchen  Auffassung  ergibt  sich  ein  einheitlicher  Kausalzusammenhang  von  Blut- 
bildung und  Blutbewegung:  nicht  die  Herzkontraktionen  sind  es,  welche  spontan 
und  doch  in  auffallender  Uebereinstimmung  mit  der  gleichzeitigen  Blutbildung  und 
den  vorher  angelegten  Bahnen  den  Kreislauf  hervorrufen,  sondern  die  Blutbildung 
selbst  treibt  nothweudigdas  von  ihr  bereitete  Fluiclum  in  und  durch  den  Körper, 
wobei  es  beim  Eintritt  in  die  vorgeschriebenen  Bahnen  auch  gleich  die  Muskel- 
aktionen hervorreizt,  und  regelt  welche  nach  dem  Versiegen  jener  lebendigen 
Blutquelle  seinen  ferneren  Umlauf  unterhalten  sollen.  Und  wenn  ich  früher 
andeutete,  dass  die  Bildung  des  Blutes  und  der  entfernt  davon  für  seinen  künf- 
tigen Lauf  vorbereiteten  Gefässe  auf  eine  gemeinsame  Ursache,  nämlich  den 
Uebertritt  der  allgemeinen  Interstitialflüssigkeit  aus  der  Darmhöhle  in  das 
Bildungsgewebe  und  die  Dotterzellenmasse,  dieser  Vorgang  aber  ebenso  wie  die 
einzelne  Gefässbildung  auf  die  ganze  morphologische  Entwickelung  zurückgeführt 
werden  müssten  (S.  494.  495. 500—503.  569),  so  erscheint  die  Behauptung  nicht 
mehr  als  lediglich  unerweisbare  Hypothese,  dass  die  gesammte  anatomisch- 
physiologische Einrichtung  des  Gefässsystems  eine  nothwendige  Folge  des 
ursprünglichen  individuellen  Formgesetzes  sei,  in  dem  Sinne  wie  ich  dasselbe 


774  X.    Das  Herz  und  das  Gefässsystcm. 

definirt  habe  (S.  570  u.  flg.).  Es  ist  eben  die  kouservirende  plastische  Thätig- 
keit  des  den  ganzen  Organismus  durchströmenden  Blutes  nicht  der  Ausdruck 
eines  unfassbaren  „formbildenden  Princips",  sondern  stellt  im  ganzen  nur  eine 
von  den  Metamorphosen  jener  ursprünglich  so  einfachen,  aber  gesetzmässig 
geregelten  Bewegung  der  organischen  Entwickelung  dar,  so  wie  im  einzelnen 
die  überwiegende  Spannung  des  Dotterblutes  gewissermassen  in  die  ersten 
Muskelaktionen  des  Herzens  übertragen  wird. 

4.  Die  Lymphgefässstämme. 

Von  den  primären  Gefässanlagen  ist  nur  noch  diejenige  des  subverte- 
bralen  Lymphgefässstammes  nicht  zur  Sprache  gekommen,  welcher 
allerdings  zu  den  erst  im  nächsten  Abschnitte  zu  betrachtenden  Erzeugnissen 
des  Darmblattes  gehört ,  aber  wegen  seiner  nahen  Beziehungen  zu  den  Blut- 
gefässen hier  abgehandelt  werden  soll,  nachdem  die  Entwickelung  des  übrigen 
Lymphgefässsystems  bereits  früher  mitgetheilt  wurde  (S.  513 — 516.  524).     Ich 
habe  nämlich  den   Schwanzdarm  ganz  bestimmt  als  die  Anlage  des  den 
Schwanz  durchziehenden,  zwischen  der  Schwanzaorta  und  der  unteren  Schwanz- 
vene gelegenen  Lymphgefässstammes  erkannt.    Er  ist  eine  röhrenförmige,  enge 
aber  dickwandige  Fortsetzung  der  Darmanlage  des  Rumpfes,  welche  an  der 
Schwanzwurzel  gerade  über  der  Vereinigung  der  Urnierengänge  vom  Hinter- 
darme ausgeht  und  ebendaselbst  von  den  beiden  Stammvenen  nach  hinten  und 
unten  umgriffen  wird,  sodass  deren  Fortsetzung  oder  die  untere  Schwanzvene 
unter  den  Schwanzdarm  zu  liegen  kommt  (Taf.  XIII.  Fig.  242 — 245,  Taf. 
XXI  Fig.  372.  377).   Dieser  wird  mit  der  zunehmenden  Länge  des  Schwanzes 
immer  dünner,  sodass  seine  Lichtung  nur  an  seiner  Wurzel  deutlich  bleibt,  und 
löst  sich  gegen  den  Ausgang  der  ersten  Larvenperiode  vom  Hinterdarme  voll- 
ständig ab,  worauf  seine  Wurzel  zwischen  den  Enden  der  beiden  Stammvenen 
oder  im  späteren  hinteren  Winkel  ihres  rautenförmigen  Verlaufs  gleichsam  ein- 
geklemmt   zurückbleibt.      Während    alsdann    die  Dotterschmelzung  in  den 
.  Zellen  des  nunmehr  soliden  Schwanzdarms  durch  helle  Umbildungskugeln  ein- 
geleitet wird,  platten  sich  die  peripherischen  Elemente  ab  und  verbinden  sich 
zu  dem  Gefüge  einer  Gefässwand ,  wogegen  die  wenigen  centralen  Zellen  rund 
bleiben  und  nach  der  Ansammlung  von  einiger  Interstitialflüssigkeit  zwischen 
ihnen  zu  einem  blutähnlichen  Inhalte  des  auf  diese  Weise  entstandenen  Kanals, 
eben  des  kaudalen    Lympfgefässstammes  werden.      Diese  spärlichen  ersten 
Lymphzellen  verschwinden  sein'  bald  aus  dem  Gefässe  und  beweisen  dadurch, 


4.  Die  Lymphgefässstämme.  775 

dass  sein  zwischen  die  Stammvenen  eingeklemmtes  Vorderende  mit  demselben 
bereits  sich  in  Verbindung  gesetzt  und  die  Lymphflüssigkeit  auf  diesem  Wege 
ihren  ersten  Abfluss  in  die  Venen  gefunden  hat.  Ob  man  damit  zugleich  die 
Entwickelung  der  hinteren  Lymphherzen  der  Batrachier  in  Verbindung  bringen 
dürfe,  müssen  spätere  Untersuchungen  lehren.  —  Nach  dem  Angefühlten  muss 
die  Frage  ganz  natürlich  erscheinen ,  ob  denn  nur  der  bei  den  Anuren  zudem 
so  bald  verschwindende  Schwanz  eine  morphologische  Anlage  für  das  Lyrnph- 
gefässsystem  besitze  und  dem  Rumpfe  eine  solche  vollständig  fehle?  Nach  den 
Erfährungen  am  Schwanzdarme  sollte  der  Axenstrang  des  Darmblattes 
als  eine  solche  Anlage  bezeichnet  werden  dürfen  (S.  270);  wenigstens  spricht 
dafür  seine  Abstammung  vom  Darmblatte,  seine  strangartige  Form  und  die 
ganz  in  derselben  Weise  wie  am  Schwanzdarme  auftretende  Dotterschmelzung 
in  seinen  Zellen  {Taf.  XI  Fig.  197).  Und  wenn  man  ihn  zwischen  Wirbelsaite 
und  Aorta  eingezwängt  allmählich  sich  abplatten  und  über  die  ganze  Oberseite 
dieses  Gefässes  sich  ausbreiten,  anderseits  den  die  Aorta  später  einscheidenden 
Lymphraum  sie  noch  während  der  Metamorphose  nur  oben  und  seitlich  umgeben 
sieht,  so  gewinnt  die  Vermuthung  an  Wahrscheinlichkeit,  dass  der  Axenstrang 
eben  in  jenen  Lymphraum  übergehe  (Taf.  JX  Fig.  ISO,  Taf.  XI  Fig.  198). 
Dennoch  muss  ich  diese  Annahme  aufgeben,  weil  es  mir  nicht  nur  nicht  gelang, 
die  Kontinuität  beider  Bildungen  nachzuweisen,  sondern  ich  mich  von  der  Atro- 
phie und  dem  Schwunde  des  Axenstranges  im  Anfange  der  zweiten  Larven- 
periode überzeugt  zu  haben  glaube.  Sein  vorderer  Abschnitt  zeigt  übrigens 
während  seines  intakten  Bestandes  noch  eine  besondere  Entwickelung.  An 
medianen  Durchschnitten  erkennt  man  nämlich  über  dem  Vordarme  unzweifel- 
hafte, abwärts  gerichtete  Auswüchse  jenes  Stranges,  welche  scheinbar  alle  in 
die  Aortenlichtung  vordringen  und  zum  Theil  dieselbe  durchsetzend  das  dar- 
unter liegende  Bildungsgewebe  erreichen  (Fig.  372) ;  an  Querdurchschnitten 
fand  ich  eine  häufige  Bestätigung  dieses  Befundes,  insoweit  die  Aorta  von  den 
Auswüchsen  nur  eingedrückt,  nicht  völlig  durchsetzt  wird.  Weiter  habe  ich 
diese  Bildungen  nicht  verfolgt,  doch  ist  es  nicht  unmöglich,  dass  dieser  Theil 
des  Axenstranges,  welchen  letzteren  ich  nebst  dem  Schwanzdarme  in  Forellen- 
embryonen wiederfinde,  ähnlich  dem  Hirnanhange  als  vererbter  Rest  eines 
vollkommeneren  Organs  in  irgend  einem  unscheinbaren  Gebilde  erhalten  bleibt. 


776  X.   Das  Herz  und  das  Gefässsystem. 

Von  wirklichen  Beobachtungen  über  die  erste  Bildung  des  Batrachier- 
herzens  kann  ich  in  den  früheren  Entwickelimgsgeschichten  nichts  entdecken. 
Reichert  beschränkt  sich  auf  die  Bemerkung,  dass  es  aus  dem  vorspringendem 
Vorderende  der  Dotterzellenmasse  hervorgehe  (vgl.  S.  li>3),  was  ich  wohl  nicht 
näher  zu  widerlegen  brauche.  Bei  Remak  findet  sich  nur  eine  Angabe  über 
die  Perikardialhöhle:  die  kanalförmigen  Anlagen  der  Bauchhöhle  zu  beiden 
Seiten  der  Wirbelsäule  Hessen  sich  vorn  von  deuuhinten  eingeschnürten  Rande 
der  Schlundhöhle  bis  zu  deren  Bauchfläche  verfolgen  und  vereinigten  sich  dort 
„oberhalb  der  Leberanlage"  zur  Perikardialhöhle  (No.  40  S.  156).  Dass  diese 
Höhle  kontinuirlich  mit  der  der  Bauchhöhle  zusammenhänge,  ist  gewiss  richtig; 
die  sehr  ungenaue  nähere  Ausführung  dieses  Zusammenhangs  lässt  aber  deut- 
lich genug  erkennen,  dass  Remak  die  am  Hühnchen  gewonnenen  Resultate  auch 
auf  die  Batrachier  glaubte  übertragen  zu  können,  v.  Bambecke  bezeichnet 
die  Lage  der  Herzanlage,  vor  der  Leberanlage,  ganz  richtig,  hat  aber  offenbar 
sie  selbst  nicht  gesehen,  da  er  sie  als  cylindrische  Verdickung  der  Seitenplatte 
beschreibt  (No.  63  S.  55).  Erst  in  dem  Beitrage,  den  Oellacher  zur  Ent- 
wickelungsgeschichte  des  Batrachierherzens  lieferte  (No.  73),  finde  ich  einige 
Momente  derselben  genauer  beschrieben  ;  nur  hat  Oellacher  dabei,  scheinbar 
ohne  es  zu  wissen,  im  allgemeinen  das  wiederholt,  was  ich  zwei  Jahre  vorher 
in  derselben  Zeitschrift  veröffentlicht  hatte  (No.  64  S.  112),  dass  nämlich  das 
Batrachierherz  durch  eine  Ausbuchtung  des  Visceralblattes  unter  der  Schlund- 
höhle und  eine  darauf  folgende  Abschnürung  des  ausgebuchteten  Stückes  ent- 
stehe. Ich  kann  dies  sowie  die  schon  damals  von  mir  gegebene  Erklärung  über 
den  Kausalzusammenhang  dieses  Vorgangs  durch  die  ausführlichere  Darstel- 
lung in  diesem  Kapitel  bestätigen,  wogegen  die  Erklärung  Oellachers,  dass 
die  Perikardialhöhle  durch  die  Ausstülpung  des  Herzschlauches  hervorgerufen 
werde,  gerade  so  wie  die  Lungen  die  Blätter  der  Seitenplatte  auseinanderdrän- 
gend die  Pleurahöhlen  bilden,  nur  möglich  erscheint,  weil  Oellacher  die  erste 
Entwicklung  beider  Organe  gar  nicht  kannte.  Die  Anlage  des  Endokardial- 
epithels  hat  er  dagegen  in  dem  noch  offenen  Herzschlauche  richtig  wiederge- 
geben, wenngleich  er  sie  nicht  sicher  zu  deuten  wusste;  die  Anwesenheit  der 
freien  Zellenmassen  in  der  Perikardialhöhle ,  welche  vermuthungsweise  mit  der 
Bildung  des  Perikardiums  in  Zusammenhang  gebracht  werden,  ist  lediglich  auf 
beschädigte  Präparate  zu  beziehen. 

Die  Litteratur  über  die  Entwickelung   des    Teleostierherzens  hat 
Kupfeer  so  eingehend  und  übersichtlich  zusammengestellt  (No.  105  S.  255 


X.   Das  Herz  und  das  Gefässsystcm.  777 

und  flg.),  dass  ich  um  so  eher  auf  eine  Wiederholung  verzichten  kann,  als  erst 
Küpffek  selbst  jenen  Vorgang  auf  bestimmte  Umbildungen  des  mittleren  Keim- 
blattes bezogen  und  jedenfalls  richtiger  dargestellt  hat  als  Vogt,  Lereboullet 
und  Aubert.  Kupfeer  sieht  zuerst  den  künftigen  Herzbeutel  aus  einer  Spal- 
tung des  mittleren  Keimblattes  unter  der  Kopfregion  entstehen;  diese  Spalte 
erweitere  sich  zu  einer  Blase ,  aus  deren  oberer  Wand  darauf  eine  konische 
Zellenwucherung  als  Anlage  des  Herzens  hinabwachse,  welche  den  Boden  des 
Perikardialsackes  erreiche  und  mit  ihm  sich  verbinde,  sodass  ihre  nachträglich 
gebildete  Höhle  in  den  Raum  unter  dem  Perikardialsacke  oder  den  Venensack 
münde  (No.  105  S.  239.  254.  255).  Zutreffend  an  dieser  Darstellung  ist,  dass 
die  Perikardialhöhle  aus  einer  Spaltung  des  mittleren  Keimblattes  (Seitenplatte) 
und  früher  sich  entwickelt  als  das  Herz;  dies  hängt  aber  nicht  etwa  so  zu- 
sammen, dass  das  von  einer  Seite  zur  anderen  kontinuirliche  mittlere  Keimblatt 
sich  ebenso  kontinuirlich  spaltete  und  das  Herz  von  der  Decke  dieses  Spalt- 
raumes frei  in  denselben  hineinwücbse.  Die  Perikardialhöhle  der  Fische 
wird  vielmehr,  wie  ich  es  zuerst  angedeutet  (No.  102)  und  darauf  Oellacher 
beschrieben  (No.  107  S.  09.  84),  in  den  beiderseitigen  noch  getrennten  Seiten» 
platten  paarig  angelegt,  und  erst  durch  die  Verschmelzung  dieser  medianwärts 
unter  den  Kopfdarm  auswachsenden  Platten  (Perikardialplatten  Oellacher) 
in  einen  einheitlichen  Raum  verwandelt.  Dieser  Vorgang  in  den  Forellenem- 
bryonen ist  der  nämliche,  welcher  von  den  Amnioten  schon  längst  als  ,-,Abschnü- 
rung"  des  Darmkanals  bekannt  ist,  wobei  das  Visceralblatt  mit  dem  anlie- 
genden Darmblatte  oder  die  künftige  Darmwand  ein-  und  abwärts  eine  Falte 
schlägt  (Darmschlussfalte,)  und  die  beiderseitigen  Falten  unter  der  Darmlich- 
tung in  einer  medianen  Naht  sich  verbinden,  von  welcher  die  unbenutzten  un- 
teren Faltentheile  sich  als  kontinuirliche  Schicht  ablösen  und  auf  dem  Dotter 
zurückbleiben.  Oellacher  hat  aber  diese  Uebereinstimmung  der  Teleostier 
mit  den  Amnioten  nicht  erkannt,  weil  für  ihn  das  Darmblatt  sich  gar  nicht  blattför- 
mig umbildet,  sondern  als  solide  dicke  Zellenmasse  unter  der  Wirbelsaite  liegend 
von  den  Visceralblattfalten  umwachsen  wird  (vgl.  S.  268).  In  Folge  dessen  sieht 
er  auch  die  Herzanlage  in  einer  kompakten  Zellenmasse,  welche  von  den  Kopf- 
platten  (Segmente,  Kiemenbögen)  her  zwischen  jener  Darmanlage  und  den 
Perikardialplatten  (Visceralblatt)  hinabwachse  und  zwischen  der  ersteren  und 
dem  Dotter  liegen  bleibe,  sodass  sie  die  mediane  Vereinigung  der  Perikardial- 
platten verhindert,  aus  denen  nur  der  äussere  Perikardialüberzug  hervorgehe 
(No.  107  S.  81 — 80).     Auf  die  Batrachier  bezogen  würde  dies  etwa  so  viel 


778  X.    Das  Herz  und  das  Gefässsystem. 

heissen ,  dass  die  Innenmasse  der  Kiemenbögen  zwischen  die  ventralen  Falten 
der  Seitenplatte  hineinwüchse  und  dort  das  Herz  bildete.  Wenn  also 
diese  Darstellung  Oellachee's  schon  mit  seinen  eigenen  Beobachtungen  an 
der  Kröte  in  offenem  Widerspruche  steht ,  so  habe  ich  sie  auch  direkt  als  voll- 
ständig verfehlte  nachweisen  können.  Ich  finde  nämlich  die  Herzbildung  der 
Knochenfische  und  Batrachier  im  wesentlichen  durchaus  übereinstimmend,  und 
die  nicht  unbedeutenden  Unterschiede  in  der  äusseren  Erscheinung  nur  in 
nebensächlichen  Grössendifferenzen  ihrer  verschiedenen  Embryonal-  und  Ei- 
theile  begründet.  Denken  wir  uns  den  Nahrungsdotter  der  jüngsten  Batrachier- 
embryonen  (Taf.  II  Fig.  34 — 36)  in  dem  Masse  vergrössert ,  dass  er  immer  in 
Verbindung  mit  dem  Darmblatte  bis  unter  den  Kopfdarm  reichte,  so  würde 
das  Darmblatt  des  letzteren  zwischen  den  weit  auseinandergezogenen  Falten 
der  Seitenplatte  fortlaufend  auf  den  Dotter  übergehen  wie  bei  den  Teleostiern 
und  Amnioten;  in  Ermangelung  dieser  Ausdehnung  des  Dotters  schlägt  sich 
bei  den  Batrachiern  das  Darmblatt  nur  sackförmig  zwischen  die  Seitenhälften 
der  Seitenplatte  ein  {Taf.  VI  Fig.  111,  Taf.  VII  Fig.  132-131).  Bei  der 
folgenden  Abschnürung  des  Darmkanals  der  Teleostier  wird  nun  das  gesammte 
Darmblatt  in  den  Darmkanal  zusammengeschoben  und  eingeschlossen,  sowie 
es  auch  bei  den  Batrachiern  geschieht ;  doch  erfolgt  dies  in  der  Kopfrogion  nur 
ausserhalb  der  eigentlichen  Herzanlage  in "  der  geschilderten  Weise.  Diese 
Anlage  stellt  in  beiden  Thierformen  im  Grunde  genommen  eine  Unterbrechung 
der  Darmnaht  in  schräger  (Batrachier)  oder  senkrechter  Richtung  (Teleostier) 
vor,  worauf  sich  mein  Vergleich  dieser  Anlage  mit  einem  Darmnabel  bezieht 
(Nr.  102).  Man  überzeugt  sich  davon  leicht,  wenn  man  Durchschnitte  unter- 
sucht, welche  mit  der  Längsaxe  der  Herzanlage  zusammenfallen  {Taf  XIV 
Fig.  24'J.  250):  es  lässt  sich  die  letztere  stets  auf  den  Raum  zwischen  den 
nicht  zur  Vereinigung  gekommenen  Darmschlussfalten  zurückführen.  Ergänzen 
wir  an  den  eben  citirten  Abbildungen  das  aufgekrümmte  Vorderende  der 
Herzanlage  {Taf.  VII  Fig.  133,  Taf.  XIII  Fig.  226),  so  versteht  sich  erstens, 
dass  das  YisctTalblatt  des  Herzschlauchcs  eine  nabeiförmige  Verbindung 
zwischen  der  Decke  und  der  Hinterwand  des  Perikardialsackes  bildet,  und 
Inner,  dass  das  Darmblatt,  indem  es  sich  in  den  Darmkanal  hinaufzieht,  eine 
Auskleidung  jener  Nabelröhre  zurücklässt,  welche  mit  dem  Venensacke  in  Ver- 
bindung tritt.  Gerade  dasselbe  geschieht  bei  den  Teleostiern,  mit  dem 
unwesentlichen  Unterschiede,  dass  ihre  hintere  Perikardialwand  anfangs  noch 
gewissermassen  im  Boden  der  Perikardialhöhle  liegt  (vgl.  Nr.  105  Fig.  32) ; 


X.   Das  Herz  und  das  Gefässsystem.  779 

das  die  Darmschlussfalten  auskleidende  Darmblatt  bleibt,  während  es  sich 
darüber  zum  Epithelialschlauche  des  Schlundes  abschliesst,  in  der  Nabelröhre 
des  Herzens  als  eben  solcher  Schlauch  (Endokardialepithel)  zurück,  und  diese 
Bildung  ist  offenbar  in  geschrumpftem  Zustande  Oellacher  als  eine  kom- 
pakte Anlage  des  ganzen  Herzens  mit  Ausnahme  des  Perikardialüberzugs 
erschienen.  Um  aber  die  Uebereinstimmung  zwischen  Teleostiern  und  Batra- 
chiern  vollständig  übersehen  zu  lassen,  müsste  noch  hinzugefügt  werden,  dass 
der  Venensack  der  Teleostier  unter  dem  Perikardialsacke  rückwärts  an  den 
Darmblattumschlag  stösst ,  welcher  den  Vorderrand  des  Darmnabels  überzieht 
und  die  noch  indifferente  Leberanlage  darstellt;  die  spätere  Zusammenziehung 
dieser  Theile  bringt  auch  den  Herzschlauch  der  Teleostier  in  die  definitive  an- 
nähernd horizontale  Lage. 

Bei  den  Vögeln  und  Säugern  ist  die  Herzbildung  noch  leichter 
als  bei  den  Teleostiern  mit  derjenigen  der  Batrachier  in  Uebereinstimmung  zu 
bringen.  Denn  nicht  nur  besteht  sie  ebenfalls  wesentlich  in  einer  Lücke,  welche 
zwischen  den  sich  verbindenden  Darmschlussfalten  der  Schlundgegend  in 
schräger  Richtung  zurückbleibt,  und  bis  auf  die  Enden  durch  das  Visceralblatt 
oben  und  unten  vollkommen  röhrig  abgeschlossen  wird,  sondern  es  lässt  sich 
auch  sofort  erkennen ,  dass  das  hintere  Venenende  des  Schlauches  an  dem  zur 
Leberbildung  bestimmten  Umschlage  der  ventralen  Vordarmwand  oder  dem 
Vorderrande  des  Darmnabels  in  die  zwei  sogenannten  Venenschenkel'übergeht, 
welche  jene  Umschlagsfalte  umgreifend  in  die  Vv.  omphalo-mesentericae  sich 
fortsetzen.  Daran  knüpft  sich  auch  gleich  die  Besonderheit  der  Herzbildung 
bei  den  Amnioten.  Sowie  die  primitiven  Gefäss  schlau  che  der  Dotterdarmvenen 
bei  den  Batrachierii  bis  in  das  Herz  hinein  getrennt  verlaufen,  ist  diese  Bil- 
dung bei  den  Amnioten  noch  weiter  fortgesetzt,  da  auch  der  Endokardialsack 
in  den  noch  getrennten  Darmschlussfalten  paarig  vorgebildet  ist,  sodass  diese 
paarige  Herzanlage  erst  nach  dem  erfolgten  Darmschlusse  zu  einem  einfachen 
Schlauche  zusammenfliesst.  Diese  paarigen  Endokardialschläuche  liegen  bei 
den  Vögeln  sehr  flach  zwischen  Visceral-  und  Darmblatt,  bei  den  Säugethieren 
stülpen  sie  aber  das  erstere  schon  frühzeitig  gegen  die  Perikardialhöhle  aus, 
sodass  diese  Bildung  als  eine  vollständige  Herzhälfte  angesehen  werden  kann. 
Bei  den  Vögeln  blieb  mir  der  Ursprung  des  Endokardialschlauches  (Endo- 
kardialepithel) zweifelhaft;  bei  jungen  Kaninchenembryonen  sah  ich  aber  das 
Darmblatt  sehr  deutlich  in  das  Innere  der  genannten  Herzhälften  hineingezogen 
und  mit  dem  Endokardialsack  in  Zusammenhang,   sodass  ich  den  letzteren 


780  X-    Das  Herz  u°d  das  Gefässsystem. 

ebenso  wie  bei  den  Batracliiern  und  Fischen  für  ein  Erzeugniss  des  Darmblattes 
halten  möchte.  Der  Unterschied  aller  dieser  Herzbildungen  bestände  also  nur 
in  der  äusseren  Erscheinung,  indem  die  Ausbuchtung  der  für  den  Herzschlauch 
bestimmten  Abschnitte  der  Darmschlussfalten  gegen  die  Perikardialhöhle  bei 
den  Teleostiern  ganz  unmerklich  erst  nach  vollzogener  Herzbildung,  bei  den 
Batracliiern  während  derselben  und  bei  den  Säugethieren  sogar  schon  vorher 
erfolgt.  —  Die  geschilderte  Doppelanlage  des  Vogelherzens  finde  ich  zuerst 
bei  His  beschrieben  (Nr.  109  S.  84.  85),  wobei  nur  seine  schon  früher  erwähnte 
falsche  Deutung  der  Seitenplatten  in  der  Herzgegend  die  ganze  Darstellung 
empfindlich  schädigt  (vgl.  Nr.  121  S.  190).  His  läugnet  nämlich  den  kontinuir- 
lichen  Zusammenhang  der  Perikardial-  und  Bauchhöhle  und  überhaupt  die 
Anwesenheit  des  Visceralblattes  in  der  Herzgegend,  wodurch  natürlich  die 
Möglichkeit  eines  Vergleichs  mit  meiner  Darstellung  ausgeschlossen  ist.  Auch 
die  Angabe,  dass  der  Endokardial schlauch  vom  „Nebenkeim"  abstamme,  muss 
ich,  selbst  wenn  man  darunter  das  interstitielle  Bildungsgewebe  versteht,  nach 
den  eben  mitgetheilten  Beobachtungen  an  den  Embryonen  der  übrigen  Wirbel- 
thiere,  insbesondere  der  Kaninchen,  beanstanden.  Mit  meinen  eigenen  Beobach- 
tungen am  Hühnchen  stimmen  noch  am  meisten  die  von  Balfour  gegebenen 
Abbildungen  der  Herzanlage  desselben  Thiers  überein  (Nr.  146).  In  einer 
Anmerkung  erwähnt  His,  dass  Hensen  dieselbe  doppelte  Herzanlage  in 
Kaninchenembryonen  gefunden  habe  (a.  a.  0.). 

Es  ist  freilich  nicht  leicht,  ohne  die  betreffenden  Abbildungen  die  Ueber- 
einstimmung  in  der  Herzentwicklung  aller  Wirbelthiere  auseinanderzusetzen; 
in  der  Hoffnung,  dass  mir  ein  solcher  Nachweis  wenigstens  in  den  wichtigeren 
Punkten  gelungen  ist,  will  ich,,  daran  eine  allgemeinere  Betrachtung  über  die 
Entstellung  des  Herzens  anknüpfen.  —  In  allen  genannten  Wirbelabtheilungen 
ist  der  Endokardialsack,,  weil  er  sich  kontinuirlich  in  die  primitiven  Gefäss- 
wände  der  Aortenbögen  und  Dottervenen  fortsetzt,  und  aus  einer  ganz  locke- 
ren, durchbrochenen  Haut  besteht,  jenen  Gefässen  gleich  zu  achten.  Der  ab- 
weichende Ursprung  kann  desswegen  von  keiner  Bedeutung  sein,  weil  es  sich 
um  eine  histologische  Entwickelungserscheinung  in  dem  früher  erörterten 
Sinne  handelt,  und  zwar  um  interstitielles  Bildungsgewebe,  welches  sich  ebenso 
im  oberen  Keimblatte,  im  Oentralnervensysteme  und  der  Netzhaut ,  wie  im 
mittleren  Keimblatte  entwickelt,  ohne  dass  wir  die  Bindesubstanzen  der  ver- 
schiedenen Organe  principiell  zu  scheiden  vermöchten  (S.  560  u.  flg.).  Die 
äussere  Umhüllung  des  Endokardialsackes  oder  die  Masse  der  Herzwand  ist 


v 


X.  Das  Herz  und  das  Gefässsystem.  781 

ebenfalls  in  histiogenetischer  Beziehung  von  der  sekundären  Gefässwand  der 
grossen  Arterien  und  Venen  nicht  unterschieden,  besonders  wenn  wir  dem  peri- 
kardialen Ueberzuge  den  peritonealen  der  stärkeren  Gekrösegefässe  und  der 
Pfortader  gegenüberstellen.  Kurz,  wir  könnten  das  Herz  einfach  als  Ver- 
schmelzungsprodukt zweier  Hauptgefässe  betrachten,  wenn  nicht  sein  Visceral- 
blatt  in  unzweifelhaft  primär-morphologischer  Weise  an  seiner  Bildung  be- 
theiligt wäre  und  es  dadurch  von  den  lediglich  sekundär-morphologischen 
oder  gar  atypischen  Bildungen  des  Gefässsystems  schiede.  Diesen  Konflikt 
kann  nun  gerade  die  Betrachtung  des  Säugethierherzens  am  meisten  aus- 
gleichen helfen.  Die  primär-morphologische  Bildung  desselben  erscheint  ganz 
offenbar  als  unmittelbare  Fortsetzung  der  sekundär -morphologischen  Dotter- 
darmvenen, diese  als  der  Zusammenfluss  der  im  einzelnen  völlig  atypischen 
Dottergefässe;  und  der  Grund  dieses  verschiedenen  Formwerthes  ist  auch  nicht 
schwer  zu  erkennen.  Die  Dottergefässe  verlaufen  atypisch,  weil  sie  dem 
direkten  formbildenden  Einflüsse  der  Embryonalanlagen  vollständig  entzogen 
sind ;  ihr  Zusammenfluss  wird  aber  durch  die  schon  vorher  angelegten  Dotter- 
darmvenen bestimmt,  welche  bereits  in  unmittelbarer  Anpassung  an  jene  mor- 
phologischen Grundlagen  des  Embryo  entstehen;  in  der  Herzanlage  endlich 
sind  die  gesetzlichen  Formbedingungen,  wenn  ich  so  sagen  darf,  dermassen 
koncentrirt,  dass  eine  von  den  formbedingenden  Embryonalanlagen,  das  Vis- 
ceralblatt,  gleich  in  toto  in  die  betreffende  Blutraumbildung  hineingezogen 
wird  und  derselben  dadurch  den  Charakter  eines  ebensolchen  Entwickelungs- 
produktes  verleiht,  wie  es  etwa  eine  andere  Faltonbildung  des  Visceralblattes 
z.  B.  die  Urniere  ist.  Ferner  lehrt  uns  aber  die  Entwickelungsgeschichte  des 
Gefässsystems  der  Wirbelthiere,  dass,  sowie  in  ihm  die  verschiedenen  Stufen 
des  Formwerths  nebeneinander  vorkommen,  jede  derselben  in  ihrer  besonderen 
Entwickelung  tiefere  Stufen  durchläuft.  Am  Herzen  ist  der  Endokardialsack 
als  einfache  primitive  Gefässröhre  früher  angelegt  und  vollendet  als  die  primär- 
morphologische Visceralblattröhre;  diese  primitiven  Gefässröhren  besitzen 
anfangs,  bevor  ein  Theil  von  ihnen  sich  mit  verschiedenen  Aussenschichten  um- 
gibt, sämmtlich  den  Bau  von  Kapillaren,  welche  eigentlich  nur  eine  besondere 
Gewebsform  darstellen,  und  entstehen  aus  einer  Reihe  von  hinter-  und  neben- 
einanderliegenden, an  sich  zunächst  formlosen  Lücken  des  interstitiellen  Bil- 
dungsgewebes, welche  erst  allmählich  in  der  kürzeren  oder  queren  Richtung 
zu  einer  einzigen  Lichtung,  in  der  Längsrichtung  zu  einem  fortlaufenden  Kanäle 


7,S2  X.    Das  Herz  und  das  Gefässsystem. 

zusammenfliessen.  *     Dieses  Lückensystem  des  interstitiellen  Bildungsgewebes, 
welches  im  Saftkanalsystem  des  entwickelten  Organismus  erhalten  und  als 
Zwischenglied    zwischen   Blut-  und   Lymphgefässsystem   in    den    allgemeinen 
Kreislauf  eingeschoben  ist,  stellt  gewissermassen  die  niederste  Bildungsstufe 
seiner  Leitungen  dar  (vgl.  S.  524.  525),  da  an  ihm  vun  einem  eigenen  Form- 
bestande selbst  im  Sinne  eines  Gewebes  nicht  mehr  die  Rede  sein  kann.     Da 
nun  kein  anderes  Organsystem  diesen  Uebergang  und  Zusammenhang  ganz 
analoger,  aber  durch  alle  Grade  des  Formwerths  verschiedener  Theile  zeigt, 
so  darf  auch  gerade  in  dieser  Betrachtung  ein  nicht  unwichtiger  Fingerzeig  er- 
kannt werden,  wie  in  der  phylogenetischen  Entwickelungsreihe  eine  atypische 
histiologische  Bildung  (primitive  Gefässröhren)  sich  erst  aus  einem  partiellen 
Formverhältniss  eines  all  gemeinen  Gewebes  (Lückensystem)  herauszulösen  und 
weiterhin   in   eine    primär-morphologische    Bildung   (Herz)   sich    zu    verwan- 
deln vermag.     Es  läuft  eben  diese  Entwickelungsreihe  dem  Fortschritte  der 
morphologischen  Gliederung  parallel*,  sodass  mit  den  niedersten  Stufen  der- 
selben auch  ein  regelloses  Lückensystem  des  Körpers  zusammenfällt,    und 
während  der  sich  steigernden  Ausbildung  des  Formgesetzes  auch  immer  mehr 
gesonderte  Bahnen  entwickelt  werden,  bis  endlich  ein  bestimmter  Abschnitt 
derselben  sogar  als  primär-morphologische  Bildung  auftritt.   Wir  dürfen  daher 
in  jenem  blossen  Interstitialsystem  den thatsächlichen  phylogenetischen  Ausgangs- 
punkt für  die  allmähliche  Entstehung  des  höchstentwickelten  Kreislaufes  an- 
erkennen.   Um  uns  aber  nicht  gleich  in  schematische  Deduktionen  zu  verlieren, 
wird  der  Hinweis  darauf  nicht  überflüssig  sein,  dass  der  angedeutete  Entwicke- 
lungsverlauf  nur  im  allgemeinen  jene  Stufenleiter  durchläuft,  nicht  aber  regel- 
loses Lückensystem,  atypische  Kapillaren,  typische  Gefässe,  Herz,  nothwendig 
in  dieser  Reihenfolge  auftreten.     Im  Gegentheil  scheinen  die  ersten  wirklichen 
Gefässe  überall  gerade  einige  typische  Stämme,  die  sekundären  und  kapillaren 
Gefässnetze  dagegen  eine  Begleiterscheinung  erst  höher  entwickelter  Gefäss- 
systeme  zu  sein.     Meine  Absicht  war  es  auch  nicht,  eine  fertige  „Stammes- 
geschichte"  des  Gefässsystems  anzudeuten,   sondern,  was  mir  viel  wichtiger 
scheint,   nachzuweisen,  dass  formgesetzliche  Bildungen  ganz  allgemein  aus 
histologischen  und  atypischen  sich  allmählich  entwickeln,   und  dass  dieser 


*  Ich  nniss  nachträglich  berichten,  dass  ich  diese  zuerst  von  den  Batrachiern  und 
Fischen  angeführte  Erscheinung  (S.  499  589)  auch  an  der  Aortenanlage  junger  Kaninchen- 
nnbryonen,  und  zwar  womöglich  noch  charakteristischer  gesehen  habe;  sie  besteht  aus 
einem  an  den  aufeinanderfbl^mlon  Querdurchschnitten  wechselnden  Komplex  von  grossen 
und  kleinen  Lichtungen,  einem  wahren  Lückensystem. 


Das  Herz  und  das  Gefässsystem.  783 

Vorgang  in  der  fortschreitenden  Gliederung  des  Formgesetzes  der  individuellen 
Entwickelung  begründet  ist. 

Bezüglich  des  Verlaufs,  der  Verbindungen  und  Unibildungen  der  einzelnen 
Gefassanlagen  verschiedener  Wirbelthiere,  besitze  ich  zu  wenige  eigene  Erfah- 
rungen, um  eine  vollständige  Vergleichung  durchführen  zu  können;  doch 
dürften  dieselben  genügen  um  zu  zeigen,  wie  abhängig  diese  sekundär-morpho- 
logischen Bildungen  von  ihren  Formbedingungen,  nämlich  in  erster  Reihe  nicht 
von  den  allgemein-typischen,  sondern  gerade  von  den  besonderen  Lagebezie- 
hungen der  Organe  abhängig  sind,  welche  in  den  bei  verschiedenen  Formen 
desselben  Typus  vielfach  wechselnden  Dimensionen  begründet  sind  und  die  Unbe- 
ständigkeit und  die  vielen  Anomalien  der  Gefässe,  vornehmlich  aber  die  Schwierig- 
keit, ihre  allgemeinen  Homologien  festzustellen,  erklären.  —  Gehen  wir  vom  ar- 
teriellen G  efässsystem  aus,  so  bieten  schon  die  Aortenbögen  Belege  dafür.  * 
Für  die  Karpfen  gibt  v.  Baer  sieben  ursprüngliche  Aortenbögen  an,  von  denen  der 
erste  vor  der  ersten  Schlundfalte  im  „Unterkiefer",  d.  h.  der  gemeinsamen  An- 
lage des  Unterkiefer-  und  Zungenbeinbogens  (vgl.  Nr.  8  II  S.  300),  der  zweite 
hinter  jener  Spalte  oder  im  künftigen  ersten  Kiemeubogen,  der  sechste  und 
siebente  beide  hinter  der  fünften  und  letzten  Spalte  verlaufen;  jener  erste  Ge- 
fässbogen  schwinde  bald  bis  auf  den  oberen  Theil,  aus  dem  die  Carotis  und  die 
Kiemendeckelarterie  hervorgehen  (a  a.  0.,  Nr.  147,  S.  27).  Vogt  lässt  den 
ersten  Aortenbogen  der  Salmoniden  am  Zungenbeinbogen ,  die  übrigen ,  mit 
Ausnahme  des  nicht  beobachteten  siebenten  Bogens,  ebenso  verlaufen  wie  es 
v.  Baer  beschrieb;  der  zuerst  allein  bestehende  erste  Bogen  entsendet  bereits 
eine  Carotis  (Nr.  123  S.  226).  Ich  kann  diese  Angaben  für  den  Forellenembryo 
bestätigen  und  muss  daher  hervorheben,  class  der  Unterkieferbogen  kein  beson- 
deres Verbindungsgefäss  vom  Herzen  zur  Aortenbahn  enthält  und  dass  folglich 
der  erste  Aortenbogen  nicht  vor  sondern  hinter  der  bisher  vollständig  über- 
sehenen ersten  Schlundspalte  liegt  (vgl.  S.  734).  Die  Aortenbögen  der  Teleostier 
fangen  also  erst  im  Zungenbeinbogen  an,  wo  die  Batrachier  allerdings  auch  einen 
Verbindungsbogen,  aber  nicht  zur  Aortenwurzel  sondern  zum  cerebralen  Gefäss- 
bogen  besitzen.  Bei  den  Amnioten  scheinen  dagegen  alle  sogenannten  Visceralbögen 
des  Kopfes  eigene  Aortenbögen  zu  entwickeln,  deren  Blut  direkt  in  die  Aorten- 
wurzeln fliesst.    Da  nun  der  erste  Aortenbogen  in  der  dorsalen  Kopfhälfte  den 

*  Da  die  Entwickelung  der  Aortenbögen  ganz  allgemein  so  geschildert  wird,  als 
wuchsen  sie  aus  dem  Herzen  hervor,  so  mache  ich  darauf  aufmerksam,  dass  sie  wenigstens 
bei  den  Batrachieru  und  Fischen  ganz  unabhängig  vom  Herzen  in  den  Schlundbögen  ent- 
stehen. 


784 


X.  Das  Herz  und  das  Gefässsystem. 


umgekehrten  Weg  wie  der  Karotisstamm  der  Batrachier  beschreibt,  so  ersetzt 
er  gewissermassen  den  bei  diesen  Thieren  so  frühzeitig  angelegten,  bei  den  Am- 
inoten dagegen  erst  viel  später  erscheinenden  cerebralen  Gefässbogen;  wenn 
er  aber  zu  dieser  Bahn  durch  die  besonderen  Formbedingungen  des  embryo- 
nalen Amniotenkopfes  veranlasst  wird,  so  gewährleistet  wiederum  sein  Massen- 
übergewicht über  jenen  cerebralen  Gefässbogen  der  Batrachier  dem  Amnioten- 
hirn  die  stärkere  Ernährung  und  damit  die  Mittel  zu  der  überwiegenden 
Entwickelung  desselben.  Der  frühzeitige  Schwund  der  beiden  ersten  Aorten- 
bögen lässt  den  dritten  zum  Karotisstamm,  den  vierten  zur  eigentlichen  Aor- 
tenwurzel, den  fünften  zur  Pulrnonalis  mit  dem  BoTALLi'schen  Gange  werden; 
diese  Umbildung  stimmt  also  mit  derjenigen  der  gleichen  Bögen  bei  den 
Batrachiern  überein.  Zur  leichteren  Uebersicht  habe  ich  die  folgende  ver- 
gleichende Tabelle  des  Gefässsystems  der  Visceralbögen  zusammengestellt, 
wobei  die  Richtigkeit  der  von  mir  nicht  nachuntersuchten  Gefässentwickelung 


Visceral- 
bögen. 

Teleostier 

Urodelen 

Anuren 

A  m  n  i  o  t  e  n 

I. 

— 

—                               — 

1.  Aortenbogen 

(Unterkicforbogen) 

II. 

(Zungeobembogen) 

III. 

IV. 

1.  Aortenbogen 

2.  Aortenbogen 

3.  Aortenbogen 

a 

Verbindung  zum  cerebralen  Gefäss- 
bogen 

2.  Aortenbogen 

CO 

IS] 

1.  Aortenbogen 

3.  Aortenbogen 

cd 

2.  Aortenbogen 

4.  Aortenbogen 

V. 

4.  Aortenbogen 

3.  Aortenbogen 

3.  Aortenbogen 

5.  Aortenbogen 

a 

u 
Cu 

(eigentlich  Pulrnona- 
lis mit  D.  Botalli) 

f-M 

VI. 

5.  Aortenbogen 

4.  Aortenbogen 

Zweiter  Pulmonalast 

— 

VII. 

6  Aortenbogen 

— 

— 

— 

I. 





— 

\    schwinden 

(Unlerkieffrliogen) 

IL 

^/iin'.'fiiboiiihogen) 

Operkularkie- 

menarterie  und 

\  bis  auf  Ab- 

T3 

schwindet  bis  auf  Abschnitte  der  Carotis 
und  Lingualis 

l  schnitte  der 
Carotis 

CS 

Karotiswnrzel 

CO 

3 

III. 

1.  Kiemenge- 

1.  Aorten-  od.  Kie- 

Karotiswnrzel 

Karotiswnrzel 

N 

fässbogen 

mengefässbogen 

>-* 

IV. 

2  Kiemenge- 

2.  Aorten-  od.  Kie- 

Aorten  wurzel 

Aortenwurzel 

TS 

fassbogen 

mengefässbogen 

3 

V. 

3.  Kiemenge- 

3.  Aorten-  od.  Kie- 

Pulrnonalis 

Pulrnonalis 

fässbogen 

mengefässbogen 

tn 

VI. 

4.  Kiemenge- 

fässbogen 

4.  Aorten-  od.  Kie- 

mentjefassbogen  mit 

Pulmonalast 

schwindet 

VII 

schwindet 

— 

— 

— 

4.   Die  Lymphgefässstämme.  785 

der  Amnioten  vorausgesetzt  wurde  und  die  spätere  asymmetrische  Anordnung 
unberücksichtigt  blieb. 

Die  Eutwickelung  des  Venensystems  der  Wirbel thiere  hat  bekanntlich 
Rathke  zuerst  übersichtlich  behandelt  und  die  noch  heute  giltigen  Grundlagen 
für  eine  vergleichende  Anatomie  der  Venen  geschaffen*.  Ein  Hauptpunkt  der- 
selben besteht  darin,  dass  die  allen  Wirbelthierembryonen  gemeinsamen  Kardi- 
nalvenen nur  bei  den  Fischen  als  paarige  Venenbahn  des  Stammes  sich  erhalten, 
bei  allen  übrigen  Vertebraten  aber  grösstentheils  schwinden  und  durch  die 
neugebildete  hintere  Hohlvene  ersetzt  werden  •,  ihre  hinteren  Hälften  mit  der 
Schwanzvene  und  den  Hüftvenen  werden  bei  den  Amphibien  und  Reptilien  in 
Vv.  renales  advehentes  verwandelt,  bei  den  Vögeln  und  Säugern  schliessen  sie 
sich  aber  der  neuen  Hohlvene  an,  während  die  vorderen  queren  Zweige  der- 
selben Kardinalvenen  durch  Längsanastomosen  verbunden  in  die  hinteren 
Wirbelvenen  oder  die  Vv.  azygos  und  hemiazygos  zusammenfhessen.  —  Diese 
Darstellung  ist  für  die  Batrachier,  wie  ich  gezeigt  habe,  unrichtig-,  von  den 
Kardinalvenen  vergehen  nur  die  vordersten  Urnierenabschnitte,  die  Nierentheile 
verschmelzen  zum  Theil  zum  unpaaren  Stamme  der  hinteren  Hohlvene,  welche 
nur  in  ihrem  vordersten  absteigenden  Gekröseabschnitte  eine  Neubildung  ist 
und  noch  längere  Zeit  nach  der  Metamorphose  wenigstens  eine  einseitige  Ver- 
bindung mit  den  zuführenden  Nierenvenen  oder  den  Enden  der  Kardinalvenen 
(Vv.  iliacae ,  caudalis)  behält.  Es  unterscheiden  sich  also  die  Batrachier  von 
den  Teleostiern  nur  darin,  dass  der  zur  unpaaren  Hohlvene  verschmolzene 
Hauptabschnitt  ihrer  Kardinalvenen  nicht  mehr  durch  die  ursprünglichen 
paarigen  sondern  ein  neugebildetes  unpaares  Mündungsstück  zum  Venensacke 
gelangt,  welches  Stück  bei  den  Teleostiern  wohl  wegen  der  fehlenden  Leber- 
gekrösebrücke nicht  entwickelt  wird.  —  Für  die  Amnioten  kann  ich  nun  freilich 
Rathke's  Darstellung  nicht  ohne  weiteres  angreifen,  weil  mir  eigene  Beobach- 
tungen über  diesen  Gegenstand  fehlen;  überlegt  man  aber,  dass  die  Art  und 
Weise,  wie  die  Hohlvene  sich  entwickelt  und  die  Hauptäste  der  Kardinalvenen 
auf  dieselbe  übertragen  werden  ,  noch  unbekannt  ist ,  für  die  Batrachier  aber 
ein  ganz  ähnlicher  Vorgang  von  mir  auf  eine  blosse  Umbildung  der  Stamm- 


*  Da  mir  das  betreffende  Hauptwerk  (Ueber  den  Bau  und  die  Entwickelung  des  Venen- 
systems der  Wirbelthiere)  zur  Zeit  leider  nicht  zugänglich  war,  so  habe  ich  mich  an  die 
übrigen  bezüglichen  Mittheilungen  Rathke's  (Nr.  148)  und  an  seine  Entwicklungsgeschichte 
(Nr.  47)  halten  müssen.  Dazu  bemerke  ich  noch,  dass  v.  Baer  das  Verhältniss  der  Stamm- 
venen zu  der  hinteren  Hohlvene  schon  früher  angedeutet  hatte  (Nr.  SIS.  71). 

Goette,  Entwickelungsgeschiebte.  ^OV 


786  X.   Das  Herz  und  das  Gefässsystem. 

venen  und  eine  Neubildung  bloss  ihres  Mündungsstückes  zurückgeführt  ist,  und 
dass  ferner  aus  dieser  Bildungsgeschichte  des  Venensystems  der  Batrachier 
alle  Modificationen  desselben  bei  den  Amnioten  sich  ableiten  lassen,  so  muss 
die  Glaubwürdigkeit  der  RATHKE'schen  Darstellung  erschüttert  erscheinen. 
Jenes  Venensystem  der  Batrachier  stimmt  zunächst  mit  demjenigen  der 
Reptilien  im  wesentlichen  überein ;  denkt  man  sich  ferner ,  dass  die  hintere 
Fortsetzung  der  Hohlvene  der  Batrachier  bis  zur  Schwanzvene  in  dem 
ursprünglichen  kontinuirlichen  Zusammenhange  bliebe,  und  ihre  sekundäre 
Verbindung  mit  der  JACOBsoN'schen  Vene  nicht  zu  Stande  käme,  so  hat  man 
die  den  Säugern  eigenthümlichen  Zustände,  nämlich  eine  aus  den  Hüftvenen 
sich  zusammensetzende  Hohlvene  ohne  renalen  Pfortaderkreislauf  und  in  den 
beiden  JACOBsoN'schen  Venen  die  Vv.  azygos  und  hemiazygos.  —  Die  Entwicke- 
lungsgeschichte  der  Venen  der  Batrachier  dürfte  aber  auch  in  ihren  übrigen 
Theilen  zu  erneuerten  Untersuchungen  über  denselben  Gegenstand  bei  den 
anderen  Vertebraten  anregen.  Einmal  finde  ich  nirgends  eine  Andeutung 
darüber,  auf  welchem  Wege,  von  der  hinteren  Hohlvene  ganz  abgesehen,  die 
in  der  Leibeswand  verlaufenden  beiden  Ductus  Cuvieei  und  die  Umbilikal- 
venen  das  Venenende  des  Herzens  erreichen,  welches  mit  seinen  beiden  Schen- 
keln (Dotterdarmvenen)  der  Darmwand  angeschlossen  ist  und  folglich  anfangs 
durch  die  zusammenhängenden  Höhlen  des  Herzbeutels  und  des  Bauchfell- 
sackes von  der  Leibeswand  und  jenen  Gefässen  getrennt  ist.  An  die  Leber 
wurde  dabei  jedenfalls  nicht  gedacht,  da  z.  B.  Kölliker  behauptet,  dass  beim 
Menschen  „die  Umbilikalvene  sicherlich  vor  der  Bildung  der  Leber"  sich 
entwickele  (Nr.  48  S.  418);  und  da  die  Frage  nach  dem  oberen  und  hinteren 
queren  Abschlüsse  der  Perikardialhöhle  gegen  die  übrigen  serösen  Höhlen  gar 
nicht  berührt  wird,  derselbe  aber  auch  ohne  die  Anlage  der  Leber  gar  nicht 
existircn  kann,  so  muss  man  über  die  Unbefangenheit  staunen,  mit  der  bisher 
alle  damit  beschäftigten  Embryologen  jene  Gefässe  der  Leibeswand  in  das  Herz 
münden  lassen  ohne  mit  einem  Worte  zu  erwähnen,  wie  dieselben  die  ursprüng- 
lich kontinuirliche  Leibeshöhle  durchsetzen.  Daher  haben  alle  jene  schemati- 
schen Darstellungen  dieses  Gefässsystems,  welche  den  Zusammenhang  der  ein- 
zelnen Stämme  veranschaulichen  sollen,  ohne  eine,  vorangegangene  Untersuchung 
ihrer  ersten  Beziehungen  zur  Leberanlage  und  zum  Perikardialsacke  nur  einen 
sehr  beschränkten  Werth.  So  kommt  mir  z.  B.  die  Beschreibung,  welche 
v.  Baer  und  Rathke  vom  ursprünglichen  Verlaufe  der  Umbilikalvene  der 
Amnioten  und  seiner  Umbildung  geben  (Nr.  8  I  S.  93,  Nr.  148),  wegen  ihrer 


4.   Die  Lymphgefässstämme.  787 

grossen  Uebereinstimmung  mit  den  analogen  Verhältnissen  der  Batrachier  viel 
glaubwürdiger  vor  als  die  gewöhnliche  Vorstellung,  dass  jene  Vene  schon  ur- 
sprünglich nicht  unter  und  vor  sondern  hinter  der  Leber  aufsteige  und  der 
Ductus  venosus  Arantii,  welcher  bei  den  Batrachiern  vollständig  fehlt,  nicht 
sekundär  gebildet  (Rathke),  sondern  ein  Rest  der  ersten  Mündung  sei(KöLLiKER 
Nr.  48  S.  421). 

Ueber  die  Bildung  des  Blutes  kann  ich  mich  kurz  fassen,  da  ich  dieselbe 
von  den  Teleostiern,  Batrachiern  und  Vögeln  bereits  ausführlich  beschrieben 
habe  (S.  538,  Nr.  121  S.  180—186.  196).  Alle  Beobachter  stimmten  bisher 
darin  überein,  dass  das  Blut  theils  in  den  Gefässen,  theils  in  den  peripherischen 
Theilen  der  tieferen  Keimschichten  (mittleres  Keimblatt)  an  der  Oberfläche  des 
Dottersackes  gebildet  würde  (vgl.  a.  a.  0.  und  Vogt  Nr.  26  S.  71,  Kupffek 
Nr.  105  S.  263—265);  ich  habe  dagegen  den  Ursprung  der  Blutzellen  aus  dem 
Nahrungsdotter  für  die  Batrachier  und  Vögel  genauer  nachgewiesen,  für  die 
Teleostier  wenigstens  wahrscheinlich  gemacht.  Auch  habe  ich  schon  bei  einer 
früheren  Gelegenheit  darauf  hingedeutet,  dass  diese  Bildung  mit  der  Aufnahme 
der  Interstitialflüssigkeit  aus  der  Darmhöhle  in  den  Nahrungsdotter  zusammen- 
hänge, also  der  eigentliche  Keim  dabei  nicht  unmittelbar  sondern  nur  durch 
die  mechanischen  Wirkungen  seiner  morphologischen  Entwickelung  betheiligt 
sei  (S.  194).  Als  weiteren  Beleg  dafür  führe  ich  hier  noch  an,  dass  ich  an 
einigen  jungen  Unkenlarven  ganz  ansehnliche  kugelige  Blutinseln  mitten  im 
Nahrungsdotter  angetroffen  habe.  Nach  solchen  Erfahrungen  musste  mich 
selbstverständlich  die  scheinbar  ganz  evidente  Thatsache  wenig  befriedigen, 
dass  bei  den  Säugern,  weil  ihre  Keimblase  und  daher  auch  der  Dottersack  nur 
eine  Flüssigkeit  enthält,  das  Blut  sich  in  den  peripherischen  Keimtheilen  selbst 
bilde.  Doch  ist  es  mir  endlich  gelungen,  auch  diese  wohl  ganz  allgemeine 
Ansicht  zu  widerlegen  und  zugleich  eine  neue  wichtige  Uebereinstimmung  in 
der  Entwickelung  der  Säugethiere  und  übrigen  Vertebraten  nachzuweisen.  An 
Kaninchenembryonen ,  deren  Dotterdarmvenen  eben  angelegt ,  aber  die  eigent- 
lichen Dottergefässe  noch  nicht  gebildet  waren ,  fand  ich  unter  dein  ganzen 
Keime  eine  feste  Dotterschicht  von  demselben  Aussehen  wie  die  feinkörnige 
Dottermasse  der  Hühnereier  und  von  einer  Mächtigkeit,  welche  diejenige  des 
Keims  übertraf.  Diese  vorherrschend  dem  mittleren  Keimblatte  und  nur  in 
der  unmittelbaren  Nähe  des  Embryo  dem  Darmblatte,  welches  dort  seine 
Grenze  findet,  fest  angefügte  Dotterschicht  kann  nach  ihrer  gleich  zu  erwähnen- 
den Umbildung  kein  künstliches  Gerinnungsprodukt  sein;  doch  habe  ich  sie 

50* 


7yg  X.   Das  Herz  und  das  Gefässsystem. 

an  den  noch  wenig  entwickelten  Eiern,  welche  mir  die  merkwürdige  Bildung 
der  Keimschichtung  gezeigt  haben  (Nr.  103),  nicht  erkennen  können.  An  den 
erstgenannten  Keimen  besitzt  jene  Dotterschicht  gegen  das  mittlere  Keimblatt 
eine  ganz  glatte,  scharfe  Grenze;  an  verschiedenen  Stellen  sind  grössere  Platten 
oder  kleinere  dicke  Stücke  dieser  Masse  durch  zarte  aber  deutliche  Linien  in 
der  Weise  abgesondert,  dass  sie  mit  ihrer  unteren  konvexen  Fläche  im  übrigen 
Dotter  eingebettet  liegen,  mit  der  ebenen  Oberseite  aber  an  das  mittlere  Keim- 
blatt stossen.  Schon  die  kleineren  Stücke  übertreffen  die  Embryonalzellen  um 
ein  Vielfaches  an  Grösse  und  besitzen  je  einen  grossen  klaren  Kern ,  sodass  sie 
in  jeder  Hinsicht  den  in  den  Keimwall  vorrückenden  Dotterzellen  des  Hühner- 
eies gleichen  (vgl.  Nr.  121).  An  nur  wenig  älteren  Kaninchenembryonen  hat 
die  Anzahl  dieser  Dotterzellen  zugenommen ;  sie  zeigen  verschiedene  Theilungs- 
erscheinungen ,  wobei  die  Theile  je  nach  dem  Grade  der  Vermehrung  allmäh- 
lich kleiner  werden  und  da  sie  bereits  als  Zellenhaufen  vom  übrigen  Dotter 
abstechen ,  wie  in  einer  Ablösung  von  dem  darüber  hinstreichenden  mittleren 
Keimblatte  begriffen  aussehen.  Doch  findet  schon  in  dieser  Zeit,  noch  deutlicher 
aber  etwas  später  gerade  das  Gegentheil  statt,  nämlich  eine  allmähliche  Auf- 
nahme jener  Zellenhaufen  in  das  mittlere  Keimblatt,  wo  ich  sie  in  Blutinseln 
sich  verwandeln  sehe ,  gerade  so  wie  ich  es  vom  Hühnerkeime  beschrieb.  Zur 
selben  Zeit  erscheint  der  grösste  Theil  der  beschriebenen  Dotterschicht  aufge- 
braucht ;  unbedeutende  Reste  mögen  später  aufgelöst  werden.  —  Diese  Beobach- 
tung bringt  natürlich  das  Säugethierei  um  einen  bedeutenden  Schritt  den  Eiern 
der  übrigen  Vertebraten  näher;  wenigstens  kann  ich  es  jetzt  als  Thatsache  hin- 
stellen, dass  es  nicht  nur  durch  die  Gastrulaform  seines  Keims,  sondern  auch 
durch  einen  wirklichen  blutbildenden  Nahrungsdotter  mit  denselben  überein- 
stimmt. 


XL  Der  Darmkanal  und  seine  Anhangsorgane. 


Nach  den  vorausgegangenen  Darstellungen  über  die  Form,  Lage  und  Ein- 
teilung des  embryonalen  Darmkanals  der  Unke  (S.  218 — 221.  260  und  flg.) 
können  wir  denselben  in  seinem  morphologisch  wichtigsten  Theile,  dem  Darm- 
blatte, als  einen  länglichen  Schlauch  betrachten,  welcher  an  beiden  Enden 
blindsackartig  geschlossen  (Vorder-,  Hinterdarm),  in  seiner  Mitte  jedoch  ab- 
wärts noch  weit  offen  ist  (Mitteldarm)  und  mit  den  Rändern  dieser  anfangs 
länglichen  Oeffnung  der  Dotterzellenmasse  ohngefähr  so  aufgesetzt  ist  wie  im 
ersten  Anfange  der  Entwicklung  die  primäre  Keimschicht  {Taf.  IT).  Die 
besondere  Hülle  oder  Scheide  dieses  Darmschlauches  ist  zuerst  überall  die 
Seitenplatte ,  deren  auseinanderweichende  Blätter  die  grossen  serösen  Höhlen 
bilden;  ihre  verschiedenartige  Rückbildung  in  der  Kopfregion  sondert  den 
Kopfdarm  am  meisten  vom  übrigen  Darmkanal,  in  erster  Linie  also  von  dem 
anstossenden  Vordarme.  Im  Vorderkopfe  geht  die  Seitenplatte  in  die  Bil- 
dung der  Segmentplatten  vollständig  auf;  im  Hinterkopfe  wächst  sie  über  der 
Darmblattdecke  der  Schlundhöhle  nicht  zusammen,  sodass  das  Darmblatt  dort 
unmittelbar  an  das  Bildungsgewebe  der  Stammsegmente  stösst,  und  in  der 
Seitenwand  jener  Höhle  verschmelzen  die  Blätter  der  Seitenplatte  zu  einer 
ungesonderten  Schicht,  welche  sich  von  ihrer  ventralen  Fortsetzung  (Perikardial- 
sack)  vollends  löst  und  beiderseits  unter  den  Darmblattboden  der  Schlundhöhle 
auswächst,  wodurch  dieselbe  von  jeder  Beziehung  zur  eigentlichen  serösen 
Höhle  des  Kopfes,  nämlich  dem  Perikardialsacke  ausgeschlossen  wird  (Taf.  VII, 
XIII).  Jene  das  Darmblatt  des  Kopfdarms  oder  die  Anlage  seines  Epithels 
umgebenden  Theile  der  Seitenplatte  und  der  Segmente  liefern  ausser  einem 
gleich  zu   erwähnenden  beschränkten  Bewegungsapparate  die  bindegewebige 


790  XI.   Der  Darmkanal  und  seine  Anhangsorgane. 

Unterlage  des  Epithels,  sodass  der  ganzen  Kopfdarrnwand  als  kontinuirliche 
Bildung  nur  eine  den  übrigen  Kopftheilen  eng  angeschlossene  Schleimhaut 
eigen  ist  und  daher  jede  Selbstständigkeit  abgeht.  In  Folge  dessen  wird  der 
ganze  Kopfdarm  während  der  Ausbildung  des  Kiemenapparats  durch  den  sich 
hebenden  Boden  zu  einem  breiten  spaltartigen  Räume  zusammengedrückt,  welcher 
nicht  eben  hinzieht,  sondern  dem  Relief  der  Decke  und  des  Bodens  entsprechend 
gebogen  und  ausserdem  bei  den  Bewegungen  des  Kieferapparats  einem  beständigen 
Wechsel  unterworfen  ist  (Taf.  X  V,  XXI).  Diese  Abhängigkeit  der  dem  Kopf  darm 
eigenthümlichen  Theile  vom  übrigen  Kopfe  ist  aber  nicht' in  allen  Entwickelungs- 
perioden  dieselbe.  Während  der  Larvenzeit  erzeugt  seine  Seitenplatte  einmal 
das  Zungenbein  mit  der  Zunge  und  ferner  das  Kiemengerüst,  welches  bei  den 
Anuren  vielmehr  den  inneren  Kiemen  als  dem  äusseren  Kiemenapparate  ange- 
passt  erscheint.  Die  inneren  Kiemen  sind  als  eigentliche  Darmbildungen  auf- 
zufassen, welche  durch  das  angepasste  Knorpelskelet  eine  gewisse  Selbst- 
ständigkeit erhalten  (S.  741  u .  flg.) ;  aber  wir  sehen  sie  sowohl  in  der  individuellen 
Entwicklung  der  Anuren  wie  durch  die  ganze  Thierreihe  in  dem  Masse  sich 
zurückbilden  und  schwinden  als  die  Ausbildung  der  die  ganze  Entwicklung 
des  Kopfes  beherrschenden  Theile  zunimmt;  und  soweit  sich  trotzdem  das 
Kiemenskelet  erhält,  tritt  es  aus  den  Beziehungen  zum  eigentlichen  Kopfdarme 
heraus  und  ganz  in  den  Dienst  des  äusseren  Kiemenapparats.  Ebenso  verhalten 
sich  das  Zungenbein  und  die  Zunge  zum  Kieferapparate;  denn  wenn  auch  die 
Muskulatur  der  letzteren  den  Darmmuskeln  homolog  ist  (S.  GG9),  so  entfernt 
sie  sich  doch  von  denselben  in  Folge  der  Anpassung  an  die  besonderen  Form- 
bedingungen jener  Kopfregion  bis  zum  Verluste  jeder  Aehnlichkeit  in  Form,  Lage 
und  Innervirung.  Sehen  wir  ferner  auf  die  histiologischen  Umbildungen  der 
dem  Kopfdarme  eigenthümlichen  Schleimhaut,  so  finden  wir  in  dem  Sinnes- 
apparate der  Zunge  und  den  meisten  Zahnbildungen*  wiederum  besondere 
Anpassungen  an  den  Kieferapparat,  welcher  am  Eingange  des  Darmkanals 
allerdings  die  Ernährungsthätigkeit  eröffnet,  aber  in  einer  Form,  welche  ihn 


*  Ein  Theil  der  Zähne  ist  freilich  auf  die  zur  Auskleidung  der  Mundhöhle  hineinge- 
zogene Oberhaut  zu  beziehen,  und  es  ist  mir  selbst  an  den  Salamandrinen,  deren  Darmblatt 
bis  an  den  Lippenrand  des  Mundes  vordringt,  wahrscheinlich  geworden,  dass  die  Grund- 
schicht  der  Oberhaut  nach  innen  unter  das  Darmblatt  auswächst,  um  an  der  Bildung  der 
Kieferzähne  theilzunehmen  (Nr.  G4  S.  118).  Aber  bei  den  Teleostiern,  deren  Darmblatt 
ebenfalls  bis  zum  Lippenrande  reicht  und  dort  einfach  mit  der  Oberhaut  verschmilzt ,  sind 
alle  Zähne  ebenso  gewiss  Erzeugnisse  der  Darmblattschleimhaut  wie  wenigstens  die  Gaumen- 
zähne der  Batrachier. 


XI.   Der  Darmkanal  und  seine  Anhangsorgane.  791 

auch  darin  den  ihm  morphologisch  gleichwertigen  Gliedmassen  des  Rumpfes 
an  die  Seite  stellt. 

In  ganz  anderem  aber  nicht  weniger  innigem  Zusammenhange  mit  der 
Kopfbildung  vollzieht  sich  die  Entwickelung  des  Vor  dar  ms.  Während  der 
Kopfdarm  durch  die  Entstehung  des  Herzraums  in  seinem  Boden  und  der 
Mitteldarm  von  Anfang  an  durch  die  Dotterzellenmasse  von  unten  her  verengt 
erscheinen,  behält  der  Vordarm  allein  die  ganze  ursprüngliche  Höhe  zwischen 
der  dorsalen  und  ventralen  Körperwand  und  macht  daher  den  Eindruck  einer 
zwischen  Perikardialsack  und  Dotterzellenmasse  eingesenkten  Tasche,  obgleich 
die  •  definitive  Hinterwand  dieser  Tasche  erst  allmählich  durch  das  aus- 
wachsende und  die  Dotterzellenmasse  abschnürende  Darmblatt  hergestellt  wird 
(S.  260),  und  wenn  man  bloss  die  morphologischen  Anlagen  in  Betracht  zieht 
dieser  Darmtheil  anfangs  durchaus  jenem  rück-  und  abwärts  trichterförmig 
erweiterten  Uebergange  des  vorderen  Darmblindsackes  des  Hühnchens  in  den 
Dottersack  und  die  Mitteldarmfurche  entspricht,  welchen  die  älteren  Embryo- 
logen  als  „Fovea  cardiaca"  (Wolff)  oder  als  „vorderen  Eingang  in  den  Speise- 
kanal"  (v.  Baer)  bezeichneten.  Der  Vordarm  besitzt  eine  vollkommen  ausge- 
bildete Seitenplatte,  welche  nur  eine  kurze  Zeit  an  der  Bauchseite  durch  eine 
schwache  Fortsetzung  der  medianen  Lücke  des  mittleren  Keimblattes  getrennt 
ist  (Taf.  VII  Fig.  135—137,  Taf.  XIII  Fig.  239.  240).  Sobald  sich  diese 
geschlossen  und  die  beiden  Blätter  der  Seitenplatte  vollkommen  ausgebildet 
haben,  gehen  sie  in  der  oberen  Hälfte  in  die  rückgebildete  Seitenplatte  der 
Kiemenbögen,  in  der  unteren  Hälfte  aber  kontinuirlich  in  die  beiden  Perikardial- 
blätter  über  {Taf.  XIV  Fig.  247 — 256).  Diese  bereits  im  vorigen  Abschnitte 
erörterten  Beziehungen  des  Vordarms  zum  Perikardialsacke  (S.  746)  enthalten 
den  Schlüssel  zum  Verständniss  der  Trennung  der  verschiedenen  serösen 
Höhlen  des  Rumpfes,  der  Verbindungen  der  vorderen  Baucheingeweide  unter- 
einander und  des  schon  geschilderten  Zusammenflusses  der  Venenstämme  mit 
dem  Herzen ,  und  müssen  daher  hier  theils  wiederholt ,  theils  ausführlicher  be- 
handelt werden.  Anfangs,  solange  der  Perikardialsack  in  seiner  ursprünglichen 
Lage  die  hintere  Grenze  der  Schlundhöhle  oder  des  Kiemenapparats  nicht 
überschreitet ,  biegt  der  Darmblattboden  der  Schlundhöhle  unmittelbar  in  die 
Vorderwand  des  Vordarms  um,  welche  den  Perikardialsack  nach  hinten  ab- 
schliesst  (Taf.  II  Fig.  38).  Der  letztere  liegt  also  als  Fortsetzung  der  Anlage 
der  Pleuroperitonealhöhle  des  Rumpfes  genau  vor  dieser,  welche  erst  an  seiner 
hinteren  Grenze  sich  aufwärts  bis  zum  Rücken  erstreckt ;  die  hintere  Oeffnung 


792  XI.   Der  Darmkanal  und  seine  Anliangsorgane. 

des  Perikardialsacks  gegen  die  Pleuroperitonealhöhle  wird  unten  von  der 
Vorderfläche  der  Leberanlage,  darüber  ebenfalls  von  der  Vorderseite  eines 
Darmabschnitts  ausgefüllt,  welcher  in  seinem  kurzen  Verlaufe  die  Anlage  des 
Darmkanals  von  der  Mündung  des  Leberganges  bis  zur  Schlundhöhle  oder  bis 
zum  Kehlkopfe  umfasst.  Diese  Anordnung  verschiebt  sich  in  Folge  des 
weiteren  Vorwachsens  des  Kopfes  {Tu f.  XVI Fig.  292.  293.  298,  Taf.  XXI 
Fig.  372).  Mit  der  Leberanlage,  welche  noch  mit  der  Dotterzellenmasse  verbun- 
den ist,  wird  auch  derPerikardialsack  an  seiner  früheren  Stelle  zurückgehalten 
(S.  749),  während  der  obere  Abschnitt  des  Vordarms  durch  die  Schlundhöhle 
vorwärts  gezogen  den  entsprechenden  Theil  seiner  Wand  aus  der  Hinterwand 
des  Perikardialsackes  in  dessen  Decke  umschlägt.  Diese  unscheinbare  Ver- 
änderung hat  nun  sehr  bedeutsame  Folgen.  Das  horizontal  über  die  hintere 
Hälfte  des  Perikardialsackes  umgelegte  Vordarmstück  —  ich  will  es  vorläufig 
den  Lungendarm  nennen  —  hat  in  diese  neue  Lage  natürlich  auch  die  es  um- 
hüllende zweiblättrige  Seitenplatte  mit  hinübergezogen ,  sodass  nun  der  darin 
eingeschlossene  Abschnitt  der  Pleuroperitonealhöhle  über  der  Perikardialhöhle 
liegt,  und  beide  Höhlen  dort  ebenso  kommuniciren  und  darauf  geschieden 
werden  wie  im  vorderen  Umfange  der  Leber:  die  vom  Visceralblatte  überzogene 
breite  Bauchseite  des  Lungendarms  bildet  die  Decke  der  über  dem  Venensacke 
befindlichen  Perikardialbucht,  welche  an  den  beiden  Seitenrändern  jener  Decke 
durch  enge  Spalten  mit  dem  an  jeder  Seite  des  Lungendarms  befindlichen  Ab- 
schnitte der  Pleuroperitonealhöhle  zusammenhängt  und  gewissermassen  die 
ventrale  Vereinigung  dieser  beiden  lateralen  Abschnitte  oder,  um  es  gleich  zu 
sagen,  der  primitiven  Pleurahöhlen  darstellt  {Taf.  XIV Fig.  261.  262, 
Taf.  XV  Fig.  274—277).  Indem  nun  aber  längs  jener  Verbindungsspalten 
das  Parietalblatt  ebenfalls  durch  vorgeschobene  Falten  mit  den  Seitenrändern 
der  ventralen  Visceralblattfläche  des  Lungendarms  verschmilzt,  so  hört  damit 
der  ventrale  Zusammenhang  beider  Pleurahöhlen  auf  und  der  Lungendarm 
wird  zu  einer  vollkommenen  medianen  Scheidewand  derselben ,  sodass  sie  erst 
rückwärts  durch  die  Peritonealhöhle,  in  welche  sie  offen  ausmünden,  in  Verbin- 
dung bleiben.  Die  Trennung  der  beiden  primitiven  Pleurahöhlen  von  einander  und 
anderseits  von  der  Perikardialhöhle  ist  also  das  Ergebniss  eines  einheitlichen 
Entwickelungsvorganges ,  nämlich  der  Einfügung  der  Bauchseite  des  Lungen- 
darms in  die  Decke  des  Perikardialsackes. 

Der  vorderste  Abschnitt  des  Vordarms,  welchen  ich  eben  als  Lungen  - 
darin  bezeichnete,  wird  wie  der  ganze  übrige  hinter  dem  Kopfe  gelegene  Darm 


XI.   Der  Darnikanal  und  seine  Auhangsorgane.  793 

in  Folge  der  seitlichen  Abplattung  des  Körpers  zu  einem  schmalen  aber  hohen 
Kanal,  dessen  fernere  Gestaltveränderungen  in  innigem  Zusammenhange  mit 
der  Umbildung  der  ihn  begrenzenden  Darmabschnitte  stehen  (Taf.  XIII).  Die 
seitlichen  Leisten,  welche  am  Boden  der  Schlundhöhle  längs  der  Grenze  der 
inneren  Kiemen  sich  erheben  (S*.  680),  konvergiren  rückwärts  in  dem  Masse, 
dass  sie  beim  Uebergange  in  den  Vordarm  eine  enge  mediane  Spalte  einfassen, 
in  welcher  Form  sich  dann  auch  die  untere  Hälfte  des  vordersten  Lungen- 
darms darstellt,  während  die  über  diesen  Leisten  befindlichen  Mündungen  der 
Innenkiemen  in  der  oberen  Hälfte  jenes  Darmstückes  zu  einem  breiten 
Schlauche  zusammenfliessen  (Taf.  XV).  Darauf  verschmelzen  jene  Leisten 
dort,  wo  sie  an  der  hinteren  Kopfgrenze  zusammenstossen,  vollständig  und 
schliessen  dadiueh  die  spaltförmige  untere  Hälfte  des  vorderen  Lungendarms 
oder  die  Anlage  des  Kehlkopfs  nach  vorn  vollständig  ab,  sodass  sie  nur  auf- 
wärts mit  der  weiten  oberen  Hälfte  oder  dem  Eingange  in  die  Speiseröhre 
kommunicirt  (Taf.  XVII  Fig.  308,  Taf.  XXI  Fig.  371).  Diese  Verbindung 
bleibt  immer  spaltförmig  und  wird  daher,  während  sich  die  darunterliegende 
Kehlkopf  höhle  später  erweitert ,  zur  Stimmritze  (Taf.  X  VIII  Fig.  330). 
Durch  die  Einkeilung  des  vorderen  Rumpfendes  in  den  Hinterkopf  gelangt  der 
Kehlkopf  endlich  ganz  zwischen  die  hintersten  inneren  Kiemensäcke,  welche 
nicht  nur  über  ihm  unmittelbar  in  die  Speiseröhre  übergehen,  sondern  auch 
vor  ihm  in  jener  Bucht  zusammenhängen,  welche  durch  den  quer  nach  hinten 
vorspringenden  scharfen  Rand  der  vereinigten  medialen  Kiemenleisten  entstand. 
Denkt  man  sich  die  innere  Scheidewand  des  dritten  Kiemenbogens  jederseits 
so  stark  entwickelt,  dass  das  hinterste,  den  Kehlkopf  vorn  und  seitlich  um- 
ziehende Paar  der  Kiemensäcke  gegen  die  anderen  vollkommen  abgeschieden 
wird ,  so  lässt  sich  in  dieser  Bucht  oder  dem  von  mir  sogenannten  Vorhof  des 
Kehlkopfes  und  dem  ihn  von  vorn  her  überragenden  Schirmdach  eine  auf- 
fallende Aehnlichkeit  mit  dem  vorderen  Kehlkopfraume  und  dem  Kehldeckel 
der  Wirbelthiere  nicht  verkennen.  Diese  Theile  erhalten  sich  bei  den  Batra- 
chiern,  welche  Kehlsäcke  besitzen,  indem  die  letzteren,  wie  ich  an  Hyla  zu 
sehen  glaube,  aus  jenem  Vorhofe  hervorwachsen  und  das  kiemendeckelartige 
Schirmdach  zu  einer  rückwärts  über  die  Stimmritze  verschiebbaren  Hautfalte 
wird  (S.  682).  —  Hinter  der  Kehlkopfgegend  bleibt  nicht  bloss  der  dorsale 
Abschnitt  des  Lungendarms  als  vordere  Speiseröhre  etwas  erweitert,  sondern 
auch  der  ventrale  buchtet  sich  seitlich  aus  und  bildet  so  die  breite  Lungen - 
wurzel,  deren  Höhle  mit  dem  Kanal  der  vorderen  Speiseröhre  noch  einige 


794  XI.   Der  Darmkanal  und  seine  Anhangsorgane. 

Zeit  gleichsam  durch  eine  hintere  Fortsetzung  der  Stimmritze  in  Verbindung 
bleibt  (Taf.  XV Fig.  277).  Erst  nachdem  die  Lungenwurzel  jederseits  in  einen 
Lungenschlauch  ausgewachsen  ist,  schnürt  sich  ihr  Darmblattsack  von  der 
Auskleidung  der  Speiseröhre  völlig  ab,  bleibt  aber  so  kurz,  dass  die  Unter- 
scheidung eines  Kehlkopfs  und  einer  Lungenwurzel  als  Homologon  einer  Luft- 
röhre endlich  illusorisch  wird. 

Die  Seitenplatte  rückt  am  Lungendarm  niemals  ganz  hinauf,  sodass  so 
ziemlich  sein  ganzer  dorsaler  Abschnitt  oder  die  vordere  Speiseröhre  zwischen 
den  Gekrösefalten  aufwärts  hervorragt  und  wesentlich  vom  Bildungsgewebe  der 
ersten  Rumpfsegmente,  dem  sich  hinaufwuchernde-Theile  jener  Falten  anschliessen 
mögen,  umhüllt  wird,  während  die  zweiblättrige  Seitenplatte  die  Scheide  des 
Kehlkopfs  und  der  Lungenwurzel  bleibt  (Fig.  262.  270.  277).  Im  Umfange  des 
ersteren  bilden  sich  jedoch  die  beiden  Blätter  frühzeitig  zurück,  indem  sie  mit 
dem  ganzen  Organ  zwischen  die  hintersten  Kiemenbögen  eingeklemmt,  unter- 
einander und  mit  dem  Bildungsgewebe  der  letzteren  zu  einer  Masse  verschmelzen 
(Fig.  308)^  immerhin  können  die  Kehlkopfknorpel  schon  desshalb  von  der 
Seitenplatte  abgeleitet  werden,  weil  der  ganze  Kehlkopf  in  der  aufwärts  ge- 
richteten Gabel  der  hinteren  Zungenbeinhörner  ruht,  welche  mit  dem  übrigen 
Kiemenskelet  ebenfalls  aus  der  Seitenplatte  hervorgehen.  Wegen  dieses  über- 
einstimmenden Ursprungs  können  wir  die  Knorpel  und  Knochen  des  Kiemen-, 
Zungenbein-  und  Kehlkopfapparats  sowie  weiterhin  überhaupt  der  ganzen 
Respirationsorgane  als  homologe  Bildungen  ansprechen. —  Erst  von  der  Lungen- 
wurzel rückwärts  erhält  sich  die  Sonderung  des  Visceral-  und  Parietalblattes 
und  daher  jederseits  zwischen  ihnen  die  Anlagen  der  Pleurahöhlen,  in  welche 
von  der  Lungenwurzel  aus  die  Lungen  hineinwachsen.  Die  Anlagen  dieser 
Organe  sind  aber  nicht  als  einfache  Ausstülpungen  des  Lungendarms  aufzu- 
fassen, sondern  nachdem  eine  quere  Erweiterung  der  Darmblattröhre  die 
Lungenwurzel  angedeutet,  entwickelt  zunächst  das  Visceralblatt  eine  grössere 
Thätigkeit,  indem  es  unter  dem  Zufluss  der  alsdann  überall  einwandernden 
Dotterbildungszellen  jederseits  von  der  Lungenwurzel  aus  rückwärts  zu  einem 
mächtigen  soliden  Wulste  anschwillt,  welcher  im  kontinuirlichen  Zusammen- 
hange mit  der  übrigen  Darmwand  über  sie  hingleitet  (Fig.  254.  263.  278. 
279).  Hinterher  dringt  erst  in  diese  schon  vorgebildeten  Visceralblattwülste 
je  ein  Auswuchs  der  Darmblattauskleidung  der  Lunsfenwurzel  von  der  Form 
fiiies  Handschuhfingers  hinein;  und  indem  dieser  Darmblattschlauch  den  ihm 
gleichsam  vorauseilenden  Visceralblattwulst  im  Wachsthum  einholt,  entwickelt 


XI.   Der  Darmkanal  und  seine  Anhangsorgane.  7<)f, 

sich  die  embryonale  Lunge  zu  einem  am  hinteren  Ende  blind  geschlossenen 
Hohlcylinder,  dessen  Aussen  wand  sich  darauf  von  der  Seite  des  Darms  abzu- 
schnüren beginnt,  aber  eine  bandartige  Verbindung  mit  demselben  und  später 
mit  dessen  Gekröse  noch  lange  behält  (Fig.  308.  318.  359—362).  Wie  diese 
dickwandigen,  von  einem  sehr  engen  Kanäle  durchzogenen  Lungencylinder  sich 
in  die  weiten,  dünnwandigen  Luftsäcke  des  athmenden  Thieres  verwandeln, 
mögen  speciellere  Untersuchungen  darthun ;  ich  begnüge  mich  hier  mitder Bemer- 
kung, dass  das  Darmblatt  wohl  ziemlich  zweifellos  nur  die  innere  epitheliale  Aus- 
kleidung der  Lunge  liefert,  alle  übrigen  Gewebe  aber  vom  Visceralblatte  ab- 
stammen. Wichtiger  scheint  es  mir,  die  Aufmerksamkeit  noch  auf  einige  topo 
graphische  Verhältnisse  der  Amphibienlunge  zu  lenken.  Die  Lungenwurzel 
reicht  anfangs  bis  an  die  Hinterwand  des  Perikardialsackes,  und  wenn  später 
auch  noch  der  Lungenhals  in  der  primitiven  Pleurahöhle  steckt,  so  ragt  doch 
das  übrige  Organ  rechts  über  der  Leber,  links  über  dem  Magen  frei  in  die 
Bauchhöhle  vor.  Es  könnte  demnach  der  Vergleich  jener  unbedeutenden  vor- 
deren Ausläufer  der  Bauchhöhle  mit  wirklichen  Pleurahöhlen  sehr  gesucht 
erscheinen.  Aber  wie  ich  es  schon  an  mehreren  Beispielen  ausführte,  dass 
nicht  die  äussere  Erscheinung,  die  fertige  anatomische  Form,  sondern  lediglich 
die  gleichen  Bildungsursachen  und  deren  gleichsinnige  Verknüpfung  die  Homo- 
logien begründen  können,  so  verhält  es  sich  auch  mitder  Deutung  der  unschein- 
baren Pleurahöhlen  der  Batrachier.  Würde  der  ganze  Vordarm  mit  der  in 
ihm  enthaltenen  Anlage  des  Lungendarms  vollständig  in  seiner  ursprünglichen 
Lage  hinter  dem  Herzräume  liegen  bleiben,  so  wäre  wohl  irgend  ein  Abschluss 
des  jede  Lunge  unmittelbar  umgebenden  Raumes  möglich,  aber  diese  Lungen- 
behälter wären  nur  Analoga,  nicht  Homologader  Pleurahöhlen  der  Säugethiere. 
Denn  sie  würden  weder  den  Herzbeutel  begrenzen,  noch  überhaupt  vor  sondern 
über  der  übrigen  Bauchhöhle  liegen,  und  ihre  eigene  mediane  Scheidewand 
müsste  entweder  ein  Darmgekröse  oder  eine  Neubildung,  die  untere  sie  von 
der  Bauchhöhle  scheidende  Wand  ganz  bestimmt  eine  solche  sein,  —  kurz,  Lage- 
beziehungen und  Zusammensetzung  solcher  Höhlen  würden  sie  morphologisch 
von  den  Pleurahöhlen  vollkommen  scheiden.  Dadurch  aber,  dass  der  Lungen- 
darm sich  über  den  Perikardialsack  lagert  und  mit  seiner  Bauchseite  sich  in 
ihn  einfügt,  stellt  er  für  die  ihn  beiderseits  begrenzenden  Abschnitte  der  konti- 
nuirlichen  Pleuroperitonealhöhle  alle  wesentlichen  Formbeziehungen  der  Pleura- 
höhlen hinsichtlich  der  Lage,  der  Zusammensetzung  der  äusseren  Wände  und 
der  inneren  Scheidewand  her.     Abgesehen  davon,  dass  den  Batrachiern ,  wie 


796  XI.   Der  Darmkanal  und  seine  Anhangsorgane. 

ich  zeigen  werde,  die  Anlage  einer  hinteren,  dem  Zwerchfelle  vergleichbaren 
Schlusswand  nicht  fehlt,  so  ist  deren  Vollendung  desshalb  für  den  obigen  Ver- 
gleich nicht  unerlässlich,  weil  die  embryonalen  Pleurahöhlen  der  Säuger  sie 
ebenso  entbehren  wie  die  embryonalen  Perikardialsäcke  aller  Wirbelthiere, 
also  ein  solcher  hinterer  Abschluss  ein  sekundärer  Vorgang  ist,  Es  bliebe  also 
nur  der  Punkt  aufzuklären,  warum  bei  den  Batrachiern  Pleurahöhlen  und 
Lungen  nicht  miteinander  korrespondiren.  Dazu  erinnere  ich  zunächst  daran, 
dass  bei  allen  Wirbelthierembryonen  das  Herz  unter  dem  durch  die  Schlund- 
falten bezeichneten  Kopfdarme  entsteht,  also  auch  bei  den  Säugern  der  Vor- 
darm ebenso  wie  bei  den  Batrachiern  sich  über  den  Perikardialsack  vorschieben 
muss.  Der  Raum  der  Pleurahöhlen  ist  nirgends  wie  derjenige  der  Perikardial- 
und  Bauchhöhle  in  den  ersten  Embryonalanlagen  topographisch  fertig  abge- 
steckt, sondern  entsteht  erst  in  dem  Masse,  als  jene  Verschiebung  fortschreitet. 
Bei  den  Batrachiern  ist  nun  dieser  Fortschritt  ein  so  langsamer,  dass  ihre 
Lungen  aus  den  für  sie  ungenügenden  Höhlen  endlich  in  bedeutendem  Masse 
hervorwachsen  und  dadurch  natürlich  deren  Abschluss  hindern,  während  die 
Lungen  der  Säugethierembryonen  über  eine  gewisse  hintere  Grenze,  welche 
etwa  mit  dem  Vorderende  des  Magens  zusammenfällt,  niemals  hinausragen, 
weil  die  primitiven  Pleurahöhlen  dieser  Thiere  entsprechend  dem  Wachsthume 
ihrer  Lungenanlagen  sich  nach  vorn  ausdehnen  (vgl.  Külliker  Nr.  48  S.  373, 
Bischoff  Nr.  140  S.  109  Taf.  XL  XIII).  Dieses  Wachsthum  des  von  den 
Pleurasäcken  umfassten  Lungendarms  oder  der  Lungenwurzel  und  Speiseröhre 
ist  aber  natürlich  abhängig  von  der  Verlängerung  der  zugehörigen  Stammtheile, 
also  davon,  wie  viele  Segmente  sich  nachträglich  über  den  Perikardialsack 
oder  vielmehr  die  ihn  zurückziehende  Leberanlage  vorschieben ,  welche  durch 
die  Dotterzellenmasse  (Batrachier)  oder  den  Darmnabel  (Säuger)  zurückgehalten 
wird,  in  dessen  Vorderrande  sie  ja  entsteht.  Das  Hauptmotiv  einer  solchen 
Verschiebung  sehe  ich  nun  bei  den  Säugethierembryonen  in  der  starken  kon- 
vexen Krümmung  ibres  Rückens,  in  dessen  konkaver  Beuge  der  Darmkanal 
einen  viel  kürzeren  Bogen  beschreibt,  sodass  bei  der  Streckung  der  vorderen 
Rückenhälfte  der  entsprechende  Darmabschnitt  oder  der  Lungendarm  über  den 
Perikardialsack  weit  vorgezogen  werden  muss.  Mit  jener  ursprünglichen  Krüm- 
mung, welche  auf  die  Entwickelung  der  Axenplatte  zurückzuführen  ist,  fehlt 
den  Batrachiern  auch  die  nothwendige  Folge,  sodass  wir  nun  zu  folgenden  Re- 
sultaten gelangen.  Die  Anlage  wirklicher  Pleurahöhlen  ist  als  Folge  zweier 
Kutwickelungsvorgänge   zu  betrachten ,    erstens    der    frühzeitigen   Anheftung 


XI.   Der  Darmkanal  und  seine  Anhangsorgane.  797 

des  Perikardialsackes  an  die  Leber  als  einen  so  zu  sagen  fixen  Punkt  des 
embryonalen  Darmkanals,  und  zweitens  der  Ausdehnung  des  Lungendarms 
über  jene  Organe  nach  vorn,  deren  Mass  abhängig  ist  von  der  Verschiebung 
der  vorderen  Stammtheile  über  jenen  fixen  Punkt  des  Darmkanals  hinaus  und 
in  letzter  Linie  von  der  ersten  Entwickelung  der  Axenplatte.  Auf  diese  Weise 
gelangen  wir  zu  einer  bestimmten  Definition  der  Brustregion  als  des  vor 
der  Leber  liegenden  Rumpftheils,  dessen  Ausbildung  diejenige  der 
Pleurahöhlen  erst  bedingt  und  nicht  etwa  umgekehrt;  bei  der  Entwickelung 
der  Brustregion  sehen  wir  aber  dieselben  Ursachen  wirksam  eingreifen,  welche 
bereits  die  Kopfbildung  am  wesentlichsten  bestimmen,  nämlich  die  in  der  sich 
umbildenden  Axenplatte  enthaltenen  Formbedingungen.  Diese  Auffassung 
scheint  mir  geeignet,  das  Verständniss  für  die  Verschiedenheiten  im  allgemeinen 
Aufbau  der  einzelnen  Wirbelthierformen  zu  fördern:  mit  der  relativ  geringsten 
Forment wickelung  des  Hirns,  worin  doch  die  Entwickelungshöhe  der  Axen- 
platte zum  Ausdruck  kommt,  fällt  auch  der  Mangel  einer  Brustregion  und  folg- 
lich der  Brusthöhlen  im  engeren  Sinne  zusammen  (Fische),  und  die  steigende 
Ausbildung  dieser  Theile  läuft  auch  dem  Fortschritte  der  Hirnbildung  parallel 
(Batrachier,  Amnioten)*. 

