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ALEXANDER AGASSIZ.
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DIE
ENTWICKLUNGSGESCHICHTE
DER UNKE
(BOMBINATOR IGNEUS).
DIE
ENTWICKLUNGSGESCHICHTE
DER UNKE
(BOMBINATOR IGNEUS)
ALS GRUNDLAGE EINER VERGLEICHENDEN MORPHOLOGIE
DER WIRBELTHIERE
VON
D* ALEXANDER GOETTE
PRIVATDOCENT AN DER UNIVERSITÄT STRASSBURG.
MIT ETNEM ATLAS
VON ZWEIUNDZWANZIG TAFELN.
LEIPZIG,
VEKLAG VON LEOPOLD VOSS.
1875.
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Torwort.
Dieses Buch wird den Ansprüchen, welche man mit Rücksicht auf den
angezeigten Gegenstand und den äusseren Umfang an dasselbe stellen wird,
nicht genügen. Es entstand nicht nach dem Abschlüsse der ganzen zu
Grunde liegenden Arbeit, sondern allmählich im Verlaufe derselben, wobei
eine nachträgliche Umarbeitung der ersten Abschnitte durch äussere
Umstände verhindert wurde. Daher beginnt es nicht mit der Sicherheit
einer umfassenden Uebersicht, sondern in enggezogenen Grenzen, welche
den Vorwurf einseitiger Auffassung hervorrufen könnten. Von diesem
beschränkten Anfange breitete sich aber die Arbeit nach so vielen Richtungen
aus, dass eine umfassende Darstellung aller bereits vollendeten Unter-
suchungen in einem Buche sich sehr bald als unmöglich herausstellte. In
vielen Fragen habe ich mich daher auf kurze Referate, bisweilen nur auf
flüchtige Bemerkungen beschränken müssen , welche eben nur die Kenntniss
des Gegenstandes andeuten sollten, während die Ausführung in eine Fort-
setzung meiner „Beiträge zur Entwickelungsgeschichte der Wirbelthiere"
verwiesen werden niusste. War diese Einschränkung schon für den Haupt-
theil dieses Buches nöthig, so wird die Darstellung der allgemeinen Ergeb-
nisse im Schlusskapitel nach vielen Seiten noch unvollständiger erscheinen;
denn nach jahrelanger Arbeit lockte mich ein schneller äusserer Abschluss
mehr als die Aussicht, die Betrachtung noch über das Mass des Nothwendigen
hinausführen zu können. Auf diese Weise ergab sich eine gewisse Ungleich-
mässigkeit in der Behandlung des Stoffes und entstanden manche Unzu-
träglichkeiten in der Anordnung desselben , sodass das Sachregister noth-
wendiger als sonst erscheinen dürfte. Aus dem Gesagten erklärt sich auch,
V
VI Vorwort.
warum die entwickelungsgeschichtlichen Arbeiten der letzten Zeit von mir
gar nicht mehr oder nur theilweise berücksichtigt werden konnten.
So klar mir die genannten Mängel dieses Buches, um von anderen zu
schweigen, vorliegen, so mögen ihre Ursachen doch einen Vortheil bieten.
Indem ich die ersten Abschnitte so wiedergebe, wie sie vor Jahren entstanden,
lange bevor die gegenwärtige Ausdehnung der ganzen Arbeit sich voraus-
sehen Hess, wünsche ich meine Leser davon zu überzeugen, dass die dort
niedergelegte Auffassung von der Bedeutung des Eies und dem Wesen seiner
Elitwickelung ohne vorgefasste Ansichten unmittelbar aus der Untersuchung
eines beschränkten aber ganz besonders günstigen Gegenstandes sich ergab.
Dann gewinnt aber auch die Thatsache an Bedeutung, dass es mir nur von
diesem Ausgangspunkte möglich war, alle Einzeltheile der thierischen
Morphologie in einen einheitlichen und natürlichen Kausalzusammenhang zu
bringen , dadurch aber auch den neuerdings häufig verkannten Werth der
individuellen Entwickelungsgeschichte der Thiere für ihre gesammte Morpho-
logie von neuein zu erhärten.
A. Goette.
Inhaltsübersicht.
Seite
I. DieEntwickelungdesEierstockseies 1 — 37.
Historische Uebersicht 1 — 9.
Beschreibender Theil 10—26.
Vergleichender Theil 26 — 37.
II. Die Dottertheilung 38 — 110.
Historische Uebersicht 38 — 49.
Beschreibender Theil 49 — 65.
Vergleichender Theil 65 — 110.
III. Die Bildung der Keimblätter 111-145.
Historische Uebersicht . . . . ' 111 — 122.
Beschreibender Theil 122—133.
Vergleichender Theil . . * 133-145.
IV. Die Sonderung der einzelnen Organanlagen . . . . 146 — 270.
1) Die Leistungen des oberen Keimblattes. Historische
Uebersicht 146 — 154.
Beschreibender Theil 154 — 176.
Vergleichender Theil 176—188.
2) Die Leistungen des mittleren Keimblattes. Historische
Uebersicht 188—197.
Beschreibender Theil 198—229.
Vergleichender Theil 229—257.
3) Die Leistungen des Darmblattes. Historische Uebersicht . 258 — 260.
Beschreibender und vergleichender Theil 260 — 270.
V. Das Centralnervensystem 271—319.
Historische Uebersicht 271 — 274.
Beschreibender Theil: 1. Das Rückenmark 275 — 280.
2. Das Hirn 280—297.
Vergleichender Theil 297—319.
VIII Inhaltsübersicht.
Seite
VI. Die drei höheren Sinnesorgane 320 — 335.
Historische Uebersicht 320 — 322.
Beschreibender Theil 323 — 332.
Vergleichender Theil 332—335.
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule 336 — 437.
Historische Uebersicht 336 — 349.
Beschreibender Theil 349—399.
Vergleichender Theil 399—437.
VIII. Die Segmente des Rumpfes 438 — 619.
Historische Uebersicht 438 — 449.
Beschreibender Theil: 1. Die Muskeln 449 — 478.
2. Die Nerven 478—490.
3. Das interstitielle Bildungsgewebe 490 — 528.
Vergleichender Theil 528 — 619.
IX. Der Kopf 620-744.
Beschreibender Theil: 1. Der Vorderkopf 620—662.
2. Der Hinterkopf 662—683.
Vergleichender Theil 683—744.
X. Das Herz und das Gefässsystem 745 — 788.
Beschreibender Theil: 1. Das Herz 745—752.
2. Die Arterien 752—759.
3. Die Venen 759-774.
4. Die Lymphgefässstämme 774-775.
Vergleichender Theil 776 — 788.
XI. Der Darmkanal und seine Anhangsorgane .... 789 — 818.
Beschreibender Theil 789 — 813.
Vergleichender Theil 813—818.'
XII. Die Harn- und die Geschlechtsorgane 819 — 840.
Beschreibender Theil: 1. Die Urnieren 819— 82s.
2. Die bleibenden Nieren 828—831.
3. Die Geschlechtsorgane 831 — 834.
Vergleichender Theil 834 840.
XIII. Schlussbetrachtungen 841—904.
Verzeichniss der benutzten Litteratur 905 — 916.
Alphabetisches Autorcn-Verzcirhniss 917 — 918.
Erklärung der Abbildungen 919 956.
I. Die Entwickelung des Eierstockseies.
Der natürliche Ausgangspunkt für die Entwickelungsgeschichte unseres
Thieres ist derjenige Zustand des Keims, des Bildungsstoffes für den künftigen
Organismus, wo derselbe für die Embryonalentwickelung vollkommen reif ist,
die letztere aber noch nicht begonnen hat. Dieser Zustand offenbart sich zu-
gleich als derjenige der grössten Einfachheit : der Keim besteht alsdann , wie
ich zeigen werde, aus einer durchaus gleichartigen, in ein zartes Bläschen ein-
geschlossenen Masse. — Die unvollständige Kenntniss von der Entstehung
dieses Keims hat aber bisher die Auffassung hervorgerufen und aufrecht erhal-
ten, als sei derselbe eine mehr oder weniger modificirte Zelle (Eizelle); wollte
ich also meine Mittheilungen mit dem reifen Keime eröffnen, so würde ich jene
Auffassung , welcher ich bei einer geschlossenen Untersuchungsreihe vom Eie
bis wieder zum Eie nicht beitreten kann, zunächst bestehen lassen müssen.
Meiner Darstellung des Zellenlebens und der Entstehung des organischen Lebens
überhaupt fehlte alsdann der meiner Ansicht nach einzig richtige Gesichtspunkt,
von dem aus sich dem Leser der Zusammenhang aller übrigen Thatsachen offen-
barte. — Um also aus der Bildungsgeschichte des Keims seine Bedeutung zu
erläutern, und um an einen bestimmten, Allen geläufigen Begriff, nämlich den
einer ausgebildeten Zelle mit indifferentem Charakter anzuknüpfen, beginne ich
mit der Entwickelung des Eierstocks zu der Zeit, wo derselbe nur aus solchen
noch indifferenten Elementen zusammengesetzt ist.
Historische Uebersicht der bisherigen Untersuchungen.
Die ganze Entwickelungsgeschichte der Geschlechtsdrüsen gehört in ein
späteres Kapitel und soll hier nur dasjenige angeführt werden, was sich beson-
ders auf die Entstehung und Ausbildung der Eierstockseier bezieht.
Goette, Entwickelungsgeschichte. 1
I. Die Entwickeluns- des Eierstockseies
ö
Rathke verdanken wir die ersten bemerkenswerthen Angaben über die
Bildungsweise der Geschlecbtstbeile überhaivpt; über die Eier bemerkt er aber
bloss, dass sie sieb erst im zweiten Winter nach der Larvenmetamorphose zeigen
(No. 3 S. 25. 26).
Nach Prevost und Dumas sind die reifen Eierstockseier des gemeinen
Frosches aus zwei koncentrischen Bläschen gebildet, das innere mit dem un-
durchsichtigen Dotter gefüllt, das äussere dem ersteren innigst verbunden. Eine
Hälfte des Dotters ist braun, die andere gelb gefärbt. Mitten im braunen Felde
befindet sich ein runder heller Fleck und in dessen Centrum ein trüber Punkt,
welcher von einem beide Hüllen durchbohrenden Loche herrührt (No. 2 S. 104).
Im Eileiter und gleich nachdem die Eier ins Wasser gelangt sind, werden die
Grenzen des Flecks zackig und verwaschen, in einem innern koncentrischen
Kreise liegt der bezeichnete Punkt. Diese ganze Stelle sei die Narbe (cicatricula),
von welcher die Embryonalentwickelung ausgehe und die im Wasser stets nach
oben gekehrt bleibe (S. 109).
v. Baer gibt in seiner Abhandlung: De ovi mammalium et hominis
genesi Seite 27 — 31 einen ausführlichen durch Abbildungen erläuterten Bericht
über die Entwicklung des Batrachiereies bis zur Befruchtung und wiederholt
ihn im Wesentlichen in seiner Entwicklungsgeschichte, IL Band, Seite 281 und
folgende. Der im Eierstocke zuerst erscheinende Theil des Eies sei das (bei
den Betrachiereiern von v. Baer zuerst gesehene) PüRKiNJE'sche Bläschen
(Keimbläschen) , an welches darauf die Dotterkörnchen , von einer Seite be-
ginnend, sich lagern (Nr. 8 S. 281, Nr. 7. S. 27). Diese das Keimbläschen zu-
nächst umgebende körnige Masse vergleicht v. Baer dem Keimhügel des Vogel-
eies. In den jüngeren Eiern sei das Keimbläschen durchsichtig und enthalte
mehr oder weniger Körner (Nr. 7 S. 27); wenn das Ei, reifer werdend, an
einem Theile der Peripherie eine dunklere Dotterschicht erhalten , rücke das
Bläschen aus dem Centrum der Dotterkugel fort bis unter die Oberfläche,
durchbreche diese endlich und wölbe die Dotterhaut vor (Nr. 7 S. 28 und Nr. 8.
S. 281). Sobald das reife Ei den Eierstock verlassen und sich in dem Eileiter
oder auch nur auf dem Wege dahin befindet, ist das Keimbläschen verschwun-
den; an seiner Stelle zeigt sich eine Lücke in der schwarzen Dotteroberfläche
(Keimschicht — v. Baer) , durch welche die innere helle Dottermaäse zu Tage
tritt, und innerhalb derselben eine enge Vertiefung mit einem dunklen Punkte
an ihrem Grunde (Nr. 7 S. 28. 29 und Nr. 8 S. 282. 283). „So lange die Eier
I. Die Entwicklung des Eierstockseies.
8
im Eileiter sind , ist diese Lücke stets da , nach dem Austreten konnte ich sie
nicht immer erkennen, und auf jeden Fall schwindet sie sehr bald. Ich zweifle
daher nicht , dass sie eine Spur von dem Hervordrängen und Schwinden des
Keimbläschens ist. Im Innern der Dotterkugel, doch nicht in der Mitte, son-
dern unter der Keimschicht ist eine Höhle"; diese, „welche man wohl für den
früheren Aufenthaltsort des Keimbläschens ansehen darf, bewirkt, dass immer
die Keimschicht nach oben liegt, sobald so viel Wasser eingesogen ist, dass die
Dotterkugel sich in der Dotterhaut drehen kann" (Nr. 8. S. 283). — An einer
andern Stelle (Nr. 14 S. 485) fügt v. Baer noch hinzu, dass jene Höhle durch
einen Kanal mitten im dunklen Felde ausmünde, und dass die Flüssigkeit
zwischen Dotter und Dotterhaut theils von der Wasseraufsaugung und theils
aus dem Keimbläschen herrühren mag.
Rusconi's ausführlichere Mittheilungen über das Verhalten der reifen
Batrachiereier im Eierstocke und Eileiter finden sich in seiner Histoire
naturelle, developpement et metamorphose de la salamandre terrestre, Seite
26 — 30. Im reifen Eierstocksei des Frosches liege das Keimbläschen, welches
früher das Centrum einnahm, dicht unter der Oberfläche. Sobald das vom
Eierstocke abgelöste Ei in den Eileiter aufgenommen ist, findet man vom Keim-
bläschen keine Spur mehr, wohl aber mitten im dunklen Felde einen hellen runden
Fleck , welcher in den Eierstockseiern nie zu bemerken gewesen sei. Rusconi
glaubt daher, dass, während das Ei sich vom Eierstocke ablöse und in den Ei-
eiter eintrete, das Keimbläschen platze und dass sein flüssiger Inhalt unter
die Dotterhaut trete und dadurch den hellen Fleck erzeuge (S. 27). Der letztere,
in dessen Mitte sich noch ein Kreis von Punkten befinde, bleibe bis nach der
Befruchtung unverändert bestehen; dann aber beginne er zu schwinden, indem
der helle Inhalt des Keimbläschens sich mit dem dunklen Dotter vermische
(S. 28). Zugleich ziehe sich jener Kreis zu einem einzigen Punkt zusammen,
welcher auch seinerseits bald verschwinde, sodass das dunkle Feld wieder so
hergestellt werde , wie es im Eierstocke war (S. 29). — Die im Eileiter be-
findlichen Eier der Salamandra maculata sollen an einer Stelle dicht unter der
Oberfläche einen undeutlich begrenzten weissen Fleck zeigen, welcher ebenfalls
von dem aufgelösten Keimbläschen herrühre (S. 26).
Wagner (Nr 17 S. 10) bezeichnet den Umriss des Keimbläschens aus
halbreifen Eiern des gemeinen Frosches als „margo undulatus." Die Keim-
flecke sollen bei allen Thieren nach Zerstörung des Keimbläschens in die Bildung
Die Entwickelung des Eierstockseies.
*s
der Keimhaut eingehen und der eigentliche Keim sein — „germen animale
verum et vivuni, „jam ante praegnationem praeformatum" (S. 5).
Bergmann beschreibt (Nr. 24 S. 90 — 92) die Zusammensetzung der Dotter-
masse in den reifen Froscheiern. Den vorherrschenden Bestandtheil bilden
länglich viereckige Plättchen, an denen der Verfasser „durchaus unfähig war
etwas Weiteres, als ihren äussern Umriss zu erkennen." Neben diesen grösseren
Plättchen finden sich kleinere in allen Abstufungen bis zu punktförmigen
Körperchen abwärts, aber oline wesentlichen Unterschied in ihrer Zu-
sammensetzung. Zellige Bildungen seien also im Dotter durchaus nicht vor-
handen.
Reichert war der Erste, welcher die Entwickelung des Batrachiereies
unter dem Einflüsse der ScHWANN'schen Zellentheorie beobachtete. — Er geht
von der Eizelle aus, welche vor der Erscheinung des Dotters einen Kern (Keim-
bläschen) und auch schon eine Hülle, die Dotterhaut, besitze (Nr. 25 S. 525).
„Man sieht zunächst bei der Entstehung des Dotters um das Keimbläschen
innerhalb der Eizelle einen feinkörnigen Niederschlag erscheinen, in welchem
man keine Spur einer besonderen Bildung gewahrt. Dieser feinkörnige Stoff
vermehrt sich nun mit dem Wachsthum der Eizelle, die von ihm sehr bald
gelblich gefärbt wird" (S. 526). In der Folge treten in der Dottermasse grössere
Körperchen auf(Dotterplättchen), welche auf Kosten des feinkörnigen Blastems
schnell zunehmen , sodass sie in reifen Dottern scheinbar die ausschliesslichen
Elemente bilden (S. 527). Daneben finden sich andere Körperchen , welche
zuerst zahlreich und granulirt, später aber in geringerer Menge und durchsich-
tig erscheinen (S. 526. 527). Diese hielt Reichert für die Kerne von Zellen,
welche sich im noch unbefruchteten Dotter bilden sollten. (S. 527 und in:
Reichert , Bericht über die Fortschritte der mikroskopischen Anatomie für
das Jahr 1841, in Müller' s Archiv für Anatomie, Physiologie und wissen-
schaftliche Medicin 1842 S. CCLIII. CCLIV). Diese Ansicht jedoch, sowie
auch wohl diejenige, dass das Keimbläschen sich unter jene Zellen mische
(siehe den genannten Bericht S. CCLV), gab Reichert später auf, ohne erneute
Untersuchungen über die Entwickelung des Batrachiereies mitzutheilen.
Die jüngsten Eier, welche Vogt im Eierstocke von Alytes obstetricans sah,
besassen schon eine Dotterhaut, einen Dotter und ein excentrisches Keim-
bläschen. Das letztere enthielt bläschenförmige, wandständige Keimflecke,
deren Zahl und Grösse mit dem Alter des Eies zunehmen (Nr. 26 S. 1). Im
hellen Dotter erschienen allmählich feine Körnchen und sammelten sich in
I. Die Entwfckelung des Eierstockseies. 5
Gruppen , welche zu den Dottertäfelchen verschmolzen (S. 2). Diese erfüllen
den Dotter endlich in dem Maasse , dass zwischen ihnen nur noch eine geringe
Menge von Flüssigkeit und Molekularkörnern Platz findet (S. 5). Das Keim-
bläschen erhält in etwas älteren Eiern eine zackige Begrenzung mit abgerun-
deten Aus- und Einsprängen (S. 3)-, im reifen Eie sei es abgeplattet und
die kernlosen Keimflecke oval (S. 4). Nachdem die Eier gelegt worden, sei
das Keimbläschen verschwunden, aber die Keimflecke fänden sich in der
Rindenschicht des Dotters vor, scheinbar nur auf einer Seite des Eies
(S. 6). — Was die Bedeutung des Eies und seiner Theile betrifft, so glaubt
Vogt , „es müssten die Keimflecke selbst als Zellen angesprochen werden ; als
Zellen, eingeschlossen in einer zweiten Zelle, dem Keimbläschen, welches wieder
in einer dritten Zelle, der Dotterzelle eingebettet ist" (S. 18).
Prevost und Lebert wollen schon in noch durchsichtigen Eierstockseiern
grosse gekernte Zellen gesehen haben, welche später zerfallen , worauf um ihre
freigewordenen Kerne neue Elemente, die grossen Dotterkugeln des reifen Eies,
entstehen (Nr. 30 S. 194. 196. 222). Die übrigen bezüglichen Angaben der
genannten Forscher sind nicht originell.
Cramer hat alle Stufen der Ausbildung des Eies von Rana temporaria
an einem und demselben Eierstocke verfolgt. Die jüngsten Eibildungen seien
„Kugeln von feinen Körnchen, die von einer zarten Haut knapp umschlossen
sind. Ob das Keimbläschen in der Körnermasse begraben liegt, kann man
nicht ausmachen , da an eine Präparation nicht zu denken ist. Etwas ältere
Eier zeigen eine zarte Dotterhaut, die ein grosses, kugliges Keimbläschen ein-
schliesst, was meistens der Wand näher , als der Mitte liegt. In dem freien
Raum liegt die kleine Kugel von Körnchen , die früher von der Dotterhaut eng
umgeben war. Es sieht aus, als wäre diese Haut durch Diffusion von ihr weit
abgehoben, und dabei das Keimbläschen mit zum Vorschein gekommen, ob um-
gebildet oder nur vergrössert, ist nicht auszumachen. Wird das Ei etwas grösser,
dann erweicht die kleine Kugel , und immer flüssiger werdend verbreiten sich
die Massen in einem eleganten Halbmond in der Höhle des Dotterraums und
um das Keimbläschen" (Nr. 34 S. 21). Jene Körnchen vermehren sich in der
konsistenten Flüssigkeit und ein Theil wächst zu den grösseren viereckigen
Plättchen aus, sodass man im reifen Eie alle Zwischenstufen von denselben ab-
wärts bis zu den kleinsten Pünktchen hinab findet. Die Eierstockseier haben
ein schönes Epithel, welches deutlich ausserhalb dem Dotter aufliegt (S. 22).
Die Keimbläschen enthalten zuerst feine, helle Körnchen, welche, bald an der
6 I. Die Entwickelung des Eierstockseies.
Peripherie, bald im Innern vertheilt, allmählich wachsen und sich zu Klümpchen
sammeln, worauf die letzteren von Membranen umgeben werden. Diese Zellen
seien von der verschiedensten Gestalt (S. 23). Bald aber verflüssige sich der
Inhalt, sodass sie als leere, weisse, leuchtende Bläschen zurückbleiben (S. 24).
Da die Eier innerhalb der Eileiter ein Keimbläschen nicht mehr besitzen , so
glaubt Ceamee, dass die Membran desselben schon bei ganz reifen (Eierstocks-)
Eiern aufgelöst werde .und jene Bläschen sich alsdann im ganzen Dotter zer-
streuen (S. 26).
Lebeboullet will den Dotter von 0.30 mll. grossen Eierstockseiern des
Frosches mit durchsichtigen gekernten Zellen von 0.03 mll. im Durchmesser
angefüllt gefunden haben, während die Dotterkörner durchaus fehlten (Nr. 84
S. 57). In etwas kleineren Eiern traf er (nach den Abbildungen und den Massen
zu urtheilen) viel grössere Keimflecke.
Cabus hat die von Ceamee erwähnte Kugel in- den Eierstockseiern des
Frosches gleichfalls beschrieben. Diese Kugel oder der Dotterkern entstehe
durch eine allmähliche Ansammlung einzelner Körner; später löse sich eine
Körnerschicht nach der andern von seiner Peripherie ab und vermische sich
mit der Eiflüssigkeit. Während seines Bestandes bei derEntwickelung des Eies
vermindere sich seine Grösse nicht, aber im vollendeten Eie sei keine Spur
mehr von ihm vorhanden (Nr. 87).
Newpoet hat ausführliche Mittheilungen über das reife Froschei von
dessen Aufenthalte im Eierstocke an bis zur Befruchtung gemacht (Nr. 35
S. 17G). Die Dottermasse desselben bestehe aus dichtgedrängten gekernten
Zellen, welche auf einer Seite des Eies dunkel gefärbt , auf der andern hell
sind. Mitten unter den dunkelfarbigen Zellen und excentrisch gelegen, befindet
sich das linsenförmige Keimbläschen, unregelmässig zusammengedrückt, weiss,
undurchsichtig. Dieses Aussehen führt Newpoet auf die Einwirkung des
Spiritus zurück, welchen er zur Erhärtung der Eier benutzte. An der Ober-
fläche der dunkelfarbigen Eihälfte bemerkte er ferner eine kleine Oeffnung, die
Mündung eines Kanals , welcher durch den Dotter zum Keimbläschen führe.
Das Keimbläschen enthalte eine Anzahl sekundärer Zellen; diese seien mit
tertiären und letztere sogar mit quaternären gefüllt. Mitten unter den sekun-
dären Zellen, im Centruin des Keimbläschens seien bisweilen eine bis zwei
grössere Zellen, die Ueberreste des ursprünglich einfachen Keimflecks sichtbar
(S. 175); die peripherischen Zellen des Keimbläschens seien die kleinsten,
welche scheinbar aus geplatzten sekundären Zellen abstammen. So wäre das
I. Die Entwickelung des Eierstockseies. 7
Keimbläschen des reifen Eierstockseies nach Newport als eine Mutterzelle zu
betrachten, welche ein ganzes System ineinandergeschachtelter Tochterzellen
einschliesst (S. 177). — Das Keimbläschen dringe niemals bis an die Ober-
fläche des Eies vor und gehe im Innern des Dotters zu Grunde , bevor die Eier
den Eierstock verlassen haben ; später fänden sich bisweilen an derselben
Stelle noch einige Spuren des früheren Gebildes vor (S. 178). Den Grund für
das Verschwinden des Keimbläschens glaubt Newport in der endogenen Zellen-
bildung zu sehen, indem die Mutterzelle durch das fortschreitende Wachsthum
der Tochterzellen endlich zur Auflösung kommt (S. 179). Während des Auf-
enthalts der Eier im Eileiter nähmen die weissen Dotterzellen gegenüber den
dunkelgefärbten an Grösse zu (S. 183). Weiter beschreibt Newport eine Reihe
von Erscheinungen an der weissen Dotterfläche , welche meist nach der Be-
fruchtung der Eier auftreten , aber auch schon im Eileiter ablaufen können
also jedenfalls von der Befruchtung unabhängig sind. Es zeigte sich nämlich
an der bezeichneten Stelle zuerst ein Fleck, über dessen Natur, ob er von einem
Bläschen oder einer Einsenkung herrühre , Newport sich nicht vergewissern
konnte. Aus dem einen Flecke werden mehre, welche einen dunklen Ring mit
eingeschlossener heller Mitte bilden. . Nach einiger Zeit und meist vor dem
Beginne der Dotterbildung verschwindet dieses Bild und es bleibt nur selten
eine flache Einsenkung zurück (S. 185. 18(5).
Aus dem erläuternden Texte zur Tafel XXIII von Ecker's Icones physio-
logicae hebe ich Folgendes hervor. Das Eierstocksei des gemeinen Frosches
besteht nach dem Verfasser aus der mit einem Epithel bedeckten Eihaut, welche
nebst klarer Flüssigkeit eine noch kleinere gelbliche Dotterkugel und das Keim-
bläschen einschliesst, in dessen Innerem zahlreiche kleine Körner enthalten
sind. Allmählich füllt der Dotter das ganze Ei aus, und zur Zeit der Reife
findet man im Keimbläschen , statt jener kleinen Körner, blasse zellenartige
Körperchen von 12 — 15/< Durchmesser, welche nach dem Verschwinden des
Keimbläschens im befruchteten Ei durch den ganzen Dotter zerstreut werden.
Im Inneren des frischgelegten Eies umschliesst die grauweisse Dottermasse eine
kleine Höhlung, welche nach dem dunklen Pole hinzieht.
Nach Leuckart (Nr. 38 S. 794 — 79G) ist das Keimbläschen derjenige
Theil des Froscheies, welcher im Eierstocke zuerst, aber schon innerhalb eines
mit Epithel ausgekleideten Follikels unterschieden werden kann. Anfangs hat
das Bläschen nur einige wandständige Keimflecke , die sich aber später ver-
$ I. Die Entwickelung des Eierstockseies.
mehren und vergrössern. Alsdann lagert sich eine eiweissartige Masse (primi-
tiver Dotter) um dasselbe ab, in deren peripherischen Theilen die Bildung der
Dotterkörner vor sich geht. Diese seien zuerst punktförmige Molekularkör-
perchen und erlangen erst ziemlich spät ihre volle Entwickelung. Der eigen-
thümliche Dotterkern wurde nicht selten vermisst und die Dotterhaut erst in
späteren Stadien wahrgenommen. Das excentrisch gelegene Keimbläschen des
reifen Eies sei in der Regel abgeplattet.
Wittich findet, dass die leistenförmigen embryonalen Anlagen der Ge-
schlechtsdrüsen aller Batrachier in beiden Geschlechtern vollkommen gleich
seien; sie beständen aus ziemlich grossen, kernhaltigen und feingekörnten
Zellen (Nr. 37 S. 148. 150). Diese Zellenmasse gruppire sich zu einem
Cylinder, in dessen Hohlräume eine äusserst lebhafte Entwickelung neuer, sehr
grosser kernhaltiger Zellen stattfinde, „(he oft schon eine täuschende Aehnlich-
keit mit jungen Eiern zeigen". Die Kerne enthalten verschieden grosse Fett-
körperchen und sind umgeben von einer hyalinen Masse, welche aber einer
eigenen Zellenmembran noch entbehrt. Bei weiblichen Thieren sammelt sich
nun allmählich der Dotter in dieser Masse, die Kerne werden zu Keimbläschen,
die den Dotter umgebenden Zellen zur Epithelialauskleidung der Eikapseln.
Die übrige Zellenmasse der Anlage wird zu den bindegewebigen Theilen
(S. 151). Bei den Anuren wird der innere Raum des Organs von straffen
Querbalken durchsetzt, zwischen denen die Eichen entstehen.
Thomson schliesst sich in der Entwickelungsgeschichte des Frosches
Leuckaet an. Doch betont er, dass der primitive Dotter mit einer scharfen
Grenze ein wenig von der Follikelwand abstehe, in welchem Zwischenräume
der dunkle Dotterkern liege (Nr. 42 S. 94. 95 ). Auch sollen die Zellen des
Follikelepithels sich gegen den Dotter ausbauchen. Im reifen Ei sei das Keim-
bläschen abgeflacht (S. 93), ein gekerbtes Aussehen seiner Oberfläche aber
nicht konstant und mehr zufälliger Natur. Den Dotterkanal scheint Thomson
nicht selbst gesehen zu haben, sondern nach früheren Berichten anzunehmen
(S. 94). Ebenso stellt er in Betreff des Schwindens des Keimbläschens nur die
Mittheilungen seiner Vorgänger zusammen.
Schultze bemerkt über die kleine Vertiefung, welche am oberen Pole
innerhalb eines hellen Hofes schon an unbefruchteten Eiern sichtbar ist und
welche er „Keimgrube" nennt, dass sie vielleicht der Befruchtung diene, eine
dem Dotter eigene Mikropyle sei; auch hielt er es für möglich, dass jene Grube
I. Die Entwickelung des Eierstockseies. 9
in irgend einem Zusammenhange stehe mit der Eigentümlichkeit befruch-
teter Eier, ihren Pol stets nach oben zu kehren (Nr. b'2 S. 15). * —
v. Bambecke untersuchte die Eierstockseier des Pelobates fiiscus. Die
Dottermasse lagert sich gleichmässig um das Keimbläschen ab und niemals in
Gestalt eines Dotterkernes (Ecker). Die nahezu reifen Eier enthielten noch
das runde Keimbläschen nahe der Peripherie, von dunkler Dottermasse umge-
ben (Nr. 63 S. 8. 9). In den reifsten Eiern war es aber nicht mehr zu finden;
statt dessen zeigte der Dotter daselbst ein marmorirtes Aussehen, welches sich
bis zur Oberfläche erstreckt und wahrscheinlich von der Vermischung des
Dotters mit dem Inhalte des Keimbläschens herrührte (S. 10). An den geleg-
ten Eiern bemerkte auch v. Bambecke eine heller gefärbte Einsenkung inmit-
ten des dunklen Feldes, eben die Keimgrube (S. 17). Ausser derselben
beschreibt er in seinem letzten Aufsatze (Nr. 71) ausführlich kleinere Grüb-
chen, welche die Mündungen feinster Kanälchen mit terminalen Anschwellungen
seien; Lage und Verlauf dieser Bildungen wären unregelmässig und wahr-
scheinlich bezeichneten dieselben den Weg der in den Dotter eindringenden
Samenkörperchen. — Eine Dotterhaut sei weder an den Eierstockseiern, noch
an den gelegten zu erkennen (Nr. 63 S. 9. 14).
Waldeyer will an erwachsenen Fröschen gefunden haben, dass die ersten
Anfänge der Eifollikel vom äusseren Zellenüberzuge des Eierstocks (Endothel)
ausgehende Schläuche seien, welche flach unter der Oberfläche sich hinziehen.
Diese Schläuche enthalten theils grosse, dunkelgekörnte Zellen (Eizellen),
deren ebenfalls grosse Kerne sich oft vielfach theilen, theils kleinere, blasse
und platte, die spätem Follikelepithelzellen. „Bald wachsen zarte bindege-
webige Fortsätze zwischen die einzelnen Eier eines Schlauches hinein und
umschliessen je eines derselben sammt einer Anzahl der zarten platten Zellen,
und so entstehen die kleinen Primordialfollikel des Froschovariums" (Nr. 66
S. 74). Wenn die Dotterplättchen erscheinen, sind sie um so kleiner, je näher
sie der Peripherie des Eies liegen. „Das Protoplasma der Follikelepithelzellen
ist vollkommen membranlos und geht unmittelbar in die Schicht kleinster
Elementargranulationen über, welche am meisten peripherisch gelagert ist."
Eine Dotterhaut entstehe erst in späterer Zeit (S. 75).
*) Dass diese Eigentümlichkeit nur den befruchteten Eiern zukomme, glaubt Schültze
irrthümlicherweise zuerst entdeckt zu haben; denn schon Rusconi machte diese Thatsache
bekannt (Nr. 39. S. 28).
10 I. Die Entwickelung des Eierstockseies.
Ich gehe nun zu meinen eigenen Untersuchungen über. — Die Anlage
der Geschlechtsdrüsen ist anfangs eine indifferente, beiden Geschlechtern
gemeinsame und bleibt es für die Wahrnehmung ziemlich lange Zeit. Denn
wenn auch die Ursachen für eine Entscheidung nach der einen oder andern
Seite schon frühzeitig vorhanden sein mögen, so ist es doch bei der Gleichheit
der Elemente, welche beiderlei Organe aufbauen, nicht möglich, dieselben
früher zu unterscheiden, als bis die unzweifelhafte Anlage eines Eies vorliegt
oder eine Anordnung der Elemente, welche das Nichtzustandekommen von
Eiern verbürgt. Es soll sich aber die Darstellung zunächst nur auf den Eier-
stock beziehen, und erst später ausgeführt werden, wann und auf welche Weise
die Entwickelung des Hodens sich von derjenigen des Eierstocks trennt.
Ich beginne mit der Untersuchung von Larven, an denen die Anlagen der
Hinterbeine mit der Lupe eben wahrgenommen werden können. Nach Er-
öffnung solcher Larven ist die Anlage der Geschlechtsdrüsen selbst unter der
Lupe kaum wahrnehmbar: zu beiden Seiten der Gekrösewurzel verläuft,
in den Winkel zwischen Gekröse und Nieren gleichsam eingeklemmt, ein
äusserst dünnes Fädchen, welches aber eigentlich nur in der vorderen etwas
stärkeren Hälfte sichtbar ist, nach hinten zu wegen seiner Feinheit sich zu
verlieren scheint (Taf. XX Fig. 363). Querdurchschnitte, mit stärkeren Ver-
grösserungen untersucht, lehren Folgendes : jenes Fädchen erscheint als eine
aus gleichartigen Zellen zusammengesetzte, von der die Bauchhöhle auskleiden-
den Zellenschicht ausgehende Leiste, welche bald einen rundlichen oder kol-
bigen Durchschnitt zeigt, bald seitlich zusammengedrückt ist (Taf. I Fig. 1).
Alle jene Zellen, soweit sie zu unserer Organanlage gehören, sind rundlich, ihr
ganz klares oder wenig punktirtes Protoplasma besitzt keinen scharfen Umriss ;
dagegen ist der Kern stets sehr deutlich gezeichnet und erscheint durch seineu
körnigen Inhalt dunkler als seine Umgebung. Die Zellen des Peritonealepi-
thels, mit welchem jene Leiste in kontinuirlichem Zusammenhange steht, sind
aber zur selben Zeit schon bedeutend abgeflacht und ausgedehnt. — Welchem
Theile der embryonalen Körperanlagen die Geschlechtsdrüsen angehören, kann
erst in einem späteren Abschnitte auseinandergesetzt werden. — Von der
bezeichneten Entwicklungsstufe an treten an einzelnen Stellen der fadenför-
migen Anlage Umbildungen auf und zwar in der Weise, class dieselben zuerst
in der vordem stärkeren Hälfte als zerstreute Heerde sich zeigen. Später ver-
mehren sich diese Heerde und verbreiten sich auch auf den hinteren Abschnitt
der Anlage; und da sie entsprechende Anschwellungen der letzteren hervor-
I. Die Entwickelung des Eierstockseies. \\
rufen, so erscheint dieselbe einige Zeit vor der Larvenmetamorphose rosen-
kranzähnlich und verliert diese Form erst, wenn die Heerde zusammenrücken
und endlich zusammenstossen. Es folgt aus dem Gesagten, dass man von der
ersten Entstehung jener Heerde an in den besprochenen Anlagen zu jeder Zeit
alle möglichen Entwickelungsstufen ihrer Elemente zugleich antreffen muss,
und ferner, dass die Umbildungen nicht an bestimmten Stellen verfolgt werden
können. Dazu kommt noch, dass die Entwickelung der Geschlechtsdrüsen
durchaus in keinem bestimmten Verhältniss zur Grösse und übrigen Ausbil-
dung der Larven steht, sondern bald langsamer, bald rascher verläuft; manche
Larven können weniger Umbildungsheerde aufweisen als solche, die ihnen an
Alter und Reife nachstehen und diese sogar mit dem ganzen Process früher
begonnen haben. Diese Umstände setzen der Untersuchung gewisse Schwie-
rigkeiten, welche nur durch sehr ausgedehnte Beobachtungsreihen überwunden
werden können.
Wo ein Umbildungsheerd im Entstehen begriffen ist, schwillt die Leiste so
weit an, dass ihr Querschnitt den Umriss eines gestielten runden Körpers er-
hält. Während dabei die Zellen im Stiele noch in der früheren Anordnung
beharren, verändert sich dieselbe innerhalb der Anschwellung. Die peripheri-
schen Zellen verbinden sich inniger unter einander und werden flach, wahr-
scheinlich in Folge der Ausdehnung, welche sie bei der Anschwellung des
Organs erleiden. An den entsprechenden centralen Zellen dagegen verschmel-
zen die Protoplasmaleiber zu einer einzigen Masse, welche durch eine hinzu-
tretende klare Flüssigkeit sich zusehends vergrössert, und in deren Mitte die
freigewordenen Kerne zusammentreten. Die an diesen neugebildeten Raum
angrenzenden Zellen des Stiels passen sich denen der äusseren Lage an. Durch
alle diese Vorgänge ist an der Bauchseite des Organs ein Follikel entstanden,
welcher von einer Lage platter Zellen umschlossen, mit klarer Flüssigkeit an-
gefüllt ist und in seinem Centrum einen Haufen zusammengedrängter Zellen-
kerne enthält (Taf. I Fig. 1).
Solche embryonale Geschlechtsdrüsen, in denen die Entwickelung der
ersten Follikel scheinbar eben begonnen hat, zeigen doch hier und da bereits
einen weiteren und wichtigen Fortschritt der Follikelbildung. Ich lege auf
diese Thatsache insofern ein Gewicht, als bei der Untersuchung älterer Anlagen,
welche ein nicht leicht zu sichtendes Durcheinander der verschiedensten Ent-
wickelungsstufen der Follikel bieten, gegen meine Darstellung Einwürfe
gemacht werden könnten, welche bei der Betrachtung jener jüngeren Anlagen
12 I. Die Entwickelung des Eierstockseies.
nicht wohl möglich sind. In jenen weiter entwickelten Follikeln ist das Cent-
rum verändert: statt der sechs oder acht Zellenkerne von circa 4—5/* Durch-
messer findet man nur noch zwei bis drei bis zu 9^ Durchmesser , oder sogar
nur noch einen einzigen von 12—15/* Durchmesser, welcher aber bisweilen
nicht rund, sondern traubig erscheint (Taf. IFig. 2). In jenen mittelgrossen
Kernen sieht man gewöhnlich ein hellglänzendes Kernkörperchen, in den
grossen mehrere, welche bei der traubigen Forin des Kerns in den Vorragungen
liegen. — Die einkernigen Follikel sind offenbar alter als die vielkernigen,
denn sie sind grösser und ihre äussere Zellenkapsel ist noch mehr verdünnt
als bei den andern. Sie können aber nicht gleich einkernig entstanden sein,
denn es fehlen solche jüngere Entwicklungsstufen •, auch können sie nicht aus
einer Theilung der vielkernigen Follikel mit darauffolgendem schnellen Wachs-
thume der Theile hervorgegangen sein, denn auf dem Querdurchschnitte der
ganzen Organ anläge zeigt sich immer nur ein Follikel, und eine Anordnung
von je sechs bis acht sekundären Follikeln hintereinander statt eines Ursprung,
liehen müsste das Organ merklich verlängern, was aber niemals der Fall ist.
Bleiben aber alle solche Erklärungen für die Entstehung jener einkernigen
Follikel ausgeschlossen, so führt uns die Erscheinung der unregelmässig trau-
bigen Kerne zur einzig möglichen Annahme: die einkernigen Follikel entstehen
aus den vielkernigen durch Verschmelzung der Kerne. Dies erklärt das spä-
tere Auftauchen der ersteren ebenso, wie die rasche Grössenzunahme der ein-
zelnen Kerne und vielleicht auch die Vermehrung der Kernkörperchen, und
scheint überhaupt eine ganz natürliche Folge des Vorgangs, vermittelst dessen
zuerst die Leiber der centralen Zellen verschmelzen, um den Follikel zu
bilden.
Fasst man alle ferneren Entwicklungsstufen der Geschlechtsdrüse , hier
im Besondern des Eierstocks, bis nach der Metamorphose der Larven zusam-
men, so ergeben sich als wesentliche Momente: 1. die Vermehrung und das
Wachsthum der Follikel, 2. die Entwickelung eines Bindegewebsgerüstes ; Bei-
des zusammen ergibt die Grössenzunahme des ganzen Organs. — Wenn die
ersten Follikel eines Umbildungsheerdes an der Bauchseite des Organs entstan-
den, so füllen die nachfolgenden Jüngern die Mitte und den breiten Stiel
desselben aus {Taf. I Fig. 3). Obgleich nun zwischen den grössern und
kleinern Follikeln ein gewisser Vorrath von den unveränderten ursprünglichen
Zellen liegen bleibt, so können sie doch die verschiedenen Hervorwölbungen
der Follikel nach unten nicht ausgleichen , wodurch die Umbildungsheerde
I. Die Entwickeluag des Eierstockseies. 13
eine himbeerartige Oberfläche erhalten, was man freilich erst bei etwas grösse-
ren Organen vermittelst der Lupe wahrnehmen kann. Es ist aber klar, dass
die Follikel, welche sich im Innern des Organs bilden, ihre Hüllen nicht von
der äussern Zellenlage , sondern von den sie gerade umgebenden Zellen erhal-
ten; und wenn anfangs die peripherischen und centralen Elemente des Organs
eine verschiedene Bestimmung zu haben schienen, so beweist der fernere Ver-
lauf der Entwicklung , dass sie, schon ursprünglich gleichmässig indifferent,
auch später ohne Unterschied und je nach den Umständen bald zur Hülle, bald
zum Inhalte eines Follikels verbraucht werden. Denn auch die peripherischen
Zellen können in den Winkeln zwischen grössern vorragenden Follikeln sich
ansammeln und in ihrer Mitte dann neue Follikel erzeugen, an denen die ur-
sprünglich centralen Zellen nicht betheiligt sind.
Die einzelnen Vorgänge bei der Follikelbildung treten in den älteren Ge-
schlechtsdrüsenanlagen klarer hervor als in den Jüngern, weil dort alle Zellen
grösser geworden sind und daher in der Dicke eines feinen Schnittes nicht
mehr wie in gleichen Präparaten aus früheren Entwickelungsperioden sich
decken. Die zu einem Follikelinhalte zusammentretenden Zellen erscheinen
aufgebläht, sodass zwischen ihnen selbst und ferner zwischen ihnen und der sie
umspannenden Follikelwand jeder Zwischenraum schwindet und der gegenseitige
Druck ebene Grenzflächen erzeugt (Taf. I Fig. 7). Untersucht man solche
Zellen genauer, so ergibt sich, dass ihre Vergrösserung nicht einem einfachen
Wachsthume entsprang, sondern dass neben dem ursprünglichen Protoplasma,
welches durch sein punktirtes Aussehen und eine gewisse Schattirung kenntlich
ist, eine klare Flüssigkeit sich in den Zellen ansammelte, welche nach der Ver-
schmelzung der letztern die Hauptmasse des Follikelinhalts bildet, während die
Reste jenes Protoplasmas als unregelmässige Flocken eine Zeit lang an den
Kernen hängen bleiben, um endlich aufgelöst zu werden. — Auch die Ver-
schmelzung selbst lässt sich an solchen Objecten leicht verfolgen: die zarten
Linien, welche innerhalb eines entstehenden Follikel die Zellengrenzen andeu-
ten , zerfallen in Reihen mehr oder weniger auseinander stehender Punkte,
welche dann allmählich verschwinden (Taf. I Fig. 5. 8). — Erst wenn die
Verschmelzung vollendet ist, treten die Kerne zusammen und verwachsen ent-
weder alle auf einmal, oder in kleineren Partien, welche zuletzt zu einem
Ganzen sich vereinigen (Taf. I Fig. 3. 4. 6. 8). Im ersten Falle sieht man
die schon angeführten höckerigen oder traubigen Kerne als Uebergangsform,
im andern Falle grössere und kleinere Kerne neben einander in einem Follikel.
14 I- Die Entwickelung des Eierstockseies.
Es lasst sich aber auf der in Rede stehenden Entwicklungsstufe nicht leicht
bestimmen, ob dieser oder jener Kern ein einfacher Zellenkern oder aus der
Verbindung von zwei und mehr solchen hervorgegangen sei. Eben so unent-
schieden bleibt es, ob die hellen Kernkörperchen sich später selbstständig ver-
mehren oder nur durch den Verschmelzungsprocess in den grossen Kernen
sich ansammeln.
Es ist eine natürliche Folge der fortdauernden Entwickelung neuer Folli-
kel, dass die Geschlechtsdrüsenanlagen endlich mit solchen Gebilden von den
verschiedensten Entwickelungsstufen und in allen Grössen angefüllt erscheinen.
Untersuchte man nun bloss solche ältere Anlagen , so Hesse sich der Einwurf,
dass die offenbar älteren einkernigen Follikel aus den vielkernigen ebenso gut
durch Theilung des Ganzen als durch Verschmelzung der Kerne hervorge-
gangen sein könnten, nicht leicht beseitigen. Den entscheidenden Aufschluss
über den fraglichen Vorgang gibt die schon besprochene Untersuchung der
ersten Follikelanlagen; denn wenn die Art und Weise, wie diese sich entwickeln,
bestimmt nachgewiesen werden kann, so wäre es willkürlich, für die folgenden
jüngeren Follikel eine andere nicht nachweisbare Bildungsnorm anzunehmen.
Dagegen lernt man aus den spätem Entwickelungsperioden die Einzelheiten
der ganzen Follikelbildung kennen, so dass für die richtige Erkenntniss eines
scheinbar so einfachen Vorgangs die Untersuchung der Geschlechtsdrüsenan-
lagen auf allen ihren Entwickelungsstufen nothwendig erscheint.
Die bindegewebigen Theile der Geschlechtsdrüsen entstehen erst im wei-
teren Verlaufe des geschilderten Umbildungsprocesses. Wenn der Querdurch-
schnitt der Anlagen, dessen Masse im Beginn der Follikelbildung 45/« Länge
und 30jw Breite betragen, um das Doppelte zugenommen hat und bereits eine
beträchtliche Anzahl von Follikeln umfasst, ist noch keine Spur eines Bindege-
webes zwischen ihnen zu entdecken. Erst an Larven, deren Hinterbeine schon
gegliedert sind, erkennt man in der Längsaxe des bezeichneten Querschnitts
einen Zug streifiger Masse mit eingelagerten Kernen. Diese bindegewebige
Leiste, welche sich durch das ganze Organ hinzieht, entsendet alsdann Scheide-
wände zwischen die Follikel, welche diese von einander scheiden und die ein-
zelnen mehr oder weniger vollständig einkapseln. In der Leiste selbst aber
entwickeln sich später grosse, offenbar mit Flüssigkeit gefüllte Räume, welche
nach der herrschenden Ansicht als Lymphräume betrachtet werden mögen.
Da dieses Bindegewebsgerüst bei seinem ersten Auftreten schon im Gekröse
des Organs wurzelt und hier mit dem Bindegewebe des Retroperitonealraums
I. Die Entwickelung des Eierstockseies. 15
zusammenhängt, so glaube ich, dass es auch von dem letztern abstammt und
nicht etwa aus den noch indifferenten Zellen der eigentlichen Geschlechtsdrü-
senanlage hervorgeht.
Während der Metamorphose tritt der Unterschied der Geschlechter schon
in der äusseren Gestalt der Geschlechtsdrüsen hervor: die schmalen langge-
streckten der künftigen Männchen beginnen allmählich sich zusammenzuziehen
und die Form mit der Spitze nach hinten gerichteter Kegel anzunehmen,
während die Eierstöcke länger bleiben , stärker in die Breite auswachsen , sich
auf diese Weise in dicke Lappen verwandeln und entsprechend den früheren
Follikelgruppen an ihrem lateralen Rande rund ausgezackt erscheinen. Nach
der Larvenmetamorphose beginnen alsdann die Eierstöcke , indem ihr freier
lateraler Rand sich stärker ausdehnt, als der angewachsene mediale, sich in
der Art einer Krause zu falten. Ich vermag aber nicht zu entscheiden, ob
diese Kräuselung noch im ersten Herbste eintritt , oder ob solche Eierstöcke
durchweg Thieren angehören, welche bereits einmal überwinterten. Denn es
hält schwer, die jungen metamorphosirten Thiere so lange in der Gefangen-
schaft zu erhalten , bis sie jene Reife erlangt ; andererseits ist die Laichzeit
unseres Thieres eine so ausgedehnte und das Wachsthum der im Freien be-
findlichen jungen Unken so sehr verschieden je nach der Gunst oder Ungunst
ihrer äussern Lebensbedingungen, dass das Alter der im Laufe des Sommers
eingefangenen mit Sicherheit nicht bestimmt werden kann. Ich halte es aber
für wahrscheinlich, dass allenfalls bloss die Larven des Frühsommers im
Herbste die bezeichnete Reife erlangen, die Jüngern aber nicht mehr.
In den Eierstöcken, welche schon lappig geworden , aber noch nicht ge-
kräuselt sind , findet man die einkernigen Follikel oft in überwiegender Zahl ;
sie sind in allen Theilen gewachsen und erreichen die Grösse von 60/x Durch-
messer ihre Kerne eine solche von 30^. Die letzteren werden noch meist von
einer schmalen aber unregelmässigen Zone trüber Masse umgeben , welche ich
für die letzte Spur des ursprünglichen Protoplasmas halte, von der ich schon
gesprochen ; in etwas älteren Follikeln ist davon nichts mehr zu sehen (Taf. I
Fig. 8). Durch die Bindegewebskapseln , welche um die einzelnen Follikel ent-
standen sind, haben die eigentlichen, ursprünglichen Follikelhüllen , die, wie
wir sahen, aus platten Zellen zusammengesetzt sind, ihre Selbstständigkeit ver-
loren und werden in allen Beschreibungen als innere epitheliale Auskleidung
des Follikels bezeichnet. Uebrigens ist diese gegenwärtig sehr dünn und nur
an den eingelagerten Kernen zu erkennen. — In den gekräuselten Eierstöcken
1(3 I. Die Entwickelung des Eierstockseies.
beginnt die Ausbildung des Follikelinhalts zum Ei. Denn bis zu diesem
Stadium fehlte ihm der eigentliche Eistoff, welcher , wie ich zeigen werde , der
alleinige Erzeuger der späteren Entwickelung zum selbstständigen Leben ist,
nämlich die Dottersubstanz. Da nun die hier näher zu betrachtenden Bildungs-
stufen der Follikel gleichfalls in grosser Menge in den Eierstöcken geschlechts-
reifer Thiere vorkommen, so will ich zur Vermeidung von Wiederholungen
gleich von diesen reden. Ihr Bau ist nicht wesentlich von demjenigen der ge-
kräuselten Eierstöcke unterschieden: man denke sich nur die Wände der
letzteren durch die eingelagerten Eier und Eianlagen so stark ausgedehnt,
dass die zierliche Krausenform unkenntlich wird, und man hat den klumpigen
reifen Eierstock vor sich. — Die hier zunächst in Betracht kommenden, noch
klaren Follikel sind nur mehr oder weniger ausgewaschene Exemplare der zu-
letzt beschriebenen Form. Ihre Grösse wechselt je nach dem Alter in ausser-
ordentlich weiten Grenzen , auch wird ihre kugelige Gestalt bisweilen durch
den Druck der umgebenden Theile beeinträchtigt. Das Follikelepithel verhält
sich im Wesentlichen ganz so, wie bisher; an frischen Objecten versichert man
sich über seine Anwesenheit nur durch die grossen, blassen Kerne, von denen
bei der Einstellung des Mikroskopes auf die Follikeltiäche eine Anzahl deutlich
erscheint. Um sich aber zu überzeugen, dass diese Kerne wirklich Zellen
angehören, und um weitere Merkmale der letztern feststellen zu können, empfehle
ich die Behandlung der frischen Objecte mit Wasser-, dadurch quellen die
Zellen sehr stark, blähen sich gegen das Innere des Follikels auf und gewähren
ein äusserst scharfes Bild. Da ihre nach aussen gewandten Flächen sich dabei
nicht wohl ausdehnen können, so lässt sich ihr normaler Breitendurchmesser
in der Flächenansicht leicht bestimmen , — 30 p. Ferner kann man bei der
Anwendung des Wassers nachweisen , dass der Follikelinhalt noch unmittelbar
die Zellen berührt, dass aber die Grenze zwischen beiden Theilen eine sehr
scharfe ist und sie durchaus nicht kontinuirlich zusammenhängen. Uebrigens
kann man sich auch beim Zerdrücken dieser Zellen die Gewissheit verschaffen,
dass sie Hüllen besitzen. Diese Beobachtung machte ich noch an Follikeln,
welche bereits durch Dotter getrübt waren. — Solange die Follikel eine ge-
wisse Grösse (100 — 150 /u) nicht überschritten haben, ist ihr Inhalt im frischen
Zustande ganz durchsichtig klar; dass er aber gegen früher eine gewisse
chemische Veränderung erlitten, erhellt daraus, dass er durch Chromsäure-
lösungen und theilweise schon durch blosses Wasser in eine sehr feinkörnige
Masse umgewandelt wird, was in früheren Entwickelungsperioden bei gleicher
I. Die Eiitwickelung des Eierstockseies. 17
Behandlung nicht geschah. Dieser Versuch bestätigt aber auch, dass der
Follikelinhalt, wie es schon im frischen Zustande erschien, in seiner ganzen
Ausdehnung, in der nächsten Umgebung des Kernes, wie an der Peripherie,
überall gleich beschaffen ist. — Etwa um die Zeit, wann das Wachsthum die
obenbezeichnete Grenze erreicht hat, erscheinen in der ganzen Peripherie des
Follikelinhaltes , ganz dicht am Follikelepithel , unregelmässige Häufchen von
kleinsten, gelblichen, derbkonturirten Körperchen, sodass die Oberfläche des
Follikels gefleckt aussieht {Taf. I Fig. 9). Diese Flecke vermehren sich und
rücken dabei so nahe zusammen , dass sie endlich eine ziemlich gleichmässige
Körnchenschicht bilden, wodurch der ganze Follikel endlich undurchsichtig
wird. Zerdrückt man einen solchen von ungefähr 0.3 mll. Durchmesser, welcher
dem blossen Auge noch bläulich opalisirend erscheint, so findet man den Inhalt
zusammengesetzt aus einer farblosen Flüssigkeit und einer grossen Anzahl
kleinster Körperchen, welche genau so aussehen wie jene in den oberflächlichen
Häufchen angesammelten. Mit dem Auftreten dieser festen Theilchen in der
Follikelflüssigkeit beginnt die Umbildung der letzteren zu einer Dottermasse
und die Umwandlung des ganzen Follikinhaltes in ein Ei, wobei der Kern die
Rolle des Keimbläschens übernimmt. Jene kleinen Körperchen oder die Dotter-
körner vermehren sich nun ziemlich rasch ; wobei erst wenige, dann immer mehr
von den bekannten Dottertäfelchen oder -plättchen unter ihnen sich zeigen,
sodass diese endlich in den der Reife entgegengehenden Eiern den bei weitem
grössten Raum in der Dottermasse einnehmen. Bei stärkeren Vergrösserungen
bemerkte ich nun, dass jene Dotterkörner in allen Grössenabstufungen bis zum
blossen Punkt hinab ebenso eine viereckige Gestalt, gelbliche Farbe und derbe
Konturen besitzen, wie die Plättchen , sodass ich nicht daran zweifeln kann;
dass beide Formen sich nur in der Grösse unterscheiden. Ob nun die Plättchen
durch ein Wachsthum der einzelnen Körner oder durch eine Verschmelzunsr
mehrerer Körner entstehen, konnte ich nicht entscheiden , jedenfalls bilden sie
sich zuerst im Innern und breiten sich erst in der Folge bis zur Oberfläche aus.
— Es bliebe nur noch zu untersuchen übrig, woher die Dotterkörner ihren
Ursprung nahmen, ob sie durch lokale Differenzirung in der Grundsubstanz
des Follikels entstanden oder von der Oberfläche her einwanderten. Die Trü-
bung der Follikel im Anfange der Dotterbildung und andererseits die eigen-
thümliche Umwandlung, welcher der Follikelinhalt bei der Anwendung der
erhärtenden Chromsäure unterliegt, erlaubten mir nicht, auf jene Fragen be-
stimmt zu antworten. Jedoch kann man an den Durchschnitten von solchen
Goette, Entwickelungsgesebichtc -
13 I- Die Entwickelung des Eierstockseies.
gehärteten Follikeln, in welchen die Dotterbildung vor Kurzem begonnen hatte,
häufig bemerken, dass die dem Kerne oder dem Keimbläschen zunächst gele-
genen Theile heller sind als die äusseren; was bei mir die Ansicht hervorruft,
dass jene an der Oberfläche des Follikels auftretenden Körnerhäufchen allmäh-
lich ins Innere vorrücken und sich daselbst zerstreuen, während andere an ihre
frühere Stelle treten.
Einige Forscher reden von einem räthselhaften dunklen Gebilde, dem
Dotterkerne , welcher in wechselnder Gestalt in den hellen Follikeln vorkomme
und bald früher bald später in dem entstehenden Dotter sich auflöse. Ich muss
gestehen, dass ich eine solche Erscheinung weder an den frischen, noch an den
gehärteten Eierstöcken sowohl junger als älterer Exemplare von Bombinator
igneus antraf. Dasselbe Ergebniss lieferten mir einige junge Exemplare von
Bufo cinereus, in deren Eierstöcken die Dotterbildung eben begonnen hatte und
zwar bloss im vorderen Abschnitte, wesshalb er gelb und opak, der hintere
aber noch halb durchsichtig und opalisirend aussah.
Ich wende mich nun zur Betrachtung des Keimbläschens. Anfangs , d. h.
ohngefähr so lange, als das Protoplasma der ursprünglichen Bildungszellen
noch kenntlich ist, gleichen die Keimbläschen noch ganz den Kernen, aus denen
sie entstanden: ihre Form ist rundlich, jedoch nicht regelmässig, ihr Inhalt mit
feineren und gröberen Punkten oder Körnern untermischt. Ausserdem ent-
halten sie einige verhältnissmässig grosse, unregelmässig gestaltete, wandstän-
dige Körperchen, die Keimfiecke. Dies sind die gewachsenen und vermehrten
Kernkörperchen der verschmolzenen Kerne und da sie im Verlaufe derFollikel-
bildung neu entstehen und in allen Grössen angetroffen werden, deren unterste
an die grüssten dunklen Punkte sich anschliesst, so vermuthe ich, dass sie aus
den letzteren hervorgehen. Diese Annahme wird durch folgende Ueberlegung
unterstützt: je kleiner die Kernkörperchen sind, desto breiter ist verhältniss-
mässig die Randzone derselben, welche in Folge einer für das beobachtende
Auge zu starken Lichtbrechung dunkel erscheint, und desto kleiner das helle
Centrum; sie müssen also natürlich bei einer gewissen Kleinheit nur noch als
dunkle Punkte erscheinen. Daher halte ich es für mehr als wahrscheinlich,
dass die Keimflecke aus den punktförmigen Körnern der ursprünglichen Kerne
heranwachsen. — In dem Masse, als die Follikel immer mehr klare Flüssig-
keit aufnehmen und die Protoplasmareste in derselben aufgelöst werden , ver-
wandeln sich auch die Keimbläschen: während eines entsprechenden Wachs-
thums wird ihr Umriss kreisrund, ihr Inhalt, bis auf die gleichfalls wachsenden
I. Die Entwickelung des Eierstockseies. 19
Keimflecke, vollständig durchsichtig und lässt sich bei verschiedenen Reaktionen
(Wasser, Chromsäure u. s. w.) nicht mehr vom übrigen Follikelinhalt unter-
scheiden (Taf. I Fig. 9). Nachdem die Dotterbildung begonnen, verlieren
sich jene grossen Keimflecke allmählich und in dem Masse als sie sich ver-
mindern, erscheint an ihrer Stelle eine grössere Zahl kleinerer Keimflecke,
welche die Farbe und den Glanz der Dottertäfelchen besitzen. Zuletzt ist die
ganze Innenfläche des Keimbläschens mit solchen kleinen Keimflecken besetzt.
Beim Bombinator igneus gelang es mir nicht, die Umwandlung der grösseren
dieser Gebilde in die kleineren zu beobachten ; dagegen glaube ich eine solche
in den Eiern des Bufo cinereus erkannt zu haben. Zugleich mit dieser innern
Veränderung des Bläschens gibt sein Kontur die kreisrunde Form auf und ver-
läuft in einer unregelmässigen, allmählich sich immer mehr ausbuchtenden
Wellenlinie. Dafür, dass dies ein normaler Befund ist , bürgt die Untersuchung
ganz frischer Objekte ohne jeden Zusatz (Taf. I Fig. 10). — Ueber das Wachs-
thum der Keimbläschen kann man im Allgemeinen sagen, dass sie bis zu ihrer
Umwandlung entsprechend dem ganzen Follikel sich vergrössern, später aber
in ihrer Zunahme hinter demselben zurückbleiben. Alsdann verlassen sie auch
ihre centrale Lage und rücken gegen die Oberfläche des Follikels vor.
Wenn das junge Ei die Grösse von ungefähr 0.4 — 0.5 mll. Durchmesser
erreicht hat, bemerkt man zwischen dem Follikelepithel und dem Dotter eine
äusserst schmale , helle und strukturlose Zone — die Anlage der Dotterhaut.
Da das ganze Wachsthum des Dotters durch Anlagerung von aussen erfolgt
und nach der Bildung der Dotterhaut noch längere Zeit fortdauert , so scheint
es mir gar nicht zweifelhaft zu sein , welche genetische Bedeutung derselben
zukomme. Sie ist eine von aussen dem Dotter angefügte, anfangs offenbar
halbflüssige Substanzschicht-, und wenn man sie mit einer sich entwickelnden
Zellenhülle verglich, so vergass man , abgesehen von andern irrthümlichen An-
schauungen, dass die Dottermasse nach aussen keine fixe Grenze, also zu keiner
Zeit während ihrer Ansammlung eine bestimmte Rindenschicht besitze, welche
als ein organisch zur Hauptmasse gehöriger Theil erstarren könnte.
Zuletzt von allen Bestandtheilen des Eies erscheint das Pigment.* Es
verbreitet sich über die ganze Dotteroberfläche, aber in wechselnder Stärke.
* Dass dasselbe ein bloss accessorischer Theil der Eisubstanz , ohne jede wesentliche
Bedeutung sei, erhellt am besten daraus, dass selbst von so nahverwandten Arten, wie die
verschiedenen Tritonen es sind , die einen pigmentirte , die anderen ganz 'pigmentfreie Eier
haben.
2*
20 I- Die Entwickelung des Eierstockseies.
Die Halbkugel, in welcher das Keimbläschen sich befindet, nimmt so viel von
dem körnigen, durchaus schwarzen Pigment zwischen die Dotterkörner auf,
dass sie ein schwärzliches Kolorit erhält , die andere dagegen nur so viel , dass
die durchscheinende gelbliche Dotterfarbe und das Pigment sich zu einem
hellen Grau vermischen. Die dunkle Hemisphäre dreht sich bekanntlich, nachdem
das Ei gelegt und befruchtet worden, beständig nach oben; woraus man Ver-
anlassung genommen hat , von einer oberen und einer unteren Halbkugel und
den entsprechenden Polen des Eies zu reden. Ich werde mir erlauben, aus
Rücksicht auf die Bequemlichkeit des Ausdrucks, jene Benennungen auch schon
auf das Ei vor seiner Befruchtung anzuwenden.
Ich darf es als bekannt voraussetzen, wie die reifenden Eier aus der Wand
des Eierstocks in gestielten Kapseln hervorwachsen und alsdann in die Höh-
lungen des Organs vorragen. Unter den reifen Eiern , welche die volle Grösse
von ohngefähr 1.5 mll. Durchmesser erreicht haben, fand ich drei verschiedene
Bildungsstufen, deren Reihenfolge leicht zu bestimmen war , und welche offen-
bar nur durch kurze Zeiträume der Entwickelung von einander getrennt, wahr-
scheinlich zu einer und derselben Brut bestimmt waren, da eine solche, wie ich
weiter unten noch ausführlicher zeigen werde, stets Eier von verschiedener
Ausbildung umfasst. Die der Entwickelung nach jüngsten von jenen Eiern
schlössen sich unmittelbar an die halbreifen an. Ihre Dotterhaut hing mit dem
Dotter so innig zusammen, dass an eine Ablösung derselben nicht zu denken
war; auch Hess sich eine bestimmte Grenze zwischen beiden Theilen nicht nach-
weisen.
Die Dottermasse war in der untern Halbkugel etwas grobkörniger als in
der oberen ; auch fehlten dicht an der Peripherie die grössten Dotterelemente,
wobei die Mächtigkeit dieser feinkörnigen Schicht mit derjenigen der Pigment-
lage übereinstimmte, also in der oberen Halbkugel am grossesten war. In der
letzteren, ohngefähr 150 — 180 p von der Oberfläche entfernt, befand sich die
runde, das Keimbläschen enthaltende Höhle, deren Höhe (300 — 400 /*) von der
Breite (400—500^) etwas übertroffen wird (Taf. I Fig. 11). Es ist klar,
dass diese Höhle ihre Gestalt derjenigen des Keimbläschens verdankt; wenn aber
letzteres bei seinem Vorrücken gegen die Dotteroberfläche, also im Anfange
der Dotterbildung, jene Form besass und auch in gehärteten Eierstöcken be-
hielt, so füllt es im vorliegenden Stadium den frühern Raum nicht mehr aus.
Geschrumpft liegt es meist an der gegen das Centrum des Eies gekehrten Wand
der Höhle, während der leergewordene Theil der letzteren mit klarer Flüssigkeit
I. Die Entwickelung des Eierstockseies. 21
angefüllt ist. Obgleich nun die angewandten Erhärtungsmittel in jüngeren
Eiern eine solche Schrumpfung nicht bewirkten, also auch hier keine künstliche
Bildung vorzuliegen schien, so habe ich diesen Befund doch an frischen Objekten
kontrolirt und ihn vollständig bestätigt gefunden. Präparirt man die Keim-
bläschen unter Jodserum* aus den dottergefüllten Eiern aller Grössen heraus,
so ergibt sich die fortschreitende Schrumpfung des Keimbläschens aufs unzwei-
deutigste (Taf. I Fig. 10). Zeigte es anfangs nur einen wellenförmigen Um-
riss, so erscheint es später mit stark vorspringenden Buckeln besetzt, in denen
die Keimflecke angesammelt sind; zugleich ist es linsenförmig abgeflacht, trübe
und gelblich gefärbt. In den reifen Eiern endlich, deren Beschreibung ich eben
unterbrach, hat es freilich noch dieselbe äussere Form; aber der Inhalt ist noch
undurchsichtiger , sehr feinkörnig und fest geworden und hat sich von der
Hülle, an welcher die Keimflecke hängen bleiben, etwas 'zurückgezogen. Die
letzteren sind jetzt kreisrund; einige unter ihnen sind offenbar gewachsen (bis
zu 15 fi Durchmesser) und enthalten je einige Körner oder Bläschen, welche
aber viel kleiner sind, als die kleinsten Keimflecke.
Das zweite Stadium der Reife unterscheidet sich vom besprochenen äusser-
lich dadurch, dass am oberen Pole, also über dem Keimbläschen, ein gelblicher,
unregelmässiger Fleck mit verwaschenen Rändern inmitten des dunklen Feldes
entstanden ist. An Durchschnittsbildern erkennt man die Ursachen dieser
Erscheinung: die Pigmentschicht ist daselbst theils ganz unterbrochen, theils
wie verwischt, sodass die ungefärbte Dottermasse an der Oberfläche zu Tage
tritt (Taf. I Fig. 12). Im Innern ist die Höhle des Keimbläschens spurlos
verschwunden , und ruht dieses nach dem passenden Bilde Newport's (Nr. 35
S. 176) wie ein Aprikosenkern im Fleische der Frucht, fest im Dotter einge-
zwängt. Es nimmt alsdann die Stelle ein, die es zuletzt auf dem Boden der
Höhle inne hatte, hat sich also im Vergleiche zur Zeit, wo es noch die ganze
Höhle ausfüllte , von der Oberfläche der Dotterkugel scheinbar entfernt. Auch
hat es nur noch annähernd eine linsenförmige Gestalt, denn seine Umrisse sind
verschwommen und die Dottermasse dringt bereits hier und da in dasselbe ein.
Von der Hülle des Keimbläschens und den Keimflecken sind nur noch einzelne
Reste sichtbar, welche zum Theil schon in dem Rande der umgebenden Dotter-
masse liegen. Die Dotterhaut eines solchen Eies hängt nicht mehr, wie im
* Dieses Mittel konservirt nach meiner Erfahruno- auch die viel zarteren Säugethiereier
recht gut.
22 I- Die Entwickelung des Eierstockseies.
früheren Stadium, innig mit dem Dotter zusammen, sondern lässt sich ziemlich
rein von ihm abheben.
Die dritte und letzte von mir beobachtete Form von reifen Eierstockseiern
enthielt keine Spur eines Keimbläschens mehr; an seiner Stelle befand sich eine
äusserst feinkörnige Masse, welche ohne bestimmte Grenzen in die mit Dotter-
plättchen angefüllte Dottersubstanz überging und offenbar aus dem Zerfalle
des Keimbläschens hervorgegangen war (Taf. I Fig. 13). Der Fleck am
obern Pole war noch vorhanden, die Dotterhaut konnte gleichfalls unschwer
von der Dotteroberfläche getrennt werden.
Die reifen Eier lösen sich während der Begattung vom Eierstocke ab , ge-
langen in die Bauchhöhle und werden darauf in die Eileiter aufgenommen, aus
denen sie ins Wasser ausgestossen und dabei befruchtet werden. Die normale Be-
gattung des Bombinator igneus scheint 24 — 36 Stunden zu dauern; ich glaube
mich aber überzeugt zu haben, dass die Eier erst gegen das Ende der Begattung
in die Eileiter eintreten , also in denselben sich nur eine verhältnissmässig
kurze Zeit aufhalten. Es ist mir nun nicht gelungen, Eier auf dieser Wanderung
anzutreffen ; doch glaube ich diese Lücke in der Untersuchung durch Vergleiche
der vorhergehenden und der nachfolgenden Bildungsstufen ausfüllen zu können.
Ich habe mehrfache Gelegenheit gehabt, dem Legegeschäft des Bombinator
igneus beizuwohnen; daher war es mir möglich, die Eier zu jeder beliebigen
Zeit, selbst unmittelbar nach ihrem Austritte aus dem Mutterthiere in die
Kupfeiiösung zu bringen und so für die gewünschte Untersuchung jede weitere
Veränderung hintanzuhalten.
Bekanntlich erhalten die Eier der meisten Batrachier, so auch unseres
Thieres, innerhalb der Eileiter gallertartige Hüllen. Ich kann aber die
Beschreibung derselben übergehen, da sie, für die Entwickelung ohne Bedeu-
tung*, wesentlich nur der Befruchtung dienen. Sonst sind die frischgelegten
Eier den von mir beschriebenen reifsten Eierstockseiern sehr ähnlich. Die
Vertheilung des Pigments ist noch dieselbe : die obere Halbkugel ist schwärz-
lich gefärbt, von der untern empfängt man den Eindruck wie von einer hellen,
mit einem schwarzen Pulver leicht bestreuten Fläche. Ein Theil der frischge-
legten Eier zeigt auch den hellen Fleck in der Gegend des obern Poles; lässt
man dieselben sich weiter entwickeln, so kann man gewisse Veränderungen
* Schon Rusconi bewies (Nr. 6 S. 9 Nr. 16 S. 212), dass ein von seiner Gallertkülle be-
freites Ei sich ebenso normal wie ein intaktes entwickele.
I. Die Entwicklung des Eierstockseies. 23
innerhalb jenes Flecks und sein scliliessliches Verschwinden leicht verfolgen.
Untersucht man ihn genauer, so findet man seine Mitte häufig vertieft und
etwas dunkler als die Umgebimg; bisweilen gewährt sie sogar das Bild der
in einem Polster angebrachten Knöpfe oder eines eingezogenen Nabels. Nach
kurzer Zeit schwindet dieser Knopf und es bleibt an seiner Stelle ein Loch, wie
es beim Einstich in eine teigige Masse entsteht (Taf. I. Fig. 15). Dieses
Loch kann entweder auch verschwinden, bevor andere Erscheinungen auftreten,
oder es bleibt bis zum Beginne der Dottertheilung bestehen. Ebenso können
auch mehrere derartige Löcher vorhanden sein. Unterdess ist aber der helle
Fleck verschwunden, indem er sich entweder stetig zusammenzog oder im
Gegentheil unregelmässig sich ausbreitete, dem dunklen Felde für kurze Zeit
ein marmorirtes Aussehen verlieh und dann erst verschwamm. Uebrigens ist
die Reihenfolge aller dieser Ercheinungen durchaus nicht beständig: oft
fehlt die eine oder andere oder sie reduciren sich darauf, dass der
helle Fleck allmählich schwindet, ohne dass in seinem Bereiche bemerkens-
werthe Veränderungen vor sich gingen. Durchschnitte von solchen mit einem
Fleck versehenen Eiern lehrten, dass er ebenso wie in den reifen Eierstockseiern
von einer theilweisen Zerstörung der Pigmentschicht herrühre ; die Löcher
und Vertiefungen erwiesen sich als der Ausdruck nur ganz oberflächlicher
Unregelmässigkeiten. Die Dottermasse zeigte keine weitere Veränderung , als
dass die feinkörnige Substanz, welche ich bereits auf der letzten Reifestufe des
Eies als Residuum des Keimbläschens fand, sich unregelmässig in dem umge-
benden Dotter zerstreut hat, namentlich in schmalen Streifen gegen die Ober-
fläche ausstrahlt. Dies kann man an der grauen Färbung oder der Trübung
erkennen, welche jener Substanz durch die angesammelten punktförmigen
Körnchen verliehen wird , sodass der Dotter der obern Eihälfte nach seiner
Vermischung mit der dunkleren Masse marmorirt aussieht. Aber auch diese
innere Verfärbung schwindet bald in Folge einer gleichmässigeren Vertheilung
der festen Dottertheilchen. — Alle diese Erscheinungen sind also Störungen
in der Gleichmässigkeit der Pigmentschicht einerseits und andererseits der
innern Dottermasse, welche vor dem Beginn der eigentlichen Embryonalent-
wickelung ganz oder zum grösseren Theile wieder ausgeglichen werden ; im
letztern Falle aber stehen sie, wie es im folgenden Abschnitte noch näher aus-
geführt werden soll, mit jener Entwickelung in keinem Zusammenhange. Ich
bemerkte aber schon, dass nur einige der frischgelegten Eier alle jene Erschei-
nungen aufweisen.
24 !• Die Entwickelung des Eierstockseies.
Die übrigen verlassen die Eileiter entweder mit einem Flecke, welcher im
Verschwinden begriffen ist, oder selbst mit einer, gegenüber den reifsten Eier-
stockseiern, schon wiederhergestellten Pigmentschicht; ebenso kann die Aus-
gleichung der inneren Dottermasse bereits mehr oder weniger ausgeführt sein.
Aus diesen Thatsachen erhellt aber, dass die in einer Brut abgesetzten Eier
sich auf verschiedenen Stufen ihrer Umbildung befinden und dass die geschil-
derten Vorgänge gewöhnlich zum Theil oder vollständig in den Eileitern, mit-
hin von der Befruchtung durchaus unabhängig, ablaufen. Die am weitesten
zurückgebliebenen der frischgelegten Eier haben offenbar den Eierstock zuletzt
und zwar nur eine kurze Zeit, bevor sie gelegt wurden, verlassen,* sodass
ich sie nun in der Entwickelungsreihe ohne Zweifel unmittelbar neben die
reifsten Eierstockseier stellen darf, obgleich sie nicht dem Eileiter entnommen
wurden. Ein Vergleich beider Formen mag diese Annahme noch weiter begrün-
den: eine geringe Abnahme im Umfange des Fleckes und die stärkere Zer-
streuung der feinkörnigen Masse sind die einzigen Fortschritte des älteren Eies.
Wenn ich also annehmen darf, eine wesentlich ununterbrochene Ent-
wickelungsreihe der Erscheinungen am obern Pole beobachtet zu haben, so
fragt sich nun : wie entsteht und was bedeutet jene Zerstörung der Pigmentschicht,
deren Ausgleichung so bald erfolgt, ohne nachweisbare Folgen zu hinter-
lassen ? — Die Antwort ergibt sich allerdings nicht unmittelbar aus meinen
Beobachtungen, wohl aber aus einer vergleichenden Betrachtung dieser und
einiger älterer Angaben. Ich erinnere zunächst daran, dass der helle Fleck
sich nicht allmählich entwickelt, sondern ganz unvermittelt auftritt, und dass
zugleich ebenso plötzlich der vom schrumpfenden Keimbläschen zurückge-
lassene Hohlraum verschwunden ist. Der letztere war mit einer Flüssigkeit
angefüllt, und wenn man bedenkt, dass das schrumpfende Keimbläschen fester
wird, also Flüssigkeit verliert, so ist es wohl mehr als wahrscheinlich , dass die
ursprüngliche Höhle des Keimbläschens nach wie vor dessen ganzen Inhalt um-
fasst, mit dem Unterschiede gegen früher, dass in dem Masse, als seine festen
Theile sich zusammenziehen, die flüssigen in den dadurch freiwerdenden Raum
der Höhle übertreten. Ich kann nun nicht annehmen, dass diese Flüssigkeit
des Keimbläschens sich ganz plötzlich dem übrigen Dotter assimilire; denn dies
widerspräche aller Erfahrung. Dagegen finde ich den befriedigendsten Auf-
* Ick bemerkte schon, dass die Eier erst gegen das Ende der Begattung in den Eilei-
ter treten; und da sie es nach allen bisherigen Beobachtungen einzeln ausführen, so können
die zuletzt eingetretenen nur eine kurze Zeit sich in dem Eileiter aufhalten. —
I. Die Entwickelung des Eierstockseies. 25
schluss über den fraglichen Vorgang in den Beobachtungen v. Baers: er sagt,
dass das Keimbläschen die Dotteroberfläche durchbreche und dann erst
schwinde, dass ein Theil der Flüssigkeit, welche man an befruchteten Eiern
zwischen Dotter und Dotterhaut antreffe, von jenem Bläschen herrühren möge,
und endlich , dass der helle Fleck oder die Lücke in dem dunklen Felde aus
jenem Durchbruche hervorgehe. Es genügt in der That, diesen Mittheilungen
die Ergänzung hinzuzufügen, dass nicht das ganze Keimbläschen, sondern bloss
seine in der Höhle frei befindliche Flüssigkeit die Dotteroberfläche durchbreche,
um einzusehen, wie die Zerstörung der Pigmentschicht eine natürliche Folge
von dem Verschwinden der Höhle sei, Beides aber offenbar in der kürzesten Zeit,
ich möchte fast sagen, in einem Momente vor sich gehe. Und v. Baer's Ver-
muthung, dass die aus dem Dotter hervorgetretene Flüssigkeit sich über dessen
Fläche ergiessend, dieselbe gewissermassen von der Dotterhaut trenne , findet
eine nachdrückliche Unterstützung in meiner schon erwähnten Beobachtung
über das verschiedene Verhalten jener Haut vor und nach dem Auftreten des
hellen Flecks.
Fassen wir nun alle Erscheinungen am reifen Eie bis zur Befruchtung zu-
sammen, so ergeben sie sich insgesammt als Folgen der Auflösung des Keim-
bläschens. Es dürfte hier der Gedanke nahe liegen, dass dadurch der ur-
sprünglichen Dottermasse ein neuer Bestandtheil beigemischt, ihre frühere
Zusammensetzung also verändert würde. Ich kann aber diese Ansicht nicht
theilen. Zuerst mache ich darauf aufmerksam, dass schon in den ganz klaren
Follikeln, ganz im Anfange der Eibildung, der Inhalt des Follikels sowohl in-
nerhalb, als ausserhalb des Keimbläschens derselbe ist: in beiden Theilen be-
steht er aus einer Mischung von Protoplasma mit der von aussen abgesonderten
Flüssigkeit, und die durch die Membran des Keimbläschens erzeugte Endo-
smose sorgt für die volle Ausgleichung, sodass weder das normale Aussehen,
noch das Verhalten beider Theile bei der Einwirkung verschiedener Reagentien
einen Unterschied erkennen lässt. Erst das Erscheinen der festen Dotterkör-
perchen ruft eine gewisse Differenz hervor: indem sie von der Oberfläche des
Follikels gegen das Centrum vorrücken, aber in das Keimbläschen nicht ein-
dringen können, verändern sie die Konsistenz in seiner Umgebung, also auch
die . endosmotische Ausgleichung. Früher blähte sich das Keimbläschen auf,
weil es fester war, als die Umgebung; nun schrumpft es, weil die umgebende
Flüssigkeit dicker wird* Daher glaube ich, dass die Substanz des Keim-
* Vielleicht ist diese Verdichtung des umgebenden Dotters die Ursache, dass das ver-
26 !• Die Entwickelung des Eierstockseies.
bläschens bei seiner Auflösung von der Grundsubstanz des Dotters sich nicht
wesentlich unterscheide, dass also die ganze Ausgleichung innerhalb des Folli-
kels bei der Zerstörung der letzten Zellenreste sich weniger auf die Substanzen
selbst als auf ihre Form beziehe, und die Dottermasse zu jeder Zeit wesentlich
dieselbe bleibe. Eine weitere Frage aber ist die, wie weit die zwei genetisch
verschiedenen Bestandtheile des Follikelinhaltes, die Zellenreste und das
von aussen eingeführte Sekret, welche sich bereits so frühe zum Dotter mischen,
ihrer Beschaffenheit nach sich von einander unterscheiden. Darauf gibt die
Entwickelungsgeschichte, wie mir scheint, eine ziemlich ausreichende Antwort:
die Zellen, welche das Sekret liefern, und diejenigen, deren Reste sich in den
Follikeln auflösen, sind nicht nur ganz gleichartig, sondern auch noch eine kurze.
Zeit vor der ersten Follikelbildung vollständige Embryonalzellen, cl. h. mit der-
selben Dottermasse gefüllt gewesen, welche sie in den Follikeln neuerdings er-
zeugen sollen (vgl. den letzten Abschnitt dieses Buchs).
So kann ich denn die Betrachtung des reifen Eies mit dem Ergebnisse
schliessen, dass alle seine Veränderungen im Eierstocke und Eileiter nur die
unmittelbare Fortsetzung und den Abschluss jenes schon im ersten Anfange der
Eibildung eingeleiteten Processes bilden, dessen Bedeutung in der Zerstörung
der Zellenreste innerhalb des Ovarialfollikels und in der Herstellung eines
Keims beruht, welcher aus einer gleichartigen und in keinem
Theile organisirten Masse besteht. —
Ich glaube gestützt auf meine Beobachtungen behaupten zu dürfen, dass
keiner meiner Vorgänger bei den Untersuchungen über die Entwickelung des
Eies bis zu einfachen Zellen zurückgegangen ist. Freilich wollen Wittich und
Waldeyer es gethan haben; aber ihre ununterbrochenen Beobachtungsreihen
reichen offenbar nur bis zu jungen Follikeln zurück, welche sie irrthümlicher-
weise für einfache Zellen hielten. Denn Wittich sah diese zu Eiern bestimm-
ten, sehr grossen „Zellen" unabhängig von den ursprünglichen, die Geschlechts-
drüsenanlage zusammensetzenden Elementen und zwar in den innern Hohlräumen
des Organs neu entstehen, d. h. er bemerkte die Eianlagen erst sehr spät (wann
bältnissmässig leichter gewordene Keimbläschen seine centrale Lage verlilsst und nicht an
eine beliebige Stelle der Oberfläche, sondern wirklich aufwärts vorrückt.
I. Die Entwickelung des Eierstockseies. 27
die Lymphräume bereits vorhanden sind) und hielt sie für neugebildete Zellen,
weil er ihre Genese nicht kannte. Damit hängt wohl auch die irrthümliche
Angabe über den Ort ihrer Entstehung zusammen. Andererseits fand Wald-
eter in Eierstöcken ausgewachsener Frösche Gruppen von kleineren und
grösseren ein- und vielkernigen Elementen, welche zuweilen an der Oberfläche
des Organs frei zu Tage treten. Darauf hin erklärte er die Gruppen für
"PpLUEGER'sche Schläuche, die Elemente insgesammt für einfache Zellen, die
grössten unter ihnen namentlich für Eizellen. Da nun in embryonalen Orga-
nen sowohl das oberflächliche Epithel, von dem die Schläuche hätten ausgehen,
als auch ein Bindegewebsstroma fehlt, in welches sie hätten hineinwachsen kön-
nen, die ursprünglichen Organanlagen vielmehr in ihrer ganzen Masse aus
Elementen bestehen, welche der Follikelbildung dienen, so kann auch von jener
bei den höhern Wirbelthieren vorkommenden Schlauchbildung bei jungen Ba-
trachiern nicht wohl die Rede sein, auch wenn man von meinen übrigen
Beobachtungen absehen wollte. Wie solche oberflächliche Gruppirungen ent-
* stehen können, habe ich schon in der Beschreibung angedeutet; für eine
abweichende Bildung derselben in erwachsenen Thieren fehlt aber der Beweis.
Im übrigen muss ich die vielkernigen "Eizellen Waldeyer's für meine viel-
kernigen Follikel erklären, um so mehr als Waldeyer uns den Aufschluss
schuldig blieb, wie jene vielen Kerne entstehen und was aus ihnen werde. Die
genannten beiden Forscher stimmen also in der Annahme überein, dass die aus
je einer Zelle bestehenden Eianlagen vor dem zugehörigen Follikel vorhanden
seien, während ich betonen muss, dass die Follikel zuerst und zwar indifferent
für beide Geschlechter entstehen, und erst in verhältnissmässig später Zeit
sich entscheiden, ob sie die Bildung von Eiern bewirken oder in die Zusammen-
setzung eines Hodens eingehen werden. — Noch weniger als den beiden ge-
nannten Forschern gelang es den andern, die Entwickelung der Eifollikel auf
unzweifelhafte Zellen zurückzuführen.
Ueber die Dotterbildung bestehen zweierlei Angaben: beim Frosche be-
ginnt sie nach v. Baer, Cramer, Carus, Leuckart, Thomson, Waldeyer ein-
seitig mit dem Dotterkerne, während Vogt bei Alytes obstetricans, v. Bambecke
bei Pelobates fuscus, ich beim Bombinator igneus undBufo cinereus kein solches
Gebilde, sondern eine koncentrische gleichmässige Ablagerung des Dotters
fanden. Worin der Grund dieser Verschiedenheit liegt, ist bis jetzt noch nicht
aufgeklärt. — Eine allmähliche Rückbildung des Keimbläschens hat keiner
meiner Vorgänger beobachtet; Vogt sah allerdings einen unregelmässigen
28 I- Die Entwicklung des Eierstockseies.
Umriss desselben eintreten, vermochte aber dieses Aussehen nicht zu deuten,
und Thomson hält es für unbeständig und von äussern Umständen abhängig.
Ueber das endliche Schwinden des Keimbläschens liegen auch keine vollstän-
digen Angaben vor, wie denn auch Niemand bisher das schrumpfende Keim-
bläschen von seiner in der Höhle befindlichen Flüssigkeit unterschied* Nach
meinen Erfahrungen müsste man die einander durchaus entgegengesetzten An-
gaben v. Baer's und NEWPORT'skombiniren; Ersterersah die Flüssigkeit an die
Oberfläche treten, hielt sie aber irrthümlicher Weise für das ganze Keimbläs-
chen, welches daher im Dotter eine Höhle zurücklasse, während Newport
andererseits dasselbe im Innern des Dotters schwinden sah, aber von dem vor-
hergehenden Stadium, wann die mit Flüssigkeit gefüllte Höhle noch besteht,
nichts wusste. Jene Beobachtung v. Baer's erklärt auch ganz ungezwungen
die eigentümlichen Erscheinungen am oberen Pole, über welche mehre Be-
schreibungen vorliegen. Newport verfolgte merkwürdigerweise ähnliche Er-
scheinungen, wie Rusconi und ich sie in dem hellen Flecke beschrieben, nur
an der unteren hellen Hemisphäre, während v. Bambecke's ausführliche Be-
schreibung der Dotterkanälchen wie eine Wiederholung der v. BAER'schen An-
gaben über den Dotterkanal und die centrale Dotterhöhle erscheint, obgleich
v. Bambecke dieselben ausdrücklich zurückweist (Nr. 71 S. 64). Jedenfalls
habe ich allen Grund, die genannten Erscheinungen mit dem Austritte der
Flüssigkeit des Keimbläschens in Verbindung zu bringen, durchaus aber keine
Veranlassung, mich der Hypothese v. Bambecke's anzuschliessen.
Die Keimflecke bemerkte schon der Entdecker des Keimbläschens im
Froscheie, v. Baer** ; Vogt, Ecker und Leuckart kannten offenbar nur die
zweite, allmählich sich vermehrende und wachsende Generation derselben,
während Lereboullet in Jüngern Follikeln grössere Keimflecke fand als in
älteren, was aber nur aus seinen Abbildungen und Massangaben hervorgeht,
ohne dass er es selbst ausgesprochen hätte.*** Newport's Angabe, dass
anfangs im Froscheie nur ein Keimfleck vorhanden sei, kann ich an meinem
* v. Bambecke hat freilich in der Figur 10 Tafel V seines grösseren Werkes ein ge-
schrumpftes Keimbläschen gezeichnet, welches seine ursprüngliche Höhle nicht mehr ganz
ausfüllt. Aber er erklärt diesen Befund aus der Wirkung des zur Erhärtung angewandten
Alkohols (Nr. 6o. S. 9), der allerdings die natürliche Schrumpfung noch befördert haben
muss. —
** Die Benennung „WAGNEit'sche Flecke'" ist wohl nur daher entstanden , dass die be-
treffende Bemerkung v. Baer's, wie so manche andere Desselben, unbeachtet blieb.
*** Vogt meldet von einem gleichen Befunde an Hechteiern, während er dasselbe Ver-
hältniss an Froscheiern nicht nachweisen konnte (Nr. 26 S. 16).
I. Die Entwickelung des Eierstockseies. 29
Thiere nicht bestätigen * ; ebenso wenig seine und Cramer's Beobachtungen
über die Zellenbildung im Keimbläschen. Wenn aus einer Stelle von Cramer's
Abhandlung (Nr. 34 S. 23) hervorgeht, dass er seine Keimflecke an zerdrück-
ten Eiern untersuchte, wenn er ferner ihre Anzahl auf mehrere Hunderte in
einem Ei angibt (ebendas.) und doch bemerkt (S. 31), dass viele von ihnen
grösser sind als die kleinsten Dotterkugeln eines chagrinartig gefurchten Eies
(also mindestens von 45 p Durchmesser), so darf man wohl die Richtigkeit
solcher Angaben bezweifeln. — Wagner's Irrthum, dass die Keimflecke, nach-
dem das Keimbläschen zu Grunde gegangen, in dem Dotter erhalten blieben,
um in die Entwickelung des befruchteten Eies einzugehen, wurde namentlich
von Vogt aufgenommen •, ihm schlössen sich Cramer und Ecker an. Es wäre
möglich, dass die Keimflecke etwas länger erhalten blieben, als das Keimbläs-
chen, obgleich ich nach dem Schwunde des letzteren an Durchschnitten niemals
auch nur eine Spur derselben entdeckte. Beim Zerdrücken frischer Dotter er-
scheint freilich eine Menge durchsichtiger Kügelchen in allen Grössen, die man
an Durchschnitten nicht sieht, aber dies sind einfache Fetttröpfchen. Dagegen
werde ich im nächsten Abschnitte zeigen, dass kurz vor dem Erscheinen der
ersten Furche allerdings in der Peripherie des Dotters zahlreiche kleine
Körperchen auftreten , die aber mit der Embryonalentsvickelung so wenig zu
thun haben, als die Keimflecke ; wenn man nun überlegt , dass die zuletzt ge-
nannten Forscher die Keimbläschen im Eierstocke und bereits befruchtete Eier
kurz vor der Furchung kannten und untersuchten, nicht aber die Zustände des
Eies in der Zwischenzeit (Nr. 34 S. 24. Nr. 26 S. 6—8) , so wird man den Irr-
thum von der Persistenz der Keimflecke erklärlich finden.
Ueber das Follikelepithel bemerke ich noch, dass Cramer es zuerst be-
schrieben, Thomson aber dasselbe nur in dem durch Wasser veränderten Zu-
stande beobachtet hat. Den hierher gehörigen Irrthum Lereboullet's , wel-
cher die Epithelzellen in den Dotter verlegte , hat bereits Waldeyer nachge-
wiesen (Nr. 66 S. 75) ; die eigentlichen Urheber jener Ansicht sind aber
Prevost und Lebert. —
Wenn nun aus der voranstehenden Vergleichung hervorgeht, dass ich
gerade in den wichtigsten Beobachtungen über die Eibildung bei den Batra-
* Wittich bemerkte in sehr jungen Froscheiern einen verhältnissmässig sehr grossen
Keimfleck unter den vielen kleineren (Nr. 85) ; offenbar war dies der letzte von der ersten
Generation zurückgebliebene.
30 I. Die Entwicklung des Eierstockseies.
chiern meinen Vorgängern widersprechen muss , so dürfte es sich von selbst
verstehen, dass ich ihnen in ihrer allgemeineren Auffassung der betreffenden
Entwickelungsvorgänge und in ihrer Deutung des Eies nicht folgen kann. —
Seit Schwanns bahnbrechender Arbeit gilt das thierische Ei ganz allgemein
für eine Zellenbildung einfacher oder zusammengesetzter Art; die Einen suchten
dies mehr durch Analogien und durch allgemeine Gründe, die Andern aus der
Entwicklungsgeschichte der Eier zu erweisen. Ich kann mich aber darauf
nicht einlassen, auch nur die Darstellungen, welche das Batrachierei betreffen,
alle einzeln zu prüfen; denn weder liegen denselben in allen Fällen selbststän-
dige Untersuchungen über die Entstehung des Eies zu Grunde, noch hat über-
haupt ein Forscher bis jetzt, wie ich gezeigt habe, die ersten Anfänge der
Follikelbildung wirklich gesehen. Auffassungen, wie diejenigen Reichert's,
Vogts und Newports können eben nur als willkürliche bezeichnet werden,
um so mehr, als jene Forscher selbst eine Bestätigung derselben einer künftigen
Aufklärung über die Entstehung des Eies anheimstellen (vgl. Reichert, Bericht
über die Fortschritte der mikroskopischen Anatomie für das Jahr 1841 in
Müllers Archiv für Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medicin 1842
S. CCLIV; Nr. 26 S. 18). Es sei mir daher gestattet, hier nur drei Arbeiten
hervorzuheben , in denen die vorgetragenen Ansichten aus der Entwickelung
des Ovarialeies zu begründen gesucht werden. — So wie Wittich die Ent-
wickelung der Batrachiereier darstellt, unterliegt es keinem Zweifel, dass er
das Ei für eine einfache Zelle hält, welche sich von ihrem frühesten Zustande
und den umgebenden Zellen nur durch die Umbildung ihrer Substanz , durch
die später hinzukommende äussere Hülle (Dotterhaut) -und durch ihr enormes
Wachsthum unterscheidet. Hinsichtlich des jungen Vogeleies gibt WitTich
diese Auffassung mit aller wünschenswerthen Klarheit und Deutlichkeit kund
(Nr. 85 S. 119). — Leuckart zieht denselben Schluss aus einer durchaus
abweichenden Darstellung des Entwickelungsganges (Nr. 38 S/815 — 818). Er
sieht in dem letzteren denselben Typus, „nach dem die sogenannten Umhüllungs-
kugeln in Zellen sich verwandeln" (S. 817); denn zuerst erscheine das Keim-
bläschen als Zellenkern, dann um denselben herum der Dotter als Zelleninhalt
und zuletzt die Dotterhaut als die umhüllende Zellenmembran. — Aber die
Vogeleier erregten allmählich so starke Zweifel an der bezeichneten Auffassung,
dass endlich in der neuesten Zeit Wald eyer versuchte, die Eier der sämmtlichen
Wirbelthiere als zusammengesetzte Bildungen hinzustellen, in denen nur einTheil
einer wirklichen Zelle entspräche. Seine Vorstellung über den allgemeinen
I. Die Entwickelung des Eierstockseies. 31
Bilclungstypus der Eier ist ohngefähr folgende. Einzelne der für die Keimdrüsen
bestimmten Zellen (Keimepithel) wachsen ganz besonders aus (Eizellen) und in-
dem sich eine mit Epithel gefütterte Kapsel um jede derselben herumbildet, wird
sie zum „Primordiale!", welches „vollkommen einer ächten einfachen Zelle mit
Protoplasma, Kern und Kernkörperchen entspricht" (Nr. 66 S. 83); für das
Protoplasma des Primordialeies adoptirt Waldeyer die von His eingeführte
Bezeichnung „Hauptdotter." An diesen, den Eizellenkern oder das Keim-
bläschen einschliessenden Hauptdotter lagere sich die Hauptmasse der Dotter-
substanz als „Nebendotter" an , worauf die Dotterhaut das Ganze ein- und ab-
schliesse. Diese neuen Theile, Nebendotter und Dotterhaut seien „accessorische",
welche durch Apposition dem Primordiale! zugesellt, demselben den einfachen
Zellencharakter nehmen (S. 82. 83). Wenn auch bei den Batrachiereiern „eine
Abgrenzung des ursprünglichen Protoplasmas der Eizelle gegen die später
hinzutretenden Dotterelemente nicht gut möglich" sei , so müsse dieser Unter-
schied doch genetisch angenommen werden (S. 76).
Da ich die Beobachtungen, von denen diese drei Darstellungen ausgehen,
auf Grund meiner eigenen Untersuchungen bereits als unrichtige bezeichnete,
werde ich die weitere Beweisführung im einzelnen nicht zu widerlegen suchen.
Wichtiger scheint es mir, darauf aufmerksam zu machen, dass die genannten
Darstellungen trotz der verschiedenen Ausgangspunkte wesentlich zu demselben
Schlüsse kommen: das Ei sei entweder im ganzen oder zum Theil eine Zelle,
also organisirt. Denn ich glaube, dass dieses gemeinsame Resultat kein zu-
fälliges, sondern aus der nun einmal allgemein herrschenden Anschauung
hervorgegangen ist, dass die thierische Fortpflanzung auf einer ununterbrochen
fortlaufenden Kontinuität des organischen Lebens beruhen müsse. Dass aber
eine, wie ich glaube, unbefangene Deutung meiner Beobachtungen zu einer ganz
anderen Auffassung über die Eibildung führe, will ich im Folgenden zu erwei-
sen suchen. Freilich rede ich nur vom Eie des Bombinator igneus; da ich aber
auf die Zuverlässigkeit meiner Untersuchungen im Allgemeinen glaube ver-
trauen zu dürfen und über die Beobachtung hinaus zu keinen weiteren Annah-
men mich gezwungen, sehe, so dürfte auch eine so einseitige Behandlung des
Gegenstandes Veranlassung geben, meine Angaben und Ansichten auch an
anderen Thieren zu prüfen und vielleicht zu verallgemeinern. —
Zu welchem Theile der embryonalen Grundlagen die Geschlechtsdrüsen
gehören, kann ich, wie gesagt, erst in einem spätem Abschnitte auseinander-
setzen ; hier bemerke ich nur, dass die keimerzeugenden Elemente (Keimzellen)
i
32 I- Die Entwickelmig des Eierstockseies.
unmittelbar aus den Embryonalzellen, den ersten organisirten Theilen des sich
entwickelnden Organismus hervorgehen. Diese Keimzellen erscheinen zuerst
als eine indifferente Anlage; bald aber überwiegt die Ernährung an einzelnen
Punkten, sodass die daselbst gelegenen Zellen zunächst wohl nur durch ihr
Wachsthum sich vor den andern auszeichnen. Diese erste Veränderung wirkt
nothwendig auf die Umgebung, es beginnen an jenen Stellen ganze Zellen-
gruppen von der übrigen Masse sich abzusondern; im Innern der Gruppen
sammelt sich überschüssige Flüssigkeit in den Zellen an, wogegen die
Zellen an der Oberfläche sich einer fortdauernden Sekretion anpassen; endlich
gehen jene centralen Zellen unter dem Andränge der zunehmenden Flüssigkeit
zu Grunde, indem zuerst ihre Form zerstört wird (Verschmelzung), dann ihr Proto-
plasma und zuletzt ihre resistenteren Kerne (Keimbläschen) sich jener Flüssigkeit
assimiliren. Unterdessen dauert die Thätigkeit der äusseren secernirenden Zellen
fort, indem sich eine Bindegewebskapsel mit zuführenden Gefässen um dieselben
lagert und die Absonderung regelt und vermehrt. So entstehen die vollstän-
digen Follikel und wenn man zunächst davon absieht , wozu sie bestimmt sind,
so lässt sich nicht läugnen, dass sie nach ihrer Entwicklung, ihrer Form und
Thätigkeit durchaus mit einfachen Drüsen übereinstimmen. Denn die Haut-,
Schleim- und Speicheldrüsen entstehen, wie ich es selbst an verschiedenen Wirbel-
thierenhabe verfolgen können, in der Art, dass die inneren (centralen oder axialen)
Zellen einer noch indifferenten Zellenmasse zerfallen , während die äusseren zu
secerniren anfangen, worauf eine bindegewebige Gefässschicht das Ganze einkap-
selt. Solche Drüsen erhalten aber unter normalen Umständen offene Mündungen,
durch welche das mit den aufgelösten Zellen gemengte Sekret beständig ab-
geführt wird , während die vollständig geschlossenen Eifollikei, ähnlich wie ge-
wisse abnorm verschlossene Drüsen, zu ihrer Anfüllung eine längere Zeit be-
dürfen, ehe sie den angesammelten Inhalt entleeren. Dieser besteht nun eben-
so wie in den anderen Drüsen wesentlich aus dem Sekrete der Follikelwand,
welches allmählich sich zur Dottermasse ausbildet, und in dem die noch
übrigen Zellenreste sich vollständig auflösen , sodass endlich jede Spur eines
organisirten Theiles verloren geht. Diese unbedeutende und nach dem Stoffe,
wie ich gezeigt habe , der abgesonderten Flüssigkeit verwandte Beimischung
beeinträchtigt aber den Charakter derselben ebenso wenig wie die stets vorhan-
denen Zellenreste in anderen Drüsen. Das Ei als Drüsensekret der Eierstocks-
follikel aufgefasst, hat daher vor anderen ähnlichen Bildungen nur das voraus,
dass die bei ihnen allen wesentlich gleichen Entwickelungsvorgänge in einer
I. Die Entwicklung des Eierstockseies. 33
•
gewissen Ordnung verlaufen. So bestehen Ansammlung und Entleerung des
Dotters nicht dauernd gleichzeitig, sondern der Abschluss des Wachsthums
führt erst die Entleerung herbei; die Zerstörung der Zellen hat stets die Ver-
schmelzung der Kerne zum Keimbläschen zur Folge, und auch dessen schliess-
liche Auflösung bedingt eine bestimmte Veränderung im Eie , nämlich die Ab-
hebung der Dotterhaut, welche ohne seinen eben bezeichneten Charakter zu
ändern , dennoch gerade den eigentümlichen Zustand hervorruft , aus dem
heraus sich ein Leben entwickeln kann. — So sehr nun diese Fähigkeit des
reifen Eies selbst a priori die Vorstellung provociren musste, dass es desshalb
auch aus lebendigen Theilen unmittelbar hervorging, so zwingt uns doch die
voranstehende Betrachtung jene Vorstellung aufzugeben. Das Ei entsteht
weder aus einer noch aus mehreren Zellen, sondern dieselben sind nur gewisser-
massen die Veranlassung zur Eibildung ; sie wachsen nicht durch eine Nahrungs-
aufnahme zum ganzen Eie oder zum wichtigsten Theile desselben aus^Haupt-
dotter) , sondern werden vielmehr in dem von aussen gelieferten Sekrete, der
Dottermasse , aufgelöst, gleichsam von ihr verzehrt. Es lässt sich also die
Unterscheidung eines Haupt- und eines Nebendotters auch nicht einmal in der
Vorstellung durchfuhren.
Ich bin aber allerdings nicht der Ansicht, dass die Zellennatur dem Eie
bloss desshalb abgesprochen werden müsse, weil es nicht unmittelbar aus einer
oder mehren Zellen hervorgehe-, es könnte trotzdem, da das Leben in ihm
unzweifelhaft einmal entsteht, die betreffende Organisation schon vor dem Be-
ginn der Embryonalentwickelung, schon innerhalb des Eierstockes gewonnen
haben und wenn nicht durch seinen Ursprung, so doch durch sein späteres
Verhalten den Namen eines Elementarorganismus , einer Zelle verdienen. Bei
der Diskussion dieser Frage muss man sich nur vor dem sehr gewöhnlichen
Fehler hüten , den Nachweis der Zellennatur einfach schon in der Anwesenheit
der Formbestandtheile einer Zelle zu finden. Indem ich mir vorbehalte , auf
diesen Gegenstand im nächsten Abschnitte näher einzugehen, hebe ich hier
nur ganz kurz diejenigen Merkmale hervor , welche für die Bestätigung des
einfachsten Lebens, wie in der uns vorliegenden Frage, allein maassgebend
sein dürfen.
Die Zellen sind die kleinsten lebendigen Elemente, aus denen sich der
Organismus aufbaut und zusammensetzt; unter „Leben'' versteht man aber die
nur den organisirten Einzelwesen eigenthümlichen Aeusserungen und Wir-
kungen, welche alle in der Selbsterhaltung des Individuums wurzeln. Diese
Goette, Entwickelungsgeschichte. 3
34 !• I)iß Eutwickelung des Eierstockseies.
Selbsterbaltung verlangt, dass von aussen an dasselbe herantretende Einflüsse
in solche Wirkungen übergeführt werden , welche seinen Bestand nicht beein-
trächtigen. Wenn auch selbstverständlich nicht alle äusseren Einwirkungen
vom Individuum paralysirt werden können, so ist es andererseits klar, dass es
nur unter günstigen Bedingungen entstehen konnte und alsdann auch unter
denselben weiter bestehen kann. Diese Bedingungen sind im Wesentlichen der
Aufenthalt des Individuums in solchen Medien, welche beim Eindringen in
dasselbe von ihm assimilirt werden können. Diese Assimilation oder Ernäh-
rung muss dann auch die Ausfälle und Verluste, welche es durch andere Ein-
wirkungen erlitt , decken und so entsteht das Spiel von Einnahmen und Aus-
gaben, welches man den Stoffwechsel nennt. Dieser, das Mittel der Selbst-
erhaltung, ist die Grundbedingung aller Lebenserscheinungen, der Bewegung,
des organischen Wachsthums , der Entwickelung und Fortpflanzung ; und so
muss das Leben eines zweifelhaften Elementarorganismus, wenn alle sicheren
Analogien fehlen, kraft deren wir sonst auf die blosse Formerscheinung hin
unser Urtheil abgeben*, aus jenen Merkmalen, oder wenn es überhaupt mög-
lich ist, aus der Wahrnehmung des Stoffwechsels selbst erwiesen werden, wenn
man jenem Gebilde das Prädikat einer Zelle zuerkennen soll. Im vorliegenden
Falle brauchen wir auf die vielfachen Schwierigkeiten, denen eine genaue
Unterscheidung jener Lebenserscheinungen von den ähnlichen rein physikali-
schen häufig begegnet , gar nicht einzugehen ; denn es bietet sich uns hier eine
1 Entscheidung gerade in dem vollständigen Mangel jener Erscheinungen. Ver-
folgt mau das Ei auf seinem ganzen Bildungsgange bis zur Befruchtung, so
könnte für unseren Zweck allenfalls nur sein Wachsthum in Frage kommen.
Dass aber dieses nur eine Grössenzunahme durch äussere Anlagerung neuen
Stoffes ist, lässt sich wohl am untrüglichsten daraus entnehmen, dass die
flüssige Dottermasse zu keiner Zeit bis zum Aufhören der Vergrösserung eine
Selbstständigkeit der Form , eine fixe Grenze besitzt : sie wird nur mechanisch
vom Follikel und der Dotterhaut zusammengehalten, und innerhalb der
letzteren erst nach der Befruchtung selbstständig. Ja, man könnte schon
bloss aus jenem Mangel einer bestimmten Begrenzung folgerichtig auf den-
jenigen einer individuellen Existenz schliessen. — Wie sehr aber der ganze
* Selbstverständlich geschieht dies in den bei weitem meisten Fällen mit vollem Recht,
welches aber überall da, wo die Analogie nicht ganz klar, und die Entscheidung von weit-
tragender Bedeutung ist, die strengere Forderung nicht ausschliessen kann.
^
I. Die Entwickelung des Eierstockseies. 35
Bestand des Eierstockseies nur eine Folge der Drüsenthätigkeit und von un-
abhängig ist , ersieht man aus folgenden Beobachtungen. Sowie die Sekretion
und damit die Massenzunahme des Dotters im reifen Follikel aufhört, beginnt
in den Fällen, wo eine Ablösung der reifen Eier nicht mehr erfolgt, die Ptück-
bildung derselben, was man nach der Brutperiode, also beim Bombinator
igneus zu Ende des Sommers in allen geschlechtsreifen Eierstöcken erkennen
kann. Man kann also sagen, ein solches Ei gehe zu Grunde, sobald es
durch das Aufhören der StofFablagerung erst die Möglichkeit einer Selbst-
erhaltung gewonnen. Seine Fähigkeit aber, ein Leben neu zu erzeugen, kann
es erst bethätigen, wenn es, den ursprünglichen Verhältnissen entzogen, in
völlig veränderte, ihm fremde versetzt und noch einer besonderen Einwirkung,
der Befruchtung unterworfen worden.
So glaube ich ausreichende Belege geliefert zu haben für den Satz meiner
vorläufigen Mittheilung (Nr. 69), dass das befruchtungsfähige Ei des
Bombinator igneus weder im Ganzen, noch zum Theil, weder
nach der Entstehung, noch nach der fertigen Erscheinung eine
Zelle, sondern bloss eine wesentlich homogene, in eine äusser-
lich angebildete Hülle eingeschlossene organische Masse ist.
Ich habe bisher allerdings noch nicht selbst untersuchen können, wie weit
dieses Ergebniss, welches sich so wesentlich von allen bisherigen Anschauungen
über die Natur des Eies unterscheidet , auch für andere Wirbelthierklassen
Geltung finde. Immerhin sehe ich einen günstigen Umstand für die Verallge-
meinerung meiner Ansicht darin, dass diejenigen neuesten Beobachtungen über
die Eibildung der Amnioten , welche auf einer eingehenden Entwicklungsge-
schichte des Eierstocks fussend. sich gegenwärtig der allgemeinsten Anerkennung
erfreuen, im Grunde genommen vielleicht noch leichter für meine, als für eine
entgegengesetzte Auffassung ausgebeutet werden können. — Wenn wir unter
den Resultaten, welche Waldeyee in seiner ausgezeichneten und umfassenden
Arbeit niedergelegt hat , die eigentlichen unmittelbaren Beobachtungen aus-
scheiden und zunächst allein kurz zusammenfassen , so ergibt sich Folgendes.
1. Die ersten Anlagen den Follikel bestehen sowohl bei Vögeln wie bei Säugern
in Zellengruppen, welche von einem Abschnitte des Bauchhöhlenepithels ab-
stammen; nachdem dieselben durch Bindegewebe eingekapselt, sondern sich je
eine oder einige centrale Zellen (Primordialeier) durch überwiegendes Wachs-
thum von der sie umschliessenden peripherischen Zellenlage (Follikelepithel) ab.
Soweit stimmen die Amnioten mit den Batrachiern vollständig überein. Wenn
36 I. Die Entwickelung des Eierstockseies.
bei den ersteren die anlängliche Mehrheit der Primordialeier oder ihrer Kerne
(Keimbläschen) später ebenfalls schwindet, so lässt sich dies mit Rücksicht auf
meine bezüglichen Mittheilungen von den Batrachiern ebenso gut auf eine
nachträgliche Verschmelzung jener Theile, als auf eine Theilung der jüngsten
Follikel beziehen-, alsdann wäre aber die Lebenseinheit, der Zellencharakter
des Verschmelzungsproduktes schon nicht mehr über jeden Zweifel erhaben.
2. Die andauernde Zunahme des Follikelinhaltes soll durch direkte Ablagerung
von Seiten des Follikelepithels stattfinden ; da ein solcher Vorgang mit einem
organischen Wachsthume des Primordialeies, einer Zelle, unvereinbar ist, so ist
jene von aussen her angelagerte Masse (Nebendotter) als ausserhalb jener Zelle
gelegenes, nicht lebendiges Gebilde aufzufassen. 3. Nun besteht aber zu keiner
Zeit, in keinem Wirbelthiere , eine scharfe Grenze zwischen dem ursprünglich
zelligen und dem nicht organisirten Bestandtheile des Follikelinhalts-, die Sub-
stanzen beider gehen vielmehr kontinuirlich in einander über. Endlich schwin-
det in allen Wirbelthiereiern der einzige unzweifelhafte Zellenrest, das Keim-
bläschen, durch Atrophie und unter theilweiser oder vollständiger Elimination
seiner Masse aus der Dottermasse, dem eigentlichen Eie. — Auf Grund dieser
Beobachtungen halte ich es gar nicht für möglich das Fortbestehen der Zellen-
individuen , welche die Eibildung einleiteten , der sogenannten Primordialeier,
über die allererste Zeit der Follikelbildung hinaus und gar bis zur Befruchtung
anzunehmen. Ich wenigstens kann mir einen Organismus, der keine bestimmte
Begrenzung hat, sogar kontinuirlich in eine leblose und zwar vollständig gleich-
artige Masse übergeht, also eine Individualität überhaupt nicht besitzt, gar
nicht vorstellen-, denn wie hätte man sich es zu denken, dass eine jede seiner
Lebensäusserungen, Bewegung, organisches Wachsthum oder gar die Grund-
lage aller, der Stoffwechsel , an seiner idealen Grenze als solche aufhörten , um
bei ihrer Fortsetzung in dem kontinuirlich sich anschliessenden Nebendotter zu
blossen physikalischen Vorgängen zu werden? Andererseits wüsste ich kein
Merkmal jenes ideal konstruirten Hauptdotters zu nennen, welches ihn als Zelle
vor dem unorganisirten Nebenclotter auszeichnete , namentlich nicht nach dem
Schwunde des Keimbläschens ; und doch ist es klar, dass gerade die direkte
Abstammung des letzteren von einem oder mehreren Zellenkernen eigentlich
die einzige greifbare Thatsache ist, welche für jene Unterscheidung herange-
zogen werden könnte.
Aber diese selben Beobachtungen Waldeters über die Eibildung bei den
Amnioten, welche ich im Allgemeinen gern anerkenne, aber für durchaus unge-
I. Die Elitwickelung des Eierstockseies. 37
eignet halte , die Theorie eines zelligen Hauptdotters gegenüber dem unorgani-
sirten Nebendotter zu unterstützen, — diese Beobachtungen scheinen mir
dagegen mit den Anschauungen, welche ich aus der Entwickelungsgeschichte
der Batrachiereier gewann , durchaus vereinbar zu sein. In beiden Abthei-
lungen bilden Zellengruppen von gleichem Ursprünge die Follikelanlagen,
und zwar ihre peripherischen Elemente das Follikelepithel, die vergrösserten
centralen Zellen den ursprünglichen Follikelinhalt. In beiden Abtheilungen
tritt ferner eine Stoffablagerung , Sekretion der Follikelwand auf, in Folge
welcher jener zellige Follikelinhalt seine Selbstständigkeit verliert, indem
zuerst die Zellenleiber , später auch die Kerne (Keimbläschen) aufgelöst und
jenem Stoffe assimilirt werden. So ergibt sich als der schliessliche Follikel-
inhalt in jenen beiden Abtheilungen der Wirbelthiere eine relativ homogene,
durchweg unorganisirte Masse , der einfache Dotter , dessen spätere Differen-
zirungen mit den zelligen Urhebern seiner Bildung in gar keinem unmittelbaren
Zusammenhange stehen. —
IL Die Dottertheilung.
Ieh habe gezeigt, class die eigentümlichen Erscheinungen am oberen
Pole der Batrachiereier , welche oft nach der Befruchtung beobachtet werden,
ihrem Wesen nach nicht zu der durch die Befruchtung hervorgerufenen
Embryonalentwickelung gehören, sondern von jener unabhängig verlaufen als
der Abschluss der Vorbereitung, durch welche die Dottermasse zum befruch-
tungsfähigen Keime wird. Die erste und einzig nachweisbare Wirkung der
Befruchtung ist die Einleitung zur Bildung jener Elemente, aus denen der wer-
dende Organismus sich aufbauen soll, und die Untersuchung dieser Bildung
wird also den ausschliesslichen Inhalt dieses Abschnitts ausmachen. —
Historische Uehersicht der bisherigen Untersuchungen.
Obgleich Spallanzani unzweifelhaft zuerst die Furchen auf Batrachier-
eiern sah (Nr. 1 S. 39), so gelten doch Prevost und Dumas, weil sie den Vor-
gang der „Furchung" zuerst ausführlicher beschreiben, für die Entdecker
desselben. Ihre Darstellung ist folgende. An befruchteten Froscheiern bildet
sich alsbald eine flache Furche , welche von der Narbe * oder doch in ihrer
Nähe ausgeht-, sie verlängert sich beiderseits gegen die helle Hemisphäre und
vertieft sich zusehends, während an ihren Wänden parallele Fältchen entstehen,
die vom Grunde aufwärts verlaufen (Nr. 2 S. 110). Diese schwinden darauf
bis auf zwei, in der Mitte der Furche einander gegenüberliegende, welche sich
zu einer zweiten , die erste rechtwinklig schneidenden Furche ausbilden. Ist
die braune Hemisphäre so in vier Segmente getheilt , so entsteht eine dritte
Vgl. den im vorigen Abschnitte gegebenen Auszug aus derselben Abhandlung. —
II. Die Dottertheilung. 39
äquatoriale Furche, ohngefähr an der Grenze beider Hemisphären. Während
darauf Furchen , welche den ersten parallel verlaufen , das braune Feld weiter
theilen, setzen sich diese auf die helle Dotterhälfte fort und schliessen sich in
grössten Kreisen (S. 11 1). Im weiteren Verlaufe erscheinen im dunklen Felde
ausser den parallelen Furchen auch solche in grössten Kreisen , sodass nach
einigen Stunden das Ei eine Himbeerform erlangt (S. 112); im hellen Felde
treten die Theilungen um zwei Stunden später auf. Später wird das Aussehen
chagrinartig ; dann schwinden die Furchen und das Ei erscheint punktirt,
endlich kehrt die ursprüngliche Glätte und gleichmässige Färbung wieder,
während die Narbe noch als undeutlicher Fleck bestehen bleibt (S. 113).
Rusconi bemerkt schon in seinem: Developpement de la Grenouille
commune S. 22 , dass der Furchung eine entsprechende Theilung des Dotters
folge, sodass derselbe endlich in eine grosse Menge kleinster Theilchen zerfalle,
welche die Elemente für die einzelnen Körpertheile des sich entwickelnden
Thieres bilden. Genauer bespricht Rusconi die Vorgänge bei der Dotterthei-
lung in seinem letzten Werke und in seinem zweiten Briefe an E. H. Weber
(Nr. 16). An der Stelle, wo der helle Fleck verschwand, entstehe unter der
Dotterhaut ein leerer Raum, indem der Dotter in Gestalt einer seichten Furche
einsinkt. In dem Masse , als diese Furche an Ausdehnung und Tiefe gewinne,
senke sich die Dotterhaut in dieselbe hinein, ähnlich wie bei der Anwendung
der Schröpfköpfe die Haut in den leeren Raum hineingezogen würde (Nr. 39
S. 29). Diese erste Furche, welche allmählich von der oberen Hemisphäre
zur unteren fortschreite, sei oben tief, werde nach unten zu immer flacher und
am unteren Pole ganz seicht (Nr. 16 S. 216). Die an die Furchung sich an-
schliessende eigentliche Theilung hänge aber offenbar von einer inneren Ent-
wickelung ab, denn die Theilstücke seien im Innern hohl (Nr. 39 S. 29. Nr. 16
S. 218).
Unter den Nachfolgern von Prevost und Dumas * hat jedenfalls v. Baer
die eingehendste Darstellung der Dottertheilung oder des sogenannten Furchungs-
processes geliefert. Nachdem er angeführt , dass die erste (Meridian-) Furche
vom oberen Pole ausgehend allmählich in das helle Feld übergreift und ihre
beiden Schenkel sich daselbst erreichen, fährt er folgendermassen fort. „Der
* Hüschke (Nr. 4 S. 614) und Baumgartner (Nr 12 S. 28) glaube ich hier übergehen
zu dürfen, da sie selbst ihre Beobachtungen als übereinstimmend mit denjenigen von Prevost
und Dumas bezeichnen.
IL Die Dottertheilung,
leb habe gezeigt, class die eigentümlichen Erscheinungen am oberen
Pole der Batrachiereier , welche oft nach der Befruchtung beobachtet werden,
ihrem Wesen nach nicht zu der durch die Befruchtung hervorgerufenen
Embryonalentwickelung gehören, sondern von jener unabhängig verlaufen als
der Abschluss der Vorbereitung, durch welche die Dottermasse zum befruch-
tungsfähigen Keime wird. Die erste und einzig nachweisbare Wirkung der
Befruchtung ist die Einleitung zur Bildung jener Elemente, aus denen der wer-
dende Organismus sich aufbauen soll, und die Untersuchung dieser Bildung
wird also den ausschliesslichen Inhalt dieses Abschnitts ausmachen. —
Historische TTebersicht der bisherigen Untersuchungen.
Obgleich Spallanzani unzweifelhaft zuerst die Furchen auf Batrachier-
eiern sah (Nr. 1 S. 39), so gelten doch Pke vost und Dumas , weil sie den Vor-
gang der „Furchung" zuerst ausführlicher beschreiben , für die Entdecker
desselben. Ihre Darstellung ist folgende. An befruchteten Froscheiern bildet
sich alsbald eine flache Furche , welche von der Narbe * oder doch in ihrer
Nähe ausgeht; sie verlängert sich beiderseits gegen die helle Hemisphäre und
vertieft sich zusehends, während an ihren Wänden parallele Fältchen entstehen,
die vom Grunde aufwärts verlaufen (Nr. 2 S. 110). Diese schwinden darauf
bis auf zwei, in der Mitte der Furche einander gegenüberliegende, welche sich
zu einer zweiten , die erste rechtwinklig schneidenden Furche ausbilden. Ist
die braune Hemisphäre so in vier Segmente getheilt , so entsteht eine dritte
* Vgl. den im vorigen Abschnitte gegebenen Auszug aus derselben Abhandlung. —
II. Die Dottertheilung. 39
äquatoriale Furche, ohngefähr an der Grenze beider Hemisphären. Während
darauf Furchen , welche den ersten parallel verlaufen , das braune Feld weiter
theilen, setzen sich diese auf die helle Dotterhälfte fort und schliessen sich in
grössten Kreisen (S. 111). Im weiteren Verlaufe erscheinen im dunklen Felde
ausser den parallelen Furchen auch solche in grössten Kreisen , sodass nach
einigen Stunden das Ei eine Himbeerform erlangt (S. 112); im hellen Felde
treten die Theilungen um zwei Stunden später auf. Später wird das Aussehen
chagrinartig ; dann schwinden die Furchen und das Ei erscheint punktirt,
endlich kehrt die ursprüngliche Glätte und gleichmässige Färbung wieder,
während die Narbe noch als undeutlicher Fleck bestehen bleibt (S. 113).
Rusconi bemerkt schon in seinem: Developpement de la Grenouille
commune S. 22, dass der Furchung eine entsprechende Theilung des Dotters
folge, sodass derselbe endlich in eine grosse Menge kleinster Theilchen zerfalle,
welche die Elemente für die einzelnen Körpertheile des sich entwickelnden
Thieres bilden. Genauer bespricht Rusconi die Vorgänge bei der Dotterthei-
lung in seinem letzten Werke und in seinem zweiten Briefe an E. H. Weber
(Nr. 16). An der Stelle, wo der helle Fleck verschwand, entstehe unter der
Dotterhaut ein leerer Raum, indem der Dotter in Gestalt einer seichten Furche
einsinkt. In dem Masse , als diese Furche an Ausdehnung und Tiefe gewinne,
senke sich die Dotterhaut in dieselbe hinein, ähnlich wie bei der Anwendung
der Schröpfköpfe die Haut in den leeren Raum hineingezogen würde (Nr. 39
S. 29). Diese erste Furche, welche allmählich von der oberen Hemisphäre
zur unteren fortschreite , sei oben tief, werde nach unten zu immer flacher und
am unteren Pole ganz seicht (Nr. 16 S. 216). Die an die Furchung sich an-
schliessende eigentliche Theilung hänge aber offenbar von einer inneren Ent-
wickelung ab, denn die Theilstücke seien im Innern hohl (Nr. 39 S. 29. Nr. 16
S. 218).
Unter den Nachfolgern von Prevost und Dumas * hat jedenfalls v. Baer
die eingehendste Darstellung der Dottertheilung oder des sogenannten Furchungs-
processes geliefert. Nachdem er angeführt , dass die erste (Meridian-) Furche
vom oberen Pole ausgehend allmählich in das helle Feld übergreift und ihre
beiden Schenkel sich daselbst erreichen, fährt er folgendermassen fort. „Der
* Huschke (Nr. 4 S. 614) und Baumgartner (Nr 12 S. 28) glaube ich hier übergehen
zu dürfen, da sie selbst ihre Beobachtungen als übereinstimmend mit denjenigen von Prevost
und Dumas bezeichnen.
40 II. Die Dottertheihmg.
Fortschritt erfolgt nicht ganz continuirlich , sondern ein wenig absatzweise und
zugleich so, als ob eine Schwierigkeit zu überwinden wäre. Man sieht nämlich
die Furche so sich verlängern, dass die Dottermasse nach beiden Seiten aus-
einander weicht, indem zugleich die Wände der in der Bildung begriffenen
Furche zarte, bald vorübergehende Falten werfen, zuweilen auch ein leises,
doch deutlich bemerkbares Zittern durch die angränzende Dottermasse fährt.
Man sieht schon hieraus, dass die Dottermasse nicht gleichsam durch ein
unsichtbares Instrument ausgefurcht wird , sondern dass sie durch einen leben-
digen Akt von einander reisst. Die trennende Kraft wirkt auch nicht bloss in
der Oberfläche, sondern durch die ganze Dotterkugel, denn nach Beendigung der
Meridianfurche ist die Queraxe des Eies bedeutend grösser als die Höhenaxe ;
beide verhalten sich wie 6 : 5 und ohne Zweifel würde die seitliche Verlänge-
rung noch bedeutender sein, wenn nicht die ziemlich feste Dotterhaut zu wenig
nachgäbe. Damit stimmt es auch , dass die Eier der Salamander , die schon
ursprünglich länglich sind, durch die erste Meridianfurche so tief getheilt
werden , dass zwei wenig zusammenhängende Ellipsoiden neben einander zu
liegen kommen. Dass die Furchen nicht ausgegraben werden , auch nicht un-
mittelbar und vorherrschend durch eine Tendenz der Oberfläche, sich einzu-
falten, entstehen, ist daraus erkenntlich, dass jeder Theil einer Furche bald
nach seiner Entstehung am breitesten ist, nachher aber, wenn an einer anderen
Stelle die Furche breiter wird, wieder zusammengeschoben wird" (Nr. 14 S. 486.
487). „Der aufmerksame Beobachter hat also durchaus die Ansicht, als ob
eine lebendige Kugel sich in zwei Hemisphären theilen wollte, dabei aber die
Zähigkeit der eigenen Masse und den Widerstand der Dotterhaut zu überwinden
hätte. Das Wesen dieses ersten Moments der Metamorphosen besteht also
darin, dass die Dotterkugel sich in zwei Hemisphären zu theilen beginnt, oder
noch richtiger in zwei Kugeln, die aber aneinander gedrückt bleiben" (S. 487).
Darnach falte sich der schwarze Ueberzug wirklich ein , zerreisse aber in einer
gewissen Tiefe. Wenn die Furche aussen vollendet ist, gehe die völlige Trennung
im Innern fort (S. 488). Aehnlich entstehen die folgenden Furchen, welche aber
nicht nur von aussen , sondern auch vom innern Kanäle der oberen Halbkugel
ausgehen (S. 489. 500). Die Furche jedes einzelnen Dotterstücks ist selbst-
ständig, braucht also nicht kontinuirlich in die korrespondirenden Furchen der
angrenzenden Dotterstücke sich fortzusetzen (S. 488. 498). Da die Furchung
in der hellen Halbkugel langsamer vor sich geht und die Aequatorialfurche
dem oberen Pole näher liegt, als dem unteren, so ist es natürlich , dass die
II. Die Dottertkeilung. 41
hellen Theihmgsmassen stets grösser bleiben als die dunkeln (S. 491). Durch
geringe Verschiebungen der sich abrundenden Massen geht die frühere Regel-
mässigkeit verloren und v. Baer unterscheidet alsdann an dem sich immer
weiter zerklüftenden Dotter die Brombeerform, die Himbeerform, die Chagrin-
und Sandsteinform. Darnach würde die Dotterkugel durch die fortgesetzte
Theilung wieder zu einem Ganzen, indem die elementar gewordenen Körnchen
durch ein verhältnissmässig zähes Bindemittel zusammengehalten werden
(S. 496). Da die Dotterkugel während der Zertheilung „an Umfang zunimmt
und wenn sie wieder glatt erscheint, sehr merklich grösser ist, als sie vorher
war", so folgert v. Baer daraus, dass sie fortwährend Stoff von aussen durch das
Eiweiss aufnehme (S. 504). Endlich fasst er das Gesetz des ganzen Processes
dahin zusammen, dass das Keimloch (die Mündung des Kanals) der bestimmende
Ausgangspunkt und der Kanal die bestimmende Axe für alle Theilungen seien,
wesshalb dieselben von aussen nach innen gingen (S. 501.502)-, und das Resul-
tat dieses ersten Entwickelungsvorganges sieht v. Baer darin , dass die Selbst-
theilungen so lange fortgesetzt würden, „bis die zahllosen neuen Individualitä-
ten unendlich wenig Bedeutung haben und nur als Elementartheile eines neuen
Individuums erscheinen ; — durch einen lebendigen Vorgang wird das frühere
Individuum aufgelöst, ohne es ganz zu zerstören, und ein neues aus den Trümmern
desselben gewonnen" (S. 504).
Bergmann betrachtete zuerst die Dottertheilung vom Gesichtspunkte der
Zellenlehre aus. Er fand, dass der anfangs halbflüssige Dotter während der
Theilung konsistenter würde (Nr. 24 S. 92 — 93) , dass die hellen Höfe oder
Vorsprünge, welche durch Wasseraufsaugung oder Druck an den Dottermassen
entständen, nicht bestimmt auf Membranen bezogen werden könnten (S. 94 — 97) ;
dass endlich jene Massen kernähnliche Gebilde enthielten, welche sich aber
von einem Zellenkerne merklich unterschieden (S. 97. 98). Wenn also die
Theilungsmassen des Dotters anfangs auch keine Zellen seien, so gingen sie
doch zuletzt in die Zellen des Embryo über-, und desshalb spricht es Bergmann
aus, „dass die Zerklüftung des Batrachiereies die Einleitung der Zellenbildung
bei diesen Dottern ist. Ja ich würde sie Zellenbildung selbst nennen, wenn die
ersten grösseren Abtheilungen des Dotters sich ohne Zwang Zellen nennen
Hessen" (S. 98). Zum Unterschiede von Schwann's Zellenbildungstheorie be-
zeichnet Bergmann den von ihm betrachteten Vorgang als „Zellenbildung um
ein Vorhandenes, welches dadurch Zelleninhalt wird" (S. 102). — In seinem
zweiten Aufsatze nahm Bergmann die unterdess von Vogt veröffentlichte
42 II. Die Dottertheilung.
Lehre, dass die Keimflecken zu den Kernen der Dotterzellen würden, an (Nr. 27
S. 94) und erläutert alsdann seine Ansicht über den Vorgang der Zellenbildung
bei der Dottertheilung folgendermassen. „Der Dotter könnte als höchst dispo-
nirt zur Zellenbildung gedacht werden. Aber die Kerne fehlen dazu. In der
Keimblase sind die Keimflecken abgeschlossen, langsam vegetirend, völlig aus-
gebildet, um mit dem Dotter in energische Wechselwirkung zu treten. Unter
solchen Umständen tritt die Befruchtung ein, die Scheidewand schwindet, und
Niederschläge der ganzen Dottermasse erfolgen, entweder um mehrere Kerne
zugleich, aber durch fortschreitende Spaltung immer wenigere Kerne enthaltend,
bis zuletzt diese sich selbst wieder vermehren müssen, um der Anzahl von
Zellen oder Spaltungstheilen zu genügen oder um einen einzigen sich
verlängernden, spaltenden, fort und fort sich vermehrenden Kern" (Nr. 27
S. 100).
Die von allen übrigen Beobachtungen so sehr abweichenden Resultate der
REiCHEKT'schen Untersuchungen beruhen weniger auf neuen Thatsachen, als
auf einer ganz neuen Auffassung der schon bekannten Erscheinungen. Die
letzten Produkte des Furchungsprocesses seien die den Embryo zusammen-
setzenden Zellen; diese unterschieden sich aber in keinem Punkte von den
vorhergegangenen Furchungsmassen, deren Membranen durch die (von Berg-
mann bereits angeführten) endosmotischen Erscheinungen und durch die Falten-
bildung in den ersten Furchen (Faltenkranz) nachgewiesen würden (Nr. 25
S. 533 — 53(3 und Nr. 49)*. In jeder Furchungskugel befänden sich auch einige
Kerne, deren Zahl mit der fortschreitenden Furchung abnehme (Nr. 25 S.537 —
538); ferner zerfielen isolirte Furchungskugeln in mehre kleinere Theile (S. 539).
Aus diesen Thatsachen, sowie aus dem mangelnden Nachweise einer steten
Neubildung der aus einem Furchungsakte hervorgehenden Kugeln (S. 538)
ergebe sich, dass jede Furchungskugel schon vorgebildet in der ihr vorangehen-
den grössern enthalten war und dass der Furchungsprocess der Batrachiereier
nichts weiter sei, „als ein allmählig fortschreitender Geburtsact vielfach einge-
schachtelter Mutterzellen, deren End-Resultat die Geburt derjenigen einfachen
Dotterzellen ist, welche zum Aufbau des Gesammt-Zellen-Organismus dienen
sollen" (S. 540). Das Freiwerden der Brutzellen aus den Mutterzellen ge-
schähe durch Zerreissen der Membranen der letztern (S. 536). — Jene Hypo-
these der Einschachtelung verwarf Reichert später (Nr. 31 S. 278 — 279) und
* Neuerdings bat sich Dönitz der REicHERT'schen Anschauung und Beweisführung an-
geschlossen, ohne etwas Neues hinzuzufügen (Nr. 67 S. 604 — 605).
II. Die Dottertheilung. 43
will offenbar die Resultate , welche er bei den Untersuchungen über die Ent-
wiclcelung des Eies von Strongylus auricularis gewann, auch für die Batrachier-
eier geltend machen (Nr. 31 S. 274 und flg.). Darnach müsste bei dem
fraglichen Entwickelungsvorgange Zweierlei unterschieden werden : die endogene
Zellenbildung und die Furchung (S. 254). Jede Furchungskugel müsse immer-
hin als eine Mutterzelle betrachtet werden-, nachdem ihr Kern geschwunden,
theile sich ihr Inhalt in zwei Portionen, welche eigene Membranen bekämen
und dann als noch kernlose Brntzellen von der Mutterzellenmembran um-
schlossen würden; ihre Kerne entständen erst später (S. 255 — 257). Diese
Bildimgsweise neuer Zellen könne daher ganz wohl als „Zellenbildung um
Inhaltsportionen" bezeichnet werden (S. 262). Der Furchungsprocess be-
stehe mm nicht etwa darin , dass eine Mutterzelle sich ein- und abschnüre und
so einfach in die Theile zerfalle (S. 273), sei überhaupt kein Theilungsprocess
sondern nur der Ausdruck für das Auseinandertreten, Freiwerden der bis dahin,
in der Mutterzellenmembran eingeschlossenen Brutzelle durch das Zerreissen
der letzteren (S. 270 und flg.). Jedenfalls bestellt nach der Furchung der
Dotter in der Mitte aus Mutterzellen , welche in der angegebenen Weise in
kleinere zerfallen, die an der Dotterperipherie in die embryonalen Organe über-
gehen. „Wo Bildungen des Embryo auftreten sollen, da werden prädisponirte,
kleinere Dotterzellen dazu gebraucht, und aus der Mitte kommt neuer Ersatz"
(Nr. 22 S. 8).
Nach Vogt's Untersuchungen soll sich die Entwickelung des befruchteten
Eies von Alytes obstetricans wesentlich von derjenigen anderer Batrachier
unterscheiden. Die erste Furche umfasst nur 2/3 des Eiumfanges, und die
übrigen Furchen, deren Regelmässigkeit sehr bald aufhört, gehen nicht einmal
über die obere Halbkugel hinaus. Ferner theilen sie die betreffende Dotter-
masse nicht vollständig, sondern dringen nur bis zu einer gewissen Tiefe ein,
wobei die Dotterhaut Falten in sie hineinschickt. So besteht die gefurchte
Dotterhälfte alsbald aus einer Menge von Klümpchen , welche an ihrer unteren
Seite mit dem ungefurchten Dotter in kontinuirlichem Zusammenhange stehen,
und nur an ihrer freien oberen Seite von einer Membran (Dotterhaut) umhüllt
sind. Während der Furchung sind die gröberen Dotterplättchen aus den sich
furchenden Theilen verschwunden, wahrscheinlich aufgelöst, sodass der Inhalt
jener Klümpchen feinkörniger ist als die übrige Dottermasse ; ausserdem be-
merkt man darin noch je einen oder mehre Keimflecke (Vogt's Keimzellen),
die übrigens auch fehlen können. Aus allen diesen Thatsachen, meint Vogt,
44 II. Die Dottertheilung.
gehe aber hervor, class jene Klümpchen durchaus keine Zellen seien (Nr. 26
S. 8. 9). Erst nachdem die Furchen wieder verstrichen sind , der Furchungs-
process also aufgehört hat, beginne die Zellenbildung von der feinkörnigen
Bindenschicht aus und schreite allmählich gegen das mit grösseren Täfelchen
versehene Innere des Dotters (Vogts Dotterkern) fort. „Offenbar bilden sich
die ersten Zellen in der Rindenschicht auf die Weise, dass sich um jede in der-
selben eingebettete Keimzelle in einer gewissen Distanz eine Membran bildet,
welche eine grosse Menge des Molecularinhaltes nebst der Keimzelle ein-
schliesst" (S. 10 — 11). Die letztere werde dadurch zum Kerne. Im Dotter-
kerne entständen die Zellen ebenso; aber weil dort keine Keimflecke vor-
handen seien , so müssten sich offenbar neue bläschenartige Kerne bilden , wie
es ohne Zweifel auch in der Bindenschicht geschähe,, da die Zahl der Keim-
flecke für die Rindenzellen nicht ausreiche (S. 11. 12). Noch bleibt zu be-
merken, dass Vogt „zuweilen in eben gebildeten Dotterzellen vergeblich nach
solchen Kernzellen gesucht" hat (S. 11). „Wir haben demnach in dem Dotter
der Batrachier eine Art von Zellenbildung, welche gänzlich von der von
Schwann anerkannten abweicht. Es consoliclirt sich bei dieser Zellenbildung
die Zellenmembran gleich in der ursprünglichen Grösse der Zellen aus dem
Cytoblastem heraus , und zwar ohne Mithülfe von Kernen. Zuweilen , wie in
der Rindenschicht des Dotters , treten ursprüngliche Zellen in das Verhältniss
von Kernen zu diesen Zellen; zwar nur in so fern, class sie von ihnen um-
schlossen werden , denn die eingeschlossene Zelle behielt ganz ihre Zellennatur
bei." „Allein diese Zellen waren selbst schon eingeschachtelt in zwei anderen,
frei geworden durch Platzen ihrer ersten Umhüllung (des Keimbläschens),
hatten sich vermischt mit dem Inhalte ihrer zweiten Umhüllungszelle, der
Dotterzelle, und in diesem Zelleninhalte war der Process einer neuen Zellen-
bildung vor sich gegangen" (S. 24).
Köllikee erklärte die Furchungskugeln der Batrachiereier für membranlos
(Nr. 32 S. 10 — 12), ihre Kerne dagegen für Bläschen (S. 14). In den letzteren
befänden sich Kernkörperchen , deren „endogene" Vermehrung dem gleichen
Processe der Kerne vorangehe, was alsdann die Theilung der Furchungskugeln
hervorrufe (S. 15—18). Diese Theilung erklärt Kölliker aus der „Attraktion
der Kerne", ohne auf diesen Ausdruck ein besonderes Gewicht legen zu wollen
(S. 20). Ob nun die Furchungskugeln wirkliche Zellen seien, und wie sie sich
überhaupt in den ersten Stadien der Furchung verhalten, darüber lässt sich
Kölliker in dem bezeichneten Aufsatze nicht aus. — In den neueren Auflagen
II. Die Dottertheilung. 45
seiner Gewebelehre (Nr. 79 S. 23) gibt er folgende Schilderung der Dotter-
theilung: „Die Furchung ist ein eigentümlicher Vorgang, der zur Zeit der
ersten Entwickelung in den Eiern der meisten Thiere sich findet, als Einleitung
zur Bildung der ersten Zellen des Embryo anzusehen ist und, weil das Ei die
Bedeutung einer einfachen Zelle hat, unter den Begriff der endogenen Zellen-
theilung fällt. Die Furchung beruht im Wesentlichen auf Folgendem. Nach-
dem der ursprüngliche Kern der Eizelle, das Keimbläschen, mit der Befruch-
tung verschwunden ist, bilden die Körner des Dotters nicht mehr einen dichten
Haufen wie früher, sondern zerstreuen sich und erfüllen die ganze Eizelle.
Dann entsteht als erstes Zeichen der beginnenden Entwickelung mitten im
Dotter ein neuer Kern mit Nucleolus , der erste Kern des Embryo , der als
Anziehungspunkt auf den Dotter einwirkt und denselben wieder zu einem
kugeligen Haufen, der ersten Furchungskugel, vereinigt. In weiterer Ent-
wickelung bilden sich aus dem ersten Kerne zwei neue, die sich etwas von ein-
ander entfernen, als neue Mittelpuncte auf die Dottermasse einwirken und so
die erste Furchungskugel in zwei zerfallen. In gleicher Weise geht dann die
Vermehrung der Kerne und der Furchungskugeln und zwar die erstere immer
voranschreitend fort." Dagegen gesteht Köllikee in seiner Entwickelungs-
geschichte (Nr. 48 S. 32): „Der Ursprung dieser Kerne ist jedoch bis jetzt noch
in ein gewisses Dunkel gehüllt und ist namentlich die Herkunft des Kernes der
ersten Furchungskugel noch nicht hinreichend aufgeklärt".
Cramer glaubt an den einzelnen Massen des schon mehrfach getheilten
Eies während der Wasseraufsaugung eine Membran erkannt zu haben, obgleich
er bemerkt, dass sie endlich springe „wie eine Seifenblase, ohne sichtbare
Spuren zurückzulassen" (Nr. 34 S. 28). Die Theilung des Dotters gehe so vor
sich , dass eine Furche von der Oberfläche immer tiefer in die zu theilende
Masse vordringe, während im Innern der Inhalt einer Hälfte noch kontinuiiiich
in denjenigen der anderen übergehe (S. 32). Die hellen Flecke in den Dotter-
massen sollen von den eingeschlossenen Keimbläschenzellen herrühren (S. 30);
wenn diese zu je einer in den kleiner werdenden Dottermassen vertheilt sind,
so spalten sie sich weiterhin zugleich mit der ganzen Masse (S. 31). „Die
durch die letzten Theilungen entstandenen Kugeln werden später direkt zum
Aufbau des Embryo verwandt, die Embryonalzellen sind fertig, und sind es
geworden, indem grössere Zellen sich durch fortgesetzte Spaltung zu diesen
kleinsten zerlegten" (S. 32). Gestützt auf diese und fremde Beobachtungen
macht sich nun Cramer folgendes Bild von dem ganzen Vorgange. Vor dem
46 II. Die Dottertheilnng.
Anfange der Furchung bildet sich eine Membran um die ganze Dottermasse-,
„dadurch ist eine grosse Zelle entstanden , die ausser dem Inhalt für alle
späteren Zellen auch schon die Kerne für alle in sich trägt. Durch Ein- und
Abschnüren zerfällt sie zu zwei neuen von ihrer halben Grösse, die in ihrem
Innern zu der eingeschlossenen Dottermasse die Hälfte der Keimbläschenzellen,
d. h. jetzt Kerne tragen. Diese Zellen werden, in derselben Weise fortgesetzt,,
weiter getheilt, jede neue erhält die Hälfte der Kerngebilde, die in der nächst
grösseren, durch deren Spaltung sie selbst entstand y enthalten waren ; und bei
fortschreitender Spaltung wächst die Zahl der Zellen nach einer geometrischen
Progression, deren Exponent die Zahl 2 ist. So geht es fort, bis Zellen ent-
standen sind, die nur noch einen Kern enthalten. In der ferneren Furchung
wird auch dieser jetzt mitgetheilt, und der ganze Process der Spaltung so lange
fortgesetzt , bis Zellen von einem gewissen Minimum von Grösse entstehen , die
direkt zum Aufbau des Organismus verwandt werden, bis die Embryonalzellen
fertig sindu (S. 33).
Remak findet in der Dottermasse des frischgelegten Eies gleich mehreren
seiner Vorgänger durchsichtige Bläschen und solide Kügelchen, welche er aber
nicht für veränderte Keimflecke, sondern für Leichenzustände der Dottersubstanz
erklärt (Nr. 40 S. 128). — Bei seinen ausgedehnten Untersuchungen über die
Furchung ist Remak: zu folgenden Resultaten gelangt. Die Furchen der obern
Eihälfte sollen „mit Blitzesschnelle", diejenigen der untern Halbkugel aber
langsam entstehen (S. 129). Schon vor der Furchung besitze die Dotterkugel
innerhalb der Dotterhaut eine eigene Membran, die Eizellenmembran, welche
in eigenthümlicher Weise an der Furchung theilnehme (S. 130). Da sie dem
Dotter innigst anhängt, so kleidet sie auch die erste Furche bis zum schmalen
Boden derselben aus*; von dem letzteren aus entsendet sie eine Scheidewand
in den Dotter, welche dessen Theilung vollzieht. Nach diesem verschiedenen
Verhalten der Eizellenmembran bei der Furchung unterscheidet Remak den
ersten Theilungsakt als„Einfurchung von der darauffolgenden Durchfurchung".
Jene Scheidewand scheine gleich anfangs doppelt zu sein , sodass jede der aus
der Theilung hervorgehenden Dotterhälften eine eigene Umhüllung hätte
(S. 131). Diese Dotterhälften seien die „beiden ersten nach der Befruchtung
entstandenen Zellen". „In ähnlicher Weise wie bei der ersten Furchung verhält
sich die Eizellenmembran bei den folgenden Furchungen" ; so komme es, „dass
* In der dunkeln Halbkugel soll dieser schmale ßodenstreifen entfärbt sein (S. 131).
II. Die Dottertheilung. 47
die Eizellenmembran selbst und ihre während der Furchung ausgesendeten
Fortsätze sänimtliche Zellen bekleiden, welche aus der Furchung hervorgehen''
(S. 132). Zu bemerken ist noch, dass nach Remak die Einfurchimg stets, also
auch bei der Aequatorialtheilung, an der Aussenfläche des Eies beginnt, sodass
die im Innern liegenden Kanten und Ecken der Theilstücke sich zu den
äussern verhalten, wie der untere, trägere Eipol zum obern, energischeren
(S. 133). In den spätem Stadien des Furchungsprocesses fände man aller-
dings „in der Abschnürimg begriffene Zellen von gemeinsamer Membran um-
hüllt, deren Theilnahme an der Abschnürung sich nicht nachweisen lässt."
Dies sei aber ein Leichenzustand , wobei die Membran durch einen abnormen
Einfluss (z. B. durch Wasser) aus der Furche hervorgezogen werde (S. 134).
Eine Vorbereitung, eine Anbahnung der Theilung im Protoplasma sei vor dem
Eindringen der Membran nicht nachweisbar; und wenn nach dem Beginn des
letzteren eine solche Anbahnung stattfinden sollte, so „bliebe doch immer das
langsame Hereinwachsen der Scheidewände das schliessliche und wirksamste
Theilungsmittel" (S. 136). — Ausser diesen Erscheinungen der eigentlichen
Furchung untersucht Remak aber auch die innern Zustände der Furchungs-
zellen. In den meisten noch ungefurchten Eiern will er anstatt des geschwun-
denen Keimbläschens unter dem oberen Pole oder auch m der Nähe des
Centrums eine weite platte Höhle bemerkt haben, welche er die v. BAEESche
Kernhöhle nennt; er halte es für sehr wahrscheinlich, dass dieselbe „in der
That eine weitere Ausbildung der Höhle ist, welche das Keimbläschen beher-
bergt hatte". Statt der einen Höhle seien bisweilen auch zwei kleinere, durch
Theilung aus der ersten hervorgegangene vorhanden; auch fänden sich je eine
oder zwei solcher Kernhöhlen, aber in stets verringertem Massstabe in den
folgenden Furchungszellen (vgl. Remak's Tafel IX Fig. 3 — 7). Alle würden
sie von einergrauen Masse (Kernmasse — Remak) umgeben; über die Lage dieser
Höhlen erfährt man aber nichts, da die bezeichneten Abbildungen nach
Remak's eigener Angabe rein schematische sind (S. 128. 137). Während der
späteren Stufen der Furchung erscheinen diese Kernhöhlen schon äusserlich
am unverletzten Eie als helle Flecke, an denen Remak alsdann beobachtete,
wie sie „vor dem Eintritt der Furchung eine bisquitförmige Gestalt annehmen
und sich allmälig in zwei runde Flecke theilen, wie sie auseinanderrücken,
wie die später sich bildende Furche zwischen sie fällt und ein jeder aus der
Furchung hervorgegangene neue Abschnitt sofort mit einem runden hellen
Flecke versehen erscheint". Es unterliege also „kaum einem Zweifel, dass die
48 II. Die Dottertheilung.
BAER'sche Kernhöhle, mag dieselbe der frühere Aufenthaltsort des Keim-
bläschens oder eine Neubildung sein, durch fortschreitende Theilung, von
welcher die umgebende Kernmasse mitbetroffen wird , sich in die Kernhöhlen
sämmtlicher Furchungszellen umwandelt." Die Höhlen scheinen erst später
auskleidende Membranen zu erhalten, wodurch sie zu Kernen der entsprechen-
den Furchungszellen würden. Auf der achten Furchungsstufe bemerke man
auch ein rundes, eingeschnürtes oder doppeltes Kernkörperchen in jedem
Kerne und stets ein rundes in jeder Hälfte eines bisquitförmigen Kernes.
Folglich gehe die Theilung der Kernkörperchen in derselben Weise derjenigen
des Kernes voraus, wie letztere die Furchung einleite (S. 138. 174). Wenn
man in kleinen Furchungszellen mehre Kerne von einer gemeinsamen Membran
umschlossen antreffe, so sei dies ebenso wenig wie die ähnliche Erscheinung
an den Furchungszellen auf eine endogene Bildung , sondern auf abnorme Ein-
flüsse zu beziehen, welche die Membran aus den Einschnürungen hervorziehen
(S. 138 — 139). — Da die kleinsten Furchungs- oder die Embryonalzellen
unmittelbar in die Bildung der Organanlagen eingehen und eine von den Zellen
unabhängige Zwischensubstanz ebenso wenig vorkomme, wie eine selbststän-
dige Entwickelung von Zellen , die nicht aus einer Theilung schon vorhandener
hervorgingen, so schliesst Remak seine Untersuchungen über die Furchung mit
dem Resultate, „dass sämmtliche im entwickelten Zustande vorhandenen Zellen
oder Aequivalente von Zellen durch eine fortschreitende Gliederung der Eizelle
in morphologisch ähnliche Elemente entstehen, und dass die in einer embryoni-
schen Organ-Anlage enthaltenen Zellen, so gering auch ihre Zahl sein mag,
dennoch die ausschliessliche ungegliederte Anlage für sämmtliche Formbe-
standtheile der spätem Organe enthalten" (S. 140). —
Nach Schultze ist das Ei anerkanntermassen eine Zelle mit Protoplasma
(Dotter) und Kern (Keimbläschen) , folglich der Furchungsprocess eine Zellen-
theilung (Nr. 52 S. 9). Da nun die gewöhnliche Zellentheilung aus der
Kontraktilität des Protoplasmas hervorgehe, so müsse dieselbe Eigenschaft
auch dem Dotter zukommen und daselbst ebenso wirken. Die zähe Rinden-
substanz erzeuge nun bei der Zusammenziehung den sogenannten Faltenkranz,
der in Folge der verschiedenen Fähigkeit der innern und der Rindenmasse,
sich zusammenzuziehen, wiederum verstreicht (S. 10). Der Faltenkranz
beweise daher ebenso wenig die Anwesenheit einer dem Dotter anliegenden
Zellenmembran (Reichert) , als es die Haut zu thun vermag, welche Remak
an eigenthümlich erhärteten Eiern demonstrirte und welche nichts weiter sei,
II. Die Dottertheilung. 49
als die erhärtete Rindenscliicht des Dotters (S. 11 — 14). Die Furchung beginne
unabhängig von der Keimgrube, welche häufig schon vorher verschwunden ist;
andernfalls verlaufen aber die ersten Furchen nicht durch die Keimgrube,
sondern neben ihr (S. 15). —
In Betreff einer Dottermembran und der Keimgrube stimmt v. Bambecke
mit Schttltze überein (Nr. 63 S. 14. 17. 18), da er auch die frühere Angabe,
dass die erste Furche, wenn die Keimgrube noch besteht, am Umfange der-
selben beginne (Nr. 63 S. 19), neuerdings nur als Ausnahme gelten lässt
(Nr. 71 S. 64). Unter der Keimgrube und nahe der Oberfläche findet
v. Bambecke häufig einen hellen, von dunkler Masse umgebenen Kern
(Nr. 63 S. 17.20, Nr. 71 S. 63).
Welcher Art die Wirkung des Samens bei der Befruchtung der Eier ist,
lässt sich noch nicht entscheiden. Für meinen Zweck genügt aber die That-
sache, „dass die befruchtende Einwirkung der Samenkörperchen augenblicklich
bei der Berührung der Eier stattfindet" (Nr. 38 S. 908—909). Denn es folgt
aus den zu diesem Beweise herangezogenen Experimenten, dass die Samen-
elemente die gleichsam ruhende Entwickelungsfähigkeit des Eies zur Thätig-
keit bringen , ohne die Zusammensetzung der Dotterkugel irgendwie zu ver-
ändern und indem sie offenbar nur eine der wichtigsten Bedingungen der Ent-
wicklung erfüllen. Diese Auffassung wird noch wesentlich unterstützt durch
die Thatsache, welche Leuckart ganz besonders an Froscheiern prüfte und
bestätigte, dass nämlich „die ersten Schritte der Embryonalentwickelung nicht
selten auch in unbefruchteten Eiern stattfinden" (Nr. 38 S. 958). —
Die Beschaffenheit der frischgelegten und befruchteten Eier habe ich be-
reits im Allgemeinen beschrieben ; doch dürfte hier eine nähere Untersuchung
geboten sein. — Zerstört man ein frisches Ei und betrachtet die Masse unter
dem Mikroskope, so mag ein ordnender Blick zunächst grössere und kleinere
Dottertäfelchen, ebenso verschiedene Körner und endlich eine feinkörnige
Grundsubstanz unterscheiden. Erinnert man sich aber der Entstehungsweise
der Dotterelemente , so erhellt , dass dieselben insgesammt wesentlich gleich
und nur durch ihre Grösse unterschieden sein dürften, sodass wahrscheinlich
bei ganz ausserordentlich starken Vergrösserungen jene feinkörnige Grund-
substanz für sich allein den bekannten Anblick der mit Plättchen ge-
Goette, Entwickelutigsgeschiehte. 4
50 n. Die Dottertheilung.
füllten Dottermasse gewähren würde. Die eigentliche homogene Grund-
substanz ist vollkommen durchsichtig, wasserklar, wie es die jüngsten Eifollikel
lehren ; wenn die festen Theilchen auch alle aus der gleichen Masse bestehen,
so erscheinen sie doch bis zu einer gewissen Grösse, nämlich solange die durch
sie gebrochenen Lichtstrahlen nicht ins beobachtende Auge fallen oder nicht
wahrgenommen werden können, als schwarze Punkte, weiterhin, wenn die
mittleren Strahlen sichtbar werden, als unregelmässige dunkle Ringe mit einer
hellen Mitte , und endlich , wenn diese den dunklen Rand an Grösse weit über-
trifft, als die bekannten hellen, derbkonturirten Dottertäfelchen. Um in der
Beschreibung einen Anhaltspunkt zu haben, werde ich die mittelgrossen festen
Dottertheile ohngefähr auf jener Stufe, wo sie bei den gewöhnlichen, 200 — 500-
fachen Vergrösserungen die erste Spur einer hellen Mitte zeigen , als Körner
von den Punkten und Täfelchen unterscheiden. Die geringere oder grössere
Anhäufung der Punkte in der Grundsubstanz erzeugt ein sehr fein punktirtes
Aussehen oder einfache Schattirungen vom Hellgrauen bis zum Schwarzen*.
Die Körner werden schon in geringer Anhäufung eine dunklere Färbung hervor-
rufen , welche aber in dünnen Schichten , wie sie die Präparate bieten , wegen
der durchscheinenden Mitte der einzelnen Körner gewisse Grenzen haben wird.
Wo die Dotterplättchen , grössere oder kleinere, vorherrschen, erscheint die
Masse hell; durch die Körner und Punkte wird sie verschieden gefärbt oder
schattirt, in dem Masse aber, als dieselben abnehmen, stets heller. — Ich
habe diese Verhältnisse näher ausgeführt, um zu zeigen, dass das in Zeichnung
und Färbung verschiedene Aussehen der Dottermasse von geringerer Bedeutung
ist, als man auf den ersten Blick annehmen möchte, und die Gleichartigkeit
der ganzen Masse nicht wesentlich stört. Immerhin kann die Vertheilung
jener Elemente in der befruchteten Dotterkugel angedeutet werden. Die
grösseren Dottertäfelchen liegen ziemlich dicht beisammen, sodass zwischen
ihnen eigentlich nur Fugen übrig bleiben, welche mit den kleinsten Täfelchen,
Körnern und Punkten ausgefüllt sind. Das Kaliber jener in den Vordergrund
tretenden Täfelchen ist in der unteren Halbkugel des Dotters grösser, als in der
oberen, am geringsten aber in der ganzen Peripherie, welche man als Dotter-
* Ich wäre daher nicht abgeneigt, wenigstens einen Theil des Pigments bloss für eine
Anhäufung der feinsten Punkte zu erklären. Dann liesse sich auch verstehen, dass die
nicht unhedeutenden Schwankungen in den Pigmentmassen , welche in den einzelnen Eiern
desselben Thieres abgelagert werden , auf deren spätere Entwickelung ohne nachweisbaren
Einfluss bleiben. —
II. Die Dottertheilung. 51
rinde bezeichnen mag, wenn man im Auge behält, dass sie weder in allen Eiern
gleich ausgebildet ist, noch überall nach innen eine wirkliche Grenze hat. Am
stärksten und deutlichsten ist sie am oberen Pole, und dem entspricht auch die
ungleiche Vertheilung des Pigments, welches, wie ich anführte, möglicherweise
aus den feinsten Dottertheilen mit der geringsten Menge der eigentlichen
Grundsubstanz besteht (Taf. I Fig. 13). Im Innern der oberen Halbkugel
bemerkt man die oft sternförmige Zeichnung der feinkörnigen Dottermasse,
welche aus dem Zerfall des Keimbläschens hervorgegangen mit dem übrigen
Dotter sich noch nicht gleichmässig vermischt hat. Ich habe aber schon aus-
führlich auseinandergesetzt, dass die in einer Brut abgesetzten Eier nicht alle
von gleicher Ausbildung sind: die darin zurückgebliebenen — ich will sie kurz
die jüngeren nennen — tragen noch die Merkmale der Zerstörung der Pigment-
schicht, die älteren lassen dieselben bereits vermissen. Wenn ich nun ein
ganzes Eipacket unmittelbar nach der Befrachtung in die Kupferlösung warf
und dadurch die Entwickelung augenblicklich unterbrach , so fand ich darauf
in jenen jüngeren Eiern nichts weiter vor, als was ich schon beschrieben, in den
älteren dagegen schon den ersten Anfang der Embryonalentwickelung. Bei-
läufig in der Mitte dieser Eier und nur wenig aus derselben aufwärts verscho-
ben, war ein grosser, runder, etwas abgeplatteter Kern durch einen nicht
scharfen, aber deutlichen Kontur von der übrigen Dottermasse gesondert
(Taf. I Fig. 14). Histiologisch war dieser Dotter kern durchaus nicht von
der Umgebung zu unterscheiden ; die noch in ihrer Ausbreitung begriffene fein-
körnige Substanz des zerfallenen Keimbläschens reichte in seinen Bereich mit
einem grösseren oder kleineren Antheil hinein , aber so unregelmässig , dass
man mit Recht annehmen kann, dass diese Masse und die Kernbildung nur in
einem zufälligen Verhältniss zu einander stehen. Wenn ich die Grenze des
Kernes unter stärkeren Vergrösserungen untersuchte, so fand ich, dass an
dieser Stelle alle etwas grösseren Dotterplättchen fehlten und nur feinkörnige
Dottersubstanz lag, welche durch ihre dunkle Färbung den Umriss des Kernes
erzeugte. Nun erhellt auch , wesshalb derselbe nicht scharf, sondern wie mit
einem groben Stifte gezogen erscheint. Lässt man solche Eier sich weiter
entwickeln, so erhebt sich der Dotterkern in kurzer Zeit, während die mehr-
erwähnte vom Keimbläschen herrührende Verfärbung der Dottermasse schwin-
det, gegen die Dotteroberfläche, worauf in seinem Innern sich ein zartes rundes
Körperchen bildet — der erste Lebenskeim, welcher die weitere Entwicke-
lung des Eies hervorruft (Taf. II Flg. 20). Es ist also der Dotterkern sicher-
52 IL Die Dottertheilung.
lieh der Ausgangspunkt der ganzen Entwickelung und sein erstes Erscheinen
kann in den von mir als ältere bezeichneten, frischgelegten Eiern sogleich
nach der Befruchtung, bei den Jüngern erst später wahrgenommen werden. —
Wenn ich ihn auch nicht immer zuerst in der Nähe des Centrums der Dotter-
kugel antraf, so scheint mir doch aus seinem Vorrücken gegen die Oberfläche
zu folgen , dass die subcentrale Lage stets die ursprüngliche ist. Er hat die
Grösse und Gestalt der Höhle des Keimbläschens, nimmt aber nach seiner
Lage Veränderung nicht immer die Stelle ein, an der jene lag, sondern befindet
sich häufig seitlich vom obern Pole, ja selbst in der Nähe des ursprünglichen
Aequators des Eies. Dies kann man nach einiger Zeit schon äusserlich
erkennen, indem gerade über dem Dotterkerne die Dotteroberfläche in Vorbe-
reitung der ersten Furche zu einer flachen Grube einsinkt {Taf. I Fig. 15).
Sobald der Dotterkern diese excentrische Lage eingenommen hat, beginnt
das Pigment am unteren Pole und successiv an der ganzen unteren Halb-
kugel zu schwinden-, da aber in den Fällen, wo jene dem Dotterkerne
stets genau entsprechende Grube nicht in der Mitte des dunklen Feldes,
sondern excentrisch in demselben lag, dieses Feld sich alsbald koncentrisch
um die Grube anordnet, also das Pigment sich augenscheinlich verschiebt, so
darf man annehmen, dass auch jenes Schwinden des Pigments an der entgegen-
gesetzten Seite nur scheinbar ist und dass dasselbe vielmehr sich nach oben zu
einer halbkugelförmigen Kappe zusammenschiebt (Taf. II Fig. 20. 21). Nach
allen diesen Erfahrungen wird es aber sehr wahrscheinlich, dass der gegen die
Peripherie vorrückende Dotterkern oder vielleicht der in seinem Innern unter-
dessen sich entwickelnde Lebenskeim den Pol des befruchteten Eies bestimmt,
eventuell verändert*. Daraus ergibt sich aber, dass der central gelegene
Dotterkern des frischgelegten Eies im Allgemeinen aufwärts steigt-, denn andern-
falls müsste unter Umständen ein dunkles Feld, welches beim Legen aufwärts
gekehrt war, in der Folge sich nach unten verschieben; dies ist aber noch nie-
mals beobachtet worden. Einen Grund für die genannte Bewegung des Dotter-
kerns kann ich nicht bestimmt angeben; vielleicht ist er in der Bildung des
Lebenskeims zu suchen, welcher mit seiner nächsten Umgebung frei von Dotter-
plättchen und von zarter Zusammensetzung ist, also möglicherweise das speci-
* Dies legt den Gedanken nahe . dass auch die Pigmentablagerung im Eierstockseie,
deren grösste Mächtigkeit der Lage des Keimbläschens entspricht , von dem letzteren ab-
häugig ist. —
IL Die Dottertheilung. 53
fische Gewicht des ganzen Dotterkerns herabsetzt. Wie dem nun auch sei, die
Aufwärtsbewegung des Dotterkerns und die darauffolgende Zusammenziehung
des Pigments über dem Kerne scheinen mir, wenn sie sich auch der unmittel-
baren Wahrnehmung entziehen, so weit begründet*, dass, wenn sie eine Lücke
in unserem Verständniss der Entwickelungsvorgänge auszufüllen vermögen, ich
sie nicht von der Hand weisen möchte. Und diesen Dienst können sie aller-
dings leisten. Alle Beobachter der sich entwickelnden pigmentirten Batrachier-
eier stimmen darin überein , dass dieselben einige Zeit nach der Befruchtung
sich stets mit dem dunklen Felde nach oben kehren, wenn es nicht schon gleich
zu Anfang der Fall war. Ein genügender Grund dafür Hess sich nicht finden;
meiner Ansicht nach ist nun diese Umwälzung des Dotters , sei es überhaupt
oder zum Theile, scheinbar, indem nur die Pigmentschicht dem Einflüsse des
neu bestimmten Poles folgend sich verschiebt. In der Folge werde ich nur
von diesem für die Entwickelung allein massgebenden Pole sprechen, auch
wenn er im Anfange der Dottertheilung mit dem Mittelpunkte des dunklen Feldes
noch nicht zusammenfallt.
An die Veränderungen der Pigmentschicht schliesst sich eine andere
Erscheinung an , welche ich schon früher einmal erwähnte. Während der
Dotterkern gegen die Dotteroberfiäche hinaufsteigt, erscheinen im ganzen Um-
fange der Dotterkugel, aber nur nach innen von der feineren Rindensubstanz
und nicht in dieser selbst, zahlreiche kleinere und grössere Kügelchen von fein-
granulirtem Aussehen, als wenn sie aus den kleinsten Dotterkörnern zusammen-
gesetzt wären ; die meisten übertreffen die Dotterplättchen bedeutend an Grösse
(Taf. II Fig. 20). Diese Kügelchen bilden eine zusammenhängende Zone,
deren Mächtigkeit in der obern Halbkugel ansehnlich ist, aber nach unten hin
sehr rasch abnimmt; gegen die Dotterrinde setzt sich die Schicht ziemlich
scharf ab, nach innen verliert sie sich ohne deutliche Grenze im Dotter. Man
betrachte nur die Figuren 20 und 21 Taf. II: Das Pigment, die ungefärbte
Dotterrinde und jene Kügelchen bilden drei koncentrische Schichten des Dotters,
welche gemeinsam die Eigenthümlichkeit haben, dass sie am obern Pole am
* Es Hessen sich wohl an Batrachiern, welche eine grössere Menge von Eiern als
der Bombinator igneus auf einmal legen, die Beweise dafür soweit vermehren, dass die
Wahrscheinlichkeit jener Vorgänge zur Thatsache würde. Die verhältnissmässig wenigen
zu gleicher Zeit gelegten Eier meines Thieres mussten stets so vielen Zwecken dienen,
dass meine Untersuchungen über jene Vorgänge sich vielleicht auf zwei Dutzend Eier be-
schränken. —
54 II. Die Dottertlieilung.
breitesten sind und gegen den untern Pol bin allmählich dünner werden. Aber
damit nicht genug, sind auch ihre nächsten Veränderungen gemeinsam. Ich
beschrieb schon die Auflösung der Pigmentschicht am untern Pole , und wie
sich dieselbe nach oben zusammenschiebe; dasselbe geschieht zu gleicher
Zeit auch mit der Dotterrinde und jener Kügelchenschicht, sodass während der
ersten Dottertheilungen alle drei Schichten nicht mehr kugelig geschlossen,
sondern wie drei halbkugelige Schalen in einander liegen , welche am obern
Pole am dicksten , gegen den Aequator gleichsam mit scharfen Rändern aus-
laufen (Taf. II Fig. 20 — 25). Dabei erkennt man an allen drei Schichten,
wie während der Zusammenziehung ihre Mächtigkeit am obern Pole zunimmt,
sodass meine Ansicht dahin geht, dass ihre Elemente sich ebenfalls zusammen-
schieben, wie ich es schon vom Pigmente anführte. Als Schichten verschwinden
endlich alle drei in dem Masse, als die ursprüngliche Kontinuität der obern
Halbkugel verloren geht, und letztere in mehre Stücke zerklüftet wird, welche
ihre Lage zu einander wechseln.
Ich kehre nach dieser Abschweifung zur Entwickelimg des Dotterkerns
zurück. Seine ganze Entstehung oder Sonderung von der übrigen Dottermasse
schien darin zu bestehen, dass an seiner Grenze die grösseren Dottertheilchen
nach aussen und innen auseinanderrückten und eine weniger dichte, feinkörnige
Zone zurückliessen. Solange der Dotterkern sich im Innern der Dotterkugel
befand , war jene Zone schwach und unregelmässig entwickelt und beeinträch-
tigte den kontinuirlichen Zusammenhang beider Theile nicht wesentlich. Sowie
er aber hinaufrückt, wird die Grenzzone zu einem locus minoris resistentiae,
sodass beim Aufbrechen eines nur massig erhärteten Eies der Dotterkern
isolirt, wenn auch mit rauher Fläche, herausfallt. Damit hat aber der Dotter-
kern das äusserste Mass von Selbstständigkeit erreicht, bald darauf ver-
schwimmt seine Grenze und mit dem schattenhaften Umriss schwindet endlich
seine Bedeutung.
So vergänglich aber auch die von mir als Dotterkern bezeichnete Erschei-
nung ist, so geht sie doch nicht spurlos vorüber; gleichsam als Frucht ihrer
Wirksamkeit bleibt der Lebenskeim zurück. — Untersucht man die Textur
des excentrischen Dotterkerns , so ergibt sich , dass er sich gegen früher ver-
ändert hat; ist schon seine ganze Masse feinkörniger als die neben und unter
ihr liegende Dottersubstanz und mehr der Dotterrinde über ihm entsprechend,
so weicht namentlich sein Centrum von der Beschaffenheit des übrigen Dotters
wesentlich ab. Dieses Centrum umfasst den ersten Lebenskeim und einen ihn
IL Die Dottertheiluug. 55
umgebenden Hof (Taf. I Fig. 17 a). Der erstere besteht aus einer runden,
von oben abgeplatteten, äusserst zarten und durchscheinenden Masse von etwa
'SOfi im Querdurchmesser, welche nach aussen kontinuirlich und ohne scharfe
Grenze in den Hof des Lebenskeims übergeht. Dieser hat einen wechselnden,
bald weiteren bald engeren Umfang und besteht aus feinkörniger oder grob-
punktirter Dottersubstanz; erst an seinen äusseren Grenzen werden Dotter-
plättchen sichtbar. Eine nach aussen allmählich verschwimmende Färbung
seiner Substanz hebt den Umriss des Lebenskeims kräftiger hervor, als er ohne
diesen Umstand erscheinen würde. Die Grösse und deutliche Abgrenzung des
ganzen Hofs sind übrigens mannigfachen Schwankungen unterworfen; diese
mögen verschiedenen , gesetzlich auf einander folgenden Graden der Entwicke-
lung angehören, aber natürlich entziehen sich solche Vorgänge der direkten
Beobachtung, da die gröberen äusseren Merkmale, welche sonst an den sich
entwickelnden Eiern der chronologischen Bestimmung dienen, in der vorliegen-
den Periode noch fehlen. — Bald nach der Entstehung des Lebenskeims traf ich
ihn bereits merkwürdig verändert: er erschien in querer Richtung ausgedehnt,
wobei seine Masse von der Mitte scheinbar nach beiden Enden ausgewichen
war , sodass diese auf Kosten des sich verschmächtigenden mittleren Theils
kolbig angeschwollen waren (Taf. II Fig. 21. 22). Im weitern Verlaufe
dieser Umwandlung bietet jede der beiden Anschwellungen das Bild eines in
der Ablösung begriffenen Tropfens einer zähen Masse dar. Während beide
sich stetig von ihrem gemeinsamen Ausgangspunkte entfernen, also in entgegen-
gesetzter Richtung auseinander rücken, sind sie auf der äussern, der Dotter-
oberfiäche zugewandten Seite abgerundet, auf der innern aber haben sie eine
kegelförmige, spitz auslaufende Verlängerung, eben die entsprechende Hälfte
des Mittelstücks. Darauf reisst dieses mitten durch, und jede Hälfte des
Lebenskeims zieht sich nun allmählich kugelig zusammen und wird zu einem
selbstständigen Körperchen, während die frühere Verbindung beider noch durch
einen dunklen Streifen der, sie allseitig umgebenden feinkörnigen Dottersubstanz
angedeutet wird (Taf. II Fig. 23). Der erste* Lebenskeim hat sich also in
zwei gleichartige neue getheilt. — Diesen seinen Evolutionen ist nicht nur der
ihn unmittelbar umschliessende feinkörnige Hof, sondern auch der Umriss des
grossen Dotterkerns gefolgt : nach der Trennung der beiden sekundären Lebens-
keime sieht man sie in weitem Umkreise von dunklen Bögen umschlossen,
welche aber nach aussen allerdings schon undeutlich und verwischt sind. Fasst
man dabei die von diesen Bögen begrenzten Massen, namentlich die betreffenden
56 II. Die Dottertlieilung.
Abschnitte der Kügelchenschicht ins Auge, so lässt sich leicht erkennen , dass
dieselben an den bezeichneten Bewegungen und Veränderungen gar nicht theil-
nehmen, dass die letztern sich eben nur auf eine stärkere Ansammlung fein-
körniger Dottemiasse zwischen den Täfelchen im weiteren Umkreise der Lebens-
keime beziehen , welche Ansammlung allerdings zuerst an der ursprünglichen
Grenze des Dotterkerns stattfindet und somit den Schein seiner Fortexistenz
erzeugt.
Bevor jedoch die Theilung des ersten Lebenskeims vollendet ist, sind
schon andere Vorgänge in den Kreis der Erscheinungen eingetreten. Wenn
seine Hälften ziemlich weit auseinandergerückt sind, aber ihre frühere Verbin-
dung noch durch eine schattenhafte Linie angedeutet ist , wird eine Halbirung
der ganzen Dotterkugel eingeleitet. In der Ebene, welche die beiden Pole und
die Mitte jener Verbindungslinie senkrecht durchschneidet, Aveichen die grobem
Dotterelemente nach beiden Seiten auseinander und lassen eine dünne Lage
zarterer Dottersubstanz zurück, welche im Querdurchschnitt als heller Streifen
erscheint (Taf. II Fig. 23). In der Längsaxe des letzteren wird alsdann
eine Trennung der beiden Dotterhälften durch eine höchst zarte, dunkle Linie
angedeutet , welche von der Verbindungslinie der Lebenskeime zunächst bis in
die Nähe des obern Poles und bis unter den Aequator sich erstreckt und dann
allmählich fortschreitet, schneller gegen den obern, langsamer gegen den
unteren Pol. Gleich nach dem Erscheinen dieser s>paltartigen Bildung sinkt
die Dotteroberfläche genau über derselben am obern Pole zu einer flachen
rundlichen Grube ein, über welche die Dotterhaut unverändert hinwegzieht;
diese Grube wird aber alsbald muldenförmig in der Richtung der Theilungs-
ebene und vertieft sich mehr und mehr zu einer Furche, deren Abhänge genau
in jener Ebene zusammenstossen (Taf. I Fig. 15). Bei dieser Umbildung
entsteht an den Wänden der Furche der sogenannte Faltenkranz, nämlich eine
Reihe vom Grunde zu den Rändern aufsteigender kleinster Falten oder Run-
zeln, welche im Entstehen und Schwinden unter Umständen ein lebhaftes Spiel
unterhalten. Die Dauer dieses Faltenkranzes ist sehr verschieden, überhaupt
aber derselbe keine beständige Erscheinung bei der Furchenbildung. — An-
fangs ist die Furche verhältnissmässig weit aber kurz , sodass ihre bisweilen
ziemlich scharfen Ränder an beiden Enden zu einer Ellipse zusammenstossen.
Bald jedoch geht von diesen Enden je eine schwächere Fortsetzung der Furche
gegen den unteren Pol aus, welche genau den von der Theilungsebene an der
Dotteroberfläche vorgezeichneten Verlauf nimmt und daher zuletzt am untern
II. Die Dottertheilung. 57
Pole mit der anderseitigen zusammenfliesst (Taf. I Fig. 16). Während
dieser Vollendung der ersten Furche schliesst sich gewöhnlich ihr weit offener
Anfangstheil , indem die gegenüberliegenden Abhänge sich aneinander legen.
Nicht immer ist derselbe so scharf gezeichnet , wie in meinen Abbildungen ; da
aber andere Ansichten schon hinlänglich bekannt sind , so wählte ich gerade
diese an besonders farbenreinen Eiern beobachteten Bilder. Ich mache noch
besonders darauf aufmerksam , wie die Theilungsebene und die ihr folgende
Furche ganz ohne Rücksicht auf den Mittelpunkt des dunklen Feldes entstehen ;
so kann das letztere von der Furche sehr ungleich getheilt werden, doch wird
eine symmetrische Anordnung des Pigments bald wiederhergestellt (Taf. I
Fig. 15). Aber noch in anderer Beziehung verdient das Verhalten der Pigment-
schicht während der Dottertheilung erwähnt zu werden. Ihre äusserste Lage
hat man, gestützt auf die Erscheinung des Faltenkranzes oder auf den Befund
an erhärteten Eiern, von deren Oberfläche sich ein Häufchen abziehen lässt,
als eine Zellenmembran darzustellen gesucht. Dies beruht entschieden auf
einem Irrthum, wie es bereits M. Schultze ausgeführt hat; ich habe seiner
Beweisführung nur Weniges hinzuzufügen. Ein Häutchen lässt sich nur im
Bereiche des dunklen Feldes demonstriren ; im hellen Felde lösen sich nach
der Erhärtung nur einzelne bald derbere, bald feinere offenbar aus Dotter-
körnern zusammengesetzte Fetzen ab , während jenes Häutchen um so weniger
deutliche Dotterelemente enthält, als das Pigment stärker angesammelt ist
(Taf. II Fig. 22 — 24). Doch ist auch dort der Nachweis nicht schwer,
dass es sich um eine künstliche Ablösung der äussersten Dotterrinde handelt.
Dieses Häutchen kann aber auch an Durchschnittsbildern eine zwischen die
Theilstücke des Dotters hineinwachsende Membran vortäuschen, und zwar
trotzdem die Trennung aus der Mitte des Dotters gegen die Oberfläche vor-
dringt. Auf diese Weise wird zuerst die tiefere dicke Pigmentschicht getheilt,
während das Häutchen noch intakt erscheint; und ist die Scheidung bis zu
letzterem vorgerückt, so dringt auch gleich zwischen die noch aneinander
liegenden Grenzflächen einiges Pigment ein, welches freilich nur aus losen
Körnern besteht, aber bei schwächeren Vergrösserungen wie eine Fortsetzung
jenes Häutchens aussieht, Die Ränder der getheilten tieferen Pigmentschicht
können natürlich zu beiden Seiten der Theilungsebene nicht so leicht sich aus-
breiten, wie jene einzelnen Körner in der Spalte; sobald aber die zwei ersten
Theilungen vollendet sind und die erste Spalte sich wirklich öffnet, setzt sich
das Pigment von der äussern Fläche der Theilstücke auf die inneren ununter-
58 n. Die Dottertheilung.
brochen aber in dünnerer Lage fort. Was nun den Faltenkranz betrifft, so
dürfen die Falten schon desshalb nicht auf ein Häutchen bezogen werden, weil
sie ebenso schnell vergehen, als sie entstanden, ohne dass ihre Ursache, die
Einschnürung nachliesse. Es müsste denn ein solches Häutchen ein halb-
flüssiges sein. Jenes Faltenspiel ist nur der Ausdruck für die Ausgleichung an
der Oberfläche des dickflüssigen Dotters, nachdem dieselbe in ihrer Ausdehnung
irgendwie verändert worden ; gleichwie etwa bei einem Stich in eine teigige
Masse oder bei einer Einschnürung derselben Falten entstehen, die alsbald
wieder verstreichen.
So vollzieht sich die erste Dottertheilung; die wirkliche Trennung wird
aber erst später sichtbar, und zwar sobald die aneinanderliegenden Flächen
bei den ferneren Theilungen von einander abgezogen werden. Gerade so wie
die erste gehen alle weiteren Dottertheilungen vor sich; stets theilt sich zuerst
der Lebenskeim des betreffenden Dotterstücks, dann erfolgt zwischen den neu-
entstandenen Keimen hindurch von innen nach aussen fortschreitend die Son-
derung und im Anschlüsse an dieselbe, gleichsam als ihr äusserer Ausdruck, die
Furchung (Taf. II Fig. 24. 25). Stets erreicht die Sonderung die Ober-
fläche und bildet sich die Furche zuerst an der Stelle, welche den zwei Lebens-
keimen am nächsten lag. Daher beginnen die Furchen bei den beiden ersten
Theilungen und wohl überhaupt bei den meridionalen der oberen Halbkugel
aussen und oben, bei den aequatorialen und den Theilungen der unteren Halb-
kugel meist innen. Aus der excentrischen Lage des ersten Lebenskeims und
der daraus folgenden Vertheilung der spätem Keime in der Dotterkugel geht
ferner hervor, warum die Dottertheilung am oberen Pole nicht nur am frühsten
und regsten erfolgt , sondern dort auch viel kleinere Dotterstücke erzeugt als
am untern Pole; ich verweise zur Veranschaulichung dieser Verhältnisse auf
meine Abbildungen. — Ueber die Reihenfolge und die Richtungen der fort-
laufenden Theilungen brauche ich mich nicht auszulassen und will zu dem Be-
kannten nur eine kurze Bemerkung hinzufügen. Wenn man die Thatsache im
Auge behält, dass die Theilungen nicht Akte der Dotterkugel als Ganzes be-
trachtet, sondern der Ausdruck für die fortlaufende Verkleinerung der einzelnen
Theilstücke sind, so wird man auf die Regelmässigkeit und den Zusammenhang
der in einen Akt zusammenfallenden Spaltungen überhaupt kein grosses Ge-
wicht legen. Diese Anschauung dürfte aber an Klarheit gewinnen, wenn man
weniger auf die äusserlich erscheinenden Furchen, als auf die Spaltimgsflächen
Rücksicht nimmt, deren Richtungen aus senkrechten Durchschnitten der Dotter-
II. Die Dottertheilung. 59
kugel ersichtlich werden. In den drei ersten Akten verlaufen die Theilungen
allerdings in drei senkrecht auf einander stehenden Ebenen ; von da ab jedoch,
so weit sie die Dotteroberfläche betreffen, in Flächen, welche für jedes Theil-
stück von aussen ohngefähr zum Durchschnittspunkte jener drei ersten
Theilungen sich hinziehen, sodass also eine sogenannte Aequatorialtheilung,
deren äusserer Ausdruck eine einzige fortlaufende Furche sein mag, das Ei
auch nicht annähernd in einer Ebene spaltet, sondern eine aus mehren Facetten
unter grösseren oder kleineren Winkeln zusammengesetzte Fläche bildet. Die
senkrechten Durchschnitte solcher Spalten müssen daher als ungleiche Radien
eines excentrischen Punktes der Dotterkugel erscheinen (Taf. II Fig. 26).
Weiterhin kommen dazu noch die koncentrisch zur Dotteroberfläche verlaufen-
den Spaltungen, bis endlich die Theilung der kleineren Dotterstücke ganz
regellos wird. — Schliesslich bemerke ich noch, dass die Furchung nicht nur
dem äussern Scheine zuwider bloss eine Begleiterscheinung der eigentlichen
Trennung ist, sondern nicht einmal bestehen bleibt; als Einsenkung der Dotter-
oberfläche und soweit sie nicht mit der klaffenden Mündung der Trennungs-
spalte verwechselt wird, ist dieselbe nur von kurzer Dauer (Taf. II Fig.
22 — 25.) Man verfolge eine Furche, z. B. die erste, an Durchschnittsbildern
bis in die spätem Theilungsstadien, so wird man finden, dass sie anfangs ganz
flach ist, dann sich rasch vertieft und verengt, darauf aber ganz beständig sich
zurückbildet und endlich ganz verschwindet. An der relativ dicken Pigment-
schicht, welche der Dotteroberfläche eigen ist, und deren Fortsetzungen ins
Innere stets merklich schwächer sind, lassen sich jene Erscheinungen leicht ver-
folgen. Wenn die Furchen als die Ausgangsstellen einer von aussen nach innen
verlaufenden Trennung angesehen werden, so ist jene Thatsache nicht recht
verständlich.
Ich wende mich nun zu den Dotterstücken selbst. Aeusserlich sind die
späteren kleineren Dotterstücke von den ersten grösseren nicht unterschieden;
auch im Innern der Dotterkugel lassen sich zwischen den einzelnen Stücken
durch geeignete Erhärtungsmittel Häutchen darstellen, welche aber gleich dem
bei der ersten Theilung besprochenen nur Kunstprodukte sind. Als weiteren
Beleg dafür führe ich noch an, dass ihre im Verhältniss zu einer Zellenhaut
ausserordentliche Mächtigkeit sehr schnell mit der Grösse der Dotterstücke
abnimmt und dass sie zu der Zeit, wo die letzteren sich in Embryonalzellen
verwandeln, nicht mehr nachweisbar sind. — Im Innern der Dotterstücke voll-
ziehen sich dagegen sowohl in der Dottermasse selbst, als auch an den Lebens-
60 II. Die Dottertheilung.
keimen Veränderungen , welche eine fortlaufende allmähliche Umbildung und
Entwickelung der Dotterstücke offenbaren , die äusserlich durch kein Merkmal
angezeigt wird. Ich beginne mit, den Lebenskeimen. Den ersten habe ich
bereits beschrieben : er ist eine äusserst zarte , scheinbar homogene rundliche
Masse inmitten einer koncentrischen Zone von feinkörniger Substanz, welche
aber weder von jener ersteren noch von dem übrigen Dotter scharf getrennt ist
(Taf. I Fig. 17 a). Ich beschrieb gleichfalls die Theilung dieses ersten Lebens-
keims, so weit sie sich erforschen liess; seine Hälften entfernten sich von ein-
ander, indem sie durch ein dünnes Mittelstück verbunden blieben und nachdem
dieses offenbar zerrissen, zogen sie sich zu selbstständigen Kügelchen zusammen.
Im Anfange der Theilung mögen diese Hälften auch nach ihrer Masse als solche
erscheinen, aber schon im Verlaufe, der Trennung beginnen sie zu wachsen, so-
dass jede von ihnen nach erlangter Selbstständigkeit die Grösse des ersten
Keimes erreicht. An den späteren jüngeren Lebenskeimen habe ich aber die
Vermehrung genauer befolgen können als am ersten fvgl. Taf. II Fig. 25). Zu-
erst dehnt und streckt sich der kugelige Keim in einen kurzen Cylinder mit
abgerundeten Enden aus, dessen Querdurchmesser viel kleiner ist, als der
frühere Durchmesser der Kugel, sodass offenbar die Cylindergestalt nicht etwa
durch einseitiges Wachsthum der Kugel, sondern durch Verschiebung ihrer
Masse entstand. Solche Cylinder sind bisweilen leicht gekrümmt. Darauf
beginnen ihre abgerundeten Enden zu wachsen und sich von einander zu
entfernen, wodurch das kurze Mittelstück mehr oder weniger ausgezogen wird;
ist es endlich in der Mitte durchgerissen, so ziehen die getrennten Hälften oder
die neuentstandenen Lebenskeime die ihnen zugehörigen Zipfel des Mittel-
stücks an sich und werden kugelig. Bisweilen verwandelt sich die cylindrische
Gestalt zuerst in eine bohnenförmige, d. h. das Wachsthum begünstigt nur
mehr eine Seite der rundlichen Enden, bis endlich eine gleichmässige An-
schwellung der letzteren eintritt. Meist rücken die neuentstandenen Lebens-
keime auseinander, bevor sie kugelig geworden; hin und wieder aber erlangen
sie die Kugelgestalt an derselben Stelle, wo die Enden des einfachen Cylinders
lagen, und das noch wenig veränderte Mittelstück beweist , dass ihrer Entsteh-
ung nicht ein einfaches Auseinanderweichen der ursprünglichen Masse, sondern
ein mit diesem Vorgange verbundenes , jene Enden bevorzugendes Wachsthum
zu Grunde liegt. Die Masse aller Lebenskeime ist also in steter Zunahme be-
griffen, ohne dass jedoch die späteren die volle Grösse der ersten erreichen.
Eine andere Vermehrung der Keime als die Verdoppelung habe ich nicht be-
II. Die Dottertheilung. 61
obachtet-, wenn sie vorkäme, würde sie natürlich einem andern Typus, als den
ich beschrieb, folgen, wesshalb ich auch eine solche Variation für unwahr-
scheinlich halte. Eigenthümlich verhält sich während der Theilung der
Lebenskeime die feinkörnige Masse, welche ich als einen Hof jener Keime be-
schrieb. Sie leitet jedenfalls die Bewegung nach zwei entgegengesetzten
Richtungen ein; zuerst sammelt sie sich an zwei gegenüberliegenden Seiten des
Keimes an und dann ziehen sich diese Ansammlungen in zwei Zipfel aus, welche
durch den Keim von einander getrennt, die Richtung der darauffolgenden
Streckung desselben angeben (Taf. I Fig. 18 , Taf. II Fig. 25). Die fein-
körnige Masse theilt sich also vor dem Lebenskeim , und jede ihrer langgezo-
genen Hälften zieht den entsprechenden des Lebenskeimes voraus , bis endlich
beide in ihrer Bewegung anhalten und wieder in der frühern Weise sich an-
ordnen : der Lebenskeim in der Mitte, die feinkörnige Masse ringsherum. Aber
der Inhalt der Lebenskeime verändert sich alsbald sehr wesentlich : nach der
zweiten Dottertheilung erkennt man bei stärkeren Vergrösserungen, dass in
der scheinbar homogenen Keimsubstanz eine wechselnde Anzahl runder, heller
Körperchen aufgetreten ist — die Kernkeime. Diese müssen sehr zart
und weich sein, denn bei den späteren Keimtheilungen strecken sie sich
zugleich mit den Keimhälfteii; ihre Grösse ist wechselnd von 3f* an, und
offenbar vermehren sie sich noch stärker, als die Lebenskeim masse selbst
(Taf. I Fig. 17 h, Fig. 18). — Es enthalten also die Dotterstücke von der
zweiten Theilung an 1. als Centrum den Lebenskeim mit den Kernkeimen,
2. als die nächste Umgebung desselben und in ununterbrochenem Zusammen-
hange mit ihm eine Zone feinkörniger Dottersubstanz, 3. zu äusserst in über-
wiegender Menge die scheinbar noch unveränderte Dottermasse, Dottertäfelchen
und körnige Zwischensubstanz. Im weiteren Verlaufe verändert sich das
Massenverhältniss dieser Theile , indem die bereits umgebildete Dottersubstanz
auf Kosten der unveränderten stetig zunimmt. Dabei kann man die Erzeugung
von Kernkeimen als das nächste Ziel des ganzen Umbildungsprocesses , die
Lebenskeime mit ihren Höfen als die Uebergangsstadien zwischen der unver-
änderten Dottermasse und den Kernkeimen ansehen. Während die letzteren
sich ansehnlich vermehren und dabei die Substanz der Lebenskeime verbrauchen,
fliessen diese und ihre Höfe in jedem Dotterstücke zu einer einzigen, zartgranu-
lirten oder punktirten Masse zusammen , in deren Mitte die Kernkeime zuletzt
als ein kompakter Haufen den Raum vollständig ausfüllen , welchen der unver-
änderte Lebenskeim eingenommen hätte (Taf. I Fig. 17 c). Aber die Kern-
62 II. Die Dottertheilung.
keimhaufen treten nicht nur räumlich an die Stelle der Lebenskeinie , sondern
übernehmen auch die Funktionen derselben ; denn sie führen den Dottertheilungs-
process in der früheren Weise fort. Besonders deutlich ist dann die voraus-
gehende Theilung der punktirten Masse, welche aus der Verschmelzung des
Lebenskeims und seines Hofes hervorging (Taf. I Fig. 18). Wenn alsdann
im Durchschnittsbilde die Kernkeimmassen noch an den relativ breiten hellen
Streifen anstossen, welchen die Trennungslinie umfasst, so glaubt man bei
schwächeren Vergrösserungen ein zusammenhängendes helles Kreuz zu sehen,
welches erst bei genauerer Prüfung sich in die einzelnen Bestandteile auflöst
und erst nach dem Beginn der wirklichen Trennung zugleich mit jenem hellen
Streifen sich zurückbildet (Taf. II Fig. 27). Die Theilungen gehen aber
während der Brombeerform des Dotters bisweilen so rasch vor sich, dass bevor
die Kernkeimmassen in die ihnen vorausziehende feinkörnige Masse wieder
eingerückt sind, diese letztere sich schon von neuem in einer bestimmten
Richtung, welche gewohnlich rechtwinklig von der vorhergehenden abweicht,
zu strecken beginnt. Zur selben Zeit konnte ich noch einige weitere Einzel-
heiten im Innern der Dotterstücke erkennen. Wenn eins von ihnen eben
vollendet war, so erschien die feinkörnige Masse gegen die Kernkeimmasse
hin radiär gestreift ; und ebenso erschienen an Durchschnittsbildern in den
hellen Grenzstreifen, welche die Trennungslinien der sich theilenden Dotter-
stücke enthielten, zarte dunkle Linien, welche von der Trennungslinie aus
nach beiden Seiten radiär gegen die Kernkeimmasse konvergirten (Taf. I
Fig. 18). Die beiderlei radiären Streifen oder Linien sehen aus wie die Falten
eines auseinandergezogenen Gewebes. — Es ist klar, dass die Kernkeimmassen
während ihrer ziemlich raschen Vermehrung und der damit verbundenen
Dottertheilung bedeutend wachsen müssen; dieses Wachsthum geht höchst
wahrscheinlich so vor sich , dass stets neue Kernkeime aus der formlosen fein-
körnigen oder punktirten Masse entstehen und darauf sich an die schon be-
stehenden anlegen. Wenigstens habe ich kein Anzeichen für eine Vermehrung
der Kernkeime durch Theilung gefunden. Immerhin ergibt sich aus einem
Vergleiche der Dotterstücke aus verschiedenen Perioden der Dottertheilung,
dass die feine Substanz, welche ihrer Zusammensetzung nach den früheren
Lebenskeimen ohngefähr gleich kommt und, sowie diese nunmehr durch die
Kernkeimhaufen vertreten werden, das eigentliche Uebergangsstadium darstellt,
merklich verbraucht wird; und dass ferner die Masse der unveränderten
Dottersubstanz ebenfalls abnimmt, was wohl nicht anders zu deuten sein wird,
II. Die Dottertheilung. ß3
als dass ein Theil der Punkte, Körner und Täfelchen sich in feinkörnige
Substanz zum Ersätze der verbrauchten verwandele. Diese Umwandlung be-
ruht offenbar auf einer allmählichen Schmelzung jener Elemente, welche im
Eierstocksfollikel aus den feinsten Punkten heranwachsen; diese Annahme wird
dadurch unterstützt, dass je schneller der Verbrauch und der Umbildungs-
process der Substanzen im Centrum der Dotterstücke im weiteren Verlaufe
der Dottertheilung wird, um so undeutlicher und breiter die Grenzen zwischen
der peripherischen grobgekörnten und der inneren feinen Dottersubstanz
werden , indem die grösseren Elemente nach innen zu ganz allmählich durch
Zwischenstufen in die feinsten Punkte übergehen. Dies halte ich nun im
Vereine mit den übrigen Beobachtungen für einen klaren Beweis, dass die
peripherische Dottermasse von innen heraus umgewandelt, dem Centrum
assimilirt werde. Diese Umwandlung hält aber nicht durchaus Schritt mit
dem innern Verbrauche, denn gegen das Ende des Dottertheilungsprocesses
ist von der feinkörnigen Substanz nur noch so viel zu sehen , als etwa der fort-
laufende Verbrauch des Centrums beträgt. Alsdann , d. h. ohngefähr zu der
Zeit, wenn die äussere Zeichnung der Dottertheilung sich der deutlichen
Beobachtung mit unbewaffnetem Auge zu entziehen beginnt , tritt auch eine
wesentliche Umwandlung der Kernkeimhaufen ein ; sie verschmelzen zu soliden
Körperchen, welche anfangs einen unregelmässigen Umriss haben und während
einiger Zeit in ihrem Innern eine netzförmige Zeichnung, die letzte Spur ihrer
Zusammensetzung aus den einzelnen Kernkeimen bewahren, endlich aber scharf
begrenzt, rund und ohne weitere Zeichnung fein granulirt, kurz — wirkliche
Zellenkerne werden (Taf. I Fig. 19). Von da ab gestalten sich auch die
Verhältnisse der Dottertheilung wesentlich anders, als zur Zeit, wo die Lebens-
keime oder die Kernkeimhaufen die Centren der Dotterstücke bildeten. Die
von gröberen Dotterelementen freie, feinkörnige, um die Kerne herum gelagerte
Masse ist alsdann, wie schon bemerkt wurde, auf eine so schmale Zone reducirt,
dass ihr Antheil an der Theilung nicht mehr wahrnehmbar ist. Die Kerne
können bei der noch fortdauernden Vermehrung nicht mehr durch Apposition
von aussen wachsen , da sie beständig einen scharfen Kontur besitzen und in
der Umgebung weder Kernkeime noch andere Gebilde neu entstehen. Offen-
bar wachsen also die Kerne durch Aufsaugung, durch wirkliche Ernährung.
Auch sieht man nichts mehr von einer die Theilung oder Vermehrung einleiten-
den Streckung der Kerne, sondern jener Vorgang erfolgt in ganz anderer
Weise. An einer Stelle des Kernes entsteht ein kleiner Auswuchs , welcher
64 n- We Dottertbeilung.
entweder regelmässig halbkugelig oder nach einer Seite unregelmässig vorra-
gend sich entwickelt (Taf. I Fig. 19). Mit der Grössenzunahme wächst
auch seine Selbstständigkeit; wie er sich endlich vom Mutterkerne trennt, habe
ich nicht gesehen, doch glaube ich, dass diese Ablösung so vor sich geht, dass
die Ernährungsthätigkeit sich für beide Theile absondert und dadurch an der
Stelle des Zusammenhangs ein indifferenter, lockerer Zustand erzeugt wird,
welcher schon bei einer geringen Wachsthumsbewegung des einen Theils in
Trennung übergehen kann. Natürlich lassen sich alle Stadien der Kernver-
mehrung nicht an dem gleichen bestimmten Orte verfolgen, wie bei der Theilung
der Lebenskeime. Doch halte ich meine Deutung desshalb für richtig, weil
die unsymmetrisch geformten (birn- und kolbenförmigen) Kerne, welche in der
Mehrzahl vorhanden waren, unzweifelhaft als die Vorläufer der bisquit- und
bohnenförmigen anzusehen sind, da die kleineren Auswüchse der ersteren
kleiner waren als die gleichen Hälften der letzteren. Aus demselben Grunde
halte ich auch dafür, dass die Vermehrung der Kerne wesentlich einem auf
einer einzigen Seite überwiegenden Wachsthum entspringe, während bei der
Theilung der Lebenskeime die beiden Enden auswachsen. Ich bemerke noch
ganz besonders, dass ich Kerne, welche eine Sonderung in mehr als zwei
Massen angedeutet hätten, nicht beobachtet habe, sodass ich die Möglichkeit
solcher Befunde, wenn ich sie auch nicht durchaus läugnen kann, doch für
sehr unwahrscheinlich halte.
Diese aus der Dottertheilung hervorgegangenen und sich noch immer
weiter theilenden kernhaltigen Dotterstücke gehen in die Zusammensetzung
der Embryonalanlagen ein und sollen alsdann bei veränderter Thätigkeit und
Bedeutung den Namen „Embryonal- und Dotterzellen" führen. Wenn aber
auch die Kernbildung für das einzelne Dotterstück den Uebergang aus dem
einen Zustande in den anderen andeutet, kann sie doch für das ganze Ei zu
einer bestimmten Grenzscheide zweier Entwickelungsstufen nicht dienen.
Denn weder fällt mit ihr der Anfang der eigentlichen Embryonalbildung zu-
sammen, noch erfolgt sie in allen Theilen des Eies zu gleicher Zeit: die in der
Nähe des oberen Pols gelegenen Dotterstücke erreichen ihr Ziel weit früher
als die tiefer befindlichen. Man kann daher keine bestimmte Zeit nennen,
wann die einfache Dottertheilung aufhöre, um einer Vermehrung der Embryonal-
und Dotterzellen Platz zu machen-, sondern es lässt sich nur ganz im allge-
meinen sagen , dass , bevor ein Theil des Dotters in die Zusammensetzung der
ersten Embryonalanlagen, also der Keimschichten eingeht, der Dottertheilungs-
II. Die Dottertheilung. G5
process in ihm zum Abschluss gekommen ist und die soweit fertigen Elemente
einen neuen Abschnitt ihrer Entwickelung beginnen. Wenn es aber auch in
der Natur der organischen Entwickelung liegt, dass die einzelnen Processe
vielfach ineinander greifen, keiner rein, für sich allein, sondern schon neben
den Keimen anderer Erscheinungen verläuft, so lassen sich immerhin die
chronologischen Abschnitte der Entwickelungsgeschichte durch das Vorherrschen
eines Bildungsvorganges bestimmen. Mag also schon während der ersten
Dottertheilungen die Entwickelung der erst später zu betrachtenden Keimhöhle
begonnen haben und mögen andererseits auch nach dem Erscheinen der ersten
Embryonalzellen in andern Theilen des Eies noch Dottertheilungen fortdauern,
so erscheint der Dottertheilungsprocess dennoch geeignet , eine erste Periode
der Entwickelung zu kennzeichnen , insofern er das wesentliche Ereigniss dar-
stellt, welches die volle Aufmerksamkeit des Beobachters fesselt, und neben
welchem die unscheinbaren Anfange anderer Erscheinungen in den Hintergrund
treten. Die Betrachtung dieses Vorgangs schliesse ich aber dort, wo uns sein Wesen
klar vor Augen liegt, er wenigstens in einem Theile des Eies seinen Zweck
erreicht hat, die Elemente zu bilden, aus denen sich die Embryonalanlagen zu-
sammensetzen, und nunmehr diese unser Interesse in Anspruch nehmen.
Kein Entwickelungsprocess ist wohl so geeignet, den Fortschritt in der
Entwickelungsgeschichte der Batrachier zu bezeichnen, wie die Dottertheilung.
Bei der Leichtigkeit, Batrachiereier in ihrer Entwickelung von der Befruchtung
an zu verfolgen und bei der für Beobachtung und Untersuchung geeigneten
Grösse dieser Eier konnte jener Vorgang der Aufmerksamkeit nicht lange
entgehen; aus der Art und Weise, wie er untersucht wurde, lässt sich die
Untersuchungsmethode bei allen übrigen Vorgängen erkennen, aus der Be-
achtung, die er fand, spricht das geringere oder grössere Bedürfhiss, die Be-
obachtungen für eine allgemeinere Auffassung zu verwerthen. Die ersten
Forscher begnügten sich mit der Beobachtung des unberührten Eies, da die
Neuheit der äussern Erscheinung ihre Wissbegierde vollständig in Anspruch
nahm ; ihre Nachfolger suchten bereits den Zusammenhang der äussern Ver-
änderungen im Innern des Eies zu verfolgen; die weitern Kenntnisse regten
endlich die Frage nach der Bedeutung der Vorgänge an, überall aber entwickelte
sich die ganze Lehre von der Entwickelung der Batrachier zugleich mit der
Goette, Entwickelungsgeschichte. 5
66 n. Die Dottertheilung.
zunehmenden Vollkommenheit der Beobachtung und der sich stetig läuternden
Auflassung der Dottertheilung.
Ich werde bei der Vergleichung aller einschlägigen Untersuchungen zuerst
nur die einfachen Beobachtungen, in zweiter Reihe erst die verschiedenen Auf-
fassungen anführen. — Was nun zuerst das Aeusserliche betrifft, so wurden
zwei Typen des äussern, das Ei überziehenden Furchennetzes bekannt: nach
Peevost und Dumas sollte es stets quadratische Maschen besitzen, nach
v. Baer und Remak würde die zierliche Zeichnung nur durch Meridian- und
Breitenkreise entworfen. Schultze (Nr. 52 S. 7. 8) löste den Widerspruch,
indem er zeigte, dass sowohl beide Formen durch Verschiebungen und Gestalt-
veränderungen der einzelnen Dotterstücke in einander übergehen, als auch von
Anfang an bald die eine, bald die andere ausschliesslich sich entwickeln könne.
In der That wäre es bei den gegenwärtigen Kenntnissen von den Ursachen der
Furchen und Theilungen wunderbar, wenn die Bewegungen der Centraltheile
auch nur während der ersten Theilungen in absoluter Regelmässigkeit vor sich
gingen. — Die Beobachtungen von Peevost und Dumas über die ersten Ent-
wickelnngsvorgänge des Eies gehen über das Bild der vergänglichen Furchen
nicht hinaus ; Rusconi machte aber schon einen Fortschritt, indem er nachwies,
dass die Furchen bloss der äussere Ausdruck einer vollständigen Theilung des
Dotters seien, und die Ursache der letzteren in einer innern Entwicklung ver-
muthete , welche er in den centralen Höhlen der Dotterstücke angedeutet fand.
v. Baee vermochte trotz seiner geistvollen Auffassungsweise diese Thatsachen
nicht zu vermehren ; seine Nachfolger dagegen suchten um so mehr die Einzel-
heiten der Theilung und die Natur der Theilstücke zu erforschen, als nach der
inzwischen erfolgten Entdeckung Schwanns der ganze Vorgang als Vorläufer
der Embryonalentwickelung an Bedeutung und Interesse wesentlich gewonnen
hatte. — Was nun den „Furchungsprocess" selbst betrifft, so folgen Beegmann,
Ceamee, Köllikee, Remak, Schultze und v. Bambecke im allgemeinen der
schon v. Baee und Rusconi vorgetragenen Ansicht , dass die mit den Furchen
beginnende Einschnürung des Dotters so lange von aussen nach innen fort-
schreite, bis seine Kontinuität in der Einschnürungsebene vollständig aufge-
hoben sei; Remak schreibt diese Abschnürung einer besonderen in den be-
treffenden Dottertheil koncentrisch hineinwachsenden Membran zu, welche
Köllikee und Schultze ganz bestimmt läugnen. Ich habe nun gezeigt, dass
diese gegenwärtig wohl allgemein verbreitete Ansicht, dass der Dotter sich
IL Die Dottertheilung. 67
durch Ein- und Abschnürung theile*, eine irrige sei; die Furchen zeigen nur
an, dass das Theiluugsbestreben von innen bis an die Oberfläche gedrungen ist,
entstehen, wie sich weiterhin ergeben wird , dadurch, dass die zähe Dotter-
substanz der wirklichen Trennung anfangs widersteht und vergehen wieder,
sobald die letztere wirklich eingetreten ist. Insofern sind die Furchen aller-
dings vergängliche Erscheinungen und nicht die Ausgangsstellen der Dotter-
theilung**. Ich brauche aber kaum hinzuzufügen, dass die damit ausge-
sprochene Uebereinstimmung mit den ähnlichen negativen Resultaten von
Reicheet und Vogt meine Darstellung der thatsächlichen Verhältnisse der-
jenigen dieser Forscher dennoch um nichts näher bringt. Reichert's irrige
Auffassung habe ich bereits kurz gekennzeichnet; sie entsprang, wenigstens für
das Batrachierei, nicht so sehr eingehenden, zusammenhängenden Beobach-
tungen, als einem Ueberwiegen der Reflexion, welche die einzelnen Erscheinungen
zu einem Gesammtbilde gleichsam zusammensuchte. Vogt endlich geht auf
den Standpunkt von Prevost und Dumas zurück, nur dass er die Dotter-
theilung, welche Jene gar nicht kannten, überhaupt in Abrede stellt, — Grösser
als bei der Erforschung der Dottertheilung selbst war die Ausbeute meiner
Vorgänger in der Untersuchung der innern Zustände des Dotters während
jener Entwickehmg. Bergmann entdeckte, wie es scheint ohne Kenntniss der
RuscoNi'schen Beobachtung über die innern Höhlen der Dotterstücke, an
letzteren helle Flecke, welche er als den Ausdruck zellenkernartiger Gebilde
nachweisen konnte. Diese Körperchen erklärte er nach dem Vorgange Vogt's
für die im befruchteten Eie zerstreuten Keimflecke, welche während der
Dottertheilung allmählich in den Dotterstücken vertheilt würden. Daneben
erwähnte er übrigens auch die Möglichkeit , dass jene Kerne der Dotterstücke
durch fortgesetzte Theilung aus einem einzigen hervorgingen. Diese letztere
Auffassung, welche zuerst durch Untersuchungen über die Dottertheilung in
Eiern niederer Thiere*** hervorgerufen war, machte Köhliker auch für die
Batrachiereier geltend, da er in denselben eine Kernvermehrung durch eine
, endogene" Bildung je zweier Kerne in einem vorherbestandenen zu beobachten
glaubte. Ein besonderes Verdienst Kölliker's sehe ich aber darin , dass er
* Vgl. Kölliker, Handbuch der Gewebelehre des Menschen 5. Auflage 1867
Seite 26. 27.
** Desshalb muss ich auch die Ausdrücke „Furchungsprocess , Furchungskugeln oder
-zellen" u. s. w. für die Dottertheilung . Dotterstücke u. s. w. als durchaus unpassende
aufgeben.
Vgl. Bagge, Dissertatio inauguralis de evolutione strongyli auricularis 1841.
5*
'S*-
" 8*
68 II. Die Dottertheilung.
diese Vermehrung seiner Kerne zur Erklärung der Dottertheilung heranzog.
Daraus, dass die erstere der Dottertheilung vorausgehe, und jedes neuentstan-
dene Dotterstück je einen Kern enthalte, schloss er auf einen kausalen Zu-
sammenhang beider Vorgänge, sodass jeder neugebildete Kern die Absonderung
der ihn umgebenden Dottermasse von den Wirkungskreisen der andern Kerne
bestimmte. — Da Reicheet und Vogt von einer Dottertheilung überhaupt
nichts wissen wollen, so passen auch ihre Mittheilungen über die innern Ver-
änderungen des Dotters vor dem Auftreten der Embryonalanlage nicht recht in
die Entwicklungsgeschichte der in Rede stehenden Lehre ; ich verweise daher
auf die im Anfange dieses Abschnitts gegebene Uebersicht jener Mittheilungen.
Wenn Ceamer es Jedem, der mit der betreffenden Literatur vertraut ist, zu
beurtheilen überlässt, worin seine Darstellung von derjenigen seiner Vorgänger
abweiche (Nr. 34 S. 34), so muss ich mich dahin aussprechen, dass er, abge-
sehen von der Deutung des Beobachteten , nichts vorbrachte , was nicht schon
von Bergmann, Reichert und Vogt mitgetheilt worden war, dagegen
Kölliker's Arbeiten gar nicht kannte. Remak gelang es, die Theilung der in
den Dotterstücken enthaltenen hellen Flecke, nach seiner Ansicht also der
Kerne, thatsächlich selbst am lebenden Eie und zwar, wie es schon Kölliker
behauptete, als eine beständig der Dottertheilung vorausgehende Erscheinung
zu beobachten; über den Kausalzusammenhang beider Erscheinungen sprach
er sich nicht aus. Gleich Kölliker machte Remak seine Beobachtungen zu-
nächst an den kleinen Dotterstücken, und es galt nun, die schwierige Frage,
welche auch Kölliker mit Stillschweigen übergangen, nämlich die nach dem
Ursprünge der frühern Kerne zu lösen. Remak leitet alle Kerne von einer
weiten Höhle ab, welche durch Theilung nach dem bekannten Schema in immer
kleinere übergehe ; diese bekämen endlich eine Membran und würden dadurch
zu den bekannten Kernen. Jene erste Höhle , welche von einer grauen Masse
umgeben sei , hält Remak für den frühern Aufenthaltsort des Keimbläschens,
welchen schon v. Baer irrthümlicherweise nebst einem davon ausgehenden und
am obern Pole ausmündenden Kanäle im befruchteten Eie bestehen liess.
Wenn ich die Masse von der Höhle des Keimbläschens (bis 500 p breit) und
von meinem ersten Lebenskeim (30 fi breit) vergleiche, wenn ich jene Höhle
bereits im Eierstocke verschwinden, den Lebenskeim aber erst einige Zeit nach
der Befruchtung als solide Masse erscheinen sehe ; kurz — wenn ich alle meine
Beobachtungen mit denen Remak's vergleiche, so darf ich wohl behaupten, dass
er sich arg getäuscht und weder die ersten Lebenskeime, noch ihren Uebergang
II. Die Dottertkeiluag. 69
in die spätem gesehen habe. Wenn ich aber einem Forscher den Vorwurf mache,
dass er Höhlen, welche dem blossen Auge sichtbar sein müssten, an Stellen be-
schreibt, wo sich nur eine solide Masse befindet, so glaube ich die Pflicht zu
haben , Alles , was zur Erklärung eines so auffallenden Irrthums dienen kann,
mitzutheilen. Spaltet man, sowie es Remak offenbar that, die gehärteten Eier
und betrachtet die Hälften oder kleinern Theile bei J5— 20facher Vergrösse-
rung und auffallendem Lichte (vgl. Nr. 40 S. XXVIII. XXIX) , so lassen sich
allerdings so zarte Gebilde , wie die ersten Lebenskeime , nicht erkennen, aber
man kann an ihrer Stelle unter Umständen scheinbar regelmässige und doch
durch die Präparation hervorgebrachte weite Höhlen sehen. Ich habe bereits
darauf hingewiesen, wie der von mir sogenannte Dotterkern an erhärteten Eiern
leicht herausfällt ; er hat auch ziemlich genau die Grösse von der Höhle des
Keimbläschens und liegt bald im Centrum , bald in der Nähe desselben oder
endlich unter dem oberen Pole, was durchaus damit übereinstimmt, was Remak
von der ersten Kernhöhle aussagt (Nr. 40 S. 137). Während der ersten Thei-
lungen der Lebenskeime sind dielben von grösseren Höfen feinkörniger heller
Masse umgeben als später; indem diese Höfe bei der Präparation sich von der
übrigen Dottermasse ablösen und entweder ebenso wie der Dotterkern mit den
eingeschlossenen Keimen herausfallen oder geschrumpft zur Seite gedrängt wer-
den, lassen sie einfache oder doppelte aber kleinere Höhlen als die erste zurück,
was wiederum durchaus der Beschreibung Remak' s entspricht (Tafel II Flg.
26. 27). Endlich verweise ich auch noch auf die von mir beschriebenen dunklen
Ringe, welche an Durchschnitten die Lebenskeime und ihre Höfe umkreisen und
nach Remak unmittelbar die Höhlen begrenzen sollen (Kernmasse — Remak). Nach
diesen Vergleichen scheint es mir unzweifelhaft, dass Remak jene künstlichen
Höhlen für den Ursprung der Kerne gehalten hat. Jedenfalls sah er die Lebens-
keime nicht, und ich kann noch hinzufügen, dass er die centralen Gebilde der
Dotterstücke auch in den späteren Stadien falsch gedeutet hat. Die helle Flecke,
welche man am unversehrten oder am aufgebrochenen gehärteten Eie sieht,
entsprechen nicht den Lebenskeimen oder den sie später vertretenden Kern-
keimen allein, sondern diesen sammt der feinkörnigen hellen Umgebung-,
Remak kennt diese Höfe nicht, giebt aber die Grösse seiner Flecke oder Kerne
auf Vso Linien=28;x und darüber an (Nr. 40 S. 138), während meine Messungen
dieselbe Grösse für die Höfe, für die Kernkeimmassen aber höchstens 1 8t/. ergeben.
Dagegen nimmt er später (auf der achten Furchungsstufe) in seinen Kernen
je 1 oder 2 Kernkörperchen wahr, zu einer Zeit, wo die losen oder schon kom-
70 II. Die Dottertkeilung.
pakten Massen der Kernkeime die Stelle der Lebenskeime einnehmen. Meiner
Ansicht nach hat also Remak die sich entwickelnden Kerne erst ziemlich spät
(auf der achten Stufe) zu Gesicht bekommen und für Kernkörperchen, dagegen
die hellen um dieselben gelegenen Höfe für die eigentlichen Kerne gehalten.
Erst in jenen Stadien der Dottertheilung, wo die Höfe verschwinden, konnte
Remak die Kernkeimmassen als unmittelbare Vorläufer der späteren Zellen-
kerne erkennen; er beschreibt diese Massen als Bläschen, welche mit einigen
oder mehren Körperchen angefüllt waren. Da dieser, wie aus meiner Beschrei-
bung hervorgeht, einigermaassen richtige Befund in Remak's vorher erworbene
Ansicht von den Kernen nicht hineinpasste, so erklärte er ihn folgendermassen.
Die Kerne seien in mehrfacher Theilung durch die einschnürende Membran be-
griffen gewesen , aber durch die angewandten Mittel die letztere aus den Fur-
chen oder Spalten ^herausgezogen worden ; so entstehe das Bild der in einen
gemeinsamen Raum eingeschlossenen kleinen Körperchen (Nr. 40 S. 138. 139).
Noch hat aber niemand ein kleines Dotterstück — denn um solche kann es sich
nur handeln — mit sechs und mehr auseinandergetretenen Kernen oder gar in
der beginnenden Theilung in sechs und mehr Stücke gesehen. Jene Annahme
Remak's hat also durchaus keinen Boden ; was er für die Theilstücke des Kernes
genommen, sind nur die von mir beschriebenen noch unverschmolzenen Kern-
keime. So kann ich denn meine Kritik der Beobachtungen dieses Forschers über
die Kerne während der Dottertheilung damit schliessen , dass er die einzigen
kernartigen Theile der Dotterstücke, nämlich zuerst die Lebenskeime, später
die Haufen von Kernkeimen nirgends als solche erkannte, und erst gegen das
Ende jenes Vorgangs die Massen der Kernkeime wahrnahm, aber auch dort
in Rücksicht auf seine irrigen Voraussetzungen das ganz naturgemässe Detail
für ein Kunstprodukt erklären musste. — Es liegt nun durchaus kein Grund
zur Annahme vor, dass die Vorgänger Remak's: Bergmann, Kölliker, Cramer
in ihren viel beschränkteren Untersuchungen glücklicher gewesen wären , als
jener Forscher: für sie alle sind die äusserlich durchscheinenden Flecke das
Bild wirklicher Kerne, deren Ursprung sie nicht kennen und welche sie irrthüm-
licherweise einfach in die Zellenkerne übergehen lassen. Namentlich hatte
Kölliker in Missdeutung und Verwechselung der Lebens- und Kernkeime schon
vor Remak die endogene Vermehrung der Kerne und Kernkörperchen der„Fur-
chungskugeln" gelehrt. Und seit Remak's Zeit hat sich in der Sache nichts ge-
ändert. Ich brauche nur auf die schon citirte Stelle aus Kölliker's Entwicke-
lungsgeschichte zu verweisen , um klar zu stellen , dass seine gleichfalls ange-
IL Die Dottertkeilung. 71
führte Darstellung der Dottertheilung nur eine schematische Aufzeichnung ist,
welche für die Wirbelthiere nur den analogen, aber auch noch nicht genügend
erforschten Vorgängen in den Eiern niederer Thiere entnommen ist. — Doch
darf ich v. Bambecke nicht unerwähnt lassen , da er der einzige Forscher ist,
welcher vor mir einen ersten Kern im befruchteten Batrachierei gesehen haben
will. Wenn man aber überlegt, dass er denselben mit der Höhle des Keimbläs-
chens vergleicht (Nr. 63 S. 21) und neuerdings ihm jeden Antheil an der Dotter-
theilung abspricht, weil er ausserhalb, zur Seite der Furchungsebene liege
(Nr. 71 S. 64), endlich die Möglichkeit erwähnt, die eigentlichen nuclei der
Dotterstücke von ganz anderen Bildungen abzuleiten (Nr. 71 S. 70), so darf
ich annehmen, dass die von v. Bambecke beschriebenen hellen Kerne allenfalls
meinem Dotterkerne , aber durchaus nicht meinem ersten Lebenskeime ent-
sprechen. •
Ich schliesse nun die Vergleichung der von meinen Vorgängern und von
mir über die Dottertheilung mitgetheilten Beobachtungen und wende mich zu
den allgemeineren Betrachtungen, welche jene merkwürdige Erscheinung her-
vorrief. — Alle Embryologen von Rusconi an (mit Ausnahme von Reichert)
stimmen darin überein , dass die letzten Produkte der Dottertheilung die Ele-
mentartheile für den künftigen Organismus, dessen Organe und Gewebe seien ;
seit Schwann in jenen Elementen Zellen kennen lehrte, entstand aber die wei-
tere Frage, wann und wodurch die Dottertheile den Zellencharakter erlangen.
Es ist natürlich, dass gleich nach dem Bekanntwerden der ScHWANN'schen
Theorie, welche in der Bildungsgeschichte der Zellen die formale Arbeit, die
Herstellung der für integrirend gehaltenen Formenbestandtheile einer Zelle be-
tonte, auch die Dottertheilung von demselben Gesichtspunkte aus beurtheilt
wurde. Bergmann, Vogt* und Cramer sehen daher die Bedeutung der letz-
teren darin, dass die gleich anfangs für eine grosse Anzahl von Zellen fertig
gegebenen Bestandteile, nämlich die Dotterkugel und die Kerne** oder Keim-
* Vogt kann man immerhin neben Bergmann und Cramer stellen, wenn man an-
nimmt, dass er die spätere Fortsetzung der Dottertheilung übersehen hat; wie denn auch
schon Bergmann ausspricht , dass „Vogts Dotterzellenbildung durchaus nichts als eine
Spaltung mit Verdichtung der Grenzflächen ist" (Nr 27 S. 99). Reichert dagegen kann ich
hier nicht wohl berücksichtigen ; denn nach seiner Ansicht entstehen die bleibenden Embryo-
nalzellen erst nachdem der Furchungsprocess, der nur momentan bestehende Zellen erzeuge,
sein Ende gefunden.
** Wenn auch Bergmann die Identität der hellen Körper in den Dotterstücken und der
Kerne in den Embryonalzellen anfangs bezweifelte, so gab er sie doch später im wesentlichen
zu, nachdem er erkannt zu haben glaubte, dass jene Körper die Rolle von Zellenkernen spielten.
72 II- Die Dottertheilung.
flecke auf eine wunderbare Weise so vertheilt und angeordnet würden , dass
endlich jeder Kern in eine besondere Dotterportion gelange. So äussert
Bergmann: „So möchten also die Keimflecke, wo sie mehrfach vorhanden sind,
nach der Befruchtung die Metamorphose des Dotters einleiten, indem sie sich
darin verbreiten, die Spaltung bewirken, welche fortschreitend in deutlicher Zellen-
bildung endigt. Die erst entstandenen Theile müssen mehrere Kerne enthalten,
die späteren immer weniger, zuletzt müssen Kerne nachgebildet werden." (Nr. 27.
S. 94). Wie nun Bergmann jene hypothetische Wirkung sich vorstellt, wie die
zahlreichen im Dotter regellos zerstreuten Kerne eine fortlaufende Halbirung der
ganzen Masse hervorrufen sollen, sodass zuletzt jedes Stück richtig seinen eige-
nen Kern hat , bleibt durchaus räthselhaft. Wenn die Kerne die Fähigkeit be-
sässen, die sie umgebende Masse zu einer Zelle zu gruppiren, zusammenzuziehen
(„Bildung um ein Vorhandenes, welches dadurch Zelleninhalt wird"), so müsste
der Dotter von Anfang an in einkernige Stücke zerfallen. — Dieser Schwierig-
keit der Vorstellung glauben Vogt und Cramer durch eine scheinbar unbe-
fangenere Anschauung zu entgehen. Nach Vogt erwirbt der Dotter nach vor-
ausgegangener Furchung die Eigenschaft, Bläschen , eben die Zellen, zu bilden,
welche bei ihrer Entstehung einen oder einige von den zerstreuten Keimflecken
einschliessen können ; ist dies zufälligerweise nicht geschehen, so wird ein Kern
nachgebildet. Cramer lässt die Dotterkugel nach der Befruchtung eine eigene
Membran bilden und dadurch zu einer Zelle werden , welche die Bestandteile
zu Hunderten von anderen Zellen in sich beherbergt und eigentlich nur daraus
besteht. Die wohlgeordnete Vertheilung dieses Inhalts in eine Menge gleich-
artiger Zellen mit je einem Kerne überlässt Cramer dem als Thatsache aller-
dings feststehenden Process der Dotterzerklüftung. Scheinbar also halten sich
Vogt und Cramer nur an Thatsachen, ohne zu deren Erklärung sich in Hypo-
thesen zu verlieren; sie geben scheinbar nur das Beobachtete wieder, wobei der
eventuelle Irrthum den Anspruch einer objektiven Forschung nicht beeinträch-
tigen sollte. Dies beruht aber auf einer Täuschung. Denn die Beobachtungen in
der Entwicklungsgeschichte verhalten sich wesentlich anders , als in den ana-
tomischen Disciplinen. In der Entwicklungsgeschichte gilt die einzelne Wahr-
nehmung an sich gar nichts, sondern nur als Glied im ununterbrochenen Kausal-
zusammenhange des Vorhergehenden und Nachfolgenden; jedes Resultat ist
dort eine Kombination von Wahrnehmungen, und an die unkritische Zusammen-
stellung unsicherer Thatsachen ist unter allen Umständen die Hypothese ihres
Zusammenhanges geknüpft, sodass ein solches Verfahren um nichts entschuld-
IL Die Dottertheilung. 73
barer ist, als ein ungenügend, auf blosse Voraussetzungen gegründeter Schluss.
Wenn z. B. Beegmann sich dieses letzteren Fehlers schuldig machte, indem er
die Dottertheilung von den zerstreuten Keimflecken abhängen lässt, ohne dass
irgend ein Zeichen dafür spräche, so ist die Beobachtungsweise Vogts nicht
exakter, welcher die im Fluge* gesammelten Beobachtungen, wenn sie einander
und andern Erfahrungen noch so sehr widersprachen, gar nicht in Zusammen-
hang zu bringen sucht, sondern ohne nähere Prüfung als Thatsachen hinstellt,
für deren Erklärung die Natur verantwortlich gemacht wird. — Einen wesent-
lichen Fortschritt in der Deutung der Dottertheilung bekunden die Darstellungen
Remak's, Köllikee's und Schttltze's, besonders da sie sich auf bessere Beob-
achtungen stützen. Mochte ihre Anschauung auch im wichtigeren Theile sich
bloss auf Analogien stützen , im Einzelnen ungenau sein , so konnte doch mit
Recht als Thatsache hingestellt werden, dass die Theilungen des Dotters von
den vorausgehenden Theilungen der einzelnen Kerne, wofür die centralen Ge-
bilde gehalten wurden, abhängig seien. Aber bei der weiteren Beurtheilung
traten die Folgen der Ungenauigkeiten und Lücken der Untersuchung zu Tage:
es wird schematisirt, die ersten Theilstücke des Dotters werden qualitativ den
letzten, den Embryonalzellen gleichgestellt , und der ganze Process , gleichsam
alles Wunderbaren entkleidet, erscheint zuletzt als eine einfache Zellenvermeh-
rung durch fortschreitende Theilung (Nr. 48. S. 30. Nr. 52. S. 9). Dass die
Dotterkugel vor dem Erscheinen der ersten Furche eine Zelle sein muss , ist
unter solchen Umständen selbstverständlich; dies konnte aber um so weniger
befremden, als das Ei schon ohnehin für eine Zelle galt, und dass ihr erster
Kern, das Keimbläschen, einem andern Platz machte, wurde, wie es scheint,
als eine untergeordnete Thatsache hingenommen**. Die Irrthümer dieser An-
schauung mögen vielleicht an sich, d. h. insofern für Zellen erklärt wird, was
* Vgl. Nr. 26 S. VII.
** Haeckel meint: „Wenn die von den meisten Embryologen noch gegenwärtig be-
haupten Thatsache wirklich richtig ist, dass in dem ersten Entwickelungsstadium des thie-
rischen Eies gewohnlich das Keimbläschen oder der Eikern nicht unmittelbar in die beiden
Kerne der zwei ersten Furchungskugeln sich spaltet , sondern vielmehr in dem Plasma (Dot-
ter) der Eizelle sich vorher auflöst, so wird diese letztere dadurch zur Cytode , und wenn sie
durch Neubildung eines neuen Kernes im Plasma wiederum zur Zelle wird , so müssen wir
diesen Vorgang zweifelsohne als eine „Entstehung einer Zelle aus einer Cytode durch Diffe-
renzirung von Plasma und Kern" ansehen" (Nr. 100 Bd. IL S. 116. 117j. Und neuerdings will
derselbe Schriftsteller diesen seiner Ansicht nach noch immer unerwiesenen Vorgang , wenn
er sich bestätigen sollte , als „Rückschlag der kernhaltigen Eizelle in das kernlose Cytoden-
stadium eines einfachen Moneres deuten" (Nr. 101 S. 144). Zu solch unerhörten, alle Erfah-
rung über den Haufen werf enden Behauptungen kann die Neigung zum Schematisiren führen
74 II. Die Dottertheilung.
diese Bezeichnung nicht verdient, nicht grösser und nicht schlimmer erscheinen
als andere, die gelegentlich bemerkt und zurechtgestellt werden; ja es ist mög-
lich, dass ich; meine Vorgänger kritisirend, meinen Nachfolgern die Gelegenheit
zu ähnlichen Ausstellungen biete. Aber wichtig erscheint jene irrthüraliche An-
schauung in ihren Folgen ; sie gab den Anstoss zu einer Reform der früheren
Zellentheorie und ist noch heutigen Tages die Grundlage für die Lehre von der
Neubildung und Fortpflanzung der Zelle , welche in der Zellentheilung zusam-
menfallen sollen. Diese Rücksicht verlangte sowohl die genaueste Nachunter-
suchung über den „Furchungsprocess" als auch eine eingehende Kritik der Deu-
tungen desselben. Ich komme hierbei zunächst auf einen Punkt zu sprechen,
den ich bei meiner Definition der Zelle im vorigen Abschnitte ganz überging
und weiterhin nur angedeutet habe. Ich meine die Art und Weise, wie die Zelle
und ihr Leben von den Anatomen und Physiologen betrachtet wurde.
Wie es vor Schwann's wichtigen Entdeckungen um die Histiologie aussah,
ist bekannt, (vgl. Henle allgemeine Anatomie, S. 121 und flg.). Anfangs suchte
man die Einheit, welche das Gewirr der so sehr verschieden erscheinenden
Gewebstheile zusammenfasste, nur in atomistischen Theorien. Aber je weniger
Zusammenhang dieselben mit der Erfahrung hatten , desto mehr wandte sich
die exakt sein wollende Forschung von ihnen ab und verlangte Auskunft nur
von der greifbaren Erscheinung. So sammelten sich denn die einzelnen Er-
fahrungen über thierische Zellen an , bis es Schwann gelang , dieselben als die
Grundlage aller Gewebe, als die eigentlichen Formelemente des ganzen Organis-
mus nachzuweisen. Nun konnte die Empirie triumphiren, sie stand ganz auf
eigenen Füssen, in einfachster Weise lösten sich die früheren Räthsel, indem die
ganze Mannigfaltigkeit der Erscheinungen und Wirkungen im Organismus sich
zurückführen liess auf die grosse Bildsamkeit eines höchst einfachen Elements,
der Zelle. Die ganze ungeheure Arbeit, welche bis zum heutigen Tage sich an
die Entdeckung Schwann's knüpft , hat im Grunde nur das eine Ziel gehabt,
die von jenem Forscher entworfene Skizze weiter auszuführen, die Form - und
Lebenseinheit des Ganzen in einer solchen scheinbar leicht fassbaren Einheit
der Theile zu finden. Aber sowie bei der Betrachtung der mannigfaltigen For-
men und Wirkungen , welche in dem Organismus zu einem harmonischen Gan-
zen verbunden erschienen, sich die Forderung herausstellte, ein einfachstes Ele-
ment zu finden , so knüpfte sich an die Auflösung dieser Frage die weitere, wie
finden sich diese zahllosen gleichartigen Elemente zusammen , worin liegt die
Erklärung für ihr gemeinsames Wirken ? — Ich brauche die Antwort kaum an-
II. Die Dottertheilung. 75
zudeuten; sie war in der bezeichneten Entwicklung der Wissenschaft gleichsam
schon vorgeschrieben. Was im einzelnen Theile galt, musste sich auch ,für das
Ganze bestätigen, der Organismus musste aus einem greifbar Einfachsten, aus
einer Zelle hervorgehen. Schwann hatte schon die Vermuthung ausgesprochen,
dass das Ei eine Zelle sei , und damit auf die Kontinuität der organischen For-
men, des organischen Lebens hingewiesen. Aber er war zu unbefangen, um in
der Theorie, welche von ihm erst ausging, schon Meister zu sein; es fiel ihm
nicht ein, jene Kontinuität, welche er im grossen, für den ganzen Organismus
anzunehmen geneigt war, auch für die Elemente des letzteren zu fordern ; seine
Zellen entwickelten sich selbstständig aus formlosen, homogenen Grundsub-
stanzen. Diese Ansicht entsprach aber durchaus nicht der Richtung, in welcher
sich die Wissenschaft fortbewegte ; sie musste aufgegeben werden, und ich wage
es auszusprechen, dass, wenn Remak, Vikchow und Kölliker die genannte
Kontinuität auch für die einzelnen Zellen nachzuweisen nicht versucht hätten,
ganz gewiss Andere sich dieser Arbeit unterzogen haben würden. Denn es wäre
thöricht, läugnen zu wollen, dass auch die sogenannten exakten Wissenschaften
eine eigenthümliche Entwickelungsgeschichte haben, welche nicht von dem ein-
zelnen Forscher willkürlich bestimmt und abgeändert wird, sondern für jeden
Zeitraum von dem vorausgegangenen ihre Richtung erhält, in welcher die Er-
kenntniss gefördert, aber auch mancher gute Keim durch die beigesellten Irr-
thümer einseitig verbildet wird. Die unfruchtbaren Phantasien, welche die
Naturwissenschaft von jeder allgemeinen Auffassung zurückschreckten, riefen
das Streben hervor, die Erkenntniss der individuellen Einheit, welche sich als
Ganzes dem empirischen Griffe entzog, in den Theilen zu suchen. Die Zellen
erschienen als die letzten organisirten Formelemente aller Körpertheile und als
solche die eigentlichen und einzigen Träger jener formalen Einheit; und sollte
dieselbe vollständig sein, so war der Nachweis unerlässlich, dass jene Elemente
in unmittelbarem genetischen Zusammenhange standen, sowie alle Organisation
in letzter Instanz nur auf solche zurückführbar erschien. Nun — Suchen und
Finden gingen Hand in Hand und bald stand der Satz scheinbar unerschütter-
lich fest: omnis cellula e cellula und konnte Remak jenen schon citirten Aus-
spruch thun , „dass sämmtliche im entwickelten Zustande vorhandenen Zellen
oder Aequivalente von Zellen durch eine fortschreitende Gliederung der Eizelle
in morphologisch ähnliche Elemente entstehen , und dass die in einer embryo-
nischen Organ- Anlage enthaltenen Zellen, so gering auch ihre Zahl sein mag,
76 H. Die Dottertheilung.
dennoch die ausschliessliche, ungegliederte Anlage für sämintliche Formbestand-
theile der späteren Organe enthalten" (Nr. 40 S. 140).
So hatten die Schwierigkeiten , einen Organismus bloss aus dem Ganzen
zu erklären, zur analytischen Methode geführt, welche durch die ScHWANNsche
Entdeckung in ihrer Berechtigung glänzend bestätigt, bald zur ausschliesslichen
Herrschaft in Untersuchung und Anschauung kam. Denn wenn man im
ganzen Organismus nur noch die Formelemente berücksichtigte , so musste für
die letzteren die gleiche Anschauungsweise Platz greifen, die morphologische
Auffassung einseitig überwiegen. Dies erhellt wohl am besten aus den Defini-
tionen und aus der Art, wie dieselben verwerthet werden. Die Unterschiede, ob
die Zellen als Bläschen mit Hülle, Inhalt und Kern (Köllikee) oder als kern-
haltige .Protoplasmaklümpchen (M. Schultze) oder endlich die niedersten Or-
ganismen als einfache Protoplasmaklümpchen (Brücke , Haeckel) bezeichnet
werden, sind zunächst gleichgültig gegenüber der Thatsache, dass jene Begriffe
alle gleicherweise bloss morphologischer Natur sind , sich nur auf die äussere
Erscheinung, auf die Theile des Elementarorganismus oder, wo die Differen-
zirung ganz wegfällt , sich ebenso einseitig auf physikalische Merkmale seines
Stoffes , eben des Protoplasmas beziehen. In einem rein anatomischen Hand-
buche mögen jene Definitionen unter Umständen auch unangefochten stehen
bleiben. Aber es fiel, offenbar unter dem Einflüsse der herrschenden Ideen, all-
mählich die Unterscheidung zwischen dem morphologisch - physikalischen Be-
griffe und der allgemeinen Definition einer Zelle , eines Elementarorganismus
ganz weg, und jener trat in alle Rechte der letzteren ein*. Ich habe bereits bei
der Betrachtung des unbefruchteten Eies ausgeführt, dass der direkte Nachweis
des Lebens aus einem offenbaren Stoffwechsel nur dann erlassen werden kann,
wenn bei der vollkommenen Uebereinstimmung der morphologischen und physi-
kalischen Merkmale des betreffenden Körpers mit denen anerkannter Organis-
men sein Leben nicht nur möglich erscheint, sondern die Annahme desselben
durch wichtige Analogien, z. B. der Genese, der weiteren Entwickelung, gefordert
wird. Nun entschieden sich aber die Embryologen bald nach der Einführung
der Zellentheorie für die Zellennatur der aus der Dottertheilung hervorgehenden
* Es ist mir nur eine einzige Ausnahme bekannt , wo der genannte Unterschied klar
hervorgehoben wird. Leydig sagt in seinem „Lehrbuche der Histologie" S. 9 : „Zellen sind
die kleinsten organischen Körper, welche eine wirksame Mitte besitzen , die alle Theile auf
sich selber und ihr Bedürfniss bezieht." „Zum morphologischen Begriff einer Zelle gehört
eine mehr oder minder weiche Substanz , ursprünglich der Kugelgestalt sich nähernd , die
einen centralen Körper eiuschliesst, welcher Kern (Nucleus) heisst."
II. Die Dottertheilung. 77
Dotterstücke, ohne nach irgend einer Lebenserscheinung zu fragen, bloss auf
die oberflächlichste äussere Aehnlichkeit hin ; den meisten von ihnen genügte
schon der Nachweis einer Membran an jenen Dotterstücken, um sie für Zellen
zu erklären (Reichest, Vogt, Cramer, Remak, Leuckart). Und später gab
man sich durchaus nicht die Mühe , auch nur die Formbestandtheile der ver-
meintlichen Zellen, soweit sie nur ganz ungenau oder gar nicht bekannt waren,
wie die ersten „Kerne", zu konstatiren. Die Zellennatur aller Dotterstücke
musste ja eigentlich selbstverständlich sein, da sie offenbar aus protoplasmati-
schem Stoffe bestanden. Gehört aber wirklich zum Wesen eines Elementar-
organismus nur eine gewisse Portion Protoplasma , dann kann allerdings auch
dem unbefruchteten protoplasmatischen Dotier z. B. eines Batrachiereies die
Bezeichnung eines Organismus nicht abgesprochen werden. Daran könnte man
dann die Lebensgeschichte eines Protoplasmaklümpchens studiren: es entsteht
und erscheint als ein von einer Drüse abgesonderter ungeformter und unorgani-
sirter Stoff, wächst durch Apposition und sobald diese aufhört, geht es unter
allen Umständen im Eierstocke oder im Wasser in Zersetzung über. Dies wäre
also ein Organismus, der niemals eine Lebenserscheinung äussert; und folge-
richtig wäre zwischen der Zersetzung eines solchen Dotterprotoplasmas und
der Entwickelung des befruchteten nur ein gradueller Unterschied, d. h. der
bisher bestandene Begriff des Lebens wäre fernerhin nicht nur überflüssig, son-
dern nicht einmal statthaft. — Ich glaube, dass die Unfähigkeit des morpholo-
gischen Begriffes, eine allgemeine Definition zu vertreten, aus den beispielsweise
angeführten Konsequenzen genügend erhellt, und dass ich daher berechtigt bin,
die Beweise für die Zellennatur des befruchteten Dotters im Ganzen und in sei-
nen Theilstücken für ungenügend zu erklären. In Folgendem will ich aber zu
erläutern versuchen, zu welchen Ansichten ich bei der Betrachtung des sich
theilenden Dotters gekommen bin.
Für die Dottermasse des befruchteten Eies gilt dasselbe, was ich schon für
diejenige des unbefruchteten Eies nachwies, dass dieselbe weder zum Theil noch
im ganzen eine Zelle, ein lebendiger Organismus sei. Allerdings ist die erstere
durch die Befruchtung entwickelungsfähig geworden, hat die Bedingungen ge-
wonnen, um nach einer Reihe von Umbildungen Lebensformen in sich zu erzeu-
gen und endlich ganz in solche überzugehen. Aber bevor dieses Ziel erreicht
ist und zunächst während der Dottertheilung sind sowohl die ganze Dotter-
kugel als die einzelnen Dotterstücke leblose Uebergangsstufen von dem unorga-
nisirten Stoffe zu einem wirklichen Organismus. Dieses lässt sich am einfach-
78 II. Die Dottertheilung.
sten durch den Mangel einer Ernährung des Dotters erweisen. Freilich suchte
schon v. Baer die Thatsache, dass die Dotterkugel während ihrer Zerklüftung
an Umfang zunimmt, aus einer Art von Ernährung derselben zu erklären. Nach-
dem aber bereits Rusconi nachgewiesen, was ich bestätigen kann, dass die von
ihren Gallerthüllen entblössten Froscheier in destillirtem Wasser sich ungestört
entwickeln (Nr. 23 S. 191), so scheint es mir unnöthig noch weiter nach Bewei-
sen gegen die Ernährung des sich entwickelnden Dotters zu suchen. Die Zu-
nahme seines Volumens erklärt sich aber theilweise aus der Aufsaugung von
Wasser in die Dottermasse selbst, theils aus der Bildung von mit Flüssigkeit
gefüllten Räumen zwischen den Dotterstücken (die Zerklüftungsspalten und die
Keimhöhle). Wenn also den ganzen Dotterstücken eine Ernährung abgesprochen
werden inuss , so dürfte von einem Leben derselben nicht mehr die Rede sein.
Die mit ihrer Selbsttheilung verbundenen Bewegungserscheinungen sind freilich
aus einem Lebensakte des Protoplasmas erklärt worden (Nr. 79 S. 41) ; aber
sobald der Mangel eines Stoffwechsels nachgewiesen ist, so erscheint die Kon-
traktilität des Dotters als dieselbe physikalische Eigenschaft, wie sie vielen an-
organischen und organischen Körpern zukommt und bei gewissen Reizen (Wärme,
Feuchtigkeit, Elektricität etc.) sich äussert, ohne die materielle Zusammen-
setzung der Körper zu verändern. Ich glaube zudem auf eine rein mechanische
Erklärung jener Zusammenziehungen des Dotters um so mehr Gewicht legen
zu müssen , als eine solche mit allen betreffenden Beobachtungen durchaus im
Einklänge steht, während dagegen die einzige sicher und genau zu erforschende
lebendige Selbsttheilung, nämlich an den Zellenkernen, wie ich weiterhin zeigen
werde, weder mit dem Typus der Dottertheilung übereinstimmt, noch jene Er-
klärung zulässt. — Allerdings hat schon Kölliler auf die Attraktionskraft der
Kerne der Furchungskugeln hingewiesen , nachdem er die Abhängigkeit der
Dottertheilung von derjenigen jener Kerne richtig erkannt hatte (Nr. 33 S. 20).
Aber vielleicht mit Rücksicht darauf, dass der unmittelbare Zusammenhang
zwischen einer solchen Anziehung und der von ihm beobachteten ringförmigen,
nach innen fortschreitenden Ein- und Abschnürung durchaus unerklärlich
bleiben muss, hat Kölliker neuerdings erklärt: „Unter dieser Anziehung ist
natürlich nicht eine Massenanziehung zu verstehen , sondern molekulare Wir-
kungen, wie sie durch chemische und physikalische Kräfte zu Stande kommen",
und wirft im Hinblicke auf die Bewegungserscheinungen der Zellen und nament-
lich der Furchungskugeln die Frage auf, „ob nicht gerade solche Zusammen-
ziehungen bei der Zellentheilung die Hauptrolle spielen , als deren Anreger die
IL Die Dottertheilung. 79
Kerne anzusehen wären" (Nr. 79 S. 27). Wenn ich dazu noch berücksichtige,
dass Kölliker eben jene Bewegungserscheinungen als „animale Funktionen der
Zelle" bezeichnet (Nr. 79. S. 41), so möchte ich nicht behaupten, dass er mit
der Einführung der Anziehungskraft eine mechanische Erklärung der Dotter-
theilung hat geben wollen. Wenn ich ihn recht verstehe, so betont er eben
nur den schon früher entwickelten Kausalzusammenhang zwischen der Theilung
der „Kerne" und der ganzen Stücke und kommt mit jenen Umschreibungen
im wesentlichen auf seinen früheren Standpunkt zurück , dass er sich des Aus-
drucks „Anziehungskraft" bediene, weil ihm jede andere Vorstellung über die
eigentlichen Wirkungen der Kerne fehle (Nr. 33 S. 20).
Ich erkläre mir die Theilung der nicht organisirten Dottersubstanz folgen-
dermaassen. Wenn bei der Theilung einer solchen Masse von aussen wirkende
Kräfte als nächste Ursachen ausgeschlossen werden müssen, so stand nach der
bisher üblichen Anschauung nur die Annahme innerer Anziehungskräfte frei,
welche die Absonderung der ihnen folgenden Theile von den übrigen bewirkten.
Da ich zuerst nur den Mechanismus der Theilungen der ganzen Dotterstücke
untersuchen will, so werde ich jenen Ausdruck einer centralen Anziehungskraft
bis zu einer weiteren Erklärung in dem Sinne beibehalten, dass das ganze Wesen
jener Centren auf die umgebenden Massen in einer Weise wirkt, welche in dem
Bilde einer Anziehung am deutlichsten veranschaulicht wird. Einen wirklichen
Begriff können wir aber mit jenem Ausdruck erst verbinden, wenn es uns ge-
lingt, bestimmte Träger der Anziehungskraft nachzuweisen. Bei der Selbstthei-
lung des Dotters ist uns dies möglich; es geht ihr stets eine Theilung kernartiger
Gebilde voraus, sodass für jeden neuentstehenden Theil ein besonderes Anzie-
hungscentrum vorhanden ist, welches nach der gewöhnlichen Auffassung nach
allen Seiten gleichmässig wirken soll. Bei einer solchen Vorstellung von den
Ursachen der Selbsttheilung niuss eine Kugel , in welcher zwei Anziehungscen-
tren entstanden, sich in zwei Kugeln verwandeln, indem die jedem Centrum ent-
sprechende Halbkugel das Bestreben haben wird , sich um jenes gleichmässig
anzuordnen. Dies müsste also bei der Dottertheilung auch eintreten und ge-
schieht auch thatsächlich bei denjenigen Eiern , welche nicht durch eine zu
knappe Dotterhaut daran gehindert werden, z. B. an Säugethiereiern ; wenn die
Dotterhaut aber die Entfaltung dieser Formen hindert, wie bei den Batrachier-
eiern, so lässt sich doch das unterdrückte Streben daran erkennen, dass die aus
der Theilung hervorgegangenen Kugelausschnitte , sobald sie bei zunehmender
Konsistenz ihrer Masse aus dem Eieisolirt und dadurch vom einengenden Drucke
30 II. Die Dottertheiluug.
befreit werden können, ihre eckige Form verlieren und nahezu kugelig werden.
— Ueberlegen wir ferner, wie die Trennung der Hälften nach jener ersten An-
nahme erfolgen müsse. In der ganzen Fläche, in der die Halbkugeln noch zu-
sammenhängen, kann man sich jeden Punkt von zwei verschiedenen Zugkräften
angegriffen denken, deren Richtungen in der Verbindungslinie der Anziehungs-
punkte gerade entgegengesetzt sind, von dort aus zur Peripherie hin in immer
kleineren Winkeln zusammenstossen. Ausserdem muss, sobald die Anziehung be-
gonnen hat, die Wirkung um so früher, weil um so stärker auftreten , je kürzer
die Anziehungsradien sind. Ist der Zusammenhang in der Trennungsfläche ein
unbedeutender, so wird nach der aufgestellten Lehre zuerst mitten zwischen
den Anziehungspunkten eine wirkliche Trennung entstehen und gegen die Peri-
pherie fortschreitend zugleich an Weite zunehmen. Ist aber der zu theilende
Stoff ein zäher , so werden die von den Anziehungscentren am weitesten ent-
fernten Punkte der Trennung am längsten widerstehen, aber unterdessen durch
die zwei unter einem Winkel gemeinsam angreifenden Zugkräfte in der Diago-
nale des Kräfteparallelogramms, also in der Theilungsebene gegen das Innere
der Kugel fortbewegt werden, wodurch natürlich eine äussere Einschnürung des
sich theilenden Körpers entsteht, welche so lange fortdauert, bis sie mit der
von innen kommenden Trennung zusammentrifft. In den Dotterkugeln der Ba-
trachiereier sind nun beide Fälle vereinigt; die Dotterkörner und -plättchen
haben unter sich keinen Zusammenhang, die Grundsubstanz ist aber ein zäher
Stoff. Machen wir nun die Anwendung des eben bestimmten Gesetzes auf die
Vorgänge der Dottertheilung, so ergeben sich wirklich die beobachteten That-
sachen. Zuerst entsteht eine Scheidung der festen Dottertheilchen in der Thei-
lungsebene und dann die äussere, dieserEbene entsprechende Furche, ganz zuletzt
die wirkliche Trennung. Jene erste Scheidung wird durch den beschriebenen hellen
Streifen bezeichnet, welcher offenbar die von denfesten Theilchen verlassene Grund-
masse des Dotters darstellt, welche der Trennung noch widersteht; ist die letztere
erfolgt, dann verschwindet auch der Streifen, d. h. jene zähe durchsichtige Grund-
masse vermischt sich wieder mit den festen Theilchen in der früheren Weise.
Die endliche Trennung wird durch eine dunkle Linie in jenem hellen Streifen
angedeutet ; sie entsteht aber nicht plötzlich, sondern zuerst zeigen sich isolirte
dunkle Punkte, welche erst allmählich zu einer scharfen kontinuirlichen Linie
verschmelzen. Dass diese aber einer wirklichen Trennung entspricht, sieht man
deutlich während der folgenden Dottertheilungen, wobei die einander berührenden
Flächen auf Momente auseinandergezogen werden und nachdem die Ursachen
II. Die Dottertheihing. 81
der klaffenden Spalte verschwanden, wieder so zusammenfallen, dass im Durch-
schnitte jene Linie erscheint. — Aber wir können beim Batrachierei noch eine
besondere Anwendung des Gesetzes von der Wirkung der Anziehungskräfte
machen. Die Anziehungscentren liegen nämlich nicht symmetrisch zwischen
beiden Polen, sondern dem obern viel näher, und die theoretisch festzustellenden
Folgen dieser Abänderung decken sich abermals genau mit den Thatsachen. Die
Scheidimg und die Trennung müssen beide den oberen Pol früher erreichen
als den unteren und die Einschnürung dort früher und ausgeprägter erscheinen
als unten. Dies gilt für die sogenannten Meridionaltheilungen. Bei der äquato-
rialen liegt die Trennungsebene horizontal zwischen den Polen und der Kern,
das Anziehungscentrum , der inneren Fläche des zu theilenden Stückes näher
als der äusseren ; daher beginnt die Einschnürung an der ersteren und setzt sich
erst nachträglich und schwächer auf die äussere Oberfläche fort. — Bei dieser
rein mechanischen Auffassung der Dottertheilung scheint mir auch das Verhal-
ten der Furchen, ihr allmähliches Verstreichen , sobald die Trennung sich voll-
zogen hat, nicht ohne Bedeutung. Ich habe es ausgeführt, dass und wie die Ein-
schnürungen nur die Folgen der Zähigkeit der Dottersubstanz, durchaus aber
nicht der einfache Ausdruck der durch die vervielfältigten Anziehungscentren
eingeleiteten Theilung sind. Sie werden durch die verzögerte Trennung erzeugt,
indem der einer solchen noch widerstehende Stoff die festen Angriffspunkte
bietet, an denen die Anziehungskraft in der angegebenen Weise wirken kann.
Dadurch wird die Dottermasse jedenfalls etwas zusammengedrückt, was durch
die über den Furchen, namentlich der ersten, zwischen Dotterhaut und Dotter
sich bildenden Räume ausgesprochen ist. Verschwinden die festen Angriffs-
punkte durch die erfolgte Trennung, so tritt die Elasticität der Dottersubstanz
wieder in ihre Rechte: das zusammengedrückte Dotterstück dehnt sich zu dem
früheren Volumen aus, und seine beiden Hälften füllen, da ihnen innerhalb der
gespannten Dotterhaut der Raum zur Bildung von zwei Kugeln fehlt, wieder
die Lage und Form des früheren ungetheilten Dotterstücks aus , sodass die
Kugelform des ganzen Dotters immer wieder hergestellt wird. Auf diese Weise
erscheinen die Einschnürungen des Dotters nicht als der unmittelbare Ausdruck
der eingetretenen Theilung, sondern nur als Folgen und Begleiterscheinungen
derselben.
Wenn aber das von mir gewählte Bild einer centralen anziehenden Kraft
geeignet ist, die wirklichen Theilerscheinungen der ganzen Dotterstücke als
passive Bewegungen erscheinen zu lassen, so fällt natürlich der Schwerpunkt
Goette , Entwickeluugsgescbiclite. C
82 II« Die Dottertheilung.
der Betrachtung in die Träger jener Kraft, in die von mir sogenannten Lebens-
und Kernkeime und endlich die fertigen Kerne. Und da jene Keime selbstständig
im Dotter entstanden und durch die ganze Reihenfolge ihrer Veränderungen
den Uebergang vom unorganisirten Stoff zum Organismus vermitteln , so wird
eine Analyse ihrer Entwickelung und Thätigkeit nicht nur ihre Wirkung bei der
Dottertheilung veranschaulichen, sondern auch zugleich die Frage berühren
müssen, welche in der ganzen Entwickelungsgeschichte vielleicht das meiste
Interesse beansprucht, nämlich diejenige nach dem eigentlichen Wesen jenes
bisher völlig unbekannten Uebergangs. Ich kann mir nicht mit der Hoffnung
schmeicheln , darauf die einzig richtige oder überhaupt nur eine vollständige
Antwort gefunden zu haben; immerhin dürfte schon der blosse Versuch, eine
Vorstellung von den Vorgängen zu gewinnen , welche die Entwickelung des Le-
bens vorbereiten und ausführen, nicht unberechtigt sein.
Um zunächst die Bildung des ersten Lebenskeimes eingehend prüfen zu
können, will ich in Kürze wiederholen, welche Erscheinungen am reifen Eie der-
selben vorausgingen. — Die Dottermasse erleidet, wie es scheint, oft schon im
Eileiter Zusammenziehungen, durch welche sie von der Dotterhaut vollständig
getrennt wird und endlich frei innerhalb derselben und von angesammelter
eiweisshaltiger Flüssigkeit umspült sich bewegt ; im Zusammenhange damit be-
ginnt eine allmählich zunehmende Verdichtung der Rindenschicht der Dotter-
kugel. Weiterhin erscheint in der Mitte der letzteren der Dotterkern, dessen
Bewegung gegen die Peripherie des Dotters, wie ich gezeigt habe, als ein Auf-
wärtssteigen anzusehen ist, und ganz wohl aus einer Abnahme im specifi-
schen Gewichte des Dotterkerns gegenüber der umgebenden Dottermasse
erklärt werden kann. Im Innern des Dotterkernes entwickelt sich nun der
erste Lehenskeim als eine Stelle im Dotter, an der die Plättchen und Körner
geschwunden sind. Da nun die Dotterplättchen von den äusseren Theilen
des Dotterkerns gegen dessen Centrnm hin bereits an Grösse abgenommen
hatten , bevor sie im Centrum selbst verschwanden, wodurch eben der Lebens-
keim entsteht, so darf man wohl diesen Vorgang aus einer centripetal sich
steigernden Schmelzung und Auflösung der Plättchen erklären. — Wenn
nun ganz bestimmte äussere Einwirkungen, welche alle die genannten Erschei-
nungen hervorrufen, nicht klar und deutlich vorliegen, so kann man doch
andererseits die Wirkung des Samens davon ausschliessen ; denn aus den
Beobachtungen Leuckarts geht mit hinlänglicher Sicherheit hervor, dass für
die in Rede stehenden Anfänge der Embryonalentwickelung in allen Fällen eine
II. Die Dottertheilnng. S;>
Befruchtung nicht nöthig, sondern bloss als forderndes und unterstützendes Mo-
ment bei einer schon eingeleiteten Umbildung des Dotters zu betrachten ist.
Steht es nun aber fest , dass das unbefruchtete Ei alle Ursachen zur Weiter-
entwickelung unter gewöhnlichen Umständen in sich vereinigen kann , so wird
ein Vergleich der Erscheinungen dieser Entwicklung mit denen des entwicke-
lungsunfähigen, verderbenden Eies Anhaltspunkte zur Erkenntniss jener Ursachen
bieten. Der Dotter eines solchen Eies sondert sich allerdings von der Dotter-
haut ab , zieht sich aber nicht zu einer von derselben abstehenden Kugel zu-
sammen; ferner fehlen die äusseren Erscheinungen, welche das Aufsteigen des
Dotterkernes begleiten (die Verschiebungen des Pigments) ; endlich erfolgt eine
Dotterschmelzung auch an todten Eiern, aber an der Oberfläche derselben , wo
sie sich ganz unregelmässig ausbreitet, und ein geflecktes Ansehen hervor-
ruft, darauf aber, nach innen fortschreitend, die Aufquellung und endliche
Auflösung des ganzen Eies herbeiführt. Das entwickelungsunfähige, todte Ei
ändert also die Wirkung der äusseren Einflüsse , wie sie sich an lebendigen
Eiern darstellt, nur in gewisser Weise ab, ohne sie ganz vermissen zu lassen.
Die Ursachen dieser Abänderung können in der Dottermasse selbst nicht liegen,
da die Befruchtung, welche auch alle sonst zu Grunde gehenden Eier zur Ent-
wickelung bringt, den Bestand des Dotters nachweislich nicht ändert (Newport,
LeuckaKt); ebensowenig aber auch in dem das Ei umgebenden Medium, dem
Wasser, welches für alle Eier, befruchtete oder todte , dasselbe bleibt. Wenn
aber die empirische Betrachtung zur Erklärung der Veränderungen aller Eier
auf die Wechselwirkung zwischen Dotter und Wasser beschränkt bleibt, so dür-
fen die Ursachen der jeweiligen Abänderungen nur noch in den beide Stoffe
trennenden Hüllen (Gallerthülle, Dotterhaut) gesucht, damit aber auch jene
Wechselwirkungen auf endosmotische Bewegungen zurückgeführt werden. Mit
einer solchen Annahme im allgemeinen ist aber noch wenig gethan-, vielmehr
verpflichtet eine solche Denjenigen, der dadurch etwas erklären will, jede einzelne
der bezüglichen Erscheinungen daraufhin zu prüfen, wie weit sie sich aus jenen
physikalischen Vorgängen ableiten lasse, und ferner, den Zusammenhang und
das Zusammenwirken aller Einzelvorgänge zu einem Gesammtresultate nicht
aus dem Auge zu verlieren.
Wir sehen schon mit blossem Auge Wasser in das gelegte Ei eindringen ;
wenn wir aber überlegen, dass ausserhalb der Dotterhaut reines Wasser*, zwi-
* Wenn nach Rusconi das reine Wasser am günstigsten wirkt, so kann man an-
nehmen, dass die gewöhnlichen Zusätze nur durch ihre geringen Mengen nicht schaden.
G*
34 II. Die Dottertheilung.
sehen derselben und dem Dotter, und ebenso in dem letzteren eine, um es kurz
zu sagen, eiweisshaltige Flüssigkeit sich befindet, so dürfen wir nach unseren
heutigen Kenntnissen schliessen, dass unter solchen Umständen ein endosmoti-
scher Austausch zwischen beiden Flüssigkeiten stattfinden müsse. Und zwar
muss die Strömung gegen die koncentrirtere Lösung hin stärker sein, das
Volumen des Dotterhautbläschens also zunehmen, welche Voraussetzung mit
den Thatsachen übereinstimmt. Kann nun auch die Verschiedenheit der Folge-
erscheinungen dieses endosmotischen Vorgangs bei todten und lebendigen Eiern
mit vollem Recht auf die wechselnde Beschaffenheit der endosmotischen Scheide-
wand oder der Dotterhaut bezogen werden*, so bleibt uns doch die Erkennt-
niss der wirksamen Ursachen noch verschlossen und sind wir bloss auf die
Untersuchung der zwei verschiedenen daraus hervorgehenden Erscheinungs-
reihen angewiesen. — Vergegenwärtigen wir uns zunächst den Inhalt des
Dotterhautbläschens als der dem Wasser gegenübergestellten Substanz, so
müssen wir die eigentliche viskose Dottermasse, welche aus Flüssigkeit und
festen Theilchen zusammengesetzt ist, von der eiweisshaltigen, aus der Höhle
des Keimbläschens abstammenden Flüssigkeit unterscheiden , welche jene er-
stere umspült. An der Dotterkugel kann das Gefüge der festen Theilchen,
Plättchen und Körner, mit den unendlich feinen Zwischenräumen wohl mit
Recht als ein poröser Körper aufgefasst werden, welcher schon nach seiner
Entstehung und Beschaffenheit der in seinen Poren enthaltenen Dotterflüssig-
keit um so näher verwandt ist, je concentrirter dieselbe ist, dagegen im unver-
änderten frischen Zustande der Quellung durch Wasser sehr wenig zugänglich
ist. Beide Flüssigkeiten, die intra- und die extravitelläre, sind augenscheinlich,
wie schon aus ihrer Genese hervorgeht, von verschiedener Koncentration, wel-
cher Unterschied aber, da es sich hier um eiweisshaltige Substanzen handelt,
nur eine träge Diffusion erzeugen kann. Dieser Inhalt des Dotterhautbläschens
ist anfangs in allen Eiern derselbe. An den verderbenden Exemplaren ist jedoch
die Dotterhaut für die endosmotische Wechselwirkung desselben mit dem um-
gebenden Wasser weniger geeignet, da der Strom des letzteren schwach und
langsam, eine Wasseransammlung innerhalb des Eies nicht merklich ist; es
wird also die Verdünnung der unter der Dotterhaut befindlichen extravitellären
Massigkeit und die nothwendig darauf folgende Abänderung der inneren
* Dass die nothwendige Wirksamkeit des Samens sich auf eine solche Umstimmung
der Dotterhaut beschränkt, scheint nach den Erfahrungen von Newport und Leuckart
festzustellen.
II. Die Dottertheilung. 85
Diffusionsverhältnisse ebenfalls äusserst langsam erfolgen. Nachdem indessen
die peripherischen Dotterschichten dem Einflüsse der sie umspülenden Flüssig-
keit während einer gewissen Zeit ausgesetzt gewesen, beginnen ihre festen
Theilchen sich aufzulösen, und die so veränderte Dottermasse erweist sich
quellungsfähig ; die Quellung führt aber den darunterliegenden früheren Dotter-
massen beständig die verdünntere äussere Flüssigkeit zu , welche dadurch eine
nach innen successiv fortschreitende Auflösung der festen Dottertheilchen be-
dingt. Auf diese Weise erfolgt endlich die vollständige Zerstörung der Dotter-
kugel. — Aus dieser Rückbildung des todten Eies ergibt sich, dass die Dotter-
täfelchen und -körner bei andauernder Berührung mit Wasser sich allmählich
auflösen; und diese Thatsache wird ganz verständlich, wenn man sich erinnert,
dass die festen Dotterelemente nicht fertig in die Eifollikel einwandern, sondern
in dem Masse, als deren Inhalt an Dottersubstanz reicher, koncentrirter wird,
sich aus derselben wie der Niederschlag, die Ausscheidung einer übersättigten
Lösung konsolidiren und allmählich wachsen, daher aber auch bei einer an-
haltenden Berührung mit neu hinzugetretenem Wasser sich wieder auflösen
müssen.
Hinsichtlich der besprochenen physikalischen Eigenschaften unterscheidet
sich das lebendige Ei vom todten dadurch, dass das endosmotische Aequivalent
der eingeschlossenen Flüssigkeit dasjenige des todten Eies weit überwiegt; es
wird also das Eindringen von Wasser energischer vor sich gehen, und alsbald
neben einer Vermehrung eine starke Verdünnung jener eiweisshaltigen extra-
vitellären Flüssigkeit eintreten. Wenn aber dieselbe in ihrer früheren, bei
todten Eiern nur wenig veränderten Koncentration die Dotteroberfläche nur
sehr allmählich und zwar durch Auflösung verändert, so ist die Wirkung ihrer
plötzlichen und starken Verdünnung auf die Dotteroberfläche eine ganz andere.
Die letztere verdichtet sich sofort und zieht sich zusammen, indem an Stelle
der austretenden Flüssigkeit die festeren Elementartheilchen dichter zusammen-
rücken. Worauf diese Wirkung beruht, ist schwer zu sagen ; man kann dabei
ebenso gut an die Steigerung des Druckes in der rasch zunehmenden und von
der straff gespannten Dotterhaut zusammengehaltenen extravitellären Flüssig-
keit wie an die Vorgänge denken, welche die nach Zerstörung des Eies dem
unmittelbaren Einflüsse des Wassers ausgesetzte Dottersubstanz sofort an ihrer
Oberfläche koaguliren lassen. Jedenfalls wird durch die Verdichtung der Dotter-
rinde das Verhältniss der Dotterkugel zu ihrer Umgebung noch mehr von dem-
jenigen des todten Eies abweichen. Wurde schon durch die starke Verdünnung
86 II. Die Dottertheilung.
der extravitellären Flüssigkeit die Diffusion beschleunigt, so ist eine weitere
Steigerung derselben eine nothwendige Folge jener Verdichtung, indem die
durch die Zusammenziehung verengten Poren unter sonst gleichen Verhält-
nissen eine Verstärkung des Stroms der schwächeren Lösung hervorrufen (vgl.
No. 104 S. 47). Sowohl die Verdichtung der Dotterrinde als die dadurch be-
schleunigte Einsaugung der extravitellären Flüssigkeit dürften aber gerade die
Dotterrinde jener dauernden Einwirkung der in dieser Flüssigkeit enthaltenen
Wasserth eilchen entziehen, wodurch in den zu Grunde gehenden Eiern die Auf-
lösung der Dotterrinde und weiterhin die Zerstörung des ganzen Eies herbei-
geführt wird. Andererseits ergibt sich aus dem Gesagten, dass an der sich
entwickelnden Dotterkugel ein gewisser Gegensatz zwischen der dichten kuge-
ligen Peripherie und dem unveränderten porösen Centrum sich ausgebildet
hat; ja, es lässt sich nicht verkennen, dass die koncentrirte Flüssigkeit des
letzteren, die weit dünnere extravitelläre Flüssigkeit und die sie trennende ver-
dichtete Dotterrinde ein Verhältniss darbiete, welches viel mehr den Bedin-
gungen eines endosmotischen Vorgangs als einer einfachen Diffusion entspricht.
Wir erhalten somit in den sich entwickelnden Eiern gewissermassen zwei Stufen
der Endosmose, die erste durch die Dotterhaut hervorgerufene mit einem hohen,
die zweite durch die Dotterrinde mit einem viel niedrigeren Aequivalente. Aller-
dings ist diese Einrichtung nach ihren Ursachen durchaus nicht bloss den leben-
digen Eiern eigenthümlich , Avelche sie vor den toclten Eiern voraus hätten.
Vielmehr sehen wir auch an den letzteren mehr oder weniger deutliche An-
fänge der Zusammenziehung, also auch peripherische Verdichtung des Dotters-,
nur vermag die geringe Energie dieser Vorgänge die peripherische Auflösung des
Dotters nicht zu verhindern und unterbricht dadurch eine weitere Entwicke-
lung desselben. Im lebendigen Ei wird dagegen durch die Dotterhautendos-
mose die Zusammensetzung der verdünnten extravitellären Flüssigkeit und in
Folge dessen die äussere Bedingung für den zweiten inneren endosmotischen
Vorgang beständig gleich erhalten. Die bemerkenswertheste Eigenthümlichkeit
des letzteren beruht nun darin, dass er nicht in parallel neben einander ver-
laufenden Richtungen vor sich geht, sondern dass dieselben von allen Seiten
der Dotteroberfiächo nach innen eindringend nothwendigerweise gegen einen
Punkt konvergiren. Es wird also die verdünntere Lösung von der ganzen
kugeligen Peripherie in unzähligen radiären Strömchen gegen das Centrum
geführt, die koncentrirtere Flüssigkeit des letzteren auf denselben Bahnen
centrifugal bewegt. Die einzelnen Stromgebiete kann man sieh daher als
Die Dottertheilung. 87
Kegel * denken, welche mit ihren Spitzen in einem centralen Punkte zusammen-
stossen und mit ihren Basen die Dotteroberfläche bilden. Ob diese Kegel, ihre
Axen oder die Difrasionsradien gleich oder ungleich sind und bleiben, ob also
der gemeinsame Ausgangspunkt der centrifugalen und Zielpunkt der centri-
petalen Ströme überhaupt mit dem Mittelpunkte der Dotterkugel zusammen-
fallen kann, soll erst weiter unten erörtert werden. Hier will ich zunächst
darauf aufmerksam machen, dass bei jener Kegelform der Stromgebiete, also
bei der nach innen stetig zunehmenden Beschränkung derselben die Diffusions-
bewegung natürlich in derselben Richtung sich verlangsamen muss; ja, im ge-
meinsamen Zielpunkte müsste sie eigentlich schon desswegen zum Stillstande
kommen, weil dort für alle Diffusionskegel die koncentrirtere intravitelläre
Flüssigkeit aufhört. Es werden also die mit der verdünnten Lösung in das
Innere der Dotterkugel eingeführten Wassertheilchen je näher zum gemein-
samen Zielpunkte der radiären Ströme um so mehr in eine dauernde Berührung
mit den festen Dottertheilchen treten. Kurz — in dem Centrum des lebendigen
Eies scheinen mir in Folge des beschleunigten Processes in demselben und der
daraus sich entwickelnden Zustände gerade dieselben Bedingungen zusammen-
zutreffen, um die Affinität zwischen fester Dottersubstanz und Wasser zum
Ausdruck zu bringen, wie an einzelnen Punkten der Peripherie todter Eier in
Folge einer unvollkommenen Endosmose. So muss denn an dem Zielpunkte
der radiären Diftusionsströme der entwickelungsfähigen Dotterkugel eine Auf-
lösung der festen Dottertheilchen eingeleitet werden, welche wiederum neue
Massen der koncentrirteren intravitellären Flüssigkeit erzeugt und deren Diffu-
sion nach aussen unterhält. In derThat kommt also ein Stillstand der Diffusions-
bewegung nicht zu Stande, sondern besteht nur eine solche central wärts zu-
nehmende Verlangsamung derselben, dass dadurch eben die 'Dotterschmelzung
und der weitere Fortgang des ganzen Processes gewährleistet wird. Zum deut-
lichen Ausdrucke kommt die bezeichnete Dotterumbildung im Innern des Dotter-
kerns, in den koncentrischen Zonen des ersten Lebenskeimes und seines Hofes,
welche den Fortschritt der Dotterschmelzung von aussen nach innen darstellen.
Und vielleicht darf man selbst in der vorübergehenden Abgrenzung des ganzen
Dotterkerns und den weiten Schattenringen feinkörniger Dottersubstanz, welche
während der ersten Dottertheilungen die Centralgebilde umgeben, nur die
* Der mit Rücksicht auf die Vorstellung von der Zusammensetzung einer Kugel ge-
nauere Ausdruck ., Pyramide" scheint mir weniger üblich zu sein.
88 n. Die Dottertheilung.
äussersten Grenzen jener Dotterumbildung erkennen, welche eben dort erst
anfängt, daher die Dottertäfelchen noch nicht zum Schwunde gebracht hat.
Ist aber einmal die Dotterschmelzung eingeleitet, so regelt sich die ganze Be-
wegung im betreffenden Diffusionskegel zu einem gleichmässigen Bestände
dadurch, dass die bestimmte Einfuhr auch das Quantum der Dotterschmelzung,
also der Ausfuhr bestimmt. Hat uns nun die Betrachtung bis zur bestimmten
Erscheinung des Lebenskeims geführt, welcher den nachweislichen Ausgangs-
punkt der weiteren Entwickelung bildet, so können wir rückblickend es aus-
sprechen, dass derselbe Process, welcher in todten Eiern durch regellose Wirk-
samkeit die Zerstörung derselben veranlasst, nämlich die Dotterschmelzung,
durch eine gesetzmässige Beschränkung ihrer äusseren Erscheinung im leben-
digen Ei den Fortgang der Entwickelung bedingt.
Sowie die Bildung des ersten Lebenskeimes und seines Hofes nur die Folge
der radiären Diffusion ist, bestimmen dieselben nun ihrerseits gewissermassen
aktiv den Fortgang der Bewegung ; denn als beständige Bildungsheerde neuer
koncentrirter Dotterflüssigkeit müssen sie die radiären Diffusionsströme gleich-
sam anziehen, stets auf diesen ihren gemeinsamen Sammelpunkt gerichtet
halten, sodass, wenn er in Folge gewisser Umstände seine Lage verändert,
worüber weiter unten das Nähere folgt, auch die radiären Ströme in und mit
ihm den Ort ihrer gemeinsamen Vereinigung wechseln. Dieses Verhältniss wie
überhaupt die Diffusionsströmung selbst begründet nun aber eine Steigerung
des Zusammenhangs der Dottermassen in den Richtungen der Bewegung
gegenüber bewegungslosen Massen, was man sich am besten vergegenwärtigt,
wenn man statt eines Sammelpunktes in derselben Dottermasse sich ihrer zwei
denkt, welche in ihrer Zusammensetzung und Thätigkeit durchaus den beschrie-
benen Lebenskeimen mit ihren Höfen entsprechen. Die Folge wäre, dass die
Zusammenhangsbezirke beider Centren sich von einander absonderten und
zwar in einer Fläche, wo die beiderseitigen Strömungen ihre gemeinsame Grenze
rinden, sich gegenseitig ausschliessen, also einen gegenüber dem Zusammen-
hange der einen und der anderen Dotterhälfte indifferenten Zustand erzeugen,
der sich endlich in einer vollständigen Trennung beider Massen äussern muss.
Weil nun eine solche Vermehrung der Centren mit den bezeichneten Folgen
thatsächlich vorkommt, so hat man die Wirkung des Zusammenhanges der
Dottermasse um je ein Centrum herum einer Anziehungskraft der letzteren
zuschreiben zu müssen geglaubt, da man bisher noch nicht gewagt hat, die un-
seren subjektiven Zuständen missverständlich entlehnten Vorstellungen von
II. Die Dottertheilung. 89
immanenten Kräften aus den Konstruktionen des Geschehens ganz zu verbannen.
Abgesehen von den Mängeln, welche einer solchen Annahme anhaften, und auf
welche einzugehen hier nicht der Ort ist, will ich nur bemerken, dass die
Leistung der letzteren ganz illusorisch ist; denn genauer zugesehen, kennen
wir von der ganzen Anziehungskraft gar nichts weiter, als den Erfolg oder eben
die nach ihren Ursachen zu erklärende Erscheinung. Jene Annahme kommt
also einer bequemen Umschreibung der Erscheinung gleich und kann nur dazu
dienen, den Mangel einer wirklichen physikalischen Erklärung zu verdecken. —
Ich habe den Ausdruck „centrale Anziehungskraft" so lange beibehalten, als
er bei der Betrachtung der Theilungen der ganzen Dottermassen (nicht ihrer
Centren) eine gleichbleibende Wirkung , auf deren Erklärung es zunächst nicht
ankam, nämlich den radialen Zusammenhang der Dottermasse im Bereiche je
eines Centrums bezeichnen sollte. Darauf habe ich versucht, gleichsam das
unbekannte x in allen Formeln durch bekannte Grössen zu ersetzen. Ich
fand, dass jener Zusammenhang auf einem Vorgange beruht, welcher gar nicht
einseitig vom Centrum oder dem Lebenskeime ausgeht, sondern gemeinsam
von diesem, den peripherischen Dottertheilen, den Eihüllen * und den äusseren
Flüssigkeiten hervorgerufen, eine nothwendige Folge ihrer gegenseitigen physi-
kalischen Bewirkungen ist. Wenn ich aber auf diese Weise den fraglichen
Zusammenhang der Dottermasse auf eine Kombination bekannter einfacher
und allgemeiner Vorgänge, die ganze Erscheinung auf ihre nächsten Ursachen
zurückführe, so glaube ich eine thatsächliche Erklärung derselben gegeben zu
haben, mag sie auch noch bloss hypothetischer Natur sein.
Jetzt ist noch ein anderer wichtiger Punkt in dem ganzen Dottertheilungs-
processe aufzuklären. Ich habe gezeigt, wie eine Dottermasse sich theilen
müsse, wenn der eigenthümliche in ihrem Innern bestehende radiale Zusammen-
hang auf zwei Centren vertheilt wurde, und aus der Beobachtung wissen wir,
dass eine solche Vermehrung der Centren durch fortlaufende Theilungen der-
selben erfolgt. Aber es blieb die Frage nach den Ursachen dieser Theilungen
* Ich habe die Gallerthülle nicht besonders berücksichtigt, weil es unmöglich ist, sie
vor ihrer Quellung ohne Schädigung des Eies zu entfernen und durch diesen Versuch zu
prüfen , ob ihr eine besondere Wirksamkeit bei den endosmotischen Vorgängen zukomme.
Wenn aber eine solche auch möglich ist, so ist sie doch nicht wahrscheinlich, weil die Gallert-
hülle, sobald sie noch im ersten Anfange jener Vorgänge gequollen ist, ohne den geringsten
Nachtheil für dieselben entfernt werden kann. Auf ihre eigentliche Bedeutung ist bereits
hingewiesen worden: sie scheint bestimmt, durch die energische Quellung mit dem Wasser
zugleich möglichst viel von dem darin enthaltenen Samen an das Ei heranzuziehen.
90 H. Die Dottertheilung.
unerörtert, und wurde das Verständniss des ganzen Vorgangs im Beginne
jedes neuen Aktes unterbrochen. Auch bei der Beantwortung dieser Frage
stelle ich die bisherigen Ansichten voran.
Wenn es bisher als Thatsache galt, dass die Dotterkugel einen Kern be-
käme , dessen Theilungen durch Ein- und Abschnürung die Dottertheilungen
einleiteten , welche ganz in derselben Weise verliefen, so musste es nahe liegen,
die Autfassung, welche aus der Betrachtung der genannten Vorgänge am ganzen
Dotter und an seinen Theilstücken gewonnen wurde, einfach auf die Kerne zu
übertragen, auch hier Anziehungscentren, deren Theilungen u. s. w. anzunehmen.
Wollte man es auch gelten lassen, wenn Eemak und Kölliker die feinkörnigen
Dotterhöfe als Kerne, die Kernkeimhaufen als deren Kernkörperchen bezeich-
nen , so lehrt die genauere Beobachtung , dass gerade in diesem Falle jene Vor-
stellung von der Kerntheilung den Thatsachen schnurstracks zuwiderläuft:
denn jene „Kerne" theilen sich vor den „Kernkörperchen", deren Hälften erst
nachträglich in die zugehörigen Kernmassen einwandern müssen ! — Und wenn
Kölliker für die Theilung der Kerne ebenso wie bei den ganzen Zellen Zu-
sammenziehungen, Bewegungen und alle „molekularen" Wirkungen anzieht,
welche von den nucleoli ausgingen (No. 7(J S. 27), so hat er damit wohl nur
die Schwierigkeit andeuten wollen , unter jenen möglichen Theilungsursachen
eine Wahl zu treffen, wie er denn diese Auseinandersetzung mit dem Aus-
spruche einleitete, „dass nach dem jetzigen Stande unserer Kenntnisse eine Er-
klärung der Zellenbildung (oder Zellentheilung) nicht zu geben ist." — Es darf
nun nicht übersehen werden, dass gerade die Theilung der Umbildungsheerde
Demjenigen, welcher sich zur Annahme von Anziehungskräften in den Centren
der Dotterstücke verstanden hat, die grössten Schwierigkeiten und Verlegen-
heiten bietet. Die Beobachtungen lehren, dass die Lebenskeime und Kernkeim-
haufen sich erst strecken und dann theilen, und dass ihnen die feinkörnigen
Höfe darin vorausgehen. Das Streben der beiderlei Gebilde, sich in einer be-
stimmten Richtung auszudehnen, zu strecken, hört aber nicht auf, sobald
die neuen Theile sich zu bilden begannen, sondern dauert offenbar während
der Ausbildung der letzteren fort; und es liegt kein Grund vor, das Ausein-
anderrücken der neuentstandenen Keime nach ihrer vollständigen Trennung
und selbst nachdem die Dottertheilung begann , einer anderen Ursache zuzu-
schreiben als derjenigen, welche schon die Masse des Mutterkeims in die Länge
zog. Gegenüber diesen Thatsachen ist nun der Einwurf nicht zu umgehen , Avie
es denn zugehe, dass die in den Keimen angenommenen Anziehungskräfte,
IL Die Dottertheilnng 91
welche doch die ganze Dottermasse ihres Bezirks zusammen- und von den
übrigen Dottermassen abziehen, zu gleicher Zeit das Auseinanderrücken der
Keimhälften dulden? Eine Antwort für das bestimmte, vorliegende Objekt
fehlt, und obgleich nach meiner Ansicht der Mangel einer solchen Erklärung
die Möglichkeit, jene Anziehungskräfte anzunehmen, von vornherein aus-
schliessen müsste, so erscheint es andererseits als die nächstliegende Kon-
sequenz, zu den Anziehungskräften auch gleich deren Antagonisten, nämlich
abstossende Kräfte anzunehmen, welchen die Aufgabe zufiele, die Umbildungs-
heerde zu theilen und zu trennen. Und diese Auskunft hat Haeckel bei der
Erklärung derTheilung der niedersten Organismen* gewählt, deren Attraktions-
Centrum in zwei getrennte Anziehungs- Mittelpunkte zerfällt, „die sich nun
gegenseitig abstossen und von einander isolirt die übrigen Moleküle anzuziehen
suchen" (Nr. 100. I. S. 151). Gegenüber einer solchen Ausführung scheint es
mir auf der Hand zu liegen, dass die ganze Hypothese, gerade so wie ich es
schon in Bezug auf die Anziehungskraft allein bemerkte, auf eine Selbst-
täuschung hinausläuft, wobei ein passendes Wort die fehlende Erklärung er-
setzen muss. Ich will daher eine weitere Kritik dieser Hypothese unterlassen
und nur noch darauf hinweisen, dass sie nicht einmal für alle Erscheinungen
bei der Theilung der Umbildungsheerde ausreicht, Denn woraus soll die der
Streckung und Theilung des Keimes vorausgehende gleiche Bewegung der fein-
körnigen Dottersubstanz erklärt werden? Dieselbe kann keine abstossenden
Centren besitzen, denn diese müssten in den Keimen liegen, welche aber erst
nachträglich sich der Bewegung anschliessen und augenscheinlich der von jener
Substanz angegebenen Richtung folgen. Obgleich also die beiderlei 'Theilungen
im innigsten Zusammenhange stehen, können ihre Ursachen nach der bisheri-
gen Lehre nicht die gleichen sein, sondern müssten sogar wesentlich sich unter-
scheiden. — So erweisen sich die bisherigen Annahmen nach allen Seiten, nicht
nur nach ihren Voraussetzungen, sondern auch nach ihrer Brauchbarkeit, als
unhaltbar.
Ich habe bei dem Bestreben, mir eine Vorstellung von den Ursachen der
Vermehrung der Umbildungsheerde zu machen, zunächst von allen besonderen
Kräften abgesehen und gesucht, an den möglichst vollständig erforschten
* Da Haeckel die Theilung der Zellen, zu denen er die „Furchungskugeln" rechnet
wesentlich ebenso verlaufen lässt (No. 100 II. S. 115. 117), so glaube ich nicht mit Unrecht
ihn hier citirt zu haben.
92 IL Die Dottertheilung.
Erscheinungen die Punkte herauszufinden, wo sie an bekannte allgemeine Vor-
gänge angeknüpft werden könnten. — Sowie ich die Lebenskeime beobachtet
und beschrieben habe, kann von einer wirklichen Scheidegrenze zwischen ihnen
und dem übrigen Dotter nicht die Rede sein; wenn in ihrem Bereiche die Dotter-
plättchen vollständig aufgelöst , in ihrem Hofe noch ungelöste feinere Körner
enthalten und die weiteren Dottermassen kaum wahrnehmbar verändert sind,
so reichen natürlich solche Unterschiede allein nicht aus, um die betreffenden
Zonen als morphologisch besondere Theile erscheinen zu lassen. Behält man
jedoch diesen Thatbestand stets im Auge, so ist es für die Beschreibung bequem
und vortheilhaft, jene Zonen und ihre Veränderungen so zu behandeln, als
wären es selbstständige Theile mit aktiven Bewegungen. So lassen sich die
Theilungsvorgänge der Lebenskeime kurz dahin zusammenfassen, dass sie zu-
erst in einer gewissen Richtung sich strecken und dann in der Mitte theilen,
während beide Hälften durch Wachsthum zunehmen •, eine ähnliche Theilung
der Höfe geht derjenigen der Lebenskeime voraus. Ferner steht die Richtung
und Energie jener Bewegungen in einer ganz bestimmten Abhängigkeit von der
Grösse und Form der Dotterstücke. Die Richtung trifft nämlich stets recht-
winkelig mit dem kleinsten der Radien zusammen, welche vom Lebenskeim zur
Peripherie des zugehörigen Dotterstücks gezogen gedacht werden; und je
grösser das letztere ist, um so mehr weichen die Keime auseinander, indem sie
gewöhnlich bis in die Mitte der Linie vorrücken, welche in der Fortsetzung der
Bewegungsrichtung das neu zu bildende Dotterstück durchschneidet. Es sollten
also schon die gröberen Erscheinungen dazu autfordern, die Veranlassung zu
den Bewegungen der Umbildungsheerde nicht in ihnen selbst, sondern in den
sie umschliessenden Dottermassen zu suchen. In diesen ist mir nun ein Vor-
gang im höchsten Grade wahrscheinlich geworden, welcher zur Existenz der
Lebenskeime in nächster Beziehung steht. Ja, wenn man sich erinnert, dass
die letzteren nur die Sammelpunkte der radialen Diffusionsströme sind, so kann
fernerhin eigentlich kaum ein Zweifel darüber bestehen, dass die Veränderungen
jener Sammelpunkte nur die Wirkungen entsprechender ursächlicher Verände-
rungen in den Diffusionsströmen seien ; und es bliebe also nur das Wesen und
der Zusammenhang dieser Veränderungen zu untersuchen übrig.
Ich komme dazu noch einmal auf die Entwickelung der zweiseitigen Strom-
bewegung in einem Diffusionskegel zurück. Sie beginnt natürlich an der Kegel-
basis oder der Dotteroberfläche und schreitet gegen die Spitze fort. Dabei
überwiegt der von aussen eindringende centripetale Strom wegen der geringeren
II. Die Dottcrtheilung. 93
Koncentration der von ihm eingeführten Lösung; andererseits verlangsamt
sich, wie schon erwähnt, die fortschreitende Bewegung, bis endlich am Orte d ei-
sen wachsten Bewegung, also an der Kegelspitze die Dotterschmelzung und da-
mit ein gleichmässiger Fortgang der zweiseitigen Diffusionsströmung eintritt,
an deren centralem Ende das Uehergewicht des eingeführten Stroms verdünn-
ter Lösung zur Wirkung und zum Ausdrucke kommt (vgl. No. 104 S. 46).
Wäre nun die Ausbildung aller Diffusionskegel von Anfang an eine gleich-
massige und gleichzeitige, so müssten ihre Spitzen thatsächlich im Mittelpunkte
der Dotterkugel zusammentreffen, die centrale Dotterauflösung von dort aus
unter der Einwirkung der stets neu hinzugeführten verdünnten Lösung sich
gleichmässig koncentrisch nach aussen verbreiten. In diesen allseitig sym-
metrischen Verhältnissen wäre daher kein Motiv einer Abänderung der Be-
wegungen und einer daraus folgenden Entwickelung enthalten ; und es erhellt,
dass ein solcher Fortgang der Umbildung zu demselben Ende führen müsste
wie die vollständig ungeregelten Vorgänge des todten Eies, nämlich zur Auf-
lösung und Zerstörung des Ganzen. Dass aber die Dottertheilstücke der Ba-
trachiereier nicht vollkommen kugelig sind, die Lebenskeime also auch nicht
die Vereinigungspunkte vollkommen gleicher Radien darstellen, ist evident;
selbst für die Dotterkugel vor dem Erscheinen des ersten Lebenskeimes lässt
sich eine gewisse ungleiche Anordnung der Theile nachweisen. Die feinkörnigen
Dotterschichten , vor allen die Dotterrinde, sind nämlich von Anfang an un-
gleichmässig angelegt, indem ihre Mächtigkeit gegen den oberen Pol zunimmt ;
und diese Ungleichmässigkeit steigert sich noch, wie ich schon ausführte, wäh-
rend der Znsammenziehung der Dotterperipherie. Da nun die Verdichtung der
Dotterrinde den endosmotischen Vorgang einleitet und unterhält, so wird der-
selbe am oberen Pole sich am stärksten entwickeln, und gegen den unteren Pol
an Stärke stetig abnehmen. Die oberen polaren Diffusionsströme rücken also
schneller als die übrigen gegen das Innere vor, regen an einem gewissen Orte,
wie mir scheint in der Nähe des Centrums, die Dotterschmelzung an (Dotter-
kern) , worauf dieser von den Diffusionsströmen der unteren Dotterhälfte noch
nicht erreichte und beeinfiusste Umbildungsheerd in Folge der Abnahme seines
speeifischen Gewichts etwas in die Höhe steigt. Indem darauf der erste Lebens-
keim als Bildungsstätte der auszuführenden Dotterflüssigkeit die Diffusions-
ströme von allen Seiten in sich vereinigt , ist eben die Excentricität ihres ge-
meinsamen Sammelpunktes, die Ungleichheit der Diffusionsradien und -kegel,
wie sie in den späteren Dottertheilstücken besteht, auch im noch ungetheilten
94 II. Die Dottertheilung.
Dotter gegeben, und es kommt nun darauf an, zu untersuchen, welche Wir-
kungen eine solche Ungleichheit überhaupt ausüben kann. Natürlich kann die
Bewegung in den verschiedenen Diffusionskegeln nicht die gleiche sein, kann
also ein Gleichgewicht ihrer Wirkungen nicht bestehen, die Lage und Form
ihres gemeinsamen Sammelpunktes nicht unverändert bleiben. Je kürzer ein
Kegel ist, um so früher muss sich in ihm nach unseren Voraussetzungen die
konstante Diffusionsströmung vollenden , an seinem centralen Ende das Ueber-
gewicht der eingeführten verdünnteren Lösung um so schneller und stärker
sich geltend machen. In dem gemeinsamen Sammelpunkte eines Dotterstücks
übertreffen daher die Ausläufer der Einfuhrströme, welche aus den kürzesten
Diffusionskegeln stammen, diejenigen der längeren Kegel; sie finden in den letz-
teren kein genügendes Gegengewicht , welches sie in den früheren Schranken
zurückhielte und müssen sie folglich nach einer gewissen Zeit überwinden , zu-
rückdrängen. So rücken die Einfuhrströme der kürzesten Diffusionskegel
schliesslich über die Grenzen derselben hinaus und erweitern sie auf Kosten
gerade der grössten Diffusionskegel, weil diese die schwächsten Gegenströme
enthalten, bis die gegenseitige Veränderung der verschiedenen rediären Strom-
gebiete ein Gleichgewicht ihrer Wirkungen herbeiführt, und dadurch der Ver-
schiebung ihres gemeinsamen Sammelpunktes vorläufig ein Ziel gesteckt wird.
Der vorrückende Strom übt nun aber auf die schon bestehende Lebenskeim-
masse und ihren Hof eine gewisse Zugkraft aus , welche beide Gebilde bis zum
neuen Sammelpunkte verschiebt, wobei sie zugleich durch den Ueberschuss an
verdünnter Lösung und die dadurch verstärkte Dotterschmelzung verhältniss-
mässig wachsen. Geht man also von der Annahme der beschriebenen radiären
Diffusionsströmungen aus , welche in allen Dotterstücken ohne Ausnahme un-
gleich sind, so ergibt sich als allgemeinste Folgerung, dass jeder Lebenskeim
einmal eine Lageveränderung erfährt. Die Art und Weise derselben wird aber
natürlich erst aus der Betrachtung der besonderen Formverhältnisse der ein-
zelnen Dotterstücke verständlich werden. Alle Dotterstücke mit Ausnahme
der noch ungeteilten Dotterkugel stimmen darin überein, dass sie in irgend
einer Richtung einen grössten Durchmesser haben, auf welchem die kleinsten,
unter sich mehr oder weniger gleichen Durchmesser nahezu in einer Ebene und
meist senkrecht stehen. An den Eiern der Molche, deren Dotterstücke sich
viel mehr als bei den ungeschwänzten Betrachiern von Anfang an abrunden,
erscheinen dieselben daher durchgängig ellipsoid. Es müssen folglich die in
jener Ebene der kleinsten Radien überwiegenden centripetalen Diflusionsatröme
II. Die Dottertheilung. 95
unter einem meist rechten Winkel in die Bahn der längsten aber schwächsten
Ströme abgelenkt werden; und da diese in zwei einander entgegengesetzten
Richtungen verlaufen, welche beide gleicherweise die Bedingungen zu jener Ab-
lenkung enthalten , so wird jene überwiegende Strömung nach denselben zwei
entgegengesetzten Seiten gespalten auseinanderfahren. Die nothwendige Folge
davon ist, dass der betreffende Lebenskeim mit seinem Hofe sich in der Rich-
tung des grössten Durchmessers theilt, wobei die vorausgehende Streckung und
überhaupt das ganze Bild des Theilungsvorgangs der von mir der Bewegungs-
ursache zugeschriebenen Zugkraft einen sehr zutreffenden Ausdruck verleihen.
Damit lässt sich auch die Thatsache ganz wohl vereinigen, dass der Hof des
Lebenskeims als die Aussenzone des ganzen Umbildungsheerdes bei einem
raschen Verlaufe der Theilung dieselbe einleitet und dem Lebenskeime gleich-
sam vorauseilt. — Da ich schon erörtert habe, in welcher Weise die Theilung
des ganzen Dotterstückes als nothwendige Folge jener Theilung seines centralen
Umbildungsheerdes vor sich geht, so erhellt, dass im Grunde genommen jede
Dottertheilung eine Quertheilung ist. Dies gilt auch für die ganze Dotterkugel,
indem sie schon durch die ersten Zusammenziehungen am oberen Pole etwas
abgeplattet wird. Dennoch verdienen die ersten Dottertheilungen wegen einiger
eigenthümlichen Formverhältnisse eine besondere Untersuchung.
Wenn die ganze Dotterkugel aus dem eben erwähnten Grunde in der Ver-
bindungslinie beider Pole eine kleinere Axe besitzt, und auch die Theilung des
ersten Lebenskeims rechtwinkelig zu derselben erfolgt, so ist dadurch die
Uebereinstimmung mit den späteren Dotterstücken noch nicht erreicht. Denn
der erste Lebenskeim ist vom Mittelpunkte der Dotterkugel so weit entfernt,
dass er vom oberen Pole allerdings den kürzesten Diffusionsstrom empfängt,
aber nicht etwa auch in seinem Niveau, in welchem er sich später theilt, die
beiden grössten Radien vereinigt •, der längste Diffusionskegel liegt vielmehr
dem kleinsten diametral entgegengesetzt. Es passt also hier die für die übrigen
Dotterstücke aufgestellte Regel, dass der überwiegende centripetale Strom aus
den kleinsten Radien zusammenfliessend in die beiden grössten ablenkt und
sich spaltet, nicht. Um aber auch an der ganzen Dotterkugel den allgemeinen
gesetzmässigen Vorgang, wie ich ihn für die übrigen Dotterstücke entwickelte,
zu erkennen, muss man sich der Voraussetzung erinnern, welche mir zur Erklä-
rung der Bildung und Lage des ersten Lebenskeims nothwendig schien und
welche in den eigenthümlichen Verhältnissen der sogenannten meroblastischen
Eier ihre beste Stütze findet: ich meine die Annahme, dass bei jener Entvvicke-
96 II. Die Dottertheilung.
hing die Diffusionsströme der unteren Halbkugel des Dotters noch nicht herge-
stellt waren, also auch nicht mitwirkten. In den meroblastischen Eiern wird
nur der um den oberen Pol gelegene Theil der Dotterkugel, der eigentliche
Keim, zerklüftet; in dem bei weitem grossesten übrigen Theile, dem Nahrungs-
dotter, entwickeln sich die bezeichneten Diffusionsströmungen offenbar gar
nicht, da er eben ungetheilt bleibt. Wären dieselben im Batrachierei schon
zur Zeit des ersten Lebenskeims vollendet, so müsste dieser, statt in der oberen
Halbkugel zu bleiben, von dem oberen polaren Strome als dem stärksten ge-
rade in die untere Dotterhälfte hinabgedrängt werden. Da jedoch die nach-
weisbare Abnahme in der Mächtigkeit und Verdichtung der Dotterrinde gegen
den unteren Eipol hin die trägere Entwicklung der von unten aufsteigenden
Diffusionsströme gewiss macht, so dürften alle übrigen Erscheinungen die An-
nahme begründen, dass jene Ströme auch während der ersten Dottertheilung
noch nicht vollendet sind. Alsdann müsste aber der überwiegende Strom des
oberen Pols in dem grössten Radius, also gegen den unteren Pol hin eine
ruhende Masse in Bewegung setzen, während er in horizontaler Richtung aus-
weichend allerdings einen schwachen Gegenstrom zu überwinden hat, dafür
aber durch die in derselben Richtung bestehenden centrifugalen Strömungen
einen um so leichteren Abfluss findet. Diese Ueberlegung scheint mir geeignet,
den Widerspruch zu lösen, welcher sich in der Erscheinung der ersten und der
späteren Lebenskeimtheilungen offenbart. Was nun bei der ersten Theilung
die besondere Richtung der Theilungsaxe unter allen im gleichen Niveau ver-
laufenden Durchmessern bestimmt, kann ich desswegen nicht sicher angeben,
weil ich es unterlassen habe, dieselben an passenden (horizontalen) Durch-
schnitten mit einander zu vergleichen ; mit Rücksicht auf die späteren Thei-
lungen vermuthe ich aber, dass auch in der ganzen Dotterkugel der zur Thei-
lungsaxe gewählte Durchmesser wenn auch unscheinbar länger ist, als die
übrigen.
Für den zweiten Theilungsakt gilt dasselbe, was ich vom ersten sagte.
Hinsichtlich der dritten und vierten „Meridionaltheilungen", welche an der
unteren hellen Dotterhälfte als Längstheilungen gelten, will ich noch bemerken,
dass ich ausnahmslos die sich theilenden Keime wie bei Aequatorialtheilungen
entweder ganz oder beinahe vollständig in einem senkrechten Durchschiffe antraf,
woraus hervorgeht, dass die Theilungsebene der Dottersubstanz mehr oder
weniger von der senkrechten abweichen sollte. Wenn aber darauf trotzdem
äusserlich Längstheilungen erfolgen, die ausgesprochen meridionalen nach
IL Die Dottertheilung. 97
M. Schultze (Nr. 52 S. 7. 8) allerdings in den seltenern Fällen, so kann dies
wohl nachträglichen Verschiebungen der Dotterstücke zugeschrieben werden,
wie solche schon den ersten Beobachtern des „Furchungsprocesses" bekannt
waren. Ich werde in dieser Ansicht durch die Dottertheilung an den unseren
Batrachiereiern so ähnlichen Eiern des Petromyzon Planeri bestärkt, an denen
M. Schultze "(Nr. 92 S. 8. Taf. I) nach der ersten Aequatorialtheilung eine
zweite und dritte beschreibt und abbildet, sodass wirkliche Längstheilungen
selbst in der Ausführung des äusserlichen Furchennetzes ganz ausgeschlossen
zu sein scheinen, und die Quertheilungen den normalen Vorgang darstellen,
dessen äusserer Ausdruck jedoch an den Batrachiereiern nachträglich abge-
ändert wird. Dieser Vergleich liefert einen neuen Beleg für die von mir schon
mehrfach erörterte Thatsache, dass die äusseren Bilder der Furchen über die
eigentliche Pachtung und den Verlauf der Dottertheilung uns keinen sichern
Aufschluss geben können.
Ich glaube nun alles erörtert zu haben, was zur Begründung einer Theorie
des ganzen Dottertheilungsprocesses nöthig erscheinen könnte. Ich habe zuerst
gleichsam den Mechanismus der Dottertheilungen unter der Voraussetzung
einer unbekannten, den radiären Zusammenhang hervorrufenden Ursache
untersucht, dann dieses unbekannte x durch die wirklichen Werthe ersetzt,
welche sich bei eingehender Betrachtung aller Erscheinungen als die wahr-
scheinlichsten ergaben, endlich die Bedingungen zu erforschen gesucht, unter
denen jene nächsten Ursachen der Dottertheilung den andauernden 'Fortgang
dieses Theilungsprocesses unterhielten. Ich will jetzt die aus diesen Unter-
suchungen gewonnenen Resultate kurz zusammenfassen, um den Vorgang,
welchen ich behufs einer eingehenden Erörterung in verschiedene Abschnitte
zerlegen musste, in seiner natürlichen Einheit und Einfachheit zu zeigen. —
Das reife Ei besteht aus der Dottermasse, der sie umspülenden eiweisshaltigen
Flüssigkeit und den Eihüllen, Dotterhaut und Gallerthülle; zur Einleitung und
Unterhaltung der Entwickelungserscheinungen ist dann noch das Medium erfor-
derlich, in welches das vom Eierstocke gelöste Ei gelangt, das Wasser. Sobald
das Ei mit dem letzteren in Berührung tritt, wird durch die Dotterhaut ein
erster endosmotischer Strom zwischen den sie beiderseits benetzenden Flüssig-
keiten mit einem hohen Aequivalente der inneren eiweisshaltigen hervorgerufen;
darauf folgt die relativ starke Zunahme aber gleichzeitige Verdünnung der
letzteren. In dem Masse, als dieser Vorgang sich ausbildet, erfolgt die ganz
offenbare, wenn auch in ihrem Zusammenhange mit jenem Vorgange noch
Gop.TTE, Entwickeluugsgeschichte. *
98 II r>ie Dottertheilung.
nicht aufgeklärte Verdichtung der Dotterrinde. Diese wiederum scheint mir
eine zweite endosmotische Strömung zwischen der extra- und der intravitellären
Flüssigkeit herzustellen und so zur wichtigsten Bedingung der weiteren Ent-
wickelung zu werden. Denn wenn das durch die Endosmose eingeführte
Wasser die Dottersubstanz überhaupt nothwendig auflösen muss, um so den
für die lebendige Entwickelung unentbehrlichen Stoff herzustellen, so ver-
nichtet doch diese Auflösung, sobald sie sich regellos im Dotter verbreitet, jede
Organisation desselben und damit die Möglichkeit seiner Fortentwickelung,
während sie durch den Einfluss der Dotterrinde in bestimmter Form geregelt,
gerade zum Ausgangspunkte für die Herstellung eines Organismus wird. Durch
die endosmotische Wirkung der verdichteten Dotterrinde wird nämlich die Auf
lösung des Dotters auf einen inneren Umbildungsheerd beschränkt, dessen
excentrische Lage statt einer vollständigen Symmetrie der radiären Diffusions-
strömung, welche gleich der Formlosigkeit zur Zerstörung des Ganzen führen
müsste, eine Differenz seiner fortdauernden Beziehungen zur Aussenwelt oder
der Diffusionsströme setzt, welche im Kampfe um die Ausgleichung die Thei-
lung des ersten Lebenskeims und der ganzen Dotterkugel, damit aber auch
den Fortgang der Entwickelung bedingen. Denn in jedem neuen Dotterstücke
wiederholt sich dasselbe Schauspiel: die verschiedenen Stromlängen der radiären
Diffusion veranlassen die Verschiebung des Sammelpunktes, des Lebenskeims,
in der Richtung des längsten Stromes, und weil dieser sich beständig bipolar
entwickelt, die Zweitheilung des ersteren, sowie in Folge dessen des ganzen
Dotterstückes. Ein einfacher aber eigenthümlich geregelter physikalischer
Process spielt sich in der Dottermasse des lebensfähigen Eies ab und die Thei-
lungen der Dotterstücke und ihrer Umbildungsheerde sind nur der sichtbare
Ausdruck desselben.
Dass es sich jedoch dabei nicht um Organismen handelt, sondern erst um
eine Vorbereitungsstufe solcher, bedarf nach dem Gesagten wohl keiner beson-
deren Erörterung: von den ganzen Dotterstücken wurde es bereits erwiesen,
und von den Lebenskeimen ergibt es sich von selbst, wenn man über die flüch-
tigste Untersuchung hinausgeht. - - sie sind eben gar keine begrenzten Körper,
sondern bloss die Stellen der kontinuirlicheri Dottersubstanz, wo deren feste
Theile vollständig aufgelöst sind. Doch aber verdienen sie ihren Namen, denn
einmal bilden sie die ersten Anlagen des künftigen Zellenleibes, welche durch
allmähliche Um- und Anbildung der übrigen Dottermasse diese endlich ganz
in ihren Bereich ziehen, andererseits entstehen in ihrem Innern unmittelbar die
II. Die Dottertheilung, 99
Protoplasmaklümpchen, welche als Kernkeime die späteren Zellenkerne zusam-
mensetzen. Da nun die ganze Dottermasse das vollständige Material zur Bildung
von Zellen, von „Elementarorganismen" liefert und durch allmähliche Umwand-
lung in solche übergeht, so könnte sie als unreifes Protoplasma bezeichnet
werden, während die Lebenskeime das zur Lebensfähigkeit umgewandelte, reife
Protoplasma darstellen, welches nur noch in eine bestimmte Form gebunden
zu werden braucht, um einen einfachsten Organismus, den Anfang eines wirk-
lichen Lebens zu bilden. Diese Form erscheint nicht am ganzen Lebenskeim,
sondern zunächst bloss in seinem Innern, nämlich an den Zellenkernen durch
Vermittelung der Kernkeime. Diese letzteren entstehen in der zarten Sub-
stanz der Lebenskeime als etwas festere Protoplasmaklümpchen oder -körner,
welche durch Karmin lebhafter gefärbt werden als die übrige Masse und da-
durch schon an den Unterschied eines Zellenkerns vom Zellenleibe erinnern.
Ob ihnen aber schon die Bezeichnung von Organismen zukomme, vermochte
ich durch Beobachtung nicht sicher zu entscheiden ; ich konnte sie erst nach
der zweiten Dottertheilung wahrnehmen, fand aber alsdann schon mehre vor,
welche im Lebenskeime zerstreut lagen und niemals sichere Anzeichen eines
Wachsthums und einer Fortpflanzung bei ihrer auffallend raschen Vermehrung
offenbarten. Desshalb wird mir die freie Bildung jedes einzelnen Kernkeimes
wahrscheinlich; und wenn ich überlege, dass sie eine so schnell vergängliche
selbstständige Existenz führen, um als in dieser Existenz bedeutungslose Ein-
zeltheile erst durch ihre Verschmelzung unzweifelhafte Lebensträger zusam-
menzusetzen, so muss ich mich der Ansicht zuneigen, dass die Kernkeime
unorganisirte Körner seien, welche ihre fortdauernde Neubildung dereigenthüm-
lichen molekularen Zusammensetzung der beständig wachsenden Lebenskeim-
masse verdanken und abgesehen von der Grösse den bekannten dichteren
Protoplasmatheilchen verglichen werden können, welche das sogenannte
granulirte Aussehen der meisten Zellen hervorrufen. Bei einer solchen Auf-
fassung der Kernkeime kann es nicht auffallen, dass sie auf die an den Lebens-
keimen und ihren Höfen sich abspielenden Vorgänge ohne Einfiuss bleiben: die
letzteren verlaufen ganz gleich, ob die Kernkeime fehlen (erster Lebenskeim
und die Höfe) oder vorhanden sind. Ich habe daher mit Recht dieselben
unbeachtet lassen dürfen, so lange sie in den Lebenskeimen zerstreut den
geringeren Theil derselben bildeten. Sobald sie sich aber bis zu dem Masse
vermehrt haben, dass sie einen dichten, den Lebenskeim beinahe ausfüllenden
Haufen bilden, also die übrige Lebenskeimmasse bedeutend überwiegen, so
100 H- Die Dottertheilung.
erscheinen sie auch als die wesentlichen Träger der den Lebenskeimen zugeschrie-
benen Thätigkeit; an ihnen werden alsdann das Wachsthum (durch äussere
Anlagerung neugebildeter Kernkeime) und die Theilungen kenntlich, welche
ich ausführlich an den ganzen Lebenskeimen erörterte. Doch darf hierbei
nicht vergessen werden, dass, so lange die Kernkeimhaufen wirklich das sind,
was ihr Name aussagt, also bloss die Summe der noch diskreten Kernkeime,
sie ihrem Wesen nach sich von den einzelnen dieser ihrer Theile nicht unter-
scheiden. Sie sind dann für die künftigen Zellenkerne ebendasselbe, was die
unveränderte Lebenskeimmasse für den Zellenleib darstellt, - - das reife aber
noch unorganisirte Protoplasma. Diese Organisation oder die eigentliche
Form des Lebendigen wird eben durch die Verschmelzung der Kernkeimhaufen
zu den soliden Zellenkernen hergestellt, welche natürlich im einzelnen nicht
nachzuweisen ist, sodass auch keine bestimmte Grenze zwischen beiden Zu-
ständen gefunden werden kann. Jedenfalls besitzt aber der fertige Zellenkern
die bezeichnenden Merkmale des Lebens. Sein Wachsthum geht innerhalb
seiner bestimmten äusseren Grenzen vor sich, kann also nur auf einer Innen-
aufnahme neuen Stoffes, auf einer Ernährung beruhen. Die Fortpflanzung der
Kerne habe ich bereits ausführlich beschrieben ; sie beruht auf einem lokal
beschränkten oder überwiegenden Wachsthum, sodass, was sonst die Vergrösse-
rung des Ganzen hervorgerufen hätte, in jenem Falle die excessive Ausbildung
eines Theils bewirkt, welcher dadurch zu einem neuen Ganzen sich absondert.