Etwa  zur  selben  Zeit,  wenn  die  durch  ihre  Gestalt  kenntlichen  Darmblatt- 
zellen vom  Grunde  des  blindsackartigen  Vordarms  an  dessen  Hinterwand  hin- 
aufzurücken und  durch  diese  Bewegung  ihn  zu  vervollständigen  und  von  der 
Dotterzellenmasse  abzusondern  beginnen,  offenbart  das  Darmblatt  auch  an 
allen  übrigen  Stellen  desselben  Darmtheils  Zeichen  einer  erhöhten  Thätigkeit, 
welche  in  gesteigerter  Zellentheilung  und  -Verschiebung  besteht  und  in  einer 
Flächenausdehnung  des  Blattes  und  einer  Anpassung  desselben  an  die  umgeben- 
den Formbedingungen  zum  Ausdruck  kommt.  Dabei  ist  vor  allem  zu  berück- 
sichtigen, class  dem  Vordarme  eine  kanalförmige  Anlage  vollständig  fehlt,  also 
als  Folgen  der  Ausdehnung  in  einem  beschränkten  Räume  zunächst  nicht  Win- 
dungen, sondern  vielmehr  Faltung  und  Einschnürung  zu  erwarten  sind.  An 
einer  Stelle  stösst  übrigens  der  Vordarm  auf  keinen  Widerstand,  nämlich  dort, 
wo  er  den  noch  relativ  weiten  Perikardialsack  begrenzt;  daher  buchtet  er  sich 
auch  frühzeitig  in  jene  Höhle  aus  und  bildet  so  die  Leb  er  anläge.  Dieser 
Ausweg  gestattet  der  vorderen  und  seitlichen  Wand  des  Vordarms  sich  abwärts 


*  Die  Halsbildung  ist  eine  sekundäre  Folgeerscheinung  des  eben  geschilderten  Ent- 
wickelungsvorgangs  und  als  solche  in  eben  dem  Grade  von  geringerem  morphologischen 
Interesse,  als  ihre  Ursachen  unbeständiger  und  schwieriger  zu  bestimmen  sind, 


798  XI.   Der  Darmkanal  und  seine  Anhangsorgane. 

auszudehnen  und  dadurch  den  Uebergang  in  die  dabei  vorwärts  ausweichende 
Leberanlage  einzuschnüren  {Taf.  XVI).  Diese  Einschnürung  stellt  den  künf- 
tigen Ductus  hepaticus  vor,  hinter  dem  noch  ein  von  vorn  abgeplatteter,  beutei- 
förmiger Rest  des  ursprünglichen  Vordarm -Blindsacks  zurückbleibt,  welcher 
abwärts  und  nach  beiden  Seiten  die  Anlagen  der  Gallenblase  und  des  bleiben- 
den pankreatischen  Ganges  hervortreibt,  in  seinem  Mittelstücke  aber  eine 
kontinuirliche  Fortsetzung  des  Lebergangs  zum  eigentlichen  Darm  enthält 
(Ductus  choledochus).  Zunächst  nenne  ich  aber  die  ganze  Verbindung  zwischen 
Leber  und  Darm  ohne  Rücksicht  auf  jene  accessorischen  Bildungen  den  pri- 
mitiven Leberstiel,  dessen  Axe  also,  wenn  man  sich  die  blosse  Einschnürung 
der  Leberwurzel  in  einen  kurzen  Gang  ausgewachsen  denkt,  von  vorn  nach 
hinten  und  dann  aufwärts  gebogen  verläuft.  Während  dieser  Entwickelung 
der  unteren  Hälfte  des  ursprünglichen  Vordarms  wird  auch  sein  oberer  weiter 
Abschnitt,  welcher  anfangs  einen  geraden,  nur  abwärts  erweiterten  Uebergang 
vom  Kopf-  und  Lungendarm  zum  Mitteldarm  darstellt,  eingreifenden  Umbil- 
dungen unterworfen.  Wie  man  sich  an  Durchschnitten  leicht  überzeugt,  ist 
die  Decke  des  Vordarms  zuerst  schmal  und  dachförmig  wie  am  Mitteldarm ; 
da  ihr  bei  dem  Beginn  der  Ausbreitung  des  Darmblattes  eine  sagittale  Ver- 
längerung offenbar  noch  nicht  freisteht,  buchtet  sie  sich  seitlich  aus,  wobei  sie 
etwas  einsinkt  und  von  der  Wirbelsaite  sich  entfernt  (Taf.  XIII — XV).  Da 
diese  beiderseitigen  Ausbuchtungen  nur  die  Folgen  einer  Flächenausdehnung 
im  relativ  beschränkten  Räume  sind,  äussert  sich  die  letztere  in  einer  jederseits 
unter  die  Ausbuchtung  sich  einwärts  einschlagenden  Falte;  und  indem  eine  eben 
solche  Falte  alsbald  auch  quer  hinter  dem  verbreiterten  Mittelstücke  der  Vor- 
darmdecke,  eine  andere  vor  ihm  entsteht,  welche  mit  den  seitlichen  Falten  in 
einer  kontinuirlichen  Einschnürung  sich  abwärts  und  einwärts  zusammenziehen, 
so  erhellt  daraus,  dass  diese  Abschnürung  die  Mitte  des  weiten  oberen  Ab- 
Schnittes  des  Vordarms  gleichsam  so  herausschneidet,  dass  der  Rest  desselben 
als  ein  aufwärts  konkaver  Verbindungsbogen  zwischen  dem  Lungen-  und  dem 
Mitteldarme  zurückbleibt,  in  dessen  untere  Seite  der  primitive  Leberstiel  ein- 
mündet (Fig.  372,  vgl.  Nr.  64  Fig.  39—41).  Im  vorderen  niedersteigenden 
Schenkel  dieses  Bogens  ist  als  Fortsetzung  der  aus  dem  Lungendarme  hervor- 
tretenden Speiseröhre  die  Anlage  des  Magens  enthalten;  der  untere  Theil  und 
der  hinten  aufsteigende  Schenkel  des  Bogens  bilden  die  Anlage  der  D  uo  denal- 
schlinge,  auf  welcher  der  quer  abgeschnürte  Darmtheil  oder  die  Hauptanlage 
der  Bauchspeicheldrüse  wie  ein  Zwerchsack  auf  jeder  Seite  überhängend 


XI.   Der  Darmkanal  und  seine  Anhangsorgane.  799 

ruht.  Die  Einzelheiten  der  Entwickelung  dieser  Drüse  wie  der  Leber  werde 
ich  erst  weiter  unten  eingehender  behandeln,  hier  aber  die  weitere  topographische 
Umbildung  des  Vordarms  zu  Ende  verfolgen.  Schon  während  die  ersten  Aus- 
buchtungen der  Pankreasanlage  hervortreten,  lässt  sich  eine  ganz  bestimmte 
asymmetrische  Lage  derselben  konstatiren:  der  rechts  überhängende  Blindsack 
ist  etwas  vorwärts,  der  linke  rückwärts  gerichtet;  zugleich  offenbart  sich  eine 
entsprechende  Umlagerung  des  ganzen  Gastro-Duodenalbogens  und  der  Leber- 
anlage {Fig.  254.  255.  311).  Indem  diese  auf  die  rechte  Seite  hinüberneigt, 
weicht  der  vordere  Schenkel  mit  dem  primitiven  Leberstiele  oder  der  Magen- 
Leberdarm  nach  links  von  der  Medianebene  ab,  während  der  Uebergang 
des  Duodenums  in  den  Mitteldarm  in  Folge  einer  entgegengesetzten  Verschie- 
bung des  hinteren  Schenkels  oder  des  Pankreasdarms  auf  die  rechte  Seite  zu 
liegen  kommt  {Fig.  278.  279.  311  —  313.  352.  359-362).  Mit  anderen 
Worten,  die  ganze  Gastro  -  Duodenalschlinge  rückt  aus  der  medianen  in  eine 
schräge  und  selbst  quere  Stellung,  welche  ihrer  Verlängerung  mehr  Spielraum 
gewährt;  und  indem  sie  sich  dabei  ventralwärs  ausdehnt,  verdrängt  der  links 
hinabsteigende  Magen  die  darunter  liegende  Leber  auf  die  noch  freie  rechte 
Seite.  Diese  sehr  unmerklich  beginnende  Lageveränderung  des  Vordarms  und 
seiner  Abschnürungsorgane  ist  nicht  nur  die  Einleitung  und,  ohne  dass  sich  ihre 
eigene  Ursache  bezeichnen  liesse,  der  leicht  nachweisbare  Ausgangspunkt  für 
alle  späteren  Zustände  des  Situs  viscerum,  sondern  auch  die  unerlässliche  Grund- 
lage für  die  gesetzmässigen,  eigenthümlichen  Verbindungen  der  vorderen  Bauch- 
eingeweide vermittelst  des  sie  gemeinsam  überziehenden  Visceralblattes. 

Schon  am  Hinterende  des  Lungendarms,  wo  die  Speiseröhre  sich  zum 
Magen  zu  erweitern  beginnt,  dringen  die  Gekrösefalten  wieder  bis  zur  Rücken- 
seite des  Darmblattkanals  hinauf  und  vereinigen  sich  über  ihm  zur  Anlage 
eines  Gekröses  {Fig.  263—265.  279—281).  An  der  genannten  Stelle  bleibt 
es  allerdings  sehr  kurz;  rückwärts  aber  über  der  ganzen  Gastro-Duodenal- 
schlinge  bis  zum  Mitteldarm  dehnt  es  sich  bereits  in  der  ersten  Larvenperiode 
zu  einem  wirklichen  Aufhängebande  aus  {Fig.  359 — 362).  Unmittelbar  erreicht 
es  übrigens  nur  die  Anlage  des  Magens ;  dahinter  endet  es  an  der  Oberseite  der 
zwerch sackförmigen  Pankreasanlage,  welche  die  konkave  Biegung  des  Duo- 
denums vollständig  ausfüllt  und  mit  demselben  breit  zusammenhängt.  In  Folge 
der  asymmetrischen  Umlagerung  der  Vordarmtheile  wird  das  genannte  Gekröse 
von  seiner  medianen  Wurzel  aus  durch  den  Magen  Leberdarm  nach  links,  vom 
Pankreasdarm  nach  rechts  hinübergezogen.  —  Zu  gleicher  Zeit  mit  diesem 


ftQQ  XI.   Der  Darmkanal  und  seine  Anhangsorgane. 

Gekröse  entwickelt  sich  das  Ligamentum  hepato-gastro-duoclenale 
oder  das  kleine  Netz,  welches  man  ganz  wohl  als  interviscerales  Gekröse  be- 
zeichnen darf.  Wenn  alle  bisherigen  Schilderungen  der  Leberentwickelung 
richtig  wären,  wenn  also  dieses  Organ  wirklich  ein  freier  Auswuchs,  eine  voll- 
ständige Ausstülpungsbildung  des  Darmkanals  wäre,  so  bliebe  für  die  noch 
nirgends  erörterte  Entstehung  des  kleinen  Netzes  nur  die  Annahme  übrig,  dass 
es  aus  einer  sekundären  Verbindung  der  Leber  mit  dem  Darmkanal  hervor- 
ginge, welche  aber  um  so  wunderbarer  erschiene,  als  die  frühzeitige  Streckung 
des  primitiven  Leberstiels ,  welcher  doch  später  in  der  breitesten  Stelle  jenes 
Bandes  liegt,  nothwendig  eine  von  Anfang  an  zunehmende  Entfernung  jener 
beiden  Eingeweide  wenigstens  an  jener  Stelle  voraussetzt,  was  auch  thatsächr 
lieh  der  Fall  ist.  Erscheint  aber  schon  die  Vorstellung  einer  Ausstülpung  für 
die  Anlage  der  Batrachierleber  ganz  unstatthaft,  so  bezieht  sich  auch  die  ge- 
schilderte Abschnürung  derselben  nur  auf  das  Darmblatt.  Das  Visceralblatt, 
welches  ursprünglich  kontinuirlich  von  der  Seite  des  Vordarms  auf  die  Leber- 
anlage überging,  zieht  sich  allerdings  jederseits  in  die  Abschnürungsfurche 
faltenförmig  ein,  wird  aber  über  dem  Leberstiel  nicht  quer  durchbrochen,  son- 
dern beide  Falten  vereinigen  sich  in  dem  Masse,  als  jene  Eingeweide  ausein- 
andertreten, zu  einer  Platte,  deren  beide  Blätter  beim  Uebergange  auf  die 
dadurch  verbundenen  Eingeweide  nach  beiden  Seiten  wieder  auseinander- 
weichen (Fig.  298.  312).  Dasselbe  geschieht  auch  über  der  Leber  zwischen 
dem  Magen  und  dem  Venensacke  bis  zum  Lungendarm  hinauf,  wo  das  Visceral- 
blatt jenes  Sackes  das  Darmblatt  wieder  erreicht,  also  die  mediane  Platte  auf- 
hört {Fig.  255.  311).  In  ihrer  Entstehung  stimmt  folglich  diese  Platte  oder 
eben  das  kleine  Netz  mit  dem  Gekröse  vollständig  überein  und  ihre  Lage  und 
Gestalt  bleiben  stets  in  genauer  Anpassung  an  die  Lagebeziehungen  der  durch 
sie  verbundenen  Theile.  Anfangs  ,  solange  die  Leber  aus  ihrer  Lage  vor  und 
unter  dem  Vorderschenkel  der  noch  ziemlich  median  gestellten  Gastro- 
Duodenalschlinge  noch  wenig  gewichen  ist,  verläuft  auch  das  kleine  Netz  ziem- 
lich senkrecht  und  in  einem  sehr  schmalen  Streifen  zwischen  der  Hinterfläche 
der  Leber,  der  nur  wenig  geneigten  Vorderfläche  des  Magens  und  Duodenums 
bis  zum  kurzen  primitiven  Leberstiel  hinab  (Fig.  298).  Je  weiter  die  Leber 
nach  rechts  rückt,  desto  länger  wird  der  primitive  Leberstiel  und  damit  ein 
unterer  Rand  des  kleinen  Netzes  ausgezogen,  sodass  es  zwischen  Leber, 
Magen-Leberdarm  und  dem  Leberstiele  eine  dreieckige  Scheidewand  bildet, 
deren  Basis  mit  dem  letzteren  zusammenfällt  und  deren  Spitze  im  Uebergange 


X  f.   Der  Darmkanal  und  seine  Aiihangsorgane.  301 

des  Magens  in  die  mediane  Scheidewand  der  Pleurahöhlen  liegt.  Diese  drei- 
eckige Membran  wird  aber  in  Folge  jener  Lageveränderung  der  Vordarmtheile 
zugleich  schräg  von  vorn  und  rechts  nach  links  mit  einer  Neigung  nach  hinten 
gestellt.  Auf  diese  Weise  entsteht  zwischen  dem  kleinen  Netze  und  der  Leber 
vorn  und  etwas  rechts,  dem  Magen-Leberdarm  links  und  dem  queren  Pankreas- 
darm ,  nebst  dessen  ebenfalls  quergezogenem  Gekröse  als  Hinterwand  ein  nur 
abwärts  und  rechts  sich  öffnender  Raum,  welcher  aber  so  eng  ist,  dass  der 
durch  ihn  repräsentirte  Netzbeutel  nur  als  Spalte  erscheint  {Fig.  278.  311. 
312.  359 — 362).  Später  sucht  man  aber  auch  nach  einem  solchen  spaltförmi- 
gen  Netzbeutel  vergebens;  denn  indem  sich  einerseits  die  Masse  der  Bauch- 
speicheldrüse von  der  Gastro- Duodenalschlinge  vollkommen  und  ohne  Aus- 
ziehung eines  intervisceralen  Gekröses  trennt,  und  anderseits  auch  der 
schmälere  Theil  des  kleinen  Netzes  bis  auf  das  die  Gefässe,  Nerven  und  den 
Leber-Gallengang  leitende  Band  resorbirt  wird,*  erhalten  die  Wände  des  ur- 
sprünglichen Netzbeutels  so  viele  Lücken,  dass  sein  embryonaler  Bestand  aus  dem 
anatomischen  Verhalten  im  entwickelten  Thiere  nicht  erkannt  werden  könnte.  — 
Wenn  die  Leber  ihrer  Entstehung  gemäss  ursprünglich  nur  ein  interviscerales 
Gekröse,  eben  das  kleine  Netz,  besitzen  kann,  so  erhält  sie  nachträglich  gewisse 
Verbindungen  mit  der  Leibeswand,  welche  allerdings  nicht  im  wörtlichen  Sinne 
Aufhängebänder,  aber  doch  die  Leber  in  ihrer  Lage  zu  erhalten  bestimmt  sind 
und  daher  als  ihre  Richtbänder  bezeichnet  werden  könnten.  Von  diesen  habe 
ich  das  gewöhnlich  sogenannte  Lig.  Suspensorium  hepatis  oder  das  Leitband 
der  Bauchvene  bereits  geschildert  (S.  768) ;  ein  zweites  geht  in  entgegengesetz- 
ter Richtung  an  die  Wirbelsäule.  Auf  der  rechten  Seite  wächst  nämlich  die 
Leberanlage  mit  dem  ihr  angeschlossenen  bleibenden  pankreatischen  Gange  am 
Venensacke  bis  an  die  rechte  Seite  der  in  den  Magen  übergehenden  Speise- 
röhre und  bis  dicht  unter  den  der  letzteren  angehefteten  rechten  Lungen- 
schlauch hinauf,  wobei  sie  mit  diesen  Theilen  kontinuirlich  verbunden  bleibt 
{Fig.  278.  359—362).  Indem  aber  diese  rechte  Leberhälfte  seitlich  an  die 
Leibeswand  stösst  und  längs  derselben  auswachsend  sich  rückwärts  wendet, 
schiebt  sie  sich  von  vorn  und  rechts  vor  die  Oeff'nung  des  Netzbeutels  und  ver- 
vollständigt so  dessen  vordere  Bucht,  während  sie  anderseits  durch  die  Aus- 
füllung des  Raumes  zwischen  ihrer  Befestigung  an  der  Speiseröhre  und  der 


*  Stakniüs  spricht  noch  von  einem  kontinuirlichen  Gekröse  der  Anuren  (Nr.  80  II 
S.  180),  während  Letdig  bereits  auf  Gekröselücken  in  der  Magengegend  einiger  Amphibien 
aufmerksam  machte  (Nr.  81  S.  45). 

Gof.tte  ,  Entwickelungsgescliichte.  "1 


g02  XI.   Der  Dannkanal  und  seine  Anhangsorgane. 

seitlichen  Leibeswand  die  um  die  rechte  Lunge  bereits  entstandene  offene  Höhle 
von  einer  ähnlichen  ventralen  Lücke  zur  Seite  der  Gallenblasenanlage  scheidet. 
Die  obere  Befestigung  dieser  rechten  Leberhälfte  zieht  sich  darauf  zu  einem 
kurzen  Bande  aus,  welches  beim  weiteren  Auswachsen  der  Leber  von  der  rech- 
teu  Seite  der  Speiseröhre  auf  das  sich  daran  schliessende  Pankreasgekröse  sich 
fortsetzt  und  so  schräg  auf-  und  rückwärts  die  Wurzel  desselben  erreicht.     Im 
Anfange  der  zweiten  Larvenperiode  wird  dieses  neugebildete  Gekröse  der  rech- 
ten Leberhälfte  durch  ihr  andauerndes  Wachsthum  schräg  nach  rechts  hinab- 
gezogen und  dadurch  vom  Gekröse  der  Gastro-Duodenalschlinge  gleichsam  ab- 
gespalten, sodass  es  endlich  rechts  neben  der  Wurzel  desselben  und  gerade 
unter  der  Stammvene  derselben  Seite  eine  eigene  subvertebrale  Befestigung  er- 
hält (Taf.  XXI  Fig.  376).    Dabei  wird  natürlich  die  Anheftung  der  Lunge  auf 
die  schräg  auf-  und  lateralwärts  gekehrte  Fläche  dieses  Lebergekröses  über- 
tragen.    Auch  ist  es  jetzt  leicht  verständlich,  wie  der  vordere  Hohlvenen- 
absdhnitt,  indem  er  vom  Venensacke  aus  sich  in  diesem  Gekröse  in  dem  Masse 
rückwärts  entwickelt,  als  dasselbe  vorrückt,  durch  dasselbe  endlich  in  die  rechte 
Stammvene  hinübergeleitet  wird  (S.  769).     Untersucht  man  nun  diese  Bildung 
nach  der  Larvenmetamorphose,  so  findet  man  mit  der  Verbreiterung  der  rech- 
ten Leberhälfte  auch  das  geschilderte  Gekröse  noch  mehr  lateralwärts  um- 
gelegt,   sodass  zwischen  seinem  freien  Rande  und  der  Leibeswand  nur  ein 
Schlitz  übrig  bleibt,  durch  welchen  die  rechte  Lunge,  welche  bei  massiger  Fül- 
lung durch  jenes  Gekröse  von  unten  verdeckt  werden  könnte,  bei  stärkerer 
Luftaufnahme  in  die  Bauchhöhle  hervortritt.     Nun  denke  man  sich  die  Aus- 
dehnung der  Pleurahöhlen  nach  vorn  so  beschleunigt,  dass  sie  zur  Bergung  der 
wachsenden  Lungen  jederzeit   vollkommen  ausreichen  und  daher  der  nach 
rechts  schauende  freie  Rand  des  genannten  Lebergekröses  der  Leibeswand 
einige  Zeit  angeschmiegt  bliebe,  ohne  von  der  in  Thätigkeit  versetzten  Lunge 
beständig  wieder  abgehoben  zu  werden;  dann  wäre  eine  Verwachsung  jenes 
Randes  mit  dem  parietalen  Bauchfelle  oder  der  feste  hintere  Verschluss  der 
rechten  Pleurahöhle  ebenso  wahrscheinlich  wie  der  hintere  Verschluss  der 
Perikardialhöhle  unter  ähnlichen  Umständen  konstant  eintritt.     Jene  Voraus- 
setzung ist  nun  für  die  Säugethierembryonen  vollständig  zutreffend:  ihre  Leber 
wächst  ausserordentlich  schnell ,  während  die  Lungen  noch  ganz  über  (hinter) 
dem  Herzen  in  ihren  Pleurahöhlen  liegen,  und  zugleich  vollzieht  sich  auf  eine 
noch  nicht  aufgeklärte  Weise  der  hintere  Abschluss  dieser  Höhlen  (vgl.  Koel- 
likee  Nr.  48  S.  879).    Es  kommt  mir  daher  mehr  als  wahrscheinlich  vor,  dass 


IX.   Der  Darmkanal  und  seine  Anhangsorgane  303 

der  letztere  so  entsteht,  wie  er  bei  den  Batrachiern  angelegt  und  nur  durch  die 
relativ  frühe  Ausdehnung  der  Lunge  an  der  Vollendung  gehindert  wird;  um  so 
mehr  als  nur  bei  dieser  Annahme  die  noch  ebenso  unaufgeklärte  Entwicklung 
des  vorderen  Hohlvenenendes  der  Säuger  verständlich  wird,  welches  eben  nicht 
durch  ein  Darmgekröse,  sondern  über  der  rechten  Leberhälfte  und  innerhalb 
des  Zwerchfells  von  der  Wirbelsäule  zum  Herzen  hinabsteigt.  —  Ganz  ähnliche 
Beziehungen ,  wie  sie  das  subvertebrale  Lebergekröse  zur  rechten  Lunge  und 
Pleurahöhle  eingeht,  zeigen  zu  den  linken  Gegenstücken  derselben  der  letzte 
Speiseröhrenabschnitt  und  der  Magen  mit  ihrem  Gekröse,  denen  sich  noch,  wie 
ich  wenigstens  an  erwachsenen  Unken  sehe,  ein  linkes  Leberband  anschliesst, 
sodass  ich  zu  behaupten  wage ,  dass  die  Batrachier  so  gut  wie  die  Säugethiere 
hintere  Schlusswände  ihrer  Pleurahöhlen  entwickeln,  welche  aus  den  angeführ- 
ten Ursachen  nur  nicht  zur  Verbindung  mit  der  lateralen  Leibeswand  gelangen. 
Diese  beiden  Wände  und  die  Hinterwand  des  Perikardialsackes  bilden  nun  eine 
die  Rumpfhöhle  quer  durchsetzende  nach  vorn  und  oben  gewölbte  Scheide- 
wand, ein  vollkommenes  Homologon  des  Zwerchfells.  Denn  es  erhellt,  dass 
die  morphologische  Bedeutung  desselben  von  der  Anwesenheit  der  vom 
M.  transversus  sekundär  hineinwachsenden  Muskelbündel  unabhängig  ist,  wel- 
cher Vorgang  bei  den  Batrachiern  wohl  zum  grössten  Theil  durch  die  mangelnde 
Verbindung  des  pleuralen  Zwerchfells  mit  der  Leibeswand  verhindert  wird. 
Ebenso  ist  die  schliessliche  Ausdehnung  desselben  bei  den  Säugethieren,  welche 
natürlich  mit  der  Ausbreitung  der  Pleurahöhlen  bis  an  die  Bauchseite  des 
Perikardialsackes  fortschreitet,  sowie  die  grössere  oder  geringere  Absonderung 
der  Leber  vom  Zwerchfelle  für  jenen  Vergleich  unerheblich.  Bevor  ich  diesen 
Gegenstand  verlasse,  will  ich  nur  noch  die  Frage  anregen,  ob  nicht  das  Centrum 
tendineum  eine  Folge  der  unmittelbaren  Einfügung  der  vorderen  Leberseite  in 
die  künftige  Mitte  des  Zwerchfelles  ist,  indem  dort  anfangs  die  einfachen 
Duplikaturen  von  Peritoneum  und  Pleura,  Peritoneum  und  Perikardium  auf- 
hören, und  die  zwischen  die  auseinanderweichenden  serösen  Blätter  eingefügte 
Leber  dem  Fortschritt  der  Muskeln  in  jenen  Duplikaturen  ein  Ziel  setzt. 

Ueber  die  besondere  Entwicklung  der  zwei  grossen  Abschnürungsorgane 
des  hinteren  Vordarms  habe  ich  noch  Folgendes  zu  berichten.  —  Die  erste 
Anlage  der  Leb  er  zeigt  sich  in  der  vorderen  unteren  sackförmigen  Ausbuchtung 
des  Vordarms,  welche  beim  Beginn  der  aktiven  Umbildung  des  Darmblattes  als 
erster  Ausdruck  seiner  Ausdehnung  erscheint.  Die  Folge  zeigt,  dass  diese 
Thätigkeit  mit  einem  organischen  Wachsthum  unter  Massenzunahme  nichts  zu 

51* 


gQ4  XL   Der  Darmkanal  und  seine  Anhangsorgane. 

thun  hat;  denn  die  Ausdehnung  geht  im  allgemeinen  mit  der  Verkleinerung  der 
Zellen  und  der  Verdünnung  des  ganzen  Blattes  Hand  in  Hand,  und  Beides 
schreitet  dort  am  schnellsten  fort,  wo  die  Formbedingungen  dazu  am  günstig- 
sten sind,  nämlich  die  Ausdehnung  genügenden  Spielraum  findet.  Daher  scheint 
es  natürlich,  dass  der  Darmblattsack  sich  zuerst  gegen  die  freie  Perikardial- 
höhle  ausbuchtet;  sobald  aber  diese  Ausbuchtung  durch  das  mit  vorgeschobene 
Viseeralblatt  oder  durch  andere  Umstände  behindert,  in  ihrem  Inneren  indessen 
ein  grösserer  freier  Raum  entstanden  ist,  findet  die  fortschreitende  Ausdehnung, 
gemäss  jener  mechanischen  Vorstellung  den  bequemsten  Ausweg  gegen  diesen 
'  Innenraum  und  zwar  in  Form  von  Faltungen  oder  Einsenkungen  {Fig.  250.  256. 
277.  278.  292.  203.  313).     Da  nun  aber  diese  nicht  als  isolirte  gruben-  oder 
furchenförmige  Vertiefungen  auftreten,  sondern  von  Anfang  an  nach  verschie- 
denen Seiten  zusammenhängen,  sodass  die  zwischen  ihnen  zurückbleibenden 
Theile  der  ursprünglichen  Darmblattoberfläche  erst  als  flache  Buckel,  dann 
als  kolbige  hohle  Sprossen  erscheinen,  so  hat  man  sich  daran  gewöhnt ,  diese 
als  einfache  Ausstülpungen  anzusehen.     Achtet  man  jedoch  darauf,  dass  wäh- 
rend dieser  ersten  Umbildung  der  äussere  Umfang  der  Leberanlage  nicht  zu- 
nimmt, dagegen  ihre  Höhle  alsbald  verdrängt  und  durch  die  von  der  Leber- 
wurzel aus  nach  allen  Seiten  hin  ausstrahlenden  engen  Kanäle  jener  Sprossen 
ersetzt  wird,  so  muss  die  erste  Schilderung  den  Thatsachen  besser  entsprechend 
erscheinen.  In  dem  Masse  als  die  sich  centripetal  ausdehnende  Darmblattmasse 
den  weiten  Innenraum  der  Leberanlage  zum  Theil  ausfüllt,  wachsen  an  der 
Peripherie  die  Zwischenräume  zwischen  dem  glatt  gespannten  Visceralblatte 
und  den  Enden  der  Lebersprossen;  folglich  können  diese  Enden  anschwellen  und 
im  kleinen  die  erste  Umbildung  der  ganzen  Leberanlage  wiederholen:  sie  be- 
decken sich  mit  Buckeln,  welche  sich  in  kleine  Blindsäckchen  verwandeln,  und 
die  ganze  Darmblattmasse  der  Leber  bietet  das  Bild  einer  Drüsenanlage, 
welche  zu  einer  traubigen  Form  auszuwachsen  im  Begriffe  steht  {Fig.  277). 
Doch  folgt  die  weitere  Leberentwickelung  diesem  Typus  nicht,  sondern  die  sich 
weiter  verzweigenden  und  dabei  stets  dünner  werdenden  Blindsäckchen  oder 
hohlen  Kölbclien  verwachsen  mit  ihren  Enden  nach  allen  Seiten  und  bilden  auf 
diese  Weise  das  bekannte  embryonale  Lebernetz  (Fig.  250.  371. 373).  Diese  Ab- 
weichung der  Leber  von  anderen  ähnlich  angelegten  Drüsen  trifft  mit  der  früh- 
zeitigen Blutgefässbildung  in  ihren  ersten  Interstitiell  zusammen,  welche  Bil- 
dung sie  nur  noch  mit  den  nicht  verzweigten  Urnierenanlagen  theilt ;  und  ich 
glaube  es  daher  als  wahrscheinlich  bezeichnen  zu  dürfen,  dass  die  Entwickelung 


XI.   Der  Darmkanal  und  seine  Anhangsorgane.  805 

jenes  schon  beschriebenen  Gefässnetzes  zwischen  den  noch  einfachen  Leber- 
sprossen diese  veranlasst,  die  Blutbahnen  zu  umwachsen  und  dabei  netzförmig 
zusammenzustossen.     Dies   bleibt  aber  auch  der  einzige  wesentliche  Unter- 
schied der  Leber  von  anderen  verzweigten  Drüsen;  denn  dass  von  den  ersten 
hohlen  Sprossen  nur  noch  solide  Kölbchen  auswachsen,  das  ganze  embryonale 
Lebernetz  also  ein  Balkenwerk  und  nicht  ein  Kanalsystem  sei ,  muss  ich  nach 
meinen  Erfahrungen  für  die  Batrachier  in  Abrede  stellen.     Allerdings  nimmt 
aber,  die  Weite  der  Lichtungen  schon  in  den  sekundären  Sprossen  so  beträcht- 
lich ab,  dass  man  sie  zwischen  den  noch  mit  Dotterkörnern  angefüllten  und  da- 
her nicht  scharf  begrenzten  Zellen  nur  an  ausgesuchten  Durchschnitten  und  bei 
stärkerer  Vergrösserung  erkennt  (Fig.  374).     Dieser  Umstand  lässt  mit  Rück- 
sicht auf  die  bekannte  Enge  der  feinsten  Gallenkanälchen  erwachsener  Thiere 
annehmen,  dass  auch  die  scheinbar  soliden  Cylinder  in  der  Leberanlage  unseres 
Thieres  hohl  seien.  Die  weitere  Entwickelung  des  Lebernetzes,  welche  ich  noch 
bis  in  die  zweite  Larvenperiode  verfolgt  habe,   bot  mir  nur  eine  fortlaufende 
Wiederholung  der  geschilderten  Vorgänge,  wozu  ich  noch  bemerke,  dass  auf  den 
Durchmesser  eines  Lebercylinders  durchgängig  zwei  Zellen  kommen,  so  dass 
die  Annahme  eines  denselben    durchziehenden  feinen  Kanälchens  auf  keine 
Schwierigkeiten  stösst.     Für  die  entwickelten  Batrachier  ist  bekanntlich  ein 
solcher  Bau  der  Leber  durch  Herinu  nachgewiesen  worden  (Nr.  154  S.  94 — 97), 
sodass  der  direkte  Uebergang  des  netzförmigen  aus  dem  Darmblatte  hervor- 
gehenden Kanalsystems  der  embryonalen  Leber  in  den  Galle  bereitenden  und 
ausführenden  Apparat  des  fertigen  Organs  unzweifelhaft  erscheint;  die  einzige 
erwähuenswerthe  Veränderung  besteht  eben  darin,  dass  im  ersten  Falle  die 
secernirenden  Drüsenzellen  und  das  Epithel  der  Ausführungsgänge  noch  voll- 
ständig gleich  sind,  in  der  Folge  aber  das  letztere  abgeplattet  wird.     Alle 
Bindesubstanzen  der  Leber  werden  vom  Bildungsgewebe  des  Visceralblattes 
geliefert ,  natürlich  stets  unter  Voraussetzung  der  Ergänzung  durch  Dotter- 
bildungszellen. 

Die  Entstehung  des  Ductus  hepaticus,  cysticusund  choledochus  wäre  sehr  ein- 
fach zu  verstehen ,  wenn  der  primitive  Leberstiel  nichts  weiter  erzeugte.  Der 
gleichzeitige  Ursprung  des  pankreatischen  Ganges  aus  derselben  Anlage  er- 
schwert die  sondernde  Erkenntniss  um  so  mehr,  als  seine  Entwickelung  nach 
den  genauesten  Untersuchungen ,  die  ich  darüber  anstellen  konnte,  von  zwei 
getrennten  Punkten  ausgeht.  Die  Auflassung,  dass  der  pankreatische  Gang 
gar  nicht  zum  primitiven  Leberstiel  gehöre ,  sondern  als  besonderer  Auswuchs 


gQ(j  XI.    Der  Darmkanal  und  seine  Anhangsorgane. 

des  Duodenums  zu  betrachten  sei ,  kann  die  Darstellung  desshalb  nicht  verein- 
fachen, weil  die  Anlagen  der  genannten  Gänge  und  der  Gallenblase  ursprüng- 
lich einen  einfachen  Sack  bilden,  der  durch  allmähliche  Abschnürung  in  jene 
Theile  aufgeht.     Zunächst  lässt  sich  die  mehr  hohe  als  breite  Einschnürung, 
welche  die  eigentliche  Lebermasse  absondert,  als   unbestrittene  Anlage  des 
Ductus  hepaticus  von  dem  dahinter  liegenden  Beutel  scheiden,  welcher  aufwärts 
in  das  Duodenum  übergeht  {Fig.  298.  372).     Weil  sein  schmälerer  Grund  ge- 
rade unter  der  Mündung  in  den  Lebergang  sich  zu  einer  anfangs  platten  Tasche 
oder  der  Gallen  blasen  anläge  abschnürt,  lässt  sich  sein  Mittelstück,  wel- 
ches in  den  Lebergang  und  die  Gallenblase  unter  der  geringsten  Aenderung 
seiner   Axe  sich  fortsetzt,  als  D.   choledochus   bezeichnen.     Die  Gallen- 
blasenanlage schiebt  sich  in  der  Folge  unter  die  Leber  (Fig.  278),  und  indem 
sie  sich  zu  einer  dickwandigen  Blase  erweitert,  verursacht  sie  einen  Eindruck 
an  der  Unterseite  des  weichen  auswachsenden  Organs  und  im  Anschlüsse  daran 
scheinbar  auch  dessen  erste  Sonderung  in  zwei  Hälften  oder  Hauptlappen,  von 
denen  der  linke  sich  später  noch  einmal  theilt  (Fig.  371.  379).    Die  Seitentheile 
des  beuteiförmigen  primitiven  Leberstiels  buchten  sich  frühzeitig  aus,  der  linke 
schwächer  und  etwas  tiefer,  der  rechte  stärker  und  aufwärts,  sodass  er  als 
länglicher  Blindsack  der  Hinterseite  des  rechten  Leberlappens  angeschlossen, 
mit  ihm  in  der  beschriebenen  Weise  auswächst  und  dabei  an  der  rechten  Seite 
des  Magens  auf  die  dort  herabhängende  Hauptanlage  des  Pankreas  stösst  und 
sich  mit  ihr  verbindet  (Fig.  278.  279.  360).     Da  diese  Verbindung  sich  voll- 
zieht, bevor  noch  die  feinere  Ausbildung  der  Drüse  begonnen  hat,  so  kann  na- 
türlich eine  Grenze,  wie  weit  ein  jeder  von  den  beiden  genetisch  verschiedenen 
Theilen  am  Aufbau  des  ganzen  Organs  betheiligt  ist,  nur  annähernd  bestimmt 
werden;  und  wenn  ich  zur  Vereinfachung  der  Darstellung  die  aus  dem  primi- 
tiven Leberstiel  hervorgehende  Anlage  bisher  als  pankreatischen  Gang  bezeich- 
nete, so  will  ich  jetzt  ausdrücklich  hervorheben,  dass  die  Mächtigkeit  derselben 
gegenüber  derjenigen  des  Alisführungsganges  der  Leber  es  mir  höchst  wahr- 
scheinlich  erscheinen   lässt,   dass  jene   Anlage   ausser   dem   Endstücke  des 
pankreatischen  Ganges  auch  noch  Theile  der  eigentlichen  Drüsensubstanz  er- 
zeuge, dass  also  die  Batrachier,  sowie  ich  es  seinerzeit  für  die  Vögel  nachwies 
(Nr.  153  S.  48 — 51),  ebenfalls  zwei  vollständig  getrennte  Bauchspeicheldrüsen- 
anlagen besitzen.     Die  morphologische  Entwickelungsgeschichte  ihres  gemein- 
samen bleibenden  Ausführungsganges  ist  aber  in  der  obigen  Darstellung  noch 
nicht  erschöpft.    Die  linke  Ausbuchtung  des  primitiven  Leberstiels,  welche  an- 


XI.   Der  Darmkanal  und  seine  Anhangsorgane.  807 

fangs  scheinbar  isolirt  besteht,  wird  während  der  folgenden  Lageveränderung 
der  Leber  mit  der  rechtsseitigen  Anlage  des  pankreatischen  Ganges  dadurch 
verbunden,  dass  die  letztere  über  die  Vorderseite  des  primitiven  Leberstiels 
nach  links  hinüber  sich  von  ihm  abschnürt  und  daher  endlich  in  die  linksseitige 
mündet,  welche  ihrerseits  sich  allmählich  vom  D.  choledochus  bis  zum  Duo- 
denum absondert  (Fig.  278.  313.  359.  360).     Daraus  erhellt,  warum  der  fer- 
tige Ausführungsgang  der  Bauchspeicheldrüse  den  D.  choledochus  von  rechts 
her  überschreitet ,  um  an  dessen  linker  Seite  sich  in  den  Darm  einzusenken 
(Fig.  37  3).  Die  dorsale  Pankreas  anläge,  welche  ich  in  ihrer  ursprünglichen 
Gestalt  mit  einem  Zwerchsacke  verglich,  ist  von   Anfang  an  mehrfach  aber 
weniger  regelmässig  als  die  Leberanlage  ausgebuchtet-,  der  überwiegende  Theil 
ihrer  Masse  neigt  nach  rechts  von  der  Gastro-Duodenalschlinge  und  verschmilzt 
dort  mit   dem  vom  Leberstiele   hinaufwachsenden  Blindsacke,   während  die 
kleine ,   halbkugelig  vorragende  linke  Hälfte  am  längsten  mit  dem  konkaven 
Grunde  jener  Schlinge  verbunden  bleibt  und  daher  deren  Umlagerungen  sehr 
gut  kennzeichnet  (Fig.  311.  312.  352.  373).   Diese  Verbindung  besteht  längere 
Zeit  in  einer  bei  der  Abschnürung  der  ganzen  Anlage  zurückgebliebenen  kanal- 
förmigen   Kommunikation    zwischen    dem   Innenraum    des    Darms   und   des 
Pankreas,  sodass  dasselbe  nicht  nur,  wie  wir  sahen,  aus  drei  getrennten  An- 
lagen hervorgeht,  sondern  einige  Zeit  durch  zwei  an  den  entgegengesetzten  Enden 
mündende  Kanäle   mit   dem   Darme   in   Verbindung  steht.     Der  zuletzt  be- 
schriebene ,  der  Hauptanlage  angehörige  Gang  schwindet  aber  in  der  Folge, 
worauf  sich  die  Drüse  von  der  Gastro-Duodenalschlinge  völlig  ablöst  und  so 
einen  der  merkwürdigsten  Wechsel  in  den  ursprünglichen  und  späteren  Verbin- 
dungen und  Beziehungen  eines  Organs  zu  anderen  offenbart.    Die  weitere  Ent- 
wickelung  der  Darmblattanlage  beginnt  ähnlich  wie  an  der  Leberanlage :  das 
sich  ausdehnende  Blatt  erzeugt  gegen  den  Innenraum  vorspringende  und  den- 
selben verengende  Falten  und  zwischen  diesen  nach  aussen  gerichtete  Blind- 
säckchen,  welche  sich  allmählich  verzweigen.     Der  verengte  Innenraum  wird 
zum  centralen  Ausführungsgang,  die  Blindsäckchen  ordnen  sich  zu  den  an- 
sitzenden Drüsenläppchen  an.     Diese  behalten  stets  deutliche  Lichtungen  und 
scheinen  sich  nicht  stark  weiter  zu  verzweigen ,  sondern  die  Drüsenkanälchen 
länger  zu  werden,  als  es  sonst  bei  traubigen  Drüsen  der  Fall  ist  (Fig.  376). 
Der  Umstand,  dass  obgleich  die  Entwicklung  der  Bauchspeicheldrüse  der- 
jenigen der  Leber  anfangs  sehr  ähnlich  ist,  bei  dem  relativ  viel  späteren  Auf- 
treten der  weniger  zahlreichen  und  starken  Gefässe  die  Drüsensprossen  wohl 


gQg  XI.    Der  Darmkanal  und  seine  Anhangsorgane. 

dicht  zusammengedrängt  erscheinen,  aber  niemals  miteinander  verschmelzen, 
dürfte  die  Auffassung  unterstützen,  dass  die  Entwickelung  des  besonderen  Ge- 
fässnetzes  der  Leberanlage  auch  ihre  abweichende  Drüsenbildung  bedinge. 

Der  Mitteldarm  ist  der  am  spätesten  zum  vollständigen  unteren  Ab- 
schlüsse kommende  Darmabschnitt  (vgl.  S.  265—267).  Man  macht  sich  die 
richtigste  Vorstellung  von  seinem  Verhältniss  zu  den  anderen  Abschnitten, 
wenn  man  sich  das  Darmblatt  als  einen  weiten  Sack  denkt,  der  an  beiden 
Enden  (Vorder-,  Hinterdarm)  blind  geschlossen,  in  der  Mitte  seiner  Unterseite 
eine  grosse  Oeffnung  besitzt,  in  welche  eine  kompakte  Masse  (Dotterzellen- 
masse) so  weit  eingefügt  ist,  dass  sie  die  darüberliegende  Lichtung  ausser- 
ordentlich verengt  (Mitteldarmkanal)  und  die  anstossenden  unteren  Theile  der 
endständigen  weiteren  Räume  rückwärts  und  vorwärts  abschliesst  (Vordarm, 
Afterdarm).  Daher  sind  auch  diese  an  beiden  Enden  des  Mitteldarmkanals 
sich  abwärts  vertiefenden  Buchten  nicht  als  vollständige  Darmblattbildungen 
anzusehen,  was  sofort  erhellt,  wenn  man  sich  die  Dotterzellenmasse  durch  ihr 
Homologon  bei  anderen  Wirbelthierembryonen,  den  flüssigen  Nahrungsdotter 
vertreten  denkt:  der  „Blindsack"  des  Vordarms  ergibt  sich  dann  als  die  gegen 
den  Dotter  weit  offene  Fovea  cardiaca,  der  „Blindsack"  des  Afterdarms  als 
die  ebenso  weit  zugängige  hintere  Darmbucht  der  Anmioten.  Indem  aber  die 
gleichsam  freien  Ränder  des  sich  ausdehnenden  Darmblattes  die  vordere  und 
hintere  Fläche  der  Dotterzellenmasse  aufwärts  überziehen  und  sie  dadurch  von 
der  Begrenzung  jener  Blindsäcke  ausschliessen,  an  den  Enden  des  Mitteldarms 
angekommen  aber  in  dessen  Darmblattränder  umschlagen,  welche  umgekehrt 
die  Dotterzellenmasse  abwärts  umwachsen,  wird  die  letztere  in  eine  bruchsack- 
artige, vorn  und  hinten  gegen  die  endständigen  Darmabschnitte  abgeschnürte 
Erweiterung  des  Mitteldarms  eingeschlossen  {Fig.  372.  877).  Diese  Bildung 
unterscheidet  sich,  besonders  wenn  wir  die  mit  einer  grossen  Dotterzellenmasse 
versehenen  Batrachier,  z.  B.  Salamandra  maculata  berücksichtigen  (vgl.  Nr.  39 
Taf.  I),  vom  Dottersacke  der  meisten  Teleostierembryonen  nur  durch  die  seit- 
lich mangelnde  Abschnürung  eines  Danndotterganges,  während  in  beiden  Fällen 
der  innere  Dottersack  in  einer  einfachen  Erweiterung  der  Bauchhöhle  ruht 
(Taf.  XX).  Dann  ist  aber  auch  die  Homologie  mit  den  Amnioten,  denen  auch 
die  Leibeswand  um  den  Dottersackstiel  eingeschnürt  wird,  leicht  verständlich; 
und  selbst  die  zellige  Beschaffenheit  des  Nahrungsdotters  der  Batrachier  kann 
nicht  mehr  als  Ausnahme  gelten,  seit  ich  die  Blutbildung  im  Nahrungsdotter 
der  Fische  und  Vögel  nachgewiesen  und  neuerdings  dasselbe  Verhalten  auch 


XI.   Der  Darmkanal  und  seine  Anhangsorgane.  §09 

bei  den  Säugethieren  angetroffen  habe  (vgl.  S.  787).  Anderseits  lässt  sich  aber 
der  durchweg  zellige  Nahrnngsdotter  der  Batrachier,  indem  wir  uns  nur  seine 
Masse  redueirt  denken,  als  Theil  der  primären  Keimblase  und  der  sich  darauf 
einstülpenden  Hälfte  derselben  betrachten ;  und  daraus  rechtfertigt  sich  die 
Auffassung,  dass  der  Nahrungsdotter  der  Batrachier,  wenn  er  auch  thatsächlich 
nicht  als  Theil  des  Darmblattes  bezeichnet  werden  kann,  dennoch  aus  einem 
Eitheil  hervorgeht,  welcher  bei  geringerer  Differenzirung  des  ganzen  Eies  in 
dem  gleichmässigen  Entoderm der Gastrulaform  enthalten  ist(vgl.S.  143 — 145). 
Sowie  aber  in  diesem  Falle  der  Nachweis  der  Homologie  noch  nicht  ohne 
weiteres  dieselbe  Bezeichnung  für  die  ursprünglich  homologen  aber  verschieden 
weiter  entwickelten  Theile  gestattet,  so  werden  wir  auch  den  unteren  Theil  des 
Mitteldarms  der  Batrachier  nicht  schlechtweg  einen  Dottersack  nennen  können, 
um  so  weniger,  als  jener  Theil,  wenn  er  sich  vollkommen  geschlossen,  d.  h. 
sein  Darmblattsack  die  Dotterzellenmasse  vollends  in  sich  aufgenommen  hat, 
auch  die  entfernteste  Aehnlichkeit  mit  einem  abgeschnürten  Sacke  verliert  und 
der  ganze  Mitteldarm  als  die  bloss  etwas  dickere  und  zudem  quer  gestellte 
Mitte  des  gesammten.  gewundenen  Darmkanals  erscheint  (Fig.  353.  354).  Diese 
Form-  und  Lageveränderung'  wird  durch  die  Umbildungen  des  Vor-  und  Hinter- 
darms eingeleitet  und  bedingt  (Taf.  XX).  Die  Gastro-Duodenalschlinge  ent- 
wickelt sich  von  vorn  nach  hinten  fortschreitend,  sodass  zuerst  ihr  vorderer 
Schenkel  sich  ausdehnt  und  dabei  in  Folge  der  einmal  angeordneten  Asymmetrie 
sich  auf  die  linke  Körperseite  hinüber  biegt,  der  sich  daran  schliessende,  noch 
wenig  abgesonderte,  hintere  Schenkel  sich  quer  umlegt,  wodurch  zugleich  dessen 
Mündung  in  den  Mitteldarm  nach  rechts  rückt  (Fig.  361.  362.  373).  In  der  Folge 
trägt  nun,  wie  man  es  leicht  an  dem  noch  angewachsenen  linken  Pankreas- 
lappen  erkennen  kann,  wesentlich  die  Verlängerung  des  Magen- Leberdarms 
zur  Lageveränderung  der  ganzen  Gastro-Duodenalschlinge  bei,  indem  seine 
untere  Hälfte  den  Pankreasdarm  vor  sich  her  schiebend  an  seine  frühere  Stelle, 
von  links  und  oben  quer  über  die  Bauchseite  nach  rechts  und  wieder  aufwärts, 
tritt,  sodass  der  Verlauf  der  Gastro-Duodenalschlinge  vom  Ende  des  Lungen- 
darms bis  zum  Uebergang  in  den  Mittel  darin  eine  Spirale  beschreibt  (Taf.  XX). 
Der  letzte  auf  der  rechten  Seite  quer  aufsteigende  Abschnitt  dieser  Spirale 
zieht  aber  auch  das  anstossende  Stück  des  Mitteldarms  in  dieser  Richtung  her- 
vor und  drängt  ferner  mit  der  fortschreitenden  Ausdehnungsbewegung  dessen 
Hauptmasse  nach  links  hinter  den  absteigenden  Magen-Leberdarm  (vgl.  Fig. 
373).     Damit  erhält  auch  der  Mitteldarinkanal  eine  etwas  schräge  Richtung 


810  XI.   Der  Darmkanal  und  seine  Anhangsorgane. 

von  vorn  und  rechts  nach  hinten  und  links  und  wird  auch  das  Vorderende  des 
Hinterdarms  auf  die  letztere  Seite  verschoben.  Sobald  nun  der  Hinterdarm  in 
sagittaler  Richtung  nach  vorn  sich  zu  strecken  beginnt,  schiebt  er  in  ähnlicher 
Weise  wie  es  die  Gastro  -  Duodenalschlinge  am  Vorderende  des  Mitteldarms 
thut,  dessen  Hinterende  vor  sich  her,  legt  ihn  also  vollends  in  eine  quere  Lage 
um  (Taf.  XX).  Indem  sich  zuletzt  der  Mitteldarm  selbst  der  allgemeinen  Ver- 
schmächtigung  und  Verlängerung  des  Darmkanals  anschliesst,  zieht  sich  sein 
mit  dem  Hinterdarm  verbundenes  Ende  in  eine  nach  vorn  gerichtete  Schlinge 
aus,  welche  zuerst  an  der  linken  Seite  des  Magen-Leberdarms  liegt  und  darauf 
während  des  andauernden  Längenwachsthums  sich  abwärts  und  rückwärts 
wendet,  um  die  bekannten  Schneckenwindungen  auszuführen,  durch  welche 
die  Gesammtlänge  des  Darms  endlich  das  12 — 13  fache  der  ganzen  Körper- 
länge bis  zur  Schwanzwurzel  erreicht.*  Bei  dieser  Aufwindung  des  eigent- 
lichen Dünndarms  muss  natürlich  das  Mesenterium  die  Form  einer  Schraube 

■ 

annehmen,  an  deren  scharfem  Rande  eben  der  Darm  befestigt  ist.  Durch  diese 
Entwicklung  des  Dünndarms  wird  die  gleichfalls  stärker  gewundene  Gastro- 
Duodenalschlinge  ganz  nach  rechts  verdrängt-,  indem  aber  während  der  Meta- 
morphose jene  bedeutende  Länge  des  Dünndarms  ganz  unverhältnissmässig 
reducirt  wird,  rückt  auch  jene  Schlinge  wieder  in  ihre  frühere  quere  Lage  hinter 
der  Leber. 

Während  der  Abschnürung  des  Hinterdarms  entwickelt  sich  die  zwischen 
seinem  absteigenden  Ende  oder  dem  Afterdarm  und  der  Dotterzellenmasse 
befindliche  Seitenplatte  nicht  in  entsprechender  Weise  zu  einer  jenen  dreieckigen 
Raum  ausfüllenden  Fortsetzung  des  Bauchfellsackes,  sondern  atrophirt  dort  zu 
einer  dünnen  medianen  Bindegewebsplatte,  welche  mit  den  seitlich  anliegenden 
Oberhauttheilen  eine  Fortsetzung  der  Schwanzflosse  vor  dem  Afterdarm  dar- 
stellt (Taf.  XVIII  Fig.  326,  Taf.  XXI  Fig.  372.  377).  Dieselbe  Rückbildung 
zeigt  die  Seitenplatte  auch  im  lateralen  Umfange  des  Afterdarms,  sodass  er  in 
die  Schwanzflosse  vollständig  eingeschlossen  einen  besonderen,  extraperitonealen 
Darmabschnitt  bildet.  Dass  auch  die  Bauchmuskulatur  jene  Vordergrenze 
der  ventralen  Schwanzflosse  nicht  überschreitet  und  daher  den  Afterdarm  unbe- 
deckt lässt,  wurde  früher  erwähnt,  ebenso  die  Rückbildung  desselben  in  der 
Larvenmetamorphose  und  die  bei  verschiedenen  Anuren  wechselnde  Lage  seiner 
Mündung  innerhalb  der  Flosse  (S.  467.  609.  677,  vgl.  Fig.  356).     Dort  wo  der 


*  Cuviek  gibt  das  bezeichnete  Verhältniss  bei  den  Froschlarven  auf  1 :  9,  7  an  (Lecons 
d'anatoinie  comparee,  2.  edit.  IV.  2.  S.  202). 


XI.  Der  Dannkanal  und  seine  Anhangsorgane.  gH 

Hinterdarm  das  Ende  der  Bauchhöhle  erreicht,  wächst  jederseits  eine  Hälfte 
der  Harnblase  aus  ihm  heraus,  welche  durch  diese  Doppelanlage  an  ihr 
Homologem  in  höheren  Wirbelthieren ,  die  Allantois,  erinnert.  Darüber  liegt 
die  Wurzel  des  Schwanzdarms  und  die  Einmündung  der  Urnierengänge,  sodass 
diese  Region  nach  der  Reduction  des  Afterdarms  als  Kloake  vom  eigentlichen 
Mastdarm  unterschieden  werden  kann. 

Von  der  Histiogenese  des  Darmkanals  habe  ich  nur  wenig  zu  be- 
richten. Die  Auflösung  der  in  den  Mitteldarm  aufgenommenen  Reste  der 
Dotterzellenmasse  geht  gegen  das  Ende  der  ersten  Larvenperiode ,  wann  seine 
geschilderte  äussere  Umbildung  beginnt,  rasch  von  statten.  Die  Dotterzellen 
werden  durch  die  zwischen  sie  eindringende  Interstitialflüssigkeit  von  einander 
gelöst  und  bilden ,  indem  die  grösseren  Lücken  mit  der  ursprünglichen  kleinen 
Darmlichtung  zusammenfliessen ,  in  diesen  Raum  unregelmässig  vorspringende 
oder  bereits  in  ihm  frei  suspendirte  grössere  und  kleinere  Zellenhaufen,  an 
denen  die  Auflösung  der  einzelnen  Elemente  oft  ganz  deutlich  zu  sehen  ist 
{Fig.  361.  362.  373).  Während  der  Darmraum*  dadurch  vergrossert,  aber 
seine  Zunahme  auf  den  sich  verlängernden  Kanal  vertheilt  wird ,  verwandeln 
sich  die  wandständigen  Darmblattzellen  unter  fortschreitender  Vermehrung 
und  Verkleinerung  in  das  cylindrische  Darmepithel  {Fig.  376).  Solche 
Bilder,  wie  sie  Remak  auf  Längstheilungen  dieser  Zellen  bezieht  (Nr.  40  S.  160), 
habe  ich  niemals  wahrgenommen.  Alle  übrigen  Gewebe  der  „ Darmwand 
(Bindegewebe,  Muskeln,  Bauchfellepithel)  liefert  das  Visceralblatt,  natürlich 
unter  Zuziehung  von  Dotterbildungszellen,  aber  unter  Ausschluss  einer  irgend- 
wie nennenswerthen  Betheiligung  der  Segmente.  Dass  die  letzteren  nament- 
lich nicht  das  gesammte  subepitheliale  Gewebe  liefern ,  wie  es  Schenk  für  die 
Vögel  wahrscheinlich  zu  machen  sucht  (Nr.  155  S.  195  u.  flg.),  geht  wenigstens 
für  die  Batrachier  daraus  hervor,  dass  erstens  das  Visceralblatt  als  angeblich 
ausschliessliche  Epithelanlage  des  visceralen  Bauchfells  gar  keine  glatte  Innen- 
fläche behält,  sondern  gegen  das  Darmblatt  ganz  kontinuirlich  in  unregel- 
mässige Zellenschichten  übergeht,  und  dass  ferner  der  Zugang  zu  den  sub- 
epithelialen Darmtheilen  vom  Lungendarm  an  bis  zum  Hinterdarm  schon  vor 
dem  Eintritt  einer  regeren  Diöerenzirung  des  Visceralblattes  theils  durch  die 
Aorta,  die  Gef  ässknäuel  der  Urnieren,  die  Gekrösefalten  erschwert,  theils  durch 
die  vollendete  Gekrösebildung  ganz  verschlossen  ist  {Taf.  XIV.  XV).  Ferner 
spricht  für  meine  Ansicht  noch  der  Umstand,  dass  das  Bildungsgewebe  auf  der 
Dotterzellenmasse  (Dottergefässschicht)  und  die  Muskelwand  des  Herzens  ganz 


812  XI.   Der  Dannkanal  und  seine  Anhangsorgane. 

unzweifelhaft  selbstständige  Bildungen  des  Visceralblattes  sind.  —  Nur  an 
einer  Stelle  entsteht  im  Visceralblatte  ein  besonderes  Organ,  die  Milz.  Sie 
hat  keine  ursprüngliche  morphologische  Anlage,  sondern  erscheint  im  Mesen- 
terium des  Mitteldarms,  nahe  der  Wurzel  der  A.  mesenterica,  im  Anfange  der 
zweiten  Larvenperiode  als  ein  flaches  Häufchen  indifferenter  rundlicher  Zellen 
mit  granulirten  deutlichen  Kernen ,  welche  ich  eben  desshalb  und  weil  alle 
umgebenden  Zellen  alsdann  bereits  differenzirt  erscheinen,  für  direkte  Abkömm- 
linge der  Dotterbildungszellen  halte  {Fig.  376).  In  den  Blutbahnen  sind  die- 
selben zu  der  angegebenen  Zeit  schon  sämmtlich  in  der  Umwandlung  in  voll- 
ständige Blutkörperchen  begriffen.  Bald  darauf  tritt  jenes  Zellenhäufchen  als 
rundliches  dem  Mesenterium  anhängendes  Körperchen  hervor,  ohne  dass 
jedoch  seine  Innenmasse  sich  merklich  verändert  hätte.  Ohngefähr  zur  Zeit, 
wann  die  Larve  die  Hälfte  ihrer  vollen  Rumpflänge  erreicht  hat,  konnte  ich 
an  der  Milzanlage  Folgendes  erkennen.  Die  Anwesenheit  einiger  weniger, 
durch  ihre  gelbliche  Färbung ,  ihre  ovale  Gestalt  und  den  homogenen  Kern 
wohl  charakterisirter  Blutzellen  liess  annehmen ,  dass  alsdann  die  Gefasse  der 
Milz  in  der  Bildung  begriffen  seien.  Zerdrückte  ich  eine  solche  Milzanlage,  so 
stürzte  der  Inhalt  nicht  sogleich  vollständig  heraus,  sondern  quoll  allmählich 
an  vielen  Stellen  hervor  und  bestand  aus  einer  grossen  Menge  freier  Zellen, 
welche  ungefärbt,  wasserhell,  mit  grossen  zarten  leicht  granulirten  Kernen  ver- 
sehen, also  von  den  darunter  gemischten  noch  äusserst  spärlichen  Blutzellen 
sehr  leicht  zu  unterscheiden  waren.  Aus  jenem  Verhalten  beim  Zerdrücken 
der  Milz  vermuthe  ich ,  dass  sie  in  jenem  Zustande  bereits  enge  geschlossene 
Hohlräume  enthält,  in  denen  die  genannten  weissen  Zellen  angehäuft  sind. 
Noch  bemerke  ich ,  dass  sie  in  der  Grösse  sehr  schwanken ,  auch  verhältniss- 
mässig  zahlreiche  Theilungserscheinungen  darbieten.  Untersuchte  ich  nun 
das  Herzblut  derselben  Larven,  so  fand  ich  unter  der  Masse  gelber  Blutzellen 
bereits  einige  den  Milzzellen  ähnliche  Elemente,  die  aber  ebenso  spärlich  waren 
wie  die  gelben  Blutzellen  in  der  Milz.  An  wenig  grösseren  Larven  hatte  sowohl 
die  Zahl  der  Blutzellen  in  der  Milz  als  auch  diejenige  der  weissen  Zellen  im 
Herzblute  ansehnlich  zugenommen.  Da  nun  von  allen  Lymphgefässen  allen- 
falls nur  der  subvertebrale  Lymphgefässstamm  des  Schwanzes  eine  sehr  geringe 
Anzahl  von  Lymphzellen  liefern  könnte,  eine  andere  Quelle  der  weissen  Blut- 
zellen bei  den  Batrachiern,  denen  die  Lymphdrüsen  bekanntlich  fehlen,  nicht 
ausfindig  zu  machen  ist,  so  halte  ich  es  für  mehr  als  wahrscheinlich,  dass  jene 
weissen  Blutzellen  und  die  Milzzellen  als  direkte  Abkömmlinge  der  Dotter- 


XI.  Der  Darmkanal  und  seine  Anhangsorgane.  813 

bildungs-  oder  embryonalen  Blutzellen  identisch  sind.  Uebeiiegt  man ,  dass 
die  Milzzellen  erst  dann  ihr  Organ  verlassen  können,  wann  dessen  Blutgefässe 
in  genügender  Weise  gebildet  und  sekundär  mit  den  Aufenthaltsräumen  jener 
Zellen  in  Verbindung  getreten  sind,  so  stimmen  damit  meine  obigen  Beobach- 
tungen vollkommen  überein  und  liefern  dadurch  einen  tatsächlichen  Beleg  für 
die  von  Leydig  und  W.  Müller  histologisch  begründete  Ansicht,  dass  die 
Milz  der  niederen  Wirbel thiere  einer  Lymphgefässdrüse  gleichkomme  (Nr.  81 
S.  46—52,  Nr.  120  I  S.  252). 


Die  Entwickelungsgeschichte  des  Darmkanals  der  Batrachier  halte  ich  für 
besonders  geeignet,  in  dem  unbefangenen  Beobachter  die  Ueberzeugung  hervor- 
zurufen, dass  alle  dabei  erzielten  Bildungen  lediglich  auf  eine  einfachste,  im 
wesentlichen  überall  gleichartige  Bewegungsursache  zurückzuführen  sind, 
welche  erst  vermöge  der  sie  formgesetzlich  bestimmenden  übrigen  Embryonal- 
anlagen in  jene  mannigfaltigen  Leistungen  übergeführt  wird ,  durch  die  der 
fertige  Darmkanal  mit  seinen  Anhangsorganen  sich  auszeichnet.  Für  das 
Darmblatt,  an  welchem  die  Formbildung  des  Darmkanals  ihren  unmittel- 
barsten und  deutlichsten  Ausdruck  findet,  kann  wenigstens  bei  den  Batrachiern 
jede  allgemeine  Massenzunahme  während  seiner  morphologischen  Entwickelung 
vollständig  ausgeschlossen  werden:  es  behält  nicht  nur  sein  festes  epitheliales 
Gefüge,  sondern  bei  dem  späten  Beginn  histologischer  Veränderungen  auch  die 
embryonale  Zusammensetzung  seiner  dotterhaltigen  Zellen,  was  einer  Auf- 
nahme von  Dotterbildungszellen  sogut  wie  einer  wirklichen  endosmutischen 
Nahrungsaufnahme  widerspricht.  Auch  erfolgt  die  morphologische  Umbildung 
des  Darmblattes  stets  im  Zusammenhange  mit  einer  entsprechenden  Ver- 
kleinerung und  Verschiebung  seiner  Elemente,  sodass  die  aus  der  Zeilen- 
theilung abzuleitende  Bewegungsursache  als  die  bei  dieser  Entwickelung 
ausschliesslich  wirksame  betrachtet  werden  muss;  und  seine  ursjjrüngliche 
epitheliale  Form  lässt  die  Zellenbewegung  sich  wesentlich  in  einer  Flächen- 
ausdehnung  äussern.  Anderseits  verbietet  die  relativ  gleichmässige  Be- 
schaffenheit aller  Abschnitte  des  Darmblattes  ihm  innewohnende  Differenzen 
als  selbstständigen  Ausgangspunkt  seiner  Formbildung  anzunehmen;  seine 
gleichmässig  angelegte  Ausdehnung  gelangt  aber  zu  wirksamer  Entwickelung 
erst  dann,  wann  die  umgebenden  Embryonalanlagen  ihr  bereits  mannigfach  ge- 
gliederte Foimbedingungen  entgegenstellen,  sodass  die  mechanische  Wechsel- 


814  XL   Der  Darmkanal  und  seine  Anhangsorgane. 

Wirkung  sich  bei  eingehender  Beobachtung  eigentlich  von  selbst  ergibt.  Daher 
glaube  ich  die  bezüglichen  Erklärungen,  welche  ich  in  diesem  und  früheren 
Kapiteln  (vgl.  S.  260 — 270.  723 — 725)  für  die  Entwicklung  der  einzelnen 
Darmabschnitte  gegeben  habe,  wenigstens  im  grossen  und  ganzen  als  natur- 
gemässe"bezeichnen  zu  dürfen.  Dieser  wesentlich  mechanische  Kausalzusammen- 
hang in  der  morphologischen  Entwicklung  des  Darmkanals  lässt  sich  aber 
auch  über  die  ersten  Anlagen  hinaus  weiter  verfolgen,  wenn  man  überhaupt 
auf  die  gleichzeitige  Entwicklung  der  umgebenden  Theile  achtet.  Bisher 
wurden  aber  die  Umbildungen  der  sack-  oder  schlauchförmigen  Darmanlage 
für  sich  gesondert  und  vorherrschend  an  dem  relativ  ungünstigen  Objekte  des 
Vogelembryo  beschrieben,  sodass  entweder  auf  die  Einsicht  in  jenen  Kausal- 
zusammenhang ganz  verzichtet  oder  die  Bildungsursachen  in  den  einzelnen 
Darmtheil  selbst  verlegt,  d.  h.  der  leidigen  „histologischen  Differenzirung" 
oder  einem  die  Erscheinung  einfach  umschreibenden  „Wachsthumsgesetze" 
alles  das  aufgebürdet  werden  musste,  wofür  eine  Erklärung  fehlte. 

Rusconi  gab  die  ersten  schönen,  aber  leider  nicht  fehlerfreien  Abbildungen 
von  der  allmählichen  Ausziehimg  und  Aufwindung  des  Froschdarms  (Nr.  6 
S.  56.  57  Taf.  III)  *.  Reichert,  welcher  bekanntlich  den  im  Rumpfe  liegenden 
Darmkanal  und  Nahrungsdotter  der  Batrachierembryonen  für  einen  abge- 
schlossenen und  mit  Dotter  ganz  erfüllten  Sack  hält,  lässt  das  Vorderende 
desselben  zur  Zeit,  „wo  beim  Frosch  noch  keine  Spur  des  Darmsystems  in  der 
Bauchhöhle  enthalten  ist",  in  die  gemeinschaftliche  Anlage  der  Leber  und 
Bauchspeicheldrüse  sich  verwandeln,  und  die  Lungen  überhaupt  nicht  aus  dem 
Darmkanal,  sondern  im  Zusammenhange  mit  dem  „Kiemenbogenträger"  aus 
dem  „Wirbelsystem"  entstehen  (Nr.  22  S.  24.  74).  Vogt  hat  die  Leberanlage 
von  Alytes  ziemlich  ebenso  wie  Reichert  beschrieben  (Nr.  26  S.  58.  77.  92). 
Erst  Remak  führte,  gestützt  auf  seine  vergleichend -embryologischen  Studien, 
den  Darmkanal  und  seine  Anhangsorgane  wenigstens  auf  eine  einheitliche 
Gesammtanlage  zurück,  obgleich  es  ihm  nicht  gelang,  die  morphologische  Be- 
deutung der  letzteren  auch  nur  so  weit  richtig  zu  erfassen  wie  v.  Baer 
(vgl.  S.  268.  269).  Leber,  Pankreas  und  Lungen  sind  nach  Remak  Auswüchse 
der  Darmwand,   die  beiden  ersten  an  der  Bauch-  und  Rückenseite  einander 


*  Durch  die  dritte  bezügliche  Abbildung  hat  Rusconi  den  Formzusaminenhang  zwischen 
den  ersten  und  den  folgenden  Entwickelungsstufen  vollständig  unterbrochen  und  das  Ver- 
standniss  des  allmählichen  Uebergangs  ganz  unmöglich  gemacht. 


XI.   Der  Darmkanal  und  seine  Anhangsorgane.  815 

entgegengesetzt  und  erst  nachträglich  miteinander  verwachsen  (Nr.  40  S.  162. 
163).  Sowie  aber  diese  Verwachsung  irrthümlich  als  eine  linksseitige  bezeich- 
net wird,  ist  auch  die  von  der  Leber  angeblich  unabhängige  Bildung  der 
Gallenblase  und  die  Entwicklung  eines  blinden  Pankreasganges  vom  Organ 
selbst  gegen  den  Darm  hin  unrichtig  angegeben.  Die  Entwicklung  des  Leber- 
netzes hat  Remak  ganz  unverkennbar  unter  dem  Einflüsse  seiner  bezüglichen 
Beobachtungen  am  Hühnchen  beschrieben,  welche  ihn  zur  Annahme  solider 
Leberbäikchen  bewogen ;  sonst  hätte  er  die  Kolben  der  Leberanlage  nicht  einfach 
für  verlängerte  Zellen  halten  und  bei  starker  Vergrösserung  so  zeichnen  können 
(Nr.  40  Taf.  IX  Fig.  23).  Wenn  Remak  ferner  die  Lungenanlagen  solide  nennt, 
so  entspricht  dies  nicht  den  soliden  Verdickungen  des  Visceralblattes ,  welche 
nach  meiner  Darstellung  der  Bildung  der  hohlen  Darmanhänge  vorausgehen; 
sondern  Remak  hält  irrigerweise  auch  den  bereits  vorhandenen  axialen  Darm- 
blattheil der  Lungenanlagen  für  eine  solide  Bildung,  welche  erst  durch  Ausein- 
anderweichen der  Zellen  hohl  werde.  Die  im  allgemeinen  richtige  Angabe 
Remak's,  worin  ihm  übrigens  Reicheet  vorausgegangen  war  (S.  259),  dass  die 
innerste  Schicht  des  embryonalen  Darmkanals  zum  Epithel  werde,  verliert 
wiederum  ihren  Hauptwerth  durch  die  früher  erörterte  Verwechselung  der 
Dotterzellenmasse  mit  dem  eigentlichen  Darmblatte  (S.  268).  v.  Bambecke 
weicht  in  keinem  wesentlichen  Punkte  von  Remak  ab  (Nr.  63  S.  55 — 58),  so- 
dass sich  die  sämmtlichen  bisherigen  Beobachtungen  über  die  vorgeschrittenere 
Darmentwickelung  als  ausserordentlich  dürftige  darstellen. 

Ueber  die  gleichen  Vorgänge  bei  den  übrigen  Wirbelthieren  fehlen  mir 
eigene  Untersuchungen  in  der  Ausdehnung,  welche  ich  oben  als  für  eine  richtige 
Erkenntniss  des  Kausalzusammenhangs  nothwendig  bezeichnete,  und  ich  kenne 
auch  keine  fremden  Arbeiten  dieser  Art ;  und  nur  daraufhin ,  dass  ich  in  den 
primitiven  Darmanlagen  eine  Uebereinstimmung  aller  Wirbelthiere  nachweisen 
konnte,  habe  ich  es  schon  im  beschreibenden  Theile  versucht,  den  noch  aus- 
stehenden Einzeluntersuchungen  vorausgreifend  einige  Vergleichungspunkte 
hervorzuheben.  Was  zunächst  den  Vordarm  betrifft,  so  sehe  ich  bei  den 
Batrachiern  die  wichtigsten  seiner  Formbedingungen  darin,  dass  er  durch  die 
Dotterzellenmasse  gleichsam  fixirt ,  durch  den  Uebergang  seines  Darmblattes 
auf  dieselbe  rückwärts  und  abwärts  erweitert,  in  seiner  Ausdehnung  aber  durch 
ebendieselbe  Masse  auf  den  davor  liegenden  Raum  beschränkt  ist,  wobei  die 
Perikardialhöhle  die  günstigsten  Bedingungen  zum  Auswachsen  der  Leber- 
anlage bietet.     Die  gleichen  ursprünglichen  Formbedingungen  finde  ich  am 


316  XI.   Der  Darmkanal  und  seine  Anhangsorgane. 

Vordarm  der  übrigen  Wirbelthiere  wieder.  Indem  der  Nahrungsdotter  der 
Teleostier  und  Amnioten  unter  das  Niveau  des  Darmkanals  hinabsinkt,  und  die 
auf  ihn  übergehende  Darmwand  durch  eine  Einschnürung  (Darmnabel)  in 
Darmanlage  und  den  inneren  Dottersack*  geschieden  wird,  fällt  allerdings  die 
bedeutungslose  hintere  Begrenzung  des  Vordarmsackes  durch  den  Nahrungs.- 
dotter (Batrachier)  fort;  doch  bleibt  dieser  Darmtheil  durch  den  Vorderrand 
des  Darmnabels,  welchen  man  mit  dem  Grunde  jenes  Sackes  bei  den  Batra- 
chiern  vergleichen  kann,  fixirt  und  nach  unten  und  hinten  erweitert,  während 
die  Perikardialhöhle  seinen  Uebergang  in  den  Kopfdarm  von  unten  verengt. 
Dieser  trichterförmig  erweiterte  hintere  Abschnitt  des  Vordarms  der  Teleostier 
und  Amnioten  entspricht  also  vollständig  dem  Vordarmblindsacke  der  Batra- 
chier, sobald  man  dessen  nicht  dazu  gehörige,  vom  Nahrungsdotter  gebildete 
Hinterwand  hinwegdenkt,  und  enthält  ebenfalls  in  seiner  unteren  Wand  die 
Anlage  der  Leber,  in  seiner  dorsalen  Wand  diejenige  der  Bauchspeicheldrüse. 
Bei  den  Teleo stiem  sehe  ich  den  engen  und  rückwärts  nur  an  Höhe  zu- 
nehmenden Vordarm  die  weite  konthmirliche  Leibeshöhle  (Perikardial-  und 
Bauchhöhle)  wie  eine  mediane  Scheidewand  durchsetzen,  da  er  nach  seiner 
Abschnürung  noch  einige  Zeit  mit  seinem  unteren  Rande  an  den  Dottersack 
oder  die  unteren  Blätter  der  Darmschlussfalten  geheftet  bleibt.  An  derVor'der- 
grenze  des  Darmnabels  beginnt  dieser  erweiterte  untere  Theil  des  Vordarms 
sich  nach  vorn  und  etwas  links  gegen  die  künftige  Perikardialhöhle  auszu- 
sacken;  und  indem  der  Darmnabel  von  hinten  gegen  diese  Aussackung  oder 
die  Leberanlage  zusammenzieht,  kommt  er  an  ihre  rechte  Seite  zu  liegen  und 
kann  der  atrophirende  innere  Dottersack  sich  sogar  vor  jenes  Organ  schieben. 
In  dieser  Weise  hat  auch  v.  Baer  die  Lagebeziehungen  der  Leber  im  Karpfen- 
embryo geschildert  und  nur  darin  geirrt,  dass  er  aus  der  rechtsseitigen  Lage 
der  Darmnabelmündung  darauf  schliesst,  dass  die  Bauchseite  des  Darms  der 
Fischembryonen  ebenso  wie  bei  den  Embryonen  der  Amnioten  nach  rechts  ge- 
wandt sei  (Nr.  147  S.  32 — 34).  Denn  die  ersteren  legen  sich  nicht  auf  die  linke 
um  wie  z.  B.  die  Vögel  (vgl.  Nr.  8  I  S.  80),  sondern  umgekehrt  auf  die  rechte 
Seite-,  und  wenn  man  dann  ihre  Medianebene  durch  den  Dottersack  fortsetzt, 
so  liegt  dessen  grössere  Hälfte  allerdings  rechts  von  jener  Ebene,  aber  gerade 


*  Nach  einem  schon  v.  Baee  geläufigen  Ausdruck  kann  man  den  Dottersack  in  eine 
Fortsetzung  der  Darmwand  und  der  Leibeswand  sich  geschieden  denken,  und  alsdann  die 
erstere  als  inneren  Dottersack  der  anderen  oder  dem  äusseren  Dottersack  entgegensetzen. 


XI.    Der  Parnikanal  und  seine  Anhangsorgane.  817 

weil  die  Bauchseite  des  Darms  sich  nach  links  verschoben  hat.  Auch  hat 
v.  Baer  die  Leberanlage  richtig  als  eine  Art  Ausstülpung  beschrieben ,  deren 
innere  Höhlung  sich  in  die  dicke  Wand  hinein  verzweige,  ohne  dass  die  Läpp- 
chen der  letzteren  deutlich  würden  (Nr.  147).  Statt  diese  richtigen  Beob- 
achtungen zu  bestätigen,  lässt  Vogt  die  Leber  der  Forellenembryonen  sich  aus 
einer  soliden  Zellenmasse  entwickeln,  welche  erst  durch  eine  nachträgliche  Aus- 
höhlung mit  dem  Darm  in  Kommunikation  trete  (Nr.  26  S.  58.  92,  Nr.  123 
S.  175);  auch  Leydig  scheint  geneigt,  die  Leberanlage  der  Haie  für  eine  blosse 
Zellenanhäufung  zu  halten  (Nr.  139  S.  116).  —  Die  Perikardialhöhle  der  Fische 
bleibt  wegen  der  mangelnden  Abschnürung  der  Leibes  wand  lange  Zeit  sehr 
weit  und  kann  daher  durch  die  viel  schmälere  Leber  rückwärts  nicht  ver- 
schlossen werden  ;  dass  dieser  Verschluss  endlich  doch  eintritt,  dürfte  sich  da- 
durch erklären,  dass  bei  der  Zurückziehung  des  schrumpfenden  Dottersackes 
aus  dem  Boden  des  Perikardialraumes  der  letztere  bedeutend  zusammenge- 
zogen und  verschmälert  wird.  Warum  bei  den  Fischen  eine  Ausdehnung  des 
Vordarms  nach  vorn  unterbleibt  und  in  Folge  dessen  Brust  und  Pleurahöhlen 
fehlen,  habe  ich  schon  erläutert  (S.  797);  der  Ursprung  der  Schwimmblase 
über  der  Leber  ist  ein  weiterer  Beleg  für  den  Mangel  jener  Ausdehnung,  da 
dieses  Organ  von  v.  Baer  mit  vollem  Recht  für  eine  rechte  Lunge  erklärt  wird. 
Ich  kann  sie  zu  einer  gewissen  Zeit  von  den  noch  nicht  thätigen  Lungen  der 
Batrachierlarven  nicht  unterscheiden,  und  zweifele  auch  gar  nicht  an  der  Rich- 
tigkeit der  Beobachtung  und  Auffassung  v.  Baer's,  dass  die  Schwimmblase 
während  der  ersten  Zeit  der  Luftaufnahme  als  wirkliche  Lunge  fungire  (Nr.  147 
S.  33).  Die  Ausstülpung  der  Schwimmblasenanlage  aus  dem  embryonalen 
Darmkanal  hat  Vogt  ebenfalls  übersehen,  dagegen  die  Luftaufnahme  ebenso 
wie  v.  Baer  beschrieben  (Nr.  123  S.  177). 

Ueber  die  sekundären  Umbildungen  des  Darmkanals  der  Amnioten  habe 
ich  ebenfalls  nur  wenig  zu  bemerken.  Erwähnt  wurde  bereits ,  wie  sehr  die 
Beziehungen  der  Anhangsorgane  des  Vordarms  zur  Leibeswand  und  zum  Ver- 
schluss des  Perikardialsackes  und  der  Pleurahöhlen  vernachlässigt  wurden; 
dass  sie  aber  im  wesentlichen  mit  den  entsprechenden  Verhältnissen  der  Batra- 
chier  übereinstimmen,  glaube  ich  in  einigen  Durchschnittsbildern  bestätigt  zu 
sehen,  welche  sich  in  der  His'schen  Arbeit  über  die  Entwickelung  des  Hühn- 
chens finden  (Nr.  109  Taf.  XI).  Fig.  13  der  1.  Serie  zeigt  uns  den  Venensack 
unter  der  Lungenwurzel,  und  da  die  Abschnürimg  und  seitliche  Abplattung  des 
ganzen  Embryo  bereits  vorgeschritten  sind,  jenen  Herztheil  bereits  in  Verbin- 

üokttb,  Kutwickelungsgescbichte.  «2 


818  XI.    Der  Darmkanal  und  seine  Anhangsorgane. 

dung  mit  der  Leibeswand.  Diese  Verbindung  würde  allein  dadurch,  dass  die 
Leibeswand  bis  an  das  Herz  heranrückte,  nicht  zu  Stande  kommen,  weil  das 
letztere  ohne  seine  Fixirung  am  Vorderrande  des  Darmnabels  oder  an  der 
Leberanlage  zu  stark  bewegt  würde ;  ferner  scheint  mir  auch  die  letztere ,  wie 
es  auf  dem  folgenden  Durchschnitte  Fig.  14  zu  sehen  ist,  die  sie  umgreifenden 
Dotterdarmvenen  auseinanderzutreiben  und  dadurch  der  Leibeswand  zu  nähern. 
Nur  darf  man  die  Bestätigung  dessen  nicht  im  Texte  von  His  selbst  suchen ; 
denn  er  erklärt  jene  Leberanlage  für  die  Anlage  der  Lungen ,  welche  nach 
hinten  offen ,  zwischen  und  über  den  Dotterdarmvenen  lägen  (Nr.  109  S.  145. 
146) !  Ferner  hat  His  auf  derselben  Tafel  (Serie  IV  Fig.  5.  6)  eine  sehr 
interessante  Bildung  wiedergegeben,  ohne  sie  jedoch  mit  einem  Worte  zu 
erwähnen:  es  sind  Durchschnitte  eines  Lebergekröses,  welches  rechts  vom 
Magen  und  dem  Netzbeutel  zur  ursprünglichen  Gekrösewurzel  aufsteigt  und 
ein  Gefäss  dorthin  leitet.  Man  braucht  diese  Bilder  nur  mit  den  von  mir  ge- 
gebenen entsprechenden  Durchschnitten  der  Unkenlarven  zu  vergleichen 
(Taf.  XX  Fig.  359 — 361),  um  sich  davon  zu  überzeugen,  dass  wir  in  jener 
Bildung  des  Hühnchens  dieselbe  von  mir  ausführlich  besprochene  Gekröse- 
brücke vor  uns  haben ,  welche  das  Mündungsstück  der  hinteren  Hohlvene  vom 
Herzen  und  der  Leber  zur  Wirbelsäule  hinaufleitet.  Mit  allen  diesen  Be- 
merkungen soll  aber  der  bezügliche  Gegenstand  nicht  als  erledigt  betrachtet 
sondern  nur  ferneren  Untersuchungen  empfohlen  werden. 


XII.  Die  Harn-  und  die  Geschlechtsorgane. 


Die  gemeinsame  Embryonalanlage  für  die  Entwicklung  der  Harn-  und 
der  Geschlechtsorgane  ist  die  Seitenplatte  des  Rumpfes,  und  zwar  ihr  dorsaler 
Theil,  wo  die  beiden  Blätter  in  der  Gekrösefalte  ineinander  übergehen.  Eine 
,, Mittelplatte"  in  dem  Sinne  wie  bei  den  Amnioten  lässt  sich  bei  den  Batra- 
chiern  weder  lateral-  noch  medianwärts  abgrenzen ,  da  jene  Bildungen  ebenso- 
wohl auf  das  Parietalblatt  der  Leibeswand  wie  auf  das  Visceralblatt  des  Darms 
übergreifen.  Bekanntlich  gibt  es  in  den  Embryonen  der  Wirbelthiere  zweierlei 
Harnorgane,  die  Urnieren  und  die  bleibenden  Nieren,  von  denen  jene  zuerst 
entstehen ,  sehr  bald  ihre  definitive  Struktur  erhalten  und  wie  es  scheint  auch 
in  Funktion  treten,  die  anderen  später  sich  zu  bilden  anfangen  und  bis  zum 
Eintritt  der  Funktion  eine  längere  Entwickelungszeit  brauchen.  Doch  fällt 
die  Entwickelung  der  beiderlei  Harnorgane  vor  diejenige  der  Geschlechts- 
organe, und  daher  gebührt  ihnen  der  Vortritt  in  der  Beschreibung. 

1.  Die  Urnieren. 

Ihre  ersten  Anfänge  erscheinen  bereits  in  der  Embryonalperiode  zu  der 
Zeit,  wann  die  Seitenplatte  sich  von  den  Segmenten  zu  trennen  beginnt. 
Während  die  laterale  Einkerbung  zwischen  dem  Parietalblatte  und  den  Seg- 
menten entsteht,  buchtet  sich  dasselbe  in  der  Gegend  des  Yordarms  und 
ohngefähr  in  der  Höhe  der  Darmlichtung  in  einer  abwärts  überhängenden 
Falte  lateralwärts  aus,  sodass  die  letztere  anfangs  nur  unten  gegen  das 
Parietalblatt  abgesetzt  erscheint,  aufwärts  aber  noch  ohne  Grenze  in  dasselbe 
übergeht  (Taf.  VI  Fig.  114).     Indem  sich  aber  dieser  beutclförmige  Anhang 

52* 


820  XII.   Die  Harn-  und  die  Geschlechtsorgane. 

des  Parietalblattes  alsbald  auch  nach  oben  ausdehnt,  also  sich  von  diesem 
Blatte  abzuschnüren  beginnt,  erscheint  er  nach  den  Querdurchschnitten  als 
abgeplattete,  mit  dem  Parietalblatte  durch  einen  hohlen  Stiel  zusammen- 
hängende, also  auch  mit  der  spaltförmigen  Rumpfhöhle  kommunicirende 
Tasche  {Taf.  VII  Fig.  137.  138).  Verfolgt  man  die  ganze  Reihe  der  aufein- 
ander folgenden  Querdurchschnitte,  so  überzeugt  man  sich,  dass  die  Breite  der 
Tasche  nicht  gleichmässig  bleibt,  dass  der  Stiel  in  horizontaler  Richtung  fort- 
läuft, also  eigentlich  eine  hohle  Leiste  darstellt,  und  dass  endlich  die  Höhe 
seines  Ansatzes  gleichfalls  wechselt  {Taf.  XIII  Fig.  239—241).  Diese  Um- 
stände machen  es  begreiflich ,  dass  eine  klare  Vorstellung  über  die  Gestalt  der 
ganzen  Ausstülpung  des  Parietalblattes  oder  der  Urnierenanlage  aus  den 
Durchschnitten  unmittelbar  nicht  zu  gewinnen  ist.  Und  da  es  unmöglich  ist, 
diese  Anlage  aus  dem  weichen  Embryo  im  Zusammenhange  herauszupräpariren, 
so  habe  ich  ein  anderes  Mittel  gewählt  sie  zu  klarer  Anschauung  zu  bringen. 
An  einer  lückenlosen  Reihe  von  Querdurchschnitten  der  betreffenden  Embry- 
onen bestimmte  ich  aus  ihrer  Zahl  und  der  Länge  des  zerlegten  Körpertheils* 
ihre  durchschnittliche  Dicke.  Dann  zeichnete  ich  ein  Liniennetz,  dessen 
Quadrate  die  Länge  jenes  Masses  und  die  Höhe  meiner  Mikrometereintheilung 
in  gleicher  Vergrösserung  besassen.  Nach  dieser  Vorbereitung  brachte  ich 
die  Durchschnitte  der  Reihe  nach  unter  das  Mikroskop  und  bestimmte  alle 
Grenzen  der  Urnierenanlage,  indem  ich  ihre  Entfernungen  von  einer  durch  den 
ganzen  Rumpf  sich  gleich  bleibenden  Höhenlinie,  nämlich  der  tiefsten  Stelle 
der  Wirbelsaite,  mass.  Diese  Masse  bezeichnete  ich  darauf  in  dem  genannten 
Liniennetze,  ebenfalls  von  einer  bestimmten  Horizontalen  ausgehend,  in  der 
Weise,  dass  ich  die  Masse  des  ersten  Durchschnitts  in  eine  senkrechte  Kolonne, 
die  Masse  des  zweiten  in  die  folgende  eintrug  u.  s.  w.  So  wurden  auf  dem 
Papier  durch  die  aneinandergereihten  Grenzbestimmungen  der  Querdurch- 
schnitte der  Urnierenanlage  deren  in  sagittaler  Richtung  verlaufenden  Umrisse 
dargestellt.  Um  die  Richtigkeit  solcher  Konstruktionen  zu  prüfen,  habe  ich 
erstens  dasselbe  Bild  zu  verschiedenen  Malen  durch  neue  Messungen  hergestellt, 
wobei  sich  keine  nennensvverthen  Differenzen  herausstellten,  ferner  stets  die 
beiderseitigen  Urnierenanlagen  desselben  Embryo  in  der  angegebenen  Weise 
gezeichnet,  und  kann  versichern,  dass  ihre  Unterschiede  in  der  Zeichnung  nicht 
grösser  waren ,  als  sie  auch  ganz  naturgemäss  an  anderen  paarigen  Organen 


x"  Die  letztere  wurde  an  Frontaldurchschnitten  ganz  gleicher  Embryonen  gemessen. 


1.   Die  Urnieren.  821 

vorkommen.  Die  Zusammenstellung  der  Durchschnittsbilder  mit  den  konstru- 
irten  Seitenansichten  ergibt  nun,  dass  die  vom  Parietalblatte  sich  abschnürende 
Urnierenanlage  an  ihrem  vorderen  Ende  aus  einer  länglichen  platten  Tasche 
besteht,  welche  mit  der  Bauchhöhle  durch  eine  aufwärts  konkav  gebogene  Längs- 
spalte kommunicirt;  dies  ist  die  eigentliche  Drüsen  anläge  {Fig.  239 — 241. 
247 ,  Taf.  XXII  Fig.  381a).  Von  der  Stelle,  wo  ihr  unterer  und  hinterer 
Umfang  zusammentreffen,  setzt  sie  sich  röhrenförmig  verengt  nach  hinten  fort, 
und  indem  diese  Fortsetzung  in  horizontaler  Richtung  bis  zum  Hinterdarm 
sich  aus  dem  Parietalblatte  hervorstülpt,  aber  dann  auch  sofort  als  ge- 
schlossener Kanal  sich  von  ihm  vollständig  abschnürt,  entstellt  der  Ausführungs- 
gang der  Urniere,  der  Urnieren  gang.  Auf  der  folgenden  Entwickelungs- 
stufe  hat  sich  das  Bild  nicht  unwesentlich  verändert.  Die  obere,  die  Verbin- 
dung mit  der  Bauchhöhle  enthaltende  Hälfte  der  Drüsenanlage  hat  sich  in  der 
Längsrichtung  über  den  unteren  Theil  hinaus  erweitert,  bildet  also  einen 
vorderen  und  einen  hinteren  Zipfel,  welche  die  Enden  der  ursprünglichen 
peritonealen  Verbindungsspalte  enthalten;  indem  sich  aber  die  letztere  durch 
eine  entsprechende  Abschnürung  der  Drüsenanlage  vom  Parietalblatte  bis  auf 
jene  Enden  und  eine  zwischen  ihnen  gelegene  Stelle  schliesst,  verwandelt  sich 
jene  obere  Hälfte  unserer  Anlage  in  einen  horizontalen  Schlauch,  weicher  durch 
zwei  endständige  und  eine  mittlere  Mündung,  die  sich  alsbald  in  kurze  Röhr- 
chen ausziehen,  mit  der  Bauchhöhle  zusammenhängt  (Fig.  381b).-  Die  untere 
Hälfte  der  früheren  Tasche  oder  der  künftige  Haupttheil  des  Orgaus  beginnt 
unterdessen  von  jenem  oberen  Mündungstheile  sich  abzusondern,  wobei  natürlich 
der  Ansatz  des  Urnierengangs  abwärts  gezogen  wird,  sodass  er  hinter  der 
Drüsenanlage  bis  zu  seiner  horizontalen  Fortsetzung  bogenförmig  aufsteigen 
muss  (Taf.  XVI  Fig.  290.  291).  In  der  Folge  verlängern  und  verengen  sich 
die  beiden  Zipfel  des  Mündungstheils  bis  zu  ihren  peritonealen  Oeffnungen 
wobei  sie  einen  geschlängelten  Verlauf  annehmen ;  und  auch  die  mittlere  Mün- 
dung zieht  sich  so  weit  röhrenförmig  aus,  dass  dieser  ganze  obere  Theil  der 
Drüsenanlage  in  drei  Mündungsröhren  umgebildet  erscheint,  welche  von  ihrer 
gemeinsamen  Wurzel,  wo  sie  in  die  impaare  Fortsetzung  der  Drüse  übergehen, 
gegen  die  Bauchhöhle  in  Form  eines  Delta  divergiren  (Taf.  XVII  Fig.  308). 
Der  untere  Theil  des  Organs  dehnt  sich  in  gleicher  Weise  zu  einer  immer 
engeren  Röhre  aus,  deren  Durchmesser  endlich  demjenigen  des  Ausführungs- 
ganges  gleichkommt,  und  deren  bedeutende  Verlängerung  in  stetig  zunehmen- 
den hin-  und  her  gerichteten  Windungen  ihren  Ausdruck  findet,  in  welche 


$22  XII.   Die  Harn-  und  die  Geschlechtsorgane. 

möglicherweise  auch  die  angrenzenden  Abschnitte  des  Urnierengangs  hinein- 
gezogen  werden   (Taf.   XVI  Fig.  299  —  301,    Taf.  XX  Fig.    35!)  — 361 
Fig.  381  c.  d.).  So  verwandelt  sich  die  ganze  Anlage  in  einen  dichtgewundenen 
Knäuel,  der  aber  weder  aus  einer  einzigen  Röhre  noch  aus  einem  quastenför- 
migen  Bündel  von  Röhren  besteht,  welche  gemeinsam  in  den  Urnierengang  zu- 
sammenlaufen,  sondern  uns  eine  eigenthümliche  Verbindung  beider  Formen 
zeigt :  der  knäuelförmig  aufgewundene  Hauptgang ,  welcher  allein  unmittelbar 
in  den  Urnierengang  übergeht,   mündet  in  die  Bauchhöhle  mit  drei  gleichfalls 
gewundenen  divergirenden  Armen.     In  welcher  Weise  diese  Urniere  sehr  bald 
nach  ihrer  ersten  Anlage  von  der  Stammvene  durchsetzt  wird,  habe  ich  schon 
in  der  Entwickelungsgeschichte  der  letzteren  angegeben.     Das  Blut  erfüllt 
dabei  die  Zwischenräume  der  Urniere  gerade  so  wie  anfangs  diejenigen  der 
Leber,  ohne  von  vollständigen  Gefässwänden  umschlossen  zu  sein;  dagegen 
bildet  sich  sehr  frühzeitig  eine  die  ganze  Urniere  einschliessende  zarte  Haut, 
welche  in  die  Gefässwand  der  ein-  und  austretenden  Stammvene  sich  fortsetzt 
{Taf.  XIV,  XV,  XVII  Fig.  307—311.  318.  319).     Das  ganze  Organ  bleibt 
stets  dicht  am  Parietalblatte ,  also  am  parietalen  Bauchfelle  liegen  und  wird 
daher  von  den  Segmentschichten  und  den  daraus  hervorgehenden  Muskeln 
lateralwärts  bedeckt.     Die   Mündungen  der  Urniere  bleiben  gegenüber  der 
Vorderhälfte  des  Vordarms,  jedoch  stets  über  den  hervorwachsenden  Lungen 
liegen.     Die  Urnierengänge  folgen  den  Lageveränderungen  der  ihnen  median- 
wärts  angeschlossenen  Stammvenen  und  gelangen  auf  diese  Weise  allmählich 
in  den  Retroperitonealraum,  wo  sie  zunächst  zwischen  dem  Parietalblatte  und 
den  Stammuskeln,  später  den  Nierenanlagen  liegen  bleiben  (Taf.  XI  Fig.  197. 
198).    Während  sie  sich  aber  rückwärts  vom  Parietalblatte  abschnüren,  bildet 
sich  die  zweiblättrige  Seitenplatte  um  das  hinterste  Ende  des  Hinterdarms  zu 
einer   einfachen   dünnen   Schicht   von   Bildungsgewebe    zurück,    sodass   die 
Entwickelung  der  Urnierengänge  an  derselben  Stelle,  nämlich  unterhalb  der 
Wurzel  des  Schwanzdarms  eine  natürliche  Grenze  findet ,   und  ihre  blinden 
Enden  dort  nur  durch  etwas  Bildimgsgewebe  vom  Darmblatte  des  Hintordarms 
geschieden  werden  (vgl.  Taf  XIII  Fig.  242.  243).     Dieses  Hinterdarmende 
wird  aber  während  der  Abschnürung  der  Schwanzdarinwurzel  von  seiner  dor- 
salen Seite  etwas  quer  ausgezogen ,   sodass  diese  beiden  seitlichen  Zipfel  des 
Minterdarnis  gerade  auf  die  danebeiiliegenden  blinden  Enden  der  Urnieren- 
gänge stossen  und  sich  darauf  mit  denselben  verbinden.     Auf  diese  Weise 
erhalten  die  Urnierengänge  eine  Mündung  in  den  Dannkanal ,   und  indem  das 


1.  Die  Urnieren.  823 

die  beiden  Mündungen  enthaltende  dorsale  Ende  des  Hinterdarms  sich  vom 
absteigenden  Afterdarme  etwas  abschnürt,  verwandelt  es  sich  in  ein  kurzes 
Röhrenstück,  durch  welches  beide  Urnierengänge  gemeinsam  und  von  hinten 
her  in  die  spätere  Kloake  münden  ( Taf.  XXI  Fig.  372.  377).  Dieses  gemein- 
same Mündungsstück  der  Urnierengänge ,  welches  nicht  aus  einer  Verschmel- 
zung ihrer  Enden  hervorgeht,  sondern  aus  dem  Darme  gleichsam  hervorge- 
zogen wird,  bildet  sich  nach  kurzer  Zeit  wieder  zurück  und  lässt  die  Urnieren- 
gänge definitiv  getrennt  münden. 

Wenn  die  Urniere  nun  in  dem  Urnierengänge  einen  unzweifelhaften  Aus- 
führungsgang besitzt ,   so  weist  der  Umstand ,   dass  sie  auch  mit  der  serösen 
Leibeshöhle  kommunicirt,  darauf  hin,  dass  sie  in  engeren  Beziehungen  zu  dieser 
im  allgemeinen  oder  gewissen  Einzeltheilen  derselben  stehe.     Allerdings  galt 
auch  bisher  schon  ein  in  der  Nähe  der  Urniere  gelegener  Gefässknäuel  für  ein 
ihr  zugehöriges  Gebilde;  aber  seine  Lage  innerhalb  der  serösen  Leibeshöhle 
war  meinen  Vorgängern  ebenso  unbekannt  wie  die  Mündungen  der  Urniere  in 
dieselbe,  und  die  Zustände  in  der  zweiten  Larvenperiode,  wann  die  Urniere  und 
ihr  Gefässknäuel  getrennt,    wenn  auch  nahe  beieinander  unter  dem  Bauchfell 
liegen,  sind  nichts  weniger  als  geeignet,  die  Beziehungen  beider  Theile  zu  ein- 
ander über  Vermuthungen  hinaus  festzustellen.     Möglich  wird  dies  nur  durch 
die  Kenntniss  der  frühesten  Entwickelungszustände  jener  Organe  und  ihrer 
Umgebung  und  durch  Vergleiche  mit  entsprechenden  Entwickelungsvorgängen 
anderer  Wirbelthierembryonen.     Hinsichtlich  des  Ersteren  finde  ich,  dass  die 
seröse  Leibeshöhle  sich  zuerst  im  Bereiche  der  noch  jungen  Urnierenanlage 
und  zwar    nur   im    nächsten   Umfange  der  peritonealen   Mündungen   dieses 
Organs  öffnet,  und  dass  dieser  beschränkte  Theil  der  Bauchhöhle,  selbst  nach- 
dem sie  sich  darunter  gleichfalls  geöffnet  hat,  dadurch  für  sich  abgeschlossen 
und  nur  mit  den  Urnierenmündungen  in  Verbindung  bleibt ,  dass  während  der 
ursprünglichen   Berührung  des  die   Urniere  einwärts  bekleidenden  Parietal- 
blattes  und  des  Visceralblattes  des  Lungendarms  im  Verlaufe  der  Lungen- 
anlagen eine  zarte  Verbindungsbrücke  entsteht,  und  einige  Zeit  bestehen  bleibt 
{Taf.  XIV,  XV).     Unterdessen  hat  sich  die  Anlage  des  Gefässknäuels  aus 
dem  Visceralblatte  gebildet,  welches  gegenüber  den  Urnierenmündungen  die 
mediale  Wand  des  bezeichneten   abgeschlossenen  Raumes   darstellt.     Diese 
Wand  treibt  zuerst  eine  längliche  horizontale  Leiste  hervor,  welche  anfangs 
wie  die  ganze  Gekrösefalte  noch  neben  der  Darmrinne  liegt  und  erst  später 
über  dieselbe  hinaufrückt  (Fig.  240.  264.  265).     Diese  Leiste  könnte  man 


824  XII.   Die  Haru-  und  die  Geschlechtsorgane. 

einige  Zeit  nach  ihrem  Entstehen  geneigt  sein  als  hohle  Ausstülpung   des 
Visceral blattes   zu   bezeichnen,    in   welche    nachträglich    locker   zusammen- 
hängende Zellen  eingewandert  seien.     Wenn  man  aber  erkannt  hat,   dass  das 
Visceralblatt  schon  vor  dieser  Bildung  in  eine  äussere  epitheliale  und  eine 
lockere  innere  Zellenschicht  zu  zerfallen  begonnen  hat  (S.  811),  und  darauf 
die  erstere  in  den  äusseren  Ueberzug  der  Leiste,  die  andere  in  deren  Inhalt 
übergehen  sieht,  so  wird  man  die  Anlage  des  Gefässknäuels  eine  solide  nennen 
müssen  und  mit  der  darunterliegenden  für  die  Lunge  bestimmten  Verdickung 
des  Visceralblattes  vergleichen  können,    an  der  auch  von  Anfang  an  zwei 
entsprechende    Zellenschichten    sich    absondern,    das  Pleuraepithel   und   die 
weniger  fest  gefügte  Anlage  der  subepithelialen  Gewebe.     Jene  unter  der  Ge- 
krösefalte entstandene  Leiste    schnürt    sich  gegen  das  übrige  Visceralblatt 
immer  mehr  ab  und  rückt  dabei  bis  zur  späteren  Gekrösewurzel  hinauf,  sodass 
daraus  erhellt,  dass  das  Mesenterium  eigentlich  nicht  aus  der  primären  Ge- 
krösefalte sondern  vom  ursprünglichen  Darmtheile  des  Visceralblattes  hervor- 
gezogen wird  (Taf.  XIII— XV).     Da  dasselbe  Verhältniss  längs  der  ganzen 
Anlage  der  bleibenden  Nieren  und  der  Geschlechtsorgaue   sich  wiederholt, 
indem  dieselben  aus  jener  primären  Gekrösefalte  hervorgehen,   will  ich  die 
letztere  die  Uro- Gen i talfalte  nennen,  mit  dem  Bemerken,  dass  sie  ausser- 
halb   des  Bereichs  der  Uro  -  Genitalorgane   die  Bedeutung   einer   einfachen 
Gekrösefalte  behält.     Jene  innere  lockere  Zellenmasse  der  Gefässknäuelanlage 
der  Urniere  verwandelt  sich  nun  ziemlich  bald  in  eine  unregelmässig  geformte 
Gefässanlage ,  die  mit  der  Aorta  nachträglich  in  Verbindung  tritt,  und  alsdann 
von  derselben  aus  mit  Blut  gefüllt  wird  {Fig.  279.  280).     Durch  zahlreiche 
Ausbuchtungen  gewinnt  der  Gefässknäuel  ein  traubiges  Aussehen,  welches  mir 
noch  dadurch  verstärkt  zu  sein  scheint,  dass  die  Zellen  der  äusseren  Epithel- 
schicht nicht  eine  glatte  Fläche  hilden,  sondern  höckerig  vorragen  {Fig.  307.  308). 
Wie  der  Kreislauf  in  diesem  Gefässknäuel  eigentlich  vor  sich  geht,   weiss  ich 
nicht  •,  doch  dürfte  derselbe  kaum  von  grösserer  Bedeutung  sein ,  da  der  ganze 
Gefässknäuel,  wie  ich  gleich  erklären  werde,  nur  eine  rudimentäre  Bildung  zu 
sein  scheint. 

Fassen  wir  die  früheren  Zustände  der  Urniere  ins  Auge,  so  ist  es  nach 
unseren  übrigen  Kenntnissen  vom  Nierenbau  sehr  nahe  gelegt,  den  vom  Gefäss- 
knäuel gleichsam  eingestülpten,  mit  den  Urnierenkaiiälon  unmittelbar 
kommunicirenden,  sonst  aber  ziemlich  vollständig  abgeschlossenen  Theil  der 
allgemeinen  Bauchhöhle  mit  dem  erweiterten,  einen  MALPrani'scheii  Gefäss- 


1.   Die  Urnieren.  825 

knäuel  umfassenden  Ende  eines  Harnkanälchcns  —  ich  will  es  kurz  „Harn- 
kanalkapsel" nennen  —  zu  vergleichen.  Nun  wird  aber  bei  unserem  Thiere 
der  Vergleich  ganz  wesentlich  durch  den  Umstand  gestört,  dass  jener  Abschluss 
des  genannten  Raums  sehr  bald  aufhört,  und  der  letztere  wieder  in  die 
allgemeine  Bauchhöhle  aufgeht,  theils  bevor,  theils  gleich  nachdem  der  Gefäss- 
knäuel Blut  aufgenommen  hat  (Taf.  XV,  XX).  Allerdings  sind  im  Grunde 
genommen  alle  Hohlräume  der  ganzen  Urniere  umgewandelte  Theile  der 
ursprünglichen  Bauchhöhlenanlage,  welche  mit  derselben  zunächst  in  Ver- 
bindung bleiben;  und  anderseits  bleibt  der  Gefässknäuel  in  seiner  ursprüng- 
lichen Lage ,  dicht  vor  den  Mündungen  der  Urniere ,  sodass ,  solange  er  ein 
Exkret  liefern  sollte ,  dieses  zum  Theil  von  den  Urnieren  aufgenommen  werden 
könnte,  also  der  zwischen  beiden  befindliche  Raum  seiner  ihm  ursprünglich 
bestimmten  Aufgabe  getreu  bliebe.  Immerhin  lässt  sich  nicht  läugnen,  dass 
durch  seine  vollständige  Eröffnung  in  die  Bauchhöhle  die  ganze  Einrichtung  des 
harnleitenden  Apparats  mangelhaft  geworden  ist,  gegenüber  der  ersten  Anlage 
eine  Rückbildung  erfahren  hat,  sodass  man  fragen  könnte,  ob  die  Aehnlichkeit 
der  in  Rede  stehenden  Bildungen  mit  den  bekannten  Einrichtungen  eines 
Harnapparats  allein  genügt,  den  oben  ausgeführten  Vergleich  zu  begründen, 
und  ob  nicht  die  Urnierenanlage  im  engeren  Sinne  mit  der  sie  durchströmen- 
den Stammvene  für  sich  allein  einen  primitiven  Harnapparat  darstelle  und  mit 
dem  Gefässknäuel  gar  nicht  in  Verbindung  zu  bringen  sei.  Die  Untersuchung 
des  Forellenembryo  hat  mir  einen  vollkommen  entscheidenden  und  befriedigen- 
den Aufschluss  über  jene  bei  den  Batrachiern  zweifelhaften  Verhältnisse  gelie- 
fert. Bekanntlich  hat  Rosenberg  den  Nachweis  geliefert,  dass  die  Teleostier- 
niere  im  allgemeinen  aus  zwei  verschiedenen  Anlagen  hervorgehe,  von  denen 
die  eine  (Kopfnierej  der  Urniere,  die  andere  (Bauch-  und  Kaudaluiere)  der 
bleibenden  Niere  zunächst  der  Batrachier  entspreche  (Nr.  156).  Ich  kann  dieses 
Resultat  nach  meinen  Beobachtungen  an  der  Forelle  im  allgemeinen  durchaus 
bestätigen,  muss  aber  eben  desshalb  die  Entwickelung  der  Kopfniere  des 
Hechtes,  wie  sie  uns  Rosenbekg  beschreibt,  für  viel  weniger  geeignet  erklären, 
um  jene  Homologie  nachzuweisen.  Rosenberg's  Darstellung  lautet  folgender- 
massen  (a.  a.  0.  S.  41  u.  flg.).  Der  Urnierengang  entsteht  als  Ausstülpung  der 
Hautplatte  (Parietalblatt)  und  schnürt  sich  darauf  von  derselben  zu  einem  ge- 
schlossenen Kanal  mit  blindem  Vorderende  ab ;  das  letztere  erweitert  sich  in 
der  Folge ,  rückt  über  der  ursprünglichen  Gekrösefalte  (Uro  -  Genitalfalte) 
medianwärts  gegen  die  Aorta  vor  und  wird  alsdann  von  einer  aus  der  letzteren 


826  XII.   Die  Harn-  und  die  Geschlechtsorgane. 

hervorwachsenclen  Gefässschlinge  eingestülpt,  wodurch  eben  der  Gefässknäuel 
der  Urniere  entstehe.     Eine  darauf  folgende  Aufknäuelung  des  Urnierengangs 
in  der  Gegend  des  vom  Gefässknäuel  eingestülpten  Endes  bilde  die  eigentliche 
Urniere ;  die  beiden  Gefässknäuel  vereinigen  sich  unter  der  Aorta  zu  einem 
Körper.  —  Meine  an  Forellenembryonen  angestellten  Untersuchungen  ergeben 
etwas  andere  Resultate.  Während  der  Urnierengang  in  seinem  grössten  Theile 
sich  vom  Parietalblatte  abschnürt,  ist  sein  Kopfende  von  Anfang  an  in  einer 
solchen  Ausdehnung  angelegt,    dass  die  mediale  Abschnürungsfalte  sich  auf 
dem  Visceralblatte  des  Darms  befindet  (Taf.  XXII  Fig.  382).     Dieses  Kopf- 
ende des  Urnierengangs  oder  die  von  seinem  übrigen  Verlaufe  so  wesentlich 
unterschiedene  Anlage  der  eigentlichen  Urniere   erscheint  daher  von  ihrer 
engen  Mündung  in  die  Bauchhöhle  auswärts  zum  Uebergange  in  den  Urnieren- 
gang, einwärts  aber  in  die  Uro-Genitalfalte  ausgebuchtet  und  kommt  daher 
dort  in  Folge   des   Zusammentreffens   beider   Uro  -  Genitalfalten   mit   ihrem 
Gegenstücke  in  Berührung.     Die  unter  dieser  medialen  Bucht  der  Urnieren- 
anlage  gelegene  Visceralblattfalte  ist  gleich  anfangs  so  breit,   dass  nur  ihr 
unterer  Rand  mit  der  gegenüberstehenden  Parietalblattfalte  sich  zum  Abschluss 
der  ganzen  Urniere  verbindet,    während  ihr  oberer  Theil  die  Lichtung  der 
letzteren  lateralwärts  verengt  und  alsbald  wie  ein  eingedrückter  Theil  ihrer 
Innenwand  erscheint.     Es  ist  dies,   wie  sich  aus  dem  Folgenden  ergibt,    die 
ursprüngliche  Anlage  des  Gefässknäuels.     Während  dieser  Bildungen  ist  eine 
Aorta  noch  gar  nicht  vorhanden  und  sind  die  sich  berührenden  medialen 
Enden  beider  Urnieren  oder  eben  die  Uro-Genitalfalten  von  der  Wirbelsaite 
durch  die  zusammengeflossenen  unteren  Theile  der  inneren  Segmentblätter  ge- 
trennt.    Indem  sich  darauf  der  Darmblattschlauch  senkt  und  so  zwischen  den 
Anlagen  der  Gefässknäuel  heraustritt,  schnürt  sich  das  Visceralblatt  jederseits 
an  der  Grenze  dieser  beiden  Theile  ein ;  und  indem  beide  Blätter  sich  dort  zum 
definitiven  Gekröse  vereinigen ,  scheiden  sie  den  Darm  vollends  von  den  beiden 
nun  mehr  gegen  einander  offenen  Gefässknäuelanlagen  ab  (Fig.  383).     Unter- 
dessen hat  sich  im  Innern  der  letzteren  gerade  so  wie  bei  den  Batrachiern  eine 
lockere  Zellenmasse  angesammelt,  welche  durch  ein  geringes  Auseinander  - 
weichen   der  sie  oben  abschliessenden  Uro-Genitalfalten  zunächst  mit  dem 
erwähnten  Bildungsgevvebe  der  Segmente  und  durch  dieses  mit  der  gleichzeitig 
gebildeten  und  der  Wirbelsaite  dicht  angefügten  Aorta  in  Verbindung  tritt. 
Diese  Innenmasse  der  Gefässknäuelanlagen  kann,   solange  die  Uro-Genital- 
falten in  Berührung  bleiben,  nur  vom  Visceralblatte  selbst  abstammen;  später 


1.   Die  Urnieren.  827 

mögen  reichliche  Dotterbildungs-  oder  Blutzellen  dieses  Bildungsgewebe  ver- 
mehren, aus  welchem  die  Gefässanlagen  jedenfalls  unabhängig  von  der  Aorta 
entstehen.  —  Es  erhellt  aus  dem  Voranstehenden,  dass  bei  der  Forelle 
abweichend  von  der  RosENBEBG'schen  Darstellung  bezüglich  des  Hechtes 
1.  das  Kopfende  des  Urnierengangs  den  ganzen  Bereich  der  Uro -Genitalfalte 
mit  umfasst ,  also  auch  einen  Theil  des  Visceralblattes  einschliesst ,  dadurch 
aber  von  Anfang  an  als  besondere  Anlage  der  eigentlichen  Urniere  sich  dar- 
stellt, 2.  dass  das  eingeschlossene  Visceralblattstück  den  Gefässknäuel  unab- 
hängig von  der  späteren  Verbindung  mit  der  Aorta  anlegt,  3.  dass  der  zwischen 
denselben  und  den  Anfang  des  eigentlichen  Urnierengangs  ohne  Lage- 
veränderung eingeschlossene  Abschnitt  der  serösen  Rumpfhöhle  zu  einer  Harn- 
kanalkapsel wird.  Die  Richtigkeit  der  RosENBERG'schen  Darstellung  voraus- 
gesetzt, erscheinen  die  Unterschiede  zwischen  derselben  und  meinen  Unter- 
suchungen in  Bezug  auf  die  allgemeine  Auffassung  nicht  bedeutend ,  da  man 
eigentlich  nur  die  Grenze  von  Parietal-  und  Visceralblatt  zu  verschieben 
braucht,  um  im  wesentlichen  auf  dasselbe  Resultat  hinauszukommen.  Nur  in 
Betreff  der  Gefässknäuelbildung  von  der  Aorta  her,  worüber  Rosenberg  selbst 
übrigens  sich  nicht  ganz  sicher  ausspricht  (Nr.  156  S.  48),  muss  ich  seine  An- 
gaben schon  desshalb  bezweifeln,  weil  es  unwahrscheinlich  klingt ,  dass  die 
Aorta  erst  über  den  beiden  Urnieren,  dann  ganz  zwischen  ihnen  und  endlich 
wieder  über  ihnen  liege  (vgl.  Nr.  156  Fig.  I ,  II,  VI) .  Für  den  Vergleich  mit 
den  Batrachiern  ist  aber  der  Befund  an  den  Forellenembryonen  ungleich 
geeigneter.  Die  Harnkanalkapsel  ihrer  Urniere  mit  der  ursprünglich  in  sie 
eingeschlossenen  Uro-Genitalfalte  und  den  Getässknäuelanlagen  entspricht  auf 
das  vollständigste  jener  zweifelhaften  Harnkanalkapsel  der  Urniere  bei  den 
Batrachiern,  welche  sich  von  der  ersteren  nur  dadurch  unterscheidet,  dass  sie 
den  unvollkommenen  Abschluss  gegen  die  Bauchhöhle  alsbald  völlig  zurück- 
bildet und  dadurch  den  eingeschlossenen  Theil  der  ursprünglichen  Bauchhöhle 
ihr  wieder  zurückgibt  (vgl  F'kj.  ,278—280.  360.  382.  383).  Diese  Eröffnung 
und  Zurückbildung  der  Harnkanalkapsel  macht  es  aber  sehr  unwahrscheinlich, 
dass  der  Gefässknäuel  dennoch  weiter  funktionirte,  weil  unter  solchen  Um- 
ständen gerade  der  grössere  Theil  des  Sekrets  unfehlbar  in  der  Bauchhöhle 
sich  ansammeln  müsste;  und  anderseits  ist  aus  ähnlichen  Gründen  die  Fort- 
dauer der  peritonealen  Urnierenmündungen  sehr  zweifelhaft.  Wenn  es  daher 
feststeht,  dass  die  Urniere  wenigstens  der  Unkenlarven  der  Kopfniere  der 
Forelle  vollständig  homolog  angelegt  wird,  so  sprechen  doch  alle  Beobachtungen 


g28  XII.   Die  Harn-  und  die  Geschlechtsorgane. 

dafür,  dass  von  der  ersteren  der  mediale  Gefässkiiäueltheil  rudimentär  bleibt 
und  sehr  bald  bis  zur  Funktionsunfähigkeit  sich  zurückbildet,  dass  aber  der 
laterale  Theil  alsdann  für  sich  allein,  durch  die  unmittelbare  Wechselwirkung 
zwischen  den  gewundenen  Röhren  und  dem  sie  allseitig  unispülenden  Stamm- 
venenblut, in  der  Art  einer  einfachen  Knäueldrüse,  z.  B.  einer  Schweissdrüse, 
funktionirt.  Bekanntlich  verödet  aber  auch  die  Urniere  noch  in  der  Larven- 
zeit, während  der  Urnierengang  eine  andere  Bestimmung  erhält. 

2.  Die  bleibenden  Nieren. 

Diese  Organe  entwickeln  sich  aus  der  Uro-Genitalfalte  ohngefähr  vun  der 
Stelle  an,  wo  der  absteigende  Hohlvenenabschnitt  sich  später  mit  der  rechten 
Stammvene  verbindet,  bis  gegen  das  Schwanzende  hin.  In  jener  Falte  behal- 
ten die  Embryonalzellen  ihre  ursprüngliche  Grösse,  während  sie  im  übrigen 
Parietal-  und  Visceralblatte  noch  in  der  ersten  Larvenperiode  nach  Ablösung 
einer  inneren  lockeren  Schicht  von  Bildungsgewebe  an  der  freien  Oberfläche 
zum  Peritonealepithel  werden.  Etwa  zur  Zeit ,  wann  die  Stammvenen  unter 
den  medialen  Rand  der  Segmente  vorrücken,  dringen  die  grosszelligen  Uro- 
Genitalfalten  jederseits  in  einer  Reihe  von  schlauchförmigen  Sprossen  zwischen 
die  Aorta  und  die  Stammvenen  ein ;  diese  hohlen  Sprossen  schliessen  sich  dabei 
bis  auf  eine  Spaltöffnung,  welche  die  beiden  Blätter  bleibend  auseinanderhält 
(Taf.  XI  Fig.  197.  198,  Taf.  XXI  Fig.  372. 376).  Während  darauf  die  beiden 
Stammvenen  zur  Medianebene  zusammenrücken,  werden  jene  Sprossen  der 
Uro  -  Genitalfalten  seitwärts  über  die  Venen  und  die  ihnen  aussen  anliegenden 
Urnierengänge  gehoben  und  endlich  von  ihren  zwischen  den  Venen  zusammen- 
gedrückten Stielen  abgelöst.  Die  auf  diese  Weise  von  den  Uro-Genitalfalten 
getrennten  und  in  das  Bildungsgewebe  des  Retroperitonealraums  eingebetteten 
kleinen  Schläuche  sind  nun  die  Anlagen  der  bleibenden  Nieren;  die  an  der 
Gekrösewurzel  zurückbleibenden  Reste  der  Uro-Genitalfalten  entwickeln  da- 
gegen die  Geschlechtsorgane.  Die  Zellen,  welche  die  spaltförmige  Lichtung 
der  getrennten  Nierenschläuche  umschliessen,  nehmen  alsbald  nicht  nur  an 
Zahl,  sondern  nach  der  Umwandlung  der  Dottersubstanz  auch  an  Masse  zu;  in 
Folge  davon  beginnen  die  Schläuche  sich  auszudehnen  und  erhalten  eine 
grössere,  stetig  wachsende  Lichtung.  Dabei  zieht  sich  aber  der  gedrungene, 
dickwandige  Schlauch  nicht  etwa  gleichmässig  zu  einer  schlanken  Röhre  aus, 
sondern  die  Ausdehnung  überwiegt  sehr  bald  am   unteren  Umfang,   welcher 


2.   Die  bleibenden  Nieren.  S29 

röhrenförmig  und  wegen  des  beengten  Raumes  immer  mehr  sich  aufwindend 
zwischen  die  Hohlvene  und  den  Urnierengang  hervorwächst ,  welcher  letztere 
dadurch  seitwärts  gedrängt  wird ;  der  obere  Theildes  ursprünglichen  Schlauches 
bleibt  aber  gleichsam  als  Vorrath  für  die  fortdauernde  Ausdehnung  der  von 
ihm  ausgehenden  schlanken  Röhren  noch  einige  Zeit  in  der  früheren  Gestalt, 
nämlich  als  sehr  enger,  dickwandiger  Blindsack  ,  dessen  grosse  Zellen  ausser- 
ordentlich gedrängt  erscheinen  und  ganz  allmählich  in  das  flachere  Epithel 
der  relativ  fertigen  Harnkanälchen  übergehen.  Dies  erkennt  man  an  Quer- 
durchschnitten, welche  aber  wegen  der  vielfachen  Windungen  der  auswach- 
senden Harnkanälchen  deren  ganzen  Verlauf  und  Zusammenhang  nicht  über- 
sehen lassen.  Präparirt  man  die  ganzen  Nierenanlagen  einer  Seite  aus  jungen 
Larven  im  Beginn  der  zweiten  Larvenperiode  heraus  und  bringt  sie  im  Zusam- 
menhange unter  das  Mikroskop,  so  erkennt  man  sofort,  dass  die  Entwickelung 
der  Nierenanlagen  vom  früher  beginnt  und  schneller  fortschreitet  als  hinten, 
wodurch  während  längerer  Zeit  die  Nieren  rückwärts  verjüngt  auslaufen  {Taf. 
XX  Fig.  363).  Dieser  Umstand  gewährt  den  Vortheil,  die  einzelnen  Ent- 
wickelungsstadien  neben  einander  verfolgen  zu  können,  wobei  ich  darauf  auf- 
merksam mache,  dass  die  Salamandra  maculata  viel  schönere  und  klarere  Bil- 
der der  Nierenentwickelung  bietet,  als  alle  anderen  von  mir  untersuchten  Ba- 
trachier.  Solche  Präparate  lassen  nun  weiter  erkennen,  dass  jeder  primitive 
Nierenschlauch  nicht  etwa  in  eine  einzige  Röhre,  sondern  in  eine  ganze  Gruppe 
von  solchen  auswächst,  worauf  einzelne  dieser  röhrenförmigen  Auswüchse  sich 
vom  Stamme  ablösen  und  selbstständig  weiter  wachsen  und  sich  aufwinden 
{vgl.  Taf.  XXI  Fig.  375  und  Nr.  64  Fig.  46).  So  entstehen  anfangs  neben 
einander  liegende  getrennte  Knäuel  von  kürzeren  und  längeren  Röhren,  welche 
aber  während  des  weiteren  Wachsthums  zusammenstossen  und  sich  verbinden; 
denn  wenn  es  auch  nicht  möglich  ist,  die  einzelnen  gewundenen  Röhren  zu 
isoliren  und  ihren  ganzen  Verlauf  zu  verfolgen,  so  schliesse  ich  doch  auf  jene 
sekundären  Verbindungen  der  ursprünglich  getrennten  Anlagen  aus  dem 
Umstände,  dass  später  auch  keine  Spur  jener  Trennung  bei  der  Unke  anzutref- 
fen ist.  Ziemlich  frühe  erscheinen  die  Anlagen  der  Gefässknäuel  da- 
bleibenden Nieren ;  welche  so  wenig  wie  an  der  Urniere  Erzeugnisse  schon  be- 
stehender Gefässe  sind ,  vielmehr  vollständig  aus  den  primitiven  Nierenschläu- 
chen  selbst  hervorgehen,  wie  es  bereits  Kupffer  von  den  Säugethieren  angab 
(Nr.  151).  Dies  ergibt  sich  einfach  daraus,  dass  die  Gefässknäuel  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  entwickelt  erscheinen,  bevor  noch  irgend  ein  Gefäss  in  der 


830  XII.   Die  Harn-  und  die  Geschlechtsorgane. 

Niere  auftritt.  Ich  sehe  nämlich  einzelne  der  blinden  Röhrenenden  sich  ver- 
dicken, sodass  ein  Zellenpfropf  nach  innen  gegen  die  Lichtung  vorwächst-,  in- 
dem sich  nun  die  letztere  um  den  kugeligen  Pfropf  ausdehnt,  erscheint  das 
blinde  Röhrenende  kapselartig  erweitert  und  gleichsam  seine  Mündung  von  dem 
ersteren  ausgefüllt  (Fig.  375).  In  dem  Masse  als  der  Zellenpfropf  wächst, 
platten  sich  die  Zellen  der  dadurch  erweiterten  Kapsel  immer  mehr  ab,  sodass 
sie  am  Uebergange  in  das  unveränderte  Harnkanälchen  ziemlich  unvermittelt 
an  dessen  dickere  Elemente  sich  anschliessen.  Einen  Uebergang  dieses  Platten- 
epittiels  auf  die  Innenfläche  des  Zellenpfropfes  oder  was  dasselbe  ist,  eine 
epitheliale  Absonderung  der  diese  Fläche  bildenden  Zellen  habe  ich  nicht 
erfolgen  sehen,  ebenso  wenig  alle  Stufen  der  Vaskularisirung  jener  Gefässknäuel- 
anlage  verfolgt;  nach  den  Erfahrungen  bei  der  Urniere  zu  schliessen,  dürften 
auch  in  der  Niere  die  kompakten  Zellenmassen  jener  Anlagen  sich  erst  zu  einem 
lockeren  Bildungsgewebe  ausdehnen,  bevor  Fortsetzungen  der  die  Zwischenräume 
der  Niere  durchziehenden  Gefässe  in  sie  eindringen.  Ob  alle  einzelnen  primi- 
tiven Harnkanälchen  Gefässknäuel  bilden,  weiss  ich  nicht ;  doch  unterscheiden 
sich  die  mit  solchen  versehenen  in  keiner  Hinsicht  von  anderen ,  welche  diesel- 
ben noch  nicht  besitzen,  vielleicht  auch  nie  erhalten.  Und  wenn  es  auch  nicht 
gelingt,  die  späteren  Verbindungen  der  auswachsenden  Harnkanälchen  zu  ver- 
folgen, so  glaube  ich  doch  annehmen  zu  dürfen,  dass  sie  ohne  ein  bestimmtes 
Gesetz  aus  den  zufälligen  Anpassungen  der  Lage  und  der  beginnenden  Funktion 
erfolgen ,  ähnlich  wie  es  bei  den  Gefässverbindungen  geschieht.  Die  Verbin- 
dung der  Harnkanälchen  mit  dem  Urnierengange  erfolgt  erst  in  der  Mitte  des 
Larvenlebens.  Schon  vorher  war  dessen  mediale  Wand  durch  die  einzelnen 
Gruppen  der  Harnkanälchen  eingedrückt,  sodass  er  zwischen  denselben  scharfe 
Vorsprünge  erhält  (Fig.  375).  Auch  dieses  Verhalten  finde  ich  an  Salamander- 
larven deutlicher  ausgeprägt.  Von  diesen  Vorsprüngen  entwickeln  sich  kurze 
Röhrenstämmchen,  welche  aber  dünner  sind  als  die  Harnkanälchen,  daher  nach 
ihrer  Verbindung  mit  denselben  sich  immer  vor  ihnen  auszeichnen.  Auch  finde 
ich  sie  bei  den  Unkenlarveu  gewöhnlich  ebenso  pigmentirt  wie  den  Urnieren- 
gang ,  sodass  man  sie  auf  den  ersten  Blick  unterscheiden  und  ihren  geringeren 
Durchmesser  erkennen  kann.  Wie  diese  Mündungsstücke  der  bleibenden  Niere 
sich  von  dem  Urnierengange  bis  zu  seinem  letzten  Abschnitte  ablösen,  habe  ich 
nicht  weiter  beobachtet,  bin  aber  von  der  Richtigkeit  der  Angabe  Wittich's 
überzeugt,  dass  dies  durch  allmählich  fortschreitende  Abspaltung  erfolge 
(Nr.  o7  S.  139).   Nur  muss  dazu  bemerkt  werden,  dass,  wie  es  Leyjbig  nnzwei- 


3.   Die  Geschlechtsorgane.  831 

deutig  nachwies  (Nr.  81  S.  73,  Taf.  III  Fig.  25.  26),  Wittich  sich  entschieden 
versehen  hat,  wenn  er  jene  Abspaltung  gerade  für  die  männlichen  Unken  in 
Abrede  stellt  und  den  Urnierengang  in  den  Harnsamengang  sich  verwandeln 
lässt  (Nr.  37  S.  135). 

3.  Die  Geschlechtsorgane. 

Was  von  der  grosszelligen  Uro  -  Genitalfalte  nach  der  Abschnürung  der 
Nierenschläuche  an  der  Gekrösewurzel  zurückbleibt,  dient  zur  Anlage  der  Ge- 
schlechtsorgane; und  zwar' beginnt  ihre  Entwickelung  zuallerletzt  von  allen  aus 
den  Embryonalanlagen  hervorgehenden  Körpertheilen.    Daher  schwindet  auch 
die  Dottersubstanz  in  den  grossen  Zellen  der  Geschlechtsdrüsenanlagen  später 
als  in  allen  übrigen  Zellen  des  Larvenkörpers.  Diese  Zellen  rücken  im  Anfange 
der  zweiten  Larvenperiode  an  der  Gekrösewurzel,  unter  dem  späteren  medialen 
Rande  der  Niere  zusammen  und  bilden  jederseits  eine  lange  Leiste,  welche  durch 
die  unregelmässig  neben  und  hinter  einander  angeordneten  grossen  runden 
Zellen  ein  traubiges  Ansehen  hat  ( Taf  XXI  Fig.  372. 377).  Bei  ihrer  weiteren 
Entwickelung  sondert  sich  diese  Leiste  in  zwei  Abschnitte.     Der  kleinere  vor- 
dere, welcher  auf  die  nächste  Umgebung  des  Ursprungs  des  absteigenden  Hohl- 
venenabschnittes  beschränkt  ist ,  beginnt  sehr  bald  kleine  Sprossen  gegen  die 
Bauchhöhle  zu  treiben ,  welche  fingerförmig  auswachsen  und  sich  in  den  be- 
kannten Fettkörper  verwandeln  {Taf.  XX  Fig.  363).     Der  hintere  längere 
Abschnitt  der  Leiste,  die  eigentliche  Geschlechtsdrüsenanlage,  wächst  unter  Ver- 
kleinerung und  Vermehrung  ihrer  Zellen  gleichmässig  nach  unten  aus ,  wobei 
insbesondere  ihre  oberflächliche  Zellenlage  sich  dem  übrigen  Peritonealepithel 
kontinuirlich  anschliesst.  Dadurch  kann  unter  Umständen  das  Bild  einer  Falte 
entstehen,  deren  Inneres  mit  anderen  Zellen  angefüllt  ist  (Fig.  1.  2).     Doch 
lässt  sich  die  ganze  Leiste  leicht  auf  eine  einfache  Verdickung  der  Zellenschicht 
der  Uro-Genitalfalte,  also  auf  eine  durchaus  einheitliche  Anlage  zurückführen, 
und  zeigt  sich  auch  fernerhin  kein  Unterschied  in  der  Entwickelung  ihrer  peri- 
pherischen und  centralen  Elemente,  wie  ich  es  schon  in  der  Entwicklungs- 
geschichte des  Eierstocks  hervorhob ,  welche  mit  der  eben  beschriebenen  Ent- 
wickelungsstufe  begann  (vgl.  S.  10  u.  flg.).  Es  wurde  dort  auch  schon  bemerkt, 
dass  die  Geschlechtsdrüsenanlagen  anfangs  geschlechtlich  nicht  geschieden  sind, 
sodass  die  ganze  Beschreibung  der  ersten  Umbildung  jener  Zellenmassen  so- 
wohl für  den  Eierstock  wie  für  den  Hoden  gilt.     Auch  der  letztere  entwickelt 


832  XTI.    Die  Harn-  und  die  Geschlechtsorgane. 

sich  also  aus  den  durch  Zellenverschmelzung  entstandenen  Follikeln,  sodass 
seine  endliche  Bildung  sich  erst  durch  nachträgliche  Abweichungen  vom  Bil- 
dungsgange des  Eierstockes  ergibt.  Die  letzteren  beginnen  allerdings  schon 
vor  der  Larvenmetamorphose,  fallen  aber  anfangs,  wenn  man  die  Entwickelung 
nur  vorwärts  verfolgt,  nicht  in  die  Augen.  Denn  einmal  treten  sie  bei  dem 
langsamen  Fortschritte  der  Geschlechtsdrüsenentwickelung  nur  sehr  allmählich 
auf,  und  zweitens  betreffen  sie  zunächst  noch  keine  Neubildungen,  sondern  be- 
stehen vielmehr  in  einer  Art  Stillstand  der  begonnenen  und  in  ihrem  direkten 
Fortgange  zur  Eierstocksbildung  führenden  Follikelentwickelung.  Statt  dass 
nämlich  die  einzelnen  noch  indifferenten  Follikel  durch  energisches  Wachsthum 
sich  zu  den  Anlagen  junger  Eierstockseier  ausbilden,  bleiben  sie  in  den  künf- 
tigen Hoden  im  Wachsthum  durchaus  zurück,  sodass,  während  immer  neue 
dazu  entstehen,  die  älteren  sich  viel  weniger  von  denselben  unterscheiden  als 
in  den  Eierstocksanlagen.  Daher  erscheinen  die  Hodenanlagen  beinahe  bis 
zum  Eintritt  der  Larvenmetamorphose  nur  als  in  der  Entwickelung  etwas  zurück- 
gebliebene Eierstöcke,  die  sich  daher  mehr  äusserlich,  durch  die  schmächtigere 
kürzere  Gestalt  vor  den  andern  auszeichnen.  Dieser  Eindruck  wird  noch  da- 
durch verstärkt,  dass  unter  den  der  Metamorphose  entgegengehenden  Larven, 
deren  relatives  Alter  oder  Zustand  der  Reife  durch  äussere  Merkmale,  die  Aus- 
bildung des  Kopfes  und  der  Glieder,  Rückbildung  des  Schwanzes  u.  s.  w.,  leicht 
bestimmt  werden  kann,  unter  gleichen  Umständen  und  im  allgemeinen  die 
künftigen  Weibchen  die  Männchen  an  Grösse  übertreffen.  Ich  will  damit  na- 
türlich nicht  ohne  weiteres  das  Gesetz  aufstellen,  dass  die  kräftigere  Ernährung 
des  Larvenkörpers  unbedingt  das  weibliche  Geschlecht  erzeuge;  wenn  aber  die 
erste  Scheidung  der  indifferenten  Genitaldrüsenanlagen  nach  dem  Geschlechte 
nachweislich  dadurch  erfolgt,  dass  die  Entwickelung  derselben  bei  den  künfti- 
gen Männchen  gegenüber  derjenigen  der  künftigen  Weibchen  zurückbleibt,  und 
damit  auch  das  Wachsthumsverhältniss  des  ganzen  Körpers,  wenigstens  bei  den 
äussersten  Grössenunterschieden  meist  übereinstimmt,  so  sehe  ich  nicht  ein, 
warum  man  der  Ernährung  der  Larven  nicht  einen  wesentlichen  Einfluss  auf 
die  Erzeugung  der  Geschlechter  einräumen  sollte. 

Sehen  wir  uns  die  Textur  der  Hodenanlagen  älterer  Larven  an,  so  erscheinen 
manche  Follikel  ganz  unverändert,  einkernig,  aber  gegenüber  den  gleich  alten 
Eifollikeln  sehr  klein ;  ich  halte  sie  wegen  ihrer  relativen  Formvollendung  für 
die  ältesten  Follikel.  An  den  anderen,  jüngere  Entwicklungsstufen  darstellen- 
den Follikeln  fällt  es  auf,  dass  die  Verschmelzung  der  centralen  Zellenkerne 


3.   Die  Geschlechtsorgane.  333 

zu  keimbläschenartigen  Bildungen  nirgends  über  die  ersten  Anfänge  hinaus 
fortgeschritten  ist,  und  anderseits  umgekehrt  wie  in  den  Eierstocksanlagen  mit 
der  Grösse  der  Follikel  nicht  zu-  sondern  abnimmt,  sodass  die  grossesten 
Follikel  auch  am  weitesten  zurückgeblieben  erscheinen,  die  am  meisten  ge- 
trennten Kerne  enthalten.  Es  versteht  sich  daraus,  dass  solche  Follikel  weniger 
klar  sind  als  die  kleineren  mehr  eiähnlichen  und  daher  dem  frischen  Organ  ein 
etwas  fleckiges  Ansehen  verleihen.  Eine  bestimmte  Anordnung  der  beiderlei 
Follikelformen,  sodass  die  einkernigen  kleinen  und  klaren  ausschliesslich  die 
Oberfläche,  die  anderen  also 'das  Innere  des  Organs  einnähmen  (Wittich),  muss 
ich  nach  der  Untersuchung  zahlreicher  querer  und  longitudinaler  Durchschnitte 
vollständig  in  Abrede  stellen-,  sie  sind  unterschiedslos  durch  das  ganze  Organ 
vertheilt,  und  nur  an  einzelnen  Stellen  sah  ich  bei  Fröschen  die  kleineren 
Follikel  kränz-  oder  röhrenförmig  um  die  grösseren  angeordnet,  aber  natürlich 
ohne  Bezug  auf  Peripherie  und  Centrum  des  Organs.  Vergleicht  man  nun 
wieder  die  einzelnen  Follikel  mit  einander,  so  ergiht  sich  ferner,  dass  die 
grossesten,  scheinbar  am  meisten  gewachsenen  nicht  nur  die  am  meisten  ge- 
trennten, sondern  auch  die  zahlreichsten  Kerne  einschliessen.  Ueberlegt  man, 
dass  die  ganzen  Hodenanlagen  in  jener  Zeit  gar  nicht  wachsen,  und  da  eine 
wirkliche  Atrophie  einzelner  Follikel  nicht  zu  konstatiren  ist,  auch  die  übrigen 
sich  nicht  wohl  durch  Wachsthum  vergrössert  haben  können,  so  bleibt  nur  die 
Annahme  übrig,  dass  sie  aus  der  Verschmelzung  mehrer  kleiner  Follikel  hervor- 
gingen. Dies  ergibt  sich  auch  immer  deutlicher  an  den  jungen  Unken  nach  be- 
endigter Larvenmetamorphose:  die  Follikel  —  um  zunächst  noch  bei  diesem 
Ausdrucke  zu  bleiben  ■  werden  immer  weniger  zahlreich,  indem  an  Stelle 
vieler  geschwundener  nur  einzelne  ganz  grosse  Follikel  treten,  an  denen  oft  die 
Spuren  der  Verschmelzung  aus  einer  (huppe  kleinerer  in  den  Resten  ihrer 
früheren  Wände  deutlich  wahrzunehmen  sind,  und  welche  daher  geräumige  und 
unregelmässig  ausgebuchtete  Höhlungen  mit  einer  ausserordentlich  grossen  An- 
zahl freier  Zellenkerne  im  Innern  darstellen.*  An  jungen  Unken ,  die  ich  nach 
ihrer  Grösse  für  mindestens  einjährige  halten  musste,  waren  die  kleinen  ein- 
kernigen Follikel  bloss  auf  die  engen  Zwischenräume  zwischen  jenen  grossen 
Höhlen  beschränkt,  die  letzteren  aber  in  ihrem  Inhalte  nicht  verändert,  woraus 


*  Ich  habe  Abbildungen  der  Hodenentwickelung  mir  ersparen  zu  können  geglaubt,  da 
man  sich  an  den  Bildern  der  embryonalen  Eierstöcke  bloss  die  vielkernigen  Follikel  im 
Verhältniss  zu  den  einkernigen  ausserordentlich  vergrössert  zu  denken  braucht,  um  das 
Bild  der  bezüglichen  Struktur  des  Hodens  zu  erhalten. 

Goette,   Entwiekelungägesehiehte.  53 


g34  XII.   Die  Harn-  und  die  Geschlechtsorgane. 

hervorgeht,  dass  die  Entwicklung  der  eigentlichen  Hodensubstanz  vollständig 
in  das  spätere  Lehen  unseres  Thieres  gehört.  Ich  habe  sie  auch  nicht  weiter 
verfolgt  als  bis  zu  dem  angegebenen  Zeitpunkte,  glaube  aber,  dass  in  den  be- 
schriebenen schlauchförmigen  Höhlen  die  Anlagen  der  Hodenschläuche  un- 
zweifelhaft erkannt  werden  dürfen. 

Ein  Rückblick  auf  die  Entwicklung  der  beiderlei  Geschlechtsdrüsen  liefert 
das  Ergebniss,  dass  beide  Formen  aus  völlig  gleichen  Anlagen  hervorgehen 
und  sich  erst  dadurch  scheiden,  dass  im  künftigen  Eierstocke  die  einmal  be- 
gonnene Entwickelung  in  der  Follikelbildung  fortdauert,  im  künftigen  Hoden 
dagegen  neben  einem  Stillstande  in  der  Fortbildung  der  schon  fertigen  Follikel 
die  Ausbildung  der  jüngeren  auf  einer  niedrigeren  Stufe  stehen  bleibt,  sodass 
wenigstens  für  die  Anlage  des  Hodens  der  Ausdruck  berechtigt  erscheint ,  die- 
selbe gehe  hervor  aus  einem  gewissen  Rückschritte  des  früher  eingeschlagenen 
und  im  Eierstocke  fortdauernd  eingehaltenen  Entwicklungsganges.  Die  fertige 
Hodenbildung  ist  aber  das  Resultat  weiterer  sich  an  den  letzteren  Zustand  an- 
schliessenden histologischen  Umbildungen. 

Da  die  Ausführungsgänge  der  Sexualdrüsen  der  Batrachier  theils  im 
Urnierengange  (Eileiter),  theils  in  gewissen  Abschnitten  der  Niere  und  ihrer  aus- 
führenden Kanäle  (Samenleiter)  gegeben  sind,  so  halte  ich  eine  Wiederholung 
der  Untersuchungen  Wittich's  und  Letdig's  nicht  für  geboten. 


Bekanntlich  war  es  J.  Mueller,  welcher  die  Urnieren  der  Amphibien- 
larven entdeckte  und  sie  als  von  dem  Ende  des  Urnierengangs  ausstrahlende 
Blinddärmchen  beschrieb,  denen  ein  weissliches  Körperchen  anliege,  während 
die  eigentlichen  Nieren  anfangs  aus  einer  Reihe  gestielter  Körperchen  bestän- 
den (Nr.  10  S.  10 — 12).  Biddeb,  erkannte  in  dem  der  Urniere  locker  anlie- 
genden Körperchen  einen  MALPiGHi'schen  Gefässknäuel  (Nr.  157  S.  58);  Wit- 
tich verbesserte  wiederum  die  Beschreibung  J.  Mueller's  dahin,  dass  die 
Urniere  nicht  aus  einer  Quaste  von  Blinddärmchen,  sondern  bei  Bombinator 
und  Triton  aus  einem  einzigen  aufgewundenen  Kanäle  bestehe,  welcher  bei  den 
anderen  Batrachiern  verzweigt  sei.  Er  hält  es  daher  für  wahrscheinlich,  dass 
das  Vorderende  des  Urnierengangs,  welcher  solid  zu  entstehen  scheine,  sich  in 
mehre  Aeste  ausbuchte,  die  sich  darauf  zu  einem  Knäuel  aufwinden;  ebenso 
seien  die  Anlagen  der  bleibenden  Nieren,  die  von  J.  Mttellee  beschriebenen 
gestielten  Körperchen,  Auswüchse  des  Urnierengangs  (Nr.  37  S.  12!»     133).- 


;>.   Die  Geschlechtsorgane.  835 

Ich  kann,  wie  aus  meiner  Beschreibung  genügend  erhellt,  diesen  Darstellungen 
meiner  Vorgänger  nicht  beistimmen.  Abgesehen  davon ,  dass  die  Entstehung 
des  Urnierengangs  unerwähnt  blieb,  so  ist  die  Auffassung,  als  wenn  die 
Urniere  lediglich  aus  einer  Aufknäuelung  seines  gespaltenen  Vorderendes  ent- 
stände, nicht  zutreffend.  Denn  zur  Urniere  gehört,  wie  eine  vergleichende  Unter- 
suchung lehrt,  auch  der  Gefässknäuel  und  der  ganze  zwischen  beiden  liegende 
Bauchraum,  mit  welchem  die  Urnierenkanäle  einige  Zeit  kommuniciren;  und 
ferner  entsteht  die  Urniere  als  breite  taschenförmige  Ausbuchtung  des  Parietal- 
blattes  zuerst,  sodass  der  Urnierengang  als  Fortsetzung  derselben  erscheint. 
Es  haben  eben  die  genannten  Forscher  das  Organ  nicht  in  seinen  frühesten  Zu- 
ständen untersucht ;  in  der  zweiten  Larvenperiode  sind  aber  seine  ursprüng- 
lichen Theile  vollständig  getrennt,  die  Urniere  im  engeren  Sinne  liegt  als  blosse 
Knäueldrüse  in  der  Leibeswand,  während  der  atrophische  Gefässknäuel,  nach- 
dem die  primitive  Harnkanalkapsel  wieder  in  die  allgemeine  Bauchhöhle  auf- 
gegangen ist,  an  der  Gekrösewurzel  hängen  bleibt,*  sodass  die  genetischen 
Beziehungen  dieser  Theile  nicht  mehr  erkannt  werden  können.  Offenbar  hat 
denn  auch  das  Postulat  ihres  vermissten  innigen  Zusammenhangs  Remak  ver- 
anlasst, den  Gefässknäuel  irrthümlicherweise  gleichfalls  in  die  Leibeswand  hin- 
ter die  Urniere  zu  versetzen,  wo  er,  wenn  auch  nicht  in  den  Kanal  eingeschlossen, 
doch  von  ihm  umfasst  sein  sollte  (Nr.  40  S.  59.  154.  155,  Taf.  X  Fig.  17a.  18b). 
Anderseits  mag  die  ungenaue  Auffassung,  dass  die  Urniere  ein  Produkt  des 
sich  spaltenden  und  aufwindenden  Urnierengangs  sei,  die  irrige  Annahme 
Wittich's  hervorgerufen  haben,  dass  die  Nierensäckchen  Ausstülpungen  des- 
selben Ganges  seien.  Eine  solche  Annahme  ist  zudem  nach  meinen  Beobach- 
tungen gar  nicht  nöthig,  um  die  Homologie  der  beiderlei  Harnorgane  zu 
erweisen,  denn  mit  dem  Nachweise,  dass  der  Drüsentheil  der  Urniere  mit  dem 
Gefässknäuel  und  dem  zwischenliegenden  Räume  als  primitive  Harnkanalkapsel 
eine  ursprünglich  einheitliche  Anlage  der  gleichsam  erweiterten  Uro-Genital- 
falte  bilden,  an  welche  sich  der  Urnierengang  erst  sekundär  anschliesst,  ist  jene 
Homologie  gesichert,  da  ja  die  Nierensäckchen  als  gemeinsame  Anlagen  für 
die  Harnkanälchen ,  deren  Kapseln  und  Glomeruli  ebenfalls  Abschnürungs- 
produkte  derselben  Falte  sind.      Der  einzige  Unterschied  zwischen  beiden 


*  Ich  möchte  es  hier  als  Verrauthung  aussprechen,  dass  die  Röhrenknäuel ,  welche 
Leydig  neben  dem  atrophischen  Urnierengange  einiger  Urodelen .  und  zwar  rückwärts  von 
dessen  freiem  Ende  fand  (Nr.  81  S.  88  Fig.  28.  29),  nicht  nach  seiner  Deutung  die  Reste  der 
Drüse,  sondern  gerade  dos  Gefässknäuels  darstellen. 


#36  XII.   Die  Harn-  und  die  Geschlechtsorgane. 

Harnorganen  bestände  also  darin,  dass  die  bleibenden  Nieren,  wie  es  Wittich 
und  Leydig  (Nr.  81  S.  85)  zuerst  erkannten,  anfangs  keinen  eigenen  Aus- 
führungsgang  besitzen,  sondern  als  solchen  den  Urnierengang  benutzen,  mit 
dem  sie  sich  erst  sekundär  verbinden,  um  dann  im  späteren  Leben  sich  doch 
wieder  von  ihm  abzuspalten. 

Bezüglich  der  Nierenbildung  stehen  den  Batrachiern  die  Teleo stier  am 
nächsten.  Wenn  Rosenberg  die  Kopfnieren  derselben  als  Homologa  der 
Urnieren  der  Amphibien  betrachtet  (Nr.  156  S.  70 — 73),  so  kann  ich  ihm  inso- 
fern nur  bedingt  beistimmen,  als  die  bisher  allein  untersuchten  weiter 
entwickelten  Urnieren  einfache  Knäueldrüsen  sind  ohne  Zusammenhang  mit 
dem  sich  zurückbildenden  Gefässknäuel.  Die  vollständige  Urniere  der  Batra- 
chier  ist  daher  nur  die  allerkürzeste  Zeit  der  Kopfniere  der  Teleostier  homolog 
und  kann  im  allgemeinen  als  rudimentäre  Bildung  betrachtet  werden.  Bei 
dem  genannten  Vergleiche  konnte  sich  Rosenberg  immerhin  auf  einen  für  that- 
sächlich  gehaltenen  Nachweis ,  nämlich  vom  Zusammenhange  der  Urniere  und 
des  Gefässknäuels  der  Batrachierlarven ,  berufen-,  wenn  er  aber  ferner  die 
Bauch-  und  Kaudalniere  der  Teleostier  mit  der  bleibenden  Amphibienniere  ver- 
gleicht ,  obgleich  er  die  von  Wittich  angegebene  Entwickelungsgeschichte  der 
letzteren  bezweifelt  (Nr.  156  S.  73  Anm.  2)  und  hinsichtlich  der  ersteren  nur 
vermuthet,  dass  sie  sich  in  ähnlicher  Weise  entwickele,  wie  es  Kupffer  für  die 
Säuger  annimmt  (Nr.  156  S.  74),  so  muss  ich  jene  zweite  Vergleichung  für 
unbegründet  erklären.  Denn  wenn  Rosenberg's  Vermuthung  sich  bestätigte, 
so  würden  die  Bauch-  und  Kaudalnieren  der  Teleostier  aus  einem  anderen 
Keimtheile  und  auf  andere  Weise  entstehen  als  die  Amphibiennieren ,  diesen 
also  auch  nicht  homolog  sein.  Dagegen  glaube  ich  jene  Hypothese  allerdings 
unterstützen  zu  können,  indem  ich  die  Zellenmasse,  welche  später  den  Retro- 
peritonealraum  zwischen  den  Stammgefassen  und  den  Urnierengängen  aus- 
füllt und  von  Rosenberg  als  Bildungsstätte  der  Bauch-  und  Kaudalnieren 
erkannt  wurde  (Nr.  156  S.  52 — 55) ,  ebenso  wie  die  Nierenanlagen  der  Batra- 
chier  von  den  verdickten  Uro-Genitalfalten  sich  abschnüren  sehe. 

Weniger  sicher  als  hinsichtlich  der  Teleostier  ist  der  Vergleich  der  beider- 
lei Harnorgane  der  Batrachier  mit  denjenigen  der  Anmieten.  Nachdem 
Waldeyer  die  Entwicklung  der  Urniere  des  Hühnchens  im  Gegensatz  zu 
seinen  Vorgängern  auf  Ausstülpungen  des  Urnierengangs  zurückgeführt  hat 
(Nr.  66  S.  119.  120),  was  mir  durchaus  begründet  erscheint,  und  anderseits 
die  Entstehung  des  Urnierengangs  aus  einer  Ausbuchtung  des  Parietalblattes 


3.  Die  Geschlechtsorgane.  337 

nunmehr  auch  für  das  Hühnchen  durch  Romiti  bestätigt  worden  ist  (Nr.  150 
S.  204.  205),  dürfte  die  Homologie  der  Urniere  aller  Wirbelthiere  ziemlich 
zweifellos  sein.  Denn  auch  bei  Kaninchenembrvonen  finde  ich  die  Anlage  des 
Urnierengangs  im  Zusammenhange  mit  dem  Parietal  blatte ,  wenn  es  mir  auch 
nicht  gelang  die  Kontinuität  seiner  Lichtung  und  der  Bauchhöhle  klar  zu 
erkennen.  —  Der  eigentliche  Ureter  der  Säuger  und  Vögel  entspringt  nach 
Kupfeer's  und  meinen  Beobachtungen  aus  dem  Ende  des  Urnierengangs ,  wo- 
gegen wir  die  Angabe  Remak's  (Nr.  40  S.  121)  von  der  Ausstülpung  der  Haru- 
kanälchen  aus  dem  Ureter  nicht  zu  bestätigen  vermochten  (Nr.  151,  152,  153 
S.  56—60).  Waldeyer  schliesst  sich  uns  hinsichtlich  des  Ureters  an,  glaubt 
aber  für  die  Harnkanälchen  der  bleibenden  Niere  aus  allgemeinen  Gründen 
dieselbe  Entstehungsweise  wie  bei  der  Urniere  annehmen ,  also  darin  gerade 
Remak  bestätigen  zu  müssen  (Nr.  66  S.  130 — 132).  Ich  gestehe,  dass  ich  dieser 
REMAKSchen  Ansicht  jetzt  ebenfalls  den  Vorzug  gebe  und  daher  vorbehaltlich 
ihrer  definitiven  Bestätigung  die  bleibenden  Nieren  der  Anmieten  allerdings 
für  eine  Weiterbildung  des  Urnierengangs  halten  möchte*.  Unter  einer 
solchen  Voraussetzung  wären  aber  die  vergänglichen  und  bleibenden  Amnioten- 
nieren  als  zusammengehörige  Organkoni plexe  zunächst  nur  mit  den  Urnieren 
der  Knochenfische  und  Amphibien  in  Parallele  zu  bringen.  Da  ich  aber  nach- 
gewiesen habe,  dass  die  beiderlei  Harnorgane  der  Batrachier  und  ihre  Homo- 
loga  bei  den  Fischen  im  Grunde  genommen  bei  dem  gemeinsamen  Ursprünge 
aus  der  Uro-Genitalfalte  sich  gar  nicht  unterscheiden,  so  kann  ich  zum  Schluss 
dieser  vergleichenden  Betrachtungen  meine  Ueberzeugung  aussprechen ,  dass 
die  beiderlei  Harnorgane  aller  Vertebraten  sich  nicht  morpho- 
logisch, sondern  n  u  r  p  h  y  s  i  0 1 0  g  i  s  c  h ,  nach  der  verschiedenen  Zeit  ihrer 
Entstehung  und  Wirksamkeit  von  einander  trennen  lassen. 

Von  den  Geschlechtsorganen  der  Batrachier  ist  der  Eierstock  bereits 
im  ersten  Kapitel  dieser  Arbeit  so  weit,  als  es  mir  meine  Erfahrungen  erlaubten, 
vergleichend  betrachtet  worden ;  und  es  erübrigt  hier  noch  in  gleicher  Weise 
vom  Hoden  zu  reden.  Ueber  dessen  Entwickelung  finde  ich  erst  bei  Wittich 
etwas  eingehendere  Angaben  (Nr.  37  S.  153 — 158).  Längere  Zeit  bleiben  die 
Anlagen  der  beiderlei  Geschlechtsorgane   sich  völlig  gleich;   während  aber 


*  Natürlich  würde  der  etwaige  Nachweis ,  dass  die  Drüsenanlage  der  Amniotenniere 
auf  direkterem  Wege  als  durch  deu  Ureter  und  Urnierengang  vom  Parietalblatte  abstamme, 
ihre  Homologie  mit  den  bezüglichen  Organen  der  Anamnia  nur  noch  klarer  stellen. 


338  XII.    Die  Harn-  und  die  Geschlechtsorgane. 

darauf  die  grossen  eiälmlichen  Zellen  in  den  künftigen  Weibelien  allmählich 
das  ganze  Organ  bis  auf  die  bindegewebigen  Theile  durchsetzen,  beschränken 
sie  sich  in  den  männlichen  Thieren  auf  die  Peripherie,  um  früher  oder  später 
ganz  zu  schwinden ,   während  im  Innern  sich  die  eigentliche  Hodensubstanz 
bildet.      Von    derselben    erscheine   zuerst   im    mittleren    oberen  Theile  der 
Geschlechtsdrüsenanlage  eine  Röhre,   welche  später  die  Vasa  efferentia  vor 
ihrem  Eintritt  in  die  Niere  vereinigt.     Neben  diesem  Kanäle  bildeten  sich  mit 
kleinen  Zellen  ausgekleidete  und  angefüllte  weite  Höhlungen  ,  welche  sich  mit 
ihm  verbinden  und  ihm  schliesslich  gestielt   aufsitzen.     Diese  ganze  Hoden- 
substanz würde  anfangs  noch  von  der  peripherischen  grosszelligen  Eierstocks- 
masse umschlossen,  welche  erst  allmählich  und  zwar  langsamer  bei  Bombi- 
nator  als  bei  den  Fröschen  schwinde.     Bei  den  Krötenlarven  sei  das  Kopfende 
der  Geschlechtsdrüsenanlage  knopfförmig  angeschwollen  und  bilde  in  beiden 
Geschlechtern  Eier  aus,  welche  nur  in  den  Männchen,  deren  Hodensubstanz  in 
der  grösseren  hinteren  Hälfte  der  Geschlechtsdrüsenanlage  entstehe,  in  der 
weiteren Entwickelung  zurückbleiben-,  immerhin  sei  dieser Kopftheil  des  Hodens 
als  rudimentäres  Ovarium  aufzufassen  und  der  peripherischen  Eierstocksmasse 
an  den  Hodenanlagen  der  übrigen  Batrachier  homolog,  sodass  „jede  Batrachier- 
larve  die  Bedingungen  sowohl  der  männlichen,  als  auch  der  weiblichen  keim- 
bereitenden Drüsen  in  sich  trägt,  ja,  bei  allen  ein  gewisser  unvollkommener 
Hernuvphroditismus    der    vollen   Geschlechtsreife   voraufgeht.1'      Nur  in  der 
Dauer  des  hermaphroditischen  Zustandes    unterscheiden  sich  die  einzelnen 
Batrachier  nicht  unwesentlich,  indem  derselbe  am  frühesten  bei  den  Fröschen, 
später  bei  der  Unke  und  einigen  Krötenarten  schwinde,  bei  Bufo  cinereus  aber 
lebenslänglich  erhalten  bleibe  (Nr.  37  S.  158 — l(3f).  Ich  kann  die  voran- 

stehenden Beobachtungen  Wittichs  über  die  Entwickelung  des  Hodens  der 
Batrachier  nicht  bestätigen,  daher  auch  seine  allgemeine  Auffassung  nicht 
theilen.  Abgesehen  von  der  schon  in  der  Beschreibung  hervorgehobenen 
Differenz,  dass  ich  die  Hodenbildung  durchaus  nicht  so  regelmässig  angeordnet  ' 
finde  wie  Wittich,  mache  ich  vor  allem  darauf  aufmerksam,  dass  nach  seinen 
Beobachtungen  die  eigentliche  Hodensubstanz  aus  der  indifferenten  Geschlechts- 
drüsenanlage morphologisch  und  histologisch  sich  ganz  anders  entwickelt  als 
die  Eierstocksmasse,  sodass  in  dem  einen  Falle  nur  Eianlagen,  im  anderen 
Falle  neben  und  nicht  aus  ihnen  Hodenanlagen  entständen,  deren  Wachsthum 
die  ersteren  zurückdrängt  und  ganz  oder  theilweise  zur  Atrophie  bringt. 
Nach  meinen  Beobachtungen  ist  aber  die  embryonale  Hodensubstauz  eine  durch 


3.  Die  Geschlechtsorgane.  839 

einen  gewissen  Rückschritt  des  ursprünglichen  Entwickeliingsverlaufs  modifi- 
cirte  Eierstocksmasse ;  sie  entstellt  nicht  aus  indifferenten  Zellen,  wie  es  Wittich 
annimmt,  sondern  aus  wirklichen,  nur  unreifen  Eifollikeln ,  welche  statt  zur 
vollständigen  Jndividnalisirnng  fortzuschreiten,  zu  grösseren  kontinuirlichen 
Gewebsmasseri  verschmelzen.  Der  unvollkommene  Hermaphroditismus  der 
Kröten  beruht  daher,  wie  ich  schon  einmal  an  anderer  Stelle  aussprach, 
darauf,  dass  das  in  der  Entwickelung  voraneilende  Kopfende  des  indifferenten 
Geschlechtsorgans ,  sowie  es  dem  jungen  Eierstocke  die  grossesten  oder  die 
ersten  reifen  Eifollikel  liefert,  bei  dem  Eintritt  der  Hodenentwickelung  bereits 
zu  weit  vorgeschrittene  Follikel  enthält,  um  dieselben  noch  in  Hodenschläuche 
verwandeln  zu  können.  Daraus  ergibt  sich  aber  als  natürliche  Schluss- 
folgerung, dass  die  Eibildimg  den  primären,  ursprünglichen  Entwickelungsver- 
lauf  der  Geschlechtsdrüsenanlage,  die  Hodenbildung  eine  sekundäre  Abweichung 
derselben  darstellt,  der  sogenannte  Hermaphroditismus  also  konsequenter- 
weise  nur  als  eine  Uebergangsstufe  von  der  weiblichen  zur  männlichen  Form 
betrachtet  werden  kann. 

Wie  sehr  diese  Auffassung  von  derjenigen  Wittich's  abweicht,  erhellt 
daraus,  in  welcher  Weise  Waldeyer  dazu  kommt  Wittich  zu  bestätigen.  Er 
weist  die  Ansicht,  dass  das  nie  fehlende  Keiniepithel  des  Hühnchens  auch  die 
Hodensubstanz  liefere,  zurück,  und  nachdem  er  gewisse  Beobachtungen  ange- 
führt, welche  für  den  Ursprung  der  Samenkanälchen  aus  der  Urniere  sprechen, 
kommt  er  zum  Ergebniss:  „Das  Epithel  des  WoLEF'schen  Ganges  ist  die  An- 
lage der  männlichen  Sexualorgane"  (Nr.  66  S.  137 — 140.  152).  Die  Ueber- 
einstimmung  mit  Wittich  sieht  nun  Waldeyer  besonders  darin,  dass  die 
Samenkanälchen  nicht  aus  dem  Keimepithel,  der  Grundlage  der  weiblichen 
Geschlechtsprodukte,  sondern  getrennt  von  demselben  entstehen;  daraus 
folgert  er  dann  weiter,  dass  der  Urzustand  der  Geschlechtsdrüsen  nicht  ein 
indifferenter  oder  gar  weiblicher,  sondern  ein  hermaphroditischer  sei,  was 
freilich  schon  früher  behauptet  worden,  aber  „erst  durch  das  gleichzeitige  Auf- 
treten beider  Keimdrüsenanlagen  bei  jedem  Individuum  sicher  gestellt  ist" 
(Nr.  6ö  S.  152.  153).  Dagegen  muss  ich  bemerken,  dass  meine  Beobachtungen 
eine  solche  Auffassung  für  die  Batrachier  vollständig  zurückweisen,  indem  die 
Entwickelung  der  männlichen  Geschlechtsprodukte  aus  rudimentären  weib- 
lichen ganz  evident  ist,  während  die  Beobachtungen  Waldeyer' s  über  den  Ur- 
sprung der  Samenkanälchen  des  Hühnchens  gar  nicht  so  bestimmt  lauten,  dass  er 
das  oben  citirte  Ergebniss  für  gesichert  halten  könnte.  Soweit  ich  meiner  eigenen 


34(J  XII.   Die  Harn-  und  die  Geschlechtsorgane. 

Beobachtungen  sicher  zu  sein  glaube,  halte  ich  es  vielmehr  für  viel  wahr- 
scheinlicher, dass  bei  allen  Wirbelthieren  die  beiderlei  Geschlechtsprodukte 
aus  einer  Quelle  stammen,  also  die  Samenkanälchen  der  Anmioten  aus  dein 
Keimepithel  hervorgehen,  welches  nach  Waldeyer  auch  am  Hoden  Primordial- 
eier  zeigt  und  von  ihm  „das  weibliche  Princip  in  der  (hermaphroditischen) 
Keimdrüse"  genannt  wird.  Und  wenn  Waldeyee  die  hermaphroditische  Ur- 
anlage  der  Geschlechtsorgane  für  die  ganze  Thierreihe  wahrscheinlich  zu 
machen  sucht  (a.  a.  0.  S.  153 — 158),  so  will  ich,  um  nicht  in  ein  gar  zu  weites 
Gebiet  abzuschweifen,  nur  auf  die  im  nächsten  Kapitel  noch  näher  zu  präci- 
sirende  Thatsache  hinweisen ,  dass  die  niedersten  thierischen  Organismen ,  die 
Protozoen,  ihre  Entwickelung  gleichfalls  mit  der  Eiform  beginnen ,  welche  von 
den  entwickelten  Individuen  erzeugt  wird ,  ohne  dass  von  einer  besonderen 
Geschlechtlichkeit  derselben  wenigstens  auf  den  niedersten  Organisationsstufen 
geredet  werden  könnte.  Ist  also  das  weibliche  Zeugungsprodukt  das  ursprüng- 
lichere in  der  ganzen  Thierreihe,  so  schliesst  dieses  die  hermaphroditische 
Form  als  Ausgangspunkt  der  ersten  geschlechtlichen  Differenzirung  aus, 
sowie  in  dem  uns  zunächst  vorliegenden  Falle  der  Batrachier  die  Annahme 
doch  kaum  ernstlich  versucht  werden  dürfte,  dass  die  hermaphroditische  An- 
lage sekundär  sich  in  eine  für  beide  Geschlechter  weibliche  verwandelt  hätte, 
um  dann  bloss  in  den  künftigen  Männchen  Avieder  zur  ersten  Form  zurück- 
zukehren. Und  da  die  Eibildung  als  gemeinsame  Grundlage  für  die  beiderlei 
Sexualprodukte  innerhalb  des  höchsten  thierischen  Typus  sich  unzweifelhaft 
nachweisen  lässt,  so  darf  eine  Bestätigung  dessen  auch  in  manchen  niederen 
Kreisen  erwartet  werden,  wo  die  hermaphroditische  Uranlage  der  Geschlechts- 
organe jetzt  noch  so  sicher  erscheint,  Avie  es  bisher  auch  bei  den  Batra- 
chiern  schien. 

Mit  der  Annahme  aber,  dass  das  Aveibliche  Zeugungsprodukt  das  ursprüng- 
liche sei,  kann  ich,  am  Schlüsse  der  eigentlichen  Entwickelungsgeschichte  der 
Unke  angelangt,  gerade  auf  das  letzte  Ziel  der  individuellen  Entwickelungsge- 
schichte überhaupt  hinweisen,  nämlich  allen  Formenreichthum  stets  und  immer 
wieder  in  ursächlichem  Zusammenhange  auf  eine  einfachste  erste  organische 
Form,  auf  die  homogene  Dotterkugel  des  Eies,  zurückzuführen  und  so  den 
King  der  Untersuchungen  zu  schliessen:  ab  ovo  usque  ad  Ovum! 


XIII.  Schlussbetrachtungen, 


Ich  habe  dieses  Buch  nicht  in  der  Absicht  verfasst,  um  lediglich  die 
Erscheinungsthatsachen  in  der  Entwickelungsgeschichte  der  Wirbelthiere  fest- 
zustellen; sondern  mein  Ziel  war,  an  der  Hand  jener  Thatsachen  und  auf  Grund 
des  beobachteten  Uebergaugs  der  Formen  ineinander  zu  einer  Vorstellung 
über  den  Kausalzusammenhang  derselben  zu  gelangen.  Bei  dieser  Behandlung 
des  Gegenstandes  blieb  ich  bisher  im  allgemeinen  innerhalb  der  Grenzen,  die 
ich  mir  gesteckt  hatte,  und  verliess  das  Gebiet  des  Wirbelthierreichs  nur  aus- 
nahmsweise. Da  ich  aber  dabei  neben  den  Ergebnissen  für  die  vergleichende 
Anatomie  der  Wirbelthiere  zu  einer  Reihe  allgemeiner  Sätze  gekommen  bin, 
deren  Werth  wesentlich  davon  abhängt,  dass  ihnen  in  der  Entwickelungs- 
geschichte anderer  Thiere  wenigstens  kein  Widerspruch  begegnet,  so  will  ich 
in  diesem  letzten  Abschnitte  kurz  andeuten ,  in  welcher  Weise  ich  jene  Sätze 
stets  in  Bezug  auf  die  Gesammtheit  der  Thiere  gedacht  habe.  Ich  verzichte 
dabei  auf  eine  erschöpfende  Erörterung  der  betreffenden  Vergleiche ,  welche 
hier  nicht  am  Platze  ist,  glaube  aber  dennoch  für  die  folgende  gedrängte 
Uebersicht  die  gleiche  Berechtigung  in  Anspruch  nehmen  zu  können  wie  für 
die  weiter  ausgeführten  Betrachtungen  in  den  vorangehenden  Kapiteln ,  weil 
im  allgemeinen  dieselben  Beweismomente  wiederkehren,  namentlich  die  streng 
genetische  und  ursächliche  Begründung  der  Homologien. 

Für  die  Wirbelthiere  steht  der  Erfahrungssatz  fest,  dass  jede  individuelle 
Existenz  ausnahmslos  mit  der  einfachsten  Formerscheinuug  anhebt,  mit  der 
relativ  homogenen  Dotterkugel  des  reifen  Eies,  Avelche  in  dem  mütterlichen 
Organismus  aus  einer  oder  mehren  Keimzellen  durch  eine  eigenthümliche  Um- 


$42  XIII.  Schlussbetrachtungen. 

bildung  derselben  entsteht.  Ich  habe  gezeigt,  dass  das  Produkt  dieser  Bildung 
eine  unorganisirte,  nicht  lebende  Masse  ist ,  und  dass  Lebensvorgänge  auch  als 
wirksame  Ursachen  der  ersten  Entwickelungserscheinungen  jener  Masse  aus- 
geschlossen werden  müssen.  Ich  kann  natürlich  die  betreffende  Beweisführung 
hier  nicht  wiederholen,  sondern  nur  kurz  an  die  wichtigsten  Momente  erinnern 
(vgl.  S.  31—35.  71  —  110.  241—252.  570—605).  Betrachten  wir  zunächst  die 
erste  Entwickelungserscheinung ,  die  Dottertheilung  mit  ihrer  Fortsetzung  an 
den  Embryonal-  und  Dotterzellen ,  so  verläuft  dieselbe  ohne  Ernährung  und 
Wachsthum  der  Gesammtmasse  und  der  ganzen  Theilstücke,  sodass  man  sie 
schon  desshalb  nicht  als  eine  Lebenserscheinung  der  letzteren  ansehen  darf. 
Da  ich  nun  eine  nicht  greifbare ,  specifische  und  immanente  „Bildungskraft" 
der  Dottersubstanz  nicht  anerkenne,  so  glaube  ich  jene  Theilungen  annehmbar 
und  genügend  zu  erklären,  wenn  ich  sie  von  einem  einfachen  und  durch  die 
Beobachtung  nachweisbaren  chemisch  -  physikalischen  Vorgange  ableite.  Die 
Entwicklung  des  Eies  setzt  nothwendig  die  Wechselwirkung  der  Dotter- 
substanz mit  einer  sie  umgebenden  Flüssigkeit  voraus;  den  Beweiss  dafür 
liefert  uns  die  zu  beobachtende  Auflösung  oder  Schmelzung  der  festen  Dottertheile, 
gewisserinassen  eine  Verflüssigung  der  ganzen  Substanz.  Die  allmähliche 
Lösung  der  in  den  festen  Dottertheilen  aufgespeicherten  Spannkräfte  liefert 
notwendigerweise  durch  eine  gewisse  Zeit  hindurch  ein  Quantum  an  leben- 
digen Kräften  oder  Bewegungen,  welche  in  den  Theilungen  zur  Ersch einung 
kommen,  während  das  stoffliche  Lösungsprodukt  vollkommen  lebensfähiges 
Protoplasma  wird  (Lebenskeime).  Hätte  die  Dottermasse  im  wesentlichen  die 
Zusammensetzung  der  im  vollkommenen  Leben  begriffenen  protoplasmatischen 
Substanzen,  so  würde  ihre  fortdauernde  Lösung  ohne  entsprechenden  Ersatz 
durch  Ernährung  die  Erhaltung  des  Ganzen  unmöglich  machen,  d.  h.  wirklich 
lebendes  Protoplasma  kann  den  Entwickelungserscheinungen  des  Eies  nicht  zu 
Grunde  liegen,  diese  können  nicht  Lebensäusserungen  sein.  Das  lebensfähige 
„reife"  Protoplasma,  welches  neben  den  festen  Theilen  im  Dotter  enthalten  ist 
und  durch  die  Lösung  der  ersteren  erzeugt  wird,  unterliegt  aber  der  Zerstörung 
desshalb  nicht,  weil  es,  soweit  es  selbstthätig  an  den  Umbildungsbewegungen  des 
Dotters  theilninimt,  eben  durch  die  Dotterlösung  auch  beständig  ernährt  wird. 
Wir  hätten  demnach  in  dem  im  Ganzen  nicht  lebenden  Eiprodukt  einzelne 
wirkliche  Lebensherde  anzunehmen;  und  da  der  Begriff  „Leben"  nothwendig 
einen  bestimmt  begrenzten  Lebensträger  voraussetzt,  so  stellen  nicht  die  von 
mir  sogenannten  Lebenskeime,  sondern  erst  die  fertigen  Kerne  die  ersten  that- 


XIII.   Schlussbetrachtungen'.  843 

sächlichen  Lebensformendes  sich  entwickelnden  Eiprodukts  dar,  mit  nachweis- 
barem Wachsthume  und  daraus  folgenden  Tneiluugserscheinungen.  Dieses 
Theilleben  als  Erzeugniss  der  bestimmt  angeordneten  Dotterlösung  breitet  sich 
immer  weiter  aus  und  tritt  in  dem  Masse  an  die  Stelle  der  nicht  lebendigen 
Entwickelungsvorgänge,  als  diese  mit  dem  Verbrauch  der  festen  Dottersubstanz 
sich  erschöpfen.  Hat  es  dieselben  vollständig  ersetzt ,  ist  also  das  ganze  Ei- 
produkt oder  ein  Theil  desselben  individuell  lebendig,  so  mnss  natürlich  eine 
Ernährung  desselben  eintreten ,  mag  sie  selbstständig  oder  passiv  durch  einen 
Nahrungsdotter,  durch  Placentarbildimgen  erfolgen.  Es  kann  sich  also  jedes 
individuelle  Leben ,  da  es  im  unveränderten  reifen  Eie  nicht  möglich  erscheint, 
nur  ganz  allmählich  im  Laufe  der  Entwickelung  und  als  Folge  derselben 
entwickeln.  Die  Entwickelung  ist  die  nothwendige  Entstehungs, 
form  des  Lebens  und  kann  anderseits  nur  an  einem  nicht  lebenden- 
aber  mit  Spannkräften  erfüllten  Substrat  beginnen. 

Indem  ich  aber  eben  andeutete,  wie  ein  gewisser  Vorrath  von  Spann- 
kräften die  erste  Voraussetzung  und  deren  allmähliche  Lösung  die  einzige 
thatsächliche  Bewegungsursache  der  Entwickelung  des  Eies  darstellen ,  habe 
ich  bereits  angenommen,  dass  die  daraus  hervorgehenden  Elementaraktionen 
unter  der  Leitung  eines  Komplexes  von  bestimmten  Formbedingungen  stehen ; 
denn  ohne  diese  bestimmte  formale  Beschränkung  können  sie  die  sich  immer 
weiter  gliedernden  Formleistungen ,  worin  eben  die  Entwickelung  des  Eies  be- 
steht, entweder  gar  nicht  ausführen ,  oder  dieselben  werden  mit  einer  solchen 
Abänderung  der  Massverhältnisse  begonnen ,  dass  dieselbe  in  der  folgenden 
Gliederung  die  gegenseitige  Anpassung  der  einzelnen  Formleistungen  im 
bestimmten  Rahmen  des  Ganzen  aufhebt,  und  so  den  Keim  der  Zerstörung  des 
letzteren  und  seiner  Theile  in  sich  trägt.  Dieses  Formgesetz  der  Elementar- 
aktionen braucht  aber  ebenso  wenig  wie  die  Entwickeluugsbewegung  selbst  als 
der  unmittelbare  Ausdruck  undefinirbarer,  verborgener  Eigenschaften  des 
Eistoftes  angesehen  zu  werden;  seine  Annahme  kann  vielmehr  nur  dann  eine 
wirkliche  natürliche  Erklärung  der  uns  beschäftigenden  Vorgänge  involviren, 
wenn  wir  dasselbe  auf  eine  einfache  und  allgemeine  nachweisbare  physi- 
kalische Erscheinung  zurückzuführen  vermögen.  Als  seine  einfachste  Grund- 
lage betrachte  ich  die  kugelige  Zusammenziehung,  welcher  sehr  viele  organische 
Substanzen  bei  einer  gewissen  relativ  kleinen  Masse  und  in  Folge  der  Ein- 
wirkung gewisser  sie  umgebenden  Flüssigkeiten  unterliegen  und  dadurch  die 
denkbar  einfachste  erscheinungsgesetzliche  Furm   erhalten.     Aber   sowie  die 


344  X\U.   Schlussbetrachtungen. 

Entwickelung  des  Eies  einerseits  an  eine  ganz  bestimmte,  die  Lebens thntigkeit 
ausschliessende  Zusammensetzung  ihres  protoplasmatischen  Substrats  ge- 
bunden ist,  so  ist  auch  die  kugelige  Zusammenziehung  eines  solchen  zur 
formalen  Begründung  der  Entwickelung  nicht  ohne  weiteres  genügend.  Denn 
wenn  die  Kugelgestalt  an  sich  nur  eine  gleichmässige  radiäre  Anordnung  der 
Wechselwirkungen  der  Dottermasse  mit  der  umgebenden  Flüssigkeit  bedingt, 
so  ist  zu  einer  weiteren  Gliederung  dieser  ersten  und  einfachsten  Form- 
erscheinung  eine  gewisse  Differenz  nothwendig.  Allerdings  mag  die  zufällige 
Entstehung  einer  solchen  naturgemässer  erscheinen  als  die  vollständige  Gleich- 
mässigkeit  der  radiären  Dotterströmung.  Doch  kann  nur  eine  beschränkte 
und  bestimmte  Differenz  der  Stromlängen  in  die  fortgesetzten  Theilungen  des 
Stromgebiets  und  damit  der  zusammenhängenden  Masse  in  der  Weise 
hinüberführen,  dass  darin  die  nuthwendigen  Bedingungen  zum  weiteren  form- 
gesetzlichen ,  d.  h.  individuell  zusammenpassenden  Fortschritt  der  gesammten 
Formgliederung  gegeben  werden.  Die  Besonderheit  dieser  ersten  Differenz 
ist  nun  ebenso  wie  das  bestimmte  Mass  der  endosmotischen  Wechselwirkungen 
der  Dottermasse  abhängig  von  einer  Reihe  von  Formbedingungen ,  welche 
theils  schon  im  Eierstocke  bei  der  Ausbildung  des  reifenden  Eies  angelegt 
werden  (Dotterrinde,  Dotterhaut),  theils  nachträglich  und  selbst  mehr 
zufällig  sich  hinzugesellen  (äussere  Eihüllen,  Befruchtung).  Das  aus  diesen 
Bedingungen  resultirende  Formgesetz  der  Entwickelung  kann  daher  keines- 
falls als  eine  besondere  Eigenschaft  der  Dottermasse  betrachtet  werden, 
sondern  ist  lediglich  die  nothwendige  Folge  verschiedener  unter  gewöhnlichen 
Verhältnissen  zusammentreffender  Umstände,  welche  die  Wirksamkeit  der 
Dottersubstanz  in  einer  ganz  bestimmten  und  einheitlichen  Form  regeln.  Das 
Formgesetz  ist  der  Inbegriff  der  rein  mechanischen  Momente, 
welche  die  lebendigen  Kräfte  der  sich  lösenden  Dottersubstanz 
zu  den  einheitlichen  Formleistungen  der  Entwickelung  zwingen 
und  dadurch  mittelbar  in  derselben  die  einzelnen  Leben sthätig- 
keiten  erzeugen  und  zur  individuellen  Einheit  verbinden. 

Untersuchen  wir  endlich  das  Wechselverhältniss  der  beiden  Faktoren,  als 
deren  Produkt  das  individuelle  Leben  erscheint,  nämlich  der  protoplasmati- 
schen Elementaraktionen  und  des  mechanisch  wirkenden  Formgesetzeß/  im 
Laufe  der  Gesammten twickelung,  so  ergibt  sich  uns  Folgendes.  Solange  und 
soweit  das  ganze  Eiprodukt  und  seine  Theilstücke  ein  vollkommenes  Leben 
noch  nicht  erlangt  haben,   gehen  die  Wirkungen  der  in  ihnen  thätigen  Kräfte 


XIJI.    Schlussbetrachtungen.  845 

über  die  Grenzen  des  Ganzen  nicht  hinaus,  indem  sie  in  die  rein  mechanischen 
und  sich  stetig  weiter  gliedernden  Formleistungen  auslaufen.  In  dem  Masse 
jedoch,  als  die  in  den  Formelementen  des  Eiprodukts  eingeschlossene  Lebens- 
thätigkeit  sich  ausbreitet,  und  an  Stelle  der  sich  erschöpfenden  inneren  Kraft- 
quelle, nämlich  der  anfangs  andauernden  Dotterschmelzung,  der  Verbrauch 
der  Formelemente  selbst  tritt,  muss  die'  zu  deren  mechanischen  Ver- 
schiebungen und  dadurch  zum  formalen  Ausbau  des  Ganzen  verwandte 
Arbeit  immer  mehr  eingeschränkt  und  müssen  dafür  die  frei  werdenden  Kräfte 
immer  mehr  zum  Ersatz  der  einzelnen  Verluste  und  so  endlich  lediglich  zur 
Erhaltung  des  Ganzen  herangezogen  werden.  Daraus  folgt  nothwendig ,  dass 
die  rein  mechanische  Formentwickelung,  —  welche  ich  die  morphologische 
nenne,  weil  sie  die  Grundlage  jeder  Formbildung,  auch  der  histiologischen  ist 
—  in  demselben  Verhältniss  abnehmen  und  endlich  zum  Stillstande  kommen 
muss ,  als  die  histologische  Entwickelung  das  vollständige  Leben  des  Ganzen 
vorbereitet  und  endlich  zur  Herrschaft  bringt.  Auf  welcher  Entwicklungs- 
stufe dies  eintritt,  hängt  natürlich  ab  von  dem  relativen  Mass  der  im  Ei  ange- 
sammelten oder  ihm  andauernd  zugeführten  Spannkräfte  (Nahrungsdotter, 
Placentarbildungen) ,  deren  Anwesenheit  die  Entwickelung  überhaupt  erst 
ermöglicht;  jedenfalls  stehen  aber  morphologische  und  histologische  Ent- 
wicklung, Formgesetz  und  Individualisirung  des  Ganzen  und  der  Theile  in 
dem  Wechselverhältniss,  dass  wenn  im  Laufe  der  Entwickelung  das  Eine  über- 
wiegt, das  Andere  solange  zurücktritt.  Die  morphologische  Entwicke- 
lung als  Grundlage  der  gesammten  typischen  Formbildung  und 
die  Ausbildung  der  Individualität  des  ganzen  Eiprodukts 
erreichen  daher  eine  um  so  höhere  Stufe,  je  länger  der  Beginn 
des  vollendeten  Lebens  im  Ganzen  oder  in  den  Theilen  zurück- 
gehalten wird. 