Man kann eine solche Erscheinung einer Knospenbildung vergleichen, wobei
die endliche Ablösung des hervorsprossenden Theils offenbar mechanisch erfolgt,
.und noch allgemeiner sich dahin ausdrücken, dass diese Fortpflanzung
auf einem Wachsthum nicht über das individuelle Mass hinaus,
wie es häufiger ausgesprochen wird, sondern über die individuelle
Form hinaus beruhe.*
* Ich bemerkte schon, dass die Bilder der sich fortpflanzenden Zellenkerne in mir die
Ansicht erweckten, dass ihre Knospenbildung je auf eine Stelle beschrankt sei. Aber wenn
dieselbe auch unter Umständen nach zwei Seiten erfolgte, und alsdann beinahe je eine
Hälfte des Muttergebildes umfasste, das letztere in die neuentstehenden Theile vollständig-
aufgenommen würde, so wäre der von mir aufgestellte Typus dadurch nicht wesentlich ver-
ändert. Die Unterscheidung, dass in dem letzteren Falle die ganze vorhandene Masse
sich in zwei Hälften sondert, im ersteren Falle dagegen nur der Stoffzuwachs an einer
Stelle abgelagert wird, stützt sich nur auf die äussere Erscheinung und ist fehlerhaft, weil
sie die Vorstellung wesentlich verschiedener Ursachen in beiden Vorgängen einschliesst.
Wenn die allmähliche Theilung in zwei gleiche Hälften unabhängig von der Ernährung
II. Die Dottertheilung. 101
Fragt man nun nach den Ursachen jener Abänderung des gleichmässigen
Wachsthums, so halte ich es von vornherein für unberechtigt, dieselben, na-
mentlich solange in den Kernen differente Theile fehlen, aus hypothetischen
Wirkungen hypothetischer Theile, z. B. durch besondere Anziehungscentren, zu
erklären. Jede Lebenserscheinung ist allerdings der Ausdruck der an der be-
treffenden Stelle irgendwie veränderten Ernährung oder des Stoffverbrauchs ;
aber diese nächsten Lebensursachen, mögen sie sich nun allgemein oder lokal
äussern, bleiben immer gleichsam das Medium, wodurch alle äusseren Einwir-
kungen, welche das Leben unterhalten, in die ihm eigenen Erscheinungen überge-
führt werden. Dem Organismus eigenthümlich ist im Grunde nur diese Fähig-
keit des An- und Umbildens, welche bei einer homogenen Beschaffenheit desselben
überall die gleiche bleiben muss. Tritt nun doch in einem solchen Falle eine
Abänderung in der Gleichmässigkeit der Wirkungen ein, so kann man die Veran-
lassung dazu, also zu einem einseitigen Wachsthume oder der lokalen Steigerung
der Nahrungszufuhr nur den äusseren Einflüssen zuschreiben. Wenn wir aber
einen Blick zurückwerfen auf die allmähliche Entwickelung der Zellenkerne
aus den Kernkeimhaufen und den Lebenskeimen, so erhellt, dass die centripe-
talen, zuführenden Diflüsionsströme, welche die Masse der Lebenskeime ver-
mehrten, darin die dauernde Neubildung von Kernkeimen unterhielten, auch
die Nahrungszufuhr der Zellenkerne besorgen und hier wie dort mit einem
wenigstens äusserlich scheinbar gleichen Erfolge wirken, also ebensowohl das
gleichmässige, wie das ungleichmässige Wachsthum mit den folgenden Thei-
hingen hervorrufen. Hierbei lässt sich nicht verkennen, dass die aus den Er-
gedacht wird, so ist sie keine Lebenserscheinung mehr ; die Ungleichmässigkeit der Ernäh-
rimg kann aber, wie im Folgenden noch näher erörtert wird, nur auf der Ungleichmässig-
keit der radiären Ernährungsströme beruhen, sodass ein Ueberwiegen des Wachsthums
nach zwei Seiten hin auf eine entsprechende Spaltung des stärkeren Ernährungsstromes
hindeutet, während derselbe im andern Falle vollständig nach einer Seite gerichtet ist.
Hierbei kann aber natürlich die Substanz des Kernsindie früherbestandene und die neuhinzu-
kommende nicht wirklich geschieden gedacht werden; es bleibt morphologisch immer eine
und dieselbe, welche bei den durch das Wachsthum hervorgerufenen Molekularbewegungen
entweder an einer umschriebenen Stelle, theilweise , und zwar gewöhnlich in dem Masse,
als sie zunimmt, oder nach zwei Seiten über ihre frühere Form hinausgedrängt wird. Der
Erfolg ist in beiden Fällen ganz derselbe: die Neubildung zweier Körper statt des ursprüng-
lichen einen, und der Unterschied beruht nur darin, dass der stärkere, überwiegende Ernäh-
ruugsstrom einmal nach einer Richtung abgelenkt, dasandereMal in zwei Schenkel gespalten
erscheint, wobei der vollständige Uebergang des Muttergebildes in die sich absondernden
Hälften nur mehr ein zufälliger Umstand ist, der bei der einseitigen Knospung selbstver-
ständlich nicht eintreten kann.
102 IT. Die Dottertheilung.
scheinungen erkannten Entwickelungsvorgänge der Lebenskeime, obgleich ich
sie nach den früheren Erörterungen nicht für lebendige halten kann, der Lebens-
thätigkeit der dabei erzeugten Zellenkerne sehr viel näher stehen, als etwa ähn-
lichen Vorgängen anorganischer Körper. Die Lebenskeime wachsen, und
dieses Wachsthum bringt Bewegung und Vermehrung hervor, und zwar gerade
desshalb, weil es keine Anlagerung von aussen, wie bei den anorganischen
Körpern, sondern eine wirkliche Innenaufnahme ist, indem die Bewegung
der Stoffzufuhr bei dem halbflüssigen Zustande der Substanz sich in die
letztere furtsetzen, die neuhinzugekommenen Theilchen in deren Inneres ein-
führen kann. Dass dies in der That stattfindet, erhellt unzweifelhaft aus den
Bewegungen der Lebenskeime bei ihrer Vermehrung: die Stofftheilchen
müssen vielfach aneinander verschoben werden, da die einzig mögliche Ursache
der ganzen Erscheinung von einer anderen Seite auf den Lebenskeim wirkt,
als wo der Effekt, die neuen Theile erscheinen. - Wenn aber auch die Vor-
gänge, welche das Wachsthum und die daraus resultirenden Erscheinungen
der Lebenskeime und der Zellenkerne bedingen, dieselben sind, so sind doch
jene ihre Wirkungen durch das wechselnde Objekt, an dem sie sich offenbaren,
wesentlich von einander unterschieden. Zunächst mache ich darauf aufmerk-
sam, dass jene Erscheinungen nicht Eigenschaften des betreffenden Stoffes, des
reifen Protoplasmas an sich sind, sondern von bestimmten, gesetzmässig ange-
ordneten Beziehungen desselben zu seiner Umgebung, von der beschriebenen
Protoplasmaströmung abhängen. Sie sind also das Resultat einer gewissen
Organisation des lebensfähigen Stoffes. In dem ausgewachsenen Eierstockseie
ist nur ein formloses, unreifes Protoplasma enthalten; unter gewissen Umstän-
den entwickelt sich darin eine gesetzmässige Bewegung, es wird organisirt und
erhält als sichtbaren Ausdruck davon die bestimmte äussere Gestalt (Dotter-
kugel). Diese Organisation leitet zugleich die Umbildung des Stoffes ein,
welche sich aber nicht gleichmässig und sofort auf die ganze Dotterkugel
erstreckt (wodurch allein dieselbe zu einem Organismus werden könnte),
sondern auf einzelne bestimmte Stellen beschränkt, wo der Dotter in lebens-
fähiges Protoplasma verwandelt wird. Indem diese Umbildungsheerde eben
die Organisationscentren sind, treffen die Bedingungen für jene Erscheinungen
zusammen, welche uns durchaus als Lebenserscheinungen imponiren. Aber
an den Lebenskeimen entspricht das sichtbare Bild nicht dem objektiven Zu-
stande. Ich habe von ihnen wie von wirklichen Körpern nur aus Rücksicht
auf die bequeme Beschreibung und mit dem Vorbehalt gesprochen, dass man stets
II. Die Dottertheilung. 103
des eigentlichen Thatbestandes bewusst bleibe. Wenn aber der letztere lehrt,
dass die Lebenskeime nach allen Seiten kontinuirlich mit dem übrigen Dotter-
protoplasma zusammenhängen, dass sie überhaupt nur die sichtbaren Sammel-
punkte der ganzen radiären Diffusion sind, so folgt daraus, dass die Vorgänge,
welche uns als ihr „ Wachsthum" und ihre „Fortpflanzung" erscheinen, ebenso-
wenig auf ein bestimmtes Gebiet beschränkt sind, und gleichfalls allseitig ohne
irgend eine Grenze in die Bewegungen des offenbar leblosen Protoplasmas,
der unveränderten Dottersubstanz übergehen. Weil es nun Lebenserschei-
nungen ohne bestimmt begrenztes Objekt nicht geben kann, da man unter
jenem Ausdrucke nicht gewisse Bewegungen an sich, sondern Vorgänge in und
an bestimmten Körpern, eben den Organismen, versteht, so kann die organi-
sirte Bewegung des lebensfähigen Protoplasmas erst dann als wirkliches Leben
aufgefasst werden, wenn sie in bestimmte Schranken eingeschlossen, sich dess-
halb auch in bestimmten Leistungen innerhalb derselben offenbart. Es ergibt
sich also aus dieser Ueberlegung, dass die radiäre Diffusion jedes Dotterstückes
dieses beschränkte Gebiet zur Bethätigung des Lebens erst in dem fertigen
Zellenkerne findet, welcher daher die erste Lebensform indem
sich entwickelnden Batrachiereie darstellt. — Aus diesem Grunde
unterscheide ich die Dotterstücke, sobald sie einen fertigen Zellenkern ent-
halten als Embryonal- und Dotter zellen von den vorher kernlosen
Dotterstücken, obgleich schon aus der früheren Darstellung hervorgeht, dass
beide Zustände nirgends scharf getrennt sind, sondern allmählich in einander
übergehen. Jene Zellenkerne verzehren das um sie noch angesammelte reife
Protoplasma sehr bald, sodass endlich jedes neu .umgebildete Quantum der sie
umgebenden Dottersubstanz eben nur zum Leben der Kerne, namentlich zu
ihrer andauernden Fortpflanzung hinreicht.
So erscheinen denn die Embryonal- und Dotterzellen sehr bald als grössere
oder kleinere Körperchen von scheinbar unveränderter Dottersubstanz, welche
einen Kern einschliesst; sie stimmen mit ausgebildeten, vollkommenen Zellen
nur durch den Besitz des lebendigen Kerns überein, während ihr eigentlicher
Zellenleib noch aus durchaus unreifem, nicht lebensiähigem Protoplasma be-
steht, welches durch die Kernvermehrung gerade ebenso wie bei den früheren
Dottertheilungen in immer kleinere Stücke zerfällt, aber von einer Ernährung
und deren Folgen nichts wahrnehmen lässt. Die Embryonalzelle ist daher
als Ganzes ebensowenig wie die Dotterkugel oder die kernlosen Dotter-
stücke ein vollständiger Elementarorganismus oder „das wahre Urbild von
104 II- Die Dottertheilung.
Zellen ". * Sie ist nur die letzte Umbildungsstufe in der ganzen langen Ent-
wickelungsreihe von der Entstehung des formlosen unreifen Protoplasmas bis
zur Herstellung einer vollkommen fertigen, lebendigen Zelle, in welche sie
durch die fortgesetzte Umbildung der Dottersubstanz in reifes, lebensfähiges
und sich wirklich ernährendes Protoplasma übergeht. Dieser Vorgang beruht,
wie ich schon auseinandersetzte, in einer Schmelzung der Dottertäfelchen und
Dotterkörner während der andauernden radiären Protoplasmaströmung. Wenn
aber dieser Process, welcher die Ernährung des Zellenkerns besorgt, abge-
laufen ist, so muss natürlich eine bis dahin fehlende und entbehrliche Ernäh-
rung des Zellenleibes selbst eintreten, wenn der ganze Organismus am Leben
bleiben soll. Dass diese Ernährung, die Stoffaufnahme von aussen her nicht
plötzlich in dem fertigen Zellenleibe erscheine, sondern allmählich und wohl
schon während der letzten Periode der Dotterschmelzung sich entwickele,
scheint mir eine selbstverständliche Annahme, wenn man einmal erkannt hat,
wie die allmähliche Ablösung vergänglicher Zustände, die Entstehung der
Ursachen zu solchen Veränderungen als unscheinbare Begleiterscheinung in
viel früheren Perioden ganz eigentlich zum Wesen der organischen Entwicke-
lung gehören.
Am Schlüsse dieser Betrachtungen über die Dottertheilung angelangt, will
ich noch auf die allgemeine Bedeutung der daraus gewonnenen Ergebnisse hin-
weisen. Während die ältere Lehre, indem sie in der Dottertheilung ganz richtig
eine Neubildung von Zellen in einer nichtzelligen Keimstätte sah, doch über die
äussere Erscheinung, über die geheimnissvolle Zusammenfügung von Kern und
Zellenleib nicht hinausging , machte es sich andererseits die moderne Auffas-
sung, welche dem Zusammenhange der Erscheinungen nachzuspüren begann,
wieder zu leicht, wenn sie schematisirend und unter Vernachlässigung derthat-
sächlichen Verhältnisse in der Dottertheilung nur den Vorgang einer besonders
fruchtbaren Zellenfortpflanzung zu erkennen glaubte. Auf Grund meiner Be-
obachtungen und vom Standpunkte der daran geknüpften Betrachtungen darf
ich vielmehr behaupten, dass die Dottertheilung der äussere Ausdruck eines
Entwickelungsvorganges ist, dessen einzelne Abschnitte weder formell, noch
materiell gleichartig sind, während dessen die ursprüngliche Dottersubstanz
alle Phasen von einem nicht lebensfähigen Stoffe und einer formlosen Masse
* Vgl. Schultze Nr. 93 S. 9. Dass Schultze unter seinen Embryonalzellen vor-
herrschend die „Furchungszellen" versteht, ist S. 9—11 ganz unzweideutig ausgesprochen.
II. Die Dottertheilung. 105
£is zum fertigen Elementarorganismiis mit ganz allmählichem Fortschritte
durchläuft, und wobei das unermüdliche Spiel der fortlaufenden Theilungen nur
<t ine Begleiterscheinung jener fundamentalen Vorgänge darstellt. Diese bieten
unserer Betrachtung zunächst wohl die einzige Gelegenheit, die Entstehung des
Lebens aus Nichtlebendigem zu belauschen, den nothwendigen Zusammenhang
zu finden zwischen der durch äussere Bedingungen und Einflüsse hervorgeru-
fenen Zusammenziehung der formlosen Dottermasse zur Dotterkugel , der da-
durch erzeugten radiären Anordnung der Diffusionsströme und der daraus fol-
genden Bildung des ersten Lebenskeimes, zwischen den an dem letzteren sich
offenbarenden Veränderungen, gleichsam Lebenserscheinungen ohne Objekt,
und ihrer Fixirung in bestimmte Schranken, wodurch der Elementarorganismus
vollendet wird. Eine durch die eigenthümliche Zusammensetzung der Sub-
stanz gewährleistete, fortschreitende Beschränkung regelloser allgemeiner Be-
wegungen in immer engere Kreise bedingt die Entwickelung, das Leben; und
desshalb darf die Reihe von Entwickelungsvorgängen , welche wir nach ihrer
äusseren Erscheinung kurzweg Dottertheilung nennen, von der Entwickelung
des Eierstockseies durchaus nicht wesentlich getrennt gedacht werden, sondern
ist vielmehr ebenso sehr eine unmittelbare Folge der letzteren, welche ja alle
wesentlichen Bedingungen jener fortschreitenden Beschränkung schuf, wie die
nachstehend zu betrachtende Bildung des Embryo nicht bloss im Anschlüsse
an die Dottertheilung erfolgt, sondern in eigentümlichen Umständen schon
der ersten Akte derselben begründet wird.
Ich glaube nicht, dass es möglich ist, den Dotter theilungsprocess in dem-
selben Umfange wie an den Eiern der Batrachier auch an denen anderer Wir-
belthiere zu untersuchen. Die entgegenstehenden Hindernisse beruhen nicht
nur in den Eiern selbst, sondern auch in den äusseren Umständen ihrer ersten
Entwickelung, welche das Sammeln aller beliebigen Entwicklungsstufen er-
schweren. Man wird sich daher zunächst darauf beschränken müssen, die
Uebereinstimmung aller Wirbelthiereier hinsichtlich der Dottertheilung anzu-
nehmen, sobald man die meisten Einzelheiten derselben, wie sie an den Ba-
trachiereiern erkannt werden können, auch nur von einander getrennt an den
verschiedenen Eiern der Fische und Amnioten wieder findet. — Der äussere
Vorgang der Dotterzerklüftung und der Uebergang der Dotterstücke in die
Embryonalzellen des Keims ist bekanntlich in allen Wirbelthiereiern nachge-
wiesen ; dass jedem Akte der Dottertheilung eine entsprechende Theilung eines
kernartigen Centralgebildes vorangehe, hat Kupffer unmittelbar an durch-
106 II- Die Dottertheilung.
sichtigen Fischeiern beobachtet (No. 105 S. 214). Ueber die Entwickelimg
dieser Centralgebilde und namentlich des ersten derselben ist jedoch bisher
nichts bekannt geworden; die Thatsache, dass sie zuletzt in unzweifelhafte
Zellenkerne übergehen, genügte, sie in allen Phasen der Dottertheilung mit
solchen Kernen zu identificiren. Um so interessanter sind daher die Beobach-
tungen Oellacher's, welcher in den Dottertheilstücken des Forelleneies statt der
allgemein angenommenen einfachen Kerne Gruppen von kernartigen Gebilden
in Lücken der Dottersubstanz oder in einer „auffallend feinkörnigen" Masse
eingeschlossen antraf (No. 106 S. 410 — 411). In den späteren Stadien der
Dottertheilung sah er auch je zwei solcher Kerngruppen in einem Dotterstücke,
endlich aber statt ihrer grössere einfache Kerne, welche bisAveilen gekerbt er-
schienen (a. a. 0. S. 413 — 414). Auf Grund dieser Beobachtungen schliesst
sich Oellacher im wesentlichen der Anschauung Remak's betreffs der Ba-
trachiereier an und hält die Elemente jener Gruppen für wirkliche Kerne,
welche durch fortgesetzte Theilung aus einem einfachen ersten Kerne hervor-
gingen, welchen Oellacher allerdings nur am unzerlegten Keime gesehen zu
haben glaubt (S. 409. 415). Diese Kerne würden endlich zu je einem in die
kleineren Dotterstücke vertheilt, wobei sie ansehnlich wüchsen, sich aber auch
noch nachträglich theilten, wie aus den gekerbten Kernen hervorgehe (S. 416). Ein
solcher Zusammenhang der Erscheinungen wurde von Oellacher nicht wirk-
lich beobachtet (S. 410), sondern bloss angenommen im Anschlüsse an die ent-
sprechende REMAK'sche Darstellung von den Batrachiereiern. Wenn ich aber
schon die letztere als irrthümlich zurückwies, wenn ferner die gleiche Annahme
Oellacher's für das Forellenei den grössten Schwierigkeiten in seinen eigenen
Beobachtungen begegnet, so finde ich dagegen in den letzteren viel mehr Ueber-
einstimmung mit meiner die Batrachier betreffenden Darstellung. Von jenen
Schwierigkeiten will ich nur auf eine hindeuten. Da die vermeintlichen Kerne
während längerer Zeit gruppenweise und in wechselnder Anzahl , später aber
einzeln in die sich neubildenden Dotterstücke vertheilt werden, so kann man
weder den ganzen sich theilendcn Dotterstücken, noch den einzelnen Gruppen-
elementen einen gesetzmässigen Einfluss auf ihre Vertheilung zuschreiben ; dann
sieht man sich aber vergeblich nach einem weiteren Momente um, welches nach
Ausschluss jeder Gesetzmässigkeit und Nöthigung bei jenem Vorgange dennoch
ein gesetzmässiges Endresultat, nämlich die Einkernigkeit der Pmibryonalzellen
herbeiführte. Wenn es aber schwierig und undankbar ist, Lücken in der Be-
obachtung durch Hypothesen auszufüllen, so gelingt dies, wie mir scheint, auch
II. Die Dottertheilung. 107
im vorliegenden Falle leichter durch den Vergleich mit nahe verwandten aber
im Zusammenhange beobachteten Erscheinungsreihen. Indem ich den Angaben
Oellacher's eine ähnliche Deutung gebe wie denen Remak's, also die Elemente
der Gruppen mit meinen Kernkeimen vergleiche, glaube ich alle weiteren Ein-
zelheiten der OELLACHERschen Beobachtungen befriedigend erklären zu kön-
nen. Zunächst wäre auch im Forelleneie der Begriff der in den Dotterstücken
befindlichen Centralgebilde auf die ganzen Inseln feinkörniger Dottersubstanz
auszudehnen, in welchen die Kernkeimhaufen eingebettet sind. Wo dieselbe
etwa vermisst wurde, deuten die sie vertretenden Lakunen, welche unzweifelhaft
ebenso entstehen, wie ich es an den Batrachiereiern beschrieb, auf ihre An-
wesenheit im normalen Zustande hin. Die Annahme, dass das von Oellachek
gesehene erste Centralgebilde, nämlich eine grössere kugelige Masse mit einem
kleineren Körperchen in ihrem Innern, einem ersten Lebenskeime mit seinem
Hofe entspreche, also die Kernkeime in ihm oder seinen nächsten Nachkommen
als isolirte Neubildungen entstehen, scheint mir jedenfalls wahrscheinlicher als
die Auffassung, dass jenes Centralgebilde oder der vermeintliche erste Kern in
einem Akte in eine grössere Anzahl bedeutend kleinerer Körperchen zerfiele,
deren Masse nur einem sehr kleinen Theile des ersteren gleichkäme.* Endlich
bleibt es bei der Oellacher sehen Auffassung, wie schon bemerkt, schlechter-
dings unbegreiflich, wie und warum seine vermeintlichen Kerne, nachdem sie
längere Zeit haufenweise in die neu zu bildenden Dotterstücke einwanderten,
zuletzt durchgängig zu je einem in denselben vertheilt werden, während an-
dererseits einige dieser einzelnen Kerne zu gleicher Zeit durch ihr gekerbtes
Aussehen eine massenhafte Produktion andeuten sollen. Gegenüber diesen mit
* Oellacher gibt den Durchmesser des „ersten Kerns" auf 80 p , denjenigen der vier
„Kernhäufchen" nach der zweiten Dottertheilung auf 13 — 16 fi an (No 106 S. 412). Be-
trachtet mau beiderlei Gebilde als Kugeln und berechnet darauf aus ihren Durchmessern
ihren Inhalt, so ergibt sich, dass die Gesammtmassc der vier Häufchen nur \ i0 derjenigen
des „ersten Kernes" beträgt. Wenn aber Oellachek im Anschlüsse an seine Zahlen-
angaben meint: „Dies beweist zur Genüge, dass einer Ableitung jener Körperchen vom
ersten Kern, was die Massenverhältnisse anlangt, Nichts im Wege steht" — so ist der Irr-
thum schon beim ersten Blicke auf die Zahlen so handgreiflich, dass man nur annehmen
kann, Oellacher habe das Massenverhältniss dem Längenverhältnisse der Durchmesser
gleichgesetzt. An einen Schreib- oder Druckfehler in den Zahlenangaben ist desshalb nicht
zu denken , weil nach den Massaugaben für die zwei Kernhäufchen nach der ersten Dotter-
theilung (S. 411) ihre Gesammtmasse sich halb so gross herausstellt, als diejenige der vier
Häufchen, — ein Verhältniss, welches durchaus mit meinen Befunden am Batrachierei über-
einstimmt
108 II. Die Dottertheiiung.
einander wenig übereinstimmenden Momenten ergibt sich ein ganz einfacher
und natürlicher Zusammenhang der Erscheinungen, sobald man die angegebene
Analogie mit den Batrachiereiern annimmt. Sind die Elemente der von Oel-
lacher beobachteten Gruppen wirkliche Kernkeime, so brauchen sie sich nicht
einzeln in den Dotterstücken zu vertheilen, um die einfachen Zellenkerne zu
bilden , sondern die ganzen Gruppen verschmelzen eben zu den letzteren 5 als-
dann ist sowohl die auffallende Grössenzuuahme der fertigen einzelnen Kerne
gegenüber den Gruppenelementen, als auch das gekerbte Aussehen der ersteren
als Ausdruck der sich vollziehenden Verschmelzung leicht verständlich und
nach meinen Beobachtungen über die Entwickelung der Eifollikel nicht ohne
unterstützende Analogie. — So glaube ich auch schon aus den unzusammeu-
hängenden Daten über den ganzen Process der Dottertheiiung in den Fisch-
eiern eine Ueberstimmung desselben mit dem gleichen Vorgange bei den Ba-
trachiern herausfinden zu können ; und da die Eier der Teleostier denjenigen
der Plagiostomen, Reptilien und Vögel noch ähnlicher sind als den Batrachier-
eiern und den ihnen nächstverwandten Formen (Eier der Cyklostomen, Gano-
iden), so lässt sich die Analogie mit den genannten Klassen und selbst den
Säugethieren mit grosser Wahrscheinlichkeit voraussehen. *•
Der Unterschied aber, auf welchen die Eintheilung aller Wirbelthiereier
in zwei Gruppen, nämlich in holo- und meroblastische begründet wird, bedarf
hier noch einer kurzen Erwähnung, obgleich seine eigentliche Bedeutung erst
im folgenden Abschnitte behandelt werden kann. Hier erhebt sich nur die
Frage nach den Ursachen, welche den grösseren Abschnitt des Dotters der
meroblastischen Eier (Teleostier, Plagiostomen, Reptilien, Vögel) der Theilung
entziehen, und nach den Grenzen, welche dadurch ihrer Analogie mit den holo-
blastischen Eiern (Cyklostomen, Batrachier, Säuger) gesteckt werden. Ohne
auf die Untersuchungen ausführlich einzugehen, welche ich zu diesem Zwecke
an Hühnereiern anstellte, und deren Mittheilung ich einer besonderen Arbeit
vorbehalte, will ich hier nur kurz die wichtigsten Ergebnisse hervorheben. Man
unterscheidet bekanntlich an den meroblastischen Eiern den eigentlichen
Keim, welcher allein zerklüftet werde, von dem Nahrungsdotter, welcher
* Ich darf hier wohl die Bemerkung hinzufügen, dass ich auch an den Eiern der Asci-
dien als erstes und zwar stark excentrisches Inuengebilde des Dotters nicht einen wirklichen
Kern, sondern eine nicht scharf begrenzte helle Dottermasse antraf, in welcher erst nach
der ersten oder zweiten Theilung ein deutlich begrenztes kernartiges Centrum auftrat.
IL Die Dottertheilung. 109
davon nicht berührt werde. Ich rinde aber nun, dass der unmittelbar unter
dem Keime befindliche Theil des Nahrungsdotters gleichfalls, aber so langsam
und spät an der Zerklüftung und Bildung kernhaltiger Dotterstücke theilnimmt,
dass er durchaus nicht zu dem eigentlichen Keime gerechnet werden könnte.
Während der Zerklüftung des letzteren, wobei um die getheilten Centralgebilde
sich sofort die neuen Dotterstücke absondern, gerathen einige jener kernartigen
Centra oder schon fertigen Kerne in die darunterliegende Schicht des Nah-
rungsdotters, ohne sogleich eine entsprechende Absonderung der sie zunächst
umgebenden Dottermasse hervorzurufen. Erst allmählich und zum Theil nach
der vollständigen Ablösung des Keims vom Nahrungsdotter durch die zwischen-
liegende Keimhöhle vollzieht sich jene Absonderung, deren Produkte die be-
kannten Dotterelemente am Boden der Keimhöhle sind ; und es ist nicht un-
wahrscheinlich, dass einige jener freien Kerne die betreffende Anpassung der
umgebenden Dottermasse überhaupt gar nicht herbeiführen, also wirkungslos
zu Grunde gehen. Die Entstehung dieser eigentümlichen Dotterelemente.,
deren Bedeutung ich erst später erörtern kann , lehrt aber deutlich , dass der
Dottertheilungsprocess am Keime keine scharfe Grenze findet, sondern in seinen
fundamentalen Vorgängen allmählich in den Nahrungsdotter ausläuft, dass also
sein sichtbares Ergebniss gleichsam stufenweise abnimmt. Dies weist uns aber
bereits auf das Batrachierei hin, an welchem wir ebenfalls die eigentliche Thei-
lung , wenigstens in ihren ersten Akten, nur allmählich und langsam in die un-
tere Eihälfte fortschreiten sehen ; denkt man sich bei einer relativ ausserordent-
lichen Ausdehnung dieser Hälfte den Fortschritt der abwärts ziehenden Spal-
ten endlich vollständig sistirt, so dass nur noch die oberen Abschnitte der
betreffenden Dottermassen an der weiteren Zerklüftung theilnehmen, so hat
man dasVerhältniss der meroblastischen Eier, wie ich es besonders amHühner-
eie, aber auch am Forelleneie verfolgte. — Durch diese Vorstellung wird man
auch gleich auf die Ursachen der Abweichung aufmerksam: die relativ grosse
Ausdehnung der Dottermasse unter dem ersten Theilungscentrum, welches
ganz peripherisch im eigentlichen Keime liegt, also die ausserordentliche Länge
der betreffenden Diö'usionsradien macht die Ausbildung von in ihnen verlaufen-
den zweiseitigen Diffusionströmen, bevor die Diffusionssysteme in den oberen
Dotterabschnitten sich bereits anderweitig verschieben, unmöglich, setzt, sie
ausser Wirksamkeit, sodass jene ihre Thätigkeit allein fortsetzen. Was also
bei den Batrachierei ern nur während der ersten Theilungsakte stattfand, der
Ausschluss der unteren Diffusionsströme, wodurch allein die Excentricität des
1]2 In- Die Bildung der Keimblätter.
vom Keimbläschen zurückgelassene Höhle sich zn der bezeichneten, während
der Embryonalentwickelung sichtbaren umwandle. Sie dehne sich bedeutend
aus, beginne dann „sich regelmässig zu gestalten, indem die einzelnen Dotter-
massen wie die Steine eines Gewölbes sich an einander lagern", und sehe endlich
aus „wie die gut abgerundete Höhle eines Backofens" (No. 14 S. 492. 495).
Ueber die weiteren Schicksale dieser Höhle gibt aber v. Baer keinen Aufschluss.
— Was die einzelnen Theile des Eies betrifft, so erklärt v. Baer den dunklen,
ziemlich dicken Ueberzug für den lebendigen Keim , welcher allmählich den
übrigen hellen Dotter überzieht und sich dabei von ihm absondert, und zwar
nicht nur äusserlich durch die von Rusconi zuerst beschriebene halbmondför-
mige Furche, sondern auch innerlich (No. 8 II S. 284. No. 14 S. 497). „Man
unterscheidet deutlich in der Dottermasse, die über der innern Höhle liegt, eine
obere Schicht, aus dunklerer Masse bestehend, von einer unteren. Jene ist der
Keim , wie die weitere Ausbildung zum Embryo lehrt. Ja ich glaubte in dem
Keime selbst allmählich wieder zwei Schichten zu erkennen, von denen die un-
tere grössere Elementarmassen hat, als die obere, sodass ich an die beiden
Schichten im Keime der Vögel und anderer Lungenthiere erinnert wurde, die
animale und die vegetative" (No. 14 S. 497). Jene helle Stelle, welche Du-
trochet für den After hält, sei dies ganz gewiss nicht, sondern „wohl ganz
einfach für eine langsam sich überdeckende Stelle der Dotterkugel zu halten,
die, wie ich glaube, dadurch veranlasst wird, dass der Keim, dessen Rand nicht
ohne einige Dicke ist, die Dottermasse vor sich herschiebt. Wenigstens sieht
man diese in Durchschnitten wie einen Pfropf vorragen" (No. 8 II S. 285). Da
die vegetative Schicht später einen Sack bilde, dessen erweiterte Mitte den Vor-
rath von unaufgelöstem Dotter bewahrt, so vertritt dieselbe nach v. Baer „die
Stelle des Dottersackes, verdient aber diesen Namen nicht ganz, da sich hier
nie ein Darmnabel bildet" (S. 294). Diese innere Dottermasse hält v. Baer
offenbar für die erste Nahrung des Embryo (S. 289).
Ueber die innere Höhle der Dotterkugel lässt sich Rusconi folgender-
massen aus (No. IG S. 217). Wenn die Dotterkugel aus 16 Stücken bestehe,
„ so bemerkt man unter den 8 Massen der oberen Hemisphäre und in ihrer
Mitte, den Anfang einer länglichen, unregelmässigen Aushöhlung." Rusconi
nimmt an, dass diese Höhlung eine Folge der Trennung sei, welche innerlich
zwischen der grauen Substanz, woraus die 8 oberen Massen beständen, und der
untern weissgelblichen Substanz entsteht, sodass die ersteren gewissermassen
eine Decke der Höhle bildeten. Ist die; Oberfläche des Eies glatt geworden, so
III. Die Bildung der Keimblätter. ] 13
hat die Höhle die Form eines Kreisabschnitts bekommen (No. 16 S. 218). „Ich
füge noch hinzu, dass um diese Zeit, wie ich in meiner Entwicklungsgeschichte
des Frosches bemerkt habe, die braune Lage des Dotters sich allmählich über
die weisse Hemisphäre ausdehnt, indess eine gebogene Furche, die erste An-
deutung des Afters, entsteht." Ferner finde man, „dass im Innern die graue Sub-
stanz, die anfangs auf die obere Hemisphäre beschränkt war, sich auf einer
Seite des Dotters bis zu jener Furche oder dem After ausgedehnt hat und dass
die halbmondförmige Höhle dieser Bewegung der grauen Substanz gefolgt ist,
sodass sie nicht mehr im oberen Theile ist, sondern zur Seite. Ausserdem ist
in der weisslichen Substanz eine weite elliptische Höhle, die von der halbmond-
förmigen mittelst einer dünnen Schicht, oder vielmehr eines Häutchens getrennt
ist." „Indess verengt sich der After und wenn er fast zu einer einfachen Spalte
reducirt ist, ist im Innern des Dotters die elliptische Höhle völlig verschwunden
und die halbmondförmige grösser geworden und anders gestaltet" (No. IG
S. 222. No. 6 S. 11). Der dunkle Ueberzug des Dotters sei die Haut (ebend.
und No. 16 S. 224); aus der grauen Schicht über der halbmondförmigen Höhle
entständen Kopf und Rücken, aus der hellen Substanz der Darm (No. 1 6 S. 222).
Was aus der Höhle werde, ist in keiner Schrift Rusconi's angegeben ; jedenfalls
konnte er sie mit der Nahrungshöhle nicht in Verbindung bringen , da diese
seiner Ansicht nach eine spätere Neubildung ist.
Reichert hat uns seine Auffassung über den allgemeinen Entwickelungs-
gang des Batrachiereies in seinem embryologischen Hauptwerke (No. 22 Taf. IV
Fig. 1 — 7) und in seinen Beiträgen (No. 2S) ganz bestimmt auseinandergesetzt. Im
befruchteten Froschdotter unterscheidet Reichert zweierlei Zellen ; im Innern
liegen noch kernlose Mutterzellen, welche nach dem bekannten Reichert-
schen Schema die junge Brut erzeugen , weiter gegen die Peripherie schon vor-
gerücktere Entwickelungsstufen dieses Zellenbildungsprocesses, im Keimhügel
endlich, dem Ausgangspunkte der Embryonalentwickelung, häufen sich die
kleinsten Zellen an, welche unmittelbar in die Zusammensetzung der Anlagen
eingehen sollen (No. 22 S. 5 — 8). „ Diese Entwickelung währt nun durch die
ganze Zeit fort, so lange der Dotter noch besteht. Wo Bildungen des Embryo
auftreten sollen, da werden prädisponirte, kleinere Dotterzellen dazu gebraucht,
und aus der Mitte kommt neuer Ersatz" (S. 8). Reichert verwirft für die
Entwickelung der Frösche entschieden die Annahme von Keimblättern; die An-
lagen der Organe und Gewebe gingen am Orte ihrer ersten Erscheinung einzeln
und unmittelbar aus dem Dotter hervor. Da derselbe zu diesen Bildungen
Gof.tte, Entwickelungsgesehichte. S
114 III. Die Bildung der Keimblätter.
ganz aufgebraucht wird, so kann die von Reichert für andere Wirbelthier-
eier aufgestellte Unterscheidung von Bildungs- und Nahrungsdotter beim
Frosche nicht Platz greifen. „Jede Zelle führt das Nahrungsmaterial als In-
halt in den beschriebenen kleinen Kügelchen der Dotterzellen (Dottertäf eichen
und -körner) mit sich. Auf Kosten dieses Inhalts wird das Wachsthum und
die Erweiterung der einmal gegebenen Anlagen des Embryo unterhalten"
(No. 22 S. 19, No. 28 S. 23. 25). Die erste Bildung des Dotters ist die Her-
stellung einer Umhüllungshaut, einer vergänglichen Schutzhülle, welche als
pigmentirte Zellenschicht vom Keimhügel aus den ganzen übrigen Dotter über-
ziehe; ihre Zellen „grenzen sich durch Aneinanderlagerung polyedrisch ab "
und enthalten Kerne mit 2—3 Kernkörperchen (No.22 S. 10 - 12. No.28 S. 119.
120). Innerhalb dieser Umhüllungshaut bildet der übrige Dotter noch eine
solide Masse (No. 22 S. 20), welche aber nach der Ausbildung ihrer Elemente
in den scheibenförmigen Keimhügel (vgl. No. 22 S. 6) und die centrale Dotter-
masse zerfällt.* Von dem Keimhügel hebe sich alsdann successiv und in durch-
aus isolirten Anlagen ab: 1. das Centralnervensystem , 2. dicht unter seiner
Axe die Chorda dorsalis , 3. zu beiden Seiten der letztern das Wirbelsystem,
4. zu beiden Seiten aller dieser Anlagen , wie ein flaches Dach sich über ihre
Ränder emporschiebend das Hautsystem (No. 22 S. 12 — 15). Nach diesen Bil-
dungen bleibt vom Keimbügel nur noch eine dünne Schicht nach, welche sich
indess vom centralen Dotter abgehoben hat, wodurch zwischen beiden Theilen
eine Lücke entstehe •, diese erhält sich aber nur in der Kopfgegend als Mund-
höhle, schwindet aber im ganzen Rumpfe, sodass jene Keimhügelschicht im
Kopfe die Mundhöhle auskleidet, weiterhin aber in unmittelbarem Zusammen-
hange mit dieser Auskleidung die äussere Darmhaut bildet (No. 22 S. 20. 35).
An der Innenseite der letzteren entsteht in besonderer Anlage das Cylinder-
epithel, von Reichest früher Schleimhautanlage genannt (No. 28 S. 122); die
übrigen Organe entwickeln sich in isolirten Anlagen aus dem Reste des
Dotters.
Nach Vogt ist die Herstellung der Embryonalanlagen eine sehr einfache.
Die ersten Zellen, welche um den oberen Pol entstehen, bilden eine Scheibe,
* In den Figuren 2 und 3 Taf. IV gibt Reichert eine Rindenschicht der centralen
Dottermasse an, welche als eine Fortsetung des Keimhügels erscheint; aber bereits in Fig. 4
ist dieselbe verschwunden und im Texte habe ich vergeblich nach einer Aufklärung dieses
Thatbestandes gesucht.
III. Die Bildung der Keimblätter. H5
welche bei ihrer Ausbreitung gegen den ungefurchten Pol einen wulstigen Rand
bekommt ; dieser zieht sich nach unten immer mehr zusammen und schliesst
sich endlich vollständig. Dadurch ist eine Rindenschicht des Dotters gegen-
über seinem Kerne entstanden , welche beiden Theile locker mit einander zu-
sammenhängen (No. 26 S. 26. 27). Jene Rindenschicht, deren Zellen durch die
Keimflecke erzeugt werden, ist die eigentliche Embryonalanlage, in welcher alle
Organe nicht in vorher abgegrenzten Blättern , sondern in einer gemeinsamen
Anlage sich allmählich differenziren (S. 33. 38). Der Dotterkern dagegen ist das
„selbstständige vegetirende Nahrungsmittel" des Embryo, indem seine Zellen
sich auflösen, und aus diesem „secundären Cytoblastem" der für die Embryonal-
anlage nöthige Nachschub von neuen Zellen durch freie Bildung entsteht
(S. 39. 40). — Auch Vogt nennt die Dottertäfelchen einen Nahrungsinhalt der
Zellen, welcher allmählich aufgezehrt würde (S. 29).
Als Embryonalanlage betrachtet Cramer gleichfalls die Rindenschicht
von Embryonalzellen, welche am oberen Pole ziemlich dick, gegen den unteren
an Mächtigkeit abnehme und die inneren grossen Dotterkörper einschliesse.
Es sei das Princip der Entwicklung beim Frosche, „dass die Bildung von
Organen und Systemen dadurch vorbereitet wird, dass die dazu dienenden Massen
von grossen Dotterkörpern zu Embryonalzellen zerfallen, während der Rest als
Dotterkörper fortbesteht, bis er auf dieselbe Weise nach und nach verwandt
wird " (No. 34 S. 37). Die Bildung einer isolirten äussersten pigmentirtemZellen-
schicht (Umhüllungshaut) sowie der inneren Höhle beschreibt Cramer gerade
so wie Reichert (S. 38. 41).
Remak hat die von v. Baer nur angedeutete Bildungsgeschichte der Keim-
blätter im befruchteten Froscheie weiter ausgeführt. Nach der Furchung sei
die Furchungshöhle kugelrund oder oval und „gut ausgemauert". „ Der dicke
Boden besteht aus schneeweissen, gegen einander abgeplatteten und leicht aus
ihrer Verbindung sich lösenden Kugeln". „Diese weissen Zellen ziehen sich
über den Aequator hinaus zur gewölbten Decke hinauf, als wollten sie die-
selbe mit bilden helfen. Allein sie verlieren sich alsbald und die Decke wird
durch kleinere graue oder gelbbräunliche Zellen gebildet, die in regelmässigen
Schichten über einander liegen oder doch zu drei bis vier Schichten verbunden
sich von einander lösen." „Sie zerfallen zunächst, und zwar die äussern zu-
erst, in kleinere Zellen, welche bei löfacher Vergrösserung nur eben noch
unterscheidbar sind, und bilden alsdann zwei kleinzellige Lagen, während die
weissen Zellen unterhalb des Aequators in ihrer ursprünglichen Grösse ver-
1 Iß III. Die Bildung der Keimblätter.
harren. Der Erfolg wird lehren, däss jene beiden Lager in der That Keim-
blätter sind, und zwar dem sensoriellen und motorischen Keimblatte der übrigen
Wirbelthiere entsprechen, der Boden der Furchungshöhle dagegen in seinen
Schicksalen mit dem trophischen Blatte übereinkommt." Diese zwei Blätter
breiten sich zunächst abwärts aus, indem die an ihre Ränder anstossenden
grösseren und helleren Zellen der Dotterrinde in kleinere zerfallen und sich
färben. „ Die Veränderung reicht allmählich eine Strecke weit hinab bis zu
dem scharfen abgerundeten Rande des nunmehr sich bildenden RuscoNi'schen
Afters" (No. 40 S. 140). Dieser beginnt mit einer sichelförmigen Rinne, welche
zunächst in eine seichte, blindendigende, platte Höhle führt, „die nach aussen
von einem schirm ähnlichen, platten, äusserlich braunen Fortsatze des Aequatorial-
theiles des Eies, nach innen von der Fortsetzung der untern weissen Fläche
des Eies begrenzt wird. Der platte Fortsatz ist an seinem freien, concaven
Rande nicht zugeschärft, sondern eher ein wenig verdickt, und lässt unter gün-
stigen Verhältnissen sofort drei Schichten unterscheiden, nämlich eine äussere
und eine mittlere graue kleinzellige, welche sich in die beiden Zellenschichten
der Decke der Furchungshöhle fortsetzen, und eine innere weissliche, gross-
zellige, welche ohne Unterbrechung in den grosszelligen Boden der Furchungs-
höhle übergeht. Am freien Rande des Fortsatzes biegen die äussere braune
und innere weisse Schicht in einander um, so dass die mittlere blind endigend
von ihnen umfasst wird. Es ist also auf der Grenze von Decke und Boden der
Furchungshöhle ein platter Schirm hervorgewachsen, welcher, eine Fortsetzung
von beiden enthaltend, an der untern Eifläche hingleitet, ohne mit ihr zu ver-
wachsen." Diese Höhle sei der einseitige Anfang der Nahrungshöhle, welche
also „durch eine Einstülpung von unten her sich bildet, wobei die untere weisse
Fläche des Eies zur innern Fläche der Nahrungshöhle wird." Alsbald erwei-
tere sie sich in doppelter Weise : ,, der platte Fortsatz fährt fort das untere
helle Feld zu umwachsen , und das blinde Ende der Höhle dringt höher auf-
steigend und sich erweiternd in das Innere des Eies vor, mit Beeinträchtigung
des Umfanges der BAER'schen Furchungshöhle, von welcher die RuscoNi'sche
oder Nahrungshöhle alsbald durch eine dünne, beinahe senkrecht dicht neben
der Axe des Eies herabsteigende Scheidewand getrennt erscheint." Inzwischen
habe sich die halbkreisförmige Rinne, der Eingang zur Nahrungshöhle, zu einer
kreisförmigen ergänzt, wobei gegenüber der sich weit ausdehnenden Rusconi-
schen Höhle eine zweite seichte und platte Höhle gebildet wird. ,, Dieser klei-
nere Theil der Nahrungshöhle, den wir Afterhöhle nennen, erweitert sich nicht,
III. Die Bildung der Keimblätter. 117
sondern verbleibt bei seinem ursprünglichen Umfange " (No. 40 S. 142). Die
Furch tmgshöhle schwinde allmählich ganz, wobei ihre Flüssigkeit wahrschein-
lich durch eine kleine Lücke in der Scheidewand in die Nahrungshöhle über-
gehe; darauf schliesst sich auch der Ruscoisri'sche After (S. 143). Remak
meint nun , dass mit der Furchungshöhle auch der obere Pol von dem blinden
Ende der Nahrungshöhle sich zurückziehe und ihm scheint „ der untere weisse
Pol um eben so viel sich zur Begrenzung der in der Erweiterung begriffenen
RuscoNi'schen Höhle in die Höhe zu wälzen, als der obere Pol auf der andern
Seite herabsteigt". Während dieser Vorgänge verändere sich der Schwerpunkt
des Eies, wodurch die äussere dürre Decke der Nahrungshöhle, die Axenplatte,
sich von der Seite aufwärts drehe." So gestaltet sich das bleibende Lagever-
hältniss zwischen Rücken und Bauch, so zwar, dass die Axenplatte, welche bis-
her eine seitliche Stellung hatte, nunmehr in eine beinahe horizontale Lage ein-
zutreten und die obere Wölbung des Eies zu bilden beginnt, während die ge-
genüberliegende weisse Zellenmasse, einer ähnlichen Lageveränderung folgend,
als schwerster Theil des Eies, den Bauchtheil desselben abzugeben fortfährt"
(S. 144). „ In der Rückenwand unterscheidet man mit Leichtigkeit eine Zu-
sammensetzung aus drei Blättern. Das äussere Blatt (das sensorielle) besteht
aus einer dünnen kleinzelligen braunen Aussenschicht und aus einer dicken
weissen Schicht. In der letztern erkeimt man einen radiären Bau, bedingt
durch grosse weisse, schon bei löfacher Vergrösserung unterscheidbare cylin-
drische Zellen von c. lji0 L. Höhe, welche nach Art eines Cylinderepitheliums
senkrecht auf dem mittleren Keimblatte stehen. Diese cylindrischen Zellen
t heilen sich alsbald in kleinere runde, aus denen die Hauptmasse der Medullar-
platte hervorgeht. Das mittlere Blatt (das motorische) haftet innig an dem
äusseren : seine Zellen sind so klein, dass sie bei löfacher Vergrösserung kaum
unterschieden werden, überdies von grauer Farbe, wodurch sich die Grenze des
mittleren und äusseren Blattes kenntlich macht." „Am leichtesten gelingt die
Ablösung des inneren Blattes (des trophischen, Drüsenblattes): dasselbe be-
stellt aus grossen, schon bei löfacher Vergrösserung unterscheidbaren kern-
haltigen Zellen, welche bei Rana temporaria einen grauen Anflug, bei R. escu-
lenta in der Regel eine schneeweisse Farbe haben ". Diese drei Keimblätter
Hessen sich im ganzen Umfange des Eies verfolgen , welches nur aus ihnen be-
stehe, da die grosse innere Masse heller Zellen oder der Drüsenkeim nach sei-
nen Schicksalen bloss ein verdickter Theil des Drüsenblattes sei, mit welchem
letzteren er kontinuirlich zusammenhänge. Die Annahme eines Gegensatzes
Hg III. Die Bildung der Keimblätter.
von Keim und Dotter (d. h. Bildungs- und Nahrungsdotter) sei daher beim Ba-
trachiereie unstatthaft (S. 145. 146).
Stricker hat zwei Abhandlungen über die Entwickelung des Eies der ge-
meinen Kröte veröffentlicht; die jüngere greift auf frühere Bildungsstufen
zurück als die andere und erklärt zum Theil (No. 46 S. 317) die ältere Auffas-
sungsweise Stricker's, welche in Betreff der Embryonalanlage mit der Rei-
CHERT'schen durchaus übereinstimmte (No. 45 S. 472). Hier werde ich da-
her nur die zweite jener Arbeiten Stricker's berücksichtigen, welche wesent-
lich nur die Bildung der Keimblätter behandelt. — Bevor eine Spur des Rusconi-
schen Afters vorhanden ist, besteht die Decke der Furchungshöhle aus einer
noch durchaus ungeordneten Zellenschicht, deren kleine Elemente vier- bis
sechsfach übereinander liegen, — die Hauptschicht (No. 46 S. 316). Darauf
verwandeln sich die unterhalb der Furchungshöhle gelegenen , an jene Haupt-
schicht anstossenden peripherischen Dotterzellen bis zu einer gewissen Grenze
abwärts in eben solche kleine und gefärbte Zellen wie diejenigen der Haupt-
schicht, welche dadurch eine Fortsetzung bis unter den Aequator erhält. Jene
Zellen sollen nun der Rindenschicht Reicherts entsprechen und daher an
einer Stelle unterhalb der Furchungshöhle, wo sie besonders angehäuft sind,
den Keimhügel darstellen (No. 46 S. 317, vgl. auch No. 45 S. 472). Innerhalb
dieser Rindenschicht und des Keimhügels liegt die grosszellige centrale Dotter-
masse, welche am unteren Pole frei zu Tage tritt und oben im Boden der
Furchungshöhle aus relativ kleinen Elementen zusammengesetzt ist (No. 46
S. 316. 318). Die mittelgrossen Zellen dieser obersten Lage bewegen sich nun
über dem Keimhügel oder an der künftigen Rückenseite des Embryo „allmäh-
lig längs der Innenfläche der Decke hinauf und legen sich daselbst innig an."
Diese Anlagerung bleibt auf die eine genannte Seite des Eies beschränkt, hat
also „einen nach oben gekehrten convexen Rand, dessen Enden zum Boden der
Furchungshöhle zurückkehren" (No. 46 S. 317). Dieser Rand „strebt immer
höher hinauf, überschreitet den Pol, steigt auf der anderen Deckenhälfte nach
abwärts und erreicht endlich nahe am unteren Rande der letzteren die auch
hier zu geringer Höhe herangestrebten oberflächlichen Zellen des Bodens"
(No. 46 S. 319). Diese ganze Bewegung beruhe nicht auf einem Vorrücken
der ganzen Schicht; die einmal an die Decke angelagerten Zellen verlassen den
eingenommenen Platz nicht mehr (S. 320), der Nachschub gelange aber längs
des Randes vom Boden der Höhle zu ihrer Decke hinauf (S. 322). Wenn diese
Anlagerung eben begonnen hat, entsteht an derselben Seite des Eies die Rus-
III. Die Bildung der Keimblätter. 119
coNi'sche Furche und ihre spaltentormige Fortsetzung ; sie beruhe nicht auf
einer Einstülpung, sondern auf einer Kontinuitätstrennung zwischen dem Keim-
hügel und der centralen Dottermasse. Am Buden der Furchungshöhle ange-
kommen setze sie sich in die beschriebene Anlagerung fort und spalte dieselbe
successiv in zwei Blätter (S. 318). Unterdess wird der RuscoNi'sche After
kreisförmig und umschliesst den Dotterpfropf, welcher zuletzt von der centralen
Dottermasse abreisst (S. 319 — 320) und während der Verwachsung des ersteren
„durch den ausgeübten Druck zum Schwinden gebracht wird" (S. 321). — Aus
dem Keimhügel scheidet sich „eine äusserste einzellige, danu zwei breite mehr-
zellige und dann abermals eine innerste einzellige Lage ab " — Umhüllungs-
haut, Anlage des Centralnervensystems, Wirbelanlage, Drüsenblatt; die Haupt-
schicht erscheint als Fortsetzung der beiden ersteren, das ihr anliegende zwei
Zellen dicke Blatt der Anlagerung, welche von der centralen Dottermasse ab-
stammt, zerfällt entsprechend dem tieferen Theile des Keimhügels in Wirbel-
anlage und Drüsenblatt (S. 321 — 323). Ausserhalb des Rückens erstrecken
sich die zwei ersten Blätter in der Dicke von je einer Zelle über das ganze Ei,
die Umhüllungshaut geht am RuscoNi'schen After in das Drüsenblatt über ;
die dritte Schicht, welche ebendaselbst am stärksten einen nach innen vor-
ragenden Wall um die Oeffnung erzeugt, und am Kopfe sich wieder verdünnt,
geht ausserhalb des Bereichs der Visceralhöhle in die centrale Dottermasse
über (S. 323. 324). Ueber den Zusammenhang der letzteren mit dem Drüsen-
blatte wird nichts angegeben.
Beim Pelobates fuscus soll nach v. Bambecke (No. 63 S. 24 — 30) die Bil-
dung der primitiven Visceralhöhle (Nahrungshöhle) und der Keimblätter fol-
gendermassen vor sich gehen. * Die erste Anlage der Blätter findet sich in
der Decke der v. BAERschen Höhle (Furchungshöhle) ; zu äusserst liegt in ein-
facher Lage die Umhüllungshaut, darunter die sensorielle Schicht, beide aus
kleinen, gefärbten Zellen zusammengesetzt; zuletzt folgt als innere Auskleidung
* In der chronologischen Reihenfolge folgt auf den STEicKER'schen Aufsatz und geht
der v. BAMBECKE'schen Arbeit unmittelbar voraus mein Aufsatz (No. 64). Da er meines
Wissens keine neuen Ansichten, falsche oder richtige, bereits begründet hat, ich daher mei-
ner Pflicht, erkannte Irrthümer zurecht zu stellen, durch die neue Darstellung genügend
nachzukommen glaube, so halte ich es nicht für nöthig, in den historischen Uebersichten
jenen Aufsatz besonders hervorzuheben. Wenn die eine oder andere Ausführung desselben
missverstanden wurde, so hangt dies wahrscheinlich mit dem gar zu knappen Ausdrucke zu-
sammen, sodass ich auch auf eine Widerlegung gewisser Unterstellungen verzichte und statt
dessen die vorliegende Arbeit der Kritik überlasse.
J20 III- Die Bildung der Keimblätter.
der Decke eine Schicht grosser, heller Dotterzellen, ähnlich denen, welche den
Boden der Höhle zusammensetzen (No. 63 S. 24. 27. 2(J). Die Elemente der
zwei braunen Schichten vermehren sich noch fortlaufend durch Theilung, brei-
ten sich dabei nach unten aus, und indem die Umhüllungshaut am schnellsten
wächst, rollt sie sich in der Nähe des unteren Poles nach innen um : so entstehe
der RuscoNische After, und durch vorwiegendes Wachsthum dieser umgeroll-
ten Zellenschicht an einer Seite des Eies die primitive Visceralhöhle. Im Ni-
veau der Furchungshöhle erreicht diese Fortsetzung der Umhüllungshaut die
Auskleidung des Gewölbes und verschmilzt alsdann mit derselben zur dritten
Keimschicht (S. 25. 27), oder dem motorisch genninativen Keimblatte (S. 29).
Das vierte Keimblatt endlich entsteht dadurch, dass eine oder zwei Zellenlagen
von der centralen Dottermasse sich an das dritte Keimblatt anlegen (S. 26. 28) ;
beide, das vierte Keimblatt und jene Dottermasse oder der Drüsenkeim ent-
sprechen zusammen einem Drüsenblatte (S. 30). Die Bedeutung der primitiven
Visceralhöhle anlangend , schliesst sich v. Bambecke durchaus an Remak an
(S. 55 u. flg.).
Der Aufsatz von Dönitz enthält eine getreue Wiederholung der Reichert-
schen Behauptungen über die ersten Embryonalanlagen, ohne dass die Bildung
der letzteren genauer verfolgt wäre. Zunächst werden die ersten Entwicke-
lungsstufen der Keimhöhle für Kunstprodukte (Nr. 67 S. 606—607), die spä-
teren für eine „peripherische Excretionshöhle" erklärt (S. 608). Die Ent-
stehung der Umhüllungshaut, des Haut- und Wirbelsystems und des Darm-
epithels wird auf ebenso viele isolirte Differenzirungsprocesse zurückgeführt
(g# 610—612, 618), wobei weder eigentliche Keimblätter (S. 620) noch Bewe-
gungen der Theile vorkämen (S. 611); daher sei auch die RuscoNi'sche Spalte
ein Kunstprodukt (S. 611—612) und die Darmhöhle entstände „mitten im
weissen Dotter" ohne Kommunikation nach aussen (S. 613).
Golubew beschreibt nur die erste Entstehung der RuscoNi'schen Höhle
(Nahrungshöhle), ohne auf die Sonderung der Keimblätter näher einzugehen. -
Zur Erklärung der Sonderungen und Bewegungen der einzelnen Theile legt er
den grössten Nachdruck auf die verschiedene Energie der Dottertheilung in der
obern und untern Halbkugel und ebenso an der Peripherie und gegen das
Centrum hin. „In der obern Hemisphäre des Eies hat dieser Umstand eine
wichtige Folge, die oberflächlichen Elemente theilen sich hier besonders rasch,
nehmen eine immer grössere Oberfläche in Anspruch und heben sich darum
von den darunter liegenden ab. Auf diese Weise entsteht eine Höhle — die
III. Die Bildung der Keimblätter. 121
v. BAER'sche Höhle." „Mit der Zeit theilen sich die Elemente der Decke jener
Höhle immer weiter, die Decke wächst und hebt sich von dem Boden immer
mehr ab. Der Theilungsvorgang setzt sich endlich auf die seitlich schon un-
terhalb des Bodens liegende Dottermasse fort" (Nr. 68 S. 98. 99). Diese fort-
schreitende Theilung erfolgt zunächst auf einer Seite des Eies (der Rückenseite)
und dabei ergibt sich eine Grenze zwischen den sich verkleinernden peripheri-
schen und den unveränderten hellen Zellen des Centrums; diese natürlich
gleichfalls fortschreitende Grenze wird an Mediandurchschnitten durch Linien
angedeutet, welche von der Stelle, wo Decke und Boden der Furchungshöhle
zusammenstossen, zu stets tieferen Punkten der Peripherie gezogen gedacht
werden. Dieses Vorrücken der Dottertheilung gegen den untern Pol täusche
eine Zeit lang die RuscoNi'sche Spalte als Anfang der RuscoNischen Höhle
und als Eingang in dieselbe vor (S. 97. 99). An dieser Grenze will nun
Golubew bemerkt haben, dass die in der Theilung begriffenen Zellen in der
Richtung jener Grenze oder scheinbaren Spalte, also gegen den Umfang des
Bodens der Furchungshöhle sich ausnehmend strecken (S. 99); dadurch würden
daselbst die Zellen vom Boden in die Höhe gehoben und an die Decke ange-
lagert (S. 100).* Dort aber kommen sie, die bisher an der fortschreitenden
Theilung nicht theilgenommen, unter günstigere Bedingungen: die tiefergele-
genen strecken sich behufs der Theilung und schieben dadurch die höherge-
legenen weiter vor. ** Was an der Rückenseite begann , setzt sich alsbald
auch auf die gegenüberliegende Bauchseite fort, und durch die massige An-
lagerung der Zellen vom Boden an die Decke der Furchungshöhle werde die
letztere zum Schwinden gebracht, ohne dass sie von ihrem ursprünglichen
Platze verdrängt werde (S. 96. 97. 111). Während der besprochenen An-
lagerung wird die frühere Decke der Furchungshöhle dünner, „besonders auf-
fallend von der Zeit an, wo die grossen Elemente schon von allen Seiten an die
Decke angelagert erscheinen".*** „Mit diesem Dünnerwerden der früheren
* Wie damit die Bemerkung Golubew's, „dass diese Anlagerung der Bildung der
RuscoNi'schen Furche ein wenig vorausgeht" (S. 96), zusammenstimmen soll, kann ich
nicht verstehen.
** S. 101 sagt Golubew: „Wir sehen, dass auch in dem Pfropfe die Elemente sich ver-
längern, um später sich zu theilen.'"
*** Golubew verweist dabei auf seine Abbildungen; dieselben widersprechen aber seinen
Worten in der auffallendsten Weise. Denn es ist die genannte Decke der Höhle vor der
Anlagerung (Fg. 1) zwei- bis dreimal dünner dargestellt, als nach vollendeter Anlagerung
(Fg. 2), und die betreffenden Zellen sind zugleich 1 — 10 mal grösser geworden!
1 22 III. Die Bildung der Keimblätter.
Decke geht aber auch ein sehr ausgedehnter Theilungsprocess in den äusseren
Schichten der angelagerten Zellen einher und mit diesen Theilungen halten die
tieferliegenden Elemente wieder nicht Schritt und die oberflächlichen Elemente
(an den neben dem Aequator liegenden Partien der Rückenseite des Eies in
der Regel zwei Schichten) fangen an sich von den tiefer liegenden, relativ
unverändert bleibenden Elementen abzuheben. Es entsteht eine Menge von
Rissen, die sich zu einer länglichen Spalte vereinigen. Und diese ist der An-
fang der RuscoNi'schen Höhle" (S. 100). Der Dotterpfropf wird weder über-
deckt, noch atrophirt er, sondern er schwindet durch fortschreitende Theilung
seiner Elemente, welche den umgebenden braunen Zellen endlich gleich werden.
Dieser Process ergreift zuerst die tiefere Schicht des Pfropfes, sodass von ihm
nur ein weisses Plättchen übrig bleibt, welches aber zuletzt auch verschwindet
(S. 101).
Ich habe während der Untersuchung des Dottertheilungsprocesses die
Keimhöhle ganz unberücksichtigt gelassen und muss ihre allerdings einfache
Bildungsgeschichte jetzt nachholen. Es heisst im allgemeinen , dass sie am
Kreuzungspunkte der drei ersten Spalten entstehe, über die nähern Vorgänge
dabei ist bisher nichts bekannt geworden. Ich glaube nun, dass zum Ver-
ständniss dieser Bildung die von mir bereits mitgetheilte Thatsache wesentlich
beitragen kann, dass die sogenannten Aequatorialtheilungen für alle einzelnen
Dotterstücke sich in ebenso vielen verschiedenen Ebenen vollziehen, welche
radiär nach innen gerichtet, gegen einen gemeinsamen aber mit Bezug auf die
Dotterkugel excentrischen Kreuzungspunkt auslaufen (Taf. II Fig. 26).
Dann stossen die Spitzen aller 16 — 32 Kugelausschnitte zusammen und indem
sie sich durch die Zusammenziehungen der einzelnen Dotterstücke abstumpfen,
entsteht nach oben ein flaches, aus einer einfachen Lage von Dotterstücken
zusammengesetztes Gewölbe, darunter aber eine flache Höhle, deren Boden
durch die abgestumpften Spitzen der untern, grossen und hellen Dotterstücke
gebildet wird (Taf. II Fig. 27). Während der darauf folgenden Dotter-
theilungen verkleinern sich die im Gewölbe oder der Decke der Keimhöhle be-
findlichen Dotterstücke am schnellsten, diejenigen, welche den dicken Boden
der Höhle zusammensetzen, am trägsten, während dort, wo Decke und Boden
III. Die Bildung der Keimblätter. 123
zusammentreffen, Uebergangsformen von dem einen Extreme zum andern sich
linden; dabei glätten sich die anfangs unebenen Wände der Höhle (Taf. II
Fig. 38). Da nun die kleineren Dotterstücke in nächster Folge die morpho-
logischen Grundlagen des Embryo, die Keimblätter bilden, die gröberen da-
gegen daran nicht theilnehmen, sondern auch im Embryo und in der Larve
bis zu ihrem Verbrauche zu andern Zwecken indifferent bleiben, so nenne ich
bloss die aus den ersteren hervorgehenden Formelemente Embryonalzellen,
die andern aber Dotterz eilen. Es ist nun charakteristisch für die Ent-
wickelungsgeschichte der Batrachier und wird bei dem Vergleiche derselben
mit der Bildungsweise anderer Wirbelthierembryonen die volle Berücksich-
tigung finden, dass jene beiden Zellengruppen zu keiner Zeit sich vollständig
von einander trennen, dass an gewissen Stellen eine bestimmte Grenze zwischen
ihnen bis zum Schwinden der Dotterzellen nicht zu finden ist. Bis auf diese
weiter unten näher zu bezeichnenden Stellen entwickelt sich aber eine Schei-
dung jener Zellengruppen noch während der Entwickelung der Embryonal-
anlagen. Zur Zeit der vorgeschrittenen Dottertheilung bilden die Embryonal-
zellen eine halbkugelige Schale, die primäre Keimschicht, welche so über
die kompakte Masse der Dotterzellen* gestülpt und mit ihrem Rande derselben
angefügt erscheint, dass sie den grösseren Theil der Kugelob erfläche, jene Masse
nur den kleineren unteren Theil derselben herstellt (Taf. IL Fig. 28. 2.9). In der
Decke der Keimhöhle sind die Embryonalzellen einander ziemlich gleich, in ihrer
ganzen Dottermasse mehr oder weniger pigmentirt und in 2 — 3 Lagen ange-
ordnet. Im Niveau des Bodens der Keimhöhle schliessen sich an sie die etwas
grösseren und helleren Uebergangsformen an, welche als eine besondere Rand-
zone der primären Keimschicht aufgefasst werden können, da diese Zone von
der Keimhöhle nach unten und aussen sich zuschärfend den ziemlich breiten
Zusammenhang mit der Dotterzellenmasse vermittelt und eine eigenthümliche
Entwickelung erfährt. Sobald die Dottertheilung soweit fortgeschritten ist,
dass die Zellen in der Decke der Keimhöhle etwa 30,« Durchmesser haben und
bereits in mehren Lagen über einander angehäuft sind, verändert sich die
primäre Keimschicht in ihrem früheren gleichartigen Aussehen. Die ober-
flächliche .Lage der Embryonalzellen, in der das Pigment am reichsten abge-
* Ich kann den Ausdruck „Dotterkern" für die Gesaramtkeit der Dotterzelleu, den ich
früher (Nr. 64) gleich meinen Vorgängern gebrauchte, jetzt nicht mehr beibehalten, weil ich
diese Bezeichnung schon einem anderen Gebilde verliehen habe, wo sie mir die passendste
zu sein schien.
124 HI. Die Bildung der Keimblätter.
lagert ist, behält zu jeder Zeit ein festes Gefüge, welches den betreffenden Ele-
menten endlich eine vieleckige Gestalt verleiht, während der Zusammenhang der
tieferen Zellenlagen sich augenscheinlich lockert (Taf. II Fig. 29). Diese beiden
Theile der primären Keimschicht will ich ganz allgemein als deren Deck- und
Grundschicht unterscheiden. Das Centrum der letzteren wird nun allmäh-
lich dünner, während ihre Randzone an Mächtigkeit zunimmt und diese Zunahme
in einer nach innen gegen die Dotterzellenmasse vortretenden Anschwellung
offenbart. Diese ungleiche Entwickelung der Keimschicht schreitet stetig fort
und begründet die Anschauung, dass ein Theil jener tiefer gelegenen locker zu-
sammenhängenden Zellen der Keimschicht aus der Mitte gegen den Rand vor-
rückt und dadurch die Anschwellung bildet. Diese Bewegung und Ansamm-
lung der Embryonalzellen wird dadurch noch deutlicher, dass die der An-
schwellung zunächst liegenden Theile der Dotterzellenmasse im Boden der
Keimhöhle in die Höhe gehoben werden, was natürlich nur auf eine ringförmige
Zusammenschnürung bezogen werden kann. Die Randzone der Keimschicht
lässt sich freilich gegen die Dotterzellenmasse nicht scharf abgrenzen ; wenn
man aber im Auge behält, dass alle Uebergangsformen sehr bald ganz unzwei-
felhaft den übrigen Embryonalzellen sich anpassen und anschliessen, so kann man
darauf hin eine genügend sichere und deutliche Grenzscheide zwischen beiden
Zellengruppen herstellen. So erkennt man denn, dass die anfangs breite und
sowohl nach oben wie nach unten allmählich abfallende Anschwellung der
Keimschicht zugleich mit der fortschreitenden Umwandlung der Uebergangs-
formen sich nach unten zusammenschiebt. Wenn das Maximum der An-
schwellung am Boden der Keimhöhle oder dicht unter demselben sich befindet,
gehen die peripherischen dunkelgefärbten Embryonalzellen noch durch ganz
allmähliche Abänderung in die weissen Dotterzellen der unteren Polgegend
über; wenn aber die Anpassung der Uebergangsformen an die übrigen Embryo-
nalzellen fortgeschritten und dadurch die Abgrenzung gegen die Dotterzellen-
masse bestimmter geworden ist, so liegt jenes Maximum auch schon im Be-
reiche des äussersten Saumes der Keimschicht, sodass die Anschwellung einen
Randwulst bildet, welcher aufwärts allmählich abnimmt, unten aber gegen die
Eioberfläche ziemlich jäh abfällt. Diese ganze Entwickelung des Randwulstes
geht aber nicht gleichmässig im Umkreise des Eies vor sich, sondern von einem
gewissen Zeitpunkte an eilt die eine Seite der andern voraus. Dies lässt sich
auch am unberührten Eie erkennen, indem die Uebergangsformen bei ihrer
Anpassung an die übrigen Embryonalzellen sich entsprechend färben, also die
III. Die Bildung der Keimblätter. 125
Ausbildung des Pigments von der oberen Hemisphäre des Eies zur unteren
gleichfalls asymmetrisch erfolgt, der Uebergang der Färbung auf der einen
Seite breiter, auf der andern jäher erscheint. Dadurch wird es eben möglich,
senkrechte Durchschnitte auszuführen, welche zugleich die träger und die
weiter vorgeschrittene Seite des Eies treffen und daher zwei Stadien des ganzen
Entwickelungsverlaufes in einem Bilde übersehen lassen.
Die fortschreitende Umwandlung noch unentschiedener Elemente in
kleine, mehr oder weniger gefärbte Embryonalzellen findet aber eine
bestimmte Grenze, sowie der Randwulst an einer Seite des Eies sich
gebildet hat. Dort, nämlich ohngefähr an der Grenze des mittlem
und untern Drittheils der Eihöhe, erscheint zwischen den äussersten Ueber-
gangsformen des Randwulstes und den weissen Dotterzellen eine anfangs flache
Furche, welche sich aber alsbald zusammenzieht und in eine wirkliche, wenn
auch noch oberflächliche Kontinuitätstrennung zwischen Dotterzellenmasse und
Randwulst übergeht. Es erklärt sich aus den angeführten Asymmetrien der
Entwicklung, dass jene Furche, welche ich nach ihrem Entdecker die Rusconi'-
sche nenne, einseitig also halbkreisförmig beginnt und sich erst nachträglich
zu einer kreisförmigen vollendet; und da das dunkle Pigment ein ausschliessliches
Attribut der Keimschicht bleibt, so hört es auch an der RuscoNfschen Furche
mit ganz scharfer Grenze auf {Taf. II Fig. 29. 30). Sobald sich dieselbe
spaltförmig vertieft hat, dringt auch das Pigment in dünner Lage in sie
hinein und lässt dadurch die Trennung beider Spaltwände deutlich hervor-
treten. Die Spalte dringt nun immer weiter ins Innere vor, indem sie an der
Innenfläche des Randwulstes hingleitet und denselben vom Dotterkerne trennt;
aber nur an jener Seite des Eies, wo die Spalte zuerst erschien, oder an der
Rückenseite des künftigen Embryo setzt sie sich über den Bereich des Rand-
wulstes hinaus fort, um auch weiter hinauf Embryonal- und Dotterzellen zu
trennen {Taf. II Fig. 31). In ihrem übrigen Umfange macht sie eigentlich
nur den lippenförmigen Saum der Keimschicht frei, welcher bei der darauf erfol-
genden Ausdehnung der letzteren beständig gegen den untern Pol vorrückt. So
muss denn der von ihm umschriebene Kreis, die RuscoNi'sche Oeffnung*,
* Kemak sagt S. 142 seines Hauptwerkes (Nr. 40) : „Der weisse runde Fleck an der
untern Fläche des Eies verdient nunmehr insofern den Namen eines Afters, als er den vor-
läufigen Eingang in das hintere Ende der Nahrungshöhle verschliesst. Offenbar will
Remak in diesem höchst verwirrten Satze ausdrücken, dass die Bezeichnung des hintern
Eingangs in die Nahrungshöhle als After gerechtfertigt sei; wenn aber auch der erste Ein-
126 HI. Die Bildung der Keimblätter.
sich zusammenziehen, also der in ihr eingeschlossene Theil der Dotterzellen-
masse, der Dotterpfropf*, immer mehr zusammengeschnürt , d. h. seine
Masse ins Innere zurückgedrängt werden. Dieses Vorrücken des Randwulstes
ist nun freilich eine Wirkung der eben besprochenen centrifugalen Wanderung
der Embryonalzellen ; aber diese beiden Bewegungen fallen, wie ich gleich näher
erläutern will, nicht ohne weiteres zusammen.
Die Embryonalzellen sammeln sich offenbar desshalb in der Randzone der
primären Keimschicht an, weil ihr Vorrücken in centrifugaler Richtung dort
durch den Widerstand der Dotterzellenmasse eine Verzögerung erfährt. Die
wachsende Verdickung überwindet diesen Widerstand allmählich und zwar na-
türlich in der Richtung seiner geringsten Stärke, wohin die gedrängte Dotter-
zellenmasse am leichtesten ausweichen kann. Dass dies gegen die Keimhöhle
erfolgen muss, springt sogleich in die Augen. Daher erscheint auch ihr Boden
eingeschnürt und zu einem mehr oder weniger deutlichen ringförmigen Walle
erhoben, dessen äusserer Abhang die Keimschicht beinahe berührt; nach unten
nimmt indess die übrige Dotterzellenmasse an Breite wieder zu. Die bestän-
dige Zunahme der Anhäufung in der Randzone ermöglicht aber, nachdem sie
den Widerstand der Dotterzellenmasse wenigstens theilweise überwunden, auch
ein Vorrücken der centrifugal bewegten Zellen , welche dadurch die ganze An-
schwellung gegen den äussersten, ursprünglich zugeschärften Saum der Keim-
schicht verschieben und ihn zum Randwulste umbilden. Der Druck, welchen
die Anschwellung der Randzone auf die Dotterzellenmasse ausübt, wird sich
aber nicht nur mit ihrem Wachsthum steigern, sondern zugleich mit ihr sich
abwärts verschieben, also successiv immer tiefer gelegene Theile der Dotter-
zellenmasse aufwärts drängen. Die Dotterzellen bewegen sich also, wenn auch
langsam, gerade umgekehrt, wie die rascher abwärts wandernden Embryonal-
zellen. Wenn aber zwei Schichten, welche ohne bestimmte Grenze zusammen-
hängen, in entgegengesetzter Richtung an einander hingleiten, oder wenn nur
eine von ihnen sich bewegt, so erfolgt die vermisste Sonderling ; und im Vor-
druck zu Gunsten dieser Ansicht spricht, so gestatten es doch die Rücksichten auf die ent-
sprechenden Verhältnisse in andern Wirhelthiereiern nicht, jene bisher gebräuchliche Be-
nennung auch weiterhin beizubehalten.
* Es wird häufig vom „EcKER'schen Dotterpfropfe" gesprochen, als wenn Ecker das
Verhältniss jenes hellen Dottertheils zu seiner Umgebung zuerst entdeckt oder wenigstens
jene passende Bezeichnung zuerst gebraucht hätte. Wenn man die zu Anfang dieses Ab-
schnitts citirte Beschreibung v. Baer's berücksichtigt, so wird man unzweifelhaft diesem
Forscher die Priorität des glücklichen Vergleichs nicht bestreiten.
III. Die Bildung der Keimblätter. 127
liegenden Falle sieht man sie denn auch von der Spalte zwischen dem Walle
und der Keimschicht aus in die Tiefe vordringen {Taf. II Fig. SO — 83). Je
weiter die primäre Keimschicht sich ausdehnt, desto weiter sondert sie sich zu-
gleich nach innen ab. Es ist aber leicht zu verstehen, dass, wenn der beständig
gesteigerte Druck der im Randwulste sich anhäufenden Zellen nur zum gerin-
geren Theile in einem weiteren Auswachsen der Keimschicht, grösstentheils
vielmehr in der gegen die Keimhöhle aufwärts gerichteten Bewegung der ihm
unterworfenen Zellen zum Ausdrucke kommt, endlich auch der gestaute Strom
der Embryonalzellen selbst einen leichteren Abfluss sucht und ihn in derselben
Richtung findet, wohin schon die von ihm gedrängten Dotterzellen auswichen.
Im Anschlüsse an diese letzteren bewegen sich also die im Randwulste am wei-
testen vorgerückten Embryonalzellen an der Innenseite der primären Keim-
schicht aufwärts und bilden die sekundäre Keim Schicht. Ich habe absicht-
lich den Ausdruck vermieden : der Rand der primären Keimschicht rolle sich
nach innen um, weil man dies nicht bloss bildlich, sondern auch wörtlich auf-
fassen könnte, was aber der Wirklichkeit nicht entspräche. Denn weder voll-
führt der ganze Randwulst eine solche Bewegung, noch auch rücken die durch
ihr Pigment hinreichend kenntlichen Zellen der äussersten Keimschichtenlage
in das Innere vor ; sondern die Rückwärtsbewegung geht ganz offenbar von dem
an der Innenseite des Wulstes angesammelten Ueberflusse von Zellen aus, wo-
für namentlich die darauffolgende Verschmächtigung des Wulstes zeugt. Und
ferner lehrt ein Blick auf die betreffenden Abbildungen, dass die Sonderung der
primären Keimschicht gegen das Innere des Eies und die Anlage der sekun-
dären Schicht nicht zwei auf einander folgende Vorgänge sind , sondern dass
die eine vom obern Pole ausgehende centrifugale Ausbreitung der Embryonal-
zellen in den äusseren Lagen der ursprünglichen Randzone eine Fortsetzung
der primären Keimschicht erzeuge , aber zugleich die inneren Lagen der ange-
häuften Embryonalzellen als sekundäre Keimschicht in die Höhe dränge. Beide
Schichten sind alsbald bis in den äussersten Randwulst hinein geschieden, wo
sie in einander umbiegen. Dieser ganze Vorgang wird zuerst dort deutlich,
wo die RuscoNi'sche Furche ihren Ursprung nimmt, also an der Rückenseite,
und setzt sich von hier aus mit verminderter Energie um das ganze Ei fort.
Da nun die sekundäre Keimschicht aus den gleichen Ursachen, welche die Son-
derung der primären Keimschicht bewirkten , sich von der Dotterzellenmasse
absondern muss und der Beginn ihrer Entwickelung mit der Entstehung der
RuscoNi'schen Furche zusammenfallt, so erhellt, dass die letztere mit ihrer
"[28 III. Die Bildung der Keimblätter.
spaltförmigen Fortsetzung eben nur ein Ausdruck jener Sonderung ist. Und
zwar stimmt es mit der schon erwähnten Ungleichmässigkeit der bisher be-
sprochenen Entwickelungsvorgänge vollständig überein, dass die ausgeprägtere
Form der Sonderung, die wirkliche Trennung, Spaltung, nur dort auftritt,
wo ihre Ursachen , die Zufuhr der centrifugal bewegten Zellen und in Folge
dessen die Ausbildung des Randwulstes am stärksten wirkten , eben an der
Rückenseite ; während an der Bauchseite eine Kontinuitätstrennung zwischen
der Dotterzellenmasse und der sekundären Keimschicht überhaupt nicht ein-
tritt und auch eine scharfe Sonderungsgrenze nur sehr allmählich sich ent-
wickelt (Taf. II Fig. 30 — 33). Kurz — es lassen sich alle bisher betrachteten
Erscheinungen auf eine gemeinsame Grundursache zurückführen, auf die centri-
fugale , aber nach einer Seite überwiegende Verschiebung der Embryonalzellen
der primären Keimschicht.
Bei einer solchen Auffassung erscheint auch die weitere Entwicklung der
sekundären Keimschicht als eine natürliche Folge der geschilderten allgemeinen
Bewegungen. Sie hat gleich nach ihrer ersten Anlage die Form eines breiten
Gürtels, dessen oberer und unterer Rand das Bestreben haben, in einer Kugel-
fläche zu verwachsen. So lange der Randwulst gewissermassen noch über die
Masse der Dotterzellen hingleiten kann, breitet sich die sekundäre Keimschicht
mit der primären verhältnissmässig schnell nach unten aus und scheint nur wenig
in die Höhe zu wachsen. Doch zeugt ein kleiner Wulst von Dotterzellen, welcher
an der Rückenseite des Eies vom äussersten Umfange des Bodens der Keimhöhle
an ihrer Decke oder der primären Keimschicht etwas hinaufsteigt, dass der
obere Rand der sekundären Schicht dort etwas hinaufzurücken begonnen und
jene Dotterzellen vor sich her geschoben hat {Taf. II Fig. 30). Sobald nun
der Randwulst sich soweit nach unten zusammengezogen hat, dass er einen voll-
ständigen Dotterpfropf umschliesst, wird er durch den Widerstand des letzteren,
der. nur sehr langsam sich ins Innere zurückdrängen lässt, in seinem Vorrücken
merklich aufgehalten. In Folge dessen muss dann aber auch das Wachs-
thum der sekundären Keimschicht, deren unterer Rand fortan ganz allmählich
mit der ganzen RuscoNi'schen Oeffnung verwächst, sich vorherrschend am
oberen Rande äussern und dadurch die früheren Lagerungsverhältnisse ver-
ändern. Diese Ausbreitung der sekundären Keimschicht gegen den oberen Pol
hin wird aber gemäss der schon erörterten Ungleichmässigkeit ihrer Ursachen
an der Rückenseite des Eies am schnellsten, an dessen Bauchseite in viel
geringerem Grade erfolgen; dosshalb erhebt sie auch zuerst mit ihrem dorsalen
III. Die Bildung der Keimblätter. 129
Abschnitte einen Wulst von Dotterzellen über das Niveau des Keimhöhlen-
bodens. Da nun die Entstehung der gleichfalls dorsal gelegenen RuscoNischen
Spalte als der inneren Grenze der sekundären Keimschicht ebenso wenig wie
deren Sonderung überhaupt als ein selbstständiger Vorgang, sondern nur als
eine unmittelbare Folge, eine Begleiterscheinung der Bewegung der Embryonal-
zellen zu betrachten ist, so geht auch ihre weitere Ausbildung zur embryonalen
Darmhöhle mit der Entwickelung der sekundären Keimschicht Hand in
Hand. Bis zu der zuletzt beschriebenen Entwicklungsstufe erstreckt sich
die RuscoNi'sche Spalte so weit nach oben, dass die sekundäre Keimschicht
von der Dotterzellenmasse vollständig getrennt wird und nur mittelbar durch
jenen Wulst, in den sie kontinuirlich übergeht, mit ihr zusammenhängt. Jener
Wulst wird nun in der einmal eingeschlagenen Richtung längs der Decke der
Keimhöhle oder der primären Keimschicht von der sekundären Keimschicht fort-
geschoben •, dabei trennt er sich aber nicht etwa von der übrigen Dotterzellen_
müsse, sondern bleibt mit derselben durch eine membranartige 1 — 2 fache Lage
von Dotterzellen in Zusammenhang, welche zwischen dem Wulste und seiner
Ursprungsstelle am Boden der Keimhöhle sich ausspannt und die sich all-
mählich ausdehnende RuscoNi'sche Spalte von der Keimhöhle trennt {Taf. II
Fiy. 31 33). Der an der Decke hingleitende Wulst zieht diese Membran
nach sich, bedeckt damit allmählich den ursprünglichen Boden der Keimhöhle
und bringt so auch diese zum Schwunde. In dem Masse aber, als diese vor-
her einzige Höhle des Eies abnimmt, entwickelt sich auf der anderen Seite der
Membran eine neue, indem die Spalte sich von ihrem blinden Ende an auf-
bläht; bis endlich, wenn der sich bewegende Theil des früheren Keimhöhlen-
bodens mit dem relativ ruhenden der gegenüberliegenden Seite zusammenrloss,
wieder nur eine Höhle im Eie existirt, eben die Darmhöhle. Dieser ganze
Process geht, wie gesagt, von der Rückenseite des Eies aus, während an der
Bauchseite bis zum vollen Schwunde der Keimhöhle höchstens eine wulstför-
mige Erhebung des Randes vom Keimhöhlenboden, also nur eine schwache
Ausbreitung der sekundären Keimschicht erkennbar ist. An beiden Seiten fällt
jene Scheidewand beider Höhlen in schräger Linie zum Niveau des Keimhöhlen-
bodens ab, sodass also auch der Dotterzellenwulst an ihrem Rande ebenso
niedersteigt, um in jene unbedeutende centrale Erhebung des Keimhöhlen-
bodens auszulaufen. Während des Wachsthums der sekundären Keimschicht
ist also die Dotterzellenmasse mit einer gewissen Zone, eben jenem ringför-
migen Wulste, dem ebenfalls kreisförmigen Rande der sekundären Keimschicht
Goette, Entwickelungsgeschichte. "
130 HI- ^ie Bildung der Keimblätter.
angefügt, in dessen Oeffnung gleichsam eingeschaltet. Da aber die stetige Zu-
sammenziehung des letzteren jenen Wulst nur vor sich her in immer engere
Kreise zusammenschiebt, so ist es, wenn man die von mir angeführte mecha-
nische Erklärung der ersten Sonderungen im Eie annimmt, natürlich, dass der
ursprüngliche Mangel einer deutlichen Grenze zwischen beiden kontinuirlich
zusammenhängenden Theilen zunächst bestehen bleibt: es fehlt, um es so zu
sagen, die Reibung zwischen ihnen. Doch treten die Bedingungen ihrer voll-
ständigen Sonderung nach dem gänzlichen Schwunde der Keimhöhle ein. Als-
dann ist nämlich der ringförmige Dotterzellenwulst wieder zu einer kompakten
Masse verschmolzen, welche, ähnlich wie der Dotterpfropf in der RuscoNi'schen
Oeffnung, in die kreisförmige Oeffnung des Randes der sekundären Keimschicht
eingezwängt durch dessen weitere Zusammenziehung nicht mehr sich einfach
vorwärts schieben lässt. Die fortdauernde Wachsthumsbewegung jenes Randes
wird ihn daher natürlich an der entgegenstehenden Dotterzellenmasse vorüber-
gleiten, zwischen dieser und der primären Keimschicht vordringen lassen, wo-
durch eben die Sonderung und zugleich die kugelförmige Verwachsung der
sekundären Keimschicht herbeigeführt wird (Taf. II Fig. 34). Wäre nun die-
ser Vorgang so einfach und so vollständig, wie ich ihn eben im allgemeinen ge-
schildert, so müsste dadurch die sekundäre Keimschicht gerade so wie die pri-
märe in eine vollständig kontinuirliche Hohlkugel verwandelt und die ganze
Dotterzellenmasse von derselben vollkommen getrennt werden; beide Keim-
schichten bildeten dann als die ausschliessliche Grundlage aller morphologi-
schen Anlagen des Embryo den eigentlichen Keim in Form einer doppel wan-
digen Blase (Keimblase), in welcher die Dotterzellenmasse als besonderer
Eitheil eingeschlossen wäre. Im Grunde genommen lässt sich diese Auffassung
auch ganz wohl aufrecht halten , trotzdem dass eine scheinbar nicht unbedeu-
tende Abweichung das einfache Bild beeinträchtigt. Soweit nämlich die sekun-
däre Keimschicht ventralwärts der Dotterzellenmasse, obgleich von ihr geson-
dert, unmittelbar anliegt, löst sich auch ihr ganzer Rand von derselben ab
(Taf. II Fig. 33. 34) ; dorsalwärts ist sie aber von ihr durch die embryonale Darm-
höhle getrennt, und im Bereiche der letzteren sondert sich nun in dem Masse,
als ihre Entwickelung vorrückt, die sie auskleidende Zellenlage der sekundären
Keimschicht in einem festen Gefüge von deren übrigen mehr locker zusammen-
hängenden Embryonalzellen ab, um mit der Dotterzellenmasse theils in der
früheren Verbindung zu bleiben, theils in eine neue einzutreten (Taf. III
Fig. 55). Ersteres geschieht eben am dorsalen Abschnitte des sich zusam-
III Die Bildung der Keimblätter. X31
menziehenden Randes der Keimschicht, sodass also die bezeichnete Zellenlage
oder das Darmblatt sich dort von der Dotterzellenmasse nicht ablöst, sondern
mit ihr in kontinuirlichem Zusammenhange bleibt {Taf. II Fig. 30 — 34) ;
das Zweite sehen wir längs der beiden Seiten der Darmhöhle sich vollziehen,
wo die sekundäre Keimschicht als die unmittelbare Decke dieser Höhle mit
deren Boden oder der Dotterzellenmasse in Berührung tritt, und wo die Ränder
des nur bis dorthin abgesonderten Darmblattes mit jener Masse zu einem voll-
kommen kontinuirlichen Zusammenhange verschmelzen [Taf. III Fig. 55 — 57).
Zur Erklärung dieser merkwürdigen Erscheinung Hesse sich vielleicht anführen,
dass , da die Bildung des Darmblattes offenbar mit der Entwicklung der freien
Oberfläche der Keimschicht zusammenhängt, es auch nur in den Grenzen
dieser Oberfläche sich ausdehnt , wie denn auch andererseits sein hautartiges
Gefüge es von der Betheiligung an den Bewegungen der tieferen lockeren
Schichten ausschliesst. Dann ist es verständlich, dass es nach dem Schwunde
der Keimhöhle am blindsackähnlichen Ende der embryonalen Darmhöhle nicht
weiter wächst, und auch an deren Seiten gegenüber den beständig und sehr
bald gerade dorsalwärts sich verschiebenden tieferen Zellenlagen zu einem
relativen Stillstande kommt. Dadurch passt sich aber das Darmblatt durchaus der
an seine Ränder anstossenden gleichfalls passiven Dotterzellenmasse an, und da
die Berührung beider Theile nicht gestört wird, so tritt eben zuletzt ihre Ver-
schmelzung ein, wodurch sie morphologisch und histologisch als ein Ganzes
erscheinen, ohne durch ihre Entwickelung zu dieser Auffassung zu berechtigen.
Die untergeordnete Bedeutung dieser Erscheinung scheint sich mir auch daraus
zu ergeben, dass das Darmblatt innerhalb der RuscoNi'schen Oeffnung mit der
äusseren Deckschicht in einen eben solchen kontinuirlichen Zusammenhang wie
mit der Dotterzellenmasse tritt, während der Mangel eines morphologisch-gene-
tischen Zusammenhangs beider Zellenlagen aus der früheren Beschreibung ge-
nügend erhellt {Taf. II Fig. 31 und flg.; Taf. IV Fig. 70. 78). Endlich muss
ich noch erwähnen, dass jene auf den ersten Blick so bestechende eigenthümliche
Verbindung des Darmblattes mit der Dotterzellenmasse nur eine zeitweilige ist,
indem später während des Verbrauchs der letzteren das Darmblatt zu einem
sie einschliessenden Sacke auswächst, also die Blasenform der sekundären Keim-
schicht, welche durch die Absonderung des Darmblattes gestört erschien,
wenngleich erst spät vervollständigt.
Mit dem Erscheinen des Darmblattes ist die Bildung der embryonalen
Grundlagen, nämlich der Keimblätter und damit wieder ein natürlicher Ab-
l;>2 III. Die Bildung der Keimblatter.
schnitt der Entwickelungsgeschichte abgeschlossen. Freilich werden , schon
ehe die Keimhöhle verschwindet, im Rückentheile des Embryo die wichtigsten
morphologischen Umbildungen eingeleitet-, doch fallen die ersten kenntlichen
Resultate derselben in die folgende Periode, sodass ein Rückblick an dieser
Stelle nur das Erscheinen der Keimblätter berücksichtigen soll.
Was schon die Färbung in den Eiern der meisten einheimischen Batrachier
andeutet, nämlich eine Zweitheilung des Dotters, vollzieht sich während der
ersten Entwickelungsvorgänge recht deutlich. Der aufwärts gerichtete dunklere
Kugelabschnitt theilt sich schneller als der untere, hellere und wird von dem-
selben im Innern durch die Keimhöhle vollständig getrennt. Dabei gewinnt
dieser Theil, welcher als Komplex aller Embryonal/eilen die Bedeutimg eines
Keimes im engeren Sinne hat, die Form einer Kappe, welche mit ihrem dicken
Rande derDotterzellenmasse zuerst nur aufsitzt, allmählich aber dieselbe ganz
umwuchst. Von jenem Randwulste der Kappe oder primären Keimschicht
breitet sich an deren Innenfläche die sekundäre Keimschicht aus, sodass man,
wenn die RuscoNi'sche Oeffnung verwachsen ist, den Keim sich als doppelwan-
dige Blase vorstellen kann, in welcher die Dotterzellenmasse, mit einem Theile
der Innenwand verwachsen, eingeschlossen ist [Taf. IL Fig. 33 — 35). Im
Rückentheile, welcher die Darmhöhle nach aussen überdeckt, trifft man also
zu äusserst die primäre Keimschicht — oberes Keimblatt, Sinnesblatt;
nach innen davon ist die sekundäre Keimschicht zerfallen in das mittlere
Keimblatt und das untere oder das Darmblatt. (Taf . III Fig. 57 .öS). Wäh-
rend das Sinnesblatt und das mittlere Keimblatt schon sehr frühe über die
ganze Dotterzellenmasse ausgebreitet sind , reicht das Darmblatt zunächst nur
bis zu derselben und wächst späterhin ohngefähr in dem Masse auch nach unten
zusammen, als jene schwindet. — Ueber die Mächtigkeit und besondere Be
schaffenheit der einzelnen Blätter werde ich in den Beschreibungen ihrer ein
zelncn Leistungen reden. In Betreff des Dotterpfropfs bemerke ich, dass, wenn
auch vielleicht in selteneren Fällen ein kleiner äusserer Theil desselben bei
sonst normaler Entwickelung abgeschnürt wird, ich jedenfalls bei keinem der
von mir untersuchten Batrachier (Rana, Bufo, Bombinato.r, Triton) dies zu beob-
achten Gelegenheit hatte. Vielmehr vollzog sich der von mir beobachtete
Schluss der RuscoNi'schen Oeffnung stets in folgender Weise. Sie verengte
sich vorherrschend von beiden Seiten her, sodass sie spaltartig wurde und ihr
Längsdurchmesser in der Medianebene des sich entwickelnden Embryonalkör-
pers lag; dabei stiessen die seitlichen Randwülste zuerst mit ihren äussern
III. Die Bildung der Keimblätter. 133
Säumen und dann mit ihren inneren Flächen zusammen, während der Dotter-
pfropf dieser Bewegung entsprechend sich ins Innere zurückzog und endlich an
der Dotterzellenmasse ganz verstrich (Taf. IV. Fiy. 70).
Es ist bemerkenswerth, dass bereits Rusconi und v. Baer je einer beson-
dern Grandanschauung über die Embryonalanlage folgten, welche später auch
ihre Nachfolger in zwei Lager schied. Rusconi sieht nämlich wiePiiEvosT und
Dumas die morphologische Grundlage des Embryo in dem ganzen Dotter, dessen
Centralmasse insbesondere sich in den Darm umwandle; und ferner lä-ugnet
Rusconi offenbar die Existenz der Keimblätter, indem seiner Ansicht nach die
Dotterkörner unmittelbar in die verschiedenen Anlagen sich verwandeln (Nr. HO
S. 94. 97, Nr. 16 S. 222). v. Baer, welcher mit der Entwickelungsgeschichte
der Batrachier sich viel weniger beschäftigte als Rusconi, stellte doch im Gegen-
satze zu diesem die Sätze auf: 1. dass das Froschei ebenso wie die Eier der
anderen Wirbelthiere in Keim und Dotter, d. h. in eine morphologische Grund-
lage des Embryo und eine dieselbe ernährende Substanz zerfalle, 2. dass jener
Keim oder die eigentliche Embryonalanlage sich in Keimblätter spalte. Ich
habe bereits in einem früheren Aufsatze gezeigt, ,,dass der Dotterkern des Bom-
binator igneus zum Theil wenigstens einen wahren Nahrungsdotter vorstellt"
(Nr. 64 S. 113. 114); in der vorliegenden Arbeit werde ich nachweisen, dass
die Dotterzellenmasse des Batrachiereies dem sogenannten Nahrungsdotter an-
derer Wirbelthiere durchaus und vollständig entspricht, dass also Rusconi's
gegentheilige Ansicht der Begründung entbehrt. Andererseits erscheint es
gegenüber einer neuesten Arbeit (Dönitz) nicht überflüssig, recht nachdrück-
lich zu betonen, dass der Ausdruck „Blätter" für die Embryonalanlagen den
Erscheinungen nicht „möglichst wenig", sondern auf das Beste und Vollstän-
digste entspricht (vgl. Nr. 67 S. 620). Kurz — v. Baer hatte in jenen beiden
Behauptungen, welche nicht so sehr einer genauen Kenntniss der Entwickelung
der Batrachier, als vielmehr seinen umfassenden Studien über die Entwickelung
der Wirbelthiere überhaupt entsprangen, vollkommen Recht gegenüber den
entgegengesetzten Lehren Rusconi's, welche derselbe auch noch in seinem letzten
Werke mit grösstem Eifer vertheidigte. — Rusconi's unbedingte Anhänger in
der bezeichneten Richtung, auf deren Irrthümer ich daher nicht weiter eingehen
will, sind Reichert, Cramer, Dönitz; Remak, Stricker und v. Bambecke
134 III. Die Bildung der Keimblätter
ö
folgen Rusconi darin, dass sie die Annahme eines Nahrungsdotters für die
Batrachier verwerfen, während sie dagegen nach dem Vorgange v. Baees und
J. Muellers die Keimblätter gelten lassen. Vogt endlich nimmt eine eigen-
thümlich vermittelnde Stellung ein. Das, was er Nahrungsdotter nennt, ist
vielmehr eine Werkstätte zur Bildung stets neuen Zellenmaterials für die sich
entwickelnden Organe. Wenn er aber durch diese Auffassung an Reichert
erinnert, so verwahrt er sich dennoch ganz entschieden gegen einen solchen
Vergleich. Die Organe gingen ebenso wenig unmittelbar aus dem Dotter her-
vor, als andererseits wirkliche Blätter existirten. Dagegen liesse sich eine
schichtenweise Anordnung der von innen her gelieferten Zellen nicht läugnen
(Nr. 26 S. 62. 65). Nicht weniger gegenüber diesen schwankenden Angaben
als den entschiedenen Abweichungen von der Lehre v. Baers wird es meine
Aufgabe sein, dieselbe ausführlicher, als es in meinem Aufsatze geschah, zu
bestätigen. Doch kann das Verhalten der Dotterzellenmasse erst später näher
beleuchtet werden, hier aber zunächst nur eine Besprechung der Keimblätter
stattfinden.
Ueber die Blätter des Batrachierkeims hat sich v. Baer nicht eingehend
ausgelassen, sondern nur ganz allgemein von zwei Schichten gesprochen. Wenn
ich aber auf seine Bemerkung Rücksicht nehme, dass er die allgemeinen Um-
bildungen der Keimblätter, welche er zunächst und hauptsächlich am Hühner-
embryo erforschte, auch „am Frosche vollständig verfolgt" habe (Nr. 8.1 S. 164),
so darf ich wohl seine bezüglichen Anschauungen hier aufführen, wobei ich zu-
nächst weniger den schematischen Darstellungen, welche häufig ganz allein
berücksichtigt werden, als den mitgetheilten Befunden folge (vgl. Nr. 8. 1 S. 20.
II S. 67. 68). An der oberen und an der unteren Fläche des Keimes ent-
wickeln sich allmählich zwei Schichten, zwischen denen eine indifferente Masse
liege. Während jene zur Hautschicht und zur Schleimhautschicht sich aus-
bilden, hänge die innere Masse „zum Theil mehr an der unteren Schicht, zum
Theil mehr an der oberen an", woraus die Gefässschicht dort, hier die Fleisch-
schicht hervorgehe. Die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit, dass diese
beiden Schichten einen gemeinsamen Ursprung in jener mittleren Masse hätten,
wird ganz ausdrücklich hervorgehoben (Nr. 8. I S. 20. 41), sowie die Haut-
schicht ganz richtig als die gemeinsame Grundlage für die Haut und den Cen-
traltheil des Nervensystems gedeutet und der Name „sensible Schicht" nur aus
formellen Gründen vermieden wird (Nr. 8. II S. 68 Anm. 3). Wenn aber nach
IIF. Die Bildung der Keimblätter. 135
v. Baee anfangs drei; dann durch Sonderung der mittleren vier übereinander
liegende Keimschichten zu unterscheiden sind, so soll sich ihre Gesammtheit
erst nachträglich (gegen den dritten Brüttag) in die beiden räumlich getrennten
Blätter, das animalische und das vegetative spalten, sodass ersteres die Haut-
und die Fleischschicht, letzteres die beiden anderen Schichten umfasst (Nr. 8 I
S. 20. Anm. S. 40 — 42, II S. 68. Anm. 4). Ich glaube, dass es keiner weiteren
Begründung bedarf, um in dem Angeführten den Keim der Dreiblättertheorie
zu erkennen; ferner erhellt eben daraus, dass die schematischen Darstellungen
v. Baee's , wonach zwei ursprüngliche Schichten oder Blätter , eben das anima-
lische und vegetative, sich verdoppelten (Nr. 8. 1 Scholion IV), mit Unrecht als
die eigentlichen Befunde seiner Untersuchungen hingenommen und beurtheilt
werden. In seinen „Reflexionen" hat v. Baee allerdings dem Einflüsse der zu
seinerZeit herrschenden Vorstellung, class die künftige Funktion derTheile ihre
Entwickelung bestimme, sich nicht ganz entziehen können; daraus entsprang
die Annahme animalischer und vegetativer Anlagen, die er in Uebereinstim-
mung zu bringen suchte mit seinen Beobachtungen, welche durchaus nicht
eine einfache Bestätigung des PANDEE'schen Zweiblättersystems enthalten,
sondern wenngleich unbestimmt auf drei ursprüngliche Schichten hinweisen.
Dass aber diese beiden Auffassungen sich nicht so vereinigen lassen, wie nach
meinen Erfahrungen die drei Keimblätter nur eine weitere Ausbildung zweier
ursprünglichen Schichten darstellen , liegt auf der Hand. Die Existenz der
„animalischen und der vegetativen" Schicht als ursprünglicher Keimsondemng
angenommen , würde das mittlere Keimblatt durch ein Zusammenwirken beider
entstehen müssen, d. h. die animalische Schicht enthielte mehr als meine pri-
märe Keimschicht , die vegetative also weniger als die entsprechende sekundäre
Schicht. Wenn also v. Baee auch auf dem richtigen Wege sich befand, so
fehlte ihm doch noch die klare Einsicht in die Entstehung der drei Keimblätter ;
und nachdem Reichest vergeblich versucht, die Blättertheorie zu verdrängen
und die Entwickelung aller embryonalen Anlagen bloss auf lokale Differenzi-
rungen zurückzuführen, war es Remae: vorbehalten, das von v. Baee Festge-
stellte zu bestätigen, dessen Andeutungen auszuführen und ferner die Entstehung
jener Blätter mit der Bildung der im Batrachierei so stark entwickelten Höhlen
in Zusammenhang zu bringen. Nachdem nämlich Rusconi ausser der v. Baee-
schen Höhle (Keimhöhle) noch eine andere in den Batrachiereiern entdeckt
hatte, so führte diese Entdeckung zunächst nur eine Verwirrung in der Kennt-
136 IH- Die Bildung der Keimblätter.
niss über die Bildung und das gegenseitige Verhältniss beider Höhlen*, aber
nicht die geringste Aufklärung darüber herbei, ob sie beide schwinden und was
eventuell aus der übrigbleibenden werde. Reichert, Cramer und Vogt be-
rücksichtigten die bezeichnete Entdeckung Rusconi's gar nicht, obgleich sie
mit seinen allgemeinen Resultaten übereinstimmten. Remak that nun einen
entscheidenden und bedeutenden Schritt vorwärts , und wenn man einige Ein-
zelheiten seiner Beschreibung und gewisse Deutungen bei Seite lässt, so muss
man seine Beobachtungen als im wesentlichen richtige anerkennen. Die Decke
der Furchungshöhle ist allerdings die erste gesonderte Embryonalanlage, und es
wird auch gewissermassen durch die von unten aufsteigende RuscoNi'sche Spalte
eine zweite Zellenschicht jener ersteren angefügt und zugleich durch die Aus-
breitung der neuen Höhle die frühere oder die Furchungshöhle verdrängt. Aber
Remak irrte darin, dass er 1. in der Decke der Furchungshöhle und in ihrer
Fortsetzung zwei Keimblätter annahm, sodass die neuhinzukommende Anlage
nur aus einer Zellenlage oder dem dritten Keimblatte bestehen sollte, 2. dass
er die Nahrungshöhle aus emer Einstülpung der hellen unteren Dotterfläche
hervorgehen Hess, sodass also das dritte Keimblatt genetisch als eine Fortsetz-
ung des ersteren erschien, das mittlere Keimblatt dagegen mit freiem Rande
in der Tasche oder Falte steckte, welche jene beiden Blätter am Umfange der
RuscoNi'schen Oeffnung bildeten, 3. dass er jene Nahrungshöhle nur als primi-
tive betrachtete, welche zum grössten Theile wieder schwinde und durch eine
ganz neu entstehende ersetzt werde** (Nr. 40 S. 145). — Die Darstellung von
Stricker bezeichet abermals einen Fortschritt, indem dieser Forscher die unter
1. und 2. bezeichneten Irrthümer Remak's aufdeckte und zurechtstellte. Aber
auf der anderen Seite entwickelten sich auch neue Irrthümer. Nach Remak's
Darstellung wurde ein Theil der hellen Dottermasse successiv an die ganze
erste Keimblätteranlage angelegt, und so waren die Keimblätter im ganzen
Umfange des Eies aus analogen Theilen hervorgegangen-, Stricker läugnete
aber diese Analogie, indem er lehrte, dass ein Theil des Rückens und des
Bauches schon ursprünglich als Ganzes angelegt sei (Keimhügel, Rindenschicht),
* Erst irrte Rusconi selbst in der Bezeichnung der neuhinzugekommenen Höhle , dann
wurde die ganze RuscoNi'sche Beschreibung von Remak niissverstanden, worauf erst in
neuester Zeit Golubew dieses Missvcrständniss aufklärte (Nr. 68 S. 89 und flu.).
** Das Genauere über diesen Punkt kann erst später ausgeführt werden. Ich be-
merke hier nur , dass die REMAK'sche Anschauung bereits in der REicHERT'schen Darstel-
lung vorgebildet erscheint.
III. Die Bildung der Keimblätter. 137
welches nur einer Spaltung in die Keimblätter bedürfe, während in den übrigen
Theilen nur die zwei oberen Keimblätter (beide zusammen meinem Sinnesblatte
entsprechend) von Anfang an vorgebildet seien, die zwei weiteren aber aus einem
ganz anderen Dotterabschnitte, dem weissen Boden der Furchungshöhle * sich
neu bildeten.
Wenn aber die Lehre von der Keimblätterbildung bis Strickee eine fort-
schreitende Entwicklung gezeigt hatte, so machte sie durch die Arbeiten von
v. Bambecke, Dönitz und Golubew entschiedene Rückschritte. Dass die
REiCHERT'sche Lehre von den Embryonalanlagen in unveränderter Gestalt wie-
derum auftauchen konnte (Dönitz), erscheint um so weniger erklärlich, als
Stricker, welcher in seinem ersten Aufsatze derselben gleichfalls huldigte, im
folgenden (Nr. 46 S. 317) uns neben der neuen Auffassung eine Aufklärung
darüber gab, wie Reichert's allgemein gültig sein sollende Bilder zu Stande
kamen.** Die neuen Beobachtungen von Dönitz sind aber zu spärlich und
zu wenig zusammenhängend, um Anhaltspunkte zu einer erneuerten Widerle-
gung der alten Irrthümer zu bieten. Ebenso ungenügend erscheinen mir die
Untersuchungen von v. Bambecke und Golubew, welche offenbar in der
irrigen Voraussetzung, dass zur Erkenntniss der relativ einfachsten Ver-
hältnisse, wie sie in den ersten Entwickelungsphasen bestehen, auch die ein-
fachsten Mittel, eben einige gelegentliche Durchschnitte genügen, mit Hülfe
solcher das von ihren Vorgängern bereits Festgestellte umzustossen suchten, wäh-
rend doch ihre eigenen Auffassungen als durchaus unbegründete zurückge-
wiesen werden müssen.
Wenn ich zuletzt an meine eigenen Beobachtungen komme, so muss ich
zuerst daran erinnern, dass, bevor ich dieselben in der gegenwärtigen Gestalt
abschloss, ich die analogen Vorgänge in den Eiern der Knochentische, Vögel
und Säugethiere so eingehend wie es mir nur möglich war untersucht und da-
bei im wesentlichen eine vollständige Uebereinstimmung der Keimblätterbildung
* Stricker lässt in diesem Boden irrthümlicherweise eine besondere , massig starke
Schicht von Zellen bestehen, welche auffallend , kleiner als die übrigen Dotterzellen, eine
Mittelstellung zwischen diesen und den Embryonalzellen einnehmen.
** Es geht aus der angezogenen Stelle hervor, dass die REicHERT'schen Ansichten aus
der Untersuchung von Durchschnitten entsprangen , welche nur parallel zur RuscoNi'schen
Oeffnung ausgeführt wurden. Wer sich auf diese einseitige Untersuchung beschränkt, dem
müssen natürlich die Bildung und Veränderung beider Höhlen, sowie die damit verbundenen
Zellenbewegungen im Eie verborgen Weihen.
138 HI. Die Bildung der Keimblätter.
in allen Wirbelthieren gefunden hatte (No. 102, 103, 108).* Meine Abbil-
dungen stimmen im allgemeinen mit denen Stricker's überein ; meine ab-
weichende Deutung der Erscheinungen liegt allerdings nicht auf der Hand,
aber so wie sie aus den gleichlautenden Ergebnissen der Untersuchung über
die Keimblätterbildung bei den übrigen Wirbelthieren sich ergab, erschien sie
mir einfacher und geeigneter, den ganzen Vorgang einheitlich zu begründen,
als die früheren Auffassungen. Es erhellt aus meiner Beschreibung, dass der
ganze Komplex der einzelnen, scheinbar selbstständigen Veränderungen im
Grunde auf eine gemeinsame Quelle, auf die Auswanderung der Embroyonal-
zellen gegen den Rand der primären Keimschicht hin zurückgeführt werden
könne. Früher wurde aber nicht diese ursprüngliche Bewegung, sondern nur
ihr Enderfolg, nämlich die Erhebung der Dotterzellen vom Boden der Keim-
höhle an die Decke derselben bemerkt; Stricker nahm an, dass jene Dotter-
zellen, wenn sie sich einmal angelagert haben, ihren Platz nicht mehr verlassen,
nicht längs der Decke fortgeschoben würden, sondern dass stets neue längs des
Randes der Anlagerung, also selbstständig hinaufvvanderten, wogegen Golubew
sie mechanisch gehoben werden lässt durch eigenthümliche Formveränderungen
der unmittelbar unter ihnen liegenden Zellen. Obgleich nun Stricker seine
Ansicht für den unmittelbaren Ausdruck von unzweifelhaften Thatsachen hält
(No. 46 S. 320), so muss ich ihm doch entschieden widersprechen; jener in die
Höhe gehobene Wulst von Dotterzellen bleibt unverändert, kompakt und weder
gehen seine Zellen in die Zusammensetzung der sekundären Keimschicht ein,
noch ist jemals eine Zufuhr neuen Materials vom Boden der Keimhöhle, am
wenigsten auf dem von Stricker angegebenen Wege sichtbar. Ebenso wenig
aber kann ich Golubew's Erklärung beitreten ; wenn er bei dem allgemeinern
Ausdrucke stehen geblieben wäre , dass die Zellen vom Boden der Keimhöhle
durch die Theilungsvorgänge der darunter befindlichen Elemente in die Höhe
gehoben würden , so Hesse sich dies noch hören , aber da er den Nach-
druck darauflegt, dass die sich theilenden Zellen (die Uebergangsformen) alle
in einer bestimmten Richtung sich strecken und dadurch die darüberliegenden
Massen heben, und dass dieser Vorgang während der ganzen Bewegung sich fort-
laufend wiederhole, so muss ich diese Vorstellung durchaus von der Hand weisen.
* Betreffs der Ausführung der in den vorläufigen Mittheilungen enthaltenen kurzen
Notizen kann ich mich leider nicht auf bereits veröffentlichte Aufsätze berufen, sondern bloss
auf solche, welche theils gleichzeitig mit dieser Arbeit, theils wohl etwas später erscheinen
werden,
III. Die Bildung der Keimblätter. 1 39
Denn jene gestreckten Zellenformen kommen nach den GoLUBEw'schen Abbil-
dungen ganz besonders ausgezeichnet im Dotterpfropfe und mitten in der cen-
tralen Dottermasse vor, also gerade unter ruhenden Massen-, andererseits aber
habe ich solche Formen, wie sie Golubew beschreibt und abbildet, weder un-
mittelbar hinter den sich bewegenden Massen, noch überhaupt gesehen. Da
wir also weder eine selbstständige Bewegung jener Dotterzellen noch die von
Golubew entdeckte Ursache ihrer passiven Ortsveränderung anzunehmen
brauchen , so können wir zur Ausdehnung der ganzen Embryonalzellenmasse
zurückkehren. Für diese oder die centrifugale Auswanderung der Embryonal-
zellen können natürlich die verschiedensten Ursachen erdacht werden; doch
scheinen die Theilungsvorgänge der Zellen am meisten geeignet, jene Bewegung
zu erklären, denn sie sind einmal stets an den Zellen selbst gegenwärtig und
ferner nehmen sie Bezug auf das Verhältniss von Centrum und Peripherie der
Keimschicht , indem sie dort nachweislich am schnellsten , hier langsamer er-
folgen. Dass die bei jenen Theilungen erscheinenden Bewegungen, Zusammen-
ziehungen der ganzen Embryonalzellen keine lebendigen sind, geht aus den
Betrachtungen des vorigen Abschnittes hervor. Der Zellenleib zieht sich auf
einen ausser ihm (im Zellenkerne) wirkenden Reiz zusammen , und da die Aus-
lösung dieses Reizes durch einen Stoffwechsel nicht vermittelt wird, so fehlt
jede Veranlassung , von wirklichen Lebenserscheinungen zu reden. Die Thei-
lungen der Embryonalzellen bewirken nun in viel höherem Grade als die frühere
Dottertheilung eine Verschiebung der ganzen Masse; solange die Dotterstücke
die Form der Kugelausschnitte behielten, konnte das Volumen der ganzen
Kugel nicht merklich zunehmen, aber sobald bei jeder Theilung aus einem
rundlichen Körper zwei ähnliche runde hervorgingen, musste der zu den
Zwischenräumen erforderliche Raum stetig wachsen und eine wirkliche Ver-
schiebung der Zellen eintreten. Einen Grund dafür, dass diese Verschiebung
in der Flächenrichtung der Keimschicht und nicht in der Richtung ihrer Dicke
stattfindet, sehe ich darin, dass die Dottertheilungen, wie man sich an Durch-
schnittsbildern leicht überzeugt, mit Bezug auf die Dotterkugel ganz über-
wiegend in radiären und nur sehr viel seltener in koncentrischen Ebenen er-
folgen. Und dass jene Verschiebung, wenn sie einmal um den oberen Pol
begann und auch weiterhin von dort aus am meisten unterstützt wird, in kon-
centrischen Kreisen gegen die Peripherie vorrückt, scheint mir ganz natürlich
zu sein. So setzen sich alle die kleineren Bewegungen, welche aus den Thei-
lungen der Embryonalzellen resultiren, zu einer allgemeinen, zu der Ausdeh-
140 HI. Die Bildung der Keimblätter.
nung der ganzen primären Keimschicht zusammen , welche durch den Wider-
stand der trägen, d.h. sehr viel langsamer sich theilenden Dotterzellen zu einer
Veränderung der Bewegungsrichtimg gezwungen, in Folge dessen die Bildung
der sekundären Keimschicht herbeiführt. Daraus ergibt sich aber, dass die
Embryonalanlage oder der eigentliche Keim, welcher nach seiner Abstammung
von der Dotterkugel ursprünglich ein Kugelsegment gewesen und darauf zu
einer halbkugeligen Schale sich ausgebildet hatte, gleich nach der Entstehung
der Embryonalzellen eine einzige Schicht, gleichsam ein erstes Keimblatt bildet
(primäre Keimschicht) und dass darauf ein zweites nicht durch Anlagerung
neuen Materials oder durch histiologische Differenzirung der früheren Masse'
sondern durch eine Art Faltung der ersten einheitlichen Anlage entsteht
(sekundäre Keimschicht). Die beiden ersten Schichten des Keims entwickeln
sich also aus einer morphologischen Umbildung einer höchst einfachen ersten
Anlage-, die weitere Ausbildung der Keimblätter erfolgt aber durch lokale
Absonderung, welche die einfache Zellenlage an der freien Fläche jeder der
beiden Keimschichten betrifft. An der primären Keimschicht, also an der
ganzen Oberfläche des Eies geschieht dies zuerst, und zwar zeigt sich der
Anfang dazu in der oberen Hemisphäre, noch ehe die sekundäre Keimsclncht
recht begonnen hat ; so entstellt die Schicht , welche seit Reichert als Um-
hüllungshaut bekannt ist. Sobald die sekundäre Keimschicht durch die Bil-
dung der RuscoNi'schen Spalte oder der Darmhöhle eine freie Fläche erhält,
sondert sich von ihr das Darmblatt ab, welches ebenso wie die Umhüllungshaut
aus einer einfachen Zellenlage besteht und mit derselben am Rande der Rus-
coNi'schen Oeffnung zusammenfliesst. Diese Analogie in der Entwicklung der
beiden, man möchte schon vorausgreifend sagen, Epithelial- oder Deckblätter
an den beiden Keimschichten scheint hinlänglich die von Stricker zuerst auf-
gebrachte Viertheilung der Embryonalanlage zu begründen und zu recht-
fertigen. Und doch kann ich mich dieser Anschauung nicht anschliessen. Ich
behandle allerdings zunächst nur die Entwickelung der Batrachier, und wenn
ihre Embryonen thatsächlich vier Keimblätter hätten, so finde auch ich darin,
dass die Embryonen anderer Wirbel thiere nur drei Keimblätter besitzen, noch
keinen Grund, von jenen vier Blättern eines zu Ehren der Analogie zu eliminiren.
Aber bevor die Umhüllungshaut (Deckschicht) als selbstständiges Keimblatt
von dem darunter befindlichen Theile der primären Keimschicht oder dem
Nervenblatte (Grundsc nicht) getrennt wird, muss dazu auch ein genügender
III. Die Bildung der Keimblätter. 141
Grund vorhanden sein.* Die Deckschicht betheiligt sich nun an den meisten
Bildungsakten der Grundschicht (ausgenommen bei der Bildung des Ohrbläs-
chens und der Seitennerven) gleich in der ersten Anlage, erzeugt für sich allein
nur die einigen Batrachiern** eigenthümlichen Haftorgane in der Nähe des
Mundes und verschmilzt darauf mit der übrigen Grundschicht zu der Epidermis,
welcher sicherlich Niemand die Bedeutung eines morphologisch durchaus ein-
heitlichen Organs absprechen wird. Nach ihrer Produktionsthätigkeit besitzt
die sogenannte Umhüllungshaut nicht den geringsten Anspruch auf die Bezeich-
nung eines besonderen Keimblattes ; dies gilt von den Batrachiern ebenso wie
von den Knochenfischen, bei denen gleichfalls eine besondere Deckschicht des
oberen Keimblattes vorkommt (vgl. No. 107. 108). Wenn man aber nach dieser
Feststellung berücksichtigt, dass aus dem einfachen oberen Keimblatte der
Amnioten ganz dieselben Anlagen sich entwickeln, wie aus dem zweischichtigen
der Batrachier und Knochenfische, so dürfte man wohl zu dem Schlüsse ge-
langen, dass die Deckschicht der letzteren nur als eine zeitweilige Sonderimg
des oberen Keimblattes anzusehen sei, welche ohne Bedeutung für die morpho-
logische Embryonalentwickeluug vielleicht einem ähnlichen Zwecke dient wie
das Amnion, und wegen ihres immerhin nicht ganz flüchtigen Bestandes eine
besondere Bezeichnung erhalten mag. Um aber nicht an den Irrthum der
* Einen solchen sieht nun freilich Török (No. 58 S. 4. 5) bereits in der Beobachtung,
dass beide Schichten „ursprünglich", d h. an den ersten Embryonalanlagen, geschieden
seien. Aber das mittlere Keimblatt zerfallt ebenfalls, bevor es sich in verschiedene An-
lagen umbildet, in zwei Schichten, welche nicht mehr aber auch nicht weniger verdienten
als besondere Keimblätter betrachtet zu werden wie die Umhüllungshaut und das Nerven-
blatt. Was aber in dem einen Falle unterlassen wird, dürfte alsdann in dem andern nicht
gelten. Eine weitere Unterstützung der STRicKER'schen Auffassung glaubt Török darin zu
finden, dass das Nervenblatt die nervösen Theile erzeuge, aber „mit der Anlage der Horn-
gebilde nichts mehr gemeinschaftlich hat" (S. 5), deren Keimboden, das Hornblatt, Török
an einer Stelle (S. 7) mit der Umhüllungshaut identificirt, obgleich er diese Gleichstellung
vorher (S. 3) als unrichtig bezeichnet hatte. Da aber das „Nervenblatt" die Linse und ge-
ineinsam mit der Umhüllungshaut die Epidermis bildet, so dürfte auch jener zweite von
Török angeführte Beleg für die Vierthcilung des Keims hinfällig erscheinen. Ich bemerke
bei dieser Gelegenheit, dass es mir gewagt, wenn nicht ungerechtfertigt erscheint, eine Kritik
der Keimblätterthcorie auf drei Durchschnitte hin — auf mehr bezieht sich wenigstens
Török nicht — begründen zu wollen, zumal die dazu gehörigen Beobachtungen nicht eine
einzige neue Thatsache bringen.
** Salamandra maculata besitzt sie jedenfalls nicht; und es scheint mir wahrscheinlich,
dass wohl alle Batrachier, die ihr Embryonen- und erstes Larvenleben nicht im Wasser ver-
bringen, diese Drüsen entbehren, da dieselben nur embryonale Organe sind und ihre Funk-
tion , die herumschwimmenden Larven hier und da durch Schleimfäden an festen Gegen-
ständen zu befestigen, bei den genannten Thieren gar nicht ausüben können.
142 III. Die Bildung der Keimblätter.
KEiCHERTschen Schule zu erinnern, habe ich den Ausdruck „Umhüllungshaut"
mit der allgemeineren Bezeichnung „Deckschicht" vertauscht.
Anders wie die Deckschicht, welche die Bedeutung, die sie nach ihrem
ersten Erscheinen zu haben schien, durch ihre weitere Entwicklung verläug-
nete, zeigt der ihr scheinbar analoge Theil der sekundären Keimschicht, das
Darmblatt, schon gleich anfangs die grössere Unabhängigkeit vom Mutterboden
dadurch, dass es nicht allein von demselben sich trennt, sondern an die
genetisch ihm viel ferner stehenden Dotterzellen sich anschliesst. — Ein an-
derer Unterschied zwischen der Deckschicht und dem Darmblatte führt die
Betrachtung endlich noch auf das mittlere Keimblatt. Jene beiden Blätter
sind freilich gleicherweise Abscheidungen an der freien Fläche ihres Mutter-
bodens, aber die freie Fläche der primären Keimschicht entspricht zugleich
der ganzen Ausbreitung derselben, wogegen die sekundäre Keimschicht nur
zum geringeren Theile eine freie Fläche besitzt; und bleibt auch das Wesen des
Darmblattes davon unberührt, so fragt sich, ob das mittlere Keimblatt in dem-
selben Falle ist. Die Trennung der sekundären Keimschicht und der Dotter-
zellenmasse erfolgt so ungleichmässig , dass, wenn auf der einen Seite daraus
die Darmhöhle hervorgegangen ist, im übrigen Umfange die Sonderung noch
wenig entwickelt ist. Zeigt sich auch dort endlich die Trennung, so läuft sie
nicht etwa in die Darmhöhle aus, sondern wird an der Grenze derselben durch
die Verbindung, welche das Darmblatt mit der Dotterzellenmasse eingeht, auf-
gehalten und gezwungen in die Scheidegrenze zwischen dem Darmblatte und
dem mittleren Keimblatte des Rückentheils überzugehen. Es erhellt hieraus,
dass das mittlere Keimblatt im ganzen Umfange des Embryo genetisch un-
gleich zusammengesetzt ist: im Bereiche der Darmhöhle geht es aus der sekun-
dären Keimschicht nach Abzug des Darmblattes, im Umfange der Dotterzellen-
masse aus der ganzen Schicht hervor. Aber dieser Unterschied verliert jede
Bedeutung durch die Ueberlegung, dass die ungesonderte sekundäre Keim-
schicht weder eine bestimmte Anlage, noch überhaupt eine morphologisch be-
reits fixirte Bildung (z. B. ein festzusammenhängendes Blatt) ist, sondern eine
indifferente Zellenmasse, welche erst im Begriff steht, sich zu einer bestimmten
Form umzubilden. Löst sich nun das Darmblatt nicht am ganzen Umfange,
sondern nur an einer beschränkten Stelle jener Schicht ab, so bleibt die letz-
tere dennoch, weil nach Form und Inhalt noch indifferent, in allen Theilen
gleichwerthig zurück und stellt sich daher auch als mittleres Keimblatt eben-
so dar.
III. Die Bildung der Keimblätter. 143
Diejenigen Momente , welche sich aus der voranstellenden Bildungs-
geschichte des Batrachierkeims als die allgemeinen und gesetzmässigen er-
geben , habe ich an den Eiern der Teleostier, Vögel und Säugethiere wieder-
gefunden (vgl. No. 102. 103. 108). Für die ausführliche Darstellung der
betreffenden Untersuchungen verweise ich auf die „Beiträge zur Entwickelungs-
geschichte der Wirbelthiere " , welche sich dem schon citirten (No. 108) an-
schliessen werden, und will hier nur deren Ergebnisse anführen. An den Eiern
aller genannten Wirbelthiere lässt sich ein kleinerer Dottertheil, aus welchem
die Keimblätter hervorgehen, von einem grösseren unterscheiden, welcher für
die Blutbildung und die Ernährung des aus den Keimblättern sich entwickeln-
den Embryo bestimmt ist. * Den ersteren hat man bei den meroblastischen
Eiern als K e i m , den anderen als N a h r u n g s d o 1 1 e r bezeichnet ; ich über-
trage diese Bezeichnungen auch auf die entsprechenden Theile der holoblasti-
schen Eier (Batrachier, Säuger), so wie schon v. Baer am Froscheie Keim und
Dotter schied. Der Keim begreift die um den oberen Pol gelegene Dotterpartie,
welche sich überall vollständig und energischer theilt als der Nahrungsdotter
und zuletzt in die scheibenförmige, mehr oder weniger gekrümmte Masse der
Embryonalzellen übergeht. Anfangs ist diese Keimscheibe einfach (primäre
Keimschicht); während ihrer andauernden Ausbreitung schlägt sich aber ihr
Rand nach innen um und entsteht dadurch in der geschilderten Weise die
sekundäre Keimschicht. Beide Keimschichten bilden alsdann eine doppel-
wandige Kappe, welche den Nahrungsdotter umwachsend zur doppelwandigen
Keimblase wird. Der Nahrungsdotter umfasst die in verschiedenem Masse
grössere untere Hälfte der Dotterkugel, theilt sich träge, bei den holoblasti-
schen Eiern immerhin vollständig, bei den meroblastischen nur theilweise, bis-
weilen auch erst sehr spät, wie ich es im vorigen Abschnitte angab. Die kern-
haltigen Elemente des Nahrungsdotters gelangen dann in die ihm unmittelbar
anliegenden Keimtheile (mittleres Keimblatt), um das embryonale Blut zu bil-
den-, der übrige Nahrungsdotter wird, mag er organisirt sein (holoblastische
Eier) oder nicht (meroblastische Eier), als wirkliche Nahrung verbraucht. Das
ganze Innere der doppelwandigen Keimblase kann nämlich als eine grosse, em-
bryonale Darmhöhle aufgefasst werden, welche aber nur unmittelbar unter dem
* Für die Batrachier ist das Betreffende in den Abschnitten über das Darmblatt und
den Darnikanal nachzusehen. Da die bezeichnete Eintheilung allen, auch den holo-
blastischen Eiern gemeinsam ist, so erhellt, dass die Wirbelthiereier eigentlich alle mero-
blastisch sind.
]44 HI- Die Bildung der Keimblätter.
Keime einen freien Raum aufweist, sonst vom Nahrungsdotter ausgefüllt ist,
und deren eigenthümliche Auskleidung, das Darmblatt, anfangs nur auf jenen
oberen Theil beschränkt ist und erst später, nachdem nämlich die blutbilden-
den Elemente in das mittlere Keimblatt übertraten, sich über den ganzen Nah-
rungsdotter ausbreitet. Der letztere ergänzt also gewisserrnassen das sich ihm
auch in den meroblastischen Eiern (Hühnchen) eng anschliessende Darmblatt
zur Form eines Hohlgebildes; und wenn bei den holoblastischen Batrachier-
eiern auch formell keine wahrnehmbare Grenze zwischen beiden Theilen be-
steht, so braucht man sich nur den als Dotterzellenmasse bezeichneten Nah-
rungsdotter auf ein geringes Mass reducirt zu denken, um in ihm bloss einen
Theil des Darmblattes, also überhaupt der sekundären Keimschicht zu er-
kennen. Verfolgt man die Entwicklung des Batrachiereies noch weiter rück-
wärts, so findet man jene Dotterzellenmasse (Nahrungsdotter) stets in kontinuir-
lichem Zusammenhange mit dem Rande der sekundären Keimschicht, sodass
wenn diese gleichsam noch im Randwulste der primären Keimschicht ruht,
auch diese kontinuirlich in die Dotterzellenmasse übergeht. Diese Ueberlegung
führt uns dahin, Keim und Nahrungsdotter im Anfänge ihrer Entwicklung als
zwei mehr oder weniger ungleiche Hälften eines einheitlichen Ganzen aufzu-
fassen, welche am Umfange des Eies mit ihren Rändern zusammenhängen,
innen aber durch die Keimhöhle auseinander gehalten werden. Mit anderen
Worten — Keim und Nahrungsdotter bilden anfangs eine einfache dickwandige
Hohlkugel oder Blase, welche während des Vorgangs, der uns als Umschlag
der primären und Bildung der sekundären Keimschicht bekannt ist, von einer
Seite her bis zur Berührung der entgegenstehenden Wände, also unter Ver-
drängung der Keimhöhle sich einstülpt, sodass die Einstülpung den ganzen
Nahrungsdotter und einen peripherischen Theil des Keimes (sekundäre Keim-
schicht) begreift. Den Eindruck einer solchen Einstülpung empfängt man beim
Batrachieivie ohne weiteres, sobald man den Nahrungsdotter oder die Dotter-
zellenmasse bloss als eine lokale Verdickung der eingestülpten Hemisphäre an-
sieht , wodurch ja das Wesen des ganzen Vorgangs nicht beeinträchtigt wird.
Der gleiche Eindruck wird an den Eiern der Fische, Reptilien und Vögel nur
durch die grosse Massendifferenz zwischen Keim und Nahrungsdotter und
durch die mangelhafte Dotterzellenbildung des letzteren gestört, während alle
wesentlichen Momente jener allgemeinen Auffassung vorhanden sind; und denkt
man sich dazu die Dotterzellenmasse des holoblastischen Eies nachträglich
aufgelöst und verflüssigt, so hat man die Verhältnisse des Säugethiereies,
III. Die Bildung der Keimblätter. 145
dessen erste Umbildung also gleichfalls auf jenen Typus einer eingestülpten
Keimblase zurückgeführt werden kann. Lässt sich aber in diesem Bilde die
Uebereinstimmung aller Wirbelthiereier in ihrer ersten Umbildung zusammen-
fassen, so bietet wiederum das Batrachierei, in welchem jenes typische Bild am
deutlichsten hervortrat, den nächsten Anschluss an die wirbellosen Thiere:
eine bloss quantitative Reducirung der Dotterzellenmasse, also ein vollständiges
Zusammenfliessen derselben mit dem Darmblatte und in zweiter Linie über-
haupt mit der sekundären Keimschicht zu einer gleichmässigen Zellenlage
ergibt die Gastrula Haeckel's, die gemeinsame Embryonalform der meisten
wirbellosen Thiere, welche sich vielleicht ebenso, wie es bei den meroblastischen
Wirbelthiereiern geschah, auch auf alle übrigen Wirbellosen, soweit sie sich
aus Eiern entwickeln, ausdehnen lässt.
üoette, Entwickelungsgeschichte. 10
IV. Die Sonderung der einzelnen Organanlagen,
Von dem Zeitpunkte an, wann die einfachen Embryonalanlagen fertig ge-
bildet sind, wird die Aufgabe der Darstellung eine besonders schwierige. Alle
Theile sind in einer gleichzeitig fortschreitenden Veränderung begriffen, die
eingehende Betrachtung des einen wird durch die Vernachlässigung des anderen
leicht unverständlich, und kann andererseits eine Besprechung der allgemeinen
Fortschritte der Gesammtentwickelung nicht gut vorausgeschickt, können die-
selben in ihrer wesentlichen Bedeutung überhaupt nicht erfasst werden, solange
die genaue Kenntniss der Einzelvorgänge fehlt. Es hat mir daher folgende
Anordnung des Stoffes zweckentsprechend geschienen. — In diesem ganzen
Abschnitte soll die Umbildung der einzelnen Keimblätter nur soweit verfolgt
werden, als die daraus hervorgehenden Anlagen noch durchweg aus indifferen-
ten Embryonalzellen zusammengesetzt bleiben, also die gröbere Form, das
morphologische Moment in der Erscheinung durchaus vorherrscht. Indem die
Aufmerksamkeit auf diese Weise ausschliesslich der morphologischen Entwicke-
lung zugewandt bleibt, soll die dem Aufbau unseres Thieres zu Grunde liegende
Architektonik klar hervortreten und der Vorstellung sich einprägen, damit die
späteren Zustände der einzelnen Organe und ganzer Körperregionen sich jeder-
zeit leicht auf die einfachen Grundlagen und deren gesetzliche, in Wechselwir-
kung stehende Umbildungen zurückführen lassen. Dabei glaube ich alles, was
für diesen Zweck nicht unmittelbar von Bedeutung ist, also die äusseren Um-
wandlungen, wie sie sich am unberührten Embryo darstellen, um so eher zu-
rückstellen zu dürfen, als dieselben durch 1 läufige Wiederholung seit Rusconi's
Zeit hinlänglich bekannt geworden sind (vgl. Nr. 6 S. 10 — 22 und Nr. 39
S 32 43).
1. Die Leistungen des oberen Keimblattes. 147
Um aber gewisse allgemeinere Anhaltspunkte für Zeitbestimmungen zu
gewinnen , habe ich den ganzen Zeitraum der Entwickelung bis zur Metamor-
phose in drei Abschnitte eingetheilt, zunächst unterscheide ich Embryo und
Larve in der Weise, dass der erstere Ausdruck sich auf jene Zeit bezieht, wäh-
rend welcher die Anlagen aus mehr oder weniger indifferenten Embryonalzellen
bestehen, der Name „Larve" alle späteren Entwickelungsstufen umfasst. Die
Grenze beider Zustände lässt sich aber begreiflicherweise nicht genau angeben,
da die Embryonalanlagen sich nicht gleichzeitig verändern, die einen den an-
deren vorauseilen; bestimmend war für mich daher die grosse Masse der Anla-
gen, namentlich des mittleren Keimblattes. Die hier zunächst zu betrachtende
Embryonalzeit schliesst also ab, wenn der Schwanz als kurzes, am Ende abge-
rundetes Ruder hervorgewachsen ist (vgl. Fig. 38. 53) ; dies geschieht einige
Zeit vor dem Ausschlüpfen aus dem Eie, welches übrigens an keine bestimmte
Periode gebunden zu sein scheint. Die Larvenzeit wird durch ein sehr gutes
Merkmal wiederum in zwei Abschnitte geschieden, nämlich durch den Beginn
der Nahrungsaufnahme. Dieser Zeitpunkt gibt sich schon äuserlich zu er-
kennen durch die Ausbildung des durch die dünne Bauchwand deutlich durch-
schimmernden Darmkanals: sobald derselbe in seinem Verlaufe gleichmässig
röhrig geworden ist und die ersten Windungen ausgeführt hat, beginnt die Nah-
rungsaufnahme. - - Indem ich aber eine Embryonal- und zwei Larvenperioden
aufstelle, will ich das so häutig in allgemeiner Bedeutung gebrauchte Beiwort
„embryonal" nicht auf jene erste Periode beschränkt wissen; es bezeichnet eben
meist lediglich den Gegensatz zur völlig entwickelten Form.
1. Die Leistungen des oberen Keimblattes.
Historische Uebersicht der bisherigen Untersuchungen.
Da die ersten Umbildungen des Sinnesblattes in Gemeinschaft mit denen
des mittleren Keimblattes an der dorsalen Oberfläche des Eies ein bemerkens-
werthes und vor allem Andern in die Augen fallendes Relief hervorrufen, so war
dasselbe bereits der Gegenstand der Aufmerksamkeit jener älteren Forschung,
welche über die äussere Erscheinung kaum hinaus ging, also von der Gliede-
rung der Embryonalanlagen und der Betheiligung derselben an den einzelnen
Vorgängen wenig wusste. Trotzdem verdienen die ältesten Beobachtungen über
die Entwickelung des Centralnervensystems mehr Aufmerksamkeit als die ähn-
lichen Beschreibungen anderer Körpertheile, weil die betreffenden Anlagen auch
10"'
148 IV- Die Sonderling der einzelnen Organanlagen
am unberührten Embryo offen daliegen, unmittelbar betrachtet werden können,
und daher durch alle daran geknüpften Untersuchungen der Zusammenhang
in der Entwicklung der richtigen Erkenntniss sich leichter verfolgen lässt
als in andern verwandten Fragen, bei deren Lösung die Untersuchungsmetho-
den mehr auseinander gingen.
Von Pkevost und Dumas stammt, soweit mir bekannt ist, die erste Be-
schreibung der Veränderungen an der Rückenseite des Embryo. Nachdem die
Furchen vollständig geschwunden, sei immer noch die Narbe mit einer dunklen
sie durchziehenden Linie sichtbar (Nr. 2 S. 113). Nach einem längeren Still-
stande in der Entwicklung bildet sich um jene Linie eine elliptische Grenze,
innerhalb deren die Oberfläche des Eies sich schildförmig erhebt. Dieser Schild
nimmt nach einigen Stunden die Gestalt einer Lanzenspitze an, deren schmales
Ende dem Schwanzende des künftigen Thieres entspricht, wo auch die dunkle
Linie die Grenze des Schildes erreicht (S. 114). Darauf erscheint eine zweite
Grenzlinie, welche, am Kopfende entspringend, die erste in gleichem Abstände
umkreist; zwischen beiden Linien, also am Schildrande, entsteht ein äusserer
Wulst, welcher hinten mit dem Schilde verwächst und in eine herzförmige Er-
hebung, die Anlage des Beckens, ausläuft. Unterdess hat sich der Schild ab-
geplattet und die ursprüngliche Linie (ligne, trait primitif — Primitifstreif),
früher vertieft, wird erhaben und unterscheidet sich durch ihre helle Farbe von
der Umgebung (S. 115). Nachdem die Wülste sich am Kopfe mehrfach aus-
gebuchtet, wachsen sie über dem Primitivstreife oder der Rückenmarksanlage
zusammen und schliessen dieselbe in einen Kanal ein (S. 110). Als Erzeug-
nisse der Wülste werden genannt: Kopf, Becken und Rückenmarkshüllen
(S. 117).
Auch v. Baer beschreibt einen Primitivstreif, welcher jedoch eine andere
Bedeutung hat als derjenige von Prevost und Dumas. „Zuerst zwar sieht
man nur eine mittlere Furche und kann von aussen wegen der Undurchsichtig-
keit nicht erkennen, dass der Keim in dieser Furche verdickt ist. Allein der
senkrechte Durchschnitt eines erhärteten Eies lässt die Verdickung wahrnehmen,
und so stehe ich nicht an, auch im Frosch-Ei einen Primitivstreifen zu finden,
der nur tiefer sich einsenkt als im Vogel. -Innerhalb des Primitivstreifens
bildet sich hier eine Wirbelsaite, die viel stärker ist, als in irgend einem andern
Thiere und die man aus erhärteten Frosch-Embryonen früherer Zeit ausschälen
und mit den Fingern fassen kann. Zu beiden Seiten des Primitivstreifens ent-
wickeln sieh die beiden Rückenwülste, zuerst mit ungemeiner Breite, dann aber
1. Die Leistungen des oberen Keimblattes. 149
schmäler werdend, sich erhebend und hohe Kanten gewinnend, die, indem sie
sich erheben, zugleich sich gegen einander neigen. Während des Schlusses
löst sich idie innere Schicht der Rückenwülste, und so hat man gleich nach
vollendetem Schlüsse eine Medullarröhre, die aus zwei Markplatten verwachsen
ist. Noch vor erreichtem Schlüsse sieht man im vordem Theile der Rücken-
röhre Erweiterungen als werdende Hirnzellen" (Nr. 8 Bd. IIS. 285 — 2S6. vgl. auch
Nr. 9 S. 223 —225 und Nr. 15 S. 10). In jenen offenen Hirnzellen will v. Baer
auch schon Unebenheiten der inneren Fläche gesehen haben, „welche zum Theil
die beginnenden Ausstülpungen der drei Sinnesnerven sind" (Nr. 8 S. 287).
Rusconi erwähnt weder einen Schild, noch einen Primitivstreif-, während
die von ihm als After aufgefasste Oeffnung sich schliesst, „erheben sich zwei
Wälle in der Nähe des Afters und dehnen sich, einer neben dem andern, bis
über den Ort aus, wo die erste Querspalte*) war, von der nun nichts mehr zu
sehen ist. Nach aussen von diesen beiden Wällen treten dann zwei andere auf,
kleiner als die ersten, aber ausgezeichneter und mit bestimmteren Conturen:
sie sind die beiden Hälften des Rückenmarks und Gehirns, welche sich unter
den Häuten bilden: sie nähern sich einander nach und nach und vereinigen sich
endlich, zuletzt die Theile desselben, welche dem Gehirn entsprechen, so dass,
nach der Haut, das- Rückenmark immer der Theil des Thieres ist, der sich zu-
erstbildet," (Nr. 1(3 S. 219). Früher hatte Rusconi die Wülste dahin gedeutet,
dass sie die Anlagen des Centralnervensystems, seiner Hüllen, der Rücken-
muskel und der Oberhaut enthalten (Nr. 6 S. 24). Ueber die Vereinigung der
Wülste bemerkt er ebendaselbst, dass die bandartigen Hälften des Centralnerven-
systems, nachdem sie anfangs eine offene Rinne dargestellt, später zu einem
Kanäle verwachsen. In Betreff der Sinnesorgane wird nur die Entwicklung
der Geruchsorgane mitgetheilt. Dieselben entständen als Vorsprünge des vordem
Endes der Hirnanlage (Hemisphären); die Basis dieser Vorsprünge wird alsdann
zusammengeschnürt, sodass sie zu Blasen werden, welche durch helle Stiele mit
den Hemisphären zusammenhängen. Diese Blasen stülpen sich endlich nach
ihrer Länge ein und bilden sich so zu den Nasenkanälen um (Nr. G S. 25. 26,
Nr. 16 S. 219).
Baumgäbtner beschreibt eine ganz flache ovale und hellgefärbte Er-
habenheit, deren schmales .Ende an die RuscoNi'sche Oeffnung stösst, als erste
* Es ist darunter die Spalte zu verstehen, durch welche am obern Pole des Salamander-
ies die innere Höhle für einejturze Zeit nach aussen münden soll (vgl. Nr. 16 S. 218).
150 IV- Die Souderung der einzelnen Organanlagen.
sichtbare Veränderung des Rückens. Indem vod jener Oeffimng her eine Rinne in
der Axe jener Erhabenheit sich entwickelt, wird dieselbe in zwei flache Hügel
getheilt, welche alsbald noch durch einen Wulst eingefasst werden. Im breiten
Kopfende fliessen die beiderlei Erhabenheiten bogenförmig zusammen (No. 12
S. 30. 31). Der v. BAEit'sche Primitivstreif sei nicht gleich anfangs, sondern
erst später zwischen den inneren Wülsten sichtbar und wahrscheinlich ein
schon gebildeter Theil, „gleichsam ein Kern" des Rückenmarks, an den sich die
genannten Wülste anschliessen werden, während eine äussere sie von der Seite
her bedeckende Lage (äussere Wülste) die Hüllen des Rückenmarks und
Gehirns entwickeln (S. 32—34). Indem diese äussere Dotterschicht sich über
den tieferen Theilen zusammenzieht, wird die Furche stetig enger und endlich
ganz geschlossen (S. 36).
Wie Reichert sich die erste Anlage des Centralnervensystems dachte,
wurde schon im vorigen Abschnitte erwähnt. „ Die Centraltheile des Nerven-
systems bestehen also ursprünglich aus zwei membranartig abgesonderten
Zellenschichten des Keimhügels, welche zu beiden Seiten der Chorda aus-
gebreitet daliegen. Im Verlaufe der Entwickelung ziehen sich diese Urhälften des
Central-Nervensystems, an Dicke zunehmend, nach der Mittellinie des Embryo
mehr und mehr zusammen. Es bildet sich so aus der membranartigen Anlage
jederseits der Wirbelsaite eine sich allmählig stärker erhebende Wulst , welche
die tiefer gelegene Mitte , gleich einem Walle , begrenzt. Die Wülste hat man
irrthümlich für die Anlage des Wirbelsystems gehalten und sie daher die
Rückenplatten genannt; die dazwischen liegende Tiefe die Rückenfurche.
Letztere ist am Kopfende breiter als nach hinten, indem die Centralhälften des
Nervensystems von der Stelle ab, wo das Gehirn sich ausbildet, mehr aus-
einander weichen, dann aber vorn in einem Bogen sich gegen die Mittellinie
wenden und sich daselbst vereinigen. Auch nach hinten gehen sie, doch mehr
unmittelbar in einander über, so wie dann auch in der Rückenfurche, über die
Wirbelsaite hinweggehend, eine lockere feine Verbindungs- Membran zwischen
ihnen bemerkbar ist" (No. 22 S. 13). Darauf verwüchsen sie mit ihren oberen
äusseren Rändern, nachdem die unteren inneren sich schon früher vereinigt
hätten. Sie bilden demnach eine Röhre, „welche nach dem Gehirn-Ende hin
weiter wird, in ihrem Innern die abgeschlossenen Rudera der schwarzen Uni-
liüllungshaut enthält, deren Seitenwände endlich stärker als die oberen und
unteren Verbindungstheile sind und den eigentlichen Urhälften entsprechen".
1. Die Leistungen des oberen Keimblattes. 151
(S. 17). Die Sinneswerkzeuge scheint Reichekt für abgesonderte Theile des
Hirns zu halten (S. 18).
Eine einfache Folgerung aus der schon bezeichneten Grundanschauung
Vogt's über die Entwickelung des Batrachierembryo — dass es nämlich keine
differenten morphologischen Anlagen, keine Keimblätter und Umbildungen
derselben, sondern nur histiologische lokale Differenzirung gebe — ist die
Behauptung jenes Forschers, dass die Rückenwülste „durchaus keine für sich
bestehende Anlage eines besonderen Systemes sind, sondern eine indifferenzirte
Zellenerhebung, welche erst durch spätere Metamorphosen in einzelne Gebilde
sich spaltet" (No. 26 S. 33). „ Erst bei der Schliessung der Rückenwülste liess
sich in dem Rohre eine dünne innere getrennte Zellenschicht wahrnehmen,
welche die Centrain er venorgane repräsentirte" (S. 66).
Cramer schliesst sich in Betreff der in Rede stehenden Bildungen theils
Reichert, theils Vogt an, während Ecker die äusseren Erscheinungen ähnlich
wie Rusconi und v. Baer beschreibt, namentlich mit Bezug auf den letzteren
gewisse Hervorragungen innerhalb der Hirnanlage für die Anlagen der Sinnes-
organe erklärt (No. 41 Taf. XXIII Fig. XVEI).
Remak hält die Wülste an der Rückenseite des Eies ausschliesslich für
die Anlagen des Centralnervensystems (Medullär wülste), welche durch eine
dünne, später sich verschmälernde oder ganz schwindende Verbindungshaut
zusammenhängen (No. 40. S. 146. 147 ; vgl. auch Taf. XII Fig. 8). .Wenn aber
schon sehr frühzeitig der peripherische, aus zwei Zellenschichten bestehende
Theil des oberen Keimblattes sich bis auf die Medullarwülste verfolgen und von
denselben ablösen lasse, so dürfe diese Wahrnehmung nicht so gedeutet werden,
„als wenn im Bereiche der Medullarplatte eine ursprüngliche Sonderung
zwischen einer nervenbildenden Medullarplatte und einer indifferenten Fort-
setzung des äusseren Keimblattes stattfände. Das äussere Keimblatt besteht,
wie wir gesehen haben, vor der Erhebung der Medullarwülste überall aus zwei
Zellenschichten, aus einer äusseren gefärbten und einer inneren weissen. Die
Zellen der letzteren sind höher (cylindrisch) in dem Axentheile, welcher die
Medullarplatte bilden soll, als in dem peripherischen, und zerfallen (durch fort-
schreitende Theilung) in die kleinen Zellen, welche die Hauptmasse der Medullar-
wülste zusammensetzen. Man kann also nur sagen, dass im Bereiche der
Wülste eine zweite (sekundäre) Sonderimg stattfindet, aus welcher eine zwei-
blättrige Bedeckung und die dicken Wülste hervorgehen, während im Bereiche
der Verbindungshaut der ursprüngliche Gegensatz sich erhält. Ich bekenne,
152 IV. Die Sondcrung der einzelnen Organanlagen.
dass ich den Zweck dieses abweichenden Verhaltens der Medullarwülste
nicht einsehe. Wahrscheinlich ist dasselbe durch folgende Umstände bedingt.
Wahrend die Medullarwülste sich erheben und einander nähern , folgen ihnen
die unter ihnen liegenden Erzeugnisse des mittleren Keimblattes behufs der
Bildung des Wirbelrohrs. Und zwar drängen sie sich, wie es scheint, zwischen
den ablösbaren zweiblättrigen Ueberzug der Medullarwülste und die letzteren
selbst, so zwar, dass die obere Fläche der Wülste nicht zurinnern, den Rüeken-
markskanal begrenzenden wird, sondern zur äusseren Fläche des Medullar-
rohrs" (S. 140). „Oft genug unterbleibt an dem Hirn-Ende der Medullarwülste
vor ihrer Verbindung zum Medullarrohr jede Sonderung in Abtheilungen,
welche als Andeutungen von Hirnblasen betrachtet werden könnten. Die
Wülste schliessen sich vielmehr rasch , von der Nackengegend beginnend und
nach beiden Seiten fortschreitend, zu einem dickwandigen, am Kopfende an-
geschwollenen Cylinder, an welchem erst nach der Schliessung eine Abtheilung
in Hirnblasen erfolgt. In der Regel zeigen sich jedoch im Bereiche des er-
weiterten Kopfendes der thal- artigen Medullarfurche jederseits zwei oder drei
blatt- oder zungenförmige Vorsprünge oder Wülste", welche Remak eben für die
Anfänge der Hirnblaseu hält (S. 147). Von den Sinnesorganen sei das Auge
eine Ausstülpung des Vorderhirns, das Ohr und die Nase Erzeugnisse des
peripherischen Theils des Sinnesblattes (S. 150—152).
Stricker folgt in seinem ersten Aufsatze der REiCHERT'schen Lehre von
den isolirten Organanlagen. Die, von der Embryonalanlage (Keimhügel) ab-
gesonderte „Nervenplatte" liegt dicht unter der Umhüllungshaut; entsprechend
ihrer Axe sinkt sie zugleich mit ihrer Unterlage ein und bildet so eine Furche
oder nach dem Ausdrucke Stricker's einen „Halbcanal". „DieUmhülluugshaut
folgt anfangs dieser Lagenveränderung, wodurch es zur Bildung einer äusserlich
sichtbaren Rinne, der primitiven Rinne der Autoren, kommt; im weiteren
Verlaufe der Senkung entfernt sich aber der Boden des Nervenhalbcanals von
dem Boden der primitiven Rinne; es entsteht zwischen ihnen ein Raum, der
unten und an den Seiten von Nervenmasse , oben aber durch die Umhüllungs-
haut begrenzt ist. Die inneren oberen Ränder der Seitentheile der Nerven-
anlage nähern sich endlich bis zur Berührung; der Centralcaual wird ge-
schlossen, ohne dass die Umhüllungshaut in denselben einbezogen würde. Eine
während dieses Vorgangs zwischen Umhüllungshaut und Nervenplatte neu auf-
tretende Zellenschicht bildet die innere Auskleidung des Centralcanals" (No. 45
S. 474). Nachdem Strick kr die Keimblätter genauer studirt, erklärte er die
1. Die Leistungen des oberen Keimblattes. 153
0
Anlage des Centralnervensystems für eine Verdickung des zweiten Keimblattes
(Nervenblatt), welcher sich das erste Blatt (Umhüllungshaut) innig anschliesse
(No. 55 S. 62). Die Verdickung ist am äussersten Vorderende der Anlage ein-
fach; untersucht man von dort aus rückwärts, ,,so wird zunächst die verdickte
Stelle des vereinigten zweiten und ersten Blattes in der Mitte verdünnt und da-
durch die Anlage des Gehirns gleichsam zweilappig, indem zu beiden Seiten
der Verdünnung je ein Wulst zu liegen kommt" (S. 63).*
Eine ganz eigentümliche, von allen früheren Darstellungen abweichende
Lehre hat v. Bambecke vorgetragen. Die erste Andeutung der Entwickelung
des Centralnervensvstems bestehe in einer dreieckigen Einsenkung der Rücken-
fläche, deren Spitze vom Dotterpfropfe ausgeht und deren Basis gegen den
oberen Pol gerichtet ist; an ihrem Grunde verlaufe ein feiner dunkler Strich,
der Primitivstreif (No. 63 S. 30). Um diese Furche herum erhebe sich ein
ovaler Schild, dessen Spitze mit derjenigen der Furche zusammenfalle, während
ihr Vorderende den Umfang des Schildes nicht erreiche. Die Hälften des letz-
teren ziehen sich von den Seiten gegen die Furche wulstig zusammen , worauf
dieselbe endlich ganz schwindet (S. 31. 32). An Quer durchschnitten glaubte
v. Bambecke zu erkennen, dass der Schild wesentlich von einer Verdickung
der Nervenschicht herrühre, während die Umhüllungshaut nur innerhalb der
Furche verdickt, ihre einfache Zellenlage in eine mehrfache verwandelt er-
scheine. An den beiden Rändern dieser ihrer Verdickung und zugleich der
Furche, rolle sich die Umhüllungshaut ein , worauf die dadurch entstandenen
Wülste über den Boden der Furche weg sich einander nähern und endlich ver-
einigen; unterdessen. bleibe die Nervenschicht passiv und gehe allmählich aus
der Verdickung in die peripherischen Theile über (S. 34. 35). Erst nach dem
völligen Schlüsse der Furche beginne die Bildung des eigentlichen Nerven-
kanals , indem der verdickte Tlieil der Nervenschicht sich von der seitlichen
Ausbreitung absondert, sich um die von der Umhüllungshaut gebildete Epithelial-
röhre aufwärts krümmt und letztere endlich von der übrigen Umhüllungs-
haut trennt (S. 36). Ueber die ersten Anlagen der Sinnesorgane erfährt man
* Die zugehörigen Abbildungen ( No. £5 Tat". I Fig. 7. 8. 9. 15) sind durchaus natur-
getreue Darstellungen von Querdurchnitten des Rückens, welche die frühereu Angaben über
das Verhalten der Umhüllungshaut und die Entstehung einer Auskleidung des Centralkanals
durchaus entkräften. Da aber weder ihre Details, noch die vorangehenden und nachfolgenden
Entwicklungsstufen der ganzen Bildung mit einem einzigen Worte berührt werden, so kann
ich auf diese Abbildungen auch nicht näher eingehen, durfte aber desshalb jene älteren
Angaben nicht unerwähnt lassen.