Ich  will  jetzt  die  im  Voranstehenden  hervorgehobenen  allgemeinen  Sätze 
auf  den  niedersten  Thierkreis  oder  die  Urthiere  anzuwenden  versuchen.  Von 
Eiern  derselben  wird  gewöhnlich  desshalb  nicht  gesprochen,  weil  man  darunter 
ein  befruchtungsbedürftiges  weibliches  Zeugungsprodukt  versteht.  Da  aber 
die  Befruchtung  keine  unerlässliche  Bedingung  für  den  Anfang  und  Fortgang 
der  Entwickelung  des  Eies  ist,  so  ist  jene  Definition  zu  beschränkt,  und  wir 
haben  bloss  zu  untersuchen,  ob  die  Urthiere  Zustände  zeigen,  welche  mit  dem 
reifen  Eie  der  Vertebraten  verglichen  werden  können.  Die  wesentlichen 
Merkmale  desselben  finde  ich  nun  in  den  encystirten  Protoplasmakugeln  der 


346  XIU.   Schlussbetrachtungen. 

Protozoen  vereinigt*.  Die  encystirte  Protoplasmakugel  wird  allerdings  allge- 
mein als  das  fortlebende  Thier  betrachtet,  welches  durch  die  Cystenbildung  die 
Fortpflanzung  durch  einfache  Theilung  nur  modificirt.  Dagegen  muss  ich  aber 
bemerken,  dass,  wenn  ein  solcher  Organismus  in  Folge  der  kugeligen  Zu- 
sammenziehung seine  Bewegungen  oft  für  lange  Zeit  einstellt,  seine  bisweilen 
nicht  unbedeutende  ge webliche  Differenzirung  völlig  einbüsst,  die  Vakuolen 
verliert,  die  Skelettheile  resorbirt  (Heliozoa,  Radiolaria) ,  und  dabei  insbeson- 
dere der  etwa  vorhandene  Kern,  das  verbreitetste  und  wichtigste  Analogon 
eines  Organs,  aufgelöst  wird**,  diese  Erscheinungen  weit  mehr  einer  Rück- 
bildung als  einer  bloss  temporär  veränderten  Lebensweise  gleichen;  während 
anderseits  die  Behauptung,  dass  das  encystirte  Wesen  ungestört  weiter  lebe, 
wohl  nur  demjenigen  selbstverständlich  erscheinen  könnte ,  wer  das  Leben  ein- 
fach als  eine  dem  Protoplasma  inhärente  Eigenschaft  betrachtet.  Die  chenii- 
sehen  und  physikalischen  Eigenschaften  des  Protoplasmas  stellen  aber,  wie  ich 
bereits  an  mehren  Stellen  dieses  Buchs  auseinandersetzte,  bloss  die  eine  Hälfte 
der  Lebensursachen  dar,  welche  ohne  die  andere,  nämlich  das  durch  die 
Entwickelung  erworbene  Formgesetzy  nicht  zum  Leben,  sondern  gerade  zur 
Auflösung  des  etwa  schon  bestandenen  Lebens  führt:  Unter  „Leben"  kann 
man  daher  füglich  nicht  bloss  den  einen  der  beiderlei  Ursachenkomplexe,  son- 
dern nur  die  Gesammtheit  ihrer  gemeinsamen  Leistungen  verstehen;  und  die 
bezüglichen  fehlerhaften  Schlussfolgerungcn  bekunden  auf  das  unzweideutigste 
dass  der  Komplex  derFormbedingungen,  welche  im  Formgesetz  der  organischen 
Bildung  zum  einheitlichen  Ausdruck  kommen,  nicht  etwa  stillschweigend 
vorausgesetzt,   sondern  thatsächlich  übersehen  wurde,  wie  es  sich  noch  im 


*  Die  Infusorien  muss  ich  von  dem  Vergleiche  ausschliessen,  da  die  Beobachtungen 
über-  ihre  Fortpflanzung  noch  zu  wenig  klar,  bestimmt  und  übereinstimmend  sind.     Denn    < 
die  blosse  Thatsache,  dass  derNucleus  der  Ausgangspunkt,  ein  zellenähnliches  Gebilde  das 
erste  Ziel  der  Entwickelung  des  Infusorienindividuums  ist,  kann  in  der  zunächst  vorliegen- 
den Frage  in  keiner  Weise  verwerthet  werden. 

**  Manche  Beobachter,  welche  in  den  Theilungen  der  encystirten  kernhaltigen  Proto- 
zoen nur  durch  die  Anwesenheit  der  Schale  modificirte  Zeilentheilungen  sehen,  vermuthen 
den  Fortbestand  des  früheren  Kerns  auch  dann ,  wenn  er  nicht  zu  sehen  ist.  Da  nach 
meiner  Auffassung  der  Mangel  eines  Kerns  unter  Umständen  nur  eine  kurze  Zeit  dauern 
kann,  indem  wenigstens  ein  kernähnliches  Centrum  der  ersten  Theilung  vorausgeht,  so 
haben  alle  Nachweise  eines  Kerns  in  den  Protozoeneiern  keine  Bedeutung,  solange  nicht  die 
Identität  desselben  mit  dem  Kern  des  Zeugungsthieres  evident  nachgewiesen  ist.  Dies  ist 
bisher  nicht  geschehen,  das  Gegentheil  aber  in  manchen  Fällen  sehr  wahrscheinlich  gemacht 
oder  selbst  bestimmt  festgestellt  worden  (Schulze,  Cienkowskt). 


XIII.   Schlussbetrachtungen.  847 

Folgenden  ergeben  wird.  Wenn  wir  nun  den  gesammten  Ausdruck  der  form- 
gesetzlichen Diflerenzirung  eines  Urthiers*  schwinden  und  dasselbe  alle  seine 
Lebensäusserungen  einstellen  sehen,  so  scheint  mir  die  Ansicht  weit  begrün- 
deter, dass  wir  in  der  encystirten  Protoplasmakugel  der  Protozoen  eine  ebenso 
unorganisirte ,  nicht  lebende  Bildung  wie  das  P]i  der  Wirbelthiere  vor  uns 
haben.  Ein  solches  Protozoenei  besitzt  allerdings  nicht  immer  eine  besondere 
Eihülle,  dieselbe  wird' aber  theils  durch  die  zurückgebliebene  Schale  des 
Zeugungsthieres  ersetzt  (Monothalamia,  Heliozoa),  theils  Hesse  es  sich  wohl 
«lenken,  dass  gerade  bei  den  Protozoen  die  Formbedingungen  für  die  Einleitung 
der  Entwickelung  so  einfacher  Natur  seien,  dass  unter  Umständen  eine  beson- 
dere Eihülle  ganz  entbehrlich  würde. 

Ein  wichtigerer  Einwurf  wäre  derjenige,  dass  die  Encystirung  oder 
Eibildung  gar  nicht  für  alle  Protozoen  nachgewiesen ,  dagegen  die  Theilung 
des  lebenden  Thiers  viel  allgemeiner  verbreitet  sei  und  als  einzige  Fortpflan- 
zungsweise mancher  niedersten  Protozoen  gerade  als  die  ursprüngliche  sich 
darstelle.  Zunächst  wissen  wir  aber  nur  so  viel  sicher,  dass  einfache  Theilung 
und  Encystirung  mit  der  darauf  folgenden  Vermehrung  nebeneinander  vor- 
kommen; die  fehlende  Beobachtung  der  einen  oder  anderen  Erscheinung  könnte 
nur  dann  eine  vorläufige  Bedeutung  beanspruchen ,  wenn  man  in  beiden  einen 
gleichartigen,  nur  nebensächlich  modificirten  Vorgang  annimmt.  Dies  halte 
ich  jedoch  für  unstatthaft;  die  Theilung  des  lebenden  Thiers  ist  eine  Lebens-'  .. 
crscheinung ,  diejenige  des  Eies  ein  nicht  lebendiger  Entwickelungsvorgang. 
Ferner  spricht  aber  auch  ein  sehr  gewichtiges  Bedenken  gegen  die  Annahme, 
dass  selbst  ein  Urthier  nur  in  der  ersten  Weise  sich  fortpflanze.  Aus  dem  (_ 
Wechselverhältniss  der  beiden  Faktoren  des  individuellen  Lebens,  wie  wir  es 
aus  der  Entwicklungsgeschichte  herauslesen  können ,  ergibt  sich  die  Not- 
wendigkeit eines  zeitlich  beschränkten  Bestandes  des  Einzellebens ,  also  seine 
früher  oder  später  erfolgende  Auflösung.  Anfangs  überwiegt,  wie  ich 
auseinandersetzte,  ■in  gewissem  Sinne  das  Formgesetz,  indem  es  die  Elementar- 
aktionen in  solchem  Masse  beschränkt,  dass  ihre  Leistungen  innerhalb  der 
Grenzen  des  Ganzen  wesentlich  in  der  mechanischen  Formbildung  aufgehen. 
Das  fertig  entwickelte  Leben  löst  aber  diese  Form  des  Geschehens  ab,  seine 
Arbeit  wird  zum  grossen  Theil  ausserhalb  des  Organismus  geleistet,  indem  die 
Bewegungen  der  Lokomotion ,  der  Nahrungsaufnahme  auf  Aussendinge  über- 
tragen werden,  und  die  innere  formbildende  Arbeit  erschöpft  sich  in  der 
Erhaltung,  dem  Ersatz  der  durch  jene  Bewegungen  gelösten  Spannkräfte  und 


348        "  XIII.    Schlussbetrachtungen. 

Formtheile.  Das  individuelle  Leben  ist  aber  nicht  11111'  unvermögend ,  seine 
einmal  gewonnenen  formalen  Grundlagen  weiter  zu  gliedern,  sondern  die 
unveränderte  Erhaltung  derselben  erscheint  auf  die  Dauer  unmöglich ,  da  das 
Formgesetz  mit  jedem  Verbrauch  eines  Formtheils  durchbrochen  wird,  und  der 
Ersatz  die  einmal  eingetretene  Lockerung  des  ersteren  nicht  ungeschehen 
machen,  sondern  bloss  zeitweilig  ihren  Fortschritt  aufhalten  kann.  Kurz,  so- 
bald die  aktiven  Lebensursachen  nicht  mehr  von  den  innerhalb  der  Embryonal- 
theile  im  Ueberfluss  angesammelten  Spannkräften  zehren,  sondern  die  ganzen 
Formelemente  selbst  anzugreifen  anfangen,  nimmt  der  Zusammenhang  des 
Formgesetzes  langsamer  oder  schneller  ab ,  und  die  volle  Auflösung  desselben 
und  damit  der  Tod  des  Individuums  ist  ebenso  unvermeidlich  wie  sein  zeitlicher 
Anfang,  und  zwar  nicht  in  Folge  einer  „lebensunfähigen"  Veränderung  des 
stofflichen  Substrats,  welches  z.  B.  bei  der  Encystirung  der  Protozoen  mehr 
oder  weniger  vollständig  in  neue  Lebensformen  übergeführt  werden  kann, 
sondern  lediglich  in  Folge  der  Auflösung  des  form  gesetzlichen  Zusammenhangs 
seiner  Theile.  Jane  solche  erfolgt  aber  bei  der  Theilung  des  ununterbrochen 
fortlebenden  Thieres  nicht ;  nimmt  man  daher  an ,  dass  irgend  ein  Urthier  nur 
durch  solche  Tlieilungen  sich  fortpflanze,  so  ist,  wie  mir  scheint,  die  weitere 
Annahme  konsequenterweise  unerlässlich,  dass  der  ganze  von  einem  ersten 
Individuum  ausgegangene  Stamm  nach  einer  relativ  beschränkten  Zeitdauer 
ausstirbt.  Und  da  die  Bildung  neuer  Lebensformen,  .wie  ich  noch  ausführ- 
licher zeigen  werde,  nur  auf  ontogenetischem  Wege  möglich  ist,  so  könnten 
höher  organisirte  Thiere  von  solchen  Protozoen,  welche  sicli  nur  durch  ein- 
fache Theilung  fortpflanzten,  nicht  abgeleitet  werden,  die  letzteren  niemals 
der  Ausgangspunkt  von  phylogenetischen  Reihen  sein.  Die  ebenfalls,,  aus 
meiner  Auffassung  der  individuellen  Entwicklungsgeschichte  logisch  begründ- 
bare  Notwendigkeit  der  Descendenztheorie  (s.  w.  u.)  fordert  daher  die 
Annahme  einer  Eibildung  bei  den  allerersten  Stammformen  des  Thierreichs 
sowohl  mit  Hinsicht  auf  die  dauernde  Erhaltung  wie  auch  die  Weiterbildung 
derselben.  Endlich  folgt  auch  aus  der  voranstehenden  Erörterung,  dass  das 
Ei  unmöglich  einen  besonderen  Zustand  des  fortdauernden  individuellen  Lebens 
darstellen  kann ,  weil  alsdann  die  durch  das  Ei  ausgeführte  Fortpflanzung  mit 
der  einfachen  Theilung  zusammenfiele  und  alle  daraus  gezogenen  Konsequenzen 
mit  sich  brächte,  welche  eben  mit  der  Descendenztheorie  im  Widerspruch  stehen. 
Nach  der  eben  gegebenen  Definition  des  individuellen  Todes  erscheint  es 
ganz  natürlich,  dass  bei  der  niederen  Organisation  der  meisten  Protozoen  nicht 


XIII.   Schlussbetrachtungen.  849 

einzelne  Theile  derselben  zu  Eiern  differenzirt  weiden,  sondern  der  ganze 
absterbende  Mutterorganismus  sich  in  eine  unorganisirte  Protoplasmakugel 
zusammenzieht  und  so  sich  in  ein  Ei  verwandelt.  Dabei  wird  nicht  bloss  mit 
der  individuellen  Lebensform  jede  Differenzirung  des  Protoplasmas  aufgegeben, 
sondern  dasselbe  verdichtet  sich  in  ganz  auffallender  Weise  und  wird  durch  eine 
Ausfällung  zahlreicher  Körner  undurchsichtig.  Diese  nur  dem  Encystirungs- 
zustande  eigene  Erscheinung  entspricht  aber  vollkommen  dem  aus  der 
Entwicklungsgeschichte  der  Vertebraten  abgeleiteten  allgemeinen  Postulat, 
dass  das  Ei  zur  Einleitung  und  Ausbildung  eines  individuellen  Lebens  einen 
gewissen  Vorrath  von  Spannkräften  in  Eorm  eines  festen,  durch  Auflösung  in 
lebensfähiges  Protoplasma  überführbaren  Stoffes  enthalte.  Diese  Dotter- 
bildung  im  Protozoeneie  sowie  seine  Umhüllung  sind  aber  nicht  sowohl  Lebens- 
erscheinungen des  Protoplasma,  sondern  Erzeugnisse  der  Wechselwirkung 
zwischen  dem  leblosen  Protoplasma  und  dem  umgebenden  Wasser,  ähnlich 
wie  bekanntlich  einzelne  künstlich  und  beliebig  abgetrennte  Protoplasmastücke 
gewisser  Protozoen  unter  demselben  Einfluss  sich  kugelig  zusammenzuziehen 
pflegen,  ohne  dass  daraus  stets  wieder  neue  Individuen  entständen.  Gerade 
die  Beobachtung,  dass  in  solchen,  ich  möchte  sagen  künstlich  erzeugten 
Eibildungen  die  Entwickelnng  bald  leicht  und  schnell  eintritt,  und  neue 
Individuen  bildet,  bald  nach  unvollkommenem  Anfang  wieder  zurückgeht  oder 
endlich  ganz  unterbleibt,  diese  Beobachtung  scheint  mir  sein"  geeignet  um 
darzuthun ,  dass  die  zur  Entwicklung  nothwendigen  Formbedingungen  nicht 
bereits  fertig  im  Eistoffe  enthalten  sind,  sondern  erst  unter  gewissen  Umständen 
an  demselben  zusammentreffen.  Denn  selbst  wenn  wir  für  die  denkbar  ein- 
fachsten Organismen  annehmen  wollten,  dass  zur  Einleitung  ihres  individuellen 
Lebens  nichts  weiter  nöthig  wäre  als  die  unter  der  Einwirkung  des  Wassers 
nothwendige  kugelige  Kontraktion  eines  beliebigen  Protoplasmastückes,  so  setzt 
dies  doch  immer  einen  Zustand  voraus,  in  welchem  dasselbe  Protoplasmastück 
alle  Bedingungen  zu  jener  Eibildung  noch  nicht  vereinigte,  mögen  dieselben  nur 
ganz  zufällig  oder  normal  im  Laufe  einer  Generationsreihe  zusammentreffen. 

Der  Bestand  und  die  Thätigkeit  des  von  mir  erörterten  Formgesetzes  > 
zeigt  sich  an  den  Protozoeneiern  auch  in  ihrem  weiteren  Verhalten.  Als  erster 
Ausdruck  der  fornigesetzlich  angeordneten  Wechselwirkungen  ihrer  Dotter- 
kugel mit  dem  umgebenden  Wasser  stellt  sich  gleichfalls  eine  Theilung  ein, 
welche  bereits  von  Anderen  mit  der  Dottertheilung  der  höheren  Thiere  ver- 
glichen worden  ist.     Ein  Wachsthum  der  sich  theilenden  Masse  fehlt  auch  am 

Goette,   Eutwickelungsgescbichlc  54 


850 


XIII.   Schlussbetrachtunaen. 


Protozoeneie,  wodurch  sich  ein  solcher  Vorgang  grundsätzlich  von  einer  durch 
Wachsthum  herbeigeführten  Zeilentheilung  unterscheidet.*  Ob  dabei  sofort 
oder  erst  nach  einiger  Zeit  oder  gar  keine  Kerne  sichtbar  werden,  ändert  an  der 
allgemeinen  formgesetzlichen  Bedeutung  nichts  •,  denn  auch  in  kernlosen  Proto- 
plasmakugelu  kann  nach  begonnener  Entwicklung  ein  centraler  Sammelpunkt 
ihrer  radiären  Strömungen  so  wenig  geläugnet  werden,  wie  etwa  in  den  Wirbel- 
thiereiern,  wo  ich  solche  Centra  in  der  Dotterkugel  und  ihren  ersten  gleichfalls 
kernlosen  Theilstücken  nachwies.  Die  Kernbildung  bezeichnet  bloss  eine  höhere 
histologische  Differenzirung ,  der  morphologische  Typus  bleibt  aber  in  kern- 
losen und  kernhaltigen  Dottertheilstücken  derselbe.  Die  weiteren  Schicksale 
der  aus  einem  Protozoeneie  hervorgehenden  Theilstücke  sind  lauter  Bestä- 
tigungen für  meine  Ansicht  von  den  Beziehungen  der  morphologischen  und 
histologischen  Entwicklung  und  der  Individualität  des  ganzen  Eiprodukts 
und  seiner  Theile.  Meist  ist  die  Dottersubstanz  so  ungenügend  gebildet  und 
daher  die  histologische  Ausbildung  und  individuelle  Lebensfähigkeit  der  Theil- 
stücke so  früh  hergestellt,  dass  dadurch  nicht  nur  der  Fortgang  der  morpho- 
logischen Entwicklung  unterbrochen  wird,  sondern,  wo  dieselbe  sogar  bis  zur 
radiären  Anordnung  der  Elemente ,  ja  bis  zur  Bildung  einer  während  einiger 
Zeit  zusammenhängenden  Keimblase  gedieh  (Magosphaera  planula  Haeckel), 
diese  Gesammtform  schliesslich  doch  wieder  aufgelöst  wird.  Die  kaum  an- 
gelegte Individualität  des  Ganzen  geht  vollständig  auf  die  einzelnen  Form- 


*  Haeckel  hat  den  Mangel  eines  Wachsthums  bei  der  ,.Furchnng"  der  Magosphaera 
planula  selbst  konstatirt  (Nr.  101).  Er  hat  den  abnehmenden  Durchmesser  der  Furchungs- 
kugeln  direkt  gemessen;  ich  habe  sie  von  demselben  ersten  Durchmesser  ausgehend  berech- 
net unter  der  Voraussetzung,  dass  das  Gesammtvolumen  nicht  zunimmt,  und  stelle  hier  die 
beiderlei  Verhältnisszahlen  zusammen: 


VonH. 

gemessen. 

Von 

mir  b< 

^rechnet. 

Einfache  Eizellen 

Durchmesser  60 

Durchmesser  60 

I. 

Furchung 

2 

Zellen 

') 

40 

:? 

*    48 

II. 

;? 

4 

?) 

)? 

34 

i? 

38 

III. 

>? 

8 

?? 

)> 

25 

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30 

IV. 

" 

16 

»> 

?' 

22 

?> 

24 

V. 

') 

32 

»* 

?1 

20 

M 

19 

Es  ergibt  sich  daraus,  1.  dass  das  Volumen  der  32  Theilstücke  dasjenige  des  ungetheilten 
Eies  nicht  nennenswerth  übertrifft,  2.  dass  aber  das  letztere  bei  der  ersten  Theilung  plötz- 
lich abnimmt,  um  allmählich  wieder  das  frühere  Mass  zu  erreichen.  Diese  Thatsachen 
stimmen  auf  das  befriedigendste  mit  der  nothwendigen  Zusammenziehung  des  Eies  vor  der 
Theilung  überein  und  verallgemeinern  dadurch  meine  bezüglichen  an  den  Batrachiern  ge- 
wonnenen Resultate. 


XIII.   Schlussbetrachtungen.  851 

elemente  über,  das  Eiprodukt  zerfällt  in  zahlreiche  einelementige  Organismen, 
sinkt  also  vom  höheren  Typus  der  Keimblase  auf  die  niederste  Stufe  des  einfach 
kugeligen  Typus  zurück,  welcher  trotz  aller  äusseren  Abweichungen  wenigstens 
in  dem  von  mir  erörterten  Sinne  der  Grundform  oder  des  Typus  allen  ein- 
elementigen Organismen  gemeinsam  bleibt.  Allerdings  können  durch  Ungleich- 
heit der  Radien  und  denselben  angepasste  histiologische  Differenzirungen  uni- 
und  bipolare,  sowie  bilaterale  Formen  auch  an  den  einelementigen  Organismen 
hervorgebracht  werden ;  zu  typischer  Bedeutung  gelangen  aber  solche  Form- 
verhältnisse erst  dort,  wo  sie  der  morphologischen  Entwickelung  angehören, 
während  sie  für  jene  Organismen  nur  die  Bedeutung  haben  wie  die  „Variationen" 
desselben  Typus  z.  B.  bei  den  verschiedenen  Wirbelthieren.  Ferner  wird  nach 
meiner  Ansicht  der  Begriff  des  einelementigen  Organismus,  soweit  er  durch  die 
morphologische  Entwickelung  festgestellt  ist,  auch  durch  die  postembryonale 
Vermehrung  der  Kerne,  ja  selbst  durch  Erzeugung  endogener  Zellen  nicht 
berührt;  denn  diese  Bildungen  gehören  in  die  Kategorie  histiologi scher  Differen- 
zirung,  welche  den  genetisch-morphologischen  Werth  des  ganzen  Organismus 
nicht  abändern  kann.  Der  allgemeine  Charakter  der  Protozoen  lässt  sich  daher 
dahin  zusammenfassen,  dass  es  Thiere  sind,  deren  morphologische  Entwickelung 
auf  so  niederer  Stufe  bleibt ,  dass  das  Eiprodukt  seine  Individualität  nicht  zu 
wahren  vermag ,  sondern  stets  in  die  sämmtlichen  Formelemente  als  die  indivi- 
duellen Fortpflanzungsprodukte  zerfällt,  Nur  einzelne  deuten  in  ihrer  Entwicke- 
hing  Ansätze  zum  Fortschritte  des  Typus  an  (Magosphaera) ;  Uebergänge  zur 
nächsthöheren  Gastrulaform  sind  nicht  bekannt. 

Dafür,  dass  die  Eier  der  über  den  Protozoen  stehenden  Thiere  am  Aus- 
gangspunkte ihrer  Entwickelung  kernlose  Protoplasmakugeln  sind,  wurden  be- 
reits so  viele  Beweise  erbracht,  dass  wir  diese  Thatsache  im  allgemeinen  auf  alle 
jene  Thiere  beziehen  dürfen.  Was  alles  über  die  Zellennatur  ihres  Eies  ge- 
schrieben worden  ist,  konnte  eigentlich  nur  so  lange  eine  grössere  Bedeutung 
beanspruchen,  als  man  glaubte  daran  festhalten  zu  können,  dass  gewisse  Zellen 
des  Zeugungsthiers  durch  blosses  Wachsthum  zu  reifen  Eiern  würden  und 
dann  durch  ebenso  einfache  Zellentheilungen  in  die  Embryonalbildung  über- 
gingen. Seitdem  wohl  allgemein  anerkannt  wird,  dass  in  dem  allein  ent- 
wicklungsfähigen reifen  Eie  mit  dem  Schwunde  des  Keimbläschens  die  Zellen- 
natur der  seiner  Bildung  zu  Grunde  liegenden  Keimzelle  aufhört,  kann  die 
Frage  nach  der  „Eizelle"  füglich  nur  noch  für  die  letztere  oder  etwa  die  erste 
Stufe  der  bereits  begonnenen  Embryonalentwickelung,  die  sogenannte  erste 

54* 


852  XIII.   Schlussbetrachtungen. 

Furchungszelle,  in  Betracht  kommen,  aber  nicht  mehr  auf  eine  vom  Zeugungs- 
thier  auf  die  Nachkommen  kontinuirlich  vererbte  Zellenexistenz  hinzielen.  Da 
es  sich  jedoch  bei  dieser  Frage  in  erster  Linie  um  die  Bedeutung  des  Eies  als 
eines  Elementarorganismus  handelt,  welcher  von  der  Keimzelle  an  bis  zu  dem 
aus  ihm  hervorgehenden  vollkommenen  Organismus  das  Leben  kontiuuirlich 
fortführe ,  so  nehmen  die  Anhänger  der  Eizellentheorie  gegenwärtig  in  dem 
kernlosen  Zustande  des  reifen  Eies  nur  einen  Wechsel  in  der  äusseren  Form  des 
kontinuirlichen  Lebens  an.  So  hält  Haeckel  den  Schwund  des  Keimbläs- 
chens, den  er  früher  nicht  recht  anerkennen  wollte  (S.  73),  nunmehr  für^ einen 
durch  die  Befruchtung  bewirkten  Rückschlag  aus  der  Zellen-  in  die  Cytoden- 
form ,  welche  vor  der  Dottertheilung  wieder  in  die  erste  übergehe ,  sodass  die 
l/^Furchimg"  eine, einfache  Zeilentheilung  sei.  Aber  schon  durch  die  sich  be- 
ständig mehrenden  Nachweise  der  Parthenogenesis,  sowie  durch  die  wenigstens 
bei  den  Wirbelthieren  vollständig  gewisse,  lange  vor  der  Befruchtung  eingeleitete 
Atrophie  des  Keimbläschens  wird  der  Einfluss  der  Befruchtung  auf  diesen  Vor- 
gang ganz  bestimmt  ausgeschlossen.  Mögen  aber  auch  in  anderen  Fällen  beide 
Vorgänge  koincidiren  oder  selbst  im  Kausalzusammenhänge  stehen,  so  haben 
wir  in  jener  Umbildung  des  reifenden  Eies  immerhin  einen  Rückbildungspro- 
cess  anzuerkennen;  und  dass  ein  solcher,  welcher  zudem  einen  der  zwei  Haupt- 
bestandtheile  der  angeblichen  einfachen  Zelle  zerstört,  dennoch  ihr  Leben 
nicht  abschwächen,  sondern  gerade  zur  höchsten  Entwickelung  veranlassen 
soll,  scheint  mir  schon  a  priori  eine  bedenkliche  Annahme.  Anderseits  ist  mir 
nichts  bekannt,  was  der  Auffassung  widerspräche,  dass  die  reifen  Eier  der  zwi- 
schen den  Protozoen  und  Vertebraten  stehenden  Thiere  sich  in  jeder  Hinsicht 
so  wie  bei  diesen  verhielten.  Ueberall  geht  das  die  Eibildung  einleitende 
Zellenleben  zu  Grunde,  indem  das  Keimbläschen  sich  auflöst  und  die  übrige 
Eimasse  sich  in  eine  mehr  oder  weniger  körnige  Dottersubstanz  verwandelt, 
welche  in  ihren  überwiegenden  festen  Theilen  die  Lebensfähigkeit  des  Proto- 
plasmas nicht  besitzt.  Und  dies  stimmt  wieder  mit  meiner  Auffassung  von  den 
Bedingungen  der  Entwickelung  vollkommen  überein :  die  Entwicklungsfähig- 
keit des  reifen  Eies  schliesst  ein  wirkliches  Leben  desselben  aus.  Natürlich 
verträgt  sich  aber  damit  die  Deutung  der  Dottertheilung  als  einer  einfachen 
Zellentheilung  nicht.  Und  wenn  gerade  dieser  unpassende  Vergleich  wohl  nicht 
wenig  dazu  beigetragen  hat,  die  Annahme  zu  empfehlen ,  dass  die  Keimzelle 
im  wesentlich  ungestörten  Fortbestande  in  die  sich  theilende  Dotterkugel  über- 
gehe, dass  also  die  Eizelle  vor  und  nach  dem  vorübergehenden  kernlosen  Zu- 


XIII.   Schlussbetrachtungen.  853 

stände  im  Grunde  dieselbe  Bildung  sei,  so  will  ich  nochmals  an  die  hinsichtlich 
der  Wirbelthiere  und  Protozoen  bereits  hervorgehobenen  Inkonsequenz  erinnern, 
womit  z.  B.  Haeckel  die  Zeilentheilung  als  einWachsthum  über  das  indivduelle 
Mass  hinaus  bezeichnet  (vgl.  S.  100,  Nr.  100  II  S.  16),  während  er  selbst  in  dem 
am  genauesten  untersuchten  Falle  der  Dottertheilung  bei  Magosphaera  den  voll- 
ständigen Mangel  eines  Wachsthums  nachgewiesen  hat.     Nicht  einmal  in  der 
äusseren  Erscheinung  stimmen  beide  Theilungsvorgänge  überein.   Die  Ansicht, 
dass  die  Dotterkugel  unmittelbar  vor  der  ersten  Theilung  bereits  einen  voll- 
ständigen Kern  enthalte,  ist  freilich  so  naheliegend,  sobald  man  die  deutlichen 
Bilder  desselben  an  den  späteren  Zellen  kennt,  dass  man  jene  Ansicht  leicht 
für  thatsächlich  erwiesen  hält,  auch  wo  die  bezügliche  Beobachtung  sich  auf 
die  Wahrnehmung  irgend   eines  hellen  Centrums  am  unberührten  Eie  be- 
schränkt.    Genügende  Sicherheit  gewährt  nur  die  Untersuchung  von  Durch- 
schnitten, wie  sie  z.  B.  Kowalewski  an  Eiern  von  Euaxes  ausgeführt  hat  (Nr. 
159  S.   13  u.  flg.  Taft  IV).      Vergleicht  man  aber   dieselben   mit   den  ent- 
sprechenden Abbildungen  von  Batrachiereiern ,  so  wird  man  nicht  geneigt  sein, 
die  grossen  hellen  Centren,  welche  Kowalewsky  selbst  als  Kerne  deutet,  auch 
wirklich  für  solche  zu  halten.    Einmal  sind  sie  selbst  auf  den  stark  vergrösser  - 
ten  Durchschnittsbildern  nicht  durch  einen  eigenen  Kontur,  sondern  bloss  durch 
die  körnige  Dottermasse  selbst  und  zwar  mit  winkelig  gebogenen  oder  zackigen 
Linien  begrenzt;  ferner  sollen  die  Kernkörperchen  dieser  Kerne  anfangs  nur 
Körnerhaufen  sein,  welche  sich  bei  der  Theilung  in  zwei  durch  einen  Faden  ver- 
bundene Hälften  ausziehen.      Diese  auffallenden  Angaben   passen   zu   allen 
sonstigen  Beobachtungen  von  einfachen  sich  theilenden  Kernen  nicht  im  gering- 
sten, decken  sich  aber  vollständig  mit  meinen  Beobachtungen  am  Batrachiereie, 
wenn  man  die  angeblichen  Kerne  und  Kernkörperchen  von  Euaxes  mit  den 
Lebenskeimen  und  Kernkeimhaufen  jener  Vertebraten  vergleicht,  welche  früher 
ebenfalls  für  Kerne  und  Kernkörperchen  gehalten  wurden  (S.  68. 69).  Nimmt  man 
dazu,  dass  in  der  Fig.  25  der  KowALEWSKY'schen  Arbeit  nach  Grösse  und  Aussehen 
genau  gleiche  Gebilde  in  den  grösseren  Stücken  als  Kernkörperchen,  in  den  da- 
von abgetrennten  kleineren  Dotterstücken  als  Kerne  figuriren ,  so  wird  es  noch 
wahrscheinlicher,  dass  die  letzteren  die  Hälften  der  sich  theilenden  angeblichen 
Kernkörperchen  /sind    und    dass    folglich    diese   in    der   That   die   während 
der  Dottertheilung  in  der  Bildung  begriffene  Kerne  darstellen,  welche  also 
ebenso  wie  bei  den  Batrachiern  aus  Körnerhaufen  inmitten  der  mit  der  unver- 
änderten Dottersubstanz  kontinuirlich  zusammenhängenden  Umbildungscentren 


$54  XIII.    Schlussbetrachtungen. 

derselben  oder  der  Lebenskeiuie  entstehen.     Der  Umstand ,  dass  nach  meinen 
Beobachtungen  die  Kerne  allerdings  zuletzt  an  die  Stelle  der  aufgebrauchten 
Lebenskeime  treten,  lässt  die  von  mir  angenommene  Verwechselung  um  so  er- 
klärlicher erscheinen,  besonders  da  die  Aufmerksamkeit  bisher  auf  diesen 
Punkt  nicht  gelenkt  war.   Aus  denselben  interessanten  Untersuchungen  Kowa- 
lewsky's,  welche  jedenfalls  die  Dottertheilung  niederer  T liiere  am  ausführlich- 
sten darstellen ,  entnehme  ich  ferner  die  wichtige  Thatsache ,  dass  die  Dotter- 
schmelzung der  morphologischen  Entwickelung  durchaus  parallel  geht,  in  den 
sich  schneller  theilenden  und  verkleinernden  Dotterstücken  auch  am  schnell- 
sten abläuft  (Embryonalzellen),  in  den  grösseren  aber  zum  Stillstand  kommt, 
sobald  ihre  Theilungen  eingestellt  werden.     Ferner  sind  die  Unibildungsherde 
der  grossen  ersten  Dotterstücke  excentrisch  gelegen,  wie  ich  es  nicht  nur  an 
.Vertebraten  und  einigen  niederen  Thieren  als  Norm  fand,  sondern  auch  als  die 
nothwendige  nächste  Ursache  der  Scheidung  des  Eies  in  zwei  ungleichmässige 
Hälften  erkannte,  woraus  an  Euaxes  in  durchaus  ähnlicher  Weise  wie  bei  den 
Batrachiern  die  weitere  morphologische  Entwickelung  sich  ergibt.     Es  lassen 
sich  also  aus  dem  ausführlichsten  Beispiele  der  ersten  Entwickelung  des  Eies 
niederer  Thiere  alle  diejenigen  Merkmale  und  Vorgänge  beobachten,  aus  denen 
ich  zunächst  für  die  Wirbelthiere  den  Kausalzusammenhang  der  Entwickelung 
ableitete,  sodass  die  darauf  bezüglichen  allgemeinen  Sätze  dadurch  eine  weitere 
Verallgemeinerung  erfahren.     Und  zwar  glaube  ich  ihre  Gültigkeit  auch  für 
alle  diejenigen  Fälle  annehmen  zu  dürfen,  welche  nicht  genau  dieselben  äusseren 
Befunde  liefern  sollten.     Mag  z.  B.  die  Dottersubstanz  weniger  deutlich,  der 
Kern  aber  früher  erscheinen  als  in  den  erörterten  Beispielen ,  so  schwächt  dies 
die  Bedeutung  der  ersteren  für  die  ganze  Entwickelung  ebenso  wenig  ab ,  als 
selbst  eine  wirklich  und  nicht  bloss  scheinbar  kernhaltige  Dotterkugel  dadurch 
noch  nicht  zum  fertigen  Elementarorganismus  wird.     Auf  die  blossen  Namen 
„Eizelle",  „Zeilentheilung"  kann  es  dabei  freilich  nicht  viel  ankommen,  solange 
man  die  Morphologie  in  der  bisherigen  schematischen  Weise  weiter  behandelt, 
wonach  Protozoen,  Eier  ,  Gewebsfasern  u.  s.  w.  in  eine  Kategorie  zusamnien- 
.  geworfen  werden.     Auch  werden  gewiss  die  grundsätzlich  verschiedenen  Zu- 
stände des  reifen  Eies  und  des  vollkommenen  individuellen  Lebens  in  den  ein- 
zelnen Thierformen  durch  einen  wechselnden  Abstand  getrennt  sein.  Es  kommt 
mir  aber  nur  darauf  an,  an  einzelnen  Beispielen  zu  zeigen,  dass  ein  solcher  nur 
durch  allmähliche  Entwickelung  auszufüllender  Abstand  wirklich  besteht-,  und 
die  bezeichneten  Abweichungen  in  dem  Befunde  verschiedener  Entwickelungs- 


XIII.   Schlussbetraclitungen.  855 

verlaufe  werden  uns  nicht  an  sich ,  sondern  nur  insofern  interessiren ,  als  sich 
uns  daraus  die  Unterschiede  erklären  müssen ,  welche  bei  dein  relativ  gleichen 
Anfang  und  Vorgang  der  gesammten  thierischen  Entwickelung  in  den  einzelnen 
Endergebnissen  entgegentreten. 

Die  verschiedene  chemische  Beschaffenheit  der  Dottersubstanz  kann  zu- 
nächst natürlich  nicht  festgestellt  werden.  Auch  scheint  sie  mir  in  den  vor- 
liegenden Fragen  von  geringerer  Bedeutung  zu  sein  und  erst  später,  namentlich 
in  der  Histiogenese  zur  vollen  Geltung  zu  kommen.  Denn  einmal  können  wil- 
den am  leichtesten  nachweisbaren  stofflichen  Unterschieden,  nämlich  hinsicht- 
lich des  Pigments,  jeden  Einfiuss  auf  die  fundamentale  morphologische  Ent- 
wickelung absprechen,  da  dasselbe  oft  in  derselben  Art  einem  nicht  unbedeu- 
tenden Wechsel  unterworfen  ist;  und  ferner  finden'  wir  ebenso  oft  eine  so  grosse 
Uebereinstimmuiig  in  der  ersten  morphologischen  Entwickelung  ganz  verschie- 
dener Thiere  —  ich  erinnere  nur  an  die  Entstehung  der  Gastrula  bei  manchen 
Coelenteraten,  Echinodermen,  Würmern,  Ascidien,  Amphioxus  — ,  deren  Eiern 
man  unzweifelhaft  eine  verschiedene  chemische  Konstitution  zuschreiben  muss, 
dass  wir  auch  in  diesem  Falle  eine  unmittelbar  massgebende  Einwirkung  der 
letzteren  auf  jene  Entwickelungsresultate  nicht  wohl  annehmen  können.  Dagegen 
kommt  die  Beschaffenheit  der  Dottermasse  allerdings  in  Betracht,  soweit  es  sich 
um  ihre  Verschiedenheit  in  demselben  Eie  handelt,  also  insbesondere  um  die 
Ausbildung  einer  Rindenschicht  und  deren  relative  Massverhältnisse,  und  soweit 
durch  jene  Beschaffenheit  das  Mass  der  im  Eie  angesammelten  Spannkräfte  l'elativ 
bestimmt  wird.  Im  ersten  Falle  liegt  aber  bereits  eine  von  den  mechanisch 
wirkenden  Formbedingungen  vor ,  welche  das  Formgesetz  konstruiren  (S.  571), 
und  das  Mass  der  Spannkräfte  wirkt  natürlich  nicht  unmittelbar  formbildend, 
sondern  stellt  sich ,  indem  es  das  Quantum  der  für  die  morphologische  Ent- 
wickelung verfügbaren  Elementaraktionen  bestimmt,  dem  Formgesetz  eben  als 
der  zweite  der  beiden  Faktoren  der  Gesammtentwickelung  gegenüber ,  dessen 
Werth  wir  gerade  nach  der  Höhe  der  morphologischen  Entwickelung  bemessen. 
So  müssen  wir  auch  bei  den  bevorstehenden  Vergleichen  stets  von  den  Form- 
verhältnissen  ausgehend  auf  den  Kausalzusammenhang  des  Vorgangs  schliessen, 
aber  alsdann  auch  die  Werthschätzung  der  ersteren  oder  die  Homologien  nur 
auf  diesen  genetischen  Zusammenhang  begründen. 

Eine  eingehendere  Vergleichung  der  individuellen  Entwickelungsgeschichte 
der  verschiedenen  Hauptformen  des  Thierreichs  ist  erst  seit  der  durch  Dar- 
win veranlassten  lebhaften  Wiederaufnahme  der  Descendenztheorre  ins  Leben 


856  XIII.  Schlussbetrachtuugen. 

getreten ;  und  auch  in  dieser  Beziehung  ist  es  vornehmlich  Haeckel  gewesen, 
der  mit  der  ihm  eigentümlichen  Energie  das  Problem  gleich  im  grossen  und 
ganzen  zu  vollständiger  und  radikaler  Lösung  zu  bringen  versuchte.   Ich  halte 
es  daher  für  geboten,  bevor  ich  jene  Vergleichung  nach  den  von  mir  entwickel- 
ten Grundsätzen  unternehme,  gleich  hier  auf  den  wesentlichen  Unterschied 
zwischen  Haeckel's  und  meiner  Auffassungsweise  in  dieser  Frage  hinzuweisen. 
—   Haeckel  kennt   und  berücksichtigt   in  der  individuellen  Entwicklungs- 
geschichte nur  die  äusseren  Form erscheinungen,  und  wenn  er  von  ihrem  Kausal- 
zusammenhange  spricht,  so  kann  er  nur  ihren  Kontinuitätszusammenhang 
meinen ;  denn  der  erstere  mag  dabei  wohl  stillschweigend  vorausgesetzt  werden, 
gegenständlich  bezeichnet  wird  er  entweder  gar  nicht  oder  in  einer  Weise, 
welche  nicht  gerade  an  mechanische  Auffassung  erinnert.     Allerdings  könnte 
hierher  der  Versuch  einer  mechanischen  Erklärung  der  Zellentheilung  bezogen 
werden,  indem  nach  Haeckel's  Ansicht  die  Dottertheilung  nichts  anderes  vor- 
stellen soll.     Wollten  wir  aber  auch  im  Widerspruch  mit  den  Thatsachen  bei 
.   der  Dottertheilung  ein  Wachsthum  über  das  individuelle  Mass  hinaus  anerkennen, 
so  wäre  doch  dasselbe  durch  die  ganz  allgemeine  Annahme  anziehender  und 
abstossender  Kräfte  als  mechanischer  Ursachen  nicht  im  mindesten  erklärt 
(S.  90.  91).     Denn  Anziehung  und  Abstossung  können  wohl  die  „Erscheinung" 
des  individuellen  Zusammenhangs  und  darauf  der  Theilung  einer  Zelle  ganz 
im  allgemeinen  ausdrücken,  aber  ebendesshalb  ihre  thatsächlichen  Ursachen 
selbst  hypothetisch  nicht  im  entferntesten  andeuten ,  sowie  in  der  Physik  jene 
Ausdrücke  die  Wechselbeziehungen  der  Atome  zu  einander  nicht  erklären,  son- 
dern lediglich  bezeichnen  und  so  die  Formel  für  das  letzte  nicht  weiter  erklär- 
bare „Erscheinungsgesetz"  darstellen.     Zudem  ist  mit  der  angeblichen  Zellen- 
theilung für  die  individuelle  Entwicklung  wenigstens  der  über  den  Protozoen 
stehenden  Thiere,  der  Metazoen  nach  Haeckel,  gar  nichts  gewonnen,  da  die 
Dottertheilstücke  eben  nicht  auseinanderfallen,  sondern  von  Anfang  an  bei  einer 
gewissen  Verschiedenheit  in  der  Grösse  in  einem  eigenthümlichen  formgesetz- 
lichen Zusammenhange  bleiben,  um  auf  Grundlage  desselben  eine  kürzere  oder 
lungere  Reihe  ganz  gesetzmässiger  Umbildungen  des  Ganzen  auszuführen,  bis 
dieselben  allmählich  durch  die  lokale  histiologische  Entwicklung  abgelöst  wer- 
den. Alle  diese  Thatsachen,  auf  denen  das  Verständniss  der  ganzen  thierischen 
Morphologie  beruht,  hat  Haeckel  unmittelbar  gar  nicht  anders  als  durch  die 
„l'orinbildende  Funktion  des  Plasmas"  zu  erklären  versucht.     In  zweiter  Linie 
wird  allerdings  die  Phylogenese  als  „mechanische  Ursache"  der  gesammten 


XIII.    Sclilussbetrachtungen.  857 

individuellen  Entwickelung  genannt;  doch  kann  uns  natürlich  die  Bezeichnung 
entfernterer  hypothetischer  Ursachen  nicht  befriedigen,  wenn  die  nächsten  so 
wenig  greifbar  sind  wie  in  diesem  Falle ,  also  der  Nachweis  eines  Zusammen- 
hangs zwischen  der  Phylogenese  und  ihrer  zu  erklärenden  Wirkung  fehlt.  Ich 
habe  bereits  auseinandergesetzt  (S.  589),  dass  Substrat  und  Form  niemals  in 
dem  einfachen  Verbal tniss  von  Grund  und  Folge  gedacht  werden  können;  ich 
will  hier  aber  hinzufügen,  dass  wir  überdies  von  der  ganzen  Funktion  des 
Plasmas  nichts  weiter  erfahren  als  ihren  „formbildenden"  Einfluss,  und  dass 
uns  daher  nichts  verloren  geht,  wenn  wir  uns  statt  dessen  mit  der  Behauptung 
begnügen ,  die  gesammte  Morphologie  der  Thiere  beruhe  eben  auch  lediglich 
auf  naturnothwendigen  Vorgängen.  Damit  wird  aber  unzweifelhaft  nichts  er- 
klärt ,  sondern  nur  der  Standpunkt  bezeichnet,  von  welchem  die  Untersuchung  I 
des  besonderen  Kausalzusammenhangs  auszugehen  habe.  —  Noch  auffallender 
ist  gerade  bei  Haeckel  eine  Annahme ,  die  uns  ganz  konsecpient  über  den 
naturnothwendigen  Kausalnexus  hinausführt.  Er  ist  nämlich  der  Ansicht,  dass 
die  Bildungszellen  gewisser  Organe  bereits  unter  den  „gleichartigen  Furchungs- 
zellen"  soweit  vorherbestimmt  seien,  dass  sie  bei  der  Sonderung  der  beiden  pri- 
mären Keimblätter  im  Laufe  der  Phylogenese  allmählich  aus  der  ursprüng- 
lichen Lage  in  dem  einen  Blatte  in  das  andere  übergehen  und  so  die 
Entwickelung  des  gleichen  Organs  in  die  fundamental  verschiedensten  Lagen 
übertragen  könnten  (Nr.  163  S.  45.  40).  Wenn  Haeckel  einen  solchen  Vor- 
gang für  einige  besondere  Fälle  (Sexualzellen  und  Theile  des  mittleren  Keim- 
blattes) auch  nur  vermuthet ,  so  nimmt  er  doch  offenbar  an  der  Vorstellung 
selbst  nicht  den  mindesten  Anstoss.  Demzufolge  hätte  eine  jede  Furchungs- 
zelle*  eine  besondere  und  ganz  bestimmte  Bildungskraft,  welche  durch  die 
eingreifendsten  Lageveränderungen  unberührt  bleibt,  also  den  Einwirkungen 
der  im  Laufe  der  Entwickelung  wechselnden  formalen  und  sonstigen  Anpassungs- 
bedingungen nicht  unterworfen  ist.  Und  da  die  „gleichartigen  Furchungs- 
zellen"  aus  der  „ganz  gleichartigen  und  strukturlosen  Masse"  des  Eies 
(Monerula)  unmittelbar  hervorgehen,  so  fehlt  auch  in  dem  letzteren  jedes 
mechanische  oder  physiologische  Kausalmoment  für  die  Entstehung  jener 
einzelnen  von  Anfang  an  gesonderten  und  unendlich  mannigfaltigen  Bildungs- 


*  Es  ist  selbstverständlich ,  dass  die  Sexualorgane  und  die  Erzeugnisse  des  mittleren 
Keimblattes  keine  Ausnahme  von  allen  übrigen  Körpertheilen  machen  können ,  obgleich  es 
für  die  folgende  Beweisführung  ganz  gleichgültig  ist ,  auf  welche  und  auf  wie  viele  Organe 


/ 


die  bezeichnete  Ansicht  angewandt  wird. 


858  XIII.    Sclilussbetraehtungen. 

kräfte.  Deim  selbst  eine  hypothetische  formbildende  Funktion  des  Plasmas 
könnte  in  einem  homogenen  Substrat  nicht  mannigfaltig  und  unveränderlich 
getheilt  und  weiterhin  jedem  natürlichen  Einflüsse  entzogen  gedacht  werden. 
Kurz,  jene  Vorstellung  Haeckel's,  welche  mit  der  von  His.  gelehrten  Prädesti- 
nation der  Embryonalzellen  zusammenfällt  (S.  554) ,  löst  konsequenterweise 
die  Erscheinungen  der  individuellen  Entwickelung  von  den  natürlichen  Be- 
dingungen ihres  Substrats  ab  und  setzt  für  sie  eine  in  natürlicher  Weise  nicht 
zu  begründende  Ursache  voraus,  welche  von  der  Lebenskraft  oder  sonst  einer 
teleologisch  konstruirten  Ursache  nur  durch  den  Namen  sich  unterschiede.  Die 
Berufung  auf  die  Phylogenese  als  die  letzte  „mechanische  Ursache"  der 
individuellen  Entwickelung  ändert  an  dem  Gesagten  nichts ,  da  sie  ja  doch  nur 
durch  das  Ei  wirken  könnte,  wo  die  mechanische  Begründung  der  weiteren 
Entwickelung  nach  der  eben  kritisirten  Darstellung  aufhört.  —  Ich  finde  daher 
bei  Haeckel  nicht  nur  keinen  Aufschluss  über  den  natürlichen  Kausal- 
zusammenhang der  aneinandergereihten  Entwickelungsglieder,  sondern  ge- 
legentlich Vorstellungen,  welche  denselben  durchaus  verneinen.  Aber  auch  die 
Art  und  Weise,  wie  Haeckel  die  Homologien  ableitet,  kann  seine  ontogene- 
tischen  Vergleiche  nicht  unterstützen.  Zum  Beleg  dafür  wähle  ich  die  Begrün- 
dung der  Gastraea- Theorie,  welche  Haeckel  zum  Ausgangspunkte  für  die 
Erkenntniss  des  monophyletischen  Zusammenhangs  aller  Metazoen  nimmt. 

Nachdem  bereits  in  sehr  vielen  grösseren  und  kleineren  Abtheilungen  des 
Thierreichs  eine  ganz  gleiche  Entstehung  der  Gastrulaformen,  durch  Ein- 
stülpung der  Keimblase,  beobachtet  worden  ist,  so  Hesse  sich  die  Annahme 
einigermassen  rechtfertigen,  class,  wo  diese  Entstehung  auch  nicht  beobachtet 
wurde ,  die  entsprechende  Embryonalform  dennoch  ähnlich  entstehe  wie  jene 
anderen  Gastrulae,  also  ihnen  auch  homolog  sei.  Haeckel  nimmt  aber  für  die 
Schwämme  an  (Nr.  128  I  S.  330 — 336),  dass  die  aus  der  Eitheilung  hervorge- 
gangene kompakte  Zellenmasse  (Morula)  durch  lokale  Absonderung  in  zwei 
koncentrische  Schichten  zerfalle  (Planula) ,  von  denen  darauf  die  innere  eine 
Höhle  erhalte  (Planogastrula) ;  und  indem  diese  Höhle  nach  aussen  durch- 
breche, sei  die  Gastrula  der  Schwämme  als  eine  den  übrigen  homologe  Form 
fertig.  Später  lässt  er  sogar  beide  Arten  der  Gastrulabildung  mit  der  Aus- 
höhlung der  Morula  beginnen,  worauf  die  dadurch  gebildete  Blase  entweder 
vermittelst  einer  Einstülpung  oder  durch  lokale  Schichtung  ihrer  Wand  und 
sekundären  Durchbruch  des  Mundes  zur  Gastrula  werde  (Nr.  103  S.  23).  In 
beiden   Fällen   sei   das    Resultat  ganz    dasselbe   und    daher   die    scheinbar 


XIII.   Schlussbetrachtungen.  859 

bedeutende  Verschiedenheit  der  Genese  aus  einer  sekundären  Anpassung  in 
Folge  abgekürzter  Vererbung  abzuleiten.     Durch  eine  solche  Art  Homologien 
festzustellen    würde  aber  -die   genetische   Begründung    derselben    überhaupt 
illusorisch.     Denn  wenn  die  ausgehöhlte  Morula  oder  die  Keimblase  der  ge- 
meinsame Ausgangspunkt  ist,    so  wäre  im  ersten  Falle  das  Entoderm  in  der 
unteren  Hemisphäre,  im  anderen  Fidle  an  der  Innenfläche  der  Keimblase  ange- 
legt, die  Darmhöhle  dort  eine  an  die  Stelle  der  Keimhöhle  tretende  Neubildung, 
hier   die   fortbestehende   Keimhöhle   selbst.     Die   sekundär   durchbrechende 
Mundöfhiung  endlich  hat  mit  der  Einstülpungsöffnung  gar  nichts  zu  schaffen. 
Mag  nun  die  „Fälschung  der  Ontogenese"  noch  so  gewiss  die  Ursache  der 
grundsätzlichen  Verschiedenheit  beider  Entwickelungsvorgänge  sein,  so  wird 
doch  im  gegebenen  Falle  die  letztere  dadurch  nicht  gehoben,  folglich  auch  die 
vermisste   Homologie   der  HAECKEL'schen  Gastrulaformen  nicht  hergestellt. 
Allerdings  scheint  aber  Haeckel  die  genetische  Uebereiustimmung  für  die 
Homologie  überhaupt  nicht  unbedingt  zu  verlangen;   denn  an  einer  anderen 
Stelle  sucht  er  die  Homologie  der  beiden  überall  nachweisbaren  ursprünglichen 
Keimschichten,  worauf  mit  Recht  das  Hauptgewicht  gelegt  wird,  ausschliesslich 
dadurch  zu  beweisen ,   dass  sich  aus  ihnen  überall  dieselben  fundamentalen 
Organe  entwickelten  (Nr.  158  S.  159).     Nur  vermag  ich  wenigstens  alsdann 
den  Unterschied  zwischen  Analogie  und  Homologie '  nicht  mehr  einzusehen. 
Soll  erst  die  Gleichheit  der  Erzeugnisse  die  Homologie  ihrer  Anlagen  begründen, 
so  erhellt,   dass  jene  Gleichheit  zunächst  nur  eine  Analogie  sein  kann;    denn 
die  Homologie  jener  Erzeugnisse  würde   natürlich  diejenige  ihrer  Anlagen 
voraussetzen.     Haeckel  bestimmt  also  die  Homologie  durch  Analogien  und 
erklärt  damit  zugleich,  dass  auch  ein  gleicher  Ursprung  verschiedener  Gastrula- 
formen ihre  genetisch  -  morphologische  Uebereinstimmung  —  denn  dies  allein 
kann  „Homologie"  heissen  (vgl.  Nr.  89  S.  79)  —  noch  nicht  genügend  bekundet. 
Die  nothwendige  Folge  davon ,  dass  Haeckel  auf  diese  Weise  die  Begriffe  der 
Analogie  und  Homologie  zusammenwirft  und  willkürlich  abändert ,  ist  nun  die, 
dass  er  die  morphologische  Gleichwerthigkeit  aller  Gastrulaformen  auch  von 
seinem  Standpunkte  aus  nicht  beweisen  kann.     Er  macht  dieselbe  wie  gesagt 
davon  abhängig ,  dass  die  beiden  primitiven  Keimblätter  überall  die  gleichen 
fundamentalen  Organe  erzeugen.     Dabei  nimmt  natürlich  der  Nachweis  des 
überall  gleichen  Ursprungs  des  mittleren  Keimblattes,  gewissermassen  des 
ersten  Erzeugnisses  des  zweischichtigen  Keims ,  die  erste  Stelle  ein ;  und  diese 
lediglich  vergleichend  -  embryologische  Untersuchung  wird  von  Haeckel  in 


860  XIII.    Schlussbetrachtungen. 

folgender  Weise  angestellt  (Nr.  103  S.  25  n.  flg.).  Da  die  Einbryologen  noch 
uneinig  seien,  ob  das  einheitlich  auftretende  mittlere  Keimblatt  der  Wirbel- 
thiere  aus  dem  Ektoderm  oder  dem  Entoderm  abstamme,  so  sei  zu  vermuthen, 
dass  es  aus  beiden  hervorgehe,  der  animale  Theil  aus  dem  Ektoderm,  der  vege- 
tative aus  dem  Entoderm.  Dies  werde  „fast  zur  Gewissheit"  dadurch,  dass 
eine  solche  Entstehung  des  Mesoderms  bei  niederen  Thieren ,  z.  B.  bei  Euaxes; 
beobachtet  (Kowalewsky)  und  dieselbe  Lehre  auch  bezüglich  der  Wirbelthiere 
vertreten  sei  (v.  Baer).  Von  entscheidender  Bedeutung  für  die  letzteren  wäre 
der  unzweifelhafte  Nachweis  dieses  Vorgangs  bei  Amphioxus  (Kowalewsky). 
Nun  hat  aber  Kowalewsky  selbst  den  einseitigen  Ursprung  des  ganzen  Meso- 
derms aus  dem  Entoderm  ganz  unzweideutig  bei  Lumbricus  nachgewiesen 
(Nr.  159)  und  für  den  nah  verwandten  Euaxes,  wo  die  Verhältnisse  durchaus 
nicht  so  klar  vorliegen  und  namentlich  die  Abgrenzung  beider  primitiven 
Keimschichten  ganz  dem  Ermessen  des  Beobachters  anheimgestellt  ist,  wohl 
die  Ableitung  des  mittleren  Blattes  von  dem  oberen  für  möglich  erklärt,  aber 
schliesslich  seinen  Ursprung  aus  dem  Entoderm  als  Thatsache  hingestellt  (Nr.  159 
S.  16.  27).  Haeckel  erwähnt  mit  keinem  Worte,  worauf  sich  seine  abweichende 
Deutung  stützt ;  dagegen  werde  ich  weiter  unten  zeigen,  dass  die  Ansicht  Kowa- 
lewsky's  sich  sehr  wohl  aus  seinen  Beobachtungen  beweisen  lässt.  Ferner  ist  die 
angeführte  Auffassung  v.  Baek's  allerdings  in  seinen  Schemata  enthalten ;  doch 
wird  der  aufmerksame  Leser  seiner  Entwicklungsgeschichte  finden,  dass  seine 
Beobachtungen  dieses  Schema  durchaus  nicht  bestätigen,  sondern  das  mittlere 
Keimblatt  einheitlich  zwischen  den  beiden  anderen  auftreten  lassen  (vgl.  S.  134. 
135).  Die  Entstehung  zweier  ursprünglicher  Mittelblätter  aus  den  beiden 
primären  Keimschichten  ist  dagegen  eine  fundamentale  Lehre  von  His,  welche 
also  Haeckel  von  demjenigen  Embryologen  adoptirt,  dessen  Unzuverlässigkeit 
zu  betonen  er  nicht  müde  wird.  Dieses  letztere  ist  wohl  auch  der  Grund, 
warum  nicht  jener  His'schen  Lehre ,  sondern  der  ganz  gleichen  und  ebenso 
ungenügend  erwiesenen  Behauptung  von  Kowalewsky  bezüglich  des  Amphioxus 
eine  in  dieser  ganzen  Frage  entscheidende  Bedeutung  beigelegt  wird.  Alles 
zusammengenommen,  läuft  die  Beweisführung  Haeckel's  darauf  hinaus,  dass 
er  aus  den  verschiedenen  ihm  vorliegenden  Angaben  desselben  Beobachters 
(Kowalewsky)  über  die  Entstehung  des  Mesoderms  der  Metazoen  ganz  will- 
kürlich die  am  wenigsten  sichere  ausliest  und  für  die  massgebende  erklärt,  die 
übrigen  willkürlich  deutet  oder  verschweigt,  endlich  alle  anderen  Beobachtungen 
als  verdächtige  bezeichnet.     Dass  eine  solche  Kritik  doch  nicht  „fast   zur 


XIII.   Schlussbetrachtungen.  gß1 

Gewissheit"  führe,  scheint  denn  Haeckel  neuerdings  selbst  eingesehen  zu 
haben,  indem  er  die  Entscheidung  mit  den  Worten:  „sei  dem  nun,  wie  ihm 
wolle"  aufgibt  und  darauf  das  Hauptgewicht  nicht  mehr  auf  die  überein- 
stimmende Entstehung,  sondern  auf  die  blosse  Anwesenheit  von  vier  Keim- 
blättern bei  den  höheren  Metazoen  legt  (Nr.  158  S.  164.  165).  Ist  aber  die 
gleiche  Abstammung  des  Mesoderms  und  folglich  seiner  Erzeugnisse  von  den 
primären  Keimblättern  nicht  zu  beweisen,  so  fällt  damit  nach  Haeckel's 
eigener  Bestimmung  die  Homologie  der  verschiedenen  Gastrulaformen  und 
ihrer  beiden  primären  Keimschichten.  Wenn  aber  Haeckel  trotzdem  fort- 
fährt, diese  Homologie  als  die  sichere  Grundlage  aller  seiner  phylogenetischen 
Hypothesen  zu  behandeln  und  mit  deren  Hülfe  eine  ganz  neue  Entwickelungs- 
geschichte  der  Wirbelthiere  zu  konstruiren,  so  ist  sein  Standpunkt  dabei 
genügend  bezeichnet :  die  allgemeinen  Folgerungen  werden  nicht  unbedingt  an 
die  Beobachtungen  geknüpft,  sondern  eine  vorgefasste  Hypothese  bestimmt  die 
Zulässigkeit  der  letzteren  oder  setzt  an  deren  Stelle  eine  willkürliche  Be- 
hauptung. Eine  weitere  Kritik  der  übrigen  in  ähnlicher  Weise  durchgeführten 
ontogenetischen  Vergleiche  Haeckel's  wird  dadurch  überflüssig,  und  es  bleibt 
mir  nur  übrig,  seine  grundlegende  Theorie  über  den  phylogenetischen  Zusammen- 
hang der  Thiere  einer  Prüfung  zu  unterwerfen.  Um  aber  beurtheilen  zu  können, 
wie  sich  die  bisherigen  thatsächlichen  Beobachtungen  zu  jener  Theorie  verhalten, 
nehme  ich  den  unterbrochenen  Vergleich  der  Vertebraten  und  der  übrigen 
Thiere  in  genetischer  Beziehung  wieder  auf. 

Ich  habe  durch  den  Vergleich  der  Entstehung  und  Zusammensetzung  der 
verschiedenen  Eier,  sowie  der  ersten  an  ihnen  nachweisbaren  Entwickelt] ngs- 
erscheinungen  nachzuweisen  versucht,  dass  der  Anfang,  der  individuellen 
Entwickelung  aller  Thiere  nach  dem  Wesen  und  Kausalzusammenhänge  der 
wirksamen  Faktoren  überall  der  gleiche  ist.  Dies  beseitigt  eigentlich  schon 
den  möglichen  Einwurf,  dass ,  da  die  Eier  der  verschiedenen  Thiere  theils  aus 
einem  ganzen  einelementigen  Organismus  (viele  Protozoen)  oder  innerhalb 
eines  solchen  (Infusorien),  theils  innerhalb  verschiedener,  nicht  homologer 
Theile  der  Metazoen  auf  verschiedene  Weise  entstehen ,  sie  selbst  auch  nicht 
als  homologe  Bildungen  betrachtet  werden  könnten,  folglich  ihre  genetische 
Uebereinstimmung  an  einem  wesentlichen  Mangel  leide.  Doch  sei  hier  zum 
Ueberfluss  noch  auf  Folgendes  hingewiesen.  Indem  sich  die  Homologie  auf 
Vorgänge  der  Formbildung  bezieht,  diese  aber  mit  Bezug  auf  den  künftigen 
Organismus  im  werdenden  Eie  noch  gar  nicht  begonnen  hat,  so  ist  selbstver- 


862  XIir-   Schlussbetrachtungen. 

ständlich  die  Homologie  über  den  vollendeten,  entwicklungsfähigen  Zustand 
des  alsdann  stets  selbstständigen  Eies  hinaus  rückwärts  nicht  zu  verfolgen. 
In  diesem  und  in  seinen  ersten  Theilungen  haben  wir  aber  einen  nach 
der  Erscheinung  und  ihren  Ursachen  gleichartigen  Ausgangspunkt  für  die 
individuelle  Entwickelung  aller  Thiere ,  in  deren  Verlauf  sich  erst  die  Homo- 
logien herausstellen  können.  Jene  Uebereinstimmung  schliesst  nun  aber 
ein  verschiedenes  Mass  der  gleichen  Ursachen  nicht  aus,  wesshalb  auch  die 
Entwickelung  von  Anfang  an,  wenn  auch  nicht  gleich  merklich,  nach  ver- 
schiedenen Richtungen  auseinandergeht.  Bei  den  Protozoen  wird  nämlich,  wie 
erwähnt,  die  eigentliche  Dottersubstanz  so  ungenügend  entwickelt,  dass  die 
morphologische  Entwickelung  während  der  Theilungen  unterbrochen  wird;  und 
die  Formdifferenz  der  radiären  Dotterströmung  ist  offenbar  so  unbedeutend, 
dass  sie  in  den  Theilstücken  zur  Ausgleichung  kommt.  Die  in  Folge  davon 
relativ  gleiche  und  histiologisch  vorgeschrittene  Entwickelung  der  einzelnen 
Formelemente  löst  den  individuellen  Zusammenhang  des  ganzen  Eiprodukts, 
spaltet  gewissermassen  das  in  der  Bildung  begriffene  Formgesetz  und  die 
Individualität  desselben  vollständig  in  die  Bezirke  jener  Theile,  welche  alsdann 
auseinanderfallen  und  selbstständig  werden  (vgl.  S.  596.  597.  850).  Wenn  aber 
diese  vollständige  Spaltung  des  Eiprodukts  in  genetisch  einelementige  Orga- 
nismen das  gemeinsame  Merkmal  aller  Protozoen  ist,  so  findet  sich  doch  schon 
unter  diesen  eine  gewisse  Entwickelungsreihe  des  Formgesetzes.  Zerfällt  ein 
Protozoenei  in  einen  ungeordneten  Haufen  von  Formelementen,  so  darf  man 
annehmen,  dass  die  bedingende  Formdifferenz  der  radiären  Dotterströmung 
keine  bestimmte  und  beständige  sei,  sondern  in  der  ersten  Dotterkugel  ebenso  zu- 
fällig entstehe  wie  während  der  späteren  Dotter-  und  Zellentheilungen  auch  in 
viel  höher  organisirten  Thieren.  Dagegen  müssen  wir  einen  Fortschritt  in  der 
Ausbildung  des  Formgesetzes  bei  denjenigen  Protozoen  annehmen,  deren 
Dottertheilstücke  eine  regelmässige  radiäre  Anordnung  zeigen  (Myxastrum, 
Magosphaera);  denn  diese  setzt  eine  gesetzmässige  Beständigkeit  der  Form- 
differenz voraus.  Endlich  sehe  ich  in  dem  wenngleich  kurzdauernden  keim- 
blasenförmigen  Zusammenhange  des  Eiprodukts  von  Magosphaera  ein  Zeichen 
dafür,  dass  die  Einheit  seines  Formgesetzes  durch  einen  relativ  grösseren 
Vorrath  von  Spannkräften  länger  unterhalten  wird.  Dadurch  wird  aber  die 
Möglichkeit  angedeutet,  dass  diese  einfachste  Grundform  eines  mehrelemen- 
tigen  Organismus  oder  eines  ganzen  individuell  gewordenen  Eiprodukts  sich  zu 
irgend  einer  Zeit  bleibend  erhielt  und  so  die  Reihe  aller  über  den  Protozoen 


XIII.   Schlussbetrachtungen.  863 

stehenden  Thiere  eröffnete  *.  Der  primären  Formdifferenz  der  radiären  Dotter- 
strömung, welche  einer  solchen  aus  relativ  gleichen  Formelementen  zusammen- 
gesetzten Keim  blase  zu  Grunde  liegt,  möchte  ich  nach  dem  Gesagten  die 
einfachsten  gesetzmässigen  Verhältnisse  zuschreiben,  nämlich  dieselben,  welche 
auf  der  oben  bezeichneten  niedersten  Entwicklungsstufe  unbeständig  auf- 
treten und  bereits  in  der  vorübergehenden  radiären  Anordnung  wenigstens 
eine  regelmässige  Entstehung  andeuten.  Und  zwar  glaube  ich  auf  Grund  der 
noch  zu  erläuternden  Befunde  bei  der  Dottertheilung  höherer  Thiere  jene 
Formdifferenz  sogar  gegenständlich  bezeichnen  zu  können.  Denken  wir  uns 
dazu  die  drei  sich  rechtwinkelig  schneidenden  Hauptdurchmesser  der  Dotter- 
kugel, so  ist  die  einfachste  Abweichung  von  einer  gleichmässig  radiären  Dotter- 
strömung nicht  in  der  Excentricität  ihres  gemeinsamen  Sammelpunktes, 
sondern  lediglich  in  der  symmetrischen' Verlängerung  eines  einzigen  Durch- 
messers gegeben;  denn  im  ersten  Falle  würden  mindestens  dreierlei,  im 
anderen  Falle  nur  zweierlei  verschiedene  Radien  in  jenen  Hauptdurchmessern 
entstehen.  Letzteres  genügt ,  um  die  Theilung  einzuleiten  und  fortzuführen 
und  bedingt  anderseits  die  beobachtete  relative  Gleichheit  der  Theilstücke. 
Denken  wir  uns  dagegen  einen  Durchmesser  der  Dotterkugel  aus  zwei  unter 
sich  und  daher  auch  mit  den  anderen  Radien  ungleichen  Hälften  zusammen- 
gesetzt, so  ergibt  sich  aus  meiner  früheren  Darstellung  der  Dottertheilung  der 
höheren  Thiere ,  dass  die  Endpunkte  dieser  Hauptaxe  des  Eies  die  Pole  zweier 
sich  ungleich  theilenden  Hemisphären  bezeichnen.  Um  den  oberen  Pol, 
welcher  dem  excentrischen  ersten  Lebenskeim  näher  liegt ,  müssen  kleinere 
Dotterstücke  entstehen ,  mag  dies  nun  von  Anfang  an  oder  in  Folge  des  damit 
verbundenen  schnelleren  Fortschritts  der  Dottertheilung  bemerkbar  werden. 
Diese  kleinzellige  Hemisphäre  der  Keimblase  muss  sich  ferner  in  Folge  der  mit 
der  Theilung  verbundenen  Verschiebung  schneller  in  koncentrischer  Richtung 
ausbreiten  und  so  die  trägere  grosszellige  Hemisphäre  umwachsen,  wobei 
ebenso  mechanisch  die  Sonderung  zweier  koncentrischen  Zellenschichten 
(Keimschichten)  herbeigeführt  wird.  Dadurch  dass  die  Keimblase  in  ihrer 
Entstehung  die  Bedingungen  zur  Herstellung  einer  wenn  auch  noch  so  kleinen 


*  Ich  brauche  kaum  zu  bemerken,  dass  hier  der  Ausdruck  „mehrelementig"  sich 
ebenso  wie  der  Ausdruck  „einelementig"  für  die  Protozoen  nicht  auf  den  histologisch 
entwickelten  Zustand,  sondern  nur  auf  die  genetische  Grundform  bezieht.  Diese  Bezeich- 
nungen sind  daher  von  den  Worten  „ein-  und  mehrzellig",  welche  auf  jeden  beliebigen  Zu- 
stand augewandt  werden,  wesentlich  zu  unterscheiden. 


8(34  XIII.    Schlussbetrachtungen. 

Centralhöhle  (Keimhöhle)  enthält,  in  welche  die  untere  Hemisphäre  unter  dem 
Andränge  der  sich  ausbreitenden  oberen  ausweichen  und  so  der  Innenfläche 
der  letzteren  sich  anlegen  oder  wenigstens  nähern  kann ,  wird  die  Herstellung 
einer  neuen  centralen  Höhle  ermöglicht,  indem  gleichsam  der  ausgefüllte 
Raum  der  Keimhöhle  in  die  Mitte  der  konzentrisch  umgelagerten  unteren 
Hemisphäre  verlegt  wird.  Diese  Embryonalform  des  sich  entwickelnden  Eies, 
welche  nach  dem  Gesagten  wesentlich  aus  zwei  koncentri sehen,  eine  Höhle 
(Darmhöhle)  umschliessenden  Zellenschichten  besteht,  bezeichne Jch  mit  dem 
passenden  von  Haeokel  eingeführten  Namen  de_r_  Gastrula,/muss  aber 
gleich  hinzufügen ,  dass  ich  darunter  nicht  ohne  weiteres  dasselbe  verstehe  wie 
Haeckel.  Indem  er  von  der  klarsten  Erscheinung  der  Gastrulabildung  aus- 
geht, welche  sich  in  der  bekannten  Einstülpung  der  Keimblase  darstellt,  hält 
er  die  nach  aussen  führende  Einstülpungsöffnung  der  Gastrulahöhle  für  so 
wesentlich,  dass  er  bei  der  sonst  ganz  ähnlichen,  aber  eine  solche  Oeffnung 
entbehrenden  Embryonalform  (Planogastrula)  einen  sekundären  Durchbruch 
eines  Mundes  zur  Vervollständigung  der  Gastrula  verlangt.  Ich  habe  es 
bereits  erwähnt,  dass  dadurch  ganz  heterologe  Bildungen  zusammengestellt 
werden,  und  werde  ferner  zeigen,  dass,  wenn  wir  die  verschiedenen  zwei- 
schichtigen Embryonalformen  auf  ihre  Homologie  prüfen,  jene  Einstülpungs- 
öffnung sich  als  eine  unbeständige,  für  die  Homologie  ganz  unwesentliche 
Erscheinung  herausstellt. 

Jene  ausserordentlich  klare  Erscheinung  der  Gastrulabildung,  wobei  sich 
die  einschichtige  Keimblase  von  einer  Seite  einstülpt  und  so  zwei  koncentrische 
Keimschichten,  das  Ektoderm  und  das  Entoderm,  herstellt,  ist  bekanntlich  bei 
einem  Theil  der  Coelenteraten,  Echinodermen,  Würmer,  Brachiopoden,  Ascidien 
u.  a.  m.  nachgewiesen  worden.  In  einigen  dieser  Darstellungen  ist  die  von  mir 
erörterte  Verschiedenheit  der  beiden  Keimblasenhälften,  der  Ekto-  und  der 
Entodermhemisphäre ,  sehr  deutlich,  sodass  meine  Ansicht  vom  Kausal- 
zusammenhange der  Gastrulabildung  direkt  bestätigt  wird ;  in  andern  Fällen 
wird  die  Keimblase  in  ganz  symmetrischer  Bildung  vorgeführt,  und  da  muss 
ich  einen  wenn  auch  geringfügigen  und  bei  dem  Mangel  einer  besonders  darauf 
gerichteten  Aufmerksamkeit  leicht  erklärlichen  Beobachtungsfehler  annehmen. 
Denn  die  Einstülpung  ist  ohne  irgend  eine  vorhergehende  Verschiedenheit  der 
Keimblasentheile  nicht  denkbar-,  diese  kann  aber  weder  von  zufälligen  äusseren 
Einflüssen  abhängen,  da  die  Gesetzmässigkeit  der  Erscheinung  dem  widerspricht, 
noch  von  histiologischen  Zuständen,   da  dieselben  überhaupt  keine  primär- 


XIII.   Schlussbetrachtungen.  g(35 

r 

morphologische  Bildung  herbeiführen,  im  Gegentheil  die  Formentwickelung 
unterbrechen.  Ein  treffendes  Beispiel  dafür,  wie  ein  solcher  Beobachtungs- 
fehler entstehen  kann,  liefert  uns  Kowalewsky.  Die  anfänglichen  Grössen- 
unterschiede  der  „Furchungszellen"  von  Lumbricus  sieht  er  bei  der  Betrach- 
tung der  Oberfläche  des  Eies  sich  fast  ausgleichen,  während  der  optische  Quer- 
schnitt einen  sehr  auffallenden  und  während  der  ganzen  Embryonalentwickelung 
beständigen  Grössenunterschied  in  den  Elementen  beider  Hemisphären  und 
später  beider  Keimschichten  zeigt  (Nr.  151)  S.  21,  Taf.  VI,  VII).  Nun  ist  aller- 
dings noch  der  Fall  denkbar,  dass  die  Formdifferenz  anders  als  ich  sie  angab, 
und  ZAvar  umgekehrt  dadurch  wirkte ,  dass  eine  beschränkte  kleinzellige  Keim- 
blasenhälfte durch  den  nicht  zu  überwindenden  Widerstand  der  grösseren 
Hälfte  selbst  eingestülpt  würde.  Die  Beobachtungen  an  den  Eiern  von 
Cassiopea  (Nr.  160),  welche  dafür  zu  sprechen  scheinen,  kommen  mir  nicht 
ganz  unzweideutig  vor*;  sollten  sie  aber  trotzdem,  dass  sie  den  Befunden  an 
nah  verwandten  Formen,  z.  B.  anderen  Acraspeda,  nicht  entsprechen,  sich 
dennoch  bestätigen ,  so  hätten  wir  darin  und  in  dem  ähnlichen  Verhalten  bei 
den  Kalkschwämmen  (Nr.  164)  eine  unvollkommene  Homologie  zu  erkennen, 
indem  die  Einstülpung  durch  eine  andere  Wechselwirkung  der  beiden 
differenten  Keimblasenhälften  erfolgt.  An  der  Keimblase  der  Ktenophoren ** 
und  Arthropoden  ist  eine  Einstülpung  eines  aus  grösseren  Elementen  zusammen- 
gesetzten Theils  ebenfalls  nachweisbar  (Nr.  159,  160).  Nur  tritt  dabei  die 
Modifikation  ein,  dass  der  Nahrungsdotter  und  das  Entoderm  nicht  nebenein- 
ander im  Umfange  der  Einstülpungs-  oder  Darmhöhle  liegen,  sondern  das 
Entoderm  allein  die  Auskleidung  besorgt  und  der  Nahrungsdotter  zwischen 
dieser  und  dem  Ektoderm  zurückbleibt.  Augenscheinlich  ist  also  der  Kausal- 
zusammenhang bei  diesen  Bildungen ,  wenn  auch  nicht  fundamental ,  doch  so 
weit  abweichend,  dass  der  allgemeine  Entwickelungsgang  auf  einer  vorge- 
schrittenen Stufe  die  homologen  Bahnen  verlässt. 


*  Bei  Cassiopea  ist  das  Dickenverhältniss  beider  Schichten  gleich  nach  der  Bildung 
der  Gastrula  gerade  umgekehrt  dargestellt,  ohne  dass  beide  Verschiedenheiten  von  Kowa- 
lewsky mit  einem  Worte  erwähnt  werden  (Nr.  160  Taf.  II).  Bei  Sagitta,  an  deren  Ei 
Kowalewsky  gleichfalls  das  sich  einstülpende  Entoderm  dünner  als  das  Ektoderm 
zeichnet  (Nr.  159  Taf.  I),  habe  ich  das  umgekehrte  Verhältniss  wenigstens  während  der 
Einstülpung  sehr  deutlich  gesehen. 

**  Die  zeitweilige  obere  Lücke  der  Ektodermkappe  der  Ktenophoren  findet  bei  den 
Vertebraten  ein  Homologon,  nämlich  die  von  Rusconi  beschriebene  polare  Oeffnung  der 
primären  Keimschicht  der  Molcheier,  welche  direkt  in  die  Keimhöhle  führen  soll  (Nr.  16). 

Goette,  Entwickelungsgeschichte.  55 


866  XIII.   Schlussbetrachtungen. 

Für  eine  ganze  Reihe  von  Thieren  wird  die  Bildung  der  beiden  primären 
Keimschichten  durch  eine  einfache  Einstülpung  der  Keimblase  ganz  bestimmt 
ausgeschlossen  und  im  allgemeinen  angenommen,  dass  die  einfache  Keim- 
blasenwand  sich  der  Fläche  nach  in  jene  Schichten  spalte.  Ich  wähle  nur 
wenige  Beispiele,  um  diese  Auffassung  zu  prüfen.  Am  bestimmtesten  ist  der 
behauptete  Vorgang  von  Metschnikoff  am  Geryonienei  dargestellt  worden 
(Nr.  165  S.  18).  Aber  wollten  wir  auch  davon  absehen,  dass  es  so  leicht  ist, 
sich  bei  solchen  Untersuchungen  zu  täuschen,  indem  bei  der  natürlichen  mit 
dem  oberen  Pol  aufwärts  gekehrten  Lage  des  Eies  sowohl  die  excentrische 
Lage  des  ersten  Lebenskeims  und  die  Ungleichmässigkeit  der  Keimblase ,  als 
insbesondere  die  Einstülpung  der  letzteren  sich  der  Beobachtung  entziehen ,  so 
liegt  uns  für  das  bezeichnete  Thier  die  ebenso  bestimmte  Angabe  Kowalewsky's 
vor,  dass  es  sich  in  der  Gastrulabilduug  von  den  schon  erwähnten  höheren 
Medusen  nicht  unterscheide  (Nr.  160  S.  llj.  Ferner  erinnere  ich  an  die 
Wirbelthiere,  für  welche  (mit  Ausnahme  des  Amphioxus)  bisher  niemand 
angenommen  hat ,  dass  ihre  beiden  ursprünglichen  Keimschichten  sich  ebenso 
entwickeln  wie  bei  den  sich  einstülpenden  Keimblasen.  Ich  habe  aber  an 
Teleostiern,  Batrachiern ,  Vögeln  und  Säugern  gezeigt,  dass  es  sich  dennoch  so 
verhält.  Der  um  den  oberen  Pol  gelegene  kleinzellige  Keimtheil  schliesst  sich 
zur  Seite  der  oft  nur  spaltförmigen  Keimhöhle  durch  eine  Zone  von  Uebergangs- 
formen  (Randwulst  der  primären  Keimschicht)  an  den  meist  nur  theilweise 
grobzerklüfteten  Nahrungsdotter  an*.  Das  kleinzellige  Centrum  jenes  Keim- 
theils  umwächst  darauf  in  Folge  seiner  schnelleren  Ausbreitung  den  trägeren 
Randwulst  und  den  Nahrungsdotter  gerade  so  wie  die  Ektodermhemisphärc 


*  Dafür,  dass  bei  den  Säugern  diese  Formdifferenz  der  sich  theilenden  Dotterkugel 
nicht  bemerkt  wurde,  verweise  ich  auf  das  hinsichtlich  der  niederen  Thiere  Bemerkte.  Die 
Annahme  einer  solchen  Verschiedenheit  wird  durch  die  bekannten  Abbildungen  Bischoff's 
vom  Hundeei,  wo  eine  kleine  peripherische  Zellenscheibe  als  Keim  gegenüber  der  aufge- 
lösten grösseren  Dotterhälfte  (Nahrungsdotter)  zurückbleibt,  durchaus  gefordert 
(vgl.  Nr.  159  Taf.  II).  Daraus  folgt  allerdings,  wie  sich  am  Ende  schon  aus  meiner  vor- 
läufigen Mittheilung  ergibt  (Nr.  103),  dass  die  während  der  Auflösung  des  Nahrungsdotters 
durch  freie  Zellenbilduna:  sekundär  entstehende  einschichtige  „Keimblase"  in  keiner 
unmittelbaren  Beziehung  zur  Gastrula  steht,  sondern  eine  von  dem  eigentlichen  Eie  sich 
ablösende  zellige  Eihülle  darstellt,  welche  auch  thatsächlich  in  die  Bildung  des  Chorions 
aufzugehen  scheint.  Aehnliche  Vorkommnisse  sind  auch  an  anderen  Thieren  verschiedener 
Typen  beobachtet  worden,  wesshalb  mir  auch  der  von  Kleinenberg  angestellte  Vergleich 
einer  solchen  Keimschale  von  Hydra  mit  dem  Hornblatte  der  Wirbelthiere  nicht  zutreffend 
erscheint  (Nr.  167  S.  85). 


XIII.   Schlussbetrachtungen.  867 

die  sich  einstülpende  Entodermheinisphäre  an  den  oben  genannten  Thieren; 
wobei  man  sich  vergegenwärtigen  mnss,  dass  jene  Randzone  der  primären 
Keimschicht  dem  Rande,  der  eigentliche  Nahrungsdotter  der  Mitte  einer 
Entodermhemisphäre  homolog  ist  (vgl.  Taf.  II  Fig.  28.  29).  Indem  sich  nun 
diese  Theile  der  Innenfläche  des  sie  umwachsenden  Ektoderms  anlegen, 
schnürt  sich  der  Nahrungsdotter  von  der  Randzone  (sekundäre  Keimschicht) 
ganz  oder  theilweise  ab  und  füllt,  indem  er  dieselbe  zu  einer  kontinuirlichen 
koncentrischen  Schicht  verwachsen  lässt,  den  grössten  Theil  der  Gastrulahöhle 
aus.  Die  RuscoNi'sche  Oeffnung  ist  eine  wirkliche  Einstülpungsöffnung  der 
Gastrula,  deren  grundsätzliche  Verschiedenheit  von  der  sekundär  durch- 
brechenden Mundöffnung  in  diesem  Falle  ganz  besonders  in  die  Augen  fällt. 
Die  zweischichtige  „Keimblase"  der  Wirbelthiere  stimmt  also  mit  der  schon 
besprochenen  Gastrulaform  niederer  Thiere  genetisch  vollkommen  überein,  ist 
ihr  homolog. 

Diese  Auffassung  des  Wirbelthierkeims  lässt  sich  nun  auf  viele  jener 
Keime  niederer  Thiere  übertragen ,  welche  ein  klares  Bild  der  Gastrulabildung 
nicht  gewähren.  Betrachten  wir  den  bestuntersuchten  solcher  Keime,  nämlich 
den  von  Euaxes.  Kowalewsky  interpretirt  den  ganzen  Vorgang  dieser  von 
ihm  untersuchten  Keimbildung  in  der  Weise,  dass  das  obere  Keimblatt  in  einer 
kleinen  Scheibe  und  darunter  das  alsbald  in  zwei  Streifen  gespaltene  mittlere 
Keimblatt  von  der  übrigen  grosszelligen  Dottermasse  oder  dem  „Darmdrüsen- 
blatt" sich  absondern  und  darauf  das  letztere  umwachsen.  Danach  entständen 
also  die  Blätter  durch  lokale  Absonderung  in  übereinanderliegenden  Schichten, 
während  die  Umwachsung  der  inneren  Blätter  durch  das  äussere  allerdings 
mit  einer  Einstülpung  verglichen  wird  (Nr.  159  S.  16.  27.  28).  Ich  deute  die 
so  wichtigen  Durchschnittsbilder  Kowalewsky's  etwas  anders.  In  Fig  26  der 
betreffenden  Entwickelungsgeschichte  sehe  ich  ein  relativ  kleinzelliges  Gewölbe 
über  die  Keimhöhle  gestülpt  und  mit  seinem  Rande  der  grosszelligen  Masse 
aufruhen ,  gerade  so  wie  sich  die  primäre  Keimschicht  der  Batrachier  verhält. 
Fig.  27  zeigt  uns  den  Umfang  dieses  kleinzelligen  Gewölbes  ein  wenig  weiter 
ausgedehnt ,  aber  die  am  aufruhenden  Rande  hervortretenden  grösseren  Zellen 
nach  innen  unter  die  deutliche  Keimhöhle  verschoben  und  dort  zusammen- 
stossend,  sodass  dieser  durch  die  vorgeschrittene  Auflösung  des  Dotters  in 
seinen  Zellen  charakterisirte  Theil  wie  eine  abgeplattete,  die  Keimhöhle 
enthaltende  Blase  auf  der  grosszelligen  Dottermasse  liegt.  Mit  der  fort- 
schreitenden Abplattung  dieser  Blase  schwindet  die  Keimhöhle  vollends;  indem 

55* 


368  XIir-    Schlussbetrachtungen. 

sich  aber  die  erstere  stetig  ausbreitet,  drängen  sich  dotterhaltige  Zellen  von 
unten  in  ihre  Innenschicht  ein,  sodass  deren  protoplasmareichere  Elemente  nur 
mehr  auf  die  Peripherie  beschränkt,  einen  nach  innen  umgeschlagenen  ring- 
förmigen Saum  der  äusseren  Zellenschicht  darstellen,  dessen  Oefihung  in  dem 
Masse,  als  sie  sich  erweitert,  von  dotterhaltigen  Zellen  ausgefüllt  wird,  welche 
dadurch  sich  an  die  Innenfläche  der  äusseren  Zellenschicht  anlegen  und 
wenigstens  im  Anfange  Uebergangsformen  zwischen  den  kleinen  Zellen  jenes 
verdickten  Saums  und  der  ganz  grosszelligen  unteren  Dottermasse  bilden 
(Nr.  159  Fig.  28.  29).  Wir  finden  also  am  Euaxeseie  eine  kleinzellige  polare 
Keimschicht,  welche  sich  koncentrisch  ausbreitend  ihren  eigenen  Rand  und  die 
sich  daran  schliessenden  gröberen  Dotterelemente  unter  Verdrängung  der 
Keimhöhle  an  ihre  eigene  Innenfläche  anlagert;  d.  h.  die  Einstülpung  und  Um- 
wachsung einer  Entodermhemisphäre  durch  ein  in  der  Entwickelung  über- 
wiegendes Ektoderm  erfolgt  bei  Euaxes  genau  so  wie  bei  den  Wirbelthieren, 
insbesondere  den  Batrachiern.  Wie  bei  diesen  schliesst  sich  auch  bei  jenem 
Wurme  ein  grobzelliger  Nahrungsdotter  kontinuirlich  an  das  peripherische 
Entoderm  an ;  und  indem  der  verdickte  Randwulst  des  letzteren  sich  reger 
entwickelt,  trennt  er  sich  als  mittleres  Keimblatt  von  den  trägeren  Theilen, 
welche  mit  dem  Nahrungsdotter  ohne  nachweisbare  Grenze  verbunden  bleiben. 
Jenes  mittlere  Keimblatt  von  Euaxes  bleibt  länger,  als  bei  den  Wirbelthieren 
ringförmig  auf  den  Randwulst  beschränkt,  während  das  obere  Keimblatt  im 
Wachsthum  gleichsam  vorauseilend  über  ihn  hinweggleitet  und  dadurch  von 
ihm  sich  völlig  ablöst,  wie  es  auch  am  Hühnerkeime  geschieht.  Auch  der 
anfängliche  Mangel  einer  offenbaren  Darmhöhle  kann  die  allgemeine  Ueberein- 
stimmung  der  Embryonalentwickelung  von  Euaxes  und  den  Wirbelthieren 
nicht  stören.  Die  Darmhöhle  ist  ursprünglich-  auch  bei  diesen  eine  zwischen 
Darmblatt  und  Nahrungsdotter  befindliche  Spalte,  deren  Lichtung  bei  den 
Knochenfischen  so  unansehnlich  bleibt,  dass  sie  bisher  ganz  übersehen  wurde 
(S.  268),  während  ein  Theil  der  embryonalen  Darmhöhle  der  Batrachier  nach- 
träglich so  reducirt  wird,  dass  man  sie  irrthümlicherweise  ganz  schwinden  liess 
und  daher  das  Darmblatt,  welches  nach  meiner  Auffassung  dann  bereits  einen 
grossen  Theil  des  Nahrungsdotters  umwachsen  hat,  mit  dem  letzteren  identi- 
licirte  (S.  2(39).  Die  deutliche  Ausbildung  der  Darmhöhle  hängt  aber  von  der 
morphologischen  Entwickelung  des  übrigen  Keims  ab,  welche  die  Spalte  theils 
unmittelbar  erweitert  und  dadurch  die  Sonderung  des  Darmblattes  fördert 
(vgl.  S.  564),  theils  mit  der  dort  angesammelten  Flüssigkeit  zugleich  die  Auflösung 


XIII.   Schlussbetrachtungen.  869 

des  zelligen  Nahrungsdotters  einleitet  und  so  den  vom  Darmblatte  umschlosse- 
nen Raum  in  eine  Höhle  verwandelt.  Da  diese  Vorgänge  bei  Euaxes  erst  viel 
später  eintreten,  so  bleiben  eben  das  Darmblatt  und  der  Nahrungsdotter  dieses 
Thiers  länger  in  einem  vollständigen  Zusammenhange  (Nr.  159  Taf.  IV,  V).  — 
Auf  Grund  des  voranstehenden  Vergleichs  muss  ich  die  Auffassung  zurück- 
weisen, dass  die  Keimblätter  des  Euaxeseies  und  aller  ähnlich  sich  entwickeln- 
den Eier  sich  ohne  Lageveränderung  schichtenweise  absondern ,  wonach  die 
Umwachsung  der  inneren  Blätter  durch  das  äussere  als  ein  besonderer,  davon 
unabhängiger  Vorgang  erschiene;  denn  nach  meiner  Ansicht  kann  nur  die 
Zellenverschiebung  die  Schichtung  bewirken  und  muss  die  wirksame  Ver- 
schiedenheit dieser  Bewegung  auf  diejenige  der  Dottertheilung  und  endlich  die 
erste  Formdifferenz  zurückgeführt  werden. 

Ich  habe  mich  bei  diesem  Vergleiche  etwas  aufgehalten,  um  zu  zeigen, 
dass,  wenn  man  von  den  im  allgemeinen  entschiedeneren  und  klareren  Befunden 
der  Entwickelung  der  Wirbel thiere  ausgeht,  auch  die  auf  den  ersten  Anschein 
weniger  deutlichen  Erscheinungen  niederer  Thiere  sich  in  einer  ganz  bestimmten 
Weise  deuten  lassen.  Denn  nachdem  die  Gastrulabildung  von  Euaxes  auf  den 
einfachen  Einstülpungsprocess  zurückführbar  erscheint,  darf  man  annehmen, 
dass  dasselbe  sich  auch  für  andere  niedere  Thiere  nachweisen  Hesse,  deren 
Eier  weder  eine  offenbare  Einstülpung  der  Keimblase  noch  eine  ursprüngliche 
Darmhöhle  zeigen ,  sondern  erst  eine  äussere  Zellenschicht  um  einen  zelligen 
oder  nicht  zelligen  centralen  Dottertheil,  und  dann  an  der  Peripherie  des 
letzteren  eine  zweite  Zellenschicht  hervortreten  lassen,  während  sich  das  Centrum 
mehr  oder  weniger  offenbar  auflöst.  In  dieser  Weise  verhalten  sich  bekanntlich 
viele  Coelenteraten  (vgl.  Kowalewsky  Nr.  160,  Metschnikoff  Nr.  165).  Nur 
müsste,  um  den  Vergleich  mit  der  besprochenen  Gastrulabildung  durchführen 
zu  können,  angenommen  werden,  dass  das  Ektoderm  bloss  aus  einem  Theil  der 
Keimblasenoberfläche  entstände  und  die  anderen  Theile  umwüchse;  und  dies 
bleibt  desshalb  möglich,  weil  in  den  meisten  Fällen  die  Uebergänge  von  der 
Dottertheilung  zum  zweischichtigen  Keime  entweder  gar  nicht  oder  sehr  unvoll- 
ständig zur  Beobachtung  kamen. 

Endlich  könnte  in  der  Entwickelung  des  Eies  der  Hydroidpolypen  eine 
dritte  abweichende  Bildungsform  der  Gastrula  gesehen  werden,  indem  Kowa- 
lewsky an  Kampanulariaeiern  die  Keimblase  in  einer  fortlaufenden  Reihe  von 
Entwicklungsstufen  scheinbar  unverändert  antraf,  während  von  ihrer  Innen- 
fläche vereinzelte  Zellen   sich   ablösten  und    im  Zusammenhange  mit  einer 


870  *  XIII.   Schlussbetrachtungen. 

eigentümlichen  Umbildung  des  flüssigen  Inhalts  der  Keimhöhle  das  Entoderm 
herstellten  (a.  a.  0.).  Nun  scheint  es  aber  doch,  dass  diese  Zellenablösung 
vorzugsweise,  wenn  nicht  ausschliesslich  an  einem  verdickten  Ende  der  ver- 
längerten Keimblase  vor  sich  geht,  sodass  man  annehmen  könnte,  diese  Stelle 
sei  eine  wie  so  häufig  bei  den  Coelenteraten  sehr  beschränkte  Entoderm- 
hemisphäre,  welche  von  der  an  Ausdehnung  ausserordentlich  überwiegenden 
Ektodermhälffce  in  sehr  unregelmässiger  Weise  nach  innen  gedrängt  werde. 
Diese  Ansicht  wird  sehr  wesentlich  unterstützt  durch  die  Beobachtungen 
Kowalewsky's  über  die  Entwicklung  der  Brachiopoden.  Während  nämlich 
die  Keimblase  von  Argiope  sich  deutlich  einstülpt,  geschieht  es  bei  Thecidium 
nicht,  sondern  die  Keimhöhle  füllt  sich  mit  Zellen,  welche  von  der  äusseren 
Zellenwand  sich  in  der  Weise  ablösen ,  dass  sie  aus  deren  festem  Zusammen- 
hange nach  innen  hervortreten  (Nr.  161  S.  14.  15).  Ein  solcher  Vorgang  kann 
um  so  weniger  als  eine  histologische  Absonderung  des  Entoderms  vom  blasen- 
förmigen  Ektoderm  bezeichnet  werden,  als  seine  Wirkungen  sich  mit  denen  der 
eingestülpten  Keimblase  von  Argiope  vollständig  decken.  Dagegen  illusfairt  er 
die  eben  für  das  Kampanularienei  gemachte  Annahme  sehr  gut,  und  Beides 
könnte  alsdann  als  eine  in  ihrer  Erscheinung  weniger  vollkommene  Form  der 
gewöhnlichen  Gastrulabildung  betrachtet  werden,  welche  aber  in  ihrem  Kausal- 
zusammenhange durchaus  mit  der  letzteren  übereinstimmte.  Sollten  aber 
erneuerte  Untersuchungen  nachweisen,  dass  es  wenigstens  bei  den  Coelenteraten 
zwei  Bildungsarten  des  zweischichtigen  Keims  gebe,  so  dürfen  auch  die  daraus 
hervorgehenden  Bildungen  als  homologe  nicht  betrachtet  werden.  —  Die 
Ergebnisse  unserer  Untersuchung  lassen  sich  also  dahin  zusammenfassen,  dass 
der  zweischichtige  Keim,  auch  wo  er  nicht  durch  eine  Einstülpung  einer  Keim- 
blase entsteht,  allerdings  auf  eine  solche  zurückgeführt  werden  kann,  dass  aber 
in  einigen  Fällen  die  Homologie  eine  unvollständige  oder  zweifelhafte  bleibt. 

Ich  gehe  nun  zur  Bildungsgeschichte  des  mittleren  Keimblattes  über, 
welches,  wo  es  vorkommt,  in  der  morphologischen  Entwickelung  nächst  der 
Gastrulabildung  zuerst  in  Betracht  kommt.  Ich  brauche  nicht  weiter  zu 
erklären,  dass,  da  die  ganze  Keimblättertheorie  von  der  Embryologie  der 
Wirbelthiere  ausging,  man  natürlich  auch  das  mittlere  Keimblatt  derselben 
zum  Ausgangspunkte  der  Vergleichung  zu  nehmen  hat.  Dieses  ist  nach  meinen 
Untersuchungen  diejenige  embryonale  Zellenmasse,  welche  von  der  inneren 
oder  sekundären  Keimschicht  nach  der  Absonderung  des  epithelialen  Darm- 
blattes übrig   bleibt  oder  von   dem   epithelialen  Gefüge  des  Entoderms  sich 


XIII.   Schlussbetrachtungen.  871 

ablöst.  Bei  den  bisherigen  Untersuchungen  der  Homologien  des  mittleren 
Keimblattes  hat  jedoch ,  abgesehen  von  der  seither  bestandenen  Unsicherheit 
dieses  Begriff's  bei  den  Wirbelthieren  selbst ,  der  Mangel  einer  Unterscheidung 
von  morphologischer  und  histologischer  Entwickelung  oder  die  missverstandene 
REMAK'sche  Keimblättertheorie  zu  ganz  auffallenden  allgemeinen  Irrthümern, 
geführt.  Es  ist  mir  kein  Beispiel  bekannt,  d-ass  nach  dem  Ursprünge  des 
mittleren  Keimblattes  als  einer  indifferenten  embryonalen  Bildung  und  ohne 
Rücksicht  auf  seine  etwaigen  Erzeugnisse  gefragt  worden  wäre ;  vielmehr  wird 
darunter  stets  a  priori  die  Grundlage  des  Muskel-,  Nerven-,  Bindegewebes 
u.  s.  w.  verstanden ,  und  je  nach  dem  Ursprünge  dieser  Gewebe  aus  dem  Ekto- 
derm  oder  dem  Entoderm  die  Homologie  des  mittleren  Keimblattes  bestätigt 
oder  verworfen,  wobei  die  Homologie  jener  beiden  ursprünglichen  Keimschichten 
offenbar  durch  ihre  blosse  Anwesenheit  im  Keime  als  erwiesen  vorausgesetzt 
wird.  Ich  finde  aber  nach  allen  thatsächlichen  Beobachtungen  über  die 
Entwickelung  niederer  Thiere  meine  für  die  Wirbelthiere  begründete  Ansicht  nur 
bestätigt,  dass  Morpho-  und  Histiogenese  nicht  ohne  weiteres  zusammenfallen, 
sondern  in  einem  eigenthümlichen  Wechselverhältniss  stehen ,  an  welchem  nur 
die  Kausalität  überhaupt,  nicht  aber  etwa  eine  stets  gleiche  Wirkung  beständig 
ist.  Die  Schwämme  und  viele  Coelenteraten  besitzen  kein  mittleres  Keimblatt, 
weil  die  Histiogenese  ihrer  beiden  primitiven  Keimschichten  so  frühe  eintritt, 
dass  dadurch  die  weitere  morphologische  Entwickelung  unterbrochen  oder 
wenigstens  eingeschränkt  wird.  Und  zwar  betrifft  dies  zunächst  das  Ektoderm, 
welches  z.  B.  nach  Metschniköff  bei  den  Schwämmen  zur  Sarkode  zu  ver- 
schmelzen und  selbst  Nadeln  auszuscheiden  beginnt,  bevor  die  Gastrula 
vollendet  ist  (Nr.  164).  Wenn  Metschniköff  die  Umbildung  dieses  Ekto- 
derms  in  eine  skeletbildende  Schicht  als  Beweis  für  ihre  Homologie  mit  einem 
Mesoderm  ansieht,  so  ist  dies  nur  eine  sehr  auffallende  Konsequenz  des 
häufigen  Irrthums ,  dass  die  Erzeugnisse  eines  Embryonaltheils  seine  Homo- 
logie bestimmen.  Demselben  Irrthum  unterliegt  Kleinenberg,  indem  er 
die  Uebereinstimmung  des  muskelerzeugenden  Ektoderms  der  Coelenteraten 
mit  dem  Ektoderm  der  Wirbelthiere  für  eine  „rein  äusserliche  gleichgültige 
Aehnlichkeit"  erklärt,  falls  nicht  das  letztere  ebenfalls  das  mittlere  Keim- 
blatt erzeugte  (Nr.  IGT  S.  84).  Obgleich  nun  diese  Voraussetzung  nicht 
zutrifft,  so  halte  ich  doch  die  angeblich  gleichgültige  Aehnlichkeit  für  eine 
echte  morphologisch  -  genetische  Gleichwertigkeit,  das  von  Kleinenberg  in 
Betracht  gezogene  Verhältniss  aber  für  eine  blosse  Analogie.     Die  muskulösen 


372  XIII.   Schlussbetrachtungen. 

Ektodermfortsätze  der  Hydroiden  bilden  überhaupt  niemals  eine  Embryonal- 
anlage, welche  einem  Keimblatte  verglichen  werden  könnte,  sondern  sind 
sekundäre  histologische  Bildungen  von  ganz  ähnlicher  Bedeutung  wie  die  aus 
der  Oberhautanlage  der  Batrachier  hervorgehenden  Seitennerven.  Erst  bei 
den  höheren  Coelenteraten  finden  sich  unzweideutige  Spuren  eines  mittleren 
Keimblattes  als  einer  indifferenten  zelligen  Anlage  zwischen  Ekto-  und  Ento- 
derm,  deren  Ursprung  von  dem  letzteren  bei  Cassiopea  und  namentlich  bei 
Pelagia  beobachtet  worden  ist  (Nr.  160).  Für  Alcyonium  vermuthet 
Kowalewsky  die  Abstammung  derselben  Schicht  vom  Ektoderm  darauf  hin, 
dass  sie  demselben  dichter  anliege  als  dem  Entoderm-,  doch  hat  sich  die 
gleiche  und  ähnlich  begründete  Vermuthung  bei  den  Wirbelthieren  als 
irrthümlich  erwiesen  und  ist  jedenfalls  von  keiner  Bedeutung  gegenüber  den 
ersteren  positiven  Beobachtungen.  Anderenfalls  hätten  die  Alcyonien  und 
vielleicht  auch  andere  Anthozoen  kein  Homologon  eines  mittleren  Keimblattes, 
sondern  gleich  den  Hydroidpolvpen  nur  analoge  Bildungen.  Ebenso  wider- 
sprechend sind  die  Angaben  bezüglich  der  Ktenophoren,  indem  von  demselben 
Beobachter  in  zwei  Familien  (Euchariden,  Cydippiden)  das  Gallertgewebe  mit 
seinen  zelligen  Theilen  vom  Ektoderm ,  bei  den  Beroiden  vom  Entoderm  abge- 
leitet wird  (Nr.  160  S.  35.  36).  Aehnlich  wie  bei  Pelagia,  nur  umfassender 
entwickelt  sich  ein  mittleres  Keimblatt  vom  Entoderm  bei  den  Stachelhäutern; 
und  da  meines  Wissens  die  Beobachtung  Metschnikoff's  ,  dass  bei  den 
jüngsten  Larven  dieser  Thiere  einzelne  oder  gruppenweise  vereinigte  Zellen 
sich  zu  dem  Zwecke  von  der  Darmanlage  ablösen  (Nr.  166),  noch  nicht  bestätigt 
worden  ist,  thue  ich  es  hiermit  auf  Grund  meiner  eigenen  Beobachtungen.  Dieses 
mittlere  Keimblatt  der  Echinodermen  bildet  keine  primär -morphologischen 
Anlagen,  sondern  nach  meinen  Befunden  sehr  bald  ein  netzförmiges  Bildimgs- 
gewebe, ganz  übereinstimmend  mit  dem  interstitiellen  Gewebe  der  Wirbelthiere, 
welches  erst  später  sich  zu  sekundär -morphologischen  Bildungen  (Darm- 
muskel-, Perisomscbichten,  Nerven)  den  übrigenTheilen  anpasst.  * 

Bei    den    übrigen   Wirbellosen    ist    nach    den    besten    Beobachtungen 
(Nr.  159,  160,   161)  ein  echtes  mittleres  Keimblatt  als  anfangs  indifferentes 


*  Das  gedachte  Zellennetz  schien  mir  wenigstens  bei  Ophiurenlarven  auch  ebenso  wie 
bei  den  Vertebraten  zu  entstehen.  An  den  jüngsten  Larven  füllen  zusammengedrängte 
rundliche  Zellen  den  grössten  Theil  des  von  der  Keimhöhle  zurückgebliebenen  Raumes  aus; 
indem  der  letztere  durch  AnsammhiHg  von  Flüssigkeit  wächst,  werden  die  bereits  theilweise 
verbundenen  Zellen  zu  einem  Netz  auseinandergezogen.  Später  wird  es  durch  freie  Wander- 
zellen vervollständigt  (vgl.  S.  492  u.  flg.). 


XIII.    Schlussbetrachtungen.  873 

Produkt  des  Entoderms  vorli  anden,  und  nur  in  seiner  Abgrenzung  gegen  das  andere 
Produkt  derselben  Keimschicht  oder  das  Darmblatt  kann  ich  mit  Kowalewsky 
nicht  übereinstimmen,  welcher  die  ursprünglichen  Ausstülpungen  derGastrula- 
höhle  bei  Sagitta  und  den  Brachiopoden,  weil  sie  sich  später  in  die  gesonderte 
sogenannte  Peritonealhöhle  verwandeln,  als  Theile  des  mittleren  Keimblattes 
behandelt.  Das  letztere  erscheint  bei  den  Verteb raten  nicht  als  beliebiger 
Abschnitt  des  Entoderms  oder  der  sekundären  Keimschicht,  sondern  als 
indifferente  Zellenmasse,  welche  ausserhalb  der  unmittelbaren  Auskleidung 
der  ganzen  Gastrulahöhle,  also  ausserhalb  des  sich  absondernden  Darmblattes 
zurückbleibt.  Wenn  daher  ganze  Theile  der  ursprünglichen  Darmhöhle,  indem 
sie  an  ihrer  Aussenfläche  eine  dem  mittleren  Keimblatte  homologe  Zellenmasse 
absondern ,  sich  selbst  vom  bleibenden  Darm  abschnüren  und  eine  Peritoneal- 
höhle bilden*,  bleiben  sie  immerhin  echte  Homologa  von  anderen  Darm- 
aussackungen.  Nachdem  Metschnikofe  die  sogenannte  Peritonealhöhle  und 
das  Wassergefässsystem  der  Echinodermen  als  symmetrische  Ausstülpungen 
des  primären  Darmschlauchs  nachgewiesen  hat  (Nr.  166),  was  ich  in  vollem 
Umfange  bestätigen  kann,  muss  man  ihm  auch  ferner  folgen,  wenn  er  neuer- 
dings diese  Abschnürungsräume  mit  den  blossen  Ausstülpungen  des  embryo- 
nalen Darms  der  Ktenophoren  vergleicht  (Nr.  165  S.  74).  Alsdann  lässt  sich 
die  folgende  Entwickelungsreihe  des  ursprünglichen  Darmraums  aufstellen. 
1.  Einfache  vom  Entoderm  ausgekleidete  Gastrulahöhle,  erhalten  bei  den 
einfachsten  typischen  Schwammformen  (Ascones  der  Kalkschwämme  Haeckel) 
und  bei  einigen  Hydroidpolypen  mit  gar  keinen  oder  soliden  Tentakeln  (Proto- 
hydra,  Cordylophora  u.  s.  w.)-,  2.  verzweigte  Darmhöhle  oder  das  gesammte 
Gastro vaskularsystem  der  meisten  Schwämme  und  Coelenteraten ;  3.  Darm 
mit  abgetrennten  Aussackungen  und  Verzweigungen  oder  den  Peritoneal-  und 
Wassergefässräumen  der  Echinodermen,  Brachiopoden  und  Sagitten.  Ausser- 
dem kommt  es  mir  nach  der  Darstellung  Kowalewsky's  sehr  wahrscheinlich 
vor,  dass  die  „Leibeshöhle"  der  Arthropoden  in  ganz  ähnlicher  Weise  von  der 
ursprünglichen  Entodermeinstülpung  sich  abschnürt,  wogegen  bei  den  Oli- 
gochaeten  ähnlich  wie  bei  den  Wirbelthieren  das  mittlere  Keimblatt  eine  seröse 


*  Ich  selbst  habe  eine  solche  Ablösung  der  dem  mittleren  Keimblatte"  vergleichbaren 
Bildungszellen  von  dem  eben  eingestülpten  Entoderm  bei  Sagitta  noch  vor  dessen  Aus- 
sackung gesehen.  Und  da  bei  den  Echinodermen  die  Darmmuskulatur  langst  fertig  ist, 
bevor  das  Peritonealblatt  den  Darm  umwächst,  so  ist  selbst  die  Analogie  desselben  Blattes 
mit  dem  Visceralblatte  (Darmfaserblatte)  der  Vertebraten  unvollständig. 


874  XIII.   Schlussbetrachtungen. 

Leibeshöhle  bildet.  Sollte  die  Angabe Kowalewskys  richtig  sein,  dass  dasselbe 
Keimblatt  des  Amphioxus  in  doppelter  Anlage  aus  beiden  primären  Keim- 
schichten hervorgehe  (Nr.  111  S.  6),  so  würden  seine  definitiven  vier  Keim- 
blätter gar  keine  Homologie  mit  den  drei  Blättern  anderer,  namentlich  der 
Wirbelthiere  darbieten ;  wesshalb  ich  denn  doch  jene  nicht  sehr  zuversichtliche 
Angabe  im  Gegensatz  zu  Haeckel  (vgl.  S.  860)  in  Zweifel  ziehen  möchte. 

Hinsichtlich  des  mittleren  Keimblattes  lässt  sich  also  Aehnliches  behaupten 
wie  über  die  Gastrulabildung ,  dass  nämlich  nur  ein  Theil  der  bisherigen 
Beobachtungen  sich  in  Uebereinstimmung  bringen  lässt,  ohne  dass  wir  ein 
Recht  hätten,  alle  abweichenden  Darstellungen  zu  verwerfen,  dass  aber  ander- 
seits die  verschiedenen  Erscheinungen  einer  vom  Entoderm  abstammenden 
Zwischenschicht  eine  fortlaufende  Entwickelungsreihe  eines  und  desselben  Vor- 
gangs darstellen.  Sowie  am  Anfange  der  Metazoenreihe  die  beiden  primären 
Keimschichten  sich  etwas  anders  zu  bilden  scheinen  (Schwämme)  als  weiterhin, 
dann  der  Einstülpungsprocess  der  Keimblase  unvollkommen  beginnt  (Hydroid- 
polypen) ,  um  sich  aufwärts  immer  vollständiger  und  umfassender  auszubilden, 
so  fehlt  auch  die  Bildung  eines  mittleren  Keimblattes  bei  den  Schwämmen  und 
einem  Theil  der  Coelenteraten  ganz  und  erscheint  erst  allmählich  in  einer  den 
beiden  anderen  Blättern  koordinirten  Form.  Wird  es  nämlich  anfangs  durch 
das  ganze  Ektoderm  (Schwämme)  oder  histiogenetische  Erzeugnisse  desselben 
physiologisch  vertreten  (Hydroidpolypen,  Anthozoa?  Ctenophora?),  so  sind 
auch  die  ersten  einem  mittleren  Keimblatte  homologen  Absonderungen  des 
Entoderms  (Cassiopea,  Pelagia,  Beroe)  weniger  als  eine  morphologische 
Embryonalanlage  wie  als  ein  histiogenetisches  Produkt  des  Entoderms  zu 
betrachten.  Erst  bei  den  Echinodermen  erscheint  zum  Theil  ein  etwas  kom- 
pakteres mittleres  Keimblatt,  welches  aber  dennoch  nur  durch  die  histio- 
logische  Zwischenform  eines  netzförmigen  Bildungsgewebes  in  die  sekundären 
Erzeugnisse  übergeht,  sodass  bei  dieser  seiner  ungenügenden  Entwickelung 
Theile  der  Darmhöhle  vikarirend  eintreten  müssen  (Echinodermen ,  Sagitta, 
Brachiopoden) ;  und  nicht  früher  als  bei  den  höheren  Würmern  gelangt  das 
mittlere  Keimblatt  zu  der  Ausbildung,  welche  es  befähigt,  in  die  morphologische 
Entwickelung  des  Thiers  bestimmend  einzugreifen.  Dieser  allgemeine  Paralle- 
lismus in  der  Entwickelung  der  Gastrula  und  des  mittleren  Keimblattes  lässt 
sich  nun  ganz  wohl  auf  eine  Abhängigkeit  des  letzteren  von  der  Entwicklungs- 
stufe der  Gastrula  zurückführen,  welche  ihrerseits  wenigstens  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  als  Ausdruck    für   das  Mass  der   ersten  Formdifferenz  der 


XIII.   Schlussbetrachtungen.  875 

die  morphologische  Entwickelung  einleitenden  und  unterhaltenden  Dotter- 
strömungen gelten  kann.  Denn  die  Steigerung  dieser  Differenz  steigert  auch 
den  Gegensatz  beider  Hemisphären  der  sich  theilenden  Dotterkugel ,  alsdann 
aber  auch  die  Bedingungen  zu  einer  raschen  und  umfassenden  Einstülpung ; 
je  früher  aber  bestimmte  Formleistungen  erscheinen ,  desto  mehr  werden  die 
Anpassungsbedingungen  für  die  folgenden  Wirkungen  gegliedert,  sodass  ganz 
im  allgemeinen  eine  grössere  primäre  Formdifferenz  auch  mehr  leistet.  Doch 
muss  uns  die  einfachste  Ueberlegung  sagen,  dass  aus  den  bisher  allein  betrach- 
teten Massverhältnissen  der  im  oberen  Theilungspol  auslaufenden  Eiaxe  die 
Mannigfaltigkeit  aller  Formbildungen  sich  nicht  erklären  lasse.  Allerdings 
behält  jene  Formdifferenz  als  Massstab  für  die  quantitative  Ausbildung  der 
Keimblätter  ihre  Bedeutung  durch  die  ganze  Reihe  der  Metazoen;  aber  die  oft 
sehr  frühe  sich  offenbarende  besondere  und  bestimmte  Anordnung  dieser 
embryonalen  Grundlagen,  also  auch  ihre  daraus  folgende  eigenthümliche 
Umbildung  und  gegenseitige  Anpassung  zu  einer  bestimmten  typischen  Grund- 
form kann  nur  von  anderen  als  den  genannten  Formbedingungen  abgeleitet 
werden.  In  der  folgenden  Betrachtung  dieser  Verhältnisse  und  namentlich  der 
Haupterzeugnisse  der  Keimblätter  muss  ich  mich  aber  natürlich  noch  viel  mehr 
als  bisher  auf  ausgewählte  Beispiele  beschränken. 

Indem  ich  erst  bei  gewissen  Protozoen  eine  konstante  Formdifferenz  der 
ersten  Dotterströmung  und  zwar  in  einfachster  Gestaltung,  für  die  Metazoen 
aber  in  steigender  Gliederung  annehme,  so  sollen  damit  die  Thatsachen  nicht 
unter  schematische  Formeln  gebracht  werden,  von  denen  die  eine  die  anderen 
absolut  ausschlösse.  Ich  denke  vielmehr,  dass  wenn  anfangs  bei  den  niedersten 
Protozoen  die  Formdifferenzen  der  radiären  Dotterströmung  nach  allen  Seiten 
schwanken,  allmählich  die  eine  so  weit  überwiegt,  dass  sie,  konstant  geworden, 
die  anderen  nicht  zu  nachdrücklicher  Wirkung  gelangen  lässt,  ohne  sie  völlig 
auszuschliessen.  Diese  erste  konstante  Formdifferenz  kann  auch  in  der  Keim- 
blasenform nicht  auf  einer  entschieden  ungleichtheiligen  Hauptaxe  beruhen, 
weil  dadurch  bereits  die  Gastrula  angelegt  würde ;  unter  den  Protozoen  muss 
daher  die  Formdifferenz  in  dem  sich  entwickelnden  Eie  in  relativ  gleichtheiligen 
Abänderungen  der  Durchmesser  sich  bewegen,  während  jene  oftgenannte 
Hauptaxe,  deren  Ungleichtheiligkeit  in  der  Excentricität  des  ersten  Lebens- 
keims zum  Ausdruck  gelangt,  durch  die  in  ihr  enthaltenen  Bedingungen  zur 
Gastrulabildung  von  den  Proto-  zu  den  Metazoen  hinüberführt.  Denken  wir 
uns  nun,  dass  diese  naturgemäss  senkrechte  Hauptaxe  (Scheitelaxe)  die 


876  XIII.   Schlussbetrachtungen. 

gleichtheiligen  Durchmesser,  welche  für  die  Herstellung  einer  Keimblase  noch 
genügten,  nicht  ablöse,  sondern  neben  ihnen  zur  Entwickelung  komme,  so 
würden  diese,  durch  die  Excentricität  des  Lebenskeims  aus  Durchmessern  in 
excentrische  Axen  verwandelten  Richtungslinien  in  einer  horizontalen  (Aequa- 
torial-)  Ebene  liegend  und  einander  und  die  Scheitelaxe  rechtwinkelig 
schneidend  gedacht  werden  müssen  (Kreuzaxen).  Werden  nun  diese  beiden 
Kreuzaxen  als  von  früher  her  unter  sich  ungleich  angenommen  (Formdifferenz 
der  Keimblasenform),  so  muss  nach  dem  von  mir  vorausgesetzten  Kausal- 
zusammenhange der  Dotter-  und  Zeilentheilung  (vgl.  S.  58.  81.  93 — 96.  249) 
dieselbe  im  Bereiche  der  kürzeren  Axe  oder  auf  zwei  entgegengesetzten  Seiten 
der  primären  Keimschicht  und  darauf  der  Gastrula  beschleunigt  werden,  die 
Flächenausdehnung  dort  überwiegen,  sodass  die  Gastrula  keinen  kreisförmigen, 
sondern  einen  regelmässig  elliptischen  Querdurchschnitt  bekäme.  Ein  solches 
Verhältniss  der  Eiaxen  und  ihrer  Wirkungen  ist  nun  thatsächlich  und  sehr 
deutlich  an  manchen  in  der  Theilung  begriffenen  Eiern  und  den  symmetrisch 
abgeplatteten  Gastrulaformen  vieler  Coel enteraten  ausgesprochen  (vgl.  Nr.  160 
Taf.  II,  VII,  Nr.  165  Taf.  III  Fig.  IV).  Ferner  können  wir  uns  statt  der  gleich- 
theiligen Abänderung  der  einen  Kreuzaxe  eine  ungleichtheilige  entstanden 
denken,  und  würden  davon  konsequenterweise  neben  der  ursprünglichen 
polaren  Differenz  der  Dottertheilung  auch  eine  solche  in  querer  Richtung  und 
demzufolge  eine  Beschleunigung  der  Gastrulabildung  am  kürzeren  Ende  der 
neuen  Axe  erwarten.  Bei  den  Wirbelthieren  vermochte  ich  eine  solche 
einseitige  Abweichung  von  der  gleichmässig  koncentrischen  Ausbreitung  der 
primären  Keimschicht  erst  während  des  Beginns  der  Einstülpung  (Batrachier) 
oder  doch  nach  abgelaufener  Dottertheilung  (Knochenfische)  nachzuweisen; 
Kowalewsky  lässt  uns  in  seiner  vortrefflichen  Arbeit  über  die  Entwickelung 
des  Euaxes  und  des  Lumbricus  die  Ursachen  jener  ungleichmässigen  Gastrula- 
bildung schon  im  ersten  Anfange  der  Dottertheilung  erkennen  (Nu  159  Taf.  III). 
Doch  ist  daneben  ein  gewisses  Uebergewicht  der  Theilungsvorgänge  in  der 
gleichtheiligen  Kreuzaxe  bemerkbar,  sodass  die  Zone  der  schneller  getheilten 
kleineren  Elemente  auf  den  beiden  Längsseiten  am  breitesten  bleibt  (a.  a.  0. 
Fig.  8.  9.  13.  14.  16).  Erst  bei  den  Wirbelthieren  geht  das  Uebergewicht  der 
ganzen  Entwickelung  vollständig  auf  den  einen  Pol  der  ungleichtheiligen 
Kreuzaxe  über.  Die  andere  Kreuzaxe  greift  allerdings  auch  noch  durch 
ungleichhälftige  Ausbildung  in  die  Kombinationen  der  übrigen  Formdifferenzen 
ein,  bleibt  aber  im  allgemeinen  weniger  bedeutsam  und  soll  daher  erst  später 


XIII.   Schlussbetrachtungen.  877 

zur  Erörterung  kommen.  Hier  will  ich  aber  die  allgemeine  Bedeutung  jener 
näher  bezeichneten  ursprünglichen  Forrndifferenzen  des  sich  entwickelnden 
Metazoeneies  zu  erklären  versuchen  (vgl.  den  Holzschnitt  S.  880). 

Die  erste  für  die  Metazoen  in  Betracht  kommende  Formdifferenz  der 
radiären  Dotterströmung  erzeugt  durch  den  oftgenannten  mechanischen  Kausal- 
zusammenhang die  Gastrula,  und  die  betreffende  ungleichtheilige  Hauptaxe  des 
Eies  oder  die  Scheitelaxe  wird,  sowie  sie  die  Pole  der  Keimblase  bestimmte,  auch 
zur  Hauptaxe  der  Gastrula  (S.  880  Fig.  I.  II).  Bleiben  die  Kreuzaxen  gleich  und  in- 
different, so  hatjene  Gastrulaaxe,  welche  natürlich  mit  der  Längsaxe  der  primitiven 
Darmhöhle  zusammenfällt,  die  Bedeutung,  dass  alle  Keimtheile  in  ihrem  Um- 
fange in  der  Weise  gleichmässig  angelegt  sind,  dass  jeder  Querdurchschnitt  der 
Gastrula  eine  regelmässig  radiäre  Anordnung  zeigt,  die  verschiedenen  Quer- 
durchschnitte aber  je  nach  dem  Mass  der  Differenz  der  beiden  Pole  in  deren  Nähe 
verschieden  abändern.  Für  jeden  axialen  Längs-  und  jeden  Querdurchschnitt 
liegt  also  die  wesentlichste  Formbedingung  in  dem  Gegensatz  von  Peripherie 
und  Axe  oder  Centrum,  sodass  die  etwaigen  weiteren  Umbildungen  jener  gleich- 
massigen  Gastrula  auch  nur  in  gleichmässig  radiärer  Form  erfolgen  können. 
Damit  ist  der  Strahltypus  gegeben.  Doch  darf  man  dabei  nicht  an  ein  starres 
Schema  denken.  So  ist  es  für  viele  Schwämme  leicht  möglich ,  dass  durch 
eine  zu  geringe  Beständigkeit  der  besprochenen  Formdifferenz  die  Gastrula- 
form  überhaupt  nicht  zu  einer  regelmässigen  Entwickelung  gelangt  oder  dieselbe 
sekundär  abändert.  Ferner  wird  die  radiäre  Grundform,  welche  zudem  oft 
ausschliesslich  in  der  Vierzahl  der  Kreuzradien  zum  Ausdrucke  kommt 
(Rugosa,  Medusae),  durch  einen  massigen  Grad  von  gleichtheiliger  Differenz 
in  einer  Kreuzaxe  nicht  beeinträchtigt,  weil  dadurch  nur  die  Radien  symmetrisch 
abgeändert  werden,  nicht  aber  die  Gastrulaaxe  selbst-,  dieses  Verhalten  trifft 
man  bereits  unter  den  Schwämmen  (Grantia  compressa) ,  noch  häufiger  wie 
erwähnt  unter  den  Coelenteraten,  und  zwar  bei  Larven  und  entwickelten  Thieren 
(Hydroidlarven,  Ktenophoren).  Und  selbst  wenn  wir  die  Grenzen  erlaubter 
Deduktionen  in  diesem  Gebiete  der  Morphologie  eng  ziehen,  so  scheint  es  mir 
doch  statthaft,  aus  der  Entwicklungsgeschichte  der  Siphonophoren  den  Schluss 
zu  ziehen ,  dass  unter  den  Coelenteraten  selbst  die  Wirkungen  einer  ungleich- 
theiligen  Kreuzaxe  sich  bemerkbar  machen.  Eine  Radialebene  tritt  bereits 
am  jungen  Embryo  ganz  offenbar  vor  allen  anderen  hervor  und  ändert  dadurch 
die  gesammte  Anordnung  der  Organisation  in  der  Weise  ab ,  dass  obgleich  die 
radiäre  Grundform  im  allgemeinen  erhalten  bleibt,  wie  wir  denn  die  Scheitelaxe 


378  XIII.   Schlussbetrachtungen. 

des  Eies  in  die  Darmaxe  übergehen  sehen,  dennoch  die  Symmetrie  des  Strahl- 
typus verloren  geht,  was  nicht  nur  in  der  Stellung,  sondern  auch  in  der  höchst 
divergenten  Entwickelung  der  aus  dem  polypoiden  Gentralkörper  hervor- 
wachsenden Organe  sich  kundgibt  (Nr.  165  Taf.  VI,  X — XII)*.  Wir  finden 
also,  dass  die  gesetzmässige  Differenzirung  der  Kreuzaxen,  welche  bei  den 
Schwämmen  noch  selten  ist ,  in  ihrer  einfachsten  gleichtheiligen  Form  bei  den 
Larven  der  Hydroiden  allgemein  wird,  bei  vielen  Anthozoen  und  namentlich 
den  Ktenophoren  im  vollendeten  Zustande  erhalten  bleibt,  und  bei  den  Sipho- 
nophoren  sogar  in  eine  ungleichtheilige  Form  übergeht.  Daraus  lässt  sich  aber 
entnehmen,  dass  alle  im  Eie  möglichen  und  in  erster  Linie  massgebenden  Form- 
differenzen nicht  nur  bereits  im  niedersten  Metazoentypus  vereinigt  vorkommen, 
sondern  dass  sie  sich  auch  bis  zu  einem  gewissen  Grade  gleichmässig 
steigern ,  sodass  in  dem  Verhältniss  ,  als  die  Ausbildung  der  Keimblätter  zu- 
nimmt, auch  die  sekundären  Forindifferenzen  beständiger  hervortreten.  Der 
Strahltypus  wird  aber  immerhin  durch  eine  solche  relativ  geringe  Höhe  jener 
Steigerung  begrenzt,  dass  diese  sekundären  Differenzen  jedenfalls  nicht  zu 
typisch  bestimmendem  Einfluss  gelangen,  womit  eben  auch  eine  gegenüber 
anderen  Typen  schwächere  Entfaltung  der  ersten  Formdifferenz  in  der 
Scheitelaxe  und  daher  der  embryonalen  Grundlagen  zusammenfällt.     Dieses 


*  Mit  dieser  Auffassung  schliesse  ich  mich  natürlich  Metschnikoff  an,  welcher  die 
sogenannten  polymorphen  Individuen  eines  Siphonophors  für  Organe  erklärt  (a.  a.  0.  S.  38). 
Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  diese  Ansicht  näher  zu  begründen  und  beschränke  ich  mich  daher 
auf  die  Bemerkung,  dass  die  Lehre  vom  Polymorphismus  der  Siphonophoren  sich  auf 
unpräcise  Begriffe  der  Knospung  und  der  Individualität  stützt.  Eine  Knospe  ist  stets  ein 
physiologisches  Produkt ,  setzt  also  ein  vollständiges  Leben  des  Keimbodens  voraus ,  wovon 
aber  während  der  morphologischen  Entwickelung  keine  Rede  sein  kann.  Daher  knospen 
fertige  Schwammindividuen ,  Hydroidstöcke ,  auch  wohl  die  thatsächlich  wachsenden 
Scyphistomen ,  nicht  aber  die  noch  nicht  individualisirten  Eiprodukte;  man  müsste  denn 
den  besonderen  Sinn  des  Wortes  „Knospung"  ganz  aufgeben  und  mit  Haeckel  auch  die 
Segmentirung  der  Wirbelthierembryonen  als  „terminale  Knospung"  ansehen  (Nr.  100  II 
S.  137).  Anderseits  ist  die  Folge  der  schematisch-aualysirenden  Auflösung  des  Individua- 
litätsbegriffs durch  Haeckel  (vgl.  S.  600)  die,  dass  dieses  Wort  „Individualität"  nunmehr 
nicht  ein  bloss  nach  dem  Entwickelungsgrade  verschiedenes  Verhältniss,  sondern  ganz 
heterogene  Dinge  bezeichnet.  So  kann  offenbar  die  ,.  untheilbare  morphologische 
Individualität"  nichts  anderes  bedeuten  als  die  blosse  Abstraktion  der  Form,  welche  aber 
zur  organischen  Individualität  in  keiner  näheren  Beziehung  steht  als  zu  irgend  einem 
beliebigen  Formverhältnisse.  Bei  einer  solchen  willkürlichen  Zersplitterung  eines  Begriffs 
kann  das  in  verschiedenem  Sinne  gebrauchte  Wort  allerdings  gewisse  Schwächen  einer 
Erklärung  verdecken ,  um  jedoch  andere  um  so  leichter  hervortreten  zu  lassen.  So  lässt 
sich  dadurch  der  Polymorphismus  der  Siphonophoren  vertheidigen,  aber  die  Konsequenz 
nicht  ausschliessen ,  dass  jeder  beliebige  andere  Organismus  dasselbe  Verhältniss  zeigt. 


XIII.   Schlussbetrachtungen.  879 

spricht  sich  in  verschiedenen  Richtungen  der  individuellen  Entwickelung  der 
Coelenteraten  aus.  Einmal  können  wir  uns  dadurch  die  Erfahrung  erklären, 
dass  mit  dem  Vorherrschen  der  ersten  Formdifferenz  oder  mit  dem  radiären 
Typus  ein  Uebergewicht  des  einfachen  Entoderms  oder  des  Darmblattes  in  der 
morphologischen  Entwickelung  zusammenhängt.  Da  die  letztere  mit  der 
Duttertheilung  in  der  Ektodermhemisphäre  beginnt ,  und  diese  wiederum  ihre 
erste  und  wichtigste  Arbeit  in  der  Entodermausstülpung ,  also  ausserhalb  ihres 
eigenen  Bereichs  leistet,  bevor  für  sie  selbst  differentere  Anpassungsbedingungen 
entstehen,  so  ist  es  natürlich,  dass  die  morphologische  Entwickelung  des  Ekto- 
derms  sich  früher  erschöpft  und  gleichsam  ungünstiger  arbeitet  als  im  Ento- 
derm ,  wo  sie  später  aber  auch  sofort  unter  der  bestimmenden  Formbedingung 
der  typischen  Anordnung  anhebt.  Kommt  daher  der  radiäre  Typus  vor- 
herrschend im  Entoderm  zum  Ausdruck,  sodass  das  Ektoderm  nur  mehr  passiv, 
sekundär  daran  theilnimmt,  so  ist  dennoch  ein  bezüglicher  Fortschritt 
innerhalb  desselben  Typus  nicht  zu  verkennen:  bei  den  Hydroiden  bleibt  das 
obere  Keimblatt  morphologisch  indifferent ,  dann  gibt  sich  seine  selbstthätige 
Entwickelung  wenigstens  in  einer  stärkeren  gleichmässigen  Ausdehnung 
(Medusenschirm)  und ,  wenn  sie  endlich  noch  unter  dem  Einflüsse  der  schneller 
gebildeten  Gastrula  erfolgt,  in  selbstständigen  radiären  Bildungen  zu  erkennen 
(Rippen,  Tentakel  der  Ktenophoren,  Schwimm-,  Deckstücke  u.  s.  w.  der 
Siphonophoren).  Mit  der  niederen  Formstufe  des  Strahltypus  hängt  ferner  nicht 
nur  die  dürftige  Entfaltung  eines  mittleren  Keimblattes,  sondern  überhaupt  die 
geringe  histiologisch-physiologische  Differenzirung  des  ganzen  Organismus  zu- 
sammen  (S.  874),  wobei  aber  immer  Ursache  und  Wirkung  eine  Reihe  von  ver- 
schiedenen Entwicklungsstufen  darstellen. 

Die  eben  entwickelten  allgemeinen  Gesichtspunkte  über  das  Wechselver- 
hältniss  und  die  Wirkung  der  Formdifferenzen  der  Eiaxen  finden  ihre 
Bestätigung  in  den  über  den  Coelenteraten  stehenden  Thieren.  Die  für  die 
Würmer  bereits  angegebenen  ursprünglichen  Formbedingungen  erzeugen  ein 
Uebergewicht  der  Entwickelung  auf  zwei  symmetrisch  entgegengesetzten  Seiten 
der  Gastrula,  sodass  die  aktiven  Wirkungen  der  zweiten  ungleichtheiligen 
Kreuzaxe  dagegen  zurücktreten.  Immerhin  bestimmt  die  letztere  die  vor- 
herrschende Ausdehnung  jener  Seiten  nach  dem  trägeren  Kreuzpole,  wodurch 
die  ganze  Gastrula  in  derselben  Richtung  ausgezogen  wird  und  eine  neue 
Längsaxe  des  Darms  rechtwinkelig  zu  der  früheren  Gastrulaaxe  entsteht, 
während  diese  nur  noch  in  der  Einstülpungsöffnung,  d.  h.  in  sehr  vielen  Fällen 


880 


XIII.    Schlussbetrachtungen. 


dem  späteren  Munde  sich  erhält  (s.  u.  Fig.  III.  IV).  Da  die  nach  meiner  Darstellung 
vom  Kausalzusammenhangeder  Embryonalentwickelung  nothwendigen  ursprüng- 
lichen Formursachen  einer  solchen  Larvenform  in  den  Dottertheilungsbildern 
einiger  Ringelwürmer  einen  getreuen  Ausdruck  finden  (Nr.  159  Taf.  III),  so  ist  es 
wohl  erlaubt  anzunehmen,  dass  die  gleiche  Larvenform  der  Echinodermen,  welche 
namentlich  bei  Pentacta  und  den  wurmförmigen  Seesternlarven  J.  Müller's 
deutlich  hervortritt  (Nr.  162,  Nr.  168  Taf.  VI,  VII,  Nr.  169  Taf.  I),  und  die 
typische  Anordnung  der  entwickelten  Plattwürmer  ganz  ähnliche  Ursachen 
I.  III.  V. 


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VI. 

I.  Ei.  a.  Scheitelaxe. 

II.  Reguläre  Gastrula.  b,  c.  Kreuzaxen. 

III.  Wurmembryo.  a'.  Rückenaxe. 

IV.  „  vom  Scheitelpol  gesehen.  b'.  Bauchaxe. 

V.  Vertebratenembryo. 

VI.  „  vom  Scheitelpol  gesehen. 

haben.  Diese  drei  Gruppen  haben  also  als  gemeinsamen  Ausgangspunkt  ihrer 
Formbildung  neben  der  ungleichtheiligen  Scheitelaxe  eine  überwiegende  gleich- 
theilige  und  eine  untergeordnete  ungleichth eilige  Kreuzaxe,  also  die  schon  bei 
den  höheren  Coelenteraten  nachweisbaren  Formdifferenzen,  aber  in  solcher 
Steigerung,  dass  die  Gastrulaaxe  nicht  erhalten  bleibt,  sondern  durch  eine 
rechtwinkelig  auf  sie  stossende  Darmaxe  ersetzt  wird.  Aber  auch  in  jenen 
drei  Gruppen  divergirt  die  Entwickelung  in  Folge  eines  ungleichen  Masses 
jener  Steigerung  schliesslich  so  weit,  dass  sie  in  drei  verschiedene  Typen  aus- 
läuft.  —    Die   definitive  Grundform    der  Plattwünner    weicht   nach   meiner 


XIII.   Schlussbetrachtungen.  881 

Ansicht  von  der  bezeichneten  Larvenform  am  wenigsten  ab;  denn  sie  behält 
die  Darmaxe  als  Richtungslinie  des  ganzen  Körpers,  sodass  die  Scheitelebene 
a  b  (Medianebene)  und  die  Kreuzebene  b  c  (Frontalebene)  allerdings  unter  sich 
differiren,  aber  jede  für  sich  relativ  symmetrisch  oder  gleichtheilig  bleibt.  Man 
kann  daher  diese  Ebenen  mit  den  bilateral  abgeänderten  Radialebenen  der 
Ktenophoren  vergleichen,  wobei  als  grundsätzliche  Differenz  die  verschiedene 
Bedeutung  der  beiderlei  Darmaxen  erscheint.  Viel  näher  stehen  den  Coelen- 
teraten  die  Echinodermen,  deren  Larven  bereits  durch  die  bilateralen  Darm- 
ausstülpungen eine  Aehnlichkeit  mit  den  Ktenophoren.erhalten  (Metschnikoff). 
Indem  aber  eine  von  diesen  bilateralen,  radiär  gctheilten  Embryonalanlagen 
sich  theilweise  zurückbildet  und  dadurch  die  andere  allein  mit  ihrer  gleich- 
massig  radiären  Theilung  den  Darm  umwachsen  lässt,  wird  von  dieser  Seite 
her  eine  entsprechende  Anpassung  der  übrigen  noch  indifferenten  Theile  des 
Ekto-  und  Mesoderms  bewirkt;  es  verwandeln  sich  demnach  die  paarig 
symmetrischen  Hauptebenen  der  Plattwürmer  bei  den  Echinodermen  mit 
wenigen  Ausnahmen  in  lauter  gleiche  Radialebenen.  Kurz  ,  der  Strahltypus, 
dessen  allgemeinster  Ausdruck  in  der  centralen  Darmaxe  auch  den  Platt- 
würmern nicht  fehlt,  kommt  bei  den  Stachelhäutern  schliesslich  zu  ganz 
besonders  deutlicher  Entwickelung,  wobei  nur  wie  bei  den  Plattwürmern  die 
neue  Darmaxe  eine  grundsätzliche  Abweichung  von  den  Coelenteraten  bildet. 
Bei  dieser  Rückbildung  der  bilateral  angeordneten  Theile  der  Echinodermen- 
larven  zur  Strahlform  ist  es  wiederum  der  embryonale  Darm,  von  welchem  die 
Veranlassung  zu  der  letzteren  gerade  so  wie  bei  den  Coelenteraten  selbst  aus- 
geht. Schon  die  Gastrula  der  Echinodermen  zeigt  uns  deutlich,  dass  die 
Entodermeinstülpung  im  Verhältniss  zu  derjenigen  der  Würmer  eine  schwache 
ist  (Nr.  162);  und  wenn  dies  schon  auf  ein  geringes  Mass  der  Formdifferenz 
in  der  Scheitelaxe  des  Eies  deutet,  so  wird  dieser  Hinweis  noch  unterstützt 
durch  die  weitere  morphologische  Entwickelung,  welche  ähnlich  wie  bei  den 
Ktenophoren  wesentlich  vom  Darmblatte  ausgeführt  wird ,  während  das  Ekto- 
derm  nur  in  untergeordneten  Bildungen  sich  selbstständig  entwickelt,  das 
mittlere  Keimblatt  aber  als  bloss  sekundär  geformtes  netzförmiges  Bildungs- 
gewebe auftritt. 

Zeigen  uns  schon  die  eben  behandelten  beiden  Gruppen  eine  nicht  unbe- 
deutende Divergenz  der  Entwickelung  von  einem  wahrscheinlich  gleichen 
Ausgangspunkte  aus,  so  entfernen  sich  die  Ringelwürmer  noch  weit 
entschiedener  von  demselben,  und  zwar  wiederum  nur  durch  eine  weitere 

Goette,  Eiitwickelungsgesckichte.  56 


g£2  XIII.   Schlussbetrachtungen. 

Steigerung  der  oftgenannten  Fornidifferenzen.  Zunächst  bewirkt  sie  eine 
Beschleunigung  der  Gastrulabildung ,  sodass  dieselbe  im  Anfange  der  Dotter- 
theilung  beginnend  ein  mächtiges  Entoderm  mit  einem  frühe  sich  abspaltenden 
ansehnlichen  mittleren  Keimblatte  anlegt.  Die  ausgeprägt  bilateral  -  sym- 
metrische Anlage  des  letzteren  erlangt  auch  den  massgebenden  Einfluss  auf 
die  typische  Gestaltung  dieser  Thiere.  Einmal  wird  das  Darmblatt  von  einer 
aktiven  morphologischen  Entwickelung  dadurch  ausgeschlossen,  dass  die 
Grundzüge  derselben  durch  die  beiden  anderen  weit  vorauseilenden  Keim- 
blätter festgestellt  sind,  ehe  jenes  seine  andauernde  Indifferenz  aufgibt ,  welche 
eben  die  Folge  davon  ist,  dass  die  untere  Eihälfte  (Darmblatt  und  eventuell 
Nahrungsdotter)  durch  die  Begünstigung  der  um  den  oberen  Pol  gelegenen 
Eitheile  (oberes,  mittleres  Keimblatt)  gleich  bei  der  Dottertheilung  ausser- 
ordentlich zurückbleibt.  Ferner  kann  aber  auch  die  Bildungsthätigkeit  des 
oberen  Keimblattes  auf  diejenige  des  mittleren  zurückgeführt  werden;  denn 
die  geringe  Verdickung  des  ersteren  über  dem  Randwulste  tritt  erst  mit  der 
Ausbildung  des  letzteren  hervor  und  bleibt  während  der  Umwachsung  des 
übrigen  Entoderms  auf  ihn  beschränkt  (Nr.  159  Taf.  IV).  Es  ist  daher  durch- 
aus gerechtfertigt ,  die  paarigen  Keimstreifen  in  erster  Linie  nur  auf  das 
mittlere  Keimblatt  zu  beziehen.  Durch  ihre  symmetrische  Disposition  auf 
zwei  entgegengesetzte  Seiten  des  Einstülpungsrandes  der  Gastrula  unter- 
scheiden sie  sich  ebenso  sehr  von  den  ersten  morphologischen  Anlagen  der 
Vertebraten,  wie  sie  dadurch  die  in  zwei  Längsebenen  relativ  symmetrische 
Anordnung  der  Embryonalanlagen  der  Echinodermen  und  Plattwürmer  ver- 
hindern. Denn  mit  der  sich  zusammenziehenden  Gastrulaöffnung  kommen  sie 
auf  die  Seite  des  unteren  Eipols,  wo  sie  endlich  in  der  durch  sie  gleich  von 
Anfang  bestimmten  Medianebene  und  unter  Einschluss  der  Mundöti'nung 
zusammenstossen  und  auf  diese  Weise  sowohl  im  eigenen  Bereich  wie  auch  im 
oberen  Keimblatte,  dessen  bilaterale  Verdickungen  darüber  gleichfalls 
zusammenfliessen,  die  Anlage  je  einer  unpaaren  Bildung  veranlassen,  des 
merkwürdigen  Analogons  einer  Wirbelsaite  und  des  Bauchmarks  (Nr.  159  S.  20). 
Jede  Homologie  dieser  Bildungen  mit  der  Chorda  und  dem  Nervensystem  der 
Vertebraten  ist  selbstverständlich  ausgeschlossen,  aber  nicht  etwa  desshalb, 
weil  sie  auf  der  oralen  oder  Bauchseite  liegen,  denn  die  „ventral"  und  „dorsal" 
genannten  Lagebeziehungen  stimmen  in  beiden  Typen  überhaupt  nicht  überein, 
wie  ein  Blick  auf  die  Schemata  zeigt  (S.  880  Fig.  III — VI);  sondern  weil  jene 


XIII.   Schlussbetrachtungen.  883 

Axentheile  der  Vertebraten  primär  unpaar*,  diejenigen  der  Würmer  aber  aus 
einem  Zusammenstoss  symmetrisch  paariger  Anlagen  sekundär  entstehen. 
Ausserdem  muss  hervorgehoben  werden,  dass  nach  den  vorliegenden  embryolo- 
gischen Thatsachen  sowohl  bei  den  Oligochaeten  wie  bei  Sagitta  das  obere 
Schlundganglion  genetisch  zum  Bauchmarke  gehört.  —  Die  Keimstreifen  des 
mittleren  Keimblattes  führen  aber  noch  eine  weitere  Neuerung  der  morpholo- 
gischen Entwickelung  herbei,  die  Flächenspaltung  und  die  Quergliederung, 
welche  allerdings  in  ihren  nächsten,  lokalen  Anpassungsbedingungen  mit  der- 
jenigen der  Wirbelthiere  übereinzustimmen  scheinen,  ohne  dass  jedoch  die 
weitere  Entwickelung  der  Segmente  in  diesen  beiden  Abtheilungen  des  Thier- 
reichs  irgend  welche  bestimmten  Homologien  böte**.  Die  Lagebeziehungen 
dieser  Segmente  zu  den  unpaaren  zwischen  ihnen  entstehenden  Organen  lassen 
es  unmittelbar  erkennen,  dass  die  Hauptrichtungslinie  des  Körpers  solcher 
Würmer  aus  der  Darmröhre  auf  die  durch  jene  Körpertheile  ausgezeichnete 
Seite  der  Leibeswand  übergegangen  ist,  womit  sich  eine  wichtige  Veränderung 
der  primären,  in  zwei  Richtebenen  symmetrischen  und  folglich  darmaxigen 
Wurmform  vollzogen  hat.  Sie  ist  ventro-axial  geworden,  sodass  sie  von  den 
ursprünglichen  Lagebeziehungen  der  Gastrula  nur  noch  die  orale  Seite  und 
deren  Gegensatz  im  Rücken  behält.  Da  nach  dem  Gesagten  diese  Veränderung 
der  Grundform  sich  leicht  auf  eine  Steigerung  der  Formdifferenzen  des  Eies 
zurückführen  lässt,  so  brauche  ich  die  weiteren  Folgen  derselben  für  die 
Organisation  der  höheren  Würmer  nicht  näher  auszuführen.  Die  hier  zum 
ersten  Mal  auftretende  primär  -  morphologische  Entwickelung  des  mittleren 
Keimblattes  überträgt  ihre  Formen  nicht  nur  auf  das  obere  Keimblatt, 
sondern  bietet  in  ihrem  eigenen  Bereiche  so  mannigfaltige  neue  Formbe- 
diugungen,  dass  die  höhere  histologische  Differenzirung  als  Folge  einer  solchen 
morphologischen  selbstverständlich  ist. 

*)  Wer  von  meiner  bezüglichen  Darstellung  bei  den  eigentlichen  Wirbelthieren 
(S.  157.  158)  sich  nicht  will  überzeugen  lassen,  den  kann  ich  an  dieser  Stelle  auf  Ascidia 
und  Amphioxus  verweisen. 

**)  Ich  erinnere  zunächst  daran ,  dass  die  getrennten  Segmente  und  die  primär  und 
grösstentheils  überhaupt  nicht  segmentirten  Seitenplatten  zwei  verschiedene  Keimtheile 
darstellen.  Die  aus  den  Segmenten  der  Würmer  hervorgehende  Leibeshöhle  und  ihre 
Segmentalorgane  können  daher  den  ähnlichen  Erzeugnissen  der  Seitenplatten  der  Wirbel- 
thiere nicht  homolog  sein ;  die  Segmentalorgane  als  röhrenförmige  Auswüchse  der  Segment- 
wand in  die  Leibeshöhle  hinein  (Nr.  159  S.  25)  haben  insbesondere  mit  den  Urnieren,  mit 
denen  sie  Kowalewsky  selbst  vergleicht  (S.  29)  ,  nur  die  genetische  Aehnlichkeit,  dass 
sie  im  mittleren  Keimblatte  als  Röhren  entstehen,  was  sich  aber  natürlich  auch  vom 
Herzen  und  anderen  heterogenen  Organen  behaupten  lässt. 

56* 


384  XIII.    Schlussbetrachtungen. 

Den  höheren  Würmern  sind  die  Arthropoden  und  die  Brachiopoden  nach 
ihrer  Entwicklung  unbedingt  anzureihen;  vielleicht  dürfen  auch  die  Mollusken 
derselben  Grundform,  natürlich  in  weiteren  Grenzen,  zugezählt  werden.  Bei 
den  Insekten  liegt  die  Gastrulaöffnung  als  lange  Spalte  zwischen  den  bilateral 
symmetrischen  Randwülsten  (Nr.  159  Taf.  VII),  sodass  die  Lage  der  die 
Körperaxe  bestimmenden  Hauptorgane  (mit  Einschluss  des  oberen  Schlund- 
ganglions) ,  parallel  zur  sekundären  Darmaxe  oder  rechtwinkelig  zur  Scheitel- 
axe des  Eies  und  zur  Gastrulaaxe  leicht  verständlich  ist.  Doch  ist  das 
Zusammenfliessen  dieser  paarigen  Anlagen  zu  unpaar  -  axialen  weniger  voll- 
ständig als  bei  den  Oligochaeten,  welche  den  Schluss  einer  Entwickelungsreihe 
bilden ,  die  mit  einer  relativ  symmetrischen  Trennung  der  bilateralen  Anlagen 
bei  den  Ktenophoren  und  Echinodermen  beginnt  und  dann  durch  die  Platt- 
würmer zu  den  höheren  Formen  des  ventro-axialen  Typus  führt. 

Ueber  die  Wirbelthiere  brauche  ich  nicht  viel  zu  sagen.  Das  sie  von  dem 
eben  betrachteten  Typus  unterscheidende  Merkmal  ist  bei  der  allgemeinen 
Steigerung  aller  Formdifferenzen  das  sehr  früh  hervortretende  Uebergewicht 
jener  im  vorigen  Typus  noch  untergeordneten  ungleichtheiligen  Kreuzaxe,  so- 
dass Ektoderm  und  mittleres  Keimblatt  gleich  primär  in  einseitigen  unpaaren 
Anlagen  die  künftige  Richtungslinie  des  Körpers  bestimmen,  welche  aber  nicht 
wie  im  ventroaxialen  Typus  aus  der  sekundären,  abgebogenen  Darmaxe,  sondern 
aus  der  ursprünglichen  Gastrulaaxe  verschoben  wird,  dieser  also  parallel 
liegt  (vgl.  S.  880).  Mit  anderen  Worten,  wenn  der  Rücken  eines  Wurms  oder 
Arthropoden  dem  oberen  Polfeld  des  Eies  entspricht,  so  entsteht  der  Rücken 
des  Wirbelthiers  längs  einer  meridionalen  Linie  desselben;  die  Einstülpuugs- 
öffnung  der  Gastrula,  welche  bei  den  erstgenannten  Thieren  zum  Munde  wird, 
bezeichnet  bei  den  Vertebraten  (Knochenfische,  Batrachier)  die  Lage  des 
künftigen  Afters  *.  Sowie  nun  im  Strahltypus  das  Darmblatt  oder  doch  das 
ungetheilte  Entoderm ,  im  ventro-axialen  Typus  das  mittlere  Keimblatt  die 
morphologische  Entwickelung  beherrscht,  so  ist  es  bei  den  Wirbelthieren 
(dorso-axialer  Typus)  das  obere  Keimblatt,  welches  in  seiner  fundamentalen 
Anlage  des  Centralnervensystems  im  allgemeinen  und  im  besonderen  die  Höhe 


*  Wenn  dies  auf  die  Amnioten  nicht  ohne  weiteres  anwendbar  ist ,  so  wissen  wir  doch, 
dass  die  Embryonalanlage  nur  mit  ihrem  Schwanzende  den  Rand  der  Keimscheibe  erreicht, 
mit  dem  Kopfende  aber  von  ihm  weit  absteht,  sodass  der  Schluss  dieses  Randes  unter  dem 
Nahrungsdotter  dem  After  immer  näher  liegen  muss  als  dem  Munde. 


XIII.  Schlussbetrachtungen.  885 

jener  Entwickelung  bestimmt,  wie  ich  es  vielfach  nachgewiesen  habe,  für 
den  Kopf  in  seinen  einzelnen  Theilen  (Kiefer,  Kiemen,  Herz),  für  die  Brust  und 
ihre  Eingeweide  u.  s.  w.  Daher  ist  der  Gegensatz  von  Bauch  und  Rücken  der 
Wirbelthiere  erst  mit  jener  dorso-axialen  Anlage  bezeichnet,  während  bei  den 
Würmern  und  Arthropoden  die  schon  ursprünglich  bestimmte  orale  Seite  der 
Gastrula  sich  in  die  ventrale  des  entwickelten  Thieres  verwandelt. 

Bevor  ich  diese  vielleicht  schon  ermüdenden  Vergleiche  verlasse ,  sei  noch 
kurz  der  Wirkungen  einer  geringen  Ungleichtheiligkeit  der  bisher  als  gleich- 
theilig  behandelten  zweiten  Kreuzaxe  des  Eies  gedacht.  Diese  Abänderung 
kann  nach  allen  voranstellenden  Betrachtungen  ein  gewisses  niederes  Mass 
nicht  überschreiten ,  wenn  die  typische  Entwickelung  überhaupt  nicht  beein- 
trächtigt und  endlich  ganz  aufgelöst  werden  soll.  Ihre  Wirkungen  treten  daher 
nur  sekundär  und  relativ  spät  ein,  sodass  der  bereits  festgestellte  Typus 
dadurch  keine  wesentliche  Abänderung  erleidet,  obgleich  sie  für  gewisse 
beschränktere  Entwickelungsvorgänge  von  grösster  Bedeutung  sind.  Deutlich 
erscheint  eine  solche  Wirkung  erst  bei  den  Echinodermen  in  der  erwähnten 
Rückbildung  der  einen  lateralen  Darmaussackung ,  wodurch  die  andere  allein 
die  Anlage  des  Wassergefässsystems  liefert  und  die  radiäre  Anordnung  der 
meisten  oder  selbst  aller  Körpertheile  hervorruft.  Bei  den  Mollusken  mag  die 
spirale  Aufwindung  daher  rühren ;  und  wenn  sich  ganz  allgemein  die  Ursachen 
der  gesetzmässigen  Asymmetrie  des  Situs  viscerum  darauf  zurückführen  liessen, 
so  brauche  ich  die  Bedeutung  dieser  Formdifferenz  für  die  Bildung  gewisser 
Organe,  Gefässe  u.  s.  w.  nicht  weiter  zu  erörtern  (vgl.  S.  750.  799).  An  dieser 
Stelle  habe  ich  sie  nur  erwähnt ,  um  zu  zeigen ,  dass  in  den  uns  vorliegenden 
Typen  des  gesammten  Thierreichs  alle  im  Eie  möglichen  wirksamen  Form- 
ursachen erschöpft  sind. 

Die  voranstehenden  Betrachtungen  beziehen  sich  allerdings  nur  auf  die 
Hauptformen  des  Thierreichs ,  und  behandeln  ferner  nur  die  grundlegenden 
Erscheinungen  ihrer  individuellen  Entwickelung-,  doch  halte  ich  sie  für 
genügend,  um  mit  Rücksicht  auf  meine  eingehenden  Untersuchungen  an 
Wirbelthieren  auch  für  die  weitere  Entwickelung  der  übrigen  Thiere  die  allge- 
meine Auffassung  geltend  zu  machen,  dass  die  ganze  morphologische 
Entwickelung  in  mechanischen  Formleistungen  verlaufe,  welche  in  ununter- 
brochenen Kausalzusammenhang  von  jenen  ersten  einfachsten  Formbedingungen 
der  im  Eie  eingeleiteten  protoplasmatischen  Bewegungen  ausgehen,  durch 
gegenseitige  Anpassung  und  Bewirkung  sich  fortlaufend  gliedern  und  am  Ende 


^g(J  XIII.   Schlussbetrachtungen. 

dieser  Entwicklung  in  den  lokal  geschaffenen  Formbeziehungen  der  embryo- 
nalen Jiörpertheile  die  einzigen  unmittelbaren  Ursachen  der  Gewebssonderung 
darstellen.  Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  rechtfertigt  sich  die  Beschränkung 
auf  die  bisher  betrachteten  primären  Formverhältnisse,  da  in  ihnen  die 
wesentlichen  Grundlagen  des  Gemeinsamen  und  Verschiedenen  in  der  späteren 
Entwickelung  hinlänglich  angedeutet  sind.  Gemeinsam  für  die  Ontogenese 
aller  Thiere  ist  die  Natur  der  im  jeweiligen  Ausgangspunkte  (Ei)  vorhandenen 
Ursachen  der  Entwickelung  und  die  Art  ihres  Zusammenwirkens ,  verschieden 
lediglich  das  Mass  derselben ;  die  einzig  denkbaren  qualitativen  Unterschiede, 
nämlich  diejenigen  der  stofflichen  Zusammensetzung,  kommen  zunächst  in 
qualitativ  verschiedenen  Wirkungen  nicht  zum  Ausdruck,  können  daher  nur 
jenes  Mass  der  gleichartigen  Vorgänge  beeinflussen,  also  füglich  unbeachtet 
bleiben,  solange  es  sich  in  erster  Linie  um  diese  Vorgänge  selbst  handelt.  An 
jenem  Ausgangspunkte  der  individuellen  Entwickelung  aller  Thiere  finden 
wir  nun  gerade  so  wie  ich  es  zuerst  bei  den  Wirbelthieren  nachwies, 
eine  unorganisirte ,  relativ  homogene  Masse,  welche  an  sich  ohne  Leben, 
ein  gewisses  Quantum  von  Spannkräften  enthält,  deren  Lösung  die  an  der 
ganzen  Masse  sich  vollziehenden  Formbildungen  unterhält  und  in  denselben 
ein  individuelles  Leben  neu  entstehen  lässt.  Das  Formgesetz,  welches  in  den 
bestimmten  Formleistungen  dieser  aktiven  Bildungsursachen  sich  ausspricht, 
ist  überall  auf  die  denkbar  einfachste  gesetzmässige  Form  im  Anfange  der 
Entwickelung  zurückzuführen,  auf  die  Kugel,  welche  die  radiäre  Anordnung 
der  Elementaraktionen  bedingt.  Jedes  Heraustreten  aus  diesen  indifferentesten 
gesetzmässigen  Formverhältnissen  ist  daher  an  die  Abänderung  der  Bewegungs- 
radien geknüpft ,  welche  durch  die  Extreme  in  den  drei  Hauptdurchmessern 
oder  -axen  bemessen  wird.  Im  allgemeinen  darf  man  annehmen ,  dass  diese 
dreierlei  Formdifferenzen  in  allen  Eiern,  nur  in  sehr  verschiedenem  Masse 
angelegt  sind,  sodass  die  weniger  ausgebildeten  nicht  zu  wirksamem  Ausdrucke 
kommen.  '  Da  gleiche  Axen  indifferent  bleiben  * ,  so  muss  bei  eingetretener 
Wirkung  stets  eine  axiale  Formdifferenz  überwiegen,  an  welche  sich  eventuell 
die  anderen  anschliessen ;  die  verschiedenen  Kombinationen  dieser  ineinander- 
greifenden Formdifferenzen  ergeben  alsdann  in  der  beschriebenen  Weise  die 


*  Sind  sie  gleichtheilig,  so  ist  die  Indifferenz  selbstverständlich;  sind  sie  ungleich- 
theilig ,  so  wird  die  in  der  Mitte  /.wischen  ihnen  liegende  Axe  als  differentere  allein  zur 
Wirksamkeit  gelangen. 


XIII.   Schlussbetrachtungen.  887 

verschiedenen  Grundformen*,  wobei  ich  nur  hervorheben  will,  dass  im  allge- 
meinen (aber  durchaus  nicht  regelmässig)  die  Formdifferenzen  in  allen  drei  Axen 
sich  gemeinsam  steigern,  und  daher  auch  die  Steigerung  der  ganzen  Organisation 
von  einer  Grundform  zur  andern  fortschreitet.  Die  Verschiedenheit  der 
letzteren  lässt  sich  also  sowohl  im  ganzen  Thierreiche  wie  in  den  einzelnen 
grösseren  Abtheilungen  desselben  auf  eine  Reihe  verschiedener  Grade  in  der 
Fonndifferenzirung  der  radiären  protoplasmatischen  Strömung  zurückführen, 
welche  den  allen  Thieren  gemeinsamen  Ausgangspunkt  ihrer  individuellen 
Entwicklung  bildet ;  und  nothwendig  knüpft  sich  an  diesen  Schluss  die  Frage, 
ob  wir  in  jener  allmählich  fortschreitenden  Gliederung  einen  thatsächlichen 
Entwickelungsverlauf  vor  uns  haben  und  wie  eventuell  der  Zusammenhang  der 
Glieder  sich  gestalte.  Ich  komme  damit  zur  Kritik  der  Descendenztheorie,  zu 
welcher  ich  mich  an  dieser  Stelle  desshalb  veranlasst  fühle,  weil  Haeckel 
bekanntlich  behauptet,  dass  die  Phjdogenese  die  eigentliche  mechanische 
Ursache  der  Ontogenese  (Nr.  163  S.  7) ,  und  folglich  die  letztere  nur  aus 
der  ersteren  zu  erklären  sei.  „Die  Descendenz-Theorie  ist  die  wissenschaftliche 
Begründung  der  gesammten  Entwicklungsgeschichte  durch  das  allgemeine 
Kausalgesetz".  „Ohne  die  Abstammungslehre  ist  die  Morphogenie  nur  eine 
empirische  Sammlung  von  Thatsachen,  welche  erst  in  den  von  der  ersteren 
enthüllten  wirkenden  Ursachen  ihre  Erklärung  finden"  (Nr.  100  II  S.  149). 
Ich  glaube  nun  allerdings  in  diesem  ganzen  Buche  bis  zu  dieser  Stelle  den  Be- 
weis geliefert  zu  haben,  dass  die  Ontogenese  in  ununterbrochenem  ursächlichen 
Zusammenhange  auf  den  allereinfachsten  nicht  lebenden  Ausgangspunkt  sich 
zurückführen  lasse,  ohne  dass  die  Phylogenie  auch  nur  erwähnt  zu  werden 
brauchte-,  ich  glaube  ferner  darin  nicht  zu  viel  behauptet  zu  haben,  dass  sich 
bei  Haeckel  nicht  nur  keine  einzige  thatsächliche  Bezeichnung  irgend  eines 


*  Ich  brauche  hier  nur  kurz  zu  bemerken ,  dass  meine  Auffassung  der  genetischen 
Grundformen  der  Thiere  mit  der  Promorphologie  Haeckel's  nicht  im  geringsten  zusammen- 
fällt. Die  letztere  sucht  die  Gestalten  aller  organischen  Erscheinungen  durch  Beziehung 
auf  eine  ihnen  zu  Grunde  liegende  stereometrische  Form  in  anschaulicher  Weise  dem  Ge- 
dächtniss  einzuprägen  (Nr.  100  I  S.  377  u.  flg.).  Natürlich  werden  dabei  die  heterogensten 
Dinge  zusammengestellt ,  Pflanzen  und  Thiere ,  ganze  Organismen  und  einzelne  Körper- 
theile,  Organsysteme  und  Gewebselemente;  dass  aber  auch  die  „Promorphen"  der  ganzen 
Thiere  sich  nicht  mit  deren  genetischen  Grundformen  decken ,  ergibt  sich  aus  folgenden 
Zusammenstellungen  gleicher  Promorphen:  Rugosa,  Anneliden,  Nemertinen -u.  s.w.— 
Wirbelthiere ,  Arthropoden,  Mollusken,  Echinodermenlarven ,  Siphonophoren  (a.  a.  0. 
S.  515.  521)  ,  wobei  namentlich  im  zweiten  Falle  Metazoen  von  allen  genetischen  Grund- 
formen als  Eudipleura  vereinigt  werden. 


888  XIII.   Schlussbetrachtungen. 

ontogenetischen  Kausalzusammenhangs,  sondern  im  Gegentheil  als  Ausgangs- 
punkt jeder  Ontogenese  eine  empirisch  weder  begründbare  noch  fassbare 
Ursache  (Bildungstrieb  des  Plasmas)  angegeben  findet,  sodass  damit  der 
natürliche  Kausalzusammenhang  zwischen  Onto-  und  Phylogenese  bereits  negirt 
ist.  Dennoch  wäre  es  möglich ,  dass  manchem  Leser  dieses  Buches  die  insbe- 
sondere von  Haeckel  systematisch  ausgearbeitete  DAEWiN'sche  Descendenz- 
theorie  so  unanfechtbar  erschiene ,  dass  dadurch  meine  Darstellung  an  Glaub- 
würdigkeit einbüsste ;  dies  veranlasst  die  folgenden  Bemerkungen. 

Die  Notwendigkeit  der  Descendenztheorie  finde  ich  nirgends  anders 
motivirt ,  als  dadurch ,  dass  im  Falle  ihrer  Verneinung  nur  die  Annahme  einer 
übernatürlichen  Schöpfung  aller  Thierformen  im  fertigen  Zustande  übrig 
bliebe.  Dieses  Dilemma  existirt  für  denjenigen  nicht  mehr ,  wer  Haeckel's 
Theorie  von  der  autogonen  Entstehung  der  ersten  Organismen  sich  zu  eigen 
macht.  Danach  entstanden  dieselben  wie  Krystalle,  indem  die  Moleküle 
anorganischer  Stoffe  sich  unmittelbar  zu  fertigen  Moneren  verbanden,  welche 
lediglich  vermöge  ihrer  chemischen  Konstitution  in  form-  und  strukturlosem 
Zustande  Leben  und  Entwickelungsfähigkeit  besassen  (vgl.  S.  583 — 589, 
Nr.  100  I  S.  164.  165.  182.  190).  Nun  betrachtet  aber  Haeckel  die  reifen 
Eier  aller  Thiere  als  ebensolche  Bildungen  (Monerulae) ,  deren  Bildungskraft 
ebenfalls  nur  in  ihrer  besonderen  chemischen  Zusammensetzung  beruhe 
(Nr.  100  II  S.  174).  Dann  muss  aber  konsequenterweise  die  Möglichkeit  einge- 
räumt werden,  dass  solche  Eistoffe  ebenso  gut  wie  das  Protoplasma  der 
Moneren  autogon  entstanden  und  vermöge  der  ihnen  adhärenten  Bildungskraft 
sich  unmittelbar  zu  den  verschiedensten  Thieren  entwickelten*.  Meine  Auf- 
fassung der  individuellen  Entwickelung  nöthigt  aber  allerdings  unbedingt  zu 
der  Annahme,  dass  jeder  etwas  weiter  differenzirte  thierische  Organismus 
sowie  jedes  solche  Ei  durch  eine  kontinuirliche  Generationsreihe  von  aller- 
einfachsten  ersten  Lebewesen  abstammen ,  und  dass  wahrscheinlich  ganz  im 
allgemeinen  die  Reihe  der  dabei  durchlaufenen  verschiedenen  Formstufen  um 
so  länger  sei,  je  differenter  die  individuelle  Entwickelungshöhe  des  betrachteten 


*  Die  besonderen  Eihüllen  werden  von  Haeckel  bei  der  Erklärung  der  Entwickelungs- 
fähigkeit der  Eier  (a.  a.  ü.)  nicht  erwähnt  und  beachtet,  sie  können  daher  auch  die 
genannte  Schlussfolgerung  nicht  stören.  Uebrigens  gibt  es  bekanntlich  auch  unter  den 
Metazoen  nackte  Eibildungen ,  sowie  auch  eine  einfache  Dotterhaut  als  Absonderung  der 
Dotterkugel  für  die  Autogonie  keine  Schwierigkeiten  bieten  könnte. 


XIII.   Schlussbetrachtungen.  889 

Organismus  sich  herausstellt.  Nachdem  ich  auseinandergesetzt,  dass  ein 
wirkliches  Leben  ohne  ein  Formgesetz  undenkbar ,  dieses  aber  keinesfalls  eine 
Eigenschaft  der  Stoffmoleküle  an  sich  ist  (S.  583  u.  flg.) ,  so  kann  ich  selbst- 
verständlich die  Hypothese  Haeckel's  von  der  Autogonie  der  ersten  Organismen 
nicht  billigen.  Auch  die  Krystallisation  der  Anorgane  setzt  bereits  die  fertigen 
Moleküle  des  betreffenden  Stoffes  voraus,  welche  durch  den  Krystallisations- 
process  nicht  erst  geschaffen,  sondern  in  neue  Lagebeziehungen  zu  einander 
gebracht  werden;  wie  viel  mehr  muss  bei  der  Entstehung  der  ersten 
Organismen  ein  bereits  fertiges  und  zusammenhängendes  organisches  Substrat 
vorausgesetzt  werden,  da  die  Organisation  desselben  nicht  der  unmittelbare 
Effekt  irgend  einer  physikalischen  Wirkung,  sondern  erst  die  Folge  einer  wenn 
auch  noch  so  kurzen  Entwickelung  sein  kann.  Denken  wir  uns  nämlich  einen 
Theil  eines  nichtorganisirten  protoplasmatischen  Stoffes,/ welcher  selbst  erst 
durch  eine  Reihe  von  Umbildungen  entstanden  sein  mag,  von  der  übrigen  Masse 
abgelöst  und  darauf  unter  dein  Einflüsse  des  umgebenden  Mediums  kugelig 
kontrahirt,  dadurch  also  in  eine  gesetzmässige  Form  gebracht,  so  wären  damit 
im  besten  Falle  erst  die  Bedingungen  angelegt,  unter  denen  die  früheren 
Wechselwirkungen  des  Stoffes  mit  seiner  Umgebung  sich  gegenseitig  so 
anpassen  können,  dass  ihre  einheitlichen  Wirkungen  sich  allmählich  zu  der 
physiologischen  Leistung  der  Ernährung  steigern ,  welche  erst  die  durch  Reize 
ausgelösten  Kontraktionen  des  ganzen  Körpers  fortdauernd  unterhält  und  so 
in  individuelle  oder  Lebensbewegungen  verwandelt.  Eine  solche  in  Folge 
einer  wirksamen  Formbildung  eingeleitete  und  allmählich  sich  vollziehende 
Herstellung  eines  individuellen  Lebens  fällt  aber  mit  dem  Begriff  der  indivi- 
duellen Entwickelung  zusammen.  So  konnten  also  nach  meiner  Ansicht  auch 
die  ersten  Organismen  nur  auf  ontogenetischem  Wege  aus  bereits  vorgebildeten 
organischen  Stoffen  entstehen.  Sie  konnten  aber  auch  nur  eine  relativ 
einfachste  Organisation  besitzen,  mochte  dieselbe  auch  in  den  einzelnen 
Individuen  bereits  innerhalb  gewisser  Grenzen  verschieden  sein;  denn  schon 
unter  den  Protozoen  sehen  wir  die  Eibildung  und  -entwickelung  an  gewisse 
Bedingungen  geknüpft,  welche  bei  den  einfachen  Wechselwirkungen  eines 
unorganisirten  Stoffes  mit  seiner  natürlichen  Umgebung  nothwendig  fehlen, 
so  z.  B.  die  Herstellung  und  den  Aufenthalt  des  Eies  im  Mutterthier  bei  den 
Infusorien.  Dies  erfordert  die  Annahme,  dass  diese  Thiere  irgend  einmal  aus 
anderen  hervorgingen,  deren  individuelle  Entstehung  nicht  an  jene  Bedingung 
geknüpft  war,  d.h. ausserhalb  des Zeugungsthieres  verlief,  also  auch  nothwendig 


890  XIII.   Schlussbetrachtungeu. 

einen  anderen  Verlauf  hatte ;  die  Vorfahren  der  Infusorien  mussten  anders  ge- 
bildet gewesen  sein.  Selbstverständlich  müssen  solche  Schlussfolgernngen 
noch  in  viel  höherem  Masse  für  die  Metazoen  Platz  greifen.  Und  da  die 
relativ  niedersten  Protozoen  eine  Form  der  individuellen  Entwickelung  zeigen, 
welche  dem  vermuthlichen  Vorgange  der  ersten  Entstehung  von  Organismen 
am  nächsten  steht,  so  folgt  daraus,  dass  alle  über  den  Protozoen  stehenden 
Thiere  von  niedersten  Organismen  abstammen  müssen,  welche  jenen  sehr 
ähnlich  waren-,  und  da  ferner  die  einzelne  Fortpflanzung  die  schon  bestehende 
Form  der  Eltern  in  den  Nachkommen  im  allgemeinen  wiederholt  (Vererbung), 
so  wn'd,  je  komplicirter  die  Formbedingungen  einer  bestimmten  Eibildung  und 
-entwickelung  erscheinen,  eine  um  so  grössere  Reihe  verschiedener  von  den 
Vorfahren  durchlaufener  Formen  wahrscheinlich,  von  denen  jede  einen  neuen 
Beitrag  zur  Herstellung  jenes  Komplexes  von  Formbedingungen  und  somit  der 
daraus  folgenden  Organisation  lieferte.  Im  allgemeinen  wird  also  jede  solche 
zusammenhängende  Formenreihe  einen  Fortschritt  von  niederen  zu  höheren 
Formstufen  darstellen. 

Damit  wäre  zunächst  nur  die  Notwendigkeit  der  Annahme  der  Descen- 
denztheorie  überhaupt  erwiesen.  Wie  steht  es  aber  mit  dem  Kausalzusammen- 
hange der  von  ihr  geforderten  phylogenetischen  Entwickelungsreihen ,  was 
bewirkt  die  Abänderung  der  Stammformen  und  dann  die  relative  Erhaltung 
der  veränderten  Form  ?  —  Die  Antwort ,  welche  Darwin  darauf  gegeben  hat, 
wird  wie  mir  scheint  noch  immer  falsch  beurtheilt.  Dass  naturgemässe 
Veränderlichkeit  und  die  Erblichkeit  in  ihrer  Wechselwirkung  der  fort- 
schreitenden Formbildung  der  Generationsreihen  zu  Grunde  lägen,  war  am 
Ende  schon  für  den  ersten  Begründer  der  Descendenztheorie,  Lamaeck, 
selbstverständlich-,  und  wenn  Haeckel  hervorhebt,  dass  das  eigenste  besondere 
Verdienst  Darwin's  in  der  Fassung  der  Selektionstheorie,  der  natürlichen  Zucht- 
wahl bereits  vorhandener  Formen  im  Kampfe  ums  Dasein,  beruhe  (Nr.  100  II 
S.  160),  so  ist  es  mindestens  inkonsequent,  wenn  Haeckel  auf  der  folgenden 
Seite  ausspricht:  „Der  Grundgedanke  von  Darwins  Selektions- Theorie  liegt 
in  der  Wechselwirkung  zweier  physiologischen  Functionen",  nämlich  der  Ver- 
erbung und  Anpassung.  Denn  die  natürliche  Zuchtwahl  im  Kampfe  ums 
Dasein  kann  lediglich  von  den  bereits  vorhandenen  Formen  einige  ganz  aus- 
schliessen,  andere  erhalten  und  daher  eine  einschränkende  Bedingung  für  die 
Kormumbildung  der  folgenden  Generationen  werden,  gerade  so  wie  daneben 
die  Isolirung  nach  Wagner' s  Migrationstheorie  und  vielleicht  noch  andere  be- 


XIII.   Schlussbetrachtungen.  891 

stimmter  zu  sondernde  äussere  Beziehungen  des  thierischen  Lebens.  Indem 
aber  so  die  natürliche  Zuchtwahl  bloss  von  der  Verschiedenheit  abhangig ,  wie 
sich  gleiche  oder  ungleiche  Formen  zu  verschiedenen  oder  denselben  äusseren 
Lebensbedingungen  verhalten,  nur  unter  gewissen  Umständen  die  aus  Ver- 
änderlichkeit und  Erblichkeit  hervorgegangenen  formbildenden  Wirkungen 
sekundär  trifft ,  kann  sie  uns  weder  die  mechanischen  Ursachen  der  letzteren 
aufdecken,  noch  gar  enthalten,  ihre  Lehre  daher  nicht  im  geringsten  zur 
„unerschütterlichen  mechanischen  Basis  der  Descendenztheorie"  werden,  wie 
Haeckel  meint  (a.  a.  0.).  Die  Selektionstheorie  ist  vielmehr  nur  zulässig- 
unter  der  Voraussetzung,  dass  die  Descendenzlehre  bereits  vollkommen  ge- 
sichert ist.  Die  jener  entgegengesetzten  Auffassung  zu  Grunde  liegende  Ver- 
wechselung wird  dadurch  verständlich,  dass  man  bisher,  wie  ich  weiter  unten 
zeigen  werde,  irrtümlicherweise  die  Ursachen  der  erblichen  Veränderungen 
und  diejenigen  der  natürlichen  Zuchtwahl  gleicherweise  in  den  äusseren  Lebens- 
bedingungen der  Thiere  suchte,  also  identificirte.  Dies  that  bereits  Darwin, 
aber  erst  Haeckel  hat  es  mit  aller  wünschenswerthen  Klarheit  auseinander- 
gesetzt, sodass  ich  meine  Kritik  auch  vorzugsweise  gegen  sein  fertiges  System 
richte.  Ehe  ich  daran  gehe,  sei  im  voraus  bemerkt,  dass  ich  dadurch,  dass 
auch  Darwin  ein  Irrthum  nachgewiesen  wii;d ,  seine  grossen  Verdienste  nicht 
wesentlich  geschmälert,  sondern  nur  in  einer  anderen  Richtung  sehe  als  in  der 
„mechanischen  Begründung"  der  gesammten  Descendenztheorie.  "Ob  der 
Beweis  für  die  letztere  im  einzelnen  richtig,  ob  eine  thatsächliche  und  aus- 
reichende Erklärung  derselben  überhaupt  gegeben  ist  oder  nicht,  tritt  gegen 
die  Thatsache  zurück,  dass  er  es  verstanden  hat,  uns  die  Wahrheit  jener 
Hypothese  durch  ihre  Brauchbarkeit  mit  überwältigender  Macht  zum  Bewusst- 
sein  zu  bringen ,  uns  zu  einer  instinktiven  Anerkennung  derselben  zu  zwingen. 
Seiner  Selektionstheorie  an  sich  kann  dagegen  nur  die  sekundäre  Bedeutung 
zukommen,  zu  zeigen,  wie  die  aus  der  Descendenztheorie  abzuleitenden  Folgen 
sich  in  der  Gesammtökonomie  der  Natur  gestalten ,  und  zwar  in  wechselnder 
Weise  je  nach  den  aufeinanderfolgenden  oder  nebeneinander  gesonderten 
Bedingungen  jener  Oekonomie.  Daher  ist  jene  Bedeutung  auch  nur  eine 
relative-,  mdem  wir  die  natürliche  Zuchtwahl  an  einem  Ort  und  zu  einer  Zeit 
eine  Form  erhalten  sehen,  welche  sie  an  anderen  Orten  und  zu  einer  anderen 
Zeit  vernichtet,  werden  wir  sie  nur  für  den  jeweiligen  Bestand  der 
organischen  Formenwelt  verantwortlich  machen  können,  nicht  für  die 
Entstehung  der  Formen  überhaupt.      Die  Täuschung,    als   ob    die   letztere 


892  XIII.   Schlussbetrachtungen. 

wirklich  von  der  natürlichen  Zuchtwahl  geleitet  werde ,  entspringt  eben  aus 
der  Verwechselung  der  Begriffe  der  Formbildung  am  einzelnen  Individuum 
und  der  Artbildung  oder  des  praktischen  Resultats  der  im  Kampfe  ums 
Dasein  einander  gegenübergestellten  Formen,  welches  Resultat  zudem  ganz 
subjektiv  auf  einer  früheren  oder  späteren  Stufe  bestimmt  wird,  während  jener 
nie  rastende  Kampf  und  die  daran  geknüpfte  Zuchtwahl  endgiltige  Resultate 
nicht  kennen.  Die  bestimmte  individuelle  Formbildung  und  der  willkürliche, 
schwankende,  nur  aus  einer  Mehrheit  von  Individuen  und  Generationen  zu 
abstrahirende  Artbegriff  sind  eben  zwei  verschiedene  Dinge,  die  sich  nicht  im 
mindesten  decken,  sodass  die  erstere  ebenso  gut  eine  vorübergehende 
Erscheinung  sein  oder  vererbt  und  in  den  Nachkommen  weiter  ausgebildet 
eine  wirkliche  Art  bilden  kann.  Daraus  geht  aber  klar  hervor,  dass  die 
Entstehung  der  Arten  gar  nicht  unmittelbar  oder  ausschliesslich  in  der 
individuellen  Formbildung  begründet  ist,  sondern  dass  die  letztere  gleichsam 
nur  das  Material  liefert ,  womit  die  Artenbildung  unter  den  Bedingungen  der 
.  Gesammtökonomie  der  Natur  operirt;  und  wenn  dieser  letztere  Vorgang  in 
Darwtn's  Selektionstheorie  eine  ganz  ausgezeichnete  Darstellung  fand,  so 
kann  ich  dies  von  der  Begründung  der  Descendenztheorie  durch  denselben 
Naturforscher  nicht  behaupten.  Er  selbst  hat  auch  jene  kausale  Begründung 
durchaus  nicht  in  den  Vordergrund  seiner  ganzen  Beweisführung  gestellt;  dies 
geschah  jedoch  durch  seinen  beredtesten  Anhänger ,  durch  Haeckel  ,  dessen 
übersichtliche  und  bestimmte  Darstellung  ebenso  sehr  für  sich  gewinnen  mag, 
als  sie  anderseits  die  Kritik  erleichtert. 