154 IV. Die Sonderung der einzelnen Organanlagen.
»
von v. Bambecke Folgendes. Die Augenanlagen erscheinen zuerst als solide
Zellenmassen neben dem Hirne, über ihren Ursprung wird nichts angegeben;
die Ohrbläschen entstehen aus dem Nervenblatte allein, das Geruchsorgan end-
lich in gleichem Masse aus dem letzteren und der Umhüllungshaut (S. 37 — 40).
Dönitz führt als Grund gegen die Annahme eines gemeinsamen Mutter-
bodens für das Centralnervensystem, die Sinnesorgane und die Oberhaut mit
ihren Erzeugnissen an, dass die (schon ziemlich entwickelten) Anlagen des
Rückenmarks von denjenigen der Oberhaut zuweilen deutlich geschieden
erscheinen, während das Bild ihres Zusammenhangs durch die Präparation
künstlich hervorgerufen werde (No. 67 S. 615). Auf frühere Zustände der
genannten Anlagen kann Dönitz nicht eingehen, denn nach seiner „Auffassung"
entsteht „ das Centralnervensystem bei seiner anfänglich so geringen Aus-
dehnung wie mit einem Schlage aus den Bildungszellen" (S. 614). — Solchen
blossen „Auffassungen" gegenüber halte ich mich zu einer näheren Widerlegung
nicht verpflichtet.
Von einem oberen Keimblatte kann füglich erst die Rede sein, wenn alle
Elemente, welche zur Bildung der beiden anderen Keimblätter bestimmt sind,
aus der primären in die sekundäre Keimschicht übergewandert sind ; dann wird
jene erstere zum oberen Keimblatte. Dies geschieht ohngefähr in dem Stadium,
welches die Figuren 31 und 32 auf Taf. II darstellen; denn die offenbar noch
andauernde Verdünnung des genannten Blattes braucht nicht mehr durch
eine fortgesetzte Auswanderung seiner Elemente erklärt zu werden, sondern
hat ihren Grund darin, dass die letzteren nunmehr anfangen, nach einer
bestimmten Gegend des Blattes sich zusammenzuziehen, sich dort anzuhäufen,
wodurch natürlich die Mächtigkeit der übrigen Theile abnimmt.
Das obere Keimblatt besteht, wie bereits angeführt wurde, aus einer
äusseren, festgefügten Lage prismatischer Zellen, welche an ihrer der Dotter-
haut zugekehrten Seite das dunkle Pigment enthalten und den darunter befind-
lichen in zwei bis drei Lagen locker zusammenhängenden rundlichen Zellen
(Taf. III Fig. 55). Ich habe gleichfalls schon erwähnt, dass jene äussere Lage
an der RuscoNi\schen Oeffnung mit dem Darmblatte kontinuirlich zusammen-
hängt, die tiefere Schicht dagegen in das mittlere Keimblatt umbiegt (Taf. II
Fig. 31u.f!g.). Diese letztere, dir G rundschicht (Nervenschicht aut.), führt
1 . Die Leistungen des oberen Keimblattes. 155
nur die Veränderungen im Keimblatte wesentlich herbei, während die äussere
Lage oder die Deckschicht (Umhüllungshaut aut.) ihr entweder scheinbar
passiv folgt oder von der Umbildung unberührt bleibt. Die Grundschicht ist in
Folge der centrifugalen Zellenwanderung der primären Keimschicht über der
Keimhöhle, also ohngefähr gegenüber der RuscoNi'schen Oeffnung am dünnsten,
höchstens zwei Zellen hoch ; von dort aus nimmt ihre Mächtigkeit bis zum Rand-
wulste zu und zwar stärker an der Bauchseite, wo die Ausbreitung, also Ver-
dünnung der Keimschichten langsamer vor sich geht als im Rückentheile. Dies
erkennt man leicht an einem Mediandurchschnitte, während im Umkreise eines
Querdurchschnittes die Abweichungen in der Dicke der primären Keimschicht
nach Bauch und Rücken hin weniger auffallend erscheinen. Diese verhältniss-
mässig einfache Anordnung der primären Keimschicht oder nunmehr des oberen
Keimblattes verändert sich aber sehr bald, wobei eine beträchtliche Anhäufung
von Embryonalzellen in seinem Rückentheile, welche ganz offenbar von der
Bauchseite herkommt, die Hauptrolle spielt. Um diese Umbildung nach ihren
Ursachen darzustellen, muss ich auf die früheren Auseinandersetzungen über
die Bildung der Keimblätter überhaupt zurückgreifen. — Ich habe darauf auf-
merksam gemacht, wie alle fundamentalen Entwickelungsvorgänge des Eies
nicht gleichmässig in ihrer ganzen Ausdehnung verlaufen, sondern schneller und
energischer an dem Rücken- als am Bauchtheile. Den Anfang dazu macht die
primäre Keimschicht und veranlasst dadurch dieselbe Ungleichmässigkeit in
der sekundären Keimschicht, welche ja als ihre Fortsetzung betrachtet werden
kann. Durch die überwiegende Ausbreitung beider Schichten in ihren dorsalen
Theilen werden die letzteren anfangs etwas dünner als die ventralen und führen
andererseits die einzig mögliche Flächenausdelmung der ganzen Schichten,
nämlich für die primäre Keimschicht im Umkreise der dadurch gegen den
Bauch verschobenen RuscoNi'schen Oeffnung, für die gürtelförmige sekundäre
Keimschicht ausserdem noch an dem freien über die Keimhöhle vordringenden
Rande, wesentlich allein aus, sodass die trägeren ventralen Zellenmassen zu
einer Ausbreitung in derselben Richtung wie die dorsalen nicht mehr den
gleichen Spielraum wie die letzteren übrig behalten (Taf. II Fig. 33). Da aber
die Theilung der Embryonalzellen und damit das Auseinanderrücken derselben
im Bauchtheile, d. h. im Bereiche der Dotterzellenmasse gleichfalls, wenn auch
träger fortdauert, so wird diese Bewegung, soweit sie an der Flächenausdehnung
der Keimschichten nicht Antheil nehmen kann, innerhalb der Schichten
zum Ausdrucke kommen müssen. Wenn wir nun in der Folge die ventralen
256 IV. Die Sonderling der einzelnen Organaulagen.
Embryonalzellen an beiden Seiten der Darmhöhle in den Rückentheil ein-
wandern sehen, so müssen wir annehmen, dass ihre Bewegung in dieser Richtung
den geringsten Widerstand findet, ähnlich wie der dorsale Theil der sekundären
Keimschicht aus dem Bereiche der Dotterzellenmasse heraus an die Decke der
Keimhöhle vorrückte. Jene Bewegung der Embryonalzellen vom Bauche zum
Rücken hin beginnt in der sekundären Schicht oder genauer dem mittleren
Keimblatte, welches ja den ganzen ventralen Abschnitt von jener umfasst, und
offenbart sich in mannigfaltigen Bildungen bis in die spätere Embryonalzeit
hinein. Hier soll aber nur derjenigen fundamentalen Bildung Erwähnung
geschehen, welche für die zeitlich sich unmittelbar daranschliessende, gleichartige
Zellenanhäufung im Rückentheile des oberen Keimblattes von Bedeutung ist.
Die bezeichnete Zellenansammlung im mittleren Keimblatte beginnt schon zur
Zeit, wann die spaltförmige Darmhöhle eben sich zu erweitern anfängt, und
erscheint zuerst in der hinteren Hälfte des Rückens als eine leichte mediane Ver-
dickung, welche, aus der später sehr deutlich werdenden Bewegung zu schliessen,
durch den Zusammenstoss der von beiden Seiten andrängenden Zellen entstand.
Diese erste Bildung innerhalb der Keimblätter, der Axen sträng, verstreicht
nach vorne hin unmerklich und verliert sich hinten ebenso in der im Rand-
wulste enthaltenen Verdickung des mittleren Keimblattes; gegen das Darmblatt
ragt er nicht vor, sondern erhebt sich mit einer stumpfen Kante über das Ni-
veau des übrigen Blattes und drängt so gegen das obere Keimblatt an (Taf. III
Fig. 56. 57). — Sobald der Axenstrang eben kenntlich geworden ist, beginnt
auch die Zellenanhäufung in der Grundschicht des oberen Keimblattes. Un-
mittelbar über dem Axenstrange behält dieselbe ihre frühere Mächtigkeit ; in
dem Masse aber, als die Verdickung des Axenstranges sich gegen die Median-
ebene zusammenzieht, entwickelt sich jederseits von jenem medianen Theile
der Grundschicht eine leichte aber breite Anschwellung derselben (Taf. III
Fig. 57. 58). Dort, wo der Axenstrang sowohl im späteren Kopftheile als
gegen die RuscoNi'sche Oeffnung hin sich verliert, fiiessen die beiden Anschwel-
lungen in der Mitte zusammen-, und zwar schliesst die unpaare Anschwellung
vorne, eine Strecke weit vom früheren oberen Pole entfernt, unter merklicher
Verbreiterung bogenförmig ab, hinten geht sie aber ungetheilt in den Rand-
wulst über. Sobald endlich der Axenstrang sich als Anlage der Wirbelsaite
von den lateralwärts abfallenden Seitentheilen oder den Segmentplatten
(Urwirbelplatten aut.) gesondert hat, ragt die erstere ganz deutlich so weit
gegen das obere Keimblatt vor, dass sie dasselbe in der Medianebene zu
1. Die Leistungen des oberen Keimblattes. 157
verdünnen scheint, jedenfalls dessen seitliche Anschwellungen noch auseinander-
hält. Es lässt sich alsdann nicht verkennen, dass der vom Axenstrange auf
das obere Keimblatt ausgeübte Druck die Ursache für die ursprünglich
bilaterale Anordnung der Anschwellung desselben in ihrem mittleren Abschnitte
ist. Aus der folgenden Entwicklung ergibt sich aber, dass damit keine wirk-
liche Doppelanlage im oberen Keimblatte gegeben ist. Denn indem jene Seiten-
theile auf Kosten der übrigen Ausbreitung der Grundschicht deutlicher an-
schwellen , nimmt das sie über dem Axenstrange verbindende Mittelstück im
Verhältniss zu jenen dünnen peripherischen Theilen an Mächtigkeit zu, offen-
bart sich also als zu der gesammten Anschwellung der Grundschicht gehörig
{Taf. III Fig. 62). Und wenn man weiterhin beobachtet, wie die Seitentheile
gegen die Medianebene zusammenrückend endlich über der Wirbelsaite un-
mittelbar zusammenstossen und bleibend vereinigt werden, so wird man sich
der Auffassung nicht verschliessen, dass, sowie die Zellenbewegung im oberen
Keimblatte derjenigen im mittleren entspricht, ihr Erfolg im Grunde genommen
auch der gleiche ist, nämlich die Bildung einer medianen Verdickung im
Rückentheile , deren Elemente aber von der Bauchseite schneller einwandern
als der Axenstrang ihnen bis zur Medianebene vorzurücken gestattet und daher
umgekehrt wie im Axenstrange sich in den Seitentheilen stärker ansammeln
als in der Mitte. Die erste Umbildung des oberen Keimblattes erzeugt also im
Rückentheile seiner Grundschicht eine ziemlich dicke, annähernd ovale und
median gelegene Platte, deren Anschwellung nach unten gerichtet und in ihrem
mittleren Theile durch den von unten vorragenden Axenstrang eingedrückt
und dadurch in zwei seitliche Bäuche getheilt erscheint. Diese Anlage, welche
in Gemeinschaft mit dem darüberliegenden noch unveränderten Theile der
Deckschicht das ganze Centralnervensystem und die empfindenden Apparate
der drei höheren Sinnesorgane zu bilden bestimmt ist, nenne ich die Axen-
platte.*
Sobald die Embryonalzellen anfangen sich in der Axeuplatte anzuhäufen
lind zusammenzudrängen, geht ihre indifferente rundliche Form in eine läng-
liche über, deren Querdurchmesser in der Richtung der Bewegung liegt,
sodass die Zellen also senkrecht zur Eioberfläche aufrecht stehen, und man
annehmen kann, dass der Druck diese Form hervorbrachte (Taf. III Fig. 57
* Diesen Ausdruck braucht bereits Remak, aber für die ganze Rückenwand, soweit sie
die „primitive Nahrungshöble" bedeckt. (No. 40 S. 143).
^5g IV. Die Sonderung der einzelnen Organanlagen.
u. flg.). Ausserhalb der Axenplatte wird die Grundschicht des oberen Keim-
blattes durch die andauernde Zellenauswanderung sehr bald auf eine einfache
Zellenlage reducirt, deren Elemente bei der späteren Ausdehnung der ganzen
Oberfläche des Embryo flach ausgezogen werden und endlich ähnlich wie die
Deckschicht ein pflasterförmiges Gefüge bilden. Beide Schichten des oberen
Keimblattes bieten ausserhalb der Axenplatte nur ein geringes Interesse: zu
Ende der ersten Larvenperiode verschmelzen sie durch gegenseitige Ineinander-
fügung ihrer Zellen zu einer Schicht, der Oberhaut des Thieres (Taf. VIII
Fig. 159—161, Taf. XXI Fig. 364. 365). Ueber die Wimperbildung an der
Deckschicht vgl. Remak Nr. 40 S. 153.
Während die Axenplatte sich von den Seiten zusammenzieht, ist eine ste-
tige Abnahme des ganzen Querschnittes bemerkbar {Taf. III Fig. 58. 62,
Taf. IV Fig. 68). Dies ist nur möglich, wenn die von den Seiten her durch
Anlagerung wachsende Masse zugleich- sich in der Längsrichtung vertheilt; und
eine solche Längenzunahme der Axenplatte ist an den Mediandurchschnitten
leicht zu ersehen (Taf. II Fig. 33 u. flg.). Da aber ihr vorderster Theil sich
viel weniger zusammenzieht als die dahinterliegenden Abschnitte, so wird die
ganze Platte während ihrer Flächenausdehnung bim- oder kolbenförmig, was
in dem alsbald sich entwickelnden Relief der Rückenoberfläche seinen Ausdruck
findet. Es lassen sich darauf drei Abschnitte der Axenplatte unterscheiden:
das breite abgerundete Kopfende, der schmälere längliche Rumpftheil und der
an die RuscoNi1sche Oeffnung anstossende Schwanztheil , welche ich in der Be-
schreibung einzeln behandeln will.
Der Rumpftheil der Axenplatte.
Da sich aus diesem Theile (immer in Verbindung mit der zugehörigen Deck-
schicht) das Rückemark entwickelt, nenne ich seine beiden seitlichen Anschwellun-
gen die Medullär platten, welche aber nach der gegebenen Erklärung als von
Anfang an zu einer einzigen Anlage verbunden zu betrachten sind, und nur a'us
praktischen Rücksichten als besondere Seitenhälften derselben oder der Axen-
platte beschrieben werden sollen. — Während die Wirbelsaite die Medullarplatten
nur mehr an ihrer Grenzscheide unterstützt, ruhen dieselben vorherrschend auf
den Segmentplatten, welche anfangs ziemlich gleichmässig unter ihnen ausge-
breitetsind. In dem Masse aber, als die Medullarplatten sich zusammenziehen, ent-
wickeln sich die Segmentplattcn gleichsam zu dicken Polstern, auf denen jene
1. Die Leistungen des oberen Keimblattes. 159
ruhen {Taf. III Flg. 62, Taf. IV Flg. 68. 75). Diese an Mächtigkeit be-
ständig zunehmende Unterlage ist offenbar die Ursache, dass die Medullar-
platten nicht mehr wie früher die Anhäufung ihrer Zellen nur in abwärts ge-
richteten Bäuchen offenbaren, sondern über ihr früheres Niveau sich erheben
und zu beiden Seiten der Medianebene je eine flache längliche Anschwellung
der Eioberfläche erzeugen. Da aber die Wirbelsaite zu dieser Zeit nicht eben-
so schnell in die Höhe wächst wie die Segmentplatten und durch einen innigen
Zusammenhang mit dem über ihr befindlichen Theile der Axenplatte diesen
von einer Erhebung über das frühere Niveau zurückhält, so entsteht zwischen
jenen beiden seitlichen Erhebungen eine Einsenkung, die Rückenrinne.
Sie ist das erste am unberührten Eie sichtbare ■ Zeichen von der begonnenen
Umbildung der Keimblätter, da die sie einfassenden Erhebungen eigentlich nur
durch entsprechende Verfärbungen der Eioberfläche, welche aber nicht be-
ständig sind, angedeutet werden {Taf. III Flg. 39). Die Rückenrinne zeigt
sich zuerst im Schwanz theile, wo sie aus der RuscoNi'schen Oeffhung auszu-
gehen scheint* und entwickelt sich dann succesiv Ins in den Kopftheil {Taf. III
Fig. 40 — 42). Im Rumpfe besteht sie aber nicht lange. Solange die Segment-
platten vorherrschend in ihren medialen Rändern ansteigen und die Wirbelsaite
sogar etwas überragen, erscheint der mittlere Theil der Axenplatte am stärk-
sten eingezogen und die Rinne am tiefsten. Wenn aber darauf die Wirbel-
saite und jene sie einfassenden Ränder an Höhe verlieren und in ein gleiches
Niveau zurücksinken, wenn andererseits die Verdickungen der Medullarplatten
von beiden Seiten zusammenfliessen und dadurch die von einer Seite zur andern
wechselnde Mächtigkeit des Querschnitts ausgleichen, dann ist auch die Rücken-
rinne zugleich mit den Ursachen ihrer Bildung verschwunden {Taf. IV Fig. 75).
Sie ist also weder eine besondere Anlage, noch als der Ausgangspunkt wichtiger
Bildungen anzusehen, sondern bloss das äussere Merkmal eines vorübergehen-
den Zustandes der Axenplatte, wählend dessen die Verdickungen der Medullar-
platten noch nicht zusammengeflossen sind. Den Vorzug einer besondern Be-
nennung verdankt die Rückenrinne vor vielen ähnlichen vergänglichen Bildun-
gen dem Umstände , dass sie die erste Entwickelungserscheinung an der sonst
noch unveränderten Oberfläche des oberen Keimblattes ist.
* Ich werde in dem Abschnitte , welcher den Schwanztheil der Axenplatte besonders
behandeln soll, nachweisen, dass die Rinne, welche aus der RuscoNi'schen Oeffnung ent-
springend in die Rückenrinne übergeht, mit dieser letzteren genetisch nicht übereinstimmt
2(30 IV. Die Sonderung der einzelnen ürgananlagen.
Während des Bestandes der Rückenrinne beginnt die Deckschicht des obe-
ren Keimblattes mit den medialen Hälften der Medullarplatten zu verschmelzen.
Beide Theile waren vorher nicht nur getrennt, sondern auch durch ihre Zellen
unterschieden, welche in der Deckschicht annähernd kubisch, in den Medullar-
platten länglich und gegen die Medianebene geneigt erschienen. Zur bezeich-
neten Zeit nehmen die Elemente der Deckschicht über den medialen Hälften
der Medullarplatten die Form und Richtung der darunterliegenden Zellen an
und schliessen sich ohne deutliche Grenzen den letztern an. Zwischen den so
veränderten medialen und den lateralen Theilen der Deckschicht entsteht jeder-
seits eine leichte Kerbe, welche zur Grenzscheide einer äusseren lateralen und
einer inneren medialen Hälfte der Rückenmarksanlage der betreffenden Seite
wird {Taf. IV Fig. 67. 68). Die weitere morphologische Umbildung dieser
Hälften zu einer Rückenmarksröhre erfolgt unter ähnlichen Umständen wie die
Entstehung der Axenplatte. In diesem letzteren Falle wanderte nur ein Theil
der Zellen des oberen Keimblattes , nämlich bloss innerhalb der Grundschicht
vom Bauche und den Seiten zum Rücken hinauf; weiterhin dehnen sich aber
beide Schichten, welche im Anschlüsse an die Rückenmarksanlage die Ober-
hautanlage darstellen, gemeinsam in derselben Richtung aus. Diese Bewegung
offenbart sich dadurch, dass die an der Grenze von Rückenmarks- und Ober-
hautanlagen befindlichen Theile des obern Keimblattes sich über die ursprüng-
liche Fläche erheben und eine Falte bilden, welche sich nach innen gegen die
Mediaaebene umrollt. Untersucht man die Einzelheiten dieses Vorgangs, so
findet man wiederum, dass die Veränderungen des oberen Keimblattes keine
durchaus selbstständigen sind, sondern mit den gleichzeitigen Umbildungen der
Nachbartheile in innigstem Zusammenhange stehen. Solange die Aussenfläche
des oberen Keimblattes beim Uebergange von der Rückenmarks- zur Oberhaut-
anlage keine merkliche Unterbrechung ihrer gleichmässigen Krümmung erfuhr,
war das untere Relief der Medullarplatten so geformt, dass die äussere Hälfte
den ursprünglichen Bauch darstellte, die innere Hälfte, in Folge der Bildung der
Rückenrinne, konkav gekrümmt war-, damit stimmte die Form der Segment-
platten, deren medialer Rand höher als der laterale und deren Oberfläche nur
leicht geschweift war {Taf. IV Fig. 68). In der Folge gleicht sich jedoch jenes
Relief der Medullarplatten aus, ihre untere Fläche wird eben, die Rinne ver-
schwindet; dies ist natürlich nur möglich, wenn zugleich der vorragende me-
diale Rand der Segmentplatten bis zur Höhe der Wirbelsaite einsinkt. Dafür
erhebt sich der laterale Rand jener Platte und fällt steiler nach aussen gegen
1. Die Leistungen des oberen Keimblattes. 161
die übrige Ausbreitung des mittleren Keimblattes ab. Dadurch muss die frü-
here Gleichmässigkeit der Oberfläche des Rückens gestört werden, und da der
zuletzt genannte Rand der Grenze zwischen Rückenmarks- und Oberhautanlage
entspricht, so entsteht jederseits aus der lateralen Hälfte der ersteren und der
daranstossenden Oberhaut ein flacher Wulst — der Rücken willst, welcher
medianwärts durch die oben bezeichnete Kerbe sehr deutlich, lateralwärts aber
durch eine leichte und breite Einsendung der Oberfläche weniger bestimmt ab-
gegrenzt wird {Taf. III Fig. 40 — 42, Taf. IV Fig. 75). Indem sich die Rücken-
wülste erheben, entsteht zwischen ihnen eine flache Vertiefung — die Medul-
lär für che, deren Boden also aus den innern Hälften der Rückenmarksanlage
besteht, während die äussern lateralen Hälften, indem ihre Konvexität von der
untern nunmehr flachen Seite an die Oberfläche überging, die seitliche Einfas-
sung bilden. — Die weitere Entwicklung der genannten Rückentheile, soweit sie
sich äusserlich kundgibt, lässt sich nun dahin zusammenfassen, dass die Wülste
höher, schmäler und steiler werden und von beiden Seiten näher zusammen-
rücken, wodurch die Medullarfurche tiefer und enger wird. Wenn aber die
Beobachtung des unberührten Eies in dieser Veränderung nur eine Wachsthums-
bewegung erblicken durfte, so lehrt die Untersuchung der Durchschnitte, dass
jene äussere Veränderung auf einer ziemlich umfassenden Umbildung aller
schon genannten Anlagen des oberen wie des mittleren Keimblattes beruht.
Betrachten wir zunächst die Rückenwülste. Solange sie ganz flach sind, haben
sie eine nach oben und aussen gewandte konvexe Oberfläche, welche in ihrem
grösseren medialen Theile der Rückenmarksanlage angehört, während die Ober-
hautanlage nur zum geringeren Theile in die Konvexität hineingezogen ist; man
kann daher unter solchen Umständen die Rückenwülste allerdings im wesentlichen
als Theile der Rückenmarksanlage bezeichnen. Dies ändert sich jedoch alsbald.
Die Oberhautaulage drängt offenbar medianwärts und da sie die Rückenmarks-
anlage, mit deren äusserem Rande sie zusammenhängt, nicht vor sich her
schieben kann, so wälzt sie deren laterale Hälfte medianwärts um, sodass die
ganze Rückenmarksanlage gleichsam gebrochen wird, jederseits an der freien
Fläche statt einer Kerbe einen Winkel, an der untern Seite aber eine ent-
sprechende Kante erhält [Taf. V Fig. 83. 84). Indem aber auf diese Weise die la-
terale Hälfte der Rückenmarksanlage ihre obere Fläche medianwärts, ihre untere
Fläche von jener Kante an lateralwärts wendet, legt sich der aufwärts in den
Rückenwulst vorgerückte Streifen der Oberhaut an die zuletzt genannte Fläche
an und bildet so mit den Seitentheilen der Rückenmarksanlage eine wirkliche
Goette, Entvvickelungsgeschichte. H
1(32 IV. Die Sonderung der einzelnen Organanlagen.
geschlossene Falte, welche daher als Rückenwulst median- und lateral wärts
zwei verschiedene Anlagen in ohngefahr gleicher Ausdehnung enthält, sich also
von der früheren Entwicklungsstufe des Rückenwulstes erheblich unterscheidet
und durchaus nicht einen blossen Fortschritt im Wachsthum derselben vorstellt.
Bei diesen Umwandlungen bleiben aber die übrigen Rückenanlagen nicht imthätig.
Die medialen Hälften der Medullarplatten werden von den lateralen in die Höhe
gehoben, während sie medianwärts an der Wirbelsaite haften bleiben, sodass
die beiderseitigen Platten in der Medianebene, wo früher die Rückenrinne lag,
mit einander einen Winkel bilden. Entsprechend allen diesen Bewegungen des
oberen Keimblattes haben sich auch die Segmentplatten merklich verändert. Ihr
lateraler Rand hat sich successiv auf- und medianwärts verschoben, sodass die
Platte nicht mehr einen länglich viereckigen, sondern einen ohngefahr dreiecki-
Querdurschnitt zeigt, dessen innere dachähnlich abfallende Fläche der medialen
Hälfte der Medullarplatte zur Unterlage dient. Ob die gleichzeitige Höhenab-
nahme des medialen Randes der Segmentplatte und der Wirbelsaite bloss eine
relative sei oder auch thatsächlich stattfinde t habe ich nicht entscheiden können,
da jene Grössen bei den verschiedenen Embryonen sehr schwanken. — Fasst man
nun die Gestalt der ganzen Rückenmarksanlage ins Auge, so kann man sie als
eine trogartige Bildung bezeichnen, welche aus zwei aufrechten Seitenwänden
und einem Boden besteht, dessen symmetrische Hälften nicht in einer Ebene lie-
gen, sondern zur Mittellinie abfallend dort unter einem Winkel zusammenstos-
sen. Jene Seitenwände oder die Rückenwülste neigen sich nun mit ihren obe-
ren Rändern allmählich zur Medianebene also gegen einander, und endlich be-
rühren sich dieselben und verwachsen mit einander, sodass dadurch die trog-
ähnliche Bildung sich in eine Röhre umwandelt (Taf. V Fig. 87. 93). Dieser Vor-
gang ist nur eine unmittelbare Fortsetzung der einmal begonnenen Umwälzung
der lateralen Hälften der Rückenmarksanlagen; bei diesem letzten Abschnitte
der Bewegung sind aber nur die Rückenwülste selbst thätig, während die übri-
gen Anlagen keinen Antheil daran erkennen lassen. Sowie die Wülste zusam-
mengestossen sind, zeigt die Rückenmarksanlage in ihrem Durchschnitte eine
etwas eckige Herzform und umschliesst einen im Querschnitte rautenförmigen
Kanal, den unteren Raum der früheren Medullarfurche , welcher zum Central-
kanal des Rückenmarks wird. Eine besondere Aufmerksamkeit verdienen
während der zuletzt beschriebenen Entwickelung die histologischen Verhält-
nisse der Rückenmarksanlage. Die Eintheilung in eine mediale und eine late-
rale Hälfte, welche sich morphologisch sehr deutlich kund giebt, wurde zuerst
1. Die Leistungen des oberen Keimblattes . 1G3
durch eine histologische Verschiedenheit der Theile angebahnt: in der medialen
Hälfte verschmolz die Deckschicht mit der Medullarplatte mehr oder weniger
vollständig, sodass nur die stärkere Pigmentirung als Merkmal der früher ge-
sonderten obersten Zellenlage zurückblieb; in der lateralen Hälfte blieb die
ursprüngliche Sonderüng bis zum Schluss der Medullarfurche bestehen, sodass
ich in der Beschreibung immerhin einen Unterschied zwischen der ganzen
Rückenmarksanlage und der Medullarplatte machen musste. Wenn also die
Wülste zusammentreffen, so berühren sich zunächst nur die noch unveränderten
Streifen der Deckschicht, welche die früher lateralen Hälften der Medullar-
platten überziehen und von dort in der gleichen Zusammensetzung in die Ober-
hautanlage übergehen. Erst wenn die Verschmelzung der sich berührenden
Flächen beginnt, assimilirtsich die Deckschicht auch im oberenTheile desRücken-
marks der übrigen Masse, sodass also ein verhältnismässig nicht unbedeuten-
der Theil der Deckschicht mitten unter die Elemente der Grundschicht, welche
anfangs allein Medullarplatte hiess, geräth, während für die übrige Ausbrei-
tung der zur Rückenmarksanlage gehörigen Deckschicht nur noch das Pigment
in der Wand des Centralkanals die frühe Selbstständigkeit andeutet. Diese
Thatsachen bezeugen hinlänglich die früher hervorgehobene Gleichartigkeit
beider Schichten des oberen Keimblattes in Bezug auf die Anlage des Central-
nervensystems. — Durch die beschriebene Umwälzung der Rückenwülste sind
die beiderseitigen Ränder der Oberhautanlage, durch welche dieselbe in die
Rückenmarksanlage übergeht, über der letzteren einander sehr nahe gerückt;
sobald nun die Berührung der beiden Rückenwülste über dem Oentralkanale in
Verschmelzung übergegangen ist, so vereinigen sich auch jene Ränder und
trennen sich alsdann von dem Rückenmarke, sodass die Oberhautanlage über
dem letzteren eine kontinuirliche Haut bildet, welche nur noch einige Zeit über
der Rückenmarksnaht eingezogen erscheint und damit die bilaterale Anlage der
oberflächlichen Bildungen des Rückens andeutet {Taf. V Fig. 93 u, flg.). —
Das selbstständig gewordene Rückenmark ruht mit seiner unteren sich abwärts
verschmächtigenden Hälfte zwischen den entsprechend gebildeten Segmentplat-
ten, während der obere Theil zunächst nur von der Oberhaut bedeckt wird.
Bald verliert der Querschnitt des Centralkanals seine rautenförmige Gestalt
und wird aufrecht länglich, bisquitförmig ; dann rundet sich auch die äussere,
anfangs eckige Oberfläche des Rückenmarks, dessen Umriss im Querdurch-
schnitte oval wird {Taf. VI Flg. 114. 115, Taf. VII Fig. 136 - - 139.) Die
obere und die untere Wand des Centralkanals werden dabei schmal und dünn,
11*
154 IV. Die Sonderling der einzelnen Organanlagen.
während die Masse der Einbryonalzellen sich in den Seitentheilen anhäuft.
Auf diese Weise erscheint die fertige Rückenmarksröhre aus zwei senkrechten
dicken Platten zusammengesetzt, welche oben und unten in die dünnen und
schmalen Verbindungsstücke umbiegen, zeigt also eine ähnliche bilaterale An-
ordnung der Elemente wie ihre erste Anlage.
Der Kopftheil der Axenplatte.
Im allgemeinen hat die Axenplatte auch im Kopftheile die gleiche Anlage
und Entwicklung wie im Rumpfe, und die einzige wesentliche Besonderheit des
Kopftheils liegt in dem vorderen Abschlüsse der Axenplatte. Sobald nur dieser
Kopftheil erkennbar wird, sind bereits die seitlichen Verdickungen der Axen-
platte am vordersten Ende in einem Bogen zusammengeflossen; am Kopfende er-
folgt also offenbar die beschriebene Zellenverschiebung des oberen Keimblattes
nicht bloss von beiden Seiten sondern auch vorne, sodass die peripherische Ver-
dickung der Axenplatte gleich anfangs nicht einfach bilateral, sondern halb-
kreisförmig erscheint, wodurch eben die Platte ihren vorderen Abschluss ge-
winnt. Dies lässt sich aus Quer- und Mediandurchschnitten leicht nachweisen-,
und namentlich an den letzteren deutet der Durchschnitt der queren, vorderen
Verbindung der lateralen Verdickungen die Axenplatte zuerst ganz allein an
(Taf. II Fig. 33. 34, Taf. III Fig. 59). Schon aus dieser ersten Anlage des
Kopftheils der Axenplatte erhellt, dass er der Länge nach aus verschieden ge-
bildeten Abschnitten besteht, deren Unterschiede später noch stärker hervor-
treten. Desshalb empfiehlt sich für die Betrachtung der Entwickelung dieser
Anlagen die systematische Anordnung, dass man von einem Stadium zum an-
dern fortschreitend, die betreffenden Querdurchschnitte in ihrer Reihenfolge durch-
mustert und zwar von dem schon bekannten Rumpftheile ausgehend alle Bil-
dungsübergänge bis zum vordersten Ende der Anlage verfolgt*
Erste Ent wickelungs stufe. Aeusserlich ist an der kugeligen Rücken-
fläche des Eies noch keine Gestaltveränderung zu sehen; bisweilen ist die bereits
vorhandene Axenplatte durch eine hellere Färbung der Oberfläche angedeutet,
und wenn dieselbe auch nicht bestimmt begrenzt ist, so lässt sich docli meist
* Die Abbildungen geben selbstverständlich nur je eine Auswahl aller Schnitte, in die
ein Embryo zerlegt wurde, und da nicht bloss auf eine, sondern auf alle Organanlagen zu-
gleich Rücksicht genommen werden musste, so habe ich um so mehr gestrebt, nur die aller-
nothwendiesten zusammenzustellen.
1. Die Leistungen des oberen Keimblattes. 165
ein Oval erkennen, dessen Spitze an die RuscoNi'sche Oeffnung stösst. In
Uebereinstimmung mit diesem äusseren Befunde lehren die Querdurchschnitte,
dass die Axenplatte in dem mittleren Abschnitte ihrer Länge nicht schmäler
ist, als in dem vorderen Theile, dass also Rumpf- und Kopftheil noch voll-
kommen ungeschieden in einander übergehen und die Bedeutung des letzteren
sich wesentlich darauf beschränkt, dass er, wie schon angedeutet wurde, den
vorderen Abschlnss der Axenplatte bildet, indem ihre seitlichen Verdickungen
dort bogenförmig in einander übergehen.
Zweite Entwickelungsstufe (Taf. IIIFig.59— 62). Dashelle Oval hat
sich in der Mitte etwas zusammengezogen, ist annähernd birnförmig geworden;
das breite runde Ende (Kopftheil der Axenplatte) scheint sich schildförmig über
sein früheres Niveau erhoben zu haben, obgleich es beim Mangel eines deutlich
abfallenden Randes schwer zu konstatiren ist. Die innere Untersuchung stellt
zunächst fest, dass, wenn der Kopftheil der Axenplatte auch vielleicht etwas
später entsteht, als die andern Theile, er sie dennoch in seiner Entwickelung
durch die grössere Energie der zu Grunde liegenden Zellenbewegung überflügelt.
Er wird mächtiger und breiter als der Rumpftheilund koncentrirt sich immer mehr
durch die Zusammenziehung der Elemente von einem beinahe kreisförmigen
Umfange gegen einen gemeinsamen Mittelpunkt, während in der übrigen Axen-
platte die von zwei Seiten angehäuften Zellen den nachrückenden nach vorn
und hinten ausweichen, wodurch der Rumpftheil schon sehr frühe sich streckt
und schmächtig wird. Doch bietet das Relief an der unteren Fläche beider
Abschnitte noch weitere Unterschiede dar. Im Rumpftheile sind die seitlichen
Anschwellungen soweit zusammengerückt, dass sie als zwei mit ihren Rändern
unmittelbar zusammenhängende Bäuche (Medullarplatten) erscheinen. Im Kopf-
theile, welcher sich viel langsamer und in geringerem Masse zusammenzieht,
bleiben die seitlichen Anschwellungen mehr auf den Rand der Axenplatte be-
schränkt, während ein nach Breite und Dicke ansehnliches, nach unten konkav
gebogenes Mittelstück die ursprüngliche Einheit der ganzen Platte gegenüber
ihrer Entwickelung aus scheinbar getrennten Seitenhälften im Rumpftheile
hervorhebt. Aber auch im Kopftheile selbst lassen sich zunächst zwei auf-
einanderfolgende Abschnitte unterscheiden. In der hintern Hälfte ist die Axen-
platte im Anschlüsse an den Rumpftheil weniger mächtig, und ihre Unterlage,
Wirbelsaite und Segmentplatten, stimmt wesentlich mit derjenigen des Rumpf-
theils überein; an der unteren Fläche der Axenplatte erscheint die Randan-
schwellung durch eine leichte Kerbe von dem Mittelstücke abgesetzt. Beim
IQQ IV. Die Sonderling der einzelnen Organanlagen.
Uebergange in den vordem Abschnitt des Kopftheils verliert sich die Wirbel-
saite und vom mittleren Keimblatte bleibt nur eine einfache dünne Zellenlage
zurück, wogegen die Axenplatte daselbst ihre grösste Mächtigkeit erreicht und
dieselbe bei der gleichen Unterlage bis zum vordersten Ende behält, wo sie
bogenförmig abschliesst und in die übrige dünne Ausbreitung des oberen Keim-
blattes übergeht. — Untersucht man aufmerksam den äusseren Saum des Kopf-
theils der Axenplatte, so entdeckt man darin eine feine Spalte, welche von der
unteren Fläche her zwischen der eigentlichen Anschwellung und dem zuge-
schärften Rande allmählich aufwärts vordringend rund um den ganzen Kopf-
theil einen dreikantig prismatischen Streifen von der übrigen Axenplatte ab-
löst, sodass nur eine dünne Verbindung beider Theile an der Oberseite
übrig bleibt. Ich nenne jenen Streifen nach den daraus hervorgehenden Organen
Sinnesplatte; das von ihm in mehr als einem halben Kreise umschlossene
Centrum der Axenplatte ist dagegen die Anlage des Hirns, — Hirnplatte.
Diese Sonderung beginnt an beiden Seiten des Kopftheils der Axenplatte und
erscheint am vordersten Ende erst auf der folgenden Entwickelungsstufe; beim
Uebergange in den Rumpftheil wird die Sinnesplatte, indem die Spalte sich
verliert, in die ungetheilteMedullarplatte aufgenommen. Die Anlage des Rücken-
marks setzt sich also ursprünglich nur mit ihrem mittleren Theile in die Hirn-
anlage fort, wogegen ihre seitlichen Theile in die Anlagen der drei sogenannten
höheren Sinnesorgane auslaufen. Auf derselben Entwickelungsstufe bildet sich
j euerseits an der Oberfläche der Hirnplatte und dicht an ihrem äussern Rande
eine Kerbe, welche gleichwie in der Rückenmarksanlage die Bedeutung hat, dass
nach aussen von ihr der Wulst sich erheben wird, in welchem die äusseren
Theile der Platte sich nach oben und innen umwälzen sollen, um die Hirn-
höhlen zu bilden. Diese Kerbe ist zuerst nur auf einen kleinen Theil des
seitlichen Randes beschränkt, welcher zum Ausgangspunkte der ganzen be-
zeichneten Bildung wird; daher senkt sich auch die Deckschicht, welche wie
in der ganzen übrigen Axenplatte, so auch im Kopftheile derselben von der
Grundschicht noch gesondert ist, in jene Kerbe noch nicht ein, sondern über-
deckt sie brückenartig. Bis zur nächsten Entwickelungsstufe sind aber an der
bezeichneten Stelle beide Schichten zu einer Furche eingesunken, welche sich
vorwärts rund um den Kopftheil und rückwärts auf den Rumpftheil fortsetzt.
Der Ursprung dieser Furche am Kopftheile ist ein weiteres Zeichen , dass die
Entwicklung dort schneller fortschreitet als im Rumpftheile. Endlich bemerke
ich noch, dass die Zellen der Grundschicht im Kopftheile ebenso wie es früher
1. Die Leistungen des oberen Keimblattes. 1(37
vom Rumpftheile bemerkt wurde, sich strecken und aufrecht stellen , sobald
ihre Anhäufung einen gewissen Grad erreicht hat.
D r i 1 1 e E n t w i c k e 1 u n g s s t u f e (Taf. III Fig. 41, Taf. IV Fig. 63— 66).
Der Embryo hat noch immer seine kugelige Gestalt, die Rückenseite eine halb-
kreisförmige Axe. An der Oberfläche verläuft in der Mittellinie die Rücken-
rinne; jederseits in einem gewissen Abstände davon erheben sich die inneren
Ränder der noch flachen Rückenwülste, welche von hinten ein wenig divergirend
gegen den Kopftheil verlaufen , aber dort angelangt stärker zur Seite ausweichen,
um sich am Vorderende in einem gefälligen Bogen zu vereinigen. Um die unter
diesem einfachen äusseren Bilde verborgenen mannigfaltigen Abweichungen der
gleichsinnigen Anlagen in den verschiedenen Abschnitten aufzudecken, ist ein
methodisches Studium der Querdurchschnitte durchaus nothwendig. Hinsicht-
lich der allgemeinen Verhältnisse findet man zunächst, dass die Deckschicht
sich der Hirnplatte innerhalb der Wülste in derselben Weise anpasst, an den
Wülsten selbst aber noch gesondert bleibt, wie ich es am Rumpftheile beschrieb.
Auch die Rückenrinne, welche vom Rumpfe her in den Kopftheil eindringt,
entsteht dort unter den gleichen Umständen, wie in der Rückeumarksanlage,
bisweilen wird die Hirnplatte in ihrem hinteren Abschnitte unter der Rinne
kielartig abwärts gezogen, wobei ihr inniger Zusammenhang mit der Wirbel-
saite sich deutlich kundgibt. In der Mitte des Kopftheils dagegen, wo die
Wirbelsaite aus der bereit liegenden Zellenmasse sich noch nicht xlifferenzirt
hat, hört auch die Rinne auf, während sie später an derselben Stelle von der
sich weiter vorwärts entwickelnden Wirbelsaite hervorgerufen wird. Alle diese
Beobachtungen halte ich für geeignet, die von mir gegebene Erklärung über
die Bildung der Rückenrinne wesentlich zu unterstützen. — Ich wende mich
nun zu den wichtigeren Umbildungen der Hirn- und der Sinnesplatte, welche
sich im ganzen Umfange des Kopftheils der Axenplatte geschieden haben.
Geht die Untersuchung in der angegebenen Weise von den bekannten Quer-
durchschnitten des Rumpftheils aus, so ist es leicht die Stelle zu finden, wo die
Medullarplatten sich in Hirn- und Sinnesplatte spalten ; die letztere begreift nur
so viel vom lateralen Theile der ganzen Axenplatte, dass die Hirnplatte jeder-
seits noch etwas in den Wulst hineinreicht. Die äussere, der Deckschicht zuge-
kehrte Fläche der Sinnesplatte hat sich — wie es scheint, unter theilweiser
Auswanderung der Elemente in die Hirnplatte — vertieft und von jener Schicht
etwas entfernt-, die Sinnesplatte macht dadurch den Eindruck, als wäre sie
bloss ein etwas verdickter und nach innen eingedrückter Theil der zur Oberhaut-
1(38 IV. Die Sonderung der einzelnen Organanlagen.
anläge gehörigen Grundschicht, während sie genetisch durchaus zur Axenplatte
gehört. Diese Verwandtschaft zeigt sich auch in den Zellen, welche in der
Sinnesplatte sich ebenso wie in der Anlage des Centralnervensystenis ordnen,
nämlich länglich werden und sich aufrecht stellen. Wenn aber die Sinnesplatte
einige Zeit nach ihrer Entstehung an die Hirnplatte angeschmiegt blieb , so hat
sie sich nunmehr in der hintern Hälfte des Kopftheils von derselben entfernt.
Dies geschieht auf die Weise, dass die Hirnplatte sich von der Seite zur Mitte
zusammenzieht, die Sinnesplatte in der genannten Region ihr aber nicht folgt,
sondern an der frühern Stelle liegen bleibt, wobei das Verbindungsstück zwischen
beiden Platten sich ausdehnt. Indem sich aber der untere Bauch der Hirnplatte
von der Sinnesplatte zurückzieht, wird die Spalte, die früher ihre Trennung be-
wirkte, weit geöffnet, und in dem Masse, als dies geschieht, wird der neu ent-
stehende Raum mit einer Neubildung des mittleren Keimblattes, nämlich mit
den äusseren Segmenten des Kopfes angefüllt, welche zwischen der
Hirn-, Sinnes- und Segmentplatte eingeschlossen einen beiläufig dreieckigen
Durchschnitt zeigen. — In der vordem Hälfte des Kopftheils ist die Sinnes-
platte über die äusseren Segmente hinweg der sich zusammenziehenden Hirn-
platte* nachgerückt und bleibt an den oberen sich aufwärts krümmenden Rand
derselben dicht angedrückt. In diesem ganzen vorderen Theile ist die Hirn-
platte dicker als gegen den Rumpftheil hin und im Ganzen noch konvex nach
oben, an der unteren Fläche aber konkav gekrümmt, was durch die leistenartig
entwickelten seitlichen Verdickungen noch stärker ausgeprägt erscheint. Wie
schon früher steht die Dicke der Hirnplatte im umgekehrten Verhältnisse zur
Mächtigkeit ihrer Unterlage, daher die letztere im vorderen Abschnitte des
Kopftheils zu einer einfachen Zellenlage wird. Ebenso besteht das früher be-
schriebene Relief der unteren Fläche noch einige Zeit fort, und die beiden
Furchen an der Oberfläche bleiben dort am tiefsten , wo sie zuerst entstanden,
nämlich an den Seiten des runden Kopftheils.
Vierte Entwicklungsstufe {Taf. II Fig. 35, Taf. III Fig. 42. 50,
Taf. IV Fig. 71 — 75). Der bisher noch kugelige Embryo wird während der wei-
teren Ausbildung der Medullarfurche länglich ausgezogen; indem die Rückenseite
sich abflacht, ihre Axe sich einer geraden Linie nähert und der Querschnitt des
ganzen Körpers merklich abnimmt, wird die aus der Kugelform herausgedrängte
Masse an die Enden der Rückenseite, d. h. gegen das Kopf- und das Schwanz-
ende des embryonalen Körpers verschoben. Bei äusserlicher Untersuchung entzieht
sich jedoch eine Thatsache der Erkenntniss, welche für die Aufklärung der
. 1. Die Leistungen des oberen Keimblattes. IG',)
Ursachen jener Gestaltveränderung von Bedeutung ist; ich meine die Knickung
der Rückenaxe in der Mitte des Kopftheils. Sieht man sich die von den
Wülsten umschriebene Rückenbildung am unberührten Eie an, so bildet sowohl
die höchste Erhebung, so zu sagen der Grat der Wülste, welcher in der Seiten-
ansicht den Kontur des Rückens beschreibt, als auch der ganze äussere Ab-
hang der Wülste, dessen Fuss dem Boden der Cerebromedullaiiürche oder
der ursprünglichen eigentlichen Rückenfläche zu entsprechen scheint, eine un-
unterbrochene, gleichmässige Krümmung, welche allmählich in ihrer ganzen
Ausdehnung flacher wird. So kommt man zur Ansicht, als strecke sich die
ganze ursprünglich krumme Axe allmählich zu einer geraden aus; dagegen weist
aber der mediane Durchschnitt eine beinahe rechtwinklige Knickung derselben
im vordem Theile auf. Die Auflösung dieses Widerspruches geben die Quer-
durchschnitte. Behält man den Grat der Wülste im Auge, so überzeugt man
sich, dass der Abstand desselben vom Boden der Cerebromedullarfurche,
also die Tiefe der letzteren je nach der Körperregion wechselt, wie es sich aus
einem Vergleiche der eben bezeichneten Abbildungen klar ergibt*. Am
Schwanzende ist die Tiefe der Medullarfurche gering; in der Mitte des Rückens
und beim Uebergange in den Kopftheil nimmt sie merklich zu, indem die
Rücken wülste in dem Masse als die ursprüngliche Rückenfläche einsank, sich
heben. Bis zur Mitte des Kopfes flacht sich die Medullarfurche wieder ab, in-
dem die Hirnplatte an der Knickungsstelle gewissermassen hervorgedrängt, die
Erhebung und Umwälzung der Wülste zurückgehalten wird. In der vorderen
Kopf hälfte erheben sich die Wülste wieder bis zu ihrer vorderen bogenförmigen
Vereinigung, wo ihre Umwälzung zugleich am stärksten ausgebildet, derGrund
der umschlossenen Einrenkung am meisten in die Tiefe gedrückt ist. Jener
hervortretende mittlere Theil der Hirnplatte verdeckt aber den Eingang zu der
davor und darunter entstandenen Tasche und lässt die Richtung und Ausdeh-
nung derselben, mithin die starke Umbiegung der Hirnplatte leicht übersehen.
Da nun die Rückenwand des Embryo während der bisher geschilderten Ent-
wickelung in ihrem Dickendurchmesser sich nicht wesentlich verändert, also
ihre Axe sich der Oberfläche analog verhält, so kann man an dem medianen
* Ich mache darauf aufmerksam, dass die Querdurchschnitte dieser und der folgenden
Entwickelungsstufe (Taf. V Fig. 81 — 84) noch durchweg, also auch in der vordersten Kopf-
region, senkrecht zur ursprünglichen Rückenfläche, d. h. zum Mittelpunkte des embryonalen
Körpers radial konvergirend ausgeführt worden sind, während in den weiteren Schnittreihen
die Schnittrichtungen einander alle parallel und senkrecht auf der Hauptaxe , daher aber in
der vordersten Kopfabtheilung dem rechtwinklig abgebogenen Axenabschnitte parallel stehen
170 IV Die Sonderung der einzelnen Organaalagen.
Umrisse der letzteren die Umbildung der ursprünglichen halbkreisförmigen
Rückenaxe verfolgen. Wenn diese Bogenlinie in zwei gesonderten Abschnitten
sich gerade streckt, d. h. mit den betreffenden Sehnen zusammenfällt, so müssen
diese beiden geraden Linien unter einem Winkel zusammenstossen, die ganze
ursprüngliche Linie ein Knie bilden. Wenn aber der hintere, bedeutend län-
gere Schenkel weiterhin als die eigentliche Rücken- und Körperäxe gilt, so
darf dabei nicht vergessen werden, dass der kurze vordere Abschnitt nicht
nachträglich von einer bereits geraden Linie abgebogen wurde, sondern beide
Theile gleichzeitig und von einander unabhängig entstanden, und ihr späteres
Verhältniss zu einander aus der ursprünglichen Bildung der sie gemeinsam um-
fassenden Linie hervorging.
Es bleibt jetzt noch übrig, an der Reihe der Querdurchschnitte auf einige
Einzelheiten aufmerksam zu machen. Ich habe am Rumpftheile gezeigt, dass
die lateralen Hälften der Medullarplatten längs der Kerben der Deckschicht
zur Umwälzung nach oben abgebogen werden-, in der Kopfregion, wo jener
Seitentheil der Hirnanlage durch die Ablösung der Sinnesplatte merklich ver-
schmälert wird, geschieht die Abbiegung gleichsam nach innen von der ur-
sprünglichen Kerbe, indem die letztere sich medianwärts zu einer breitern
Bucht erweitert, und so dem sich erhebenden Seitentheile eine grössere Masse
zutheilt. Indem nun diese Seitentheile der Hirnplatte aufwärts gekrümmt wer-
den und zugleich die mit ihrem Rande zusammenhängenden Theile des obern
Keimblattes sich steiler erheben, bilden sich dem entsprechend die Wülste aus,
welche aber nicht wie im Rumpftheile bloss eine Falte des obern Keimblattes
darstellen, sondern in ihrem Innern noch die vom mittleren Keimblatte abstam-
menden äusseren Segmente enthalten. Es wird aber hieraus ersichtlich, wie
die Wülste am Kopftheile noch viel weniger als im Rumpfe bestimmte, auf ein
Organ oder auch selbst ein Organsystem beschränkte Anlagen darstellen ; und
andererseits enthalten sie keine Organanlage, weder die Hirn- noch die Sinnes-
platte oder die äusseren Segmente vollständig. Mit anderen Worten, die Rücken-
wülste mit ihrer Fortsetzung im Kopftheile sind keine Embryonaltheile im
Sinne einer morphologischen Gliederung der Keimblätter, sondern gehören
bloss dem äusserlichen Relief des embryonalen Körpers an, welches, an sich
ohne Bedeutung, nur die morphologisch zufälligen Aeusserungen derGesammt-
entwickelung an der Oberfläche zur Anschauung bringt. Und sowie die Wülste
des Kopftheils nach ihrer Zusammensetzung sich von denen des Rumpfes unter-
scheiden, so stimmen sie auch in den verschiedenen Regionen des Kopfes mit
1. Die Leistungen des oberen Keimblattes. 171
einander nicht überein. Denn wenn in dem hinteren Kopfabschnitte die Sinnes-
platte am Fusse des Wulstes liegen blieb und diesen in Gemeinschaft mit
einem zwischen Sinnes- und Hirnplatte allmählich ausgezogenen , später der
Oberhaut anheimfallenden Verbindungsstücke bedeckt, so ist in der Seiten-
region der vorderen Kopfhälfte die Sinnesplatte bereits theilweise oder ganz mit
der Hirnplatte, deren Rande sie aufwärts gefolgt war und ihm angeschmiegt
blieb, verschmolzen, der Wulst also nur von der Oberhaut überzogen (vgl.
Taf. IV Fig. 76). Am vordersten Umfange des Kopftheils dagegen tritt wieder
ein ähnliches Verhältniss wie am Hinterkopfe auf, indem die Sinnesplatte nebst
Theilen der Oberhautanlage den äussern Abhang des Wulstes bedeckt {Taf. II
Fig. 34. 3,5). — Endlich bemerke ich noch, dass der centrale Theil der Hirn-
platte durch die Umrollung ihrer Ränder nach oben seine konvexe Oberfläche
verloren und ebenso an der unteren Fläche sich geebnet hat. An der letzteren
zeigt sich im vorderen Abschnitte eine leichte mediane Furche, welche durch
einen Vorsprung der sonst dünnen Unterlage des mittleren Keimblattes hervor-
gebracht wird und mit dem letzteren alsbald wieder schwindet.
Fünfte Entwicklungsstufe (Taf. II Fig. 36. 37, Taf.III Fig.43—
45, Taf IV Fig. 76 — 78 , Taf. V Fig. 81 — 92). Sie umfasst den Abschluss der
Umbildung der Hirnplatte zu einem hohlen, retortenförmigen Gebilde, welches
sich mit dem offenen Röhrenschenkel unmittelbar an die Rückenmarksröhre
anschliesst und in seinen letzten embryonalen Bildungsstadien mit , derselben
ebenso wie früher im wesentlichen übereinstimmt. Die Seitentheile der Hirn-
platte krümmen sich über der zwischen ihnen liegenden Furche, der Anlage der
künftigen Hirnhöhlen, gegen einander und verwachsen endlich in einer Naht,
welche eine Fortsetzung derjenigen des Rumpftheils ist. Während sie sich dazu
anschicken, vertheilt sich die Zellenmasse gleichmässig durch die ganze Hirn-
platte, sodass die einseitigen Verdickungen schwinden und die Wülste, welche
auf der vorhergehenden Entwickelungsstufe noch in eine obere Kante ausliefen,
sich abrunden. Was die Form des sich schliessenden Hirns betrifft, so wechselt
dieselbe je nach den einzelnen Regionen. In der hinteren Hälfte zieht sich die
Hirnplatte über den ansehnlichen Segmentplatten und zwischen den starken
äusseren Segmenten bedeutend zusammen, wird unverhältnissmässig dick und
verliert dabei äusserlich alle Kanten ; nur mit Rücksicht auf die Uebergangs-
formen vom Rückenmark her kann man auch an der hinteren Hirnhälfte von
einem herzförmigen Querdurchschnitte sprechen, während die Lichtung rund
oder querelliptisch erscheint. Von dort an, wo die Hirnaxe nach unten um-
172 IV. Die Sonderling der einzelnen Orgänanlagen.
biegt, wird die Unterlage der Hirnplatte sehr dünn, der centrale Theil derselben
nimmt an der seitlichen Aufkrümmung wenig Antheil und die Abbiegimg der
lateralen Theile tritt wieder deutlich hervor, sodass, wenn auch äusserlich
gerade keine Kanten an der Platte erscheinen, doch der von ihr eingeschlossene
Kanal einen rautenförmigen Durchschnitt erhält (Taf. IV Fig. 76 — 78). Je
weiter nach unten, desto mehr springt die Uebergangsstelle vom centralen zum
lateralen, den Kanal median wärts überdeckenden Theile auf den Seiten vor,
und verbreitert sich die flache Hirnbasis sowie auch der innere Kanal, sodass
der rautenförmige Querschnitt in seitliche Zipfel ausgezogen wird. Man macht
sich vielleicht die beste Vorstellung von dieser Bildung der vorderen nach
unten abgebogenen Hirnhälfte, wenn man sich die Retortenform, womit bereits
Rttsconi das junge embryonale Hirn verglich, von vorn her abgeplattet und
dadurch das blinde Ende verbreitert denkt. Ein zur Körperaxe senkrechter
Durchschnitt dieser vorderen Hirnpartie, welcher also parallel zur Basis der
letzteren geführt wird, liefert einen beiläufig dreieckigen Umriss derselben und
der von ihr eingeschlossenen , von vorn nach hinten jedoch noch sehr engen
Höhle. — Mit allen angeführten Unterschieden der vorderen und hinteren Hirn-
hälfte, welche beide durch die Umbiegungsstelle geschieden werden , hängt das
Verhalten der Sinnesplatte aufs innigste zusammen. Schon auf der vorigen
Entwicklungsstufe war dieselbe zur Seite der vorderen Hirnhälfte spurlos in
die Seiten theile des Hirns aufgenommen, während sie sowohl am vordersten
Ende als auch zur Seite der hinteren Hirnhälfte bestehen bleibt. Wo an der erst-
genannten Stelle die breitere Hirnbasis sich der gleichmässigen Auf krümmung
der ganzen Hirnanlage widersetzt, da ergänzt die Sinnesplatte die Seitentheile
des Hirns und ermöglicht dessen seitliche Ausweitung (vgl. Fig. 76) ; aus diesen
beiderseitigen Vorragungen entstehen endlich die Augenblasen, d. h. die An-
lagen der nervösen Theile des Sehapparats oder der Netzhaut ; die vom Hirne
nicht absorbirte Sinnesplatte producirt aber vorne und unten am Kopfe die
Geruchsplatten, am Hinterkopfe aber die Ohrbläschen, beides gleichfalls die
nervösen Grundlagen der betreffenden Sinnesorgane.
Die weiteren Umbildungen des Hirns gehören nicht mehr zu den hier
betrachteten grundlegenden Entwickelungsvorgängen ; doch sei noch bemerkt,
da ss seine Masse sich in der Folge ebenso wie beim Rückenmarke auf zwei
Seitenhälften vertheilt, welche oben und unten nur durch dünne Verbindungs-
stücke zusammengehalten werden. Die eingeschlossene Höhle verändert sich
alsdann ähnlich wie der Centralkanal des Rückenmarks.
1. Die Leistungen des oberen Keimblattes. 1 73
4
Der Schwan ztlieil der Axenplatte.
In ihrem hintersten Abschnitte entwickelt sich die Axenplatte niemals
bilateral; derselbe ist vielmehr gewissermassen die ungetheilte Wurzel der
beiden Med ullarplatten, deren Bildung, wie mir scheint, hinten etwas früher
anfängt als vorne, also von jenem ungetheilten Schwanztheile nach vorne fort-
schreitet. Am hintersten Ende geht der Schwanztheil der Axenplatte in die
verdickte ringförmige Falte über, durch welche im Randwulste der RuscoNi'schen
Oeffnung die Deckschicht des oberen Keimblattes mit dem mittleren zusammen-
hängt (Taf. II Fig. 33 — 35, Taf. III Fig. 39.40). Wenn nun jeneOeffnung sich
zu einer Spalte zusammenzieht, deren Richtung in die Medianebene des künftigen
Embryo fällt, so wird die bezeichnete Falte in zwei parallelen Schenkeln längs
jener Spalte verlaufen, an deren beiden Enden die Schenkel sich vereinigen.
Wo dies gegen den Rücken hin geschieht, geht aus der verdickten Falte in der
oberen Schicht eben der Schwanztheil der Axenplatte, in der tieferen der Axen-
theil des mittleren Keimblattes hervor {Taf. IV Fig. 69. 70. 70—78, Taf. V
Fig. 95 — 97). Jenes Anfangsstück der Axenplatte ist, nachdem es durch Zellen-
anhäufung von den Seiten und wohl auch von hinten her gewachsen, an der
unteren Fläche konvex, schärft sich an den Seiten gegen die übrige Ausbreitung
der Grundschicht zu und besitzt an der übrigens ebenfalls konvexen Oberfläche
gemeinsam mit der allmählich sich anpassenden äusseren Schicht eine mediane
Rinne, welche aus der spaltförmig zusammengezogenen RuscoNi'schen Oeffnung
hervorkommt. Diese Rinne ist aber nach ihrer Genese durchaus nicht für den
Anfang der Rückenrinne zu halten; denn sie ist nicht der oberflächliche Aus-
druck für eine mediane Einbiegung der ganzen Platte. Auch findet man eine
ähnliche Rinne an der unteren inneren Wand des Rückens, ferner am entgegen-
gesetzten Ende der Spalte und zuweilen selbst an ihren Seitenrändern kleinere
Runzeln; sodass ich zur Annahme geneigt bin, dass alle jene Rinnen und
Runzeln rein mechanisch aus derZusammenziehung eines kreisförmigen Wulstes
zu Rändern einer Spalte erfolgen. Natürlich gleichen sie sich alsbald aus, nur
lässt sich dieses an der medianen Rinne im Schwanztheile der Rückenmarks-
anlage nicht gut beobachten, da die Seitentheile derselben nicht etwa in einigem
Abstände von der Medianebene, sondern ziemlich unmittelbar neben derselben
sich zu der hinteren Verlängerung der Rückenwülste erheben, sodass der letzte
Abschnitt der Medullarfurche von Anfang an eigentlich spaltförmig und
scheinbar eine blosse Vertiefung der früheren Rinne ist, Dieser Schein wird
174 lv~- Die Sonderung der einzelnen Organanlagen.
noch dadurch gefördert, dass die Rückenwülste daselbst bei der gleichmässigen
Entwickeln ng der Segmentplatten nach den Seiten hin kaum merklich aus der
Körperoberfläche vorragen. Die Medullarfurche mündet also am Schwanzende
unmittelbar in die spaltförmige RuscoNrsche Oeffnung, und die zugehörigen
Theile der Rückenwülste erscheinen als Fortsetzungen des jene Oeffnung um-
schliessenden Randwulstes (Taf. III Fig. 40). Aus diesem Zusammenhange
erhellt es, wie die endlich erfolgende Kontinuitätstrennung zwischen dem
hintersten Ende derMedullarplatten und dem mit ihnen ursprünglich zusammen-
hängenden mittleren Keimblatte, welche durch die ursprüngliche Verbindungs-
falte bis zur oberflächlichen Zellenlage * vordringt, auch seitlich von der Spalte
in den Randwulst sich hineinziehen und jederseits eine kurze Fortsetzung je
einer Rückenmarkshälfte erzeugen kann (vgl. Fig. 70. 78). Diese Thatsache er-
klärt aber die bereits von v. Baer erwähnten monströsen Bildungen (No. 8 Bd. II
S. 285), wobei die RuscoNi'sche Oeffnung sich zwischen den Rückenwülsten be-
findet. Im hinteren Abschnitte schliesst sich nun die Medullarfurche zu aller-
erst, sodass der Centralkanal des Rückenmarks bis in die RuscoNi'sche
Oeffnung hinein überdeckt wird, daselbst aber zunächst in den Raum, den der
Dotterpfropf vor kurzer Zeit einnahm, und damit in die eigentliche Darmhöhle
selbst einmündet. Indem nun die RuscoNi'sche Oeffnung vom Rücken her
abwärts verwächst, besteht für einige Zeit gleichsam ein doppelter Ausgang
dieses spaltförmigen Raumes : oben vermittelt sie den ebengenannten bogen-
förmigen Uebergang des Centralkanals des Rückenmarks in die Darmhöhle,
unten mündet sie noch frei nach aussen (Taf. II Fig. 36. 37). Bald obliterirt
aber diese letztere Mündung vollends, und der ganze innere Spaltraum zieht
sich zu einem kurzen Kanäle zusammen , welcher unmittelbar unter dem
Schwanzende des Rückens gelegen und von einer Fortsetzung des Darmblattes
ausgekleidet, wie ein ausgezogener Zipfel der Darmhöhle erscheint, während
das daranstossende Röhrenstück, welches halbkreisförmig das Ende der Wirbel-
saite umgibt, und in dessen Umfange die dünnen Ausläufer der Axenplatte sich
an die innere Auskleidung anschliessen , eben desswegen als Fortsetzung des
Rückenmarks betrachtet werden kann. Aus den Abbildungen Fig. 36 — 38
wird es vollkommen erhellen, wie das Schwänzende des Rückens mit den eben
* Es ist hier diejenige einfache Zellenlage gemeint, welche den Randwulst der
RuscoNi'schen Oeffnung überziehend, die Verbindung zwischen der Deckschicht des oberen
Keimblattes und dem Darmblatt herstellt, aber noch nicht bestimmt dem einen oder andern
Theile zugezählt werden kann
1. Die Leistungen des oberen Keimblattes. 175
beschriebenen Theilen zum Schwänze der Larve auswächst, in welchem also
nicht nur eine Fortsetzung der Rückenanlagen, Rückenmark, Rückenmuskeln
u. s. w., sondern auch der fundamentalen Bauchanlage, nämlich des embryonalen
Darmes enthalten ist, wobei die beschriebene Kommunikation von Rückenmark
und Darm am Ende der Wirbelsaite noch längere Zeit bestehen bleibt.
Ich will hier das Ergebniss der Untersuchungen über die Umbildung der
Axenplatte kurz zusammenfassen. Dieselbe entsteht im Anschlüsse an den
Randwulst der RuscoNi'schen Oeffnung und breitet sich rasch vorwärts über
den Rücken aus, wobei ihre Seitentheile besonders anschwellen. Indem ihre
Gestalt durch die Ausladung am Vorderende birnförmig wird, werden zwei
Hauptabschnitte geschaffen, ein beinahe kreisförmiger Kopf- und ein schmälerer
Rumpftheil; jener ; durch Breite und Mächtigkeit ausgezeichnet, zeigt ein
ziemlich gleichmässiges Centrum und einen mehr als halbkreisförmigen stark
verdickten Rand, während im schmächtigeren Rumpftheile die seitlichen An-
schwellungen so nahe zur Medianebene zusammengerückt sind, dass sie als
Seitenhälften der ganzen Platte erscheinen. Der äusserste Saum des Kopftheils
sondert sich als Sinnesplatte vom Centrum oder der Hirnplatte ab, welche
daher dem Rumpftheile oder den Medullarplatten nicht ganz gleichwertig ist,
aber mit derselben die gleiche Weiterentwickelung erfährt. Diese letztere
besteht in einer Aufkrümmung und Umwälzung der Seitentheile gegen die
Medianebene, und in einer Verwachsung der über der eingeschlossenen Rücken-
furche zusammenstossenden Ränder, während welches Vorgangs die Deckschicht
mit den darunter befindlichen Theilen der Grundschicht zu einer einheitlichen
Masse verschmilzt. So entsteht eine Röhre, welche ihrer Anlage entsprechend
von hinten nach vorne an Mächtigkeit zunimmt; bevor sie aber vollendet wurde,
änderte sich die ursprünglich angelegte Richtung ihres Verlaufs, indem die
nach aussen konvexe Axe des ganzen Rumpftheils bis in die Mitte des Kopfes
hinein sich gerade streckte und sogar konkav wurde, * während das kurze Stück
* Diese vorübergellende konkave Krümmung des Rückens ist eine durchaus zufallige,
sicherlich sehr wenig bedeutsame Erscheinung. Denn nicht nur unterscheiden sich so nahe
verwandte Thiere, wie der Frosch, die Unke, die gemeine und die Knoblauchkröte, durch
jene Rückenkrümmung ihrer Embryonen, sodass die konkave Rückenaxe bei den beiden
ersten Arten vorkommt, während die Krötenembryonen eine geradlinige besitzen; sondern
auch die Embryonen desselben Thieres wechseln in ziemlich weiten Grenzen die betreffende
Form, sodass die Rückenaxe mancher Unkenembryonen der geraden Linie viel näher
'steht, als der gewöhnlichen starken Krümmung. Wenn ich aber jener Erscheinung keinen
besonderen Werth beilege, so dürfte sie immerhin für eine etwaige Diagnose der Embryonen
ihren Werth haben.
17f) IV. Die Sonderling der einzelnen Organanlagen.
der vorderen Kopfhälfte sich beinahe rechtwinkelig abwärts bog. Dies gab
Veranlassung das Centralnervensystem der jungen Batrachierlarven mit einer
Retorte zu vergleichen, obgleich, wie ich zeigte, das vordere umgebogene Ende
nicht blasig aufgetrieben, sondern von vorne nach hinten zusammengedrückt
erscheint. Da die Medullarfurche gegen das Schwanzende hin sich immer mehr
verengernd in die RuscoNi'sche Oeffnung mündete, so konnte durch eine
Fortsetzung der beschriebenen Röhrenbildung bis in jene Oeffnung hinein eine
vollständig bedeckte Verbindung des Centralkanals des Rückenmarkes mit der
Darmhöhle sich entwickeln, sodass späterhin beide Hohlräume an der Schwanz-
spitze mit einander kommuniciren.
Wie sich aus den im Eingange dieses Abschnittes mitgetheilten Auszügen
ergibt, ist bei den Untersuchungen über die erste Entwickelnng des Central-
nervens)Tstems der Batrachier die Untersuchungsmethode der älteren For-
schung, welche bloss die äusseren Erscheinungen verfolgte und aus deren
Veränderungen auf die innere Entwickelnng schloss, bis in die neueste Zeit
mit wenigen Ausnahmen (Stricker, v. Bambecke) massgebend gewesen.
Daraus erklärt sich, dass alle jene Darstellungen weniger deutlichen Wahr-
nehmungen als mehr oder weniger glücklichen Annahmen über den
eigentlichen Zusammenhang der Erscheinungen entsprangen. — Das äussere
Relief am Rückentheile des Eies wurde bereits von Prevost und Dumas
grösstenteils richtig erkannt und von deren Nachfolgern in ähnlicher Weise
beschrieben. Die Entstehung dieses Reliefs durch die Bildung des Axenstranges
und der Axenplatte blieb aber unbekannt, was sich am klarsten daraus ergibt,
dass die Beschreibungen mit der schildförmigen Erhebung der Oberfläche und
mit der Rückenrinne, also schon verhältnissmässig vorgerückten Entwicklungs-
stufen beginnen. Dies gilt auch für den v. BAER'schen Primitivstreif; denn
wenn derselbe eine Verdickung des Keimes, also des ganzen Rückentheils unter-
halb der Rückenrinne sein soll, so kann er gerade desshalb nicht mit meinem
Axenstrange verglichen werden, der weder eine Vorragung des Rückentheils
gegen die Darmhöhle hervorruft, noch überhaupt den ganzen Rückentheil
umfasst und endlich bis zum Erscheinen der Rückenrinne gar nicht bestehen
bleibt. Der Primitivstreifv. Baer's bedeutet also nur ganz allgemein die mediane
Verdickung des bereits in die wichtigsten Embryonalanlagen gegliederten
1. Die Leistungen des oberen Keimblattes. 177
Rückentheils, ist daher ebenso wenig wie etwa die Rückenrinne eine besondere,
an sich bedeutsame Bildung. Was nun die Anlage des Centralnervensytems
betrifft, so haben nur Prevost und Dumas und nachher Baumgärtner eine
ursprünglich unpaare Entstehung desselben, aber ganz irrig nur in der Mittel-
linie seiner eigentlichen Anlage oder der Axenplatte beschrieben; die meisten
übrigen Embryologen erklärten dagegen die Rückenwülste entweder theilweise
oder im ganzen für die getrennt paarigen Anlagen des Centralnervensystems.
Dies ist allerdings verständlich bei denjenigen Embryologen, welche das letztere
irgendwie sich von seiner Unterlage abblättern lassen. Doch muss jene Auf-
fassung bei Remak Wunder nehmen, welcher am Hühnerembryo die Anlagen
der Haut und des Centralnervensystems als in der Fläche zusammenhängende
Abschnitte des oberen Keimblattes richtig erkannt hatte. Wenn er daher die
Anlagen des Centralnervensystems der Batrachier gerade so wie Reichert
beschreibt, als gesonderte nur durch eine vergängliche Verbindungshaut zu-
sammenhängende dicke Streifen, welche eben die soliden „Medullarwülste"
bilden (vgl. Remak's Fig. 8 Taf. XII) *, so bezeugt er dadurch , dass auch er
seine Darstellung ebenso wenig wie seine Vorgänger auf eine vollständige innere
Untersuchung gründete, vielmehr die vor ihm bestandene Auffassung nur seiner
Keimblättertheorie anzupassen suchte. Gegenüber solchen Anschauungen
muss ich wiederholt darauf hinweisen, 1. dass die Rückenwülste nicht die
vollständige Rückenmarksanlage, sondern nur die lateralen Theile 'derselben,
daneben aber noch andere Anlagen selbst aus zwei Keimblättern enthalten ;
2. dass diese ihre Zusammensetzung während der Entwickelung wechselt;
3. dass also die Rückenwülste gar keine bestimmten und besonderen Embryonal-
anlagen sind, sondern ähnlich dein Primitivstreif und der Rückenrinne zu dem
äusseren und beständig wechselnden Relief des Embryo gehören, welches bald
diesem, bald jenem Keimblatte, hier einem inneren Hohlraum, dort einer soliden
Bildung seine Entstehung verdankt, daher auch in der neueren Entwickelungs-
geschichte nur eine untergeordnete Bedeutung haben kann. Denn mochten
auch jene äusseren Erscheinungen als die ersten Anhaltspunkte für die Orien-
tirung in der unendlich mannigfaltigen Gesammtentwickelung während der
* Diese Abbildung soll „nicbt scbematisch, sondern nacb der Natur angefertigt" sein.
Wenn man aber erfährt, dass sie nur nach einer beleuchteten Schnittfläche, nicht nach einem
durchsichtigen mikroskopischen Schnitte gezeichnet wurde (vgl. No. 40 S. XXXV) , so sind
die Mängel der Untersnchungsmethode hinlänglich gekennzeichnet, um die Irrthümer der
Beobachtung zu verstehen.
12
Goette, Entwickelungsgeschichte.
178 IV. Die Sonderling der einzelnen Organanlagen.
Wiegenzeit unserer Wissenschaft einen bedeutenden Wertii haben, so sollten sie
doch heutigen Tages, wo man jene Orientirung nicht mehr braucht, auch in der
Darstellung gegenüber den eigentlichen Faktoren der morphologischen Ent-
wickelung, den Keimblättern und Embryonalanlagen, zurücktreten und als der
gleichsam zufällige, äusserlich sichtbare Ausdruck von den Umbildungen der-
selben sich nur nebenher ergeben. — Ist nun die Auffassung von einer getrennt
paarigen Anlage des Centralnervensystems durchaus unstatthaft, so ist anderer-
seits die doppelseitig symmetrische Anordnung in der unpaaren Axenplatte
davon wesentlich zu unterscheiden. Ich verweise hierbei auf das in der Be-
schreibung Gesagte, woraus klar hervorgeht, dass die ganze Axenplatte in die
Bildung des Centralnervensystems und der höheren Sinnesorgane eingeht, und
von zwei getrennten Seitentheilen, einer vergänglichen Verbindungshaut und
der nachträglichen Verschmelzung jener nicht die Rede sein kann.
Gesondert von den übrigen Darstellungen muss ich diejenigen von Stricker
und v. Bambecke betrachten, da diese Forscher, wie erwähnt, die äusseren
Erscheinungen aus den Umbildungen der Embryonalanlagen zu erklären suchten.
Stricker hat zu einem besonderen Zwecke einige aus dem Zusammenhange
herausgerissene Durchschnitte meist der Kopfgegend abgebildet*; was daraus
über die Anlage des Centralnervensystems ersichtlich ist, ist nach Abbildung
und Erklärung richtig, hat aber ohne die Anknüpfung an Vorhergehendes und
Nachfolgendes keinen sonderlichen Werth, wie es denn auch gegenüber dem
eigentlichen Thema, der Entwickelung gewisser Knochen und Muskeln des
Kopfes, nur nebensächlich behandelt ist. — Gleich Stricker hat v. Bambecke
wesentlich Durchschnitte bei durchfallendem Lichte untersucht, abgebildet und
beschrieben. Aber seine Resultate stimmen so wenig mit denen aller übrigen
Beobachter überein, dass man nur die Wahl hat anzunehmen, entweder, dass
Pelobates fuscus in der Entwickelung des Centraluervensystems nicht nur von
den übrigen Batrachiern, sondern von den Wirbelthieren überhaupt, so weit
ihre Entwickelung bekannt ist, sich wesentlich unterscheide, oder dass die
Präparate durch die Behandlung entstellt waren.
Beiläufig sei hier noch bemerkt, dass die irrthümlichen Angaben über die
* DieFlächenbildcr, welche Stricker bei durchfallendem Lichte erhielt (Nr. 55 Fig. 5. 6),
haben nach meiner Ansicht an sich gar keinen Werth, da sie gerade so wie die äusseren
Gestaltveränderungen das Urtheil nur irre führen können. Zur Unterstützung der Quer-
durcbschnitte, um die Form der Embryonen auch in der Längsrichtung des Embryo kennen
zu lernen, sind alter die borizontalcn und sagittalen Durchschnitte viel zweckmässiger.
* 1. Die Leistungen des oberen Keimblattes. 179
frühzeitige Entwickelung der Hirnabtheilungen auf der schon gerügten ober-
flächlichen Deutung des äusseren Reliefs beruhen. Bei einem Vergleiche meiner
Abbildungen (Taf. III Fig. 43. 44. 50. 51. Taf. V Fig. 81. 82. 85. 88 — 91) mit
denen Remak's (Taf. X Fig. 6.8) überzeugt man sich leicht, dass die äusseren
Vorragungen der Hirngegend nicht gesonderten Erweiterungen des Hirns,
sondern den in den Wülsten eingeschlossenen äusseren Kopfsegmenten, also
Theilen des mittleren Keimblattes ihre Entstehung verdanken, während die
Hirnröhre (mit Ausnahme der Augenblasen) selbst nach ihrer Vollendung noch
gleichmässig verläuft (vgl. Taf. VI Fig. 08).
Alle eingehenden Beobachtungen meiner Vorgänger über den Ursprung
der drei höheren Sinnesorgane* stimmen darin überein: 1. dass die letzteren
von dem oberen Keimblatte abstammen, 2. dass sie aus isolirten Anlagen her-
vorgehen und zwar 3. das Auge aus dem Hirn**, Ohr und Geruchsorgan aus der
übrigen Ausbreitung des Keimblattes oder der Oberhautanlage. Die genetische
Bedeutung der Sinnesorgane widerspräche darnach durchaus der allgemein
giltigen Auffassung, dass jene Sinnesorgane einander koordinirt seien; denn
offenbar stände das Auge dem Centralnervensy stem viel näher als das Ohr und
das Geruchsorgan, deren Anlage zu jenem System keine nähere genetische Be-
ziehung hätte als die übrigen Erzeugnisse des oberen Keimblattes. Aus meinen
Untersuchungen geht aber hervor, dass die bisherigen Beobachtungen unvoll-
ständig und daher die aus ihnen gezogenen Schlüsse falsch sind. Zunächst ist
in der Sinnesplatte eine gemeinsame, überall gleichmässige Grundanlage für
die drei höheren Sinnesorgane gegeben ; ferner aber entwickelt sich diese nicht
gleich vom Anfang an isolirt in dem oberen Keimblatte, sondern bildet zuerst
gemeinsam mit der Anlage des Hirnes den Kopftheil der Axenplatte, welcher
rückwärts in den ungesonderten Rumpftheil oder die Anlage des Rückenmarkes
übergeht. Man könnte also sagen, die 3 höheren Sinnesorgane wären Theile
des Gehirnes, welche sich allmählich vom Mutterboden absondern und selbst-
' Wie ich schon in der Beschreibung erwähnte, sind unter den hier besprochenen An-
lagen der Sinnesorgane die Hülfsapparate (Glaskörper, Linse u. s. w.) nicht mit einbe-
griffen.
** Da bereits Remak darauf hingewiesen hat (Nr. 40 S. 148), dass Rusconi ganz offen-
bar die Anlage der Augenblasen mit derjenigen des Geruchsorganes verwechselte, so will ich
darauf nicht noch einmal zu sprechen kommen. Ebenso ist die Angabe Reichert's über den
Ursprung der Sinnesorgane aus dem Gehirne zu unbestimmt, um überhaupt berücksichtigt
werden zu können, zumal sie durchaus unrichtig ist, wie er denn auch die Anlage des
Auges hinter dem abgebogenen Hirntheile sieht (Nr 22 Taf. II Fig. 6.7).
12*
28Q IV. Die Sonderung der einzelnen Organanlagen.
ständig werden, indem sich die betreffenden Zellenmassen an gewissen Stellen
koncentriren und dadurch indifferente Theile des oberen Keimblattes, welche
später der Oberhaut anheimfallen, zwischen jenen Anlagen und dem Hirne zu-
rückbleiben. Man könnte noch dazu bemerken, dass, da die Sinnesplatte rück-
wärts in die Ränder der Medullarplatten übergeht, die Sinnesorgane für das
Hirn eine ähnliche Bedeutung haben dürften wie die hinteren Stränge des
Rückenmarkes oder wenigstens Theile von ihnen für das letztere. Wenn man
jedoch hier über die Andeutung zunächst noch nicht hinausgehen kann, so bietet
sich die Möglichkeit, eine andere Schwierigkeit mit mehr Erfolg zu überwinden;
ich meine die Ausnahme, welche das Auge von der eben vorgetragenen Lehre
scheinbar macht. Die von mir mitgetheilten Beobachtungen besagen bloss,
dass der mittlere Theil jeder Seitenhälfte der Sinnesplatte sich niemals von der
Hirnplatte trenne, sondern wieder mit ihr vollständig verschmelze, und dass
im Bereiche dieser Verschmelzimg die Augenblase scheinbar als Ausstülpung
des Hirnes entstehe. Ich gestehe, dass, da jene Verschmelzung erfolgt ohne
Spuren der früheren Sonderung zu hinterlassen, es nur für höchstwahrscheinlich,
nicht aber ohne weiteres für eineThatsache gelten kann, dass dieAugenblase eben
aus jenem in das Hirn aufgenommenen Abschnitte der Sinnesplatte hervorgehe.
Erst aus der Entwickelungsgeschichte der Knochenfische habe ich den empirischen
Beweis dafür entnommen, was bei den Batrachiern nur wahrscheinlich ist; an
dem Embryo der Forelle fand ich, dass die Sinnesplatte auch in der Augenregion
niemals wieder vollständig in die Hirnplatte aufgeht, sondern von der ersten
Sonderung beider Theile an sich selbstständig weiter entwickelt, zur Augen-
blase wird, wobei aber die noch bestehende Verbindung mit dem Hirne nicht
etwa wie in der Ohrregion allmählich gelöst, sondern dauernd erhalten und
endlich in den Sehnerven verwandelt wird. Ich glaube daher mit Rücksicht
auf diese Beobachtung, welche jeden Zweifel über die Bedeutung der Augen-
anlage im Batrachierembryo löst, die Abweichung in der Entwicklung des
Auges gegenüber den beiden anderen Sinnesorganen darauf beschränken zu
müssen, dass das Auge den ursprünglichen Zusammenhang mit dem Central-
nervensystem beibehält, während die anderen Sinnesorgane sich von dem letz-
teren vollständig trennen, um mit diesem ihrem Mutterboden erst wieder durch
eine sekundäre Verbindung (Hör-, Geruchsnerv) in nähere Beziehung zu treten.
Schliesslich darf nicht unerwähnt bleiben, dass, wenn auch alle Anhänger der
Keimblättertheorie den peripherischen Theil des oberen Keimblattes für die Anlage
der Haut erklären, die älteren derselben darunter zugleich Ober- und Lederhaut
1. Die Leistungen des oberen Keimblattes. 181
verstehen (vergl. v. Baee Nr. SIS. 166): erst Remak erkannte, dass nur das
Zellengewebe der Epidermis aus dem oberen Keimblatte hervorgehe (Nr. 40
S. 152. 185).
Indem ich am Schlüsse des vorigen Abschnittes die Uebereinstimmung der
Keimblätterbildung bei den Batrachiern, Knochenfischen und Amnioten auf
Grund meiner eigenen Untersuchungen konstatirte, unteiiiess ich es auf die
Einzelheiten dieses Entwickelungsvorganges und eine Kritik der entgegen-
stehenden Darstellungen einzugehen , weil ich Beides in besonderen Arbeiten
abgehandelt habe. * Um aber die gleiche Uebereinstimmung für die Haupt-
leistungen des oberen Keimblattes — die Anlage des Centralnervensystems
und der drei höheren Sinnesorgane — zu erweisen, muss ich auf einen Punkt
in den neueren Darstellungen der Keimblätterbildung zurückgreifen, ich meine
die Lehre vom Axenstreife oder Axenstrange (Dursy, His, Waldeter, Oel-
l acher). Ich bezeichne mit dem letzteren Namen nur den noch ungesonderten
axialen Theil des mittleren Keimblattes, woraus wesentlich die Wirbelsaite
hervorgeht. Sonst wird aber mit den genannten Ausdrücken ein ganz anderer
Begriff verbunden. Die Darstellung v. Baer's von der innigen axialen Ver-
bindung des oberen und mittleren Keimblattes (Primitivstreif) wurde zum Aus-
gangspunkte einer Lehre , welche auf eine Vernichtung der wohlbegründeten
Keimblättertheorie hinausläuft. In jenem Axengebilde sollen die Keimschichten
oder -blätter vollständig mit einander verschmelzen, ihre Elemente mit einander
austauschen, sodass schliesslich die Embryonalanlagen unter Zurücktreten der
morphologischen Momente wesentlich aus lokalen „histiologischen Differenzi-
rungen", diesen häufigen Lückenbüssern der Erkenntniss , hervorgingen. Für
die vorliegende Frage bedeutsam war also dabei , dass der verdickte dorsale
oder mittlere Theil des oberen Keimblattes, die Axenplatte, nirgends mehr als
die ausschliessliche Anlage des Centralnervensystems (und nach meiner Erfah-
rung auch der drei höheren Sinnesorgane) gelten konnte, da sie ja durch Ver-
mittel ung des Axenstreifes an der Herstellung der Wirbelsaite, der Urwirbel
und noch mancher anderer Anlagen einen grösseren oder geringeren Antheil
nehmen sollte. Nach meinen Untersuchungen muss ich aber diese Lehre
durchaus zurückweisen und an der Behauptung festhalten, dass die Grenze
zwischen dem oberen und mittleren Keimblatte vom ersten Erscheinen der
* Im Anschlüsse an den schon citirten , die Knochenfische betreffenden Aufsatz
(Nr. 108) erscheint im X. Bande derselben Zeitschrift eine Abhandlung über „die Bildung
der Keimblätter und des Blutes im Hühnerei."
132 IV. Die Sonderung der einzelnen Organanlagen
sekundären Keimschicht an auch im Axentheile des Keimes ununterbrochen
fortbestehe. Alle gegenteiligen Darstellungen entsprangen demselben Be-
obachtungsfehler, indem nämlich jene Grenze, welche während der ersten
Entwickelung der Axengebilde in Folge der thatsächlich innigen Berührung
meines Axenstranges (mittleres Keimblatt) und der Axenplatte (oberes Keim-
blatt) allerdings nicht immer leicht kenntlich ist, ganz übersehen wurde. Da-
raus wurden alsdann jene Hypothesen über die Betheiligung der Axenplatte an
der Bildung der darunterliegenden Embryonalanlagen meist sehr willkürlich
abgeleitet. Diese zunächst den Hühnerkeim betreffenden Angaben (His) habe
ich in der oben bezeichneten Abhandlung kritisirt; die bezüglichen Mittheilungen
Oellacher's über den Forellenkeim (Nr. 107) weichen allerdings von den
ersteren ab, beruhen aber auf demselben Grundirrthume, der Annahme des
von den eigentlichen Keimblättern unterschiedenen Axenstreifes, von Oellacher
Axenstrang genannt, welcher die gemeinsame Anlage des Centralnervensystems
und der Wirbelsaite darstelle. * Freilich leitet Oellacher keinen Theil des
mittleren Keimblattes vom oberen ab; dagegen soll aber der Axenstrang mit
den Körperregionen seine Bedeutung wechseln, hinten vorherrschend die Anlage
der Wirbelsaite enthalten , während die Rückenmarksanlage aus den in der
Medianebene zusammenfliessenden Seitentheilen des Sinnesblattes entstehe,
vorne aber ausschliesslich das Hirn bilden (Nr. 107 S. 26. 43. 46). Auch diese
Angaben muss ich nach eingehenden Untersuchungen über die Entwickelung
des Forellenkeimes auf eine ungenaue Beobachtung zurückführen, welcher bald
hier bald dort eine wichtige Grenzlinie entging. So wenig die ursprünglichen
Keimschichten aus einer histiologischen Sonderung, sondern vielmehr aus mor-
phologischen Umbildungen hervorgehen (vgl. Nr. 108), so wenig wird dieses
Entwickelungsergebniss, die Keimschichtung, nachträglich wieder aufgehoben,
die Kontinuität des einmal eingeschlagenen Entwickelungsganges unterbrochen,
um durch Vermittelung geheimnissvoller Zwischenglieder an die spätere mor-
phologische Umbildung wieder anzuknüpfen.
Mit der Selbstständigkeit des oberen Keimblattes ist auch diejenige der
Axenplatte übereinstimmend bei allen genannten Wirbel thieren festgestellt.
* Gegenüber dem Ausspruche Oellacher's (Nr. 107 S. 63) : „Die Bildung des Axen-
stranges ist eine dem Forellencie, dem Eie der Batrachier und dem des Hühnchens gemein-
same" — muss ich bemerken, dass mir bisher weder von einem solchen Axenstrange des
Batrachierkeimes noch überhaupt von Untersuchungen, welche zu einer solchen Annahme
führen könnten, etwas bekannt geworden ist.
1 . Die Leistungen des oberen Keimblattes. 1 83
Jetzt handelt es sich darum , eine gleiche Uebereinstimnmng auch in der wei-
teren Umbildung jener Grundlagen des Centralnervensystems nachzuweisen.
Die Ainnioten bieten dabei keine besonderen Schwierigkeiten, indem sich bei
ihnen in derselben Weise wie bei den Batrachiern die Axenplatte in eine Rohre
verwandelt. Doch darf nicht unerwähnt bleiben, dass bei einem solchen Ver-
gleiche sich bisher mehr Aehnliehkeiten boten, als in der That vorhanden sind.
Dies rührt daher, dass der Primitiv- oder Axenstreif insbesondere des Hühner-
keimes, obgleich über ihn bereits so viel geschrieben worden ist, immer noch
durchaus ungenügend untersucht ist, und daher seine Zusammensetzung unbe-
kannt blieb, sein Relief falsch gedeutet wurde. Er gilt nämlich für eine axiale
Verdickung des Keimes, welche durch die Prämitivrinne in zwei symmetrische
Hälften geschieden werde. Diese Rinne soll verbreitert, aber abgeflacht in
den vor dem Primitivstreife gelegenen Keimtheil übergehen und überhaupt den
Grund der späteren Medullarfurche bilden, daher auch das Centralnervensy stein
von Anfang an in zwei symmetrischen Hälften, den Medullarplatten, angelegt
sei. Wie sich aber aus dem von mir angekündigten Aufsatze ergeben wird, ist
diese Auffassung durchaus unstatthaft. Gleich nach der Entstehung des Pri-
mitivstreifes liegt in seinem grösseren hinteren Abschnitte die Primitivrinue
allerdings ganz oder nahezu ymmetrisch über der Anlage der Wirbelsaite oder -V
meinem Axenstrange ; vor dem Primitivstreife besteht aber bis zur Ausbildung
der Medullarfurche niemals eine axiale Rinne, da der künftige Boden jener
Furche vielmehr von einer Seite zur andern konvex vorgewölbt ist und von
zwei flachen Seitenrinnen eingefasst wird, welche erst während der Entwickelung
der Medullarfurche in Folge der ansehnlichen Verschmälerung jenes Bodens
schwinden. Zwischen diesen beiden verschieden gebildeten Abschnitten der
Axenregion liegt nun der Kopftheil des Primitivstreifes, welcher den Uebergang
aus dem einen in den andern vermittelt. Er ist asymmetrisch zusammengesetzt,
indem sich dort der Axenstrang vollständig in den rechten Grenzwall der Pri-
mitivrinne verschiebt, welcher darauf weiter vorwärts durch ein Niedersinken
seiner rechten Seite in den horizontal gelagerten, konvexen Boden der vorderen
Medullarfurche übergeht, während die Primitivrinne sich in dessen linke Seiten-
rinne fortsetzt. Dieser zuerst nur im Kopftheile des Primitivstreifs vorhandene
Uebergang der beiden Abschnitte in einander rückt nun stetig nach hinten vor,
indem der zuerst von ihm eingenommene Keimtheil sich in der geschilderten
Weise der Bildung der davor gelegenen Axenregion anpasst, welche allein die.
bleibende Anlage des Centralnervensystems unmittelbar aus dem indifferenten
]34 IV. Die Sonderling der einzelnen Organanlagen.
Keimblatte hervorgehen lässt. So wird also der ganze ursprüngliche Primitiv-
streif erst durch eine asymmetrische Umlagerung seiner Theile in die definitive
Bildung der Axenregion übergeführt. Es erhellt daraus: 1. dass die Primitiv-
rinne nicht den Grund der künftigen Medullarfurche darstellt, sondern nur in
die linke Grenzrinne des konvexen Bodens derselben übergeht, 2. dass, da das
obere Keimblatt diesen Boden gleichmässig überzieht, eine axiale Grenze zweier
Seitenhälften der Cerebromedullaranlage fehlt, die letztere also thatsächlich
nicht aus zwei Medullarplatten, sondern aus einer unpaaren Axenplatte* besteht.
Der Vergleich mit dem Batrachierembryo lehrt also , dass dessen Rückenrinne
und laterale Anschwellungen der Axenplatte (Medullarplatten) Homologa im
Hühnerkeime nicht finden und für die allgemeine Wirbelthierentwickelung
ebenso bedeutungslos sind wie die Primitivrinne und überhaupt der ganze Pri-
mitivstreif jenes Keimes.
Eine Sinnesplntte habe ich an der Axenplatte des Hühnerkeimes nicht
unterscheiden können, wahrscheinlich weil die letztere verhältnissmässig sehr
dünn ist und während längerer Zeit ganz allmählich in die Oberhautanlage
übergeht. — Ueber die Anlage des Centralnervensystems der übrigen Amnioten
vermag ich nur wenige hierher bezügliche Daten beizubringen. An frischen
wie an zerlegten Keimen der Ringelnatter, welche die beginnende Abschnürung
des Kopftheiles auf verschiedenen Stufen zeigten, konnte ich weder einen Primi-
tivstreif, noch eine Rückenrinne erkennen; dagegen glaube ich eine gerade nach
hinten sich erweiternde annähernd birnförmige Axenplatte und eine ebensolche
breite und flache, mit ebenem oder konvexem Boden versehene Medullarfurche
richtig gedeutet zu haben**, so dass auch dieser spärliche Befund immerhin
geeignet ist, die Bedeutung des Primitivstreifes um ein weiteres zu reduciren.
So leicht nun im vorliegenden Falle der Vergleich der Batrachier mit den
Amnioten wenigstens in den Hauptzügen sich ausführen lässt, so misslich er-
schien seit dem Bekanntwerden der KuPFFEß'schen Untersuchungen über die
Entwicklung der Knochenfische der Versuch , die Entstehung und Umbildung
ihrer Cerebromedullaranlage mit derjenigen der übrigen Wirbelthiere inUeber-
einstimmung zu bringen. Kupffek gab an, dass das obere Keimblattsich im
* Wie in der bisherigen Beschreibung behalte ich jedoch auch weiterhin den Ausdruck
„Medullarplatten" für die idealen Seitenhälften der einheitlichen Axenplatte bei.
** Jedenfalls würde eine genauere Untersuchung jener Keime lehren, dass dieUeberein-
stimmung der Vögel und Reptilien in ihrer ersten Embryonalentwickelung lange nicht so
gross ist, als man bisher mit Rücksicht auf ältere Entwickelungsstufcn glaubte annehmen
zu dürfen.
1. Die Leistungen des oberen Keimblattes. 185
Axentlieile verdicke und zu einem kielartig nach unten vorspringenden Strange
werde , auf dessen Oberfläche sich eine Furche entwickele , um bald wieder zu
verschwinden (Nr. 105 S. 232. 234. 243. 244). Eine Fortsetzung des übrigen
Keimblattes oder das Hornblatt (Oberhautanlage) löse sich darauf von der
Hauptmasse jenes Kiels oder der Anlage des Centralnervensystems ab, worauf
unter jenem Blatte „eine Furche sich bildet, die von oben her in den Strang
eindringt" (S. 249). Durch eine Verwachsung der oberen Spaltmündung sei
dann die Medullarröhre vollendet (S. 250). Die solide Anlage derselben wurde
von mir (Nr. 102) und Oellacher (Nr. 107 S. 51) bestätigt; doch glaubt
Oellacher, dass der Centralkanal durch eine innere Zellenauflösung entstehe,
welche von unten aufsteige (S. 72. 81). Wenn nun zugestanden werden muss,
dass es auf Grund dieser Angaben allein unmöglich sein dürfte, am Medullar-
strange der Knochenfische den gleichen Entwickelungsgang herauszufinden wie
an der Axenplatte der Amnioten und Batrachier, so darf andererseits nicht
übersehen werden, dass weder Kupffer noch Oellacher uns über eine eigent-
liche Entwickelung jenes Medullarstranges etwas mitgetheilt haben. In einer
nicht ganz frühen Zeit sollen in einer gegebenen Zellenmasse, dem irgendwie
verdickten axialen Keimtheile ,,histiologische DifFerenzirungen" beginnen, in
Folge deren der Medullarstrang endlich als fertiges Gebilde herausgelöst wird
(Nr. 107 S. 15. 50); diese Anlage des Centralnervensystems sollte also, sowie
sie nur überhaupt kenntlich würde, auch schon ohne alle morphologische Um-
bildung vollendet sein. Dies ist nun aber ebenso grundfalsch wie die ganze
schon gerügte Lehre vom Primitiv- oder Axenstreife. Das Centralnervensystem
der Knochenfische entwickelt sich vielmehr ebenso wie in allen übrigen Wirbel-
thieren durch allmähliche morphologische Umbildung ganz bestimmter ein-
fachster Anlagen. In der Fig. 8 meines Aufsatzes über den Forellenkeim
(Nr. 108) lässt sich an einem noch ganz jungen Keime bereits die Bildung eines
Axenstranges (Chordaanlage) und der durch ihn geschiedenen Medullarplatten,
so wie ich es an der Unke beschrieb, deutlich erkennen. In der Folge fliessen
die beiden letzteren über dem Axenstrange zu einer unpaareu Axenplatte zu-
sammen, welche sich in dem Masse verdickt, als sie schmäler wird. Daraus
lässt sich schliessen, dass dieser ganze Vorgang auf einer von den Seiten gegen
die Medianebene gerichteten Zellenverschiebung beruhe, wodurch die Zellen-
massen je näher der Medianebene um so mehr gegeneinander gestaut und zu
einer Palissadenform zusammengedrückt werden. Dieselbe Bewegung sahen
wir bei den Batrachiern die Medullarplatten bilden und in der Querrichtung
1§(3 IV. Die Sonclerung der einzelnen Organanlagen.
zusammenschieben; sobald dieselben aber dadurch hautartig festgeworden,
werden sie durch die fortdauernde Bewegung auf- und medianwärts umgerollt,
und so die Bildung der Cerebromedullarröhre herbeigeführt. Am Forellen-
keime überzeugt man sich aber leicht, dass ihre Medullarplatten zur ent-
sprechenden Zeit viel weniger scharfe Konturen und ebene Flächen, also eine
geringere Konsistenz besitzen, wie sie denn auch ganz unmerklich in die übrige
Ausbreitung des oberen Keimblattes übergehen. Begreiflicherweise wird daher
jene Bewegung sie nur in geringem Grade heben und dadurch die vergängliche
Rückenfurche bilden, dagegen die ursprüngliche mediane Zellenanhäufung fort-
setzen. Dabei lassen die palissadenförmigen Zellen, sowie sie ihre Gestalt dem
Seitendrucke verdanken, die fernere Riohtung der ihn erzeugenden Bewegung
erkennen ; und da sie sich in der Nähe der Medianebene von beiden Seiten ab-
wärts neigen, so erhellt, dass die Axenplatte dort unter dem Einflüsse jenes
Druckes gleichsam nach unten einknickt oder sich faltet, wobei jedoch in Folge
der geringeren Konsistenz der Zellenmassen die beiden Faltenwände sich zu
dem bekannten Kiele des Medullarstranges aneinanderlegen, ohne eine deut-
liche Spalte erkennen zu lassen. Das spätere Auftreten der letzteren in dem
fertigen Kiele rechtfertigt aber gerade die eben vorgetragene Auffassung seiner
Entwicklung. Ich habe mich nämlich davon überzeugt, dass sie weder durch
eine Auflösung der inneren Zellen noch stets von unten aufwärts entsteht, wie
esOELLACHER lehrt; sondern indem die Verbindung des Kiels mit der Oberhaut-
anlage gewissermassen zusammengeschnürt wird, um alsbald einer völligen
Trennung Platz zu machen, bauchen sich seine Seiten etwas aus, werden also
seine Seitenhälften etwas auseinandergezogen, wodurch eben die mediane Spalte
in verschiedener Höhe und Ausdehnung beginnend entsteht. Ihre gesetz-
mässige Erscheinung bezeugt eben, dass in derselben Richtung der Zusammenhang
der Zellenmasse beständig lockerer ist, also zwischen beiden, unten in einander
übergehenden Seitenhälften des Kiels eine gewisse Scheidegrenze besteht; dies
gestattet aber gerade den Vergleich derselben mit einer geschlossenen Falte,
welche sich alsdann von der nach oben offenen Falte, welche die gehobenen
Medullarplatten anderer Wirbelthierembryonen darstellen, nicht mehr wesent-
lich unterscheidet, besonders da der Faltenraum dort bisweilen spaltförmig eng
wird, wie z. B. am Schwänzende der Batrachierembryonen (vgl. Taf. IV Fig. 76).
Wir finden also, dass bei den Knochenfischen ebenso wie bei den übrigen Wir-
belthieren die gleiche Kette von Ursachen und Wirkungen im Axentheile des
oberen Keimblattes die Cerebromedullarröhre erzeugt: die nachweisbare, bei-
1. Die Leistungen des oberen Keimblattes. 187
clerseits gegen die Medianebene gerichtete Zellenverschiebung* lässt die Medullar-
platten entstehen, zusammenrücken und eine nach oben offene oder geschlossene
Falte bilden, welche endlich unter dem Einflüsse desselben Motors sich zu einer
Röhre abschnürt. Gegenüber diesem Ergebnisse muss die verschiedene äussere
Erscheinung, welche zwischen dem gleichen Anfange und gleichen Enderfolge
liegt, ihre scheinbare Bedeutung verlieren, und die Uebereinstimmung in der
Entwickelung des Centralnervensystems aller Wirbelthiere nicht mehr als hypo-
thetische, sondern als thatsächliche erscheinen. Denn die Homologie wird in
letzter Instanz nicht durch die äussere Form, sondern durch dasEntwickelungs-
gesetz bestimmt, welches sich aber in der Form nicht immer deutlich offenbart.
Von der Sinnesplatte der Knochenfische habe ich bereits in der Beschrei-
bung des gleichnamigen Theils der Batrachier gesprochen. Da die ganze Ent-
stehung und Umbildung der Axenplatte Oellaches entgangen ist, so ist es
natürlich, dass er auch am Forellenembryo nur die alte Lehre glaubte bestäti-
gen zu können, dass das Auge aus dem Hirne hervorwachse, Ohr und Geruchs-
organ aber aus dem Sinnesblatte oder der Oberhautanlage, natürlich in isolirten
Anlagen, sich entwickelten. Ich finde dagegen, dass die Sinnesplatte, d. h. die
gemeinsame Anlage der drei höheren Sinnesorgane, an demselben Thiere viel
deutlicher und charakteristischer ausgeprägt ist und sich weiter umbildet als
bei der Unke. Da der Kiel der Axenplatte ursprünglich nur deren medianen
Theil darstellt und die Zellenmassen ihrer horizontalen Seitentheile nur ganz
allmählich in sich aufnimmt, so besteht auch während längerer Zeit keine deut-
liche Grenze zwischen ihnen, sondern nur ein bogenförmiger, unmerklicher
Uebergang. Diese Uebergangsstelle verwandelt sich nun in dem Masse, als
jene Seitentheile durch die andauernde Zellenauswanderung zur Oberhautanlage
sich verdünnen, in eine abwärts konvexe, gegen den Kiel und gegen die
Oberhaut deutlich abgesetzte Leiste, welche von der vorderen Rumpf hälfte aus
sich in den Kopftheil fortsetzt, um ihn ganz zu umkreisen, nach hinten zu aber
verstreicht. Ihre bogenförmige Anlage erklärt es, dass sie eine schräge Lage
einnimmt, gewissermassen den Winkel zwischen dem Kiel und der Oberhaut
ausfüllt. Während sie aber im Rumpfe allmählich ganz in die Rückenmarks-
anlage aufgenommen wird und so deren dorsalen Abschnitt (hintere Stränge)
* Diese Bewegung lässt sich übrigens nicht nur bei denBatrachiern, sondern wenigstens
auch bei den Knochentischen auf die ursprüngliche , centrifugale Zellenverschiebung der
primären Keiinschicht zurückbeziehen und als deren durch die Embryonalanlage bestimmt
abgelenkte Fortsetzung darstellen.
188 IV. Die Sonderung der einzelnen Organanlagen
bildet, unterliegt sie im Kopftheile als Sinnesplatte den schon bei der Unke ge-
schilderten Umbildungen. Ihre ursprünglich schräge Lage bildet dabei den
Ausgangspunkt entgegengesetzter Verschiebungen. In der hinteren Kopfhälfte
vertieft sich die mediale Grenzfurche und wird dadurch der betreffende Ab-
schnitt der Sinnesplatte (Anlage des Gehörbläschens) vom Hirn getrennt und in
das Niveau der Oberhaut gehoben; an den Seiten der vorderen Kopfhälfte hört
diese Vertiefung wieder auf, und wird die Sinnesplatte vielmehr ähnlich wie
der homologe Theil des Rumpfes zum Centralnervensystem hinzugezogen,
an dessen oberer Hälfte sie eine ansehnliche Vorragung (Anlage der Augenblase)
bildet, welche aber durch eine spaltförmige, meclianwärts fortschreitende Er-
weiterung der lateralen Grenzfurche umgekehrt wie die Anlage des Ohrs zu-
nächst von der Oberhaut getrennt wird, um alsdann wie ein Auswuchs des
Hirns zu erscheinen. Der vorderste Abschnitt der Sinnesplatte (Anlagen der
Nasengruben) stimmt mit dem hintersten überein. Zur Vollendung der Sinnes-
anlagen gehört aber neben der geschilderten Umbildung in der Querrichtung
noch eine solche in der Längsrichtung. Der kontinuirliche Verlauf der Sinnes-
platte bleibt nämlich nicht bestehen , sondern an den Grenzen der wechselnden
Umlageningen entstehen Einschnürungen, namentlich deutlich zwischen Auge und
Ohr, welche die Sinnesplatte jederseits in drei getrennte Abschnitte theilen,
welche darauf zu den diskreten Sinnesanlagen sich zusammenziehend ent-
sprechende Stücke der Oberhautanlage sich dazwischen einschieben lassen.
Wenn also bei den Knochenfischen ein sehr charakteristisches Moment in
der Umbildung der Axenplatte, nämlich die Furchen- oder Faltenbildung der-
selben, bis zur Unkenntlichkeit verdeckt wird, so offenbaren sie uns dagegen
in der Entwicklung der Sinnesplatte um so deutlicher ein nicht weniger wich-
tiges, nur noch bei den Batrachiern nachweisbares Gesetz, welches aber an
den Embryonen der Amnioten schwerlich zur Anschauung gebracht werden
könnte.
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes.
Historische Uebersicht der bisherigen Untersuchungen.
Ich habe bereits früher bemerkt, warum v. Baee's hauptsächlich auf den
Hühnerembryo bezügliche Ausführungen über die Umbildung der Keimblätter
auch für den Batrachierembryo angezogen werden dürften; und da die Ent-
wicklung des mittleren Keimblattes bei der allgemeinen Bildung des ganzen
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. 1 g9
Körpers der Wirbelthiere die Hauptrolle spielt, so wird das, was v.Baer über die
zwischen der Haut und der Schleimhautschicht auftretenden Theile aussagt, am
besten aus einer Darstellung seines Schemas über den Aufbau des Wirbelthierkör-
pers ersehen werden können (vgl. Nr. 81 Scholion IV S. 160 u. flg.Taf. III Fig. 4.
5. 7, H S. 57 u. flg. Taf. IV Fig. 1 — (3). Das wesentlichste Moment in der Ent-
wickelung seiner vier Keimblätter sieht v. Baer darin, dass sie in Röhren, die
Fundamental- oder Primitivorgane, verwandelt würden (Nr. 8 I S. 164, IIS. 64)-
Zuerst fallt ein Stamm, die Wirbelsaite, aus dem offenbar noch undifferenzirten
animalischen Blatte aus (vgl. Nr. 8 IS. 15); darüber entsteht die „Nervenröhre"
(Rückenmark undHirn), darunter aus demGefass- und Schleimblatte die „Darm-
röhre" (Darmkanal und seine Erzeugnisse); beide würden von der inneren
Fleischschicht umschlossen , welche zu beiden Seiten des Stammes ausgehend
aufwärts die Nervenröhre umwächst (Muskeln, Knochen und Nerven des Rückens)
und abwärts nach der vollständigen räumlichen Trennung von dem Gefässblatte
(seröse Leibeshöhle) nur in einem gewissen Abstände von der Darmröhre diese
letztere umschliesst (Muskeln, Knochen, Nerven der Leibeswand). Um alle
diese Röhren bildet endlich die Haut die gemeinsame äusserste Hülle. Für die
Extremitäten nimmt v. Baer noch eine besondere röhrenförmige Schicht an —
äussere Fleischschicht — , welche zwischen der Haut und der inneren Fleischschicht
entsteht (Nr. 8 I S. 1 96, II S. 75. 76). Was die einzelnen Organe und Körper-
theile betrifft, so ist v. Baer der erste Embryolog, welcher die Wirbelsaite des
Batrachierembryo bereits im „Primitivstreifen" entstehen sieht (IIS. 285). Dieselbe
gehe bis unter den Hirnanhang, wo sie auch eine leichte Krümmung nach unten
bildet (II S. 287). Herz und Gekröse verdanken ihre Entstehung der Gefäss-
schicht(II S. 63). Ueber die Bildung der Kiemen spricht sich v. Baer folgender-
massenaus: „Man kann bald an der äusseren Fläche der Bauchplatten einen Wulst
unterscheiden, der zwischen dem Gesichte und dem Rumpfe liegt, den Kiemen-
wulst. Er erstreckt sich von oben nach unten, und in ihm bilden sich parallele
Furchen, denen noch tiefere Furchen von Innen entgegen wachsen und dadurch
Kiemenspalten bilden." „Frühere Beobachter gaben nur drei Kiemenspalten
an. Ich zählte vier in der kurzen Entwicklungsgeschichte der Frösche auf, die
in Bürdach's Physiologie Bd. 2 einverleibt ist - und wurde lebhaft deshalb
angegriffen. Seit jener Zeit habe ich Frosch - Embryonen in zwei Frühlingen
anhaltend untersucht. Ich habe nicht nur mit Sicherheit an ausgekrochenen
Larven vier Kiemenspalten gesehen, sondern bin jetzt nur zweifelhaft, ob nicht
vorübergehend noch eine fünfte Spalte da ist" (Nr. 8 II S.286 vgl. S. 88 Anm.).
190 IV- Die Sonderung der einzelnen Organanlagen.
Ober- und Unterkiefer hält v. Baer für die Extremitätenpaare des Kopfes; der
Unterkiefer insbesondere soll aus der äusseren Fleischschicht des ersten oder
der beiden ersten Kiemenbögen, aus der zugehörigen inneren Fleischschicht
aber das Zungenbein hervorgehen (I S. 191 — 196, II S. 76. 84. 102). Den
Schwanz endlich nennt v. Baer eine Verlängerung der Wirbelsäule, natürlich
mit Muskeln und Haut, über die vegetative Abtheilung hinaus (II S. 287.288),
was auch die Anschauung aller späteren Embryologen blieb.
In ausführlicher Weise beschrieb Reichert die unter dem Centralnerven-
system sich entwickelnden Theile des Froschembryo.* Nach Vollendung der
Umhüllungshaut erscheint als erst^e Bildung die Wirbelsaite (Nr. 22 S. 12).
Anfangs zwischen den Hälften des Centralnervensystems gelegen, hat sie sich
später, „während die Urhälften des Centralnervensystems über ihr zur Ver-
einigung streben , scheinbar etwas tiefer gesenkt und ruht auf den Zellen des
Keimhügels. Vorn und hinten gehen ihre Enden in die Vereinigungsstelle der
Urhälften des Nervensystems so über, dass eine Abgrenzung nicht deutlich
unterschieden werden kann" (S. 14). Ueber die ursprüngliche vordere Aus-
dehnung der Wirbelsaite unter dem Hirne spricht sich Reichert am deutlich-
sten in einem späteren Aufsatze aus (Nr. 86 S. 457): „Die Wirbelsaite endigt
also vorn ursprünglich an der späteren Stirnwand , und zwar nicht spitz, auch
nicht knopfförmig, sondern einfach abgerundet." Im Bereiche des ersten Kopf-
wirbels verkümmert die Spitze der Wirbelsaite schon in dem noch schwanz-
losen Embryo und hängt alsdann innigst der Hirnbasis an ( Nr. 22 S. 1 8. 30,
Taf. II Fig. 15). Die zweite unter dem Centralnervensystem entstehende Anlage
sei das Wirbelsytem. „Dasselbe besteht ursprünglich, wie die Centraltheile
des Nervensystems, aus zwei membrauartigen Schichten des Keimhügels,
welche zu beiden Seiten der Wirbelsaite jene Stelle einnehmen, die von den
Urhälften des Nervensystems bei dem Streben zur gegenseitigen Vereinigung
verlassen wird. Sie befinden sich also unterhalb der früher sogenannten Rücken-
platten, dehnen sich der Länge nach ebenso weit aus und gehen vorn und hinten
in einander über"' (S. 14). Diese „Urplatten des Wirbelsystems" treten in dem
Masse, als die Urhälften des Centralnervensystems näher zusammenrücken,
* Allerdings bat Reichekt bereits in seiner vergleichenden Entwickelungsgescbicbte
des Kopfes Beiträge geliefert zur Keinitniss der ersten Anlagen zwischen dem Centralnerven-
und Darmsystem; da sie aber weder vollständig noch zusammenhängend sind und vielfach
von den späteren Angaben abweichen, so glaube ich die letzteren für die endgiltigen halten
und mich auf dieselben beschränken zu dürfen.
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. \\)\
nach aussen hervor; ihr äusserer Rand „erweitert sich jederseits nach oben
zur Rücken-, nach unten zur Visceralplatte ; jene verräth das Bestreben, die
Centraltheile des Nervensystems , diese die Dottermasse zu umwachsen, um auf
diese Weise die obere und untere Wirbelröhre zu ♦bilden. Das Wirbelsystem
besteht also gegenwärtig aus einem mittleren Theile, welcher unter dem Central-
nervensystem liegt und durch die Wirbelsaite in zwei gesonderte Hälften, die
beiden Urplatten geschieden ist, und dann jederseits aus je zwei Seiten theilen,
den Rücken- und Visceralplatten , welche unmittelbar von dem mittleren gleich
zwei Schenkeln abgehen." Sehr bald zeigen sich die ersten Wirbelabthei-
lungen in den Urplatten, welche Sonderung auch im Kopftheile, also an
der Schädelbasis sichtbar wird. „Hat man nämlich die Urhälften des Central-
nervensystems abgenommen, so sieht man zuerst die beiden hinteren Wirbel-
ab theilungen des Kopfes, welche sich von denen des Rumpfes nur durch ihre
Grösse etwas auszeichnen. Vor ihnen liegt die vorderste und grösste Abthei-
lung des Kopfwirbelsystems. Auf ihr zeigt sich jederseits eine Grube von der
Lage des Augapfels (Taf. II Fig. 15), und nach vorn gehen die beiden Urhälften,
als vorderer Schluss der Urplatten des ganzen Wirbelsystems , in einem Bogen
in einander über, um die Anlage der Stirnwand zu formiren" (S. 16. 17). Nach
der von Reichert selbst angezogenen Abbildung geschehe dies alles gleichfalls
am noch schwanzlosen Embryo. Etwas später als in den Urplatten entwickeln
sich die Wirbelabtheilungen in den Rücken- und Visceralplatten und sind „nicht
allein auf das Skelett, sondern auch auf die Weichgebilde zu beziehen" (S. 32).
Während aber die Rückenplatten über dem Centralnervensystem röhrenförmig
verwachsen, vereinigen sich die Visceralplatten an der Bauchseite in gleicher
Weise nur unter dem ersten und zweiten Kopfwirbel (1— 2ten Visceralbogen),
dann in der Gegend des Brust- und des Beckengürtels (Grundlage der Extre-
mitäten) und an der Schwanz wurzel. „Am dritten Kopfwirbel aber, so wie an
dem grössten Theile der Bauchhöhle geschieht die Vereinigung der Visceral-
platten nicht durch Wachsthum nach unten, sondern durch eigenthümliche
Schlussbildung zwischen den bestehenden vollständigen Abtheilungen der un-
teren Wirbelröhre; also zwischen dem zweiten Visceralbogen und dem Brust-
gürtel als Analogon des dritten Visceralbogens (Kiemenbogenträger) und
zwischen dem Brust- und Beckengürtel nach Art der Musculi recti abdominis"
(S. 17. 18). — Neben dem Wirbelsystem verdient an dieser Stelle noch das
REiCHERT'sche Hautsystem genannt zu werden , welches als Anlage der künf-
tigen Ober- und Lederhaut (S. 71) unter der vergänglichen Umhüllungshaut
]92 IV. Die Sonderung der einzelnen Organanlagen.
eine zweite Hülle des ganzen Körpers bildet und, so lange die Wirbelröhren
noch unvollendet sind, in der Gestalt der Membranae reunientes dieselben vor-
läufig abschliesst (S. 17). — Dass Reichert die Darmhaut aus einer ganz selbst-
ständigen Anlage hervorgehen lässt (S. 35) , wurde schon früher erwähnt. —
Eigenthümlich ist nun nach der REiCHEßT'schen Darstellung die Betheiligung
der genannten „Systeme" an dem Aufbaue des Kopfes. Die Lücke, welche
zwischen dem Keimhügel und der centralen Dottermasse entstand, soll im
Rumpfe überall schwinden und nur im Kopfe als Mundhöhle bestehen bleiben.
„Die sie von oben bedeckende, zurückgebliebene einfache Zellenschicht des
Keimhügels liegt nun an der unteren Fläche der Schädelbasis, und hat sich
auch über die innere Fläche der Visceralbogen ausgebreitet, wo die übrige
Dottermasse nicht mehr vorhanden ist. In der Gegend aber, die dem dritten
Schädelwirbel entspricht, und wo der dritte Visceralbogen sich hätte entwickeln
sollen, befindet sich noch eine kleinere Partie des Dotters, welche gewisser-
massen einen Vorsprung in die Bauchhöhle bildet. Dieselbe umgibt an dieser
Stelle von den Seiten und unten (oben ist der Rest des Keimhügels) die zur
Mundhöhle sich verwandelnde Lücke des Dotters dergestalt, dass die Wandungen
allmählig vom zweiten Visceralbogen ab bis zur Uebergangsstelle (Schlund-
Öffnung) in die Hauptmasse des Dotters an Dicke zunehmen. Die hinterste
Abtheilung der für die Mundhöhle bestimmten Lücke des Dotters wird auf diese
Weise nach hinten immer enger, bis sie endlich an der künftigen Schlundöffnung
mit dem Dotter des Bauches zusammenstösst. Hier beobachten wir nun fol-
gende Bildungsprocesse. — Die der Lücke zugekehrte, innerste Zellenschicht
setzt sich mit der vom Keimhügel restirenden Membran an den Visceralbogen
und an der Schädelbasis in Verbindung, und formirt mit derselben eine Aus-
kleidungsmembran (Schleimhaut?) der Mundhöhle. Unter ihr und zwar zwi-
schen dem Schlusstücke des zweiten Visceralbogens und den Anfängen der
Visceralplatten des Rumpfes entwickelt sich eine membranöse Verbindung, die
zu den Seiten mit dem Hautsystem sich vereinigt und zum Kiemenbogenträger
sich ausbildet. Obgleich sie seitlich an das Hautsystem stösst, so geht ihre
Entwicklung nach meinen Untersuchungen vom zweiten Visceralbogen, also
vom Wirbelsystem aus, und vertritt die Stelle des bei den niedern Wirbelthieren
nicht zur Ausbildung gekommenen dritten Visceralbogens. Durch sie wird erst
die Kopfvisceralhöhle vollständig konformirt, so zwar, dass seitlich zwischen dem
zweiten Visceralbogen und der Visceralplatte des Rumpfes jederseits eine vom
Hautsystem gegenwärtig bedeckte Spalte übrig bleibt, in welcher das Kiemen-
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. 193
System sich entwickelt. — Der grösste Theil der Dotterzellen aber, welche wir
als eine vorspringende Partie der Hauptdottermasse in der Bauchhöhle beschrie-
ben haben, wird zur Bildung des centralen Theils des Gefässsystems angewendet;
aus der unteren Mitte entwickelt sich das Herz, zu den Seiten die Aortenbogen"
(S. 20. 21). An der äusseren Fläche der drei Aortenbögen verdicke sich als-
dann das Hautsystem zu den drei Kiemenbögen, welche sich auf den Kiemen-
bogenträger stützen und mit ihren Erzeugnissen , den Kiemen selbst, der Cutis
angehören.
Nach Vogt entsteht die Wirbelsaite erst nachdem die Rückenwülste aus-
gebildet sind; da er aber diese nach ihrer inneren Zusammensetzung für durch-
aus indiiferente Theile hält, so gilt ihm die Wirbelsaite immerhin als erste
bestimmte Organanlage (Nr. 26 S. 52. 60). Sie entstehe in der Längsaxe des
Embryo unter der Rückenfurche in der übrigen indifferenten Zellenmasse ver-
graben und ende im Kopfe scharf begrenzt zwischen den beiden Ohrblasen
(S. 41. 56). Die indifferenten Zellenmassen zur Seite der Chorda, welche
nach oben als Rückenwülste sich zu einer vollständigen Röhre schliessen, setzen
sich auch abwärts als Bauchplatten fort, die anfangs den Dotter nur halb um-
fassend eine weit auseinanderstehende Furche bilden (S. 56). Später verwach-
sen sie zu einem vollständig geschlossenen Sacke, welcher die centrale Dotter-
masse (Dotterkern Vogt) enthält und selbst nur noch von der Umhüllungshaut
bedeckt wird. Der Dotterkern wird später von einer besonderen sackartigen
Membran eingeschlossen, welche sich von der Innenfläche der Bauchplatten
absondert und den Darm bildet (S. 57 — 58). Die Wirbelabtheilungen zeigen
sich, „sobald die Wülste am Rücken geschlossen und der Schwanz zu sprossen
beginnt, als gleichmässig von einander abstehende; Furchen, welche, die Um-
hüllungshaut , die Chorda und die jetzt sich differenzirenden inneren Zentral-
organe des Nervensystems ausgenommen, durch die ganze Dicke der Zellen-
massen des Rumpfes durchsetzen" (S. 58). ,, Jede Wirbelabtheilung zerfällt
mit dem Laufe der Entwickelung in drei gesonderte Schichten, Haut, Muskel
und starres Gebilde , möge dieses nun blosses Knorpel- oder Knochengewebe
sein" (S. 66). Den Kopftheil lässt Vogt im wesentlichen ebenso zusammen-
gesetzt sein; er bestehe „aus einer breiten, mittleren Tafel, der Schädelbasis,
welche nach oben in zwei einen Halbkanal bildende Blätter, die Rückenwülste,
nach unten in zwei ähnliche, die noch ungetrennten Visceralbogen , sich um-
schlägt. Sobald beide sich geschlossen, stellen sie die beiden Hauptröhren
dar, aus welchen das Wirbelthier sich zusammensetzt, nach oben das die Organe
Goette, Entwickelungsgeschichte. 13
194 IV. Die Sonderung der einzelnen Orgauanlagen.
der sensiblen Sphäre umschliessende Wirbelrohr, nach unten das die vegetativen
Organe umfassende Visceralrohr" (S. 55). Die Kopfvisceralröhre sei aber
eine von aussen entstandene Einstülpung der Kindenschicht (S. 57. 67).
Ecker beschränkt sich allerdings fast ausschliesslich auf die Beschreibung
und Deutung der äusseren Erscheinungen-, aber da diese Erklärungen vielfach
anerkannt sind, so kann ich nicht umhin sie hier zu erwähnen. Wann die
Rückenwülste eben erschienen sind und sich vorn bogenförmig vereinigt haben,
bemerke man jederseits am äusseren Umfange dieses Bogens zwei kleine durch
Kerben gesonderte Hervorragungen (Nr. 41 Taf. XXIII Fig. XVIII). Das erste
Paar verlängert sich sehr bald vor- und abwärts und vereinigt sich zu einem das
Hirnende umkreisenden Bogen. „Diese Erhebung, die Anlage des ersten Visceral-
bogens (später namentlich Unterkiefergürtel), umgrenzt eine flache Stelle unter
dem vorderen Schlüsse der Rückenwülste, welche später einen Theil des Gesichts
bildet und deren mittlerer Theil bald einsinkt und am Ende durchbricht, um
den vorderen Eingang zur Visceralhöhle zu bilden" (Fig. XIX. XX). Das zweite
Paar sowie zwei weitere hinter ihm entstehende Paare von Wülsten reichen
nur bis zu einer gewissen Grenze abwärts und sind die Anlagen der Kiemen-
bögen (Fig. XXII. XXIH). Die Entwickelung des Herzens im Boden der unter
dem Kopfende befindlichen Visceralhöhle lässt Ecker ganz ebenso wie Reichert
erfolgen (Nr. 41 Fig. XXXI).
Mit Remak; beginnt die bestimmte Unterscheidung von Keimblättern auch
am Batrachierembryo. Die Thätigkeit des mittleren Keimblattes schildert er
folgendermassen. „Bevor die Medullarwülste sich zur Bildung des Medullar-
rohrs wieder nähern, hat sich schon aus dem Axentheile des mittleren Keimblattes
unter der Rinne, welche die vergängliche Verbindungshaut der Medullarwülsste
in zwei Seitenhälften scheidet, die dicke grosszellige Chorda gesondert. Ihr zu-
gespitztes Kopfende reicht bis zur Basis des Vorderhirnes, ihr breites Hinterende
hängt noch mit den Urwirbelplatten zusammen, welche wie beim Hühnchen an-
fänglich unter den Medullarwülsten liegend, bei deren Vereinigung ihnen als wali-
förmige Umgrenzung folgen. Diese Wälle erheben sich zur Umwachsung des
Medullarrohrs am frühesten und stärksten im Bereiche des Rückenmarks; im Be-
reiche des Gehirns stehen sie weit aus einander und gehen hier ohne scharfe
Grenze in die Sinnes- und Schlund- oder Kiemenplatten über. So weit sie sich
im Bereiche des Rückens erheben, zerfallen sie durch Querfurchung in die soge-
nannten Urwirbel, die nach meiner Ermittelung (Fror. N. Not. 1845 Nr. 708.
Ueber ein selbst. Darmnervensystem 1847 S. 23) zunächst blos die Anlage der
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. 195
Wirbelmuskeln sind". „Die Muskelplatten sind unterhalb des Rückenmarks
durch eine, die Chorda umhüllende Membran mit einander verbunden, welche die
Anlage der Aorta so wie der Wirbelkörper enthält. An der Basis des Gehirns
bildet die verdickte Fortsetzung jener Membran die Anlage des Schädelgrundes,
die sich ununterbrochen in die Gesichts- und Kiemenplatten fortsetzt" (Nr. 40
S. 153. 154). Vorn am Kopfe sieht nämlich Eemak gleich Ecker zwei Wülste
hinabwachsen ; der erste soll sich in Gestalt einer Leiste zur Seite des Hirns
rückwärts verlängern, den zweiten oder den Kiemenwulst aus seiner Berührung
mit dem Hirne verdrängen und endlich alle Sinnesorgane in sich aufnehmen
und umhüllen. Aus diesem Grunde nennt Remak diesen ersten Wulst die
Gesichts- oder Sinnesplatte (S. 149. 150). Der Kiemenwulst zerfällt in die
Kiemenbögen, indem erst drei äussere Rinnen entstehen, denen ebenso viele
entsprechende rinnenförmige Ausstülpungen des Drüsenblattes entgegenwach-
sen ; die zwei hinteren Kiemenspalten werden nur von innen her angelegt (S. 155).
— „Der an die Muskelplatten grenzende peripherische Theil des mittleren Keim-
blattes entspricht durchaus den Seitenplatten des Hühnchens, da er sich durch
Spaltung in Haut-, Mittel- und Darmfaserplatten sondert" (S. 154). „Nachdem
die Spaltung der Seitenplatten erfolgt ist, werden die Urnieren und die Muskel-
platten des Rückens an ihrer Aussenfläche von den Hautplatten umwachsen, die
sich nunmehr als die Anlage der bindegewebigen Unterhaut erweisen. Im Be-
reiche des Schwanzes findet eine solche Umwachsung nicht statt hier ist sofort
nach Schliessung des Medullarrohrs die Anlage der Muskelplatten von* einer
Zellenschicht bedeckt, welche als Fortsetzung der Seitenplatten die Schwanz-
flosse bildet. Das Aehnliche gilt von dem Kopfende der Larve: auch hier wird
das Hirnrohr schon während seiner Schliessung von einer weichen Zellenschicht
umhüllt , welche mit den Gesichts- und Kiemenplattenund so mittelbar auch
mit den gespaltenen Seitenplatten im Zusammenhange sich befindet. Die aus
der Spaltung der Seitenplatten hervorgegangene Lücke ist die Anlage der gros-
sen serösen Höhle (Pleuroperitonealhöhle)" (S. 155). Die Extremitäten und
Bauchmuskeln hält Remak ebenfalls für Erzeugnisse der Hautplatten (S. 156).
Stricker hat die Embryonalanlagen zwischen dem oberen Keimblatte
oder seinen zwei ersten Blättern und dem Darmblatte eigentlich nur im Kopfe
untersucht. Das motorische (mittlere) Blatt, welches im Rumpftheile aus
der axialen Wirbelsaite und den etwas verdickten Seitentheilen bestehe, ver-
schmelze unter der Hirnanlage zu einer einfachen Zellenlage (Schädelbasis) ;
diese besitze an Stelle der Chorda zuweilen eine Zellenanhäufung, die aber
13*
196 IV- Die Sonderung der einzelnen Organaulagen
auch oft fehlt, „und gegenüber dem bestimmten Charakter, welchen die Chorda
auf dem Querschnitte schon bei ihrem ersten Auftreten zeigt , ist es uns kaum
gestattet dieselbe noch am vordersten Hirnende zu suchen" (Nr. 55 S. 62. 63).
Bald aber erscheine im Kopfende „zwischen dem motorischen Blatte und den
seitlichen Verlängerungen der Nervenanlage jederseits eine kleine Zellen-
gruppe" (S. 63. 64); später entwickele sich ein zweites Paar solcher Zellen-
massen, welche jedoch nicht dem motorischen Keimblatte angehören, son-
dern nur auf ihm entstanden sein sollen (S. 69). „Das vordere Paar umfasst
jederseits den abgerundeten Winkel , welcher durch die seitliche Ausbuchtung
des vorderen breiten Endes der Kückenfurche gebildet wird (die Anlage der
Augenblasen), „und dehnt sich sodann, indem es nach vorn zu wächst, derart
aus, dass jeder Theil die vordere Grenze der centralen Nervenanlage erreicht
und in der Mittellinie mit seinem Gespann zusammentrifft" (S. 64). Das vor-
dere Plattenpaar bildet also „gleichsam eine aus zwei Hälften bestehende
Spange für das vordere Ende des centralen Nervensystems, deren Enden sich
über die Augenblasen nach rückwärts erstrecken". Durch die allgemeine Ge-
staltveränderung des Embryo wird auch das Plattenpaar beeinflusst; es nimmt
dann durch Verschiebung folgende Lage ein. „Je ein Theil der Platte beginnt
hinter der Augenblase , umkreist deren hinteren und unteren Umfang und ge-
langt sodann an die vordere untere Begrenzung des centralen Nervensystems,
an dessen Mittellinie sich beide Theile berühren. Von der ganzen vorderen
unteren Grenze des Hirns ausgehend, wuchern nun beide Theile nach abwärts, um
so die vordere Grenze des Thierchens zu verlängern ; andererseits geht aber von
jedem hinter je einer Augenblase gelegenen Theile der Platten eine Zellenwuche-
rung aus, welche über die Augenblase hinweg nach vorne schreitet, und diese so-
weit umwächst, dass nur an der vorderen Peripherie eine kleine Stelle frei bleibt,
wo die Augenblase an das nach vorne gelegene Geruchsorgan grenzt" (S. 65).
Das zweite Plattenpaar entstehe an der Stelle, wo etwas später das Gehörbläschen
sichtbar werde. Es sei anfangs vom motorischen Keimblatte und dem ersten
Plattenpaare durchaus geschieden-, „wohl besteht aber diese Trennung nicht
lange, sondern bei einigermassen vorgerückten Larven setzt sich die vordere
Platte ununterbrochen nach rückwärts fort" (S. 71). Das zweite Plattenpaar
wuchert hinter dem ersten abwärts und bildet den zweiten Visceral- oder
Kiemenbogen. Beide Paare nennt Stricker Schlundschienen; hinter ihnen
entwickeln sich später noch andere Plattenpaare, welche die Kiemen erzeugen.
Aus dem ganzen Aufsatze, besonders aber aus einigen Stellen desselben (S. 70.
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. 197
74) geht zur Genüge hervor, dass nach Stricker's Ansicht die ursprüngliche
einfache Zellenlage des mittleren Keimblattes , welche unter der Hirnanlage
sich befand, nur die dünne Membran bildet, welche auch später noch in der
Mitte des Schiidelgrundes angetroffen wird , während alle übrigen festen und
weichen Gebilde des Kopfes , welche weder zum oberen Keimblatte noch zum
Darmblatte gehören, wenigstens bis zu den Ohrkapseln aus dem ersten Schienen-
paare hervorgehen. Tökök glaubt diese Ansicht bestätigen zu können (Nr. 58
S. 7. 9) und behauptet in seinem zweiten Aufsatze noch ganz besonders, dass
das erste Schienenpaar vorn verschmilzt , aber in der Mitte dieser Verbindung
von der Mundbucht durchbrochen werde, sodass über derselben ein Theil der
Schienenmasse als vordere Schädelbasis verbleibe, der andere Theil aber da-
runter zum Unterkiefer werde (Nr. 59).
v. Bambecke nimmt die REMAK'sche Eintheilung des mittleren Keim-
blattes in Wirbelsaite, Urwirbel und die peripherischen Seitenplatten an 5 über
das weitere Verhalten der Urwirbelplatten theilt er aber einige Beobachtungen
mit, welche wesentlich mit meinen, schon vor dem Bekanntwerden der v. Bam-
BECKE'schen Abhandlung mitgetheilten Beobachtungen* übereinstimmen. Die
Urwirbelplatten sollen nämlich nur in ihrem centralen Theile die Muskelanlagen
enthalten, dagegen an ihrer inneren und äusseren Fläche Zellenschichten ab-
sondern welche anderen Zwecken dienen. Die innere Schicht, welche zwischen
den Muskeln und dem Rückemnarke liegt, liefere die Wirbel; die äussere, die
Muskeln bedeckende „dorsale Hautplatte" (lame cutanee dorsale) verbindet sich
abwärts mit der REMAK'schen Hautplatte oder der äusseren Schicht der Seiten-
platten, aufwärts wuchernd aber mit der wirbelbildenden Zellenlage, worauf
beide das Rückenmark oben umwachsen (Nr. 63 S. 52. 54). Im Kopfe gebe es
keine gesonderten Anlagen des mittleren Keimblattes, sondern alle die Theile,
welche den Urwirbeln des Rumpfes entsprechen , also das Hirn aufwärts um-
wachsen und die abwärts gerichteten Visceralfortsätze entwickeln, bilden zu-
sammen eine unterschiedslos zusammenhängende Zellenmasse, in welcher erst
später die histiologischen Sonderungen vor sich gehen (S. 53).
* Mein Aufsatz (Nr. 64) erschien im Anfange des Jahres 1869 ; der Band der Memoires
couronnes etc. der Brüsseler Akademie, welcher v. Bambecke's Abhandlung enthält, war,
obgleich zum Jahre 1868 gehörig , im Jahre 1869 noch nicht veröffentlicht worden. Durch
die ausnehmende Güte des Verfassers erhielt ich jedoch im Winter 1869/7o einen Separat-
abdruck jener Abhandlung.
J98 lv~. Die Sonderung der einzelnen Organanlagen.
Um den innigen Zusammenhang der ersten Entwickelungsvorgänge im Eie
anschaulich zu machen, habe ich bereits im vorigen Abschnitte einiges aus der
EntwickeluDgsgeschichte des mittleren Keimblattes anführen müssen. Ich
zeigte, wie der dorsale Abschnitt des genannten Blattes vorherrschend die
Flächenausdehnung desselben, also die Umbildung aus der Gürtelform zu einer
geschlossenen Blase besorgte, während die Embryonalzellen des sich träger
ausbreitenden, daher einige Zeit dickeren ventralen Abschnittes in den Rücken-
theil hinaufrückten und sich im Axenstrange ansammelten. Diese Zellenaus-
wanderung, welche, wie^ schon mehrfach bemerkt, in erster Linie nicht einer
Lebenserscheinung , sondern dem mechanischen Auseinandergedrängtwerden
der sich theilenden Embryonalzellen entspringt, offenbart sich zuerst an den
der Darmhöhle zunächst liegenden Theilen und pflanzt sich alsdann bis auf
die eigentliche Bauchseite Jbrt. Sie bewirkt in dieser Reihenfolge einmal die
deutliche Absonderung des Blattes von der Dotterzellenmasse und ferner eine
Verdünnung der von ihr betroffenen Theile. Wenn aber diese Veränderungen
kaum begonnen haben, vollzieht sich im Axenstrange die Absonderung der
Wirbelsaite (Taf. III Fig. 57. 58). Was die Ursache derselben sei, ist nicht
leicht zu erkennen; ich will es daher nur "als Vermuthung aussprechen, dass
der Druck des gegen das obere Keimblatt vorragenden Axenstranges die später
unläugbar innige Verbindung der beiden Keimblätter bewirkt, und dass dieser
Zusammenhang zu einer Zeit, wo das Darmblatt dem mittleren Keimblatte
auch noch ziemlich fest anhängt, gleichsam eine feste mediane Scheidewand
in dem letztgenannten Blatte erzeugt, von welcher die anstossenden Seitentheile
sich absondern müssen, weil ihre Elemente nicht ruhig liegen bleiben, sondern
durch die andauernde Zellenanhäufung in beständigem Ortswechsel erhalten
werden. Mag man nun dieser Ansicht über die Entstehung der Wirbelsaite
beitreten oder nicht, den Werth einer solchen medianen Scheidewand zwischen
den Seitentheilen des mittleren Keimblattes hat die Wirbelsaite für die folgende
Zeit jedenfalls. Die sie unmittelbar einfassenden Ränder jener Seitentheile
sind auch schon verdickt, aber noch in einer sehr massigen seitlichen Ausdeh-
nung. Während nun die Zelleneinwanderung fortdauert, und damit diese Ver-
dickung auf Kosten der sich verdünnenden peripherischen Theile zunimmt,
ordnen sich die Elemente der letzteren, welche früher locker und mehrfach über
einander lagen, allmählich in zwei einfache Zellenlagen an, welche durch sjjalt-
artige Räume untereinander und von ihrer Umgebung deutlich abgegrenzt er-
scheinen {Taf. III Fig. 58. 62). Auch diese Entwicklung setzt sich von den
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. 199
Seiten der Darmhöhle erst allmählich bis an die Bauchseite fort. Im Rücken
lassen sich die beiden Lagen bis in die verdickten Ränder des mittleren Keim-
blattes verfolgen, wo sie zu einer Falte verbunden bleiben, in deren Innenraume
sich die neu hinzukommenden Zellen ansammeln (Taf. IV Fig. 67. 68). Denn
da an eine freie Zellenbildung zwischen den beiden Zellenlagen schon wegen
des Mangels eines freien Raumes , wo die Bildung vor sich gehen könnte, nicht
gedacht werden 'kann*, so muss man annehmen, dass bei der Unmöglichkeit
einer Flächenausbreitung jener Schichten eine Anzahl der stets neu anrückenden
Zellen aus dem Zusammenhange der Blätter hinausgedrängt und so ihnen zur
Seite angehäuft wird. Will man nun schon auf dieser Entwicklungsstufe die
unter der Axenplatte liegenden Seite ntheile des mittleren Keimblattes als
Segment platten von der weiteren peripherischen Fortsetzung oder den
Seitenplatten (Rema'k) unterscheiden, so muss hervorgehoben werden, dass
die ersteren anfangs nur in ihrem medialen verdickten Abschnitte sich vor den
Seitenplatten auszeichnen, und diese wiederum nur in ihren oberen, der Darm-
höhle zunächst liegenden Abschnitten bereits die Sonderung in zwei Blätter
zeigen, an der Bauchseite aber noch aus dem vollständig ungesonderten Keim-
blatte bestehen. So zeigt sich also an einem und demselben Querschnitte die
allmählich fortschreitende Entwicklung des mittleren Keimblattes aus dem
ursprünglichen, indifferenten Zustande, wo die Zellen in mehrfachen Schichten
ungeordnet neben einander liegen , zu der Anordnung in zwei Blätter und end-
lich zu der Zellenansammlung zwischen denselben in einem einzigen, noch un-
unterbrochenen Verlaufe {Taf. V Fig. 92). Erst allmählich füllen sich die
faltenförmigen Segmentplatten so weit mit Zellen, dass ihre Verdickung stets in
genauer Anpassung an das untere Relief der Axenplatte bis zum seitlichen
Rande der letzteren reicht, und ihr innerer Rand die Höhle der früher vor-
ragenden, theils rundlichen, theils leistenförmigen Wirbelsaite erreicht. Die
vollständige Entwicklung der Seitenplatten erfolgt aber noch weit später.
Was ich aber bisher beschrieb, bezieht sich zur Zeit nur auf den grösseren,
mittleren Theil des Rückens. Denn hinten , gegen die RuscoNische Oeffnung
hin, sind die geschilderten Sonderungen noch nicht eingetreten, und im vorder-
sten Kopftheile fliessen die Segmentplatten und die Wirbelsaite zu einer einfachen
* Ich weise eine solche Annahme hier deswegen ausdrücklich zurück, weil sie bei den
Embryonen der höheren Wirbelthiere, deren sogen. Urwirbel sehr scharf begrenzte und all-
mählich sich ausfüllende Höhlen enthalten, sich leicht empfehlen könnte.
200 f7. Die Sonderung der einzelnen Organanlagen.
Zellenlage zusammen, jwelche am Rande des Kopftheils gleich den übrigen
Segmentplatten in die Seitenplatten übergeht (Taf. III Fig. 59. 60, Taf. IV
Fig. 63. 64. 70. 71. 78, Taf. V Fig. 81. 82. 95—97). Ob nun die frühzeitige
starke Ausbildung der Hirnplatte als die Hemmungsursache jener theilweisen
Verkümmerung der medianen Theile des mittleren Keimblattes anzusehen ist
oder nicht, jedenfalls steht so viel fest, dass die Entwicklung der Axenplatte
und diejenige der Segmentplatten nebst der Wirbelsaite in einem innigen Wech-
selverhältnisse stehen, so dass die stärker ausgebildeten Stellen des einen
Theils mit einer schwächeren Ausbildung des anderen zusammenfallen und
umgekehrt.
Nach dieser allgemeinen Uebersicht will ich die Einzelheiten der Ent-
wicklung des mittleren Keimblattes nach der schon bei der Axenplatte befolg-
ten Methode verfolgen.
Erste Entwickelungsstufe {Taf. IV Fig. 63 — 70). Dort, wo die
Segmentplatten aus dem Randwulste der RuscoNi'schen Oeffnung in den
Schwanztheil des Rückens eintreten, erscheinen sie als sehr ansehnliche Polster,
ein wenig breiter als hoch , deren mediale obere Flächen mit der dazwischen
liegenden Wirbelsaite eine gleichmässig ausgehöhlte, flache Mulde zur Aufnahme
der ungeteilten Axenplatte bilden, und deren äussere Theile in sanfter Krüm-
mung in die Seitenplatten übergehen. Beim Uebergange in den Rumpftheil
erhebt sich der innere Rand und sinkt die äussere Kante der Segmentplatten,
sodass zwischen beiden jederseits eine flache Einsenkung für die entsprechende
Medullarplatte entsteht. Die Wirbelsaite liegt, so lange die Rückenrinne sicht-
bar ist, unter dem Niveau der inneren Ränder der Seginentplatten ; sie ist
schmäler und höher geworden als früher, indem die vorher runden Zellen, von
denen drei auf die Breite der Wirbelsaite gingen, nunmehr in die Quere ge-
streckt und so über einander geschichtet sind, dass immer je zwei, in der Me-
dianebene ziemlich regelmässig zusammenstossende Zellen auf die Breite der
Wirbelsaite kommen. Je näher zum Kopfe desto niedriger und breiter werden
die Segmentplatten; im hinteren Kopftheile werden sie durch die unteren Vor-
ragungen der Hirnplatte namentlich in ihrer Mitte eingedrückt, im abgebogenen
Kopftheile mehr gleichmässig abgeflacht. Wenn aber die Segmentplatten des
Kopfes auf diese Weise in ihren grösseren medialen Abschnitten am Wachs-
thume gehindert erscheinen, so fehlt doch ein solches nicht ganz, indem die neu
hinzukommenden Zellen über der äusseren Kante der Platte in den eben ent-
stehenden Wulst ausweichen und die Falte, welche am Rumpfe geschlossen
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. 201
bleibt, ausfüllen. Diese Zellenansammlung lässt sich nur an der Seite des
Kopfes, nicht an seinem vorderen Umfange nachweisen und fängt schon in
diesem Stadium an, an einer Stelle selbstständig zu werden; doch will ich diesen
Vorgang erst eingehender betrachten, wenn er allgemein geworden ist, und hier
nur feststellen, dass die Zellenmasse des mittleren Keimblattes, welche das
Innere des Wulstes am Kopfe einnimmt, ursprünglich eine Wucherung der
Segmentplatten ist. — Ich bemerke noch, dass zu derselben Zeit die Wirbel-
saite noch nicht bis zur Mitte des Kopfes sichtbar geworden ist, und dass in
seiner vorderen Hälfte noch immer eine einfache Zellenlage sich unter der Hirn-
anlage hinzieht.
Zweite Entwicklungsstufe {Taf. IV Fig. 71—80, Taf. F, VI). In
dieses Stadium fällt die Umbildung der leistenförmigen Wirbelsaite zu einem
cylindrischen Strange und die Differenzirung der Segmentplatten. Jener erstge-
nannte Entwickelungsprocess beginnt bald früher bald später, ohne nachweis-
baren Zusammenhang mit dem anderen oder den Veränderungen der übrigen
Anlagen. Die scheinbar so einfache Umbildung , welche eigentlich nur in einer
Abrundung der vier Kanten der ursprünglichen Wirbelsaite besteht, beruht
nicht wie in ähnlichen Fällen auf einer Anpassung an die Umgebung , sondern
erfolgt unter theilweiser Ablösung der Wirbelsaite von den sie berührenden
Theilen und vermittelst einer ganz bestimmten, höchst subtilen Umlagerung
ihrer Elemente. Da ich aber für diesen ganzen Vorgang Ursachen in der
nächsten Umgebung der Wirbelsaite nicht entdecken konnte, so will ich ihn
auch ausserhalb der allgemeinen Darstellung, aber im Zusammenhange mit
der ganzen übrigen histiologischen Entwickelung der Wirbelsaite in einem be-
sonderen Abschnitte 'abhandeln. Hier sei nur bemerkt, dass der viereckige
Querdurchschnitt erst fassartig, dann elliptisch und endlich kreisrund wird;
und zwar beginnt die Umbildung im vorderen Körpertheile, an der Grenze des
Kopfes und setzt sich zuletzt in das Schwanzende fort.
Zur Seite der Wirbelsaite wird die Masse der Segmentplatten in der Weise
median- und aufwärts verschoben, dass die früher äussere Kante derselben,
beständig in den Winkel des Wulstes hineingepresst, zu einer oberen wird, von
der aus eine laterale Fläche zu den Seitenplatten und eine mediale zum inneren
Rande hin dachähnlich abfallen. Dadurch wird der Durchschnitt der Segment-
platten ein nahezu dreieckiger. Während dieser Umbildung werden die zwei
ursprünglichen Schichten der Segmentplatten, zwischen denen die Zellenan-
sammlung begann, theils ganz undeutlich , theils tritt an ihre Stelle eine kon-
202 IV. Die Sonderling der einzelnen Organanlagen.
nuirliche, jene innere Zellenrnasse umschliessende Rindenschicht, welche jedoch,
wie ich später zeigen werde, nicht ohne weiteres als eine einfache Erweiterung
der ursprünglichen, faltenförmigen Segmentplatte angesehen werden darf.
Im Kopftheile erfolgt die Zellenansammlung nicht in der ganzen Breite der
Segmentplatte, sondern vorherrschend an der äusseren oberen Kante, von wo
aus sie in den schon mehrfach erwähnten Raum des Wulstes in dem Masse
hinein wächst, als derselbe sich entwickelt. Die Beobachtung lehrt aber, dass
diese angesammelten Zellen nicht etwa zwischen den beiden Segmentschichten
liegen, von denen die äussere in eine scharfkantige Falte wäre ausgezogen
worden; sondern dass die innere Schicht unverändert darunter hinwegzieht, die
äussere dagegen unmittelbar in jene Zellen Wucherung übergeht, welche wie eine
Verdickung oder wie ein Auswuchs derselben erscheint (Taf. IV Fig. 64. 72,
Taf. V Fig. 82). Bisweilen scheint diese Neubildung allerdings ausserhalb der
vollständigen Segmentplatte zu liegen {Taf. IV Fig. 66)) da aber dieser Befund
selten und niemals im Anfange der Zellenansammlung anzutreffen ist, so kann er
die Abstammung der fraglichen Zellenmassen von der äusseren SchichtderSeg-
mentplatte nicht in Zweifel setzen und stellt offenbar nur eine ungewöhnliche
Form ihrer nachträglichen Absonderung vom Mutterboden dar. Gewöhnlich
geschieht dies in der Weise, dass die sich ablösenden Zellenmassen in der
äusseren Schicht der Segmentplatten entsprechende Lücken zurücklassen, welche
erst nach einiger Zeit sich ausgleichen und dadurch die Zeichen für die ursprüng-
liche Zusammengehörigkeit beider Anlagen verwischen {Taf. V Fig. 91, Taf. VI
Fig. 111. 112).
Die wichtigste Umbildung der Segmentplatten ist jedenfalls ihre Gliederung
in diejenigen Theile, von denen sie den Namen erhalten, die Segmente*.
Dieser merkwürdige Process beginnt zur Zeit, wann die Cerebromedullarfurche
im Kopftheile entwickelt ist, in der Gegend des Hinterkopfes, ob aber innerhalb
des letzteren oder des angrenzenden Rumpftheils, vermag ich nicht anzugeben;
von dort aus setzt sich die Theilung nach den beiden Körperenden fort, erreicht
aber das Kopfende früher, als sie nur in die Nähe des Schwanzendes gelangt
ist. Die Segmente entstehen in der Weise, dass die Platten rechtwinkelig zur
Medianebene in schmale Leistchen zerfallen, welche aber mit ihren unteren,
* Seitdem ich nicht nur an den Embryonen der Batrachier, sondern auch au denen der
Knochenfische, Reptilien, Vögel und Säugethiere entdeckt habe, dass die Wirbelsäule nicht
unmittelbar aus den Segmenten hervorgeht, habe ich die alte Benennung der „Urwirbel"
ganz aufgegeben und jenen allgemeineren Ausdruck gewählt.
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. 203
äusseren Enden noch mit den Seitenplatten zusammenhängen. Die Theilungen
beider Körperseiten korrespondiren ziemlich genau mit einander. Die einzelnen
Vorgänge bei diesen Quertheilungen habe ich allerdings bei den Batrachiern
weniger deutlich verfolgen können, weil es nicht leicht ist, an ihren Embryonen
Sagittalschnitte auszuführen, welche beide Schichten der Segmentplatten senk-
recht träfen. Doch glaube ich, dass die Batrachier in dieser Hinsicht sich nicht
von den Amnioten und Knochenfischen unterscheiden werden, bei denen ich
die Segmente erst nur durch Einkerbungen von oben nach unten, und dann
durch spaltförmige Fortsetzungen derselben sich von einander scheiden sah.
Und da die sich theilenden Segmentplatten bereits in eine Rindenschicht und
eine innere Kernmasse gesondert sind, so müssen auch die Segmente von Anfang an
diese Theile besitzen. Nur ist es bei der anfangs geringen Breite der Segmente
von höchstens zwei Zellen schwer, diese Anordnung an Längsschnitten, welche die
Segmentirung zeigen, ebenso deutlich wie an Querdurchschnitten zu erkennen.
Dies wird erst möglich , wenn die Segmente in dem Masse als die Länge des
Rückens überhaupt zunimmt, sich von der Seite zur Medianebene zusammen-
ziehen, dagegen nach vorn und hinten ausdehnen (Taf. VI Fig. 100.101).
Eine besondere Erwähnung verdienen hier schon die vier vordersten Seg-
mente, welche die Ausdehnung und die Grenzen des Kopfes bestimmen, während
der allmähliche Uebergang der Hirn- und Sinnesplatte in die Medullarplatte
des Rückens zu breit ist, um mehr als eine ganz allgemeine Eintheimng abzu-
geben. Um ein klares Bild von diesen Segmenten des Kopfes und ihrer späteren
Umbildung zu entwerfen, muss ich etwas weiter ausgreifen und zum Theil an
frühere Beschreibungen erinnern (ausser den schon citirten Abbildungen Taf. III
Fig. 45. 50. 51). — Man vergegenwärtige sich einen Embryo aus der Zeit, wann
die Rückenfurche noch ofien steht. Die Rückenbildung, insofern sie vom Fusse
der Rückenwülste an über die ursprüngliche Obern" äche hervorragt, ist in der Mitte
des Körpers am stärksten zusammengezogen, schmal und hoch und nach aussen
steil abfallend; der darunter befindliche Bauchtheil ist im Uebergange zum schma-
len Rücken gleichfalls von der Seite her etwas zusammengedrückt, und das Ganze
gibt einen birnförmigen Querschnitt. Nach beiden Körperenden hin nähern
sich die Querschnitte dagegen wieder der Kreisform, indem am Schwanzende
die Höhe und Zusammenziehung des Rückens abnimmt, am Kopfe aber durch
eine stärkere seitliche Ausladung der Wülste der schroffe Uebergang vom Rücken
zum Bauchtheile ausgeglichen wird. So treten also dort die vom Rumpfe etwas
eingedrückten Flanken wieder stärker hervor, wodurch ihr durch einen wulstigen
204 IV. Die Sonderung der einzelnen Organanlagen.
Rand bezeichneter Uebergang zur vorderen und hinteren Fläche des Körpers,
in welche die Rückenbildung scharf umbiegt, um so ausgeprägter erscheint.
Und zwar kann diese Erscheinung bisweilen so gleichartig an beiden Körper-
enden auftreten, dass die Unterscheidung derselben am unberührten Embryo
sich nicht auf den ersten Blick ergibt. Am Schwänzende verwischt sich dieses
Bild aber sehr bald , während es am Kopfende den Ausgangspunkt für die wei-
tere Entwicklung darstellt. Jeder Frontalschnitt lehrt nun, dass jener wul-
stige Rand, welcher das abgestumpfte Kopfende umschreibt, nicht der Ausdruck
einer soliden, etwa vom dorsalen Kopfwulste auslaufenden Bildimg ist, wie man
bisher häufig annahm, sondern durch eine Ausbauchung der unveränderten und
aus allen drei Keimblättern zusammengesetzten Körperwand des Embryo ent-
steht*. Und zwar entspricht diese seitliche Knickung (der embryonalen Wand
der Darmhöhle durchaus der winkeligen Umbiegung des Rückens, ist eigent-
lich nur eine seitliche Fortsetzung derselben, was innen aus dem vom Rücken
her an den Seiten abwärts fortlaufenden Flächenwinkel des Darmblattes klar
hervorgeht, während äusserlich die Wülste den Zusammenhang der Biegung am
Rücken und an den Seiten verdecken. Weiter abwärts werden die Schenkel
dieser Ausbiegung ganz unbestimmt, und ich konnte eine bogenförmige Ver-
einigung derselben nicht nachweisen. Allerdings entsteht am unberührten
Embryo der Schein einer solchen Vereinigung, indem jederseits eine dunkler
gefärbte Verdickung der* Deckschicht sich bemerkbar macht, welche im An-
schlüsse an die abwärts verstreichende Ausbiegung der Körperwand die wulst-
förmige Vorragung in einem Bogen nach unten und vorn bis zur Medianebene
fortsetzt. Aber diese Verdickungen der Deckschicht oder die Anlagen der
sogen. Haftorgane bleiben eine rein äusserliche Bildung, welche ohne nach-
weisbaren Einfluss auf die Entwickelung des Kopfes besteht. Immerhin dient
sie dazu, die von jener Ausbiegung eingeleitete Abgrenzung zu vollenden
sodass von beiden gemeinsam eine rundliche Platte umschrieben wird, welche
durch ihre ausgeprägte Abbiegung von der oberen und seitlichen Fläche des
Embryo die vordere Abstumpfung desselben hervorruft. Diese Platte, welche
die abgebogene Hirnpartie enthält, stellt schon in diesem Entwickelungsstadium
eine vordere Kopfliälfte dar ; in ihrem ganzen Umfange schliesst sich die hintere
* Die embryonale Körperwand, welche überall den ganzen Keim, die zwei Keimschichten
oder drei Keimblätter begreift, entspricht durchaus der „Keimhaut" der älteren Embryo-
logen; doch halte ich diese besondere Bezeichnung, namentlich bei Batrachierembryonen,
nicht für nöthig.
•J. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. 205
Kopfhälfte an , welche man sich zur selben Zeit als einen Gürtelabschnitt der
übrigen Körperwand denken rnuss, der am Rücken die hintere Hirnhälfte ent-
hält und dann seitlich und abwärts sich bedeutend verschmälert, um in der
Gegend der Haftorgane in die vordere Kopfhälfte überzugehen. Man könnte
also die Anlage des ganzen Kopfes durch einen Schnitt, welcher hinter dem
vierten Segmente einsetzt, und schräg nach vorn und unten ausfährt, vom
übrigen Körper trennen. Dieser Abschnitt muss um so flacher ausfallen, je
jünger und kugeliger der Embryo ist; später veränderter sich namentlich durch
das Hervorwachsen des vom Hirne eingenommenen oberen Theils, wodurch der
früher steil aufgerichtete untere Theil nach vorn umgelagert und ausgedehnt
wird.
Ich will jetzt in die geschilderten äusseren und allgemeinen Formen der
Kopfregion die einzelnen inneren Theile eintragen. Das Hirn mit seiner vorn
abgeplatteten Retortenform ist bereits bekannt, und sind daher wesentlich die
für die Erkenntniss der Architektonik des Kopfes so wichtigen Anlagen des
mittleren Keimblattes zu betrachten. Sobald die Absonderung der Chorda-
anlage vollendet ist, durchsetzt sie nicht nur die hintere Kopfhälfte, sondern
zieht sich mit einer entsprechenden Krümmung über die Umbiegungsstelle hinaus
in die dünne Unterlage der vorderen Hirnabtheilung hinein. Diese stark ver-
schmächtigte, jedoch vollkommene Fortsetzung der Wirbelsaite geht aber aller-
dings eine ganz kleine Strecke nach ihrer Abbiegung in eine blosse Zellen-
anhäufung über, welche als mediane, strangartige Verdickung des mittleren
Keimblattes bis zum Grunde der die vordere Hirnhälfte darstellenden Tasche,
aber niemals darüber hinaus bis zur Oberhaut oder, wie Reicheet sich aus-
drückt, bis zur Stirnwand reicht (Taf. IV Fig. 77, Taf. V Fig. 81, Taf. VI
Fig. 100). Diese Fortsetzung der Wirbelsaite entspricht also dem ganzen,
erst bogenförmigen, dann vorn rechtwinkelig geknickten Verlaufe der Rücken-
axe, welche aber, wenn man darunter naturgemäss nur eine gemeinsame Rich-
tungslinie der dorsalen Anlagen versteht, mit der rechtwinkeligen Abbiegung
aufhört und nicht der bogenförmigen vorderen Aufkrümmung der Hirnplatte
folgend gedacht werden darf; um so weniger, als auch die Hirnaxe, wie es
später noch erörtert werden soll, in der senkrecht nach unten abgebogenen
Richtung aufhört. Uebrigens ist der Bestand jener unvollkommenen Fort-
setzung der Wirbelsaite nur von kurzer Dauer, und nach ihrer Rückbildung
zieht sich auch die vollständig entwickelte umgebogene Chordaspitze so weit zu-
rück, dass sie endlich nicht weiter als bis zur Umbiegungsstelle reicht, also ihre
206 IV. Die Sonderung der einzelnen Organanlagen.
ursprüngliche Krümmung verliert (Taf. II Fig. 36'. 38). — Seitlich eingefasst
wird die Wirbelsaite von den Segmenten, welche im Kopfe sehr bald nach dem
Beginne der ganzen Gliederung fertig sind und alsdann die schon geschilderte
Gestalt besitzen, nämlich in dem grösseren medialen Theile breit und niedrig
sind, an ihrer oberen Seitenkante aber mit den umfänglichen Auswüchsen ihrer
äusseren Schicht in den Kopfwulst hineinragen. Da diese Zellenwucherung
von der Segmentirung mitbetroffen wird und darauf von ihrer Unterlage sich
ablöst, so gehen daraus selbstständige Stücke, eben die äusseren oder late-
ralenSegmente, hervor, welche nach Zahl und Lage dem Reste der ursprüng-
lichen oder den inneren Segmenten (Stammsegmente) entsprechen.
Da diese Sonderung, welche die wichtigsten, dem mittleren Keimblatte angehöri-
gen Anlagen des Kopfes ausschliesslich herstellt , auf die vier ersten Segment-
paare beschränkt ist, so ist die hintere Kopfgrenze schon in früher Zeit ganz
bestimmt abgesteckt. — Die drei hinteren inneren Kopfsegmente hegen an jenem
Abschnitte der Wirbelsaite ; welcher als eine auch in der Richtung ununter-
brochene Fortsetzung ihres Rumpfabschnittes die hintere Kojjfhälfte bis zur
Umbiegungsstelle durchzieht-, die zugehörigen äusseren Segmente nehmen vom
hintersten oder vierten bis zum zweiten an Grösse zu, und da sie über die
Seitenlinie des Rumpfes hinausragen, bedingen sie eine seitliche Ausladung des
dorsalen Kopftheils und überhaupt sein vorgewölbtes Relief. Solange sie aber
unter das Niveau des Rückens noch nicht hinabgehen, verläuft die seitliche
Körperwand noch gleichmässig eingebogen vom Rumpfe nach vorn bis zur
bogenförmigen Erhebung, deren Grat als Grenze beider Kopfhälften, zugleich
der vorderen Grenze des zweiten inneren und äusseren Segmentpaars entspricht.
Die genannten drei Segmentpaare (innere und äussere) gehören also vollständig
der hinteren Kopfhälfte an.
Die vordere Kopfhälfte enthält das erste innere und äussere Segmentpaar.
Das innere beginnt eigentlich an der Umbiegungsstelle und liegt mit einem
Theil seiner Basis noch in einer Ebene mit den hinteren Segmenten (Taf. VI
Fig. 99. 105) ; weil aber seine Seitentheile und seine spätere Ausbreitung sowie
die zugehörigen äusseren Segmente unter und vor der Umbiegung der Rücken-
axe sich befinden, so rechne ich es ganz zur vorderen Kopfhälfte, woselbst es
sich in einer indifferenten dünnen Zellenschicht verliert. Die beiden äusseren
Segmente schmiegen sich seitlich dem Hirne so an, dass die Grundflächen aller
drei Theile in einer Flucht liegen; ihre äusseren Ränder reichen bis zur seit-
lichen Grenze der ganzen Kopfhälfte, sodass die letztere als eine Fortsetzung
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes 207
bloss des eigentlichen Rückentheils der hinteren Kopfhälfte mit Ausschluss
besonderer Seitentheile erscheint. Es wird also auch die dünne Zellenlage,
welche in der ganzen Breite der vorderen Kopfhälfte unter dem Hirne und
den äusseren Segmenten sich ziemlich gleichmässig hinzieht, bloss als eine
Fortsetzung der unmerklich in sie auslaufenden Segmentplatten und der Wirbel-
saite aufzufassen sein, welche erst an der lateralen Grenze der vorderen Kopf-
hälfte in die Seitenplatten der hinteren übergeht. Der Ansicht, dass diese
Zellenlage eine quere Verbindung der beiderseitigen Segmentplatten vor der
Chordaspitze darstelle, widerspricht die schon besprochene rudimentäre Fort-
setzung der Wirbelsaite, welche jene Schicht durchzieht, und die Beschränkung
der äusseren Segmente auf die Seitentheile des Kopfes ; und mit dem Schwunde
jener rudimentären Bildung geht eine Rückbildung des ganzen Axentheils
jener sie einfassenden Zellenschicht Hand in Hand, sodass alsdann die Segment-
platten im Vorderkopfe vollständig getrennt aus einander laufen (Taf. VII
Fig. 123). Diese Rückbildung innerhalb des mittleren Keimblattes beginnt
schon ziemlich früh , gleich nach der Knickung der Rückenaxe, im medianen
Theile der unter dem vorderen Hirnende befindlichen Seitenplatte, jenseits der
unteren Grenze des Kopfes. Diese längliche Lücke reicht anfangs nur bis zum
Hirne, allmählich dehnt sie sich aber unter dasselbe und zwar immer in me-
dianer Richtung auf- und rückwärts aus. Da aber an Stelle der geschwunde-
nen Zellenschicht keine Zeichen einer zerstörten Zellenmasse zu sehen sind,
und an eine Resorption in dem Sinne wie bei einem vollkommen ausgebildeten
Thiere nicht gedacht werden kann, so muss man annehmen, dass die von ihrem
ursprünglichen Orte verschwindenden Zellen seitwärts auseinanderrücken , und
dadurch das Hirn und weiter unten die Oberhaut in der Medianebene mit dem
Darmblatte in Berührung bringen. Innerhalb des Vorderkopfes, d. h. unter
dem Vorderhirne und bis zu den Haftorganen abwärts , wird in Folge dieses
Vorgangs der frühere indifferente Zustand des mittleren Keimblattes gehoben.
Denn solange jenes ungesonderte Vorderende der Segmentplatten ganz unmerk-
lich in die darunterliegende Seitenplatte übergeht, kann von der Existenz eines
bestimmten inneren Segmentpaares eigentlich gar nicht die Rede sein. Erst in
dem Masse, als jene ganze indifferente Zellenschicht von vorn her gleichsam zer-
reisst, und ihre Elemente sich aufwärts nach beiden Seiten zu zwei dicken
Zellensträngen ansammeln , lassen sich dieselben mit Rücksicht auf ihre Lage
an der Hirnbasis und nach innen von den lateralen Segmenten als innere Seg-
mente bezeichnen , welche alsdann von der Spitze der Wirbelsaite seitlich ab-
208 IV. Die Sonderung der einzelnen Organanlagen.
gehen und mit einem ansehnlichen Zipfel in die vordere Kopfhälfte hinabreichen.
Das erste äussere Segmentpaar ist sehr bald länger als alle übrigen; denn
während die anfangs breite und kurze vordere Hirnhälfte sich schliesst und
dabei schmäler aber länger wird, kann jenes Segmentpaar längs ihrer eigent-
lichen Basis entsprechend auswachsen, wogegen die übrigen Kopfsegmente, so-
lange der grössere Kumpftheil der Segmentplatten jederseits eine kompakte
Masse darstellt, sich in derselben Richtung offenbar nicht auszudehnen ver-
mögen, sondern nur nach ihrer Höhe, wovon später die Rede sein soll (Taf. XVI
Fig. 286. 287). Es ist aber zur richtigen Würdigung der folgenden Entwicke-
lungs Vorgänge stets im Auge zu behalten, wie die ursprünglichen Richtungen in
der vorderen Kopfhälfte durch die Knickung der Rückenaxe im Verhältniss
zum übrigen Körper verändert werden. Denn bei unbefangener Betrachtung
scheint das erste äussere Segmentpaar längs des Vorderhirns gerade ebenso
hinabzuwachsen, wie es später den anderen Segmenten ergeht, obgleich die
Ausdehnung der letzteren rechtwinkelig, jenes erstere Wachsthum aber parallel
zum zugehörigen Axenabschnitte erfolgt, während später ein eigentliches Hin-
abwachsen des ersten äusseren Segmentpaares im Sinne einer Entfernung von
der Axe, wenngleich es von der früheren Richtung nicht wesentlich abweicht,
als ein zweiter Akt unterschieden werden kann.
Dritte Entwickelungsstufe. In der zuletzt betrachteten Entwicke-
lungsperiode vollzog sich die Gliederung des mittleren Keimblattes in Theile,
welche aus einer höchst einfachen Grundlage nach bestimmten morphologischen
Gesetzen hervorgegangen, eine solche Regelmäsigkeit der Form und der Lage-
rung offenbaren, dass ich sie die architektonischen Elemente nennen möchte.
Neue Formen derselben entstehen nicht mehr, wohl aber wächst ihre Anzahl
durch die nach hinten fortschreitende Gliederung der noch ungetheilten Seg-
mentplatten. Abgesehen von dieser einfachen Fortsetzung bereits bekannter
Vorgänge liegt der Schwerpunkt der jetzt vorzuführenden Entwicklung darin,
dass die ursprüngliche, regelmässige Lage der architektonischen Elemente so-
weit verändert, die letzteren soweit umgebildet werden, als es die Lage und die
Verbindung der aus jenen Elementen hervorgehenden Körpertheile erfordern.
Mit andern Worten — wenn in dem ersten von mir aufgestellten Zeiträume die
Grundlagen entwickelt wurden , an denen in der darauf folgenden Periode die
architektonische Gliederung sich vollzog, so soll der dritte Zeitabschnitt die
Umbildung der architektonischen Elemente in die topographischen Anlagen der
Körpertheile umfassen, damit endlich die späteren Kapitel der Einzelbeschrei-
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. 209
bimg und dem histiologisclien Detail nachgehen können. Aber ebenso wie ich
es bisher hielt , werde ich auch fernerhin den chronologischen Entwicklungs-
gang gegenüber den von mir aufgestellten Perioden häufig vernachlässigen und
zu Gunsten des Verständnisses Manches vorausgreifend an frühere Zustände
anschliessen , Einzelnes wiederum für spätere Kapitel aufsparen. Auch hier
will ich den Rumpf , welcher die einfacheren Verhältnisse darbietet, der Be-
trachtung zuerst unterziehen.
Der Rumpftheil.
Die Segmente des Rumpfes habe ich in der Beschreibung so verlassen,
dass man sie ganz kurze dreiseitige Prismen nennen könnte, welche mit
der Hauptaxe parallel zur Wirbelsaite gelagert, eine Grundfläche und eine
obere Kante mit beiderseits nach aussen und medianwärts abfallenden Flächen
besitzen; der innere untere Rand ist breit, während der laterale Theil der
Basis mit der Seitenplatte zusammenhängt {Taf. V). Die Formveränderung
der ganzen Segmente bis zu der Zeit, wo dieselben sich in verschiedene
Gewebe zu verwandeln beginnen, ist nicht von Bedeutung {Taf. IV Fig. 76,
Taf. VI Fig. 90—101, Taf. VII Fig. 121—123). Zunächst nehmen sie in der
Längsrichtung zu und füllen sich in der früher angegebenen Weise mit neuen,
von den Seitenplatten* her einwandernden Zellen. Dabei ziehen sie sich in der
Querrichtung noch mehr zusammen, ihre Kanten und Ecken runden sich ab
und die medialen und lateralen Flächen werden von vorn nach hinten konvex.
Sah man vorher auf einem Frontaldurchschnitte des Rückens die Segmente
durch langgestreckte zur Körperaxe quergestellte Vierecke angedeutet, so er-
scheinen die letzteren nach der beschriebenen Veränderung zuerst in Quadrate
mit abgerundeten Winkeln und dann in einen fassförmigen Umriss verwandelt.
Dieser letztere Durchschnitt besteht noch zur Zeit der histiologisclien Sonderung
der Segmente. Dass diese Umbildungen jedoch keine wesentliche Gestaltverän-
derung der Segmente bedingen, lehren uns die Querdurchschnitte : diese sind
höher und schmäler geworden, sonst aber dreieckig geblieben {Taf. VI Fig. 114.
115, Taf. VII Fig. 136— 139). Es haben also die Segmente trotz des Formen-
* Ich mache darauf aufmerksam , dass die Seitenplatten vor ihrer Trennung von den
Segmenten eben nur die ausserhalb des Rückens befindlichen, indifferenten Theile des mitt-
leren Keimblattes, keineswegs aber schon bestimmte Anlagen darstellen, da ja solche natür-
lich nicht ganz unbegrenzt in den Bestand anderer Theile eingehen könnten.
Goette, Entwickelungsgeschichte. 14
210 IV. Die Sonderung der einzelnen Organanlagen.
wechseis der Frontal clurclischnitte die frühere prismatische Gestalt behalten.
Dagegen ist die schon angedeutete innere Sonderung der Segmente (Rinden-
schicht und Kern) unterdessen fortgeschritten und hat endlich zur Ausbildung
ganz bestimmter Anlagen geführt. Um aber gleich ein richtiges Bild dieser
Entwickelung zu gewinnen, untersuche man zunächst die Segmente der hinteren
Hälfte des Rumpfes bis in den Schwanz hinein, wo die Verhältnisse einfacher,
übersichtlicher sind. Da nun alle Veränderungen der Segmente ebenso wie die
sie erzeugende Gliederung in der Nähe des Kopfes beginnen und dann rück-
wärts fortschreiten, sodass am Schwanzende mancher Entwickelungsvorgang
noch nicht angefangen hat, der in der vorderen Rumpf hälfte bereits abgelaufen
ist, so wird die empfohlene Untersuchung zum Theil an älteren als den bisher
betrachteten Embryonen anzustellen sein.
Es wurde schon in der Entwickelungsgeschichte der Axenplatte ausgeführt,
dass der Schwanz der Batrachierembryonen als eine vollständige Fortsetzung
des Rumpfes anzusehen sei , indem nicht nur die Anlagen des Rückens in ihn
übergehen, wie die gewöhnliche Ansicht" lautet, sondern auch eine sehr ver-
schmächtigte Verlängerung der Darmanlage (Schwanzdarm), welche am Ende
der Wirbelsaite unmittelbar mit der Rückenmarksröhre zusammenhängt {Taf. II
Fig. 38). In der Medianebene des Schwanzes liegt also oben und unten je ein
röhriges Gebilde (Rückenmark — Schwanzdarm), und zwischen ihnen, sie
auseinanderhaltend aber mit beiden innig verbunden, ein solider Strang, die
Wirbelsaite. Anfangs, wenn die Schwanzanlage wie ein kurzer Kegel aus dem
breiten Rücken hervorragt, überwiegt bei den genannten drei medianen Anlagen
die Breitendimension; und dasselbe ist alsdann auch bei der unförmlichen Masse
des mittleren Keimblattes der Fall, welche die ersteren jederseits einfasst
und die Anlagen der Segment- und Seitenplatten des Schwanzes noch unge-
sondert enthält {Taf. V Fig. 95—97, Taf. VI Fig. 117. 118). Während der
eigentümlichen Vertheilung der Embryonalzellen, welche man schlechtweg als
Längenwachsthum bezeichnet, nimmt die Mächtigkeit aller jener Theile gerade
in der Breite ab , sodass sie wie der ganze Schwanz , welcher sich zu der be-
kannten Gestalt des Ruderorgans umzuwandeln begonnen, insgesammt von
den Seiten her abgeplattet erscheinen {Taf. VII Fig. 139—141, Taf XIII
Fig. 242—245): Jetzt beginnt die Sonderung in den seitlichen Massen des
mittleren Keimblattes. Man unterscheidet deutlich zwei Schichten, eine innere
und eine äussere, welche in Folge der Zellenvertheilung nach hinten zu ähnlich
wie die zwei ursprünglichen Blätter im mittleren und vorderen Rumpftheile
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. 211
nicht viel mehr als eine einfache Zellenlage in der Dicke enthalten. Zugleich
dringt die Abgliedemng der Segmente bis in den Schwanz vor, und man erkennt
schon an ihrem Relief nach Entfernung der Oberhaut, dass sie den bei weitem
grossesten Theil der seitlichen Massen des mittleren Keimblattes einnehmen
und ohngefähr bis zur Bauchfläche des Schwanzdarmes hinabreichen. Ihr
senkrechter Querdurchschnitt ist von oben nach unten länglich , in der Mitte
breiter und nach innen dem Relief der medianen Bildungen angepasst, nach
oben und unten verjüngt. Die Zunahme der Breite in der mittleren Höhe
hängt von der inneren Segmentschicht ab, deren Zellen bei ihrer Vermehrung
durch Theilung aus ihrem früheren festen Gefüge lateralwärts heraustretend
eine lockere Ansammlung bilden, während die Zellen der äusseren Schicht ihre
Vervielfältigung etwas früher beginnen, aber damit nicht die Mächtigkeit son-
dern die Flächenausdehnung ihrer einfach bleibenden Lage namentlich nach
oben fördern.* So kommt es, dass die beiderseitigen äusseren Segmentschichten
zwischen Oberhaut und Rückenmark hinaufwachsen und über dem letzteren
und unter der dachförmigen Anlage der dorsalen Schwanzflosse sich zu einem
lockeren Gewebe vereinigen, dem sich später wohl auch Ausläufer der inneren
Segmentschicht zugesellen. Dies ist die Membrana reuniens superior aut. , die
aber durchaus nicht eine vorläufige und vergängliche Bildung, sondern die
bleibende Grundlage der an dieser Stelle sich entwickelnden Gewebe ist. Unter
dem Schwanzdarme sind die Segmente durch ein Zellengewebe verbunden,
welches, obgleich offenbar ein Analogon der Seitenplatte, eine Anordnung der
Elemente in Schichten vermissen lässt. An der Schwanzwurzel jedoch, wo der
röhrenförmige Schwanzdarm im Uebergange zur Darmanlage und Dotter-
zellenmasse des Rumpfes ansehnlich höher wird, findet man schon, dass die
beiden Segmentschichten, indem sie nicht mehr bis an die Bauchfläche der
Darmanlage reichen, abwärts sich in zwei einfache Zellenlagen fortsetzen, wel-
che die beiden Blätter der Seitenplatten darstellen und erst an der Bauchfläche
diese Anordnung verlieren. In der hintersten Rumpfpartie endlich, wo bereits
die der Darmanlage angefügte Dotterzellenmasse den Bereich der Seitenplatten
nach unten ausdehnt, ist die beschriebene Umbildung des mittleren Keimblattes
noch deutlicher zu übersehen; gerade diese Durchschnittsbilder schliessen sich
* In Fig. 139—141 ist die Reihenfolge dieser Veränderungen an Durchschnitten des-
selben Embryo, die in gewissen Abständen hinter einander lagen , erläutert; was aber dort
nur räumlich nach einander erscheint, entwickelt sich in derselben Reihenfolge auch zeitlich
an jeder einzelnen Stelle des Schwanzes.
14*
212 IV. Die Sonderimg der einzelnen Organanlagen.
aber unmittelbar au diejenigen der übrigen Rumpfsegmente an und können
daher zur Erklärung der Befunde an den letzteren dienen, deren Entwickelungs-
gang bei ihrem beständigen Formenwechsel sich der sicheren Erkenntniss ent-
zieht. Denn bei der ersten Bildung der Segmentplatten werden die Grenzen
der zwei ursprünglichen Schichten meist undeutlich, oder die ganze Oberfläche
der Platte erscheint gegenüber der locker gefügten Mitte hautartig, so dass das
Bild eines von einer Hülse eingeschlossenen Kernes entsteht, und man annehmen
könnte, dass die beiden Hülsenblätter, wie ich sie früher nannte (Nr. G4), die
gleichwertigen Fortsetzungen der zwei Schichten der Seitenplatten seien, wel-
che alsdann gemeinsam durch Absetzen überschüssiger Zellen den Kern zwi-
schen sich gebildet hätten (Taf. IV Fig. 67—69). Dieses ist nun aber nicht
richtig; denn wenn auch an der Innenfläche der im Durchschnitte bereits drei-
eckigen Segmente bisweilen die Andeutung einer hautartigen Schicht erscheint,
so lässt sie sich alsdann doch nur stellenweise von der lockeren Hauptmasse
des Segments unterscheiden , mit welcher sie gemeinsam in die innere Schicht
der Seitenplatte übergeht, während die äussere Rindenschicht jederzeit ebenso
deutlich als einzige Fortsetzung der äusseren Schicht der Seitenplatte, wie durch
eine mehr oder weniger klaffende Spalte von der übrigen Segmentmasse ge-
trennt erscheint (Taf. V Fig. 83. 84. 86. 87. 92-94). Hält man dies mit dem
Befunde am Schwänze zusammen , so wird man auch für den ganzen Rumpf
annehmen müssen, dass die schon sehr frühe entwickelte Rindenschicht am
lateralen Abhänge der Segmente der ganzen äusseren Segmentschicht,
die ganze übrige Segmentmasse aber der inneren Segmentschicht ent-
spricht, in welcher sich erst allmählich und nachträglich die lockere Hauptmasse
(Segmentkern) von einer medialen hautartigen Schicht (inneres Segment-
blatt) absondert, während beide vor ihrem Uebergange in die Seitenplatte
zu einer einzigen Masse vereinigt sind (Taf. VII Fig. 139). Man wird über-
haupt die richtigste Anschauung vom wahren Sachverhalt gewinnen, wenn man
sich das Bild der beiden Keimschichten vergegenwärtigt, von denen die äussere
in ein einziges Blatt sich verwandelt, während die sekundäre innere in einem
Theile ihrer Ausdehnung sich in zwei Blätter spaltet. Mit Rücksicht auf die
klaren Verhältnisse am Schwanzende kann man denn auch für den ganzen Rumpf
annehmen, dass die Membrana reuniens superior wesentlich aus einer Verlänge-
rung der äusseren Segmentschichten entstellt, obgleich dies wenig belangreich
erscheint. Während aber diese obere Verbindung der Segmente sich bildet,
wird die Trennung derselben von den Seitenplatten eingeleitet (Taf. VI Fig. 114.
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. 213
115, Taf. VII Fig. 136— 138). Das erste. Anzeichen davon ist eine Kerbe,
welche von dem äusseren unteren Rande der Segmente , also etwas unterhalb
der Höhe der Wirbelsaite den vorher bestandenen Uebergang der äusseren
Segmentschicht in das äussere Blatt der Seitenplatten unterbricht. Von jener
Kerbe aus dringt die spaltförmige Trennung nach innen vor, .aber nicht etwa
auf dem kürzesten Wege durch das mittlere Keimblatt, d. h. nach innen und
unten, sondern in ziemlich horizontaler, eher medianwärts etwas ansteigender
Richtung, wobei eine Fortsetzung der ganzen Seitenplatte gleich in Folge der
Trennung von den Segmenten unter die letzteren zu liegen kommt. Ohngefähr
unter der Mitte der dadurch gebildeten unteren Fläche der Segmente verwach-
sen die beiden Blätter der Seitenplatte zu einer durch die ganze Länge des
Rumpfes verlaufenden Falte (Gekrösefalte), welche sich alsdann vollends von
den Segmenten trennt. Diese Abtrennung der Seitenplatten von den Segmenten
reicht etwa bis zu der Stelle, wo die Lichtung des Darmkanals sich erweitert,
um sich in die direkte Fortsetzung, den Schwanzdarm, und die abwärts ge-
richtete Abzweigung des künftigen Mastdarms zu spalten. Von dieser Stelle
an rückwärts verwischt sich sowohl die Zweischichtigkeit der Seitenplatte, als
auch andererseits die Segmente auf Kosten derselben immer tiefer hinabreichen
(Taf. XIII Fig. 241-245).
Uebersieht man nun die ganze geschilderte Ausbildung der Segmente und
der Seitenplatten, so ergibt sich eine einheitliche Erklärung derselben, wie mir
scheint, ganz ungezwungen, wenn man sich des allgemeinen Vorganges im Anfange
dieser Bildungen erinnert. Ist es bei der scharfen Absonderung des mittleren
Keimblattes wenigstens in der hier zunächst in Betracht kommenden oberen
Körperhälfte und bei dem Mangel jeder anderen Ursache für das Wachsthum
der Segmente eigentlich unumgänglich, das letztere aus dem schon geschilderten
Vorrücken der ventralen Theile des Keimblattes in die dorsalen Segmentplatten
zu erklären, so wird diese Anschauung durch die spätere Entwickelung durch-
aus bestätigt. Denn wenn unter einer solchen Voraussetzung die Massen der
fertigen Segmente und Seitenplatten überall so von einander abhängig sein
müssen, dass, wo der eine Theil überwiegt, dies nicht etwa nur bei relativem
Zurückstehen, sondern auf Kosten des ursprünglichen Bestandes des anderen
geschieht, so entspricht dies vollkommen den thatsächlichen Verhältnissen, da
im Kopfe und im Schwänze, wo die Seitenplatten stetig abnehmen und endlich
theilweise ganz verschwinden, die Segmente zu den entsprechend grössten
Massen anwachsen und nicht nur aufwärts, sondern auch frühzeitig mit massi-
214 IV. Die Souderung der einzelnen Organanlägen.
gen Fortsetzungen sich abwärts ausdehnen; wogegen die vorherrschende Ent-
wicklung der Seitenplatten im eigentlichen Rumpfe (Gekröse, Urniere u. s. w.)
die Ausbildung der Segmente auf ein gewisses Mass beschränkt. Dass diese
letztere Entwickelung aber nur nach einer Trennung der beiderlei Anlagen
möglich ist, bedarf keiner Erklärung, da ihr kontinuirlicher Zusammenhang
eben die noch fortdauernde Verwendung der Seitenplatten zur Vergrösserung
der Segmente anzeigt. Nun ergeben sich aber auch die Ursachen jener Tren-
nung nebst deren Folgen aus dem zu Grunde gelegten allgemeinen Vorgange.
Der Vorrath der Seitenplatten an sich theilenden Zellen gewährleistet
ein bestimmtes Mass ihrer Ausdehnug nach oben. Solange nun der für die
Segmente bestimmte Raum in Folge der Aufkrümmung der Medullarplatten in
demselben Verhältnisse wie jene Ausdehnung wächst, werden die vorrückenden
Elemente der Seitenplatten in die Segmente aufgenommen, bleibt also der kon-
tinuirliche Zusammenhang beider Theile bestehen; sowie aber nach dem Schlüsse
der Rückenmarksröhre jener Raum nicht mehr in dem früherenGrade zunimmt,
kann der Rand der Seitenplatte nicht mehr in dem Masse, als er i'ortwächst , in
die Segmentmassen eingehen, muss also gleichsam dem Widerstände derselben
weichend in einer anderen Richtung, eben zwischen dem Darmblatte und den
Segmenten vordringen, wodurch die Trennung von den letzteren herbeigeführt
wird. Bestätigt wird diese Auffassung einmal durch den Umstand, dass jene
andauernde Ausdehnung der Seitenplatten weiterhin ganz augenscheinlich ist,
indem die beiden Gekrösefalten über dem Darmblatte zusammenstossen und
beide Schichten der Seitenplatten durch Faltung Neubildungen ausführen, be-
vor ihr Zellenvorrath etwa durch Nahrungszufuhr vermehrt wird; ferner da-
durch, dass, wo eine solche Ausdehnung der Seitenplatten nicht nachweisbar
ist, wie im Kopfe und im Schwänze, auch eine Abgliederung derselben von den
Segmenten unterbleibt.
Durch die Ablösung der Seitenplatten von den Segmenten erhalten die
letzteren eine freie äussere Kante, in welcher die unteren Ränder beider Segment-
schichten zusanmienstossen und während einiger Zeit ebenso wie die Blätter der
Seitenplatte faltenförmig zusammenhängen (Taf. VII Fig. 137. 138, Taf. XU I
Fig. Ml). Diese Falte wächst später zwischen der Seitenplatte und der Ober-
haut abwärts, sodass ihre Erzeugnisse endlich von beiden Seiten in der Mittel-
linie des Bauches zusammentreffen. Als unmittelbare Fortsetzung der Seg-
mente zeigt sie gleich anfangs alle Abtheilungen derselben, welche sich theil-
weise dauernd erhalten, sodass also die ursprünglich nur im Rücken angelegte
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. 215
Gliederung so weit auch auf die Baucligegend ausgedehnt wird, als die selbst-
ständige Seitenplatte oder die Gekrösefalte reicht. Diese Grenze, welche
annähernd mit der Stelle zusammenfällt, wo die Darmlichtung sich gleichsam
spaltet , wird ohngefähr durch das zehnte Segment bestimmt. Die nähere Aus-
führung dieser Verhältnisse gehört aber in einen späteren Abschnitt. — Schliess-
lich will ich noch bemerken, dass durch die Sonderung der Segmente in die
äussere Segmentschicht, den Kern und das innere Segmentblatt ihr Bestand im
ganzen zunächst noch nicht gestört wird. Allerdings hängen sowohl die ganzen
Segmente mit ihren vorderen und hinteren Flächen, als auch ihre Kerne,
Schichten und Blätter mit den entsprechenden Nachbarn innigst [zusammen
(Taf. VII Fig. 121 — 123) ; trotzdem tritt aber eine vollkommene Verschmel-
zung ohne Spuren der früheren Trennung erst viel später und nur theilweise
ein, während der Einfluss der früheren Gliederung sich auch noch auf spätere
Neubildungen der genannten Anlagen, ja selbst ausserhalb derselben erstreckt.
Die Aufgaben aller der voranstehend beschriebenen Anlagen des mittleren
Keimblattes im Rumpfe sind folgende :
1. Die Wirbelsaite ist die Grundlage des ganzen Stammskelets-,
2. Die innere Segmentschicht enthält im oberen Abschnitte die Anla-
gen der eigentlichen Rückenmuskeln (Segmentkerne), der bindegewebigen Theile,
als Gefässe, Rückenmarkshüllen u. s. w. und der Nerven des Stammes (innere
Segmentblätter); im unteren Abschnitte alle inneren, ursprünglich der Körper-
axe parallel laufenden und segmentirten ventralen Muskeln mit den zugehörigen
Nerven und dem tiefer liegenden Bindegewebe der Bauch wand;
3. Die äussere Segment schient erzeugt die Gliedmassen (Muskeln,
Knochen, Nerven, Bindegewebe), die übrigen (äussern) Rumpfmuskeln, die
Lederhaut und das subkutane Bindegewebe;
4. Die beiden Blätter der Seitenplatten trennen sich später von einander
und erzeugen so die serösen Rumpfhöhlen zwischen sich. Das äussere oder das
Parietalblatt bildet das Epithel und wahrscheinlich einen Theil vom Binde-
gewebe des parietalen Bauchfells und Herzbeutels, die Epithelien der Harn- und
Geschlechtsorgane, die Keimsubstanzen der letzteren und den Fettkörper;
5. Das innere Visceralblatt entwickelt ausser den Epithelien des visce-
ralen Bauchfells alle bindegewebigen und muskulösen Theile des Darms und
der von ihm ausgehenden Organe, den Gefässknäuel der Urniere, endlich das
Herz mit Ausnahme des Endokardiums.
216 IV. Die Sonderling der einzelnen Organanlagen.
Der Kopf.
Der Zusammenhang der allgemeinen und besonderen Umbildungen,
welcher im Rumpfe so bequem übersehen wird, bietet in der Kopfregion
einer klaren Auffassung nicht unerhebliche Schwierigkeiten. Dies bezieht
sich insbesondere auf die Seitenwände der hinteren Kopfhälfte, während ge-
rade der Rückentheil der letzteren dem gleichnamigen Theile des Rumpfes im
wesentlichen entspricht. Ich werde daher, um durch die Theilung der Aufgabe
die einzelnen Ausführungen zu erleichtern, jene beiden Theile der hinteren
Kopfhälfte und dann den Vorderkopf getrennt betrachten. Denn jene schon
früher bezeichnete Zweitheilung des Kopfes kann ohne Schwierigkeit beibehalten
werden, auch wenn die äusseren Grenzmarken geschwunden sind. Dieselben
bestehen, wie wir wissen, in der halbkreisförmigen Ausbiegung der gesammten
Körperwand, welche von der Hirnknickung aus jederseits abwärts zieht. Indem
nun die vordere Kopfhälfte sich stark vorwölbt, Avird jene wulstförmige Vor-
ragung allerdings allmählich ausgeglichen; aber von einer Rinne aus, welche
auf der Höhe jenes Wulstes hinabzieht, und von dem entsprechenden inneren
Flächenwinkel des Darmblattes her entwickelt sich eine seitliche, weiter unten
noch näher zu betrachtende Scheidewand zwischen beiden Kopfhälften, welche
dieselben auch in späteren Perioden leicht unterscheiden lässt.
Der Rückentheil der hinteren Kopfhälfte. Hinsichtlich der Wir-
belsaite habe ich nur an bereits Bekanntes zu erinnern. Nachdem ihre rudi-
mentäre Fortsetzung unterhalb der Umbiegungsstelle während der Bildung des
ersten inneren Segmentpaars und der dasselbe trennenden medianen Lücke sich
aufgelöst, und auch die gekrümmte Spitze sich zurückgezogen hat, gehört die
Wirbelsaite eigentlich mit ihrem ganzen vorderen Abschnitte der hinteren Kopf-
hälfte an, wenn man nicht ihre äusserste Spitze mit Rücksicht darauf, dass das
erste innere Segmentpaar daran stösst, mit diesem zusammen zum Vorderkopfe
rechnen will {Taf. IV Fig. 76 , Taf. VI Flg. 99 , Taf. X VI Fig. 287). Ferner
gehören zur hinteren Kopfregion das zweite, dritte und vierte innere und
äussere Segmentpaar. Die äusseren Segmente entwickelten sich anfangs
gleichsam auf Kosten der zurückbleibenden inneren Segmente. In der Folge
bilden sich aber nicht nur jene sondern auch die letzteren weiter aus, wo-
bei wiederum die engen Beziehungen, welche zwischen den Formumbildungen
benachbarter Theile bestehen, deutlich hervortreten, und der Unterschied
in der Elitwickelung der Rumpf- und Kopfsegmente mit demjenigen der
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. 217
Medullarplatten und der Himplatte leicht in Uebereinstimmung gebracht
werden kann. Gewährten die sich früh erhebenden Medullarplatten den ganzen
Ilumpfsegmenten alsbald genügenden Raum zur Entwicklung einer kompakten
Form, so verhinderte dagegen der breite und längere Zeit horizontale Mittel-
theil der Hirnplatte eine ähnlichen Bildung der Kopfsegmente (Taf. IV. V).
Denn wenn auch die Auf krümmung an der Hirnplatte früher beginnt als an den
Medullarplatten, so beschränkt sie sich doch während einiger Zeit nur auf die
äusseren Ränder und gestattet daher unterdess eine Anschwellung der Kopf-
segmente nur im lateralen Theile (äussere Segmente), nicht aber im medialen
(innere Segmente). In dem Masse aber, als der Kopfwulst sich medianwärts
umrollt und der ganze betreffende Rückentheil an der allgemeinen seitlichen
Abplattung des Körpers Antheil nimmt, werden dadurch die äusseren Segmente
abwärts gedrängt, sodass nur eine einfache Zellenlage zwischen Hirn- und
Oberhaut zurückbleibt, die Hauptmasse aber in je einen dicken Strang ausge-
zogen wird, welcher auf der Seitenplatte mehr oder weniger tief hinabreicht
(Taf. VFig. 91, Taf. VI Fig. 111 — 113). Noch unmittelbarer werden die in-
neren Kopfsegmente von der Hirnentwickelung beeinflusst. Solange dieselbe
im Mitteltheile ruhte, wurden auch jene niedergehalten; sobald aber die Röhren-
bildung der Hirnplatte weiter vorgeschritten ist und nun auch ihr verschmälerter
Mitteltheii aufgekrümmt wird, ergeben sich die gleichen Umgebungen der Seg-
mente im Kopfe wie im Rumpfe, worauf auch die inneren Kopfsegmente sich ähn-
lich wie die Rumpfsegmente. entwickeln, nur in dem Masse schwächer, als die
Zellenzufuhr vorher in die äusseren Segmente abgelenkt worden war (Taf.
IV — VI). Sie werden schmäler und höher und erhalten ebenfalls einen an-
nähernd dreieckigen Querdurchschnitt. Eine weitere Uebereinstimmung zwischen
den inneren Kopf- und den Rumpfsegmenten wird aber erst durch die spätere
histiologische Sonderung evident. Die ersteren verwandeln sich nämlich im
Innern in Muskelbündel , welche als eine unmittelbare Fortsetzung der Rücken-
muskeln nach vorn zu nur im Durchmesser abnehmen, sodass sie in einen dünnen
runden Strang auslaufen; rund um die Muskeln erzeugen die innern Kopfseg-
mente ebenfalls Bindegewebe und zur Seite des Hirns Ganglien und Nerven-
wurzeln (Taf. VII Fig. 122. 133 — 136). Es ergibt sich hieraus, dass die ge-
nannten Segmente durchaus denjenigen Theilen der Rumpfsegmente entsprechen,
welche aus der inneren Segmentschicht hervorgingen , dem Segmentkerne nebst
dem inneren Segmentblatte. Und wenn man dadurch allein schon auf die An-
nahme hingewiesen wird, dass alsdann die lateralen, äusseren Kopfsegmente.
218 IV. Die Sonderung der einzelnen Organanlagen.
indem sie aus der äusseren Segmentschicht hervorgingen, Homologa der gleichen
Schicht des Rumpfes darstellen, so findet man leicht noch weitere Zeugnisse
dafür. Erstens wachsen die lateralen Segmente ganz entsprechend der äusseren
Segmentschicht des Rumpfes zu Zellenlagen aus, welche nach innen von der
Epidermis vollständig oder zum grössten Theile den Umfang des Körpers um-
schreiben {Taf. V Fig. 91. 92, Taf VI Fig. 111 — 113); ferner erzeugen sie
ebenfalls die Lederhaut, das subkutane Bindegewebe und einen seitlichen Bewe-
gungsapparat, dessen Muskeln ebenso wenig wie diejenigen der Gliedmassen
und der äussere schräge Bauchmuskel der Körperaxe parallel laufen, wodurch
sich die aus der innern Segmentschicht hervorgehenden Muskeln auszeichnen.
Endlich lässt sich ein unmittelbarer Uebergang der lateralen Segmente in die
äussere Segmentschicht des Rumpfes nachweisen, indem sich die letztere an das
hinterste äussere Kopfsegment innig anschliesst und später an dieser Ucber-
gangsstelle sich gleichfalls strangförmig auszieht, um einem zwischen Kopf und
Schulter absteigenden äusseren Muskel (m. sterno-cleido-mastoideus) Entstehung
zu geben (Taf. VII Fig. 123).
Die Seitentheile der hinteren Kopfhälfte. Wenn die Bedeutung
der lateralen Kopfsegmente nach der voranstehenden Betrachtung unzweifelhaft
erscheinen dürfte, so ist doch ihre topographische Umbildung weniger einfach
als diejenige der ihnen homologen äusseren Segmentschicht des Rumpfes, und
verlangt eine ausführliche Beschreibung. Bevor ich aber dieselbe im Zusammen-
hange mit der Entwickelungsgeschichte der ganzen Seitenwände des Hinter-
kopfes aufnehme, halte ich es für geboten, wie schon früher einmal bei ähn-
licher Gelegenheit, einige Bemerkungen über die allgemeinen Verhältnisse des
ganzen vorderen Körperabschnittes vorauszuschicken.
Meine Beschreibung ist in dieser Hinsicht mit dem unter- und innerhalb
des Darmblattes gelegenen Räume oder der Darmhöhle bisher am meisten im
Rückstande geblieben, daher eine kurze Uebersicht ihrer Umbildungen hier
zuerst Platz finden soll. Im Beginne der Rückenbildung , wann der Embryo
noch kugelförmig erscheint, erstreckt sich die Darmhöhle in ziemlich gleicher
Breite und Höhe zwischen dem Keime und der Dotterzellenmasse bis über die
vordere Grenze des durch die Hirnanlage bezeichneten Kopftheils hinaus; aber
erst während der Embryo sich streckt, wird durch das Hervorwachsen des
Kopfes eine vordere Grenze zwischen Rücken und Bauch abgesteckt (Taf. II
Fig. 33 — 38). Das ursprünglich eine gleichmässig gewölbte Decke der Darm-
höhle darstellende Darmblatt wird dabei nur bis zum vorderen Hirnende dem
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. 219
Rücken zugetheilt, sein darüber hinausgehender Abschnitt aber gleichsam nach
unten und hinten in den Bauch theil umgeschlagen, sodass er den Boden des vor-
dersten Darmraumes bildet und die an das Darmblatt sich anschliessende Dotter-
zellenmasse auf die grössere hintere Körperhälfte beschränkt bleibt. Da nun bei
jener Streckung des Embryo sein Ruckes einsinkt, also sich der darunter liegen-
den Dotterzellenmasse nähert, andererseits entsprechend der fortschreitenden
Verlängerung sich von den Seiten her bedeutend zusammenzieht, so ist die ausser-
ordentliche Abnahme der Darmlichtung im Rumpfe verständlich {Taf. III— IV).
In der vorderen Körperhälfte dagegen wurde das Darmblatt, wie eben erwähnt,
gleich anfangs nicht nur zur Decke, sondern, in Folge einer Art von Ausstülpung
in den aus der ursprünglichen Kugelfläche hervorwachsenden Kopf, zur voll-
ständigen, sackartigen, nur nach hinten offenen Auskleidung des betreffenden
Darmraumes oder Vor der darin es. Es erhellt daraus, dass der letztere einer
Verengerung durch die Dotterzellenmasse, wie sie im Rumpfe stattfindet, voll-
ständig entzogen und seine Gestalt nur von den Umbildungen der ihn um-
schliessenden Körperwand abhängig bleibt. Bestimmend sind dabei natürlich
die stärksten, widerstandsfähigsten Theile der letzteren, also der ganze vordere
Rückentheil und der Vorderkopf, während die von diesen zur Dotterzellenmasse
ausgespannte Körperwand sich der wechselnden Lage dieser entgegengesetzten
Ansatzstellen zu einander anpasst. Nun verschmälern sich aber die genannten
Theile , namentlich der Vorderkopf, viel weniger als der mittlere und hintere
Rumpftheil; und wenn der in der Längsrichtung des ganzen Körpers ursprüng-
lich sehr kurze, aber hohe und breite Vorder dann bei seiner mit einer Aus-
stülpung verglichenen Umbildung sich nur auf Kosten der übrigen Dimensionen
verlängern kann, so geht doch sein Querschnitt im vorderen Theile nicht unter
das Mass des Vorderkopfes hinab, welcher seinen vorderen Abschluss bildet,
übertrifft daher stets denjenigen des über der Dotterzellenmasse gelegenen
Mitteldarms. Nur in seinem hinteren oberen Theile verengt sich der Vorder-
darm ganz auffallend, weil er dort bei seinem Uebergange in den engen Mittel-
darm bereits die Grenze des Kopfes überschreitet und in den Bereich des
Rumpfes gelangt {Taf. VI Fig. 110—114, Taf. VII Fig. IM). Denn dieser
aus einem flachen Gewölbe in einen nahezu cylindrischen Blindsack sich aus-
ziehende vordere Darmraum umfasst zwei, erst später deutlich geschiedene Ab-
schnitte, von denen der vordere dem Kopfe, der hintere dem Rumpfe angehört.
Die Grenze zwischen beiden verläuft, wie es schon früher ausgeführt wurde,
bogenförmig abwärts und vorwärts, sodass die dem Kopfe angehörige Zone der
220 IV. Die Sonderung der einzelnen Organanlagen.
Seitenwand nach unten schmäler, die andere in derselben Richtung breiter wird.
Diese Grenzlinie blieb aber anfangs bloss eine ideale und wurde nur mit Rück-
sicht auf die folgende Entwickelung angenommen. Erst in der vorliegenden
Periode zeigen sich die ersten Vorbereitungen zu einer solchen Scheidung
(Taf. II Fig. 35—38, Taf. VI Fig. 110—112, Taf. VII Fig. 119. 120.
130 — 1357 Taf. XIV Fig. 249). Während jene, die Bildung des ersten inneren
Segmentpaares einleitende mediane Lücke des mittleren Keimblattes entsteht,
treten innerhalb derselben das obere Keimblatt und das Darmblatt in eine
Berührung, welche alsbald in eine ziemlich feste Verbindung übergeht. Diese
reicht vom Vorderhirne bis dicht hinter die Anlagen der Haftorgane, also bis
in den Boden des noch ungesonderten Vorderdarmes hinein, wo sie eine leichte
mittlere Einsenkung des dicken Darmblattes hervorruft. Zu beiden Seiten
dieser Furche erhebt sich das Darmblatt zu einer queren, gegen die Höhle vor-
ragenden Falte; diese beiden Falten fliessen aber in der Mitte sehr bald unter
Zurücklassung nur des vordersten Theils jener Einsenkung zu einer einzigen
zusammen, welche ich die Grenzfalte nennen will. So lange der ganze Boden
des Vorderdarmes zum Vorderhirne steil aufsteigt, bleibt die Grenzfalte unbe-
deutend, und markirt sich nur dadurch, class sie den tiefsten Theil des Vorder-
darmes unmittelbar vor der Dotterzellenmasse zu einer Tasche verengt. Indem
nun der vordere Theil desselben auf Kosten seiner Höhe und Breite sich ver-
längert, bleibt der Rand der Grenzfalte in seiner Lage am Eingange in jenen
hinteren Blindsack des Vorderdarmes, wird aber ihr vorderer Abhang zum sanft-
geneigten Boden des erweiterten Darmabschnittes ausgezogen und dabei von
der sich tiefer senkenden Oberhaut noch weiter abgehoben, sodass die ganze
Grenzfalte ansehnlich erweitert erscheint und der von ihren beiden Abhängen
und der abgehobenen Oberhaut umschlossene Raum bereits als der künftige
Herzraum aufgefasst werden kann , in welchem sich der Perikardialsack mit
dem Herzen entwickelt. Die Grenzen dieses Herzraumes sind nun auch für
den Kopf mitbestimmend; seine hintere Grenze fällt mit derjenigen des vierten
lateralen Kopfsegmentes zusammen, und seine obere Grenze wird andererseits
von den abwärts wachsenden Kopfsegmenten nicht überschritten {Taf. XVI
Fig. 291. 290). Dagegen erstreckt er sich vorwärts nicht ganz bis zum Vor-
derkopfe, sodass zwischen beiden ein schmaler Streifen der ursprünglichen
ventralen Körperwand zurückbleibt (Taf. XVI Fig. 292. 293. 29s). Da nun
der Herzraum durch eine später eintretende Verschiebung ganz in den Rumpf
hineingezogen wird, also die Kopfregion verlässt, so kann man den Begriff des
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. 221
Kopftheils ausschliesslich auf alle vor und über dem Herzräume gelegenen
Theile beschränken. Seine Grenzlinie zieht also hinter dem vierten lateralen
Segmente bis zur Höhe des Herzraumes hinab, dann längs dessen nach vorn
geneigter Decke oder dem abfallenden Boden des Vorderdarmes schräg vor-
imd abwärts zur Bauchseite, wo sie eine kurze Strecke hinter der unteren Grenze
des Vorderkopfes mit der anderseitigen Grenzlinie zusammentrifft. So entsteht
jene schräge, beinahe kreisförmige Scheidegrenze zwischen Kopf und Rumpf,
in Folge dessen die hintere Kopfhälfte einem von oben abwärts sich ansehnlich
verschmälernden Gürtelabschnitte der gesammten Körperwand vergleichbar
wird {Taf. XVI Fig. 295. 296). In der in Rede stehenden Entwickelungsperiode
setzt sich übrigens der Kopf auch schon äusserlich gegen den Rumpf deutlich ab;
durch die hinabwachsenden dicken Stränge der lateralen Segmente behält seine
Seitenwand eine gewisse seitliche Ausladung, wogegen die anstossenden Seiten-
wände des hinteren Abschnittes des Vorderdarms, also hinter der Grenzfalte und
im Bereiche der schon bezeichneten engen Tasche, in Folge der allgemeinen seit-
lichen Abplattung stark einfallen. Und da diese Einziehung tiefer hinabreicht
als in dem sich dahinter anschliessenden Rumpftheile, dessen ganze untere Hälfte
durch die Dotterzellenmasse etwas aufgetrieben wird, so entsteht hinter dem Kopfe
eine an einen Hals erinnernde Einschnürung {Taf. III Fig. 52 — 54, Taf. XIV
Fig. 247-249). Mit dieser Abgrenzung des Kopfes ist aber auch gleichzeitig
die Scheidung eines Kopfdarmes von dem übrigen Vorderdarme-oder dem
Vordarme eingetreten. Der Kopfdarm reicht bis zum Rande der Grenzfalte
oder dem Eingänge in den Blindsack des Vorderdarmes ; und bei den bestimmten
Grenzen der beiden Kopfabschnitte kann an ihm schon in der vorliegenden Pe-
riode die Schlund höhle oder der Innenraum der hinteren Kopf hälfte von der
in die vordere Kopthälfte sich ausstülpenden, noch sehr unansehnlichen Mund-
höhle unterschieden werden. Also die Schlundwand ist es, welche als der
Seitentheil zu dem schon betrachteten Rückentheüe der hinteren Kopfhälfte
uns hier zunächst beschäftigen soll.
Eines der wichtigsten Merkmale, durch welche sich die Schlundwand von
den entsprechenden Theilen des Rumpfes unterscheidet, ist in der Entwickelung
ihrer Seitenplatte gegeben. Allerdings wird eine Sonderung derselben in zwei
Blätter auch in der Kopfregion eingeleitet, aber nur unterhalb des schrägen
Bodens der Schlundhöhle, also im Bereiche des Herzraumes vollständig ausge-
führt, wo sie, wie ich zeigen werde, die Entwickelung des Perikardiums und des
Herzens veranlasst {Taf. V. Fig. 91, Taf. VI Fig. 111, Taf. V 11 Fig. 133).
222 IV. Die Sonderung der einzelnen Organanlagen.
In der Schlundwand selbst bildet sich jene Sonderung wieder zurück, so-
dass die Seitenplatte dort weder eine Fortsetzung der serösen Rumpfhöhle,
noch eine Gekrösefalte entwickeln kann, welche beide erst an der hinteren
Grenze des Kopfes beginnen (Taf. XIII Fig. 226. 233—237). Vielmehr
besteht ihr ursprünglicher, unmerklicher Uebergang in die inneren Segmente
unverändert fort, wesshalb auch die letzteren keine selbstständige, über der
Seitenplatte hinabwachsende Fortsetzung, wie eine solche am Rumpfe in der
ventralen inneren Segmentschicht besteht, erhalten können; wiederum ein
charakteristisches Merkmal des Kopfes, dessen Muskulatur nebst den zu-
gehörigen Nerven wenigstens an den Seiten ausschliesslich aus den lateralen,
der äusseren Segmentschicht des Rumpfes homologen Segmenten hervorgeht,
während seine unentwickelte Seitenplatte nur Bindegewebe und Knorpel erzeugt.
Die Rückbildung dieser Platte hängt nun innig mit einem umfassenden Ent-
wickelungsvorgange zusammen, welcher die Seiten des Kopfes eigenthümlich
ausarbeitet, — mit der Bildung der Schlund falten. Ich sprach bereits da-
von, wie an Stelle der vergänglichen Ausbiegung der Körperwand, welche die
Grenze der vorderen mid hinteren Kopf hälfte abgab, von aussen und von innen
eine Scheidewand hervorwächst, welche jene Scheidung auch weiterhin aufrecht
erhält. Die rinnenförmige Einsenkung des oberen Keimblattes , welche längs
der Höhenlinie jenes Grenzwulstes verläuft, bleibt, während der letztere bei der
allmählichen Vorwölbung der vorderen Kopf hälfte verstreicht, bestehen und
wird nun zur äusseren Grenzmarke beider Kopfabschnitte (Taf. IV. Fig. 77.
18, Taf. VI. Fig. 98 — 102). Nach innen verdickt sich die Grundschicht
im Verlaufe der Rinne und schärft sich zu einer gegen die Seitenplatte
mehr oder weniger vorspringenden Leiste zu. Diese Einsenkung des oberen
Keimblattes reicht anfangs zwischen dem ersten und zweiten Segmente ziem-
lich hoch hinauf; aber zur Seite des Hirnes wird sie durch einen sich von
vorn her darunter schiebenden Zipfel des ersten Kopfsegmentes (Gasser1 scher
Nervenknoten) wieder ausgeglichen, und erst von der Decke der Schlund-
höhle an bis zu deren Boden hinab ist sie beständig (Taf. VI Fig. 105 — 107,
Taf. VII Fig. 121. 122, Taf. XIV Fig. 246—249, Taf. XVI Fig. 286
— 291). Jener Leiste der Grundschicht der Oberhautanlage wächst nun
in derselben Richtung eine Falte des Darmblattes entgegen; es ist dies nur
eine weitere Ausführung jener Ausbiegung, wTelche das Darmblatt als inner-
ster Theil der Körperwand bei der Abstumpfung des Kopfendes erlitt und
welche sich ziemlich bald in eine wirkliche Falte, eben die erste Schlundfalte,
■2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. 223
auszieht. Diese dringt allmählich durch die Seitenplatte bis an die Leiste der
Oberhaut vor, verwächst mit ihr zuerst im oberen Abschnitte, dann weiter ab-
wärts bis zum Boden der Schlundhöhle und bildet so an der seitlichen Grenze
beider Kopfabschnitte eine Scheidewand zwischen den beiderseitigen Erzeug-
nissen des mittleren Keimblattes. Ebenso wie die erste Schlundfalte entstehen
jederseits hinter ihr vier weitere Schlundfalten. Sie fallen alle in den Bereich
der eigentlichen Schlundwand , soweit dieselbe schon ursprünglich durch die
drei Segmentpaare der hinteren Kopfhälfte und die unentwickelte Seitenplatte
bestimmt abgegrenzt wird und an diesen Merkmalen auch später kenntlich bleibt.
Ferner erscheinen die fünf Schlundfalten alle nach und hinter einander, ver-
laufen in senkrechten Querebenen, also parallel zu einander und in ziemlich
gleichen Abständen und nehmen rückwärts an Höhe ab , da die Schlundwand
selbst übereinstimmend mit ihrer schrägen unteren Grenze in derselben Rich-
tung niedriger wird (Taf. XVI Flg. 295, Taf, XXI Fig. 377). Vergleicht
man nun Frontaldurchschnitte der Schlundhöhle aus jüngeren und älteren
Embryonen, so überzeugt man sich leicht, dass gleich nach der Entwickelung
der dritten Schlundfalte dieselbe der hinteren Kopfgrenze so nahe liegt , dass,
wenn keine Lageveränderung der Theile einträte, die vierte oder wenigstens
die fünfte Schlundfalte hinter das vierte laterale Segment fallen müsste; und
ferner dass deren thatsächliche Entwickelung nur dadurch noch in die eigent-
liche Schlundwand verlegt wird, dass dieselbe gerade in ihrem hinteren Ab-
schnitte sich ausdehnt und das dicke Darmblatt dabei in den wachsenden Kopf-
darm vorgeschoben wird (Taf. VII Fig. 124, Taf. XIV Fig. 217. 248. 254).
Wie verhalten sich nun die lateralen Segmente zu den Schlundfalten? —
Wann die Schlundwand eben kenntlich wird, ziehen die lateralen Segmente,
wie es bereits ausgeführt wurde, in Form von mehr oder weniger dicken Strängen
vom Rücken zur Seite hinab, wobei sie namentlich durch eine leichte Pigmen-
tirung deutlich unterscheidbar bleiben (Taf. VI, VII, XIII, XIV, XVI).
Das zweite Segment wächst am schnellsten dicht hinter der ersten Schlundfalte
hinab; es erreicht sehr bald die Bauchseite und trifft dort mit seinem Gespann
zusammen innerhalb des schmalen Streifens der ursprünglichen Körperwand,
welcher die beiderseitigen Schlundwände verbindet, während gleich dahinter
zwischen ihre auf- und rückwärts divergirenden Ränder der Herzraum sich ein-
schiebt. Dicht hinter dem zweiten lateralen Segmente entsteht die zweite
Schlundfalte, sodass die beiderseitigen, zwischen dem ersten und zweiten
Schlundfaltenpaare gelegenen Streifen der Schlundwand mit dem sie an der
224 IV. Die Sonder ung der einzelnen Organanlagen.
Bauchseite verbindenden Stücke als ein Bogen aufgefasst werden können, welcher
dem durch das zweite innere Segmentpaar bestimmten Kopfabschnitte angefügt
ist. Dies ist der Zungenbein bogen. Er hat im Innern zwischen dem
Darmblatte und der Oberhaut einen etwas verschiedenen Inhalt in den Seiten-
theilen und im Bauchtheile. Jene enthalten wesentlich nur die lateralen Seg-
mente, welche beim Hinabwachsen die ursprünglich dort befindliche Seitenplatte
sei es rückwärts hinter die sich bildende zweite Schlundfalte oder abwärts ver-
drängen und so aus dem lateralen Zungenbeinbogen bis auf geringe Reste ganz
ausschliessen. Im Bauchtheile dieses Bogens drängen sie anfangs die ungeson-
derten Reste der Seitenplatte ebenfalls rückwärts gegen den Perikardialsack,
der sich unter der übrigen Schlundhöhle aus der gespaltenen Seitenplatte ent-
wickelte [Taf. XIV Fig. 250. 252). Doch gelingt es jenen zurückge-
drängten Theilen später wieder vorzurücken und durch ihre Umbildung zum
grossesten Zungenbeinknorpel sogar jenem Bogen den Namen zu leihen.
Ganz anders wie in dem Zugenbeinbogen verhält sich die Schlundwand
zwischen den übrigen Schlundlälten. Einmal gehen die von ihnen begrenzten
Abschnitte oder die Kiemenbögen an der Bauchseite nicht kontinuirlich von
einer Körperseite zur andern über, sondern die unteren Enden jedes Bogen-
paares werden, wie aus der vorangegangenen Darstellung der Schlundwand er-
hellt, durch den Herzraum aus einander gehalten.* Ferner hat gerade die
Seitenplatte einen überwiegenden Antheil an der inneren Füllung der Kiemen-
bögen, da das dritte und vierte Paar der lateralen Segmente mit viel schmäch-
tigeren Zellensträngen als das zweite Paar in die betreffenden Bögen hinein-
wachsen. Beim dritten Paar kommt dabei noch die Entwickelung des inneren
Ohres als hinderndes Moment dazu. Die letztere besteht in einer Blasenbildung
des oberen Keimblattes, welche in der halben Höhe der Stammsegmente und
gerade zwischen dem zweiten und dritten lateralen Segmente nach innen und
hinten vorrückt und dadurch die obere Hälfte des dritten Segments aus ihrer
ursprünglichen Lage über dem ersten Kiemenbögen nach hinten verdrängt. So
geht die Ausdehnung des ganzen Segments in einer S-förmigen Krümmung auf,
von der nur ein kleinerer Theil in den Kiemenbögen hineinreicht. — Das vierte
Segmentpaar endlich zeigt wieder eine andere Anpassung an die Umgebung und
daher eine ganz eigenthümliche Entwickelung. Während die dritte Schlund-
* Die spätere ventrale Verbindung der Kiemenbögen im Boden der Schlund böble wird
nur durch die Erzeugnisse der Seitenplatte (Zungenbein) hergestellt , wobei sich die für alle
unteren Lögen des Kopfes besonders bezeichnenden lateralen Segmente nicht betheiligen.
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. 225
falte den ersten Kiemenbogen abschliesst, wächst das vierte laterale Segment
hinter ihr in den noch übrigen Abschnitt der Schlundwand hinab, welcher, wie
ich oben bemerkte, vor der Bildung der letzten Schlundfalten in seiner Ge-
sammtheit nicht viel breiter ist als die einzelnen vor ihm liegenden fertigen
Bögen und daher von jenem Segmente so ziemlich in seiner ganzen Breite ein-
genommen wird. Sowie darauf die Ausdehnung dieses letzten Abschnittes der
Schlundwand erfolgt, nimmt die in ihm bereits enthaltene untere Hälfte des
vierten lateralen Segmentes daran Theil, sodass sie durch die vierte und fünfte
Schlundfalte in drei dünne Stränge gespalten auf den zweiten, dritten und den
rudimentär bleibenden vierten Kiemenbogen vertheilt wird. Ueber der Schlund-
wand fliessen diese drei getrennten Stränge in der gemeinsamen Wurzel kon-
vergirend zusammen. Aus diesen Beobachtungen wird es aber verständlich,
dass der 2 — 4te Kiemenbogen in Folge jener Theilung, ebenso wie der erste aus
andern Ursachen, nur je einen kleinen Theil der lateralen Segmentmasse ent-
halten können, welcher von der homologen Zellenmasse des Zungenbeinbogens
ausserordentlich übertroffen wird. — Mit der Ausbildung der fünften Schlund-
falte ist die topographische Anordnung der Anlagen der hinteren Kopfhälfte
vollendet.
D i e v o r d e r e K o p f h ä 1 f t e. Von dieser wissen wir bereits , dass sie anfangs
in Form einer queren Platte sich an den Vorderrand der hinteren Kopfhälfte
anschliesst, wobei jedoch eine bestimmte ventrale Grenze beider Abschnitte so
lange, als die Bauchseite des ganzen Kopfes bis zum Vorderhirne in einer Flucht
steil aufsteigt, noch nicht besteht und nur mit Rücksicht auf die spätere Ent-
Avickelung im Bereiche der Haftorgane angenommen werden kann. So wie ich
die allmähliche Scheidung von Rücken und Bauch an dem aus der Kugelriäche
hervorwachsenden Kopfe geschildert habe, kann jene seine Schlussplatte ge-
wissermassen als die mediane Verbindung oder ein Uebergangsthcil zwischen
beiden betrachtet werden, dessen obere Hälfte dem Bücken, die untere dem
Bauche angehört. Eine solche Eintheilung wird aber auch thatsächlich da-
durch begründet, dass die dorsale Hälfte, von der bisher allein die Rede ge-
wesen ist, die vorderen Endabschnitte aller wichtigen dorsalen Anlagen und mit-
hin auch das Vorderende der Rückenaxe enthält, während die ventrale Hälfte
als Vereinigung und Abschluss der Seiten- und der Bauchwand zunächst des
Hinterkopfes anfangs auch die gleiche Zusammensetzung wie die letzteren auf-
. weist, nämlich zwischen dem Darmblatte und der Oberhaut eine indifferente Fort-
setzung der Seitenplatte (Taf. II Flr/. 35). Die ursprüngliche Form des Vorder-
GtOette, Entwickelungsgeschichte. 15
226 IV- Die Sonderung der einzelnen Organanlagen.
kopfes als einer queren Schlussplatte bedingt es aber ganz selbstverständlich,
dass seinBauchtheil nicht wie am Hinterkopfe oder am Rumpfe gürtel- oder bogen-
förmig gebildet sein , der Vorderkopf also auch keine eigentlichen Seitentheile
besitzen kann. Wie aber dennoch durch eine eigenthümliche Umbildung eine
solche Anpassung an die übrigen Körperregionen nachträglich erreicht wird,
soll sofort erläutert werden.
Die in der dorsalen Hälfte oder dem Hirnt heile des Vorderkopfes unter
der vorderen Hirnhälfte befindliche indifferente Fortsetzung der Wirbelsaite und
der Stammsegmente des Hinterkopfes wird, wie schon erwähnt, durch eine
mediane Spaltung in die beiden seitlichen Massen des ersten inneren Segment-
paares verwandelt. Dass dabei auch die sich daran schliessende, ebenso getheilte
Seitenplatte der Bauchhälfte oder des Kiefertheils in jenes Segmentpaar all-
mählich ganz hineingezogen wird, kann uns nach den entsprechenden Erfah-
rungen am Rücken und am Schwänze nicht Wunder nehmen: überall liefert die
Seitenplatte das Material zur Herstellung der Segmente, und ob sie dabei ganz
(Vorderkopf) oder grösstenteils (Schwanz) aufgeht oder andererseits genügendes
Material zu einer selbstständigen Weiterentwickelung zurückbehält (Rumpf),
hängt nur von ihrer ursprünglichen Masse an der betreffenden Stelle ab. Aller-
dings ist aber für spätere Deutungen die Thatsache sehr bemerkenswerth, dass
der ganze Vorderkopf sehr bald nur ein inneres und ein äusseres Segmentpaar,
aber kein Homologon einer Seitenplatte mehr enthält (Taf VI Fig. 102.
107 — 109, Taf VII Fig. 124 — 129). Das innere Segmentpaar liegt jederseits
an der Hirnbasis und wächst wie die homologen Stücke des übrigen Körpers
rechtwinklig zu dem zugehörigen Abschnitte derRückenaxe, also an den Seiten
des Vorderhirnes nach vorne aus (Taf. XVI Fig. 286 — 289). Seine Erzeug-
nisse (Augenmuskeln und -nerven) stimmen mit denen aller, übrigen Stammseg-
mente überein, obwohl gewisse unvermeidliche Anpassungen die Homologie
verdecken. Die beiden lateralen Segmente erstrecken sich längst der Basis des
Vorderhirnes , also parallel der ursprünglichen Axe und nur mit einer geringen
Neigung nach vorn abwärts bis unter das Niveau des Vorderhirnes. Unter den
Anlagen der Augenblasen treten sie an der Bauchseite dieses Hirntheiles in den
Kiefertheil ein, welcher zu ihrer Aufnahme gewissermassen vorbereitet ist
{Taf IV Fig.77 — 80, Taf. V Fig. HS— 90, Taf VI Fig. 100 -103. 108.109,
Taf. VII Fig. 124. 125). In der Medianebene wird er durch die feste Verbin-
dung des Darmblattes mit der Oberhaut in zwei Hälften geschieden, in denen
jene beiden Blätter bis zum Seitenramle des ganzen Kiefertheiles, d. h. bis zur
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. 227
ersten Schlundfalte, wo sie wiederum verschmelzen, lose aneinanderliegen,
nur im oberen Theile noch von dem Reste der sich zurückziehenden Seitenplatte
gefüllt. In diese zwei seitlichen, durch eine mediane Scheidewand getrennten
und anfangs gleichsam leeren Fächer des Kiefertheils wachsen die beiden late-
ralen Segmente von aussen und oben hinein und füllen sie derart aus , dass
sie zwei quere Wülste (Kieferwülste) bilden ; diese verleihen dem Kiefertheil die
Gestalt eines flachen, das Vorderhirn gleichsam tragenden Bogens, an dessen
unterem Rande die Haftorgane aufsitzen (Taf. III Flg. 45). Da aber bei diesem
Vorgange die mediane Scheidewand nicht in gleichem Masse sich von vorn
nach hinten ausdehnt, als die Wülste dick sind, wird die vordere äussere und
die hintere, gegen die Schlundhöhle gerichtete Fläche des Kiefertheils in der
Medianebene eingezogen (Taf. XIV Fig. 249. 254). Die äussere auf diese Weise
entstandene Einsenkung bezeichne ich als Mundbucht, die innere, gleichsam
eine Ausstülpung der Schlundhöhle ist die Anlage der eigentlichen Mundhöhle.
Die Kieferwülste behalten aber ihre quere Gestalt nicht lange; denn indem der
ganze Kopf sich seitlich abplattet , wird die Masse der lateralen Segmente ab-
wärts gedrängt, sodass sie zwei nahezu senkrechte Wülste zu den Seiten der
in der Medianebene gleichfalls verlängerten Mundbucht bilden würden , wenn
sie nicht durch eine anfangs seichte, von der letzteren ausgehende Furche je in
eine obere und untere Hälfte geschieden würden {Taf. III Fig. 46 — 49. 52 — 54).
Die beiden unteren Hälften werden durch das untere Ende der Muiidbucht nur
an ihrem oberen Rande wie durch einen Einschnitt geschieden; weiter abwärts
aber, wo die Verbindung der Oberhaut mit dem Darmblatte sich wieder gelöst
hat, und daher die mediane Scheidewand und die Mundbucht aufhören, stossen
die beiden Segmenthälften in der Mitte zusammen und vollenden so den Unter-
kieferbogen, welcher unmittelbar vor dem Zungenbeinbogen schräg auf-
und rückwärts zum Ausgangspunkte der lateralen Segmente hinter dem Auge
sich hinzieht (Taf. VI Fig. 109., Taf. VII Fig. 12S.129, Taf. XIII Fig. 230.
231, Taf. XV T Fig. 286—291). Die obere, durch eine seichte Furche von
der unteren geschiedene Hälfte des ursprünglichen Kieferwulstes liegt nun zur
Seite der Mundbucht zwischen dem Vorderhirne und dem steil absteigenden
Unterkieferbogen und entwickelt sich in dem Masse, als der letztere bei der
Verschmälerung des Kopfes tiefer hinabsinkt. Dieser unter dem Hirntheile des
Vorderkopfes neu entstehende Oberkiefer willst ist aber in seinem Innern
nicht etwa, wie es äusserlich den Anschein haben könnte, bloss aus einem sich
abgliedernden Theile der lateralen Segmente zusammengesetzt, sondern enthält
15*
•>28 IV. Die Sonderimg der einzelnen Organanlagen.
daneben medianwärts auch eine Fortsetzung desStaninisegments, welche gleich-
zeitig mit der Umbildung des ganzen Kieferwulstes unter dem Vorderhirn und
Auge hervorwuchs, sodass also an der Bildung der Oberkiefergegend die beiderlei
Segmente sich betheiligen. Diese ganze Entwicklung des Oberkieferwulstes
nebst den zwischen den Nasengruben hervorwachsenden Gesichtstheilen wirkt
aber wie ein Keil auf die durch ihn getrennten Theile des Vorderkopfes, den
Hirntheil und den Unterkieferbogen: in dem Masse als er den letzteren hinab-
drängt, hebt er den ersteren, wobei dessen freie hintere Wand, welche früher
sich an dem senkrechten vorderen Abschlüsse der Schlundhöhle betheiligte,
sich schräg nach vorn und unten stellt und so zur Decke der darunter sich
entwickelnden Mundhöhle wird. Jedoch darf diese Veränderung nicht auf eine
Drehung des ganzen Hirntheils um eine quere, an seiner hinteren Grenze ge-
legene Axe bezogen werden; sondern es wird bloss das Darmblattstück, welches
die künftige Mundhöhlendecke anfangs in ziemlich steiler Richtung überzieht,
durch die Höhenzunahme des Oberkieferwulstes, also auch der medianen Scheide-
wand, an welcher es einen Befestigungspunkt hat, immer flacher ausgespannt,
dadurch aber das ganze Hirn ohne merkliche Veränderung seiner Axenbiegung
nur in ein höheres Niveau gehoben {Taf. II Fig. 38, Taf. XV Fig. .283.284,
Taf. XVI Fig. 202. 208).
Nach der bisherigen Beschreibung könnte es den Anschein haben , als hätte
sich das ursprüngliche Verhältniss des Vorderkopfes zum Hinterkopfe und ganzen
Körper trotz allen Umbildungen nicht wesentlich verändert, als wäre der ganze
Kiefertheil immer noch als eine im Grunde genommen quere Schlussbildung zu
betrachten. Dies ist aber nicht mehr der Fall. Denn schon während der Ent-
wicklung des Unterkieferbogens haben seine beiden Hälften eine gewisse Dre-
hung ihrer medialen Bänder nach vorn und aussen ausgeführt, ihre vordere
Fläche lateralwärts gekehrt {Taf. VI Fig. 102. 107, Taf. VII Fig. 124. 125,
Taf. XIV Fig. 240. 254, Taf. X I II Fig. 307. 308). Dadurch wurde die me-
diane Scheidewand in eine quere, dünne Haut ausgezogen, welche endlich zer-
reisst und so Mundbucht und innere Mundhöhle zu einer ununterbrochenen und
offenen Mundhöhle vereinigt. Auf diese Weise ist aber jene oben angedeutete
Anpassung des Vorderkopfes an den Hinterkopf vollendet: sein ursprünglich
querer Bauchtheil ist in der Mitte durchbrochen, und seine Seitenhälften sind
seitlich umgelegt, sodass sie nunmehr vom dorsalen Ilirntheile ausgehend einen
inneren Darmraum, eben die Mundhöhle, gürtelförmig umgreifen, geradeso wie
es am Zungenbeinbogen und jedem Etumpfabschnitte von Anfang an der Fall war
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. 229
Mit dieser Skizze von der Unibildung der Kopfanlagen kann ich die Be-
schreibung dieses ganzen Abschnittes schliessen, da dieselbe nur die allgemeine
topographische Disposition der Embryonalanlagen des mittleren Keimblattes
veranschaulichen, die vollständige Ausführung ihrer Entwicklung aber späteren
Abschnitten vorbehalten bleiben soll.
Die Lage und Umbildung des mittleren Keimblattes bringt es mit sich,
dass eine Betrachtung seiner allgemeinen, morphologischen Entwicklungs-
geschichte beinahe die ganze allgemeine Geschichte des Embryo umfasst. Denn
einmal gehören die bei weitem meisten Embryonalanlagen, sowohl nach Zahl,
wie nach der Mannigfaltigkeit, dem mittleren Keimblatte an ; und ferner bleiben
die wenigen Embryonalanlagen der beiden anderen Keimblatter (Cerebromedul-
larröhre, Oberhaut, Auskleidung des embryonalen Darmkanals) während der
Embryonalentwickelung mit dem mittleren Keimblatte in beinahe ununter-
brochener Berührung, stehen hinsichtlich der morphologischen Umbildung, wie
ich es weiter unten noch näher ausführen werde, theils in inniger Wechselwir-
kung mit demselben (Anpassungen einzelner Organe), theils sogar unter einem
beherrschenden Einflüsse desselben (allgemeine Gliederung). Daher seheich mich
veranlasst, die Betrachtung des ganzen morphologischen Aufbaues' des Embryo
nicht bis zum eigentlichen Schlüsse der allgemeinen Entwicklungsgeschichte,
also des nächsten Abschnittes, zu verschieben, sondern schon an dieser Stelle
mit der Besprechung der Leistungen des mittleren Keimblattes zu verbinden. —
Alsdann findet aber hier das v. BAEß'sche Schema der morphologischen Ent-
wicklung des Wirbelthierembryo ganz natürlich den ersten Platz.
v. Baer erklärt zuerst , wie die wichtigsten physiologischen Systeme des
erwachsenen Wirbelthiers in der Gestalt von Röhren, welche alle einzelnen
Organe enthielten oder erzeugten, um einen Stamm so angeordnet seien, dass
die den letzteren schneidende Medianebene alle jene Röhren der Länge nach
halbire. Denke man sich nun die Röhrenhälften über dem Stamme von der
oberen Schlusslinie, unter dem Stamme von der unteren Schlusslinie aus nach
aussen umgerollt und flach ausgebreitet, so erhalte man eine Anzahl horizon-
taler Platten; und denke man sich ferner die in gleichem Niveau gelegenen
kontinuiiiich zusammenhängend, so sei der ganze Thierkörper in einige wenige
über einander liegende einfache Platten verwandelt. Das, was auf diese Weise
230 IV. Die Sonderung der einzelnen Organanlagen.
in der Vorstellung ausgeführt werde, geschehe nun in umgekehrter Ordnung
thatsächlich bei der Entwickelung des Wirbelthierembryo (Nr. 8 II S. 57 und flg.).
Diese geistreichen Ausführungen v. Baee's haben eine allgemeine Berechtigung,
insofern die in Gestalt und Zusammensetzung so mannigfaltigen Körpertheile
des Wirbelthiers auf wenige und einfachste blattartige embryonale Grundlagen
zurückgeführt werden können, und einige derselben sich allerdings röhrenförmig
umbilden und dadurch eine ähnliche Entwickelung der übrigen theilweise her-
beiführen. Der Umstand aber, dass v. Baer der Begründer einer solchen all-
gemeinen Auffassung war, erklärt es hinreichend , warum sein Schema in der
ausführlichen Anwendung auf die thatsächlichen Verhältnisse manche Irrthümer
aufweist. Die letzteren lassen sich theils auf die Verkennung des mittleren
Keimblattes und seiner Umbildungen, theils auf irrige Voraussetzungen von der
Uebereinstimmung verschiedener Körpertheile zurückführen. Betrachten wir
zunächst den Rumpf des Embryo, an dem v. Baer offenbar die eingehendsten
Beobachtungen anstellte. Nachdem die röhrenförmigen „Fundamental- oder Pri-
mitivorgane" vollendet sind, bildet die innere Fleischschicht zwei Röhren, welche
im Durchschnittsbilde an der Wirbelsaite achterförmig zusammenstossen, und
von denen die obere die Nervenröhre, die untere die zweischichtige Darmröhre,
(Gefäss- und Schleimhautschicht) umschliesst. Die äussere Fleischschicht und
die Hautschicht umgeben das Ganze als äussere Hüllen. Zunächst will ich da-
von absehen, dass v. Baer in dem obersten und dem unteren Keimblatte, deren
morphologische Umbildung in die betreffenden Röhren richtig angegeben ist,
die Anlagen der ganzen äusseren Haut und der Schleimhaut sah*; es kann
dies um so eher geschehen, als die bindegewebigen Unterlagen der Epidermis
und des Darmepithels keine gesonderten Anlagen im mittleren Keimblatte be-
sitzen. Fasst man also die zwischen jenen zwei Blättern befindliche „innere
Masse" des Keimes als Analogon des mittleren Keimblattes auf, so lässt sich
die Gefässschicht , da sie in den peripherischen Theilen zuerst allein das mitt-
lere Keimblatt vertritt, mit den Seitenplatten vergleichen, die Anlagen der
Fleischschicht aber, welche vom Rücken aus jederseits abwärts wachsen, mit
den Segmentplatten. Die Entwickelung der letzteren, soweit sie ohne Rücksicht
auf die Gliederung die ganzen Platten betrifft , hat v. Baer richtig erkannt :
indem sie zwischen der Haut und den Seitenplatten abwärts wachsen, entwickelt
Eine Unterscheidung der Epithclien von ihren bindegewebigen Unterlagen bestand
vor dem Erscheinen der HENLE'schen Untersuchungen natürlich nicht.
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. 281
sich eine innere Schicht (innere Segmentschicht), welche eben in Verbindung
mit der Wirbelsaite im Durchschnitt eine Achterform zeigt, und eine äussere
(äussere Segmentschicht), welche wesentlich als Anlage der Gliedmassen
fungirt. Indem aber v. Baer seine Gefässschicht, also das Homologon der
Seitenplatte in den Darm vollständig aufgehen, die seröse Rumpfhöhle zwischen
diesem und den Muskelschichten der äusseren Leibeswand entstehen lässt, wird
die Spaltung der Seitenplatte und in Folge dessen das Parietalblatt, die Anlage
des parietalen Bauchfells, ganz übersehen. Dagegen ist ganz richtig die Ent-
stehung des Gekröses und des Herzens in das viscerale Blatt verlegt. Wie man
sieht, sind die Angaben v. Baer's über die Embryonalanlagen des Rumpfes
wenn auch nicht fehlerfrei, doch zum grösseren Theile richtig. Ganz irrthüm-
lich ist jedoch seine Auffassung, dass das besprochene Schema sich im Kopfe
wiederhole, im Schwänze aber nicht. Der letztere wurde allerdings bisher von
allen Embryologen für eine Fortsetzung bloss der Wirbelsäule mit den zugehö-
rigen Muskeln und Bindegewebstheilen, dem eingeschlossenen Rückenmarke und
der äusseren Haut gehalten. Aus meinen Untersuchungen geht aber hervor, dass
der Schwanz ursprünglich eine wirkliche Verlängerung des ganzen embryonalen
Rumpfes darstellt, sodass der Darmkanal, ja sogar sein Axenstrang dort ebenso
vertreten sind wie die beiden Segmentschichten und die Seitenplatten. Da
nun der Schwanzdarm ursprünglich viel mächtiger ist als die entsprechende
Fortsetzung des Rückenmarks und der Wirbelsaite, also um so viel weniger als
diese sich der Beobachtung entziehen kann, so erhellt zur Genüge, dass die
innere Entwiekelung des Schwanzes gar nicht wirklich beobachtet, sondern eben
nur aus den späteren Zuständen erschlossen wurde. Trotzdem aber dass der
Schwanz sich als eine vollständige Verlängerung des ursprünglichen Rumpfes
darstellt, findet in Folge rückbildender Ursachen eine weitere Entwiekelung
jener ersten Anlagen des mittleren Keimblattes zu röhrenförmigen „Primitiv-
organen" wie im Rumpfe nicht statt, da weder die Segmentschichten noch die
Seiteuplatte für sich allein, sondern erst in Gemeinschaft eine einzige röhren-
förmige Lage zusammensetzen. — Noch wichtiger sind die Abweichungen der
Kopfanlagen. Dass die „Nerven- und die Hautröhre" sich in den Kopf fort-
setzen, ist wohl niemals bezweifelt worden; ferner ist es gerade ein Verdienst
v. Baer's, den kontinuirlichen Uebergang der „Darmröhre" aus dem Rumpfe
in den Kopf auch für die Batrachierlarven nachgewiesen zu haben. Aber er
lässt auch die übrigen Primitivorgane in den Kopf übergehen und sich daselbst
nur durch untergeordnete Eigenthümlichkeiten auszeichnen (Nr. 8 II S. 78. 79).
232 IV. I>ie Sonderling der einzelnen Organanlagen.
Nun gibc es freilich auch im Kopfe Segment- und Seitenplatten; aber deren wei-
tere Entwicklung unterscheidet sich so wesentlich von derjenigen der homolo-
gen Ruinpftheile, dass von einer Uebereinstimmung der beiderseitigen Primitiv-
organe oder definitiven Embryonalanlagen so gut wie gar nicht gesprochen
werden kann. Denn nach meinen Untersuchungen bleiben die inneren Kopf-
segmente (innere Fleischschicht) auf den Rückentheil beschränkt, vollenden
also höchstens eine Röhre um das Centralnervensysteui; die Seitenplatte schwin-
det z um Theil (Vorderkopf) , theils bleibt sie ungespalten und bildet als solche
nur eine einfache und zudem im Zungenbeinbogen unvollständige Röhre. Ebenso
entwickeln sich die äusseren Segmente nur im Vorderkopfe und im Zungenbein-
bogen zu ganzen Ringen, wogegen sie am Bauchtheile des übrigen Hinterkopfes
ungeschlossen bleiben. Letzteres hängt, wie erwähnt, mit der darunter erfol-
genden Bildung des Herzraums zusammen; und wenn die ganze diesen letzteren
umfassende Herzregion schon durch den Ausschluss der lateralen Segmente,
welche zu den wesentlichsten Merkmalen des Kopfes gehören , und durch eine
Fortsetzung der serösen Rumpfhöhle (Perikardialhöhle) sich dem Rumpfe an-
schliesst, so wird ihre vollständige Zugehörigkeit zu dem letzteren besonders
dadurch endgültig bestimmt, dass die innere Segmentschicht des Rumpfes
später in jene Herzregion hineinwächst und sie auf diese Weise dem Bereiche
des Kopfes entzieht und dem Rumpfe einverleibt. Dadurch geht aber der
ursprüngliche ventrale Schluss sowohl der -Seitenplatte wie der Oberhaut ver-
loren, bleiben also die betreffenden röhrigen Primitivorgane im Hinterkopfe un-
vollständig. Kurz - ■ das Unterscheidende in der Entwicklung des Kopfes
und des Rumpfes beruht gerade darin, dass die Kopfanlagen in ihrer Gesammt-
heit von Anfang an einen anderen Entwicklungsgang haben als die Rumpf-
anlagen und ferner ihre einzelnen Längsabschnitte wesentlich von einander ab-
weichen. Unter solchen Umständen können denn auch die Vergleiche, welche
v. Baer zwischen einzelnen Kopf- und Rumpftheilen anstellte , nicht zutreffen.
Es sind also weder das Zungenbein noch andere „tiefere Gesichtsknochen"
Wiederholungen der Rippen, sowie sie auch durchaus nicht aus einer Fort-
setzung der Bauchplatten (innere Fleischschicht, innere Segmentschicht) her-
vorgehen (Nr. 8 II S. 100. 102); und wenn v. Baer auch die Kiefer im allge-
meinen richtig mit den Gliedmassen des Rumpfes verglich, so entsprang dies
mehr seinen Reflexionen über die anatomischen Verhältnisse des erwachsenen
Thicrs (Nr. 8 I S. 191. 192), nicht aber seinen bezüglichen embryologischen
Untersuchungen, da gerade nach den letzteren der Oberkiefer fälschlich eine
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. 233
besondere Anlage , also auch den Werth einer besonderen Extremität haben
sollte (Nr. 8 II S. 84. 102). Es ergibt sich aus den voranstehenden Vergleichen,
dass das v. BAER'sche Schema gerade hinsichtlich des mittleren Keimblattes die
meisten Mängel aufweist: der Entwicklungsgang desselben, wie er sich im Rumpfe
offenbart, wiederholt sich im Kopfe durchaus nicht, und daher setzt sich kein
einziges der betreffenden röhrigen Fundamentalorgane aus dem Rumpfe unver-
ändert und vollständig in den Kopf fort Beim Suchen nach einer allen Körper-
regionen gemeinsamen Form des mittleren Keimblattes kommt man daher über
die von der Axe (Wirbelsaite) ausgehende, die Nervenröhre und die Darmblatt-
röhre umschliessende Achterform der Gesammtmasse nicht hinaus. Beachtet
man aber, dass diese Grundform nur durch die Einlagerung der Nervenröhre
in das einfache blasenförmige Keimblatt hervorgerufen wird, so müsste die
Grundform des ganzen Embryo bei den gleichen Bedingungen der Konstruktion
auf die dreischichtige längliche Keimblase beschränkt werden, in deren mittle-
rem Blatte sich ein axialer Strang und eine Röhre vom äusseren Blatte befinden :
ein Bild, welches keineswegs die eigenthümlichen Grundzüge gerade der Wirbel-
thierentwickelung enthält, sondern in gleicher Weise diejenigen gewisser niede-
derer Thiere (Ascidien) wiedergibt.
Reichert verwarf die v. BAER'sche Auffassung des allgemeinen Entwicke-
lungsganges und setzte an deren Stelle dieLehre von der unmittelbaren Entstehung
der einzelnen Organe und Systeme aus indifferenter Bildungsmasse (Vgl. Nr. 28
S. 124). Bei einer solchen Anschauung konnte von einer Kenntniss des genetischen
Zusammenhangs der aus dem mittleren Keimblatte hervorgehenden Schichten
natürlich nicht die Rede sein. Wenn daher v. Baer die einzelnen Umbildungen
dieser Schichten wenigstens im Rumpfe ziemlich richtig erkannte, so finden wir
bei Reichert darüber keine einzige zutreffende Angabe. Sein Hautsystem ruht
zuerst äusserlich auf den „Urplatten des Wirbelsystems", welche offenbar der
grossen Masse der Segmentplatten entsprechen , und wächst sodann unmittelbar
unter der Umhüllungshaut oben und unten zusammen (Membranae reunientes) ; es
entspricht also ersichtlich der äusseren Segmentschicht, soll aber nach Reichert
nur die Lederhaut und nach dem Schwinden der Umhüllungshaut auch die Ober-
haut bilden. Aus diesem Irrthume folgt aber der weitere, dass das ganze Knochen-
und Muskelsystem des Rückens und des Bauches aus einer Lage, nämlich den
röhrenförmig auswachsenden Rücken- und Wirbelplatten (innere Segmentschicht)
sich entwickeln. Wenn aber Reichert einerseits die richtigen Angaben v. Baer's
über die Segmentschichten vernachlässigte, so adoptirte er andererseits dessen
234 IV. Die Sonderung der einzelnen Organanlagen.
irrthümliche Anschauungen über andere Theile des mittleren Keimblattes. Auch
er übersah die Seitenplatten , indem er der Darmhaut eine schon ursprünglich
selbstständige Anlage zuerkannte, und die inneren Kopfanlagen erscheinen auch
bei ihm als eine Wiederholung des am Rumpfe Beobachteten-, insbesondere sollen
die beiden Visceralbögen (Unterkiefer- und Zungenbeinbögen) als Verdickungen
jener ungesonderten Visceralplatte den Extremitätengürteln des Rumpfes ent-
sprechen, die Kiemengegend aber ebenso wie die mittleren Rumpftheile solche
Bögen entbehren (Nr. 22 S. 17. 18). Auch diejenige Beobachtung Reichert's,
welche im Vergleiche zu meinen Untersuchungen am meisten begründet er-
scheinen könnte, dass nämlich die Wirbelsaite ursprünglich bis zum vordersten
Hirnende reiche, später aber dieser ihr vorderster Abschnitt verkümmere, —
auch diese Angabe kann ich nicht unbedingt gutheissen. Denn mit der Be-
zeichnung jener Ausdehnung „bis zur Stirnwand"* wird einmal des Guten zu
viel gethan, ferner aber dadurch in Verbindung mit der Angabe, dass aus der
verkümmernden Chordaspitze der Hirnanhang entstehe, der Verdacht erregt,
Reichert habe die Anlage des letzteren, welche allerdings von jener „Stirn-
wand" entspringend rückwärts unter das Hirn wächst, mit einer Fortsetzung
der Wirbelsaite verwechselt. Dagegen muss hier hervorgehoben werden, d;iss
Reichert zuerst die Quergliederung des Embryonalkörpers betonte. Frei-
lich gedachte schon v. Baer der mit einander übereinstimmenden Abschnitte,
die im Knochen-, Muskel-, Nerven- und Gefässsystem des Rumpfes bestehen und
die er „morphologische Elemente" nannte (Nr. 8 II S. 82 und flg.); da er aber
die im jungen Embryo sichtbaren Abschnitte nur für die Anlagen der Wirbel-
bögen hielt (Nr. 8 II S. 97), so wusste er weder die Uebereinstimmung der
Gliederung in den verschiedenen Systemen auf einen gemeinsamen Entwicke-
lungsvorgang zu beziehen, noch viel weniger erkannte er eine solche als einen
allgemeinen, mehr oder weniger auf alle Systeme und alle Regionen des Körpers
sich erstreckenden embryonalen Entwickelungsprocess. Die röhrenförmigen
Primitivorgane als solche blieben für v. Baeu der Inbegriff der allgemeinen
Embryonalanlagen. Reichert erkannte nun freilich die embryonale Gliede-
rung im Rumpftheile des mittleren Keimblattes, hat sie aber, wie es scheint,
bloss auf die Muskeln und Knochen bezogen (Nr. 22 S. 32) , während die letz-
* Die von Reichert bezeichnete Stelle der vorderen Wand des Kopfes entspricht
dem Ursprünge der Anlage des Hirnanhangs; dadurch wird es möglich, den späteren Uebcr-
gang jener „Stirnwand" in die Decke der Mundhöhle zu verfolgen (vgl. Taf. XVI Fig. 292.
293. 298).
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. 235
teren in den Embryonalanlageu gar nicht enthalten sind und die Segmente
muskulöse, nervöse Theile und die Anlagen eines allgemeinen Bildungsgewebes
umfassen. Reichert versuchte aber auch ferner die „Wirbelabtheilungen" im
Kopfe nachzuweisen. Er findet sie dort nur in den Urplatten des Wirbel-
systems (innere Segmente), und zwar erst an Embryonen, die schon Augenblasen
und drei Hauptabtheilungen des Gehirns besitzen (Nr. 22 S. 16, Taf. II Fig. 15,
Nr. 20 S. 7, Taf. I Fig. 6). An so alten Embryonen kann man aber die wirk-
lichen Segmente nach meinen Erfahrungen entweder gar nicht mehr oder nur
noch andeutungsweise sehen, an älteren Geschöpfen aber durchaus nicht mehr
unterscheiden, während sie dann nach Reichert gerade deutlicher werden
sollen (Nr. 20 S. 18. 28). In Uebereinstimmung damit spricht Reichert „von
dem Einflüsse, den die Gehirnabtheilungen auf die drei Wirbelabzeichnungen
des Schädels haben" (Nr. 20 S. 19. 91), und empfiehlt daher, da diese nicht
überall deutlich geschieden seien , zur Orientirung über ihre Lage und ihre
Grenzen sich an die Hirnabschnitte und die Sinnesorgane zu halten (Nr. 20
S. 11. 91.), Theile, die nach meinen Untersuchungen erst erscheinen, wenn
die typische Gliederung des Kopfes bereits verschwunden ist. Es entsprechen
also die REiCHERT'schen Wirbelabtheilungen des Kopfes durchaus nicht meinen
Kopfsegmenten; und wenn man überlegt, dass er sie verhältnissmässig spät
unter dem Einflüsse der drei Gehirnblasen entstehen lässt und sie einfach als
Schädelwirbel bezeichnet, so kann es nicht zweifelhaft sein, dass diese An-
schauung weniger der Beobachtung als der Reflexion entsprang und dass der
ganze Schein von Wahrheit, der ihr anhaftet, von der genialen Konception der
allgemeinen Wirbeltheorie entlehnt ist, welcher überhaupt jene ganze Auffassung,
dass der Kopf nur eine eigenthümliche Fortsetzung des Rumpfes sei, offenbar
erst ihre Entstehung verdankt. Mochte Reichert aber auch von der Richtig-
keit seiner Angaben überzeugt sein, so geht doch gerade aus den angeführten
Stellen und seiner Entwickelungstheorie (Nr. 28 III. IV) unzweifelhaft hervor,
dass er gar nicht daran dachte, jene Gliederung des Rumpfes und Kopfes als
integrirendes Element in den embryonalen Aufbau der Wirbelthiere, insbeson-
dere der Batrachier aufzunehmen, wie er denn an seinen Primitivorganen,
„welche den Organisations-Typus des Thiers bedingen" (Nr. 28 S. 124-125),
wohl „Doppelanlagen", nie aber die Gliederung erwähnt.
Da Reichert bei seinem Versuch, die Unhaltbarkeit der von v. Baer vor-
getragenen Lehre nachzuweisen, sich mehr auf naturphilosophische Deduk-
tionen stütze, als auf einfache Beobachtung (vgl. Nr. 28 II. III) und daher auch
23(3 IV. Die Sonderung der einzelnen Organanlagen.
die offenbaren Blätter und Schichten ausser Acht liess, so ist es begreiflich,
dass seine Arbeit erfolglos blieb. Schon Vogt, dessen Beobachtungen über
die dem mittleren Keimblatte entsprechenden Theile sich im allgemeinen an
die REiCHEET'schen anschliessen und daher an dieser Stelle nicht weiter be-
sprochen werden sollen, sucht in freilich unbestimmter Weise sich der älteren
Lehre wieder zu nähern. Ganz entschieden trat aber Bemak den Anschauungen
Reichert's entgegen, indem er das von v. Baer Ueberlieferte seinen weiteren
Ausführungen zu Grunde legte. Dadurch, dass er die Existenz eines mittleren
Keimblattes feststellte und die Gliederung desselben in eine Axe und sich
weiter sondernde Seitentheile (Urwirbel-, Seitenplatten) nachwies, wurde es
erst möglich, das von v. Baer entworfene Bild auf ganz bestimmte, klar
unterscheidbare Theile zu beziehen. Was Remak aber an dem v. BAER'schen
Schema dadurch verbesserte , dass er die Spaltung der Seitenplatten in dasselbe
einführte, verdarb er wiederum durch seine Darstellung von der Entwickelung
der Hautplatten (Parietalblatt). Fasst man zusammen, dass nach ihm die
letzteren unter der Oberhaut aufwärts wachsend die gesammten inneren Rücken-
theile umhüllen, ferner die Gliedmassen und Bauchmuskeln erzeugen, die Ur-
wirbel (Segmente) dagegen nur die Wirbelmuskeln bilden sollen, so ist es klar,
dass Remak seine „Hautplatten" das vom Bauche zum Rücken hinauf aus-
führen lässt, was die beiden Fleischschichten v. Baer's in umgekehrter Richtung
leisteten. Aus meinen Abbildungen geht aber hervor, dass das Parietalblatt
(Remak's Hautplatte) nur das parietale Bauchfell liefert und der gesammte
zwischen diesem und der Oberhaut befindliche Inhalt der Leibeswand von den
Segmenten des Rückens (Urwirbel aut.) abstammt; Remak hat sich also in
dieser Hinsicht vollständig geirrt, und muss die alte v. Baer'scIic Darstellung
durchaus wiederhergestellt werden. — Auch in der Erkenntniss der Bedeutung,
welche die Quergliederung, die Bildung der Segmente für die ganze embryonale
Entwickelung hat, ist Remak über Reichert's Ergebnisse nicht weit hinaus-
gegangen. Einmal beschränkte auch er jene Gliederung auf den Rumpf, indem
er eine solche für den Kopf des Hühnchens und des Frosches ganz bestimmt
in Abrede stellte.* Ferner enthalten seine Mittheilungen über die Rumpfseg-
mente mehr Irrthümliches als Zutreffendes. Denn wenn er auch Muskel,
Nerv und Wirbel die Elemente der Urwirbel nennt, so sollen doch letztere
* Vgl. Nr. 40 S.3G, Nr. 83 S.23 Anm.2. An letzterem Orte sagt Remak ganz ausdrück-
lich, dass „beim Hühnchen und beim Frosche die Reihe der Urwirbel erst hinter dem Nervus
yagus beginnt."
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. 237
beim Frosche anfangs nur aus Muskelmasse bestellen, und erst später an ihrer
Innenseite je ein Spinalganglion und als „Zwischenstücke der Muskelplatten"
die Wirbelbögen erscheinen (Nr. 83 S. 23 Anm. 3, Nr. 40 S. 154. 186). Dies
ist unrichtig, weil die Muskelplatte und das zugehörige Ganglion von Anfang
an als Theile des ursprünglichen Urwirbels oder Segments erscheinen; und
wenn Remak für das Hühnchen eine gleichzeitige Entwickelung jener drei Stücke
aus den Urwirbeln annimmt (Nr. 40 S. 41), so geht er wieder zu weit, da die
Wirbel überhaupt nicht unmittelbar aus den Urwirbeln hervorgehen. Der
wichtigste Punkt bleibt aber, dass diese Entwickelung gewissermaassen erst unter
Auflösung der ursprünglichen Segmentirung erfolgen soll, indem diese nur in
den Muskelplatten erhalten bliebe, für Nerven und Wirbel aber vollständig
verwischt würde, um einer durchaus abweichenden Eintheilung Platz zumachen,
deren Zusammenhang mit der ersteren durchaus unersichtlich bleibt. Wenn
man ferner überlegt, dass jene Muskelplatten Remak's nur in die Rücken-
muskeln übergehen sollen, also die Gliederung der ganzen übrigen Muskulatur,
welche Remak von seiner Hautplatte ableitet, ganz unabhängig von jener em-
bryonalen Segmentirung sich darstellt, so ergibt sich, dass der letzteren als-
dann eine allgemeine Bedeutung überhaupt nicht zukommt, sondern sie viel-
mehr ähnlichen Gliederungsprocessen in anderen Körpertheilen , so gerade im
Kopfe und in der Wirbelsäule, nur koordinirt erscheint. — Ueber den Kopfab-
schnitt des mittleren Keimblattes , welcher ungegliedert bleiben soll v hat sich
Remak etwas unbestimmt ausgesprochen. Wenn aber danach die Gesichts-
und Kiemenplatten mit den Seitenplatten zusammenhängen und ebenfalls wie
die Hautplatte eine Fortsetzung nach oben besitzen sollen, welche das Hirn
umhüllt, so darf man wohl annehmen, dass auch Remak dem hergebrachten
Dogma huldigte, dass die Kopfanlagen in ihrer allgemeinen Anordnung, aber
mit Ausschluss einer Segmentbildung, den Rumpfanlagen entsprächen.*
Erst Stricker trat dieser Ansicht entgegen, verfiel aber gleich ins andere
Extrem, indem er die eigenthümliche Kopfbildung nicht nur auf eine abwei-
chende Anordnung und Umgestaltung der auch im Rumpfe vorkommenden
Anlagen des mittleren Keimblattes, sondern auf ganz neue, ausserhalb der
Kontinuität desselben entstehende Theile (Schlundschienen) zurückführte. Dies
kann ich nach meinen Erfahrungen nicht gelten lassen; denn einmal wachsen
die Schlundschienen Stricker's oder meine äusseren Kopfsegmente aus der
* Als eine Abweichung davon kann das, was Remak von seiner Sinnesplatte aussagt,
nicht gelten, da die betreffende Entwickelung einer viel spateren Periode angehört.
238 IV- Die Soiiderung der einzelnen Organanlagen.
ursprünglichen Segmentplatte hervor, und ferner finden sich, wie ich gezeigt
habe, entsprechende Theile in den äusseren Segmentschichten des Rumpfes.
Aber auch in der Darstellung der weiteren Entwicklung und in der Deutung
der Schlundschienen irrte Stricker. Dass das erste Paar die Augenanlage
von hinten und unten umkreisst und dann senkrecht hinunter wächst, ist richtig-,
aber Stricker übersah die mediane Scheidewand, welche jenes Paar der Schlund-
schienen nur an der Bauchseite, nicht aber auch vorn und oben zusammen-
gössen lässt. Sodann hält er irrthümlicherweise das erste Paar der inneren
Segmente, welche über und unter dem Auge nach vorn wachsen, für Theile
seiner Schlundschienen (Nr. 55 S. 65), wodurch die Identität der letzteren und
meiner äusseren Segmente wieder aufgehoben würde. Daraus erklärt sich, dass
er den medianen, dünnen Theil des mittleren Keimblattes, welchen er fälschlich
für die Fortsetzung der ganzen Rumpfsegmente, statt bloss ihrer medialen Theile
(innere Segmente) ansieht, später in die dünne Unterlage des Vorderhirns voll-
ständig aufgehen lässt, wobei die zeitweilige breite Lücke in diesem Theile des
mittleren Keimblattes ganz übersehen wurde. So kommt denn Stricker endlich
zu der ganz irrigen Ansicht, dass jederseits eine einzige Embryonalanlage, eben
die erste Schlundschiene alle die verschiedenen Theile des Vorderkopfes bilde,
welche zwischen den Erzeugnissen des oberen und unteren Keimblattes liegen,
mit alleiniger Ausnahme jener dünnen Membran an der Schädelbasis. — Weiter
hat sich aber Stricker über die Umbildungen des mittleren Keimblattes nicht
ausgelassen.
Ganz so wie Dönitz eine Wiederholung der REiCHERTschen Lehre ge-
liefert hat, fand sich auch eine bedingungslose Bestätigung der Ansichten
Stricker's durch Türök, wesshalb ich betreffs Beider einfach auf die citirten
Aufsätze und mitgetheilten Auszüge verweise.
Die letzte der hier zu besprechenden Arbeiten lieferte v. Bambecke. Für
den Rumpf hat er die REMAKschen Angaben über die Entwicklung des mitt-
leren Keimblattes wesentlich verbessert durch die Unterscheidung der an den
Urwirbelplatten auftretenden oberflächlichen Schicht, meiner äusseren Segment-
schicht. Dass aber diese sowie die innere Segmentschicht nicht nur aufwärts-
wachsend das Rückenmark umhüllen, sondern auch beide bis zur Bauchfläche
hinab wachsen, ist v. Bambecke freilich entgangen, wie denn die falsche Deutung
der äusseren Schicht aus der Benennung „lame cutanee dorsale" erhellt. Und
da auch er für den ganzen Kopf die bequeme Lehre von der allmählichen
histologischen Sonderung aller inneren Theile aus einer morphologisch indiffe-
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. 239
rent'en Masse adoptirt, so kann auch seine Kenntniss vom morphologischen
Aufbaue des Embryonalkörpers und die Einsicht in die Bedeutung eines solchen
Entwickelungsganges nicht wesentlich höher gestellt werden als bei den meisten
seiner Vorgänger, welche ihre Arbeit auf die Sammlung vereinzelter That-
sachen beschränkten, ohne Rücksicht darauf, ob dieselben einen Zusammen-
hang erkennen Hessen oder nicht.
Bei einem Vergleiche aller eben angeführten Darstellungen lässt sich nicht
verkennen, dass in ihnen zwei ganz verschiedene Grundanschauungen sich
geltend machen , nirgends streng geschieden oder sich gegenseitig ausschliessend,
aber doch mit einem entschiedenen Uebergewichte bald der einen , bald der
andern. Einmal tritt eine Reihenfolge zusammenhängender, gesetzmässiger
Formveränderungen in den Vordergrund, sodass gewisse Körpertheile als das
Ergebniss einer ununterbrochen fortschreitenden Formumbildung der ein-
fachsten ursprünglichen Anlagen erscheinen; in anderen Fällen erscheint dieser
Zusammenhang mehr oder weniger unterbrochen, indem die Wirkungen der
fortschreitenden Formumbildung ersetzt werden durch ein geheimnissvolles
Leben und Weben innerhalb der unorganisirten Zellenmassen, aus denen als-
dann die fertigen Bildungen so zu sagen durch eigene Kraft sich herauslösen.
Diese beiden Anschauungen sind seither unter den Namen der „morphologischen
und der histiologischen Sonderimg" bekannt und üblich geworden, Namen,
deren Bedeutung ich erst später noch näher erläutern will. Hier soll nur
festgestellt werden, welche von beiden für die Embryonalentwickelung die rich-
tige und massgebende sei, und in welcher Weise sie begründet und ausgeführt
werden müsse. — Es wäre nach meiner ganzen Darstellung unnöthig ausein-
anderzusetzen, dass ich nur in der zuerst von v. Baer bekannt gegebenen mor-
phologischen Entwickelung des Wirbelthierembryo einen einigermassenrichtigen
Ausdruck für das Wesen der Embryonalentwickelung, dieses grundlegenden
Aufbaues des künftigen Thieres wiederfinde, dass ich dagegen alle Versuche,
jenen rein morphologischen Entwickelungsgang in grösserem oder geringerem
Masse durch unbegründete ,,histiologische Differenzirungen" zu ersetzen oder
zu ergänzen, als unberechtigt zurückweisen muss. Es soll damit nicht gesagt
sein, dass durch v. Baer in der angegebenen Richtung die allein richtige Beo-
bachtung erschöpft worden, unter seinen Nachfolgern darin kein Fortschritt zu
verzeichnen sei. v. Baer blieb aber in seiner allgemeinen Auffassung unüber-
troffen, da eine Fortentwickelung derselben sich bisher nicht bemerkbar gemacht
hat, und zwar, wie ich glaube, ans dem Grunde, weil die einseitige Ausbildung
240 IV. Die Sonderung der einzelnen Organanlagen.
der Zellentheorie den histologischen Vorgängen zu viel Gewicht einräumte und
darüber die Gesetze und Bedingungen der morphologischen Entwickelung zu
sehr ausser Acht liess. Seit v. Baer den Grund zu einer wissenschaftlichen
Entwicklungsgeschichte gelegt, sind allerdings grössere und kleinere Beiträge
zu derselben reichlich herzugeströmt, ohne jedoch jene Grundlage wesentlich
zu verändern; die wachsende Fülle der Thatsachen vermochte die Einsicht in
die Bedeutimg des morphologischen Moments der Entwickelung nicht in gleichem
.Masse zu erweitern, sodass wir hinsichtlich desselben immer wieder auf jenen
Nestor unserer Wissenschaft zurückkommen müssen, der mit den einfachsten
Mitteln der Beobachtung und unter dem Einflüsse der damals herrschenden
unklaren morphologischen Anschauungen das leistete, was seine Nachfolger
unter günstigeren Verhältnissen zu fördern und zu läutern nicht vermochten,
dagegen gar zu häufig verkannten und vernachlässigten. Das von v. Baer
Erreichte ist aber eben nicht vollkommen zu nennen, nicht als abgeschlossen
zu betrachten. War er sich doch selbst des Unterschiedes von Morphologi-
schem und Histologischem nicht ganz klar bewusst; beide Entwickelungsweisen
sollten nur nach ihrer äusseren Erscheinung und ihren Zielen geschieden sein, in
ihrem Wesen jedoch, als Differenzirung des Einfachen zum Mannigfaltigen,
durchaus übereinstimmen (vgl. Nr. 8 Bd. II S. 92 — 94). Letzteres ist aber nur eine
Umschreibung des allgemeinsten Begriffes der Entwickelung, und dass diesselbe
im Embryo wesentlich in zusammenhängenden, nach bestimmten Gesetzen sich
gegenseitig bedingenden und erzeugenden Formveränderuugen erfolge, konnte
bei v. Baer um so weniger zu klarem und umfassendem Ausdrucke gelangen , als
er sich von gewissen aprioristischen Vorstellungen nicht immer frei zu erhalten
wusste. So wird der „Wesenheit jedes Primitivorgans," welche sich in der
physiologischen Aufgabe der daraus hervorgehenden Körpertheile wiederspie-
gele, ein bestimmender Eimiuss auf dessen weitere morphologische Umbildung
zugeschrieben, so ferner im Grunde genommen das ganze Schema der Ent-
wickelung von dem Baue des fertigen Thieres abgeleitet (vgl. Nr. 8 II S. 57 und
flg. S. 86 und flg.), wobei die in einzelnen Theilen erkannte Uebereinstimmung
sofort auf den ganzen Körper übertragen wurde. Andererseits wurde eines
der wesentlichsten Momente der morphologischen Entwickelung, die Querglic-
derung, ganz übersehen, und das ganze Schema über die Keimschichtung hin-
aus rückwärts in seiner eigentlichen Konsequenz nicht ausgeführt. So mag uns
denn die v. Baior'scIic Darstellung über den Aufbau des Wirbelthiers vielfach
Orientiren, überall dort aber, wo uns nur die klare Einsieht in den Kausalzu-
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. 241
sammenhang der Erscheinungen den gewünschten Aufschluss gibt, bei der
Vergleich ung verschiedener Typen, bei ihrer Ableitung von einander, lässt sie
uns heutigen Tages im Stich. Bewunderungswürdig als Ausgangspunkt einer
echt wissenschaftlichen Entwicklungsgeschichte hat sie ihre Aufgabe erfüllt,
die Erkenntniss von der Bedeutung dieser Wissenschaft weithin verbreitet und
überlässt nun uns Epigonen den Ausbau dessen, was sie angebahnt. In
diesem Sinne habe ich meine bezüglichen Untersuchungen zu verwerthen ge-
sucht und fasse zur besseren Uebersicht hier noch einmal die ganze allgemeine
morphologische Entwickelung unseres Thieres kurz zusammen.
Ich erinnere zunächst an die Ergebnisse der in früheren Abschnitten dar-
gelegten Untersuchungen. Die erste Organisation des Eies begann mit einem
einzigen, einfachen physikalischen Vorgange, der unter dem Schutze günstiger
Bedingungen Bestand und Fortgang erhielt, — der radiären Diffusion oder
Endosmose. Der erste Erfolg der Entwickelung, die Einleitung der Dotterthei-
lung , entsprang einer Grössendifferenz dieser sonst gleichartigen radiären
Ströme, welche in der aus dem Eierstocke überkommenen Anordnung des Ei-
stoffes begründet war. Mit der Möglichkeit der ersten Dottertheilung war auch
ihr Fortgang gesichert-, jene fundamentale Differenz wirkte aber nicht nur durch
Vererbung in den Theilen fort, dadurch die andauernde Herstellung der erfor-
derlichen letzten morphologischen Elemente, der Zellen fördernd, sondern er-
hielt sich auch im Ganzen, in dem immer schärfer hervortretenden Gegensatze
von Keim und Nahrungsdotter. Nach den von mir angedeuteten, aus jener
Differenz entwickelten Gesetzen erfolgten die Dottertheilungen zuerst aus-
schliesslich, später vorherrschend radiär gegen einen excentrischen, dem oberen
Pole genäherten Punkt, ferner mit einer von diesem Pole gegen den unteren
hin abnehmenden Energie; die mit den Theilungen verbundenen und mit dem
Fortschritte derselben zunehmenden Verschiebungen der Dotterstücke und
Embryonalzellen mussten daher zu einer vom oberen Pole allseitig ausgehenden,
mit Bezug auf die Eikugel koncentrischen Ausdehnung der oberen Masse zu-
sammenfliessen: es entstand die Keimhöhle, die Sonderung des Keims, dessen
Ränder sich über den relativ unthätigen Nahrungsdotter hinschoben. Die sich
dabei ergebenden natürlichen Hindernisse riefen den Umschlag des Randes der
primären Keimschicht hervor, schufen die sekundäre Keimschicht. Indem
sich der ganze Keim in Folge dessen wie eine eingestülpte Blase über dem
Nahrungsdotter zusammenzog, entwickelte sich ein neuer Gegensatz in der noch
immer einfachen centrifugalen Zellenbewegung des Keims: die letztere bevor-
üoette, Eutwickeluugsgeschichte. 1"
242 IV- Die Sonderung der einzelnen Organanlagen.
zugt eine Seite des Eies in steigendem Masse , sodass dort oder im künftigen
Rückentheile ihre Wirkung, die Ausdehnung der primären Keimschicht in centri-
fugalor, der sekundären in rückläufiger Richtung, zuerst zum deutlichen Aus-
drucke kommt. Der trägeren Zellenbewegung der entgegengesetzten Bauch-
seite fehlt mit der entsprechenden Kraft die gleiche Wirkung; dagegen scheint
sich ihr in dem vom Nahrungsdotter durch die Darmhöhle vollständig getrenn-
ten Rückentheile ein leichterer Abfluss zu eröffnen, denn sie wird dorthin
abgelenkt und erzeugt darauf, von beiden Seiten des Rückens gegen ihn vor-
rückend die bekannten Axengebilde beider Keimschichten. Die Bildung des
Darmblattes hängt in der geschilderten Weise mit der Bildung des Rückens und
der Darmhöhle zusammen und gestattet durch ihre ursprünglich beschränkte
Ausdehnung, dass das in der Dotterzellenmasse gebildete Blut direkt in das
mittlere Keimblatt, diese Keimstätte alles interstitiellen Bildungsgewebes über-
trete. Sowie die Sonderung einer Rücken- und einer Bauchseite an der Keim-
blase ausgesprochen ist, kann sich die Betrachtung beinahe ausschliesslich der
ersteren zuwenden, weil in ihr die nach Zahl und Bedeutung überwiegenden ein-
zelnen Entwickelungsprocesse abspielen. Aber auch im Rücken ist gleich im
Anschlüsse an seine Bildung und in nothwendiger Folge davon ein neuer Gegen-
satz angelegt, nämlich der einer vorderen und einer hinteren Hälfte (Kopf und
Rumpf) , deren eigenthümlich verschiedenes Gepräge aus der sich immerfort
steigernden Wechselwirkung des oberen und des mittleren Keimblattes hervor-
geht. Das letztere leitet die ganze Axenbildung ein, sodass der Axenstrang,
der nach vorn abfallenden Mächtigkeit des ganzen Blattes entsprechend, nur
im Rumpfe zu einem zeitweiligen Hinderniss einer gleichen Verdickung des
oberen Keimblattes wird, welche sich daher zu beiden Seiten des Axenstranges
und unter dem Einflüsse der letzten Ausläufer der ursprünglichen centrifugalen
Zellenbewegung vom oberen Pole her auch rund um sein Vorderende anlegt.
So haben wir also im oberen Keimblatte eine nach vorn hin verbreiterte und
dort alsbald auch dickere Platte, darunter aber das in entgegengesetzter
Richtung anschwellende mittlere Keimblatt. War nun die Bildung der Axen-
platte durch den zeitlichen Vorsprung des Axenstranges von diesem abhängig,
so gewinnt doch das obere Keimblatt wegen seines längeren Bestandes und der
damit zusammenhängenden grösseren Festigung einen die übrigen Bildungen
beherrschenden Einfluss, welcher erst während des Abschlusses seiner wichtig-
sten Bildung, des Centralnervensystems , theilweise an das mittlere Keimblatt
übergeht. Dieses Verhältniss steigert jene Differenz von Kopf und Rumpf
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. 243
fortdauernd. Solange die mit der Zeilentheilung zusammenhängende Verschie-
bung in einer lockeren Schicht erfolgte, musste ihr Erfolg eine Anhäufung der
Elemente an der Grenze der Bewegung, also im Rücken sein-, sobald aber das
obere Keimblatt hautartig geworden, vermehrt es die Zellenanhäufung nicht
mehr, sondern drängt die Axenplatte bloss zusammen. Durch den Druck des
Axenstranges nach oben und andererseits der gegen ihn andrängenden Medullar-
platten wird jener innige axiale Zusammenhang beider Keimblätter herbei-
geführt, welcher es verhindert, dass die seitliche Zusammenziehung der Axen-
platte im Rumpfe zu einer entsprechenden Verdickung führe: der gegen die
Medianebene gerichtete Zellenstrom wird in die Längsrichtung abgelenkt , die
Zusammenziehung geht in eine Verlängerung der sich verschmälernden Axen-
platte über. Am Kopfende fehlt die Hauptbedingung dazu, der bilateral gegen
die Medianebene gerichtete Zellenzufluss, welcher vielmehr von einem nahezu
kreisförmigen Umfange gegen ein gemeinsames Centrum zielt. Das Kopfende
behält also zunächst seine frühere Mächtigkeit und breite, runde Gestalt. So
wurden, wie man es schon am äusseren Relief deutlich erkennt, die beiden oben
bezeichneten, anfangs nicht erheblich unterschiedenen Hälften der Axenplatte
so verschieden verwandelt, dass die vordere endlich zu einem knopfförmig auf-
getriebenen Ende der stabförmig verlängerten hinteren Hälfte wird. Aber
schon während der Einleitung dieser Sonderung hat sich aus denselben grund-
legenden Zellenbewegungen ein neuer morphologischer Vorgang entwickelt.
Dem von der sich ausdehnenden Oberhautanlage auf den Rand der Axenplatte
ausgeübten Drucke wird durch die Vertheilung der Zellenmasse in der Längs-
richtung nicht genügt, und es erfolgt die Hebung und Umrollung jenes Randes,
die Bildung der Cerebromedullarfurche und -röhre. Ihr Beginn am Kopfende
stimmt mit dem Mangel einer Verlängerung , ihr langsamer Fortgang daselbst
mit der Mächtigkeit der Hirnplatte überein. So wird die Medullarfurche zuerst
im vorderen und mittleren Rumpftheile ausgebildet, während gegen das Schwanz-
ende hin mit der Abnahme der zugehörigen Zellenmassen auch ihre Bewegungen
und deren Erfolge sich abschwächen. Indem man aber jene Furche mit vollem
Rechte einer Falte vergleicht, welche das von beiden Seiten gegen die Median-
ebene, aber zunächst nur auf einer bestimmten Strecke sich ausdehnende obere
Keimblatt nach innen schlägt, ergibt sich der ganz natürliche Schluss, dass der
mehr oder weniger eingesenkte Grund dieser Furche unter der konvexen Kugel-
oberfläche einen gestreckteren Verlauf nehmen muss. Es wird sich also die
Axenplatte gegen das Kopfende hin strecken und verlängern; dort setzt aber
16*
244 IV. Die Sonderling der einzelnen Organanlagen.
die breite Hirnplatte sowohl der Einsenkung und daher der Streckung, als
auch wie erwähnt der Verlängerung einen Widerstand, und so kommt endlich
jene Knickung nicht nur der Axenplatte, sondern des ganzen, ihr sich noch
vollständig anpassenden Rückens zu Stande, welche sich in der Folge als
eine der bedeutsamsten Veränderungen des Embryo darstellt. — Gehen wir
nun auf die Umbildungen des mittleren Keimblattes über, so ist zuerst der
Gegensatz seiner ersten dorsalen Anlage zur Axenplatte hervorzuheben, indem
es gerade nach vorn hin, wo der Rand der sekundären Keimschicht dünn aus-
wuchs und die Hirnplatte in ihrer ganzen Breite seine weitere Entwickelung
hindert, sich verschmächtigt. Die axiale Verbindung der Keimblätter bildet
nun im Rumpfe eine mediane Scheidewand, sodass der Andrang der lockeren
Seitenmassen aufwärts unter die sich erhebenden Medullarplatten abgelenkt
und dieselben aus ihrer Verbindung mit dem Axenstrange gelöst werden. So
scheint mir die Sonderung der Wirbelsaite und der Segmentplatten mit der
Umbildung der Axenplatte in den innigsten Beziehungen morphologischer An-
passung zu stehen. Aber auch die Bildung der Segmente, welche aus einer
Art querer Faltenbildung der Segmentschichten hervorgeht, lässt sich nur aus
einer Anpassung an die schon bekannten morphologischen Verhältnisse erklären.
Beim Vorrücken der Zellen aus den Seiten- in die Segmentplatten haben die nach
innen gelegenen einen kürzeren Weg bis zu der Wirbelsaite und den medialen,
später tieferen Theilen der Medullarplatten zu beschreiben, als die äusseren
Zellen, welche am schnellsten bis zur oberen Kante der Segmentplatten vor-
geschoben werden. Die ungleiche Bewegung erzeugt die Sonderung der beiden
Segmentschichten; und in Bestätigung dieser Annahme sehen wir ferner die
langsamer fortschreitende innere Schicht ihre Leistung mehr in einer Anhäu-
fung (inneres Segment, Segmentkern), die äussere in einer hautartigen Ausdeh-
nung offenbaren. Der überwiegende Seitendruck führt nun auch in den Seg-
mentschichten die Bewegung aus der queren in die Längsrichtung über; wenn
aber die sich verlängernde Axenplatte an der sie einfassenden dünnen Ober-
hautanlage keinen erheblichen Widerstand findet, andererseits auch wohl durch
ihre mediane Befestigung an Faltungen verhindert wird, so ergeben sich für die
Segmentschichten ganz andere Bedingungen. Sowohl am abgebogenen Vorder-
kopfe wie auch gegen das Schwanzende hin, wo mit der Abnahme der Bewegung
auch die Entwickelung der Segmentschichten erst später erfolgt, sind ihnen
bestimmte Schranken ihrer Flächenausdehnung in sagittaler Richtung gesetzt;
und sobald dieselbe ein gewisses Mass überschreitet, muss sie sich naturgemäss
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. 245
in Faltungen äussern. Die schon entstandenen setzen um so präcisere Wider-
stände zur Bildung neuer, sicli ihnen anschliessender Querfalten, und so erreicht
die Sonderung der Segmente sehr bald die vordere Grenze, den Vorderkopf
und setzt sich ferner in dem Masse, als die anfangs noch ziemlich angeformten
Zellenmassen der hinteren Rumpf hälfte in ihrer ganzen Umbildung sich den vor-
deren Theilen anschliessen, gegen das Schwanzende fort. Im Vorderkopfe tritt
eine Segmentirung nicht ein, weil seine abweichende Gestalt und Lage eine un-
gleichmässige Bewegung seines mittleren Keimblattes, also die Schichtung des-
selben überhaupt ausschliesst. An den fertig abgegliederten Segmenten kann von
cinerweiteren Faltung nicht die Rede sein; solange aber ihr Wachsthum von der
Seitenplatte her fortdauert, passt sich ihre weitere Umbildung den sie bedingen-
den Raumverhältnissen in der früher geschilderten Weise an. Werfen wir noch
einen Blick auf die allmählige Verschmälerung und Verlängerung des Rückens,
wovon die Segmentbildung nur eine Folgeerscheinung ist, in ihrem Verhältniss
zum ganzen Embryo, so wird eine weitere Steigerung des Gegensatzes von Kopf
undRumpf und Rücken und Bauch ersichtlich. Es ergibt sich aus dem Früheren,
dass jene Umbildung zuerst ganz auf den Rückentheil beschränkt bleibt-, der
unthätige Bauchtheil passt sich jedoch dem die Entwickelung beherrschenden
Rückentheile um so früher an, je geringer seine Masse ist, und umgekehrt, so
dass man beide Theile bald in dem Begriffe des Embryo zusammenfasst (die
meisten Batrachier), bald die grössere Masse des Bauchtheils als den sogen.
Dottersack vom Embryo unterscheidet (die meisten übrigen Wirbelthiere).
Damit hängt aufs innigste die ebenfalls nur bei den mit einem Dottersacke ver-
sehenen Wirbelthierembryonen angenommene Abschnürung des Embryo zu-
sammen. Solange die hintere Rumpfhälfte eine relativ ruhende Masse darstellt,
muss die Verschiebung in der Längsrichtung sich vorzüglich vorn äussern,
und da sie in Gemeinschaft mit der Verdickung und Abplattung des Rücken-
theils sich entwickelt, so wird dieser festeste Theil der ganzen Keimhaut in
gerader Richtung, also aus der ursprünglichen Kugeloberfläche des Eies hinaus-
geschoben, der zwischen dem Kopfende und der Dotterzellenmasse (Dottersack)
ausgespannte Keimtheil aber in der Weise mit ausgezogen , dass er von unten
und den Seiten her jenen Rückentheil zu einem aus der ursprünglichen Keim-
Oberfläche hervorragenden Blindsacke ergänzt. Diese Hervorbildung des vor-
deren Rumpfes und des Kopfes ist nach Ursachen und Wirkung bei allen Wir-
belthierembryonen dieselbe; ob jene Theile dabei gegenüber dem Dottersacke je
nach seiner Grösse abgeschnürt erscheinen oder nicht, ist offenbar nur \QYi
246 IV. Die Sonderang der einzelnen Orgauanlagen.
ganz nebensächlicher Bedeutung. In ähnlicher Weise wie der Kopf wächst
auch der Schwanz als eine vollständige Fortsetzung des Rückens hervor, nur
mit dem Unterschiede, dass die viel weniger mächtigen Anlagen des Schwanzes
nicht durch einen breiten , queren Abschluss , wie ihn der Vorderkopf vorn
bildet, an einer stetig zunehmenden Verschmächtigung und Verlängerung ge-
hindert werden.
Wie das mittlere Keimblatt sich weiter entwickelt, will ich nach den aus-
führlichen früheren Erörterungen nur ganz kurz berühren. Die wirkenden
Ursachen sind überall der mchrerwähnte seitliche Zellenandrang und die sich
zur Ausfüllung darbietenden Räume, deren wechselnde Verhältnisse vorherr-
schend von der nach den einzelnen Regionen verschiedenen Umbildung der
Axenplatte abhängen. So liefern die Verkümmerung der inneren Segmente
im Kopfe, ihre mächtigere Ausbildung im Rumpfe und Schwänze, dort die mas-
sige Anlage der äusseren Segmente und hier deren dünne Flächenausbreitung
nur den mittelbaren Ausdruck für die stärkere Ausbildung des Hirns gegenüber
dem Rückenmarke. Und die Seitenplatte wiederum kann nur dort selbststän-
dig werden , wo ihre ursprüngliche Ausdehnung sich nicht an der Bildung der
Segmente erschöpft, also nur am Rumpfe und im Herzräume nicht aber am Vor-
derkopfe und Schwänze. Ihre eigenthümliche Entwickelung entspricht ferner
ebenfalls ihrer Blätterform und dem beschränkten ihr angewiesenen Räume,
denn sie besteht wesentlich in weiteren oder engeren Faltenbildungen (Herz,
Urniere, Niere). — Noch ganz unerwähnt blieb aber bisher der Einfluss, den
die Segmentirung des mittleren Keimblattes im grossen und ganzen auf andere
Embryonalanlagen ausübt. Die Oberhaut wird von den darunterliegenden
Segmenten in entsprechender Weise zu queren Wülsten vorgewölbt {Taf. III
Fig. 53. 54, Taf. VII Fig. 121 — 123); die dazwischen einsinkenden Rinnen
verstreichen allerdings im Rumpfe früher oder später, nicht ohne jedoch in den
Organen der Seitenlinie die Spuren ihres Bestandes zu hinterlassen. Im Kopfe
erhalten sie sich aber in den Oberhautleistcn, welche mit den Schlundfalten
des Darmblattes verwachsen. Dasselbe Bild des Abdruckes der Segmente ge-
währt das Rückenmark {Taf. VII Fig. 121), und durch die Verbindung der
medialen Segmentbäuche mit den eingedrückten Stellen des ersteren (Wurzeln
der Spinalnerven) wird die Gliederung an ihm bleibend gekennzeichnet. Die
Wirbelsaite wird nun freilich von den Segmenten nicht unmittelbar beeinrlusst ;
da aber das Stammskelet, wie ich weiter unten zeigen werde, als eine auf die
Wirbelsaite stattfindende Ablagerung aufgefasst werden muss, und die knor-
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. 247
peligen Ausstrahlungen derselben (Wirbelbögen, Querfortsätze, Rippen) genau
den von den Segmenten vorgeschriebenen Bahnen folgend die Gliederung des
Knochensystems herbeiführen , so wird auch für die Wirbelsaite eine gewisse
mittelbare Theilnahmo an dem allgemeinen Theilungsprocesse nicht in Abrede
gestellt werden können. Ich komme endlich zu den Anlagen des Darmblattes.
Sowohl sein Axenstrang wie der dachförmige obere Theil der Darmanlage zei-
gen ähnlich wie das Rückenmark von den Segmenten herrührende Eindrücke,
welche Avenigstens im Kopfe Bestand gewinnen; denn ich sah die Schlund-
falten als Fortsetzungen der zwischen je zwei Segmenten entstandenen leichten
Einsenkungen sich von oben abwärts entwickeln (Taf. XVI Fig. 287).* Und
wenn schon früher die Gründe angeführt wurden für die Annahme, dass die
fünfte Schlundfalte ursprünglich in den Bereich des Rumpfes gehöre, so wird
man die Gliederung des Darmkanals um so weniger auf den Kopf beschränken,
als die Fünfzahl der Falten oder Spalten durchaus keine typische ist, sondern
bei manchen Wirbelthieren überschritten wird. Nur muss man dabei im Auge
behalten, dass wenigstens bei den Batrachiern jene für den Kopf überzähligen
Dannfalten schon während ihrer ersten Entwicklung aus dem Bereiche des
Rumpfes bis in die Schlundwand vorgeschoben werden, sodass sie zuletzt that-
sächlich in den Bestand des Kopfes eingehen. Es ist aber selbstverständlich,
dass bei der Bildung der Schlundfalten auch die zugehörigen Seitenplatten, sei
es zeitweilig oder bleibend von der Quertheilung mit betroffen werden. So sehen
wir also die Segmente , deren ganze Entwicklung unter dem bestimmenden
Einflüsse ihrer Umgebung, namentlich der Axenplatte, verlief, ihrerseits wieder
ausserordentlich vielseitig in die morphologische Bildung aller übrigen Anlagen
eingreifen. Dass aber auch diese übertragene Quergliederung den mannig-
faltigsten lokalen Abänderungen unterliegt, lässt sich ebenso wie alle früher
betrachteten Differenzen gleicbmässig angelegter Vorgänge auf eine Gesetz-
mässigkeit morphologischer Bedingungen zurückführen. So kann z. B. die
Gliederung des Stammskelets sich nicht ausprägen, sobald die sie bedingenden
Stammsegmente frühzeitig mit einander verschmelzen (Hinterkopf). — Schliess-
lich sei noch bemerkt, dass das Darmblatt wesentlich nur in seiner Eigenschaft
als blasen- oder schlauchförmiges Keimblatt in die morphologische Entwicke-
lung hineingebort, da seine weiteren Umbildungen theils blosse Anpassungen
* Remak hätte es gewiss nicht für durchaus willkürlich erklärt „die Schlundspalten
für die Grenzen von Urwirbelabtheilungen zu halten" (Nr. 40 S. 37 Anm ), wenn er eben die
„Urwirbel des Kopfes" gekannt hätte.
248 IV. Die Sonderung der einzelneu Organanlagen.
an schon besprochene morphologische Momente (Verhältniss der Schlundfalten
zu den Segmenten) sind, theils unter Mitbetheiligung einer solchen Anpassung
in den Bereich histologischer Sonderung fallen. Mit Bezug auf eine frühere
Erörterung darf über an dieser Stelle die Dotterzellenmasse oder der Nahrungs-
dotter bloss als das betrachtet werden, was er nach seiner Entwicklung in der
Thierreihe und rein morphologisch aufgefasst in der That ist, nämlich als das
zeitweilige untere Schlussstück der sekundären Keimschicht und darauf des
Darmblattes.
Angesichts dieser Skizze der morphologischen Einbryonalentwickelung,
welche durch die übrigen ausführlicheren Angaben ergänzt werden muss, wäre
der Einwurf zu gewärtigen, class meine Darstellung nur eine gewisse Korrektur
des v. BAER'schen Schemas biete, dass ich jene Primitivorgane nur genauer be-
schrieben und vielleicht um einige vermehrt habe. Dagegen muss ich nach-
drücklich hervorheben, dass Primitivorgane im Sinne v. Baek's, mögen sie that
sächlich gestaltet sein wie sie wollen , in die morphologische Entwickelungs-
geschichte eigentlich gar nicht hineingehören. Denn sobald sie in fertiger
Gestalt sich uns offenbaren, ist die bezügliche Entwickelung, der sie zum Aus-
drucke dienen sollen, abgeschlossen; sie bezeichnen daher nur das Endergebniss
derselben und mögen zur Veranschaulichung des anatomischen Baues dienen,
nicht aber zum Verständniss seiner Entstehung. Die Grundzüge der Ent-
wickelung können in gewordenen Formen nicht verzeichnet stehen, nur aus dem
lebendigen Flusse des Werdens hervorleuchten. Und soll dieses Werden des
ganzen lebendigen Organismus belauscht werden, so genügt es auch nicht, den
Entwickelungsgang bloss jedes Einzeltheils festzustellen. Denn an den Grenzen
seines Entstehens fliesst er mit anderen in ein Gemeinsames zusammen, sodass
sie alsdann nur als Entwickelungsprodukte des letzteren erscheinen. So treibt
uns die Forschung, wo sie auch in die Entwicklungsgeschichte hineingriff,
Schritt unf Schritt immer weiter zurück, bis zum ersten Anfange des uns be-
schäftigenden individuellen Lebens. Alsdann ergibt sich Aufgabe und End-
ziel unseres Forschens von selbst: alles Gewordene durch die ununterbrochene
Pieihe der Erscheinungen und Wirkungen auf die einfachsten ersten Ursachen
zurückzuführen, keine Erscheinungsreihe für sich, wie eine neue Schöpfung aus
einem indifferenten Mutterboden hervorgehen zu lassen, sondern schon in diesem
die verborgenen Keime der später hervorbrechenden Gegensätze und Son-
derlingen aufzusuchen. Nur auf solchem Wege können wir hoffen, die Grund-
gesetze der Embryonalentwickelung klar zu erfassen, und erst dann bietet sieh
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. 249
die Entscheidung, welches die bedeutsamen allgemeineren Momente sind, denen
sich das Einzelne unterordnet.
Lehrt uns eine solche Ueberlegung, dass schon am Ausgangspunkte der
Entwickelung die erste Differenz in den gesetzmässig wirkenden Ursachen ge-
funden werden müsse, so glaube ich dieses auf die Erfahrung gestützt be-
stätigen zu können. Die denkbar einfachste Bewegung der radiären Strömung
äussert sofort eine Ungleichmässigkeit ihrer Theile ; und die aus ihren Folgen
abgeleitete Konstruktion ihrer Wirksamkeit zwingt uns zur Annahme, dass die
völlige Ausgleichung der Differenz das Ende der kaum begonnenen Entwickelung
herbeiführen würde. Wenn also die Bewegung der eigentliche Grund des
weiteren Geschehens ist und bleibt, so erscheint jene gesetzmässig wirkende
Differenz als die nothwendige Bedingung, welche die Bewegung erst in die
Bahnen des lebendigen Werdens überführt. Die Wirkung jenes ersten sich
steigernden Gegensatzes sehen wir zunächst in der Spaltung der Bewegung und
ihres Substrats. Wenn also die daraus hervorgehenden letzten morpholo-
gischen Elemente, die Zellen, jene gesetzmässig bedingte und beschränkte Be-
wegung erben und dadurch zu den ausschliesslichen Trägern der selbstthätig
wirkenden Lebensursachen werden, so darf doch damit ein Gegensatz für das
Ganze des Eies, wenn es als solches fortbestehen soll, nicht aufgehoben sein;
und wieder lehrt uns die Erfahrung, dass jene erste Differenz in der bezeich-
neten Wirkung nicht aufgeht, sondern auch schon ein Motiv für eine Verschie-
denheit jener Elemente und ihrer Anordnung enthält (Embryonal- und Dotter-
zellen). Solange nun die bezeichneten Elementarbewegimgen in ihren eigent-
lichen Wirkungskreisen, den einzelnen Zellen, keine merkliche oder wesentliche
Veränderung hervorrufen, welche auf einen Wechsel in der Gesammtäusserung
des Entwickelungslebens Einfluss haben könnte, liegt der Schwerpunkt der
Entwickelung in den Gegensätzen jener ganzen Zellengruppen zu einander, d. h.
bei der relativen Gleichheit der einzelnen Elemente jeder Gruppe, in der ver-
schiedenen Gestalt und Lagerung der ganzen Gruppen, welche eben der Aus-
druck sind für die gesetzmässigen Bedingungen, unter denen allein die Summe
der in ihnen eingeschlossenen Elementarbewegungen nach aussen wirken kann.
DJeje_gesetzmässigen Formbedingungen enthalten eben auf der bezeichneten und
den folgenden Stufen das morphologische Entwickelungsgesetz ; und wir können
jetzt deutlich erkennen, in welchem Verhältniss es zu der histologischen Ent-
wickelung steht, zu den eigenthümlichen Umbildungen der letzten morpholo-
gischen Elemente. Man dürfte am Ende das Formgesetz auch auf diese be-
250 IV. Die Sonderuug der einzelnen Organanlagen.
ziehen, und von der morphologischen Entwickelung der Zelle sprechen; ja, es
sagt uns die einfachste Ueberlegung, dass ebenso wie es oben für unsere beson-
dere Entwickelungsgeschichte dargethan wurde, überimupt_bei jedem anderen
Leben ein bestimmtes Formgesetz die noth wendige Bedingung ist, unter welcher
die Bewegung eines lebensfähigen Stoffes zur Lebensäusserung wird. Es bleibt
aber ein wesentlicher Unterschied, ob wir uns gerade mit dem ganzen Organis-
mus oder einzelnen seiner Theile beschäftigen. Im letzteren Falle kann das
Formgesetz bis zu seinen letzten Grenzen verfolgt werden; im ersteren Falle
gehört es aber nur soweit in die Untersuchung als es sich in irgend einer Weise
auf den ganzen Körper bezieht. In den Bereich dieses morphologischen Ent-
wickelungsgesetzes im engeren und gewöhnlichen Sinne fielen also alle Theile,
welche nach irgend einer Richtung dem ganzen Körper angehören, sei es konti-
nuirlich, wie die Keimschichten und Primitivorgane v. Baer's, sei es als gleich-
werthige Glieder eines solchen ursprünglich kontinuirlichen Ganzen, wie die
Segmente. Wenn wir aber sehen, dass dieses morphologische Entwickelungs-
gesetz auch in die histologische Entwickelung übergreift und dort, Avenn auch
unter veränderten Bedingungen, ähnliche, mehr oder weniger verbreitete Er-
scheinungen (Wirbel) hervorruft, so müssen wir bekennen, dass eine absolute
Grenze zwischen beiden Gebieten nicht besteht. Darf man das aber überhaupt
in der Entwickelungsgeschichte erwarten, welche den Begriff allmählicher
Uebergänge einschliesst? Wie bei allen Fragen derselben genügt es auch
im vorliegenden Falle, gewisse Merkmale und Grenzen gefunden zu haben, um
die Gegensätze im allgemeinen auseinanderzuhalten. Und so können wir, nach-
dem wir das Wesen der morphologischen Entwickelung bestimmt, nach ihrem
allgemeinen Gange und ihrem Ziele fragen.
Die in den Zellen fortbestehende, während der Embryonalzeit relativ un-
veränderliche Bewegungsursache äussert sich in der fortdauernden Theilung;
zum morphologischen Ausdrucke kommt sie aber erst in der damit verbundenen,
gegenseitigen Verschiebung der Zellen. Das Wesentliche unserer Entwickelung
beruht aber in den Formbedingungen, welche die Verschiebung bestimmen,
und wenn die Entwickelung Fortgang haben soll, von gewissen Gegensätzen
ausgehend in denselben stets schon die Keime neuer enthalten müssen. Ich
hätte also an dieser Stelle gewissermassen die Entwickelung der Gegensätze
der Form zu beleuchten.
Der erste dieser Gegensätze, welcher an der einheitlichen Eikugel auftritt,
ist der von Centrum und Peripherie und offenbart sich in der Bildung der pri-
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. 251
mären K eimblas e. Diese Bildung beruht darauf, dass in nothwendiger Folge
der ersten Differenz überhaupt am Ausgangspunkte der ganzen Entwickelung
die Verschiebung nicht gleichmässig nach allen Seiten, sondern koncentrisch
erfolgt*. Aber ebenso liegt schon in jener ersten Differenz der Keim einer
weiteren Ungleichheit jener Bewegung, indem die Theilung in der oberen Ei-
hälfte energischer erfolgt, die Bewegung dort wächst. Die sich ungleichmässig
ausdehnende primäre Keimblase wird daher eine Faltung erfahren, indem ihre
trägere untere Hälfte (der Randwulst sammt der Dotterzellenmasse) von der
schneller wachsenden oberen nach innen eingestülpt wird. So entsteht als zweite
morphologische Entwickelungsstufe die Gastrula. Wenn aber die ursprüng-
liche Richtung der in Bezug auf die Eikugel koncentrischen, in Bezug auf die
Keimschichten centrifugalen Zellenbewegung für die Gastrula noch unverändert
erschien, so macht sich noch vor Vollendung jener Form eine bezügliche Aen-
derung bemerklich. Zu dem früheren polaren Gegensatze in der Energie der
Bewegung gesellt sich frühzeitig der weitere einer zwischen den Polen
liegenden Seite gegenüber der entgegengesetzten. Das Uebergewicht der Be-
wegung im Rückentheile lenkt die Zellenverschiebung des Bauchtheils gegen
den ersteren ab, sodass sie vorherrschend von zwei entgegengesetzten Seiten
her gegen die den Rückentheil halbirende Medianebene vorrückt. Damit ist
ein neuer Formgegensatz eingeleitet, dessen Endergebniss die Bevorzugung
des Rückens in der ganzen folgenden morphologischen Entwickelung ist. Bei
der Entwickelung dieser Form, welche die dorso ventrale heissen kann, wäre
zweierlei hervorzuheben. Erstens entstehen im Rücken durch den Zusammen-
stoss der beiderseitigen Bewegung unpaare, mediane Theile (Centralnervensystem,
Wirbelsaite), welche die Richtungslinie und - ebene für die symmetrische Anord-
nung der Seitentheile feststellen und damit die Hauptaxe des Körpers in den
Rücken verlegen. Ferner erhält diese dorsoaxiale Form, indem sie noch
unter der Wirkung des ursprünglichen polaren Gegensatzes der Bewegung sich
entwickelt, zu gleicher Zeit bereits das Motiv einer weiteren fundamentalen
Formumbildung, nämlich die Entgegenstellung eines Kopfes und eines in den
Schwanz auslaufenden Rumpfs (cephalote Form). — Für das Detail von der
Entwickelung der dorsoventralen Form ab verweise ich auf die oben gegebene
* Es wurde schon erläutert, wie die Ungleichheit der ersten radiären Diffusionsströme
sich derart in den nächsten Theilstücken wiederholt, dass die Theilungen anfangs aus-
schliesslich, später vorherrschend radiär zur Eikugel erfolgen. Da nun die Verschiebung
rechtwinklig zurTheilungsebene stattfindet, so muss sie, sobald sie sich zu äussern vermag,
koncentrisch zur Eikugel wirken.
252 'V. Die Sonderung der einzelnen Organanlagen.
Uebersicht und die folgenden Abschnitte, welche diejenige morphologische Ent-
wickelung der einzelnen Embryonalanlagen ausführen werden, welche ausser
dem Zusammenhange der besonderen, eingehenden Beschreibung in jener Ueber-
sicht nicht gut angedeutet werden konnte, so z. B. des Hirnes, der Seitenplatte
i Herz, Uruiere). Ueberall wird man die fortlaufende Reihe der sieh vermannig-
faltigenden Gegensätze, gleichsam den Stammbaum der morphologischen Ent-
wickelungserscheinungen verfolgen, ja, auf das Einzelne sich beschränkend,
darin die am Ganzen gewonnenen Bilder der Schichtung, Faltung, Gliederung
n. s. w., aber in ungleichmässiger Anordnung, wiederholt finden können.
Nachdem wir den Stufengang der morphologischen Entwickelung verfolgt,
erhellt es, dass ihr Ziel der fundamentale Aufbau des Thieres ist, an welchem
die spätere, vorherrschend histologische Entwickelung nichts wesentliches mehr
iiulert, dass sie mit anderen Worten denTy |>u s des Thieres feststellt. Allerdings
gerathe ich durch diese Bestimmung in Widerspruch mit der üblichen Auf-
lassung und Deutung des Typus. Ich glaube jedoch meine Ansicht vertreten
zu können. — Ich brauche es in einer Entwickelungsgeschichte nicht näher zu
begründen, wenn ich die Frage nach dem heute üblichen Begriffe des Typus so
stelle, wie entstand dieser Begriff? Indem der ordnende Geist der Menschen
die (iesanimtheit des Thierreichs je nach gemeinsamen Merkmalen in einzelne
Gruppen vertheilte, entstand jene Bezeichnung für die grössten Abtheilungen,
ohne dass man anfangs eine allen Typen gemeinsame Formel zur Bestimmung
ihres Inhalts aufstellte. Dies geschah erst, indem v. Baku den Typus auf be-
stimmte morphologische Momente der thierischen Organisation bezog, welche
er der ganzen übrigem, grösseren oder geringeren, morphologischen und histo-
logischen Ausbildung des einzelnen Organismus gegenüberstellte. Und indem
er jenes Merkmal, „das Lagerungsverhältniss der Theile", für die Wirbel thiere
schon in ihrer Entwickelung ausgesprochen fand, glaubte er die Frage gelöst,
das die Organisation und die Entwickelung gemeinsam beherrschende Princip
in seinem Schema von den Primitiv- oder Fundamentalorganen nachgewiesen
zuhaben (Nr.S I S.206 und flg.). Es lässf sich auch durchaus nicht verkennen,
welcher bedeutsame Fortschritt darin enthalten war, dass die bis dahin bloss
dem genialen Instinkte der Anatomen überlassene Bestimmung auf die unwandel-
baren, einfachen und klaren Thatsachen der Entwickelung begründet wurde.
Ja, in einem solchen allgemeinen Grundsatze wäre die für alle Zeiten einzig
richtige Entscheidung getroffen worden. Aber indem v. BabB zunächst
vom Standpunkte der vergleichenden Anatomie aus nach realen Werthen
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. 2ö3
suchte*, entging ihm die ganze Bedeutung jenes Grundsatzes: von einer hervor-
ragenden Erscheinung gefesselt, vermochteer denselben weder im ganzen noch
im einzelnen folgerecht durchzuführen. Er verstand unter „Typus" nicht das Ge- V^
sammtergebniss der morphologischen Entwickeln ng sondern nur ein beschränk-
tes anatomisches Moment, das in seinen Primitivorganen klar ausgeprägte La-
gerungsverhältniss der wichtigsten anatomischen Systeme ; die ganze übrige
morphologische Sonderung blieb vom Begriffe des Typus ausgeschlossen und
bloss dem wechselnden „Grade der Ausbildung" des Typischen unterstellt (Nr. 81
S. 207. 208). Diese Trennung und Theilung ist aber ganz willkürlich; denn er-
kannte nicht v. Baee selbst gewisse gesetzliche Erscheinungen dieser morpho-
logischen Sonderung, welche allen Wirbelthieren ebenso gemeinsam sind wie
jener „Typus"? Ich erinnere hier nur an die von v. Baku begründete Morpho-
logie des Hirnes, welche noch heute für die Bestimmung homologer Ilirntlieile
Geltung hat. Und gerade die „Variationen" solcher morphologischen Sonde-
rungen sind es doch offenbar, denen v. Baer den Begriff der „untergeordneten
Typen" entnahm (Nr. BIS. 219). Denn das Lagerungsverhältniss der Theile
kann an sich nicht abändern, ohne den Typus zu verlassen; die auf den „Grad
der Ausbildung" begründeten untergeordneten Typen können aber nach ihrem
Wesen unmöglich einem anderen Begriffe anheimfallen als der Haupttypus. Ausser-
dem wird die allgemeine Gliederung in die morphologischen Elemente (Segmente
vgl. Nr. 8 II S. 82) von v. Baku unter den Merkmalen des Wirbelthiertypus auf-
geführt (Nr. 8 I S. 211), während sie ihm in der Entwickelung unbekannt blieb.
Ergibt sich aber schon aus dem Angeführten, wie wenig sein Schema der Ent-
wickelung sich mit dem Typischen deckt, so kann man ferner im Hinblicke auf
den praktischen Werth jener Aufsüdlungen fragen, ob denn überhaupt das
Lagerungsverhältniss der Ilaupttheile des erwachsenen Thieres und seines Em-
bryo immer in voller Uebereinstimmung bleibt? Ich glaube die verneinende
Antwort nicht besser begründen zu können, als mit dem Hinweise darauf, wie
v. Baeu selbst in richtiger Konsequenz seiner Bestimmung des Typus Asterien
und Coelenteraten nicht zu trennen, die Holothurien dagegen mit den ersteren
nicht zu verbinden vermochte (Nr. 8 I S. 208).* Und wenn wir schliesslich
sein eigenes Geständniss lesen, dass er bei der mangelhaften Kenntniss von der
* Vgl. v. Baer, Beiträge zur Kenntniss der niederen Thiere VII Nova Acta Acad.
Leop. Carol. Tom. XIII. P. 2.
* Ich werde wohl noch Gelegenheit linden zum Beweise, dass die gegenwärtige Ein thei-
lung der genannten Thiere gewiss eine richtige, aher ehen darum gegenüber der noch gil-
tigen v. BAER'schen Lehre weder konsequent noch genügend begründet ist.
254 IV. Die Sonderung der einzelnen Organanlagen
Entwickelung der Thiere überhaupt die verschiedenen Typen nicht aus jenen
erkannt, sondern „nach den ausgewachsenen Thierformen aufzustellen" versucht
habe, so werden wir uns um so leichter zu der Behauptung entscnliessen, dass
er den Begriff des Typus auch für die Wirbelthiere weniger als Embryolog wie
als Anatom begründete (Nr. 8 I S. 244). Genau genommen, konnte er es auch
nicht anders. Die von ihm erst ins Leben gerufene morphologische Entwick-
lungsgeschichte (vgl. Nr. 8 I S. 163 u. flg., II S. 65 u. flg.) der Wirbelthiere bot
nur äussere Erscheinungen dar, deren Gesetzmässigkeit er nicht auf innere Ur-
sachen, sondern lediglich auf die Erfahrung zurückzuführen wusste. Jetzt
wissen wir aber, dass diese Erfahrung ungenau war in Betreff des Schemas
selbst, und unzureichend, weil z. B. die röhrenförmige Umbildung des Central-
nervensystems nach ihrer äusseren Erscheinung für die Knochenfische keine
Geltung hat. Die Gesetzmässigkeit kann daher nur im Kausalzusammenhange
und in der Stetigkeit der ersten fortwirkenden Ursachen beruhen; unzweifel-
haft waren aber sowohl die Kenntniss derselben als auch das Bedürfniss dar-
nach nur sehr ungenügend entwickelt. Sowie aber die Notwendigkeit der
bezüglichen Annahmen anerkannt wird — denn über die Hypothese kommen
wir dabei zunächst nicht hinaus — , ist auch zugleich eine gewisse Form der-
selben vorgezeichnet. Ein uniformes Kausalgesetz würde uns nur eine voll-
ständige, unabänderliche Gemeinschaft der Formen bieten, wie sie überhaupt
nicht besteht; erst die Verbindung mechanischer Notwendigkeit und innerhalb
gewisser Schranken flüssiger Formbedingungen gestattet uns, von der Grund-
lage gemeinsamer Grundformen die mannigfachsten „Variationen" abzuleiten
und dadurch die Gesammtheit der morphologischen Erscheinungen unter ein
gemeinsames Gesetz zu stellen. Allerdings muss es darnach scheinen, als ob
wir damit zugleich die Grenzen für die praktische Bestimmung des Typus ein-
büssten. Denn wenn derselbe im Grunde auf jenes Kausalgesetz bezogen wird,
von dem aber auch jede in der morphologischen Entwickelung des Individiums
auftretende Veränderung abhängig ist, so hätten wir eigentlich so viele Typen
als verschiedene Thierformen. In gewissem Sinne ist dies auch richtig ; ja wir
könnten sogar konsequenterweise von einem Typus der Organe reden. Aber
ebenso wie ich den Begriff der morphologischen Entwickelung in bestimmter
und natürlicher Weise beschränkte, freilich ohne absolute Grenze, die wir aber
auch nicht suchen, lässt sich dasselbe auch für den Typus durchführen, indem
man ihn eben nur auf jene Entwickelung bezieht. Und zwar liegt darin keine
Willkür; denn indem das in der morphologischen Entwickelung ausgedrückte
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. 255
Formgesetz, dessen Grenzen ein nicht geringes Mass verschiedener individu-
eller Ausbildung gestatten, auch aus allen Veränderungen des ausgewachsenen
Thieres — bei den Wirbelthieren durchweg, sonst in der überwiegenden Anzahl
der Arten — immer wieder hervortritt, gab es eben Veranlassung zur Aufstel-
lung der thierischen Typen. Definiren wir also den Typus als die Höhe der
morphologischen Entwickelung eines Thieres, so haben wir nicht nur ein
Mittel, allgemeinere und untergeordnete Typen natürlich zu gruppiren , sondern
auch überall dort, wo die Embryonalentwickelung mit der späteren Umbildung
nicht übereinstimmt, in den Fällen der sogenanntenRückbildung, über den mass-
gebenden Typus und endlich, wie ich später ausführen will, über den Zusammen-
hang und die Verwandtschaft der Typen eine Entscheidung zu treffen.