Die  A  n  p  a  s  s  u  n  g  und  die  V  e  r  e  r  b  u  n  g  sind  nach  Haeckel  zwei  allgemeine 
physiologische  Funktionen ,  von  denen  die  eine  die  Form  des  sich  anpassenden 
Individuums  verändert ,  die  andere  sie  auf  die  Nachkommen  überträgt  und  bis 
zum  Eintritt  neuer  Veränderungen  erhält.  Dies  seien  die  einzigen  „mechani- 
schen Ursachen  der  Morphogenesis"  (Nr.  100  II  S.  9.  223).  —  Indem  Haeckel 
selbst  die  Anpassung  unterscheidet ,  je  nachdem  sie  selbstständige  Individuen 
oder  den  Keim  im  mütterlichen  Organismus  betrifft,  so  ist  die  Bezeichnung  der 
Anpassung  als  individueller  physiologischer  Funktion  nur  unter  der  Voraus- 
setzung allgemein  statthaft,  dass  der  Keim,  das  Ei,  als  selbstständiger  Or- 
ganismus und  lebendes  Individuum  betrachtet  wird.  Da  ich  diese  Auffassung 
mehrfach  widerlegt  habe,  so  kann  ich  die  durch  das  Mutterthier  hervorgerufenen 
Veränderungen  des  Eies  während  seiner  Entstehung  nicht  als  eigene  physio- 
logische Anpassung  desselben,  sondern  nur  als  mechanische  Wirkung  seiner 


XIII.   Schlussbetrachtungen.  893 

Umgebung  ansehen ,  welche  zudem  gar  nicht  immer  unmittelbar  durch  physio- 
logische Akte  des  Zeugungsthiers  hervorgerufen  wird,  da  bei  den  Protozoen  der 
Tod  des  letzteren  der  Eibildung  vorausgeht.  Von  diesen  Veränderungen  des  sich 
bildenden  Eies,  welche  nach  meiner  Ansicht  unter  allen  Umständen  sich  im 
Wesen  gleich  bleiben,  nennt  Haeckel  diejenigen,  deren  spätere  Wirkung 
einer  vorangehenden  Veränderung  des  Zeugungsthieres  entspricht,  Vererbungs- 
erscheinungen; die  anderen  oder  die  „indirekten  Anpassungen",  wobei  che 
Ernährung  des  Zeugungsthiers  nur  den  Keim,  nicht  es  selbst  abändere,  seien 
überhaupt  nicht  sicher  zu  beweisen,  sodass  ihre  Existenz  nur  dadurch 
begründet  werden  könne,  dass  eigentlich  niemand  daran  zweifle  (Nr.  100  II 
S.  203.  207.  208).  Unter  solchen  Umständen  muss  man  wohl  annehmen,  dass 
Haeckel  bei  seinen  weiteren  Folgerungen  jene  angeblich  unerwiesenen  Vor-  _ 
gänge  unberücksichtigt  gelassen  und  bloss  die  empirisch  festgestellten,  direkten 
physiologischen  Anpassungen  im  Auge  gehabt  habe.  Die  auf  solche  Weise 
vom  Individuum  erworbenen  Veränderungen  würden  nun  —  ob  ausnahmslos 
oder  nicht,  bleibt  sich  im  vorliegenden  Falle  gleich  -  -  mit  der  gesammten 
angeborenen  Organisation  auf  die  Nachkommen  vererbt.  —  Von  der  Ver- 
erbung behauptet  Haeckel,  dass  sie  eine  physiologische  Funktion  der 
organischen  Individuen  sei,  welche  sich  in  der  Thatsache  äussere,  dass  die- 
selben bei  ihrer  Fortpflanzung  ihnen  ähnliche  Individuen  erzeugten;  und  die 
Ursache  der  ihr  zu  Grunde  liegenden  „Kraft"  oder  der  Erblichkeit  sei  .lediglich 
„die  partielle  Identität  der  specifisch-konstituirten  Materie  im  elterlichen  und 
im  kindlichen  Organismus,  die  Theilung  dieser  Materie  bei  der  Fortpflanzung" 
(Nr.  100  II  S.  170.  171).  Wir  erfahren  hier  allerdings,  was  die  Aeusserungen 
und  Ursachen  der  Vererbung  sind,  aber  durchaus  nicht,  worin  nun  der 
betreffende  physiologische  Vorgang  bestehe,  der  Vererbung  heisst.  Vergegen- 
wärtigen wir  uns  den  ganzen  Vorgang  der  Fortpflanzung,  die  Bildung, 
Ablösung,  Befruchtung  des  Eies ,  so  wird  wohl  keiner  dieser  Akte  Vererbung 
genannt  werden  können;  die  Vererbungsfunktion  könnte  also  bloss  in  einem 
bisher  nicht  entdeckten  Vorgange  neben  den  genannten  empirischen 
Erscheinungsreihen  bestehen.  Dagegen  stellt  es  die  einfachste  Ueberlegung 
fest ,  dass  das  einzige  Bestimmte  und  Thatsächliche ,  was  wir  mit  dem  Worte 
„Vererbung"  unzweifelhaft  bezeichnen,  ein  Verhältniss  ist,  nämlich  die  Relation 
der  Gleichheit  zwischen  Zeugungsthier  und  Nachkommen.  Es  kann  also  die 
Vererbung  in  diesem  Sinne  natürlich  nicht  die  mechanische  Ursache  dessen 
sein,  was  sie  selbst  bezeichnet,  nämlich  des  Wiedererscheinens  der  elterlichen 


§94  XIIT.    Schlussbetrachtungen. 

Form  in  den  Nachkommen.  Und  Haeckel  selbst  liefert  uns  den  Beweis,  dass 
er  in  der  That  diese  Erscheinung  mit  den  ihr  zu  Grunde  liegenden  Vorgängen 
verwechselt  und  in  Folge  dessen  zu  einer  angeblichen  Funktion  gestempelt 
hat,  mit  welcher  fernerhin  als  mechanischer  Ursache  operirt  wird.  Setzen  wir 
nämlich  die  Richtigkeit  der  Behauptung  voraus,  dass  die  Erblichkeit,  welche 
sich  mit  dem  „inneren  Bildungstriebe"  oder  der  „unmittelbaren  Wirkung  des 
Stoffes  der  Organismen"  decke,  nur  in  jener  Identität  des  Stoffes  des  Zeugungs- 
thiers  und  seiner  Zeugungsprodukte  begründet  sei  (Nr.  100  I  S.  155,  II  S.  171), 
so  ergibt  sich  daraus ,  dass  diese  Identität  auch  schon  den  gleichen  Bildungs- 
trieb in  beiden  Theilen  involvirt,  also  das  Verhältniss  der  Gleichheit  in 
der  Bildung  der  Eltern  und  Nachkommen  zur  Folge  haben  muss.  Da  nun  bei 
Haeckel  als  diese  nothwendige  Folge  die  „Vererbungsfunktion"  erscheint,  so 
erhellt,  dass  nach  seinen  eigenen  Worten  diese  angebliche  Funktion 
sich  mit  der  Vererbung  als  Relation  deckt.  —  Ist  nun  auf  diese 
Weise  die  Vererbung  als  mechanische  Ursache  eliminirt,  so  bleibt  noch  die 
eben  erwähnte  kausale  Begründung  der  als  Relation  erkannten  Erscheinimg 
zu  untersuchen  übrig.  Jene  von  Haeckel  als  die  fragliche  Ursache  angeführte 
Identität  des  Stoffes  des  Zeugungsthiers  und  seiner  Zeugungsprodukte  ist  nach 
allen  angezogenen  Vergleichen,  mit  Rücksicht  auf  die  handgreiflichen  That- 
sachen  und  daraus  sich  ergebenden  Folgen  grundfalsch  (vgl.  Nr.  100  II  S.  174). 
Mag  die  Theilung  lebender  Organismen  auf  einem  Wachsthum  des  gleichen 
stofflichen  Substrats  beruhen,  so  besagt  dies  eben  nichts  für  die  Eibildung, 
welche  als  Herstellung  einer  unorganisirten  Dottermasse  mit  jenen  Theihmgen 
nichts  gemein  hat  und  am  wenigsten  aus  solchen  hervorging.  Die  Behauptung, 
dass  die  Gesammtheit  der  verschiedensten  Stoffe  des  mütterlichen  Organismus 
dem  „homogenen"  Eistoffe  gleich  sei,  und  dass  daher  dieselben  Kräfte  und 
Formen  an  beiden  „haften",  kann  im  ersten  Theil  nur  Sinn  haben,  wenn  man 
überhaupt  alle  materiellen  Differenzen  der  protoplasmatischen  Substanzen 
leugnet ;  der  zweite  Theil  ist  aber  ein  so  krasser  Ausdruck  jener  schon  mehr- 
fach widerlegten  Auffassung,  dass  Leben  und  Formbildung  inhärente  Eigen- 
schaften des  Plasmas'  seien ,  dass  ich  nur  auf  Früheres  hinzuweisen  brauche 
(S.  589). 

Das  Ergcbniss  unserer  Untersuchung  ist,  dass  Haeckel  weder  eine  klare 
Vorstellung  vom  Begriffe  der  Vererbung  hat,  noch  diese  Erscheinung  irgendwie  zu 
erklären  vermag.  Sehen  wir  uns  zuletzt  noch  den  Zusammenhang  an,  in  den 
er  Vererbung  und  Anpassung  zu  bringen   sucht,  um  dadurch  die  gesammte 


XIII.    Schlussbetrachtungen.  895 

Descendenztheorie  kausal  zu  begründen.  Ich  zeigte,  dass  für  Haeckel 
zunächst  nur  die  direkten  physiologischen  Anpassungsvorgänge  bei  der  Ver- 
erbung in  Betracht  kommen  können;  und  in  der  That  sind  auch  die  von 
Haeckel  erdachten  Beispiele  nur  auf  solche  Vorgänge  bezogen,  wie  z.  B.  die 
Abänderung  der  Planaea  in  eine  Gastraea  durch  einseitige  Nahrungsaufnahme, 
der  Gastraea  in  einen  Protascus  (Strahltypus)  und  eine  Prothelmis  (Wurm- 
typus) durch  festsitzende  und  kriechende  Lebensweise  erklärt  wird  (Nr.  158 
S.  393.  401.  402).  Die  Vererbung  solcher  direkten  Anpassungen  oder  im 
individuellen  Leben  erworbener  Veränderungen  wird  nach  Darwins  Vorgange 
allerdings  behauptet,  und  zwar  sowohl  für  normale  als  pathologische,  psychische, 
histiologische  und  morphologische  Verhältnisse.  Natürlich  kann  ich  mich 
hier  auf  eine  Kritik  aller  angeführten  Fälle  nicht  einlassen;  die  psychischen 
Zustände  kann  ich  zudem  ganz  übergehen,  da  ihr  Kausalzusammenhang  noch 
gar  nicht  diskutabel  ist  und  sie  für  die  liier  zunächst  in  Betracht  kommende 
Umbildung  der  Körperformen  ohne  Bedeutung  sind.  Die  in  den  Nachkommen 
wiederholten  histologischen  Veränderungen ,  namentlich  des  Integuments  und 
seiner  Erzeugnisse,  sind  von  Darwin  selbst  in  vielen  Fällen  auf  eine  an  den 
Nachkommen  wiederholte  gleiche  Anpassung  an  Klima,  Lebensweise  u.  s.  w. 
zurückgeführt  worden,  und  bezüglich  der  pathologischen  Veränderungen  ist  es 
klar,  dass  so  oft  ein  Krankheitsstoff  vorhanden  ist,  welcher  direkt  auf  die 
Zeugungsprodukte  übertragen  werden  kann,  er  ganz  unabhängig  von  den  Ver- 
änderungen des  Zeugungsindividuums  in  den  Nachkommen  wirkt,  gerade  so  als 
wenn  er  in  einen  vom  Mutterthier  abgelösten  Keim  eindränge.  Können  wir  uns 
aber  rühmen,  die  Anwesenheit  eines  solchen  Krankheitsstofies  oder  etwa  eines 
unmerklichen  Organisationsfehlers,  dessen  Folgen  nur  scheinbar  als  erworbene 
sich  vererbten,  in  allen  zweifelhaften  Fällen  ausschliessen  zu  können?  Es 
bleiben  also  die  nachweislich  erworbenen  morphologischen  Veränderungen 
übrig,  welche  angeblich  erblich  würden ;  von  einem  Beweise  dieser  Behauptung 
habe  ich  aber  nicht  gehört.  Man  verweist  z.  B.  auf  die  abgeänderten  Haus- 
thiere;  wer  hat  es  aber  beobachtet,  dass  die  jeweilige  erste  Veränderung 
nicht  angeboren  war,  oder  dass  nicht  ein  Theil  der  Unterschiede  für  jeden 
einzelnen  Fall  eben  durch  die  äusseren  Einflüsse  hervorgerufen  wird ,  gerade 
so  wie  bei  den  erwähnten  nicht  vererbten  sondern  immer  neu  erzeugten 
histiologischen  Veränderungen  ?  Wer  kann  überhaupt  behaupten ,  dass  irgend 
eine  Veränderung  im  späteren  Leben ,  deren  '  äussere  Verursachung  nicht 
unmittelbar  beobachtet  wurde,   dennoch  erworben  sei  und  ihre  Vererbung  für 


896  XIII.    Schlussbetrachtungen. 

das  von  mir  bestrittene  Verhältniss  zeuge?  Gegenüber  allen  solchen 
mindestens  zweifelhaften  Fällen  der  Vererbung  direkt  erworbener  Ver- 
änderungen wird  uns  das  gerade  Gegentheil  täglich  vor  Augen  geführt;  ja  wir 
wissen,  dass  durch  lange  Zeiträume  systematisch  fortgesetzte  künstliche 
Abänderungen  des  Körpers,  auch  wo  sie  zweckmässig  erscheinen,  nicht  erblich 
wurden.  Ich  erinnere  an  die  im  zartesten  Alter  begonnene  Verunstaltung  des 
Kopfes  verschiedener  uncivilisirter  Volksstämme,  an  die  Füsse  der  Chinesen, 
an  die  verschiedenen  Arten  der  Beschneidung  u.  s.  w.  Natürlich  entscheidet 
dies  die  fragliche  Angelegenheit  nicht,  und  ich  habe  zunächst  nur  hervorheben 
wollen ,  dass  die  gemeine  Erfahrung  nicht  für ,  sondern  gegen  die  Vererbung 
erworbener  Veränderungen  spricht.  Wollen  wir  aber  die  innere  Wahrschein- 
lichkeit dieser  Hypothese  prüfen ,  so  kann  offenbar  nur  eine  genaue  Kenntniss 
der  individuellen  Entwickelung  uns  darüber  Ausschluss  geben,  und  zwar 
nicht  in  ihren  äusseren  Erscheinungen,  sondern  lediglich  durch  die  logisch 
erworbenen  Vorstellungen  von  ihrem  thatsächlichen  Kausalzusammenhange. 

Ich  habe  bei  einer  eingehenden  Untersuchung  und  Betrachtung  der 
individuellen  Entwickelung  gefunden,  dass  die  gesammte  Organisation  des 
fertigen  Thiers  sich  auf  zweierlei  ursprüngliche  Kausalmomente  des  reifen  und 
eventuell  befruchteten  Eies  zurückführen  lasse:  die  Zusammensetzung  der 
Dottersubstanz  und  die  Formbedingungen ,  welche  ihre  unter  der  Wechsel- 
wirkung mit  der  Aussenwelt  hervorgerufenen  Elementaraktionen  regeln.  Der 
Einfluss  des  Zeugungsthieres  auf  die  spätere  Entwickelung  des  Eies  ist  also 
auch  auf  die  Bildung  des  an  sich  einer  Formbildung  unfähigen  Dotterstoffes 
und  auf  die  Anlage  seiner  Formbedingungen  beschränkt.  Soll  nun  eine 
beliebige  erworbene  Veränderung  des  mütterlichen  Organismus  vererbungs- 
fähig sein,  so  erfordert  dies  die  Annahme ,  1.  dass  jeder,  auch  der  kleinste 
Körpertheil  unmittelbar  und  in  bestimmtester,  in  ihrem  Wesen  nie  abge- 
änderter Weise  auf  jedes  einzelne  Zeugungsprodukt,  z.  B.  jedes  Ei  wirke, 
2.  dass  jede  dieser  Wirkungen  vollständig  für  sich  gesondert  sowohl  die 
Dotterbildung  wie  die  Herstellung  aller  Formbedingungen  beeinflusse ,  3.  dass 
diese  Wirkungen  stets  und  ausschliesslich  diejenigen' Punkte  treffen,  welche 
massgebend  sind  für  c|ie  dem  Ausgangspunkte  der  Wirkung  ähnlichen 
Entwickelungserfolge.  Verlässt  uns  schon  beim  ersten  Punkte  jede  empirische 
Vorstellung,  so  verlangen  die  zwei  anderen  geradezu  die  Annahme  über- 
natürlicher ,  teleologischer  Kräfte.  Denn  wie  soll  man  sich  die  unmittelbare 
natürliche  Wirkung  eines  vom  Geschlechtsorgan  entfernten  Körpertheils,  z.  B. 


XIII.   Schlussbetrachtungen.  897 

eines  Knochens,  eines  Nagels,  auf  die  Bildung  jedes  Follikels,  der  Dotter- 
substanz und  der  Dotterhaut,  des  Keimbläschens  mit  seinen  nothwendigen 
Lageveränderungen ,  ferner  aber  auch  in  durchaus  zusammenstimmender 
Weise  auf  die  etwaigen  Dotter-  und  Eihüllendrüsen  u.  s.  w.  denken?  Wie 
hat  man  sich  vorzustellen,  dass  das  alles  in  vollständiger  unabänderlicher 
Harmonie  mit  allen  übrigen  Körpertheilen  geschehe,  welche  für  ihre  streng 
gesonderte  Vererbungsthätigkeit  dennoch  gemeinsam  dieselben  Objekte  haben? 
Was  sagt  endlich  die  naturwissenschaftliche  Logik  dazu,  dass  die  Endglieder 
jener  wunderbaren  Ketten  heterogenster  Ursachen  und  Wirkungen  stets  wieder 
zur  Beschaffenheit  der  Anfangsglieder  zurückkehren  ?  Und  alle  diese  Annahmen 
wären  erforderlich ,  um  etwas  zu  erklären ,  was  in  keinem  einzigen  Falle  t'hat- 
sächlich  erwiesen  ist ,  aber  von  unzähligen  anderen  Thatsachen  widerlegt  wird 
und  zudem,  wie  ich  noch  zeigen  wrerde  (S.  900),  für  die  Descendenztheorie  nicht 
den  geringsten  Werth  hat,  da  die  einzigen  für  die  letztere  in  Frage  kommenden 
Formbildungen  überhaupt  nicht  erworben  werden  können.  Wenn  die  Wahrheit 
der  Descendenztheorie  wirklich  von  jenen  Hypothesen  abhinge,  so  wäre  sie  damit 
eben  gerichtet.  Darwin  selbst,  welcher  seine  Theorie  nicht  aus  der  Entwicke- 
lungsgeschichte  schöpfte ,  sondern  aus  dieser  erst  nachträglich  gewisse  Belege 
für  die  erstere  suchte,  verfuhr  ganz  konsequent,  indem  er  der  eben  bezeich- 
neten, nach  der  vorausgesetzten  Vererbungshypothese  nothwendigen  Vor- 
stellung vonl  kausalen  .Zusammenhange  des  mütterlichen  Organismus  mit  dem 
Zeugungsprodukte  in  der  Hypothese  der  „  Pangenesis "  offenen  Ausdruck 
verlieh ,  und  zwar  weil  er  schon  vorher  zur  Ueberzeugung  gelangt  war ,  dass 
die  einzelnen  Erscheinungen  eines  Entwickelungsverlaufs  unabhängig  von- 
einander entständen  (Nr.  170  II  S.  48o.  491).  Ich  brauche  am  Ende  dieses 
Buches  jene  Ueberzeugung,  welche  den  Kausalzusammenhang  der  Entwicklung 
einfach  negirt,  ebenso  wenig  wie  die  Hypothese  der  Pangenesis  mit  allen  ihren 
Voraussetzungen  und  Folgerungen  zu  widerlegen;  ich  bemerke  bloss,  dass  die 
Annahme  der  Vererbung  erworbener  Veränderungen ,  sowie  überhaupt  irgend 
einer  wirklichen  Uebertragung  der  im  elterlichen  Organismus  vorhandenen 
Stoffkombinationen  und  Formzusammenhänge  auf  die  Zeugungsprodukte  in 
jedem  Falle  nothwendig  zu  einer  Erklärung  führt  ,  welche  ihrem  Wesen  nach 
mit  der  DARWiN'schen  Pangenesis  übereinstimmt. 

Die  beiden  angeblichen  physiologischen  oder  mechanischen  Ursachen  der 
in  der  Generationsreihe  fortschreitenden  Formbildung  oder  der  Phylogenese, 
die  Vererbung  und  die  Anpassung,  haben  sich  als  ungenügend  erwiesen ,  die 

Goette,  Entwicklungsgeschichte.  57  V; 


898  XIII.   Schlussbetrachtungen. 

verlaugte  Erklärung  zu  leisten.     Die  Vererbung  erklärt  nichts,  sondern  ist  nur 
ein  Ausdruck  für  eine  Thatsache ,    welche  selbst  erklärungsbedürftig  bleibt ; 
soll  dieses  Wort    mehr   bedeuten,    nämlich  was    man    offenbar   bei    seiner 
Einführung  im  vorliegenden  übertragenen  Sinne   annahm  und  noch  immer 
annimmt,  einen  Vorgang,  durch  welchen  Eigenschaften  des  Zeugungsthiers  in 
irgend  einer  Weise  thatsächlich  auf  die  Nachkommen  übertragen  werden,  so 
ist  man  zu  unhaltbaren,  unempirischen  Schlussfolgerungen  gezwungen.    Damit 
ist  auch  die  Vererbungsfähigkeit  erworbener  Veränderungen  der  Organisation, 
also  gerade   die  physiologische  Anpassung  -lebender  Individuen    an  äussere 
Einflüsse  von    der  Begründung    der  Phylogenese  ausgeschlossen.      Dagegen 
halte  ich  meine  Auffassung  von  dem  Kausalzusammenhange  der  individuellen 
Entwickelung  für  geeignet,  die  noch  ausstehende  Erklärung  der  Phylogenese 
zu  geben.   —    Das  Formgesetz  der  individuellen  Entwickelung  enthält  die 
Ursachen  für  die  Bildung  aller  Körpertheile,    also    auch  der  Geschlechts- 
produkte sogut  wie  anderer  Organe  und  Gewebe;   das  Zeugungsthier  verhält 
sich  daher  zu  den  ersteren  im  allgemeinen  nicht  anders  als  zu  jedem  anderen 
Körpertheile,  indem  ihre  gegenseitige  physiologische  Anpassung  lediglich  der 
Inhalt  der  in   der  morphologischen  Entwickelung  begründeten  Individualität 
des  Ganzen  ist  (S.  575.  595.  596).     Bei  der  Frage  nach  dem  Grunde  der  Ver- 
erbung kann  es  sich  also  nicht  um  ein  besonderes  Verhältniss  des  fertigen 
Zeugungsthiers    und    seiner    Zeugungsprodukte ,     sondern    lediglich    darum  # 
handeln,  warum  ein  Theil  eines  Eiproduktes  sich  regelmässig  in  einige  dem 
Ausgangspunkte    oder   reifen    Eie   relativ   gleiche  Gebilde    verwandle.  -  Die 
nächste,   auf  den  einzelnen  Fall  beschränkte  Antwort  liegt  eben  in    dem  Hin- 
weise auf  das  Formgesetz  der  individuellen  Entwickelung,  welches  bei  allen 
Thieren,  wie  ich  kurz  zu  erläutern  versuchte,  den  Ausgangspunkt  in  ununter- 
brochenem Kausalzusammenhange  mit  allen  Endpunkten  der  Entwickelung 
verbindet*.     Von  dem  einzelnen  individuellen  Formgesetz  können  wir  alsdann 
vorwärts  blickend  sagen,    dass  es  eine  thatsächliche  mechanische   Ursache 
für  die  Vererbungserscheinungen  aller  folgenden  Generationen  ist,   indem  es 
in  jedem  Individuum  Gebilde  schafft,  an  denen  sein  eigener  Bildungsverlauf 


*  Für  die  Geschlechtsorgane  mag  noch  besonders  hervorgehoben  werden ,  dass  sie 
selbst  unter  den  Wirbelthiereu  sich  nachweislich  unmittelbar  aus  Formelemeuten 
entwickeln,  welche  den  Charakter  völlig  indifferenter  Embryonalzellen  tragen.  Aehnliches 
ljesse  sich  auch  für  andere  Thiere  leicht  nachweisen  und  dadurch  bestätigen,  dass  die 
Bildung  der  Geschlechtsorgane  ein  unmittelbarer  Effekt  des  Formgesetzes  der  individuellen 
Entwickelung  ist. 


XIII.   Schlussbetrachtungen.  899 

sich  wiederholt.  Wenn  daher  jede  einzelne  Vererbung  in  dem  erörterten 
Sinne  der  Relation  die  nothwendige  Bedingung  aller  kontnmirlich  folgenden 
ist,  so  erscheint  sie  selbst  auch  nur  in  den  vorhergegangenen  begründet:  die 
Frage  nach  ihrem  Kausalzusammenhänge  setzt  sich  von  jedem  individuellen 
Formgesetze  auf  das  diesem  zu  Grunde  gelegene  fort ,  sodass  wir  nothwendig 
bis  zu  den  ersten  Organismen  zurückgeführt  werden.  Nach  meiner  schon 
ausgeführten  Vorstellung  über  die  Entstehung  derselben  findet  dabei  im 
Grunde  genommen  dasselbe  statt ,  wie  bei  der  individuellen  Entwickelung  vom 
Eie  an:  ein  formloser,  unorganisirter  Stoff  wird  unter  günstigen  Umständen 
unter  Formbedingungen  gebracht,  welche  seine  Beziehungen  zur  Aussenwelt 
regeln  und  daraus  allmählich  ein  einfachstes  Leben  entwickeln,  gerade  so  wie 
m  der  Dotterkugel  eines  vollkommeneren  Eies  lediglich  durch  die  gesetz- 
mässige  Regelung  der  rein  physikalisch -chemischen  Elementaraktionen  in  den 
Kernen  die  ersten  einfachsten  Lebensformen  entstehen.  Die  Bildung  des 
ersten  Formgesetzes  unterscheidet  sich  also  von  derjenigen  der  folgenden 
dadurch,  dass  seine  Ursachen  sich  in  jedem  einzelnen  Falle  ganz  zufällig 
zusammenfanden,  während  weiterhin  das  Zeugungsthier  schon  unter  den 
Protozoen  die  Neubildung  des  Formgesetzes  für  seine  Nachkommen  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  sichert,  indem  es  durch  sein  Absterben  die  Encystirung 
als  Eibildung  herbeiführt.  So  wird  durch  die  Entstehung  des  ersten  Form- 
gesetzes die  Vererbung  als  relativ  gesicherte  Folge  desselben  auch,  in  letzter 
Instanz  durch  die  individuelle  Entwickelung  erklärt,  deren  nothwendiger  Ab- 
schluss  im  Tode  des  Individuums  zur  Ursache  der  ersten  Realisirung  der  Ver- 
erbung wird.  Wer  aber  die  ersten  Organismen  geschaffen  oder  überhaupt 
mit  einem  Schlage  fertig  aus  anorganischen  Elementen  entstehen  lässt  wie 
Haeckel  ,  der  kann  eine  Antwort  auf  die  Frage  nach  dem  ersten  Formgesetz 
natürlich  nicht  erhalten.  Denn  im  fertigen  Organismus  lebt  das  Formgesetz 
nur  noch  in  seinen  Wirkungen  fort ,  also  nur  unter  der  Voraussetzung  seines 
Werdens  in  der  Entwickelung,  niemals  jedoch ,  wie  ich  schon  häufig  ausführte, 
als  inhärente  Eigenschaft  des  Stoffes.  Für  jene  angeblich  fertig  hingestellten 
ersten  Organismen  fehlt  daher  ein  solches  Formgesetz ,  mag  es  nun  durch 
Schöpferkraft  oder  durch  Eigenschaften  der  Anorgane  ersetzt  gedacht  werden ; 
und  damit  fehlt  die  letzte  kausale  Erklärung  der  Vererbung,  wenn  man  dazu 
nicht  etwa  den  Hinweis  auf  jene  Eigenschaften  oder  überhaupt  die  Natur- 
notwendigkeit für  genügend  halten  will. 

Allerdings  befindet  sich  Haeckel  dieser  Schwierigkeit  scheinbar  nicht 

57* 


900  xm-   Schlussbetrachtungen. 

gegenüber,  indem  er  die  Fortpflanzung  der  höheren  Thiere  von  der  einfachen 
Theilung,  angeblich  der  ausschliesslichen  Fortpflanzungsweise  der  niedersten 
Lebewesen,  ableitet  und  so  die  Vererbung  zur  selbstverständlichen  Begleit- 
erscheinung eines  physiologischen  Vorgangs  macht.  Aber  einmal  lässt  sich 
die  Fortpflanzung  durch  Eier  mit  der  Theilung  weder  vergleichen,  noch  von 
ihr  ableiten,  da  durch  Theilung  allein  die  Generationsreihe  sich  unmöglich  über 
das  bescheidenste  Mass  hinaus  fortsetzen  lässt  (S.  848).  Doch  muss  ich  hier 
den  möglichen  Einwurf  erwähnen,  dass,  bevor  eine  gewisse  durch  blosse 
Theilungen  fortgeführte  Generationsreihe  von  niederen  Protozoen  ausstarb, 
irgend  ein  Individuum  durch  fortgesetzte  Difterenzirung  in  Folge  direkter  An- 
passungen sich  soweit  verändert  hätte,  dass  es  ein  keimerzeugender  Organismus 
geworden  wäre,  wodurch  selbst  nach  meiner  Auffassung  die  Fortführung  der 
Generationsreihe  gesichert  und  die  blosse  Theilung  thatsächlich  durch  einen 
wirklichen  Zeugungsakt  abgelöst  würde  (vgl.  No.  158  S.  120).  Mit  der  Be- 
antwortung dieses  Einwurfs  komme  ich  zum  zweiten  Hauptpunkt  in  der  Unter- 
suchung der  Phylogenese,  nämlich  zur  Frage  nach  der  Entstehung  der 
Veränderungen,  welche  in  irgend  einer  Weise  vererbt  die  einzelnen  Ent- 
wicklungsstufen der  phylogenetischen  Reihen  darstellen.  Ich  habe  die  Gründe 
auseinandergesetzt,  warum  die  Vererbung  erworbener,  d.  h.  vom  Formgesetz 
der  individuellen  Entwicklung  unabhängiger  Veränderungen  unmöglich  ange- 
nommen werden  könne;  aus  dem  Kausalzusammenhange  der  Ontogenie  ergibt 
sich  aber  auch  ferner ,  dass  selbst  die  Annahme  einer  solchen  Vererbung  die 
fortschreitende  Phylogenese  nicht  im  geringsten  erklären  könnte.  Allerdings 
lassen  sich  die  möglichen  Fälle  jener  direkten  Anpassung  nicht  zählen ,  nicht 
übersehen,  sodass  es  nahe  liegt,  nach  dem  beschränkten  Massstab  unserer 
Erkenntniss  und  Vorstellung  jene  Anpassungsfähigkeit  eine  unbeschränkte  zu 
nennen  •,  und  doch  ist  dies  nicht  statthaft ,  weil  für  dieselbe  ein  grosses  Gebiet 
uns  bekannter  und  für  die  Phylogenie  allein  massgebender  Veränderungen 
verschlossen  bleibt.  Es  sind  dies  eben  die  Entwickelungsvorgänge.  Geht  man 
davon  aus,  dass  jedem  Entwickelungsverlauf  gerade  durch  die  ihm  zu  Grunde 
liegenden  Ursachen  eine  ganz  bestimmte  Grenze  gesetzt  ist,  von  wo  ab  die 
formgesetzliche  Einheit  der  erreichten  Organisation  nur  noch  zeitweilig  erhalten 

r 

werden  kann,  um  alsdann  dem  unvermeidlichen  Zerfall  entgegenzugehen,  und 
dass  ferner  jene  Grenze  für  jeden  einzelnen  Körpertheil  mit  dem  Eintritt  des 
vollständigen  Lebens  erreicht  ist,  so  erhellt,  warum  jenseits  dieser  Grenze  eine 
Weiterentwickelung  im  Sinne  morphologischer  Gliederung  und  Neubildung  un- 


XIII.   Schlussbetrachtungen.  901 

möglich  ist  (S.  5(J5.  847.  848).  Dem  fertig  gebildeten  Körpertheil  und  dem 
fertigen  Gesammtorganismus  fehlen  eben  die  inneren  Bedingungen  dazu,  welche 
durch  lokale,  nicht  aus  dem  individuellen  Formgesetze  hervorgegangene  Ein- 
flüsse nicht  ersetzt  werden  können;  die  letzteren  mögen  daher  in  morphologischer 
Hinsicht  wohl  Rückbildungen  veranlassen ,  Neubildungen  können  sie  bloss  in 
histiologisch-physiologischer  Richtung  erzeugen,  dadurch  aber  die  abgeschlos- 
sene typische  Entwickelung  des  Individuums  nicht  wieder  wachrufen.  Die 
Einsicht  in  den  Kausalzusammenhang  der  individuellen  Entwickelung  verbietet 
uns  also '  die  Annahme ,  dass  irgendwelche  Entwickelungsveränderungen  im 
physiplogischen  Leben  erworben  würden;  wo  solche  erscheinen,  sind  sie  unbe- 
dingt auf  die  noch  nicht  abgelaufene  ursprüngliche  Entwickelung  zu  beziehen. 
Damit  ist  auch  der  oben  bezeichnete  Einwurf  erledigt :  auch  ein  Protozoon  kann 
die  einmal  abgeschlossene  Gliederung  des  seiner  Organisation  zu  Grunde  lie- 
genden Formgesetzes  im  physiologischen  Leben  nicht  weiter  führen  und  dess- 
lialb,  unbeschadet  einer  mannigfaltigen  histiologischen  Differenzirüng ,  niemals 
mit  Umgehung  der  individuellen  Entwickelung  eine  höhere  phylogenetische 
Stufe  erreichen.  Wären  die  ersten  Organismen  nur  auf  die  direkte  physio- 
logische Anpassung  angewiesen  geblieben ,  so  hätte  es  eine  Phylogenese  gar 
nicht  geben  können.  Die  Ursachen  derselben  liegen  eben  in  ganz  anderen  Ver- 
hältnissen.  Aus  der  Untersuchung  über  die  Vererbung  ging  bereits  hervor, 
dass  lediglich  das  Formgesetz  des  Zeugungsthiers  die  mit  dessen  Fortpflanzung 
zusammenhängende  Vererbung  oder  die  Neubildung  eines  ebensolchen  Form- 
gesetzes in  den  Zeugungsprodukten  bedinge.  Diese  Vererbung  kann  aber  dess- 
halb  keine  absolute  Gleichheit  der  aufeinanderfolgenden  Generationen  betreffen, 
weil  sie  nicht  eine  Kontinuität,  sondern  lediglich  eine  wiederholte  Neubildung 
desselben  Formgesetzes  bedeutet,  sodass  bei  der  stets  erneuerten  Zusammen- 
stellung der  gleichen  Bildungsursachen  immerhin  kleine,  wenn  auch  noch  so 
unmerkliche  Abänderungen  unvermeidlich  sind.  Diese  sind  theils  vom  Zeu- 
gungsthier,  welches  die  Zeugungsprodukte  unter  dem  wechselnden  Einfluss 
seiner  physiologischen  Verhältnisse  ausbildet,  theils  von  den  abweichenden 
Einflüssen  abhängig,   denen  das  vom  Zeugungsthier  getrennte  Ei  unterliegt  *. 


*  Für  diejenigen  Eier,  welche  ihre  Entwickelung  zum  Theil  oder  vollständig  innerhalb 
des  Zeugungsthiers  durchlaufen,  lässt  sich  natürlich  eine  bestimmte  Grenze  nicht  angeben, 
wann  der  Einfluss  desselben  auf  die  Zusammensetzung  der  Dottersubstanz  und  die  Fest- 
stellung der  Formbedingungen  aufhört  und  sich  lediglich  auf  lokale ,  später  selbst  physiolo- 
gische Erwirkungen  beschränkt.  Doch  finde  ich  nicht,  dass  eine  solche  Bestimmung  im 
vorliegenden  Falle  von  irgend  welcher  Tragweite  wäre. 


902  XIII.   Schlussbetrachtungen. 

Woher  sie  aber  auch  stammen,  so  muss  uns  nach  meiner  Ansicht  die  individuelle 
Entwicklungsgeschichte  überzeugen,  dass  sie  nur  in  gewissen  Grenzen  fördernd 
eingreifen  können,  einmal  weil  sie  sich  auf  sehr  einfache  Verhältnisse  der 
Bildlingsursachen  zu  beziehen  haben,  und  ferner,  weil  uns  manche  darauf  zu- 
rückführbare  Missbildungen ,  die  Untauglichkeit  des  Samens  zur  Befruchtung 
nahverwandter  Arten  u.  a.  m.  lehren ,  dass  nur  gewisse  Kombinationen  jener 
Verhältnisse  zu  lebensfähigen  Erzeugnissen  führen.  Betrachten  wir  endlich 
diese  Kombinationen,  wie  sie  sich  uns  aus  der  vergleichenden  Ontogenie  ver- 
schiedener grosser  Abtheilungen  des  Thierreichs  als  wahrscheinliche  ergeben 
so  müssen  wir  gestehen,  dass  sie  sich  auf  eine  gewisse  Masssteigerung  von 
grundlegenden  Entwickelungsursachen  beschränken,  welche  in  ihrem  Wesen 
und  ursächlichen  Zusammenhange  überall  gleich  vorhanden  sind.  Also  nur  ein 
Theil  jener  für  Haeckel  nicht  sicher  nachweisbaren  „indirekten  Anpassungen", 
nämlich  diejenigen,  welche  die  Eibildung  in  allen  ihren  Beziehungen  betreffen* 
und  eben  desshalb  keine  physiologischen  sein  können  (S.  892. 893),  kommen  bei 
der  Phylogenese  in  Betracht;  und  da  die  Wirkungsweise  dieser  Abänderungen 
durch  die  nach  ihrem  Kausalnexus  allen  Thieren  gemeinsame  Form  des  Aus- 
gangspunktes der  individuellen  Entwickelung  auf  relativ  enge  Grenzen  be- 
schränkt ist,  so  werden  wir  auch,  trotz  aller  Mannigfaltigkeit  der  schliesslichen 
Ent wickelungserzeugnisse.  i  n  j  e  n  e r  g  e  m  e i  n  s  a  m  e n  G  r  u  n  d  1  a  g e  a  1 1  e  r  E  n  t- 
wickelung  ein  die  ganze  Thierwelt,  ja  vielleicht  die  ganze  or- 
ganische Welt  einheitlich  beherrschendes  Kausalgesetz  an- 
erkennen müssen.  Und  dies  um  so  mehr,  als  die  Notwendigkeit  der 
Phylogenese  für  jeden  einzelnen  Organismus  noch  nicht  im  geringsten  die  An- 
nahme der  ausnahmslosen  Blutsverwandtschaft  aller  fordert ,  welche  ohne  jene 
aus  der  Ontogenie  abgeleitete  Erkenntniss  allein  die  Einheit  der  organischen 
Welt  begründen  könnte  und  daher  für  den  grössten  Theil  der  Thierwelt,  näm- 
lich alle  Metazoen  und  ihre  Stammformen  unter  den  Protozoen,  einen  Grundsatz 
der  phylogenetischen  Hypothesen  Haeckel's  bildet.  Der  Satz :  „Formverwandt- 
schaft ist  Blutsverwandtschaft"  (Nr.  100  II  S.  290.  419,  Nr.  158  S.  88)  könnte 
wohl  als  Schluss  aller  endgiltig  durchgeführten  phylogenetischen  Untersuchungen 
gedacht  werden;  im  ersten  Anfange  derselben  bleibt  er  eine  unbegründete,  will- 


■  *  Ein  Theil  der  sogenannten  angeborenen  Besonderheiten  kann  bei  einer  längeren 
Dauer  der  Entwickelung  innerhalb  des  Zeugungsthiers  unbedingt  auf  direkte  physiologische 
Anpassungen  bezogen  werden. 


XIII.   Schlussbetrachtungen.  903 

kürliche  Behauptung.  Denn  Formgemeinschaft  deutet  zunächst  lediglich 
auf  eine  Gleichheit  der  Ursachen;  dass  damit  eine  thatsächliche  Identität  der- 
selben zusammenfalle,  lässt  sich  nur  in  den  engsten  Kreisen  wahrscheinlich 
machen,  in  den  weiteren  kaum  vermutben,  wie  viel  weniger  annehmen.  Und 
welche  Inkonsequenz  ist  es ,  den  monophyletischen  Zusammenhang  der  Meta- 
zoen  zu  behaupten  und  die  Protozoen  davon  auszuschliessen,  da  sie  doch  so- 
wohl unter  sich  wie  mit  den  Metazoen  die  einelementige  Form  des  Eies  ge- 
meinsam haben !  Ist  aber  für  die  Protozoen  eine  polyphyletische  Abstammung 
möglich ,  so  gilt  das  auch  für  die  Metazoen ,  und  die  Entscheidung  über  die 
Blutsverwandtschaft  hängt  nicht  mehr  von  der  Formgemeinschaft  allein,  son- 
dern von  der  kritischen  Prüfung  sehr  vieler  anderer  Verhältnisse  ab,  und  bleibt 
eine  Wahrscheinlichkeitsrechnung  in  allen  möglichen  Abstufungen  der  Glaub- 
würdigkeit. 

Wie  übrigens  Haeckel  die  Formgemeinschaft  begründet ,  habe  ich  in  der 
Kritik  seiner  Untersuchungen  über  die  Homologie  der  Gastrula  und  der  Keim- 
blätter gezeigt;  darnach  kann  es  uns  nicht  mehr  wundern,  in  seinem  oftgehörten 
biogenetischen  Grundgesetze,  „von  dessen  Anerkennung  das  ganze  innere  Ver- 
ständniss  der  Entwicklungsgeschichte  abhängt"  (Nr.  15S  S.  7,  Nr.  1(53  S.  7). 
dass  nämlich  die  Keimesgeschichte  eine  kurze  Wiederholung  der  Stammes- 
geschichte sei,  eine  Verleugnung  nicht  nur  jedes  ontogenetischen  Kausal- 
zusammenhangs, sondern  selbst  der  Erscheinungsthatsachen  der  individuellen 
Entwickelungsgeschichte  zu  finden.  Denn  es  ist  klar,  dass  wenn  man  nicht  an 
die  Stelle  jenes  Zusammenhangs  übernatürliche  Anpassungs-  und  Vererburrgs- 
vorgänge  treten  lässt,  ein  individueller  Entwickelungsverlauf  nicht  nach  einem 
Typus  anfangen  kann,  um  dann  nach  einem  andern  fortzufahren,  dass  also 
keine  Form  irgendwelche  Entwickelungsstufen  einer  anderen  Form  durchlaufen 
kann.  Die  thatsächlichen  Uebergänge  aus  der  einen  in  die  andere  können 
daher  nur  in  der  Weise  stattgefunden  haben ,  dass  eben  die  bereits  im  Eie  be- 
gründeten Ursachen  und  damit  auch  alle  folgenden  Erscheinungen  der  Entwicke- 
lung  sich  veränderten.  Und  wenn  dabei  das  Mass  der  Veränderung  bei  einander 
nahestehenden  Formen  so  gering  ist,  dass  es  unserer  Aufmerksamkeit  ent- 
gehen kann,  obschon  es  bei  oberflächlicher  Kenntniss  der  Ontogenie  stets  unter- 
schätzt wird ,  so  nehmen  selbst  die  äusseren  Unterschiede  für  die  grossen  Ab- 
theilungen des  Thierreichs  so  sehr  zu,  dass  die  individuelle  Entwicklung 
innerhalb  derselben  auch  schon  in  grossen  Zügen  von  Anfang  an  auseinander- 
geht, wie  ich  es  beim  Vergleiche  der  typischen  Formdifferenzen  zeigte.     Doch 


904  XIII.   Schlussbetrachtungen. 

habe  ich  hier  keine  Veranlassung ,  darauf  näher  einzugehen  und  bemerke  nur 
noch  Folgendes.  Selbstverständlich  stehen  die  zuletzt  genannten  Aussprüche 
Haeckels  nicht  isolirt  da;  er  hält  sie  eben  für  die  nothwendige  Folge  der 
„Erkenntniss",  dass  die  durch  die  physiologischen  Funktionen  der  Vererbung 
und  Anpassung  begründete  Phylogenese  die  einzige  mechanische  Ursache  der 
individuellen  Entwicklung  und  im  weiteren  der  gesammten  Morphologie  sei 
und  daher  auch  die  einzige  Erklärung  beider  enthalte  (Nr.  100  II  S.  290).  Ich 
habe  dagegen  gezeigt,  dass  die  von  Haeckel  missverstandenen  Begriffe  der 
Vererbung  und  Anpassung  zur  Begründung  der  Phylogenie  gar  nichts  bei- 
tragen, dass  ferner,  sowie  die  Bedeutung  jener  Ausdrücke  nur  aus  einer  genauen 
Untersuchung  der  Ontogenie  sich  ergibt,  ebenfalls  lediglich  individuelle  Ent- 
wickelung  durch  Erzeugung  der  ersten  Organismen  den  Grund  zu  allen  sich 
daraus  ergebenden  Folgen  der  Vererbung  und  Abänderung,  mithin  auch 
der  Phylogenese  legte;  und  zwar  nicht  auf  Grund  der  chemischen  Wahl- 
verwandtschaft, auf  welche  alle  Erklärungen  Haeckel's  zuletzt  hinauslaufen, 
sondern  vermöge  der  Einführung  des  organischen  Formgesetzes  in  die  lebens- 
fähigen Stoffe.  Alsdann  kann  aber  auch  keine  Frage  entstehen,  was  von  beiden 
die  Erklärung  für  das  andere  enthält,  etwaige  phylogenetische  Thesen  und 
überhaupt  die  gesammte  Descendenztheorie  oder  die  in  ihrem  Kausalzusammen- 
hange erforschten  Thatsachen  der  Ontogenie.  Die  individuelle  Ent- 
wicklungsgeschichte der  Organismen  begründet  und  erklärt 
allein  c]ie  gesammte  Morphologie  derselben. 

Sowie  ich  in  den  vorangehenden  Theilen  dieses  Buchs  darzuthun  mich  be- 
mühte, dass  die  vergleichende  Entwickelungsgeschichte  einer  engeren  Thier- 
gruppe  nicht  nur  für  diese  allein  die  eben  bezeichnete  Aufgabe  zu  lösen,  son- 
dern daneben  auch  allgemeine,  weitergreifende  Gesichtspunkte  aufzudecken 
vermöge,  so  habe  ich  in  diesem  letzten  Abschnitte  in  gedrängter  Uebersicht  den 
Nachweis  liefern  wollen,  dass  solche  Ergebnisse  der  vergleichenden  indivi- 
duellen Entwickelungsgeschichte  allein  uns  selbst  über  diejenigen  Verhältnisse 
Aufschluss  geben,  welche  weit  über  die  Grenzen  des  zuerst  betrachteten  Gebiets 
hinausgehen.  Vieles  musste  in  einer  solchen  Uebersicht  unerwähnt  bleiben; 
mein  Zweck  ist  erreicht,  wenn  nur  die  Grundzüge  des  Gedankengangs  klar  vor- 
liegen, welcher  vom  Einzelnen  zum  Allgemeinen  führt.  ' 


Verzeichniss  der  benutzten  Litteratur. 


1.  Spallanzani,  Versuche  über  die  Erzeugung  der  Thiere  und  Pflanzen ,  aus 

dem  Französischen  von  Michaelis.  1786. 

2.  Prevost  et  Dumas,  Deuxieme  Memoire  sur  la  generation,  in:   Annales  des 

sciences  naturelles  Tom.  2.  1824. 

3.  Rathke,  lieber  die  Entwickelung  der  Geschlechtstheile  bei  den  Amphibien, 

in  den  Beiträgen  zur  Geschichte  der  Thierwelt  3.  Abtheilung.  (Aus: 
Neueste  Schriften  der  naturforschenden  Gesellschaft  in  Danzig  I.  Band 
4.  Heft  1825). 

4.  Huschke ,    Ueber  die  Umbildung  des  Darmkanals  und  der  Kiemen  der 

Froschquappen,  in:  Isis  1826.  S.  613 — 627. 

5.  Dutrochet,   Ueber  die  Eier  und  Larven  der  Batrachier,  in:    Froriep's 

Notizen  aus  dem  Gebiete  der  Natur-  und  Heilkunde.  Band  13. 
Nr.  283.  1826. 

6.  Rnsconi ,  Developpement  de  la  Grenouille  commune  depuis  le  moment  de 

sa  naissance  jusqu'a  son  etat  parfait.  1826. 

7.  v.  Baer,  De  ovi  mammalium  et  hominis  genesi  epistola.  1827. 

8.  -  -,  Ueber  Entvvickelungsgeschichte  der  Thiere.  1828.  1837. 

!».  -,  Geschichte  des  Froschembryo  in:  Burdach,  die  Physiologie  als 
Erfahrungswissenschaft.  IL  Band.  1.  Auflage  1828  S.  222—235;  2.  Aufl. 
1838  S.  297—312. 

10.  J.  Müller,   Bildungsgeschichte  der  Genitalien  aus  anatomischen  Unter- 

suchungen an  Embryonen  des  Menschen  und  der  Thiere.  1830. 

11.  — ,   De  glandularum   secernentium  structura  penitiori  earumque  prima 

formatione  in  nomine  atque  animalibus.  1830. 


906  Verzeichniss  der  benutzten  Litteratur. 

12.  Baunigärtner,  Ueber  Nerven  und  Blut.  1830. 

13.  Duges.  Recherches  sur  l'osteologie  et  la  myologie  des  Batraciens  ä  leurs 

differents  äges.  1834.  Aus:  Memoires  presentes  par  divers  savants  ä 
l'Academie  des  sciences  de  l'Institut  de  France,  sciences  mathematiques 
et  physiques  Tom.  6.  1835. 

14.  v.  Baer,  Die  Metamorphose  des  Eies  der  Batrachier  vor  der  Erscheinung 

des  Embryo  und  Folgerungen  aus  ihr  für  die  Theorie  der  Erzeugung,  in 
Müller's  Archiv  für  Anatomie,  Physiologie  und  wissenschaftliche  Mediän 
1834. 

15.  — -,  Entwickelungsgeschichte  der  ungeschwänzten  Batrachier  in  :  Bulletin 

scientifique ,  publie  par  l'Academie  Imperiale  des  sciences  de  St.  Peters- 
bourg  Tom.  I.  1835. 

10.  Rusconi,  Erwiderung  auf  einige  kritische  Bemerkungen  des  Hrn.  v.  Baer 
über  Rusconis  Entwickelungsgeschichte  des  Froscheies  in  Müller's  Archiv 
für  Anatomie,  Physiologie  und  wissenschaftliche  Mediän  1836. 

17.  Wagner,    Prodromus  historiae  generationis    hominis  atque  animalium, 

sistens  icones  ad  illustrandum  ovi  primitivi,  inprimis  vesiculae  germina- 
tivae  ac  germinis  in  ovario  inclusi  genesin  ac  structuram,  per  omnes  ani- 
malium classes  multosque  ordines  indagatae.  1836. 

18.  C,  H.  Schultz,   Das  System  der  Circulation  in  seiner  Entwickelung  durch 

die  Thierreihe  und  im  Menschen  und  mit  Rücksicht  auf  die  physiolo- 
gischen Gesetze  seiner  krankhaften  Erscheinungen  dargestellt.  1836. 

19.  Ratlike ,   Ueber  die  Entstehung  der  glandula  pituitaria  in  Müller's  Archiv 

für  Anatomie,  Physiologie  und  wissenschaftliche  Medicin  1838. 

20.  Reichert ,  Vergleichende  Entwickelungsgeschichte  des  Kopfes  der  nackten 

Amphibien,  nebst  den  Bildungsgesetzen  des  Wirbelthierkopfes  im  Allge- 
meinen und  seinen  hauptsächlichen  Variationen  durch  die  einzelnen 
Wirbelthier-Klassen.  1838. 

21.  Ratlike,  Ueber  die  Entwickelung  des  Schädels  der  Wirbelthiere.     Vierter 

Bericht  über  das  naturwissenschaftliche  Seminar  zu  Königsberg  1839. 

22.  Reichert,   Das  Entwickelungsleben  im  Wirbelthierreich.  1840. 

23.  Rusconi,  Ueber  künstliche  Befruchtung  von  Fischen  und  über  einige  neue 

Versuche  in  Betreff  künstlicher  Befruchtung  an  Fröschen  in  Müller's  Archiv 
für  Anatomie,  Physiologie  und  wissenschaftliche  Medicin  1840. 

24.  Bergmann.  Die  Zerklüftung  und  Zellenbildung  im  Froschdotter  ebend.  1841. 


Verzeichnis  der  benutzten  Litteratur.  907 

25.  Reichert,  Ueber  den  Furchungsprocess  der  Batrachiereier  ebend.  1841. 

26.  Vogt,    Untersuchungen  über  die  Entwickelungsgeschichte  der  Geburts- 

helferkröte (Alytes  obstetricans).  1842. 

27.  Bergmann.    Zur  Verständigung  über  die  Dotterzellenbildung  in  Müller's 

Archiv  für  Anatomie,  Physiologie  und  wissenschaftliche  Medicin  1 842. 

28.  Reichert,  Beiträge  zur  Kenntniss  des  Zustandes  der  heutigen  Entwickelungs- 

geschichte. 1843. 

29.  Platner ,  Einige  Beobachtungen  über  die  Bildung  der  Capillargefässe  in 

Müller's  Archiv  für  Anatomie,  Physiologie  und  wissenschaftliche  Medicin 
1844. 

30.  Prevost  et  Lebert,  Memoire  sur  la  formation  des  organes  de  la  circulation 

et  du  sang  dans  les  Batraciens,  in:  Annales  des  sciences  naturelles 
3.  Serie.   Zoologie.  Tom.  1.  1844. 

31.  Reichert,    Der  Furchungsprocess  und  die  sogenannte  Zellenbildung  um 

Inhaltsportionen  in  Müllers  Archiv  für  Anatomie,  Physiologie  und  wissen- 
schaftliche Medicin  1840. 

32.  Kölliker,  Ueber  die  Entwickelung  der  Gewebe  der  Batrachier,  in :  Froriep, 

Neue  Notizen  aus  dem  Gebiete  der  Natur-  und  Heilkunde  Band  39 
Nr.  844.  1846  (vgl.  desselben  Note  sur  le  developpement  des  tissus 
orgamques  chez  les  Batraciens  in :  Comptes  rendus  hebdomadaires  des 
seances  de  l'Academie  des  sciences  de  Paris.  Tom.  23.  1846). 

33.  — ,  Zur  Lehre  von  den  Furchungen  in:  Archiv  für  Naturgeschichte  1847. 

34.  Cramer,   Bemerkungen  über  das  Zellenleben  in  der  Entwickelung  des 

Froscheies  in  Müller's  Archiv  für  Anatomie,  Physiologie  und  wissen- 
schaftliche Medicin  1848. 

35.  Newport,   On  the  impregnation  of  the  ovum  in  the  Amphibia,  in:   Philo- 

sophical  Transactions  of  the  Royal  Society  of  London  1851. 

36.  Remak,   Ueber  die  Entstehung  des  Bindegewebes  und  des  Knorpels  in 

Müller's  Archiv  für  Anatomie,  Physiologie  und  wissenschaftliche  Medicin 
1852. 

37.  Wittich,  Beiträge  zur  morphologischen  und  histiologischen  Entwickelung 

der  Harn-  und  Geschlechtswerkzeuge  der  nackten  Amphibien  in  Siebold's 
und  Kölliker's  Zeitschrift  für  wissenschaftliche  Zoologie  IV.  Bd.  1853. 

38.  Lenckart,  Artikel  „Zeugung"  in  Wagners  Handwörterbuche  der  Physio- 

logie mit  Rücksicht  auf  physiologische  Pathologie.  IV.  Band.  1853. 


'/ 


9Qg  Verzeichniss  der  benutzten  Litteratur. 

39.  Rusconi,   Histoire  naturelle,  developpement.  et  metamorphose  de  la  Sala- 

mandre  terrestre.  1854. 

40.  Remak,     Untersuchungen    über    die    Entwickelung    der    Wirbelthiere. 

1850 — 55. 

41.  Ecker,  Icones  physiologicae.  1851 — 59. 

42.  Thomson,  Article  „Ovum",  in:  Todd  Cyclopaedia  of  anatomy  and  physio- 

logy.    Vol.  5  (Supplement)  1859. 

43.  Kölliker,  Entwickelung  der  Muskelfasern  der  Batrachier,  in  Siebold' s  und 

Kölliker's  Zeitschrift  für  wissenschaftliche  Zoologie  IX.  Band  1858. 

44.  - ,  Ueber  die  Beziehungen  der  chorda  dorsalis  zur  Bildung  der  Wirbel 
der  Selachier  und  einiger  anderen  Fische  in :  Verhandlungen  der  physi- 
kalisch-medicinischsn  Gesellschaft  in  Würzburg  X.  Band  1860. 

45.  Stricker ,  Entwickelungsgeschichte  von  Bufo  cinereus  bis  zum  Erscheinen 

der  äusseren  Kiemen  in:  Sitzungsberichte  der  mathematisch -natur- 
wissenschaftlichen Klasse  der  kaiserlichen  Akademie  der  Wissenschaften 
zu  Wien  1860. 

46.  -  -',    Untersuchungen  über  die  ersten  Anlagen  in   Batrachier  -  Eiern  in 

Siebold's  und  Kölliker's  Zeitschrift  für  wissenschaftliche  Zoologie 
XL  Band  1861. 

47.  Kathke,  Entwickelungsgeschichte  der  Wirbelthiere.  1861. 

48.  Kölliker,    Entwickelungsgeschichte    des    Menschen    und    der    höheren 

Thiere.  1861. 

49.  Reichert,   Der  Faltenkranz  an  den  beiden  ersten  Furchungskugeln  des 

Froschdotters  und  seine  Bedeutung  für  die  Lehre  von  der  Zelle  in  Müller's 
Archiv  für  Anatomie,  Physiologie  und  wissenschaftliche  Mediern  1861. 

50.  Bruch,  Ueber  die  Entwickelung  der  Wirbelsäule  von  Pelobates  ruscus  in: 

Würzburger  naturwissenschaftliche  Zeitschrift  IL  Band  1861. 

51.  F.  E.  Schulze ,    Beitrag  zur  Entwickelungsgeschichte  der  quergestreiften 

Muskelfaser  in  Reichert's  und  Du  Bois-Reymond's  Archiv  für  Anatomie, 
Physiologie  und  wissenschaftliche  Medicin  1862. 

52.  M.  Schnitze ,  Observationes  nonnullae  de  ovorum  ranarum  segmentatione. 

1863. 

53.  Babuchin,  Beiträge  zur  Entwickelungsgeschichte  des  Auges  in:  Würzburger 

naturwissenschaftliche  Zeitschrift  IV.  Band  1863. 


Verzeichniss  der  benutzten  Litteratur.  909 

54.  Hensen.  lieber  die  Entwickelung  des  Gewebes  und  der  Nerven  im  Schwänze 

der  Froschlarven  in  Virchow's  Archiv  für  pathologische  Anatomie  31.  Bd. 
1864. 

55.  Stricker,  Untersuchungen  über  die  Entwickelung  des  Kopfes  der  Batrachier 

in  Reichert's  und  Du  Bois-Reymond1s  Archiv  für  Anatomie,  Physiologie 
und  wissenschaftliche  Medicin  1864. 

56.  »Schenk .    Untersuchungen  über  die  erste  Anlage  des  Gehörorgans  der 

Batrachier ,  in  :  Sitzungsberichte  der  mathematisch  -  naturwissen- 
schaftlichen Klasse  der  kaiserlichen  Akademie  der  Wissenschaften  zu 
Wien  1864. 

57.  Barkau ,  Beiträge  zur  Entwicklungsgeschichte  des  Auges  der  Batrachier, 

ebendas.  1866. 

58.  Török ,  Beitrage  zur  Kenntniss  der  ersten  Anlagen  der  Sinnesorgane  und 

der  primären  Schädelformation  bei  den  Batrachiern,  ebendas.  1865. 

59.  -,    Untersuchungen  über  die  Entwickelung  der  Mundhöhle  und  ihrer 
nächsten  Umgebung,  ebend.  1866. 

60.  Eberth ,  Zur  Entwickelung  der  Gewebe  im  Schwänze  der  Froschlarven  in 

M.  Schultze's  Archiv  für  mikroskopische  Anatomie  1866. 

61.  Hensen ,   Ueber  die  Nerven  im  Schwanz  der  Froschlarven,  in  M.  Schultze's 

Archiv  für  mikroskopische  Anatomie  1868. 

62.  Langer,  Die  Lymphgefässe  im  Schwänze  der  Batrachierlarven,  in :  Sitzungs- 

berichte der  mathematisch -naturwissenschaftlichen  Klasse  der  kaiser- 
lichen Akademie  der  Wissenschaften  zu  Wien  1868. 

63.  v.  ßambecke,   Recherches  sur  le  developpement  du  Pelobate  brun,  in: 

Memoires  couronnes  et  Memoires  des  savants  etrangers,  publies  par 
l'Academie  royale  des  sciences,  des  lettres  et  des  beaux-arts  de  Belgique. 
Tom.  XXXIV.  1868. 

64.  (roette ,  Untersuchungen  über  die  Entwickelung  des  Bombinator  igneus  in 

M.  Schultze's  Archiv  für  mikroskopische  Anatomie  1869. 

65.  (folubew,   Beiträge  zur  Kenntniss  des  Baues  und  der  Entwickelungsge- 

schichte  der  Capillargefässe  des  Frosches,  ebend.  1869. 

66.  Waldeyer,  Eierstock  und  Ei.  Ein  Beitrag  zur  Anatomie  und  Entwickelungs- 

geschichte  der  Sexualorgane.  1869. 

67.  Dönitz.   Ueber  das  Remak'sche  Sinnesblatt,   in  Reichert's  und  Du  Bois- 

Reymond's  Archiv  für  Anatomie,  Physiologie  und  wissenschaftliche 
Medicin  1869. 


910  Verzeichniss  der  benutzten  Litteratur. 

68.  Golubew,  Beiträge  zur  EntwickeluDgsgeschichte  der  Batrachier,  in  Rollet's 
Untersuchungen  aus  dem  physiologischen  Institute  in  Graz  1870. 

09.  Goette,  Vorläufige  Mittheilung  aus  einer  allgemeinen  Bildungsgeschichte 
des  Bombinator  igneus  in :  Centralblatt  für  die  medicinischen  Wissen- 
schaften 1870.  Nr.  38. 

70.  Klein,   Beiträge  zur  Kenntniss  des  Froschlarvenschwanzes  in:  Sitzungs- 

berichte der  mathematisch- naturwissenschaftlichen  Klasse  der  kaiser- 
lichen Akademie  der  Wissenschaften  zu  Wien  1870. 

71.  v.  Bambecke,  Sur  les  trous  vitellins,  que  presentent  les  oeufs  fecondes  des 

amphibiens  in:   Bulletins  de  l'Academie  royale  de  Belgique  2me  Serie 
Tom.  XXX.  Nr.  7.  1870. 

72.  Arnold,  Experimentelle  Untersuchungen  über  die  Entwickelung  der  Blut- 

capillaren,  in  Virchow's  Archiv  für  pathologische  Anatomie  1871. 

73.  Oellacher,  Ueber  die  erste  Entwickelung  des  Herzens  und  der  Pericardial- 

oder  Herzhöhle  bei  Bufo  cinereus,  in  M.  Schnitze's  Archiv  für  mikro- 
skopische Anatomie  1871. 

74.  W,  )Iüller,  Beobachtungen  des  pathologischen  Instituts  zu  Jena. 

1.  Ueber  den  Bau  der  Chorda  dorsalis. 

2.  Ueber  Entwickelung  und  Bau  der  Hypophysis  und  des  Processus 

infundibuli  cerebri. 

3.  Ueber  die  Entwickelung  der  Schilddrüse. 

in:  Jenaische  Zeitschrift  für  Medicin  und  Naturwissenschaft  1871. 

75.  Lieberkühn,   Ueber  das  Auge  des  Wirbelthierembryo,  in:   Schriften  der 

Gesellschaft  zur  Beförderung  der  gesammten  Naturwissenschaften  zu 
Marburg  1872. 
70.  J.  Müller,  Vergleichende  Anatomie  der  Myxinoideu.  I.  Osteologie  und 
Myologie ,  II.  über  den  eigenthümlichen  Bau  des  Gehörorgans  bei  den 
Cyklostomen  u.  s.  w.,  HI.  vergleichende  Neurologie  der  Myxinoiden, 
IV.  über  das  Gefässsystem ,  V.  Untersuchungen  über  die  Eingeweide 
der  Fische.  1835—1845. 

77.  Schwann,  Mikroskopische  Untersuchungen  über  die  Uebereinstimmung  in 

der  Struktur  und  dem  Wachsthume  der  Thiere  und  Pflanzen.  1839. 

78.  Kölliker,  Mikroskopische  Anatomie.  1850.  1852. 

79.  — ,  Handbuch  der  Gewebelehre  des  Menschen  1867. 

80.  Stannius,   Handbuch  der  Anatomie  der  Wirbelthiere.    Erstes  Buch:    Die 

Fische.   Zweites  Buch:   Die  Amphibien.  1854. 


Verzeichniss  der  benutzten  Litteratur.  91 1 

81.  Leydig,    Anatomisch  -  histologische   Untersuchungen    über   Fische    und 

Reptilien.  1853. 

82.  Fischer,  Amphibiorum  nudorum  neurologiae  specimen  primum.  1843. 

83.  Remak,  Ueberein  selbstständiges  Darmnervensystem.  1847. 

84.  Lereboullet,  Recherches  sur  l'anatomie  des  organes  genitaux  des  animaux 

vertebres.  (Aus :  Nova  acta  physico-medica  Academiae  Caesareae  Leopol- 
dino-Carolinae  naturae  curiosoruni  Tom.  XXIII  Pars  I  1851). 

85.  Wittich ,   Die  Entstehung  des  Arachnideneies  im  Eierstocke  in  Müller's 

Archiv  für  Anatomie,  Physiologie  und  wissenschaftliche  Medicin  1849. 
S.  117. 

86.  Reichert,  Zur  Controverse  über  den  Primordialschädel,  ebend.  1849. 

87.  Carus,  Ueber  die  Entwicklung  des  Spinneneies  in  Siebold's  und  Kölliker's 

Zeitschrift  für  wissenschaftliche  Zoologie  1850  S.  103. 

88.  Gegenbaur,  Untersuchungen  zur  vergleichenden  Anatomie  der  Wirbelsäule 

bei  Amphibien  und  Reptilien.  1862. 

89.  — ,  Grundzüge  der  vergleichenden  Anatomie.  1870. 

90.  Ecker,  Die  Anatomie  des  Frosches.  1864. 

91.  Leydig',  Lehrbuch  der  Histologie  des  Menschen  und  der  Thiere.  1857. 

92.  M.  Schnitze,  Die  Entwicklungsgeschichte  von  Petromyzon  Planeri.  1856. 

93.  -,  Ueber  Muskelkörperchen  und  Das,  was  man  eine  Zelle  zu  nennen 
habe,  in  Müller's  Archiv  für  Anatomie,  Physiologie  und  wissenschaftliche 
Medicin  1861. 

94.  Wyman ,  Anatomy  of  the  nervous  System  ot  Rana  pipiens,  in :  Smithsonian 

Contributions  to  knowledge  Vol.  V.  1853. 

95.  Stieda,    Studien  über   das    centrale   Nervensystem   der  Wirbelthiere   in 

Siebold's    und    Kölliker's    Zeitschrift    für    wissenschaftliche    Zoologie 
Band  XX.  1870. 

96.  -     ,  Ueber  den  Bau  der  Haut  des  Frosches,  in  Reichert's  und  Du  Bois- 

Reymond's    Archiv    für   Anatomie,    Physiologie   und   wissenschaftliche 
Medicin  1865. 

97.  His,  Ueber  die  Wurzeln  der  Lymphgefasse  in  den  Häuten  des  Körpers  und 

über  die  Theorie  der  Lymphbildung  in  Siebold's  und  Kölliker's  Zeitschrift 

für  wissenschaftliche  Zoologie  XII.  Band  1862. 
98.  Heusen ,  Ueber  den  Bau  des  Schneckenauges  und  über  die  Entwicklung 
der  Augentheile  in  der  Thierreihe  in  M.  Schultze's  Archiv  für  mikro- 
skopische Anatomie  1866. 


gi2  Verzeichniss  der  benutzten  Litteratur. 

99.  Lieberkühn.  Ueber  Bewegungserscheinungen  der  Zellen  in:  Schriften 
der  Gesellschaft  zur  Beförderung  der  gesammten  Naturwissenschaften 
in  Marburg.  Band  IX.  1872. 

100.  Haeekel  j  Generelle  Morphologie  der  Organismen.  1866. 

101.  — ,  Biologische  Studien.     Erstes  Heft.  1870. 

102.  (iloette,    Zur   Entwicklungsgeschichte    der   Wirbelthiere.      Vorläufige 

Mittheilung,  in:    Centralblatt    für  die  medicinischen  Wissenschaften 
1869  Nr.  26. 

103.  -,  Zur  Entwickelungsgeschichte  des  Kaninchens.  Vorläufige  Mittheilung, 
ebend.  Nr.  55. 

104.  Fick,  Die  medicinische  Physik.  1858. 

105.  Kupffer,   Beobachtungen  über  die  Entwickelung  der  Knochenfische,  in 

M.  Schultze's  Archiv  für  mikroskopische  Anatomie  1868. 

106.  Oellaeher,   Beiträge    zur   Entwickelungsgeschichte    der    Knochenfische 

nach  Beobachtungen  am  Bachforelleneie  Cap.  LH,   in  Siebold's  und 
Kölliker's  Zeitschrift  für  wissenschaftliche  Zoologie  Band  XXII 1872. 

107.  ■-,■-  Cap.  III— V  ebendas.  Band  XXIII  1873. 

108.  Goette ,  Beiträge  zur  Entwickelungsgeschichte  der  Wirbelthiere  I.     Der 

Keim  des  Forelleneies,   in  M.  Schultze's  Archiv  für  mikroskopische 
Anatomie  1873. 

109.  His ,  Untersuchungen  über  die  erste  Anlage  des  WTirbelthierleibes.     Die 

erste  Entwickelung  des  Hühnchens  im  Eie.  1868. 

110.  Dursy.  Der  Primitivstreif  des  Hühnchens.  1867. 

111.  Kowalewsky,   Entwickelungsgeschichte  des  Amphioxus  lanceolatus  aus: 

Memoires  de  i'Academie  Imp.  des  sciences  des  St.  Petersbourg  VII.  Serie, 
Tome  XI  Nr.  4. 

112.  Miklucho-Maclay ,  Beiträge  zur  vergleichenden  Neurologie  der  Wirbel- 

thiere. 1870. 

113.  Huxley ,  Handbuch  der  vergleichenden  Anatomie  übersetzt  von  Ratzel. 

1873. 

114.  Tiedemann,   Anatomie  und  Bildungsgeschichte   des  Gehirns  im  Foetus 

des  Menschen  u.  s.  w.  1816. 

115.  Rathke,  Entwickelungsgeschichte  der  Natter  (Coluber  Natrix).  1839. 

116.  Mayer,  Analecten  für  vergleichende  Anatomie.  1835. 


Verzeichniss  der  benutzten  Litteratur.  913 

117.  Schenk,  Zur  Entwickelungsgeschichte  des  Auges  der  Fische,   aus  den 

Sitzungsberichten  der  kaiserlichen  Akademie  der  Wissenschaften  zu 
Wien  1867. 

118.  Gegenbaur,   Ueber  die  Entwickelung  der  Wirbelsäule  des  Lepidosteus, 

mit  vergleichend  anatomischen  Bemerkungen,  in:  Jenaische  Zeitschrift 
für  Median  und  Naturwissenschaft  III.  4.  1867. 

119.  Rathke,  Untersuchungen  über  die  Entwickelung  und  den  Körperbau  der 

Krokodile.  186G. 

120.  Stricker,  Handbuch  der  Lehre  von  den  Geweben  des  Menschen  und  der 

Thiere.  1871.  1872. 

121.  (joette,  Beiträge  zur  Entwickelungsgeschichte  der  Wirbelthiere  II.     Die 

Bildung  der  Keimblätter  und  des  Blutes  im  Hühnerei  7  in  M.  Schultze's 
Archiv  für  mikroskopische  Anatomie  1874. 

122.  Klein,  Das  mittlere  Keimblatt  in  seinen  Beziehungen  zur  Entwickelung 

der   ersten  Blutgefässe  und  Blutkörperchen    im  Hühnerembryo,    in: 
Sitzungsberichte  der  k.  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Wien  1871. 

123.  Vogt,  Embryologie  des  Salmones,  aus:  Histoire  naturelle  des  poissons 

d'eau  douce  de  l'Europe  centrale  par  L.  Agassiz.  1842. 

124.  v.  Baer,  Studien  aus  dem  Gebiete  der  Naturwissenschaften.  1873. 

125.  M.  Schnitze ,  Das  Protoplasma  der  Rhizopoden  und  der  Pflanzenzellen. 

1863. 

126.  Boll ,   Untersuchungen  über  den  Bau  und  die  Entwickelung  der  Gewebe, 

in  M.  Schultze's  Archiv  für  mikroskopische  Anatomie  Bd.  VIII  1872. 

127.  Haeckel,  Zur  Morphologie  der  Infusorien,  aus  der  Jenaischen  Zeitschrift 

für  Medicin  und  Naturwissenschaft  Bd.  VII.  4.  1873. 

128.  — ,  Die  Kalkschwämme.  1872. 

129.  Agassiz  et  Vogt,  Anatomie  des  Salmones.  1845. 

130.  Meckel,  System  der  vergleichenden  Anatomie.  1821  — 1833. 

131.  Schneider,   Ueber   die  vergleichende  Anatomie   und  Entwickelungsge- 

schichte des  Muskelsystems  der  Wirbelthiere,  Sitzungsbericht  der  Ober- 
hessischen Gesellschaft,  Giessen  1873. 

132.  Gegenbaur,  Untersuchungen  zur  vergleichenden  Anatomie  der  Wirbel- 

thiere.  Zweites  Heft:  1.  Schultergürtel  der  Wirbelthiere.  2.  Brustflosse 
der  Fische.  1865. 

133.  Friedreich  und  Gegenbaur,  Der  Schädel  des  Axolotl,  in  dem  2.  Berichte 

von  der  königlichen  zootomischen  Anstalt  zu  Würzburg  1849. 

GtOETTE.   Entwickelungsgeschichte.  58 


914  Verzeichniss  der  benutzten  Litteratur. 

134.  (regenbaur ,  lieber  die  Kopfnerven  von  Hexanchus  und  ihr  Verhältniss 

zur  Wirbeltheorie  des  Schädels  in:  Jenaische  Zeitschrift  für  Medicin 
und  Naturwissenschaft  Bd.  VI  1871. 

135.  — ,   Untersuchungen   zur   vergleichenden   Anatomie   der  Wirbelthiere. 

Drittes  Heft :  das  Kopfskelet  der  Selachier,  ein  Beitrag  zur  Erkenntniss 
der  Genese  des  Kopfskeletes  der  Wirbelthiere.  1872. 

136.  Dursy,  Zur  Entwickelungsgeschichte  des  Kopfes  des  Menschen  und  der 

höheren  Wirbelthiere.  1869. 

137.  Rathke,  Bemerkungen  über  den  inneren  Bau  des  Querders  (Ammocoetes 

branchialis)  und  des  kleinen  Neunauges  (Petromyzon  Planeri) ,  in  den 
Beiträgen  zur  Geschichte  der  Thierwelt.  (Aus  den  neuesten  Schriften 
der  naturforschenden  Gesellschaft  in  Danzig  II.  Bd.  2.  Heft  1827). 

138.  Langerhans,  Untersuchungen  über  Petromyzon  Planeri.  1873. 

139.  Leydig,   Beiträge  zur  mikroskopischen  Anatomie   und   Entwickelungs- 

geschichte der  Rochen  und  Haie.  1852. 

140.  Hallmann,   Die  vergleichende  Osteologie  des  Schläfenbeins.  1837. 

141.  Hyrtl,  Cryptobranchus  Japonicus.  1865. 

142.  Brücke,   Beiträge   zur  vergleichenden  Anatomie  und  Physiologie  des 

Gefässsystems,  in  den  Denkschriften  der  kais.  Akademie  zu  Wien,  mathe- 
matisch-naturwissenschaftliche Klasse  III  1852. 

143.  J.  3Iüller,  Ueber  die  Existenz  von  vier  getrennten,  regelmässig  pulsiren- 

den  Herzen,  welche  mit  dem  lymphatischen  System  in  Verbindung 
stehen,  bei  einigen  Amphibien,  in  Müller's  Archiv  für  Anatomie,  Physio- 
logie und  wissenschaftliche  Medicin  1834. 

144.  Burow,  De  vasis  sanguiferis  Ranarum.  1834. 

1 45.  Gruby ,  Recherches  anatomiques  sur  le  Systeme  veineux  de  la  Grenouille, 

in  den  Annales  des  sciences  naturelles  2.  Serie.  Zoologie.  T.  XVII.  1842. 

146.  Balfour,    The  Development  of  the  Blood-vessels   of  the   Chick,   in: 

Studies  from  the  Physiological  Laboratory  in  the  University  of 
Cambridge  I  1873. 

147.  v.  Baer,    Untersuchungen  über  die  Entwickelungsgeschichte  der  Fische 

nebst  einem  Anhange  über  die  Schwimmblase.  1835. 

148.  Rathke,   Ueber  die  früheste  Form  und  die  Entwickelung  des  Venen- 

systems und  der  Lungen  beim  Schafe.  —  Ueber  die  Bildung  der  Pfort- 


Verzeichniss  der  benutzten  Litteratur.  915 

ader  und  der  Lebervenen  der  Säugethiere.  In  Meckel's  Archiv  für  Ana- 
tomie und  Physiologie  1830. 

149.  Bischoff,  Entwickelungsgeschichte  des  Hunde-Eies.  1845. 

150.  Roniiti,   Ueber  den  Bau  und  die  Entwickelung  des  Eierstockes  und  des 

WolfFschen  Ganges,  in  M.  Schultze's  Archiv  für  mikroskopische  Ana- 
tomie Bd.  X  1873. 

151.  Kupffer,   Untersuchungen  über  die  Entwickelung  des  Harn-  und  Ge- 

schlechtssystems. I.  die  Entstehung  der  Niere  bei  Schafembryonen ,  in 
M.  Schultze's  Archiv  für  mikroskopische  Anatomie  Bd.  I  1865. 

152.  -,  -      H.  die  Entstehung  der  Niere  beim  Hühnchen  ebend.  Bd.  II  1860. 

153.  (foette,    Beiträge    zur    Entwickelungsgeschichte    des   Darmkanals   im 

Hühnchen.  1867. 

154.  Hering,  Ueber  den  Bau  der  Wirbelthierleber,  in  M.  Schultze's  Archiv  für 

mikroskopische  Anatomie  Bd.  III  1873. 

155.  Schenk ,  Beitrag  zur  Lehre  von  den  Organanlagen  im  motorischen  Keim- 

blatte, in  den  Sitzungsberichten  der  k.  Akademie  der  Wissenschaften  zu 
Wien,  mathematisch-naturw.  Klasse  Bd.  LVII  1868. 

156.  Rosenberg,    Untersuchungen    über   die  Entwickelung   der  Teleostier- 

Niere.  1867. 

157.  Bidder,    Vergleichend -anatomische    und  histologische   Untersuchungen 

über  die    männlichen  Geschlechts-  und  Harnwerkzeuge  der  nackten 
Amphibien.  1846. 

158.  Haeckel,  Anthropogenie.  Keimes-  und  Stammesgeschichte  des  Menschen. 

1874. 

159.  Kowalewsky,  Embryologische  Studien  an  Würmern  und  Arthropoden, 

aus:  Memoires  de  l'Academie  Imperiale  des  sciences  de  St.  Petersbourg 
VII.  Serie  Tom.  XVI  Nr.  12. 

160.  — ,  Beobachtungen  über  die  Entwickelung  der  Goelenteraten,  aus  den 

Berichten  der  Gesellschaft  der  Freunde  der  Naturwissenschaft  u.  s.  w. 
in  Moskau  (russisch)  1873. 

161.  -,  Beobachtungen  über  die  Entwickelung  der  Brachiopoden ,  ebendas. 
1874. 

162.  — ,    Beiträge  zur  Entwickelungsgeschichte  der  Holothurien,    aus  den 

Memoires  de  l'Academie  Imperiale  des  sciences  de  St.  Petersbourg 
VII.  Serie  Tom.  XI  Nr.  6. 

58* 


916  Verzeichniss  der  benutzten  Litteratur. 

163.  Haeckel,  Die  Gastraea-Theorie,   die  phylogenetische  Classification  des 

Thierreichs   und  die  Homologie  der  Keimblätter,    aus  der  Jenaischen 
Zeitschrift  für  Mediän  und  Naturwissenschaft  1874. 

164.  Metsclinikoff,    Zur   Entwickelungsgeschichte    der    Kalkschwämme,    in 

Siebold's   und   Kölliker's    Zeitschrift    für    wissenschaftliche    Zoologie 
Bd.  XXIV  1874. 

1 65.  — ,  Studien  über  die  Entwicklung  der  Medusen  und  Siphonophoren,  ebend. 

166.  — ,  Studien  über  die  Entwicklung  der  Echinodermen  und  Nemertinen, 

aus  den  Memoires  de  l'Academie  Imperiale  des  sciences  de  St.  Peters- 
bourg  VII.  Serie  Tom.  XIV  Nr.  8. 

167.  Kleinenberg,    Hydra.     Eine    anatomisch  -  entwickelungsgeschichtliche 

Untersuchung.  1872. 

168.  ,T.  Müller,  Ueber  die  Larven  und  die  Metamorphose  der  Holothurien  und 

Asterien.  1852. 

169.  — ,  Ueber  den  allgemeinen  Plan  in  der  Entwicklung  der  Echinodermen. 

1853. 

170.  Darwin  ,   Das  Variiren  der  Thiere  und  Pflanzen  im  Zustande  der  Dome- 

stication,  übers,  von  J.  V.  Carus.  1868. 


Alphabetisches  Autoren -Verzeichniss. 


Agassiz  et  Vogt  129. 

Arnold  72. 

Babuchin  53. 

v.  Baer  7.  8.  9.  14.  15.  124.  147. 

Balfour  146. 

v.  Bambecke  63.  71. 

Barkau  57. 

Baumgärtner  12. 

Bergmann  24.  27. 

Blöder  157. 

Bischoff  14(J. 

Boll  126. 

Bruch  50. 

Brücke  142. 

Burow  144. 

Carus  87. 

Cramer  34. 

Darwin  170. 

Dönitz  67. 

Duges  13. 

Dursy  110.  136. 

DüTROCHET  5. 

EbertH  60. 

Ecker  41.  90. 

Fick  104. 

Fischer  82. 

Friedreich  und  Gegenbaur  133. 


-J-. 
Gegenbaur  88. 89. 118.  132. 134.  135. 

Goette64.69.102.  103. 108. 121.  153. 

Golubew  65.  68. 

Gruby  145. 

Haeckel  100. 101.  127. 128. 158. 163. 

Hallmann  140. 

Hensen54.  61.  98. 

Hering  154. 

His  97.  109. 

HüSCHKE  4. 
HUXLEY  113. 

Hyrtl  141. 

Klein  70.  122. 

Kleinenberg  167. 

Kölliker  32.  33.  43.  44.  48.  78.  79. 

Kowalewsky  11 1. 159. 160.  161. 162. 

Kupffer  105.  151.  152. 

Langer  62. 

Langerhans  138. 

Lereboullet  84. 

Leuckart  38. 

Leydig  81.  91.  139. 

Lieberkühn  75.  99. 

Mayer  1 1 6. 

Meckel  130. 

Metschnikoff  164.  165.  166. 

Miklucho-Maclay  1 1 2. 


018 


Alphabetisches  Autoren-Verzeichniss. 


Müller  (J.)  10.  11.  76.  143. 168. 169. 

Müllee  (W.)  74. 

Newport  35. 

Oellacher  73.  106.  107. 

Platner  29. 

Prevost  et  Dumas  2. 

Prevost  et  Lebert  30. 

Rathke  3.  19.  21.  47.  115.  119.  137. 

148. 
Reichert  20.  22.  25.  28.  31.  49.  86. 
Remak  36.  40.  83. 
Romiti  150. 
Rosenberg  156. 
Rusconi  6.  16.  23.  39. 
Schenk  56.  117.  155. 
Schneider  131. 


Schultz  18. 

Schultze  52.  92.  93.  125. 
Schulze  51. 
Schwann  77. 
Spallanzani  1. 
Stannius  80. 
Stieda  95.  96. 
Stricker  45.  46.  55.  120. 
Thomson  42. 
Tiedemann  114. 
Török  58.  59. 
Vogt  26.  123. 
Wagner  17. 
Waldeyer  66. 
Wittich  37.  85. 
Wyman  94. 


Erklärung  der  Abbildungen. 


Alle  Abbildungen,  bei  denen  das  zugehörige  Thier  nicht  genannt  ist,  beziehen  sich  auf  die  Unke. 
Die  Taf.  II,  III  Fig.  39 — 54  sind  nach  gleichem  Massstabe  gezeichnet,  ebenso  Taf.  III  Fig.  55 — G2, 

Taf.  IV— VII,  XIII— XV  Fig.  281,  XVI.  XVII. 


TAFEL,  I. 

Fig.  1.  Querdurchschnitt  einer  jungen  Geschlechtsdrüsenanlage. 
a.  Gekröse,  b.  Stammvenen,  c.  Peritonealepithel,  d.  solide  Anlage  der  Geschlechts- 
drüse, e.  Anlage  des  Follikelepithels,  f.  flüssiger  Inhalt  des  Follikels,  g.  Kerne. 

Fig.  2.  Querdurchschnitt  einer  ähnlichen  Anlage,  die  Follikel- 
bildung  vorgeschritten,  Bezeichnung  wie  in  Fig.  1. 

Fig.  3.  Querdurchschnitt  einer  etwas  älteren  Geschlechtsdrüsen- 
anlage, Bezeichnung  wie  in  Fig.  1. 

Fig.  4  —  8.  Einzelne  Follikel  aus  älteren  Geschlechtsdrüsen- 
anlagen, Verschmelzung  der  primären  Follikel  und  ihrer  Kerne  zu 
Eifollikeln  und  Keimbläschen  g,  Bezeichnung  wie  in  Fig.  1. 

Fig.  9.  Grösserer  Eifollikel  mit  beginnender  Dotterbildung, 
e.  Follikelepithel,  g.  Keimbläschen,  h.  Dotterkörnerhaufen,  i.  Keimflecke,  k.  Binde- 
gewebe. 

Fig.  10.    Schrumpfendes  Keimbläschen  aus  einem  reifenden  Eie. 

Fig.  11.  Meridionaldurchschnitt  durch  ein  ausgewachsenes  Eier- 
stocksei,   a.  Keimbläschen,  b.  die  durch  seine  Schrumpfung  entstandene  Höhle. 

Fig.  12.  Meridionaldurchschnitt  durch  ein  ähnliches  Ei  nach  dem 
Schwunde  jener  Höhle,    a.  Keimbläschen,  c. verstörte  Pigmentschicht. 

Fig.  13.  Ein  ähnlicher  Durchschnitt  nach  der  Auflösung  des  Keim- 
bläschens. 


920  Erklärung  der  Abbildungen. 

Fig.  14.     Meridionaldurehschnitt  eines  eben  befruchteten  Eies. 

a.  Dotterkern. 

Fig.  15.  16.    Die  Bildung  der  ersten  Tbeilungsfurche. 

Fig.  17.     Verschiedene    Lebenskeime,      a.   vor   der    ersten  Theilung, 

b.  nach  der  zweiten  Theilung,  c.  in  kleineren  Dotterstücken,  d.  Lebenskeim  ohne 
und  mit  Kernkeimen,  e.  Hof  desselben,  f.  Dottersubstanz. 

Fig.  18.  Durchschnitteines  sich  theilendenDotterstücks. 
a.  Trennungslinie,  b.  äussere  Einschnürung,  d.  Kernkeimhaufen,  e.  Hof  desselben. 

Fig.  19.  Kernbildung  in  den  Dotterstücken,  d.  Kern  mit  der  An- 
deutung der  verschmolzenen  Kernkeime,  d'.  Kerne  in  der  Theilung,  e.  Hof  des 
früheren  Lebenskeims. 

Tafel  II. 

Fig.  20.  Meridionaldurehschnitt  durch  ein  Ei  vor  der  ersten 
Theilung,  mit  peripherischer  Körnerschicht,  Dotterkern  und  Lebens- 
k  e  i  m. 

Fig.  21 — 23.    Desgl.  während  der  ersten  Theilung. 

Fig.  24.  25.   Desgl.  während  der  ersten  Aequatorialtheilung. 

Fig.  26.  27.    Desgl.  während  der  folgenden  Theilungen.  a.  Keimhöhle. 

Fig.  28.  Desgl.  während  der  Bildung  der  primären  Keimschicht, 
a.  Keimhöhle,  b.  Grenzen  der  primären  Keimschicht, 

Fig.  29.  Mediandurchschnitt  durch  ein  Ei  während  der  Bildung 
der  RuscoNi'schen  Spalte,  a.  RuscoNi'sche  Spalte,  b.  ventraler  Rand  der 
primären  Keimschicht,  c.  Keimhöhle,  d.  d'.  die  zwei  Lagen  der  Keimschicht, 
e.  Dotterzellenmasse  (Nahrungsdotter). 

Fig.  30.  Desgl.  an  einem  älteren  Ei.  a.  b.  dorsaler  und  ventraler 
Rand  der  RuscoNi'schen  Oeffnung,  c.  gehobener  Rand  des  Keimhöhlenbodens, 
d.  d'.  wie  in  Fig.  29,  f.  sekundäre  Keimschicht. 

Fig.  31.  Desgl.  während  der  Anlage  der  Darmhöhlenspalte,  a.  b.  c. 
wie  in  Fig.  30,  d.  Deckschicht,  d'.  Grundschicht  des  oberen  Keimblattes  e,  f.  f. 
mittleres  Keimblatt,  g.  Darmblatt. 

Fig.  32.  Desgl.  während  der  Entwicklung  der  Darmhöhle,  c.  c.  ge- 
hobene Theile  des  Keimhöhlenbodens,  e.  Dotterpfropf. 

Fig.  33.  Desgl.  während  des  Schwundes  der  Keimhöhle,  c.  Keim- 
höhle, d.  Deckschicht  des  oberen  Keimblattes,  d'.  Hirnplatte,  e.  f.  f.  g.  wie  in 
Fig.  31.  32,  o.  Darmhöhle. 

Fig.  34.  Mediandurchschnitt  durch  einen  jungen  Embryo,  d'.  Hirn- 
platte, e.  RuscoNi'sche  Oeffnung,  f.  f.  Mittleres  Keimblatt,  h.  Medianer  Schluss 


Erklärung  der  Abbildungen.  921 

des  Kopfwulstes ,  i.  medianer  Schluss  der  Shmesplatte  (Anlage  des  Hinianhangs), 
n.  Dotterzellenmasse  (Nahrungsdotter),  o.  ventrale  Vordarmbucht ,  p.  ventrale 
Hinterdarmbucht. 

Fig.  35.  Mediandurchsclmitt  durch  einen  Embryo  mit  einsinken- 
dem Rücken,  e.  h.  n.  o.  wie  in  Fig.  34,  k.  vordere  Tasche  der  Hirnplatte, 
1.  Knickung  der  Hirnplatte. 

Fig.  36.  Mediandurchschnitt  eines  Embryo  nach  Schluss  der 
Rückenrinne,  e.  n.  o.  p.  wie  in  Fig.  34.  35,  i.  Anlage  des  Hirnanhangs, 
k.  plattes  Vorderhirn,  in.  Uebergang  des  Rückenmarkskanals  in  den  Hinterdarm. 

Fig.  37.  Dasselbe  von  einem  Embryo  mit  vortretendem 
Schwänzend  e. 