Die voranstellende Erörterung erscheint ganz natürlich zunächst nur als
eine gegen v. Baee gerichtete Kritik. Hinter diesem Namen steht aber auch
unsere gegenwärtige Wissenschaft, und ich will nicht läugnen, dass mein Wider-
spruch mehr dieser gilt als Demjenigen, dessen Namen sie decken soll. Denn
was v. Baer überlieferte, das hat er ganz aus eigener Kraft geschaffen, die vie-
len reifen Früchte seiner Arbeit einem noch unangebauten Boden abgerungen;
und auch an den unvollkommen gebildeten erkennt der aufmerksame Beobach-
ter die verborgenen Ansätze richtiger Fortbildung. Bisher hat man aber nur
das scheinbar Fertige beachtet und froh des leichten Besitzes es von Hand zu
Hand gegeben, bis es gleich einer abgegriffenen Münze baar des ursprünglichen
Gepräges nur noch das allgemeine Schema zeigte. Was soll uns aber dieses
Schema, was soll uns die ganze v. BAERsche Lehre, wenn ihre besten Keime
unverstanden, unberührt liegen bleiben? Und dies zu einer Zeit, wo von einer
anderen Seite dasselbe Ziel erreicht wird, zu dem uns v. Baer so viel des Weges
gebahnt hat! — Aber allerdings konnte die Fortentwickelung nicht an jene her-
vorragenden Aussprüche und Ergebnisse anknüpfen, welche man gegenwärtig
allein citirt und umschrieben findet, nicht an die rein anatomische Bestimmung
des Typus, dessen Wesen alsdann dadurch nicht verändert wird, dass sein Bild
sich im Embryo wiederfindet. Wohl aber bot v. Baer dadurch, dass er seine
„morphologische Sonderung" d. h. die weitere Ausarbeitung der Primitivorgane,
welche nicht zum Typus gehören sollte, dennoch typisch verlaufen sieht, ferner
dadurch, dass er ein Hauptmoment des WTirbelthiertypus , die Gliederung, in
seinem Schema der Entwickelung vermissen lässt, endlich durch die vielen ver-
streuten Andeutungen über die ausserordentlich frühe Begründung der indivi-
duellen Ausbildung Anhaltspunkte genug, den Zusammenhang von Typus und
250 IV. Die Sonderung der einzelnen Organaulagen.
Entwickelung weiter zu verfolgen, seine Lehre über das Schema hinaus zu immer
steigender Vollkommenheit auszubilden. Die Anfänge dazu sind aber noch
nicht zu verzeichnen.
Zum Schlüsse muss ich noch erwähnen, dass ich alle diejenigen Beobach-
tungen, auf welche ich meine allgemeinen Ergebnisse gründete, nicht nur ein-
seitig den Batrachiern entnommen, sondern grösstentheils auch an den Em-
bryonen anderer Wirbelthiere habe bestätigen können. Am Forellenembryo
habe ich die morphologische Entwickelung ohngefähr ebenso weit verfolgt wie
an den Batrachiern, am Hühnchen zum grösseren Theile; dagegen konnte die
eigentliche Embryonalentwickelung der Ringelnatter, des Maulwurfs, des Ka-
ninchens und des Schafes nur nach vereinzelten Beobachtungen konstatirt
werden. Ich kann sagen, dass ich bei allen diesen Untersuchungen eine voll-
kommene Uebereinstimmung der verschiedenen Embryonen in Bezug auf die
morphologische Entwickelung des hier insbesondere zu erwähnenden mittleren
Keimblattes, der Wirbelsaite, der Segmente und der Seitenplatten fand; und
dass wo einmal die äussere Erscheinung abweicht, wir durch die überein-
stimmende vorhergehende und nachfolgende Entwickelung gezwungen sind,
für den fehlenden äusseren Nachweis die Unzulänglichkeit unserer Unter-
suchungsmittel anzuklagen. Dies bezieht sich eigentlich nur auf die Kopf-
segmente, deren ursprüngliche Sonderung ich nur bei den Batrachiern nach-
weisen konnte; die histiologisch noch ungesonderten äusseren Kopfsegmente
habe ich schon an jungen Forellenembryonen erkannt. Mir scheint es aber
unzweifelhaft, dass die Bildungsursachen der übereinstimmenden Kopftheile
überall auch die gleichen sind, und dass auch in diesem Falle der Widerspruch
der äusseren Erscheinung sich ebenso lösen Hesse wie am Centralnervensystem
der Knochenfische und der übrigen Wirbelthiere.
Eine Kritik aller abweichenden Darstellungen über die allgemeine mor-
phologische Entwickelung der Wirbelthiere hat hier keinen Raum. Da aber
bisher nur ein einziger Embryolog, His, eine mechanische Erklärung einiger
embryonalen Umbildungen unternommen hat, so darf ich diesen Versuch nicht
mit Stillschweigen übergehen. — Zunächst bemerke ich, dass diese mechanische
Begründung weder von den ersten Grundlagen der ganzen Entwickelung des
Hühnerkeims oder überhaupt von einem konkreten Thatbestande ausgeht, noch
über gewisse Embryonalanlagen hinaus durchgeführt ist. His beginnt mit dem
2. Die Leistungen des mittleren Keimblattes. 257
fertigen Keime, dessen wechselnde Mächtigkeit Wachsthumsdifferenzen und als
deren Folge Faltungen hervorrufen soll (Nr. 109 S. 44. 45. 55. 65). Woher die
Ungleichmässigkeit des Keimes, seine Schichtung, die Bildung des Axenstreifs
stammen, erfahren wir nicht, auch nicht, welches die thatsächliche Anordnung der
Wachsthumsdifferenzen sei. Ihre Wirkungen, eben die Faltungen seien anfangs
nicht einmal gesetzmässig bestimmte sondern zufällige, und ein gewisses System
derselben entwickele sich erst allmählich. Von diesen Falten existiren nun
aber die zwei wichtigsten , die centrale Längsrinne und die centrale Querrinne,
nach meinen Untersuchungen* überhaupt nicht; die übrigen künstlich geson-
derten Hauptfalten beziehen sich auf die Abschnürung des Embryo. Ausserdem
wird aber auch von Querfalten der Medullarplatteii gesprochen, durch deren
Einfluss die Gliederung der Urwirbel erfolgen soll (Nr. 109 S. 82). Dagegen
muss ich bemerken, dass es auch beim Hühnchen gerade umgekehrt ist: die
Segmentplatten gliedern sich durch eigene Querfalten, welche an ihnen zugleich
oben und unten erscheinen, also auf einer Krümmung der ganzen Platten nicht
beruhen können, und die Medullarplatten empfangen erst nachträglich vergäng-
liche Eindrücke von den Segmenten. Im übrigen kommt die ganze Darstellung
darauf heraus, dass „organisches Wachsthum" der bereits vorhandenen Keim-
schichten durch die ihm gebotenen Formbcdingungcn, die aber nur theilweise
bezeichnet werden, die Anlagen und deren Umbildungen hervorrufe. Abgesehen
davon, dass ein bestimmtes und einheitliches, aber sich immer weiter gliederndes
Kausalgesetz His unbekannt blieb, führte er im schroffsten Gegensatze zu der
wenigstens theilweise versuchten mechanischen Erklärung so viele teleologische
Momente (Bestimmung derEntwickelung durch die spätere Funktion der Theile)
ein, dass seine ganze Arbeit das vergebliche Bemühen offenbart, die beiden
schlechterdings unverträglichen Auffassungsweisen zu vereinigen und auszu-
söhnen. Dieser ganze Versuch ist ein beredtes Zeugniss dafür, wohin eine be-
dingungslose Wiederholung der v. BAEß'schen Lehre führt. Denn alle Irr-
thümer derselben finden sich bei His wieder (animales und vegetatives Keim-
blatt, Primitivstreif, Bestimmung der Umbildung durch die „Wesenheit des
Organs"); wenn sie aber dort mehr in der Reflexion angedeutet, als in irrigen
Beobachtungen fixirt waren , wurde hier die Reflexion gar zu häufig zur Richt-
schnur der Beobachtungen.
* Ich verweise dafür auf den von mir angekündigten Aufsatz und auf die kurze Dar-
stellung von derEntwickelung des Primitivstreifs, welche ich in den Schlusshetraehtungen
des vorigen Abschnittes (IV. 1) gab.
Goe.tte, Entwickeluugsgescliichte. 1'
258 IV. Die Sonderung der einzelnen Organanlagen.
3. Die Leistungen des Darmblattes.
Historische Uebersicht der bisherigen Untersuchungen.
Da ich den Aufsatz von Carus über die Bildung des Darmkanals in den
Salamanderlarven nicht habe erhalten können, so mussjch die Nachrichten über
die Entwickelungsgeschichte des Batrachierdarmes mit Huschke beginnen.
Nach diesem Forscher verwandelt sich der ganze Dotter (Nahrungsdotter) in
den Darmkanal. Derselbe sei gleich anfangs in einer runden Blase enthalten,
welche sich mit dem ganzen Embryo streckt und dabei mit dem schmäleren
Ende an die Mundfurche, mit dem dickeren im Grunde der Aftergrube sich be-
festige (Nr. 4 S. 617).
Funk's Ansicht geht im Gegentheile dahin, dass der Darmkanal in einer
unter dem Rücken angehefteten rinnenförmigen Haut angelegt sei, welche den
Dotter (Nahrungsdotter) erst allmählich umwächst, worauf dieser , im Innern
des Darmes an einer Stelle angehäuft, sich allmählich auflöse.*
Rusconi behauptet dagegen, dass der Darm nicht aus einer Rinne entstehe,
sondern auf folgende Weise. Während der Zusammenziehung des Afters bilde
sich im Kopfe eine Höhle: die Mund- und Kiemenhöhle. Von dieser und zu-
gleich vom After aus entwickeln sich alsdann Höhlungen in die in der Mitte
liegende, unterdess länglich gewordene Dottermasse; und erst nachdem diese
Höhlungen zusammengestossen, sei ein Darmkanal gebildet (Nr. 6 S. 55).
Später gibt Rusconi von den Embryonen des Erdsalamanders an, dass die
Dottermasse nicht von den Enden her, sondern von der Mitte aus durch Auf-
lösung der Substanz ausgehöhlt werde (Nr. 3Ü S. 45).
v. Baer nähert sich wieder der Darstellung von Funk. Das vegetative
Blatt bilde nach der Ablösung vom animalischen einen gleichniässigen Sack,
„der dann, wenn der gesammte Embryo länger wird, sich auch verlängert, doch
so, dass sich zwei Enden herausziehen, ein vorderes und ein hinteres. Jenes
wird Munddarm oder zuvörderst nur Rachenhöhle, dieses Afterdarm. Obgleich
ich nicht zugeben kann, dass der After vom Anfange an offen ist, so muss ich
doch anerkennen, dass der After früher durchbricht als der Mund" (Nr. 8 II
S. 288). „Die erweiterte Mitte, welche den Vorrath von unäufgelostem Dotter
bewahrt, vertritt in einiger Hinsicht die Stelle des Dottersackes, verdient aber
* Funk, de Salamandrae terrestris vita, evolntione, formationo tractatus, 1827.
3. Die Leistungen des Darmblattes. 259
diesen Namen nicht ganz, da sich hier nie ein Darmnabel bildet." „Um diu
Zeit des Ansschlüpfens ist die Centrallinie des gesammten Speisekanals in Form
eines Kammes erhoben, und der senkrechte Durchschnitt lässt also zwei Hälften
unterscheiden" (S. 294). An derselben Stelle wird gegen Rusconi hervor-
gehoben, dass der Darm von Anfang an hohl sei und es auch bleibe. „Ich habe
die Schleimhaut des Darmes erkannt, wenn der Rücken des Embryo noch nicht
geschlossen ist, und von diesem Augenblicke an nie aus dem Auge verloren."
Die Darstellung der Bildung der Kiemenspalten findet sich bereits im vorigen
Abschnitte.
An demselben Orte wurde auch schon mitgetheilt, wie nach Reichert die
Mundhöhle entstehe. Alsdann fülle die noch übrige solide Dottermasse die
ganze Bauchhöhle aus (Nr. 22 S. 34); später erhalte sie eine äussere Haut und
werde endlich in einen Schlauch verwandelt (S. 35 u. flg.). Wie aber die Höh-
lung entstehe und wie dieselbe mit der Mundhöhle in Verbindung trete , finde
ich nirgends angegeben. — BesondereBeachtung verdient die Angabe Reichert's,
dass die innerste embryonale Darmschicht bloss die Anlage des Darmepithels
sei (S. 39).
Auch Vogt's Anschauung von der Anlage des Darmkanals wurde bereits
erwähnt. Nachdem die Bauchplatte die centrale Dottermasse oder den Dotter-
kern umwachsen, trenne sich von ihr eine besondere Haut für den Dotterkern
ab, und der auf diese Weise entstandene Sack „ist der Darm, mit seiner Peri-
toncalhülle, der erst später durch Faltungen röhrenförmig wird" (Nr. 26 S. 58).
Indem das Kopfende vom Dotterkern sich ablösend nach vorn auswächst, ent-
steht zwischen beiden die Kopfvisceralhöhle (Mund- und Schlundhöhle), in
welche der Sack des Dotterkernes später durchbreche; dasselbe geschehe am
After (S. 67. 68).
Remak hat , wie ich bei der Bildungsgeschichte der Keimblätter angab,
eine bestimmte Antwort auf die Frage nach dem Ursprung der Darmhöhle ge-
geben; aber er lehrte weiter, dass diese „primitive Nahrungshöhle" im ganzen
Rumpftheile von hinten nach vorn fortschreitend sich wieder schliesse, sodass
zuletzt nur ihr erweiterter Kopftheil, die Schlundhöhle,, und wahrscheinlich auch
die Afterhöhle bestehen bleiben (Nr. 40 S. 159). Alsdann bilde sich eine blind-
sackartige Fortsetzung der Schlundhöhle in den Drüsenkeim hinein, welche
hinter dem Herzen beginne und in der Längsaxe des ersteren bis zur Afterhöhle
vordringe. Dieser sekundäre und bleibende Nahrungskanal entstehe „durch
ein gleichförmiges Auseinanderweichen der Zellen in der ganzen Axe des Drüsen-
17*
2Gü IV. Die Sonderimg der einzelnen ürgananlagen.
keimes" (S. 160). Das Darmdrüsenblatt wie der ganze Drüsenkeim (Darmblatt
und Nahrungsdotter) sollen sich in das Darmepithel verwandeln (S. 159.. 160).
In meinem Aufsätze (Nr. 04 S. 110 u. flg.) habe ich die Beständigkeit der
Rusconi' sehen Höhle oder der primitiven Nahrungshöhle Remak's und ihre
Umbildung in den bleibenden Darmkanal angegeben.
v. Bambecke schliesst sich durchaus an Remak an und glaubt, dass der
Verschluss der primitiven Nahrungshöhle dadurch entstehe, dass bei der
Streckung des Embryo der konvex gekrümmte Bücken mit dem Darmdrüsen-
blatte sich dem Drüsenkeime nähere (Nr. Go S. 55. 50).
Ich habe in einem früheren Abschnitte ausgeführt, wie die embryonale
Darmhöhle entsteht und wie im Bereiche derselben das Darmblatt sich von der
sekundären Keimschicht ablöst (Taf. II Fig. 30—34, Tuf. III Fig. 55—57).
Durch diesen Ursprung beweist es eben seine Zugehörigkeit zu den übrigen
Keimblättern, obgleich es gleich darauf mit der Dotterzellenmasse an den Be-
rührungsstellen vollkommen verschmilzt. Der nächste Grund dieser Verbin-
dung ist, wie mir scheint, kein anderer, als dass die Darmblattzellen bei ihrer
relativen Unthätigkeit sich ihrem Wesen nach in demselben Masse den Dotter-
zellen nähern, als sie sich von den umgebenden Elementen entfernen, welche
Ami der raschen Entwickelung der betreffenden Anlagen sich andauernd ver-
ändern. Bei dieser Uebereinstimmung in der Beschaffenheit des Darmblattes
und der Dotterzellenmasse kann natürlich von einer ganz bestimmten Grenze
zwischen beiden nicht die Bede sein : ob in dem Grenzbezirke die einzelne Zelle
sich dem einen oder anderen Theile anschliesst, hängt ganz gewiss von zufälligen
Umständen ab. Doch gestattet die Kenntniss der weiteren Entwickelung die
fernere Unterscheidung jener beiden Zellengruppen und die Annahme, dass ihre
Grenze ohngefähr dem Uebergange des blattartigen Gefüges in die kompakte
Masse entspreche. Man darf also sagen, dass, sowie die Darmhöhle anfangs
in gleicher Weite und parallel der Eioberfläche sich unter dem Rücken hinzieht,
auch das Darmblatt von hinten nach vorn eine gleichmässige Ausbreitung
besitzt. Es bildet auf diese Weise die sphärische Decke eines Hohlraumes,
dessen von der Dotterzellenmasse gebildeter Boden der Deckenwölbung ohn-
gefähr entsprechend konvex vorragt. Diese Anschauung muss sich aber ver-
ändern, sobald mit den- Entwickelung der Axenplatte die bleibende Riehtungs-
3. Die Leistungen des Darmblattes. 2<il
linie des ganzen Körpers und ihre bestimmten Enden gegeben sind. Denn es
wird daraus ersichtlich, dass der Darmraum und das Darmblatt, so lange
man ihren Verlauf nach der Oberfläche der Keimblase bemisst, eigentlich über
das spätere Kopfende hinausreichen, dass aber diese Verlaufsbestimmung
durch die Ausbildung des Rückens ihren Werth verliert, indem nämlich da-
durch dem vorgeschobenen Stücke die Aufgabe zufällt , auch den ventralen
Abschluss des mit dem dorsalen Kopftheile hervorwachsenden Darmraumes zu
bilden, wodurch die Dotterzellenmasse von der Begrenzung desselben ausge-
schlossen wird (Taf. II Fig. 33 — 38). Es ergibt sich daraus ganz deutlich,
wie jede Richtungsbestimmung der embryonalen Anlagen vom Rückentheile
abhängt, sodass er schon in der gleichmässig verlaufenden Decke des ursprüng-
lichen Darmraumes einen dorsalen und einen ventralen Abschnitt scheidet.
Jenen vom Anfang an vom Darmblatte allein umschlossenen Darmraum
nenne ich den Vorder dann; der sich dahinter anschliessende Abschnitt ist
der Mittel darin. Die Grenze beider Darmtheile ist aber anfangs nur an der
Bauchseite abgesteckt, nämlich durch das Vorderende der Dotterzellenmasse,
an dessen Fusse durch das sich eng anschliessende Darmblatt eine Tasche
gebildet wird — die Anlage der Leber. Die seitliche und dorsale Grenze des
Vorderdarmes kann man mit Rücksicht auf die spätere Entwickelung dicht
hinter der hinteren Kopfgrenze annehmen und daher den ganzen Vorderdarm,
wie es schon beim Kopfe ausgeführt wurde , anfangs als ein ausserordentlich
flaches Gewölbe ansehen, welches während des Hervorwachsens des Vorder-
körpers sich an seiner Basis zusammenzieht, gegen den Scheitel aber, der mit
dem Vorderende des Kopfes zusammenfällt, so ausstülpt, dass die ursprünglich
geringe Höhe des Gewölbes zur Axe des daraus hervorgehenden Blindsackes
wird. Dass aber das betreffende Darmblattstück zur Auskleidung des hervor-
wachsenden Vorderdarms nicht ausreicht, daher vom Mitteldarme her ergänzt
werden muss, erhellt schon daraus, dass das anfangs so bedeutende Ueber-
gewicht des Mitteldarmes über den Vorderdarm allmählich zu Gunsten des
letzteren abnimmt. Dabei ergibt sich aus dem Vergleiche verschiedener Me-
diandurchschnitte, dass die Zunahme des den Vorderdarm auskleidenden Darm-
blattes in Uebereinstimmung mit den früher geschilderten Vorgängen beim
Hervorwachsen des Vorderkörpers keine gleichmässige sein kann. Die Ver-
längerung geht vom Rücken aus und bleibt in demselben überwiegend, sodass
die Seiten- und Bauchtheile sich ihr nur nachträglich und langsamer anschliessen.
Ferner nimmt der vordere Rückentheil in dem flachen Kugelsegment, welches
2ß2 IV- Die Sonderung der einzelneu Organanlagen.
die ursprüngliche Anlage des Verderkörpers darstellt, nur einen kleinen, peri-
pherischen Kreisausschnitt ein , während die späteren lateralen und ventralen
Theile den bei weitem grössten Theil der Scheibe umfassen. Unter Berücksich-
tigung dieser Verhältnisse ist es verständlich, dass die Verlängerung des hervor-
wachsenden Vorderkörpers wesentlich den Rückentheil betrifft, der Bauchtheil
dagegen bei viel geringerer Verlängerung eigentlich nur umgelegt oder um-
geschlagen wird, sodass für den ganzen Vorgang der Ausdruck einer Umrollung
oder Faltung des Rückentheils (ähnlich dem Vorgange bei der Erhebung der
Rückenwülste) richtiger erscheint als der einer gleichmässigen Ausstülpung
eines Blindsackes. Als Folge davon ergibt sich, dass, wenn das zusammen-
hängende Darmblatt am Rücken stärker hervorgezogen wird, als es in den
zunächst anstossenden Seitentheilen nöthig ist, in diesen quere Faltungen ent-
stellen müssen: Die letzteren sind nun in der That in den Schlundfalten zu
linden (Taf. III Fig. 77, Taf. VI Fig. 100- 102. 106. 107, Taf. VII Fig.
123 -125, Taf XIV Fig. 247. 24s. 254). Die erste Schlundfalte fällt mit
der Abbiegung des Vorderkopfes zusammen und setzt ebenso wie jede weitere
neu entstandene den fixen Widerstand, welcher die von hinten her wachsende;
Flächenausdehnung in rückwärts sich fortsetzenden Falten sich äussern lässt.
Dabei passen sie sich anfangs den äusseren Segmenten des Hinterkopfes an;
das vierte äussere Kopfsegment verliert aber durch seine Abplattung das be-
stimmende Relief, sodass die vierte und fünfte Schlundfalte in den Bereich dieses
einen Segmentes fallen und es in drei Stränge spalten. Abwärts werden die
Schlundfalten durch die Bildung des Perikardialraumes aufgehalten und be-
schränkt, welcher den Bauchtheil des Darmblattes in einer Flucht in die Höhe
hebt (Taf. II Fig. 37. 38, Taf. XVI Fig. 292). Diese Hebung oder die Bildung
der von mir so genannten Grenzfalte erfolgt unmittelbar vor dem Blindsacke
der Leberanlage und reicht vorn bis zu der Stelle, wo das Darmblatt mit dem
oberen Keimblatte in der Medianebene verschmolzen ist. Die eigentümliche
Lage der Grenzfalte, deren vorderer Abhang beinahe horizontal verläuft, ver-
engt die vordere Hälfte des Vorderdarmes, den Kopf darin, welcher anfangs
gleich dem ganzen Abschnitte hinten breiter war als vorn, zu einer gleichmässigen
Weite ; und der dadurch steil gehobene hintere Abhang der Grenzfalte vertieft
wiederum die Leberanlage, welche alsdann auch durch die gerade vordere
Wand der Dotterzellcnmasse vom Mitteldarme genauer gesondert wird, sodass
der darüber liegende hintere Abschnitt des Vorderdarmes, der Vordarm,
als ein besonderes, freilich noch sehr kurzes Verbindungsstück zwischen Kopf-
3. Die Leistungen des Darmblattes. 2(Jo
und Mittel darin erscheint. So sehen wir also die Umbildungen des Darmblattes
im Vorderdarme in vollständigem Anschlüsse an diejenigen der beiden anderen
Keimblätter erfolgen, ohne dass man dabei wie bei der ersten Entstehung der
Rückenanlagen Veranlassung fände, jene Umbildungen in erster Linie einer
aktiven Theilnahme der Darmblattzellen durch selbsterzeugte Verschiebungen
zuzuschreiben. Natürlich fehlt eine solche Thätigkeit des Darmblattes nicht
ganz ; ihre geringe Energie erhellt aber schon aus der relativ unbedeutenden
Verkleinerung der Darmblattzellen, welche erst später ganz augenscheinlich
wird.
Der Mitteldarm reicht so weit als die Dotterzellenmasse, d. h. bis nahe an
die RusooNi'sche Oeflhung. Da aber deren Randwulst durch die kreisförmige
RuscoNi'sche Spalte rundum von der Dotterzellenmasse abgelöst wurde, so
bleibt der ventrale Theil dieser vertieften Spalte, während der dorsale sich zum
ganzen Darmraume erweitert, als eine Tasche zurück, welche aus dem Entstücke
des letzteren sich zwischen die Dotterzellenmasse und den Randwulst schiebt.
Am Hinterende des Mitteldarmes bildet sich also ein ähnlicher kurzer, nach
unten taschenförmig vertiefter Darmabschnitt aus, wie er vorn im Vorderdarme
besteht; ich nenne ihn den Hinterdarm. Aus seinem oberen Theile wird in
der früher geschilderten Weise durch den hervorwachsenden Schwanz der
Schwanzdarm ausgezogen {Taf. II Fig. 37. 38). Die weitere Untersuchung
dieser Darmabschnitte hat mit dem wichtigsten , dem Mitteldarme anzufangen.
Er umfasst den grössten Theil der ursprünglichen Darmhöhle und hat anfangs
eine weite, in Folge des auch in der Querrichtung konvexen Bodens halbmond-
förmige Lichtung (Taf. III Fig. 57. 58. 62). Diese verändert sich im nächsten
Verlaufe der Entwickelung in ganz auffallender Weise {Taf. IV — VII). Die
Abplattung und Einsenkung des Rückens muss ihn natürlich der Dotterzellen-
masse nähern, die Höhle des Mitteldarmes also ebenfalls von oben her abplatten;
die gleichzeitig sich entwickelnde seitliche Zusammenziehung und Verlängerung
des Rückens äussert sich in der darunterliegenden Darmlichtung in ähnlicher
Weise: indem die Dotterzellenmasse sich jener Veränderung anpasst, muss die
Darmlichtung überhaupt an Umfang verlieren, was sich auch in rasch steigendem
Masse offenbart. Für ihre Formveränderungen ist besonders zu beachten,
dass das Darmblatt längs der Wirbelsaite mit derselben innig verbunden bleibt.
Wenn nun die in die Höhe und alsbald auch abwärts wachsenden Segmente die
vom Darmblatte gebildete Decke des Mitteldarmes von den Seiten zusammen-
pressen, wird es in der Medianebene dachrfömig gebrochen {Taf. V Fig. 93. 94).
2( ! | IV. Die Sonderung der einzelneu Organanlagen.
Der obere riimenförmige Theil der Höhle heisst die Darmrinne. Es ist klar,
dass mit dem Fortschritte aller jener die Darmhöhle beeinflussenden Umbildungen
des Rückens und der sich ihm zunächst anschliessenden Seitentheile die Lichtung
immer kleiner wird, ihre seitlichen Buchten endlich ganz schwinden, und
darauf bei immer steilerer Aufrichtung der beiden Dachhälften der untere Theil
der Höhle mit der Darmrinne zu einem engen Kanäle zusammenfliesst, an dessen
Seiten das verdickte Darmblatt ganz allmählich und unmerklich in die Dotter-
zellenmasse übergeht (Taf. VII Fig. 137 — 139). Die während dieser Zu-
sammenziehung wechselnden Formen der Lichtung — herzförmig, dreieckig,
aufrecht spaltförmig, rundlich - - mögen in den Abbildungen verfolgt werden ;
sie haben keine andere Bedeutung als der Ausdruck zu sein für den fortgesetzten
Seitendruck auf die oben der Länge nach angeheftete Decke und den dicken
Boden des Mitteldarmes. Zuletzt wird der Kanal so eng, dass er nur auf sehr
reinen Durchschnitten zu erkennen und wohl desshalb bisher übersehen worden
ist {Taf. XX Fig. 362). An beiden Enden des Mitteldarmes erweitert er sich
abwärts einerseits in den Blindsack des Vordarmes andererseits des Hinter-
darmes (Leberanlage — Afterdarm).
Wenn man die bezeichnete Umbildung des Mitteldarmes verfolgt und etwa
Querdurchschnitte der ersten und der letzten Form neben einander stellt, so
dürfte bei der Wahrnehmung von der ausserordentlichen Abnahme seiner
Lichtung die Frage sich aufdrängen, wo denn die Masse des ursprünglich breiten
I hirmblattes geblieben und wo fernerhin seine Grenze gegen die Dotterzellen-
niasse zu suchen sei. Darauf ist einmal auf die allgemeine Verlängerung des
Darmes hinzuweisen, wobei in ähnlicher Weise wie am Rücken die Zellenmassen
uns der Breite in die Länge verschoben werden. Davon wird der Mitteldarm
noch stärker als die übrigen Abschnitte betroffen, da er von seinem ursprüng-
lichen Antheile am Darmblatte sowohl in den Vorderdarm wie auch zur Bildung
des Schwanzdarmes Theile abgeben muss. Immerhin würden alle diese Gründe
nicht genügen, um das Missverhältniss in der Masse der Decke des Mittel darmes
am Anlange und am Ende seiner bezüglichen Umbildung zu erklären. Daher
muss ich annehmen, dass die Ränder des Darmblattes späterhin nicht dort zu
suchen sind, wo es an die Dotterzellenmasse stösst, sondern weiter abwärts,
dass es mit anderen Worten nicht mehr bloss die Decke der Darmhöhle bildet,
vielmehr angefangen hat jene Masse oder den Nahrungsdotter zu umwachsen.
Diese Annahme findet nun an den Enden des Mitteldarmes ihre klare Bestä-
tigung. Das Darmblatt nimmt an der Umwandlung des ganzen Darmraumes
;j. Diu Leistungen des Darmblattes. 2(if>
offenbai einen viel intensiveren Antlieil als der Nahrungsdotter, welcher dadurch
nur einfach verlängert wird. In Folge der Verschiebungen und des damit ver-
bundenen Seitendruckes nehmen daher die Zellen der freiliegenden Darmblatt-
theile überall eine längliche, cylindrische oder keilförmige Gestalt an, während
die weniger bewegten Dotterzellen in ihrer Masse rundlich bleiben (Taf. IV
bis VIT). Jene Cylinderzellen des Darmblattes sehen wir nun am Vordarme
und am Hinterdarme in den Bereich der Dotterzellenmasse vorrücken und die
Darmlichtung vollständig umwachsen, wobei sie sich in einer einfachen Schicht
von der Dotterzellenmasse ablösen {Taf. XIV Fig. 249. 250. 253. 256, Taf.
XVII Fig. 313, Taf. XXI Fig. 372). Diese Trennung erscheint ebenso als
nothwendige Folge des Vorübergleitens der Darmblattzellen an der Dotter-
zellenmasse*, wie sie andererseits dasselbe voraussetzt; denn die Annahme,
dass die jene Lichtung begrenzenden Dotterzellen sich ohne nachweisbare Ver-
anlassung den Darmblattzellen angepasst und darauf von den übrigen abgeson-
dert hätten, diese Annahme würde zu jenen „lokalen DifFerenzirungen" gehören,
welche im Grunde genommen eine inhaltlose Umschreibung einer Erscheinung
sind. Natürlich lege ich aber hierbei, wie ich schon im Eingange dieser Be-
schreibung bemerkte, auf die einzelne Zelle kein Gewicht, sodass eine solche
ebensowohl aus der Dotterzellenmasse in die Bewegung und damit in den
Bestand des Darmblattes aufgenommen , als gelegentlich aus dem letzteren
ausgestossen werden kann, um dann der relativ ruhenden Dotterzellenmasse
und ihren Schicksalen anheimzufallen. In dieser Weise wird also zuerst der
Blindsack und dann auch der obere Theil des Vordarmes von unten auf ganz
vom Darmblatte umwachsen und von der dahinter liegenden Dotterzellenmasse
getrennt, ebenso aber auch der Hinterdarm nach vorn zu gegen dasselbe ab-
geschnürt {Taf. XIII Fig. 241, Taf. XXI Fig. 372. 377). Dass diese Ent-
wicklung des Darmblattes im Gegensatze zu den früheren Umbildungen auf
einer selbstthätigen Flächenausbreitung desselben beruhe, erhellt schon aus
der gleichzeitigen Entwickelung der aus den betreffenden Darmabschnitten
hervorsprossenden Organe (Leber, Bauchspeicheldrüse, Harnblase); denn diese
Entwickelung erscheint freilich durch die umgebenden Theile bedingt, nicht
aber durch dieselben veranlasst. Wenn wir nun jene Abschnürung weiterhin
von beiden Enden her gegen die Mitte des Mitteldarmes fortschreiten sehen, so
* Ich verweise hierbei auf meine Erklärung von der ähnlichen Sonderling der sekun-
dären Keimschicht.
266 IV. Die Sonderung der einzelnen Organanlagen
wäre es willkürlich dafür andere Ursachen anzunehmen als diejenigen, welche
sich für die Endabschnitte als die wahrscheinlichsten ergaben. Und in der
That finden wir, dass die Cylinderzellen auch am ganzen Mitteldarme bis
in die Masse der Dotterzellen hinab reichen; wenn aber die Abschnürung in der
Mitte des Mitteldarmes nicht erfolgt, so darf es uns ein Zeichen sein, dass jene
Zellen weder so schnell noch so weit vorrücken wie an der Grenze der anstossen-
den Darmtheile , also die Dotterzellenmasse von dem Umfange der Lichtung
nicht ausschliessen. Während nun die vorderen und hinteren Darmabschnitte
sich vom Nahrungsdotter abzuschnüren beginnen, wird an seiner Oberfläche
das embryonale Blut gebildet und in das anliegende mittlere Keimblatt
(Visceralblatt) abgeführt (Taf. XIV Fig. 264. 265, Taf. XXI Fig. 372. 377).
Wird schon dadurch die Masse des Nahrungsdotters reducirt, so geschieht es
noch viel mehr durch die bald ersichtliche Auflösung seiner centralen Theile:
die Zwischenräume der Zellen vergrössern sich zu unregelmässigen Lücken,
diese fliessen theilweise zusammen und enthalten einzelne freie Zellen, deren
zerfressenes Aussehen ihren Zerfall andeutet {Taf. XX Fig. 361, Taf. XXI
Fig. 373). Diese Auflösung nähert sich aber sehr bald der Darmlichtung,
sodass diese endlich mit dem dadurch geschaffenen Räume zusammenfliesst.
"Während so der Nahrungsdotter dem gänzlichen Schwunde entgegengefahrt
wird und dadurch zur Vergrösserung der Darmhöhle beiträgt, verbreitet sich
die Lage der cylindrischen Zellen längs des anliegenden Visceralblattes über
die Reste des Nahrungsdotters, welche auf diese Weise in das Innere des Darm-
blattschlauches aufgenommen werden. So wird also die Darmhöhle endlich
vollständig vom Darmblatte ausgekleidet, dieses in einen ganz geschlossenen
Sack verwandelt, welcher in seiner Mitte die Reste des Nahrungsdotters um-
schliesst und später vorn und hinten in Mund und After nach aussen durch-
bricht. In der weiteren Entwickelung wird diese innerste und ursprüngliche
Auskleidung der Darmhöhle zum Darm epithel.
Zum Schlüsse dieser Beschreibung der allgemeinen Umbildungen des Darm-
blattes fasse ich die wichtigsten Ergebnisse kurz zusammen. Es entwickelt
sich an der inneren, unteren Fläche der sekundären Keimschicht, soweit die-
selbe von der Dotterzellenmasse durch die embryonale Darmhöhle getrennt wird,
bildet also die Decke dieser Höhle und ruht mit seinem Rande auf dem Boden
der letzteren oder eben aul der Dotterzellenmasse. Die Darmanlage* der Ba-
Man kann das Darmblatt als Anlage des wesentlichsten Darmtheilcs, nämlich des
3. Die Leistungen des Darmblattes. 2li7
trachier ist also anfangs einem Segmente einer Hohlkugel zu vergleichen.
Indem aber ein mittlerer Theil derselben nach zwei entgegengesetzten geraden
Richtungen hervorgezogen wird, entstehen an beiden Enden dieser Bewegung
blindsackartige Ausstülpungen (Kopf- und Schwanzdarm) . Am Vorderende wird
das es im Halbkreise umgebende Darmblattstück in die Bauch- und Seitentheile
der Ausstülpung umgeschlagen , und die vorherrschend im Rücken sich offen-
barende Flächenausdehnung ruft daher in den anstossenden Seitentheilen,
welche eine gleiche Ausdehnung nicht bedürfen, die queren Schlundfalten her-
vor. Am Darmblatte des Schwanzdarmes , welcher nicht in dieser Weise vor-
geschoben, sondern an dem am Rückenmarksende befestigten Zipfel allmählich
und gleichmässig hervorgezogen wird, fehlt aus diesem Grunde und wohl schon
wegen der engen Röhre jede Faltung. Ausserdem wurde der Mitteltheil des Darin
blattes von beiden Seiten zu einer abwärts gegen die Dotterzellenmasse offenen
Rinne umgebildet, deren Randöffnung durch die eingefügte Dotterzellenmasse
verschlossen wird. Alle diese Umbildungen erfolgen unter dem unmittelbar
bewegenden Einflüsse der übrigen Keimblätter. Weiterhin äussert sich aber
die eigene Thätigkeit des Darmblattes darin, dass es jene Blindsäcke noch weiter
von der Dotterzellenmasse abschnürt und zuletzt von den Rändern der offenen
Mitteldarmrinne aus jene Masse umwächst und endlich in den vollkommen ge-
schlossenen Darmsack aufnimmt. — Ich brauche nicht näher zu erörtern , wie
diese Entwickelung des Darmblattes der Batrachier mit derjenigen des Hühn-
chens übereinstimmt; aus meiner Beschreibung wird man diesen allbekannten
Entwicklungsgang wiedererkannt haben. Eines nur soll hier hervorgehoben
werden. Die Entstehung des Kopfdarms sollte nach meiner Ansicht auch bei
den Embryonen der Amnioten als ein in Bezug auf das Darmblatt passiver
Vorgang nicht derjenigen des Hinterdarms gegenübergestellt werden, sondern
nur derjenigen des Schwanzdarms, welcher allerdings bisher noch nicht bekannt
war, aber nachdem ich ihn auch am Forellenembryo erkannte, sich wahrschein-
lich auch bei anderen Wirbelthieren finden dürfte. Wenn man aber abgesehen
von der äusseren Erscheinung nur nach den Bildungsursachen urtheilt, so er-
scheint die Abschnürung des Vor- und des Hinterdarms, welche zugleich auch
alle wesentlichen Abschnürungsorgane des Darmkanals erzeugen, als ein gleich-
artiger Vorgang.— Im Forellenembryo ist die Entwickelung des Darmblattes im
Epithels, schlechtweg als Darmanlage bezeichnen, soAvie man von den Hirn-, Rückenmarks-
und Sinnesanlagen spricht , welche gleichfalls nur die essentiellen Theile der betreifenden
Organe enthalten.
'.>i;s IV. Die Sonderung der einzelnen Organanlagen.
wesentlichen dieselbe wie bei den genannten Thieren. Nur ist bei der anfäng-
lich geringen Abschnürung des Vorderkörpers der ursprüngliche vordere Um-
schlag ein sehr beschränkter und muss die seitliche Umwachsung der Darm-
lichtung durch das Darmblatt viel weiter vorn beginnen als beim Hühnchen,
wo sie auch schon vor der Leberanlage anzufangen scheint. Auch ist die äussere
Erscheinung insofern eine abweichende, als die Decke der embryonalen Darm-
höhle nicht gewölbt ist, sondern durch den tief eingesenkten Rückentheil konvex
in den Nahrungsdotter eingedrückt wird, sodass die ganze Darmhöhle nur in
einer Spalte angelegt ist. Die seitliche Umwachsung wird also jederseits an
dem höheren Seitentheile des Darmblattes in einer enggeschlossenen (Vorder-
darm) oder flachen Längsfalte (Mitteldarm) beginnen, welche sich abwärts und
einwärts gegen die Medianebene vorschiebt, um dort mit der anderseitigen zu
verwachsen. Am Hinterdarme ist dagegen die Abschnürung sehr deutlich,
und seine weit offene, blasenförmige Höhle hat offenbar Ktjpffer die Deutung
dieses Darmtheils als einer Allantois nahegelegt (Nr. 105 S. 67 — 70). Oellacher
hat diesen blasenförmigen Hinterdarm ebensowenig wie dessen Fortsetzung in
den Schwanzdarm gekannt; auch die Spalten zwischen den gefalteten Darm-
blatttheilen hat er übersehen und daher irrigerweise die Darmanlage in allen
Körperregionen als eine solide Masse beschrieben, welche sich erst verhältniss-
mässig spät im Innern aushöhle (Nr. 107 S. 70. 73). Die Veranlassung zur
Bildung der Schlundfalten ist im Forellenembryo ebenfalls mit anderen äusseren
Erscheinungen verbunden als bei den Batrachiern und Amnioten. Sie entwickeln
sich, bevor der Vorderkörper frei geworden ist, und es könnte somit scheinen,
als wäre die von mir angeführte Bildungsursache dort nicht vorhanden. Aber
der Forellenembryo führt eist zur Zeit der Bildung seiner Schlundfalten' die
Umbiegung der vorderen Hirnhälfte und der ihr unten angeschmiegten Theile,
also auch des medialen Darmblatttheils aus, wobei der letztere der zur starken
Biegung nöthigen Ausdehnung allein ausgesetzt ist und daher auch ohne die
äussere Abschnürimg des ganzen Vorderkörpers dieselben Ursachen der Schlund-
faltenbüdung hervorruft, welche ich bei den Batrachiern erwähnte.
Wenn ich nun auf Grund meiner eigenen Beobachtungen konstatiren kann,
dass der Darmkanal bei den Batrachiern und Knochenfischen nicht nach der
äusseren Erscheinung, aber nach den Bildungsursachen, ihren Wechselwirkungen
und endlichen Erfolgen durchaus ebenso sich entwickeln, wie es beim Hühnchen
schon lange bekannt war, so ist doch eine solche Uebereinstiniinung gerade für
die Batrachier von allen neueren Embryologen in Abrede gestellt worden. — ■
3. Die Leistungen des Dannblattes. V(3'J
Remak war der erste, welcher den Ursprung der Darmhöhle richtig angab.
Indem er aber dieselbe zum grössten Theile wieder vergehen liess, kam er auf
den Irrthum Rusconi's zurück: die Dotterzellenmasse, der „Drüsenkeim", sollte
bloss ein verdickter Darmblattth eil sein und sich von innen aushöhlen. Daher ver-
liert auch die Angabe Remak's ebenso wie diejenige Reichekt's über die Epithel-
natur der späteren innersten Darmschicht ihre volle Bedeutung ; denn es wurde
dabei die Kontinuität zwischen dieser Schicht und der ursprünglichen blatt-
artigen Anlage aufgegeben. Die einzigen zutreffenden Darstellungen über die
morphologische Umbildung des Darmblattes finden wir nur in der älteren Zeit.
Nachdem schon Funk das Auswachsen einer rinnenförmigen Darmanlage rund
um einen Nahrungsdotter in den gröbsten Zügen richtig angegeben, wurde diese
Beobachtung von v. Baeb durchaus bestätigt. Und meine eigenen Unter-
suchungen geben eigentlich nur die nähere Ausführung und Begründung jener
Angaben. Denn es ist die Dotterzellenmasse, wie ich es schon auseinander-
gesetzt habe, nichts anderes als ein bloss vollständig zerklüfteter Nahrungsdotter:
er erzeugt das Blut und zerfällt, in den Darm aufgenommen; zu einer breiigen
Masse, welche unzweifelhaft die erste Nahrung des Embryo darstellt. Audi
die Bildung der Schlundfalten ist zuerst von v. Baee sorgfältig untersucht und
die Zahl derselben richtig angegeben worden.
Noch auf einen Punkt bei dem Vergleiche der verschiedenen Embryonen
möchte ich aufmerksam machen. Es ist ganz allgemein üblich, den Raum
zwischen dem Darmblatte und dem Nahrungsdotter, den mau an Batrachier-
embryonen als Darmhöhle gelten lässt, bei den übrigen Wirbelthieren als Keim-
höhle (Furchungshöhle) zu bezeichnen. Dies rührt offenbar daher, dass man
die Substituirung der ursprünglichen und eigentlichen Keimhöhle durch die
Darmhöhle, welcher Vorgang bei den Batrachiern seit Remak's Untersuchungen
bekannt geworden ist, am Hühnchen bisher nicht erkannt hat. Wenn man
aber einmal die ganze Bedeutuug des fertig geschichteten Keims als einer den
Nahrungsdotter uniwachsenden Gastrula bei allen Wirbelthieren richtig erfasst
hat, so darf man wohl auch nicht in den Namen mehr die Verwechselung der
Centralhöhle der primären Keimblase (Furchungs-, Keimhöhle) mit dem Innen-
raume der Gastrula (Darmhöhle) zulassen.
Schliesslich habe ich noch eine Bildung des Darmblattes zu erwähnen,
welche wegen der unscheinbaren Rolle, die sie unter den allgemeinen Entwickc-
lungsvorgängen des Embryo spielt, bisher kaum erwähnt wurde - ich meine
den Axenstrang des Darmbla ttes (vgl. Nr. 04 S. 99. 115). Ich bemerkte
270 IV. Die Spnderung der einzelnen Organanlagen.
bereits in der voranstehenden Beschreibung, dass die Dachforin des Darmblattes
daher rühre, dass es in der Medianebene von der Wirbelsaite festgehalten werde,
während die Seiten hinabgedrückt würden. Da nun sowohl der Zug nach unten
als der Zusammenhang mit der Wirbelsaite fortdauern , tritt endlich eine Kon-
tinuitätstrennung ein , indem die obere Kante des Darmblattes sich von der
übrigen Masse des Blattes löst und als rundlicher Strang an der Wirbelsaite
hängen bleibt {Taf. VII Fig. 138. 139). Diese Bildung vollzieht sich in der
ganzen Länge des Darmblattes ohngefähr von der Mitte des Vorderdarms an
bis zum Ende des Schwanzdarms {Taf. XIII Flg. 235-245, Taf. XXI
Fig. 372). Ich habe diesen Axenstrang des Darmblattes, über dessen Bedeu-
tung ich erst in der speciellen Entwickelungsgeschichte mich auslassen kann,
und welcher bisher unbekannt war, auch im Forellenembryo in gleicher Aus-
dehnung angetroffen.
V. Das Oentralnervensystem.
Historische Uebersicht der bisherigen Untersuchungen.
In der speciellen Entwickehmgsgeschichte des Centralnervensystems geht
Rusconi von dem retorten förmigen Zustande desselben aus (vgl. Nr. 6 S. 24
und flg.). Die Cerebromedullarröhre bestehe dann noch aus zwei Seitenhälften,
welche in der Medianebene zusammenstossen ohne ganz mit einander zu ver-
wachsen. Die Unibiegimgs stelle des Hirnes bilde die Grenze zwischen zwei
Anschwellungen, aus deren hinterer das verlängerte Mark, aus der vorderen
das kleine Gehirn entstehe; am vordersten Ende des Hirnes bedeuten die seit-
lichen Höcker die Anlagen der Geruchsorgane (prolongements olfactifs), zwischen
denen das Grosshirn und die Lobi optici liegen (Nr. 6 S. 25). In der Folge
schnüren sich die Anlagen der Geruchsorgane vom Hirne ab und stülpen sich
von vorn her becherförmig zu den Nasengruben ein (Nr. 6 S. 26, Nr. 39 S. 59).
Die obere Naht des Hirnes öffne sich zu einer klaffenden Spalte, welche sich
in den Lobi optici und dem verlängerten Marke bedeutend erweitere, wogegen
in dem soliden Kleinhirne sich eine innere durch die dünne Decke dreieckig
durchschimmernde Höhle bilde; darunter verwachsen die Ränder des verlän-
gerten Markes (Aquaeductus Sylvii). Während der deutlicheren Absonderung
aller Hirntheile ziehe sich das ganze Hirn zurück , sodass auch die nach unten
abgebogene Hälfte mit dem Rückenmarke in eine Ebene zu liegen komme (Nr.G
S. 27 — 30, Taf. IV Fig. 5). An der Hirnbasis liege hinter den durch eine Furche
getrennten Grosshirnhemisphären der Boden des drittenVentrikels in Gestalt eines
Dreiecks, dessen Spitze nach vorn gerichtet sei und dessen Basis von den zu-
sammenstossenden Sehnerven gebildet werde. Daran schliesse sich rückwärts
272 V- Das Centralucrvensystem.
ein den Corpora candicantia vergleichbarer Hirntheil mit freiem, in der Mitte
eingeschnittenem hinteren Rande (Nr. 6 S. 32). Das verlängerte Mark werde
später von einem Plexus chorioideus verschlossen, dessen hinterer Rand frei sei
(S. 33); die Vorderenden der Grosshirnhemisphären verschmelzen mit einander,
sodass die Seitenventrikel dort kommuniciren (S. 34). Die Zirbel soll erst
median getheilt sein, dann zwei hintere Stiele und nach deren Verwandlung in
ein medianes Septum zwei vordere Stiele zur Verbindung mit den Sehnerven-
lappen erhalten (S. 27 — 29. 34). — In der Entwicklungsgeschichte des Erd-
salamanders schliesst sich Rusconi der früher bekämpften Ansicht an, dass der
von ihm als Kleinhirn gedeutete Theil dem Vierhügel, und das Dach seines
Aquaeductus Sylvii dem Kleinhirne entspreche (Nr. 39 S. 57).
Ueber die weitere Entwickelung des embryonalen Hirnes theilt uns v.Baek
Folgendes mit. „Das Hirn ist ursprünglich noch weniger vom Rückenmarke
geschieden als in den höheren Thieren ; es ist auch viel weniger übergebogen
als in diesen, doch fehlt die Krümmung keineswegs ganz. Durch sie wird der
Ilirnanhang früh nach unten und hinten gedrängt." „Noch ehe die Rücken-
furche völlig geschlossen ist, kann man die vorderen Abtheilungen des Hirnes
unterscheiden; ja man sieht schon Unebenheiten in der inneren Fläche, welche
zum Theil die beginnenden Ausstülpungen der drei Sinnesnerven sind. Man
kann auch hier, obgleich unter veränderten Formen, zuerst drei Hauptabthei-
lungen unterscheiden , die sich später in dieselben morphologischen Elemente thei-
len, welche wir im Hirne der mit einem Amnion versehenen Embryonen erkannt
haben. Nur erlangt bei den Embryonen der Batrachier keine Abtheilung ein
auffallendes Uebergewicht über die andere, wenn auch einige Zeit hindurch
das Mittelhirn etwas mehr sich erhebt als die anderen Theile. Aus diesem
(1 runde und weil das gesammte Hirn gleich Anfangs übergebogen war, ist
später, wenn das Hirn sich gerade stellt, geringere Zusammenknickung der
einzelnen Abtheilungen. Am meisten wird der Uebergang aus dem Mittel-
hirne zum Hinterhirne eingeknickt" (Nr. 8 II S. 287). „Das Vorderhirn wächst
zwar in späterer Zeit mehr als die andern und verlängert sich desshalb nach
hinten, allein es schreitet darin nicht weit vor, und so kommt es, dass die Seh-
hiigel nicht vollständig von den Hemisphären überdeckt, viel weniger um-
schlossen werden, wie in den Säugethieren. Eine mittlere Einsenkung ist auch
im Frosche lange vor dem Auskriechen da und scheidet die beiden Scitenver-
trikel". „Das Zwischenhirn rcisst auch in den Batrachiern im vorderen Theile
seiner Decke auf, weshalb die Sehhügel entblösst liegen, sobald sie dasind.
V. Das Centralnervensystcm. 273
Der hintere Theil der Decke erhebt sich um die Zirbeldrüse zu bilden." „Doch
erhebt sich die Zirbeldrüse in den Batrachiern sehr wenig." „Dass es das
Zwischenhirn ist, aus welchem die Augen sich hervorgestülpt haben und dessen
Höhlung nach unten in den Hirnanhang sich verlängert, lässt sich erwarten.
Das Mittelhirn (Vierhügel) hat während seiner stärkeren Entwicklung so viel
Ausdehnung erhalten, dass es sich beim Geradestrecken des Hirnes über den
verengten Uebergang zum Hinterhirne (kleines Hirn) und über das schmale
Band, was das Hinterhirn darstellt, hinüberneigt.'' „Das Hinterhirn hat so wie
das Nachhirn keine Decke, sobald die Hirnhäute sich völlig gesondert haben."
Nur der verengte Uebergang aus dem Mittelhirne sei vollständig cylindrisch
oder ringförmig und bilde daher oben eine schmale Binde und kaum merkliche
Seitenflügel. „Zuletzt bildet die Gefässhaut hinter dieser Brücke noch das von
Carus beschriebene Blättchen, das wie eine Klappe den vorderen Theil der
vierten Hirnhöhle überdeckt, gleichsam als Ergänzung des sogenannten Wurmes
vom kleinen Hirne. Das Nachhirn zeigt ausser einer allgemeinen Verstärkung
seiner Wände und einer Verengerung der offenen Höhle wenig Veränderungen"
(Nr. 8 II S. 292 — 293). — Die Rückenmarks- und Hirnhäute hält v. Baer für
ein Erzeugniss der ursprünglichen Nervenröhre (Nr. 8 II S. 103), worin sich ihm
Rathke anschliesst (Nr. 47 S. 102).
Reichert sagt vom röhrigen Centralnervensystem: „Das Central - System
der animalischen Nerven verliert, indem die Urhälften sich verdicken und inni-
ger vereinigen , mehr und mehr seine Röhrenform ; die in dem Innern des Kanals
befindlichen Rudera der schwarzen Umhüllungshaut lassen sich bald nicht mehr
nachweisen; das Rückenmark erscheint nun als cylindrischer Strang und an dem
Gehirn erhält sich die Röhre in den Ventrikeln" (Nr. 22 S. 28—29). Ferner
spricht Reichert bisweilen von drei Hirnabtheilungen, welche in Fig. 13. Taf. II
seines „Entwickelungslebens" so gezeichnet sind, class der vordersten „die An-
lagen des Nervus opticus", der zweiten die „Anlagen des Nervus acusticus" an-
liegen. Die Spitze der Wirbelsaite erhalte sich bis unter den Boden des dritten
Ventrikels; dort aber verkümmere sie später und bilde sich alsdann zum Hirn-
anhange aus (S. 30). — Vogt dagegen bestreitet dies ausdrücklich und glaubt
bei seinem Thiere (Alytes obstetricans) die Beobachtung Rathke's, dass der Hirn-
anhang aus einer Fortsetzung der Mundhöhlenschleimhaut entstehe, bestätigen
zu können (Nr. 26 S. 82. 85. 97. 98;.
Nachdem Remak seine Zweifel dagegen ausgesprochen, dass die äussere
braune Zellenschicht des oberen Keimblattes in der Nervenröhre zu einem Epi-
Goette, Entwickclungsgeschichte. lö
274 V. Das Centraluervensy stein.
thel sich ausbilde, besonders da er „ebenso wenig bei entwickelten Larven, wie
bei erwachsenen Fröschen in dem Rückenmarke einen Kanal darzustellen" ver-
mag, fügt er hinzu: „Auch nimmt der schwarze Strang, der nach Schliessung
des Medullarrohrs die Axe desselben bildet, so sehr an Umfang zu, dass mir
seine Betheiligimg an der Bildung der grauen Axensubstanz kaum zweifelhaft
erscheint" (Nr. 40 S. 149). Ferner erklärt Rem ak, dass von den zwei, dann drei
Hirnblasen, deren Anlagen er schon vor dem Schlüsse der Nervenröhre zu erkennen
glaubt, die mittlere als Anlage der Augenblase mit der ersteren zusammen das
Vorderhirn bilde, die hintere dritte sich später in Mittel- und Hinterhirn sondert
(S. 147). „Indem die Augenblasen sich von dem Vorderhirn abschnüren, wird
der grösste Theil des letzteren verbraucht und dasselbe auf einen sehr kleinen
Umfang gebracht. Alsdann erweitert es sich aber wieder nach vorn: dadurch
wird die Verbindung des Augenstiels (N. opticus) mit dein Vorderhirn an den
hinteren Rand desselben in den Bereich einer seichten, schmalen Einschnürung
gerückt, welche, zwischen Vorder- und Mittelhirn eine Brücke bildend, dem
Zwischenhirn der höheren Wirbelthiere auch deshalb vergleichbar ist, weil
später an ihrer Decke ein Analogon der Zirbel erscheint. Diese scheinbare
Wanderung des Stiels der Augenblase hat zur Folge, dass der Stiel schliesslich
mit dem Mittolhirue verbunden und die Augenblase wie ein Auswuchs desselben
erscheint." „Von dem Vorderhirn schnürt sich der Lobus olfactorius ab, an
dessen vorderem Rande als Ausgangspunkt des N. olfactorius sich bei der Larve
noch eine kleine Anschwellung zeigt" (S. 148).
W. Müller hat die Entwickelung des Hirnanhangs von Rana temporaria
ausführlich beschrieben (Nr. 74 S. 367 - 374). Danach entstände derselbe aus
einer taschenförmigen Ausstülpung des Schlundepithels, welche gerade unterhalb
der Chordaspitze entstände und anfangs mit der Mundhöhle durch eine weite
Oeffhung kommunicire (S. 36!»)-, später werde diese Mündung verengt und durch
eine Lage spindelförmiger Zellen, welche von der Chordaspitze bis hinter das
Zwischenhirn sich hinziehe, die ganze taschenförmige Anlage des Hirnanhangs
von ihrem Mutterboden , dem Schlundepithel, vollständig getrennt (S. 371).
Darauf verschwinde ihre flache Höhle und eine unterdess entstandene bindege-
webige Kapsel entsende Scheidewände in das Innere, „welche die daselbst be-
titu Hieben Epithelzellen in eine Anzahl kugeliger und eylindriseher Häufchen
schieden" (S. 373). Der oberste Abschnitt trenne sich vollständig von der übrigen
Hauptmasse.
V. Das Centralnervensy stein. 275
1. Das Rückenmark.
Ich beschrieb das Centralnervensysteui zuletzt als ein retortenförmiges
Gebilde, dessen vorderes, nach unten abgebogenes Ende sich abwärts stetig
verbreitert (Taf. II Fig. 37. 38). Die Grenze von Hirn und Rückenmark lässt
sich nicht bestimmt angeben, doch kann man sie ohne wesentlichen Fehler
hinter dem vierten Kopfsegmente annehmen. Die Rückenmarksröhre erscheint
nach ihrer vollständigen Ablösung von der Oberhautanlage ohngefähr cylindrisch,
alier von den Seiten etwas zusammengedrückt. Ihre Seitentheile sind dicker
als das obere und das untere Verbindungsstück und verengen den Centralkanal
in der Mitte seiner Höhe, so dass seine Lichtung bisquitförmig erscheint
(Taf. VII Fig. 136 — 139). Gegen den Kopf hin erweitert sich die obere Hälfte
des Rückenmarkes zum Uebergange in die gewölbte Decke des Hinterhirns.
Rückwärts aber wird sie schmäler, fast in eine Kante zusammengedrückt, wobei
der von ihr umschlossene obere Theil des Centralkanals durch die Berührung
und Verschmelzung der Seitenwände endlich ganz verschwindet, sodass
der ganze Kanal auf ein kleineres und tiefer gelegenes Lumen reducirt wird
{Taf. XIII, Taf. XI Fig. 197). Mit der zunehmenden Länge des Schwanzes
wird der in demselben befindliche Abschnitt des Rückenmarkes immer dünner
ausgezogen, sodass das ganze Organ zuletzt in eine rundliche oder kegelförmige
Spitze ausläuft (Taf. XII Fig. 213, Taf. XIX Fig. 343). Bei der Atrophie des
Schwanzes während der Larvenmetamorphose wird offenbar auch das Rücken-
marksende verkürzt; die spätere Zusammenziehung des ganzen Rückenmarkes
innerhalb des Wirbelkanals scheint mir aber bloss eine relative zu sein , indem
das Wachsthum desselben hinter demjenigen des ganzen Thieres und der Wirbel-
säule zurückbleibt. Damit glaube ich die äussere Formveränderung des Rücken-
markes erschöpft zu haben und wende mich jetzt zu dessen histologischen Ent-
wickelungsvorgängen, welche ich zum Theil schon in meinem Aufsatze (Nr. 64
S. 06 — 97) erwähnte. Die Embryonalzellen, aus denen das Centralnerven-
system zusammengesetzt ist, stammen von beiden Schichten des oberen Keim-
blattes; doch erhält sich die frühere vollständige Sonderung derselben im Cen-
tralnervensystem nur andeutungsweise, indem die den Centralkanal auskleiden-
den Zellen allerdings durch eine gestrecktere Gestalt vor den übrigen ausge-
zeichnet sind, aber beide Formen ohne eine bestimmte Grenze in einander
übergehen (Taf. VIII Fig. 155). Desshalb lässt sieh bei dem ferneren Wach s-
18*
27G V. Das Centralnervensystem.
thume des Orgaus auch nicht mehr bestimmen, ob die Auskleidung des Central-
kanals ausschliesslich nur von der Deckschicht des Keimblattes abstamme.
Alle Zellen des Centralnervensystems erscheinen gleich anfangs etwas länglich,
sodass ihre Längenaxen senkrecht zur Innenfläche gerichtet sind. Während
nun die grosse Masse der Zellen zunächst unverändert bleibt, erfährt ein kleiner
Theil derselben schon auf der durch die Fig. 231 — 245 (Taf. XIII) dargestellten
Entwickelungsstufe des Embryo eine bemerkenswerthe Umwandlung. Dies be-
trifft eine dünne Schicht an der Aussenfläche der dicken Seitentheile des Rücken-
markes, welche abwärts bis zur Bauchfläche des Organes reicht, aufwärts aber
unterhalb der oberen Seite zusgeschärft ausläuft (Taf. VIII Fig. 155). In dieser
Schicht lösen sich die Dottertäfelchen, mit denen die übrigen Embryonalzellen
noch vollgepfropft sind , auf, indem sie zuerst in Körner zerfallen , welche als-
dann in einer wasserklaren Substanz aufgehen. Dieser Auflösungsprocess be-
ginnt offenbar im Innern jeder Zelle und schreitet dann zur Peripherie fort;
denn die Zellengrenzen bleiben anfangs noch sichtbar und erscheinen wie Scheide-
wände, welche die klare Substanz durchziehen. Bald schwinden aber auch
diese und nur an der Oberfläche der ganzen umgebildeten Schicht zeigt sich ein
zusammenhängendes äusserst zartes Häutchen, welches früher jedenfalls nicht
bestand, also ebensowenig wie jene Scheidewände auf wirkliche Zellenmem-
branen zurückgeführt werden darf {Taf. XI Fig. 197. 198). Ferner ist "es leicht
zu erkennen, dass jene Auflösung nicht die ganzen Zellen betrifft, welche die
bezeichnete Aussenfläche des Rückenmarks bilden, sondern nur in ihrer nach
aussen gelegenen Hälfte erfolgt, während in der innern Hälfte der Kern und
die übrige noch unveränderte Dottersubstanz sichtbar sind. An der Grenze
beider Theile finde ich gleich im Anfange eine dünne Schicht scheinbar fein-
körniger Masse, welche sich aber allmählich auf Kosten der klaren Substanz
ausbreitet, worauf man an Längsschnitten erkennt, dass das punktirte Aussehen
des Querdurchschnitts jener Schicht nicht von Körnern herrühre, sondern von
den Durchschnitten feiner etwas wellig verlaufender Fasern (Taf. VIII
Fig. 156). Dieses Aussehen bleibt bis nach der Metamorphose der Larven
bestehen, sodass ich keine Veranlassung fand, die weitere Entwickelung
jener feingefaserten Schicht für diese Arbeit zu untersuchen. Dass dieselbe
aber der sogenannten weissen Masse des vollkommen entwickelten Rückenmarkes
entspricht, die Fasern also zu Nervenfasern werden, darf wohl als unzweifelhaft
betrachtet werden; insbesondere wenn man die noch zu erwähnenden Verände-
rungen der innern Zellen oder der Anlage der grauen Masse berücksichtigt.
V. Das Centralnervensystem. 277
Iiis zu dem Zeitpunkte, wann mit einer wirklichen Ernährung auch die Zu-
fuhr neuen Bildungsstoffes in allen Körpertheilen eintritt, nimmt die weisse
Masse nur sehr massig zu und zwar ausschliesslich dadurch, dass die geschil-
derte Umbildung sowohl in den einzelnen Zellen weiter um sich greift, als auch
über einen grössern Theil der Peripherie bis gegen die Medianebene hin sich
erstreckt. Dabei muss ich ausdrücklich hervorheben, dass mir zu keiner Zeit
der Nachweis gelungen ist, dass auch die inneren Theile der Rindenzellen mit
ihren Kernen nachträglich in die Bildung der Fasermasse des Rückenmarks
hineingezogen würden-, dagegen sehe ich die letztere sehr bald gegen jene die
Kerne einschliessenden Zellentheile sich deutlich absondern, wodurch diese
sich zu selbstständigen Zellen ab- und der grauen Masse anschliessen (Taf. XI
Fig. 197.198). — Andern das ganze Rückenmark einhüllenden Häufchen habe ich
eine besondere Textur nicht erkennen können und da die Gefässe erst ausserhalb
desselben entstehen, so kann es nicht für die Pia mater gehalten werden, sondern
nur für eineCuticula, welche dieGefässhaut mit dem Rückenmarke verbindet und
später schwindet oder unkenntlich wird. Ihre Bedeutung wird aber durch Fol-
gendes beleuchtet. Wenn man das Rückenmark , nachdem seine weisse Masse
angelegt worden, auf Durchschnitten gehärteter Larven untersucht, so findet
man jene Cuticula bald der Fasermasse dicht anliegend, bald von derselben ab-
stehend; und da in dem häufigeren letztern Falle die etwa schon vorhandenen
Nervenwurzeln vom Rückenmarke abgerissen erscheinen, so halte ich jene Ab-
lösung der Cuticula für eine Folge der stärkeren Zusammenziehimg der eigent-
lichen Rückenmarkssubstanz gegenüber ihrer Hülle (Taf. IX Fig. 172. 179,
Taf. XI Fig. 197. 198). Diese künstliche Veränderung lässt nun eine Erschei-
nung wahrnehmen , welche unter normalen Verhältnissen verborgen bleibt. Die
abgelöste Cuticula bleibt nämlich mit der Fasermasse des Rückenmarks durch
Substanzbrücken in Verbindung, welche anfangs wenig zahlreich, später sich
bedeutend vermehren. Auf Querdurchschnitten erscheinen sie wie zarte Fädchen ;
Frontalschnitte lehren aber, dass es mehr oder weniger ausgedehnte Blätter
sein müssen (Taf. VIII Fig. 156). Wenn sie auch gleich auf den ersten Blick
an die frühern Zellengrenzen erinnern, so scheint mir ihr übriges Verhalten
doch die Möglichkeit auszuschliessen, dass es die vorher ganz bestimmt ver-
missten Zellmembranen seien; denn durch längere Zeit erscheinen sie nur
als Brücken zwischen der Cuticula und der weissen Fasermasse und treten aus
der letzteren ganz deutlich mit breiterer Basis hervor, alles Merkmale, welche
zu ihrer Deutung als Zellmembranen nicht passen, obgleich die früheren
278 V. Das Centralnervensy stein.
Zellen leicht die Veranlassung zur Bildung dieser ersten Verbindung zwischen
dem Rückenmarke und seiner Hülle gegeben haben mögen. Später vermehren
sich diese Verbindungen nicht nur, sondern gehen in membranartige Bildungen
über, welche zwischen die Fasern der weissen Masse mehr oder weniger tief ein-
dringen, und so ein Fachwerk vun zarten Scheidewänden bilden, welches mit-
sanimt der schon beschriebenen Rückenmarkshülle, als deren Furtsetzung es
erscheint, in seiner physiologischen Bedeutung neben das übrige Bindegewebe
gestellt zu werden verdient, aber nach seiner Entstehung aus offenbar peripheri-
schen Theilen der für das Nervensystem bestimmten Zellen vielmehr zu den Kuti-
kularbildungen gehört, welche ich in einem folgenden Abschnitte an den Ele-
menten des peripherischen Nervensystems beschreiben werde. Als scheidende,
umhüllende Zwischensubstanz können aber diese und alle ähnlichen Kutikularbil-
dungen mit allen den auch nicht membranösen Zwischen- und Grundsubstanzen
zusammengefasst werden, welche sich von den Zellen absondern, die für die ein-
zelnen besondern Anlagen bestimmt sind, wie ich eine solche Substanz gleich bei
der grauen Rückenmarksmasse anführen werde. Und wenn die Spalten, welche
in der Medianebene oben und unten die Rückenmarkshälften scheiden, später auch
ausser den Gefässen wirkliches, von aussen eingewachsenes Bindegewebe enthalten
mögen, so sind es doch anfangs nur Stellen, wo jenebindegewebsartige Zwischen-
substanz des Centralnervensystems, insbesondere seiner weissen Masse sich
stärker entwickelte und dadurch die dickeren Scheidewände bildete. — Auf die
Bildung der Gefässe innerhalb des Rückenmarkes will ich aber erst später bei
Gelegenheit der allgemeinen Gefässentwickelung eingehen.
Hinsichtlich der grauen Rückenmarksmasse bemerkte ich bereits , dass die
Embryonalzellen, welche sie zusammensetzen, längere Zeit unverändert bleiben
{Taf. VIII Fig. 155) ; erst dann ohngefähr, wenn die äusseren Kiemen bereits
gefranst erscheinen, beginnt auch in jenen Zellen ein Umbildungsprocess, welcher
wesentlich die Zellenlciber, also die Dottersubstanz, betrifft {Taf. VIII Fig. 150',
Taf. XI Fig. 197 — 19S). Während nämlich die Dottertäfelchen derselben sich
vermindern, erscheinen neben ihnen grössere und kleinere, helle, klare Kugeln,
welche ich, da sie in sehr verschiedenen Embryonalanlagen im Beginn der histiolo-
gischenEntwickelung vorkommen, schlechtweg Umbildungskugeln nennen werde.
Zuerst sieht man sie innerhalb noch ziemlich unveränderter Dottersubstanz liegen,
dann in einem zarten Protoplasma, welches aber noch mehr oder weniger mit
Dottersubstanz gemischt ist. Endlich wird die letztere ganz verdrängt und bald
V. Das Centralnervensystem. 279
darauf verschwinden auch die Umbildungskugeln , womit die Verwandlung der
Dottersubstanz in reifes Protoplasma beendet ist. Diese Reihenfolge der Er-
scheinungen erlaubt den Schluss zu ziehen, dass die Umbildungskugeln die
Uebergangsform bei jener Verwandlung darstellen, also in jeder Zelle in meh-
reren Serien vorkommen, indem die zuerst entstandenen bereits in Protoplasma
verwandelt sind, ehe die folgenden auf Kosten des noch unveränderten Dotter-
restes sich entwickeln. Diese Umbildung beginnt an der Grenze der weissen
Masse und setzt sich centripetal gegen den Centralkanal des Rückenmarkes
fort. In derselben Ordnung tritt eine Begleiterscheinung jenes Umbildungs-
processes auf, nämlich die Verschmelzung der Zellenleiber mit einander und
der daraus folgende Schwund ihrer Grenzen. Die verschmolzenen Zellenleiber
bilden nun eine zusammenhängende, noch von Dotterkörnern durchsetzte Grund-
substanz, in welcher ein Theil der Kerne eingebettet, die Mehrzahl derselben
aber von einer hellen dotterfreien Protoplasmazone umgeben erscheint, sodass
man darin die Umrisse der ursprünglichen Embryonalzellen zu erkennen glaubt.
Vergleicht man aber die in den Fig. 155, 156, 197 und 198 dargestellten Entwicke-
lungsstadien, welche der Zeit nach sehr wenig unterschieden, alle der Periode
angehören, in welcher die Gefässe des Centralnervensystems noch gar nicht an-
gelegt sind, so wird man jene hellen Zellenkörper, welche nur noch dicht am
Kerne einige trübe Stellen enthalten, bloss auf die Centraltheile der früheren
Embryonalzellen beziehen und die sie umgebende Zwischensubstanz auf die
peripherischen Theile derselben zurückführen. Einen wesentlichen Unterschied
zwischen den Zellen, welche den Centralkanal des Rückenmarkes auskleiden
und den nach aussen davon gelegenen habe ich nicht erkennen können; um-
bilden sich die ersteren, wie schon bemerkt, später um, als die andern, bleiben
länglich und entwickeln nur eine spärliche Zwischensubstanz. Dieses letztere
mag damit zusammenhängen, dass sie sich stärker vermehren, wobei die Kern-
masse auf Kosten der Zellenleiber zunimmt, diese also bedeutend reducirt
werden, sodass die nach einiger Zeit nur in Fortsätzen bestehen, welche
in wechselnder Gestalt einseitig oder bipolar von den Kernen ausgehen (Taf. VIII
Fig. 157). Jedenfalls liegen die in Rede stehenden Zellen gedrängter als die
übrigen und bilden dadurch eine dunkele Zone um den Centralkanal , ohne je-
doch von der übrigen grauen Masse in einer fortlaufenden Linie abgegrenzt zu
sein {Taf. IX Fig. 172). Alle diese Umstände scheinen mir die Bezeichnung
jener den Centralkanal auskleidenden Zellenschicht als wirkliches Epithel
wenigstens soweit ich dieselbe untersucht habe, d. h. bis zum Ende der Larven-
280 V. Das Centralnervensy stem.
metamorphose , nicht genügend zu begründen. Bis zu demselben Zeitpunkte
vermochte icli eine Entwickelimg der beschriebenen Zellen der grauen Masse
zu Ganglienzellen ebensowenig zu erkennen wie die Ausbildung der Nerven-
fasern , und verweise daher für diesen Abschluss der Entwickelimg der Nerven-
elemente auf das peripherische Nervensystem. Immerhin kann ich schon hier
als allgemeinstes Resultat der Histiogenese des Centralnervensystems aus-
sprechen, dass die fertigen Nervenelemente desselben nicht aus den ganzen
Embryonalzellen hervorgehen, sondern die Nervenfasern nur aus Theilen der
Zellenleiber, die Ganglienzellen aus solchen und den zugehörigen Kernen, endlich
die bindegewebsartige Grund- oder Zwischensubstanz aus beiderlei Substraten.
2. Das Hirn.
Es ist die unmittelbare Fortsetzung der Rückenmarksröhre im Kopftheile
dos Embryo. Die Erscheinung , welche an der eben geschlossenen Hirnröhre
zuerst in die Augen fällt , ist ihre rechtwinkelige Knickung , welche mit der
gleichen Erscheinung am ganzen Rückentheile des Kopfes zusammenfällt. In-
dem von der Knickungsstelle der Hirnbasis eine anfangs seichte Einschnürung
senkrecht zur oberen Seite aufsteigt, welche alsbald in Folge der Aufblähung
der davor und dahinter gelegenen Hirntheile sich vertieft und verengt, so ist
dadurch schon sehr früh und vor dem Erscheinen anderer Sonderungen eine
offenbar aus der Knickung hervorgegangene Zweitheilung des Hirns gegeben,
welche sich dauernd erhält und desshalb gestattet, die beiden Hirnhälften ge-
trennt zu betrachten (Taf. II Fig. 38, Taf. XVI Fig. 292). Bevor ich an die
besondere Beschreibung gehe, will ich zur besseren Orientirung einige allgemeine
Bezeichnungen für die Theile der Hirnröhre feststellen. Wenn für das Rücken-
mark die Unterscheidung der dicken Seitenhälften von den dünneren Verbin-
dungsstücken natürlich und ausreichend erscheint, so passt sie für das Hirn
nicht in gleichem Masse, da die morphologischen Umbildungen desselben, wie
sie sich der sondernden Beobachtung darbieten, nicht durchweg nach jenen
Theilen sich scheiden, sondern vielmehr nach einem oberen, mittleren und un-
teren Abschnitte" so dass der erste die Decke oder das Gewölbe der Hirnröhre,
der zweite ihre eigentlichen Seitentheile und der dritte ihren Basaltheil umfasst,
während die seitlichen Verdickungen bald mehr, bald weniger in die Wölbung
und die Basis hineinreichen. Ferner muss ich ganz besonders für das Hirn darauf
aufmerksam machen, dass die embryologische Untersuchung an die herkömm-
lichen Auffassungen der Anatomie, wenn sie auch noch so allgemein anerkannt
V. Das Centralnervensystem 281
wären, sich nicht binden kann, sobald dieselben den ihrigen widerstreiten. Dies
ist aber der Fall bei den Lagebestimmimgen des embryonalen Hirns ; man muss,
um Miss Verständnisse zu vermeiden, stets die Benennungen wie sie ursprünglich
den verschiedenen Seiten des embryonalen Gehirns zukommen, von den späteren
anatomischen unterscheiden, da die beiderseits gleichlautenden, wie sich aus
dem Folgenden ergeben wird, durchaus nicht die gleiche Bedeutung haben. Dies
bezieht sich gerade auf die vordere Hirnhälfte, zu welcher ich mich jetzt wende.
Da die Einschnürung zwischen den beiden Hirnhälften von der Knickung
der Hirnbasis senkrecht aufsteigt, so erhellt, dass die hintere Hälfte an der
Beugung keinen Antheil hat, sondern diese ganz in den Bereich der vorderen
Hirnhälfte fällt. Daraus aber, dass die Knickung der allgemeinen Hirnbasis
eine rechtwinkelige ist, ergibt sich, dass die Basis der vordem Hirnhälfte in
einer senkrechten Ebene liegt, während die Seitentheile beim Uebergange aus
der horizontalen hintern Hälfte in die senkrecht gestellte vordere einen kürzeren,
das Hirndach endlich einen grösseren Bogen beschreiben.* Das letztere um-
fasst also die anatomische Ober- und Vorderseite, der Basaltheil die senkrechte
Hinterwand der vorderen Hirnröhre des Embryo, während die anatomische
Grundfläche eigentlich den vorderen Abschluss darstellt. Um die besondern
Umbildungen der vorderen Hirnhälfte richtig zu würdigen, muss man zurück-
greifen bis in die Zeit, wo dasselbe und zwar später als das Rückenmark und
hintere Hirn in der Schliessung begriffen ist ; dann zeigt es nämlich schon die
ersten Spuren späterer Sonderungen. Der allgemeinste Unterschied von der
hinteren Hälfte ist die Verbreiterung der Röhre, welche von der Beugung bis
zum Vorderende stetig zunimmt und bei einem senkrechten Querdurchschnitte,
welcher also der embryonalen Hirnbasis parallel verläuft, einen ohngefähr drei-
eckigen Umriss und eine gleiche Lichtung des Hirns zur Ansicht bringt
(Taf. V Fig. 88. 89). Nach kurzer Zeit bemerkt man in der Mitte jedes Seiten-
theils eine leichte Einsenkung, welche etwas schräg abwärts gegen dieKnickungs-
stelle der allgemeinen Hirnbasis ausläuft und die Grenze bildet zwischen den
* Wollte man also den Verlauf der vorderen Hirnröhre an Querdurchschnitten studiren,
welche rechtwinkelig auf der Hirnaxe ständen , so müssten dieselben im Bereiche der Beu-
gung , während sie von der senkrechten Lage in die horizontale übergingen , radiär in der
Knickuugsstelle der Basis zusammenlaufen. Dass aber die Ausführung solcher fortlaufen-
der Schnitte an unseren kleinen Objekten unmöglich ist, brauche ich kaum zu erwähnen;
andererseits glaube ich, dass die Kombination der in drei Richtungen ausgeführten Durch-
schnitte ausreicht, um sich ein plastisches Bild von den wechselnden Zuständen der Hirn-
röhre auch im Bereiche der Beugung machen zu können.
232 V. Das Centrälnervensystem.
Anlagen des davor liegenden Vorderhirns und des rückwärts sich daran
schliessenden Mittelhirns {Taf. VII Fig. 127. 128, Taf. XIII Fig. 224. 231,
'Inf. XIV Fig. 240). Da nun jene Einsenkung mit der Einschnürung, welche
beide Hirnhälften scheidet, ab- und rückwärts konvergirt, so muss man sich
das Mittelhirn als ein keilförmiges Verbindungsstück zwischen dem senkrecht
gestellten Vorderhirn und der horizontalen hintern Hirnhälfte oder dem Hinter-
hirn vorstellen; es umfasst also das Mittelhirn die eigentliche Hirnbeuge und
besitzt ein nicht nur in der Querrichtung sondern auch in der Medianebene
konvexes Dach, entsprechend kürzere Seitentheile und genau genommen noch
keine Grundfläche , da die vordere und hintere Grenze in der Knickungsstelle
der allgemeinen Hirnbasis zusammenlaufen {Taf. VIII Fig. 142). Erst in
späterer Zeit weitet sich der scharfe Winkel, welchen die letztere bildet, zu einer
Falte aus, deren Grund die schmale Basis des Mittelhirns liefert {Taf. XV
Fig. 283. 284). Die übrige Bildung desselben in der embryonalen Periode ist
sehr einfach : die einzelnen Höhenabschnitte sind noch nicht zu unterscheiden,
sondern der Querdurchschnitt entspricht durchaus demjenigen des vordem
Rückenmarks mit einer weiteren oberen und einer schmäleren unteren
Hälfte {Taf. V Fig. 127—129, Taf XIII Fig. 231. 232, Taf. XIV Fig. 257,
Taf. XV Fig. 270). Die Grenzen gegen das Hinter- und Vorderhirn werden
am Hirndache allmählich immer bestimmter, aber nicht in gleichem Grade
an den Seiten und den Basaltheilen , wo sie schwach ausgeprägt bleiben. —
Grössere Veränderungen als am Mittelhirne findet man in derselben Zeit am
Vorderhirne. Es ist, wie erwähnt, senkrecht gestellt, erinnert aber insofern
an das Mittelhirn, als sein Dach wegen der schrägen Grenze gegen jenes
ebenfalls länger ist, als seine embryonale Grundfläche. Es ist gleich anfangs
von seiner hinteren Grenze an in allen Theilen breiter als das Mittelhirn und
man kann sagen, dass eben diese Verbreiterung die Grenzscheide gegen
das letztere schaffe {Taf. VI Fig. 09 — 101). Dagegen liegen die Decke
und die embryonale Grundfläche des Vorderhirns einander ebenso nahe,
sodass es von vorn abgeplattet aussieht. Die Wand ist zuerst eigentlich
überall gleich dick; die Lichtung erscheint aber schon sehr früh, nicht
nur in seitliche Zipfel ausgezogen, sondern auch gegen die embryonale
Grundfläche und das Hirndach ausgebogen {Taf. VI Fig. 100, Taf. VII
Fig. 122. 123, Taf. XIV Fig. 247. 251). Dadurch wird eben der Grund zu
der Ausbildung eines Gewölbes und Basaltheiles und zweier Mittel- oder Seiten-
theile gelegt , welche alsbald deutlich hervortreten; die nächste Sonderung be-
V. Das Centralnervensystem. 283
trifft die letzteren. Von üben, vorne und hinten werden nämlich die abgerun-
deten Ecken, in welche sie abwärts auslaufen, allmählich abgeschnürt und ver-
wandeln sich dann in die Augenblasen, welche an der Grenze der embryonalen
Schlussseite (anatomische Grundfläche) des Vorderhirns durch hohle Stiele, die
Sehnerven, mit demselben in Verbindung bleiben. In dem Masse aber als
dessen Seitentheile durch die Abschnürung der Augenblasen frei werden, nähern
sie sich einander, zieht sich also der Mitteltheil des Vorderhirns zusammen,
während der Gewölbe- und der Basaltheil nach entgegengesetzten Richtungen als
stumpfe Vorsprünge hervor treten. Die Lichtung der Querdurchschnitte ver-
wandelt sich daher entsprechend aus der quergezogenen in die aufrecht stehende
Form, welche ebenso wie das äussere Relief des Vorderhirns eine Dreitheilung
andeutet , indem der mittlere Theil mit den in die hohlen Sehnerven ausgezo-
genen Zipfeln sich von den in das Gewölbe und die Basis hineinreichenden Enden
unterscheidet. Die beschriebene Umbildung des Vorderhirns erfolgt nicht
gleichmässig in seinem ganzen Verlauf; vielmehr ist die Vorwölbühg der Decke
und des Bodens im hintern (oberen) Abschnitte viel schwächer, als im vorderen
und ich werde gleich zeigen, dass dieser Unterschied weitere, bedeutendere
Folgen nach sich zieht. Was nun noch die Hirnwand in dieser ersten Periode
betrifft, so werden die Seitentheile sehr bald dicker als die medianen Theile des
Gewölbes und des Basaltheiles; auch beim Uebergange in die Schlussseite oder
anatomische Basis verdünnen sich die Seitentheile im allgemeinen (Taf. XIII,
XIV). — Noch ist hier endlich eine Bildung zu erwähnen, welche anfangs als
unzweifelhafter Hirntheil erscheint, aber in Folge ihres späteren Verhaltens
von den Anatomen mehr als Nebenorgan, denn als integrirender Theil des Hirns,
betrachtet wird, — ich meine die Z i r b el. Sie entsteht an der Decke des Vorder-
hirns etwas unterhalb der Grenze des Mittelhirns. Nach dem Schlüsse der Hirn-
röhre blieb nämlich dieselbe an jener Stelle mit der Oberhautim Zusammenbange,
sodass eine kurze Brücke zwischen beiden ausgezogen wurde (Taf. VI Fig. 105).
Indem diese Brücke ihre breite Basis am Hirndache behält, dagegen an der
Berührungsstelle mit der Oberhaut sich verdünnt, erscheint sie als ein an der
Oberhaut hängengebliebener Zipfel des Hirns; alsbald dringt auch eine Fort-
setzung der Hirnhöhle in denselben ein und löst er sich von der Oberhaut voll-
kommen ab, sodass er dann als hohler Auswuchs des Hirns sich darstellt
(Taf. XIV Fig. 246, Taf. XV I Fig. 292). Doch schnürt sich derselbe nach
kurzer Zeit zu einem vollkommen geschlossenen Bläschen ab, welches nur durch
einen kurzen Stiel, dessen Kanal allmählich schwindet, mit dem Hirne zusammen-
^s 1 V. Das Centralnervensystem
hängt (Taf. XVI Fig. 293. 298, Taf. XV 'Fig. 283). Dies ist nun die Anlage
der Zirbel, welche sich weiterhin morphologisch nicht merklich verändert; nur
scheint später auch die Höhle des Bläschens zu schwinden und verlängert und
verdünnt sich der Stiel ansehnlich, während seine Wurzel, mit der er in der
Decke des Vorderhirns festsitzt, verdickt bleibt {Taf. VIII Fig. 146. 149,
Taf. XV Fig. 284. 285). Die Embryonalzellen dieser Anlage verändern sich
ähnlich wie im Hirne, sodass die daraus hervorgehenden Nervenzellen und
-fasern mit geringer Zwischensubstanz die ganze Masse des Organs auch im
erwachsenen Thiere darstellen. Noch in der Larvenperiode lagert sich in der
Wand desselben in wechselnder Menge eine schneeweisse, beinahe silberglän-
zende Masse ab, welche offenbar den anorganischen Konkrementen vergleichbar
ist, die man in der Zirbel höherer Wirbelthiere findet. Das Bemerkenswertheste
an der Zirbel unseres Thieres und wohl überhaupt der Batrachier ist ihre
spätere Lage. Indem das dickwandige Bläschen der Oberhaut dicht ange-
schmiegt bleibt und mit ihr sich vorwärts verschiebt, wird der lang ausgezogene
und zarte Stiel von den Hirnhüllen und dem Schädeldach umwachsen, sodass
das eigentliche Organ aus der Schädelhöhle ausgeschlossen wird. Beim Ab-
ziehen der Kopfhaut bleibt es meist unter Zerreissung des Stieles an dieser
hängen {Taf. XV Fig. 283—285, Taf. XVIII Fig. 325. 326).
In der ersten Larvenperiode wird die vordere Hirnhälfte bereits so weit
entwickelt, dass die vollendeten Formen unzweifelhaft erkannt werden können,
und doch wird eigentlich nur das bereits Angedeutete weiter ausgeführt. Ich
erwähnte, dass das Mittelhirn wesentlich eine Erweiterung der oberen Hälfte
zeigt und dem entsprechend wird auch weiterhin vorherrschend das Gewölbe
ausgebildet, während die tieferen Abschnitte mehr indifferent bleiben-, am
Vorderhirn dagegen wird der schon angelegte Gegensatz von Gewölbe-, Mittel-
und Basaltheil und von vorderen und hinteren (oberen und unteren) Abschnitten
weiter ausgeführt. Betrachten wir zunächst das Mittelhirn {Taf. VIII Fig. 142
bis 151). Es behält , von der Seite gesehen, die keilförmige Gestalt , in der es
zwischen Hinter- und Vorderhirn gleichsam eingeschoben erscheint. Seine
Zellenmasse war ursprünglich so vertheilt, dass sie von der dünnen und schmalen
Basis aus sich vornehmlich in den dreieckigen Seitentheilen anhäufte, um dann
gegen die Decke wieder allmählich abzunehmen. In der untern Hälfte und an
der Grenze des Vorderhirns bleibt dieser mehr indifferente Zustand, also auch
eine spaltförmige Lichtung bestehen, welche die direkte Verbindung zwischen
den Höhlungen des Hinter-und Vorderhirns vermittelt {Taf. XV Fig. 269—272).
V. Das Centralnervensystem. 285
Darüber aber entwickelt sich von vorn nach hinten ansteigend und sich ver-
breiternd ein Gewölbetheil, in welchem die dicken Seitenmassen in einer ge-
wissen Höhe stärker und bestimmter auseinanderweichen und daher den zwischen
ihnen befindlichen mittleren Theil der Decke zu einer dünnen durchsichtigen
Haut ausziehen. Von oben gesehen erscheint dieses Gewölbe des Mittelhirns
zunächst oval mit schmälerem vorderen und breiterem Hinterende. Indem
aber die darunterliegende Höhle den dünnen Mitteltheil in dunkler Zeichnung
hervortreten lässt, erkennt man an letzterer die Gestalt einer nach vorn ge-
richteten Lanzenspitze. Die weitere Entwicklung rechtfertigt die Auffassung,
dass, während die untere Hälfte des Mittelhirns sich nur wenig verlängert, das
sich in der Länge stärker ausdehnende Gewölbe zur Seite ausweicht, gewisser-
massen eine Knickung erfahrt. Dadurch werden die dicken Ilandtheile jeder-
seits in zwei nach 'aussen konvergirende Schenkel gesondert. Die vorderen
Schenkel sind aber gleich anfangs länger und stärker, als die hinteren, wachsen
also auch schneller und energischer als diese und drängen sie zurück.
Dieser Bewegung widersteht aber das Gewölbe des Hinterhirns, welches sich
hinter der beide Hirnhälften trennenden Einschnürung erhebt. Die hinteren
Schenkel des Mittelhirngewölbes werden also von den andrängenden vorderen
quer umgelegt , und bilden erst eine quere Wand , welche aber bei ihrer an-
dauernden Ausdehnung und Verdünnung in der Medianebene sich nach innen
faltet und dadurch die Halb irung des Mittelhirngewölbes einleitet. - Dass dabei
die laterale Knickung seiner Ilandtheile zugenommen hat, die Zeichnung der
durchscheinenden Decke herzförmig geworden ist, ist aus den Abbildungen
leicht zu ersehen. Solange das ganze Gewölbe noch flach war , kommunicirte
seine Höhle unter jener Grenzeinschnürung beider Hirnhälften unmittelbar mit
dem Hinterhirnraume ; sobald aber alle Theile durch Wachsthum an Höhe an-
sehnlich gewonnen haben, während nur der Boden der Einschnürung zurück-
blieb, ist auch jene Gewölbehöhlung des Mittelhirns so weit über jenen Boden
gehoben, dass sie nur vermittelst der unteren spaltartigen Hälfte des Mittel-
hirnraums mit den übrigen Hirnhöhlen in Verbindung bleibt. — Die späteren
Umbildungen des Mittelhirns sind nicht mehr erheblich. Indem das Wachsthum
auch fernerhin vorherrschend an den vorderen Schenkeln der dicken Iland-
theile sich äussert, der dünne Mitteltheil des Gewölbes aber zuiückbleibt, ent-
wickeln sich aus den ersteren zwei halbkugelige, hohle aber dickwandige Lappen,
welche durch die einsinkende Mitte spaltartig getrennt, die Grenzen des Mittel-
hirns nach allen Seiten überragen und alsdann dessen gauzesGewölbe darstellen,
286 V. Das Centralnervensystem.
da die anderen ursprünglichen Theile desselben, nämlich die hinteren Seitenschen-
kel und die dünne Mitte, theils unkenntlich geworden sind, theils in den Bestand
jener halbkugeligen Vorwölbungen hineingezogen wurden. Dass die letzteren
endlich etwas länglich werden und gerade umgekehrt wie in ihrer ersten Anlage
nach vorn divergiren, ist eine Folge epigonaler Umbildungen, welche uns hier
weniger interessiren.
Dass die Entwickelung des Vorderhirns reicher sein werde als diejenige
des Mittelhirns, darf schon aus dem bereits besprochenen Zustande geschlossen
werden. Im allgemeinen lässt sich, wie bemerkt, das Vorderhirn desshalb mit
dem Mittelhirne vergleichen, weil seine Basis ebenfalls kürzer ist, als die Decke;
wie denn überhaupt die Zerlegung eines gebogenen Cylinders in keilförmige
Abschnitte ganz natürlich erscheint. Die wichtigsten Abweichungen aber,
welche im ferneren Verlaufe der Entwickelung das Vorderfiirn vom Mittelhirne
unterscheiden, sind 1. die vor- und aufwärts gerichtete Entwickelung des Ge-
wölbetheils, 2. die Ausbildung des Basaltheils, 3. endlich die Anwesenheit der
Schlussseite, welche an der Entwickelung der beiden genannten Regionen sich
betheiligend den Hauptabschnitt der späteren anatomischen Hirnbasis herstellt.
Ich knüpfe die Betrachtung dieser Vorgänge an die Beschreibung zweier Ge-
hirne, von denen das eine der ersten, das andere der zweiten Larvenperiode an-
gehört (Taf. VIII Flg. 142 — 151). In jenem ist jeder der beiden Seitentheile
des Vorderhirns eine dicke Platte, welche in unmittelbarem Anschlüsse an den
dreieckigen Seitentheil des Mittelhirns mit ihrer ursprünglichen Längsaxe senk-
recht gestellt ist, wobei ihre hintere und vordere (obere und untere) Grenze
gegen den schmäleren Basaltheil konvergiren. Unmittelbar unter dem Mittel-
hirne, wo das Vorderhirn noch keinen besondern Basaltheil besitzt, gehen die
beiden Seitenplatten desselben unmerklich in das Gewölbe über, so dass auch
'der zwischen ihnen eingeschlossene enge Kanal , eine unmittelbare Fortsetzung
des tieferen, spaltartigen Raumes im Mittelhirne, ohne bestimmte Grenzen sich
zur Höhle des Gewölbetheils erweitert (Taf. XIV Fig. 216); weiter abwärts
jedoch sondern sich der Gewölbe- und Basaltheil äusserlich durch schwache
Eindrücke, deutlicher im Innern durch entsprechende Hervorragungen von dem
Mitteltheile ab {Taf. XVI Fig. 293. 208, Taf. XV Fig. 283. 284, Taf. XVII
Fig. 304, 30:"). 314 —310'). Der von dem letzteren eingeschlossene Raum war
schon frühzeitig durch die seitlichen Fortsetzungen in die hohlen Sehnerven an
der Schlussseite ausgezeichnet; und während er in dem grössten Theile seines
Verlaufes sich zu einem engen Kanäle zusammenzieht , der von oben herab-
V. Das Centralnervensystem. 287
steigend in die Höhlen des Gewollte- und Basaltheils gleichfalls durch enge
Gänge hinüberführt, bleibt nur an jenem seinen Ende zwischen den Ursprüngen
der Sehnerven eine Erweiterung zurück. In dem Boden der letzteren, wo auch
die ursprüngliche Hirnaxe endet, stossen die Seitenplatten des Vorderhirns zu-
sammen und bilden einen anfangs nur schmalen queren Streifen zwischen dem
Gewölbe und dem Basaltheile, an dessen beiden Enden eben die Sehnerven
entspringen. Schon früh beginnt dieses Mittelstück der späteren anatomischen
Hirnbasis durch eine vordere und eine hintere Querfurche sich gegen die an-
stossenden Hirntheile bestimmt abzugrenzen, wodurch es nach aussen als querer
Wulst hervortritt. Die den Furchen im Innern entsprechenden queren Falten
verleihen jenem zwischenliegenden Stücke der Hirnwand eine rinnenförmige
Gestalt; und da die Sehnerven unmittelbare und nur kanalförmig geschlossene,
seitliche Fortsetzungen jener Rinne sind, so muss die letztere als die ursprüng-
liche Verbindung derselben betrachtet werden. Ich nenne sie die Sehnerven-
platte. Ihr mittlerer Theil oder der Boden der Rinne ist verdünnt und zeigt
daher bei äusserer Besichtigung einen dunkeln queren Streifen , welcher in der
Mitte breiter ist und seitlich an der untern Fläche der Sehnervenwurzeln spitz
ausläuft. Vom dünnen Boden der Sehnervenplatte aus verdickt sich die Hirn-
wand in den queren Grenzfalten ganz ausserordentlich , sodass diese endlich in
ihrer Erhebung weit über das Mass der ihnen entsprechenden äusseren, seichten
Furchen hinausgehen. Dadurch wird jener zwischen ihnen befindliche rinnen-
förmige Hirnraum von dem unmittelbaren Verkehre mit den Höhlen des Ge-
wölbe- und Basaltheils längs der anatomischen Hirnbasis immer mehr abge-
schlossen, bis er schliesslich nur noch aufwärts in der Fortsetzung der ursprüng-
lichen Hirnaxe mit dem engen Kanäle des Vorderhirns kommunicirt, als dessen
eigentliches Ende er zu betrachten ist. Da nun die Bedeutung dieses spaltartigen
Kanals darin beruht, dass er in unmittelbarer Fortsetzung der gleichartigen
unteren Hälfte der Hinterhirnhöhle der Hirnaxe folgt und dabei in die einzelnen
Hirnhöhlen ausmündet, welche im Verlaufe der Entwickelung die früher zwischen
ihnen bestandene unmittelbare Verbindung verloren haben, so verdient er den
Namen des axialen oder Verbindungskanals. Vom Hinterhirne geht er unter dem
Gewölbe des Mittelhirns in gerader Linie bis an die Grenze zwischen dem letzte-
ren und dem Vorderhirne, wo ein besonderes Gewölbe fehlt; dann biegt er recht-
winkelig nach unten ab, um den Mitteltheil des Vorderhirns zu durchziehen und
nachdem er vor- und abwärts in dessen Gewölbetheil, rückwärts und abwärts in
dessen Basaltheil sich geöffnet; endigt er blind in dem erweiterten Räume über der
288 V. Das Centralnervensystem.
Sehnervenplatte, also an dem eigentlichen vorderen Schlussstücke der ganzen pri-
mitiven Hirnröhre. Es darf also dieser Verbindungskanal gewissermassen als
der unveränderte Haupttheil des primitiven Hirnraumes betrachtet werden, der
allein mit dem Centralkanal des Rückenmarkes zu vergleichen wäre, so wie die
ihn einschliessenden Seitenplatten nicht nur nach ihrem Verhalten in der mor-
phologischen Entwickelung , sondern, wie ich weiter unten zeigen werde, auch
nach ihren histiologischen Verhältnissen als die eigentlichen Fortsetzungen der
Seitentheile des Hinterhirns und Rückenmarkes angesehen werden müssen. —
An diese primitivisten Hirntheile schliessen sich nun ihT Vorderhirne noch ein
besonderer Gewölbe- und ein Basaltheil an. Ich bemerkte schon gelegentlich,
warum der unmittelbar ans Mittelhirn anstossende Abschnitt des Vorderhirns
keinen besonderen Basaltheil besitzt: da seine hintere Grenzfläche schräg ab-
wärts verläuft, so ist seine Basis gemeinsam mit derjenigen des Mittelhirns in
der schmalen, etwas nach innen vorgetriebenen Falte enthalten, welche sich
aus dem früheren Knickungswinkel der allgemeinen Hirnbasis entwickelte.
Weiter abwärts grenzt sich aber durch eine senkrechte, bis hinter die Sehnerven-
platte verlaufende Furche ein sehr deutlicher, allmählich sich immer stärker
rückwärts vorwölbender Basaltheil des Vorderhirns von dessen Mittelstücke ab.
Er ist mehr breit als lang, und seine rückwärts sehende und vom Vorderende
der Wirbelsaite eingedrückte Wand ist durchsichtig dünn, während die übrigen
Seiten sehr viel dicker sind. Dieser Hirntheil bleibt im Wachsthume, nament-
lich seiner Höhe, hinter den andern zurück ; so kommt es, dass er schon in den
jungen, noch lange nicht ausgewachsenen Thieren die Form eines breiten aber
platten Beutels hat, welcher dem Hirne hinter der Sehnervenkreuzung so an-
gefügt ist, dass seine Höhle in den Verbindungskanal mündet. In der Mitte
seines hinteren Randes besitzt er alsdann einen Ausschnitt.
Je weniger Interesse die Entwickelungsgeschichte des Basaltheils vom
Vorderhirne bietet, um so mehr hat stets ein Organ die Aufmerksamkeit der
Forscher auf sich gezogen, welches mit jenem ziemlich fest verbunden, als ein
accessorischer Hirntheü betrachtet und beschrieben wird — der Hirnanhang.
Derselbe ist ein Erzeugniss des oberen Keimblattes und seine Anlage erscheint
schon ziemlich früh. An dem vorderen Umfange der Hirnplatte hat die Sinnes-
platte mitten zwischen den Anlagen der Geruchsorgane einen unpaaren Ab-
schnitt, welcher weder verstreicht noch sich seitlich in jene nächsten paarigen
Sinnesanlagen vertheilt, sondern deutlich wahrnehmbar bestehen bleibt (Taf.ll
Fi<j.3i — 38). In dem Masse als das Hirn sich weiter entwickelt, zieht sich
V. Pas Centralnervensystem. 289
die Gniüdschicht des bezeichneten Stückes der Sinnesplatte zu einem trichter-
förmigen Fortsatze zusammen, welcher in der Medianebene unter das Hirn vor-
ragt. Später wächst er mit einer scheinbar soliden Fortsetzung unter der anato-
mischen Hirnbasis rückwärts, wobei sein freies Ende sich abplattet, der übrige
Theil zu einem runden Stiel wird (Taf. XVI Fig. 292. 293. 298, Taf. XIII
Fig. 224. 229. 230, Taf. XIV Fig. 248. 257, Taf. XVII Fig. 305). Sobald
das erstere die Basis des Vorderhirns erreicht hat, verkümmert und schwindet
der Stiel, sodass das übrig bleibende abgeplattete Gebilde, welches in dem
hinteren Ausschnitte des Basaltheils liegt, nunmehr allein den Hirnanhang
bildet (Taf. XV Fig. 270. 283. 28-4). Er hat alsdann seinen grössten Durch-
messer noch in der Medianebene und ist in die bindegewebige Hirnhülle so ein-
gebettet, dass er an seiner unteren Fläche von ihr einen glatten Ueberzug er-
hält. Sein hinteres, breiteres Ende drängt sich aber später aus der Oberfläche
der Hirnhaut hervor, wobei es seinen Ueberzug mit sich hervorzieht und sich
etwas von der übrigen Masse des Organs abschnürt; so entsteht die allseitig
freie und in einen glatten Ueberzug eingeschlossene hintere Hälfte des Hirnan-
hangs, während die vordere erst später in ähnlicher Weise hervortritt und da-
durch von der ersteren getrennt erscheint {Taf. VIII). Schon bevor der Hirn-
anhang seinen Zusammenhang mit der Oberhaut ganz verliert, bemerkte ich
schlauch- oder blasenförmige Auswüchse seiner Masse, welche wie Ausstül-
pungen eines Hohlgebildes aussahen {Taf. XV Fig. 282). Später fand ich, dass
gerade seine vordere, ursprünglich schmälere Hälfte zahlreiche kolbige Fort-
sätze zur Seite ausschickte, womit wahrscheinlich ihre spätere Verwandlung in
einen queren Wulst zusammenhängt.
Es bleibt mir jetzt übrig den in der Folge umfangreichsten und wichtigsten
Theil des Vorderhirns zu besprechen, nämlich dessen Gewölbetheil (Taf. VIII).
In dem auf das Mittelhirn folgenden Abschnitte erreicht er nur eine massige
Entwickelung; viel grösser dagegen ist schon gleich anfangs die Wölbung, die
aus dem vordersten Abschnitte des Vorderhirns hervortritt, und zugleich auf
die Schlussseite des embryonalen Gehirns oder die anatomische Hirnbasis sich
erstreckt. Der Gewölbetheil des Vorderhirns bietet also dieselben Verhältnisse
dar, wie derjenige des Mittelhirns, und wir sehen daher auch an seiner vorderen
oberen Seite dieselben Erscheinungen sich entwickeln, wie am Mittelhirngewölbe.
Die dicken Seitentheile biegen sich gleichfalls nach aussen aus und ziehen dabei
den Mitteltheil dünn und viereckig aus, welche Gestalt jedoch wegen der ge-
ringeren Ungleichheit der Schenkel rautenförmig erscheint. An der hinteren
Goette , Entvvickelungsgeschiolite. 1 J
290 V. Das Centralnervensystem.
Ecke dieses dünnen Vorderhirndaches entspringt aus ihm die Zirbel und ist daher
später die zapfenförinige Wurzel ihres Stieles anzutreffen. Wenn aber am
Mittelhirne die durch die seitliche Knickung angedeutete Scheidung einer
vorderen und einer hinteren Gewölbehälfte durch die spätere Entwickelung
verwischt wird, so erhält sie sich am Vorderhirne beständig und verlangt daher
eine entsprechend sondernde Beschreibung eines vorderen und eines hinteren
Gewölbes. Bisher nannte ich nur die Aehnlichkeiten zwischen den Gewölben
des Vorder- und Mittelhirns. Betrachtet man das erstere von der Seite und
von unten, so fällt gleich der wesentlichste Unterschied in die Augen, welcher
auch gerade zu irrthünilichen Auflassungen dieser Hirntheile geführt hat. Das
vordere Gewölbe hat natürlich, wie es sich aus meiner bisherigen Darstellung
ergibt, von Anfang an einen Antheil an der Schlussseite des Hirns, hört also
nicht an dessen vorderer Ecke und unmittelbar vor der rautenförmigen , mitt-
leren Vorderhirndecke auf, sondern setzt sich bogenförmig abwärts und rück-
wärts bis zur Schlussseite des Mitteltheils vom ganzen Vorderhirn, also bis zur
Sehnervenplatte fort. Es hat eben gerade so wie die Enden eines gewöhnlichen
Hausdaches eine Seite mehr als die übrigen Abschnitte der Hirnwölbung. Da
nun aber das Wachsthum im vorderen oberen Theile unseres Vordergewölbes
überwiegt, so erklärt sich daraus, dass dasselbe in seiner der anatomischen
Hirnbasis angehörigen Hälfte schmäler ist als in der anderen, an das Hinter-
gewölbe anstossenden, und dass diese mit einer seitlichen Ausladung über jene
vorragt. In Uebereinstimmung damit ist der dünne mediane Theil des Vorder-
gewölbes im bogenförmigen Uebergange an die anatomische Hirnbasis nicht
breit ausgezogen, sondern auf einen schmalen Streifen beschränkt, welcher die
dickwandigen und nahezu halbkugeligen Seitenhälften verbindet; diese Verbin-
dungshaut reicht aber nicht bis zur Sehnervenplatte, sondern lässt zwischen
ihrem Ende und dieser Platte die dicken Seitentheile sich bogenförmig verei-
nigen. — Die Trennung beider Gewölbehälften des Vorderhirns bezieht sich
jedoch mehr auf ihre äussere Erscheinung als auf eine durchgehende Sonderung;
da sie sich gegen einander erweitern , so gehören sowohl die rautenförmig aus-
gedehnte Verbindungshaut als die darunterliegende Holde beiden gemeinsam
an und wahren die Einheit des Vorderhirngewölbes. Diese ungetheilte Höhle
oder die spätere dritte Hirnkammer ist längs der anatomischen Hirnbasis
durch die beschriebene vordere Grenzfalte vom erweiterten Endstücke des Ver-
lündungskanales geschieden, und mündet erst auf- und rückwärts unter dem
llintergewölbe in dessen spaltförmigen Theil (Taf. X VII Fig. 31 i 316).
V. Das Centralnervensystem. 291
Die voranstellende Beschreibung bezieht sich auf das Vorderhirn aus der
ersten Larvenperiode; später divergirt die Entwickelung seiner Theile noch
mehr und erschwert die klare Einsicht in ihren ursprünglichen Zusammenhang.
Dazu kommt, dass gewisse Veränderungen in der Gesammtlage des Hirns eine
falsche Deutung seiner ursprünglichen Theile unterstützten. Betrachtet man
das Vorderhirn von der Seite, so zeigt es zur Zeit, wo seine Gewölbetheile eben
deutlich hervortreten, einen nahezu dreieckigen Umriss, dessen Spitze in der
Zirbel liegt und dessen untere abgerundete Winkel vom Basaltheile und dem
Fordern Gewölbe gebildet werden; die Vorderseite (das Hirndach) fällt steil ab
und die Grundlinie (anatomische Hirnbasis) senkt sich nach vorn. In der Folge
wächst nun der vordere Winkel nicht etwa schräg abwärts, wie seine frühere
Gestalt vermuthen lassen könnte, sondern ziemlich horizontal vorwärts und
zwar viel stärker als das hintere Gewölbe; dadurch wird die steile Vorderseite
des Dreiecks zu einer sanft ansteigenden, die Grundlinie zu einer horizontalen.
Während dessen verändert sich die ursprüngliche Axe des Vorderhirns weder
in ihrer Länge noch in ihrer Lage. Denn ihre Richtung — von der Vorder-
grenze des Mittelhirns bis zwischen die Ursprünge der Sehorgane — bleibt bis
auf unwesentliche Abweichungen, wie man sich leicht überzeugen kann, eine senk-
rechte*; die Verkürzung ihrer Länge, also des Mittel- und Basaltheils ist aber
ebenso offenbar nur eine relative. Wenn man jene einseitigen, ungleichmässigen
Wachsthumserscheinungen auf eine Umlagerung des Vorderhirns nach oben bezog,
so lag dies einmal daran, dass der relativ verkürzte Basaltheil der Beobachtung
endlich ganz entging und man ihn in die anatomische Hirnbasis hineingezogen
sein liess, und andererseits daran, dass man glaubte, die Umbildung der Unter-
lage des ganzen Gehirntheils, deren viscerale Fläche man von der Mundhöhle
aus leicht zur Anschauung bringt, auch auf die Umbildung des Vorderhirns
beziehen zu dürfen. Der wesentlichste Bestandtheil jener Unterlage ist in den
Embryonen und jüngeren Larven das Darmblatt. Anfangs liegt es dem Basal-
theil und der Schlussseite des Vorderhirns eng an, sodass es von der Spitze
der Wirbelsaite an eine nach vorn offene Bucht zur Aufnahme des Vorderhirns
bildet (Taf. II Fig. 38). Die Tiefe dieser Bucht entspricht aber nicht der Länge
des Basaltheils, indem das Darmblatt um die Dicke der Chordaspitze von der
eigentlichen Knickungsstelle des Hirns entfernt ist. Und wenn das Hirn sich
* Allerdings ist eine gewisse Vergrösserung des Beugungswinkels nicht zu verkennen;
da er aber vorher weniger als 90° betrug, so wird die wesentliche Thatsache, der Bestand
einer rechtwinkeligen Abbiegung, dadurch nicht beeinträchtigt.
19*
292 V. Das Centralnervensystem.
später von der Wirbelsaite ab- und über dieselbe erhebt, so wird die dadurch
verflachte Bucht des Darmblattes noch weniger einen annähernd richtigen Ab-
druck der darüber liegenden Ilirntheile vorstellen können (Taf. XV, XVI)
So ist also auch die schliesslich^, ebene und horizontale Ausspannung des
Darmblattes vom Rumpfe (Speiseröhre) an bis gegen die Mundöffnung durchaus
kein Merkmal für eine ähnliche Ausgleichung der vorher gebogenen visceralen
Fläche des ganzen Hirns. Nicht viel weniger kann die Schädelbasis, die
zwischen dem Darmblatte und dem Vorderhirn entsteht, über die Form Verhält-
nisse des letzteren täuschen. Wesentlich horizontal ausgebreitet, bestimmt sie
dadurch auch die Richtung der wachsenden anatomischen Hirnbasis. Hinten
krümmt sie sich aber um den Besaitheil des Vorderhirns aufwärts, um sich der
höher gelegenen Schädelbasis des Hinterhirns anzuschliessen. Auch diese Bucht
der vorderen Schädelbasis erreicht mit ihrem oberen Rande oder der Chordaspitze
die bereits über sie erhobene Knickungsstelle des Hirns nicht (Taf. XV, Fig. 284,
Taf. XVI Fig. 303). Weil aber die Schädelbasis im Bereiche der Wirbelsaite
viel dicker angelegt ist, als unter dem Vorderhirne, so bleibt eine gewisse Niveau-
differenz zwischen den beiden Hälften an ihrer cerebralen Fläche noch langeZeit
bestehen , nachdem sie an der Visceralfläche verschwand. Diese Ausgleichung
an der visceralen Fläche fällt mit derVerknorpelung der Schädelbasis zusammen
und wenn die ganz eben gewordene Mund- und Schlundhöhlendecke schon vor-
her das ganze Vorderhirn und im Zusammenhange damit das Hinterhirn ohne
weitere Lageveränderung in die Höhe hob, so geschieht es ebenso auch nach
der Verknorpelung der Schädelbasis, wobei nur der Basaltheil des Vorderhirns
etwas zusammengedrückt erscheint, die ursprüngliche Knickung des ganzen
Hirns aber in der zwischen jenem Basaltheil und dem Hinterhirne befindlichen
engen und spaltförmigen Bucht deutlich erkennbar bleibt.
Nachdem die Bedeutung der allgemeinen Wachsthumserscheinungen der
vorderen Hirnhälfte festgestellt ist, können die Einzelheiten ihrer weiteren Ent-
wickelung die einmal gewonnene Auffassung nicht stören. — Zunächst sind noch
die Veränderungen der Sehnervenplatte zu erwähnen (Taf. VIII). Dieselbe
wurde zuletzt als eine schmale und quergestellte, nach aussen konvexe Platte
beschrieben, welche sich seitlich in die Sehnerven verlängert. Weiterhin wächst
ihre nach vorn schauende Hälfte mit einer medianen Spitze aus, während die
hintere gerade Grenze bestehen bleibt. So entsteht eine dreieckige Erhabenheit
an der anatomischen Hirnbasis, welche wegen der dünnen und daher dunkel
erscheinenden Mitte wie von weissen Strängen eingefasst aussieht und deren
V. Das Centralnervensy stem. 293
hintere Ecken in die Sehnerven auslaufen. Durch Verbreiterung der vor-
deren Spitze verwandelt sich das Dreieck später in eine rundliche Platte,
während die dunkele, früher gleichfalls dreieckige Mitte sich zu einem schma-
len medianen Streifen zusammenzieht, der aber an ganz erwachsenen Thie-
ren nicht mehr sichtbar ist. Die Sehnerven haben sich indessen aus der Hirn-
wand weiter herausgezogen und stossen am hintern Rande mit jener Platte zu-
sammen.
Das vor der Sehnervenplatte gelegene vordere Gewölbe des Vorderhirns
erschien während der ersten Larvenperiode trotz der Sonderung seiner Seiten-
hälften im ganzen als eine einheitliche kugelige Vorragung. Bald gibt sich
aber eine leichte Einsenkung der dünnen, medianen Verbindungshaut zu er-
kennen, das erste Zeichen der weiteren Entwickelung, welche wesentlich ebenso
wie am Mittelhirngewölbe in einem Auswachsen bloss der Seitentheile gegen-
über der zurückbleibenden Verbindungshaut besteht, wobei jedoch die Ausdeh-
nung nur in geringerem Grade rückwärts, vorherrschend nach vorn gerichtet ist.
So stülpt sich das Vordergewölbe zu beiden Seiten der ruhenden Verbindungs-
haut in zwei mächtige, durch eine mediane Spalte getrennte, hohle Lappen aus,
welche gerade vorwärts und gegen das Ende verjüngt sich hinziehen, dagegen
rückwärts in zwei viel kleinere, divergirende und das hintere Gewölbe überra-
gende Ecken auslaufen. Durch diese Bildung der Grosshirnlappen ist aber
der Bestand des früheren vorderen Gewölbes nicht völlig aufgelöst, dasselbe
nicht ganz in jene seine getrennten Seitenhälften aufgegangen. Die mediane
Verbindungshaut, welche von dem hinteren Gewölbe bogenförmig nach vorn
und unten bis gegen die Sehnervenplatte verläuft und dort in den queren Wulst
übergeht, welcher die dicken Seitentheile verbindet, bezeichnet für immer die
Grenzen des ursprünglichen Gewölbes, die gemeinsame Wurzel der beiden Gross-
hirnlappen. Dieser kenntliche Rest des früheren Vordergewölbes verhält sich also
zu den aus ihm hervorgewachsenen Hemisphären ebenso, wie nach einer früheren
Darstellung der mittlere oder Stammtheii der ganzen vorderen Hirnhälfte zu den
Gewölben. Die Höhle jenes primitiven Gewölbetheils bildet, wie erwähnt, mit
derjenigen des hinteren Gewölbes einen einzigen Raum, die dritte Hirnkammer,
in welcher die Höhlen der Grosshirnlappen oder die beiden ersten Hirnkam-
mern zusammenfliessen; will man daher abgesehen von der ursprünglichen
morphologischen Gliederung den ganzen, jene unpaare Hirnkammer ein-
schliessenden Hirntheil, also die beiden ursprünglichen Gewölbe als das
294 V. Das Centralnervensystem.
Ziwschenhirn oder einen Theil desselben* bezeichnen, so ist dasselbe früher
da als die Grosshirnlappen, sind diese nur als Ausstülpungen des Zwischenhirnes
zu betrachten.
Die dünne Verbindungshant des vorderen Gewölbes bleibt, wenn sie auch
ihre frühere Lage behält, doch nicht unverändert. Ueber dorn vorderen Theile
der dritten Hirnkammer senkt sie sich faltenförmig in die Tiefe ; diese Falte schnürt
sich beuteiförmig ab und theilt sich meist traubenförnhg in drei seitlich abge-
plattete aber mit ihren Stielen zusammenhängende Fortsätze, Avelche in der
Medianebene hinter und über einander liegen {Taf. X V Fig. 28;!— .285, Taf. VIII
Fig. 152). Das gefässhaltige Bindegewebe, welches alsdann das ganze Gehirn
umschliesst, dringt auch bis zu jener eigenthümlichen Tasche vor, entsendet
Fortsätze und Gefässe in dieselbe, und nachdem sie auf diese Weise in eine
feste Verbindimg mit der bindegewebigen Hirnhülle getreten ist, löst sie sieh
vom übrigen Hirndache ab und bildet den epithelartigen Ueberzug des Ader-
geflechtes, welches durch die in Folge jener Ablösung entstandene wirkliche
Lücke des Hirndachs in die dritte Hirnkammer hineinragt. Es erscheint später
wie aus Schläuchen zusammengesetzt; ich glaube aber, dass dieses Bild nicht
auf wirkliche Schläuche zu beziehen ist, sondern auf rinnenförmige Umklei-
dungen der einzelnenGefässschlingen von Seiten jener epithelartigen Hirnmasse.
Soweit die Verbindungshaut den vorderen Umfang der Hirnlücke bildet, stellt
sie eine vordere Kommissur dar. - - Auf dem hinteren Zipfel der dünnen
Decke der dritten Hirnkam mersitzt die Wurzel des Zirbelstiels; vor ihr ent-
wickeln sich zwei kolbige Fortsätze von den dicken Seitentheilen des hinteren
Gewölbes, welche gegen die Medianebene einander entgegenwachsen und zwischen
dem Adergeflechtknoten und der Zirbelwurzel das noch übrige dünne Hirndach
verdrängen und ersetzen, da, wie ich annehme, dasselbe zur weitern Entwicke-
lung des Adergeflechtknotens verbraucht wird (TaßVIII). So entsteht zwischen
jenen beiden Nebenorganen des Hirns eine schmale Brücke dicker Hirnsubstanz,
welche die Hirnlücke hinten umschliesst. Wenn man jene beiden Nebenorgmic
des Hirns entfernt, indem man den blutrothen Adergeflechtknoten ohne jede
Verletzung aus der Tiefe hervorzieht, während der Zirbelstiel aus dem Hirn-
dache herausgerissen werdenmuss, kommt jene hintere Kommissur zur deut-
lichen Anschauung. Anfangs überragt noch das hintere Gewölbe seitlich den
* Es scheint, dass mau gewöhnlich auch den Stammtheil des Vorderhirns in den Begriff
des Zwischenliirns einschliesst.
V. Das Centraluervensy&tem. 295
darunterliegenden Stammtbeil des Vorderhirns, später verwischt sich diese
Sonderling und alles, was zwischen den Grosshirnlappen und dem Mittelhirne
liegt, erscheint als ein zusammenhängender Hirntheil, an welchem der Trichter
einen unbedeutenden Anhang darstellt. Das Entwickelungsergebniss des Vor-
derhirns unterscheidet sich also insofern von demjenigen des Mittelhirnes, dass
die vordere Gewölbehälfte trotz ihrer mächtigen Entwicklung die hintere nicht
verdrängt oder in sich aufnimmt, sondern nur ein Erzeugniss der ersteren; die
Grosshirnhemisphären, sich von den beiden ursprünglichen, später wieder ver-
einigten Gewölbehälften isolirt.
Wir haben noch einmal zu den Grosshirnlappen zurückzukehren, um deren
weitere, von ihrem Mutterboden unabhängige Entwickelung zu verfolgen
(Taf. VIII). Sehr nahe an seinem Vorderende und an der Grenze seiner Seiten-
und Banchlläche verschmilzt jeder Lappen mit der Auskleidung der angrenzen-
den Nasengrube-, darauf wird zwischen beiden Organen eine Brücke ausgezogen,
das Bündel der Riechnerven, und wo dieselben vom Grosshirnlappen ent-
springen, entwickelt sich an letzterem ein kleiner rundlicher oder länglicher
Hügel, der Riechnervenhügel. Die Grosshirnlappen wachsen nun über die
Grenzen der Riechnervenhügel hinaus; dieses Wachsthum beruht aber nicht
auf einer einfachen Längenausdehnung der hohlen Lappen, sondern wird durch
die Bildung solider Fortsätze ihrer Vorderwand hervorgebracht, welche auch
äusserlich durch seichte Furchen von ihrem Mutterboden sich abgrenzen. An
der Bauchfläche der Grosshirnlappen erkennt man deutlich, dass jene dicken
Auswüchse unmittelbar vor den Riechnervenhügeln von den ersteren ausgehen,
und in dem Masse, als sie sich verlängern, eine etwas dünnere strangartige Fort-
setzung jener Hügel, welche ihnen eng angeschlossen und mit ihnen verwachsen
bleibt, mit hervorziehen. An einjährigen Thieren scheinen diese Stränge noch
die einzigen Wurzeln der Riechnerven zu bilden; an älteren Exemplaren dagegen
treten ganz offenbar noch besondere Faserzüge aus den soliden Auswüchsen der
Grosshirnlappen zum Vorderende der Stränge, um mit ihnen gemeinsam das
Bündel der Riechnerven zu bilden. Diese Faserzüge sind aber nach meiner
Ansicht nachträgliche Bildungen, veranlasst durch die innige Verbindung der
Stränge mit der Bauchfläche des Hirns. Ursprünglich sind jene soliden Aus-
wüchse der Grosshirnlappen getrennt ; aber schon in etwas grösseren Larven
findet man sie in der Medianebene verschmolzen, sodass nur eine seichte Furche
ihre frühere Trennung andeutet. Sie bilden also eine vordere Verbindung der
Grosshirnlappen, während dieselben im grösseren Verlaufe ihrer Länge völlig
29C) V- Das Centralnervensystem.
getrennt bleiben. - - Ein weiteres Eingeben auf die Einzelheiten des Vorderhirns
liegt nicht im Plane dieser Arbeit; ich wende mich daher jetzt zum Hinterbirne.
Das Hinterhirn ist nicht nur ursprünglich eine wenig veränderte Fortsetzung
des Rückenmarkes, sondern bleibt es eigentlich auch im erwachsenen Thiere,
wesshalb seine weitere Ausbildung der Untersuchung keine Schwierigkeiten
macht. Man denke sich die dicken Seitentheile der Rückenmarksröhre, wäh-
rend sie an der unteren Hälfte nahe zusammen stehen, aufwärts stark aus ein-
ander gebogen, sodass der sehr erweiterte Raum von einem dünnen Dache
überwölbt wird, und man hat die allgemeine Form nicht nur des embryonalen
sondern auch des Hinterhirnes der jüngeren Larven (Taf. VIII, Taf. XV). So-
wohl die Wölbung wie die seitliche Erweiterung nehmen von hinten nach vorn
zu. Hinter dem Mittelhirne geht das dünne Dach in eine senkrechte dicke Platte
über, welche die Hinterwand der zwischen beiden Hirnhälften befindlichen Ein-
sclmürung bildet, sodass also nur die spaltartige untere Hälfte des Hinterhirn-
raumes unter jener Einschnürung hindurch eine unmittelbare Fortsetzung im
Verbindungskanale findet. Das dünne ohngefähr dreickige Dach des Hinter-
hirns löst sich später ebenso wie es in der vorderen Hirnlücke geschieht, von
den Seitentheilen ab und bildet gleichfalls den unteren epithelartigen Ueberzug
des Adergeflechts des Hinterhirns. An demselben glaube ich deutlich erkannt
zu haben, class die Gefässe in tiefe Rinnen des Hirndaches eingesenkt waren ;
ihre Anordnung in langen Schleifen, welche von einem mittleren, gegen die
beiden vorderen Ecken des Hirndaches gabelig gespaltenen Stamme gegen die
äusseren Ränder ziehen, erzeugt daher an der Innenfläche des Hirndaches ein
zierliches Bild von sehr scharf ausgeprägten Wülsten (Taf. VIII Fig. 149. 152).
Während der Ablösung der dünnen Decke drängt der sich ausdehnende Gewölbe-
theil des Mittelhirns gegen die vordere senkrechte Platte des Hinterhirns rück-
wärts; dadurch wird sie endlich nach hinten umgelegt und bildet alsdann eine
schmale Brücke über dem Anfange der Hinterhirnhöhle, welche man mit Recht
dem kleinen Gehirne der höheren Wirbelthiere vergleicht. Jene Verschiebung
des Gewölbetheils vom Mittelhirne ist unzweifelhaft mit eine Folge der schon
besprochenen Hebung der ganzen vorderen Hirnhälfte. Dass sie aber nicht
zugleich ein Zeichen für eine wirkliche Umrollung dieser Hirnhälfte ist, ergibt
sich aus der gleich zeitigen Erhebung der vorderen Grundfläche des Hinterhirnes,
wodurch eine quere Vorwölbung derselben erzeugt und ferner der Knickungs-
winkel der allgemeinen Hirnaxe ohngefähr in gleichem Masse verengt wird,
als jene Verschiebung zu seiner Erweiterung beiträgt.
V. Das Centralnervensystem. 297
Die histologische Entwiekelung des Hirnes ist, soweit es die Bildung der
Nervenfasern und -Zeilen betrifft, ganz dieselbe wie im Rückenmarke. Es ist
aber selbstverständlich, dass ich auf ihre mannigfaltigen Gruppirungen im Hirne
im Einzelnen nicht näher eingehen kann. Daher will ich nur eine hieher ge-
hörige Beobachtung mittheilen, weil sie meine Darstellung der morphologischen
Hirnbildung illustrirt. Die weisse Masse setzt sich vom Rückenmarke her un-
unterbrochen in das Hirn fort, und so wie dort ihre beiden Streifen der Axe
der Nervenröhre parallel verlaufen, befinden sie sich auch im Hinter- und Mittel-
hirne in der unteren Hälfte der Seitentheile in geradliniger Fortsetzung vom
Rücken her. Im Vorderhirne angelangt, verlaufen sie nicht etwa in derselben
Richtung weiter, also horizontal zum späteren Vorderende des ganzen Hirnes,
sondern bleiben in der ursprünglichen Richtung der Seitenplatten, biegen also
unter dem Gewölbe des Mittelhirnes rechtwinkelig nach unten um, und vereini-
gen sich gürtelförmig im Bereiche der Sehnervenplatten, sodass der vor dem
Sehnerven liegende Theil der Fasern sich später gegen die Grosshirnlappen
ausbreitet, der andere Theil hinter dem Sehnerven in den Basaltheil hinüber-
greift, während die graubleibende Sehnervenplatte zwischen beiden Bündeln
quer eingelagert bleibt, also den sonst einheitlichen Hauptfaserzug in seinen
Schlussstücken spaltet (Taf. XV Fig. 284, Taf. XVI Fig. 2 97, 303, Taf. XVIII
Fig. 304. 305. 314 — 316). Andere weisse Faserzüge entstehen wie es scheint
unabhängig von jenen ursprünglichen Streifen , welche den Verlauf der eigent-
lichen Hirnaxe und die Theile des Hirnes bezeichnen, welche mit den Seiten-
hälften des" Rückenmarkes verglichen werden können.
Indem ich zum Vergleiche der früheren und meiner eigenen Beobachtungen
über die Entwiekelung des Centralnervensystems übergehe, will ich zuerst einige
Angaben über dessen Histiogenese berichtigen. Reichert lässt die innere ge-
färbte Auskleidung der Nervenröhre, Remak dagegen den Centralkanal des
Rückenmarks schwinden, während jene Auskleidung zur besonderen Anlage der
grauen Masse werden soll. Es schwindet aber weder das Eine noch das Andere,
und auch die zweite Angabe Remak's ist irrig, da die Deckschicht des oberen
Keimblattes sich bloss in den inneren Theil der grauen Masse verwandelt, sodass
die Grundschicht an der Bildung des letzteren jedenfalls stärker betheiligt ist. Es
bietet gerade das Centralnervensystem den ersten Beleg dafür, class jene beiden
298 V". Das Centrahiervensystem.
Schichten, sobald sie aufhören die Theile des indifferenten oberen Keimblattes
zu sein, zu einer gleichartigen Bildungsmasse verschmelzen. Allerdings unter-
scheidet sich die unmittelbare Auskleidung des Centralkanals der fertigen
Nervenrühre in einem gewissen Grade von der übrigen grauen Masse durch die
epithelartige Anordnung ihrer Zellen. Aber diese Zellenlage lässt sich nicht
auf die besondere morphologische Anlage der Deckschicht zurückführen , son-
dern entsteht nach der Verschmelzung der beiden Keimblattschichten durch
histiologische, d. h. auf den Veränderungen der Zellen selbst beruhende Sonde-
rung; und ausserdem wird ein nicht geringer Theil der Deckschicht sowohl beim
Schlüsse der Medullarrölire als auch bei der Verwachsung des oberen Theils
des spaltförmigen Centralkanals von dem unmittelbaren Umfange des letzteren
ausgeschlossen und in das Innere der grauen Masse aufgenommen.* Dieser
rein physiologische und nicht morphologische Werth der Zellenauskleidung des
Centralkanals kann gar nicht treffender illustrirt werden als durch die homolo-
gen Theile in der Augenblase, nämlich die Stäbchen- und Zapfenschicht und
das Pigmentepithel der Netzhaut, welche urspünglich gleichfalls die kontinuir-
liche innere Auskleidung der röhrig geschlossenen Axenplatte darstellen (vgl. Taf.
VIIIFig.159). Die Zapfenschicht ist von der übrigen Netzhaut weder genetisch
geschieden noch ihr in der Art eines Epithels entgegengestellt, während das
Pigmentepithel bloss eine verdünnte Fortsetzung der ganzen Netzhaut ist. —
I )ie ursprüngliche Zellenmasse der Cerebromedullarröhre bildet ferner ausser
den Nervenelementen auch noch bindegewebige Theile zwischen denselben; doch
muss ich ganz entschieden der Ansicht von v. Baer und Rathjke entgegentreten,
als wenn die äussern Hüllen des Centralnervensystems aus der ursprünglichen
Nervenröhre abstammten. Ich habe ihre Bildung aus dem mittleren Keimblatte
Schritt für Schritt verfolgen können {vgl Taf. XI 197. 198).
Hinsichtlich der morphologischen Entwicklung des Hirnes sind die älte-
sten Beobachtungen, selbst diejenigen Pusconi's, viel zu vereinzelt um einen
lichtigen Einblick in den Zusammenhang, der Erscheinungen gewähren zu
können; sonst wäre es auch unerklärlich , wie Rusconi die Augenblasen vom
* Ich mache hier darauf aufmerksam, dass Stieda im Rückenmarke des Ampkioxus
Spuren eines obliterirten oberen Abschnittes vom Centralkanal fand, dessen frühere Epithel-
zellen sich in der grauen Masse erhalten hatten (Studien über den Amphioxus Janceolatus,
Memoires de l'Acad. imp. des sciences de St. Petersbourg, XII Serie, Tome XIX, Nr. 7 S. :!'.i).
Ihre Anwesenheit scheint aber hinlänglich zu beweisen, dass sie entweder schon vorher in
ihrer Funktion sich von der übrigen grauen Masse nicht unterschieden oder sich ihr nach-
träglich angepasst hatten.
V: Das Centralnervensystem. 299
Beginne ihrer Abschnürung an für die Anlagen der Nasengruben halten konnte.
So beschreibt er ferner ganz richtig die Hirnbasis älterer Larven, ohne ihre
frühere Bildung zu erwähnen, während er die Längstheilungen der meisten
Hirntheile, namentlich aber die wirklichen Lücken des verlängerten Markes
und des Vorderhirnes durchaus irrthümlich auf die offen bleibenden Hirnnäthe
zurückzuführen suchte, lieber die Bildung der einzelnen Hirnabschnitte hat
Rrscoxi immerhin einige bemerkenswerthe Thatsachen festgestellt. Erstens
erkannte er vollständig die ursprüngliche Hirnbeuge und die Retortengestalt
des Hirnes; ferner, dass die nach unten abgebogene Hirnhälfte drei vorgewölbte
Abschnitte erzeuge, dieGrosshirnhemisphären, die Lobi optici und den Yierhügel,
die hintere Hirnhälfte aber sich in das Kleinhirn und das verlängerte Mark
sondere. Doch wird die bleibende Lage dieser Hirntheile irrigerweise so auf-
gefasst, als wenn in Folge einer Hebung der abgebogenen Hirnhälfte die ganze
spätere Hirnaxe in einer geraden Linie verliefe.
Diese von Rusconi eigentlich nur angedeuteten Verhältnisse gewannen erst
ihre volle Bedeutung durch die weiteren Ausführungen v. Baer's*, welche die
noch heute giltigen Grundlagen zur Beurtheilung der Architektonik des Hirnes
lieferten. Ich muss dazu bemerken, dass, wenn v. Baer die Entwickelung
des Batrachierhirn.es nur ganz kurz behandelte, weil er sich auf die derselben
durchaus entsprechenden und näher ausgeführten Verhältnisse im Hirne des
Hühnchens berufen konnte, es mir auch gestattet erscheint, seine Bemerkungen
über das letztere hier in den Kreis der Betrachtung zu ziehen. Die Sonderungen
des vorderen, erweiterten Endes der Medullarröhre schildert er folgendermassen.
„Nachdem zuerst ein vorderes rundliches Bläschen von dem viel längern hintern
Räume sich abgegrenzt hatte, theilt sich fast gleich darauf auch dieser, und
man hat nun drei Bläschen." „Die vordere Blase wird das grosse Hirn, die
hintere das kleine Hirn mit dem verlängerten Marke , und die mittlere die so-
genannte Vierhügelmasse mit einem entsprechenden Theile der Hirnschenkel
(Mittelhirn). Das vordere Bläschen theilt sich aber bald in zwei Abtheilungen,
indem die vorderste und obere Wand sich rasch hervorstülpt. Sie stülpt sich
aber doppelt oder zu beiden Seiten neben der Mitte hervor (Grosshirnhemi-
sphären — Vorderhirn) , sodass diese im Verhältniss zu den Seitentheilen ein-
gesenkt bleibt. Die hintere Region des ersten Hauptbläschens bleibt unpaarig
* Für die theils oberflächlichen , theils falschen Angaben Eeichebt's und Remak's
über die Morphologie des Batrachierhirnes verweise ich einfach auf die im Eingange dieses
Abschnittes mitgetheilten Auszüge.
300 V. Das Centralnervensystem.
(dritte Hirnkammer — Zwischenhirn) und grenzt sich auch etwas von den vor-
dem gedoppelten ab. Auch sondert sich die hintere Hauptblase in zwei, eine
vordere kürzere (kleines Hirn — Hinterhirn) und eine hintere längere (ver-
längertes Mark — Nachhirn). So sind also fünf Bläschen aus den ursprüng-
lichen dreien entstanden" (Nr. 8 II S. 10G — 107). „Alle Bläschen liegen
ursprünglich ziemlich in einer Linie hinter einander, machen jedoch vorn eine
Krümmung, da das vorderste Ende des Embryo sehr früh umgebogen ist. Auch
stehen sie in so fern nicht in gleicher Beziehung zu einander, als das vorderste
Doppelbläschen eine Erweiterung oder eine Art Aussackung, nicht von dem
ganzen Umfange der Medullarröhre, sondern nur von der oberen Wand ihres
vordem Endes ist, woraus folgt, dass das ursprüngliche vorderste Ende der
gesammten Medullarröhre hinter diesem Doppelbläschen zurückbleibt, und
eine unmittelbare Verlängerung des Zwischenhirnes nach unten wird. Dieses
Ende verengt sich später allmählich mehr, wird durch die allgemeine Krümmung
die das Hirn erfährt, nach dem Rückenmark hin zurückgebogen und bildet
sich zum Trichter und Hirnanhange" (S. 108). Endlich wird noch bemerkt,
„dass das Hirn aus denselben Markplatten gebildet wird, aus denen auch das
Rückenmark besteht. Diese Platten sind nun absatzweise zu den Bläschen
ausgebuchtet und sehr dünn. Nur der untere Rand, eine Fortsetzung des un-
teren Rückenmarkstranges, ist schon sehr früh etwas dicker. Er nimmt dann
allmählich an Dicke zu und gewinnt das Ansehen eines Hirnschenkels. Man
kann also nun zwei untere Stränge, die Hirnschenkel, und von ihnen sich er-
hebende Blätter unterscheiden. Jede Abtheilung des Hirnes hat ihren Antheil
an dem Hirnschenkel mit seiner blattförmigen Ausbreitung jederSeite. So lange
der Hirnschenkel nur noch der kaum umterscheidbare Saum der Markplatten
ist, findet er in der hintern Wand des Trichters sein Ende." „Die unteren Stränge
des Rückenmarks gehen nämlich, sobald sie eine gewisse Ausbildung erlangt
haben, allerdings in das Vorderhirn über, nicht über die Centrallinie der Me-
dullarröhre und was ihr zunächst liegt" (S. 109). Aus diesen Beobachtungen
zieht v. Baee den Schluss, dass die oben bezeichneten fünf Abschnitte „morpho-
logische Elemente des Hirns" seien, und dass man mit Recht sagen könne,
„dass das Hirn in der ersten Periode eine längliche, in fünf Abschnitte getheilte
Erweiterung der Medullarröhre ist" (S. 107—108).
Die vorangestellten eigentlichen Beobachtungen enthalten, ohne dass es
v. Baer selbst hervorgehoben hätte, zwei sehr wichtige allgemeine Thatsachen:
1. dass, da der Trichter und Hirnanhang das ursprüngliche Hirnende darstellten,
V. Das Centralnervensystem. 301
auch die fortgesetzten Seitenplatten des Rückenmarks dort ausliefen, die Hirn-
axe stets umgebogen bleiben müsse, 2. dass jeder Hirnabschnitt einen Theil der
ganzen Hirnröhre, also auch der gemeinsamen Axe, der Seitenplatten und der
dadurch bezeichneten Grundfläche enthalte. Diese Thatsachen sind in ihrer
Allgemeinheit ganz richtig, und wenn v. Baer selbst keinen besonderen Nach-
druck darauf legte, so sehe ich den Grund dafür darin, dass seine Auffassung
des fertigen Hirnes, die ich erst Aveiter unten besprechen will, gar nicht an jene
Thatsachen anknüpfte. Im einzelnen sind jedoch jene Beobachtungen nicht
fehlerfrei und dies rührt zum grössten Theile daher, dass das ihnen zu Grunde
liegende Objekt, das embryonale Hirn des Vogels, zur Feststellung allgemein-
giltiger Unterscheidungen viel weniger geeignet ist als z. B. das Hirn der Ba-
trachierembryonen. Im ersteren ist allerdings die Basis der abgebogenen
vorderen Hirnhälfte, nämlich die Hinterwand des späteren Trichters sehr deut-
lich markirt; von dort an vor- und aufwärts beschreibt aber die Hirnwand bis
zum Scheitel des Mittelhirnes einen fortlaufenden Bogen, und wurde daher von
v. Baer offenbar bloss für die eigentliche Oberseite der Hirnröhre gehalten,
sodass also die letztere sehr verschmächtigt und gewissermassen mit einer
Spitze im künftigen Hirntrichter enden sollte. An den Batrachierembryonen
ist aber die Axe der vorderen Hirnhälfte und daher die Schlussseite, oder das
eigentliche Hirnende so bestimmt vorgezeichnet und ferner durch den Verlauf
der Seitenplatten weisser Marksubstanz so unverkennbar festgestellt, dass bei
den Amnioten dieselben Verhältnisse , wie mir scheint, nur durch die sehr früh
beginnende Vorwölbung des Vorderhirnes sich der Erkenntniss entziehen. Denn
das, was v. Baer von den Hirnschenkeln seiner Embryonen sagt, kann ich für
die Embryonalzeit, um welche es sich bei unseren Bestimmungen handelt, nicht
bestätigen, da ich alsdann in der Hirnwand gar keine histiologischen Unterschiede
finde. Daher muss ich daran festhalten, dass die Hirnaxe zwischen der Wurzel
der Grosshirnhemisphären und dem Trichter, also ohngefähr zwischen den Seh-
nervenursprüngen ende, und dass der Trichter nur den Basaltheil des Vorder-
hirnes darstelle. Immerhin hat v. Baer ganz richtig die Grosshirnhemisphären
und den Trichter als zusammengehörige Theile eines ersten Hirnabschnittes,
und nur irrigerweise das die dritte Hirnkammer einschliessende Zwischenhirn
als einen zweiten, darüber liegenden Abschnitt aufgefasst. Denn jene beiden
erstgenannten Hirnregionen bilden niemals, auch nicht bei den Amnioten, einen
unter der dritten Hirnkammer zusammenhängenden und von dieser abgeson-
derten Theil-, sondern die letztere liegt stets zwischen beiden und bildet den
302 V. Das Centralnervensystem.
Gewölbetheil, der Trichter den Basaltheil eines ersten vorderstenHirnabschnittes,
dessen Decke sich in die zwei hohlen Lappen des grossen Hirnes ausstülpt.
Wenn man von homologen Abschnitten der ganzen Hirnröhre reden will, so gibt
es in der vorderen Hirnhälfte nur zwei, mein Vorderhirn und das Mittelhirn.
Denn wenn ich auch in der Beschreibung zwei Gewölbehälften des ersteren
unterschied, so kann doch nicht entgangen sein, dass diese Unterscheidung sich
mit der anatomischen Eintheilung des fertigen Hirns nicht deckt. Einmal
bleiben die zu jenen beiden Gewölbehälften zugehörigen übrigen Regionen der
Hirnröhre, nämlich der Mittel- oder Stammtheil des Vorderhirns mit dem Ver-
bindungskanale und alsdann der Basaltheil, der sich später in den Hirntrichter
verwandelt, ungetheilt. Was nun das Gewölbe des Vorderhirns selbst anbe-
langt, so geht sein ursprünglicher Bestand gar nicht in der Art verloren, dass
eine vordere Hälfte sich in den Grosshirnhemisphären von einer hinteren trennte;
sundern die erstere bleibt, soweit sie durch die vordere Umschliessung der un-
paaren dritten Hirnkammer und durch die Verbindungshaut, namentlich durch
deren rautenförmige Verbreiterung von Anfang an gekennzeichnet ist, auch
weiterhin bestehen und z. B. durch die an Stelle jener Verbindungshaut tretende
Hirnlücke immer leicht unterscheidbar. Während ferner die Grosshirnlappen
nur als eine Art Anhangsbildung dieses Vordergewölbes erscheinen, verliert
dasselbe später sogar seine vorübergehende und nur äusserliche Absonderung
gegen dasHintergewölbe, um mitilim wieder zu der einheitlichen Decke der dritten
Hirnkammer zusammenzufliessen. Wäre dies aber auch nicht der Fall und
erhielte sich auch die äusserliche Sonderung beider Gewölbehälften, so wäre
doch die ähnliche Entwicklung des Mittelhirns massgebend: dasselbe zeigt
anfangs, wenn auch in geringerem Grade, dieselbe Sonderung seines Gewölbes
wie das Vorderhirn. Die Rückbildung der hinteren Hälfte des Mittelhirn-
gewölbes ist aber natürlich für die Beurtheilung der Homologie von keinem
Belang. Wenn die homologen Körpertheile sich nicht verschieden entwickelten,
so würden wir eben überhaupt nicht nach Homologien suchen. Solange also
das Mittelhirn mit vollem Rechte für einen einheitlichen und einfachen
Hirnabschnitt angesehen wird, so lange muss dies auch für das Vorderhirn gelten.
Selbst die Sonderung von Vorder- und Mittelhirn ist nicht so ursprünglich und
scharf, als man es vielleicht annimmt. Remak's Angabe, dass dieselbe bei den
Batrachiern derjenigen von Mittel- und Hinterhirn vorangehe, ist nach meinen
Untersuchungen ganz irrig und konnte sich nur auf die Beobachtung des Vogel-
hirns stützen, an welchem schon v. Baee das Vorderhirn sich zuerst
V. Das Centralnervcnsystem. 303
abgrenzen sah. Genau genommen gründet sich aber diese Sonderung nur auf die
beginnende Vorwölbimg der Augenblasen , deren hintere Abschnürung jedoch
selbst in der allerersten Zeit nicht mit der bleibenden Grenze des Vorderhirns
zusammenfällt, welche vielmehr eine kurze Strecke dahinter und nicht früher
als die ähnliche hintere Abgrenzung des Mittelhirns oder die Scheidung meiner
beiden Hirnhälften erscheint (vgl. Nr. 40 Taf. UI Fig. 30, Nr. 110 Taf. II. III).
Und damit stimmen meine Beobachtungen an Batrachiern überein {Taf. VI
Fig. 108, Taf VII Fig.127), sodass ich die Theilung in jene beiden Hälften als
die ursprünglichere betrachten muss. — Was die Trennung von Hinterhirn
und Nachhirn betrifft, so gilt für sie dasselbe, was ich vom Vorderhirne sagte:
homologe Abschnitte der ganzen hinteren Hirnhälfte gibt es bei den Batrachier-
embryonen ganz bestimmt nicht, und soweit meine Erfahrungen reichen, auch
nicht bei den Embryonen anderer Wirbelthiere , sondern nur verschiedene Ab-
schnitte des Hirndaches, welche bald früher und stärker (Amnioten), bald später
und schwächer (Batrachier) hervortreten und ebensowenig wie etwa die Aus-
stülpungen der Darmröhre (Leber, Lunge u. s. w.) zur Eintheilung des ganzen
betreffenden Primitivorgans benutzt werden dürfen. Meine Untersuchungen
ergeben also, dass die drei primitiven Hirnabschnitte oder „Hirnbläschen" von
v. Baer nach ihrer Lage und ihren Grenzen im allgemeinen richtig bestimmt
wurden, wogegen die fortgesetzte Theilung in fünf homologe Abschnitte un-
zulässig ist. Wir hätten also zuerst zwei Hirnhälften, von denen die hintere
annähernd horizontal liegen bleibt* die vordere aber abgebogen wird, sodass
die ursprüngliche Axenknickung niemals verschwindet. Die Beugung selbst
fällt in den Bereich der vorderen Hirnhälfte, und der sie umfassende Abschnitt
sondert sich als Mittelhirn ab , welches keilförmig den Raum zwischen dem
Hinter- und dem Vorderhirne ausfüllt, In dem letzteren läuft die Axe an der
Sehnervenplatte aus, d. h. etwa in der Mitte der Schlussseite des ganzen Hirns
oder der späteren anatomischen Hirnbasis. Diese drei Abschnitte beziehen sich
alle auf die ganze ursprüngliche Hirnröhre, sind also einander vollständig
homolog-, denn jeder hat einen Antheil an der Basis, am Mitteltheile und an
der Decke des röhrigen Primitivorgans. Ausserdem ist aber auch ihre fernere
Entwicklung ihrem Wesen nach nicht sehr verschieden, indem sie überall vor-
herrschend in der gleichen Region, nämlich am Gewölbe oder Hirndache erfolgt,
f Die nach unten konvexe Biegung des Hinterhirns tritt erst während der späteren
Entwickelung ein und ändert ferner, wie ich zeigte und worauf es hier in erster Linie an-
kommt, nicht das Verhältniss des hinteren Axenabschnittes zum vorderen.
304 "V- Das CentraJnervensystem.
dessen Ausdehnung durch die umgebenden Fornibedingungen am meisten be-
günstigt erscheint. Darin, dass diese Entwickelung des Gewölbes überall in
aufwärts gerichteten Ausbuchtungen sich offenbart, welche in der Höhe mehr
oder weniger deutlich halbirt erscheinen*, lässt sich eine fernere allgemeine
Uebereinstimmung der drei Gewölbeabschnitte nicht verkeimen. Die homologen
Theile derselben im Vorder-, Mittel- und Hinterhirne sind also 1. die Grosshirn-
hemisphären nebst der Decke der dritten Hirnkammer und dem Epithel des
Adergeflechtes , der Vierhügel und das kleine Gehirn nebst dem Epithel des
hinteren Adergeflechts, 2. die dritte Hirnkammer, die obere Erweiterung des
Aquaeductus Sylvii und der vierten Hirnkammer. Hinsichtlich der Abwei-
chungen in der Entwickelung der einzelnen Gewölbe verweise ich auf die
oben, mitgetheilten Bemerkungen über das Vorderhirngewölbe. Alle übrigen
Besonderheiten** ergeben sich von selbst ohne die allgemeine Auffassung
zu stören. Die Veränderungen der Basaltheile sind geringer, indem der
'Trichter (Vorderhirn), der Boden des Aquaeductus Sylvii (Mittelhirn) und
derjenige der vierten Hirnkammer (Hinterhirn) die betreffenden drei Homo-
loga sind, wobei übrigens nicht zu vergessen ist, dass am Vorderhirne eine
Schlussseite dazukommt, sodass dort das, was am Mittel- und Hinterhirne
als eine fortlaufende Rinne erscheint, einen vorderen (unteren) Abschluss
besitzt und daher natürlich von Anlang an, bevor noch eine weitere Umbildung
eintrat, buchtförmig ist. Am wenigsten verändert sich der Mitteltheil der drei
Hirnabsclmitte, den ich daher den Stammtheil nenne; er behält seine dicken
Wände mit dem eingeschlossenen engen Kanäle, welcher der einzige ununter-
brochen fortlaufende Theil des ursprünglichen Hirnraumes bleibt und daher
die durch Einschnürungen von einander getrennten Buchten der Gewölbe und
der Basaltheile mit einander verbindet (Verbindungskanal). Wo die Basal-
theile wenig verändert sind, also im Mittel- und Hinterhirne, bildet der Stamm-
theil mit denselben einen einzigen Höhenabsclmitt. Seinen Abschluss findet er
in der Sehnervenplatte.
Da alle voranstehenden Ausführungen sich auf die Batrachier und grössten-
theils auch auf die Anmioten beziehen, so will ich hier noch einige kurze Be-
* Auch am Homologon des kleinen Gehirns bei den Batrachicrn ist die Halbirung in dem
medianen Einschnitte angedeutet (Taf. VIII Fig. 151).
** Die Entstehnngsweise der Zirbel der Batrachier verbietet es, sie einfach für eine
Ausbuchtung des Gewölbes zu erklären. Da sie ein Umbildungsprodukt einer letzten Ver-
bindung des Hirns mit der Oberhaut ist, könnte dabei an die ähnliche Oeffnung bei den Em-
bryonen von Amphic-xus gedacht werden (Nr. 111 S. 7, Taf. 11 Fig. 21. 2o).
V. Das Centralnervensystem. 305
merkungen über die Entwickelung des Hirns der Knochenfische hinzufügen*
Sein ursprünglicher Zustand ist der einer gestreckten , vorn nur wenig geneigten
Fortsetzung des Rückenmarks, und es kann bei den eigentümlichen äusseren
Verhältnissen der Entwickelung des Teleostierkopfes leicht der Eindruck ent-
stehen, dass jene Lage sich erhalte, und der Hirntrichter und die über ihm
befindliche Faltung der Hirnbasis sich nicht in Folge einer allgemeinen Hirn-
biegung, sondern ohne eine solche lokal entwickelten. Dennoch glaube ich eine
solche Beugung an folgenden Merkmalen erkannt zu haben. Die Abschnürung
der Augenblasen erfolgt bei allen genannten Wirbelthierembryonen in der Weise,
#
dass sie in der Nähe des Mittelhirnes anfängt und parallel der Axe des Vorder-
hirns gegen die Schlussseite fortschreitet, sodass die Wurzeln der Augenstiele
an der letzteren liegen. Daher finden wir die Augenblasen bei den Amnioten
und Batrachiern von unten aufgerichtet, bei den Knochenfischen von vorn nach
hinten sich erstreckend und ziemlich nahe der Oberfläche des vordersten Hirn-
endes wurzelnd. Diese letztere Lage bleibt aber nicht erhalten ; das hintere
freie Ende der Augenblase richtet sich allmählich auf, die Wurzel ihres Stieles
senkt sich und zugleich wird ein unterer hinterer Theil des Vorderhirns rück-
wärts unter das Hinterhirn, ein oberer Theil vor die Augenblasen geschoben.
Da ein Zusammenhang dieser Lageveränderungen nicht zu verkennen ist, so
folgere ich daraus, dass die durch die Wurzel der Augenstiele bezeichnete
Schlussseite des Vorderhirns sich abwärts und rückwärts umwälzt und dadurch
die hinter und unter dem Auge befindliche eigentliche Basis des Vorderhirns
nach hinten umlegt, sodass genau dieselben Verhältnisse hergestellt werden,
wie ich sie bei den andern Wirbelthieren beschrieb. DieseBewegung kann aber
nur auf eine Verlängerung des ganzen Centralnervensystems während seiner
Umbildung zur Röhrenform zurückgeführt werden. So lassen sich also für die
morphologische Umbildung des Hirns bei allen Wirbelthierklassen nicht nur
die wesentlich gleichen Endergebnisse, sondern auch ebenso gleiche allgemeine
Ursachen derselben selbst bei verschiedener äusserer Erscheinung nachweisen,
wobei ich jedoch für das Einzelne wie für die ganze spätere Entwickelung auf
die Deutung der besonderen mechanischen Formbedingungen verzichte, da ihre
Mannigfaltigkeit, welche mit derjenigen der Theile wächst, gar zu leicht zu
einseitiger und daher irriger Auffassung führt,**
* Vgl. den Schluss des Abschnittes IV. 1. „Die Leistungen des oberen Keimblattes."
** Einen Beweis dafür liefert uns His, indem er die nach unten konvexe „Brücken-
Goettr, Entwickelungsgeschichte. 20
306 V. Das Centralnervensystem.
Nachdem ich aus dem Vergleiche der v. BAEE'schen und meiner eigenen
Untersuchungen erwiesen habe, dass v. Baee den morphologischen Aufbau des
Hirns in einigen der wichtigsten Punkte, der bleibenden Axenbiegung und der
ursprünglichen Dreitheilung senkrecht zur Axe, richtig erkannt hat, komme
ich zu der von ihm aufgestellten allgemeinen Auffassung, zu seinein Schema
der Hirnbildung. Dieses Schema beweist noch klarer als dasjenige der Ge-
sammtentwickelung, wie sehr bei v. Baee, noch die rein anatomische Vorstel-
lung in der Entwickelungsgeschichte überwog. Jene nächstliegenden Folge-
rungen aus seinen Beobachtungen hat v. Baee selbst anzuführen unterlassen;
ja, im unmittelbaren Anschlüsse an die letzteren werden zu Gunsten einer sche-
matischen und durchaus fehlerhaften Darstellung gerade die wichtigsten Er-
gebnisse vernachlässigt. Er wusste und hat es namentlich für die Fische
hervorgehoben (Nr. 8 II S. 298. 303), dass es ursprünglich nur drei primäre
Hirnbläschen gebe, er wusste, dass sein von der Centrallinie der Nerven-
röhre ausgeschlossenes Vorderhirn keine einfache und ursprüngliche Anlage
besitze, sondern eine nachträgliche Doppelausstülpung aus der Decke des
ersten jener Bläschen sei und ursprünglich mit dem Trichter zusammen-
hänge (Nr. 8 II S. 307) ; im fertig ausgebildeten Cyklostomenhirn, „welches
am meisten auf der ursprünglichen Embryonenform beharre" und welches
daher „von der Selbstständigkeit der fünf morphologischen Elemente des
Hirns zu überzeugen" besonders geeignet sei, sieht endlich v. Baee Hinter-
hirn und Nachhirn in einem einzigen Abschnitte vereinigt (S. 311). Wenn er
trotz diesem allen an den fünf Hirnbläschen als den Grundlagen der Hirn-
bildung festhält, so lässt sich dies nur so erklären , dass er im Entwickelungs-
verlaufe gar nicht nach allgemein giltigen Normen suchte, welche erst die
anatomische Auffassung bestimmen sollten, sondern nur nach der einfachsten
und möglichst gleichartigen Erscheinungsform verschiedener, anatomisch be-
stimmter und hervorragender Theile. So entstand jenes Schema der Hirnbil-
dung, welches sich weder an die durch die Beobachtung festgestellten Homo-
logieen band, noch durch die vielen Beweise gegen seine allgemeine Giltigkeit
selbst nur für die fertige anatomische Erscheinung erschüttert wurde, v. Baee
war eben Anatom, bevor es noch eine Entwickelungsgeschichte gab. In seinen
krümmung" des Hinterhirns mit der Amnionbildung in Zusammenhang bringt und daher
den Anamnia abspricht (Nr. 109 S. 133). Ich habe dieselbe an unserm Batrachicr beschrie-
ben und von einem jungen, vollständig entwickelten Thiere abgebildet '(Tat. VIII Fig. 148).
Noch ausgezeichneter finde ich die Brückenkrümmung an einem Acanthiasembryo.
V. Das Centralnervensystem. 307
grossartigen Entwürfen zur vergleichenden Anatomie erkennen wir schon den
Einfluss der Vorstellungen vom Wesen der thierischen Entwickelung, denen er
zuerst lebendigen Ausdruck verlieh, aber noclV fehlte die Sicherheit in der Füh-
rung dieser neuen Begriffe, noch war manches Vorurtheil zu mächtig um unter
den wuchtigen Streichen der jungen Wissenschaft völlig zusammenzubrechen.
So hinterliess v. Baer seinen Nachfolgern nicht eine unfehlbare Urkunde,
sondern eigentlich nur eine grossartige Aufgabe, zu deren Lösung er die ersten
wichtigen Fingerzeige gab. So wenig vollkommen aber auch seine einzelnen
Ausführungen waren, so durchzog sie doch alle die lebendige Auffassung der
organischen Entwickelung; und diesem fesselnden Antheilean der vollen Wahr-
heit haben es die v. BAER'schen Schemata zu danken, dass sie noch immer die
Dogmen vorstellen, nach denen die Anatomie ihre Urtheile abwägt. Ja, seitdem
der Begriff jener Entwickelung unsere morphologischen Anschauungen ganz
durchsättigt und sich selbst in steigendem Masse geläutert hat, überträgt man
ihn in dieser vollkommeneren Gestalt auf jene Tradition: wer jetzt v. Baer's
Schema von der Hirnbildung wiederholt, muss davon überzeugt sein, dass die
fünf Hirnbläschen homologe Abschnitte der Hirnröhre und als solche thatsäch-
lich in allen Wirbelthierembryonen vorhanden seien. Und doch hat v. Baer
dies weder strikt behauptet, noch uns seine widersprechenden Beobachtungen
vorenthalten. Diese scheinen aber vergessen, und das unvollkommene Bild
gilt für die eigentliche Beobachtung , welche man immer von neuem bestätigt
zu haben glaubt, indem man sich bloss das Bild stets von neuem zusammen-
sucht.
Bevor ich unsern Gegenstand, die Darstellung der allgemeinen Hirnbildung
verlasse, glaube ich noch einige praktische Fragen erledigen zu müssen. — Wenn
uns die Entwicklungsgeschichte zwingt, im Wirbelthierhirn* nur drei ursprüng-
liche und homologe Abschnitte anzunehmen, so braucht desshalb die anato-
mische Eintheilung noch nicht erschöpft zu sein. An jedem der drei Abschnitte
lassen sich untergeordnete Sonderungen unterscheiden, welche je nach ihrer
Verbreitung und der Ausbildung der gesonderten Theile natürlich eine ver-
schiedene Beachtung verdienen, aber da sie nirgends den ganzen Umfang der
* Was für die Batrachier, Aninioten und Knochenfische gilt, kann bei der allgemeinen
Uebei-ein Stimmung ihrer embryonalen und ausgewachsenen Hirne mit denen der übrigen
Wirbelthiere (Selachier, Ganoiden, Cyklostomen) auch für die letzteren angenommen
werden.
20*
308 V. Das Central ncrvensystem.
Hirnröhre betreffen, auch niemals den Werth jener 3 primitiven Theile bean-
spruchen können. Die erste Stelle nimmt dabei das Vorderhirn ein, weil seine
Eintheilung in drei Höhenabschnitte am weitesten verbreitet ist. Unter diesen
scheinen die paarigen Ausstülpungen der Decke, die Grosshirnhemisphären,
ausnahmslos vorhanden und daher die Ursache zu sein, dass man sie irriger-
weise unter die primitiven homologen Abschnitte einreihte. Durch ihre Tren-
nung vom Zwischenhirne hat v. Baer eine Eintheilung geschaffen, welche, wenn
auch nicht im ursprünglichen Sinne, anatomisch und genetisch durchaus ge-
rechtfertigt ist. Sein Zwischenhirn stellt nämlich zwischen dem Mittelhirne
und den Grosshirnhemisphären das ganze ursprüngliche Vorderhirn, wie ich es
bestimmte, vor* und wird nach v. Baer's Angaben (Nr. 8 II S. 108. 110. 1 13)
durch die Hirnlücke oder den Hirnschlitz oben und die Sehnervenursprünge
(Sehnervenplatte) unten, wozu man noch vorn die Verbindungshaut mit der
vorderen Kommissur hinzurechnen sollte, ganz genau gekennzeichnet. Will
man ausserdem den Trichter als den mehr oder weniger abgeschnürten Basal-
theil des Vorderhirns vom Zwischenhirne trennen, so entspräche das letztere
immerhin genetisch gut unterschiedenen Theilen, nämlich dem Stammtheile und
dem primitiven Gewölbe des Vorderhirns. In neuerer Zeit hat nun Miklucho-
Maclay, indem er behauptet von den v. BAEß'schen Grundformen der Hirn-
bildung auszugehen (Nr. 112. S. 5), den vordersten Abschnitt des Selachierhirns
als Vorderhirn so bestimmt, dass derselbe ausser den Grosshirnhemisphären in
der vorderen Hälfte der dritten Hirnkammer noch einen unpaaren Theil besitze,
welcher an der (anatomischen) Hirnbasis in den Trichter übergehe und sowohl
den Hirnschlitz als auch , wie die Bezeichnung der Abbildungen bestätigt , den
Sehnervenursprung umfasse (S. 7). Eine Erklärung dieser scheinbar ganz
willkürlichen Abweichung von der allgemein angenommenen und wie ich zeigte
ganz gut begründeten v. BAER'schen Eintheilung des Vorderhirns findet sich in
einer zugehörigen Bemerkung insofern, als daraus hervorgeht, dass Miklucho-
Maclay die Inkongruenz der v. BAER'schen Beobachtungen und seines Schemas
gar nicht erkannt, sondern geglaubt hat, aus Beidem eine einheitliche Darstellung
herauslesen zu müssen. Aber gegenüber derbestimmten anatomischen Unterschei-
dung des Zwischenhirns, welche v. Baer für die Fische ausdrücklich wiederholte
* Hat man die untergeordnete Stehung der Grosshirnhemisphären in der typischen Gliede-
rung des Hirns zugegeben, so dürfte der Name „Vorderhirn" für sie nicht mehr passen, weil
darin doch eine Gleichstellung mit dem Mittel- und Hinterhirne angedeutet ist.
V. Das Centralnervensystem. 309
Nr. 811 S< 303—306) kann seine Bemerkung über den ursprünglichen Zusammen-
hang der Grosshirnhemisphären und des Trichters nur den Sinn haben, dass
sie, was auch in der That der Fall ist, zusammengehörige Höhenabschnitte,
Decke und Basis desselben horizontal umgelegten Vorderendes der Hirnröhre
seien; was aber nicht ausschliesst, dass das Zwischenhirn als der betreffende
Mitteltheil von Anfang an zwischen ihnen liege. Denn v. Baer selbst sieht die
Augenanlagen, also einen Theil des Zwischenhirns früher auftreten, als jene
später durch die Sehnervenursprünge getrennten Theile sich aus der Hirnröhre
abgesondert haben. Daher muss ich jene xAusscheidung des vorderen Theils
der dritten Hirnkammer mit dem Hirnschlitze und der Sehnervenplatte aus dein
Begriffe des Zwischenhirns, wenn Miklucho-Maclay sich dabei auf v. Baer
beruft, als missverständlich bezeichnen. Anatomisch ist sie aber auch nicht
haltbar; denn die deutliche Sonderung des hinteren Gewölbes des Vorderhirns
(M. Maclay's Zwischenhirn) scheint, soweit ich es beurtheilen kann, auf die
Fische beschränkt, also nichts weniger als eine allgemeine Erscheinung zu sein.
Mehr noch als im Vorderhirne, bleibt die Einheit im Hinterhirne gewahrt; denn
wenn wir seine embryonale Form bei den niedern Wirbelthieren (Fische, Ba-
trachier) auch im ausgebildeten Zustande ziemlich unverändert wiederfinden,
so kann das Gemeinsame nur in jener Einheit, die weitere Sonderung aber als
ein Vorzug einzelner Klassen erscheinen. — Noch beschränkter in ihrer Ver-
breitung ist die Gliederung des Mittelhirns, dessen Theilung in eine vordere
und hintere Hälfte sich vielleicht auf die von mir beschriebenen vorderen und
hinteren Schenkel des Gewölbes zurückführen Hesse.
Für die Vergleichung der verschiedenen Wirbelthierhirne sind bisher nur
die Formen ihrer Einzeltheile und die daraus sich ergebenden Lageverhältnisse
massgebend gewesen. Dies wird auf die Dauer nicht genügen ; denn wenn uns
die Frage nach den Verschiedenheiten derHirnbildung zunächst auf das ursprüng-
lich Gemeinsame verweist, von dem dieselben ausgingen, so muss man beim
Suchen nach einer bestimmten Erscheinungsform des Gemeinsamen stets auf
ein Schema kommen, da eine volle Gleichheit der Erscheinungen thatsächlich
nicht existirt. Auch die Dreitheilung des Hirns wäre ein Schema, wenn man
dabei an drei gleiche Bläschen dächte. Die volle Geichheit und Gemeinsamkeit
ist eben nur im Gesetze zu finden, nicht wie es in der Erscheinung seinen be-
sonders bedingten Ausdruck findet, sondern wie es im allgemeinen Wechsel-
verhältniss der wirkenden Kräfte, in den Ursachen des Werdens sich bethätigt.
So muss uns jene Vergleichung nothwendig auf die allgemeinen Bildungsur-
310 V. Das Centralnervensystem.
Sachen zurückführen, um in ihnen die Gemeinsamkeit des Gesetzes und die Be-
sonderheit der konkreten Bedingungen zu erkennen. Wenn man jedoch die
reiche Gliederung der einzelnen Wechselwirkungen überblickt, in welche gerade
bei der Entwickelung des Hirns die offenbar höchst einfachen embryonalen
Grundlagen und ersten Formbedingungen auslaufen, so muss es bedenklich
erscheinen, schon jetzt dem einheitlichen Kausalgesetze nachzuforschen. Indem
ich daher die ganze Arbeit besserer Erkenntniss und reiferer Ueberlegung über-
lasse, erlaube ich mir nur auf ein Verhältniss aufmerksam zu machen, welches
ein allgemeines Gesetz anzudeuten scheint, nämlich den Verlauf der Hirnaxe.
Da in ihr die Lagerungsbeziehungen aller Theile der Hirnröhre zusammentreffen,
so ist es klar, dass darin auch das Lagerungsgesetz derselben ausgesprochen
ist, daher auch aus einer Veränderung der Axe eine solche der allgemeinen
Lagerungsbeziehungen oder der die ganze Hirnröhre betreffenden Bildungs-
ursachen erkannt werden kann. Eine solche Untersuchung setzt natürlich die
Bestimmung der Axe voraus, was wiederum von der allgemeinen, gesetzmässigen
Gestalt des Hirns abhängt. Denn selbstverständlich kann von einer eigentlichen
Axe nur bei regelmässigen Formen die Rede sein. Eine solche ist für das Hirn
bekanntlich die cylindrische Röhre-, wie aber deren Verlauf oder was dasselbe
ist, derjenige ihrer Axe sich während der Entwickelung gestaltet, scheint mir bis-
her nicht genügend untersucht zu sein. Dass die Hirnröhre gleich anfangs eine
starke Biegung ausführt, ist nicht nur aus der Entwickelung der Amnioten und
Batrachier bekannt, sondern kann, wie ich zeigte, auch für die Fische ange-
nommen werden. Ich will hier auf die Ursachen dieser Biegung nicht weiter
eingehen, sondern nur ihre weiteren Schicksale verfolgen. Solange die Höhe
der abgebogenen Hirnröhre wie z. B. im jungen Batrachierembryo eine gleich-
massige bleibt, kann man ihren Verlauf allerdings nach der Grundfläche, inso-
fern dieselbe der Axe parallel läuft, beurtheilen; sowie jene Gleichmässigkeit
aufhört, hat nur noch die Hirnaxe darüber zu entscheiden. Vergebens sucht
man aber nach bestimmten Angaben über die Hirnaxe. v. Baer sagt von den
Batrachiern in Uebereinstimmung mit Rusconi, dass das vorher „wenig über-
gebogene" Hirn sich später „gerade stelle" (Nr. 8 II S. 287); bei den Säugethie-
ren soll nach der „Erhebung" des Hirns „nur noch der Trichter mit dem Hirn-
anhange als Denkmal der starken Umbeugung zurückbleiben" (S. 216). Huxley,
der eine ganz vortreffliche anatomische Darstellung des Wirbelthierhirns ge-
liefert hat, zeichnet das Schema desselben so, dass nur eine gerade fortlaufende
V. Das Centralnervensystem. 311
Axe des ganzen Hirns angenommen werden kann (Nr. 113 S. 53).* So wenig
aber die Hirnaxe genannt und bezeichnet wird, ist es doch klar, dass, wo man
in den Grosshirnhemisphären das erste Hirnbläschen annimmt, an welches das
Zwischenhirn als zweites Hirnbläschen bekanntlich in demselben Niveau sich
anschliesst , die Hirnaxe nothwendig an jenem vordersten Hirnende horizontal
auslaufend gedacht werden muss. Dies ist aber nach meinen Untersuchungen
nicht der Fall. Die Hirnaxe läuft anfangs nicht, wie man nach v. Baer an-
nehmen könnte, im Trichter als dem zugespitzten Hirnende, sondern schon
lange bevor ein zugespitzter Trichter besteht, an der eigentlichen Schlussseite
des Hirns oder seiner späteren anatomischen Basis aus, und zwar in deren
Mitte, wo in der Folge die Sehnervenplatte entseht. Es fragt sich nun, welche
Umstände diesen Verlauf abändern können. Von den Seiten des Hirns kann
dabei ganz abgesehen werden, weil sie sich vollständig symmetrisch entwickeln.
Für die Decke und die Basis der vorderen Hirnhälfte muss man aber annehmen,
dass nur allgemeine Veränderungen ihrer Mittellinien auf die Bestimmung der
Hirnaxe von Einfluss sein können. Die beiden Grosshirnhemisphären müssen
daher davon ausgeschlossen bleiben , weil sie überhaupt keine Fortsetzung der
Hirnröhre, sondern seitlich symmetrische Ausstülpungen derselben sind, welche
also ihren Verlauf gar nicht berühren ; dasselbe gilt vom Mittelhirne , welches
nur eine lokal beschränkte Erweiterung der ganzen Hirnröhre darstellt. Die
allgemeinen Lageveränderungen der Decke und der Basis der vorderen Hirn-
hälfte sind nun sehr einfach. Im Batrachierembryo sieht man sie anfangs im
sagittalen Bilde senkrecht und einander parallel verlaufen, sodass also die vor-
dere abgebogene Hirnaxe die gleiche Richtung verfolgt (Taf.II Fig. 37); weiter-
hin divergiren sie gegen die sich ausdehnende Schlussseite, und wenn man die
Axe stets in möglichst gleichen Abständen von beiden annimmt, so ergibt sich,
dass sie durch die gleichartige Verschiebung jener beiden Mittellinien nicht
verändert wird, sondern stets in die Sehnervenplatte ausläuft (Taf. XVI Fig.
292. 293. 298) ; endlich weitet sich die ganze Decke nach vorn und oben aus,
ohne jedoch ihren Endpunkt an der Schlussseite entsprechend zu verändern,
sodass dadurch die Umbieg ungsform der ganzen Hirnaxe aus einem Winkel in
* Huxley spricht allerdings nur von drei Hirnbläschen ; da er aber dieselben durchaus
nicht als die einzigen homologen Abschnitte der ganzen Hirnröhre bezeichnet, sondern nur
als die Ausgangspunkte der Entwicklung, wie sie ja v. Baer selbst aufstellte , so muss jene
schematische Abbildung gerade zur Vorstellung verleiten, dass auch die späteren Bildungen
den Hirnbläschen koordinirte Abschnitte seien.
312 V Das Centraluerveusy stem,
einen immer flacheren Bogen übergeht, aber das durch die geraden Enden der
Axe (im Hinterhirn und in der Sehnervenplatte) bestimmte Mass der Krümmung
nicht erheblich geändert wird (Taf. XV Fig. 283. 284). Bei unserem Batra-
chier und ich kann wohl sagen , bei den Anuren überhaupt nimmt also die
Hauptkrümmung der Hirnaxe im Laufe der Entwickelung von einem etwas
spitzen bis zu einem nahezu rechten Winkel ab , ohne sich aber darüber hinaus
wesentlich zu verändern. Stellt man an den übrigen Wirbelthieren dieselbe
Untersuchung an, so ergibt sich: 1. dass die Krümmung der Hirnaxe im Em-
bryo um so flacher beginnt und um so langsamer sich ausbildet, je weniger das
ganze Hirn sich später entwickelt, 2. dass die im weiteren Verlaufe der Ent-
wickelung sich offenbarende Rückbildung dieser Krümmung um so schwächer ist,
je mächtiger die Grosshirnhemisphären sich ausbilden und umgekehrt. An den
Säugethieren finden wir die stärkste Anfangskrümmung unter einem sehr spitzen
Winkel,* und ferner beim Menschen eine sehr geringe, bei den Säugethieren
mit wenig entwickelten Hemisphären (Kaninchen) schon eine stärkere nach-
trägliche Erweiterung jenes Winkels (Nr. 113 S. 5(3, Nr. 114 Taf. I Fig. 12,
Taf. VI Fig. 2). Die Vögel und Reptilien haben anfangs eine beinahe ebenso
starke Krümmung der Hirnaxe wie die Säuger (Nr. 115 Taf, iTig. 7); die Rück-
bildung derselben ist aber sehr auffallend, der Winkel wird stumpf und weiter
als bei unsern Batrachiern (vgl. Nr. 113 S. 260 und meine Abbildungen Taf. VIII
Fig. 148 — 151). Daraus erklärt sich auch, warum das Massenverhältniss der
Grosshirnhemisphären und des Zwischenhirns bei jenen Amnioten und den Ba-
trachiern ohngefähr dasselbe ist; die ersteren haben für die spätere Entwicke-
lung günstigere Grundlagen, aber offenbar viel ungünstigere weitere Bedin-
gungen als dieBatrachier, sodass sie gegenüber den letzteren, welche einen lang-
samen Fortschritt bekunden, eine Rückbildung von einer typisch höheren Stufe
darstellen. Aehnlich verhält es sich bei den Fischen. Die Anfangskrümmung
finde ich bei den Teleostiern (Forellenembryo) am flachsten, bei den Selachiern
(Embryo von Acanthias) ebenso stark ausgebildet wie bei den Vögeln, sodass
eine noch stärkere Rückbildung eintritt; und der bezeichnete Zusammen-
hang zwischen der Hirnkrümmung und der Ausbildung der Grusshirnhemis-
phären ist auf der Uebersichtstafel von Miklucho-Maclay (Nr. 112 Taf. VI)
sehr evident. Dass die Cyklostomen endlich von der angegebenen Regel keine
* Da der Trichter anfangs gar nicht hervortritt, so kanu der Winkel alsdann schon aus
der Biegung der Basis erkannt werden, wie ich sie in Fig. 153 (Taf. VIII) von einem jungen
Kaniuchenenibryo abgebildet habe.
V. Das Centraluervensy stem. 313
Ausnahme machen und auch in dieser Hinsicht die unterste Stufe einnehmen,
ergibt sich aus den Abildungen J. Müllers (Nr. 76 II Tat'. II. III): die Hirn-
axe verläuft bis zur Sehnervenplatte in einem der geraden Linie sehr genäherten
Bogen. — Sowie die Grosshirnhemisphären mit der Hauptkrümmung des Hirns,
scheint das kleine Hirn (Amnioten) und das Mittelhirn (Selachier) mit der
sogen. Brückenkrümnmng in Wechselbeziehung zu stehen. Denn diese finde
ich auch an Haiembryonen sehr stark entwickelt,
Nach diesen Bemerkungen über den wechselnden Verlauf der Hirnaxe
wird man demselben eine gewisse Bedeutung für die vergleichende Beurtheilung
verschiedener Wirbelthiere nicht absprechen können. Denn ganz offenbar
deutet er als idealer Ausdruck für die allgemeinen Bildimgsursachen der ganzen
Hirnröhre darauf hin, wie die Entwickelung der Einzeltheile unter einer kau-
salen Wechselwirkung derselben verläuft, wie nur eine ganz bestimmte Richtung
und Energie jener Ursachen einen Fortschritt der Gesammtentwickelung des
Hirns bedingt, und in welcher Weise etwa beim Ueberblick über die ganze Reihe
vorhandener Hirnformeu das Endergebniss im einzelnen Falle hier als Stillstand
auf einer niederen Stufe, dort als Fortschritt gegenüber dem ersteren oder end-
lich als Ablenkung von der aufwärts führenden Bahn, als Rückbildung erscheinen
kann. Mit diesem blossen Hinweise auf ein noch wenig bebautes Gebiet der
Entwicklungsgeschichte schliesse ich die Betrachtung der allgemeinen Hirn-
bildung, um noch einige Einzelheiten hervorzuheben.
Die soliden vorderen Auswüchse derGrosshirnlappen, welche ich an der Unke
beschrieb, werden allgemein als Lobi, Bulbi oderTubercula olfactoria aufgeführt
und mit den gleichnamigen Theilen anderer Thiere verglichen (Nr. 41 Tai'. XXIV
Fig. VII, Nr. 80 S. 140. 142, Nr. 89 S. 728, Nr. 04 S. 7, Nr. 113 S. 161). Aus meinen
Beobachtungen geht aber hervor, dass die Anlagen des Geruchsorgans, die Ge-
ruchsplatten , mit der Grundfläche der eigentlichen hohlen Grosshirnlappen ver-
schmelzen, bevor jene soliden Fortsätze nur angedeutet sind, und darauf aus dieser
Verbindung dieRiechnervenstränge neben den nunmehr gleichfalls hervorwachsen-
den Fortsätzen herausgezogen werden. Allerdings ist die Anlagerung der Stränge
an die darüberliegenden soliden Grosshirnfortsätze sehr innig; aber wenn auch in
späterer Zeit ein unmittelbarer Uebertritt von Nervenfasern aus den Fortsätzen
in die Stränge nachweisbar ist, so lässt sich doch die grosse Masse der letzteren
stets leicht bis zum ersten Ursprung oder den Riechnervenhügeln verfolgen, welche
dem Vorderende der Streifenhügel in den Seitenventrikeln entsprechen. Und
da diese Bildung sich nicht auf unser Thier beschränkt, sondern, um eiuen Ge-
314 V. Das Centralnervensystem.
währsmann zu nennen, durch Wyman von der Rana pipiens beschrieben und
abgebildet ist (Nr. 94 S. 7. 24, Taf. I Fig. 1), so kann die Vernachlässigung einer
solchen Beobachtung (auch durch Wyman selbst) nur der mangelnden Kennt-
niss der betreffenden Entwickelung zugeschrieben werden. Auf Grund der letzte-
ren rnuss ich aber behaupten, dass nicht jene soliden Auswüchse, welche mit den
Riechnerven erst spät und in beschränktem Masse in Verbindung treten , sondern
die Riechnervenhügel die eigentlichen Lobi oder Bulbi olfactorii der Batrachier
sind. Was stellen alsdann jene mit einander verwachsenen Fortsätze derGross-
hirnhemisphären vor? Wyman's Vermuthung, dass sie der nicht getheilte Rest
des ersten Hirnbläschens seien (Nr. 94 S. 7 — 8), brauche ich hier nicht ernst-
lich zu widerlegen. Vielmehr wird man darin, dass die genannten Gebilde bei
den niedriger stehenden, weniger entwickelten Batrachiern, bei Proteus, Siren,
Menopoma, Menobranchus, gar nicht oder viel weniger mit einander ver-
schmelzen als bei den Anuren (vgl. Nr. 6 Taf. IV Fig. XL XII, Nr. 116 I
Taf. VII Fig. V. VI, Nr. 94 Taf. II Fig. 5), einen Beweis sehen, dass die
Verbindung beider Grosshirnhemisphären durch jene Fortsätze nicht ein Rück-
bildungsprocess, wie bei der vollständigen Verschmelzung derselben in manchen
Selachierhirnen, sondern ein Fortschritt sei, bestimmt, eine besondere Kom-
missur der einander zugekehrten freien Flächen der Grosshirnhemisphären her-
zustellen. Alsdann kann aber die Homologie dieser Kommissur nicht zweifel-
haft sein, — sie stellt gewissermassen eine erste Entwickelungsstufe eines Hirn-
balkens vor. Derselbe entsteht bei den Säugethieren als eine freie und im
Durchschnitte rundliche Kommissur zwischen den Grosshirnhemisphären,* deren
Ausgangspunkt in unentwickelten Hirnformen (Kaninchen) vor der vorderen
Kommissur der dritten Hirnkammer liegt (vgl. Nr. 113 S. 58); und damit stimmt
die betreffende Kommissur der Batrachier vollständig überein. Nur fehlt ihr
die weitere Entwickelung, namentlich die Fortsetzaing nach hinten in Folge
eines entsprechenden Wachsthumes der Hemisphären und der untere Anschluss
an die Lamina terminalis, unsere Verbindungshaut des Vorderhirns, wodurch
die zwischenliegende Trennungsspalte und die sie begrenzenden Wände der
Hemisphären zum Septum pelluciduin würden. Danach dürfte aber die Ver-
bindungshaut des Vorderhirns der Fische, Reptilien und Vögel nicht, wie es
M.Maclay auffasst(Nr. 112 S. 7), alsllomologon des gesammtenKoinmissuren-
systems der Säugethiere, sondern nur der Commissura anterior und desFurnix
Vgl. Köluker Nr. 48 S. 237 und Huxlky Nr. 113 S. 51. 55.
V. Das Centralnervensystem. 315
gelten Jene Anlage eines Balkens wäre ein ferneres Zengniss, dass das Hirn
der Batrachier in gerader Linie zum Anschlüsse an die Hirne niederer Säuge-
thiere führt, während die viel höher angelegten Hirne der Selachier, Reptilien
und Vögel eben durch die frühzeitig zur Geltung kommende Rückbildung diesen
Punkt der fortschreitenden Entwicklung nicht erreichen.
Ueber die Zirbel der Batrachier ist schon Manches gesagt worden, und
doch bin ich der Ansicht, dass sie als solche noch gar nicht gesehen worden ist.
Wenn man meine Zeichnungen neben diejenigen von Wyman (Nr. 94 Taf I
Fig. 2—9) und Ecker (Nr. 41 Taf. XXIV Fig. VII) hält, so wird man finden,
dass das Organ, welches sie als Zirbel bezeichnen, genau dort liegt ; wo ich den
Adergeflechtknoten sehe; und die Beschreibung und das mikroskopische Bild
des von Wyman Zirbel genannten Organs lässt darüber gar keine Zweifel , dass
es der von mir sogenannte Adergeflechtknoten ist. Denn er vergleicht seine
Zirbel mit einer Maulbeere, lässt sie aus einem Gefässnetz bestehen und mit
einem Flimmerepithel überzogen sein (a. a.O. S. 11, Taf. I Fig. 11. 12). Leydig
endlich sagt über die Zirbel der Salamandra maculata und des Proteus (Nr. 81
S.93), dass sie ein röthliches Körperchen sei, aus gewundenen, geschlossenen, mit
Zellen ausgekleideten Schläuchen und einem dichten Gefässnetze bestehe; sodass
auch in diesem Falle die Uebereinstimmung des beschriebenen Organs mit
meinem Adergeflechtknoten unzweifelhaft ist und an die Identität mit dem von
mir als Zirbel erkannten Gebilde schon wegen der Lage nicht gedächt werden
kann. Denn innerhalb der Schädelhöhle und unmittelbar am Hirne liegt nur
die zapfenförmige Wurzel des Zirbelstiels. Aber auch die letztere kann Leydig
nicht gemeint haben, da er seine vermeintliche Zirbel blutroth nennt. Jene
Zirbelwurzel ist nämlich im frischen Zustande so farblos durchsichtig, dass sie
an einem blossgelegten frischen Gehirne von einem unbefangenen Auge nicht
wohl entdeckt werden kann, während es den blutrothen Adergeflechtknoten
schwerlich übersehen wird. Selbst nachdem ich die Lage der ersteren
aus der Entwickelungsgeschichte genau kennen gelernt hatte, gelang es mir
nur mit Hülfe des schneeweissen, von der grauen Unterlage des frischen Hirnes
leuchtend hervortretenden Hirnsandes die Anwesenheit des gesuchten Organs zu
konstatiren und es dann herauszupräpariren. Andere Anatomen haben die „Zirbel''
der Batrachier weniger genau beschrieben, liefern aber nichtsdestoweniger in
den kürzesten Beschreibungen den Beweis, dass sie nichts Anderes vor Augen
hatten als ihre Vorgänger (vgl. Rathke Nr. 47 S. 100, Stieda Nr. 95 S. 310,
Gegen baue Nr. 89 S. 730). Ebenso aber wie es feststeht, dass das von mir als
316 V. Das Centralnerveusystem.
Zirbel aufgefasste Organ auch in seinem dem Hirne angeschlossenen Wurzel-
theile unbekannt war, scheint mir auch meine Deutung und Bezeichnung des-
selben gerechtfertigt, und der Name Zirbel bisher nur aus Unkenntniss einem
Gebilde beigelegt zu sein, welches darauf nicht den geringsten Anspruch machen
konnte. Die Entstehung aus dem Gehirne, die Zusammensetzung aus Hirn-
masse, die Anwesenheit des Hirnsandes, endlich die Befestigung an der Hirn-
decke zwischen der hinteren Kommissur und dem Mittelhirne sind ebenso
sichere Indicien für eine Zirbel, als die Entstehung und Zusammensetzung vor-
herrschend aus Blutgefässen, der äussere epithel artige , von der Hirndecke
stammende Ueberzug, der Mangel eines unmittelbaren Zusammenhanges mit
dem Gehirne, dagegen der sehr feste Verband mit den Hirnhüllen und die Lage
in der Hirnlücke den Merkmalen einer Zirbel, wie sie zuerst an höheren Wir-
belthieren festgestellt wurden, widersprechen, dagegen zum Wesen der Ader-
getfechte gehören. Wie sehr die Zirbel der Batrachier bisher verkannt wurde,
geht am deutlichsten daraus hervor, dass der einzige Beobachter, welcher ihren
ausserhalb der Schädelhöhle befindlichen, der Oberhaut anhaftenden Endknopf
an erwachsenen Fröschen sah, nämlich Stieda, denselben als „Stirndrüse" be-
schrieb (Nr. 96). — Die Angaben über die Zirbel der Fische und Reptilien,
welche ich bei Wtman zusammengestellt finde (Nr. 94 S. 11, vgl. auch Leydig
Nr. 81 S.O. 94), lassen vermuthen , dass bei jenen Thieren eine ähnliche Ver-
wechselung wie bei den Batrachiern stattgefunden habe. Und wenn diese
Vermuthung sich bestätigen sollte , so würden die nach den bisherigen Ansichten
bestandenen grossen Unterschiede der Zirbel in den verschiedenen Wirbel-
thieren einer grösseren Uebereinstimmung Platz machen, sodass man dieselbe
nicht mehr bald als nervöses Organ bald als Blutgefässdrüse (Leydig a. a. 0.
und Nr. 91 S. 177) aufzufassen brauchte. Allerdings muss es aber noch einer
erneuerten Untersuchung anheimgestellt bleiben zu entscheiden, ob die Zirbel
der Amnioten und Fische dem ganzen Organ der Batrachier oder nur seiner in
der Schädelhöhle eingeschlossenen Wurzel entspreche. Vereinzelte Beobach-
tungen an Embryonen der Vögel und Selachier lassen mir das erstere wahr-
scheinlich erscheinen.
Sowie bei der Entwickelung der Zirbel der Batrachier ihre frühe Lagever-
änderung die Veranlassung war, dass sie im erwachsenen Thiere gar nicht
wiedererkannt wurde, so hat eine ähnliche frühzeitige Veränderung der topo-
graphischen Verhältnisse den Hirnanhang von einer ganz anderen Embryonal-
anlage, sogar von einem andern Keimblatte als es thatsächlich der Fall ist,
V. Das Centralnervensystem. 317
ableiten lassen. Bekanntlich bestanden ehedem zwei verschiedene Ansichten
über die Entwickelung des Hirnanhangs, nämlich diejenige Reichert's, welcher
das Organ aus der Spitze der Wirbelsaite ableitete (a. a. 0.), und die andere
von Rathke, nach welchem der Hirnanhang der höheren Wirbelthiere aus
einer Ausstülpung oder Falte der Mundschleimhaut entstände (Nr. 1 9 S . 482 — 485,
Nr. 47 S. 100). Nachdem ich nun selbst den Hirnanhang der Batrachier als aus
einem Fortsatze der Oberhaut hervorgegangen beschrieben habe, scheint die
Abweichung von der IiATHKE'schen Beobachtung allerdings nicht unerheblich.
Der Unterschied bezieht sich aber nicht auf die Sache, sondern auf die Deutung
des Gesehenen. Ich finde das Bild, welches Rathke aus Embryonen höherer
Wirbelthiere beschreibt, an denselben genau so wieder; während jedoch Rathke
es einfach auf einen Entwickelungsvorgang der Mundhöhlenschleimhaut bezieht,
habe ich mich durch die Untersuchung jüngerer Embryonen überzeugt, dass der
hohle Fortsatz unmittelbar vor der die Mundhöhle anfangs abschliessenden
Scheidewand aus der Oberhaut ganz in derselben Weise sich entwickelt, wie
ich es an den Batrachierlarven beschrieben habe (Taf. VIII Fig. 153). Erst
später, nachdem jene Scheidewand geschwunden und durch ein stärkeres Yor-
wachsen des Hirns und der primitiven Schädelbasis die Decke der Mundhöhle
nach vorn erweitert, der Ausgangspunkt jener Ausstülpung also verhältniss-
mässig nach hinten gerückt ist, kann dieses Bild die Ansicht hervorrufen, als
sei die besprochene Neubildung das Erzeuguiss der ursprünglichen Mundhöhlen-
schleimhaut, d. h. nach unsern jetzigen Begriffen des Darmblattes {Taf. VIII
Fig. 154). Der Umstand, dass die Untersuchung der Entwickelung des Hirn-
anhangs der Amnioten auf zu weit vorgeschrittenen Bildungsstufen anfing , war
die Veranlassung, dass auch neuerdings der Irrthum Rathke' s durch W.Müller
wiederholt wurde (Nr. 74 S. 374 und flg.). Auch die Bilder, welche W.Müller
an Haiembryonen antraf (Taf. IX Fig. 5) , kann ich vollkommen bestätigen,
indem ich die Tasche des Hirnanhangs sogar noch weit offen sehe. Ich brauche
jedoch nicht zu erörtern, dass diese Beobachtung an sich nicht mehr für den
Ursprung des Hirnanhangs aus dem Darmblatte spricht, als die ähnlichen, bisher
mit Unrecht in demselben Sinne gedeuteten Erscheinungen bei den Amnioten.
Ich finde sogar bei den Haien die Auskleidung jener Tasche mit der Ober-
haut völlig übereinstimmend, von dem auffallend dünneren Darmblatte da-
gegen merklich unterschieden; dazu kommt, ~ dass an meinen Embryonen
die Oeffnung der Tasche unmittelbar hinter den eben' hervorwachsenden
medialen Gesichtsfortsätzen (Stirnfortsatz aut.) liegt, sodass die Annahme von
318 V. Das Centralnervensysteni.
der Abstammung der ganzen Anlage vom oberen Keimblatte dadurch wesent-
lich unterstützt wird. Wenn ich aber für die genannten Thiere W. Müller
gerade so wie Rathke nur in der Deutung seiner sonst richtigen Beobach-
tungen angreife, so muss ich dagegen alle Thatsachen, die er uns über dieEnt-
wickelung des Hirnanhanges der Batrachier mittheilt (Nr. 74 S. 367 und flg.,
Taf. XII Fig. 1. 2), für durchaus falsche erklären. Es entsteht dieser Hirnan-
hang weder aus dem Darmblatte, noch überhaupt hinter dem Hirnanhange,
noch auch zu der späten Zeit, wie sie durch W. Müller's Abbildungen gekenn-
zeichnet ist, nämlich nach der Eröffnung der Mundhöhle oder im Beginne der
zweiten Larvenperiode; die von W.Müller abgebildete Darmblatttasche endlich
existirt überhaupt nicht. Vielmehr ist der Hirnanhang zu einer Zeit, wann
W. Müller die ersten Anfänge seiner Entwich elung noch nicht glaubt erkennen
zu können, bereits in der von mir geschilderten Weise von der Oberhaut her
entwickelt und in einer selbstständigen Anlage vorhanden. — Vom Hirnan-
hange der Knochenfische glaube ich die taschenförmige Anlage , wenn auch nicht
mit voller Sicherheit, dicht über der vorderen Mundöffnung erkannt zu haben;
auf einer folgenden Stufe sehe ich ihn ganz deutlich in Gestalt einer Scheibe
unter der Selmervenplatte und mit seinem Vorderende dicht hinter dem ange-
nommenen Ausgangspunkte liegen, sodass dieUebereinstimmung der Fische mit
den übrigen Wirbelthieren hinsichtlich des Ursprungs ihres Hirnanhangs sehr
wahrscheinlich ist.
Da die Entwickelung des Hirnanhangs vom medianen Schlussstücke der
Sinnesplatte, also einer sehr wichtigen Embryonalanlage ausgeht, von dem
ganzen Fortsatze aber die vordere Hälfte, nämlich der obliterirende Kanal*
vollständig verkümmert und schwindet, so liegt es nahe, in diesem ganzen Vor-
gange einen Ptückbildungsprocess zu vermuthen. Da ferner bei den Batrachiern
die beiden Anlagen der Geruchsorgane median- und abwärts mit der trichter-
förmigen Anlage des Hirnanhanges zusammenhängen (vgl. den nächsten Ab-
schnitt) , so kann man sich zur Hypothese veranlasst fühlen , dass die vollkräf-
tige Entwickelung der Hypophysisanlage unter Einbeziehung der beiden Ge-
ruchsplatten den unpaaren Nasenrachcngang der Cyklostomen bilde, welcher ja
nachweislich als ein von vorn ausgehender Blindsack erst nachträglich, d. h.
gerade so wie die Nasengruben der Batrachier in die Mundhöhle durchbricht.
* Als solchen kann man auch den Stiel der Hypophysisanlage der Batrachier ansehen,
da er doch einen trichterförmigen Anfang hat.
V. Das Centralnervensystem. 319
Die Anwesenheit eines Hirnanliangs bei den Cyklostomen (W. Müller Nr. 74
S. 392 u. flg.) wäre kein Grund gegen jene Annahme, denn derselbe entsteht
eben nicht aus der ganzen Anlage, sondern nur aus deren Endabschnitte; und
was die verschiedene Lage der äusseren Oeffnung des unpaaren Nasenrachen-
ganges und der Hypophysisanlage betrifft, so erinnere ich an die Unterschiede
der Naseneingänge bei den amphirrhinen Selachiern und Delphinen. Daher
glaube ich, dass wenn man zunächst die Batrachier zum Ausgangspunkte wählt
(vgl. Taf. II Fig. 34 — 38, Taf. III Fig. 45—49, Taf. XV Fig. 282 - 284,
Taf. XVI Fig. 292. 293. 298), die Hypothese von einer Homologie ihrer drei-
theiligen vorderen Sinnesplatte (Anlage des Hirnanhangs und der Geruchs-
platten) mit dem unpaaren Nasenrachengange nicht ohne weiteres von der Hand
zu weisen wäre.
VI. Die drei höheren Sinnesorgane.
Historische U euer sieht der bisherigen Untersuchungen.
Dass Rusconi die Geruchsorgane aus dem Hirn hervorwachsen liess, ist
schon mehrfach erwähnt worden. — Aus den beiden Aussprüchen v. Baer's
,,dass der sogenannte Riechnerv oder die innere Region desRiechorgangs anfangs
ebenso , ja noch mehr blasig ist, als der Augapfel" (Nr. 8 II S. 287,), und dass
die Nase äusserlich nur als Grube erscheine (Nr. 98 S. 300— 301), scheint her-
vorzugehen, dass v. Baer sich das Geruchsorgan aus zwei Ausstülpungen ent-
standen dachte , von einer inneren vom Hirn und einer äusseren von der Ober-
haut ausgehenden. Jedenfalls seien alle drei Sinnesnerven Erzeugnisse des
Hirnes (Nr. 8 II S. 287).
Während alsdann noch Reichert die Absonderung der drei ganzen Sinnes-
organe vom Hirn lehrte (Nr. 22 S. 18), stellte Remak auch für die Batrachier
fest, dass nicht nur das Geruchsorgan, sondern auch das Gehörorgan aus dem
peripherischen Theile des oberen Keimblattes hervorgehe , wozu er als wahr-
scheinlich aussprach, dass die betreffenden Sinnesnerven aus dem mittleren
Keimblatte sich entwickeln (Nr. 40 S. 148). „Die Anlage des Auges besteht
zunächst nur aus der sehr dickwandigen Augenblase, einem Seitenauswuchse
des Vorderhirns." „Alsbald beginnt die von dem peripherischen Theile des
äusseren Keimblattes ausgehende Bildung der Linse. Allein es sind nicht beide
Zellenschichten dieses Blattes hierbei betheiligt, sondern blos die innere weisse
Zellenschicht. Sie bildet, bedeckt von der grauen Zellenschicht, einen weissen
blasigen Auswuchs (die Anlage der linse), welcher von einer entsprechenden
Vertiefung in der convexen äusseren Fläche der Augenblase aufgenommen wird,
(1. h. die letztere wandelt sich gleichzeitig in einen doppelwandigen Napf, die
secundäre Augenblase um" (S. 150). Die Anlage der Riechhöhlen „besteht aus
VI. Die drei höheren Sinnesorgane. 321
zwei hohlen, blind endigenden, zapfenformigen Auswüchsen des oberen Keim-
blattes, welche an der Basis des Vorderhirns in die Sinnesplatte eindringen.
An dieser Einstülpung betheiligen sich beide Zellenschichten: es machen sich
daher die äusseren Eingänge in die Riechhöhlen sofort als Grübchen oder Löcher
kenntlich. Zieht man die Zapfen aus den Sinnesplatten heraus, so unterscheidet
man an ihnen einen engen Kanal und eine ziemlich dicke Wand , weshalb auch
die nach dem Herausziehen der Zapfen zurückbleibenden Gruben theils umfang-
reicher sind, als der enge Eingang erwarten lässt" (S. 151). Die Labyrinth-
blase soll sich aus der tiefen Schicht des äusseren Keimblattes gerade so wie
die Linse des Auges bilden (S. 152).
Babuchin hat einige der wichtigsten Nachweise über die histiologische
Entwickehmg der sekundären, eingestülpten Augenblase und der blasenförmi-
gen Linsenanlage geliefert. Die innere Schicht der Augenblase wird zur ganzen
Netzhaut; sie besteht anfangs aus spindelförmigen Körpern, welche sich zu allen
zelligen Elementen umwandeln und die Zwischensubstanz erzeugen. Diese
tritt auf der freien Oberfläche hervor (Nr. 53 S. 72). „Aus den Zellen, welche
die äusserst« Lage der primären Retina bilden und aus denen sich die äussere
Körnerschicht bildet, gehen auch die Stäbchen der Zapfen hervor" indem die
Zellen biru förmig nach aussen auswachsen, und diese schmäleren Fortsätze
theils zu den Zapfen, theils zu den längeren, cylindrischen Stäbchen sich um-
bilden. Indessen gehen die Zellenkörper in Körner über, welche also mit den
Stäbchen und den Zapfen ein „unzertrennliches Ganzes" bilden (S. 77. 78. 86).
Die an der Oberfläche hervorgetretene Zwischen- oder Bindesubstanz wird von
den Stäbchen überragt, so dass die Grenze wie eine sie durchschneidende Linie
aussieht (S. 80). Die äussere Wand der Augenblase bildet nicht die bindege-
webigen Theile der Aderhaut, sondern nur das Pigmentepithel, sodass also
dieses genetisch zur Netzhaut gehört (Pigmentum retinae, vgl. S. 84. 86). An
der Linsenblase wachsen die Zellen der medialen Wand am schnellsten, sodass
letztere, endlich nach innen vorwachsend, die Höhle ausfüllt und die dünne
Aussenwand der Blase berührt. Jene wird daher zur eigentlichen Linse, die
dünne Aussenwand zum Epithel, welches am Rande in die Linsenfasern über-
geht und daher nie die Hinterwand der Linse überzieht (S. 85. 87).
Schenk bestätigt Remak's Angaben in Betreff der Gehörorgane (Nr. 56),
Barkau für das Auge (Nr. 57 S. 71 — 73). Die Zellen, welche zwischen Linse
und Netzhaut dringen, seien aus der STßiCKERschen Schlundschiene, also dem
mittleren Keimblatte, abzuleiten.
Goettk, Entwickelungsgesehichte. 21
322 VI. Die drei höheren Sinnesorgane.
Hensen nimmt an, dass die Stäbchensubstanz der Hauptmasse nach vom
Pigmentepithel und nicht von der nervösen Netzhaut gebildet werde. Nachdem
das Pigment in den Zellen des äusseren, epithelialen Blattes der Augenblase sich
abgelagert, entwickeln sich bei niederen Wirbelthieren „innerhalb dieses Pig-
ments die Stäbchen; beim Frosche ist es durchaus nicht möglich zwischen den
Pigmentkörnchen, welche wie eine Scheide dem Stab anliegen und diesem selbst
eine trennende Masse aufzufinden" (Nr. 98 S. 42 1).
Nach v. Bambecke seien die Anlagen der Augenblasen anfangs solid
(Nr. 63 S. 37); hohl geworden erscheinen sie früher von aussen eingedrückt, als
die Linse auftrete, an deren Bildung das mittlere Keimblatt Antheil nehme
(S. 38). Auch das Labyrinth bläschen gehe aus einer soliden Verdickung des
Nervenblattes hervor, deren Zellen sich allmählich senkrecht zur Oberfläche
strecken, worauf die ganze verdickte Scheibe sich nach innen vorwölbe und
endlich eine Blase bilde (S. 39. 40). Aehnlich entstehe das Geruchsbläschen;
aber die Verdickung des Nervenblattes werde nach ihrer Verwachsung mit dem
Hirne zum Lobus olfactorius (S. 41) und das Epithel der Nase entwickele sich
folglich nur aus der Umhüllungshaut (S. 43. 44). — Lieberkühn bietet in seinen
kurzen Angaben über die Entwicklung des Batrachierauges nichts Bemerkens-
werthes (Nr. 75 S. 64) ; Kesslers Arbeit habe ich nicht erhalten können.
In dem Abschnitt IV. habe ich es näher auseinandergesetzt, dass die be-
sonderen Empfindungsapparate der drei höheren Sinnesorgane einmal unter
sich und dann mit dem Hirne eine gemeinsame Anlage besitzen (Sinnes-, Hirn-,
Axenplatte). Es wurde auch weiter ausgeführt, wie die von der Hirnplatte
abgesonderte Sinnesplatte an dem vorderen Umfange und an den Seiten der
vorderen und der hinteren Hälfte des Hirnes sich verschieden verhält, indem
sie an der mittleren der bezeichneten Regionen mit demselben wiederum ver-
schmilzt, um sich neuerdings als Augenblase aus ihm heraus zu entwickeln,
davor und dahinter aber erst in der Form der fertigen Nasengruben und Laby-
rinthbläschen die Verbindung mit dem Centralnervenorgan aufsucht. Mit dieser
Erinnerung an die ursprünglichen allgemeinen Verhältnisse der Anlagen der
drei höheren Sinnesorgane wende ich mich zur einzelnen Beschreibung ihrer
weiteren Entwickelung.
VI. Die drei höheren Sinnesorgane. 323
Das Auare.
Die ersten Anlagen der Augen, oder die primären Augen blasen entstehen
durch Abschnürung der unteren seitlichen Ecken des Vorderhirns {Taf. VI
Fig. 106. 108, Taf. VII Fig. 123. 127). Da die Breite des Hirns im Bereiche
jener Ecken ursprünglich schon ebenso gross ist wie während der Entstehung
der Augenblasen, so kann von einer Ausstülpung derselben aus dem Hirne
nicht wohl die Rede sein. Dagegen dürfte der Ausdruck einer Abschnürung allein
passend erscheinen, da die anfangs breite Basis jener runden Vorragung von
oben, vorn und hinten sich zusammenzieht, oder genauer ausgedrückt, von der
sich ausdehnenden Hirnwand gegen die Schlussseite des Hirns zusammenge-
schoben wird. In dem Masse als dieser Vorgang fortschreitet, verwandelt sich
also jene Basis zu einem hohlen Stiele, der Anlage des Sehnerven, welcher
am Rande der eigentlichen Schlussseite des Hirns oder der anatomischen Hirn-
basis die Augenblase mit ihrem Mutterboden, dem Zwischenhirne, in Verbin-
dung erhält {Taf. XIII Fig. 224, Taf. XIV Fig. 247. 251). Jene auf den
Zellenverschiebungen beruhende Bewegung pflanzt sich natürlich auch in die
Augenblase fort, deren durch die Abschnürung geschaffene, mediale Wand
einen Theil ihrer Zellen in die laterale Wand vorrücken lässt und dadurch
dünner, die letztere aber dicker wird. Im Beginne der Abschnürung der
Augenblase wird diese schon etwas verdickte Aussenwand mit einer konvexen
Oberfläche an die Oberhaut gedrückt, während sie nach innen die weite
Höhle ziemlich eben begrenzt {Taf. VII). Sehr bald plattet sich aber ihre
Aussenfiäche nicht nur ab, sondern erscheint sogar in der Mitte, wo sie am
dicksten ist, nach innen eingedrückt, sodass ihre vorgewölbte Innenfläche der
ihr gegenüberstehenden medialen Wand der Augenblase beträchtlich genähert,
die dazwischen gelegene Höhle in einen spaltartigen Raum verwandelt ist {Taf.
XIII, XIV). Wenn es nun gewöhnlich heisst, die Augenblase werde von aussen so
eingestülpt, dass sie die Form eines doppel wandigen Bechers annehme, so denkt
man sich als bewegende Ursache einen auf die Aussenwand der Augenblase
wirkenden Druck von Seiten der aus der Oberhaut sich entwickelnden Linse
(vgl. Kölliker Nr. 48 S. 275, Lieberkühn Nr. 75 S. 5). Die Thatsachen ge-
statten aber eine solche Anschauung nicht, denn jene Einstülpung beginnt viel
früher als die bezeichnete Neubildung erscheint, deren Druck die erstere her-
vorbringen sollte. Dagegen lässt sie sich unter Voraussetzung der schon ange-
führten Zellenbewegung in derselben Weise erklären, wie der Vorgang bei der
21*
324 VI. ^ite drei höhere» Sinnesorgane.
Bildung der Gastrula, wo die primäre Keimblase von unten eingestülpt wird.
So wie dort die vom oberen Eipole abwärts vorrückenden Zellen die bewegende
Kraft darstellen , welche die Masse des Randwulstes nach innen und aufwärts
als der Richtung des geringsten Widerstandes verschiebt, so müssen die in der
medialen Wand der Augenblase centrifugal sich bewegenden Zellen vom Rande
aus eine radiär konvergirende Stosswirkung gegen die Aussenwand ausüben,
worauf die Masse derselben nothwendig gegen die Höhle der Augenblase aus-
weichen muss, da der Widerstand in dieser Richtung natürlich viel geringer
ist als gegen die dicht anliegende Oberhaut hin. Diese Vorstellung von den
Ursachen der Einstülpung der Augenblase wird wesentlich unterstützt durch
gewisse Einzelheiten des ganzen Vorganges. Indem jene Einstülpung fort-
dauert und gerade so wie bei der Bildung der Gastrula (vgl. Nr. 111 Tal. I
Flg. 11 — 16) aus der Form einer flachen Schale in diejenige eines Napfes mit
verengter Oeffnung (sekundäre Augenblase) übergeht, wird bekanntlich
nicht der ganze Einstülpungsrand gleichmässig zusammengezogen, sondern
sein unterster Abschnitt bleibt darin vollständig zurück, sodass dort von der
Sehnervenwurzel an ein stetig zunehmender Ausschnitt der zweischichtigen
Blasenwand entsteht (Taf. VIII Fig. 159. 160, Taf. XV Fig. 269, Taf. XVI
Fig. 204, Taf. XVII Fig. 304). Diese Bildung lässt sich auf den Druck der
regelmässig gebildeten Linse nicht zurückführen •, daher hat man die von unten
zwischen die Linse und den Augenblasengrund eindringende Glaskörperanlage
für die von aussen wirkende Ursache erklärt, welche die Ausbildung des Ein-
stülpungsrandes hemmte (Nr. 48 S. 280). Diese Annahme ist jedoch wenigstens
für die Batrachier unzulässig; denn jene Anlage des Glaskörpers, welche
sich allerdings in jenem Ausschnitte befindet, und von dort in den Innenraum
der soliden Augenblase vorrückt, besteht nicht aus festen Massen des mittleren
Keimblattes, sondern aus einer namentlich anfangs ganz lockeren Anhäufung
von Dotterbildungszellen, welcher wohl niemand, der die betreffenden Präpa-
rate ansieht, die Kraft eines wirksamen Widerstandes gegen die Ausdehnung
des Augenblasenrandes zutrauen kann; abgesehen davon, dass diese Ansamm-
lung der aus den embryonalen Blutbahnen herrührenden, unverkennbaren Dotter-
bildungszellen* nicht schon vorher dort bestand, sondern offenbar erst durch
die Bjldung der Augenblasenspalte veranlasst wird (Taf. VIII). Nach der von
mir vorgeschlagenen Erklärung der Entwickelung der Augenblase erhellt es
* Es mnss hierbei a"uf den Abschnitt VIII. verwiesen werden.
VI". Die drei höheren Sinnesorgane. 325
aber aus dem geringeren Grade einer Einschnürung an der unteren Seite des
Augenblasenstiels, dass die sie offenbar verursachenden Zellenbewegungen dort
unverliältnissmässig schwächer sind, als im übrigen Umfange der ursprüng-
lichen Basis der Augenblase , daher aber auch ihr Erfolg oder die Bildung des
Einstülpungsrandes an derselben Stelle sehr gering sein muss. Daraus erklärt
sich auch, warum die ganze eingestülpte Augenanlage, worauf bisher kein Ge-
wicht gelegt wurde , mit ihren oberen Theilen viel weiter nach aussen vorragt,
als mit den tieferen (Taf. VIII). So erscheinen sowohl die Abschnürung der
Augenanlage vom Hirn oder die Bildung der Augenblase wie die Umwandlung
derselben in die Becherform mit dem unteren Ausschnitte als die innig zu-
sammenhängenden Folgen eines einzigen , höchst einfachen aber eigenthümlich
beschränkten Vorganges innerhalb der bezüglichen Anlagen selbst, nämlich
einer bestimmt gerichteten Zellenbewegung, wie eine solche in grösserem oder
geringerem Masse in der ganzen Nervenröhre, ja in allen sich ausdehnenden
embryonalen Anlagen als nothwendige Wirkung der fortdauernden Theilung der
Embryonalzellen besteht.
Die Bedeutung der einzelnen Theile der eingestülpten und blasenförmig
zusammengekrüminten Augenanlage, welche in Folge dessen die Bezeichnung
einer sekundären Augenblase verdient, ist schon von mehreren Seiten festge-
stellt worden. Ihr dickes inneres Blatt, die frühere Aussenwand der primären
Augenblase, ist die Anlage der eigentlichen Netzhaut, die äussere dünne
Schicht verwandelt sich in das Pigmentepithel, sodass diese beiden Gewebe,
wie Babuchin nachwies, ein genetisches Ganze bilden. — Ueber die histologi-
sche Umbildung der Netzhaut habe ich nur Weniges zu bemerken, was sich zudem
wesentlich auf eine Bestätigung der BABircHiN'schen Beobachtungen beschränkt.
Die Embryonalzellen der Netzhaut verlieren sehr bald, noch bevor die Dotter-
körner ganz verschwunden, ihre bestimmten Grenzen* und ihr enges Gefüge,
indem um die stets deutlichen Kerne hellere Zellenleiber sich anlegen, welche
an den Stellen der früheren Zellengrenzen in eine trübere Zwischensubstanz über,
gehen. Ich nehme daher an, dass in der Netzhaut ebenso wie im Centralner-
vensystem nicht die intakten Embryonalzellen, wenigstens nicht alle, in die
zelligen Elemente des fertigen Organs sich verwandeln, sondern unter theil-
weiser Verschmelzung bloss aus den centralen, die Kerne unmittelbar umge-
benden Massen neue Zellen hervorgehen lassen, die peripherischen Theile aber
* Dieselben sind in den Abbildungen Fig. 158 — 16ü (Taf. V1I1) zu scharf gerathen, in
Fig. 161 ist das Verhältniss, freilich aus einein älteren Auge, richtig wiedergegeben.
320 VI. Die drei höheren Sinnesorgane.
zur Bildung einer bindegewebigen Zwischen Substanz hergeben. Die letztere
für ein Ausscheidungsprodukt der Embryonalzellen zu erklären erscheint
mir bedenklich; einmal wäre die specifische Funktion mit der unentwickel-
ten Zelle nicht leicht zu vereinen, dann aber finde ich im ganzen übri-
gen Embryonalkörper, wie die folgenden Abschnitte lehren werden, sehr
viele Belege für die eben erwähnte Umbildung der Embryonalzellen, nir-
gends aber Anhaltspunkte dafür, dass bindegewebige Theile aus einem
Ausscheidungsprodukte sich bildeten. — Hinsichtlich der Entwicklung der
Stäbchen und Zapfen muss ich Babuchin im allgemeinen bestätigen; nur sehe
ich ihre Anlagen bei meinem Thiere nicht als verschmälerte Fortsätze runder,
sondern als blasige Enden länglicher Zellen, welche aus kleinen Umbildungs-
kugeln entstehen, deren Zunahme endlich das ganze Zellenende ausfüllt {Taf.
VIII Fig. 159). Die grosse Verbreitung dieser Umbildungskugeln auch in
den tiefer gelegenen Zellen ist aus der Fig. 102 {Taf. VIII) ersichtlich. Die
blasigen Zellenenden treten aus der Oberfläche der Netzhaut gegen die anlie-
gende Pigmentschicht hervor und erhalten dann von dieser Kappen, welche
Hensen bewogen die Stäbchen und Zapfen von dem Pigmentepithel abzuleiten.*
Die zwischen dem letzteren und der Netzhaut ausgespannten Brücken und die
freien Zwischenräume zwischen beiden Theilen erkläre ich mir ebenso wie die
ähnlichen Vorgänge an der Oberfläche des Centralnervensystems, als Folgen
einer ungleichen Zusammenziehung bei der Erhärtung der Objekte. Der kurze
Augenblasenstiel zeigt anfangs dieselbe Textur, wie die Netzhaut und anderer-
seits die Hirnsubstanz, welche beiden Theile er verbindet. Denn die Bedeutung des
Augenblasenspaltes erschöpft sich nicht damit, dass die Anlage des Glaskörpers
in den Innenraum der Blase gelangt, sondern scheint mir gerade darin zu
gipfeln, dass der Sehnerv dadurch von Anfang an einen kontinuirlichen Ueber-
gang in die Netzhaut erhält (Taf. VIII, Taf. XVII Fig. 815).
Der Druck, den die konvexe Aussenwand der primären Augenblase auf
die Oberhaut ausübt, indem sie dieselbe eine Zeit lang vorwölbt, scheint zwischen
beiden eine gewisse Verbindung herzustellen. Denn sobald die betreffende
Fläche der Augenblase einzusinken anfängt, folgt ihr das noch unverändert an-
liegende Stück der Oberhaut und wird gleichfalls etwas eingedrückt; dass dabei
jedenfalls die mächtige Wand der Augenblase das mechanische Moment setzt
und nicht die dünne Oberhaut, dürfte auf den ersten Blick unzweifelhaft
*) Wie ich nachträglich finde, scheint Hensen diese Ansicht wieder aufgegeben zu
haben (vgl. M. Schultze's Archiv für mikroskopische Anatomie 1868. S. 349).
VI. Die drei höheren Sinnesorgane. 327
erscheinen (Taf. VII, XII T, XIV). Die erste Einsenkung der Oberhaut mag
aber die Ursache für eine an jener Stelle alsbald auftretende Wucherung der-
selben bilden. Je mehr die Einsenkung der Augenblase sich vertieft, desto
mehr wird das entsprechende Hautstück in dieselbe hineingezogen; da aber
nach einiger Zeit seine tiefere Schicht, die Grundschicht des Keimblattes, der
Einsenkung entsprechend sich verdickt, so füllt alsdann diese scheibenför-
mige Verdickung, eben die Anlage der Linse, allein jene Einsenkung aus, wäh-
rend die äussere Deckschicht, welche anfangs gleichfalls etwas eingezogen war,
nunmehr glatt über die Augenblase hinzieht [Taf. VIII Fig. 158). Weiterhin
bläht sich der ganze den Embryo umhüllende Ilautsack auf; dadurch entfernt
sich auch die Oberhaut von der Augenblase, und indem die solide Anlage
der Linse in der letzteren zurückgehalten wird, zieht sich zwischen ihr und
ihrem Mutterboden, der tieferen Hautschicht, ein kurzer, gleichfalls solider
Stiel als Zeichen der eingeleiteten Trennung aus {Taf. VIII Fig. 159, Taf. XIV
Fig. 257 , Taf. XV Fig. 269). Sobald im weiteren Verlaufe der Entwickelung
diese Abschnürung vollendet ist, erscheint die Linse als ein runder, seitlich
abgeplatteter Körper, welcher vom Rande der sekundären Augenblase eingefasst
und gehalten, nicht nur den Zugang zu ihrer Höhle nach aussen verschliesst,
sondern dieselbe noch zum grössten Theile ausfüllt. Ich nannte die Linse solid,
und während ihrer Ablösung verdient sie noch diese Bezeichnung, obgleich die in
ihrem Centrum befindlichen Zellen ihren gegenseitigen Verband etwas gelockert
haben, sodass, wenn man den früheren Zustand nicht kennt, man von einer
kleinen mit Zellen vollgepfropften Höhle der Linse reden könnte. Die Beobach-
tung verlangt aber den Ausdruck, dass durch eine Lockerung und nachträg-
liche Auflösung jener centralen, der äusseren Oberfläche zunächst gelegenen
Zellen die Höhle erst entstehe (Taf. VIII Fig. 159, Taf. XV Fig. 269). Einige
Zeit nach der völligen Ablösung von der Oberhaut beginnt die mediale Wand
der hohlen Linsenanlage sich vorherrschend in der Mitte zu verdicken und auf
diese Weise gegen die innere Höhle vorragend, dieselbe mehr und mehr zu ver-
drängen ; während die laterale Wand in demselben Masse in eine dünne Schale
ausgezogen wird , welche über die Aussentiäche der kugeligen Innenwand ge-
stülpt, sich ihr im sagittalen Umfange anschliesst (Taf. VIII Fig. 161). Die
Umbildung dieser beiden verschiedenen Theile der Linsenanlage zur eigentlichen
Linsensubstanz (Innenwand) und zum vorderen Epithel (Aussenwand) ist leicht
zu konstatiren; dann ist es aber auch klar, dass jenes Epithel nicht zur Kapsel,
sondern zur eigentlichen Linsensubstanz gehört, gerade so wie das Pigment-
328 VI. Die drei höheren Sinnesorgane.
epithel der Netzhaut zu dieser und nicht zur Aderhaut. Die Linsenzellen sehe
ich an meinem Thiere sehr bald koncentrisch geschichtet.
Es wird aus der bisherigen Beschreibung und den Abbildungen erhellen,
dass die in den Hand der sekundären Augenblase eingefügte Linse den Innen-
raum derselben nicht vollständig abschliesst, indem der untere Ausschnitt des
Blaseuraiides einen Zugang offen hält. Auf diesem Wege gelangt die Anlage
des Glaskörpers in jenen Raum, welcher übrigens nach der Altlösung der Linse
ringförmig erscheint, da der flache Grund der schalenförmigen Netzhaut die
Innenwand der Linse berührt (Taf. VIII Fig. 159—161, Taf. XV Fig. 269,
Taf. XVI Fig. 291. 299). Jene ersten Grundlagen des Glaskörpers bestehen
aus interstitiellem Bildungsgewebe, d. h. einem zarten Zellennetzwerke, dessen
weite Räume eine wasserklarc Zwischenzellenflüssigkeit und die leicht kennt-
lichen, kreisrunden embryonalen Blut- oder Dotterbildungszellen einschliessen.
Wenn man die verhältnissmässig grosse Anzahl dieser dort angesammelten
Zellen berücksichtigt, so wird die Auffassung nahe gelegt, das ganze Gewebe
auf deren Einwanderung und Umbildung zurückzuführen, während sie sonst
überall nur die vom mittleren Keimblatte her von Anfang an vorhandenen Grund-
lagen des allgemeinen Bildungsgewebes ergänzen. Ueber die Schliessung des
Ausschnittes zu einer Spalte habe ich nichts Besonderes zu bemerken.
In dem beschriebenen Zustande liegt das embryonale Auge in das umge-
bende Bildungsgewebe eingesenkt und durch solches selbst von der Oberhaut
getrennt. Während der Larvenmetamorphose, wann jenes Gewebe aus der
lockeren Verbindung mit den eingehüllten Theilen in eine engere übergeht,
liefert es die übrigen acccssorischen, bindegewebigen Theile des Auges und die
Knorpelschicht der Sclerotica, während die anliegende Oberhaut scheinbar nur
in das Epithel der Bindehaut und der Hornhaut sich verwandelt.
Das Ohr.
Das Labyrinthbläschen geht, wie Remak richtig erkannt hat, nur
aus der Grundschicht des oberen Keimblattes, also aus der Sinnesplatte im
engeren Sinne hervor. Dieselbe zieht sich in der hinteren Kopfhälfte zu beiden
Seiten dos Hirns stetig zusammen, sodass die Zellen cylindrisch umgebildet wer-
den; indem die dadurch gebildete verdickte Blatte noch weiteren Zuwachs
erhält, wird sie an der Grenze des zweiten und dritten Segments nach innen
vorgetrieben und bildet eine lasche, deren Boden rückwärts gerichtet ist {Taf.
VI. Die drei höheren Sinnesorgane. 329
VI Fig. 105, Taf. VII Fig. 121. 132. 133). Bald schnürt sich dieselbe von
der Oberhaut vollends ab und bläht sich zu einem rundlichen Bläschen , eben
der Anlage des Labyrinthes, auf (Taf. XIII Fig. 225. 234, Taf. XIV Fig. 246.
260, Taf. XV Fig. 273, Taf. XVI Fig. 288—290). Die Wand dieses Laby-
rinthbläschens besteht aus den vollständigen Embryonalzellen , in denen die
Dottertäfelchen allmählich einer homogenen Masse Platz machen, deren geson-
derte Zellenleiber aber, so weit ich es verfolgen konnte, erhalten bleiben. Nach-
dem ich noch festgestellt, dass auch die Zellenauskleidungen der halbcirkel-
förmigeii Kanäle durch Faltung der epithelartigen Zellenanlage des Labyrinth-
bläsebens entstehen, gab ich die weitere Untersuchung auf (Taf. XVI Fig.
29,5. 302). Noch verdient bemerkt zu werden, dass der Hörnerv weder aus dem
Gehirne, noch aus dem Labyrinthbläschen, etwa bei einer unmittelbaren Berüh-
rung beider, entsteht; eine solche Berührung tritt niemals ein, vielmehr liegen
stets verschiedene Theile des mittleren Keimblattes dazwischen. Aus einem
derselben, nämlich der Nervenanlage des zweiten äusseren Kopfsegments ent-
wickelt sich der Hörnerv und setzt sich nach beiden Seiten mit dem Central-
nervensystem und dem Gehörorgan in Verbindung {Taf. XV Fig. 273, Taf.
XV II Fig. 304. 314. 315). Einen äusseren Hülfsapparat erhält das Gehörorgan
der Unke bekanntlich nicht.
Das Geruchsorgaii.
Die Anfänge des Geruchsorgans bestehen wie beim Gehörorgan aus einer
durch Zellenzusammenziehung entstandenen Verdickung der Sinnesplatte.
Dieselbe füllt zuerst jederseits die Einsenkung zwischen dem unteren Theile
der primären Augenblase und dem nach vorn auswachsenden Vorderhirne aus
(Taf. VII Fig. 123). Später treten Theile des mittleren Keimblattes zwischen
Hirn, Auge und Geruchsorgan, doch bleibt die Lage desselben seitlich vom Vor-
derende des Vorderhirns und im Niveau seiner Grundfläche ziemlich unver-
ändert,, wobei die ganze Platte schräg von vorn und oben nach hinten und aussen
gerichtet ist und eine schwache Einsenkung ihrer Mitte zeigt {Taf. XIII Fig.
223, Taf. XIV Fig. 248. 251, Taf. XVI Fig. 288—291). Noch ist die unver-
änderte Deckschicht von der verdickten aus cylindrischen Zellen zusammen-
gesetzten Grundschicht deutlich geschieden; bald jedoch verschmelzen sie zu
einer einzigen Zellenmasse, sodass also das ganze Keimblatt in die Grundlage
des Geruchsorgans eingeht. Die Vorstellung, dass jene leichte Einsenkung der
330 VI. Die drei höheren Sinnesorgane.
Geruchs platte sich einfach zur Nasengrube vortiefe, ist aber falsch. Es
lässt sich nämlich beim Vergleiche verschiedener Entwickelungsstufen leicht
erkennen, class die sich allseitig ausdehnende Oberhaut des Kopfes am hinteren
Rande der dicken Geruchsplatte von dieser aufgehalten wird und nach aussen
von ihr eine nach vorn schauende Falte schlägt, welche weiter vorwachsend die
Aussen wand der dadurch entstandenen Nasen grübe bildet und die Geruchs-
platte nur als mediale Wand derselben zurücklässt {Taf. XV Fig. 266 — 268,
Taf. XVII Fig. 305. 314- 316). Der Grund der Nasengrube wird durch den
Uebergang beider Wände, also der eigentlichen Geruchsplatte und der seit-
lichen N a s e n p 1 a 1 1 e bezeichnet. Diese Faltenbildung der Oberhaut beginnt
wie gesagt am hinteren Rande der Geruchsplatte; weil dieser aber schräg auf-
wärts zieht, so bildet die seitliche Nasenplatte alsbald auch das Dach der
Nasengrube. Nicht ebenso schnell zieht sich deren Boden aus. Unten läuft
nämlich die eben angelegte Nasengrube in eine Furche aus; da zugleich zwischen
beiden Nasengruben ein Dach der Mundbucht hervorwächst, unter welchem
das mediale Schlussstück der Sinnesplatte, also eine Fortsetzung beider Geruchs-
platten sich trichterförmig zur Anlage des Hirnanhangs einzieht, so laufen die
furchenförmigen unteren Enden beider Nasengruben unter jenem Dache zu-
sammen {Taf. III Fig. 45 — 49). Bald darauf ergänzt sich aber der Rand der
seitlichen Nasenplatte auch unten und verbindet sich mit dem Dache der Mund-
bucht, sodass alsdann die Nasengrube von der letzteren geschieden einen voll-
ständigen Blindsack darstellt. Ihr oberer Theil bleibt weit und enthält beständig
eine offene Höhle; der abwärts gerichtete Grund verengt sich spaltförmig und
stösst, indem die innere Mundhöhle sich nach vorn erweitert, dicht hinter der
queren Mundscheidewand an das Darmblatt, um mit ihm zu verschmelzen (Taf.
XVIII Fig. 320—322). Darauf erst bricht an dieser Stelle eine hintere Oeff-
nung der Nasengrube in die Mundhöhle durch. — Einzelnheiten über die Aus-
bildung der Nasengrube werde ich im Abschnitt IX, welcher den Kopf speciell
behandelt, anführen; hier lasse ich nur noch einige histiologische Beobach-
tungen folgen. In beiden Haupttheilen der Nasengrube, der medialen Geruchs-
wie der lateralen Nasenplatte , erhalten sich die ursprünglichen Unterschiede.
Jene bleibt dick und mehrfach geschichtet, ihre Zellen werden länglich und wie
in Fortsätze ausgezogen ; aber noch in metamorphosirten Thieren enthalten sie
meist runde Kerne. In der Seitenwand der Nasengrube bilden die abgeplatteten
früheren Oberhautzellen nur eine einfache Lage. Die Verbindung der Geruchs-
platte mit dem Hirne geschieht wie beim Gehörorgan durch Yormittelung des
VI. Die drei höheren Sinnesorgane. 331
mittleren Keimblattes. Allerdings sind beide Organe einander so sehr genähert,
dass man erst bei stärkeren Vergrösserimgen erkennt, dass sie sich in der That
nicht berühren; alsdann ergibt sich aber, dass auch hier embryonale Blutzellen
das Material zu einer Neubildung, nämlich zurEntwickelung der Geruchsnerven-
bündel liefern {Taf. VIII Fig. 163, Taf. XVII Fig. 314, Taf. XVIII Fig.
321). Aus der relativ geringen Anzahl der vermittelnden Blutzellen möchte
ich aber schliessen, dass sie nicht etwa in das ganze Nervenbündel sich ver-
wandeln, welches darauf hinüber und herüber die Verbindung anknüpfe, sondern
dass sie als noch nicht differenzirte Elemente zunächst nur gleichsam den beide
Organe verbindenden Kitt abgeben und die anfangs ausserordentlich kurze
Brücke fein gestreifter Nervensubstanz bilden, in welche alsdann die zelligen
Elemente der grauen Hirnmasse hineinwachsen, um das Gros des Riechnerven,
namentlich seine strangförmige Verlängerung an der Basis des Vorderhirns, zu
bilden. Dass die bindegewebigen Umhüllungen der epithelialen Auskleidung der
Nasenhöhle vom mittleren Keimblatte herkommen, sei nur beiläufig erwähnt.
Die knorpeligen Theile dieser Umhüllung werden ebenso wie diejenigen des Ohrs
an einer anderen Stolle berücksichtigt werden.
Zum Schluss sei noch erwähnt, dass das obere Keimblatt ausser den
genannten drei Sinnesorganen noch Bildungen erzeugt, welche den Sinnes-
organen beigezählt zu werden verdienen. Dahin gehören vor allem die
sogenannten Seiten organe, welche sich aus der Grundschicht' der Ober-
haut längs der Mittellinie der Segmente entwickeln; die Einzelnhciten dieses
Vorganges gehören aber mehr in eine specielle Geschichte dieser Theile,
als in eine allgemeine Entwicklungsgeschichte (Taf. XIII Fig. 238 — 240).
Doch verdient der Umstand Erwähnung, dass am Kopfe und vorderen Rumpfe,
worauf ich noch später zurückkomme, dieselbe Grundschicht der Oberhaut
ganze Nervenanlagen, nämlich die Wurzeln und Stämme der Seitennerven er-
zeugt {Taf. XIII Fig. 233. 238, Taf. XV Fig. 276, Taf. XIX Fig. 345). —
Ueber den Hirnanhang als ein von den Sinnesorganen abweichendes Erzcugniss
der Sinnesplatte ist schon gesprochen wrorden, ebenso über die Oberhaut selbst,
welche aus einer vollständigen Verschmelzung der beiden Schichten des oberen
Keimblattes hervorgeht und damit hinlänglich die nur vorübergehende Bedeu-
tung dieser Schichtung anzeigt. Ein Sinnesorgan aber, welches sonst in der
üblichen Fünfzahl nicht fehlen durfte, habe ich nicht erwähnt, das Geschmacks-
organ. Man lässt allerdings ganz allgemein die Zunge aus einem von der Ober-
haut überzogenen Unterkiefertheile hervorgehen (Nr. 40 S. 75. 184. 185,
332 VI. Die drei höheren Sinnesorgane.
Nr. 48 S. 354 — 355) ; wenn man aber meine Abbildungen Fig. 303 und 283
vergleicht, wird man leicht erkennen, dass sie in der noch vollkommen ver-
schlossenen Mundhöhle sich entwickelt, also die Geschmackszellen aus dem
Darmblatte hervorgehen.
Da bei der Untersuchung der Sinnesorgane das überwiegende Interesse
sich ganz natürlich dem Auge zuwandte, so musste auch der Erfolg dem auf-
gewandten Fleisse entsprechen; während die Entwickeln ngsgeschichte des am
meisten vernachlässigten Geruchsorganes auch bis in die neuere Zeit von
gröberen Irrthümern nicht frei blieb. Denn Remak selbst, welcher die irrige
Beobachtung Rusconi's von der Elitwickelung der Nasenhöhlen aus dem Hirne
zurechtstellte, bezeichnet an noch jungen Larven die blossgelegten, sackartigen
Erweiterungen der Nasengruben als Lobi olfactorii, d. h. als die Anlagen der
vorderen Kommissur (Balken^, welche aber an solchen Larven entweder noch
gar nicht existiren oder vom Vorderende der eigentlichen Gl osshirnlappen nicht
zu unterscheiden sind (Nr. 40 S. 148). v. Bambecke lässt sogar umgekehrt
wie Rusconi einen Theil der Nasengruben sich in jene Lobi verwandeln. Ganz
offenbar ist aber noch die Ansicht allgemein verbreitet, dass die ganzen Nasen-
gruben das Geruchsorgan darstellen, während nach meinen Untersuchungen
nur ihre dicke , aus der ursprünglichen Geruchsplatte hervorgegangene mediale
Wand als das eigentliche Sinnesorgan gedeutet werden kann. Daher will ich
die ganzen Nasenhöhlen erst in Verbindung mit den umgebenden Kopftheilen
näher betrachten.
Für die morphologische Entwickelung des Auges habe ich ausser der etwas
auffallenden Angabc v. Bambecke's über die solide Anlage der Augenblasen
nur die Beschreibung Remak's und Barkau's von der Bildung der Linse in
etwas zu berichtigen. Die letztere wird nämlich eine von der Grundschicht der
Oberhaut sich abschnürende Einstülpung genannt, deren Höhle also von der
Deckschicht nach aussen verschlossen würde; ich sehe dagegen die Linse aus
einer soliden Wucherung der Oberhaut hervorgehen, welche erst nachträglich
eine Höhle erhält, Ebenso kann ich Schenk undOELLACHER nicht beistimmen,
wenn sie die Linsenbildung bei den Knochenfischen gerade so wie Barkau
bei den Batrachiern verlaufen lassen (Nr. 117 S. 4. 5, Nr. 107 S. 81). Auch im
Forellenembryo finde ich, dass anfangs das gesammte Keimblatt in die be-
ginnende Einstülpung der primären Augenblase sich einsenkt. Dabei ver-
VI. Die drei höheren Sinnesorgane. 333
wandelt sich aber nur der grösste mediale Theil der verdickten Grundschicht
in eine feste Schicht oder Platte, welche die weitere Einstülpung und Abschnü-
rung ausführt. Der kleinere centrale und laterale Theil der Linsenanlage füllt
dagegen als lockere Zellenmasse den Einstülpungsraum jederzeit aus, sodass
nicht von Anfang an eine wirkliche Höhle der Linsenanlage besteht, wie Schenk
angibt, sondern nur ein beständig ausgefüllter Raum, wie ihn Schenk gegen
seine eigene Aussage in der sich abschnürenden Linsenkugel zeichnet (Nr. 117
Taf. II Fig. 7). Indem diese centrale lockere Zellenmasse ebenso wie bei den
Batrachierlarven sich auflöst, gibt sie Veranlassung zur Bildung der spaltar-
tigen Höhle, welche später die innere und äussere Wand der Linsenanlage
trennt (vgl. Nr. 117 Taf. I Fig. 3. 4). Auch die bekannte Einstülpung der Lin-
senanlage der Anmieten ist nicht überall ganz gleich; denn wenn sie meist
tellerförmig abgebildet wird (Nr. 40 Taf. V Fig. 58, Nr. 75 Fig. 8), so habe ich
sie beim Maulwurfe dagegen vollständig trichterförmig gesehen. — Die Bildung
des Ohrbläschens findet im Forellenembryo gerade so statt wie die Entwicke-
lung der Linse, sodass die lockere laterale und später centrale Masse durch ihre
Auflösung die Höhle erzeugt; ich muss also darin Oellacher vollkommen be-
stätigen (Nr. 107 S. 73. 75). Und wenn er eine Falte der Deckschicht erwähnt,
welche in jene Einstülpung hineinhänge, so kann ich hinzufügen, dass ich eine
ebensolche ziemlich tiefe Einziehung der Deckschicht in die Linsenanlage beob-
achtet habe.
Aus meinen Bemerkungen zur Entwickelungsgeschichte der Nervenröhre
wird man entnehmen können, dass ich bei den Umbildungen der Embryonalan-
lagen das Hauptgewicht durchaus nicht auf die äussere Erscheinung lege.
Wenn ich für die Anlagen der Linse und des Labyrinthbläschens die gesehenen
Bilder ausführlich beschrieb, so geschah es gerade, um zeigen zu können, wie
die Homologie nicht in der wechselnden äusseren Erscheinung sondern in den
gleichen wirkenden Ursachen zu suchen sei. Ebenso wenig wie die Axenplatte
sich in allen Wirbelthierembryonen in eine offene Furche verwandelt, welche sich
darauf zu einer Röhre schliesst und abschnürt, sind die Linse und das Ohr-
bläschen überall einfache Einstülpungen des oberen Keimblattes. Die Veran-
lassung zur Entstehung der Linse glaube ich bei Batrachiern und Fischen in
dem Drucke der die Oberhaut vorwölbenden primären Augenblaso erkennen zu
müssen. Lieberkühn meint freilich, dass die Augenblasen der Säugethiere stets
durch Theile des mittleren Keimblattes von der Oberhaut getrennt seien, sodass
die Linsenanlage diese Theile in die sekundäre Augenblase mit einstülpe (Nr. 75
334 VI. I>ie drei höheren Sinnesorgane.
S. 38 J; ich muss dagegen auf Grund meiner Präparate vom Maulwürfe behaup-
ten, dass dies im Beginne der Linsenbildung nicht der Fall ist, also jene meine
Begründung dieser Bildung auch auf andere Wirbelthiere Anwendung finden
kann. Die von der Linsenbildung jedenfalls unabhängige Einstülpung der
primären Augenblase, welche schon v. Bambecke erkannte, und ich an Ba-
trachiern und Fischen bestätigen kann, betrachte ich ferner als die äussere
Formbedingung, welche die angeregte Wucherung der Oberhaut sich nach
innen ausdehnen und gewissermassen an die Oeffhung der sekundären Augen-
blase anpassen lässt. Wenn dabei die Deckschicht der Batrachier und Tische
nur vorübergehend eingestülpt wird, so ist dies ganz natürlich, da, wie ich
zeigte, die Grundschicht so stark wuchert, dass sie lateralwärts keine leere
Höhle erhält, sondern deren Raum mit Zellen angefüllt bleibt. Die Linsen-
bildung zeigt also bei denselben Bildungsursachen die gleichen äusseren Unter-
schiede in den verschiedenen Tbieren wie die Entwickelung des Ohrbläschens
und des Centralnervensystems , darf aber mit diesen nicht ohne weiteres ver-
glichen werden; denn sie geht, wie es mir scheint, aus einer sekundären An-
passung an die Umbildungen der eigentlichen Augenanlage hervor, und ist
daher abgesehen von der Form und nur mit Rücksicht auf den Werth des
Kausalzusammenhanges mit viel mehr Recht der noch späteren Anlage des
Glaskörpers zu vergleichen. Das Ohrbläschen ist dagegen in erster Reihe auf
die Sinnesplatte und dann die Axenplatte mit den daraus sich ergebenden Bil-
dungsursachen zurückzuführen. Ueberhaupt hat sich auch hinsichtlich der
Sinnesorgane das Bestreben kundgegeben, für physiologisch gleichartige Theile
auch eine möglichst gleiche Entwickelung, sowohl nach dem Ursprünge wie
nach der Form nachzuweisen. So hat denn Remak, welcher für die allgemeine
Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere seit v. Baer am meisten geleistet
hat, das Gemeinsame und Bedeutsame in der Betheiligung des oberen Keim-
blattes an der Bildung der Sinnesorgane darin zu sehen geglaubt, dass das-
selbe ursprünglich eine allgemeine sensorielle Oberfläche des Körpers darstelle,
„die sich im Laufe der Entwickelung in kleinere sensorielle Bezirke sondert",
und dass diese letzteren „nicht die wesentlichsten (nervösen) Bestandteile der
Sinneswerkzeuge", sondern durch hohle Einstülpungen die freien Oberflächen
derselben bilden (Nr. 40 S. 100. 101). Als solche selbstthätige .(„nicht passive")
Einstülpungen des Sinnesblattes werden aufgeführt: die Riechhöhlen, die Ge-
schmackshöhle, die Linse, das Labyrinth (a. a. 0. S. 94. 95). Wie man leicht
erkennt, ist dies nur eine den verbesserten Kenntnissen angepasste Auffasungs-
VI. Die drei höhereu Sinnesorgane. 335
weise der älteren Zeit, welche die Sinnesorgane einfach als Auswüchse des
Hirns betrachtete. Im übrigen zeigt sie alle Mängel einer morphologischen
Vorstellung, welche statt bloss im Zusammenhange der Forminnbildungen zu
wurzeln, sich stets auf die subjektive Werthschätzung der fertigen Organe be-
zieht: die Erklärung wird nicht entwickelt, sondern erzwungen, die Beobach-
tung muss sich dem Schema fügen. Ich will auf die Konsequenzen und Inkon-
sequenzen jener Auffassung nicht weiter eingehen und nur die Irrthümer der
Beobachtung zurechtstellen. Die Geschmackshöhle muss zunächst ausgeschieden
werden, da das Geschmacksorgan weder in der Mundbucht noch überhaupt aus
dem oberen Keimblatte entsteht. Damit ist freilich die specifische Bedeutung
des ,, Sinnesblattes" bereits gewaltig erschüttert. Aber auch die Nasengrube
ist keine besondere „Sinneshöhle", da sie gar nicht ausschliesslich oder nur
grösstentheils von der Geruchsplatte gebildet wird, welche auf eine Seite der-
selben beschränkt bleibt. Endlich ist die Linsenblase weder dem Ohrbläschen
und der Geruchsplatte homolog, noch stehen diese der Augenblase so gegen-
über wie anderen Theilen des Centralnervensystems. Kurz — die Sinnesor-
gane gehören nach ihrem Ursprünge nicht alle zusammen, und ihre aus dem
Sinnesblatte hervorgehenden Theile entwickeln sich nicht alle in der gleichen Form
von Einstülpungen, d. h. die Auffassung Remak's ist im ganzen und im einzel-
nen unhaltbar. Die Ergebnisse meiner Untersuchungen über die Sinnesorgane
lassen sich vielmehr dahin zusammenfassen, dass nur die drei sogenannten
höheren Sinnesorgane in der Sinnesplatte eine gemeinsame Grundlage haben,
welche als eine Absonderung von der Axenplatte betrachtet werden kann , dass
also ihre Homologie sich auf ganz andere Theile bezieht, als welche bisher da-
für galten, nämlich auf die Geruchsplatte (nicht Nasengrube), auf die Augen-
blase (nicht Linse) und das Ohrbläschen, wozu noch ein Sinnesorgan hinzu-
kommt, welches im Schlussstücke der Sinnesplatte angelegt, mit den Geruchs-
platten in sich wechselweise ausschliessender Korrelation zu stehen scheint
(Nasenrachengang der Cyklostomen , Anlage des Hirnanhangs). Die übrigen
Sinnesorgane (Seitenorgane, äussere Haut, Zunge) stehen weder mit jenen drei
erstgenannten noch unter sich noch endlich mit dem Centralnervensystem in
einem besonderen genetischen Zusammenhange und fallen zudem ausschliesslich
ins Gebiet lokaler histiologischer Sonderung.
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
Historisehe Uebersicht der bisherigen Untersuchungen.
Die erste ausführliche Entwickelungsgeschichte der Wirbelsäule der Ba-
trachier lieferte Duges. Schon vor dem Ausschlüpfen der Embryonen fand er
in denselben einen knorpeligen Strang (Wirbelsaite) unter dem Rückenmarke.
Weiterhin entwickelten sich neun Paar knorpelige Wirbelbügen um das Rücken-
mark, welche der Wirbelsaite jederseits aufsitzen (Nr. 13 S. 102). Zuerst er-
scheinen sie als kleine Höcker; indem sie sich aber aufwärts verlängern, th eilen
sie sich gabelig in zwei Aeste, von denen einer den Querfortsatz, der andere
den eigentlichen Bogen und später den Gelenkfortsatz bildet (S. 103). Der
Knochen des Wirbelkörpers entwickele sich von zwei seitlichen Punkten aus,
welche sich alsbald durch ein dünnes Mittelstück verbinden. Beim gemeinen
Frosche setze sich diese Verknöcherung des Körpers rund um die Wirbelsaite
ringförmig fort und schnüre dabei die letztere ein (S. 105). Beim Bombinator
lüscus, Alytes punctatus und Hyla (S. 103) verschmelzen die beiden ersten Ver-
knöcherungspunkte zu einem annähernd kubischen Stücke, welches namentlich
unten ausgehöhlt ist. Daher entsteht an der Unterseite der aneinander ge-
reihten Wirbelkörper eine Furche, in welcher die Wirbelsaite lagert, und welche
erst in demselben Masse als die letztere verkümmert und schwindet, ausge-
glichen wird (S. 106). In den Intervertebralräumen liegen kugelige Knorpel-
massen, welche gleichfalls ausserhalb der Wirbelsaite entstanden nach der
Metamorphose mit je einem Wirbelkörper verschmelzen, um das konvexe Ge-
lenkstück zu bilden (S. 107). Die Wirbclbögen schienen Duges sehr früh zu
verknöchern (S. 104) und zwar ebenso wie die Wirbelkörper von der Oberfläche
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 337
her, da er in den Wirbelbögen junger Thiere eine knorpelige Axe zu finden
glaubte (S. 107). Das Steissbein werde anfangs durch zwei Paar knorpelige
Bögen gebildet, von denen das erste Paar bei gewissen Batrachiern Querfortsätze
besitze. Zu diesen Bögen gesellen sich alsbald zwei entsprechende Wirbel-
körper, so dass das Steissbein aus zwei Wirbeln zusammengesetzt erscheint.
Dazu kommt aber noch ein axialer Knorpelstreif unterhalb der Wirbelsaite,
welcher während der Auflösung derselben im vorderen Theile mit jenen beiden
Wirbelkörpern verschmilzt, rückwärts aber bedeutend über sie hinausreicht
(S. 108. 109).
J. Müller bestätigte im allgemeinen die Angaben von Duges, namentlich
die zwei verschiedenen Bildungsweisen der Wirbel, welche die Anuren in zwei
Gruppen scheiden (Nr. 76 I S. 83. 101. 103. 130. 131, III S. 69. 74). Müller
weicht aber von Duges darin ab, dass er die Wfirbelsaite nicht aus Knorpel
sondern aus mit Gallerte angefüllten Zellen bestehen lässt (I S. 81. 82). Daraus
folgerte er anfangs, „dass die Chorda dorsalis der Verknöcherung der Wirbel
durchaus fremd bleibt", und dass vielmehr „alle Ossifikation an der Wirbelsäule
erfolgt in der äusseren fibrösen Schicht um die Scheide der Gallertsäule, in
jener Schicht, welche auch das Rückenmarksrohr bildet." In dieser Skelet-
schicht entstehe aber der Wirbel nicht durch ursprüngliche Verknöcherung,
sondern derselben gehe die Bildung paariger Knorpels tücke voraus, welche
erst verschmelzen, bevor in ihnen die Verknöcherungspunkte 'erscheinen
(I S. 82 — 83). Später hebt aber Müller ganz besonders hervor, dass
die Wirbelkörper der meisten Batrachier ausser Pelobates und Pseudis
aus wahren ringförmigen Ossifikationen der Chordascheide selbst entstehen
(III S. 69. 74).
Rathke sagt über die Entwickelung der Wirbelsäule: — „Als das Funda-
ment der Wirbelsäule erscheint die Wirbelsaite , ein häutiges allenthalben ge-
schlossenes Rohr, das mit einer Substanz ausgefüllt ist, die eine gallertartige
Beschaffenheit hat. Demnach besteht die Wirbelsaite an und für sich selbst
aus zwei verschiedenen Theilen, die man den Kern und die Scheide nennen kann.
Um sie herum "lagert sich ein Blastem ab, das anfangs allenthalben gleich-
artig beschaffen ist und ein grobkörniges Gefüge hat. Zuvörderst scheint es an
der rechten und linken Seite der Chorda vertebralis zum Vorschein zu kommen,
dann aber in der Regel von hier aus nach oben und unten um die Chorda herum
zu wuchern, so dass diese nach einiger Zeit eine besondere aus solchem Blastem
Goette, Entwiekelungsgeschichte. 2 m
338 VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
bestehende Belegung erhalten hat, die eine neue oder zweite Scheide für sie
ausmacht." Rathke nennt sie die Belegungsmasse der Wirbelsaite. Dieselbe
verdicke sich rund um die Wirbelsaite in einer Reihe hintereinander liegender
Ringe, welche durch dünne Abschnitte verbunden bleiben; zugleich umwuchere
sie das Rückenmark ebenfalls röhrenförmig, wobei den dickeren Ringen ent-
sprechende obere Bögen entstehen, welche eigentlich nur als Verlängerungen
jener zu betrachten seien (Nr. 21 S. 2). Die Ringe werden dicker und breiter
und verwandeln sich, indem die von ihnen eingeschnürten Stellen der Wirbel-
saite schwinden, in die späteren knorpeligen Wirbelkörper. Zwischen je zwei
solchen Körpern bleibt ein Theil der Wirbelsaite bestehen; die Scheide des-
selben wird zu einem Lig. intervertebrale , der Kern aber verflüssigt (S. 3).
Die zwischen je zwei jener Wirbel zurückbleibenden Theile der Belegungsmasse
der Wirbelsaite werden zu einer Fortsetzung der Knochenhaut der Wirbelkör-
per und zu den Ligg. intercruralia und interspinalia (Nr. 21 S. 4, Nr. 47
S. 124 und flg).
Schwann hat die Wirbelsaite und den Knorpel nur an erwachsenen Frosch-
larven untersucht (Nr. 77 S. 10). Nach ihm besteht die Wirbelsaite im Innern
aus grossen aneinander gefügten Zellen mit selbstständigen Membranen und
wandständigen Kernen. Die Grösse dieser Zellen nimmt gegen die Oberfläche
der Wn'belsaite ab und die dünne, mit kernähnlichen Körperchen durchsetzte
Rinde der letzteren bestehe aus abgeplatteten Zellen, deren epitheliales Ge-
füge bisweilen kenntlich ist. An einigen Stellen sieht Schwann etwas Intercel-
lularsubstanz zwischen den Chordazellen und in ihrem Innern hier und da junge,
bläschenförmige, aber kernlose Zellen (S. 12 — 15). Den Knorpel lässt
Schwann so entstehen, dass in einer Grundsubstanz erst Kerne auftreten, dann
an ihrer Oberfläche, sei es durch Abspaltung von ihren Membranen oder durch
Neubildungen sich die blasigen Zellen entwickeln, welche den Kernen zuerst
dicht anliegen und erst durch ihr ferneres Wachsthum sich von denselben ab-
heben. Diese ganze Bildung könne entweder innerhalb schon fertiger Knorpel-
zellen oder in der Intercellularsubstanz vor sich gehen. Weiterhin verdicken
sich die Membranen der jungen Knorpelzellen und können dann entweder be-
stehen bleiben oder mit den angrenzenden Membranen und der Intercellular-
substanz verschmelzen (S. 21 und flg., S. 113 und flg.).
Reichekt lässt das Stammskelet aus seinem Wirbelsystem, den Segmenten,
hervorgehen. „In den Urplatten entwickelt sich am Rumpfe die Wirbelsäule,
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 339
am Kopfe die Schädelbasis , welche also gemäss der Genesis ursprünglich aus
zwei Theilen zusammengesetzt werden. Die Skelettheile der Wirbelröhre,
welche durch die von dem äusseren Rande der Urplatten hervorwachsenden
Rücken- und Visceralplatten gebildet werden , sind die von den Wirbelkörpern
abgehenden oberen und unteren Wirbelbogen (Rippen)" (Nr. 22 S. 30. 31). Die
beiderseitigen Urplatten verschmelzen von vorn rückwärts fortschreitend, an-
fangs unterhalb der Wirbelsaite und erst später auch oberhalb derselben. Im
Kopfe geschehe das letztere erst von dem Türkensattel an rückwärts, während
davor die Chordaspitze dem Hirne angeheftet bleibe, um sich in den Hirnanhang
zu verwandeln (S. 29. 30). Im weiteren Verlaufe der Entwickelung verkümmere
die Wirbelsaite, sodass Reste derselben nur zwischen den einzelnen Wirbeln
übrig bleiben. Aus allem folge, „dass die Wirbelsaite und das Wirbelsystem
zwei ursprünglich verschiedene Gebilde sind und nicht zusammen gehören,"
beide aber die gleiche Bedeutung von Stützorganen haben, sodass jene im
Anfange der Entwickelung als solches diene, später aber diese ihre Funktion
der Wirbelsäule übertrage (S. 31. 32).
Nach Vogt besteht die ganze Chorda „aus einem gleichmässigen Gallert-
strang mit unzähligen Molecularkörpern und manchen Stearintäfelchen ge-
mengt, welcher nur durch Mangel von Zellenstructur von der umgebenden Masse
sich unterscheidet." Bald erscheinen aber „zuerst an dem Kopfende in Mitte der
Gallertmasse hie und da rundliche, helle Flecken, welche ganz wie Höhlungen
aussehen." Da Vogt diese Gebilde aus der Wirbelsaite isoliren konnte, hielt er sie
für kernlose Zellen (Nr. 26 S. 42). Diese Zellen vermehren und vergrössern
sich und verdrängen dabei die intercellulare Körnchenmasse bis auf geringe
Spuren an den Stellen, wo die Ecken der durch gegenseitigen Druck polyedrisch
abgeplatteten Zellen zusammenstossen. Darauf erhält die Wirbelsaite eine
dünne, structurlose Scheide, welche die Zellenmasse, oder den Kern der Wirbel-
saite eng umschliesst. In den Zellen erscheinen zu einer gewissen Zeit wand-
ständige Kerne, vom Aussehen plattgedrückter Bläschen (S. 43. 44). InTritonen-
larven fand Vogt vor dem Erscheinen der sekundären Zellen die Dotter-
plättchen in gleichen Abständen ringförmig um die Wirbelsaite herumgelagert
(S. 45) ; dieses Aussehen hält er für Spuren einer Verschmelzung von zerstörten
Embryonalzellen, woraus eben die gleichmässige Chordamasse hervorgehe
(S. 49). Die darauf entstehenden sekundären Zellen füllen je einen der
vorbezeichneten Abschnitte aus, sodass sie scheibenförmig erscheinen und in
der Scheide wie Münzen in einer Rolle liegen (S. 4l>); später erst trete eine
22*
340 VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
Theilung derselben ein (S. 47).* Was nun die Entstehung der knorpeligen
Wirbelsäule betrifft, so glaubt Vogt, „dass es die Scheide der Chorda ist,
welche den (anfangs ringförmigen) Wirbelkörper entwickelt," während „der
Bogentheil als Differenzirung in der Masse der ursprünglichen Rückenwülste
anzusehen ist". „Auch hier erscheint der Knorpelring erst später von dem
auflagernden Muskelgewebe verschieden, während anfangs keine genaue Grenze
zwischen beiden gezogen werden kann" (S. 83). Innerhalb der Wirbel werde
alsdann der Chordakern resorbirt. ,,Da, wo die Knorpelringe den Strang
drücken, werden die Zellen resorbirt und erhalten sich noch in den Gelenk-
flächen , wenn endlich der Ring sich zu einem soliden Körper geschlossen. Ich
habe noch bei einem einjährigen, mithin vollständig ausgebildeten Alytes die
Rückenwirbel in Form von Doppelkegeln, wie bei den Fischen, gesehen und
die Zwischenräume dieser Doppelkegel mit Chordazellen ausgefüllt gefunden.
Eine Metamorphorse der Chordazellen etwa in Knorpelzellen oder anderes Ge-
webe findet durchaus nicht statt bei den Batrachiern; die ausgebildete Chorda-
zelle hat das Ende ihrer Laufbahn erreicht" (S. 86). Am Schädel vergleicht
Vogt die Basis mit den Wirbelkörpern, das Gewölbe mit den Wirbelbögen
(S. 74), sodass die entsprechenden Theile auch auf gleiche Weise entstehen.
„Die Scheide des Endstückes der Chorda bildet eine breite Knorpeltafel, welche
der letzten Hirnabtheilung zur Stütze dient. Von dieser aus gehen zwei
seitliche Knorpelbalken, welche sich unter der Hemisphärenabtheilung wieder
vereinigen und die, nebst der hinteren Tafel das ganze Gewölbe des Schädels,
mit seinen verschiedenen Kapseln für Gehirn, Nase, Augen und Ohr tragen"
(S. 86). Im Kopfe hat Vogt ebenfalls die Entwickelung des Knorpels ver-
folgt. „Die erste Anlage zum Knorpelgewebe der Schädelbasis besteht in
einem dichten, dunkeln Cytoblastem, vollgepfropft von Molecularkörperchen
und halbverzehrten Stearintäfelchen und offenbar hervorgegangen aus der
Zerstörung der ursprünglichen Embryonalzellen." „Auch die wasserhellen
Blasenkerne der Embryonalzellen sind verschwunden" (S. 105). Während die
Zahl der Stearintäfelchen abnimmt, erschienen in diesem Blastem grosse, helle,
rundliche Zellen, mit je einem oder mehreren grossen Kernen versehen. Vogt
glaubt, dass diese Zellen ohne Zwischenstufen „gleich in der ihnen zukommen-
den Form und Grösse ins Leben treten" (S. 106). Indem ihr Wachsthum die
Vgl. auch Vogt, Quelques observations sur renibryologie des ßatraciens, in: Annales
des Sciences naturelles Serie 3. Zoologie Toni. 2. 1844.
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 341
Interccllularsub stanz verdrängt, berühren sie sich endlich und platten sich
polyedrisch ab, worauf ihre Membranen nach Ablagerung eines plastischen
Stoffes an ihrer Innenfläche mit einander und dem letzteren zu einer neuen
Intercellularsubstanz verschmelzen. Die dadurch frei gewordenen Kerne
wachsen, werden hohl und erhalten endlich einen eigenen Kern, sodass sie eine
zweite Zellengeneration darstellen (S. 107), diese verändert sich in derselben
Weise wie die ersten Zellen bis zur Bildung von freien, hohlen Kernen (S. 108).
Zwischen diesen letzteren zeigten sich alsdann in der Intercellularsubstanz
kleine helle Bläschen, welche sich zu kernhaltigen Zellen, den sekundären
Knorpeizellen, entwickelten und durch ihrWachsthum jene hohlen Kerne oder
die zweite Generation der primären Knorpelzellen zum Schwunde brächten
(S. 109 — 111). In ihren Kernen endlich glaubt Vogt wieder neue Zellen-
generationen gesehen zu haben (S. 104. 115).
Prevost und Lebert fanden die Wirbelsaite anfangs aus Embryonal-
zellen zusammengesetzt, in denen alsbald helle, vakuolenartige Gebilde erschie-
nen, nach der Ansicht der Verfasser die vergrösserten Kerne jener Embryonal-
zellen, welche schliesslich den ganzen übrigen Inhalt der Wirbelsaite ver-
drängten. Zu beiden Seiten der Wirbelsaite liege ein pigmentrirter Strang
mit Fortsetzungen zwischen die Wirbelplatten (Segmente) ; dies sei der
embryonale Knorpel mit einer unorganisirten , aus den zerstörten Leibern der
Embryonalzellen zusammengesetzten Grundmasse und den hellen Kernen der-
selben, welche zu Knorpelzellen würden (Nr. 30 S. 204. 205. 224).'
Cramer wiederholt für den Frosch dieselben Angaben, welche Vogt über
die Entwickelung der Wirbelsaite der Tritonen gemacht hat. Die Embryonal-
zellen würden vollständig zerstört, worauf in dem quergestreiften Strange die
sekundären Zellen auftreten (Nr. 34, S. 56 — 58).
Kölliker hat in seiner „mikroskopischen Anatomie" die früher nur aus-
zugsweise gegebene Mittheilung über die Entwickelung der Wirbelsaite des
Frosches (Nr. 32) ausführlich wiederholt. Anfangs sei die Wirbelsaite nur aus
Embryonalzellen zusammengesetzt und besitze noch keine Scheide. Indem
sich die Zellen vergrössern, „legen sie sich fest aneinander, wodurch ihre Con-
touren minder deutlich werden; dann beginnen ihre Dotterkörperchen von
Innen her zu schwinden, so dass zuerst um die nun deutlich sichtbar werden-
den Kerne helle Höfe sich bilden, die nach und nach immer weiter nach aussen
greifen, bis am Ende nur noch an der Peripherie der Zellen unmittelbar an der
Zellenmembran eine Schicht verkleinerter Dotterkörperchen sich findet."
342 "VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
Endlich verflüssige sich auch diese und die Zellen werden ganz hohl und lassen
blasse Kerne erkennen. Während dieser Vorgänge erscheint auch die Scheide
in Gestalt eines zarten Saumes, welche ein Ausscheidlingsprodukt der ursprüng-
lichen Chordazellen sei (Nr. 78 I. S. 347). Das Wachstimm der Wirheisaite
sei einmal auf die Ausdehnung der ursprünglichen Zellen, welche „nachweisbar
am Kopfe beginnt und von da rückwärts fortschreitet", und ferner darauf
zurückzuführen, dass an dem hinteren Ende der Wirbelsaite, aus einem dort
aufgespeicherten Material von kleinen Bildungszellen fortwährend neue Zellen
sich ansetzen (S. 348). An weiter entwickelten Wirbelsaiten unterscheidet
Köllikee ausser an der Pipa dorsigera (Nr. 44 S.247) eine Elastica externa,
aus platten anastomosirenclen Fasern bestehend, dann die queren parallelen
Bindegewebsbündel der eigentlichen Scheide und endlich die weiche Gallert-
masse, an welcher eine äusserste Lage kleinerer Zellen zu erkennen sei (Nr. 44
S. 217. 233). Das Rumpfskelet gehe nicht aus der Wirbelsaite hervor, sondern
aus den an ihrer Seite befindlichen Bildungs- oder Embryonalzellen (Nr. 78
S. 348). In dieser „skeletbildenden Schicht" entstehen aber die Anlagen der
Wirbel auch nach Köllikee, auf zweifache Weise: 1. „aus zwei oberen
knorpelig präformirten Bögen, die auch die Querfortsätze bilden, und aus einem
unpaaren Körper, der mit zwei Seitenhälften, ohne knorpelig präformirt zu sein,
aus der äusseren skeletbildenden Schicht hervorgeht und die Chorda ring-
förmig umgibt" (Nr. 44 S. 219) ; 2. aus jenen Bögen und deren verschmolzenen
Basen (Wirbelkörper), woran sich noch Theile der äussern Chordascheide
(skeletbildende Schicht) anschliessen , die gleichfalls knorpelig präformirt sind
(Nr. 44 S. 232 — 239). Im besonderen verdicken sich die Knochenringe des ersten
Typus zu Doppelkegeln, welche in der Mitte solid sind und mit den voraus-
gehenden und nachfolgenden Wirbelkörpern intervertebrale, gleichfalls aus der
skeletbildenden Schicht hervorgegangene Knorpelmassen einschliessen , und je
nachdem dieser Intervertebralknorpel unverändert bleibe (Perennibranchiata,
Derotremata) oder mit der hinteren Hälfte einen Gelenkkopf des Wirbel-
körpers bilde (Salamandra, Triton) oder beide Hälften auf diese Weise den
entsprechenden Wirbeln sich anpassen (Rana) , entständen die verschiedenen
Formen der Batrachierwirbel (Nr. 44 S. 219 — 222). In der zweiten Gruppe
der Batrachier bilden die verschmolzenen Basen der Wirbelbögen oder die
Wirbelkörper eine Rinne, in welcher die Wirbelsaite lagert; doch wächst ah
den Larven von Cultripes provincialis jene Rinne an den zwei ersten Wirbeln
zu einem vollständigen Knorpelringe zusammen (Nr. 44 S. 233. 234. 237. 238).
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 343
— Ueber die histologische Entwicklung des Knorpels an den Skeletanlagen
sowohl des Kopfes wie des Rumpfes lässt sich Kölliker im Gegensatze zu
seinen Vorgängern folgendermaassen aus (Nr. 78 S. 348 — 349). Die Knorpel-
zellen gingen aus den Embryonalzellen in ähnlicher Weise wie die Chordazellen
durch Verflüssigung des Inhalts hervor; später vermehrten sie sich durch
endogene (Tochterzellen-) Bildung, Avobei die Wandungen der verschiedenen
Generationen zu einer Zwischensubstanz verschmelzen. Nach dem Erscheinen
der REMAK'schen Arbeiten hat Kölliker seine Darstellung dahin ausgeführt,
dass die Zellmembranen durch Anlagerung von Knorpelmasse an ihrer Innen-
fläche zu Knorpelkapseln würden, welche das von ihnen deutlich gesonderte
Protoplasma (Protoblasten) umschlössen. Die Grundsubstanz lässt Kölliker
theils aus einer Zellenausscheidung, theils aus einer Verschmelzung von
Knorpelkapseln entstehen (Nr. 79 S. (34. 65). Die Verknöcherung des Knorpels
soll von der Oberfläche der betreffenden Wirbeltheile ausgehen (Nr. 44
S. 234. 238).
Ueber die Wirbelsaite des Frosches hat Remak nichts Bemerkenswerthes
mitgetheilt, und von der Wirbelsäule sagt er uns bloss, dass sie aus einer die
Chorda umhüllenden Membran sich entwickele (Nr. 40 S. 154). Der Knorpel
entstände aus den Embryonalzellen in der Art, dass an den Membranen der-
selben eine Knorpellage entstände (Knorpelblase), während ihr Protoplasma zu
den ersten Knorpelzellen würde. Während sich diese Knorpelzellen durch
Theilung vermehrten, entständen an ihnen sekundäre Knorpelblasen, welche
mit den ersten zu einer gemeinsamen Grundsubstanz, der Parietalsubstanz ver-
schmelzen (Nr. 36 S. 68). Auf die frühere Behauptung, dass die Knorpelblase
an der Innenfläche der ursprünglichen Zellmembran sich bilde und dass die
Knorpal- oder Primordialzelle eine eigene Membran (Primordialschlauch) be-
sässe, legte Remak später kein sonderliches Gewicht, erwähnte dagegen
noch eine Interkapsularsubstanz, welche die Knorpelblasen verbände (Nr. 40
S. 171. 172).
Bruch bestätigt die Angaben von Duges und Müller über die embryo-
nale Wirbelsäule von Rana fusca und diejenigen von Kölliker über denselben
Bildungstypus bei anderen Anuren (Nr. 50 S. 180. 186). Dabei bemerkt er,
dass die Wirbelbögen nicht aus irgend einer Grundlage sich metamorpho-
siren, sondern als stellenweise Wucherungen der Chordascheide aufzufassen
seien, „die jedoch von Anfang an und so weit sie sich über das Niveau derselben
erheben stets schon aus hyalinem Knorpelgewebe bestehen, streng genommen
344 VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
daher nie einen Bestandteil der Chordascheide gebildet haben" (S. 180 — 181).
Die letztere sei auch nicht als in Knorpel übergehendes Bindegewebe anzu-
sprechen, sondern als indifferentes „Bildungsgewebe", welches theils in Binde-
gewebe theils in Knorpel sich verwandele (S. 187. 189).
Gegenbaue unterscheidet gewisse, allen Batrachiern geineinsame Grund-
lagen der Wirbelsäule, nämlich die Wirbelsaite und die skeletbildende Schicht,
welche später eine nach drei Gruppen gesonderte Entwickelung erfahren. Die
Wirbelsaite bestehe aus der inneren Zellenmasse und der Scheide. Die Wan-
dungen der grossen Chordazellen seien nicht Zellmembranen, sondern bestän-
den aus Intercellularsubstanz, an deren Innenfläche noch eine dünne Proto-
plasmaschicht vorhanden sei (Nr. 88 S. 19). Bei den Salamandrinen läge an
der Oberfläche dieser Masse grosser Chordazellen eine Schicht von platten
kleineren Zellen, welche bei den Anuren nicht vorkäme (S. 19. 22. 34). Die
Chordascheide sei aus zwei elastischen Häuten, einer äusseren dünnen und einer
inneren dicken zusammengesetzt, welche bei Bombinator igneus lose zusammen-
hängen, und von denen die innere eine eigenthümliche Faserzeichnung besitze
und dieser entsprechend in bandartige Streifen zerfalle (S. 13. 22. 34. 35). Die
skeletbildende Schicht bilde eine Röhre um die Wirbelsaite und im kontinuir-
lichen Anschlüsse daran eine ebensolche um das Bückenmark. Sie bestehe aus
jungem Bindegewebe d. h. einer anfangs indifferenten Schicht, aus welcher
später Bindegewebe und Knorpel sich differenziren. Doch kennt Gegenbaur
nur den schon differenzirten Zustand, wobei die innerste Lage theils aus Knorpel
bestehe, theils noch junge spindelförmige Zellen enthalte, welche beide Gewebe
aber nicht scharf geschieden seien, sondern allmähliche Uebergänge zeigen,
sodass die Knorpelbögen z. B. sowohl in das umgebende als das sich unten
anschliessende Bindegewebe kontinuirlich sich fortsetzen. Die äusserste binde-
gewebige Lage der skeletbildenden Schicht, welche die ganze Wirbelsäule über-
ziehe, sei die Anlage des Periosts (S. 13. 15. 22. 23. 30—34).
Bei den Salamandrinen geht Gegenbaur von jenem Zustande der Wirbel
aus, wo die obere Röhre der skeletbildenden Schicht bereits spangenartige
Knorpelstücke, die Wirbelbögen enthält. Die sie verbindende, aus spindelför-
migen Zellen zusammengesetzte Membran geht kontinuirlich in die epithel-
artige untere Röhre über, welche die Wirbelsaite umschliesst. Dieses letztere
( rewebe verdickt sich in Form von Ringwülsten je in der Mitte zwischen zwei
Wirbelbögenpaaren, welche Wülste im Innern knorpelig werden (Interverte-
bralknorpel), an der Oberfläche in Bindegewebe mit quergestellten spindelför-
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 345
migen Zellen sich verwandeln (Intervertebralligament, S. 1 3. 14). Der Interverte-
bralknorpel, welcher an der Oberfläche platte Zellen besitzt, erstreckt sich vorn
und hinten noch eine kurze Strecke über die Wirbelsaite, ohne jedoch den voran-
gehenden und folgenden zu erreichen ; die Intervertebralligamente hängen da-
gegen alle durch eine bindegewebige Schicht (Periost) zusammen, welche durch
Kalkablagerungen verknöchernd an jedem Wirbel einen Doppelkegel darstellt. Bei
dieser Verknöcherung scheidet das Periost um die Mitte des Wirbels zunächst eine
zellenfreie homogene Knochenlamelle ab, welche an dem Intervertebralknorpel in
eine Lage von platten Knorpelzellen mit ossificirter Grundsubstanz übergeht
(S. 14. 16). Erst dieser „anfänglich sehr fragile Doppelkegel , der nur aus einer
äusserst dünnen ossificirten Knorpelschicht gebildet wird, bedeckt sich mit einer
querwachsenden Schicht von Faserknochen" (S. 15). Doch spricht Gegenbaur
später wieder von einer homogenen zellenlosen Lamelle zwischen Knorpel und
Faserknochen (S. 04). Die knorpeligen Wirbelbögen verwachsen oben ring-
förmig. „An der Vereiuigungsstelle beider Hälften zieht sich der Bogen nach
hinten und vorn in einen Fortsatz aus, so dass sämmtliche Bögen oben in der
Medianebene nicht weit von einander entfernt sind. Indem dieser mittlere,
obere Theil des Bogens allmählich mehr in die Breite wächst, nähern sich die
Bögen je zweier benachbarter Wirbel, und es tritt endlich an jeder Seite
ein Uebereinanderwachsen auf, welches die Bildung der Gelenkfortsätze ein-
leitet. Die Gelenke an den Bogen sind somit nicht eigentlich Differenzirungs-
producte von Knorpelmassen, denn es sind die Bögen je zweier Wirbel zu keiner
Zeit in continuo des Knorpels untereinander verbunden" (S. 14). Später bildet
sich auch an den knorpeligen Wirbelbögen ein Faserknochenüberzug. Die
Intervertebralknorpel schnüren, nach innen wuchernd, die Wirbelsaite ein und
bilden sich zu den Gelenktheilen aus, indem mitten durch den Knorpel eine
konvex-konkave Lage quergestellter Zellen sich entwickelt (S. 16. 18). Aus
der Schicht platter peripherischer Chordazellen an der Innenfläche der Chorda-
scheide entwickelt sich in der Mitte des Wirbels eine ringförmige Knor-
pelschicht (Chordaknorpel), welche die Wirbelsaite ebenfalls zusammen-
schnürt (S. 19).
An den Larven von Fröschen und Kröten findet Gegenb\ur die Interver-
tebralknorpel durch eine kontinuirliche, die Wirbelsaite umhüllende Knorpel-
schicht untereinander und mit den knorpeligen Wirbelbögen im Zusammen-
hange (S. 23). Da in der die Intervertebralknorpel quer durchziehenden Schicht
länglicher Zellen sich eine wirkliche Gelenkhöhle entwickelt, so werden die
346 VII. Die .Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
ersteren auf die beiden angrenzenden Wirbel vertheilt, an denen sie zugleich
die Körper vergrössern und die Gelenktheile bilden (S. 25). Die Verknöche-
rung ist eine doppelte, indem zuerst um die Mitte des Wirbels eine ringförmige
Knorpel Verkalkung entstellt, welche sich auf die Bögen und zuletzt in das
Innere der Intervertebralknorpel fortsetzt um durch die Bildung von Mark-
räumen die Herstellung echter Knochensubstanz vorzubereiten; dazu kommt
dann die periostale Verknöcherung, welche das Wachsthum namentlich an der
Bauchfläche der Wirbel bedingt (S. 26 — 28). Durch das Einwachsen des Inter-
vertebralknorpels wird die Wirbelsaite in getrennte vertebrale Abschnitte ge-
theilt, welche sich lange erhalten (S. 28). Vor dem ersten Wirbel bildet sich
kein Intervertebralknorpel (S. 24); im hintern Theile des Basilarknorpels liegt
die Wirbelsaite in der Mitte seiner Dicke, vorn nähert sie sich der oberen Fläche
und wird endlich am vordersten Ende nur vom Perichondrium bedeckt (S. 29).
In diesem Schädeltheile der Wirbelsaite sollen einzelne Chordazellen sich in
Knorpelzellen verwandeln (S. 30).
An Larven von Bombinator igneus, deren vordere Glieder eben erst gebildet
sind, bestehe die skeletbildende Schicht oben an der Wirbelsaite aus Knorpel,
welcher seitlich und abwärts kontinuirlich in junges, aus spindelförmigen Zellen
und zerklüfteter Grundsubstanz bestehendes Bindegewebe übergehe, aufwärts
aber sich in zehn Bogenpaare fortsetze. Zwischen je zwei derselben bezeichnet
stets ein queres, jedoch nur oberflächliches bindegewebiges Band (Interverte-
bralligament) die Grenze zweier Wirbel an dem kontinuirlichen epichordalen
Knorpelstreifen, welcher sich abwärts nur so weit entwickelt, dass er eine flache
Rinne für die Wirbelsaite bildet und nur an den zwei ersten Wirbeln dieselbe
bis zu ihrer unteren Seite umfasst (S. 33. 34). „Erst am Schädel wird die
Chorda allseitig von Knorpel umgeben. Sie erstreckt sich mit langgezogener
conischer Spitze bis vor die Petrosa und läuft so durch den Basilarknorpel
hindurch, dass sie anfänglich nur von einer dünnen Knorpellage an der Unter-
fläche überzogen wird, in der Mitte ihres Verlaufs eine gleich dicke Knorpel-
schicht über und unter sich hat, von denen die obere sich allmählich so ver-
dünnt, bis die Chorda frei nach innen liegt. Dies Ende bettet sich in eine
Rinne des Basilarknorpels und wird nun von einer dünnen Lamelle des Perichon-
driums überzogen. Der Untergang der Chorda erfolgt am Schädel durch den
wachsenden Basilarknorpel (S. 37) Die Verknöcherung beginnt zuerst an den
epichordalen Wirbelkörpern im Knorpel, später an den Bögen im Perichondrium.
„Jeder Wirbelkörper zeigt zuerst an zwei Stellen vorn und hinten eine ver-
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 347
kalkte Stelle, die gegen die Mitte der Länge des Wirbelkörpers sieh ausdehnt
und endlich mit der ihr vom andern Ende her entgegenwachsenden zusammen-
stösst, so dass schliesslich eine einzige Masse von Knorpelknochen den Wirbel-
körper dai stellt. So trifft man es am Ende jenes Larvenstadiums, welches durch
die Vollendung des Durchbruchs der Vorderextremitäten characterisirtist. Vorn
und hinten bleibt aber an jedem Wirbelkörper noch eine unverkaufte Knorpellage
zurück und auch die seitlichen, in die Bogen übergehenden Massen verkalken
noch nicht, so dass von hier aus das Weiterwachsen des Wirbels noch vor sich
gehen kann" (S. 35). Das Wachsthum der Wirbel durch periostale Knochen-
bildung geschehe vorzugsweise an der dorsalen Seite. „Die Zwischenwirbel-
stücke bilden vom Anfang keinen differenten Theil, sie zeigen nur allmählich
eine etwas hellere Grundsubstanz und kleinere Zellen, als die zu Wirbelkörpern
werdenden Knorpelpartien. Selbstständiger werden sie jedenfalls erst mit der
Verkalkung der Wirbelkörper." Später entwickeln sie je vorn eine Gelenk-
pfanne, hinten einen nach abwärts vorgewölbten Gelenkkopf. „Die Bögen zeigen,
wie bei allen hierauf untersuchten Batrachiern, eine vollkommen selbstständige
Verkalkung, die immer an dem, dem Körper angefügten Basalstücke zuerst
auftritt, bald nur oberflächlich, bald die ganze Dicke des Knorpels durchsetzend.
Die innigere Verbindung mit den Wirbelkörpern tritt mit Ablagerung der
Faserknochenlamellen ein, die vom Perioste aus sich bilden und von einer
Hälfte des Bogens über den Wirbelkörper hinweg zur andern ziehen" (S. oö).
Der Knorpel der Bögen erhält sich, wenn auch verkalkt, sehr lange. Die
Wirbelsaite und der ventrale nicht weiter verwendete Theil der skeletbildenden
Schicht sind nach der Metamorphose zu einem den Wirbelkörpern lose anlie-
genden, platten Bande umgebildet und schwinden endlich ganz (S. 37).
Die Bildung des Steissbeins ist bei allen ungeschwänzten Batrachiern die-
selbe; hinter dem neunten Wirbel liegt der Wirbelsaite ein langer epichordaler
Knorpel auf, welcher ganz vorn einen Bogen trägt, an den sich rückwärts
niedrige Leisten anschliessen. Dazu kommt noch ein hvpochordaler Knorpel-
streif, welcher gleichfalls aus der skeletbildenden Schicht hervorgegangen, mit
den epichordalen Theilen durch Bindegewebe kontinuirlich verbunden ist. Die
zwischenliegende Wirbelsaite ist endlich zum Schwunde gebracht, worauf beide
Knorpeltheile zusammenfliessen. Vorher ist aber schon die Verknöcherung
eingetreten, welche bei Bombinator igneus mit einem äusseren Faserknochen
beginnt, dessen Erscheinen aber am epichordalen Knorpel eine paarige Knor-
pelknochenlage vorausgeht. Beim Frosche unterscheide sich das Steissbein
348 VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
dadurch von den übrigen Wirbeln, dass einmal die Wirbelsaite ganz schwinde
und die Knorpelknochenbildung nur an den oberflächlichen, nicht an den
innersten , die Chorda umschliessenden Schichten erscheine. Da der untere
Knorpelstreif ursprünglich über die Grenzen von vier Muskelabtheilungen hin-
ausreicht, so sieht Gegenbaur in dem Steissbein die Anlagen mehrerer Wirbel
(S.40). Die übereinstimmende Entwicklung desselben in allen ungeschwänzten
Batrachiern gibt Gegenbaur Veranlassung zu bemerken, dass die Verschieden-
heit in der peri- und epichordalen Wirbelbildung überhaupt nicht so gross sei,
wie sie scheine. „In beiden Modis ist es die, die Chorda umlagernde skelet-
bildende Schicht, aus welcher die Wirbelsäule hervorgeht; sie bildet Knorpel-
ringe um die Chorda mit davon ausgehenden Bögen in dem einen Falle, in dem
andern sind die bogentragenden Knorpelringe nur an der oberen Peripherie
der Chorda vorhanden und der untere Theil der skeletbildenden Schicht bleibt
aus Bindegewebe bestehen" (S. 39). Da nun alle jene Skelettheile kontinuirlich
zusammenhängen, so „kann daher nicht gut gesagt werden, dass bei der epi-
chordalen Wirbelbildung der Körper aus den an der Basis zusammenwachsen-
den oberen Bogen entstehe, und dass hierin ein Unterschied von der perichor-
dalen Bildungsweise gegeben sei (Nr. 40)."
v. Bambecke beschreibt die aus Zellen zusammengesetzte Wirbelsaite aus
ziemlich früheren Entwickelungsperioden. So will er die Entstehung ihrer
Scheide schon gleich nach Schliessung der Rückenfurche beobachtet haben,
worauf deren stärker pigmentirte Zellen die Peripherie des Organs einnehmen
und den axialen Theil desselben ungefärbten Elementen überlassen. Sowie der
Schwanz hervorwachse, verlängere sich die Wirbelsaite mit einer Spitze in den-
selben hinein ; und während das Pigment allmählich schwinde, verwandeln sich
die ursprünglich rundlichen Zellen in sternförmige, mit einander anastomo-
sirende (Nr. 63 S. 51).
\V. Müller beschreibt an der Wirbelsaite von Embryonen und Larven
der Bana temporaria eine Bindenschicht von protoplasmareichen Zellen, welche
klein bleiben und sich allmählich abplatten, dadurch aber von den grossen
polygonalen Zellen des Gallertkörpers sich wesentlich unterscheiden, deren
Protoplasma schon an mittelgrossen Larven aus einer unmessbar feinen, der
Membran anliegenden Schicht bestehe. Auch die peripherischen kleinen Zellen
erhalten eine Membran. In erwachsenen Fröschen hat W. Müller innerhalb
des Gallertkörpers knorpelähnliche Zellen gefunden (Nr. 74 S. 334. 335).
VIT. Die Wirbel saite und die Wirbelsäule. 349
Der Zellenkörper der Wirbelsaite werde von einer homogenen Hülle um-
schlossen, welche W. Müller als eine vom Protoplasma der Rindenzellen ab-
stammende Kutikularbildung auffasst, während die dünne, aussen derselben
angelagerte elastische Membran vom umgebenden Gewebe abgeleitet wird
(S. 350. 352). Nach der Trennung der Wirbelsaite von den Urwirbelu ent-
stände um jene ein mit heller Lymphe gefüllter Raum. „In diesen Raum
wachsen von den Adventitien der beiden primitiven Aorten aus spindelförmige
Zellen, welche durch ihren geringen Pigmentgehalt von den Zellen der Ur-
wirbel sofort sich unterscheiden. Sie umwachsen die Chorda zunächst seitlich
und liefern die Anlagen der Wirbelbögen-, erst später umwächst die innerste
Schicht die Chorda auch oben und unten nach Bildung einer concentrischen,
aus spindelförmigen Zellen bestehenden Umhüllung. Diese Umhüllung ist
es, welche durch ein membranartiges Netz feiner elastischer Fasern von der
Cuticularschicht nach Innen und durch ein viel lockereres von den Wirbelbögen
nach Aussen sich abgrenzt, um später in ganz analoger Weise, wie bei den
Haien mit Kalksalzen sich zu imprägniren" (S. 353).
Neuerdings hat auch Lieberkühn einige Beobachtungen über die Wirbel-
saite der Batrachier mitgetheilt. In den jungen, noch unveränderten Chorda-
zellen treten allmählich mit Flüssigkeit gefüllte Vakuolen auf, bisweilen
mehrere in einer Zelle. Dann lassen sich an den Zellen unterscheiden: 1. eine
äusserste, feste, leimgebende Hülle, 2. eine zweite, ebenfalls allseitig ge-
schlossene, feinkörnige Schicht, das eigentliche Protoplasma, welches den Kern
enthält, 3. die von diesem Protoplasma umschlossene Zellenflüssigkeit der
Vakuolen. In den weiter entwickelten Theilen der Wirbelsaite schwindet dann
das Protoplasma bis auf geringe Reste (Nr. 99 S. 338).
Ich habe die Entwickelung der Wirbelsaite bereits bis zu dem Zeitpunkte
beschrieben, wo die Verwandlung des vierkantigen Stranges in einen runden
beginnt (Taf. IV- VI). Ich bemerkte ebenfalls schon, dass der Querschnitt
dabei aus einer viereckigen in eine aufrecht fassförmige und zuletzt in eine
kreisrunde Gestalt übergeht. Dieser Veränderung der äusseren Form liegt eine
entsprechende Umlagerung der Zellen zu Grunde. Dieselben waren vorher
etwas quer gestreckt und lagen in zwei Schichten von mehreren Zellen Höhe
350 "VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
und je einer in der Breite so nebeneinander, dass die inneren Enden der beider-
seitigen Zellen in der Medianebene sich berührten. Die genannnte Um-
wandlung des Querschnitts entsteht nun wesentlich dadurch, dass die äusseren
Zellenenden auf Kosten der inneren anschwellen ; dabei werden natürlich die
ersteren an den obersten Zellen aufwärts, an den untersten abwärts gegen die
Medianebene verschoben, während die innern Enden von oben und unten sich
gegen einen gemeinsamen Punkt zusammenziehen. Man kann daher sagen,
dass die senkrechte Axe des Querschnitts der Wirbelsaite, in welcher alle
Zellen zusammenstossen, sich in einen Punkt verwandele, in Folge dessen die-
selben sich radiär um den gemeinsamen Richtungspunkt ordnen, also Kreis-
ausschnitte des runden Querschnitts darstellen. Es fällt dieser Vorgang zu-
sammen mit der selbstständigen Ablösung der Wirbelsaite von den Segmenten,
welche ihrerseits während der festeren Verbindung ihre oberflächlichen Zellen
(inneres Segmentblatt) gleichfalls ihre früheren Kanten abrunden, sodass
zwischen den genannten Embryoualanlagen sehr deutliche Lücken entstehen,
die mit klarer Flüssigkeit gefüllt erscheinen. Ich weiss für diese Vorgänge
eine ganz bestimmte Erklärung nicht zu geben; immerhin glaube ich nicht zu
irren, wenn ich dieselben als den Ausdruck der fortschreitenden Abnahme des
einmal gelockerten früheren Zusammenhanges jener Embryonalanlagen be-
trachte, wodurch die Innigkeit der Verbindung zwischen den Elementen der
einzelnen Anlagen, also der Wirbelsaite einerseits und der Segmente anderer-
seits relativ zunimmt und als Zusammenziehung derselben mit Abrundung der
Kanten erscheint. Wenn aber die Zellen der Wirbelsaite auf dem Querschnitte
scheinbar eine Scheibe zusammensetzen, so ergibt sich aus den Längsschnitten,
dass das Organ nicht wirklich aus einer Reihe hinter einander liegender
Scheiben ähnlich einer Geldrolle besteht, sondern dass die zusammenstossen-
den Zellen unregelmässig zwischen einander eingreifen und so ein der Länge
nach zusammenhängendes Gefüge bilden. Diese Umbildungen beginnen im
vorderen und mittleren Rumpftheile und setzen sich alsdann wie die ganze
Entwicklung desselben rückwärts fort, sodass man an einer Reihe von Durch-
schnitten eines und desselben Embryo alle Stufen der Ausbildung der Wirbel-
saite antreffen kann: in der vorderen Rumpf hälfte die runde Form mit den
scheinbar radiär angeordneten Zellen , weiter zurück die seitlich abgeplattete
Form mit dem fassförmigen Durchschnitt, endlich im äussersten Schwanzende
den noch ganz indifferenten, durch die Umgebung vierkantig gestalteten Strang.
Bei der radiären Stellung der Zellen sammelt sich eine geringe Menge von
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 351
Pigment zwischen ihren Kernen und ihren Enden an, sodass die letzteren selbst
davon frei bleiben; im Durchschnittsbilde der ganzen Wirbelsaite wird da-
durch um die ungefärbte Mitte herum ein Kranz von Pigmentkügelchen erzeugt
{Taf. VI). Die nun folgende Umbildung der Wirbelsaite beginnt ebenfalls in
der vorderen Rumpfhälfte, um rückwärts fortzuschreiten. Zunächst theilen und
vermehren sich die embryonalen Zellen , wobei sie in der Richtung der Körper-
axe noch mehr zusammengedrückt und abgeplattet erscheinen, sodass die
Kerne in derselben Richtung beinahe den ganzen Durchmesser der Zellen
einnehmen (Taf. X Fig. 182). Wenn aber die Anlage des Schwanzes in Ge-
stalt eines stumpfen Höckers sichtbar wird, entstehen im Innern der Zellen
durch Schmelzung und Umbildung der Dottersubstanz deutlich begrenzte
Massen einer klar durchsichtigen, halbflüssigen Substanz, welche in der Nähe
der Kerne entstehen und erst allmählich gegen die Oberfläche der Wirbelsaite
sich ausdehnen (Taf. II Fig. 38, Taf. X Fig. 183. 184). Dass in einer Zelle
mehr als ein solches vakuolenartiges Gebilde auftrete, konnte ich bestimmt
nicht nachweisen, da die einzelnen in der Umbildung begriffenen Embryonal-
zellen der Wirbelsaite sich nicht isoliren lassen; doch ist mir ein solches Ver-
halten aus einigen Durchschnittsbildern sehr wahrscheinlich geworden. Die
Kerne werden von dieser Umbildung des Zelleninhalts nicht mit betroffen,
sondern zur Seite gedrängt, sodass sie in der peripherischen, die klare
Flüssigkeit (Vakuole) allseitig einschliessenden Dottersubstanz, zu liegen
kommen. Diese Vakuolen stimmen nach ihrer ersten Erscheinung in der
Dottersubstanz der Embryonalzellen durchaus mit den Umbildungskugeln
überein , welche , wie ich zeigte , im Centralnervensystem und in der Netzhaut
die histologische Sonderung einleiten. Da in der Dottersubstanz selbst und
in der aufgenommenen Flüssigkeit, welche als embryonale Interstitialsubstanz
den ganzen Körper durchzieht, lokale speeifische Unterschiede anzunehmen
nicht statthaft erscheint, so glaube ich, dass die in den Organanlagen verschie-
den entwickelten Formbedingungen, Gestalt, Masse und Lage der ganzen An-
lagen und ihrer Elemente im Verhältniss zu ihrer Umgebung, kurz — das P'orm-
gesetz oder morphologische Moment die Verschiedenheit der histiologischen
Sonderung in ihrem weiteren Verlaufe bestimmt, während die ersten Anfänge
überall relativ gleich zu sein scheinen. Sehen wir die Umbildungskugeln in
kenntlicher Grösse nur in einem beschränkten Gebiete der Netzhaut und im Central-
nervensystem erst ganz allmählich den Bestand der ursprünglichen Embryonal-
zellen lösen , so geht eine solche Zerstörung in der Wirbelsaite in ganz anderer
352 VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
Weise vor sich. Durch eine rapide Aufsaugung grosser Massen der genannten
Interstitialfiüssigkeit schwellen die Umbildungskugeln der Chordazellen so stark
an, dass sie einen an den Kernen, welche je nach ihrer Lage eckig oder platt
werden, deutlich nachweisbaren Druck auf die peripherischen Dotterschichten
ausüben. In Folge dessen verschmelzen die letzteren, wo sie zusammenstossen,
zu einfachen und hautartig festen Scheidewänden der Vakuolen, an deren
freien Flächen anfangs eine zusammenhängende Schicht noch unveränderter
Dottersubstanz mit punktirter Grundmasse und einzelnen Dottertäfelchen,
worin die Kerne eingelagert sind, deutlich zu erkennen ist (Taf. VIII. Fig. 155);
in dem Masse aber, als die klare Flüssigkeit zunimmt und die von ihr ausge-
füllten Räume durch den gegenseitigen Druck sich vieleckig gestalten, schwin-
det jene dünne Dotterschicht an vielen Stellen, sodass sie nicht mehr blasen-
förmig geschlossen ist, sondern in einzelnen getrennten Stücken den Scheide-
wänden anliegt (Taf. XI Fig. 197. 198). Zuletzt schwinden auch diese letzten
Reste der Dottersubstanz im Innern der Wirbelsaite, welche sich noch am
längsten in den Ecken, wo die Scheidewände zusammenstossen, erhalten. Da
nun die Kerne in diesen Dotterresten lagern , müssen sie dort , wo dieselben
vollständig aufgelöst wurden, frei werden und erscheinen dann an den Flächen
der Scheidewände platt und wandständig. In den Ecken erhalten sie eine den-
selben entsprechende Form und sind alsdann meist unzweifelhaft in die
Substanz der in jenen Ecken zusammenstossenden Scheidewände eingeschlossen,
sodass ich daraus schliesse, dass dort die Dotterreste nicht in der Flüssigkeit
aufgelöst wurden, sondern sich der homogenen Substanz der Scheidewände an-
passten, so Avie diese ursprünglich aus den peripherischen Dotterschichten der
Embryonalzellen hervorgingen {Taf. X Fig. 185. 186). Anders als im Innern
gestalten sich die Verhältnisse an der Oberfläche der Wirbelsaite. Die peri-
pherischen Dotterschichten der Embryonalzellen, welche die Aussenwand der
Wirbelsaite zusammensetzen, verschmelzen während der Ausbildung der an die
Stelle der Zellen tretenden, mit Flüssigkeit gefüllten Räume zu einer kontinuir-
lichen Schicht, welche viel dicker ist, als die Dotterreste an den Scheide-
wänden und auch mehr Kerne enthält. Von Zellen kann in jener Chordarinde
nicht mehr die Rede sein; denn da die vakuolenartigen Räume schon zur Zeit,
wann die Zellengrenzen an der Oberfläche der Wirbelsaite noch deutlich sind,
ausnahmslos in diesen peripherischen Zellen angetroffen werden , so ist es klar,
dass die Aussenwand der in der Umbildung begriffenen Wirbelsaite nur aus
den peripherischen Dotterresten der bezeichneten Zellen hervorgeht, wobei der
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 353
grössere Theil der früheren Zellenkerne in diese Aussenwand gedrängt wird
{Taf. XFig. 184, Taf. VIII Fig. 155). Wo die hautartigen inneren Scheide-
wände auf diese Aussenwand stossen, bildet die letztere als Ansatzstellen jener
Innenwände leistenartige Vorsprünge, deren Entwickelung als Zwischenräume
zwischen den rundlichen Vakuolen aus den Abbildungen hinlänglich erhellt
{Taf. XI Fig. 197. 198, Taf. X Fig. 185. 186). In dem Masse als die Aussen-
wand bei der folgenden Ausdehnung der inneren Chordasubstanz zwischen
diesen Leisten sich verdünnt, werden die meisten Kerne in die letzteren verdrängt
und dort bisweilen eckig geformt, während die wenigen in der dünnen Wand
liegen bleibenden Kerne sich abplatten, gerade so wie es im Innern der Wirbel-
saite geschieht. Während des Uebergangs aus der embryonalen Periode zur
ersten Larvenperiode bildet sich die oberflächliche Schicht der Aussenwand
der Wirbelsaite zu einer anfangs dünnen, festen und homogenen Masse um,
welche stärker lichtbrechend ist als die innere Lage, deren Aussehen nach
dem Schwunde der Dotterplättchen protoplasmaähnlich wird. Da diese
beiden Schichten der Aussenwand zuerst nicht scharf getrennt erscheinen, und
die innere überhaupt nicht aus Zellen besteht, so lässt sich meiner Ansicht
nach die Bildung der äusseren Schicht mit den Kutikularausscheidungen
wirklicher Zellenschichten nicht vergleichen. Ich sehe darin vielmehr den-
selben Vorgang lokaler Umbildung der äussersten Dotterschichten wie bei der
Bildung der inneren Scheidewände, wo sich ebenfalls eine homogene, kutikula-
ähnliche Substanz von einer protoplasmatischen sondert. Jene äusserste
Schicht der Wirbelsaite nimmt jedoch in der Folge an Mächtigkeit und Konsi-
stenz so sehr zu, dass sie als selbstständige, von der inneren protoplasmatischen
Schicht gesonderte Scheide der Wirbelsaite angesehen werden kann (Taf. XI).
Diese von der ursprünglichen Wirbelsaite allein abstammende Hülle nenne ich
zum Unterschiede von einer weiter unten zu erwähnenden äusseren die innere
Scheide der Wirbelsaite. In der späteren Larvenzeit treten an ihr sehr scharfe
Querstreifen auf, und diesen entsprechend zerfällt sie schon an Weiugeist-
präparaten bei der Behandlung unter Wasser in schmale ringförmige Bänder.
Aber auch die innere protoplasmatische Schicht der ursprünglichen Aussen-
wand der Wirbelsaite bleibt nicht unverändert. Zur Zeit, wann die knorpeligen
Wirbelstücke sich entwickeln, sehe ich an Durchschnitten sehr deutlich, dass
die inneren Scheidewände nicht mehr unmittelbar in die leistenförmigen Vor-
spränge jener Schicht übergehen, sondern an deren Kanten sich in zwei
Lamellen theilen, von denen jede ander betreffenden Seite der Leiste hinab-
Goette , Entwickeluugägeschichte. 23
354 VII. Die Wirheisaite und die Wirbelsäule.
läuft und sich an der freien Fläche der bereits ungemein dünnen protoplas-
matischen Schicht fortsetzt, um an der nächsten Leiste wieder in eine Scheide-
wand überzugehen. Man kann also annehmen, dass ebenso wie an der Aussen-
flache der Chordarinde sich die innere Chordasciieide absonderte, auch an der
Innenseite im Anschlüsse an die Scheidewände eine dünne homogene Membran
entsteht, welche die mit Flüssigkeit gefüllten Fächer nach aussen abschliesst
und beim Uebergange auf die inneren Scheidewände furchenartig eingezogen
ist (Taf. X Fig. 186. 195). Sie bildet also mit diesen Scheidewänden ein
kontinuirliches Ganze, das nach aussen vollkommen abgeschlossene Gerüst
des sogenannten Gallertkörpers der Wirbelsaite. Den Zwischenraum zwischen
diesem und der inneren Chordascheide füllt die protoplasmatische Schicht
aus, welche also in die furchenartigen Einziehungen mit entsprechenden Leisten
vorragt, in denen die sich vermehrenden Kerne vorherrschend sich ansammeln; in
der Flächenansicht bilden daher diese mit Kernen reichlich durchsetzten Leisten
ein Netzwerk, in dessen Maschen nur wenige platte Kerne anzutreffen sind.
Von diesem Verhalten der protoplasmatischen Rindenschicht der Wirbelsaite
überzeugt man sich auch leicht, wenn man die innere, aus dem geschlossenen
Fachwerke bestehende Masse der Wirbelsaite , welche ich nach dem Vorgange
anderer Forscher ebenfalls den Gallertkörper nennen will, von der Chorda-
scheide abtrennt. Meist bleiben dabei allerdings die ganzen Leisten mit der
sie bekleidenden Membran an der Chordascheide hängen, während die Scheide-
wände abreissen und die peripherischen Fächer nach aussen geöffnet werden.
Häufig fand ich aber bei dem angegebenen Versuch nur die Kerne mit der sie
umhüllenden protoplasmatischen Masse an der Innenfläche der Scheide,
während die dünneren peripherischen Fortsetzungen der Scheidewände des
Gallertkörpers mit diesem im Zusammenhange blieben und ihn auch nach
seiner Isolirung an der Oberfläche vollkommen abschlössen. — Auf diese
Weise ist die ursprünglich aus Zellen bestehende Wirbelsaite in drei leicht zu
unterscheidende Theile verwandelt, in den inneren Gallertkörper, die ihn zu-
nächst umgebende protoplasmatische Rindenschicht* und die an die letztere
* Doch will ich nicht behaupten , dass die protoplasmatische Rindenschicht der Unken-
larven später ebenso vollständig und kontinnirlich bleibt, als sie anfangs erscheint An
Durchschnitten lässt es sich wegen der ungemeinen Dünnheit der Schicht zwischen den
leistenförmigen Verdickungen überhaupt nicht nachweisen, und in der Flächenansicht fand
ich das punktirte Aussehen, welches auf das Protoplasma schliesscn lässt, beständig nur in
der Umgebung der Kerne, vermisste es aber grösstenteils in den Maschen des oben be-
zeichneten Netzwerkes.
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 355
sich anschliessende innere Chordascheide, von denen keiner mehr zelliger Natur
ist. Von der Scheide versteht es sich von selbst, und für die protoplasmatische
Rindenschicht habe ich es bereits nachgewiesen. Ebenso wenig kann ich die
Fächer des Gallertkörpers als Zellen gelten lassen, da die Zusammensetzung
von Zellenleib und Kern an ihnen nicht mehr besteht. Einmal können die
Scheidewände, da sie niemals doppelt sondern stets einfach erscheinen, nicht
mehr den durch sie geschiedenen Massen beigezählt werden, sondern bilden
ein kontinuirliches , für sich bestehendes Fachwerk, sodass für den Nachweis
von Zellen nur jene von demselben eingeschlossenen Massen in Betracht
kommen können. Diese bestehen nach dem Schwunde der Dottersubstanz nur
aus der gallertigen Flüssigkeit, in welcher die Kerne zum weitaus grössten
Theile fehlen, da sie theils in die Substanz der Scheidewände, theils in die
Rindenschicht gerathen sind. Diese Ausscheidung der Kerne aus der über-
wiegenden Zahl jener eingeschlossenen Massen oder der bisher so genannten
Chordazellen entscheidet, wie mir scheint, die Frage nach ihrer Zellennatur in
verneinendem Sinne, selbst solange noch üotterreste in ihnen vorkommen-, was
aber für die meisten von ihnen gilt, wird für die wenigen anderen desshalb,
weil zufällig Kerne in ihnen zurückblieben, nicht in Abrede gestellt werden
können , da für eine Lebensthätigkeit dieser Massen als solcher nicht der
geringste Umstand spricht. Dass die Kerne für sich allein , solange sie wohl
erhalten sind, ebensowohl im Gallertkörper wie in der protoplasmatischen
Rindenschicht lebensfähig bleiben, werde ich später nachweisen. Dies ändert
aber natürlich nichts an der Auffassung der ganzen im Fachwerke einge-
schlossenen Massen.
Diese Ergebnisse über die Umbildung der embryonalen Wirbelsaite habe
ich , soweit sie von den bisher darüber vorgetragenen Ansichten wesentlich ab-
weichen, erst nach häufig wiederholter Prüfung des Gegenstandes festgestellt,
wobei ich ausser der Unke und gemeinen Kröte noch die Salamandrinen zur
Untersuchung zog, deren Wirbelsaite ich aber auf den bisher betrachteten
Entwickelungsstufen nur in nebensächlichen Dingen von derjenigen der Unke
unterschieden fand (Tnf. X Fig. 195). Ich erwähne daher bloss, dass in den
Embryonen des Erdsalamanders die protoplasmatische Rir*denschicht stärker
ist, ihre Kerne, vielleicht in Folge frühzeitiger Theilungsvorgänge , zahlreicher
erscheinen und die Dotterreste im Gallertkörper lange erhalten bleiben, wäh-
rend die Trifolien in dieser Hinsicht ohngefähr die Mitte zwischen dem Erd-
salamander und der Unke halten. Die wesentlichen Unterschiede beider
23*
356 VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
Batrachiergruppen in der Entwickelung ihrer Wirbelsaite stellen sich erst
später ein, nachdem die Bildung der Wirbelsäule begonnen hat, kommen daher
erst bei der Besprechung der letzteren zur Erörterung.
Man braucht nur die aufeinanderfolgenden Bilder der geschilderten Um-
bildung der Wirbelsaite zu vergleichen, um einzusehen, dass dieser Vorgang
nothwendig eine Vergrößerung des ganzen Organs und zwar zuerst vor-
herrschend eine Verlängerung desselben hervorrufen müsse, da an die Stelle
der scheibenförmigen Embryonalzellen mit ihrem kurzen sagittalen und be-
deutend grösseren Querdurchmesser die grossen Höhlen oder Fächer mit all-
seitig ziemlich gleichem Durchmesser getreten sind. Selbstverständlich ist
eine solche Längenausdehnung der Wirbelsaite ohne eine entsprechende Ver-
längerung des ganzen Embryo nicht möglich. Und wenn man weiter überlegt,
dass die Wirbelsaite sowohl mit dem Rückenmarke als dem Axenstrange des
Darmblattes und durch diesen, wie ich später zeigen werde, mit den Segmen-
ten im Zusammenhange bleibt, so muss man annehmen, dass die Umbildung
der Wirbelsaite mit der Längenausdehnung des ganzen Embryo nicht nur im
allgemeinen sondern in jedem einzelnen Abschnitte durchaus Hand in Hand
geht. Damit stimmen auch alle Erscheinungen vollständig überein. Ich zeigte
in der Entwicklungsgeschichte des mittleren Keimblattes, dass zuerst der
Vorderkörper sich verlängert und zwar nach vorn auswächst , dass darauf der
mittlere Rumpftheil dieser Umbildung unterworfen wird, und in Ueberein-
stimmung mit der rückwärts fortschreitenden Segmentirung ganz zuletzt der
Schwanz auszuwachsen beginnt {Taf. II). Was nun bei diesen Vorgängen aus
den verschiedenen Lageveränderungen , aus der Ausdehnung des Vorderdarms,
aus der Verlängerung der Dotterzellenmasse u. s. w. erschlossen wurde , lässt
sich aber noch einfacher an den leicht zu konstatirenden Umbildungen der
Wirbelsaite übersehen. Die Vakuolen erscheinen zuerst über dem Vorder-
darme, dann über dem Mitteldarme, während der kaudale Abschnitt der
Wirbelsaite noch in der ersten Larvenperiode das Aussehen zeigt, welches
dem flüchtigen Blicke geldrollenähnlich erscheint, und gegen das Ende hin
noch seitlich zusammengedrückt ist. Daraus ergibt sich aber, dass und wie
die histiologische Sonderung auch über ihre nächste Umgebung hinaus von
allgemeinen morphologischen Vorgängen abhängig sein kann. Das hinterste
Ende der Wirbelsaite ist übrigens so lange, als die Vakuolenbilduug dasselbe
noch nicht erreicht hat, nicht spitz oder nur verjüngt, sondern bei der seitlichen
Abplattung in der Medianebene verbreitert (Taf. II Fiij. 38). Eine abge-
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 357
rundete Spitze entwickelt sich erst, wenn der Umbildungsprocess bis ans Ende
vorgedrungen ist, bestellt also nicht schon in dem hervorwachsenden Schwänze,
wie v. Bambecke meint (Taf. XII Fig. 213). Jene runde Spitze krümmt sich
alsdann sehr häufig aufwärts.