Fig.  38.  Dasselbe  von  einem  Embryo  mit  auswachsendem  Ruder- 
schwanz, a.  Hinterhirn,  b.  Vorderhirn,  c.  Anlage  der  Zirbel,  d.  Rückenmark, 
e.  ventrale  Seitenplatte  des  Hinterkopfs ,  Anlage  des  Perikardialsackes ,  f.  Anlage 
des  Afters,  g.  Afterdarm,  h.  ventrale  Vordarmbucht,  i.  Anlage  des  Hirnanhangs, 
k.  Schwanzdarm,  1.  Grenzeinschnürung  zwischen  Mittel-  und  Hinterhirn,  m.  Ueber- 
gang des  Rückenmarkskanals  in  den  Schwanzdarm,  n.  Membrana  reuniens 
superior. 

Tafel  III. 

Fig.  39.  Ein  ganzes  Ei  vor  der  Bildung  der  Rückenwülste,  von 
hinten  und  oben  gesehen. 

Fig.  40.  Die  gleiche  Ansicht  eines  Eies  mit  Rtickenwülsten. 
a.  Rückenrinne,  b.  Medullarplatten,  c.  Rückenwülste. 

Fig.  41.    Dasselbe  Ei  von  oben  gesehen,  Bezeichnung  wie  in  Fig.  40. 

Fig.  42.  Ein  Embryo  von  oben  gesehen,  a.  b.  c.  wie  in  Fig.  40,  d.  vor- 
gewölbter Uebergang  von  der  Schlundwand  zum  Kieferwulst  (vgl.  Fig.  77 — 80). 

Fig.  43.  Embryo  während  des  Schlusses  der  Rückenfurche,  Be- 
zeichnung wie  in  Fig.  42. 

Fig.  44.  Aehnlicher  etwas  älterer  Embryo,  c.  Vorderhirn,  d.  Kiefer- 
wulst, e.  Zungenbeinbogen,  f.  Hinterhirn,  g.  Uebergang  zum  Rückenmark, 
h.  Vorragung  der  Segmentplatten. 

Fig.  45.  Junger  Embryo  von  vorn  gesehen,  a.  Hirnschluss,  b.  Hirn- 
theil  des  Vorderkopfes,  c.  Kiefertheil  desselben  (Kieferwulst),  d.  Zungenbeinbogen, 
e.  Haftorgan,  f.  Anlage  der  Mundbucht  und  des  Hirnanhangs. 

Fig.  46.  Seitlich  abgeplatteter  und  gekrümmter  Embryo  von  vorn 
gesehen,  b.  Vorderhirn,  c.  Unterkieferwulst,  d.  Zungenbeinbogen,  e.  Vorwölbuug 


922  Erklärung  der  Abbildungen. 

des  Herzraums,  f.  Mundbucht,  g.  Nasengruben,  h.  dazwischen  vortretende  Vorder- 
hirnwölbung (vgl.  Fig.  251),  i.  Oberkieferwulst,  k.  Rücken,  m.  linke  Körperseite. 

Fig.  47.  Embryo  von  vorn  und  unten  gesehen,  b.  c.  d.  f.  g.  i.  wie  in 
Fig.  46,  h.  medialer  Gesichtsfortsatz,  k.  Vorwölbung  des  Auges. 

Fig.  48,  49.  Aeltere  Embryonen  in  derselben  Ansicht,  Bezeichnung 
wie  in  Fig.  47.     e.  Kiemen. 

Fig.  50.  Junger  Embryo  in  der  Seitenansicht,  a.  vordere  Hirnhälfte, 
b.  Hinterhirn,  c.  Rückenmark,  d.  Kiefertheil  des  Vorderkopfes,  e.  Schlundwand. 

Fig.  51.  Seitenansicht  eines  etwas  älteren  Embryo,  a.  Vorwölbung 
des  Auges,  b.  Hinterhirn,  d.  Kiefertheil,  e.  Schlundwand,  f.  zweites  laterales  Kopf- 
segment, g.  Vorragung  der  Segmentplatten,  h.  abgestumpftes  Hinterende. 

Fig.  52.  Noch  älterer  Embryo,  a.  Mittelhirn,  a'.  Auge,  d.  Unterkiefer- 
bogen ,  d'.  Gl.  Gasseki,  e.  Schlundwand,  f.  zweites  laterales  Kopfsegment,  f.  drittes 
und  viertes  Kopfsegment,  g.  Segmente  des  Rumpfes,  h.  Anlage  des  Schwanzes, 
i.  ventrale  Grenze  zwischen  Vordarm  (Leberanlage)  und  Dotterzellenmasse. 

Fig.  53.  Weitere  Entwicklungsstufe,  a.  a'.  d.  d'.  i.  wie  in  Fig.  52. 
b.  Hinterhirn,  e.  Zungenbeinbogen,  e'.  Kiemenbögen,  f.  Gl.  nervi  facialis,  f.  Gl. 
nervi  glosso-pharyngei  et  vagi,  g.  Gehörbläschen,  k.  Haftorgan,  1.  Vorwölbung  des 
Herzraums,  m.  Vorwölbung  der  Urniere. 

Fig.  54.  Noch  ältere  Entwickelungsstufe.  a.  a'.  d.  d'.  e.  e'.  f.  f.  g.  k. 
wie  in  Fig.  53,  i.  Seitennerv,  1.  Nasengrube,  m.  Mundbucht,  n.  Oberkieferwulst, 

Fig.  55.  Querdurchschnitt  durch  die  Rückenseite  des  Eies, 
a.  b.  Deck-  und  Grundschicht  des  oberen  Keimblattes,  d.  Dotterzellenmasse 
(Nahrungsdotter),  e.  Darmblatt,  s.  mittleres  Keimblatt, 

Fig.  56.  Dasselbe  von  einem  etwas  älteren  Eie.  a.  d.  e.  wie  in 
Fig.  55,  b.  Medullarplatte,  s.  s'.  Rücken-  und  Seitentheil  des  mittleren  Keimblattes, 
h.  Rest  der  Keimhöhle. 

Fig.  57.  Desgl.  nach  Erweiterung  der  Darmhöhle,  a.  b.  d.  e.  wie 
in  Fig.  55.  56,  f.  Darmhöhle,  s.  Axenstrang  des  mittleren  Keimblattes,  s'.  Seiten- 
theil desselben. 

Fig.  58.  Desgl.  mit  der  Anlage  der  Wirbelsaite,  a.  b.  d.  e.  f.  wie  in 
Fig.  55.  57,  g.  Anlage  der  Wirbelsaite,  s.  Segmentplatte,  s'.  Seitenplatte. 

Fig.  59 — 62.  Querdurchschnitte  eines  Embryo  von  vorn  nach  hinten 
folgend,  Fig.  59—61  durch  den  Kopftheil,  Fig.  62  durch  den  Rumpf,  a.  Deck- 
schicht, b.  Hirn-,  Medullarplatte,  b'.  Grundschicht  der  Oberhaut,  d.  Dotterzellen- 
masse (Nahrungsdotter),  e.  Darmblatt,  f.  Darmhöhle,  g.  Wirbelsaite,  h.  Sinnes- 
platte ,    i.  Spalte  zwischen  Hirn-  und  Sinnesplatte ,    k.  Einbiegung  der  Hirnplatte 


Erklärung  der  Abbildungen.  923 

zwischen  dem  medialen  und  lateralen  Theil  (Kopfwulst) ,  s.  Segmentplatte, 
s'.  Seitenplatte. 

Tafel  IV. 

Fig.  63 — 67.  Querdurchschnitte  durch  den  Kopftheil,  von  vorn 
nach  hinten  folgend,  Fig.  65  aus  zwei  Schnitten  zusammengesetzt,  einem 
vorderen  links  und  einem  hinteren  rechts,  a'.  Kopfwulst,  b.  Hirnplatte,  g.  noch 
nicht  gesonderter  Axenstrang  (Fig.  65)  und  Wirbelsaite  (Fig.  66.  67),  h.  Sinnes- 
platte, Fig.  63 — 65  links  zur  Augenanlage,  Fig.  65  rechts  und  Fig.  66  zur  Ohran- 
lage gehörig,  Fig.  67  im  Uebergange  in  die  Medullarplatte,  i.  Spalte  zwischen 
Hirn-  und  Sinnesplatte,  r.  Rückenrinne,  s.  Segmentplatte,  s'.  Seitenplatte, 
is.  inneres  Segment,  as.  äusseres,  laterales  Segment. 

Fig.  68.  Querdurchschnitt  durch  den  hinteren  Rumpftheil  eines 
gleich  alten  Embryo,  Bezeichnung  wie  im  Voranstehenden. 

Fig.  69.    Querdurchschnitt  dicht  vor  der  RuscoNi'schen  Oeffnung. 

d.  Dotterzellenmasse  (Nahrungsdotter),  e.  Darmblatt,  f.  Darmhöhle,  g.  Uebergang 
des  Darmblattes  in  die  Deckschicht  des  oberen  Keimblattes,  weiter  oben  noch 
ausserhalb  des  Schnittes  (vgl.  Fig.  35),  v.  s.  wie  vorher. 

Fig.  70.  Querdurchschnitt  durch  die  RuscoNi'sche  Oeffnung  (vgl. 
Fig.  77.  78).  a.  Deckschicht,  b.  Grundschicht  (Medullarplatte)  im  Uebergange  in 
das  mittlere  Keimblatt,   s.  s'.  wie  vorher,   d.  Dotterzellenmasse  (Nahrungsdotter), 

e.  Darmblatt,  durch  die  RuscoNi'sche  Oeffnung  in  die  Deckschicht  a  übergehend. 

Fig.  71 — 74.  Querdurchschnitte  durch  den  Kopftheil  eines  etwas 
älteren  Embryo,  a'.  Kopfwulst,  b.  Hirnplatte,  e.  Darmblatt ,  f.  Darmhöhle, 
g.  Anlage  der  Wirbelsaite,  h.  Sinnesplatte,  Fig.  71  im  Bereiche  der  Augenanlage, 
weiterhin  der  Ohranlage,  i.  Rückenfurche,  r.  Rückenrinne,  s.  s'.  is.  as.  wie  vorher, 
as'".  das  letzte  laterale  Kopfsegment. 

Fig.  75.  Durchschnitt  durch  die  Mitte  des  Rückens,  im  Anschlüsse 
an  Fig.  71 — 74.  a.  Deckschicht  auf  dem  Rückenwulst,  b.  Deckschicht  auf  dem 
medialen  Theil  der  Medullarplatte  b',  mit  dieser  bereits  verschmolzen,  i.  s.  s'.  wie 
vorher. 

Fig.  76 — 80.  Frontaldurchschnitte  (senkrecht  zu  den  Median- 
und  Querdurchschnitten)  eines  Embryo  kurz  vor  der  Schliessung 
d e r  C e r e b r o m e d u  1 1  a r f u r c h e ,  von  obennach  unten  folgend,  b.  Hirn- 
und  Medullarplatte,  d.  Dotterzellenmasse  (Nahrungsdotter),  e.  Darmblatt,  f.  Darm- 
höhle, g.  Wirbelsaite,  h.  Sinnesplatte  (Augenanlage),  i.  Cerebromedullarfurche,  in 
Fig.  77.  78  in  die  Darmhöhle  übergehend,  is.  is';  is".  is'".  die  vier  inneren  Kopf- 


924  Erklärung  der  Abbildungen. 

Segmente,  as.  as'.  as".  as'".  die  vier  lateralen  Kopfsegmente,  is*.  as*.  innere  und 
laterale  Segmentplatten  und  Segmente  des  Rumpfes,  m.  Grenzfurche  der  Oberhaut 
zwischen  den  beiden  ersten  lateralen  Kopfsegmenten,  n.  Anlage  der  ersten 
Schlundfalte,  o.  Anlage  der  Grenzfalte  am  Boden  des  Vorderdarms,  p.  Verbindung 
von  Oberhaut  und  Darmblatt  im  Bereiche  der  medianen  Lücke  des  mittleren 
Keimblattes,  s.  s'.  Segment-  und  Seitenplatte. 


Tafel  V. 

Fig.  81 — 88.  Querdurchschnitte  durch  den  Kopf  eines  Embryo 
vom  gleichen  Alter  wie  in  Fig.  76  —  80.  a.  Deckschicht  der  Oberhaut, 
a'.  Kopfwulst,  b.  Hirnplatte ,  b'.  Grundschicht  der  Oberhaut,  d.  Dotterzellenmasse 
(Nahrungsdotter),  e.  Darmblatt,  f.  Darmhöhle,  g.  Wirbelsaite,  h.  Sinnesplatte, 
i.  Cerebromedullarfurche ,  is.  as.  erstes  inneres  und  laterales  Kopfsegment, 
is*.  as*.  erstes  inneres  und  laterales  Rumpfsegment,  as"'.  viertes  laterales  Kopf- 
segment, s'.  Seitenplatte. 

Fig.  84.  Durchschnitt  durch  die  Mitte  des  Rückens  eines 
gleichen  Embryo,  d.  f.  g.  s'.  wie  in  Fig.  81 — 83,  is*.  as*.  inneres  und 
äusseres  Rumpfsegment. 

Fig.  85 — 87.  Querdurchschnitte  durch  Kopf  und  Rumpf  während 
der  Schliessung  der  Cerebromedullarfurche,  Bezeichnung  wie  in  Fig. 
81-84. 

Fig.  88  —  97.  Querdurchschnitte  eines  Embryo  nach  der 
Schliessung  der  Cerebromedullarfurche,  von  vorn  nach  hinten 
folgend;  Fig.  88—91  Kopf,  Fig.  92—94  Anfang  und  Mitte  des  Rumpfes, 
Fig.  95 — 97  Schwanzende  und  RuscoNi'sche  Oeffnung.  a'.  d.  e.  f.  g.  h.  m.  as.  as'. 
as'".  as*.  is.  is'.  is*.  s'.  wie  vorher,  a.  Mittelhirn,  b.  (Fig.  88—90)  Vorderhirn, 
b.  (Fig.  97)  Medullarplatte ,  zur  Seite  des  Vorderendes  der  RuscoNi'scheu 
Oeffnung  fortgesetzt,  i.  i'.  Hirnhöhle,  o.  Anlage  des  Hirnanhangs,  r.  Rinne  über 
der  Verschmelzung  der  Kopf-Rückenwülste,  hinten  in  die  RuscoNi'sche  Oeffnung 
übergehend. 

Tafel  VI. 

Fig.  98  —  104.  Frontaldurchschnitte  eines  etwas  älteren 
Embryo,  b.  Hirn,  c.  medialer  Rand  der  Seitenplatte  am  Grunde  der  Schlund- 
höhle,  d.  Anlage  des  Haftorgaas,  e.  (Fig.  100 — 102)  erste  Schlundfalte,  e. 
(Fig.  103)  Grenzfalte  am  Boden  der  Schlundhöhle,  e'.  zweite- Schlundfalte,  f.  oberer 


Erklärung  der  Abbildungen.  925 

Theil  des  Yorderdarms,  g.  Wirbelsaite,  i.  Scheidewand  der  beiden  Unterkiefer- 
wülste, 1.  Anlage  der  Mundbucht,  m.  Oberhautfalte  an  der  Grenze  der  beiden 
ersten  Kopfsegmente,  x.  Schlundhöble  mit  der  seitlichen  Ausbucbtung  in  die 
Schlundfalte  o  und  der  vorderen  Ausbuchtung  oder  der  inneren  Mundhöhle 
(irrtbümlicb  ebenso  bezeichnet  wie  das  Parietalblatt  p),  y.  Vordarm,  v.  Visceral- 
blatt,  p.  Parietalblatt,  r.  Einbuchtung  der  Oberhaut  über  der  Hirnuath,  s.  Seiten- 
platte, is — is'".  innere  Kopfsegmente,  as — as"'.  laterale  Kopfsegmente,  is*.  as*. 
innere  und  laterale  Rumpfsegmente. 

Fig.  105  —  107.  Frontaldurchschnitte  eines  noch  älteren 
Embryo,  a.  Vorderhirn  mit  der  seitlichen  Ausbuchtung  der  Augenanlage, 
b.  Anlage  der  Geruchsplatte,  e.  Darmblatt,  x.  Verbindung  des  Vorderhirngewölbes 
mit  der  Oberhaut.    Die  übrigen  Bezeichnungen  wie  in  Fig.  98 — 104. 

Fig.  108 — 118.  Querdurchschnitte  eines  Embryo  mit  hervor- 
sprossendem Schwänze,  i.  Mundbucht,  p.  Parietalblatt,  u.  Urnierenanlage, 
v.  Visceralblatt,  x.  Schlundhöble,  is- — is'".  as — as'".  innere  und  äussere  Kopf- 
segmente, is*.  as*.  innere  und  äussere  Rumpfsegmente,  ias.  laterale  Verbindungs- 
falte der  beiderlei  Segmente.  —  Fig.  108.  109.  Vorderkopf.  a.  Mittelhirn, 
a'.  Basaltheil  des  Vorderhirns,  b.  Augenanlage ,  e.  Vorderende  der  inneren  Mund- 
höhle. —  Fig.  110.  Schnitt  durch  die  erste  Schlundfalte,  b.  Ver- 
bindung derselben  mit  der  Oberhaut,  g.  Wirbelsaite,  d.  Haftorgan.  —  Fig.  111. 
Schnitt  durch  den  Zungenbein  bogen.  1.  Membrana  reuniens  superior, 
h.  Ohranlage,  e.  Darmblatt,  s'.  Seitenplatte  mit  breiter  ventraler  Lücke.  — 
Fig.  112.  Hinterende  des  Kopfes,  s'.  Seitenplatte,  e.  Darmblatt  am  Ueber- 
gange  zum  Vordarm  (vgl.  Fig.  102)  schräg  durchschnitten  und  daher  scheinbar 
verdickt.  —  Fig.  113.  Anfang  des  Rumpfes,  s'.  ungesonderter  ventraler 
Schluss  der  Seitenplatten,  y.  Vordarm. —  Fig.  114.  Urnierengegend.  h.  Mem- 
brana reuniens  superior,.  s.  ungesonderter  ventraler  Schluss  der  Seitenplatten, 
f.  Uebergang  des  Vordarms  in  den  Mitteldarm,  e.  unterer  Blindsack  des  Vordarms. 
—  Fig.  115.  Einige  Schnitte  weiter  rückwärts,  e.  Mitteldarm.  — 
Fn;.  116.  Hintere  Hälfte  des  Rumpfes,  e.  Mitteldarm,  s.  s'.  Segment-  und 
Seitenplatte.  —  Fig.  117.  Durchschnitt  durch  die  RuscoNi'scheOeffnung. 
a.  Rückenmark,  b.  Wirbelsaite,  e.  Hinterdarm,  s.  Segmentplatte.  —  Fig.  118. 
Durchschnitt  durch  die  Schwanzanlage,  a.  Rückenmark  übergehend 
in  den  Schwanzdarm  e,  s.  Segmentplatte. 

Tafel  VII. 

Fig.  119.  120.    Tiefe  Frontaldurchschnitte  des  vorderen  Körper* 
theils.      a.    Haftorgan,    b.    vorderer   Theil    der    Schlundhöhle,    c.   Vordarm, 


y26  Erklärung  der  Abbildungen. 

d.  Dotterzellenmasse  (Nahrungsdotter) ,  f.  über  der  Grenzfalte  zwischen  b  und  c 
gelegene  hintere  Hälfte  der  Schlundhöhle,  i.  mediane  Verbindung  der  Oberhaut 
und  des  Darmblattes ,  p.  Parietalblatt ,  p'.  Perikardialhöhle ,  v.  Visceralblatt, 
s'.  ventrale  Reste  der  Seitenplatte  im  Zungenbeinbogen,  as.  as'.  ventrale  Enden 
der  lateralen  Segmente  des  Unterkiefer-  und  Zungenbeinbogens. 

Fig.  121 — 126.  Frontaldurchschnitte  einer  Larve  aus  dem  An- 
fange der  ersten  Periode,  gb.  Gehörbläschen,  e.  Darmblatt,  sf — sf".  die 
drei  ersten  Schlundfalten,  s".  s'".  Seitenplatte  des  ersten  und  der  folgenden 
Kiemenbögen,  p.  Parietalblatt,  v.  Visceralblatt,  is — is'".  as — as"'.  die  vier  inneren 
und  äusseren  Kopfsegmente,  is*.  as*.  innere  und  äussere  Rumpfsegmente. 
Fig.  121.  In  der  Höhe  der  Gehörbläschen,  a.  Vorderhirn,  b.  Rückenmark, 
g.  innere  Segmentblätter,  m.  Segmentkern  (Rückenmuskulatur).  —  Fig.  122.  In 
der  Höhe  der  Wirbelsaite  w.  a.  Vorderhirn,  b.  Augenblase,  m.  Segment- 
kern (Rückenmuskulatur).  —  Fig.  123.  In  der  Höhe  des  Axenstranges  vom 
Darmblatte  1.  a.  Vorderhirn,  b.  Augenblase,  d.  Haftorgan,  m.  leistenförmige 
Vorsprünge  der  Oberhaut  gegen  die  Schlundfalten ,  m'.  dasselbe  an  der  hinteren 
Kopfgrenze  (Seitennerv?  vgl.  Fig.  251),  n.  Anlage  des  Facialis,  g.  inneres 
Segmentblatt,  s*.  Seitenplatte  des  Rumpfes.  —  Fig.  124.  In  der  Höhe  des 
Mitteldarmkanals,  b.  Uebergang  desselben  in  die  Schlimdhöhle,  f.  innere 
Mundhöhle,  i.  mediane  Scheidewand  des  Kiefertheils,  m.  Verbindung  der  Oberhaut 
mit  der  ersten  Scblundfalte ,  u.  Urnierenanlage.  —  Fig.  125.  Unterhalb  des 
Mittel  dar  mkanals.  b.  Mundhöhle,  c.  Vordarm,  i.  mediane  Scheidewand  des 
Kiefertheils.  —  Fig.  126.  Unterhalb  der  Schlundhöhle.  a.  schräger 
Durchschnitt  des  Haftorgans,  c.  Blindsack  des  Vordarms,  g.  Perikardialhöhle. 

Fig.  127 — 141.  Querdurchschnitte  einer  Larve  von  gleichem 
Alter  wie  in  Fig.  121  — 126.  h.  Membrana  reuniens  superior,  h'.  Membrana 
reuniens  inferior,  i.  mediane  Scheidewand  des  Kiefertheils,  1.  Axenstrang  des 
Darmblattes,  m.  Muskelanlagen,  p.  Parietalblatt,  v.  Visceralblatt,  gb.  Gehör- 
bläschen, is—is*.  as — as*.  wie  in  Fig.  121 — 126.  —  Fig.  127.  Schnitt  durch 
die  Augenanlagen  b.  a.  Vorderhirn.  —  Fig.  128.  Durchschnitt  des 
Unter kief er bogens.  a.  Vorderhirn,  d.  Haftorgan,  e.  Mundhöhle,  n.  Ganglion 
des  Stammsegments  (innere  Portion  des  Gl.  Gassebi).  —  Fig.  129.  Ein 
weiterer  Schnitt  durch  den  Unterkieferbogen  as.  a.  Mittelhirn,  a'.  Basal- 
theil des  Vorderhirns,  e  und  n  wie  vorher.  —  Fig.  130.  Durchschnitt  durch 
die  1.  Schlundfalte  e,  welche  mit  der  Oberhaut  b  verbunden  ist,  oben  der 
zurückgedrängte  obere  Zipfel  des-l.  lateralen  Segments  as  (äussere  Portion  des 
Gl.  Gasseei),  unten  das  vorgerückte  untere  Ende  des  Zungenbeinbogens  as',  durch 
die  Lücke  d  noch  vom  Gegenstücke  getrennt,  w.  Wirbelsaite,  f.  Schlundhöhle.  — 


Erklärung  der  Abbildungen.  927 

Fig.  131.     Im  Bereiche  des  Zungenbeinbogens,  mit  seiner  Muskelanlage 
m  und  Nervenanlage  n  (Ganglion  des  Facialis),    d.  wie  in  Fig.  130.  —  Fig.  132. 
Im   Bereiche  der  2.  Schlundfalte  e.     g.  der  faltenförmige  mediale  Band 
der  Seitenplatte,  durch  die  Lücke  d  noch  vom  Gegenstücke  getrennt.  —  Fig.  133. 
Im  Bereiche  des  1.  Kiemenbogens,  welcher  ausser  der  Seitenplatte  s"  noch 
das  3.  laterale  Kopfsegment  as"  (N.  glossopharyngeus  u.  s.  w.)  enthält,  die  beider- 
seitigen Falten  der  Seitenplatte  sind  in  g  verbunden  und  vom  Darmblatte  e  der 
Schlundhöhle  so  weit   entfernt,    class   dazwischen   die  Anlage   der  Herzhöhle  o 
entsteht,    v'.   das  vom  Darmblatte  abgelöste  Endocardium ,    w.  Wirbelsaite.  — 
Fig.  134.    Im  Bereiche  der  3.  Schlundfalte  e.    f.  Schlundhöhle,  g.  Rand  der 
Seitenplatte  zur  Seite  der  medianen  Lücke ,   o.  Vorderwand  des  Blindsackes  vom 
Vordarme  oder   der  Leberanlage.  —  Fig.  135.     Durchschnitt  durch   den 
Vordarm  f,    mit   dem    schräg  durchschnittenen   und   daher   unnatürlich   breit 
erscheinenden  4.  lateralen  Kopfsegmente  as/",   welches  rückwärts  verschoben  ist 
(vgl.  Fig.  121 — 124).  g.  wie  in  Fig.  134.  —  Fig.  136.     Ein  weiterer  Durch- 
schnitt des  Vordarms,  auf  welchem  keine  Kopfsegmente  mehr  sicht- 
bar sind.   f.  Blindsack  des  Vordarms,  e.  Darmblatt,  b.  Gekrösefalte.  —  Fig.  137. 
Hintere   Grenze   des   Vordarms,     f.  sein  Uebergang   in    den  Mitteldarm, 
f.  der  Grund  seines  Blindsackes,   e.  Darmblatt  in  die  Dotterzellenmasse  d  über- 
gehend, a.  Leiste  der  Oberhaut,  in  welche  die  Rückenflosse  ausläuft,   b.  primäre 
Gekrösefalte  (Urogenitalfalte),  u.  Urniere.  —  Fig.  138.     Mitte  des  Rumpfes, 
x.  Rückenflosse,  b.  wie  in  Fig.  137,  u.  Urnierengang.  —  Fig.  130.     Hinterer 
Rümpft  heil     mit     kontin  uirlichem     Zusammenhange     der     beiden 
Schichten  der  Segmente  und  der  Seitenplatte  und  des  Darmblattes 
mit  seinem  Axenstrange.  —  Fig.  140.    In  der  Gegend  der  geschlosse- 
nen RuscoNi'schen  Oeffnung  f.     a.  Rückenmark,  b.  Wirbelsaite,  e.  Hinter- 
darm ,    is.  as.  die  beiden  oben  genannten   Schichten  des   mittleren  Keimblattes, 
x.  wie  in  Fig.  138.  —  Fig.  141.    Durchschnitt  durch  den  Schwanz,  dicht 
vor  dem  Uebergange    des  Rückenmarks  a  in  den   Schwanzdarm  e.     x.  dorsale, 
f.  ventrale  Schwanzflosse. 

Tafel  VIII. 

Fig.  142 — 144.  Hirn  einer  Larve  gegen  das  Ende  der  ersten 
Larvenperiode.  Fig.  142  von  der  Seite,  Fig.  143  von  oben  und  in  gestrecktem 
Zustande,  Fig.  144  von  unten  gesehen,  a.  Vorderhirn,  b.  Mittelhirn,  c.  Hinter- 
hirn, d.  Grenze  der  beiden  Gewölbehälften  des  Vorderhirns,  e.  Basaltheil  desselben, 
f.  Sehnervenplatte  unter  dem  Mitteltheile  des  Vorderhirns,  g.  Hirnanbang, 
h.  Vordergewölbe  des  Hinterhirns   (kleines   Hirn),    i.   Zirbel,    k.   mediane  Ver- 


928  Erklärung  der  Abbildungen. 

bindungshaut  des  Vorderhirns,   1.  wulstige  ventrale  Verbindung  beider  Gewölbe- 
seiten  des  Vorderhirns. 

Fig.  145 — 147.  Hirn  einer  Larve  aus  der  zweiten  Periode, 
Fig.  145  von  der  Seite,  Fig.  146  von  oben,  Fig.  147  von  unten  gesehen,  a — b.  wie 
in  Fig.  142 — 144,  a'.  hinteres  Gewölbe  des  Vorderhirns ,  a".  vorderes  Gewölbe 
desselben  (Grosshirnhemisphären),  a'".  solide  Fortsätze  der  Grosshirnhemisphären, 
i.  Wurzel  des  Zirbelstiels,  k.  mediane  Spalte  zwischen  beiden  Grosshirnlappen, 
1.  verdickter  Boden  der  ersten  Hirnkammern  als  Fortsetzung  des  queren  Wulstes 
vor  der  Sehnervenplatte  (vgl.  Fig.  144),  m.  Riechnervenhügel  mit  dem  Tractus 
olfactorius,  n.  Gl.  Gasseei  und  seine  Wurzel,  o.  Ganglion  des  N.  facialis  und 
seine  Wurzel,  p.  N.  vagus,  q.  N.  glosso-pharyngeus. 

Fig.  148 — 150.  Hirn  einer  fertig  entwickelten  Unke  in  den  drei 
bezeichneten  Ansichten,  a—  b  wie  in  Fig.  142 — 144,  a'.  a".  a'".  i — m.  wie 
in  Fig.  145 — 147,  c'.  Decke  des  Hinterhirns  mit  ihrem  Gefässnetze,  f'.  Sehnerv, 
m'.  Geruchsnerven,  r.  Hirnlücke  mit  dem  Adergeflechtknoten. 

Fig.  151.  Hasselbe  Hirn  wie  in  Fig.  149,  auseinandergezogen 
und  nach  Entfernung  der  Adergeflechte  und  der  Zirbelwurzel, 
a".  Paarige  Hirnkammern  durch  eine  punktirte  Linie  angedeutet,  b.  Gewölbe- 
höhlen des  Mittelhirns  ebenso  angedeutet,  c.  Rautengrube  des  Hinterhirns,  h.  das 
Vordergewölbe  desselben  (Kleinhirn),  i.  durch  das  Herausreissen  der  Zirbelwurzel 
entstandene  Lücke,  r.  vordere  Hirnlücke. 

Fig.  152.  Die  verdickten  Hirnhauttheile  (a,  b)  zwischen  den 
Grosshirn-  und  Mittelhirngewölben  mit  den  daran  befestigten 
Adergeflechten  r  und  c  (vgl.  Fig.  141J).  i.  Durchtrittsstelle  des  Zirbelstiels 
durch  die  Hirnhäute. 

Fig.  153.  Median  durch  schnitt  der  Mundhöhle  und  Mundbucht 
mit  ihrer  Umgebung  von  einem  Kaninchenembryo,  a.  Durchschnitt 
der  anatomischen  Vorderhirnbasis,  c.  Basis  des  Hinterhirns,  d.  innere  Mundhöhle, 
e.  umgebogener  Theil  der  embryonalen  Hirnbasis,  g.  Oberhaut,  g'.  Tasche  der- 
selben zwischen  Mundhöhle  und  Hirnbasis ,  Anlage  des  Hirnanhangs ,  h.  mittlerer 
Schädelbalken  Rathke's,  i.  Umriss  der  in  der  Medianebene  noch  getrennten 
Unterkieferwülste. 

Fig.  154.  Dasselbe  von  einem  älteren  Kaninchenembryo,  nach 
dem  D u r c h b r u c h  der  inneren  Mundhöhle  in  die  M u n d b u c h t ,  wo- 
durch die  Anlage  des  Hirnanhangs  in  die  Tiefe  der  sekundären 
Mundhöhle  gelangt,  k.  Wirbelsaite  mit  ihrer  Scheide,  die  übrigen  Bezeich- 
nungen wie  in  Fig.  153. 


Erklärung  der  Abbildungen.  929 

Fig.  155.  Querdurchschnitt  des  Rückenmarks  einer  jungen 
Larve  (vgl.  Fig.  241).  a.  Anlage  der  grauen  Masse,  b.  Anlage  der  weissen 
Masse,  c.  Centralkanal  des  Rückenmarks,  d.  inneres  Segmentblatt,  e.  Muskelplatte, 
f.  Gallertkörper  der  Wirbelsaite,  g.  innere  Scheide  derselben. 

Fig.  156.  Frontaldurchschnitt  des  Rückenmarks  einer  älteren 
Larve  der  ersten  Periode  (vgl.  Fig.  314 —  319),  Bezeichnung  wie  in 
Fig.   155. 

Fig.  157.  Die  den  Centralkanal  des  Rückenmarks  begrenzenden 
Zellen,     a.  die  inneren,  b.  die  auswärts  gekehrten  Enden. 

Fig.  158.  Querdurchschnitt  einer  Augenanlage  mit  beginnender 
Linsenbildung,  a.  Deckschicht  der  Oberhaut ;  b.  Grundschicht  derselben, 
b'.  Anlage  der  Linse,  c.  Anlage  der  Netzhaut,  d.  Pigmentepithel,  e.  Kanal  des  Seh- 
nerven, f.  Hirn,  g.  interstitielles  Bildungsgewebe. 

Fig.  159.  Querdurchschnitt  eines  älteren  Auges,  a — e.  wie  in 
Fig.  158,  g.  Anlage  des  Glaskörpers,  i.  Anlagen  der  Stäbchen  und  Zapfen. 

Fig.  160.  Tiefer  Frontaldurchschnitt  des  Auges,  a.  c.  d.  wie 
vorher,     g.  Anlage  des  Glaskörpers  in  der  Augenspalte. 

Fig.  161.  Querdurchschnitt  des  Auges  mit  freier  Linse,  a.  c.  d.  g. 
wie  vorher,  b'.  Linsenkörper,  b".  Linsenepithel,  h.  Linsenhöhle ,  k.  Anlage  der 
Bindehaut  und  Hornhaut. 

Fig.  162.    Aeussere  Netzhautschicht,  Bezeichnung  wie  in  Fig.  159. 

Fig.  163.  Durchschnitt  der  ersten  Verbindung  von  Hirn  (a)  und 
Geruchsplatte  (b).  c.  interstitielles  Bildungsgewebe  mit  Dotterbildungszellen  d. 

Tafel  IX. 

Fig.  164.  Mediandurchschnitt  durch  die  hintere  Schädelbasis 
und  den  Anfang  der  Wirbelsäule  einer  grossen  Larve,  a.  Gallert- 
körper der  Wirbelsaite,  b.  innere  Chordascheide,  c.  Sattelgrube,  d.  knorpelige 
Bauchseite  der  äusseren  Chordascheide  der  Schädelbasis ,  e.  häutige  Dorsalseite 
derselben  Scheide  in  der  Mitte  der  Schädelbasis,  rückwärts  in  eine  dickere 
Knorpelplatte  f  übergehend,  g.  nicht  knorpeliger  Uebergang  dieser  Platte  in  den 
epichordalen  Knorpel  der  1.  Wirbelanlage,  Homologon  eines  Intervertebral- 
wulstes,  h.  h'.  vertebrale  epichordale  Knorpelplatten  der  beiden  ersten  Rumpf- 
wirbel, i.  i'.  Anlagen  der  epichordalen  Intervertebralwülste,  k.  gleichmässig  fort- 
laufende Bauchseite  der  äusseren  Chordascheide. 

Fig.  165.  Mediandurchschnitt  der  gleichen,  aber  weiter  ent- 
wickelten T heile,  Bezeichnung  wie  in  Fig.  164.  m.  ventraler  Deckknochen 
der  Schädelbasis. 

Goette,  Entwickeluugsgeschichte.  59 


930  Erklärung  der  Abbildungen. 

Fig.  166.  Die  gleichen  Theile  nach  der  Larvenmetamorphose, 
Bezeichnung  wie  in  Fig.  165.  166.  a'.  vertebrale  Chordareste  theilweise  ver- 
knorpelnd, e.  Stelle,  wo  die  Wirbelsaite  vor  ihrem  Schwunde  an  der  Oberseite  der 
Schädelbasis  hervortrat. 

Fig.  167 — 170.  Querdurchschnitte  der  hinteren  Schädelbasis. 
a.  Wirbelsaite,  b.  knorpelige  Theile  der  äusseren  Chordascheide,  b'.  häutige 
Theile  derselben,  c.  Seitenplatten  der  Schädelbasis.  —  Fig.  167.  Vorderende 
der  Wirbelsaite,  d.  Ganglion  des  Facialis,  e.  Basis  der  Ohrkapsel.  —  Fig.  168. 
Mitte  der  Schädelbasis,  d.  Kanal  des  Acusticus,  e.  wie  in  Fig.  167.  — 
Fig.  169.  Hintere  Hälfte  der  Schädelbasis,  mit  der  Innenwand  der 
Ohrkapsel  und  i h rer  Basis  (e)  kontinuir lieh  verbunden.  —  Fig.  170. 
Hinterende  der  Schädelbasis,  d.  freie  Vorderseite  des  ersten  Rumpfwirbel  - 
bogens,  e.  Gefässlichtung  in  der  harten  Hirnhaut. 

Fig.  171.  Querdurchschnitt  einer  Rumpfwirbelanlage  desselben 
Embryo,  a.  b.  b'.  e.  wie  in  Fig.  170,  c.  Wirbelbogen,  d.  Rippenfortsatz,  h.  Fort- 
setzung des  Periosts,  zwischen  den  dorsalen  Theilen  der  Wirbelbögen  ausge- 
spannt, i.  Centralkanal  des  Rückenmarks,  k.  Rückenmark,  1.  Dura  mater, 
n.  Pia  mater. 

Fig.  172.  Querdurchschnitt  durch  einen  intervertebrale  n 
Theil  derselben  Wirbelsäule  aus  der  vorderen  Rumpfhälfte. 
a.  Wirbelsaite,  b.  Intervertebralwulst,  b'.  untere  häutige  Theile  der  äusseren 
Chordascheide,  c.  queres  Schlussstück  des  vorangehenden  Wirbelbogens,  e.  Gefäss- 
lichtung, f.  Rückenast  des  Spinalnerven,  g.  Ganglion  desselben,  g'.  hintere  Wurzel 
dess.,  g".  Stamm  dess.,  h.  vordere  Wurzel  dess.,  i.  Centralkanal  des  Rückenmarks, 
k.  hinteres  Hörn  der  grauen  Rückenmarksmasse,  1.  Dura  mater,  n.  Pia  mater, 
r.  N.  sympathicus,  s.  Aortenwurzel,  t.  Speiseröhre. 

Fig.  173 — 176.  Querdurchschnitte  der  hinteren  Schädelbasis 
aus  einer  älteren  Larve  als  in  Fig.  167 — 172.  a.  Wirbelsaite,  a'.  innere 
Chordascheide,  b.  knorpelige  Theile  der  äusseren  Chordascheide,  b'.  häutige 
Theile  derselben,  c.  Seitenplatten  der  Schädelbasis.  —  Fig.  173.  174.  Vordere 
Hälfte  der  hinteren  Schädelbasis,  d.  Ohrkapsel,  e.  Basis  derselben.  — 
Fig.  175.  Hintere  Hälfte  derselben  Schädelbasis.  —  Fig.  176.  Hinter- 
rand derselben,  d.  freie  Vorderseite  des  1.  Rumpfwirbelbogens,  e.  Gefäss- 
lichtung ,  f.  Durchschnitt  des  schräg  aufsteigenden  hinteren  Schädelwirbelbogens, 
g.  Knochenrinde. 

Fig.  177.  Vertebraler  Querdurchschnitt  derselben  Wirbelsäule, 
a.  a'.  b.  b'.  wie  in  Fig.  173 — 176,   c.  Wirbelbogen,  d.  Rippenfortsatz,   e.  Gefäss- 


Erklärung  der  Abbildungen.  931 

lichtung,  g.  Knochenrinde,  h.  häutige  Fortsetzung  derselben,  ausgespannt  zwischen 
den  dorsalen  Theilen  des  Wirbelbogens,  1.  Dura  mater. 

Fig.  178.  Intervertebraler  Durchschnitt  derselben  Wirbel- 
säule, a.  a'.  b'.  wie  vorher,  b.  Intervertebralwulst,  g.  Spinalnervenstamm,  1.  Dura 
mater,  n.  Pia  mater,  r.  N.  sympathicus. 

Fig.  179.  Vertebraler  Querdurchschnitt  derselben  Wirbel- 
säule hinter  dem  9.  Wirbel,  a.  Wirbelsaite,  a'.  innere  Chordascheide, 
b.  epichordaler  Knorpel  der  äusseren  Chordascheide,  b'.  häutige  Seitentheile  der- 
selben, c.  Wirbelbogenbasis ,  c'.  Schlussstück  des  Wirbelbogens,  f.  hypochordaler 
Knorpel. 

Fig.  180.  Querdurchschnitt  der  hinteren  Hälfte  des  Steissbeins 
während  der  Larvenmetamorphose,  a.  atrophische  Wirbelsaite,  b.  ihre 
äussere  Scheide,  übergehend  in  den  Periostalknochen  des  hypochordalen  Knorpel- 
stabs f,  o.  Schwanzaorta,  p.  Mündungsstück  der  Harnleiter,  s.  Kloake. 


Tafel  X. 

Fig.  181.  Aus  einem  Frontaldurchschnitt  des  Kopfes  (Fig.  314). 
a.  Wirbelsaite,  a'.  innere  Chordascheide,  b.  äussere  Chordasciieide  im  Durch- 
schnitt, b'.  äussere  Chordascheide  von  der  Fläche,  c.  erster  Wirbelbogen  des 
Kopfes,  d.  interstitielles  Bildungsgewebe,  e.  verdünnte  Vorderhirnbasis,  f.  graue 
Masse  des  Vorderhirns,  g.  Höhle  des  Basaltheils  desselben,  h.  hinterer  Theil  der 
weissen  Masse  zwischen  dem  Basaltheil  und  dem  Mitteltheil  des  Vorderhirns  (vgl. 
Fig.  314 — 316),  i.  Gefässanlage,  k.  fertiges  Gefäss ,  1.  R.  communicans  posterior 
art.  carotidis,  m.  Ursprung  der  Mm.  recti  des  Auges. 

Fig.  182.  Mediandurchschnitt  der  Chordaanlage  a,  b.  anliegendes 
Darmblatt. 

Fig.  183.  Gleicher  Durchschnitt  einer  älteren  Chordaanlage, 
a.  b.  wie  in  Fig.  182,  a'.  Lakunen  der  Chordazellen,  b'.  Axenstrang  des  Darm- 
blattes. 

Fig.  184.  Noch  ältere  Chordaanlage  mit  den  vergrösserten  und 
vermehrten  Lakunen  a'. 

Fig.  185.  Beinahe  fertige  Wirbelsaite  im  Durchschnitt,  a.  ein 
Fach  des  Gallertkörpers,  b.  Verbindung  dreier  Scheidewände,  c.  protoplasmatische 
Rindenschicht,  nach  aussen  von  der  inneren  Chordasciieide  umschlossen,  d.  äussere 
Chordascheide. 

Fig.  186.    Vollständig  entwickelte  Wirbelsaite,   Bezeichnung  wie 

in  Fig.  185. 

59* 


932  Erklärung  der  Abbildungen. 

Fig.  187.  Anlage  der  äusseren  Chordascheide  a  von  der  Fläche 
gesehen,     b.  Anlage  eines  Spinalnervenstammes. 

Fig.  188.  Wirbelbogenanlage  des  Rumpfes  b  auf  der  äusseren 
Chordascheide  a  aufsitzend,  von  oben  gesehen;  der  Gallertkörper 
scheint  in  netzförmiger  Zeichnung  durch. 

Fig.  189.  Eine  grössere  Wirbelbogenanlage  mit  beginnender 
Knorpelzellenbildung,  Bezeichnung  wie  in  Fig.  188. 

Fig.  190.  Knorpelzellenbildung  in  der  vorderen  Schädelbasis, 
a.  freie ,  vielfach  in  Theilung  begriffene  Kerne ,  b.  neugebildete  Zellen  gleich  nach 
der  Entstellung,  c.  fertige  Knorpelzellen. 

Fig.   191.      Sagittaldurchschnitt    eines    Intervertebralwulstes. 

a.  Wirbelbogenbasis,   b.  Perichondrium,   c.  äussere  Chordascheide,   c'.  Höhe  des 
Intervertebralwulstes. 

Fig.  192.  Querdurchschnitt  des  3.  Wirbels,  a.  Wirbelsaite,  b.  Wirbel- 
körperkern (äussere  Chordascheide) ,  c.  Wirbelbogen ,  mit  der  Basis  c'  und  dem 
oberen  Theil  c",  d.  Querfortsatz,  e.  Anlage  des  Rippengelenks,  f.  Rippe  mit  dem 
knorpelig  bleibenden  Ende  g  und  der  verdickten  Basis  h,  i.  (h.  irrthümlich  zum 
zweiten  Mal  angegeben)  verknöcherte  Fortsetzung  des  Periosts  am  dorsalen  Theile 
des  Wirbelbogens  (vgl.  Fig.  171.  177). 

Fig.  193.  Unteres  Mittelstück  desselben  Durchschnitts  stärker 
vergrösser t.  a.  Wirbelsaite  in  der  Verknorpelung  begriffen,  a'.  innere  Chorda- 
scheide, b.  Knorpel  des  Wirbelkörperkerns  (äussere  Chordascheide),  b'.  b".  ver- 
knöchernde Theile  dieses  Knorpels,  c.  Knorpel  der  Wirbelbogenbasis,  links  mit 
einigen  leeren  Knorpelzellenkapseln,  g.  Periostalknochen,  bei  g'  im  Uebergange 
in  den  Knorpel ,  h.  ventraler  Theil  der  äusseren  Chordascheide ,  seitlich  in  das 
Periost  des  Wirbelbogens  übergehend. 

Fig.  194.  Frontaldurchschnitt  der  Wirbelsäule  einer  Triton- 
larve,  dicht  über  der  Oberseite  eines  Wirbelkörpers,  a.  vertebraler 
Abschnitt    der    knöchernen    äusseren    Chordascheide,     a'.    Intervertebralwulst, 

b.  Wirbelbogenbasis,  c.  Perichondrium  und  Periost. 

Fig.  195.  Ein  tieferer  Frontalschnitt  derselben  Wirbelsäule, 
a.  Durchschnitt  der  vertebralen  Knochenhülse  (äussere  Chordascheide),  über- 
gehend in  den  weichen  Intervertebralwulst  a',  b.  Wirbelbogenbasis,  c.  interstitielles 
Bildungsgewebe,  e.  innere  Chordascheide,  e'.  protoplasmatische  Rindenschicht  der 
Wirbelsaite,  f.  Muskeln,  g.  Gallertkörper  der  Wirbelsaite. 


Erklärung  der  Abbildungen.  933 


Tafel  XI. 

Fig.  196.  Mediandurchschnitt  des  hinteren  Theils  der  Wirbel- 
säule zu  Ende  der  Larvenmetamorphose,  a.  Umriss  des' Rückenmarks- 
endes, b.  b'.  vertebrale  Chordareste  des  8.  und  9.  Wirbels,  b".  Wirbelsaite  des 
künftigen  Steissbeins,  theilweise  verknorpelnd,  c. — e'".  vertebrale  Körpertheile 
des  8. — 11.  Wirbels,  dahinter  noch  die  Anlage  eines  12.  Wirbelkörpers,  d. — d'". 
8. — 11.  Intervertebral wulst,  dahinter  noch  die  Andeutung  eines  zwölften,  e.  hypo- 
chordaler  Knorpelstab,  e'.  Periostalknochen  desselben,  g.  Durchschnitte  des 
8.— 11.  Wirbelbogens ,  h.  häutig-knöcherne  dorsale  Verbindungen  der  Wirbel- 
bögen als  Fortsetzungen  ihres  Periostalknochens ,  h'.  dasselbe  im  Bereiche  des 
rudimentären  12.  Wirbelbogens. 

Fig.  197.  Querdurchschnitt  durch  die  Mitte  des  Rumpfes  einer 
Larve  aus  der  1.  Periode  (vgl.  Taf.  XV).  a.  graue  Masse  des  Rückenmarks, 
b.  weisse  Masse  desselben,  c.  longitudinale  Verbindungen  derselben  mit  der 
äusseren  Cuticula,  d.  Centralkanal  des  Rückenmarks,  dessen  oberer  Theil  bereits 
zusammengefallen  ist,  e.  dorsales  Blutgefäss,  f.  Wirbelbogenanlage,  g.  Muskel- 
platte, h.  Gallertkörper  der  Wirbelsaite,  i.  protoplasmatische  Rindenschicht 
derselben  mit  der  inneren  Chordascheide,  k.  Anlage  der  äusseren  Chordascheide, 
1.  Axenstrang  des  Darmblattes,  m.  Aorta,  n.  Visceralblatt,  n\  Parietalblatt, 
o.  Nierenanlage,  p.  Urnierengang ,  s.  Stammvene,  t.  interstitielles  Bildungsgewebe 
des  Retroperitonealraums,  v.  Darmblatt. 

Fig.  198.  Aehnlicher  Durchschnitt  einer  etwas  älteren  Larve, 
der  obere  Theil  aus  zwei  Durchschnitten,  einem  vertebralen  rechts 
und  einem  intervertebralen  links  zusammengesetzt,  a.  b.  g.  h.  i.  k.  1. 
m.  n.  n'.  o.  p.  s.  v.  wie  in  der  Fig.  197,  e.  Anlage  der  Dura  mater,  e'.  interstitielles 
Bildungsgewebe  zwischen  jener  und  den  Muskeln,  f.  Wirbelbogenanlage,  f.  Spinal- 
ganglion, x.  y.  z.  verschiedene  Lagen  der  Fibrillenmasse  in  den  Muskelfasern. 

Fig.  199.  Sagittaldurehschnitt  eines  Segments  b  mit  noch 
indifferenten  Embryonalzellen,  a.  Darmblatt  vom  Segment  eingedrückt, 
daher  an  den  Segmentgrenzen  a'  in  queren  Kanten  hervortretend. 

Fig.  200.  Aehnlicher  Durchschnitt  nach  der  Streckung  der 
Zellen  des  Segmentkerns. 

Fig.  201.  Stück  aus  dem  Sagittaldurchschnitte  eines  etwas 
älteren  Segments,  b.  Muskelzellen,  c.  Bildungszellen  an  den  Segmentgrenzen 
(Sehnenanlagen). 

Fig.  202.  Muskelzellen,  a.  im  Zusammenhange  des  Segments,  b.  isolirt 
(aus  Durchschnitten  gehärteter  Objekte). 


934  Erklärung  der  Abbildungen. 

Fig.  203.  Seg mentale  Muskelzellen  (Muskelfaseranlage),  a.  aus  einer 
gehärteten  Larve  isolirt,  b.  frisch  isolirte  einkernige  Muskelfaser. 

Fig.  204.  Muskelfasern  des  Schwanzes,  a.  eine  etwas  längere 
Faser  mit  der  Sehnenanlage  a' ,  b.  ganz  kurze  Muskelfasern  mit  ihren  Sehnen- 
anlagen b'. 

Fig.  205.  Querdurchschnitt  von  segmentalen  Muskelfasern 
nach  der  Th eilung  des  Kerns,  a.  Fibrillenmasse,  ungetheilt  oder  mehrfach 
in  longitudinale  Stränge  zerklüftet ,  b.  Sarcolemma ,  c.  Kerne,  zum  Theil  zwischen 
die  Fibrillenstränge  verschoben. 

Fig.  206.  Aus  einem  Segmentstreifen  der  inneren  Segment- 
schicht oder  der  Anlage  des  mittleren  Bauchmuskels,  a.  theilweise 
isolirte  Muskelzellen,  a'.  mehre  zu  einer  Muskelfaseranlage  verschmolzene  Zellen, 
b.  intersegmentale  Sehnenanlagen,  c.  Pigmentzellennetz. 

Fig.  207.  Muskelfaserbildung  im  M.  ileo-lumbaris.  a.  in  der 
Verschmelzung  zu  kontinuirlichen  Zellensträngen  (b)  begriffene  Bildungszellen, 
b'.  kortikale  Fibrillenmasse  der  sich  umbildenden  Muskelfaser. 

Fig.  208.  Stück  eines  Querdurchschnittes  der  Ohrgegend  einer 
sehr  jungen  Larve  (vgl.  Taf.  VII).  a.  Darmblatt  der  Schlundhöhle,  b.  Epithel 
des  Ohrbläschens,  c.  Oberhaut,  d.  kompakte  Seitenplatte  des  ersten  Kiemenbogens, 
e.  erste  Entstehung  des  interstitiellen  Bildungsgewebes. 

Fig.  209.  Interstitielles  Bildungsgewebe  an  der  Aussenfläche 
des  Hirns. 


Tafel  XII. 

Fig.  210.  Mediandurchschnitt  der  Aortenanlage,  sodass  man  die 
konkave  Innenfläche  e i n e r  H ä  1  f t e  übersieht,  a.  medianer  Durchschnitt 
der  netzförmigen  Gefässwand  b. 

Fig.  211.  Intercelluläre  Gefässanlagen  des  interstitiellen 
Bildungsgewebes  (Membrana  reuniens  superior).  a.  Halbvaskularisirte 
Zellenstränge,  a'.  deren  spitze,  scheinbar  freie  Enden,  b.  Fadennetze,  c.  d.  farblose 
und  pigmentirte  Zellen  des  übrigen  Bildungsgewebes. 

Fig.  21 2.  Kapillarbildung  an  der  Hirnbasis,  a.  Art.  basilaris,  b.  mit 
ihr  verbundenes  Kapillarnetz ,  b'.  ein  in  dasselbe  eingedrungenes  Blutkörperchen, 
c.  noch  nicht  vaskularisirtes  Zellennetz. 

Fig.  213.  Das  Schwanzende  einer  Larve  aus  dem  Anfang  der  2. 
Periode  nach  Entfernung  der  Oberhaut,  a.  Wirbelsaite,  b.  Rückenmark, 
c.  Schwanzaorta,   d.  d'.   untere   Schwanzvene,   e.  bogenförmige  Uebergänge  der 


Erklärung  der  Abbildungen.  935 

Aorta  in  die  Venen,  f.  obere  Schwanzvene,  mit  dem  Ast  f  scheinbar  blind  aus- 
laufend, g.  beginnendes  Extravasat,  h.  mit  den  Gefässen  verbundene  Zellennetze, 
i.  die  Gefässe  direkt  verbindende  Zellenstränge,  1.  untere  Lymphgefässstämme, 
1'.  oberer  Lymphgefässstamm,  m.  mit  demselben  verbundene  Zellennetze,  n.  schein- 
bar freie  Enden  der  Lymphgefässe ,  o.  Anlagen  von  bogenförmigen  Seitenbahnen 
derselben,  p.  Anlagen  von  Nervenverzweigungen,  r.  scheinbar  freie  verzweigte 
Zellen  des  interstitiellen  Bildungsgewebes  (Sternzellen). 

Fig.  214.  Anlage  eines  Spinalganglions  auf  einem  Sagit tal- 
durchschnitt gesehen,  a.  Innenseite  der  Muskelplatte,  b.  Spinalganglion 
mit  dem  oberen  Ende  (hintere  Nervenwurzel),  b'.  unteres  Ende  desselben 
(Nervenstamm). 

Fig.  215.  Ganglion  des  Vagus  aus  dem  Anfange  der  2.  Larven- 
periode, a.  das  Ganglion,  b.  zwei  Aeste  desselben,  c.  Ganglienzellen,  d.  freie 
Kerne,  e.  Zwischensubstanz  mit  Nervenfasern  und  Umbildungskugeln. 

Fig.  216.  Stück  aus  dem  N.  nasalis  einer  etwas  älteren  Larve, 
a.  Nervenstamm,  b.  Zweige  desselben,  c.  eingelagerte  Ganglienzellen,  d.  den 
Zellen  angefügte  und  mit  ihnen  theilweise  schon  verschmolzene  Kerne  mit  langen 
Fortsätzen. 

Fig.  217.  Sagittaler  Anschnitt  eines  schräg  gelagerten  Spinal- 
ganglions während  der  Metamorphose,  a.  a'.  grössere  und  kleinere  freie 
Ganglienzellen,  b.  bereits  mit  Fortsätzen  versehene  Ganglienzellen,  c.  markhaltige 
Nervenfaser,  d.  Zwischensubstanz  mit  feinen  Nervenfäden. 

Fig.  218.  Ganglienzellen  desN.  sympathicus  aus  derselben  Zeit, 
a.  Ganglienzelle,  a'.  Fortsätze  einer  solchen,  b.  Verbindungen  des  Zellproto- 
plasmas mit  der  Membran,  c.  Zwischensubstanz. 

Fig.  219.  Endzweige  des  N.  nasalis  aus  der  1.  Larvenperiode, 
aus  einigen  gestreckten  Embryonalzellen  bestehend. 

Fig.  220.  Nervengeflecht  des  Schwanzes  einer  älteren  Larve, 
a.  Nervenstämmchen,  b.  freie  Nervenzweige,  mit  Zellennetzen  verbunden. 

Fig.  221.  Etwas  zerfaserter  Ast  des  N.  maxillaris  superior 
einer  jungen  Larve,  a.  Nervenstamm,  b.  abgelöste  Fasern  mit  eingelagerten 
Kernen,  c.  Nervenscheide. 

Fig.  222.  Einzelne  Nervenfasern  verschiedener  Larven,  a.  mit 
beginnender,  b.  c.  mit  vorgeschrittener  Markbildimg,  b'.  homogene  Fortsetzung 
einer  markhaltigen  Nervenfaser. 


936  Erklärung  der  Abbildungen. 


Tafel  XIII. 

Fig.  223 — 226.  Querdurchschnitte  eines  Larvenkopfs,  im  An- 
schlüsse an  Fig.  127  u.  flg.  —  Fig.  223.  Nasengegend,  vh.  Vorderhirn, 
gp.  Geruchsplatte,  is.  erstes  Stammsegment.  —  Fig.  224.  Augengegend, 
vh.  Vorderhirn,  mh.  Mittelhirn,  a.  Augenblase,  is.  as.  erstes  inneres  und  äusseres 
Segment,  i.  mediane  Scheidewand  des  Kiefertheils ,  1.  Anlage  des  Hirnanhangs, 
m.  Mundbucht.  —  Fig.  225.  Ohrgegend,  hh.  Hinterhirn,  gb.  Ohrbläschen, 
sh.  Schlundhöhle,  e.  Darmblatt,  is.  2.  Stammsegment  des  Kopfes,  m.  Muskel- 
anlage desselben,  w.  Wirbelsaite,  p.  Parietalblatt,  p'.  Perikardialhöhle,  v.  Visceral- 
blatt,  v'.  Endocardium.  —  Fig.  226.  Gegend  des  3.  Kopfsegments  (as). 
e.  m.  p.  p'.  v.  v'.  w.  wie  in  Fig.  225,  1.  Axenstrang  des  Darmblattes,  h.  Herzhöhle. 

Fig.  227 — 245.  Querdurchschnitte  einer  etwas  älteren  Larve  der 
1.  Periode.  —  Fig.  227.  228.  Nasengegend,  vh.  Vorderhirn,  a.  Zirbel, 
gp.  Geruchsplatte,  m.  Mundbucht,  is.  as.  erstes  inneres  und  äusseres  Kopfsegment. 
—  Fig.  220.  Durchschnitt  durch  den  vordersten  Theil  der  Augen- 
blase a.  i.  Scheidewand  des  Kiefertheils,  1.  Anlage  des  Hirnanhangs,  m.  is.  as. 
wie  vorher.  —  Fig.  230.      Augengegend,     a.  Augenblase,   a'.  Linsenanlage, 

e.  innere  Mundhöhle,  1.  is.  as.  wie  vorher,  m.  Muskelanlage  des  Unterkiefers.  — 
Fig.  231.  Durchschnitt  des  ganzen  Unterkieferbogens.  vh.  Vorderhirn, 
mh.  Mittelhirn,   a.  Anlage  der  Netzhaut,   a'  der  Linse,   b".  des  Pigmentepithels, 

f.  innere  Mundhöhle,  h.  Haftorgan,  is.  1.  Stammsegment,  as.  Unterkieferbogen, 
m.  m'.  m".  Anlagen  des  M.  pterygoideus,  M.  temporalis,  M.  submentalis.  — 
Fig.  232.  Durchschnitt  der  1.  Schlundfalte,  h.  vh.  mh.  wie  in  Fig.  231, 
is.  Ganglion  des  N.  nasalis,  as.  Ganglion  der  Kiefernerven,  s'.  vorgerücktes 
ventrales  Bildungsgewebe  (Seitenplatte)  des  Zungenbeinbogens,  sh.  Schlundhöhle, 
b.  1.  Schlundfalte,  t.  hinterster  Zipfel  der  Schilddrüsenanlage.  -  -  Fig.  233.  Zungen- 
beinbogen, hh.  Hinterhirn,  as.  oberes  Ende  der  Kiefernervenanlage,  nl.  Anlage 
des  vorderen  Seitennerven,  w.  Wirbelsaite,  is'.  2.  Stammsegment,  as'.  Zungen- 
beinbogen mit  der  Nervenanlage  n  (N.  facialis)  und  der  Muskelanlage  m,  v.  Vorder- 
ende des  Perikardialsacks.  —  Fig.  234.  1.  Kiemenbogen  kb.  hh.  Hinterhirn, 
gb.  Ohrbläschen,  na.  N.  acusticus,  m.  Muskeln  des  3.  Stammsegments,  as".  .">. 
laterales  Kopfsegment,  p.  Parietalblatt,  p'.  Perikardialhöhle,  v.  Visceralblatt, 
h.  Herzhöhle,  a.  1.  Aortenbogen,  a'.  Umbiegung  desselben  zur  Aortenwurzel,  ab.  A. 
basilaris.  —  Fig.  235.  2.  Kiemenbogen  kb.  as".  oberes  Nervenende  (N.  glosso- 
pbaryngeus)  des  3.  lateralen  Kopfsegments,  as'".  erster  Strang  des  4.  lateralen 
Kopfsegments,  h.  Herzhöhle,  a.  primitive  Aortenwurzel,  e.  Axenstrang  des  Darm- 
blattes. —  Fig.  236.     3.  Kiemenbogen  kb.    rar.  Membrana  reuniens  superior 


Erklärung  der  Abbildungen.  937 

as"y.  zweiter  Strang  des  4.  lateralen  Kopfsegments,   a.  Aortenwurzel,   p.  Parietal- 
blatt,    v.  Visceralblatt  (Venenende  des  Herzschlauchs)  auf  die  Vorderfläche  der 
Leberanlage  übergebend  v'.  —  Fig.  237.    Hintere  Kopf  grenze,    as'".  dorsale 
Enden   der  hinteren  Stränge  des  4.  lateralen  Kopfsegments,    s.  Vorderrand  der 
Segmentschichten,    p.  p'.  v.  wie  in  Fig.  234,    dv.    Dottervene,    1.   Leberanlage, 
av.  primitive  Wirbelarterie.  —  Fig.  238.  239.     Gegend  des  Vordarms  vd. 
1.  Anlage  der  Leber  (Fig.  238)  und  des  primitiven  Leberstiels  (Fig.  239),    mr. 
Membrana  reuniens  superior,  nl.  N.  lateralis ,   is.  Stammsegment  des  Rumpfes  mit 
der   Muskelplatte  m  und  weiter  abwärts   innere    Segmentschicht,    as.   laterales 
Segment  abwärts  in  die   äussere  Segmentschicht  auswachsend,    p  und  v  wie  in 
Fig.  237,  s"  ungesonderter  ventraler  Theil  der  Seitenplatte,  gf.  primitive  Gekröse- 
falte als  Uro-Genitalfalte,  u.  Urnierenanlage,  vj.  V.  jugularis  communis,  de.  Ductus 
Cuvieki,   dv.  Dottervene.  —  Fig.  240.     Uebergang  des  Vordarms  in  den 
Mitteid  arm.  vj.  u.  de.  wie  in  Fig.  239,  gb.  Anlage  der  Gallenblase,  v.  v'.  innere 
Schichten  des  Visceralblattes  (Faserschicht  des  Darms  und  Dottergefässschicht), 
gk.  Anlage  des  Gefässknäuels  der  Urniere.  —  Fig.  241.     Mitte  des  Rumpfes, 
mr.    (statt  m)   obere   Verbindungshaut   (Rückenflosse),    is.   Anlage    des    Spinal- 
ganglions,  is'.  unterer  Theil  des  inneren  Segmentblattes,    m.  Muskelplatte,   as. 
laterales  Segment,  ias.  untere  Verbindungsfalte  der  beiderlei  Segmente,  gf.  Gekröse- 
falte,  u.  Urnierengang,   d.  Dotterzellenmasse,   vd.  Uebergang  des  Mitteldarms  in 
den    Hinterdarm.    —    Fig.  242.    243.      Durchschnitte    des    Afterdarms, 
hd.  Hinterdarm  dicht  vor  der  Theilung  in  den  Schwanzdarm  sd  und  den  Afterdarm 
ad,   s'.  Seitenplatte,   m.  stark  gebogene  Segmente,   sodass  mehre  Durchschnitte 
derselben  in  einen  Körperdurchschnitt  fallen.  —  Fig.  244.  After  ad.  sd.  Schwanz- 
darm, 1.  Axenstrang  des  Darmblattes,  s.  Seitenplatte,  f.  dorsale  Schwanzflosse.  — 
Fig.  245.    Durch  schnitt  des  Schwanzes,  f.  f'.  dorsale  und  ventrale  Schwanz- 
flosse; die  übrigen  Theile,  Rückenmark,  Wirbelsaite,  Axenstrang  des  Darmblattes, 
Schwanzdarm  und   Segmente   sind   aus  den  vorangehenden  Durchschnittsbildern 
erkennbar. 

Tafel  XIV. 

Fig.  246  —  250.  Frontaldurchschnitte  des  Vorderkörpers.  — 
Fig.  246.  In  der  Höhe  des  Rückenmarks,  vh.  Vorderhirn,  a.  Anlage  der 
Zirbel,  hb.  Hinterhirn,  gb.  Gehörbläschen,  is.  as.  Nervenanlagen  des  1.  inneren  und 
äusseren  Kopfsegments,  b.  interstitielles  Bildungsgewebe  des  ersteren,  as'.  as".  as'". 
2. — 1.  laterales  Kopfsegment,  is*.  as*.  innere  und  äussere  Segmente  des  Rumpfes. 
—  Fig.  247.  248.  In  der  Höhe  des  oberen  Theils  der  Schlundhöhle 
sh.     vh.  Vorderhirn   mit  dem  Basaltheil  a  und  Gewölbetheil   b,    c.  Augenblase, 


938  Erklärung  der  Abbildungen. 

c'.  Linsenanlage,  gp.  Geruchsplatte,  1.  Hirnanhang,  is.  1.  Stammsegment,  as — as'". 
laterale  Kopfsegmente,  m.  Muskelanlagen ,  n.  Nervenanlagen  derselben,  s" — s"". 
Seitenplatte  der  Kiemenbögen ,  an  der  hinteren  Kopfgrenze  in  das  Parietal-  und 
Visceralblatt  des  Rumpfes  p.  v.  übergehend,  ias.  hinabwachsende  Segmentschichten, 
u.  Urniere ,  u'.  Urnierengang ,  e.  Darmblatt ,  mh.  Mundhöhle  ,  sf — sf".  die  vier 
ersten  Schlundfalten,  vd.  Vordarm.  —  Fig.  249.  In  der  Höhe  der  Grenz  falte 
des  Schlundhöhlenbodens,  deren  theilweise  Abtragung  die  Herz- 
höhle h  eröffnet,  v.  Visceralblatt  (Herzwand),  p.  Parietalblatt ,  p-.  Perikardial- 
höhle,  s'.  vorderer  Zusammenfluss  jener  beiden  Blätter,  as.  Unterkieferbogen, 
as'.  Zungenbeinbogen,  m.  deren  Muskelanlagen,  mh.  Mundhöhle,  mb.  Mundbucht, 
1.  Leberanlage,  d.  Dotterzellenmasse,  dv.  Dottervene.  —  Fig.  250.  In  der  Höhe 
des  Herz  sc  hl  au  chs  h.  as.  as'.  p.  p'.  v.  1  d.  wie  in  Fig.  249,  s'.  ventrale  Seiten- 
platte des  Zungenbeinbogens,  sd.  Scheidewand  des  Unterkieferbogens ,  rückwärts 
in  Verbindung  mit  der  Schilddrüsenanlage,  e.  Darmblatt,  ec.  Endocardium,  g. 
Grenzeiuschnürung  zwischen  der  Leberanlage  und  der  Dotterzellenmasse. 

Fig.  251 — 253.  Aehnliche  Frontaldurchschnitte  einer  wenig 
älteren  Larve.  —  Fig.  251.  vh.  a.  b.  c.  c'.  gp.  sh.  wie  in  Fig.  247.  248,  is — is*. 
as — as*,  gb.  wie  in  Fig.  246,  nl.  N.  lateralis,  ax.  Axenstrang  des  Darmblattes.  — 
Fig.  252.  sd.  as.  as'.  s'.  p.  p'.  v.  h.  1.  d.  wie  in  Fig.  250,  g.  Haftorgan.  —  Fig.  253. 
g.  g'.  schräger  Durchschnitt  des  Haftorgans  und  der  darunterliegenden  Grund- 
schicht, as.  Bildungsgewebe  des  Zungenbeinbogens,  s'.  äussere  Bildungszellen 
des  Parietalblattes  p,  k.  Falte  desselben  auf  den  Visceralblattüberzug  der  Leber 
vorgeschoben,  dv.  Dottervene,  die  übrigen  Bezeichnungen  wie  in  Fig.  252. 

Fig.  254 — 256.  Frontaldurchschnitte  einer  noch  älteren  Larve. 
—  Fig.  254.  mb.  Mundbucht,  mh.  Mundhöhle,  sh.  Schlundhöhle,  sf— sf"".  die 
fünf  Schlundfalten,  vd.  Vordertheil  des  Vordarms  (Lungendarm)  mit  der  An- 
deutung der  Lungenanlagen,  bd.  Anlage  der  Bauchspeicheldrüse,  d.  Dotterzellen- 
masse, as.  Unterkieferbogen,  as'.  Zungenbeinbogen,  m.  n.  Muskel-  und  Nerven- 
anlagen derselben,  k — k".  die  drei  ersten  Kiemenbögen  mit  den  Gefässen  innerhalb 
der  Seitenplatte  s",  as'".  letzter  Strang  des  4.  lateralen  Kopfsegments,  links 
schwächer  und  noch  unmittelbar  übergehend  in  die  äussere  Segmentschicht  des 
Rumpfes  as*,  is*.  die  innere  Segmentschicht,  u.  Urniere,  p.  Parietalblatt, 
v.  Visceralblatt,  dv.  Dotterdarmgefässanlage.  —  Fig.  255.  sd.  Schilddrüsenanlage, 
as.  tiefste  Muskclanlage  des  Unterkieferbogens,  as'.  dasselbe  vom  Zungenbein- 
bogen (M.  subhyoideus),  s'.  ventrale  Seitenplatte  des  letzteren  (Anlage  der  grossen 
Zungenbeinhörner),  sf.  2.  Schlundfalte,  k.  erste  Aussenkieme,  p.  Parietalblatt, 
v.  Visceralblatt,  h.  Venensack  und  Anfang  des  Vorhofs,  h'.  Herzkammer,  de.  Ductus 
(  Yvieri,  dv.  Dotterdarmgefässe ,  vj.  V.  jugularis  inferior,  1.  primitiver  Leberstiel, 


Erklärung  der  Abbildungen.  939 

e.  Darmblatt,  d.  Dotterzellenmasse.  —  Fig.  256.  g.  Haftorgan,  as.  lockeres 
Bildungsgewebe  des  Unterkiefer-  und  Zungenbeinbogens,  h.  Uebergang  der  Herz- 
kammer in  den  Vorhof,  p.  Perikardialhöhle ,  p.  v.  d.  wie  in  Fig.  255,  1.  Leber- 
anlage, lv.  ihre  peripherischen  Gefässanlagen. 

Fig.  257 — 265.  Querdurchschnitte  des  Vorderkörpers.  —  Fig.  257. 
mh.  Mittelhirn ,  gm.  wm.  graue  und  weisse  Hirnmasse ,  vh.  Basaltheil  des  Vorder- 
hirns, a.  eingestülpte  Augenblase,  a'.  Linse,  a".  Gefäss  am  Eingange  in  den 
Glaskörperraum,  1.  Hirnanhang,  g.  Haftorgan,  is.  Stammsegment  mit  der  Augen- 
muskelanlage, as.  Unterkieferbogen  mit  seinen  Muskeln  m.  m'.  m".  (M.  ptery- 
goideus,  temporalis,  submentalis),  mh.  Mundhöhle.  — .  Fig.  258.  hh.  Hinterhirn, 
ab.  A.  basilaris,  ac.  A.  carotis,  is.  Ganglion  des  N.  nasalis,  as.  Ganglion  der  Kiefer- 
nerven, mh.  Mundhöhle,  sf.  unteres  Ende  der  1.  Schlundfalte,  sd.  Schilddrüsenanlage. 
—  Fig.  259.  ias.  oberes  Ende  des  Gl.  Gasseei,  as'.  Zungenbeinbogen  mit 
seinen  Muskeln  m',  ab.  Gefässbogen  desselben,  ac.  A.  carotis,  sh.  Schlundhöhle.  — 
Fig.  260.  mr.  Membrana  reuniens  superior,  gb.  Ohrbläschen,  na.  N.  acusticus, 
ax.  Axenstrang  des  Darmblattes,  sf".  3.  Schlundfalte,  k.  1.  Kiemenbogen,  s'.  unter 
die  Schlundhöhle  auswachsende  Seitenplatte  desselben,  is*.  am  Perikardialsack 
vorwachsende  innere  Segmentschicht  des  Rumpfes  (Mm.  sterno-,  genio-hyoideus), 
p'.  Perikardialhöhle,  h.  Herz,  ab.  A.  basilaris,  ab'.  1.  Aortenbogen,  ac.  A.  carotis 
dicht  vor  ihrer  Abzweigung,  ab".  2.  Aortenbogen.  —  Fig.  261.  as'".  Nervenanlage 
des  4.  lateralen  Kopfsegments,  ab',  ab".  1.  und  2.  Aortenbogen,  sf".  sf"".  die 
beiden  letzten  Schlundfalten,  vd.  Uebergang  der  Schlundhöhle  in  den  Vordarm, 
p.  Parietalblatt,  v.  Visceralblatt,  p'.  is*.  wie  in  Fig.  260,  sv.  Venensack,  va.  Bauch- 
vene, 1.  Leber.  —  Fig.  262.  as'".  p.  v.  is*.  1.  sv.  wie  in  Fig.  261,  nl.  nl'.  oberer 
und  unterer  Seitennerv,  a.  Aorta,  gf.  Gekrösefalte,  vd.  Vordarm  (Lungendarm), 
vp.  Verbindung  des  Parietal-  und  Visceralblattes,  de.  Ductus  Cuvieki,  lv.  Leber- 
gefässe.  —  Fig.  263  —  265.  as*.  is*.  äusssere  und  innere  Segmentschicht, 
s'.  ventraler  noch  ungesonderter  Theil  der  Seitenplatte,  u.  Urniere,  gk.  deren  Gefäss- 
knäuel,  vj.  V.  jugularis ,  vc.  Stammvene,  dv.  Dottervene,  d.  Dotterzellenmasse, 
bd.  Anlage  der  Bauchspeicheldrüse,  g.  Blutinseln,  ph.  Bauchhöhle,  nl.  a.  v.  p.  vd.  1. 
wie  in  Fig.  262. 

Tafel  XV. 

Fig.  266 — 281.  Querdurchschnitte  des  Vorderkörpers  einer 
älteren  Larve  der  ersten  Periode.  —  Fig.  266.  vh.  Vorderhirn,  a.  Zirbel, 
ng.  Nasengrube,  is.  Stammsegment  (medialer  Gesichtsfortsatz).  —  Fig.  267.  vh.  is. 
ng.  wie  in  Fig.  266,  gm.  wm.  graue  und  weisse  Hirnmasse,  wb.  1.  Wirbelbogen, 
mb.  Mundbucht.  —  Fig.  268.   ng.  wb.  mb.  is.  wie  in  Fig.  267,  as.  äusseres  Segment 


940  Erklärung  der  Abbildungen. 

(lateraler  Gesichtsfortsatz),  nn.  N.  nasalis.  —  Fig.  269.  vh.  mh.  Vorder-,  Mittel- 
hirn, a.  Augenblase,  1.  Linse,  a'.  Augenspalte,  no.  N.  opticus,  is.  Stammsegment, 
as.  Unterkieferbogen  mit  dem  M.  pterygoideus  m  und  M.  temporalis  m',  um,  unterer 
Kiefernerv,  mi.  Bildungsgewebe  des  Unterkiefers,  mh.  Mundhöhle.  Fig.  27<>. 

vh.  mh.  a.  1.  is.  as.  m.  in',  am.  mh.  wie  in  Fig.  269,  ism.  Augenmuskeln,  h.  Hirn- 
anhang, m".  M.  submentalis,  daneben  Ursprung  des  Lippenmuskels,  mi.  Anlage 
des  Unterkieferknorpels.  —  Fig.  271.  isn.  Ganglion  des  N.  nasalis,  asn.  Ganglion 
der  Kiefernerven,  hb.  Anlage  der  hinteren  Schädelbasis,  asc.  Anlage  des  Kiefer- 
suspensoriums, sf.  1.  Schlundfalte,  sd.  Schilddrüsenanläge,  h.  Haftorgan,  v.  V. 
jugularis  inferior,  am.A.  temporo-maxillaris,  ac.  A.  carotis.  —  Fig.  272.  hh.  Hinter- 
hirn, ias.  Wurzel  des  Gl.  Gasseri,  as'n.  Ganglion  des  N.  facialis,  nl.  Seitennerv, 
ac.  A.  carotis,  sh.  Schlundhöhle,  as'.  Zungenbeinbogen,  s'.  Anlage  der  Zungenbein- 
hörner,  m.  M.  depressor  mandibulae,  m'.  M.  depressor  ossis  hyoidei,  m".  M.  sub- 
hyoideus,  m'".  M.  levator  ossis  hyoidei,  is*.  M.  genio-hyoideus,  sd.  Schilddrüse.  — 
Fig.  273.  gb.  Ohrbläschen,  na.  N.  acusticus,  as'.  N.  facialis  und  der  Hinterrand 
des  zugehörigen  Zungenbeinbogens,  welcher  sich  in  den  Kiemendeckel  kd 
fortsetzt,  k.  1.  Kiemenbogen  mit  dem  Kiemenknorpel  kk  und  dem  N.  glosso- 
pharyngeus  as",  s'.  seine  Fortsetzung  unter  die  Schlundhöhle  (Zungenbein), 
km.  unterer  Kiemenmuskel,  vj.  V.  jugularis  externa,  ac.  A.  carotis,  ab'.  1.  Aorten- 
bogen, vj'.  V.  jugularis  inferior,  is*.  M.  genio-hyoideus,  sf.  3.  Schlundfalte,  p'. 
Perikardialhöhle,  h.  Herz.  —  Fig.  274.  vj.  vj'.  is*.  p'.  s'.  wie  in  Fig.  273,  k'.  2. 
Kiemenbogen,  ks.  ks'.  1.  und  2.  Kiemenspalte,  ab".  2.  Aortenbogen,  aw.  Aorten- 
wurzel, av.  primitive  Wirbelarterie,  a.  A.  basilaris,  as'".  Vagusast,  sh.  Schlundhöhle. 
-  Fig.  275.  as'".  dreifach  gespaltener  Vagusstamm,  k- — k'".  2. — 4.  Kiemen- 
bogen, sf"".  letzte  Schlundfalte  (3.  Kiemenspalte),  is*.  M.  sterno-hyoideus,  ab"'. 
;;.  Aortenbogen,  a,  Aorta,  av.  vj.  p'.  wie  in  Fig.  274.  —  Fig.  276.  as'".  Vagus- 
wurzel, nl.  nl'.  oberer  und  unterer  Seitennerv,  der  letztere  mit  dem  Vagusstanime 
dicht  an  der  Abzweigung  des  3.  Astes  (N.  laryngeus  anterior)  verbunden,  ab'". 
Ductus  Botalli,  ap.  A.  pulmonalis,  1.  Kehlkopfanlage,  sv.  Venensack,  vj.  vj'.  is*. 
!>'.  wie  vorher.  —  Fig.  277.  vj.  vj'.  p'.  is*.  id.  wie  vorher,  as*.  äussere  Segment- 
schicht des  Rumpfes  (M.  scapulo-mastoideus),  p.  v.  Parietal-,  Visceralblatt, 
o.  Speiseröhre,  1.  Lungenwurzel,  p".  Bauchhöhle,  h.  Leber,  vh.  Lebervenen,  de. 
Ductus  CuviERi,  va.  Bauchvene.  —  Fig.  278.  nl.  p".  v.  h.  vh.  wie  vorher,  yjc. 
V.  jugularis  communis,  vor  der  Urniere  u'  hinabsteigend  zur  Vereinigung  mit  der 
Stammvene  vc,  c.  V.  cava,  vp.  Pfortader,  g.  Gallenblase,  vd.  Vordarm,  zwischen 
demselben  und  der  Leber  rechts  der  Durchschnitt  der  Anlage  des  sekundären 
Pankreasganges ,  1.  Lungenanlage.  —  Fig.  279.  as*.  is*.  die  beiden  Segment- 
schichten, gk.  Gefässknäuel  der  Urniere,  bd.  sekundäre  Pankreasanlage,  dv.  Dotter- 


Erklärung  der  Abbildungen.  941 

vene,  g.  v.  p.  p".  c.  vc.  wie  vorher.  —  Fig.  280.  Bezeichnungen  wie  vorher.  — 
Fig.  281.  bd.  primäre  Pankreasanlage ,  u.  Urnierengang,  vd.  Vordarm, 
vc.  Stammvene. 

Fig.  282.  Mediandurchschnitt  der  Anlage  des  Hirnanhangs 
(vgl.  Fig.  298).  mb.  Mundbucht,  oh.  Deckschicht  der  Oberhaut,  oh'.  Grundschicht 
derselben,  h.  h'.  Stiel  und  verzweigtes  Ende  des  Hirnanhangs,  d.  Darmblatt. 

Fig.  283.  Mediandurchschnitt  des  Kopfes  einer  Larve  im  Be- 
ginn der  2.  Periode,  a.  Zirbel,  b.  erste  Anlage  des  Adergeflechtknotens, 
c.  mittlerer  Schädelbalken  Rathke's,  d.  Zapfen  an  der  Mundhöhlendecke  (vgl.  Fig. 
329),  e.  Anlage  der  Stammplatte,  g.  mediale  Fläche  des  hervorwachsenden  Gross- 
hirnlappeus,  h.  Hirnanhang,  k.  k'.  Hornlippen,  vh.  mh.  hh.  Vorder-,  Mittel-,  Hinter- 
liirn,  sp.  Sehnerveuplatte,  t.  Basaltheil  des  Vorderhirns,  mh.  Mundhöhle,  z.  Zunge, 
gh.  M.  genio-hyoideus,  w.  Wirbelsaite. 

Fig.  284.  Mediandurchschnitt  des  Hirns  einer  älteren  Larve. 
s.  Dura  mater,  die  übrigen  Bezeichnungen  wie  in  Fig.  283. 

Fig.  285.  Theil  eines  ähnlichen  Mediandurchschnittes  aus  der 
ZeitderMetamorphose.  a.  Zirbelbläschen,  a'.  Wurzeides  Zirbelstiels,  welcher 
die  Schädeldecke  s.  durchbohrt,  b.  Adergeflechtknoten,  g.  Grosshirnlappen. 


Tafel  XVI. 

Fig.  286.  287.  Sagittaldurchschnitte  des  Kopfes  von  aussen 
nach  innen  folgend,  a.  Augenblase,  sh.  Schlundhöhle,  sf.  1.  Schlundfalte, 
e.  Darmblatt,  d.  Dotterzellenmasse,  is.  is'.  1.  und  2.  Stammsegment  des  Kopfes, 
as — as'".  1. — 4.  laterales  Kopfsegment,  s.  Rumpfsegmente,  s'.  Seitenplatte  des 
Rumpfes. 

Fig.  288.  289.  Aehnliche  Durchschnitte  einer  älteren  Larve, 
a.  Augenblase,  vh.  Vorderhirn,  hh.  Hinterhirn.  gp.  Geruchsplatte,  gb.  Gehör- 
bläschen, is.  Grundlage  des  medialen  Gesichtsfortsatzes  vom  1.  Stammsegment, 
ish.  Anlage  des  N.  nasalis,  ism.  Anlage  der  Augenmuskeln,  asn.  Anlage  der  Kiefer- 
nerven, asm.  Anlage  der  Kaumuskeln,  asb.  Bildungsgewebe  des  Unterkieferbogens, 
vor-  und  aufwärts  in  den  lateralen  Gesichtsfortsatz  auswachsend,  sf.  2.  Schlund- 
falte, sh.  sf.  d.  e.  s.  s'.  as'— as'".  wie  in  Fig.  286.  287. 

Fig.  290.  Sagittaldurchschnitt  eines  Larvenkopfes  mit  hinab- 
ge wachs en en  Aussensegmenten.  a.  hh.  gp.  gb.  is.  isn.  asn.  asm.  as' — as'". 
d.  wie  in  Fig.  286—289,  sf.  sf".  sf".  1.— 3.  Schlundfalte,  die  Anlage  der  4.  hat 
das  4.  Aussensegment  gespalten,  s'.  Seitenplatte,  u.  Urniere  (vgl.  Fig.  381), 
m.  Muskelplatten  der  Rumpfsegmente. 


942  Erklärung  der  Abbildungen. 

Fig.  291.  Aehnlicher  Durchschnitt  einer  älteren  Larve,  a.  gp. 
gb.  vh.  is.  isn.  asn.  asm.  asb.  d.  e.  wie  in  Fig.  288.  289,  asc.  Anlage  des  Kiefer- 
suspensoriums (vgl.  Fig.  295),  asn'.  N.  facialis,  as".  N.  glosso-pharyngeus,  as'". 
N.  vagus,  nl.  nl'.  Seitennerven,  s'.  Anlage  des  Zungenbeinhorns,  asm'.  M.  levator 
ossis  hyoidei,  s".  Seitenplatte  des  1.  Kiemenbogens,  sf — sf".  1. — 4.  Schlundfalte, 
as*.  Anlage  des  M.  scapulo-mastoideus  hinter  der  von  der  dunklen  Oberhaut  aus- 
gekleideten Grenzeinschnürung  zwischen  Kopf  und  Rumpf,  u.  Urniere,  p'.  Peri- 
kardialhöhle,  h.  Haftorgan. 

Fig.  292.  Mediandurchschnitt  desselben  Kopfes,  vh.  mh.  hh. 
Vorder-,  Mittel-,  Hinterhirn,  a.  Zirbel,  b.  Basaltbeil  des  Vorderhirns,  k.  Hirnan- 
hang, e.  Darmblatt,  sh.  Schlundhöhle,  mh.  Mundhöhle,  sd.  Schilddrüsenanlage, 
1.  Leberanlage,  w.  Wirbelsaite,  p.  Parietalblatt ,  p'.  Perikardialhöhle,  v.  Visceral- 
blatt,  s.  ventrale  noch  ungesonderte  Seitenplatte,  h.  Herzkammer,  ba.  Bulbus 
arteriosus,  sv.  Venensack. 

Fig.  293.  Medianer  Kopfdurchschnitt  einer  etwas  älteren 
Larve,    o.  Sehnervenplatte,  sonst  dieselben  Bezeichnungen  wie  in  Fig.  292. 

Fig.  294 — 297.  Sagittaldurchschnitte  des  Kopfes  einer  noch 
älteren  Larve,  a.  Auge  mit  der  Augenspalte  a',  ng.  Nasengrube,  gb.  Gehör- 
bläschen, vh.  vh'.  mh.  hh.  Vorder-,  Mittel-,  Hinterhirn,  b.  Basaltheil  des  Vorder- 
hirns, o.  N.  opticus,  is.  medialer  Gesichtsfortsatz  des  Stammsegments,  isn.  Ganglion 
des  N.  nasalis,  asn.  Ganglion  der  Kiefernerven  nm  und  nm',  asm.  Kaumuskeln, 
asc.  Kiefersuspensorium  und  Unterkieferknorpel ,  g.  Flügel  -  Gaumenplatte ,  as'n. 
Ganglion  des  N.  facialis,  in  Fig.  296  rückwärts  sich  an  den  Acusticus  anschmiegend, 
s'.  Zungenbeinhorn,  as'm.M.  subhyoideus,  as".  N.  glosso-pharyngeus,  as'".  N.  vagus, 
nl.  Seitennerven,  sh.  Schlundhöhle,  sf — sf".  1. — 3.  Schlundfalte,  k — k".  1. — 3. 
Kiemenbogen,  u.  Urniere,  h.  Herz,  p'.  Perikardialhöhle.  —  Fig.  294.  vj.  V.  jugu- 
laris  externa,  ab.  Gefässbogen  des  Zungenbeinbogens,  ab'.  1.  Aortenbogen, 
m.  Zungenbeinsenker,  den  Unterkiefersenker  theilweise  verdeckend,  m'.  Zungen- 
beinheber. —  Fig.  295.  ac.  A.  carotis ,  ab.  Zusammenfluss  der  Aortenbögen  zur 
Aortenwurzel.  —  Fig.  296.  m.  Lippenmuskel,  ab"'.  3.  Aortenbogen,  de.  Ductus 
Cuviebi,  va.  Bauchvene.  —  Fig.  297.  ac.  A.  carotis,  wb.  1.  Wirbelbogen,  wb'. 
Wurzel  desselben,  w.  Wirbelsaite. 

Fig.  298.  Mediandurchschnitt  desselben  Kopfes,  vh.  vh'.  vorderes 
und  hinteres  Gewölbe  des  Vorderhirns,  k.  k'.  Stiel  und  drüsiges  Ende  des  Hirn- 
anhangs, asc.  Unterkieferknorpel,  gh.  M.  genio-hyoideus ,  lg.  Lungenwurzel, 
g.  Gallenblase,  c.  Anlage  des  kleinen  Netzes.  Die  übrigen  Bezeichnungen  wie  in 
Fig.  292.  293. 


Erklärung  der  Abbildungen.  943 

Fig.  299  —  303.  Sagittaldurchschnitte  des  Kopfes  von  einer 
Larve  am  Schlüsse  der  1.  Periode,  a.  a'.  ng.  gb.  vh.  vh'.  mh.  hb.  b.  o.  is. 
isu.  asn.  nm.  g.  s'.  as'n.  as".  as'".  nl.  sf — sf".  k — k".  u.  p'.  wie  in  Fig.  294 — 297, 
kd.  Kiemendeckel,  is*.  mittlerer  Bauchmuskel  mit  dem  M.  sterno-hyoideus,  d.  Darm, 
h.  Haftorgan,  asc.  Kiefersuspensorium,  asc'.  Unterkieferknorpel.  —  Fig.  299.  as. 
lateraler  Gesichtsfortsatz,  asm.  Kaumuskeln,  m.  Zungenbeinsenker,  m'.  Zungenbein- 
heber, m".  Unterkiefersenker,  as"m.  as'"m.  obere  Kiemenöffner,  as*.  Anlage  der 
vorderen  Extremität.  —  Fig.  300.  asm.  Kaumuskeln,  m".  M.  submentalis,  m'". 
M.  subhyoideus,  as*.  M.  scapulo-mastoideus,  de.  Ductus  Cuvieri.  —  Fig.  301. 
ism.  Augenmuskeln,  im.  Endzweige  des  N.  nasalis,  asm.  M.  pterygoideus,  asm'.  M. 
temporalis,  f.  Schläfenflügelknorpel ,  as*.  M.  scapulo-mastoideus.  —  Fig.  302. 
ism.  Augenmuskeln,  nn.  N.  nasalis,  asm.  M.  temporalis,  wb.  1.  Wirbelbogen  (Ober- 
kieferknorpel), z.  Zungenbeinbogen,  de.  Ductus  Cuvieri,  vj.  V.  jugularis  inferior, 
va.  Bauchvene.  —  Fig.  303.  wb.  wb'.  1.  Wirbelbogen,  kl.  kl'.  Hornlippen, 
sd.  Schilddrüsenanlage,  gh.  M.  genio-hyoideus,  lg.  Lunge,  h.  Vorhof  des  Herzens, 
h'.  Herzkammer,  sv.  Venensack,  1.  Leber,  m.  Muskelplatten,  mh.  Mundhöhle  nur 
durch  eine  dünne  Scheidewand  von  der  Mundbucht  getrennt. 


Tafel  XVII. 

Fig.  304 — 313.  Frontaldurchschnitte  des  Vorderkörpers.  Fig.  304. 
vh.  Vorderhirn,  b.  Basaltheil  desselben,  ng.  Nasengrube,  a.  Auge  mit  der  Augen- 
spalte a',  ism.  Augenmuskeln,  asn.  Ganglion  der  Kiefernerven,  nl.  Seitennerv, 
as'n.  N.  facialis,  na.  N.  acusticus,  gb.  Ohrbläschen,  as'".  N.  vagus,  m.  Muskelplatte 
des  1.  Rumpfsegments,  w.  Wirbelsaite ,  vj.  V.  jugularis  externa,  vj'.  V.  jugularis 
interna.  —  Fig.  305.  306.  vh.  ng.  vj.  as'".  wie  in  Fig.  304,  o.  Sehnervenplatte, 
h.  Hirnanhang,  is.  Aussentheil  des  medialen  Gesichtsfortsatzes,  wb.  1.  Wirbel- 
bogen, asm.  Kaumuskeln,  asc.  Kiefersuspensorium,  as'n.  Ganglion  des  N.  facialis, 
mit  dem  sich  der  Gaumennerv  bereits  verbunden  hat,  as".  N.  glosso-pharyngeus, 
nl.  Seitennerv,  ax.  Axenstrang  des  Darmblattes,  sh.  Schlundhöhle,  mh.  Mundhöhle, 
sf.  1.  Schlundfalte,  vj'.  Zusammenfluss  der  Jugularvenen ,  aw.  Aortenwurzeln,  vor 
ihrer  Vereinigung  zur  Aorta  a.  durch  eine  quere  Anastomose  verbunden ,  ac.  A. 
carotis,  ab.  Mündung  des  Gefässbogens  vom  Zungenbeinbogen,  am.  A.  temporo- 
maxillaris.  —  Fig.  307.  308.  is.  medialer  Gesichtsfortsatz,  as.  Unterkieferbogen, 
asc.  Kiefersuspensorium  (Fig.  307)  und  Unterkieferknorpel  (Fig.  308),  asm.  Kau- 
muskeln, as'.  Zungenbeinbogen,  as'n.  N.  facialis,  as'm.  und  m  Muskeln  dieses 
Bogens,  k — k".  1. — 3.  Kiemenbogen,  ab' — ab"'.  1. — 3.  Aortenbogen,  as*.  is*.  die 
beiden  Segmentschichten  des  Rumpfes,  sh.  Schlundhöhle,  mh.  Mundhöhle,  mb.Mund- 


944  Erklärung  der  Abbildungen. 

bucht,  sf.  1.  Schlundfalte,  o.  Speiseröhre,  lg.  Kehlkopfanlage  zwischen  den  4. 
rudimentären  Kiemenbögen,  lg'.  Lungenanlagen,  p".  Bauchhöhle,  u.  Urniere  mit 
ihren  Mündungen  u',  gk.  ihr  Gefässknäuel.  —  Fig.  309.  as.  Unterkiefer, 
sd.  Schilddrüse,  s'.  Zungenbeinhörner,  kd.  Kiemendeckel,  k.  1.  Kiemenbögen  mit 
Aussenkiemen,  k'.  2.  Kiemenbögen,  ab'.  1.  Aortenbogen,  h.  Herz,  lg'.  Lungen- 
wurzel, v.  verdicktes  Visceralblatt,  bd.  Pankreasanlage,  u.  Urniere.  —  Fig.  310. 
as.  sd.  u.  wie  in  Fig.  309,  as'm.  M.  subhyoideus,  is*.  innere  Segmentschicht 
(M.  sterno-,  genio-hyoideus),  as*.  äussere  Segmentschicht  des  Rumpfes,  vj.  V.  jugu- 
laris  inferior,  vc.  V.  cardinalis,  h.  Bulbus  arteriosus,  h'.  h".  Vorhof  im  oberen 
Abschnitte  bereits  getheilt,  p'.  Perikardialhöhle,  p".  Bauchhöhle.  —  Fig.  311.  312. 
as'm.  p'.  vj.  wie  in  Fig.  310,  h.  Herzkammer,  h'.  Vorhof  des  Herzens,  sv.  Venen- 
sack, de.  Ductus  Cuvieri,  vd.  Vordarm  (Magen),  1.  Leber,  p".  Bauchhöhle,  zwischen 
den  letztgenannten  Eingeweiden,  welche  durch  die  Anlage  des  kleinen  Netzes 
zusammenhängen,  zum  Netzbeutel  verengt,  bd.  Anlage  der  Bauchspeicheldrüse, 
md.  Mitteidann,  is.  M.  sterno-hyoideus.  —  Fig.  313.  h.  1.  p'.  wie  in  Fig.  312, 
p.  v.  Parietal-  und  Visceralblatt,  im  Umfange  der  Leber  verwaebsend  (c),  1.  primi- 
tiver Leberstiel,  bd.  Anlage  des  sekundären  Pankreasganges,  d.  Dotterzellenmasse, 
va.  Bauchvene. 

Fig.  314 — 319.  Aehnliche  Frontaldurchschnitte  einer  Larve 
am  Schlüsse  der  1.  Periode.  Fig.  314.  315.  is.  Mundbuchtdach,  ng.  Nasen- 
grube, vh.  Gewölbe  und  Mitteltheil  des  Vorderhirns,  b.  sein  Basaltheil,  a.  Auge, 
a'.  Augenspalte,  o.  Sehnerv,  ism.  Augenmuskeln,  wb.  Orbitalwand  des  1.  Wirbel- 
bogens,  wb'.  Wurzel  desselben,  asc.  Schläfenfiügelknorpel,  isn.  Ganglion  des  N. 
nasalis  nn,  asn.  Ganglion  der  Kiefernerven,  as'n.  Ganglion  des  N.  facialis,  na.  N. 
acusticus,  np.  N-  palatinus,  gb.  Gehörbläschen,  as".  N.  glosso-pharyngeus,  as'". 
N.  vagus,  w.  Wirbelsaite,  vj.  V.  jugularis  externa.  — -  Fig.  316.  ng.  as".  as'".  vj. 
wie  in  Fig.  307,  vh.  vh'.  b.  die  drei  Abschnitte  des  Vorderhirns  (3.  Hirnkammer, 
Sehnervenplatte,  Hirntrichter,,  wb.  1.  Wirbelbogen,  g.  Flügel-Gaumenplatte,  asc. 
Quadratbeinknorpel,  pt.  M.  pterygoideus,  t.  M.  temporalis,  m.  Zungenbeinsenker, 
m'.  Unterkiefersenker,  c.  Unterlage  des  Ohrbläschens,  ab.  Gefässbogen  des  Zungen- 
beinbogens,  ac.  A.  carotis.  —  Fig.  317.  ng.  wb.  g.  asc.  pt,  t.  m.  m'.  ab.  ac.  wie  in  Fig.  31<>, 
as".  N.  glosso-pharyngeus,  links  mit  der  Anastomose  zum  Facialis,  as"'.  N.  vagus, 
mb.  mh.  vereinigte  Mundbucht  und  Mundhöhle,  sh.  Schlundhöhle,  sf — sf".  1. — 4. 
Schlundfalte,  ab',  ab".  1.  und  2.  Aortenbogen,  aw.  Aortenwurzeln  mit  querer 
Anastomose,  ax.  Axenstrang  des  Darmblattes,  vj.  V.  jugularis  communis,  u.  Urniere, 
u'.  Mündung  derselben,  p".  Bauchhöhle.  —  Fig.  318.  319.  mb.  mh.  Mundbucht 
und  Mundhöhle,  wb.  Oberkieferknorpel,  Im.  Lippenmuskel,  asc.  Quadratbein, 
asc'.  Unterkieferknorpel,    t.  M.  temporalis,    t'.  M.  retrahens  maxillae  superioris, 


Erklärung  der  Abbildungen.  945 

s'.  Zungenbeinhorn,  m.  Zungenbeinsenker,  m'.  Zungenbeinheber,  m".  Unterkiefer- 
senker, gh.  M.  genio-kyoideus,  sd.  Schilddrüse,  z.  Zunge,  as".  N.  glosso-pharyngeus, 
sf — sf"".  2.-5.  Schlundfalte,  k — k'".  1.— 4.  Kiemenbogen  mit  Knorpeln  und 
Kiemen,  ks.  Kiemensack,  ab',  ab".  1.  und  2.  Aortenbogen,  der  erstere  mit  der 
Lingualis,  de.  Ductus  Cuvieei,  u.  Urniere ,  as*.  Anlage  der  vorderen  Extremität, 
p'.  Perikardialhöhle,  p".  Bauchhöhle,  h'.  h".  linker  und  rechter  Vorhof  des 
Herzens,  sv.  Venensack,  vj.  V.  jugularis  inferior,  lg.  Lungenwurzel,  o.  Speiseröhre. 


Tafel  XVIII. 

Fig.  320  —  322.  Querdurchschnitte  der  Nasengegend  einer 
Larve  aus  der  1.  Periode,  vh.  Vorderhirn,  a.  Zirbel,  ng.  Naseugrube, 
nn.  N.  nasalis,  wb.  1.  Wirbelbogen,  wb'.  Oberkieferknorpel,  as.  lateraler  Gesichts- 
fortsatz, mb.  Mundbucht,  mh.  Mundhöhle. 

Fig.  323.  Quer  durchschnitt  der  Nasengegend  einer  Larve  aus 
der  2.  Periode,  vh.  wb.  wb'.  mh.  wie  in  Fig.  322.  nrg.  Nasenrachengang, 
gl.  Gaumenleiste,"  v.  medianer  Auswuchs  der  Mundhöhlendecke,  hl.  laterales  Ende 
der  oberen  Hornlippe,  hl',  untere  Hornlippe. 

Fig.  324.  Kopfskelet  einer  Larve  aus  der  2.  Periode,  mit 
gestrecktem  Vordertheil  .  wb.  1.  Wirbelbogen;  wb'.  Stammplatte,  wb". 
Zwischenkieferknorpel,  wb'".  Oberkieferknorpel,  sb.  vordere  Schädelbasis,  sb'. 
hintere  Schädelbasis,  gb.  Ohrkapsel,  gf.  Schläfenflügelknorpel ,  q.  Quadratbein- 
knorpel, g.  Flügelgaumenplatte,  a.  Augenhöhlenboden,  b.  Unterkiefergelenk,  c. 
Zungenbeingelenk,  op.  Jochfortsatz. 

Fig.  325.  Larve  der  2.  Periode  nach  Entfernung  der  Haut,  des 
subkutanen  Bindegewebes  mit  der  unscheinbaren  Anlage  des 
äusseren  Bauchmuskels  und  des  Kiemendeckels;  in  Folge  der 
Behandlung  mit  Weingeist  erscheinen  alle  mehr  oder  weniger 
durchsichtigen  Theile  (Linse,  Muskeln,  Nerven  u.  s.  w.)  weiss. 
Bezeichnung  auf  Taf.  XXII.  a.  Auge,  a'.  Grenze  der  Bindehaut,  1.  Linse,  gk.  Ohr- 
kapsel, ng.  Nasenloch,  hl.  Oberlippe,  z.  Zirbelknopf,  k.  k'.  1.  und  2.  Kiemenbogen, 
hd.  Halsdrüse,  h.  Perikardialsack,  is.  I— XII.  Stammsegmente  des  Rumpfes  und 
der  Schwanzwurzel,  is.  I — IX.  Segmente  des  mittleren  Bauchmuskels,  is'".  hinteres 
Ende  desselben,  af.  After,  hex.  hintere  Extremität,  mg.  M.  glutaeus,  vex.  vordere 
Extremität,  isp.  M.  infraspinatus,  Id.  M.  latissimus  dorsi,  sm.  M.  scapulo-mastoideus 
(M.  sterno-cleido-mastoideus) ,  kl.  Athemröhre,  km.  obere  Kiemenöffner,  km', 
unterer  Kiemenöffner ,  m.  M.  depressor  ossis  hyoidei ,  m'.  M.  levator  ossis  hyoidei, 
m".  M.  depressor  mandibulae,  Im.  oberer  Lippenmuskel,   nn.  nn'.  medialer  und 

Gof.tte,   Entwickeluugsgeschichtc.  CO 


946  Erklärung  der  Abbildungen. 

lateraler  Endzweig  des  N.  nasalis,  nm.  oberer  Kiefernerv,  nl.  Seitennerv  des 
Kopfes,  as".  N.  glosso-pharyngeus,  as"'.  erster  Kiemenast  des  Vagus,  nl'.  dorsaler 
Seitennerv  des  Rumpfes,  nl".  ventraler  Seitennerv  desselben,  n.  II — n.  VII.  2.-7. 
Spinalnerv. 

Fig.  326.  Dieselbe  Larve  nach  Entfernung  der  Rücken- 
muskulatur, der  Gliedmassen,  des  Kiemenapparats,  des  Zungen- 
beinsenkers und  der  bindegewebigen  Tbeile  des  Kopfes.  Bezeichnung 
auf  Taf.  XXII.  a.  z.  hl.  Im.  nl.  nl'.  nl".  m'.  m".  h.  kl.  af.  wie  in  Fig.  325,  vh. 
mh.  hh.  Vorder-,  Mittel-,  Hinterhirn,  ng.  ng'.  oberer  und  unterer  Theil  der  seitwärts 
eröffneten  Nasenhöhle,  ng".  vordere  Ausbuchtung  derselben  (jACOBSON'sches 
Organ),  wb".  wb'".  Zwischen-  und  Oberkieferknorpel,  op.  Jochfortsatz  des 
Quadratbeinknorpels,  asc'.  Unterkieferknorpel,  s'.  Zungenbeinhorn ,  mm.  M. 
masseter,  t.  M.  temporalis,  nm.  nm'.  oberer  und  unterer  Kiefernerv  mit  ihrem 
Ganglion  asn,  asn'.  Wurzel  des  N.  facialis  mit  der  Abzweigung  des  Gaumennerven 
und  der  Anastomose  zum  Glosso-pharyngeus,  nf.  ventraler  Seitenzweig  des 
Gesichtsnerven,  asn".  N.  glosso-pharyngeus  (1.  Kiemennerv),  asn'".  Ganglion  des 
Vagus  aussen  an  der  Basis  des  occipitalen  Wirbelbogens,  mit  dem  2.  Kiemennerv 
kn  und  dem  Stamm  kn'  der  übrigen  Zweige  r  (3.  Kiemennerv)  und  In  (N.  laryngeus 
anterior),  1.  Kehlkopf  (Stimmritze),  w.  I — w.  X.  1. — 10.  Wirbelbogen,  I — XL  der 
segmentirte  mittlere  Bauchmuskel,  vorn  bei  der  Ablösung  des  Kiemenapparats  von 
seinem  Vorderende  (M.  genio-hyoideus)  getrennt,  n.  I — n.  X.  1. — 10.  Spinalnerv, 
der  1.  =  N.  hypoglossus,  der  2.  und  3.  mit  dem  Armgeflecht  verbunden. 

Fig.  327.  Skelet  und  Nerven  derselben  Larve,  sh.  vordere  Schädel- 
höhle, wb'.  Stammplatte,  wb".  wb'".  Zwischen-,  Oberkieferknorpel,  gf.  Schläfen- 
flügelknorpel ,  op.  Jochfortsatz  des  Quadratbeinknorpels,  g.  Flügelgaumenplatte, 
asc'.  Unterkieferknorpel,  s'.  Zungenbeinhorn,  sb.  hintere  Schädelbasis,  hwb. 
occipitaler  Wirbelbogen,  w.  Wirbelsaite,  w.  I — w.  XI.  1.  — 11.  Wirbelbogen, 
sc.  cl.  Scapula,  Clavicula,  h.  br.  Ober-,  Unterarm,  iL  p.  Darm-,  Schambein,  f.  Ober- 
schenkel, nn.  N.  nasalis,  no.  N.  oculomotorius,  na.  N.  abducens,  asn.  Ganglion  der 
Kiefernerven,  nl.  Seitennerv  des  Kopfes,  asn".  N.  glosso-pharyngeus,  asn"'. 
Ganglion  des  Vagus  mit  dem  2.  Kiemennerv  kn,  dem  Stamm  des  3.  Kiemennerven 
r  und  des  vorderen  Kehlkopfastes  In,  dem  ventralen  Seitennerven  nl",  p'.  Einge- 
weideast des  Vagus,  s.  N.  sympathicus,  n.  VII— n  X.  7. — 10.  Spinalnerv,  in  etwas 
anderem  Verhalten  als  in  Fig.  326  dargestellt,  indem  der  8.  und  9.  Nerv  voll- 
ständig, der  7.  und  10.  mit  je  einem  Aste  zum  Plexus  ischiadicus  b  verbunden  sind, 
b'.  N.  perinealis. 

Fig.  328.  Untere  Ansicht  des  Vorderkörpers  einer  ähnlichen 
Larve    nach   Entfernung    der    Haut,     die     Unterlippe    vorgezogen. 


Erklärung  der  Abbildungen.  947 

Bezeichnung  auf  Taf.  XXII.  hl.  hl'.  Ober-,  Unterlippe,  Im.  Im',  unterer  und  oberer 
Lippenmuskel,  asc'.  Unterkieferknorpel,  s'.  Zungenbeinhorn,  sm.  M.  submentalis, 
smx.  M.  submaxillaris ,  sh.  M.  subhyoideus,  is".  mittlerer  Bauchmuskel,  is'".  M. 
sterno-hyoideus ,  is*.  M.  genio-hyoideus,  m.  Zungenbeinsenker,  m'.  Zungenbein- 
lieber,  m".  Unterkiefersenker,  h.  Herz  im  geöffneten  Perikardialsack,  k.  k".  1.  und 
2.  Kiemenbogen,  ks.  1.  Kiemenspalte,  ks'.  die  an  der  Bauchseite  zusammen- 
fliessenden  Athemröhren,  kl.  gemeinsame  Oeffnung  derselben,  vex.  vordere 
Extremität,  auf  der  einen  Seite  mit  den  Aussenkiemen  in  den  äusseren  Kiemen- 
sack eingeschlossen,  auf  der  anderen  durch  Entfernung  des  Kiemendeckels  frei 
gelegt,  asn".  N.  glosso-pharyngeus,  km',  unterer  Kiemenmuskel ,  asn'.  ventraler 
Seitenzweig  des  Gesichtsnerven,  nra'.  unterer  Kiefernerv. 

Fig.  329.  Die  Mund-  und  Schlundhöhlendecke  nach  Abtragung 
des  Unterkiefers,  Zungenbein-  und  Kiemenapparats  von  unten 
gesehen;  die  Schleimhaut  und  die  Kaumuskeln  nebst  einigen 
anderen  Theilen  sind  auf  einer  Seite  ebenfalls  entfernt,  auf  der 
anderen  Seite  ist  der  dorsale  Grenzwulst  der  inneren  Kiemen- 
höhlen erhalten,  hl.  Theil  der  Oberlippe  (Innenfläche),  asc'.  Gelenkende  des 
Unterkieferknorpels,  wb'".  Oberkieferknorpel,  m.  Bündel  des  Schläfenmuskels, 
gb.  Gaumenbogen,  ng.  innere  Nasenöffnung,  rückwärts  verdeckt  von  der  Gaumen 
leiste  gl,  wb.  1.  Wirbelbogen  (Seitenrand  der  vorderen  Schädelbasis),  nk.  Ohr- 
kapsel, gf.  Schläfenflügelknorpel ,  c.  Gelenkpfanne  für  das  Zungenbeinhorn, 
op.  Jochfortsatz,  b.  Gelenkpfanne  für  den  Unterkiefer,  w.  Wirbelsaite,  asn'.  N. 
facialis,  np.  Gaumennerv,  as".  N.  glosso-pharyngeus,  as'".  N.  vagus,"nl.  oberer 
Seitennerv  desselben,  n — n".  die  drei  ersten  Spinalnerven,  s.  N.  sympathicus. 

Fig.  330.  Der  Mund-  und  Schlundhöhlenboden  nach  Entfernung 
des  ganzen  Hirn-  und  Gesichtstheils  von  oben  gesehen,  asc'.  Unter- 
kieferknorpel, z.  Zunge,  s'.  Zungenbeinhorn,  in  der  Mitte  durch  die  Schleimhaut 
durchscheinend,  k — k".  1. — 3.  Kiemenbogen,  sf".  sf".  1.  und  2.  Kiemenspalte, 
ks.  Kiemenscheidewand,  ks'.  mediale  Grenzleiste  des  inneren  Kiemenapparats, 
kh.  kh'.  1.  und  2.  innere  Kiemenhöhle,  nach  Abtragung  der  Decke,  lg.  Kehlkopf 
mit  der  Stimmritze,  zwischen  den  hintersten  inneren  Kiemenhöhlen,  lg'.  Lungen, 
p".  Bauchhöhle,  b.  Bauchwand. 

Fig.  331.  Kopf  einer  älteren  Larve,  nach  Entfernung  der  Haut, 
der  Schädeldecke  und  des  Hirns  von  oben  gesehen.  Bezeichnung  auf 
,  Taf.  XXII.  hl.  Im.  wb".  wb'".  op.  asc'.  mm.  t.  nm.  nm'.  asn.  asn".  asn'".  nl'.  wie 
in  Fig.  326,  nk.  nk'.  Nasenknorpel,  g.  Flügelgaumenplatte,  b.  Unterkiefergelenk, 
q.  Quadratbeinknorpel,  gf.  Schläfenflügelknorpel,  pt.  M.  pterygoideus,  isn.  N. 
nasalis,  kf.  Orbitalflügelknorpel,  rechts  abgetragen,  vsh.  hsh.  vordere  und  hintere 

60* 


948  Erklärung  der  Abbildungen. 

Schädelbasis,  f.  Foramen  opticum,  f.  Foramen  caroticum,  st.  Sattelgrube,  gk.  Ohr- 
kapsel, rechts  bis  auf  die  Basis  abgetragen,  hwb.  oecipitaler  Wirbelring,  k.  Kiemen- 
bögen,  km.  obere  Kiemenmuskeln,  w.  II.  w.  III.  2.  und  3.  Wirbelbogen,  mi.  Mm. 
intertransversarii,  isp.  M.  infraspinatus,  Id.  M.  latissimus  dorsi,  mc.  M.  cucullaris. 

Fig.  332.  Frei  präparirtes  Zungenbein-  und  Kiemenskelet 
nach  Entfernung  des  Unterkiefers  von  unten  gesehen,  aus  dem 
Anfange  der  Larvenmetamorphose,  ng.  gb.  gl.  b.  wie  in  Fig.  329. 
k — k"'.  1. — 4.  Kiemenbogenknorpel,  an  der  Bauchseite  durch  den  Zungenbein- 
körper getrennt,  s'.  s".  vordere  und  hintere  Zungenbeinhörner. 

Fig.  333.  Zungenbein  einer  nur  noch  mit  einem  Schwanzstummel 
versehenen  Larve.  sd.  Schilddrüse,  die  übrigen  Bezeichnungen  wie  in 
Fig.  332. 

Fig.  334.  Zungenbein  einer  vollständig  metamorphosirten 
jungen  Unke.     Bezeichnung  wie  in  Fig.  333. 


Tafel  XIX. 

Fig.  335.  Kopf  einer  Larve  aus  dem  Anfange  derMetamorphose 
n  ach  Entfernung  der  Haut  und  des  M.  depressorossishyoidei,  Wein- 
geistprä parat,  a.  Auge,  b.  Vorderwand  der  Augenhöhle,  nn.  lateraler  Ast  des 
N.  nasalis,  nm.  oberer  Kiefernerv,  hl.  Oberlippe,  c.  bandförmige  Anlage  des 
unteren  Jochbogens,  in  den  Oberkieferbogen  übergehend.  Wegen  der  Bezeichnung 
der  übrigen  Theile  siehe  Fig.  336. 

Fig.  336.  Derselbe  Kopf  nach  Entfernung  des  Auges  und 
einiger  oberflächlichen  Bindegewebsschichten  des  Gesichts,  ok. 
Ohrkapsel,  wb.  Orbitalwand,  wb".  Zwischenkieferknorpel,  wb'".  Oberkieferknorpel, 
x.  tiefe  Schichten  des  Oberkieferbogens ,  hl.  Umriss  der  Oberlippe ,  ng.  äussere 
Oeffnung  der  seitlich  eröffneten  Nasenhöhle,  sodass  man  auch  deren  innere 
Oeffnung  sieht,  nk.  Orbitalfortsatz  des  Nasenknorpels,  an  die  leistenförmige  Fort- 
setzung des  Gaumenbeinknorpels  g  oder  die  vordere  Orbitalwand  angefügt,  nk'. 
vorderer  Nasenknorpel,  asc'.  Unterkieferknorpel,  op.  Jochfortsatz  des  Quadrat- 
beins, s'.  Zungenbeinhorn,  k.  1.  Kiemenbogen,  hd.  Halsdrüse,  ab.  1.  Aortenbogen, 
as*.  vordere  Extremität  aus  einer  ärmelförmigen  Hautöffnung  hervorkommend, 
t.  M.  temporalis,  mm.  M.  masseter,  m'.  M.  levator  ossis  hyoidei,  m".  M. 
depressor  mandibulae,  nm'.  N.  maxillaris  inferior,  as'n.  Seitenzweig  des  Facialis, 
as".  N.  glosso-pharyngeus. 

Fig.  337.  Das  Kopfskelet  einer  gleichen  Larve  von  oben  ge- 
sehen.     Die    Nasendachknorpcl    und    der   rechte    Oberkieferbogen 


Erklärung  der  Abbildungen.  949 

sind  entfernt,  ebenso  das  Schädeldach  abgetragen;  die  Schläfen- 
flügelknorpel  sind  mit  den  Ohrkapseln  bereits  verwachsen,  die 
Quadratbeinknorpel  zurückgezogen,  t.  mm.  wb".  wb'".  asc'.  g.  op.  k.  wie 
in  Fig.  336,  nb.  Nasenhöhlenboden,  ns.  Nasenscheidewand,  b.  Unterkiefergelenk, 
hw.  occipitaler  Wirbelring,  s.  Schulterblatt. 

Fig.  338.  Querdurchschnitt  durch  den  Rücken  während  der 
Fnt Wickelung  der  Wirbelsäule.  Theilung  und  Umlage rung  der 
Rückenmuskeln,  w.  Wirbel,  is.  obere  Hälfte  der  Stammuskeln,  is'.  untere 
Hälfte  derselben,  as.  äusserer  Bauchmuskel,  vp.  Bauchfell,  n.  Nieren. 

Fig.  339.  Querdurchschnitt  der  Leibeswand  einer  älteren  Larve 
während  der  Metamorphose,  w.  w'.  seitlicher  und  oberer  Theil  des  Wirbel 
bogens,  w".  Rippenfortsatz,  n.  Nieren,  g.  Gekrösewurzel,  vp.  Bauchfell ,  is.  is'. 
obere  und  untere  Hälfte  der  Stammuskeln ,  is'1.  mittlerer  Bauchmuskel  (M.  rectus 
abdominis),  as.  äusserer  (schiefer)  Bauchmuskel,  as'.  M.  ilco-lumbaris,  as".  Portio 
abdominalis  M.  pectoralis ,  p.  p'.  seitlicher  und  dorsaler  Theil  des  inneren  Bauch- 
muskels (M.  transversus  abdominis). 

Fig.  340.  Querdurchschnitt  der  Leib  es  wand  einer  jungen 
Tritonlarve,  nl.  Organ  der  Seitenlinie.  Die  übrigen  Bezeichnungen  wie  in 
Fig.  339. 

Fig.  341.  Ei neTritonlarve  mit  der  Darstellung  der  verschiedenen 
Muskelschichten  des  Rumpfes,  k.  Kiemen,  nl.  nl'.  nl".  die  drei  Seiten- 
nerven ,  w".  w'".  die  doppelten  Rippenenden ,  Id.  M.  latissimus  dorsi ,  is.  Stamm- 
muskeln. An  den  vier  letzten  segmentalen  Abtbeilungen  ist  der  äussere  Bauch- 
muskel as  entfernt,  wocturch  der  mittlere  Bauchmuskel  is"  zu  Tage  tritt,  durch 
dessen  Abtragung  der  innere  Bauchmuskel  p  mit  den  Spinalnerven  isn  bloss- 
gelegt  wird. 

Fig.  342.  Eine  junge  Unke  am  Schlüsse  der  Metamorphose  nach 
Entfernung  der  Haut;  Weingeistpräparat.  Bezeichnung  auf  Taf.  XXII. 
a.  Auge,  ng.  Nasengegend,  c.  c'.  unterer  und  oberer  bindegewebiger  Jochbogen, 
z.  Zunge ,  asc'.  Unterkiefer ,  m.  M.  depressor  ossis  hyoidei ,  m'.  M.  levator  ossis 
hyoidei,  m".  M.  depressor  mandibulae,  diese  drei  Muskeln  bereits  in  der  Atrophie 
begriffen,  daher  dünn,  durchscheinend,  m*.  M.  masseter,  t.  M.  temporalis,  smx.  M. 
submaxillaris,  sh.  M.  subhyoideus,  ph.  Schlundmuskeln  als  Reste  der  oberen  Kieinen- 
muskeln,  die  Halsdrüse  theilweise  verdeckend,  sm.  M.  scapulo-mastoideus  (M. 
sterno-cleidomastoideus),  oh.  M.  omo-hyoideus,  mc.  M.  cucullaris,  isp.  M.  infraspi- 
natus,  Id.  ld'.  M.  latissimus  dorsi,  d.  M.  deltoideus,  tr.  M.  trieeps  brachii,  sr.  M. 
sterno-radialis,  p.  M.  pectoralis,  is.  VI — VIII.  Abtheilungen  des  M.  rectus  abdominis, 
is.  Stammuskeln  des  Schwanzes,   is'".  M.  sterno-hyoideus,   asm*.  M.  obliquus 


950  Erklärung  der  Abbildungen. 

externus  abdominis,  lässt  die  Spinalnerven  durchscheinen,  iL  Darmbein,  mg.  M. 
glutaeus,  ve.  M.  vastus  externus,  ra.  M.  rectus  femoris  anterior,  ad.  Mm. 
adductores  femoris,  g.  M.  gastrocnemius,  p.  M.  peroneus,  ta.  M.  tibialis  anticus, 
nn.  N.  nasalis,  nm.  nm'.  N.  maxillaris  superior,  inferior,  asn'".  Ganglion  des 
Vagus,  nl'.  nl".  dorsaler  und  ventraler  Seitennerv  desselben. 

Fig.  343.  Dasselbe  Objekt  nach  Abtragung  der  Glied massen 
unddes  äusserenBauchmuskels,  der  Stammuskeln  des  Schwanzes 
und  der  meisten  Weichtheile  des  Kopfes.  Bezeichnung  auf  Taf.  XXII. 
gk.  Ohrkapsel,  fo.  Foramen  ovale,  f.  Foramen  opticum,  g.  Flügelgaumenplatte, 
wb'.  Stammplatte  mit  der  Nasenscheidewand,  wb".  wb.'".  Zwischen-  und  Ober- 
kieferknorpel, nb.  Nasenhöhlenboden,  asc'.  Unterkiefer,  c.  unteres  Jochbogen- 
band ,  op.  Jochfortsatz  des  Quadratbeins,  s'.  Zungenbeinhorn,  sh.  Umriss  der  Mm. 
subhyoideus,  submaxillaris,  br.  Bauchrippe,  is'".  M.  sterno-hyoideus ,  V — VIII.  M. 
rectus  abdominis,  is*.  M.  ischio-coccygeus,  af.  After,  iL  pb.  ois.  Darm-,  Scham- 
und  Sitzbein,  ac.  Gelenkpfanne  für  den  Oberschenkel,  oc.  Steissbein,  w.  atrophische 
Wirbelsaite  des  Schwanzes,  w.  IX.  Rippenfortsatz  des  9.  Wirbels,  p.  innerer  Bauch- 
muskel (M.  transversus  abdominisj,  p'.  M.  ileo-lumbaris  (M.  quadratus  lumborum), 
mi.  mi'.  M.  intertrans  versarius  capitis  superior,  inferior,  asn'.  N.  facialis,  asn".  N. 
glosso-pharyngeus,  asn'".  Ganglion  des  Vagus  mit  den  früheren  Kiemennerven  kn 
und  den  Seiten  nerven  nl'.  nl",  n  I.  N.  hypoglossus,  n  II — n  VII,  2. — 7.  Spinal- 
nerv, n.  X.  10.  Spinalnerv,  dessen  hinterer  Ast  b'  (N.  perinealis)  in  Folge 
successiver  Verschmelzung  des  vorderen  Astes  mit  dem  Plexus  ischiadicus  b 
endlich  aus  dem  letzteren  entspringt  (vgl.  Fig.  327),  n.  XL  N.  coccygeus. 

Fig.  344.  Die  Stammnerven  des  Vorderkopfs  einer  jungen 
Larve  (vgl.  S.  628  Anm.).  isn.  innere  Portion  des  GASSEß'schen  Nervenknotens, 
asn.  äussere  Portion  desselben  (Kiefernerven),  nn.  N.  nasalis,  nn'.  nn".  äusserer 
und  innerer  Endast  desselben,  na.  N.  abducens,  no.  N.  trochlearis,  nt.  Seitennerv 
des  Kopfes,  no'.  N.  oculomotorius,  mr.  mr'.  mr".  oberer,  innerer  und  unterer 
gerader  Augenmuskel,  mo.  mo'.  oberer  und  unterer  schiefer  Augenmuskel. 

Fig.  345.  Anlage  des  ventralen  Seitennerven  (vgl.  Fig.  276). 
oh.  Deckschicht  der  Oberhaut ,  oh'.  Grundschicht  derselben ,  von  welcher  sich  der 
Seitennerv  nl  ablöst. 

Fig.  346.  Wirbelsäule  einer  beinahe  ausgewachsenen  Unke 
(4/5  der  vollen  Länge);  durch  Kupferlösung  sind  die  in  der 
Verknöcherung  begriffenen  inneren  Wirbeltheile  hell  undurch- 
sichtig geworden  und  bezeichnen  daher  den  Verlauf  der 
ursprünglichen  Knorpelanlagen,  wb.  Wirbelbögen  mit  den  acces- 
sorischen  periostalen  Theilen  wb',    w.  Querfortsätze,    w'.  Rippen  und  Rippen- 


Erklärung  der  Abbildungen.  951 

homologa,    s.  Steissbein ,   r.  hinterer  Ausgang  des  Rückenmarkskanals ,  IX— XII. 
9.— 12.  Wirbel,  n10.  n11.  10,  und  11.  Spinalnerv. 

Fig.  347.  Das  in  der  Verknöcherung  begriffene  Schädeldach 
einer  jungen  Unke,  isolirt  und  bei  durchfallendem  Lichte  gesehen, 
sodass  die  unterliegenden,  seitlich  vorragenden  Knorpeltheile  k 
dunkel  durchscheinen,  ihre  vordere  grosse  und  die  hinteren 
paarigen  Lücken  a.  a'.  als  helle  Flecke  erscheinen.  Der  darüber- 
liegende  dünne  Faserknocben  Hess  die  Näthe  des  fertigen  Schädel- 
dachs nicht  erkennen,     b.  die  occipitalen  Verknöcherungen  des  Knorpels. 


Tafel  XX. 

Fig.  348.  Bauchseite  des  Vorderkörpers  nach  Entfernung  der 
Haut  und  auf  einer  Seite  auch  der  oberflächlichen  Muskeln,  von 
einer  Larve  nach  beinahe  beendeter  Metamorphose  (vgl.  Fig.  342). 
a.  Auge,  cl.  Clavicula,  c.  Coracoideum,  br.  Bauchrippe,  sm.  M.  submentalis,  smx. 
M.  submaxillaris ,  sh.  M.  subhyoideus ,  durch  Abtragung  der  linken  Hälften  dieser 
beiden  Muskeln  sind  die  longitudinalen  Zungenbeinmuskeln  (is"'.  is*)  und  das 
linke  Zungenbeinhorn  bloßgelegt,  m.  M.  depressor  ossis  hyoidei,  m".  M.  depressor 
mandibulae,  smt.  M.  scapulo-mastoideus ,  is".  M.  rectus  abdominis,  is'".  M.  sterno- 
hyoideus,  is*.  M.  genio-hyoideus,  oh.  M.  omo-hyoideus,  d.  M.  deltoideus,  sr.  M. 
sterno-radialis ,  p.  p'.  p".  M.  pectoralis,  asn.  N.  maxillaris  inferior,  as'n.  Ende  des 
Facialisstammes,  as"n.  N.  glosso-pharyngeus,  is*n.  N.  bypoglossus. 

Fig.  349.  Das  Schultergürtelskelet  und  seine  Verbindung  mit 
der  Bauchrippe  während  der  Larvenmetamorphose,  in  querer 
Richtung  eben  ausgespannt,  sc.  Schulterblatt  mit  dem  ganz  knöchernen 
medialen  Stücke  a,  dem  von  Faserknochen  überzogenen  b  und  dem  rein 
knorpeligen  Theile  c,  g.  Gelenkgrube  für  den  Oberarmknochen,  cl.  Clavicula, 
c.  Coracoideum,  c'.  Sternalplatte,  ep.  episternales  Ende  derselben,  h.  Bandmasse 
zwischen  den  Sternalplatten  und  der  Bauchrippe,  b/.  Knorpelscheiben  in  dieser 
Bandmasse,  br.  Bauchrippe,  is".  M.  rectus  abdominis. 

Fig.  350.  Die  Bandmasse  mit  einer  Knorpelscheibe  vergrössert 
dargestellt,     h.  h'.  wie  in  Fig.  349: 

Fig.  351.  Die  Sternalplatten  und  ihre  Verbindung  mit  der 
Bauchrippe  auf  einer  weiteren  Entwickelungsstufe ,  Bezeichnung  wie  in 
Fig.  349. 

Fig.  352 — 355.  Die  Umbildung  des  Darms  zu  Ende  der  1.  Larven- 
periode, dargestellt   an   Larven,   denen    die    ventrale  Leibeswand 


952  Erklärung  der  Abbildungen. 

ausgeschnitten  ist.  ng.  äussere  Nasenöffnung,  m.  Mund,  h.  Haftorgan, 
k.  Aussenkiemen ,  1.  Leber,  g.  Gallenblase,  vd.  Vordarm,  bd.  linke  Hälfte  der 
primären  Pankrcasanlagc ,  md.  Mitteldarm  mit  der  Dotterzellenmasse ,  bh.  Hinter- 
darm, a.  After. 

Fig.  356.  Folgende  Entwiekelungsstufe  mit  beginnender  Auf- 
windung der  Mitteldarmschlinge,  nach  Entfernung  der  gesammten 
Haut,  aber  mit  Erhaltung  des  mittleren  Bauchmuskels,  hl.  hl'.  Horn- 
lippen,  k.  Kiemenapparat,  h.  Herz  im  geöffneten  Perikardialsacke ,  m.  m'.  M. 
depressor ,  M.  levator  ossis  hyoidei ,  is".  mittlerer  Bauchmuskel ,  fortgesetzt  durch 
die  Mm.  sterno-,  genio-hyoideus  is'",  deren  Kontinuität  nach  Durchschneidung  des 
M.  subhyoideus  kenntlich  wird. 

Fig.  357.  Larve  mit.  einmal  gewundenem  Mitteldarm,  nach 
Eröffnung  der  Bauchhöhle,  k.  Athemröhre  der  Kiemen,  vd.  bd.  md.  wie  in 
Fig.  352. 

Fig.  358.  Aehnliche  Larve  mit  etwas  anderer  Lagerung  der 
Baucheingeweide.  Das  kleine  Netz  ist  fortgelassen  und  dadurch 
der  Netzbeutelraum  völlig  offen  dargestellt.  1.  Leber,  g.  Gallen- 
blase, bd.  linke  Hälfte  der  Pankreasanlage,  lg.  Lunge,  o.  Speiseröhre. 

Fig.  359 — 362.  Querdurchschnitte  des  vorderen  Rumpfes  einer 
Larve  vom  Alter  der  in  Fig.  352.  353  dargestellten.  —  Fig.  359.  lg.  Lunge, 
u.  Urniere,  p".  Bauchhöhle,  zwischen  Leber  (1)  und  Vordarm  (vd)  als  Theil  des 
Netzbeutels,  worunter  ein  Stück  des  kleinen  Netzes  zu  sehen  ist;  der  Aus- 
führungsgang der  Leber  1  hängt  abwärts  mit  der  Anlage  der  Gallenblase  g, 
nach  links  mit  der  Anlage  des  sekundären  Pankreasganges  zusammen;  dv. 
Dottervenen ,  c.  Anlage  des  absteigenden  Stückes  der  Hohlvene.  —  Fig.  360. 
u.  Urniere,  gk.  ihr  Gefässknäuel,  p".  Netzbeutel,  c.  Anlage  der  absteigenden 
Hohlvene,  1.  Leber,  bd.  sekundäre  rechtsseitige  Paukreasanlage ,  vd.  Vordarm 
(Magendarm),  g.  Gallenblase.  —  Fig.  361.  u.  gk.  p".  c.  wie  in  Fig.  360, 
lg.  Lunge,  vd.  Vordarm  im  Uebergange  in  den  Mitteldarm  md,  cl.  Dotter- 
zellenmasse, bd.  primäre  Pankreasanlage.  — ■  Fig.  362.  u.  Urnierengang ,  yc. 
Stammvene,  vv.  Wirbelvenenast  derselben,  dv.  Dottervenen,  p".  Bauchhöhle,  d.  bd. 
md.  c.  wie  in  Fig.  361. 

Fig.  363.  Larve  aus  dem  Anfange  der  2.  Periode,  nach 
Entfernung  der  Haut,  der  Bauchwand,  der  meisten  Baucheinge- 
weide, des  Zungenbein-  und  Kiemenapparats  einer  Seite  mit  Erhal- 
tung der  Ge fasse.  Die  Arterien  sind  roth,  die  Venen  blau  bezeichnet, 
ab' — ah'".  1. — 3.  Aortenbogen  (Pulmonalis  mit  Ductus  Botalli),  ab"".  2.  Pulmo- 
nalast,  al.  A.  lingualis,   ac.  A.  carotis,   aw.  Aortenwurzel,    am.  A.  mesenterica, 


Erklärung  der  Abbildungen.  953 

a.  Aorta,  de.  Ductus  Cuvieri  ,  vj.  V.  jugularis  communis ,  vj'.  V.  jugularis  inferior, 
vc.  Stammvene ,  entspringt  aus  der  unteren  Kaudalvene  vc"' ,  welche  sich  an  der 
Schwanzdarmwurzel  in  zwei  Stämme  theilt  vc" ,  welche  darauf  eng  aneinanderge- 
schlossen  (vc')  zwischen  den  Nieren  das  Blut  dieser  Organe  und  der  Wirheivenen 
sammeln  und  dann  die  Urnieren  u  durchströmen ,  c.  das  absteigende  Vorderstück 
der  Hohlvene,  aus  der  rechten  Stammvene  entspringend,  as'.  Anlage  der  Vorder- 
extremität. 

> 

Tafel  XXI. 

Fig.  364.  Subepidermoidales  Bildungsgewebe  des  Kopfes  aus 
der  ersten  Larvenperiode  im  Durchschnitt,  ob.  Oberhaut  noch  aus  zwei 
gesonderten  Schichten  bestehend ,  g.  Blutgefäss ,  d.  embryonale  Blut-  oder  Dotter- 
bildungszellen. 

Fig.  365.  Derselbe  Theil  aus  dem  Anfange  der  2.  Larvenperiode 
im  Durchschnitt,  oh.  Oberhaut  zu  einer  einzigen  Zellenschicht  verschmolzen, 
lr.  Lymphräume ,  b.  Balken  und  Scheidewände  derselben ,  p.  Pigmentzellen  des 
subepidermoidalen  Pigmentzellennetzes,  p'.  zu  einer  kontinuirlichen  Membran 
verschmelzende  Pigmentzellen. 

Fig.  366.  Durchlöcherte  Bindegewebsmembran  aus  der  Gegend 
eines  Zwischenwirbellochs  von  einer  älteren  Larve. 

Fig.  367.    Bindegewebsstränge  des  Kopfes  einer  jüngeren  Larve. 

Fig.  368.  Bindege webs platten  im  queren  Durchschnitt  aus 
der  Mundhöhlendecke  einer  in  der  Metamorphose  begriffenen 
Larve.-  a.  quere  Verbindungsplatte  mit  der  ganzen  Fläche  in  den  Schnitt 
fallend ,  b.  Durchschnitte  der  parallelen  Platten  und  ihrer  Kerne ,  d.  Lymphzellen 
in  den  Zwischenräumen. 

Fig.  369 — 371.  Querdurchschnittte  einer  etwas  älteren  Larve 
als  die  in  Fig.  359— 362  dargestellte.  —  Fig.  369.  hh.  Hinterhirn,  gb. 
Gehörbläschen,  sh.  Schlundhöhle,  sf.  die  vom  Darmblatt  abgelöste  1.  Schlundfalte, 
sf.  2.  Schlundfalte,  s'.  Anlage  des  Zungenbeinkörpers,  p'.  Perikardialhöhle, 
h.  Herz,  vj.  V.  jugularis  externa,  vj'.  V.  jugularis  inferior,  ac.  A.  carotis.  — 
Fig.  370.     sh.  sf'.  vj.  ac.  p'.  s'.  wie  in  Fig.  369,    sf".  1.  innere  Kiemenhöhle, 

b.  ihre  mediale  Grenzleiste,  k.  1.  Kiemenbogen  mit  dem  N.  glosso-pharyngeus  as" 
und  dem  1.  Aortenbogen  ab',  ks.  äusserer  Kiemensack,  kd.  Kiemendeckel,  h.  Herz- 
kammer, h'.  h".  linker  und  rechter  Vorhof  des  Herzens.  —  Fig.  371.  o.  Speise- 
röhre, lg.  Kehlkopf,  k — k".  1. — 3.  Kiemenbogen,  as'".  Ganglion  und  Wurzel  des 
Vagus ,   woraus  der   2.  und  3.  Kiemennerv  kn  und  der  vordere  Kehlkopfast  In 


954  Erklärung  der  Abbildungen. 

hervorgehen,  m.  Muskel  des  4.  Kiemenbogens  (später  zum  Theil  Kehlkopfmuskel), 
av.  Aortenwurzel  mit  der  sekundären  Wirbelarterie,  ab.  A.  pulmonalis,  sv.  Venen- 
sack, vp.  V.  pulmonalis,  vj'.  V.  jugularis  inferior,  va.  V.  abdominalis,  g.  Gallen- 
blase unter  die  Lebermasse  vorgeschoben,  p".  Bauchhöhle. 

Fig.  372.  Sagittaler,  links  dicht  neben  der  Medianebene 
gelegener  Durchschnitt  einer  Larve  der  1.  Periode,  nur  in  der 
Bauchhälfte  ausgeführt,  vh.  Vorderhirn  mit  der  Selmervenplatte  o  und 
dem  Basaltheile  b ,  w.  Wirbelsaite ,  mh.  Mundhöhle ,  sh.  Schlundhöhle ,  sd.  Schild- 
drüsenanlage,  lg.  Lungenwurzel,  bd.  primäre  Pankreasanlage ,  vd.  Vordarm, 
x.  Stelle,  von  wo  er  sich  nach  rechts  zum  Uebergange  in  den  Mitteldarm  wendet, 

1.  Leber,  g.  Gallenblase,  md.  Mitteldarm,  hd.  Hinterdarm,  af.  Afterdarm,  shd. 
Schwanzdarm,  gh.  M.  genio - hyoideus ,  s'.  Zungenbein,  h.  Herzkammer  mit 
Andeutungen  einer  Theilung  (die  eine  Scheidewand  ist  irrthümlich  als  nach  aussen 
offene  Falte,  statt  ebenso  wie  die  gegenüberstehende  solide  Leiste  wiedergegeben), 
ba.  Bulbus  arteriosus,  sv.  Venensack  mit  einem  Theil  des  Vorhofs,  d.  Anlage  des 
Zwerchfells  zwischen  der  Perikardialhöhle  p'  und  der  erst  spaltförmigen  Bauch- 
höhle, ax.  Axenstrang  des  Darmblattes  mit  seinen  Fortsätzen,  ms.  Gekröse,  am. 
A.  mesenterica,  a.  Aorta,  n.  Nierenanlagen,  gd.  Anlagen  der  Genitaldrüsen, 
ds.  Blutbildungsheerde. 

Fig.  373.  Frontaldurchschnitt  der  Vordarm gegend  einer 
etwas  älteren  Larve,  h.  Herz,  p'.  Perikardialhöhle,  p".  Bauchhöhle, 
d.  Zwerchfell,  1.  Leber,  1'.  Lebergang,  bd.  primäre  Pankreasanlage,  bd'.  sekundärer 
Pankreasgang,  vd.  Vordarm  (Duodenum,  dessen  Lichtung  in  dem  vorliegenden 
Präparate  durch  eine  quere  Darmblattwand  getheilt  erscheint),  vp.  Pfortader 
(Dotterdarmvene),  md.  primäre  Mitteldarmlichtung,  md'.  durch  die  Auflösung  des 
Nahrungsdotters  entstehende  Räume,  welche  in  der  Folge  jene  Lichtung  ver- 
grössern. 

Fig.  374.  Lebernetz  mit  den  Leberbalken  lb  und  den  Gallen- 
gängen gg,  v.  seröser  Ueberzug  der  Leber  (Visceralblatt) ,  vv.  Anlagen  der 
Lebergefässe. 

Fig.  375.  Theil  des  hinteren  Endes  einer  Nierenanlage  aus  dem 
Anfange  der  2.  Larvenperiode,  u.  Urnierengang,  n.  gewundener  Nieren- 
schlauch, n'.  primitive  Harnkanalkapsel,  g.  Anlage  eines  Gefässknäuels,  gl.  Anlage 
einer  Geschlechtsdrüse. 

Fig.  376.     Querdurchschnitt  einer  Larve  aus  dem  Anfange  der 

2.  Periode,  vd.  Vordarm  (Magen),  md.  Mitteldarm  (das  Gekröse  der  einzelnen 
Schlingen  war  im  Durchschnitte  nicht  erhalten),  1.  Leber ,  gb.  Bauchspeicheldrüse, 
vc.  linke  Stammvene ,  vc'.  die  rechte  Stammvene ,   welche  in  das  Gekröse  jener 


Erklärung  der  Abbildungen.  955 

Drüsen  den  absteigenden  Hohlvenenabschnitt  entsendet,  a.  Aorta,  entsendet  in  das 
Darmgekröse  die  A.  mesenterica  am,  lg.  Lunge,  am  Gekröse  befestigt,  e.  Anlage 
der  Milz,  u.  Urnierengang,  n.  Nierenanlagen. 

Fig.  377.  Eingeweide,  Skelet  und  Gefässstämme  einer  Larve 
am  Schlüsse  der  1.  Periode,  aus  den  aufeinander  folgenden  Sagittal- 
durchschnitten  zusammengesetzt.  Bezeichnung  auf  Taf.  XXII.  vh.  vh'. 
Vorderhirn  mit  der  Zirbel  z ,  mh.  hh.  Mittel-,  Hinterhirn ,  m.  Rückenmark ,  ng.  ng'. 
Nasenhöhle,  a.  Auge,  gb.  Ohrbläschen,  isn.  asn.  innere  und  äussere  Portion  des 
GAssERSchen  Nervenknotens  (1.  Kopfsegment),  asn'.  N.  facialis  (2.  Kopfsegment), 
asn".  N.  glosso-pharyngeus  (3.  Kopfsegment) ,  asn'".  der  3  theilige  Vagus  (4.  Kopf- 
segment), w.  Wirbelsaite,  wb.  1.  Wirbelbogen,  gf.  Schläfenflügelknorpel,  op.  Joch- 
fortsatz des  Quadratbeins,  asc'.  Unterkieferknorpel,  s'.  grosses  Zungenbeinhorn,  lg. 
linke  Lunge,  abgeschnitten,  lg',  rechte  Lunge,  o.  Speiseröhre,  vd.  Duodenum;  der 
zwischen  diesen  beiden  Darmtheilen  an  der  linken  Seite  hinabziehende  Magen  wurde 
fortgelassen,  daher  jene  Darmstücke  durchschnitten  dargestellt  sind,  1.  Leber,  c'. 
Lebergang,  gl.  Gallenblase,  bd.  Pankreas  mit  dem  primären  hinteren  und  dem  sekun- 
dären Ausführungsgange  bd',  ms.  rechtes  Lebergekröse,  nur  theilweise  dargestellt, 
ms'.  Darmgekröse  ebenso  dargestellt,  p'.  Perikardialhöhle,  p".  Bauchhöhle,  d.  Zwerch- 
fell ,  md.  Mitteldarm  mit  der  Dotterzellenmasse ,  hd.  Hinterdarm  ,  af.  Afterdarm, 
sd.  Schwanzdarm ,  u.  Urnierengänge  (abgeschnitten) ,  gd.  Anlage  der  Genitaldrüse, 
h.  Herzkammer,  h.  Vorhof  des  Herzens,  ba.  Bulbus  arteriosus,  ab.  Gefässbogen  des 
Zungenbeinbogens,  al.  A.  lingualis,  ab',  ab".  1.  und  2.  Aortenbogen,  ab'".  3. 
Aortenbogen,  eigentlich  Wurzel  der  Pulmonalarterie  ap  mit  Ductus  Botalli, 
ab"".  2.  Pulmonalast,  ac.  A.  carotis,  am.  A.  temporo-maxillaris ,  rc.  Verbindung 
der  Carotis  zur  Basilararterie  abs ,  av.  A.  vertebralis ,  aw.  Aortenwurzel ,  a.  Aorta, 
ams.  A.  mesenterica,  sv.  Venensack,  de.  Ductus  Cüvieei,  vc.  linke  Stammvene  (abge- 
schnitten), vc'.  rechte  Stammvene,  beide  stossen  weiter  rückwärts  zusammen 
(vc,  irrthümlich  statt  vc"),  c.  absteigendes  Stück  der  Hohlvene,  lv.  Lungenvene, 
vhp.  Lebervenen,  vp.  Pfortader  mit  ihren  Wurzeln,  vj.  V.  jugularis  communis,  vj'. 
V.  jugularis  inferior,  hinter  dem  Vagusstamm  aus  der  inneren  und  äusseren 
Drosselvene  zusammenfiiessend,  dv.  Dottergefässnetz  (schematisch). 

Fig.  378.  Definitive  Umbildung  der  Aortenbögen,  a.  gemeinsame 
Wurzel  am  Bulbus  arteriosus,  ab'.  1.  Aortenbogen  oder  Wurzel  der  Carotis  ac, 
ab.  Wurzel  der  A.  lingualis,  cd.  Karotidendrüse,  c.  obliterirter  Uebergang  des 
1.  Aortenbogens  in  die  Aortenwurzel,  ab".  2.  Aortenbogen  oder  Anfang  der 
Aortenwurzel  aw,  ab'".  3.  Aortenbogen  oder  Wurzel  der  Pulmonalis  ap,  ax.  A.  cutanea. 

Fig.  379.  Herz  und  Leber  einer  jungen  Unke  mit  ihren  Gefässen 
von  vorn  und  unten  gesehen.     1.  Leber,  gb.  Gallenblase,  h.  Herzkammer, 


956  Erklärung  der  Abbildungen. 

h'.  k".  Herzogen,  ba.  Bulbus  arteriosus,  ab.  Arterienstämme,  c.  V.  cava,  de. 
Ductus  Cuvieri  der  rechten  Seite,  vj'.  V.  jugularis  inferior,  v.  Herzvene,  va.  Bauch- 
vene, vp.  linker  Pfortaderast. 

Fig.  380.  Die  Nieren  mit  ihrem  Pfortadersystem  von  einer  ein- 
jährigen Unke.  n.  Nieren,  u.  Urnierengang,  u'.  Zusammenfluss  beider  Urnieren- 
gänge,  aw.  Aortenwurzel,  am.  A.  mesenterica,  a.  Aorta,  ai.  A.  iliaca,  acr.  A.  cruralis, 
ah.  A.  hypogastrica ,  ae.  A.  epigastrica ,  vc.  Urnierentheil  der  linken  Stammvene, 
vc'.  derselbe  Theil  der  rechten  Stammvene,  c.  Hohlvene,  vc".  hinterste  Abschnitte 
der  Stammvenen,  vc"'.  Schwanzvene,  vi.  V.  iliaca,  vcr.  V.  cruralis,  vh.  V.  hypo- 
gastrica, ve.  V.  epigastrica,  vu.  Harnblasenvene,  va.  Bauchvene,  vJ.  JACOBSON'sche 
Vene,  vv.  vv'.  hintere  Wirbelvenen. 


Tafel  XXII. 

Fig.  381.  Vier  Seitenansichten  (a.  b.  c.  d.)  der  sich  entwickelnden 
Ur niere.  u.  Urniere,  ug.  Urnierengang,  sp.  Bauchhöhlenmündung  der  Urniere, 
alsbald  dreigetheilt  (sp.  sp'.  sp"). 

Fig.  382.  383.  Querdurchschnitte  von  Forellenembryonen,  die 
Entwickelung  der  Kopfniere  betreffend,  r.  Rückenmark,  w.  Wirbelsaite, 
is.  Muskelplatte,  is'.  inneres  Segmentblatt,  as.  äussere  Segmentschicht,  ug.  Urnieren- 
gang, gk.  Anlage  des  Gefässknäuels,  v.  Visceralblatt,  g.  Gekrösefalte,  d.  Darmblatt, 
a.  Aorta,  ax.  Axenstrang  des  Darmblattes. 

Die  übrigen  Abbildungen  dieser  Tafel  sind  Umrisszeichnungen  der  mit  den- 
selben Zahlen  bezeichneten  Figuren  auf  den  Taf.  XVIII,  XIX,  XXI. 


Alphabetisches  Inhaltsverzeichniss, 


Die  römischen  Zahlen  bezeichnen  die  Kapitel,  die  anderen  die  Seiten. 


Abschnürung  des  Embryo  245.  G95. 

—  des  Darmkanals  777.  778. 
Adergeflecht  294.  296. 

After  677. 

Afterdarm  264.  810. 

Anpassung  657.  892.  893.  895. 

Aorta  499.  539.  540.  755.  758.  775.  826.  827. 

Aortenbögen  499.  679.  752—758,  der  Fische 

und  Amnioten  783—785. 
Aortenwurzel  753.  755.  758. 
Arteria  basilaris  753.  756. 

—  carotis  631.  753.  755.  757.  758.  784. 

—  cutanea  758. 

—  iliaca  758.  761. 

—  lingualis  757. 

—  mesenterica  758. 

—  ophthalmica  755. 

—  pulmonalis  754.  758.  784. 

—  spinalis  inferior  756. 

—  subclavia  758. 

—  temporo-maxillaris  757. 

—  vertebralis  753.  756.  758. 
Athmung  754.  755. 

Auge  323—328.  332. 

Augenblase  172.  323.  324,  der  Teleostier 

187.  188. 
Augenmuskeln  463.  625-627.  630.  631. 
Augenmuskelkanal  728. 


Augenmuskelnerven  im  allgem.  718.  721. 

Augenspalte  324. 

Axenplatte  156—176,  der  übrigen  Wirbel- 

thiere  177-188.  796.  797. 
Axenstrang  des  Darmblattes  269.  270.  775. 

—  des  mittleren  Keimblattes  156.  198. 
Axenstreif  (Primitivstreif)  176.  181—184. 
Basispheuoid  der  Teleostier  728. 
Bauchfell  811.  828. 

Bauchhöhle  s.  Pleuroperitonealhöhle. 
Bauchmuskel,  äusserer  s.  Musculus  oblicpjus 
externus. 

—  mittlerer  464—468.  476.  477.  609,  der 
Fische  und  Amnioten  606—608.  610—612. 

—  innerer  s.  Musculus  transversus. 
Bauchrippe  467.  471.  618. 
Bauchspeicheldrüse  s.  Pankreas. 
Beckengürtel  473.  474.  478. 
Befruchtung  49.  82.  83.  845.  852. 
Bildungsgewebe,     interstitielles    359.    372. 

490—528.  535-537.  542.  555.  872.  874. 

Bindegewebe  518—526.  530.  546-550. 

Bindesubstanz  517.  527.  547.  548. 

Blut  495.  £00—503.  507.  538.  770.  812,  der 
übrigen  Wirbelthiere  536.  538.  539.  541. 
773.  787.  788,  s.  ferner  Blutzellen,  Kreis- 
lauf. 

Blutgefässe  498  —  516.  536.  537-545.  781. 


958 


Alphabetisches  Inhaltsverzeichiiiss. 


782,  primäre  498—504. 539. 541 ,  sekundäre 
505—511.  542-545. 

Blutzellen  497.  498.  500.  511.  550.  770.  812. 

Brustbein  471—473.  617-619. 

Brustregion  797.  817. 

Bulbus  arteriosus  748.  751. 

Centralnervensystem  177.  178.  V ,  der 
Knochentische  184  —  187  ;  Histiogenese 
dess.  275—280;  Hüllen  dess.  298.  374.  375. 
403.  533.  534 ;  Gefässe  dess.  527 ;  s.  ferner 
Hirn,  Rückenmark. 

Chordaknopf  696.  697. 

Chordascheide  s.  Wirbelsaite. 

Cutis  s.  Unterhaut. 

Dammuskeln  609.  610.  612. 

Darmblatt  131.  247.  260—270.  552.  560.  561. 
564.  565.  683.  766.  789.  797.  811.  813. 

Darmdottergang  s.  Darmnabel. 

Darmhöhle,  Darmkanal  129.  218-221. 
260—270.  494.  XI,  der  Teleostier  und 
Amnioten  777.  816  —  818;  Histiogenese 
dess.  789.  790.  811.  815;  s.  ferner  Kopf-, 
Vor-,  Vorder-,  Mittel-,  Hinter-,  After-, 
Schwanzdarm. 

Darmnabel  779.  796.  808.  816. 

Darmrinne  264. 

Darmschlussfalten  777—779.  816. 

Darmvenen  766.  767. 

Darwinismus  890—897. 

Deckschicht  d.  primärenKeimschicht  124.155. 

Descendenztheorie  888—890. 

Domfortsätze,  obere  421,  untere  431. 

Dotterbildungszellen  497.  498.  505. 

Dotterdarmvenen  500.  538. 539. 747.  766. 781. 

Dottergefässe  536.  538—541.  746.  766.  781. 

Dotterpfropf  126.  132. 

Dottersack  245.  808.  816. 

Dottertheilung  II,  bei  Fischen  106—108,  bei 
Amnioten  108—110,  bei  niederen  Thieren 
850-854.  862;  Theorie  ders.  78  u.  flg.  842. 

Dottervenen  s.  Dotterdarmvenen. 

Dotterzellen  64.  71.  103.  123.  249. 

Dotterzellenmasse  144. 260. 264. 265. 789. 808. 
811. 

Ductus  Botalli  754.  758.  784. 


Ductus  choledochus  805.  806. 

—  Cuvieri  765.  768.  786. 

—  cysticus  805.  806. 

—  hepaticus  798.  805.  806. 

—  venosus  Arantii  787. 
Dünndarm  810. 
Duodenum  798. 

Ei,  Bildung  dess.  10—31.  35—37.  555.  571. 

832—834 ,  holo-  und  meroblastische  Eier 

108.  143—145,  Ei  der  Protozoen  845-851, 

der  Metazoen  851—855,  Bedeutung  dess. 

30-35.  75.  77.  842.  861. 
Eierstock  10-18.  20.  22.  26.  27.  32.  831— 

834.  838-840. 
Eingeweidenervensystem  s.  Nervus  sympa- 

thicus. 
Ektoderm  809.  864. 
Embryonalzellen  64.  71.  103.  123.  126  u.  flg. 

241.  249.  492.  557. 
Endocardium  747.  752.  776.  779.  780. 
Endothel  521.  550. 
Entoderm  809.  864. 
Entwickelung,  allgemeine  97 — 105. 139 — 145. 

239  —  257.  260—262.  267.  494.  495.  503. 

551-575.  593  —  597.  703.  723-725.  740. 

742.  797.  813.  814.  842—845.  856  —  858. 

862—887;  Bedeutung  ders.  574.  588.  603. 

604.  843.  845. 

—  der  ersten  Organismen  899. ,, 
Episternum  472.  474.  618.  619. 
Epithel  550.  560.  561.  564. 
Extremitäten  s.  Gliedmassen. 
Fettkörper  831. 

Flügelbeinknorpel  655.  660.  661. 
Flügelgaumenbogen  733.  736.  737. 
Flügelgaumenplatte  640.  641.  650. 
Formgesetz  249—252.  570.  573.  574.  586— 

591.  596—598.  602—604.  773.  782.  843. 

844.  849-851.  862.  886. 
Gallenblase  806. 
Gallenkanäle  805. 
Ganglienzellen  s.  Nervenzellen. 
Ganglion  Gasseri  623.  625.  635. 
Gastrula  144.  145.  809.  858—861.  864—870. 
Gastroduodenalbogen  799.  809.  810. 


Alphabetisches  Inhaltsverzeichniss. 


959 


Gaumen,  harter  659.  697.  701. 
Gaunienbeinknorpel  655,  s.  Flügelgaumen- 

bogen. 
Gaumenbogen  655.  658.  659. 
Gaumenleiste  568.  655.  658.  659.  701. 
Gaumenspalte  655. 
Gefässbogen,  cerebraler  756.  783.  784. 

—  des  Zungenbeinbogens  756.  757.  783. 
784. 

Gelasse  s.  Blut-,  Lymphgefässe. 
Gefässwand  504.  505.  512.  519.  543. 
Gehörknöchelchen  der  Reptilien  737. 
Gehörorgan  172.  328.  329.  b66.  633,    der 

Teleostier  188.  333. 
Gekröse  799.  801.  803.  810.  826. 
Gekrösefalte  213.  799.  824. 
Geruchsorgan  172.  329—331,  der  Teleostier 

188,  der  Cyklostomen  318.  319.  335,  s. 

ferner  Nasenhöhle. 
Geruchsplatte  172.  329. 
Geschlecht,  Entstehung  dess.  832. 
Geschlechtsorgane   I.  828.  831  —  834.  839. 

840. 
Gesichtsfortsatz,  lateraler  635.  641.  643 — 

648.  650.  691.  692,  der  Säuger  700.  701. 

—  medialer  644—648.  691,  der  Säuger 
700.  701. 

Gesichtstheil    des  Vorderkopfs  641  —  656. 

658-660.  727—732. 
Gewebe,  Formwerth  ders.  597—605. 
Glaskörper  324.  328.  525.  549. 
Gliedmassen  215.  231.  236.  468-474.  615— 

619. 
Gräten  der  Teleostier  435. 
Grenzfalte  des  Vorderdarms  220.  745. 
Grundschicht    der    primären    Keimschicht 

124.  154. 
Haftorgane  204.  642.  657. 
Hals  797. 

Halsdrüse  669.  678.  682. 
Halsmuskeln  608.  611.  612. 
Harnblase  811. 
Harnkanälchen  829. 
Hermaphroditismus  838—840. 
Herz  501.  746—752.  776—783. 


Herzkammer  751. 

Herzraum   220.   224.   745  —  749,   s.   ferner 

Perikardialsack. 
Herzthätigkeit  770—774. 
Herzvene  769. 
Hinterdarm  263.  810.  822. 
Hinterhirn  282.  296. 
Hinterkopf  216—225.  662-683.  705. 
Hirn  166—172.  179.  280—319 ,  kleines  Hirn 

296.  304.  313,  gross.  H.  293.  308.  313,  H.  d. 

Fische  305.  308 ,  der  Säuger  730;  Histio- 

genese  desH.  297.  298,  Architektonik  dess. 

299  —  313,  Einfluss  dess.  auf  andere  Theile 

692.  695.  700.  703.  728.  730.  740.  742.  797. 

884.  885. 
Hirnanhang  288.  289.  317-319.  641.696. 
Hirnbalken  314. 
Hirnbläschen,   primitive  299.  300.  303.  306. 

307.  684. 
Hirnhäute  298.  507. 
Hirnplatte  166  u.  flg. 

Histiogenese,  allgemeine  s.  Entwickelung. 
Hoden  831-834.  837-840. 
Hohlvene  s.  Vena  cava. 
Homologie  610.  611.  706.  732.  795.  858-861. 
Hornhaut  328.  525. 
Hornlippen  651—653.  658. 
Hyomandibulare  712.  733-736. 
Hyposternum  472.  474.  618.  619. 
Jacobsonsches  Organ  654. 
Individualität  575.  595—597.  604.  878.  889. 
Intercellularsubstanz  548.  549. 
Interkostalmuskeln  460.  608.  610-612. 
Interorbitalwand  728.  729.  731. 
Interstitialflüssigkeit  493  —  495.  500.  503. 

773.  787. 
Intervertebralwulst  383-386.  390.  394.  395. 

407.  408.  411.  412.  414.  416. 
Jochbogen,  oberer  641.  660,  unterer  659. 
Jochfortsatz  640.  641.  660. 
Kapillaren  s.  sekundäre  Blutgefässe. 
Kehlkopf  672.^80.  682.  793.  794. 
Kehlsäcke  682.  793. 
Keilbeinflügel  709.  710.  713—715. 
Keim  108.  130.  132,  der  Wirbelthiere  über- 


960 


Alphabetisches  InhaltsverzeichniBS. 


haupt  143—145,  der  Amnioten  554  — 557, 

der  Säuger  866. 
Keimblase  145.  809.  863. 
Keimblätter  III,  oberes  K.  132.  140-142. 

147-188.  551-553,  mittleres  K.  132.  142. 

188—229.  683,  mediane  Lücke  dess.  207. 

693.  697.  698.  745,  unteres  K.  s.  Darm- 
blatt. 
Keimblättertheorie  133—142.  188-192.  229 

—257.  551—566.  858—861.  864-874. 
Keimhöhle  122.  129.  130.  269.  493. 
Keimschicht,  primäre  123  u.  flg.,  sekundäre 

127. 
Kern  der  Zellen  63.  64.  68-71.  99—103. 

594.  600,  der  Protozoen  846.  850.  851,  s. 

ferner  Kernkeime,  Dottertheilung. 
Kernkeime  61  u.  flg.  99.  853. 
Kieferapparat  662. 686. 690-692. 703. 742.  790. 
Kieferdrüse  654. 
Kiefersuspensorium  637.  639.  660-662.  691. 

732—738. 
Kiefertheil  des  Vorderkopfs  226.  228.  641. 

642.  690—692.  742. 
Kiemen  567.  568,  äussere  K.  675-677.  681, 

der  Fische  738.  741;  innere  K.  677-682. 

738.  742.  790,  der  Cyklostomen  und  des 

Amphioxus  739.  743. 
Kiemenapparat  669  —  672.    674—682,  der 

Fische  738-744. 
Kiemenbögen    224.    669-672.    674-683. 

725-727. 
Kiemendeckel  676.  687.  688 ,  der  Amnioten 

696,  der  Fische  735.  738. 
Kiemenknorpel  674.  679.  726.  741.  752.  790. 
Kiemenmuskeln  670—672. 
Kiemensack,  äusserer  676.  677.  689. 
Kloake  811. 
Knochenbilduug  379. 380.  385.  388.  395.  471. 

518.  547. 
Knorpelbildung    361.   367-371.   377.   436. 

437.  517. 
Kopf  203. 208. 216— 229. 262.Lt,d.  Amphibien 
überhaupt  684-692.  703.  704,  der  Cyklo- 
stomen 692.  704.  705,  der  Teleostier  693— 
695.  703.  705,  der  Amnioten  695—703,  des 


Amphioxus  739.  741—744,  im  allgemeinen 

620-622,  683.  703—711.  739-744. 
Kopfbeuge    169.    204.   625.  683.   684.   697. 

731.  740. 
Kopfdarm    221.    262.    690.   789.   790,    der 

Teleostier  694,  der  Amnioten  698—704. 
Kopfnerven,  Bedeutung  ders.  718—723.  739. 
Kreislauf  des  Blutes  513  —  516.  753-757. 

770-774. 
Kreuzbein  618. 
Larvenmetamorphose  im  allgemeinen   656. 

657.  689. 
Leben,  Begriff,  Entstehung,  Ursachen  dess. 

33.  34.  574.  581-604.  842.  843. 
Lebenskeime  51  u.  flg.  82.  87.  92.  98. 
Leber  746-750.  767—770    792.  796-798. 

800-806.814.  815,  der  Teleostier  817,  der 

Amnioten  818. 
Lebergekröse  802.  803.  818. 
Lebernetz  804.  805.  815. 
Leberstiel,  primitiver  798.  805.  806.  807. 
Leibeshöhle  873. 
Ligamentum  hepato  -  gastro  -  duodenale   s. 

kleines  Netz. 

—    Suspensorium  hepatis  768.  769.  801. 
Linse  327.  332-334. 
Lippenknorpel  725.  727.  731.  739. 
Lobi  olfactorii  313.  314. 
Lungen  744.748.  749.  754.  793—796.802.815. 
Luugendarm  792.  793. 
Lymphgefässe  513-516.  524.  525.  546.  774. 

775.  812. 
Lymphherzen  762.  775. 
Magen  798.  803. 
Magenleberdarm  799.  809.  810. 
Mastdarm  811. 
Meckelscher  Knorpel  736. 
Medullarfurche  161  u.  flg.  169. 
Medullarplatte  158—163.  173. 
Membrana  reuniens  superior  211.373.  374. 

491.  644,  inferior  492. 
Mesenterium  810. 
Metameren  s.  Segmente  - 
Metamerenbildung  (Segmentirung)  246.  723. 

—725.  739. 


Alphabetisches  Inhaltsverzeichniss. 


901 


Milz  812.  813. 

Mitteldarm  261.  263-2G7.  808-810. 

Mittelhirn  282.  284-280. 

Mittelplatte  819. 

Mundbucht  227.  637.  642.  647.  648.  651.  691. 

692. 
Mundhöhle  221.  227.  228.  636.  651.  653.  666. 

669.  691.  790. 
Mundöffnung  651-653.  661.  687.  691,  der 

Cyklostomen  662.  691,  der  Teleostier  694. 
Muskeln,  Histiogenese  ders.419  — 454.  462— 

464.  473.  528—530. 
Musculi   constrictores   labiorum   650  —  653. 

658.  687,  der  Säuger  701. 
Musculus  depressor  mandibulae  640.  652. 

661.  665.  680.  687. 

—  depressor  ossis  hyoidei  640.  653.  665. 
680.  687. 

—  genio-glossus  669. 

—  genio-hyoideus  465  —  468.  609.  610. 
612.  613.  638.  652.  661  682.  723. 

—  hyo-glossus  669.  682. 

—  ileo-lumbaris(M.quadratus  lumborum) 
473.  611.  612. 

—  ischio-coccygeus  467.  609.  610. 

—  levator  ossis  hyoidei  640.  653.   666. 
680.  687. 

masseter  636.  638.  640.  653.  660. 

—  obliqüus  abdominis  externus  474. 478. 
606.  610—613. 

—  obliqüus  abdominis  internus  476.  478. 
610.  612.  613. 

—  omo-hyoideus  468.  474. 

—  pterygoideus636. 638.640. 653. 661.687. 

—  quadratus  lumborum  s.  M.  ileo-lum- 
baris. 

—  rectus  abdominis  467.  477.  478.  609— 
612. 

—  retrahens    maxillae    superioris  649. 
653.  658. 

scapulo-mastoideus  s.  M.  sterno-cleido- 
mastoideus  470.471.474.  478.609.6*10.  612. 

—  sterno-hyoideus  465—468.  609—611. 
613.  723. 

subhyoideus  666.  667.  682.  687. 

Goette  ,   Entwickelungsges'chichte. 


Musculus  submaxillaris  667.  668.  682.  687. 

—  submentalis  637.  638.  652.  687. 

—  temporalis  633.   636.   638.  639.  648. 

653.  658.  661.  687. 

—  transversus  abdominis  475.  476.  610. 
612.  613. 

Nahrungsdotter  108.  143.  144.  778,  der  übri- 
gen Wirbelthiere  788.  808  809. 
Nasenbeine  660. 
Nasengrube,  Nasenhöhle  330.  642.  646.  647. 

654.  655.  658.  659. 
Nasenknorpel  654.  688. 
Nasenplatte,  seitliche  330.  646. 
Nasenscheidewand  649.  654.  688.  696.  728. 

729.  731. 
Nerven  der  Extremitäten  487—488. 
Nervenfasern  482-485.  516.  530—532. 
Nervenscheide  519. 
Nervenzellen  480.  481. 
Nervus  abducens  628.  632. 

—  acusticus  664.  720—722. 

—  coccygeus  488. 

facialis  632.  633.  664.  665.  718.  721, 
der  Fische  735. 

—  glosso-pharyngeus  670.  682.  718.  722. 

—  hypoglossus  486.  682.  722.  -723. 

—  lateralis  des  Bauches  672.  673,  des 
Kückens  457.  672.  673.  718.  719,  des  Vor- 
derkopfs 628.  672.  719.  721. 

—  maxillaris  inferior,  superior  632.  633. 
635-637.  718.721. 

nasalis  627-629. 632.641.655.718. 721. 

—  oculomotorius  628.  629. 

—  olfactorius  295.  331.  630.  719.  720. 

—  ophthalmicus  s.  Nervus  nasalis. 

—  opticus  287.  323.  622.  719.  720. 
palatinus  632.  664.  665.  718.  721. 

—  sympathicus  489. 

—  trochlearis  628. 

—  vagus  460.  671-673.  682.  718.  722. 
Netz,  kleines  800.  801. 

Netzbeutel  801.  818. 
Netzhaut  298.  325—328. 
Niere   761.   763.  S28-831.  834-837,    der 
Teleostier  und  Amnioten  836—837. 

Gl 


962 


Alphabetisches  Inhaltsverzeichniss. 


Oberhaut  158.  246. 
Oberkiefer  652.  653.  658.  659. 
Oberkieferfortsatz  643.  696.  697,  der  Amnio- 

ten  701.  702. 
Oberkieferknorpel,  -knochen   649.   658.  659. 

68S,  der  Teleostier  731. 
Oberkieferwillst  227.  228.  642.  643.  645. 
Occipitalgelenk  390.  391. 
Ohr,  Ohrbläschen  s.  Gehörorgan. 
Operkularkieme  735.  741. 
Orbitalflügelknorpel  633.  634.  711  713.  715, 

s.  ferner  Keilbeinflügel. 
Os  intermaxillare ,  maxillare  s.  Zwischen-, 

Oberkieferknochen. 
Palatinum  733,  s.  Gaumenbeinknorpel. 
Pankreas  798.  799.  801.  806-808.  815. 
Pankreasdarm  799.  809. 
Pankreasgänge  798.  801.  805-807. 
Parasphenoid  365.  728. 
Parietalblatt  215,  vgl.  Perikardial  sack ,  Ur- 

niere,  Bauchfell  u.  s.  w. 
Paukenhöhle  678.  689.  743. 
Pericardium  752. 

Perikardialhöhle,-sack  746.  748-751.   776. 
791.  792.  796  797.  816,  der  Teleostier  777. 
778.  786.  817. 
Perioden  der  Entwickelung  147. 
Phylogenese  739-744.  782.  856-858.  861. 

887  und  flg. 
Pigmentzellen  des  Bindegewebes  521—523. 
Pleurahöhle  792.  795.  796.  802.  803. 
Pleuroperitonealhöhle746.776.  792.  795.  816. 

823. 
Plexus  brachialis  487.  619.  722. 
—    ischiadicus  4^7.  488.  619. 
Praesphenoid  729.  730. 
Primitivstreif  s.  Axenstreif. 
Primordialkranium,  häutiges  43 J.  685.699. 

717,  knorpeliges  716—717.  743. 
Promorphologie  887. 
Protoplasmatheorie  591—593. 
Pterygoid  660.  661,  der  Fische  und  Reptilien 
733—738,    s.    ferner    Flügelbeinknorp^l, 
Flügelgaumenbogen. 


Quadratbeinknorpel,   Quadratum   639.   660. 

der  Fische  und  Reptilien  733—738. 
Querfortsätze    der    Wirbel   381.  397—399. 

425-435. 
Quergliederung  s.  Mctamerenbildung. 
Retroperitonealraum  491.  822. 
Riechnerv  s.  Nervus  olfactorius. 
Riechnervenhügel  295.  313. 
Rippen,-fortsätze  der  Wirbel  381.  397—399. 

425-435.  618. 
Rückenmark  158-164.  246.  275—280,  Zu- 
sammenhang dess.  mit  der  Darmhöble  174. 
176. 
Rückenmarkshäute  s.  Centralnervensystem. 
Rückenmuskeln  s.  Stammuskeln. 
Rückenrinne  159.  167.  173. 
Rückenwulst  161.  167.  170.  177. 
Rudimentäre  Organe  567. 
Rusconische  Oeffnung  125.  132.  174. 
Sattelgrube  292.  360.  728.  729. 
Schädel  367.  371.  372.  630-634.707-719, 
der  Neunaugen  704.  709.  711.  727.  730,  der 
Selachier707.  709.  715.  729,  der  Teleostier 
709.  712.  727-729,  der  Reptilien  709.  713. 
727—729,  der  Vögel  715.  728.    729,  der 
Säuger  709.  710.  715.  729.  730. 
Schädelbalken,  mittlerer  (Rathke)  624.  700. 

708.  756,  seitliche  707.  708.  727. 
Schädelbasis,  hintere  360.   362—366.   629. 

728,  vordere  365.  367.  629.  630.  727. 
Schädeldach  633.  634.  644.  711.  713. 
Schädelwirbeltheorie  235.  435.  684.  685.  707. 

716—718.  739. 
Schilddrüse  666.  667. 
Schläfenflügelknorpel632.  711.  712.  714.  715. 

736.  737. 
Schlundfalten  222-225.  247.  262.  609.  677. 
678,  der  Teleostier  694. 734,  im  allgemeinen 
723—725. 
Schlundhöhle  221.  653.  680. 
Schlundmuskeln  682. 
Schultergürtel,  Muskeln  und  Skelet  dess. 

470-473.  478.  616-619. 
Schwanz  174.  175.  210.  231.  458.  490.  492. 
526.  542.  616. 


Alphabetisches  Inhaltsverzeichniss. 


963 


Schwänzdarm  210.  231.  263.  514.  7(31.  771. 

Schwanzflosse  810. 

Schwanzmuskeln  608.  610-612. 

Schwimmblase  817. 

Sclerotica  328.  366.  654. 

Segmentblatt,  inneres  212.  373.  491.   534. 

536.  539. 
Segmente  202.  244.  256.  566.  740,  des  Kopfes 

203—208.  216-229.  232.  235-238.  262. 

IX,  der  Teleostier  694,  der  Amnioten  699; 

des  Rumpfes  und   Schwanzes  209—215. 

230.  231.  234.  236.  VIII. 
Segmentiruug  s.  Metamerenbildung. 
Segmentkern  212.  534. 
Segmentplatten  199  u.  flg. 
Segmentschichten  212.  215.  461.  610,  äussere 

468—475.  534.  536. 
Sehnenbildung  454.  525. 
Sehnerv  s.  Nervus  opticus. 
Seitennerv  s.  Nervus  lateralis. 
Seitenorgane  331.  605.  672.  673. 
Seitenplatte  199.  256.  789,  des  Kopfes  221- 

226.  232.  236.  674.  743.  745.  789,  des  Rum- 
pfes und  Schwanzes  210-215.  230.  231. 

791. 
Seitenrumpfmuskel  607.  610-612. 
Selektionstheorie  890-892. 
Sinnesblatt  s.  oberes  Keimblatt. 
Sinnesorgane  179.  333-335.  563.  565. 
Sinnesplatte  166.  168.  172,   der  Teleostier 

180.  187. 
Sinus  venosus  s.  Venensack. 
Situs  viscerum  750.  799.  885. 
Skeletbildende  Schicht  403.  415.  417.  428. 

429.  707. 
Speiseröhre  793.  803. 

Spinalganglien  373.  374.479—482.  532—535. 
Spinalnerven  392.  466.  479-489.  532—535. 

619. 
Spritzloch  der  Selachier  735. 
Spritzlochkieme  740.  741. 
Stammplatte  des  Gesichts  649.  688.  730.731. 
Stammskelet  s.  Wirbel. 
Stammuskeln  381.  407.  428.  449.  455—460. 

477.  610.  613-615.  663.  664,  der  Fische 


605-608.  610.  611,  der  Amnioten  608— 

610. 
Stammvene  s.  Vena  cardinalis. 
Steissbein  391-393.  726. 
Sternzellen  496.  510.  516.  526.  546. 
Stimmritze  793. 

Stirnfortsatz  642—644.  685.  696.  702. 
Symplecticum  733  -735. 
Teleologie  407.  575-  580. 
Trigeminus  718 — 721,  s.  ferner  die  einzelnen 

Vord  erkopfnerven . 
Tuba  Eustachii  678. 
Typisch,  sekundär-typ.  Theile  405.  427.  491. 

568.  741.  783. 
Typus,  Begriff  dess.  252-255,  423,  T.  der 

Protozoen  584.  587.  588.  851,  derMetazoen 

877.  und  flg. 
Umhüllungshaut  140—142. 
Unterhaut  522—524.  546. 
Unterkiefer  637.  638.  651-653.  660-662. 
Unterkieferbogen  227.  228.  635-641.  660— 

662.  666.  690—692.  725—727,  der  Fische 

691.  734-736.  739,  der  Säuger  701. 
Urniere  760.  763.  819-828.  834-837,  der 

Teleostier  825—827,  der  Amnioten  836. 

837;  Gefässknäuel  der  U.  823.  828.  835. 
Urnierengang  821-823.  829-831.  834  -  837. 

839. 
Urogenitalfalte  824.  826.  828.  835.  836. 
Urwirbel  s.  Segmente. 
Vena  abdominalis  765.  766.  768.  769. 

—  anonyma  s.  V.  cava  anterior. 

—  azygos  786. 

—  cardinalis  760-765.  774.  785.  822. 

—  caudalis  761.  762.  764.  774.  785. 

—  cava  anterior  765,  posterior  762—764. 
769.  770.  785.  786.  802.  803.  818. 

—  epigastrica  766. 

—  hemiazygos  786. 

—  iliaca  761.  785. 
Jacobsonii  764.  786. 

jugularis  communis,  externa,  interna 
759.  760.  765. 

—  portae  768.  769. 

—  pulmonalis  769. 

61* 


964 


Alphabetisches  Inhaltsverzeichniss. 


Vena  subclavia  765. 

—  umbilicalis  766.  786. 
Venae  hepaticae  768.  770. 

—  omphalo-mesentericae  766.  779. 
renales  763.  764.  785.  786. 
vertebrales  758.  759.  762—764. 

Venensack  748—751.  765.  766.  769. 

Vererbung  892  und  flg. 

Visceralblatt  215.  538,  vgl.  Herz,  Harn-  und 
Geschlechtsorgaue,  Zwerchfell  u.  s.  w. 

Visceralbögen684-68(i.  690.  697.  702.  723— 
727.  741. 

Vom  er  660. 

Vordarm  221.  262.  748-750.  791-808.  815. 
816. 

Vorderdam  219.  261. 

Vorderhirn  282.  286—206.  698. 

Vorderkopf  225-229.  620-662,  der  Wirbel- 
thiere  überhaupt  703  —  705. 

Vorhof  des  Herzens  751. 

Wanderzellen  526.  527.  561. 

Wirbelbildung  im  allgemeinen:  der  Amphi- 
bien 403—415.  429,  der  Knochenfische 
415  417,  der  Selachier  und  Cyklostomen 
420-423,  der  Amnioten  417-420,  der 
Wirbelthiere  überhaupt 423-425. 427.  723, 
epichordale  W.  388.  413,  perichordale  W. 
393—397.  413.  414. 

Wirbelbögeu  des  Kopfes  360.  390.  391.  435. 
436.  624.  629-634.  648.  649.  707—719, 
untere  725.  739;  W.  des  Rumpfes  374- 


382.  390.  406.  409.  415  -425,  untere  397. 
425. 

Wirbelkörper  383 -397.  406.  409.  413.  415— 
123.  723,  Bänder  und  Gelenke  derselben 
387.  390.  412. 

Wirbelsaite  156. 198.201.205.216.  234.  349- 
357.372.373.  386-391.  395.456,Kopftheil 
d.W.  359. 362 -365.  436,  innere  Scheide  der 
W.  353,  äussere  357.  373.  377.  391.  403. 
408.  412.  518;  W.  der  Teleostier  415.  693. 
der  Amnioten  417.  Bedeutung  d.W.  399  — 
402.  408. 

Wirbeltheilung  418. 

Zähne  790. 

Zelle,  Bildung  im  Eie  71—75.  103-105,  Be- 
deutung ders.  76.  592.  598-602. 

Zellenkern  s.  Kern. 

Zellentheorie  s.  Zelle. 

Zirbel  283.  284.  304.  315.  316. 

Zunge  331.  332.  335.  668.  669.  682.  790. 

Zungenbein 689.  667.  674.  675.  681.  688.  794, 
der  Fische  734.  735,  der  Reptilien  737. 

Zungenbeinbogen  224.  664-669.  725-727, 
der  Fische  735.  7o6.  740. 

Zwerchfell  765.  796.  803. 

Zwerchfellmuskeln  610.  612. 

Zwischenhirn  294.  308.  309. 

Zwischenkiefer  619.  658.  659.  688,  der  Teleo- 
stier 731. 

Zwischenwirbelbänder  380.  387.  390.  458. 
711. 


Dmckfeklerverzeichniss, 


iite 

136 

Zeil. 

j    14 

von 

unten 

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11 

17 

ii 

33 

254 

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1 

11 

oben 

ii 

7) 

254 

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11 

unten 

ii 

33 

263 

77 

14 

11 

oben 

ii 

77 

263 

77 

1 

JJ 

unten 

ii 

77 

279 

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11 

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ii 

33 

292 

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11 

11 

oben 

ii 

57 

378 

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13 

11 

unten 

ii 

77 

422 

77 

12 

11 

oben 

ii 

77 

434 

lies 

durchweg 

Selachier 

77 

468 

Zeil. 

3    15 

von 

oben 

lies 

35 

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1        77 

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11 

11 

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77 

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2 

11 

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ii 

77 

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11 

11 

11 

ii 

77 

564 

77 

6 

11 

oben 

■i 

77 

569 

37 

10 

17 

11 

71 

77 

592 

77 

17 

11 

unten 

11 

77 

603 

77 

5 

11 

oben 

11 

77 

612 

37 

5 

11 

unten 

11 

37 

632 

37 

16 

11 

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11 

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ii 

11 

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20 

11 

ii 

11 

77 

752 

77 

7 

11 

ii 

11 

71 

785 

und 

787 

Seitentitel  lies 
gefässstämme. 

77 

816 

Zeile 

von 

unten 

lies 

37 

853 

77 

3 

17 

ii 

ii 

bezeichnet  statt  bezeiehet. 
Rückenmark  statt  Rückemark, 
symmetrisch  .statt  ym metrisch. 
Jlomologon  statt  Analogem. 

des  lateralen  Segments  statt  der  lateralen  Segmente, 
stützte  statt  stütze, 
von  statt  vo. 
jener  statt  jenen. 
Individuums  statt  Individiums. 
Endstücke  statt  Entstücke. 
dachförmig  statt  dachrfömig. 
sie  statt  die. 

Ilasaltheil  statt  Besaltheil. 
neun  statt  neue, 
der  statt  des. 
statt  Salachier. 

N.  hypoglossus  statt  M.  hypoglossus. 
entsteht  statt  steht. 
Dottervenen  statt  Dotternerven, 
der  statt  den. 
Oberfläche  statt  Oberhaut, 
förmig  statt  örmig. 

Zellenkonglomerat  statt  Zellenkonglomoral. 
Gefässe  statt  Gelasse. 
Zusammenhange  statt  Zasammenhange. 
Jlirn  platte  statt  Stirnplatte. 
Wirbelanlage  statt  Wirbeanlage. 
ausgefällt  statt  ausgefüllt, 
vollständige  statt  vollsändigc. 
Schneider  statt  Schneieer 
Wand  der  statt  Wand  oder. 
M.  levator  statt  M.  lavator. 
uns  statt  nur. 

Anurenlarven  statt  Auurenlarven. 
Selachier  statt  Salachier. 
ihnen  statt  ihr. 

Kiemengerüste  statt  Kiemgerüste. 
Darmblattdeeke  statt  Darmblattdeke. 
X.  Das    Herz   und   das  Gefässsystem    statt    4.   die  Lymph- 

sich  zusammenzieht  statt  zusammenzieht. 
begriffenen  statt  begriffene. 


Berichtigung  zur  Anmerkung  auf  Seite  724. 

Die  vermisste  bildliche  Darstellung  ist,  wie  ich  nachträglich  bemerke,  in  der  Fig.  199  kenntlich 
angedeutet. 


LEIPZIG, 

DRUCK  VON  GIESECKE  &   DEVBIBNT. 


«*   » 


3  2044  072  208   572 


Date  Due 


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