An die ursprüngliche, bisher allein betrachtete Wirbelsaite schliesst sich
schon während des Ueberganges des Embryo in den Larvenzustand ein Ge-
bilde an, dessen ferneres Verhalten es rechtfertigt, wenn man es weiterhin als
zur Wirbelsaite gehörig betrachtet. Es wurde schon erwähnt, class die An-
lage der Wirbelsaite in dem Masse , als sie sich aus der ursprünglichen ohnge-
fähr vierkantigen Gestalt in einen cylindrischen Strang umbildet, sich von dem
gleichfalls abgerundeten inneren Rande der Segmente, also von dem unteren
Theile des späteren inneren Segmentblattes trennt, sodass sie von demselben
jederseits nur tangential berührt wird. Sowie aber dessen ursprünglich fest
zusammengefügte Embryonalzellen in Folge eines weiter unten zu betrachten-
den Vorganges (vgl. den folgenden Abschnitt) zu einem lockeren Zusammen-
hange auseinandertreten, füllen sie auch die Lücken aus, welche zwischen dem
Rückenmarke, der Wirbelsaite und dem Axenstrange des Darmblattes einer-
seits und den Segmenten andererseits entstanden waren, sodass die Wirbelsaite
von den angrenzenden innern Segmentblättern wiederum eng umschlossen wird
{Taf. VII). Sie bestehen alsdann aus einem Zellennetze, welches durch
Dotterbiklungszeüen ergänzt und erweitert, endlich die ganze Oberfläche der
Wirbelsaite überzieht und in dieser Ausdehnung sich in der Folge vollständig
von den übrigen Segmenttheilen ablöst, um der Wirbelsaite eng anliegend eine
röhrenförmige Scheide um dieselbe zu bilden — die äussere Chor du-
sche i de (Taf. X Fig. 187, Taf. XI Fig. 197. 198). Ihre durch vielfache
Furtsätze netzförmig zusammenhängenden Zellen platten sich von Anfang an
unter dem Einflüsse der sich ausdehnenden Wirbelsaite immer mehr ab ; dabei
werden sie nebst ihren ursprünglich fadenförmigen Fortsätzen immer breiter,
die sie trennenden Lücken runder und kleiner, und endlich verschmelzen sie
zu einer kontinuirlichen Schicht , in welcher nur noch die stark abgeplatteten,
daher blassen und scheinbar grossen Kerne den Bestand der früheren Zellen
andeuten (Taf. X Fig. 181. 188. 189). Zugleich hat auch die Umbildung der
Dottersubstanz zu einer fein punktirten protoplasmatischen Masse begonnen
und zwar in der Weise, dass davon zuerst die ursprünglich peripherischen
Zellentheile ergriffen werden, so dass die Dotterreste sich am längsten in der
unmittelbaren Umgebung der Kerne erhalten. Diese Kerne theilen sich viel-
358 VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
fach, und offenbar stehen damit die mannigfaltigen Formen im Zusammen-
hange, welche man neben den ursprünglichen runden und ovalen häufig antrifft;
auch bemerkte ich nicht selten kleinere und grössere helle Stellen im Innern
der Kerne , welche bei geringem Umfange und mehrfacher Zahl als das impo-
niren, was man gewöhnlich als Kernkörperchen bezeichnet, während die
verhältnissmässig grossen Flecke, die mit den ersteren von gleicher Beschaffen-
heit zu sein schienen, an die tropfenartigen Gebilde erinnern, welche ich als
Umbildungskugeln in mehreren Organanlagen beschrieb und noch besehreiben
werde. Dass jedoch dadurch die Zerstörung eines gewissen Theils der Kerne
angedeutet werde, muss ich bezweifeln, da mir weitere Stufen einer solchen
nicht zu Gesicht kamen. Während der andauernden Theilung und Ver-
mehrung der Kerne nimmt die Mächtigkeit der ganzen Scheide in der zweiten
Larvenperiode ansehnlich zu, sodass die Kerne nicht mehr in einfacher,
sondern in mehrfacher Lage angeordnet sind. Im Durchschnitte eines ganzen
Embryo grenzt sich das Gewebe der äusseren Scheide gegen das umgebende
Bildungsgewebe weniger scharf ab, als man es nach seiner Entstehung erwarten
sollte; immerhin unterscheidet es sich von demselben durch sein dunkleres
Aussehen, da ihm die klar durchsichtige Intercellularsubstanz des Bildungsge-
webes fehlt*, und durch die Menge der im Durchschnittsbilde stabförmig
erscheinenden platten Kerne, während die Zellenkerne und ganzen Zellen des
Bildungsgewebes stets rundlich und spindelförmig erscheinen. Präparirt man
aber die Wirbelsaite einer beliebigen Larve vor oder nach dein Erscheinen der
knorpeligen Wirbelstücke heraus, so bleibt ihre äussere Scheide ausnahmslos
mit der inneren in Zusammenhang und trennt sich ganz rein und leicht
von dem umgebenden Gewebe, worauf es am Rande eine ganz scharfe äussere
Grenzlinie zeigt. Zwischen beiden Chordascheiden erkennt man zur Zeit, wo
dieselben eine gewisse Mächtigkeit erlangt haben, eine äusserst dünne, schein-
bar homogene Membran, welche ich aber nicht zu isoliren vermochte.
Bei der Trennung beider Chordaseheiden blieb sie an der äusseren hängen,
wesshalb ich sie mit W. Müllek für ein von der letzteren abgesetztes Pro-
dukt halte.
Der Kopftheil der Wirbelsaite verhält sich bis auf seine von Anfang an
* Dies ist wohl auch der Grund, warum die Karminfarbe, welche die Intercellular-
substanz des Bildungsgewebes nicht oder wenig angreift, die Grundsubstanz der äussern
Chorduscheide leicht färbt-
VIT. Die Wirbelsaitc und die Wirbelsäule. 359
schmiieh tigere Gestalt im wesentlichen ebenso, wie der Rumpf- und Schwanz-
theil. Die Wirbelsaite wird im Kopfe ebenso wie im Rumpfe von den inneren
oder den Stammsegmenten eingefasst, welche ebenfalls aus ihren medialen, der
Wirbelsaite zunächst gelegenen, also den inneren Segmentblättern des Rumpfes
entsprechenden Theilen ein lockeres Gewebe bilden {Taf. XIII — XV). Da
dieses aus zackigen , durch ihre Fortsätze netzförmig mit einander auastomosi-
renden Embryonalzellen bestehende Gewebe, dessen weite Zwischenräume von
der bezeichneten Intercellularflüssigkeit eingenommen sind, die Lücken zwischen
den deutlich umschriebenen Anlagen bestimmter Organe und Gewebstheile
ausfüllend zur Grundlage verschiedener Gewebe des entwickelten Thieres wird,
so will ich es als interstitielles Bildungsgewebe bezeichnen. Ein
solches entsteht nicht ausschliesslich aus den inneren Segmenten, sondern an
andern Stellen auch aus den äusseren; doch haben wir es zunächst nur mit
den ersteren zu thun. Da der Haupttheil des ersten inneren Kopfsegments,
wie ich es früher beschrieb, von der Spitze der Wirbelsaite aus nach vorn
zwischen Augapfel und Vorderhirn auswächst, andererseits eine Muskelbildung
im zweiten Segmente nicht vorkommt, so ist es begreiflich, dass das Vorderende
der Wirbelsaite eigentlich nur von jenem interstitiellen Bildungsgewebe umhüllt
wird, welches abwärts an das Darmblatt, seitlich an die deutlich unterscheid-
baren Anlagen der äusseren Segmente grenzt und aufwärts sich in einer
dünneren Lage zwischen die letzteren und das Hirn fortsetzt (Taf. XIII — XV,
XVII Fig. 304). Dieses Gewebe liefert die äussere Chordascheide zunächst
in einer einfachen Schicht allgeplatteter und später mit einander verschmelzen-
der Zellen, wie es bereits beschrieben wurde [Taf. X Fig. 181). Daran schliesst
sich allseitig, jedoch mit einer gewissen Abgrenzung, das weitmaschige Ge-
webe, welches in "seinen obersten und tiefsten Schichten für das Stammskelet
nicht in Betracht kommt, weil daraus die zwischen dem letzteren und einerseits
dem Centralnervensystem , andererseits dem Darmkanal des entwickelten
Thieres befindlichen Theile (Bindegewebe , Gefässe, Nerven) hervorgehen. In
den äusseren Seitentheilen des interstitiellen Bindegewebes erscheint nun
während der ersten Larvenperiode, wenn der Darmkanal die ersten Krümmungen
zeigt, eine Anzahl von embryonalen Blut- oder Dotterbildungszellen*, welche
* Ich habe diese letztere Bezeichnung gewählt, weil die betreffenden Zellen als fertige
Blutzellen noch nicht betrachtet werden können , sondern in derselben Gestalt sich in ver-
schiedene Gewebe verwandeln, andererseits aber zum Unterschiede von den Embryonal-
zellen nicht aus dem eigentlichen Keime, sondern von den Dotterzellen abstammen.
360 VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
alsdann durch ihre Grösse , die kugelrunde oder ovale Gestalt ohne alle Fort-
sätze oder Spitzen und durch die noch vollständige Anfüllung mit Dotter-
plättchen im allgemeinen von allen übrigen Embryonalzellen leicht unterschie-
den werden können. Wie diese Dotterbildungszellen aus den Blutbahnen in
das interstitielle Bildungsgewebe gelangen , soll später erläutert werden. Ihre
erste Ansammlung zeigt sich an beiden Seiten der Chordaspitze in einer
geringen Entfernung von derselben und wächst durch fortdauernde Anlagerung
neuer Elemente jederseits zu einer Spange aus, welche den Basaltheil des
Vorderhirns bogenförmig umfasst und dann etwas abwärts geneigt zur Seite
der anatomischen Hirnbasis unter dem Sehnerven nach vorn sich erstreckt
(Taf. XVI Fig. 303, Taf. XVII Fig. 314—316, Taf. XXI Fig. 377). Es
erhellt aus den früheren Mittheilungen über die topographische Anordnung der
Kopfanlagen, dass die bezeichneten Spangen dem Verlaufe des ersten inneren
Segmentpaares , genauer dessen innerem unteren Rande folgen. Doch soll ihr
weiteres Verhalten erst später, namentlich mit dem ganzen Kopfe ausführlich
behandelt, und hier nur ihre Wurzel als der Ausgangspunkt und das vordere
Ende der Anlagen der hinteren Schädelbasis in den Kreis der Unter-
suchung gezogen werden. Von jener Ursprungsstelle der bezeichneten Spangen
neben der Chordaspitze setzt sich nämlich die eigenthümliche, gleich näher zu
schildernde Zellenansammlung jederseits in einem schmalen Streifen rückwärts
fort und wird eben zur Grundlage der Schädelbasis von der den Hirnanhang
aufnehmenden Sattelgrube an , welche ja unmittelbar vor der Chordaspitze
entsteht, bis zum ersten Rumpfwirbel {Taf. XVIII Fig. 324). — Indem die
Dotterbildungszellen in den weiten Maschen des interstitiellen Bildungsgewebes
sich ablagern und sie ausfüllen, auf diese Weise aber auch die Zellen desselben
in ihre Masse einschliessen , bilden sie innerhalb dieses lockeren Gewebes kom-
pakte Platten, welche durch die dichte Aneinanderfügung ihrer Zellen und
die damit verbundene Ausschliessung der flüssigen Intercellularsubstanz sich
hinlänglich von deni umgebenden Gewebe unterscheiden {Taf. X Flg. 181).
Andererseits sind sie während längerer Zeit ebenso deutlich von der äusseren
Chordascheide und ihren Umbildungsprodukten gesondert. Bevor die Platten
sich in Knorpel verwandeln, besteht nämlich die äussere Chordascheide noch
immer nicht aus vollständigen Zellen, sondern aus der durch die Verschmelzung
der Embryonalzellen entstandenen kontinuirlichen Grundmasse mit den einge-
lagerten freien und platten Kernen. Ausserdem liegen die letzteren kon-
eentrisch um die Wirbelsaite. Die Zellen der seitlichen Platten sind dagegen
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 301
durch ihre Aneinanderlagerung rundlich eckig geworden und entsprechend
dem Zuge des früheren Bildungsgewebes mit ihren längsten Durchmessern meist
schräg von aussen gegen die Seiten der Wirbelsaite gerichtet. Nachdem aber
die Knorpelbildung eingetreten ist, erhält sich noch immer darin, dass dieselbe
in der äusseren Chordascheide zum Theil später als in den Seitenplatten, zum
Theil aber gar nicht erfolgt, eine Andeutung des zweifachen Ursprungs der
hinteren Schädelbasis, nämlich aus zwei lateralen Platten und einem axialen
Theile, zu dessen Herstellung übrigens nicht nur die äussere Chordascheide,
sondern in geringerem Masse auch die Wirbelsaite selbst einen bleibenden
Beitrag liefert.
Was nun die Knorpelbildung der hinteren Schädelbasis betrifft, so geht
sie in den bezeichneten Seitenplatten ganz einfach vor sich. Die daselbst über-
wiegenden Dotterbildungszellen sind so wie die übrigen Embryonalzellen mem-
branlos und fügen sich so eng zusammen, dass ich, wie erwähnt, eine besondere
Zwischensubstanz nicht unterscheiden kann. Während nun ihre Dottersubstanz
durch Auflösung der Dottei plättchen sich aufzuklären beginnt, zeigt sich statt
des bisherigen zarten Umrisses ein scharfgezeichneter doppelt konturirter Saum,
der Ausdruck einer starken, aus der oberflächlichen Dotterschicht entstandenen
Hülle oder Kapsel. Ist die Dottersubstanz ganz aufgelöst, so erscheint die
Zellsubstanz innerhalb der Kapsel hell, durchsichtig, der Kern mehr oder
weniger rund. Während die nunmehr fertigen Knorpelzellen mit ihren Kapseln
sich ansehnlich vergrössern und durch Theilung vermehren, bilden sich zwischen
ihnen, namentlich um die Ecken herum, deutliche Lücken, welche in einen
kontinuirlichen Zwischenraum zusammenfliessen und mit einer ziemlich festen
Intereellularsiibstanz angefüllt erscheinen. Wo der Knorpel an das interstitielle
Bildungsgewebe anstösst, bildet diese seine Intercellular- oder genauer gesagt
Interkapsularsubstanz einen fortlaufenden Saum, welcher sich bestimmt,
wenn auch mit zarter Linie gegen die flüssige Intercellularsubstanz jenes
Gewebes abgrenzt. Wenn daher die Knorpelkapseln als von den Zellenleibern
abgelöste Schichten, die Interkapsularsubstanz als unmerkliche Abscheidung
derselben Zellen entstanden gedacht werden müssen, so sehe ich mit
Gegenbaur (Nr. 88 S. 12) in der Entstehung beider Substanzen ebenso wenig
einen triftigen Grund zu ihrer principiellen Unterscheidung wie in ihrem Ver-
halten im fertigen Knorpel, wo die Kapseln bei der Zeilentheilung, von welcher
sie nicht mit betroffen werden , aus der Interkapsularsubstanz ergänzt werden.
Beide Gebilde zusammen bilden also die eigentliche Intercellularsubstanz des
362 VH- Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
Knorpels. — An der Oberfläche der knorpelig werdenden Schädelbasis findet
sich eine dünne Zellenlage von anderer Beschaffenheit. An senkrechten
Durchschnitten, an denen allein sie sicher unterschieden werden kann, hat es
den Anschein, als wären dort spindelförmige oder etwas abgeplattete Kerne in
eine kontinuirliche Grundmasse eingebettet. Sie dürfte daher aus der die
Knorpelanlage nach aussen abschliessenden Grenzschicht des interstitiellen
Bildungsgewebes und zwar durch eine ähnliche Verschmelzung ihrer Zellen
entstanden sein, wie ich sie an der äusseren Chordascheide beschrieb und noch
von anderen Anlagen (vordere Schädelbasis, Schulterblatt) beschreiben werde.
Beim Isoliren des Knorpels bleibt diese peripherische Zellenschicht, die Anlage
des Perichondriums, ausnahmslos mit demselben in Zusammenhang, wie es
namentlich leicht und deutlich an den Knorpelstücken der Rumpfwirbelsäule
sich nachweisen lässt. Da nun die Gesammtanlage des Knorpels von den
Erzeugnissen des umgebenden interstitiellen Bildungsgewebes nicht durch den
verschiedenen Ursprung ihrer Substrate sondern nur durch die weitere histolo-
gische Umbildung sich unterscheidet, so darf das Perichondriurn nach seiner
ersten Zusammensetzung und Verbindung stets nur zu seiner knorpeligen
Unterlage, nicht aber zu dem ausserhalb derselben entstehenden Bindegewebe
gerechnet werden (vgl. den folgenden Abschnitt).
Wenn die Seitenplatten der hinteren Schädelbasis in ziemlich einfacher
Weise knorpelig werden , so ist die Bildung eines sie verbindenden axialen
Knorpelstreifens an Stelle der Wirbelsaite und ihrer äusseren Scheide etwas
umständlicher (Taf.\IX). Zunächst werden die Seitentheile der äussern Chorda-
scheide, welche mit ihrer ganzen Fläche an die Seitenplatten anstossen, gleich-
falls frühzeitig knorpelig und verschmelzen mit den letzteren zu einem
kontinuirlichen Gewebe. Doch ist für die Beobachtung dieser Knorpelbildung
die Schädelbasis kein günstiges Objekt, und verweise ich daher auf die Be-
schreibung dieser Vorgänge an andern Stellen, wo die äussere Chordasciieide
leicht frei gelegt werden kann. Nachdem nun ihre Seitentheile zu Knorpel
geworden, sind die übrigen Veränderungen des Axentheils der Schädelbasis in
dessen vorderen und hinteren Abschnitten verschieden. An der Spitze der
Wirbelsaite wird die Chordascheide alsbald auch oben und unten in Knorpel
verwandelt, sodass die erstere allseitig von Knorpel eingeschlossen und durch
eine starke Entwickelung desselben von den Seiten her zu einer senkrechten
riatte zusammengepresst wird, welche bei oberer Ansicht der Schädelbasis wie
ein feiner Faden aussieht (Taf. IX Fig. 167, Taf. XVIII Fig. 324. 329). Bei
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 3H3
dem fortgesetzten Drucke versclrwindet die Spitze der Wirbelsaite endlich
ganz, sodass die letztere nunmehr eine Strecke hinter dem Hirnanhange auf-
hört. Im mittleren und hinteren Abschnitte des in Rede stehenden Schädel-
theiles erhält sich die Wirbelsaite bei der oberen Ansicht scheinbar viel länger
intakt; doch lehren Querdurchschnitte, dass ihre Atrophie dort viel früher
eintritt, als man bei jener Ansicht erkennt. Gleich hinter der seitlich abge-
platteten Spitze der Wirbelsaite unterbleibt in einem kurzen Stücke die Ver-
knorpelung an der Oberseite der äusseren Scheide; sie wird dabei hautartig
und schliesst sich seitlich an das Perichondrium der Seitenplatten an, sodass
die Wirbelsaite nach Entfernung dieser Haut wie in einer Mulde nackt zu Tage
liegt (Taf. IX Fig. 173). Dieses Verhältniss ändert sich auch nicht , während
das betreffende Stück der Wirbelsaite atrophirt; und wenn die Mulde dabei
flacher wird, so geschieht dies zunächst nicht durch Verdickung ihres Bodens,
welcher vielmehr unverändert dünn bleibt, sondern durch Verdünnung der
seitlichen Knorpelplatten. So erscheint also die Wirbelsaite bei ihrer Atrophie
in dem mittleren Theile der hinteren Schädelbasis nicht wie an der Spitze von
den Seiten, sondern von oben nach unten zusammengefallen und muss daher
bei oberer Ansicht in geringerem Grade zurückgebildet aussehen, als sie es in
der That ist. Im hinteren Abschnitte der Schädelbasis entwickelt sich ihr
Axentheil in ähnlicher Weise aber in umgekehrter Ordnung, sodass die Mulde
nicht an der Oberseite, sondern an der Bauchseite entsteht (Fig. 169. 175).
Dort lagen vorher die Muskelbündel, welche aus dem dritten und vierten
inneren Segmentpaare hervorgingen, der Wirbelsaite von beiden Seiten eng an
(Taf. XV Fig. .273 — -27b'); und wenn sie von den über ihnen entstehenden
knorpeligen Seitenplatten abwärts und rückwärts verdrängt werden, so mag
doch ihre frühere Lage die Ursache sein, dass jene Platten in ihrem hintersten
Theile dicht hinter den Gehörorganen sich bereits über das übrige Niveau
erheben und schräg von aussen und oben auf die Wirbelsaite oder vielmehr
auf deren äussere Scheide stossen. Daher greifen sie mit einem medialen
Rande auf deren Oberseite über und laufen seitlich, noch bevor sie die
Bauchseite erreicht, gleichfalls mit einem zugeschärften Rande aus. Die
äussere Chordascheide bleibt in diesem Abschnitte der Schädelbasis nur an der
Bauchseite häutig-, die übrigen oberen und seitlichen Theile verdicken sich,
während sie knorpelig werden, ansehnlich, sodass man leicht erkennt, wie ihre
Zellen entsprechend den früheren Kernen in einigen zur Wirbelsaite koncentri-
schen Lagen angeordnet sind (vgl. Taf. IX Fig. 170. 176). Da diese Knorpel-
3(34 VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
zellen der Chordascheide zudem kleiner sind als diejenigen der Seitenplatten
und ihre Intercellularsubstanz dunkler erscheint und sich intensiver färbt als
in jenen Platten, so lässt sich dort der Axentheil der Schädelbasis zu jeder
Zeit von den Seitentheilen unterscheiden. Dieses sehr deutliche Verhalten im
hintersten Abschnitte der Schädelbasis, welches sich innig an dasjenige der
ersten Wirbel anschliesst, nähert sich nach vorn insofern dem umgekehrten
Verhältnisse in der Mitte der Schädelbasis, als die seitlichen Knorpelplatten
allmählich tiefer sinken und in dem Masse, als sie sich der Bauchseite der Wirbel-
saite nähern, deren Oberseite wieder ganz der knorpeligen äusseren Scheide über-
lassen, welche aber an derselben Stelle unten noch häutig ist. Soll nun diese
Lage der Wirbelsaite in die umgekehrte übergehen, wie ich sie für den mittleren
Abschnitt der Schädelbasis beschrieb, so erhellt, dass die Wirbelsaite an der
Uebergangsstelle zugleich oben und unten entweder von Knorpel eingeschlossen
oder nur von der häutigen Scheide bedeckt sein müsse. In der That ist nun
das letztere der Fall {Fig. 164. 168. 174). In der Mitte des Larvenlebens ist
an der bezeichneten Stelle die Kontinuität des Knorpels sowohl in der oberen
wie in der unteren Mittellinie unterbrochen und die Lücke nur von der Wirbel-
saite und dem häutigen Rücken- und Bauchtheile ihrer äusseren Scheide aus-
gefüllt. Gegen das Ende der Larvenmetaniorphose aber, wenn die Wirbel-
saite in der hinteren Hälfte ihres Kopftheils durch die Verdickung des sie über-
deckenden Knorpels an die Visceralfläche der ganzen Schädelbasis verdrängt
und von oben her abgeplattet wird , füllt sie jene Lücke im Knorpel nur theil-
weise aus, indem sie dort gleichsam selbst den Boden der muldenförmigen
Vertiefung bildet , in welcher sie weiter nach vorn hin eingebettet liegt. Der
Eindruck, welchen der Mediandurchschnitt einer solchen Schädelbasis hervor-
ruft, lässt sich so bezeichnen, dass die Wirbelsaite die Axe der knorpeligen
Schädelbasis schneidet und dieselbe unterbricht , um von deren unterer Fläche
(hinten) an die Oberseite (vorn) zu gelangen {Fig. 165). Denkt man sich nun
die knorpelige Decke der Wirbelsaite im Hinterkopfe mit ihrer knorpeligen
Unterlage im vorderen Abschnitte der Schädelbasis fortlaufend verbunden,
was thatsächlich während des völligen Schwundes der Wirbelsaite und unter
gleichzeitiger Ausgleichung der sie früher beherbergenden Furchen geschieht,
so wird die nunmehr kontinuirliche Knorpeltafel der hinteren Schädelbasis
immerhin an der Stelle der vorher bestandenen Lücke eine gewisse Knickung
von hinten und oben nach vorn und unten zu erkennen geben, wie ich es auch
bei jungen, vollständig entwickelten Unken finde {Fig. 166).
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 3(J5
Schliesslich bemerke ich noch über die Atrophie der Wirbelsaite, dass es
mir an einigen Präparaten nachzuweisen gelang, dass der Knorpel, welcher
später an ihrer Stelle gefunden wird, nicht überall aus einer Fortsetzung des
umgebenden Knorpelgewebes, sondern theilweise aus ihr selbst hervorging.
Nach vollständig beendeter Metamorphose finde ich die Wirbelsaite in der
Occipitalgegend als platten Strang an der beinahe ebenen Bauchfläche der
knorpeligen Schädelbasis ; ihre frühere Zusammensetzung ist unkenntlich ge-
worden, sie erscheint als undeutlich faseriges Gewebe und nur über ihr und
zwar dem Knorpel fest angeheftet, welcher aus ihrer äussern Scheide hervor-
ging, hat sich jenes dünne Häutchen unverändert erhalten, welches früher die
beiden Scheiden trennte (Fig. 166). Dieses Häutchen durchsetzt ganz deutlich die
knorpelige Schädelbasis dort, wo sie früher unterbrochen war, nach vorn,
worauf es sich in der Nähe ihrer oberen Seite verliert. An derselben Stelle
geht aber der faserige, atrophische Rest der Wirbelsaite unmittelbar unter
diesem Häutchen sich hinziehend in die Axe des Basalknorpels über, sodass
mir die Umwandlung des betreffenden Chordatheils in Knorpel nicht zweifel-
haft erscheint. Nur fehlen mir zusammenhängende Beobachtungen über den'
Vorgang dieser Umwandlung, sodass ich auf die noch mitzutheilenden Unter-
suchungen über dieselbe Erscheinung an der Rumpf Wirbelsäule unseres Thieres
und der Tritonen verweisen muss. Hier sei also nur konstatirt, dass der Kopf-
theil der Wirbelsaite vorn im Knorpel atrophirt und verschwindet, in der Mitte
sich in Knorpel umbildet, hinten aber aus dem Occipitalknorpel an dessen
Bauchfläche verdrängt, sich in ein faseriges Band verwandelt. Dieses liegt
aber immerhin innerhalb des Perichondriums, dem sich schon vorher der
häutige Rest der äusseren Chordasciieide angeschlossen hatte und welches
später das Os sphenoideum oder das Parasphenoid (Nr. 90 S. 31, Nr. 89 S. 647,
Nr. 113 S. 151) entwickelt (Taf. IX Fig. 164- 166).
Hinsichtlich der allgemeinen Gestalt der hinteren Schädelbasis muss zu-
nächst bemerkt werden, dass ihre vordere Hälfte nicht nur zuerst entsteht,
sondern während der ersten Larvenperiode und im Anfange der zweiten auch
allein besteht. Die vorn aus ihr entspringenden Knorpelspangen haben schon
längst die anatomische Hirnbasis umkreisend sich an deren Vorderende bogen-
förmig geschlossen und so den Umfang der vorderen Schädelbasis um-
schrieben, ehe die Seitenplatten der hinteren Schädelbasis bis hinter die Ohr-
bläschen reichen. Dort angelangt finden sie eine bestimmte Grenze gegen die
sich ihnen anschliessende Bildung der Rumpfwirbelsäule, worüber ich weiter
36(j VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
unten das Nähere mittheilen werde. Alsdann bildet die hintere Schädelbasis,
wenn man ihre Seitentheile mit dem Axentheile als ein Ganzes betrachtet, eine
längliche Knorpeltafel, welche zwischen den Ohrbläschen am schmälsten ist,
davor und dahinter aber sich etwas verbreitert, sodass ihre Seitenränder ausge-
schweift erscheinen (Taf. XVIII Fig. 329). Ihre erste Anlage verräth jeden-
falls die Neigung, dem Hauptzuge des interstitiellen Bildungsgewebes, also der
Innenfläche der Stammsegmente zu folgen und so zwischen den äusseren
Segmenten und dem Hirne aufwärts zu wachsen (vgl. Taf. X V). Im grösseren
mittleren Abschnitte werden jedoch die Ränder der hinteren Schädelbasis
durch die Ohrbläschen daran verhindert, welche bei ihrer starken Ausdehnung
sich dem Hinterhirne ziemlich eng anschmiegen. Daher bleibt die Schädel-
basis in diesem Abschnitte auf den Kaum zwischen den beiden Ohrbläschen
und der Bauchseite des Hinterhirns beschränkt-, und indem sich die letztere
weiterhin eben ausbreitet, wird die sich anpassende Schädelbasis dort zu einer
ebenfalls ebenen Platte (Taf. IX). Wo jenes Hinderniss ihrer seitlichen Aus-
breitung fehlt, umwächst sie den ganzen Umfang der Hirnröhre nicht nur
vorn mit den genannten Knorpelbögen sondern auch hinter den Ohrbläschen,
zwischen diesen und dem ersten Rumpfwirbel (Taf. XVIII Fig. 331, Taf. XIX
Fig. 337). Dort entsteht gleichfalls ein vollständiger, breiter Ring um
das Ende des Hinterhirns, welcher sich den davorliegenden Ohrbläschen
dicht anschliesst. Während dieser Entwickelung der hinteren Schädelbasis
entsteht rund um jedes Gehörorgan eine knorpelige Kapsel, deren innerer
unterer Rand mit der Schädelbasis verschmilzt. Dadurch kann leicht der
Eindruck hervorgerufen werden, als sei wenigstens die horizontale, die Gehör-
organe tragende, Platte jener Knorpelkapsel als unmittelbare Fortsetzung der
knorpeligen Schädelbasis aus dieser hervorgewachsen. Einer solchen Auf-
fassung widerspricht einfach der Umstand, dass die das Gehörbläschen über-
ziehende Knorpellage am äussern Umfange desselben bereits entstanden ist,
bevor der mittlere Theil der Schädelbasis auch nur angelegt ist, und dass sie
nach innen fortwachsend erst nachträglich mit dem Seitenrande desselben
zusammenstösst. Die knorpelige Ohrkapsel ist also dem eingeschlossenen
Sinnesorgane eigenthümlich und entspricht durchaus den festen Kapseln der
zwei anderen Sinnesorgane, von denen das Auge bei unserem Thiere gleichfalls
eine dünne Knorpelschicht in der Sclerotica besitzt. — Anders verhält es sich
mit den Knorpeltafeln, welche im Anschluss an die beiden Bogcnpaare des
Schädels einen Theil seiner Seitenwände und seines Daches bilden. Das
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 367
vordere Bogenpaar bildet, indem es sich zur anatomischen Hirnbasis nieder-
senkt und dieselbe umkreist, einen Knorpelrahmen, innerhalb dessen man
anfangs nur das indifferente Bildungsgewebe erkennt, welches von beiden Seiten
in die dort früher befindliche Lücke des mittleren Keimblattes hineingewuchert
ist und alsdann gleichmässig den ganzen Raum zwischen dem Vorderhirne und
dem Darmblatte ausfüllt (Taf. XVIII Fig. 322—324). Mitten in der ersten
Larvenperiode sondert sich aus diesem Gewebe ein mit dem Knorpelrahmen
zusammenhängendes, dichtes Netzwerk von etwas quergezogenen Zellen ab,
dessen Maschen um so enger werden , je mehr sich die Zellen abplatten. Die
Dottersubstanz ist in den letzteren bereits grösstenteils aufgelöst. Im An-
fange der nächsten Periode lässt sich endlich eine festzusammenhängende, im
Knorpelrahmen lose ausgespannte Membran als Unterlage des Vorderhirns
herauspräpariren. Statt des dichten Netzwerks erkennt man aber nur eine
kontinuirliche Grundsubstanz, welche durchweg protoplasmaartig punktirt ist
und die nunmehr rundlich gewordenen freien Kerne enthält; mit der Inter-
cellularsubstanz des Knorpelrahmens hängt sie durchaus kontinuirlich zu-
sammen. Von den früheren Zellengrenzen konnte ich dort keine Spur mehr
entdecken, und da die Grundsubstanz durchweg den gleichen Charakter hat,
so ist ein Grund für die Annahme, dass Zell- und Intercellularsubstanz trotz-
dem neben einander beständen und die Grenzen nur undeutlich wären, nicht
vorhanden. Eine Vermehrung der Kerne geht genau in derselben Weise vor
sich, wie ich es von der äussern Scheide beschrieb, sodass dieselben alsbald
in mehrfacher Lage über einander liegen und häufig jene mannigfaltig ausge-
schweiften Formen (Bisquit-, Bohnen-, Herzform) zeigen. Und wenn ich selbst
bei diesen lebhaften Theilungsvorgängen jede Andeutung diskreter Zellen-
leiber vermisste, so musste diese Thatsache in mir den letzten Zweifel an der
Richtigkeit der allerdings auffallenden Beobachtung zurückweisen , dass näm-
lich die Embryonalzellen dem späteren Knorpelgewebe nur die Zellenkerne
unmittelbar überliefern, nicht aber zugleich die zugehörigen Zellenleiber. Zur
Zeit wann die ersten Spuren der knorpeligen Wirbelbögen im Rumpfe erschei-
nen, beginnt auch die Knorpelbildung in der bezeichneten Schicht oder der
vorderen Schädelbasis {Taf. X Fig. 190). Sie geht von den Rändern des
Knorpelrahmens aus und setzt sich allmählich gegen die Mitte fort, und zwar
schien sie mir stets am vorderen Ende anzufangen oder dort wenigstens
rascher vorzurücken. Um die freien Kerne bildet sich dann zuerst eine äusserst
zarte Grenze in einer solchen Entfernung, dass die benachbarten Grenzen sich
3G8 VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
nicht berühren, sondern gleich ein gewisses Quantum einer Zwischensubstanz
übrig lassen. Diese Grenzen erscheinen anfangs ebenso zart wie diejenigen
membranloser Zellen, und ihre Gestalt entspricht weniger dem zugehörigen
Kerne als seinem Abstände von den umgebenden Kernen , sodass sie meist
rundlich eckig ist. Bald darauf verwandelt sich der zarte Umriss in den
Durchschnitt einer derben , doppelt konturirten Membran , eben der Knorpel-
kapsel 5 und damit sind die Bestandteile des fertigen Knorpels, der Zellen,
Kapseln und der Interkapsularsubstanz gegeben. Ich will hierbei auf eine
Erscheinung aufmerksam machen, welche, wie ich glaube, den bekannten
Irrthum Schwanns, die Abhebung der Zellmembran vom Kerne betreffend,
zu erklären im Stande ist. An den noch freien Kernen sehe ich häufig und
zwar meist eine kurze Zeit vor dem Beginne der Knorpelbildung einen sehr
feinen aber deutlichen hellen Saum, welcher um so mehr auffallen muss, als
man gleichzeitig in der Grundsubstanz andere Veränderungen vermisst. An
einzelnen Stellen, wo die Kerne besonders dicht liegen , umkreisen die zarten
Umrisse der sich neu bildenden Knorpelzellen die Kerne in so geringer Entfernung,
dass die betreffenden Durchmesser sehr wohl ein Mittelglied zwischen jenen
freien Säumen und den grösseren Knorpelzellen darbieten und die Vermuthung
erwecken können, als seien die Säume in der That die ersten Anlagen der
neuen Zellenleiber, welche allmählich zu grösserem Durchmesser auswüchsen.
Doch ergibt eine genauere Prüfung , dass die Säume bleibende Erscheinungen
sind, also die Anlage des sie umgebenden Zellenleibes nicht sein können. Und
wenn sie in den fertigen Zellen weniger auffallen, so mag es daran liegen, dass
die Substanz der fertigen Knorpelzellen klarer ist und daher von den Säumen
weniger als die früher punktirte Grundsubstanz oder endlich gar nicht absticht.
- Ganz so wie an der vorderen Schädelbasis entsteht die Knorpelsubstanz in
allen sekundären Schädeltheilen , d.h. solchen, welche sich erst nachträglich
im unmittelbaren Anschlüsse an das ursprüngliche Knorpelgerüst, nämlich die
hintere Schädelbasis mit ihren beiden Bogenpaaren entwickeln. Dazu gehören
die Seitenwände der vorderen Schädelkapsel und gewisse Theile des Schädel-
daches, welche erst später ausführlich behandelt werden.
Wenn man von den eben mitgetheilten Beobachtungen zunächst die
Kontinuität der beiderlei Anlagen und den ununterbrochenen Fortgang der
Knorpelbildung von den primären Schädeltheilen in die sekundären hinein ins
Auge fasst, so müssen die letzteren unzweifelhaft als wirkliche, durch Anlage-
rung entstandene und durch Anpassung weiter gebildete Fortsetzungen der
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 369
ersteren erscheinen . Erinnert man sich aber an ihre histiologische Entwickelung,
so muss mit Rocht auffallen, dass die einzelnen Tkeile eines und desselben
kontinuirlichen Gewebes auf die beschriebene, scheinbar verschiedene Weise
entstellen. Dies kann auf den verschiedenen Ursprung der Embryonal- und
Dotterbildungszellen nicht zurückgeführt werden. Denn abgesehen davon,
dass die Beobachtung in beiden Zellenarten eine verschiedene innere Zusammen-
setzung nicht nachzuweisen vermag, kommen dieselben neben einander in
beiderlei Schädeltheilen, den primären wie den sekundären vor, da, wie ich
später ausführen werde, die Vermehrung des ganzen Bildungsgewebes auf
einer Einwanderung von Dotterbildungszellen zwischen die übrigen Embryonal-
zellen beruht. Zudem wird aus der folgenden Beschreibung der Entwickelung
der Rumpfwirbel hervorgehen , dass deren Bögen , obgleich morphologisch den
Seitenplatten und Bögen der hinteren Schädelbasis gleichwerthig, histiologisch
genau so sich entwickeln, wie die sekundären Schädeltheile. Wenn es also
feststeht, dass die beiden Arten der Knorpelbildung weder nach der Anlage
noch nach dem schliesslich erzeugten Gewebe sich unterscheiden, so lehrt
andererseits eine genauere Ueberlegung, dass jene Unterschiede nur viel
grösser erscheinen, als sie wirklich sind und sich im Grunde auf unwesentliche
Abweichungen zurückführen lassen. Allerdings scheinen die Zellen der Seiten-
platten unmittelbar in Knorpelzellen überzugehen, während im übrigen
Knorpel nur die Kerne der Embryonalzellen in ihrem ursprünglichen Bestände
erhalten bleiben. Wenn man aber überlegt, dass die Knorpelkapseln in den
Seitenplatten unmöglich ausserhalb der sich theilweise berührenden Zellen
abgelagert, sondern nur aus deren umgebildeter'peripherischen Schicht hervor-
gegangen sein können, dass sie aber nach ihrer Vollendung jedenfalls intercellu-
läre Gebilde sind, so folgt daraus, dass die von ihnen eingeschlossenen Knorpel-
zellen nicht aus den ganzen intakten Embryonalzellen, sondern nur je aus dem
Kerne und der ihn zunächst umgebenden Protoplasmaschicht entstanden , wie
es ja auch bei der zweiten Art der Knorpelbildung der Fall ist. Da wir ferner
ans der letzteren lernen, dass die Kapsel- und damit die Knorpelzellen-
bildung von einer Präexistenz vollständiger Zellen unabhängig, dagegen nur
um präexistirende Kerne erfolgt , so können wir diese Erfahrung auch für die
Seitenplatten anziehen, sodass also in beiden Fällen der Knorpelbildung
gleicherweise bloss die Kerne als thätige Faktoren in Betracht kämen. Die
einzigen noch übrigen Unterschiede , die sich aber weder auf die Substanz der
Knorpelelemente noch auf ihre nächsten Bildungsursachen beziehen, beständen
Goette, EtJtwickelungsgescbiclite. -■*
370 VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. ' •
also darin, dass die Zellen der Seitenplatten vor ihrer Umwandlung scheinbar
nicht verschmelzen und zwischen den Knorpelkapseln nicht gleich anfangs
eine deutliche Zwischensubstanz zu bemerken ist. Gegenüber der Thatsache,
dass die Integrität der Zellen für die Knorpelentwickelung bedeutungslos ist,
wird auch jener erstgenannte Unterschied so unwesentlich, dass es kaum
nöthig scheint, darauf hinzuweisen, dass er bei dem schnellen Verlaufe der
Verwandlung nicht einmal unzweifelhaft erwiesen werden kann. Was nun
aber den zweiten Punkt betrifft, so kann nur die Abwesenheit einer hinreichend
deutlichen ursprünglichen Interkapsularsüb stanz , nicht aber einer solchen
überhaupt in äusserst dünner Schicht behauptet werden, da die eben entstan-
denen Kapseln durchaus nicht allseitig, namentlich nicht an den Ecken ein-
ander berühren. So bleibt also als einziger nennenswerther Unterschied
zwischen den beiden auf den ersten Anblick scheinbar so sehr abweichenden
Knorpelbildungsarten die wechselnde Menge der ursprünglichen Interkapsular-
substanz übrig; ein hinreichender Grund, um dieselben einander wesentlich
gleich zu setzen. Jene quantitative Differenz lässt sich aber daraus erklären,
dass die Seitenplatten der Schädelbasis in der ersten Larvenperiode angelegt
werden, also zu einer- Zeit, wo eine allgemeine Ernährung der Gewebe und
ihrer mit Dotter gefüllten Zellen noch nicht stattfindet, während die übrigen
Knorpelbildungen des Schädels und der Rümpfwirbelsäule in die zweite
Larvenperiode fallen, wo eine solche Nahrungsaufnahme in sehr lebhafter
Weise vor sich geht. Damit hängt auch das histologisch verschiedene Wachs-
thum in jenen älteren und den jüngeren Knorpelanlagen zusammen. In der
ersten Larvenperiode ist die Vermehrung der Zellen durch Theilung gar nicht
so bedeutend, als man vielleicht anzunehmen geneigt sein möchte, um die aus
dichten Zellenansammlungen hervorgehenden Anlagen zu erklären. Wäre die
Zeilentheilung in der angegebenen Zeit nur einigermassen lebhaft, so müssten
die einzelnen Zellen, da sie durch Nahrungsaufnahme noch nicht Avachsen
können, sich ebenso rasch verkleinern, wie es im Anfange der Embryonal-
entwickelung geschah. Dies ist aber ebenso wenig der Fall, als Theilungsvor-
gänge in dieser Zeit leicht zur Anschauung zu bringen sind; andererseits
erklärt aber die massenhafte Einwanderung der Dotterbildungszellen hinläng-
lich die Vermehrung der Elemente. Desshalb wachsen auch die Anlagen
durch An- und Einlagerung neuer Elemente von aussen her. Im Anfange der
zweiten Larvenperiode hört die Einwanderung der Dotterbildungszellen auf,
tritt aber dafür eine wirkliche Ernährung der metamorphosirten Elemente ein
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 371
und ruft daher die lebhafte, leicht zu beobachtende Thciluug derselben hervor.
Unter solchen Umständen müssen aber die Anlagen gleichsam von innen
heraus ohne Zuhülfenahme ihnen fremder Elemente sich ausdehnen. Dass
unter dem Einflüsse dieser aus der Theilung zu erschliessenden reichlichen
Ernährung nicht nur die Zahl der Elemente, sondern auch ihre Grösse und die
Menge der von ihnen abstammenden Zwischenzellensubstanz zunehmen muss,
bedarf wohl keiner weiteren Erläuterung. Der Antheil dieser Vcrgrösserung
der Knorpelzellen und der relativen Zunahme der Interkapsularsubstanz an
der ganzen Massenzunahmo des Knorpels wird aber vielleicht überhaupt unter-
schätzt; sowie andererseits seine Ausdehnung an gewissen Stellen, namentlich
an der hinteren Schädelbasis viel weniger auf einer Massenzunahme als einer
Abnahme seiner Mächtigkeit, also einer Verschiebung der sich gleich bleiben-
den Masse aus der Dicke in die Breite beruht (Taf. IX Flg. 167— 170. 173-176).
Aus diesen Betrachtungen ergibt sich aber, dass mit demselben Ausdrucke des
Wachsthums sowohl nach ihren Ursachen und ihrer Entwickelung , als auch
nach ihrem Enderfolge verschiedene Erscheinungen bezeichnet werden, sodass
weder die Zellentheilung zu jeder Zeit als Mass der allgemeinen Vergrösscrung
einer Anlage, noch umgekehrt die letztere als Beweis einer entsprechenden
Zellenvermehrung durch Theilung oder überhaupt einer wirklichen Ernährung
angenommen werden darf.
Wenn es nun gelingt in Betreff der histologischen Entwickelung für die
ganze knorpelige Schädelkapsel im wesentlichen eine Uebereinstfmmung nach-
zuweisen, so fehlt doch eine solche in morphologisch genetischer Hinsicht, wie
aus der Beschreibung hervorgegangen sein wird. Zunächst muss man von den
Theilen ganz absehen, welche nur accessorisch zur Herstellung der knorpeligen
Hirnkapsel beitragen, nämlich die Gehörorgane und später zu erwähnende
Knorpeltheile des ersten äusseren Segments (grosser Flügelknorpel). Ferner
ist zu unterscheiden zwischen den Theilen, welche schon im histologisch
indifferenten Zustande morphologisch bestimmte und selbstständige Anlagen
besitzen und solchen, welche sich erst nachträglich durch histologische
Differenzirung jenen ersteren anschliessen, dieselben gleichsam nur vergrössern,
ohne selbst in besonderer Form angelegt gewesen zu sein. Es erhellt aus der
früheren Darstellung, dass in die erste Kategorie der von der Wirbelsaite und
ihrer äusseren Scheide gebildete Axentheil der hinteren Schädelbasis und die
sich daran schliessendon Seitenplatten mit dem vorderen und dem hinteren
Bogenpaare gehören, welche also die eigentlichen typischen Grundlagen des
24*
372 VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
Schädels darstellen, während die zur zweiten Kategorie zählenden Knorpel-
platten , welche im Anschluss an das erste Bogenpaar den grössten Theil der
vorderen Hirnkapsel und zwischen den Gehörorganen ebenso den grössten
Theil des hinteren Schädeldaches bilden, nur als nachträglich ergänzende und
daher dem allgemeinen Typus fremde Theile betrachtet werden müssen." Aber
jene Grundlagen des Schädels bilden weder nach ihrem Ursprünge (Wirbel-
saite, Segmente, Dotterzellen) noch morphologisch ein Ganzes, indem, wie
erwähnt, der Axentheil und die Seitenplatten bis in das spätere Larvenleben
hinein unterscheidbar bleiben, um dann untereinander und mit den histiolo-
gisch angepassten und den accessorischen Theilen zu einer einheitlichen ana-
tomischen Bildung, der knorpeligen Schädelkapsel, zu verschmelzen. — Es
lässt sich also nicht verkennen, dass wir bei der Betrachtung der Schädel-
bildung das Gebiet der früher bezeichneten morphologischen Entwickeking
verlassen haben, so sehr auch vom Standpunkte anatomischer Betrachtung aus
aller Schein dagegen spricht.
Erst nachdem die beschriebenen typischen Grundlagen des Schädels in
allen ihren Theilen knorpelig geworden und mit Ausnahme des hinteren
Bogenpaares , welches noch in Gestalt zweier kurzer Fortsätze der Seiten-
platten erscheint, wesentlich fertig ausgebildet sind, beginnt die Entwickelung
der knorpeligen Piumpfwirbelsäule. — Wie man sich erinnern wird, liegen
die dorsalen Anlagen anfangs dicht zusammengefügt; durch die nachfolgende
Abrundung ihrer Kanten und die fassförmige Umbildung des Frontaldurch-
schnitts der Segmente entstehen zwischen jenen Anlagen Zwischenräume,
welche mit der allgemeinen interstitiellen Flüssigkeit angefüllt sind. Die
letztere dringt darauf in die Anlagen der Wirbelsaite und des interstitiellen
Bildungsgewebes (äussere Segmentschicht, inneres Segmentblatt) ein, sammelt
sich aber dort intracellulär, hier intercellulär in ansehnlicher Menge an. Die
damit verbundene Anschwellung zerstört daher die morphologische Anlage der
Wirbelsaite nicht, welche ihren Zusammenhang und im wesentlichen ihre cylin-
drische Gestalt behält, d.h. bei ihrer Vergrösserung mehr ihre Umgebung beein-
flusst als von ihr in Schranken gehalten wird. Die Zwischenzellenfiüssigkoit des
interstitiellen Bildungsgewebes ist dagegen in keine ihr eigenthümliclien
Grenzen eingeschlossen, wesshalb ihre Ansammlung und die weitere Ausbil-
dung des dadurch erzeugten und durch die eingeschwemmten Dotterbildungs-
zellen fortwährend wachsenden interstitiellen Bildungsgewebes sich nach den
Zwischenräumen richten, welche durch die vorhandenen morphologischen An-
VII. Die Wiibelsaite und die Wirbelsäule. 37,'',
lagen bestimmt werden. Die aufquellende Wirbelsaite findet in der senk-
rechten Richtung anfangs keinen Widerstand, da die seitliche Abplattung des
ganzen Körpers die Darmanlage tiefer hinabdrängt, als es die ungehinderte
Ausbreitung der Wirbelsaite bedarf (Taf. XIII, XIV). Erst später, wenn
zwischen diesen beiden Theilen andere Organanlagen Platz gegriffen haben,
platten sich Rückenmark und Wirbelsaite an den gegeneinander gedrückten
Flächen etwas ab, und dasselbe geschieht auch theilweise an der Bauchseite
der Wirbelsaite gegen die darunter liegende Aorta (Taf. XI Fig. 198).
Bemerkenswerther ist der Einfluss der anschwellenden Wirbelsaite auf die
seitlich sie einfassenden Segmente. Diese werden von den konvexen Seiten der
Wirbelsaite eingedrückt, und daraus erklärt sich, dass dort das innere Segment-
blatt bis auf eine gleich zu erwähnende , nach der Masse unbedeutende Anlage
(Spinalnervenstamm) zur Herstellung der dünnen äusseren Chordascheide ver-
braucht wird, sodass, wenn man darauf die letztere zur Wirbelsaite rechnet,
diese unmittelbar an die Segmentkerne, die Anlagen der Stammuskelplatten
anstösst. Der spätere Abschluss jener Scheide an der Ober- und der Bauchseite
der Wirbelsaite vollzieht sich unter ähnlichen Raumbedingungen. Ganz anders ge-
stalten sich dieselben für die oberen Theile des inneren Segmentblattes. Indem
das Rückenmark längere Zeit keine wahrnehmbare Verbreiterung zeigt, also
relativ schmäler wird als die anschwellende und die Segmente auseinander-
drängende Wirbelsaite, erhalten die das Rückenmark einfassenden Abschnitte
des inneren Segmentblattes gerade einen grösseren Raum zu ihrer Ausbreitung
(Taf. XIII — XV). Dieser Raum umgibt das Rückenmark seitlich in nahezu
gleicher Weite , geht aufwärts ganz unbestimmt in das Gebiet der Membrana
reuniens superior über, und endet abwärts auf jeder Seite etwas unterhalb der
Basalebene des Rückenmarks dort, wo die Berührung desselben mit der Wirbel-
saite und später ihrer äusseren Scheide aufhört, und deren ebene Dorsalfläche mit
einer deutlichen Kante in die gebogenen Seitenflächen übergeht. Dieser Raum
wird nun von den inneren Segmentblättern in verschiedener Weise ausgefüllt.
Bei dem fassförmigen Frontaldurchschnitte der ganzen Segmente bilden sie
die plan-konvexen Schichten an deren Innenseite, welche anfangs das Rücken-
mark mit ihren Bäuchen eindrücken, während dessen relativer Verschmäler ung
aber bis zu einer bloss tangentialen Berührung abrücken, sodass ihre senk-
rechten vorderen und hinteren Ränder an den Grenzeinschnürungen je zweier
Segmente vom Rückenmarke abstehen und mit demselben einen freien Raum
einschliessen (Taf. VIT). Jedes Segmentblatt sondert nun gleich im Anfange
374 VII. Diu Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
seiner weiteren Umbildung aus seinem dicksten mittleren und das Rücken-
mark berührenden Theile , also in annähernd senkrechter Richtung eine platte,
strangförmigc Anlage ab {Taf. XI Fig. 198, Taf.XII Fig. 214). Zur Seite
der Wirbelsaite ist der untere dünne Theil dieser Anlage, der spätere Spinal-
nervenstamm, ausser der Chordascheide das einzige Erzeugniss des inneren
Segmentblattes. Zur Seite des Rückenmarks füllt die stärkere obere Hälfte
des Stranges , die Anlage des Spinalganglions, den grösseren unteren Theil des
oben beschriebenen Raumes zwischen dem Rückenmarke und den Stamm-
muskelplatten vollständig aus; und dieses Verhältniss dauert noch längere Zeit
an, indem das Spinalganglion in dem Masse beständig anschwillt, als jener
Raum sich erweitert. Erst mit Berücksichtigung aller dieser Raumverhältnisse,
welchen wesentlich mechanische Momente, insbesondere die Anschwellung der
Wirbelsaite zu Grunde liegen, kann man eine klare Vorstellung gewinnen, in-
welcher Weise die zum interstitiellen Bilduugsgewebe bestimmten Theile der
inneren Segmentblätter von Anfang an angeordnet sind. Sie sind zunächst auf
den seitlichen und in Verbindung mit der Membrana reuniens superior, welehe ja
theilweise ihre Fortsetzung darstellt, auf den oberen Umfang des Rückenmarkes
beschränkt; abwärts stossen sie auf den oberen Seitentheil der äusseren
Chordascheide, welcher zwischen deren Anlagerung an das Rückenmark einer-
seits und andererseits an die Muskelplatten für jene Berührung mit dem inter-
stitiellen Bildungsgewebe allein frei bleibt. Aber nur im oberen Umfange des
Rückenmarks verläuft dieses Gewebe kontinuirlich ; in seinem unteren Theile
wird es an jedem Segmente durch die Anlage des Spinalganglions unter-
brochen. Und da immer zwischen je zwei solchen Anlagen, wie erwähnt,
gleich anfangs ein freier Raum bestand, so werden gerade dort, also den
Scheidegrenzen der Segmente entsprechend, für die Ausbildung des intersti-
tiellen Bildungsgewebes aus den miteinander verschmelzenden inneren Segment-
blättern die günstigsten Bedingungen geschaffen. Die erste Organanlage,
welche in diesem Bilduugsgewebe erscheint, betrifft nun nicht Theile der künftigen
Wirbelsäule, sondern eine besondere Umhüllung des Centrainer venorgans. Im
unmittelbaren Umfange desselben bis zur Wirbelsaite hinab entwickelt sich
nämlich eine zarte Gefässsehiclit, welche an ihrer AussenHäche durch eine
hautartige Verdickung und durch Pigmentablagerung sich frühzeitig von dem
übrigen Bildungsgewebe abgrenzt {Taf. XI Fig. 197. 198). Diese ganze Rücken-
markshülle endet vorläufig an den oberen Kanten der Wirbelsaite und ihrer
äusseren Scheide, d. h. an der Grenze ihrer innigen Anlagerung an das Rücken-
VII. Die Wirbelsaite iihd die Wirbelsäule. 375
mark; erst später wächst sie zwischen beiden Organen auch an der Bauchseite
des ersteren zusammen. Da jenes Pigment später die innere Auskleidung der
Dura mater bildet, so ergibt sich daraus, dass jene erste gefässreiche Rücken-
markshülle die Anlage der Pia mater vorstellt,' zu welcher das Pigment in
ähnlicher Weise gehört, wie das Pigmentepithel des embryonalen Auges zur
Netzhautanlage. Selbstverständlich ist die Anlage der Pia mater anfangs
ebenso wie das ihr zu Grunde liegende Bildungsgewebe in ihrer Kontinuität durch
die Spinalganglien unterbrochen. Bevor nun die Dura mater sich um die
erstere anlegt, finde ich die ersten Anzeichen der Wirbelbogenanlagen.
Zwischen je zwei Spinalganglien und nach innen von den Stellen, wo die hinter
einander liegenden Muskelplatten zusammenstossen, hat das die Rückenmarks-
hülle umgebende Bildungsgewebe, wie ich es eben beschrieb, den ausgiebigsten
Kaum zu seiner Entwickelung. Im Grunde dieser durch die Spinalganglien
getrennten Räume sammeln sich schon in der ersten Larvenperiode die einge-
führten Dotterbildungszellen in ähnlicher Weise wie bei der ersten Anlage der
1
Schädelbasis, also in den Zwischenräumen des Bildungsgewebes zu kleinen
Häufchen an, welche unmittelbar den oben bezeichneten, dem Bildungsgewebe
zunächst allein zugänglichen Stellen der äusseren Chordascheide aufliegen
1 Fig. 198). Zuerst unterscheiden sich diese Zellenhäufchen von dem übrigen
Bildungsgewebe nur durch ihre rundlich bleibenden und zusammengedrängten
Elemente, da das netzförmige Gefüge des Bildungsgewebes wenigstens an
Querdurchschnitten nicht deutlich hervortritt, sodass man wohl zu der Ansicht
geneigt sein könnte, einen wesentlichen Unterschied beider Theile überhaupt
zu läugnen. Sobald aber die Anhäufung zu einer dichten Aneinanderlagerung
der Elemente geführt hat, wird die Intercellularsubstanz des Bildungsgewebes
dort ganz ausgeschlossen und somit eine abweichende histiologische Grundlage
geschaffen. Diese Abweichung tritt noch klarer hervor, sobald die betreffen-
den Zellen zu einer kontinuirlichen Grundmasse verschmelzen, in welcher die
freigewordenen Kerne zerstreut liegen (Taf. X Fig. 188). Die auf solche
Weise veränderten und gleich noch näher zu beschreibenden Zellenkonglo-
merate sind nun die Anlagen der Wirbelbögen, welche also nach ihrem
Ursprünge und ihrer Lage den Scitenplatten der hinteren Schädelbasis, nach
ihrer weiteren histiologischen Entwickelung der vorderen Schädelbasis
gleichen. Es sind daher die Wirbelbogenanlagen, sobald sie sich überhaupt
gesondert haben, von dem übrigen interstitiellen Bildungsgewebe durchaus
verschieden. Sie können aber auch nicht von der äusseren Chordascheide
376 VJ1- Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
abgeleitet werden 5 denn diese ist von den noch zelligen Wirbelbogenanlagen
ebenso leicht wie von den anderen angrenzenden Geweben und Anlagen als
zusammenhängende, hautartige Schicht zu trennen, und andererseits lagern
sich die kugeligen Dotterbildungszellen der frühesten Wirbelbogenanlagen
erst ab, nachdem die platten Zellen der äusseren Chordascheide bereits ver-
schmolzen, also zu einer Proliferation überhaupt unfähig sind. Erst dann,
wenn diese Veränderung auch in den Wirbelbogenanlagen eingetreten ist , ver-
binden sie sich in dem Masse, als ihr Zusammenhang mit dem Bildungsgewebe
abnimmt, ziemlich fest mit der äusseren Chordascheide. Aber selbst nach
diesem Zeitpunkte lassen sich beide Theile, welche alsdann eine kontinuirliche
Masse zu bilden scheinen, an gewissen Merkmalen auch weiterhin unterscheiden.
Doch sind gute Querdurchschnitte aus der vorgeschrittenen zweiten Larven-
periode schwer auszuführen und auch sonst für die vollständige Erkenntniss
der Wirbelbogenanlagen nicht mehr geeignet, da die ursprüngliche Regel-
nlässigkeit aller Grenzen durch die mannigfaltigsten Verschiebungen gestört
und in Folge dessen die Konstruktion plastischer Bilder aus den ebenen
Schnitten erschwert ist. Dagegen gelingt die vollständige Präparation der
ganzen embryonalen Wirbelsäule zu der angegebenen Zeit ohne alle Mühe,
worauf man an glücklichen Präparaten die jüngsten Stufen der vollkommen
gesonderten Wirbelbogenanlagen zur Ansicht bekommt* (Taf. XFig. 188. 18Ü).
Die von ihrer äusseren Scheide umkleidete Wirbelsaite trägt seitlich von der
abgeplatteten Oberseite eine Reihe flacher Anschwellungen, welche, wie es
leicht festzustellen ist, an den Grenzen der Muskelplatten liegen, und deren
Zwischenräume von den Ganglien ausgefüllt werden. Jene Anschwellungen
oder die Wirbelbogenanlagen sind anfangs ganz flach und in der Längsrichtung
des Körpers ausgedehnter als in der Querrichtung, sodass, wenn man sich die auf
einer Seite hinter einander liegenden verbunden denkt , sie einer fortlaufenden,
regelmässig ausgeschweiften niedrigen Leiste gleichen würden. Erst etwas
später wächst ihr Mittelstück aus der leistenförmigen Basis als warzenförmige
Erhabenheit hervor, worauf die ganzen Anlagen der gewöhnlichen Vorstellung
* Es ist mir nicht möglich das betreffende Entwickelungsstadium durch besondere
äussere Merkmale der Larve genau zu bezeichnen. Wenn man jedoch eine Anzahl von
Larven, deren hintere Gliedmassen eben walzenförmig hervorgewachsen sind, in verschie-
denen Grössen zusammensucht, so wird sich an der eiuen oder anderen die gewünschte
Entwickelungsstufe der Wirbelsaule ohne grosse Mühe linden lassen.
VII. Dio Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 377
von Wirbelbogenanlagen eher entsprechen. Von der äusseren Chordascheide,
welcher sie fest aufsitzen, unterscheiden sie sich durch ihre zahlreicheren,
rundlichen und nicht abgeplatteten Kerne, welche daher dunkler und deutlicher
erscheinen als diejenigen der ersteren, welche in Folge ihrer Abplattung so
blass sind, dass sie ohne künstliche Färbung kaum zur Anschauung zu bringen
sind. Die freie Oberfläche der warzenförmigen Wirbelbogenanlagen trennt sich
ganz glatt vom umgebenden Bildungsgewebe, sodass die homogene Grundmasse
derselben, in welcher zudem die Leiber der künftigen Knorpelzellen und deren
Intercellularsubstanz gemeinsam enthalten sind, schon in jener beständigen
Sonderung einen von der Zwischenzellenllüssigkeit des Bildungsgewebes ver-
schiedenen Ursprung andeutet. In der Aussenschicht unserer Anlagen finde
ich ferner spindelförmige Kerne, und aus den folgenden Entwicklungsstufen
ist es mir wahrscheinlich geworden, dass diese Schicht zum Perichondrium
wird. — Noch während die Wirbelbogenanlagen warzenförmig erscheinen,
beginnt ihre Umwandlung in Knorpel ganz in derselben Weise, wie ich es
bereits von der vorderen Schädelbasis beschrieb1; daher verweise ich dafür
lediglich auf die Abbildungen (Taf. X Fig. 189. 190). Diese Knorpelbildimg be-
schränkt sich während längerer Zeit durchaus auf die Wirbelbogenanlagen,
während die äussere Chordasciieide ihre nichtzellige Beschaffenheit zunächst
behält, sodass die allgemeine histiologische Uebereinstimmung beider genetisch
verschiedenen Theile — freie Kerne in einer homogenen Grundmasse' — nach
kurzem Bestände wieder einer wesentlichen Verschiedenheit weicht. Und da
selbst nach der relativ späten Verknorpelung der. Chordascheide unter der
Wurzel der Wirbelbögen gewisse Unterschiede der Interkapsularsubstanz be-
stehen bleiben und dadurch die fortgesetzte Unterscheidung beider Skelet-
anlagen ermöglichen, kann ich ihre weitere Entwickelung ganz getrennt
betrachten.
Für die Wirbelbogenanlagen ist noch nachträglich zu bemerken , dass sie
nicht etwa alle gleichzeitig entstehen und sich fortbilden, sondern in der für
alle dorsalen Bildungen massgebenden Reihenfolge, also die vorderen früher
und schneller als die hinteren und die paarig zusammengehörigen gleichzeitig.
Doch sind einzelne Abweichungen von dieser Kegel nicht selten und namentlich
korrespondiren die beiden Seiten häufig nicht miteinander. — Sobald die
warzenförmigen Anlagen knorpelig geworden, wachsen sie aufwärts zu
schlanken Spangen aus , welche der häutigen Röhre der Rückenmarkshüllen
sich dicht anschmiegend nach innen konkave Bögen beschreiben. Da sie der
378 Yn- Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
Grenze je zweier Muskelplatten entsprechend entstanden und auch bei ihrem
weiteren Wachsthume dieser Grenze folgen, so biegen sie gleich dieser in der
Höhe der Oberseite jener von ihnen umschlossenen Röhre nach hinten um und
legen sich mit ihrer Spitze an die nächstfolgende Spange an, sodass nun je
zwei derselben ein Spinalganglion umkreisen {Taf.IXFig.171. 172.177. 170,
Taf. X VIII Fig. 326. 327). An den Berührungsstellen der bogenförmigen
Knorpelspangen bilden sich die beiderseitigen Gelenk fortsätze aus, und
erst von der Ursprungsstelle seines hinteren Gelenkfortsatzes aus wächst jeder
Bogen quer über den häutigen Rückenmarkskahal der Dura mater dem
entsprechenden Stücke der anderen Seite entgegen, um sich mit ihm zu dem
vollständigen Wirbelbogen zu vereinigen. Ein solcher entsteht also nicht aus
zwei, von der Wirbelsaite her das Rückenmark in einer und derselben Quer-
ebene umwachsenden Hälften, um mit den benachbarten Wirbelbögen erst
durch frei hervorwachsende Gelenkfortsätze verbunden zu werden; sondern
diese Verbindung wird von den ursprünglichen Bogenhälften selbst durch jene
rückwärts gerichtete Biegung ausgeführt, sodass die bereits vollzogene
Anlagerung jeder Bogenhälfte an die ihm nächste Stelle des dahinter liegenden
Bogens erst die Bildung besonderer Gelenkfortsätze hervorruft. In Folge
dieser Bogenbildung kann an senkrechten Querdurchschnitten natürlich niemals
der ganze Wirbelbogen, sondern abwechselnd nur das Paar seiner aufstrebenden
Seitentheile oder nur das sie verbindende obere Schlussstück zur Erscheinung
kommen.
In der eben beschriebenen Weise entwickeln sich vom Schädel angefangen
neue Wirbelb« »genpaare, hinter diesen aber noch zwei, deren Bildung etwas
einfacherist {Taf. XVIII Fig. 326. 327). Am zehnten Bogenpaare habe ich
allerdings die seitliche Bogenbildung noch beobachtet, doch kommen dort
hintere Gelenkfurtsätze nicht zur Entwicklung; ob aber statt dessen die sich
berührenden Knorpelbögen verschmelzen oder sich trennen, um später durch
eine noch zu erwähnende Knochenbildung wieder verbunden zu werden, habe
ich nicht ermitteln können. Am eilften Wirbelbogenpaare entwickeln sich
nicht einmal mein' die Anlagen der Gelenkfortsätze; doch schliesst es sich oben
zu einem vollständigen Wirbelbogen ab {Taf. XI Fig. 196, Taf. XIX Fig. 346).
Diese beiden Wirbelbögen sind aber erheblich niedriger als die übrigen, da
nicht nur ihre Scheitel unter die Höhe jener hinabsinken, sondern zugleich ihre
Basis nach hinten zu ansteigt. Hinter dem eilften Wirbelbogen erscheint noch
ein Paar Knorpelleisten, welche die Gestalt der allerersten Wirbelbogenanlagen
VII, Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 379
bleibend behalten und da ich sie über das nächstfolgende zwölfte Spinalnerven-
paar hinaus sich nicht erstrecken sah, als ein rudimentäres zwölftes Paar
knorpeliger Wirbelbögen angesehen werden dürfen. Die Wirbelsäule der
Unkenlarven besitzt also eilf vollständige und einen rudimentären knorpeligen
Wirbelbogen.
Wie bereits frühere Untersuchungen festgestellt haben , beginnt die Ver-
knöcherung der Wirbelbügen mit der Bildung einer oberflächlichen Faser-
knochenschicht, welche aus dem Perichondrium entsteht und daher die
Knorpelspangen wie eine Rinde überzieht. Ich habe es schon als wahrschein-
lich ausgesprochen, dass das Perichondrium zur ursprünglichen Wirbelbogen-
anlage gehört; daher kann ich auch den Faserknochen in seiner ersten Anlage
nicht als eine nachträgliche Anlagerung betrachten. Doch schliessen sich
spater unzweifelhaft Zellen aus dem umgebenden Bildungsgewebe dem Peri-
chondrium und Faserknochen an, um dieselben zu verstärken und wie ich gleich
zeigen werde, über den Bereich der knorpeligen Unterlage fortzusetzen. Dieser
Faserknochen entwickelt sich in der Weise, dass zuerst die die Zellen ein-
schliessende Grundmasse glasartig erhärtet , ohne körnige Kalkablagerungen
erkennen zu lassen ; darauf werden erst die anfangs platten oder länglichen
Zellen, wie es scheint durch eine Art von Schrumpfung, zu den zackigen Formen
der Knochenkörperchen umgebildet. Diese Knochenrinde überzieht aber nicht den
ganzen Wirbelbogen, sondern hört zu beiden Seiten der Medianlinie des oberen
Schlusses auf, sodass dort der Knorpel in einem schmalen, rückwärts sich etwas
verbreiternden und vorspringenden Streifen offen zu Tage liegt (Taf. XIX Fig.
346). Dieses Knorpelstück erhält sich länger unverändert als der vom Faser-
knochen bedeckte Knorpel, welcher einige Zeit nach der Metamorphose sich in
Knochen umzuwandeln beginnt. Später erhält es einen eigenen Knochenkern.
— Soweit nun die Wirbelbögen die Spinalganglien gleichsam einrahmen , also
an ihren aufsteigenden Wurzelstücken und am äusseren und unteren Umfange
ihrer rückwärts gewandten, horizontalen Abschnitte, bildet der Faserknochen
eine nach allen Seiten kontinuirlich abgeschlossene Hülse um jede Knorpel-
spange.^ Anders verhält es sich aber an den übrigen Th eilen der Wirbelbögen.
Zwischen den horizontalen Seitentheilen, welche vorn und hinten in die Gelenk-
fortsätze auslaufen, und der sie verbindenden queren Spange umfasst jeder
Wirbelbogen einen Raum, welcher von dem davor liegenden queren Bogen-
stücke zu einem annähernd halbmondförmigen abgeschlossen wird. In diesem
Raumeist eine derbe, bindegewebige Membran ausgespannt, welche auf Durch-
380 VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
schnitten als eine vun den Rändern der umgebenden Knorpelbögen entspringende
unmittelbare Fortsetzung des Faserknochens sich darstellt {Taf. IX Fig. 171.
177, Taf. XI Fig. 196). Sie schliesst sich der Dura mater ebenso fest an wie
die Wirbelbögen und verbindet dieselben zu einem kontinuirlichen Gewölbe,
welches von den aufsteigenden Wurzelstücken wie von Säulen getragen wird.
In diesem Gewölbe, welches mit seinen Seitenstützen und der sie tragenden
festen Unterlage (Wirbelkörper) den weichen Rückenmarkshäuten 'erst den
erforderlichen Halt verleiht, sind die knorpeligen queren Wirbelbogenstücke
und die zwischen ihnen ausgespannten sehnigen Membranen oder die Zwischen -
bogenbänder noch an ganz jungen Unken von gleicher Ausdehnung,
während später die Bänder bedeutend verkürzt, die Wirbelbögen beinahe bis
zur Berührung einander genähert erscheinen {Taf. XIX Fig. 346). Dieser
scheinbar unwesentlichen Veränderung liegen aber nicht die gewöhnlichen
Wachsthumsvorgänge zu Grunde, sondern sie wird hervorgerufen durch eine
nachträgliche Verknöcherung jener Zwischenbogenbänder, soweit sie die nach
hinten gerichtete Ausbiegung jedes Wirbelbogens ausfüllen. Dieser neugebildete
Knochen, welcher am vorderen Rande einen medianen Einschnitt zeigt, ver-
wächst vollständig mit dem ihn umfassenden ursprünglichen Wirbelbogen,
welcher dadurch in seinem oberen Schlussstücke nach vorn um das Doppelte
verbreitert wird und ferner seine Ausbiegung verliert, sodass sein ganzer Ver-
lauf nunmehr anders als in cler Larve in eine Querebene fällt*. Jeder Wirbel-
bögen eines älteren Thieres besteht also aus zwei genetisch gesonderten An-
lagen, eine Thatsache, welche sich vielleicht auch bei anderen Wirbelthieren
mit breiten Wirbelbögen nachweisen Messe. — Ueber die Unibildung des
Knorpels in Knochensubstanz führe ich hier nichts an, weil dieser Vorgang
einer relativ späten Lebenszeit unseres Thieres angehört und ferner auf d;is
rein histiologische Gebiet beschränkt mit keiner Formumbildung der betreffen-
den Skelettheile zusammenhängt. Dagegen ist an den Wirbelbögen noch
einer wichtigen Neubildung zu gedenken, nämlich der Entwicklung der queren
Fortsätze.
An der Stelle, wo die Wirbelbögen nach hinten umbiegen, wachsen
* "Wenn man an einer solchen Wirbelsäule die in der Verknöcherung begriffenen
knorpeligen Theile durch Kupfervitriol grün färbt, treten sie schon bei auffallendem Lichte
deutlich hervor, indem die sie einfassenden und sieh nicht färbenden Faserknochentheile
durch das unterliegende Pigment der Rückenmarkshüllen dunkel erscheinen {Fig. 31G).
Vir. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 381
knorpelige Fortsätze aus ihnen heraus und quer zwischen je zwei aus den Seg-
menten hervorgegangene Muskelbündel hinein , wobei ihnen der Weg durch
eine Theilung der Muskelplatten in je eine obere und eine untere Masse vorge-
zeichnet wird {Taf. XVIII Fig. 326. 327, Taf. XIX Fig. 338). Diese soge-
nannten Querfortsätze der Wirbel liegen also in den Linien, in denen sich
die bindegewebigen Schichten schneiden , welche die Muskelmasse der Wirbel-
säule theils quer, den Segmenten entsprechend, theils horizontal in zwei über
einander liegende Hälften theilen; auf diese Weise bilden die Querfortsätze die
Stützen dieses Bindegewebsgerüstes , ohne jedoch Differenzirungsprodukte
desselben zu sein, da sie deutlich nachweisbar von den Wirbelbögen auswachsen.
Diejenigen des 2. — 4. Wirbelbogenpaares entwickeln sich erst, nachdem die
seitlichen Bögen ganz vollendet sind, die übrigen noch später. Der erste und
der eilfte Wirbel sind hiervon ausgeschlossen ; doch habe ich ausnahmsweise
auch an dem letzteren Querfortsätze gefunden. Diese Fortsätze sind lateral-
wärts mehr oder weniger horizontal abgeplattet und verbreitert; und sobald
sie eine gewisse Länge erreicht haben, erkennt man an ihnen eine Theilung in
ein kürzeres Wurzelstück und ein längeres Aussenglied, indem die Zellen-
masso in einer zur Länge des Fortsatzes queren, scheibenförmigen Schicht
weicher bleibt und die Zellen länglich werden {Taf. X Fig. 192). Es ist die
selbe histologische Umbildung, durch welche die Entwickelung der Zwischen-
wirbelgelenke in den später zu erwähnenden Intervertebralwülsten eingeleitet
wird; und indem dadurch in einigen der queren Wirbelfortsätze noch lange
nach eingetretener Verknöcherung eine gewisse Beweglichkeit an jener Stelle
erhalten bleibt, stehe ich nicht an, dieselbe für ein rudimentäres Gelenk zu
erklären. Im allgemeinen ist diese Entwickelung allen queren Wirbelfortsätzen
gemeinsam; das Mass ihrer Ausbildung wechselt aber nicht unerheblich in den
verschiedenen Wirbeln {Taf. XIX Fig. 340). Die drei ersten Fortsätze (2. — 4.
Wirbel) sind gleich gebildet, ziemlich platt und breit, am Gelenke verdickt;
der zweite derselben (dritter Wirbel) ist der längste und lässt daher die Einzel-
heiten am bequemsten übersehen. Sein Aussenglied ist am Gelenke sehr dick,
nach aussen davon aber an der Oberseite stark ausgeschweift , sodass es einen
besonderen Gelenktheil mit leicht konkaver Gelenkfläche besitzt. Das laterale
Ende ist namentlich rückwärts hakenförmig verbreitert, und diese hintere
Spitze nähert sich dem entsprechenden Theile des folgenden Wirbels oft nicht
unbeträchtlich, Die Verknöcherung unseres Fortsatzes beginnt ebenfalls mit
einer Faserknochenrinde, welche am Wurzelstücke eine einfache Fortsetzung
3g2 VIT. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
vom Wirbelbogen her und am Gelenkwulste unterbrochen ist, um am Aussen-
gliede sich auf den mittleren Abschnitt zwischen dem Gelenktheile und dem
breiten Ende zu beschränken. .Die Verknöcherung des inneren Knorpels geht
dem entsprechend von zwei durch das Gelenk getrennten Ossifikationspunkten
im Wurzelstücke und im Aussengliede aus, sodass die ganze Gelenkpartie und
das laterale Ende des Aussengliedes noch in vollständig entwickelten Unken
knorpelig erscheinen. In älteren Thieren verknöchert endlich auch die erstere,
lässt sich jedoch noch lange in einem queren Wulste oder Höcker etwa in der
Mitte des ganzen Fortsatzes, wesentlich dem Gelenktheile des Aussengliedes,
wieder erkennen; das freie Ende des letzteren verknöchert aber niemals,
sondern bleibt durch das ganze Leben knorpelig. Aehnlich, nur bei etwas
geringeren Massen, sind die Verhältnisse des ersten und dritten Fortsatzes.
Die folgenden vier Fortsätze (5. — 8. Wirbel) sind viel schmächtiger und kürzer
als der zweite, und ihre Gelenke schwinden viel früher, wogegen die knorpeligen
Enden sich ebenfalls dauernd erhalten. Diese Fortsätze sind in Ueberein-
stimmung mit den Verschiebungen der queren Muskelgrenzen mehr oder
weniger bogenförmig nach vorn gerichtet {vgl. Taf. XIX Fig. 343). Derselbe
Verlauf und Erfolg der Verknöcherung wie bei ihnen findet sich auch am
achten und neunten Fortsatze (9. und 10. Wirbel), welche nur in ihrer Gestalt
auffällig abweichen. Der quere Fortsatz des neunten Wirbels ist bei der Unke
bekanntlich in seinem lateralen Theile beilförmig verbreitert und ansehnlich
grösser als alle übrigen, sodass sein knorpeliges Ende einen langen Saum
bildet. Der letzte Fortsatz endlich ist nicht immer rudimentär entwickelt ; an
der von mir abgebildeten Wirbelsäule eines beinahe erwachsenen Thieres ist
er auf der rechten Seite ebenso lang und nur schmäler als der vorangehende,
sodass die Knorpelsäume beider zu einer kontinuirlichen Platte verschmolzen
sind. Ob darin eine seltene Ausnahme oder ein häufigeres Vorkommen zu
sehen ist, habe ich festzustellen versäumt; jedenfalls lässt ein solcher Befund
vermuthen, dass auch an anderen, namentlich den vorderen Fortsätzen, deren
Knorpelenden ich bisweilen einander sehr genähert antraf, dieselben gelegent-
lich verschmelzen. — Damit schliesse ich die Entwickelungsgeschichte der
Wirbelbögen, der lateralen paarigen Grundlagen der Wirbelsäule und wende
mich zu dem unpaaren, axialen und zugleich ursprünglicheren Theile der
Wirbelsaite und ihrer äusseren Scheide.
Solange die knorpeligen Wirbelbögen noch wenig entwickelt sind, bleibt
die äussere Chordascheide, der sie mit ihren länglichen Basen an der oberen
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 333
Seitenlinie aufsitzen, in dem schon früher beschriebenen, im ganzen Umfange
der Wirbelsaite gleichförmigen Zustande. Ohngefähr zur Zeit, wenn die Quer-
fortsätze sich entwickeln, hört der indifferente Zustand auf. Zunächst verdickt
sich die ganze Oberseite der äusseren Chordascheide unter Vermehrung sowohl
der Grundsubstanz wie der Kerne zu einer festeren Unterlage für die Wirbel-
bögen, während ihre Bauch- und Seitentheile unverändert bleiben {Taf. IX
Fig. 171. 172). Sehr bald beginnt jene verdickte Oberseite sich in Knorpel-
substanz zu verwandeln und zwar in der Weise, wie ich es für die Knorpel-
bildimg mit reichlicher, ursprünglicher Interkapsularsubstanz beschrieb, was
sich also auch auf die Chordascheide in der Schädelbasis bezieht. Aber so
wenig jene Verdickung eine ebene Platte darstellt, so wenig ist auch die
Knorpelbildung in derselben eine nach Form, Ausbildung und Aenderung der
Zellen fortlaufend gleichförmige. Da die ursprüngliche, leistenförmige Basis
an jedem Wirbelbogen bestehen bleibt, so wird die äussere Chordasciieide nur
in der Mitte zwischen zwei Wirbelbogenpaaren, wo deren Basen aufhören, in
ihrem, ganzen Umfange frei daliegen; an diesen schmalen Stellen ist ihr
Durchschnitt siegelringförmig. Im Bereiche der Wirbelbogenbasen wird aber
ihre obere Platte, da sie viel schwächer ist als jene, von ihnen zu beiden Seiten
eingedrückt, und ihre Masse daher gegen die Mitte zusammengedrängt. Und
zwar beschränkt sich dieser Druck nicht bloss darauf, dass die mit der noch
unveränderten Chordascheide verwachsenen Wirbelbogenbasen deren spätere
Entwickelung von Anfang an beeinträchtigen ; sondern indem sie sich in der
Folge medianwärts verdicken und konvexe Anlagerungsflächen erhalten , wird
die zwischenliegende Masse der Chordascheide thatsächlich zusammenge-
drückt, sodass sie sogar in der Mitte etwas unter das Niveau der Wirbel-
bogenwurzeln einsinkt {Taf. IX Fig. 177, Taf. X Fig. 192). Diese Auffassung
wird wesentlich unterstützt durch die Bilder der Mediandurchschnitte {Taf. IX
Fig. 164). Aus diesen ergibt sich, dass jene freien intervertebralen, d.h. an
der Scheidegrenze zweier künftigen Wirbel gelegenen und beiden gemeinsam
angehörigen Abschnitte der Chordascheide anfangs mitsammt der Wirbelsaitc
quer nach oben ausgebogen sind , sodass die Ptückenlinie beider Theile feston-
artig verläuft, in den vertebralen Abschnitten sich einsenkt, in den interverte-
bralen aber zu einer Spitze erhebt. Die aus diesen Durchschnittsbildern
erschlossene plastische Form des axialen Haupttheils der künftigen Wirbel-
körper ist also auch bei unserem Thiere, wenigstens im oberen Theile, die
sogenannte doppelkegelförmige, wTelche ich mir eben dadurch entstanden
384 VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
denke, dass die vertebralen Abschnitte durch die Wirbelbogenbasen zusammen-
gedrückt und in Folge dessen die zugehörigen intervertebralen Theile in quere
Erweiterungen hervorgedrängt werden. Und der weitere Verlauf der Entwicke-
lung verleiht der Annahme dieser Formbedingungen noch einen Anhaltspunkt,
indem die unbehinderten intervertebralen Abschnitte der Chordasciieide gegen-
über den zwischen den Wirbelbogenbasen eingezwängten vertebralen ein auf-
fallend überwiegendes Wachsthum zeigen, und zwar in Uebereinstimmung mit
den vorausgesetzten Ursachen in querer Richtung. An diesen intervertebralen
Stücken der äusseren Chordascheide kommt zunächst ebenso wie an den verte-
bralen nur die dorsale, verdickte Platte in Betracht, welche dem Quer-
durchschnitte wie erwähnt die Form eines Siegelrings verleiht. Ihre starke
Wucherung äussert sich darin, dass sie sehr bald nicht nur den von der
Erweiterung der Wirbelsaite eingenommenen Raum jener dachförmigen Aus-
biegung ausfüllt, sondern darüber hinaus zu einem nach innen vorragenden
queren Wulste sich entwickelt, dessen fortdauernde Anschwellung die vorher
weitesten intervertebralen Stellen der Wirbelsaitc immer mehr von oben her
zusammendrückt und abplattet (Taf. IX Fig. 104 — 100. 178). Diese nach
oben und unten (aussen und innen) vorragenden intervertebralen Scheidentheile,
die Intervertebralwülste, sind aber auch histiologisch von den verte-
bralen in einer Weise unterschieden, dass daraus noch weitere Belege für. meine
Auffassung ihrer Formbedingungen geschöpft werden können (Taf. IX, X
Fig. 191 — 193). In den vertebralen Abschnitten wird die dorsale Platte der
äusseren Chordascheide sehr bald vollkommen knorpelig; die Merkmale aber,
welche si<> zu jeder Zeit sehr deutlich von den aufsitzenden Wirbelbogenbasen
unterscheiden , sind die zur Wirbelsaite koncentrische Anordnung ihrer Zellen
und das Aussehen der Interkapsularsubstanz , welche dunkler erscheint und
sich intensiver färben lässt als in dem angrenzenden älteren Knorpel. Ausser-
dem wachsen diese knorpeligen vertebralen Theile der Chordascheide kaum
merklich und erhalten sehr frühzeitig Kalkablagerungen. Unter den schräg
aufsitzenden Wirbelbogenbasen verdünnen sie sich lateralwärts, um darauf die
Seiten und die Bauchfläche der Wirbelsaite in dem unveränderten früheren
Zustande als nichtzellige , hautartige Schicht zu umgeben. Viel später als in
den eben beschriebenen Platten, den eigentlichen Kernen der künftigen
Wirbelkörper, erscheinen jene histiologischen Umbildungen in den Inter-
vertebralwülsten, welche ich daher nicht ohne weiteres Intetvertebralknorpel
nennen möchte. Schon in ihrer eisten, dachförmig ausgebogeneu Anlage
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 385
vermehren sich die freien Korne in der weichen Grundmasse ansehnlich und
strecken sich zugleich quer zur Körperaxe. In Uebereinstimmung mit der
Wucherung der ganzen Wülste steigert sich die Vermehrung der verlängerten
Kerne gegen die ideale Grenze zweier Wirbel; dort bilden sie lange Zeit eine
dunkele Scheidewand, welche den Intervertebralwulst in seiner Mitte quer
durchsetzt. Vor und hinter dieser Scheidewand , also gegen die anstossenden
vertebralen Knorpelplatten nimmt die Anhäufung der Kerne allmählich ab,
d. h. sie treten weiter auseinander, wobei sie ihre längliche Gestalt und quere
Lage verlieren. Dort beginnt auch die Knorpelbildimg, welche wie überall
im entstehenden Knorpel durch massig breite helle Säume um die freien Kerne
eingeleitet wird, zuallererst, um erst später und allmählich gegen die mittlere
Scheidewand des Intervertebralwulstes vorzudringen. Selbstverständlich wird
durch das Auseinanderrücken der Zellen eine Vergrösserung der zur Knorpel-
bildimg vorbereiteten Masse herbeigeführt, welche darauf an die oben bezeichne-
ten vertebralen Thcile der anstossenden Wirbelkörper sich anschliesst und
dadurch eine Längenzunahme derselben bedingt. Die vorderen und hinteren
Hälften der Intervertebralwülste stellen also die Epiphysen der Wirbelkörper
dar, welche, wie schon Gegenbaur nachwies, das Längenwachsthum derselben
wesentlich besorgen. Dies wird aber erst vollständig deutlich, wenn man sich
die Bedeutung der Verschiedenheit in den geschilderten histiologischen Zu-
ständen vergegenwärtigt. Wenn es unserer Ueberlegung natürlich erscheinen
möchte, dass überhaupt kein Gewebe in selbstthätig und stark wuchernden,
sondern nur in relativ zur Ruhe gekommenen Theilen sich weiter difierenziren
kann, so muss dies ganz besonders für die von mir beobachtete Knorpelbildung
gelten, weil dort nicht bereits fertige Zellen sich umzubilden haben, sondern
solche erst um freie Kerne herum hergestellt werden sollen. Daher lassen
sich die frühzeitige Verknorpelung und Verkalkung der vertebralen Platten der
äusseren Chordascheide füglich als eine Folge ihres langsameren Wachsthums
betrachten, während die Verzögerung derselben Vorgänge in der unmittel-
baren, intervertebralen Fortsetzung jener Platten auch schon vor dem Erschei-
nen deutlicher Intervertebralwülste die Stellen andeutet, wo ein überwiegendes
Wachsthum der äusseren Chordascheide sich vorbereitet. In innigem Zusammen-
hange damit steht unzweifelhaft die längliche Form und quere Lage der sich
rapid vermehrenden Kerne jener Wülste, indem sie ganz offenbar die Richtung
angeben , in welcher die Wucherung der einzelnen Elemente und der ganzen
Massen den freiesten Spielraum hat und andererseits dem stärksten Wider-
Goette, Entwickelmigsgeschichte. 25
3g(3 VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
stände ausgesetzt ist. Die Intervertebralwülste deuten also die begünstigten
Stellen der in einem gleichmässigen Wachsthum behinderten äusseren Chorda -
scheide an, von welchen aus der angesammelte Bildungsstoff in dem Masse, als
die vertebralen Widerstände seiner Ausdehnung bei der allgemeinen Verlänge-
rung des Körpers auseinanderrücken, sich den ursprünglichen Mittelstücken
der Wirbelkörper anpasst und sie verlängert. Nach dem Kausalzusammen-
hänge der Erscheinungen ist nun die Bildung der Intervertebralwülste, also
auch der Wirbelkörper, für eine Folge der Wirbelbogenbildung anzusehen;
und da diese von den ursprünglichen Segmentgrenzen abhängt, so ist auch die
Abgrenzung der ganzen Wirbelkörper, welche mit den Segmenten nicht
korrespondiren , immerhin aus einer mittelbaren , mechanisch morphologischen
Wirkung der allgemeinen Segmentirung zu erklären.
Diebisher allein betrachteten dorsalen Theile der äusseren Chordascheide sind
nun freilich die wichtigsten, aber nicht die einzigen Anlagen der Wirbelkörper,
in welche vielmehr auch bei unserem Thiere die Wirbelsaite mit ihrer ganzen
äusseren Scheide eingeht. Die lateralen und ventralen Theile der letzteren
bleiben an den vertebralen wie an den intervertebralen Abschnitten lange Zeit
in ihrer Textur vollständig indifferent; und selbst wenn endlich um ihre freien
Kerne Zellen sich zu bilden anfangen, so bewahrt das Gewebe zunächst auch
an den vertebralen Abschnitten, wo es aufwärts in die dorsalen Knorpelplatten
übergeht, den indifferenten Charakter, welcher am meisten noch mit der Be-
schaffenheit der scheidewandähnlichen Mitte der Intervertebralwülste überein-
stimmt {Taf. IX, X). Weit auffälliger ist die morphologische Veränderung
dieses grössten Theils der äusseren Chordascheide, welche sie aber nur im
engsten Anschlüsse an die Wirbelsaite ausführt. Ich erwähnte bereits, wie du'
Intervertebralwülste die darunterliegenden , vorher weitesten Abschnitte der
Wirbelsaite von oben her zusammendrücken, sodass dort gerade interverte-
brale Verengerungen derselben gegenüber den weiter bleibenden vertebralen
Theilen entstehen. Wenn man nun gegen das Ende der Larvenzeit die
intervertebralen Chordaabschnitte ganz geschwunden sieht, so liegt es aller-
dings nahe, diesen Schwund aus dem fortgesetzten Drucke der Intervertebral-
wülste zu erklären. Bei näherer Untersuchung ergibt sich jedoch, dass eine
Schrumpfung der Wirbelsaite unter entsprechender Faltung ihrer ganzen
inneren und des häutigen Theils der äusseren Scheide zu einer Zeit eintritt,
wann der Intervertebralwulst eben erst ihre Oberseite abgeplattet hat; und
dieses andauernde Zusammenfallen der Wirbelsaite in senkrechter Richtung
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 387
führt zu ihrem vollständigen Schwunde an den bezeichneten Stellen, wann die
Intervertebral wülste etwa so tief hinabgewachsen sind, dass sie bei passivem
Verhalten der Chorda erst deren Axenhöhe erreicht hätten (Fig. 16 '4 — 106).
Mag also die Atrophie der Wirbelsaite durch die Wirbelbildung gefördert
werden, so ist doch ihr Schwund nicht der einfache Ausdruck des von den
Intervertebralwülsten ausgeübten Druckes, sondern eine Folge ihrer inneren
Destruktion, deren Beginn ich bereits in der zellenzerstörenden Entwicklung
der Vakuolen erblicke. Während jenes Rückbildimgsprocesses muss natürlich
der gleichfalls schrumpfende häutige Theil der äusseren Chordascheide seine
beinahe ringförmige Gestalt einbüssen und zu einem ebenen , queren Bande
werden, welches sich der Unterfläche des Intervertebralwulstes eng anschliesst.
Dieses Band löst sich aber niemals von dem Wulste ab, dessen seitliche, untere
Fortsetzung um die Wirbelsaite herum es ursprünglich war, sondern ver-
schmilzt mit ihm nach dem Schwunde der letzteren in der ganzen Fläche , um
an der Bauch fläche dieser Anlage eines Zwischenwirbelgelenks in die gleichen
bindegewebigen Theile (Zwischenwirbelbänder) sich zu verwandeln, welche
oben von den oberflächlichen Schichten des Intervertebralwulstes selbst ge-
liefert werden. In der Gelenkregion geht also die Wirbelsaite, wenn sie auch
nicht in den Knorpel aufgenommen wird, immerhin innerhalb der einheitlichen
Wirbelanlage zu Grunde. — Noch deutlicher wird ihre Aufnahme in den
Wirbelkörper an den vertebralen Abschnitten. Dort fällt ihr Schwund ganz
auf Rechnung ihrer Atrophie, indem der darüberliegende Mitteltheil des
Wirbelkörpers seine zuerst gewonnene Form so gut wie gar nicht verändert,
also als eine in der Querrichtung nur wenig gewölbte Platte auf der Wirbel-
saite ruhen bleibt. Natürlich kann aber die letztere in diesen vertebralen
Abschnitten nicht so schnell schwinden wie unter den abwärts wuchernden
Intervertebralwülsten. Denn zur Zeit, wann die schrumpfende äussere Chorda-
scheide die letzteren bereits mit ihrer ganzen Fläche berührt, besteht zwischen
ihr und dem Mittelstücke jedes WTirbelkörpers noch ein viereckiger Raum,
dessen Höhe gleich ist dem Masse der unteren Vorragung der ihn vorn und
hinten abschliessenden Intervertebralwülste, und welcher noch von den verte-
bralen Resten der Wirbelsaite gefüllt ist ; diese Theile sind also auch bei den
Unken die am längsten persistirenden. Jene allseitig geschlossenen Räume
und die sie ausfüllenden Chordareste nehmen weiterhin in dem Masse ab, als
die unteren Vorragungen der Intervertebralwülste bei dem beschriebenen
Längenwachsthum des Wirbelkörpers sich zurückbilden; endlich beschränken
25
n*
388 ^ H- Die Wirbelsaitc und die Wirbelsäule.
sie sich nur noch auf die flache Wölbung des knorpeligen Wirbelkörpers , wor-
auf der Atrophie der Wirbelsaite in eigenthümlicher, gleich näher zu beschrei-
bender Weise ein Ziel gesteckt wird. Die zugehörigen unteren Theile der
äusseren Chordascheide geben nun freilich gegen das Ende des geschilderten
Rückbildungsprocesses ihren ursprünglichen kontinuirlichen Zusammenhang
mit den knorpeligen dorsalen Scheidentheilen oder eben dem Mittelstücke des
Wirbelkörpers auf, lösen sich aber dort, d. h. an der unteren Grenze der
Wirbelbogenbasen durchaus nicht von dem betreffenden Wirbel ab, sondern
passen sich ähnlich wie an den Intervertebralwülsten der anstossenden ober-
flächlichen Skeletschicht, nämlich dem Faserknochen an (Fig. 193). Es ver-
wandelt sich also der vertebrale untere Abschnitt der äusseren Chordascheide
schliesslich in die periostale Knochenrinde an der Bauchfläche des Wirbel-
körpers und geht somit ganz offenbar in den Bestand desselben ein, sowie er
jederzeit die unmittelbare Fortsetzung der bereits geschilderten Zwischen-
wirbelbänder bleibt. Dadurch werden aber natürlich die vertebralen Chorda-
reste in das Innere des Wirbelkörpers eingeschlossen, wo sie jedoch nicht völlig
zu Grunde gehen, sondern in bescheidenem Masse an seiner Bildung Antheil
nehmen. Während nämlich das Fachwerk der atrophischen Wirbelsaite sich
allmählich auflöst, erscheinen zwischen den zerrissenen und verknitterten
Membranen, namentlich an der Innenseite der in dichte Falten zusammenge-
zogenen inneren Scheide zuerst einzelne, dann immer zahlreichere Zellen,
welche theils körnig und pigmentirt, zum Theil wie echte Knorpelzellen aus-
sehen (Fig. 106). Da in der ausgebildeten Wirbelsaite unseres Thieres Zellen
nicht mehr vorhanden sind, und ich überdiess die im einzelnen verfolgte
Knorpelbildung niemals aus fertigen Zellen hervorgehen sah, so kann die
Annahme, dass jene sekundären Chordazellen um die freien Kerne herum
entstehen, keine Schwierigkeiten bieten. Nach dem völligen Schwunde der
früheren Scheidewände füllen die neugebildeten Knorpelzellen den Raum des
vertebralen Chordarestes immer mehr aus und schliessen sich , nachdem auch
die Reste der inneren Scheide sich vollständig verloren haben, dem darüber
befindlichen Knorpel in kontinuirlichem Zusammenhange an (Fig. 193). Aus
allen diesen Beobachtungen ergibt sich aber, dass die bisher so oft wiederholte
Lehre von der „epichordalen Wirbelbildung" der Unke und einiger anderen
Anuren, wonach die Wirbelsaite und ihre Scheiden in ein kontinuirliches Band
verwandelt würden, welches ausserhalb der darüber entstehenden Wirbelsäule
zu Grunde gehen soll, eine durchaus irrige ist. Rinnenförmige Vertiefungen
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 389
sind nur unter den Mittelstücken der Wirbelkörper vorhanden, welche aber
durch die nach unten vorragenden Intervertebralwülste in ebenso viele Ab-
schnitte geschieden werden, als Wirbel vorhanden sind. Die in diese ge-
trennten Vertiefungen eingelagerten Abschnitte der Wirbelsaite sind nicht ein-
mal dann, wenn sie ihre intervertebralen Verbindungen bereits eingebüsst
haben, also in getrennte Stücke verwandelt sind, mit einem platten und gar
bindegewebigen Bande zu vergleichen-, später erfolgt aber, wie ich gezeigt
habe, eine solche Umbildung der isolirten Chordareste ebensowenig als ihre
Lösung von den Wirbeln und ein darauffolgender völliger Schwund , indem sie
in Knorpel verwandelt die früheren Vertiefungen der vertebralen Knorpel-
platten ausgleichen und mit der verknöchernden Scheide die kleine untere
Hälfte des vollständigen Wirbels bilden. Auch sind diese Thatsachen durchaus
nicht schwer nachweisbar , und man überzeugt sich von denselben schon mit
Zuhilfenahme der Lupe oder selbst mit unbewaffnetem Auge an jungen Unken
während und nach der Metamorphose. Anfangs, wenn die atrophische Wirbel-
saite sich noch mit einiger Mühe als kontinuirliches Gebilde von der Bauch-
saite der Wirbelsäule ablösen lässt , geschieht dies gerade an den weniger ver-
dünnten vertebralen Abschnitten ziemlich leicht, während die einzigen band-
artigen Theile , nämlich die schmalen intervertebralen Streifen , mit den Inter-
vertebralwülsten bereits fest zusammenhängen, sodass sie nur bei stärkerem
Zuge sich ruckweise von den letzteren trennen oder selbst mitten durchreissen.
Etwas später lässt sich eine Kontinuität der Wirbelsaite durchaus nicht mehr
darstellen und die getrennten, aber noch weichen vertebralen Chordareste sind
durch eine derbe Haut nach unten abgeschlossen, durch welche man vermittelst
eines tastenden Instruments den Eindruck einer Fluktuation empfängt. Diese
Haut oder die äussere Chordascheide lässt sich aber an ihren schon theilweise
verknöcherten Rändern ohne gewaltsame Zerreissung vom Wirbelkörper nicht
mehr trennen; und indem ihre Verknöcherung fortschreitet, wird auch die
breiige Innenmasse oder der eigentliche Chordarest durch seine Umwandlung
in Knorpel ganz fest.
Die Wirbelkörper der Unke entstehen demnach ungleich wie die Wirbel-
bögen aus mehren verschiedenen Anlagen. Unter diesen steht die äussere
Chordascheide obenan, an der sich unter dem Einflüsse der Wirbelbogen-
bildung die vertebralen Abschnitte von den epiphysenartigen Intervertebral-
wülsten scheiden. An beiderlei Theilen sind es bei unserem Thiere die dorsalen
Hälften, welchen der Haupttheil der Bildung zufällt; die unteren Hälften
390 ■ VI1- Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
schliessen sich den ersteren als untergeordnete peripherische Schichten der
Bauchfläche des Wirbels an. Dadurch wird die atrophische Wirbelsaite freilich
in das Innere des Wirbels , nur nicht in seinen Axentheil aufgenommen ; unter
den Epiphysen obliterirt sie dicht unter der oberflächlichen Bandmasse voll-
ständig, an den Mittelstücken bildet sie ohngefähr das untere Drittheil der
Knorpelmasse. Es ergibt sich daraus , dass die Axe der eben erst angelegten
Wirbelsäule, welche anfangs natürlich mit ^derjenigen der Wirbelsaite zu-
sammenfiel , während der Atrophie der letzteren immer höher bis in die dor-
sale Platte der äusseren Chordascheide hinaufrückt. Daher müssen die
Wirbelbogenbasen , welche den primitiven doppelkegelförmigen Wirbelkörpern
ganz oben aufsassen , den sich nach oben zusammenziehenden Körpern endlich
vollständig seitlich anliegen, was noch dadurch unterstützt wird, dass die
Krümmung der Wirbelbögon im Laufe der Entwickelung von oben her
zusammengedrückt wird, und daher ihre Wurzelstücke sich stark zur Seite
neigen. Dadurch werden aber ihre Basen ganz und gar in den anatomischen
Bestand der Wirbelkörper aufgenommen , welche in Folge dessen eine breitere
Form annehmen.
Sowie schon hinsichtlich der Bögen der erste und die letzten Wirbel sich
von den übrigen unterscheiden, gilt auch die voranstehende Beschreibung der
Wirbelkörper vollständig nur für den 2.— 8. Wirbel. Der erste Wirbelkörper
enthält freilich keine neuen Theile, zeigt aber doch gewisse Abweichungen.
Minder wesentlich erscheint es, dass dierWirbelbogenbasis am ersten und theil-
weise auch noch am zweiten Wirbel von Anfang an an der Seite tiefer hinabreicht
und so sich den gleichen Verhältnissen im hintersten Theile der Schädelbasis
anschliesst; denn diese Abweichung wird später durch die beschriebene relative
Lagcveränderung der übrigen Wirbelbogenbasen wieder ausgeglichen {Taf. IX
Fig. 170. 170). Bemerkenswerther ist die Thatsache, dass aus dem allerdings
schwach entwickelten Intervertebralstücke zwischen dem ersten Wirbelkörper
und der Schädelbasis sich kein ( relenk ausbildet {Taf. IX Fig. 166). Dies steht
jedenfalls damit in Zusammenhang, dass das hinten; Bogenpaar der Schädelbasis
nicht rechtwinkelig zur Wirbelsaite, sondern schräg nach aussen und hinten
aufsteigt, sodass zwischen seiner Basis und derjenigen des ersten Wirbels ein
viel grösserer Zwischenraum entsteht als zwischen den anderen Wirbelkörpern.
In diesem Räume verwandelt sich nun die (jolenkanlage der äusseren Chorda-
scheide in ein starkes Band, indem sie noch vor der Bildung einer vollkommenen
Knorpelmasse ihre Entwickelungsrichtung ändert und häutig wird. Dieses
VII. Pie Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 39]
Band ist also nicht etwa den übrigen Zwischenwirbelbändern, sondern nur den
Gelenken selbst vergleichbar, besonders da unter ihm die atrophische Wirbel-
saite mit den übrigen Theilen ihrer Scheide sich dem von der Schädelbasis
zum ersten Wirbel hinüberziehenden Periost anschliesst, und so eine von An-
fang an rein bindegewebige Verbindung beider Skelettheile von dem nachträg-
lich umgebildeten Gelenke sondert. Die bezeichnete Krümmung der Occipital-
bögen lässt sie ferner das Bogenpaar des ersten Wirbels in viel geringerer
Höhe erreichen, als es bei den übrigen Wirbeln der Fall ist, sodass, wenn auch
die an den beiden lateralen Berührungsstellen entstandenen Gelenke sich
physiologisch als Stellvertreter der zwischen den Wirbelkörpern bestehenden
einfachen Gelenke darstellen mögen, ihre genetische Bedeutung als Zwischen-
bogengelenke doch nicht in Zweifel gezogen werden kann.
Vom neunten Wirbel rückwärts tritt zu den bereits besprochenen Anlagen
der Wirbelkörper noch ein besonderes , nur dieser Gegend der Wirbelsäule
eigen thümliches Stück, nämlich ein in dem Bauchtheile der äusseren Chorda-
scheide sich entwickelnder Knorpelbalken, der ohngefähr unter der Mitte des
neunten Wirbels anfängt und rückwärts eine ansehnliche Strecke über die
letzten Wirbelbogenanlagen hinaus reicht (Taf. XI Fiy. 196). Seine erste
Entstellung ist mir nicht bekannt; da ich aber die Knorpelbildung in der
äusseren Chordascheide an anderen Stellen kennen gelernt habe, so zweifele
ich nicht daran, dass auch jener Knorpelbalken ebenso entsteht. Zwischen
demselben und der Wirbelsaite bleibt noch ein schmaler Streifen unveränderten
Gewebes von der äussern Chordascheide bestehen ; an beiden Seiten geht er
kontinuirlich in die gleichfalls noch unveränderten lateralen Theile derselben
über, welche sich oberhalb der Wirbelsaite vom zehnten Wirbel an rückwärts
ganz besonders deutlich von denWirbelbogenbasen abgrenzen {Taf. IXFig. 179).
Sobald die Schrumpfung der Wirbelsaite überhaupt anfängt, wird sie unter
dem neunten Wirbel zuerst platt zusammengedrückt, indem das Vorderende
des Balkens sich in die ventrale Ausschweifung der oberen Knorpelplatte ein-
fügt, um so einen Theil der untern Hälfte des künftigen Wirbelkörpers zu
bilden (Fig. 196). Die Wirbelsaite zieht sich daher hinter dem achten
Zwischenwirbelgelenk in die Höhe, um aus dem Bauchtheile des achten
Wirbelkörpers in die Axe des neunten zu gelangen und diese Lage in den
folgenden Wirbeln zu behalten, woselbst sie aber noch längere Zeit annähernd
cvlindrisch bleibt.
Hinter dem zehnten und 'hinter dem eilften Wirbelbogen, welche beide
QQO VII. Die Wirbclsaitc und die Wirbelsäule.
einen oberen Schluss sehr deutlich erkennen lassen, bilden sich ebenfalls die
Gelenkanlagen gerade so wie zwischen den übrigen Wirbelkörpern, sodass an
der vollständigen , diskreten Anlage jener beiden Wirbel nicht zu zweifeln
ist, obwohl später die Gelenke sich nicht ausbilden , sondern einer Verschmel-
zung der Wirbelbogenbasen Platz machen. An die Basis des eilften Wirbel-
bogens schliesst sich dann die epichordale Knorpelplattc des rudimentären
zwölften Wirbels an, an deren Ende ich ebenfalls eine quere Ausbiegung als
Andeutung eines rudimentären Intervertebralwulstes fand. Dahinter hört die
Knorpelbildung im dorsalen Theile der äusseren Chordascheide ganz auf und
zieht sich nur noch der hypochordale Knorpel eine Strecke weit unter der
Wirbelsaite hin; und da in Folge der frühzeitigen Verkümmerung des Schwanzes
der Amiren auch die Atrophie der Wirbelsaite und ihrer nicht weiter entwickel-
ten Scheide dort früher beginnt, so stellen sich ihre Reste schon zur Zeit der
Metamorphose als ein plattes Band dar, Avelches auf der ziemlich ebenen Ober-
seite des hypochordalen Knorpelbalkens ruht (Taf. IX Fig. 180). — Alle
hinter dem neunten Wirbel liegenden Theile des Stammskelets verschmelzen
später zu dem sogenannten Steissbein der Amiren, welches also in seiner
vorderen und hinteren Hälfte verschieden zusammengesetzt ist ; beiden gemein-
sam ist als bleibender Bestandtheil der kontinuirliche Knorpelbalken, dazu
kommen in der vorderen Hälfte drei Wirbelanlagen [Taf. XI Fig. 196, Taf. XIX
Fig. 346). Diese verschmelzen nicht nur mit ihren Körpern, sondern auch im
Bogentheile durch eine vollständige Verknöcherung der Zwischenbogenbänder zu
einer engen Röhre, welche nur an jeder Seite zwei feine, später ziemlich weit von
einander entfernte Löcher zeigt, deren Bedeutung durch die austretenden zehnten
und eilften Nervenstämme* genügend bezeichnet wird, sodass dadurch Zahl und
Grenzen der diesem Skelettheile zu Grunde liegenden Wirbel auch an alten Thieren
deutlich kenntlich bleiben. Diese hinter dem letzten (zwölften) Wirbelbogen und
zwar vor der Mitte des ausgebildeten Steissbeins frei ausmündende, im späteren
Leben ausserordentlich enge Röhre ist also eine unzweifelhafte , nur nach der
relativen Zusammenziehung des Rückenmarkes unbenutzte Fortsetzung des
Rückenmarkskanals. In ihrem dicken Boden wird aber die Wirbelsaite nicht
einfach zum Schwunde gebracht, indem sie zwischen dem epichordalcn und
dem hypochordalen Knorpel zusammengepresst würde, sondern ich sah dort
* Das zarte letzte (eilfte) Nervenpaar scheint bisher übersehen worden zu sein (vgl.
Ecker Nr. 41 Taf. XXIV Fig. I. II).
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 393
eine Knorpelbildung grade so wie in den übrigen Wirbeln und namentlich in
der oberen Hälfte sich vollziehen, sodass sie jedenfalls an der Verbindung jener
beiden Knorpeltheile thätigen Antheil nimmt. Hinter diesem vorderen, aus
drei Wirbeln zusammengesetzten Abschnitte des Steissbeins besteht der hintere
in Ermangelung jeder Wirbelanlage wesentlich aus dem kontinuirlichen hypo-
chordalen Knorpel , sodass dieser letzte Abschnitt der Wirbelsäule weder mit
ganzen Wirbeln noch mit Wirbelkörpern verglichen werden kann. Dieses
einfache Ende der Wirbelsäule ist anfangs sehr kurz, da es dicht hinter dem
zwölften Spinalnervenpaare, also auch dem zwölften Wirbelbogenpaare aufhört
(vgl Taf. XIX Fig. 343). Später wächst es mit dem ganzen Stcissbeine in
bedeutendem Masse; seine hintere Spitze bleibt stets knorpelig.
Da alle Beobachter von Duges an die Wirbelbildung der Unke und
der ihr darin nächstverwandten Batrachier (Pelobates, Hyla, Pipa) als nicht
unwesentlich verschieden von derjenigen der übrigen Amphibien behandeln, so
will ich meine Untersuchungen an den letzteren, und zwar sowohl Anuren als
Salamandrinen zu leichterem Vergleiche hier folgen lassen. Die sogenannte
perichordalc Wirbelentwickelung des grünen Frosches und der Kreuzkröte fand
ich nur in untergeordneten Punkten von der unpassenderweise sogenannten
epichordalen Wirbelbildung unterschieden. Die Grundlagen der Wirbelsäule,
die Wirbelsaite, die sie cylindriseh einschliessende äussere Scheide und die knorpe-
ligen Wirbelbogenanlagen sind bei allen Anuren die gleichen; und da ferner
überall die Bögen sich in gleicherweise weiter entwickeln, die äussere Chorda-
scheide vollständig in die Wirbelkörper aufgeht und die Wirbelsaite daher in
deren Inneres aufgenommen wird, so besteht die Verschiedenheit lediglich in
der äusseren Form der aus der Scheide hervorgehenden Theile. Ihre verte-
bralen Abschnitte bleiben nämlich in der Gruppe der Frösche und Kröten
gleichmässig cylindriseh und verknöchern ringförmig*, wesshalb sich auch die
entsprechenden Chordareste in derselben Gestalt und in der Mitte des Wirbel-
körpers erhalten; während das einseitig dorsale Wachsthum derselben Anlage
in der anderen Amirengruppe [Bombinator , Hyla] zur Abplattung des Piinges
und zu einer relativen Verdrängung des ebenso gestalteten vertebralen Chorda-
restes-in die untere Hälfte des Wirbelkörpers führt, Die häufig dauernde
Konservirung solcher Reste bei den Fröschen kann keine besondere Bedeutung
* Der Knorpelknochen ist nicht gleich anfangs ringförmig, sondern fliesst zu dieser
Form aus zwei Seitenhälften zusammen, welche sich oben früher vereinigen als unten,
394 VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
beanspruchen, da sie zuweilen an einzelnen Wirbeln dieser Thiere und bei den
zu derselben Gruppe gehörenden Kröten durchweg vermisst wird. Der Unter-
schied in der Entwickelung der intervertebralen Wülste ist eigentlich noch
geringfügiger, indem die ursprünglich einfache Ringform der intervertebralen
Scheidentheile überall verändert wird. Zunächst ist deren Erweiterung hervor-
zuheben, welche die Doppelkegelform der primitiven Wirbelkörper , wenn auch
vorübergehend, herbeiführt. Diese Erweiterung ist aber nicht vollständig ring-
förmig, sondern bei der Unke und dem Laubfrosche nur in der dorsalen Platte
ausgeführt, bei den Fröschen vorherrschend an den Seiten angedeutet. Damit
hängt auch die gleiche Ausbildung des eigentlichen Wulstes zusammen, welcher
dort einseitig dorsal, hier in zwei lateralen Seitenhälften sich entwickelt und daher
die eingeschlossenen Chordaabschnitte einerseits zu einer horizontalen und tiefge-
legenen, andererseits zu einer senkrechten, medianen Platte zusammenschnürt.
Da jedoch die Kröten, wie schon Gegenbatjr nachwies [Nr. 88 S. 23] und ich
bestätigen kann, mit ihren aufwärts konvergirenden intervertebralen Wülsten
ganz offenbar einen Uebergang der rein lateralen zur dorsalen Lage derselben
darbieten , und ferner jene verschiedenen Formen und Lagen der Wirbelsaite
in der hinteren Schädelbasis jedes einzelnen Individuums dicht auf einander
folgen, so wird man jenen Unterschieden keinen besonderen Werth beimessen
können.
Hat man einmal den in den wesentlichen Punkten allen Anuren gemein-
samen Verlauf der Wirbelbildung vollständig erkannt, so wird man in der
Entwicklungsgeschichte der Wirbel der Salamandrinen , wenn man von den
später zu erwähnenden accessorischen Querfortsätzen und unteren Bögen absieht,
ebenso wenig erhebliche Abweichungen von der ersteren Entwickelungsform
Hnden, als die perichordale und epichordale Form einander entgegen gestellt
zu werden verdienen. Die Entwickelung der Wirbelsaite und ihrer Scheiden
fand ich, wie bereits erwähnt, bei den Tritonen und der Salamandra maculata
durchaus übereinstimmend mit derjenigen der Anuren. Im weiteren Fortgange
der Wirbelbildung offenbart sich an diesem unpaaren, axialen Ilaupttheile
eine grössere Regel mässigkeit, als sie bei den Anuren vorkommt und anderer-
seits eine länger dauernde Sonderung von den paarigen, lateralen Wirbel-
anlagen, den Wirbelbögen (Tu f. X Fig. 194, 195). Diese letzteren kommen in
ihrer knorpeligen Anlage niemals mit knorpeligen Theilen der äusseren Scheide
in Berührung, deren vertebrale Abschnitte selbst nach eingetretener Ver
knöchcrung eine Zellenbildung um ihre freien Kerne vermissen lassen; anderer-
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. :;«,).">
seitshabe ich an älteren Salatnanderlarven die Wirbelsaite mit ihrer verknöcher-
ten Scheide durch die aufsitzenden Wirbelbogenbasen sehr deutlich eingedrückt
gesehen, sodass darin der von mir angenommene Einfluss der Bogenbildung
auf die Entwicklung der Wirbelkörper zum tatsächlichen Ausdrucke kommt.
Doch ist die bleibende Doppelkegelform der letzteren nicht allein jenem Ein-
flüsse, sondern zugleich dem Umstände zuzuschreiben, dass die vertebralen
Abschnitte der äusseren Chordasciieide schon in dieser ursprünglichen Gestalt
verknöchern und zwar im ganzen Umfange der Wirbelsaite in gleichmässig dünner
Schicht. Dabei wird die homogene Grundmasse glasartig und zeigt noch längere
Zeit die ausserordentlich platten , daher blass und gross erscheinenden freien
Kerne. Was aus diesen letzteren in der späteren Entwickelungszeit wird, weiss
ich nicht. Die Intervertebralwülste sind von Anfang an ebenfalls gleichmässig
ringförmig angelegt und bezeugen durch ihre Verdickung und die dichte An-
häufung ihrer Elemente gegenüber jenen vereinzelten platten Kernen der
vertebralen Abschnitte, dass die Wucherung der äusseren Chordasciieide
wesentlich auf die intervertebralen Wülste beschränkt ist. Ihre Kerne sind
wie bei den Anuren je näher der Mitte, um so mehr in querer Richtung lang-
gestreckt und schon früh von zarten Zellengrenzen umgeben. Die Knorpel-
bildung erfolgt jedoch nur in der inneren Hauptmasse des Wulstes; die
äusserste Schicht verknöchert dagegen im Anschlüsse an die zarte vertebrale
Knochenrinde , sodass die letztere mit entsprechend zunehmender Erweiterung
ihres Randes allmählich bis zur queren Mittelebene des Intervei tebralwulstes
vorrückt. Der letztere schnürt darauf, nach innen wuchernd , die Wirbelsaite
ringförmig ein und bringt sie dort endlich zum völligen Schwunde; doch
bleiben ihre vertebralen Erweiterungen nicht unverändert bestehen , sondern
werden, wie es Gegenbaub, entdeckt hat, in der Mitte ihrer Länge von einer
in der Wirbelsaite selbst entwickelten Knorpelmasse durchwachsen. Nur kann
ich mit Gegenbaue darin nicht übereinstimmen, dass dieser Knorpel bloss aus
der Rindenschicht, also ausserhalb des eigentlichen Gallertkörpers und diesen
ringförmig zusammenschnürend aus dort zurückgebliebenen embryonalen
Zellen entstehe. Die letztere Annahme wird, wie ich zeigte, durch die früheste
Entwickelungsgeschichte der Wirbelsaite und dadurch hinfällig, dass die
Knorpelzellen auch mitten im Gallertkörper entstehen, wo von zurückge-
bliebenen embryonalen Zellen keine Rede sein kann. In der protoplasmatischen
Rindenschicht wie im Gallertkörper sehe ich ganz übereinstimmend mit allen
meinen übrigen Befunden über die Knorpelbildung die Zellen um die freien
396 VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
Kerne sich entwickeln. Am ersten Orte beginnt dieser Vorgang schon zur
Zeit, wann die Intervertebrahvülste nach innen zu wuchern beginnen. Die
neu entstandenen Knorpelzellen nehmen in dem Masse, als sie durch fort-
dauernde Neubildungen und vielleicht auch durch nachträgliche Theilungen
sich vermehren und durch Waehsthum sich vergrössern, einen immer grösseren
Raum in Anspruch, Avas natürlich nur auf Kosten des schrumpfenden Fach-
werks und der allmählich aufgesogenen Flüssigkeit des Gallertkörpers ge-
schehen kann. So wird der letztere nicht nur von aussen zusammengedrückt,
sondern auch von innen her zum Schwunde gebracht, wesshalb man auch an
Querdurchschnitten, welche für diese Beobachtung sich besonders empfehlen,
in dem zusammengeschnürten Gallertkörper die Ueberreste seines Fachwerkes
zwischen den Knorpelzellen unregelmässig vertheilt findet. Etwas vor oder
hinter der Mitte des Wirbelkörpers, also im Bereiche der vertebralen Fort-
setzung des Intervertebralknorpels zeigen die Durchschnitte älterer Larven eine
gleichmässige Knorpelscheibe, deren Centrum durch eine vielfach gewundene
glänzende Linie, den Durchschnitt der gefalteten und am längsten erhaltenen
inneren Chordäscheide von der breiten ringförmigen Peripherie (Intervertebral-
knorpel) getrennt wird; woraus man deutlich erkennt, welchen Antheil an der
Bildung des Wirbelkörpers der Gallertkörper selbst und die protoplasmatische
Rindenschicht haben. — So finde ich an den Salamandrinen die Wirbelbildung
der Anuren im wesentlichen wiederholt. In beiden Batrachiergruppcn lassen
sich nach der Entstehung und theilweise auch nach dem späteren histologischen
Verhalten zweierlei Wirbelanlagen unterscheiden: die Bögen und die Wirbel-
saite mit ihrer äusseren Scheide. In beiden Gruppen geben die knorpeligen
Wirbi'lbogenanlagen die Veranlassung zur Bildung der intervertebralen Erwei-
terung der unpaaren Anlage der Wirbelkörper und später der Intervertebral-
wiilste. Indem aber die ursprüngliche Doppelkegelform bloss bei den Salaman-
drinen durch die frühzeitige Verknöcherung fixirt, bei den Anuren dagegen
durch fortschreitende Entwickelung unkenntlich wird, ergeben sich die späteren
Unterschiede der Wirbelkörper als verschiedene Entwickelungsstufen desselben
Vorganges; ebenso wie die ringförmigen intervertebralen Einschnürungen der
Wirbelsaite den gleichmässigen und daher gewissermassen indifferenten
ursprünglichen Zustand gegenüber den verschiedenen bei den Anuren Platz
greifenden Modifikationen im Wachsthume der äusseren Chordascheide dar-
stellen. Selbst in den histologischen Verhältnissen lassen sich nur solche
graduelle Unterschiede der Entwickelung nachweisen, denn die äussere
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 397
Cliordascheide zeigt bei allen Batrachiern ursprünglich dieselbe Zusammen-
setzung, welche bei den Salamandrinen durch die vorzeitige Verknöcherung in
den vertebralen Abschnitten jedenfalls Längere Zeit erhalten bleibt, während
sie bei den Anuren in Abwesenheit dieser konservirenden Ursache zur Knorpel-
bild img hinüberführt. Andererseits ist aber in der Textur der Intervertebral-
wülste und selbst in der Entwickelung des „Chordaknorpels" die vollkommene
Uebereinstimmung beider Batrachiergruppen nicht zu verkennen.
Der voranstellende Vergleich bezieht sich, da den Anuren eine Schwanz-
wirbelsäule fehlt, natürlich nur auf die Rumpfwirbel. An den Schwanzwirbeln
der Salamandrinen kommen ausser den bisher genannten Stücken noch die
unteren Bögen hinzu, welche eine vollständige Wiederholung der oberen
darstellen. Sie entstehen in knorpeliger Anlage zu beiden Seiten der Bauch-
fläche des Wirbels, sind also ebenfalls selbstständige, von der äusseren Chorda-
scheide nicht abzuleitende Neubildungen ; auch folgen sie beim Hinabwachsen
der Innenseite der Segmentmuskeln , um innerhalb des von den letzteren unter
der Wirbelsäule eingeschlossenen Raumes mit ihren Spitzen sich zu vereinigen.
Diese Vereinigungsstelle ist bei Salamandra knopfartig verdickt und bleibt
am längsten knorpelig. — Ausserdem verdienen die seitlichen Wirbelfortsätze
der Salamandrinen eine besondere Erwähnung. Sie wachsen gerade so wie
bei den Anuren in knorpeliger Anlage aus den oberen Bögen hervor und
zwischen die segmentalen Muskelmassen hinein, welche sie quer durch-
setzen , sodass ihre Enden meist an der Aussenseite der Muskelmassen frei
zu Tage treten. Sie verknöchern auch in ähnlicher Weise wie bei den
Anuren, d. h. die Faserknochenrinde und die spätere innere Verknöcherimg
sind in den medialen Hälften der Fortsätze durch einen knorpeligen Gelenk-
theil unterbrochen und lassen auch das laterale Ende frei. Das Merkwürdigste
an diesen seitlichen Wirbelfortsätzen der Salamandrinen ist aber der Umstand,
dass sie an jedem Rumpfwirbel jederseits doppelt auftreten und darauf in
eigenthümlicher Weise verschmelzen. Die beiden Fortsätze einer Wirbelbogen-
hälfte entspringen über einander, der obere etwas unter der Höhe der Gelenk-
fortsätze, der untere nahe der Wirbelbogenbasis. Die unteren Fortsätze sind
überall gut entwickelt und setzen sich auf die Schwanwirbelsäule fort. Im
vorderen Rumpfe, und zwar in grösserer Ausdehnung bei den Tritonen als bei
Salamandra, treten sie unter dem mittleren Seitennerven oder der eigentlichen
Seitenlinie aus den segmentalen Muskelscheidewänden hervor und biegen dann
mit ihren stets knorpelig bleibenden Enden, welche bisweilen (Salamandra)
398 VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
ähnlich wie bei den Annren verbreitert sind, nach unten um (Taf. XIX Fig. 341).
Im hinteren Rumpfe werden sie (mit Ausnahme der Kreuzbeinwirbel) etwas
kürzer, noch mehr im Schwänze. Da die Grenze der oberen und unteren
Muskelhälften namentlich im vorderen Rumpfe bei den Salamandrinen anders
wie bei den Anuren unter das Niveau der Wirbelbogenbasis hinabsinkt, so
beschreiben die unteren Fortsätze, um zwischen jene Hälften zu gelangen, in
ihrem medialen Theile (Wurzelstück und Gelenktheil des Aussengliedes) einen
nach aussen und oben konkaven Bogen (Taf. XIX Fig. 340). Die oberen
Fortsätze sind besonders in ihren Aussengliedern kürzer als die unteren ; bei
den Tritonen bleibt aber das Längenverhältniss beider durch den ganzen
Rumpf ziemlich gleichmässig, während die oberen Fortsätze der Salamander-
larven sich nach hinten zu auch relativ stark verkürzen. Im vorderen Rumpfe
beschreiben die oberen Fortsätze von ihrem Ursprünge an einen nach aussen
und oben konvexen Bogen, dringen also zwischen die oberen Muskelhälften ein
und erreichen darauf erst die unteren Fortsätze, sodass die Aussenglieder
beider sich anein and erlegen und endlich verschmelzen. .Von dieser Ver-
schmelzung sind einmal die medialen Gelenkenden jener Aussenglieder ausge-
nommen , welche gegen die zugehörigen Wurzelstücke divergiren ; ferner auch
die lateralen Enden der oberen Aussenglieder an den ersten Wirbeln von Sala-
mandra und im ganzen vorderen Rumpfe der Tritonen, welche Enden aufwärts
gekrümmt über der Seitenlinie aus den Muskeln hervortreten (Taf. XIX
Fig. 341). Die lateralen Enden der unteren Aussenglieder nehmen an der
Verschmelzung natürlich nirgends Theil, da sie über die oberen Aussenglieder
mehr oder weniger weit hinausragen. Weiter rückwärts werden die beschrie-
benen Bögen der beiderlei Fortsätze flacher, die von ihnen umschlossene
Oeffnung kleiner; die oberen Aussenglieder der Salamanderlarven werden dort
so klein , dass sie eigentlich nur das obere Gelenkende des aus der Verschmel-
zung hervorgehenden Skeletstücks bilden. An einem oder zwei Kreuzbein-
wirbeln werden alle Theile der beiden Fortsätze stärker, dahinter verlieren
-ich jedoch die. oberen vollständig. — Im weiteren Verlaufe der Entwickelung
verschmelzen auch die doppelten Wurzelstücke von ihrer Basis aus , sodass in
den fertig ausgebildeten Salamandrinen nur noch die gespaltenen Gelenkenden
der scheinbar einfachen Wurzelstücke und Aussengliedern die doppelte Anlage
anzeigen. Diese fertigen Skeletstücke werden, da ihre Artikulation sich bei
den Salamandrinen zeitlebens erhält, als Querfortsätze und Rippen unter-
schieden; alsdann niuss natürlich auch die von mir beschriebene Gliederung
Vir. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 399
der seitlichen Wirbelfortsätze der Anuren in gleicher Weise gedeutet werden,
sodass man dieselben im vollendeten Zustande als mit einander verwachsene
Querfortsätze und Rippen aufzufassen hätte. Zwischen den gleichmässigen
Theilen beider Gruppen bestände aber der Unterschied, dass sie bei den Anuren
aus einfachen, bei den Salamandrinen aus mit einander verschmolzenen Doppel-
anlagen hervorgehen. — Die Verschmelzung der doppelten Querfortsätze schliesst
natürlich die Auffassung aus, als wenn das an der Basis des fertigen Querfortsatzes
befindliche Foramen transversarium eine Lücke zwischen zwei Wurzeln desselben
wäre. Dieses Loch entstellt vielmehr dadurch, dass der untere Querfortsatz
mit der vorderen Wirbelkörperhälfte durch eine schräge und anfangs sehr
dünne knöcherne Brücke verbunden wird, welche das genannte Foramen nach
unten abschliesst und später als eine untere vom Wirbelkörper entspringende
Wurzel des ganzen Querfortsatzes erscheint (vgl. Stannius Nr. 80, S. 11. 12).
Diese Knochenbrücken können aber mit den Qnerfortsätzen nicht zusammen-
gestellt werden, denn sie besitzen weder eine knorpelige noch überhaupt eine
morphologische Anlage und sind nur spätere, lokale Verknöcherungen binde-
gewebiger Bandmassen. Dies ergibt sich am deutlichsten daraus, dass sie bei
den Tritonen anfangs sehr unregelmässig, oft zackig sind, selbst Maschen-
bilden und auch zwischen anderen Skelettheilen vorkommen, so z. B. am
Schwänze, wo sie jederseits mehrfache unregelmässige Brücken zwischen den
unteren Bögen und den Querfortsätzen darstellen. Sie können daher zu den
Faserknochenbildungen gestellt werden , welche, wie ich zeigte, die ursprüng-
lichen Wirbelbögen nachträglich verbreitern und zwar bei den Molchen in noch
höherem Grade als bei den Anuren, sodass sie dort mehr wie kurze Röhren als
wie einfache Bögen erscheinen.
Obgleich die Wirbelsaite in den meisten Wirbelthieren eine rein embryo-
nale Bildung ist, so hat man sie doch gar zu häufig nur anatomisch, d. h. im
fertig ausgebildeten Zustande untersucht, daher aber auch zu manchen irrigen
Schlüssen sich verleiten lassen. — Nachdem J. Müller und Rathke an der
Wirbelsaite eine Scheide und den von ihr umschlossenen Kern, welcher aus mit
Gallerte angefüllten Zellen bestehe, unterschieden hatten, glaubte Voor irriger-
weise ihre späteren Elemente für vollständige Neubildungen der homogenen
400 Vit. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
Masse, welche aus der gänzlichen Zerstörung der Embryonalzellen hervorgehe,
erklären zu müssen; in dieser Masse erkennt er ganz richtig das allmähliche
Auftreten und Wachsen der Vakuolen, hält sie aber für die eigentlichen noch
kernlosen Zellen. Prevost und Lebert haben allerdings die Vakuolen in den noch
vollständig erhaltenen Embryonalzellen sich entwickeln lassen, wie es seitdem
auch allgemein angenommen wird, aber dieselben mit den von ihnen über-
sehenen Kernen jener Zellen verwechselt. Seitdem ist die Natur der Vakuolen
richtig erkannt, aber das spätere Verhalten der von ihnen ausgefüllten Zellen,
wie ich glaube, falsch beurtheilt worden. Bei Kölliker, W. Müller und
Lieberkühn findet sich lediglich eine Bestätigung der alten ScHWANN'schen
Lehre, dass die Elemente im Innern der Wirbelsaite grosse Zellen mit Mem-
branen und wandständigen Kernen seien, um welche sich eine Rindenschicht
von abgeplatteten Zellen erhalte; und es lässt sich nicht leugnen, dass wenn
man nur die Vergrösserung der ursprünglichen Embryonalzellen durch die
schnell wachsenden Vakuolen im Auge behält, der äussere Anschein jene Auf-
fassung befürwortet. Dann müssten aber die Scheidewände des Gallertkörpers
als Ausdruck der sich berührenden Zellenmembranen zweiblätterig sein; dieses
habe ich aber weder selbst an guten Durchschnitten irgendwo konstatiren
können, noch von irgend einem andern Beobachter nachgewiesen gefunden.
Daher halte ich das Gerüst jener Scheidewände einfach für ein Analogon der
Intercellularsubstanz des Knorpels und würde diesen letzteren von Gegenbatu
zuerst gebrauchten Ausdruck gern wiederholen , wenn er nicht die Annahme
enthielte, dass wenigstens die in jenes Fachwerk eingeschlossenen Massen
Zellen seien. Da aber , wie ich zeigte , den bei weitem meisten dieser Massen
die in die Scheidewände und die Rindenschicht ausgewanderten Kerne fehlen,
und von dem eigentlichen Zellenleibe nur noch unbeständige Protoplasmafetzen
übrig bleiben, so kann von Zellenindividuen im Gallertkörper nicht die Rede
sein. Andererseits erhalten die einzelnen Embryonalzellen oft mehr als je eine
Vakuole, sodass nicht wenige der in die Fächer eingeschlossenen Gallertmassen
überhaupt nicht ganzen Zellen , sondern nur kleineren oder grösseren , regellos
abgesonderten Theilen derselben entsprechen. Ebenso wenig wie der Gallert-
kürper enthält die protoplasmatische Rindenschicht Zellen; und wenn schon
die sorgfältige anatomische Untersuchung Gegenbaur's die peripherische
Zellenlage wenigstens den Anuren abspricht, so muss die Erneuerung des alten
Irrthums durch W. Müller auf Grund fortlaufender embryologischer Unter-
suchungen an denselben Thieren um so mein' auffallen, als gerade die frühesten
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 401
Bilder von der histiologischen Umbildung der Wirbelsaite für sich allein die
Unmöglichkeit darthun, dass in diesem Organe irgend eine ursprüngliche
Embryonalzelle den späteren Entwickolungsstufen intakt überliefert werde.
Ein Vergleich meiner bezüglichen Abbildungen (Taf. X Fig. 18.2 — 184), welche
wesentlich gleich alten Embryonen entnommen sind, lehrt, dass die Vakuolen-
bildung in allen die Aussenfläche der Wirbelsaite zusammensetzenden Zellen
stattfindet* und dass die kontinuirliche protoplasmatische Rindenschicht nur
aus sehr kleinen peripherischen Abschnitten dieser Zellen hervorgeht. Und
wenn man für die spätere Entwickelungszeit nicht bloss die unsicheren Befunde
der Querdurchschnitte jener Schicht, sondern die Flächenansichteu derselben,
natürlich nach Entfernung der störenden äusseren Chordascheide, zu Käthe
zieht, so wird man sich dort ebenso vergeblich nach wirklichen Zellen umsehen.
Ich darf daher wohl die Vermuthung aussprechen, dass für die Annahme
solcher Rindenzellen wenigstens an der Wirbelsaite der Salamandrinen bei
Gegenbatjr der Umstand ins Gewicht fiel, dass er bei diesen Thieren einen
intraehordalen Knorpel auffand, welcher damals noch direkt von fertigen Zellen
abgeleitet werden musste. Meine Befunde über die Knorpelbildung in der
vorderen Schädelbasis, den Wirbelbogenanlagen und innerhalb der Wirbelsaite
der Unke, in welcher ja GEfrENBAiiR selbst die Rindenzellen fehlen lässt,
ergeben aber, dass die Knorpelzellen überhaupt nicht unmittelbar aus voll-
ständigen Zellen sondern um freie Kerne herum entstehen, sodass ihre spätere
Anwesenheit in der Wirbelsaite keinesfalls die Annahme präexistirender Zellen
unterstützen kann. Daher sehe ich in der histiologischen Umbildung der
Wirbelsaite einen ähnlichen Verschmelzungsprocess der Embryonalzellen, wie
ich ihn schon in der Anlage des Centralnervensystems beschrieb , und wie er
sich noch klarer an den Wirbelbogenanlagen und der äusseren Chordascheide
darstellt. Doch gibt es zwischen der Wirbelsaite und den anderen Organen
einen nicht unwesentlichen Unterschied hinsichtlich der weiteren Entwicklung
und daher des Masses der physiologischen Bedeutung. Wenn in den genannten
( h'ganen und einigen noch zu beschreibenden Geweben jene Zellenverschmelzung
die Vorstufe ist zu weiteren histiologischen Ditferenzirungen, zur Bildung neuer
Zellen und anderer Gewebselemente, so hat die Wirbelsaite der Batrachier mit
* In der bezeichneten Zeit dürfte überhaupt die Gesammtheit der radiär angeordneten
GhordazeHen an der Oberfläche der Wirbelsaite theünehmen. (Vgl. Taf. VI Fig. 114 und
Taf. VII, Fig. 137).
(iiiBTTE, Kntwickehingsgescbichte, '-'0
402 VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
jenem ersten Erfolge das Ende ihrer eigentlichen histiologischen Eiitwiekelung
erreicht; denn die Bildung des Chordaknorpels betrifft weder das ganze Chorda-
gewebe noch gewisse Theile desselben in ihrer ganzen Ausdehnung, sondern
nur einzelne Stellen des ganzen , zudem in der Atrophie befindlichen Organs.
Ein greifbarer Erfolg dieser Bildung zeigt sich nicht einmal bei allen Batra-
chiern, indem z. B. die Wirbelsaite der Frösche und Kröten nur ganz vereinzelte
Knorpelzellen erzeugen mag (W. Mülleh), nirgends aber einen wirklichen
Chordaknorpel aufweist. In Uebereinstimmung damit ist die volle physiologische
Wirksamkeit der Wirbelsaite auf die Zeit vor der Entwicklung der Wirbel
beschränkt; dann dient sie nämlich den sie seitlich begrenzenden Segment-
muskeln zur Anheftung, wobei die Beweglichkeit der Ansatzpunkte durch die
Biegsamkeit des ganzen. Organs erzielt wird. Diesen Dienst leistet sie auch
noch nach der Bildung ihrer äusseren Scheide, welche darauf die Muskelansätze
aufnimmt, aber den nöthigen Halt und die Elasticität nur von der einge-
schlossenen Wirbelsaite erhält. In dem Masse jedoch, als die aus der äusseren
Chordascheide hervorgehenden Wirbelkörpertheile fester werden , lösen sie die
zu gleicher Zeit zusammenfallende Wirbelsaite in jener ihrer Wirksamkeit ab,
indem ihre Biegsamkeit durch die Gliederung der Wirbelsäule ersetzt wird.
Es hat also die Wirbelsaite, wie es Reichert zuerst lehrte, unzweifelhaft die
Bedeutung eines vorläufigen einfachsten Stammskelets ; da jedoch ihre erste
Umbildung zu einer Auflösung der überwiegenden Masse ihrer protoplasmati-
schen Theile oder zu ihrer Verwandlung in feste membranöse Bildungen führt,
so ist es verständlich, dass dieser bekannteste Zustand der elastischen „Saite",
welcher ihre Funktion eines passiven Bewegungsorgans allein ermöglicht,
geradezu ein seniler ist, als solcher aber jede wirkliche Eiitwiekelung aus-
schliesst und nur eine vollständige Rückbildung zur Folge haben kann. Als-
dann darf aber auch die Aufquellung des ganzen Organs, welches mit einer
Thätigkeit der bereits zerstörten einzelnen Zellen nichts mehr zu thun hat,
nicht mit einem organischen Wachsthume verglichen werden; und wenn
Gegenbaue, die Erhaltung -der vertebralen Chordareste in der Wirbelsäule
mancher Batrachier mit Recht aus dem konservirenden Einflüsse knöcherner
Theile erklärt (Nr. 88 S. 18. 26), so möchte ich diese Darstellung insofern
ergänzen, dass der blosse Mangel solcher konservirenden Vorrichtungen genügt,
um die Rückbildimg der Wirbelsaite als einfache Folge ihrer Entwickelung
auch dort eintreten zu lassen, wo ein äusserer, sie beeinträchtigender Druck
fehlt, wie v.. 15. an den mittleren Wirbelabschnitten der Unke.
VIT. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 403
In dem Masse, als die Wirbelsaite ihre Thätigkeit als Skelettheil aufgibt,
erscheint sie nur mehr als der Grundstock, auf den sich die sie ablösenden
eigentlichen Wirbelanlagen ablagern. Bleiben wir zunächst beim Rumpfe
stehen, so ist die Entwickelung dieser Anlagen bei den Batrachiern in ver-
schiedener Weise beschrieben worden. Schon J. Müller und Rathke sprechen
von einer einheitlichen Anlage der ganzen Wirbel, doch so, dass die Bögen
einzeln und von kleinen Anfängen aus der „Belegmasse" der Wirbelsaite hervor-
wachsen. Aber schon bei Müller finden sich die Anfänge einer Lehre, welche
von Kölliker und Gegenbaur weiter ausgebildet wurde, dass nämlich der
ganzen Wirbelsäule ausserhalb der Wirbelsaite eine vollständig kontinuirliche,
häutige Anlage, die „ skeletbildende Schicht-', zu Grunde liege, welche
aus einer die Wirbelsaite und das Rückenmark einschliessenden Doppelröhre
bestehe, und sowohl die diskreten Skelettheile als ihre bindegewebigen Verbin-
dungen als nachträgliche Differenzirungen einer gemeinsamen, indifferenten
Gründlage absondere. Diese Vorstellung ist aber nach meinen Untersuchungen
unstatthaft. Denn meine äussere Chordaseheide, die wesentliche Anlage der
Wirbelkörper, entsteht allein als kontinuirliche Röhre um die eingeschlossene
Wirbelsaite; die Wirbelbögen wachsen weder aus dieser hervor, noch differen-
ziren sie sich aus einer häutigen, das Rückenmark einschliessenden Röhre,
sondern sind Neubildungen, welche bloss auf der Unterlage der äusseren
Chordaseheide, nicht aus ihr hervor, von kleinen, warzenförmigen Anfängen
aus das Rückenmark umwachsen. Dieses Verhältniss, welches bereits Bruch,
wenn auch nicht bestimmt genug angedeutet hat, ist namentlich in der aller-
ersten Zeit, auf die es zumeist ankommt, leicht zu konstatiren. Denn wenn die
ersten Zellenhäufchen der Wirbelbogenanlagen sichtbar werden, ist die äussere
Chordascheide bereits zu einer nichtzelligen, von freien Kernen durchsetzten
Membran geworden. Ferner gibt es wohl eine häutige Rückenmarksröhre,
die Anlage der Rückenmarkshäute, aber die Bögen entstehen und wachsen nicht
innerhall), sondern ausserhalb derselben und sind, bevor sie die anfangs relativ
sehr grossen Spinalganglien umwachsen haben , unter sich gar nicht unmittel-
bar verbunden, da sie sowohl von jener gemeinsamen Unterlage, als auch vom
umgebenden interstitiellen Bildungsgewebe deutlich unterschieden sind. Will
man dieses letztere, innerhalb dessen allerdings die WTirbelbögen entstehen, als
die skeletbildende Schicht betrachten, wie es Gegenbaur und namentlich
Kölliker, welcher die Membrana reuniens superior dazu rechnet (Nr. 48 S. Gl),
zu thun scheinen, so ist daran zu erinnern, dass dieses Bildungsgewebo bei dein
2G*
404 VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
bedeutenden Uebergewicht der allgemeinen Interstitialflüssigkeit überhaupt
nicht als eine häutige, noch viel weniger aber als eine bloss Bindesubstanzen
erzeugende Embryonalschicht angesehen werden kann. Denn in ihr entwickeln
sich, wie ich im nächsten Abschnitte zeigen werde, alle allgemeinen Gewebe,
Muskeln, Gefässe, Nerven so gut wie die Bindesubstanzen. Die beiderlei
Wirb elanlagen, die äussere Chordascheide und die Wirbelbögen, sind also als
besondere und gesonderte Erzeugnisse des allgemeinen interstitiellen Bildungs-
gewebes aufzufassen und als solche den umgebenden noch nicht verbrauchten
Theilen desselben so entgegenzusetzen wie die übrigen Erzeugnisse, die Gefäss-
und Nervenanlagen. Der Hauptunterschied unserer Anlagen und dieses Bildungs-
gewebes beruht in jener wässerigen Interstitialflüssigkeit, welche das Bildungs-
gewebe durchtränkt, aus den Wirbelanlagen aber durch die feste Aneinander-
lagerung der Elemente vollständig verdrängt wird; damit hängt auch zusammen,
dass beide Theile durchaus nicht einen unmittelbaren Uebergang in einander
zeigen, wie es Gegenj3AUü behauptet, sondern namentlich die knorpeligen Wirbel-
bögen sich sehr leicht und ganz glatt aus dem umgebenden „jungen Bindegewebe"
d. h. dem übrigen Bildungsgewebe herauslösen lassen. — Für die Erkenntniss der
allgemeinen morphologischen Bedeutung der Wirbelanlagen ist noch die Frage
nach dem Ursprünge der dieselben zusammensetzenden Elemente zu erörtern.
Früher wurden dieselben einfach von den Segmenten (Urwirbel) abgeleitet;
nachdem schon Vogt die Wirbelbögen als Difl'erenzirungen der Kückenwülste
bezeichnet, bestimmte Remak ihren Ursprung von den Segmenten namentlich
beim Hühnchen genauer*, worauf diese Lehre von Kölliker (Nr. 48 S. 62) und
Gegenbaur (Nr. 88 S. 52 — 53) wiederholt wurde. Neuerdings hat aber
W: Müller die His'sche Behauptung, dass alle Bindesubstanzen von den
Gefässadventitien abstammten, auch an den Batrachierii bestätigen zu können
geglaubt und demnach die Wirbelanlagen von der Adventitia der zwei Aorten
abgeleitet (Nr. 74 S. 353. 417). Meine Beobachtungen geben gewissermassen
eine Vermittelung beider gegentheiliger Auffassungen; das Gerüst des hier in
Betracht kommenden Bildungsgewebes wird unzweifelhaft von den Segmenten,
insbesondere vom inneren Segmentblatte geliefert und besteht schon vor der
* Wie ich schon früher anführte (S. 236), leugnet Remak die direkte Abstammung der
Batrachierwirbel von den Segmenten, indem sie aus einer diese letzteren verbindenden
Chordahülle hervorgehen sollen. Dies bezieht sich aber nur auf die formale Erscheinung,
denn in letzter Instanz wird jene Wirbelanlage doch auf die Urwirbelmassc zurückgeführt
(Nr. Jo S. 186).
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsaule. 405
Anlage derGefässe, wodurch also die His-Mülleii'scIic Ansicht zunächst in
ihrer Allgemeinheit hinfällig wird. Aber allerdings wird der zweite wesentliche
Bestandtheil der Wirbelanlagen, die das Bildungsgewebe zu kompakten Massen
ausfüllenden Dotterbildungszellen, von den Gefässen geliefert, nur nicht von
der embryonalen Gefässwand-* (His, Müller), sondern wie ich im folgenden
Abschnitte zeigen werde, aus dem embryonalen Blute selbst. Da nun dieser
zweite Bestandtheil der Wirbelanlagen nicht etwa bloss schon fertige Anlagen
vergrössert, sondern zu ihrer Herstellung wesentlich mitwirkt, so kann von
ursprünglichen morphologischen Anlagen des Stammskelets, wie es die Wirbel-
saite ist, nicht die Rede sein; sie gehören vielmehr zu den histiologischen
Umbildungen und Neubildungen innerhalb des Bildimgsgewebes, welches dazu
an bestimmten Stellen durch das allgemeine plastische Ernährungsmaterial
der Dotterbildungszellen wesentlich ergänzt wird. Wie ich schon in der Be-
schreibung andeutete, passen sich diese histiologischen Bildungen der Form
und Lagerung gewisser ursprünglich morphologischer Theile, der Wirbelsaite
und der segmentalen Muskelplatten an, bringen also dadurch die in diesen
Theilen bereits verkörperten allgemeinen morphologischen Verhältnisse der
Rückenaxe und der Quergliederung zu wiederholtem Ausdruck, und erben
andererseits von ihnen die typische Anordnung. Man kann sie desshalb als
sekundär-typische Theile bezeichnen. Alsdann wird aber auch die Bedeutung
der zweierlei Wirbelanlagen erst völlig klar. Die Anpassung an die Wirbel-
saite und diejenige an die Segmentmuskeln ergibt zweierlei Bildungen, welche
nach dem Gesagten auseinandergehalten werden könnten, selbst wenn sie
histologisch vollständig kontinuirlich in einander übergingen. Dass dies
anfangs nicht der Fall ist, wurde schon erörtert. Aber auch weiterhin erhält
sich eine deutliche Scheidegrenze sehr lange, bei den Salamandrinen in Folge
des verschiedenen Gewebes (Knorpel der Wirbelbögen, Faserknochen des
Wirbelkörpers) , bei den Anuren durch gewisse Unterscheidungsmerkmale des
beiderseits gleichartigen Gewebes. Die Wirbelbogenanlagen haben nämlich
anfangs kleine runde Kerne, die äussere Chordascheide grosse platte-, ferner
ist die Interkapsularsubstanz dort heller, hier dunkler, der Färbung zu-
gänglicher und früher verkalkt. Aber wie gesagt, diese histiologischen Unter-
* Diese primitiven Gefässwände besitzen zudem noeb gar keine Adventitia, welche erst
viel spater erscheint, sondern bestehen bloss aas der netzförmigen Anlage der Intima
(Tdf. XII Fig. 210).
406 VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
schiede scheinen mir gar nicht so wesentlich zu sein, wie der Umstand, dass
die beiderlei Wirbelanlagen als sekundär-typische Theile ihre Bedeutung erst
von den embryonalen Anlagen erhalten , denen sie sich bei ihrer Entwicklung
anpassten , und welche eben verschieden sind. Die Wirbelsäule ist, wie ich sie
geschildert habe , als primäres Skelet ein unpaares , axiales und ungegliedertes
Gebilde; ihre äussere Scheide erscheint daher anfangs ebenso und überhaupt
nur als eine jenes Organ nach aussen verstärkende Hülle, w eiche den von jener
übernommenen Muskelansätzen nicht selbstständig dient, sondern nur als Ver-
mittlerin der diesem Organ allein zukommenden und für die Funktion eines
Skelettheils nothwendigen Eigenschaften einer genügenden Festigkeit und Be-
weglichkeit erscheint. Die Wirbelbögen dürfen dagegen zunächst nur als durch
die lokalen Verhältnisse erzeugte Verstärkungen des Gewebes zwischen
Rückenmarkshüllen und den intersegmentalen Muskelscheidewänden aufge-
fasst werden ; natürlich werden sie aber in derselben Weise wie jede unter rein
mechanischen Formbedingungen erzeugte, indifferente Embryonalanlage in
ihren weiteren Umbildungen durch die physiologische Thätigkeit beeinflusst,
welche zu einer gewissen Zeit durch die Form, Lage und die Wechsel-
beziehungen jener indifferenten Anlage nothwendig hervorgerufen wird. Solche
Beziehungen ergeben sich im vorliegenden Falle zwischen den Wirbelbögen
und den Muskelscheidewänden, sodass die ersteren zu den wesentlichen Skelet-
theilen der segmentalen Muskeln werden, so weit diese über dem Niveau des
axialen Skeletstammes , der Wirbelsaite und ihrer äussern Scheide, eine
unmittelbare Befestigung noch entbehrten. Die Verbindung der Bögen mit
dem axialen Stamme ist aber bei ihrer gemeinsamen Funktion und den gege-
benen Lageverhältnissen eine ganz natürliche Anpassung. Sie erhalten dadurch
eine festere Unterlage und behalten andererseits eine durch den elastischen
axialen Stamm vermittelte Beweglichkeit. Es haben also die Wirbelbögen,
noch bevor der letztere sich wesentlich verändert hat, demselben einen Theil
der ursprünglich ihm allein zukommenden Aufgabe, den Stammuskeln Be-
festigungspunkte zu bieten, abgenommen, ihm aber die Sorge für eine genügende
Unterstützung und Beweglichkeit der Träger der neuen Muskelansätze über-
lassen. Diese Theilung der Arbeit geht aber aus leicht begreiflichen Ursachen
noch weiter. Einmal erhalten die Wirbelbögen, indem sie mit den queren
Muskelgrenzen aufwärts auswachsen, immer längere Ansatzlinien; ein noch
wichtigeres Moment ist aber die zunehmende Gliederung der letzteren. Die
ursprüngliche Muskelbefestigung war in Uebereinstimmung mit der einfachen
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 407
und beschränkten Muskelthätigkeit der Embryonal- und ersten Larvenperiode
von höchst einfacher Anordnung: die kurzen Muskelansätze lagen an der
Wirbelsaite in einer Reihe regelmässig hintereinander und ermöglichten ledig-
lich die Beugung in horizontaler Richtung. Und diese Anordnung ist an der
Wirbelsaite einer Weiterentwickelung gar nicht fähig, da diese primäre Skelet-
anlage bei dem Abschluss ihrer Entwickelung sich in wechselnder Weise den
Muskeln gar nicht anpassen kann. Die fortgesetzten Verschiebungen der
Segmentmuskeln bedingen dagegen gleichzeitig eine wachsende Mannigfaltig-
keit von Ansatzpunkten an den ihnen sich anpassenden Wirbelbögen und
Fortsätzen, wodurch jene ersten Ansätze vollkommen entbehrlich und in Folge
des Hinabrückens der Basen der Wirbelbögen und ihrer seitlichen Fortsätze
diesen letzteren übertragen werden (Taf. XIX Flg. 338—340). Indem aber
das primäre, axiale Skelet die Muskelbefestigungen verliert, bildet es in
gleichem Masse diejenigen Seiten seiner Skeletfunktion aus, welche ihm gemäss
der schon angedeuteten Arbeitsteilung besonders zufallen, nämlich die Festi-
gung und Beweglichkeit der die Wirbelbögen tragenden Unterlage. Natürlich
ergibt sich aber auch dabei die „Zweckmässigkeit" nur als der Ausdruck eines
Zusammenhangs der Entwickelung, einer nothw endigen , gegenseitigen An-
passung. Mit der frühzeitigen Muskelthätigkeit und der sich ihr anpassenden
Entwickelung der Wirbelbögen steigern sich ebenso frühzeitig die auf die
letzteren wirkenden Zugkräfte und der auf die Stützpunkte ausgeübte Druck.
In dein letzteren glaube ich aber gerade die Ursache zu erkennen für das
geringe Wachsthuni der so früh davon unmittelbar betroffenen vertebralen
Theile der äusseren Chordascheide, welche wiederum aus demselben Anlass
früher erhärten, wenn auch zunächst nur durch eine periostale Yerknöcherung.
Andererseits verlangt und erzielt die ununterbrochene Muskelaktion nicht nur
feste Stützpunkte, sondern auch die Beweglichkeit derselben. Diese muss sich
in dem Masse als die unmittelbaren vertebralen Stützpunkte an Nachgiebigkeit
verlieren, auf die Grenzen benachbarter Stützpunkte, also auf die interverte-
bralen Abschnitte beschränken, wo, wie ich zeigte, das Wachsthuni der äussern
Chordascheide gerade in Folge seiner Beschränkung in den vertebralen
Abschnitten sich besonders steigerte, diese Wucherung des Intervertebral-
wulstes aber die Verknöcheruug seines Gewebes hintanhielt und dessen Nach-
giebigkeit wahrte. Auf diese Weise wird durch die Steigerung der Ansprüche
an die Festigkeit des axialen Skeletstammes, welche sich mit der Beweglichkeit
nur bis zu einem gewissen Grade gleichmässig vereinigen lässt, eine vollständige
J.I is VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
Vertheilung beider Eigenschaften auf verschiedene Abschnitte herbeigeführt
und die Gliederung, welche von den Segmenten ursprünglich nur auf die
Wirbelbügen übertragen war, durch diese auch auf den ursprünglich unge-
gliederten Skeletstamm vererbt. — An dem letzteren war anfangs nur die
Wirbelsaite der wirksame Theil, ihre äussere Scheide von untergeordneter Be-
deutung. Für die weitere Entwicklung kommt aber nur die letztere in Betracht,
da die Wirbelsaite als eine abgeschlossene Bildung einer fortschreitenden
Entwicklung nicht fähig ist. Desshalb übernimmt die äussere Chordascheide
allmählich ein immer grösseres Mass von der Aufgabe des axialen Skelet-
stammes, wogegen die Wirbelsaite in demselben Verhältnisse als sie ausser
Thätigkeit gesetzt wird, einer vollständigen Rückbildung entgegengeht. Dass
dabei einzelne Abschnitte der Wirbelsaite unter dem konservirenden Einflüsse
des sie einschliessenden Knochens bei einigen Batrachiern längere Zeit, selbst
zeitlebens bestehen bleiben, kann gegenüber den allgemeinen Ergebnissen
ebenso wenig ins Gewicht fallen, als die bei andern Batrachiern eintretende
Umbildung einzelner ihrer Zellenreste zu Knorpelmassen, welche sich den
übrigen Wirbelkörperanlagen anschliessen. Die fernere Ausbildung der Wirbel-
körper erscheint endlich gleichfalls als eine nothwendige weitere Folge der
für ihre Bildung überhaupt einmal in Wirkung getretenen Ursachen; denn
wenn die Entwickelung der Intervertebralwülste oder die Gliederung des Axen-
theils in der angegebenen Weise begründet werden kann, so liegen im weiteren
Fortgange dieses Bildungsprocesses offenbar auch die Bedingungen zur
Entstehung der Doppelkegelform der Wirbelkörper und zur Ausbildung der
Zwischenwirbelgelenke. Jene Form ist eben bloss der Ausdruck für das ge-
steigerte intervertebrale Wachsthum der äusseren Chordascheide, welches sich
zuerst in einer queren Ausweitung äussert; die folgende Wucherung offenbart
aber die Wirkung derselben beschränkenden Ursachen, da ihre Höhe in die
quere Grenzebene je zweier vertebralen Abschnitte fällt, sodass dort die
ursprünglich freien Kerne nothwendig am stärksten angehäuft und von Anfang
an quergestreckt erscheinen und am längsten in diesem Zustande erhalten
bleiben. Auf diese Wreise entstehen die von mir beschriebenen queren Scheide-
wände oder die Anlagen der Zwischenwirbelgelenke nicht als nachträgliche
Umbildungen einer Knorpelmasse, sondern als die der Knorpelbildimg am
längsten widerstehenden Theile der Intervertebralwülste.
Aus diesen Betrachtungen ergibt sich der folgende allgemeine Entwickelungs-
gang des Stammskelets der Batrachier. I. Die einzige morphologische An-
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 409
läge desselben ist die Wirbelsaite, ein unpaares axiales Gebilde, welches sehr
bald durch eine den Bestand seiner Embryonalzellen auflösende Umbildung in
einen elastischen Cylinder verwandelt wird. Dieser fungirt während einer
gewissen Zeit als einfachstes, ungegliedertes Stannnskelet; dieser Thatbestand
wird durch eine einfache, dünne und hantige Umhüllung (äussere Chorda-
scheide) zunächst nicht wesentlich verändert, 2. Dazu treten als histiolog'ische
Anpassungen an die der Wirbelsaite nicht unmittelbar anliegenden Muskel-
massen, also als sekundär-typische Theile die oberen Wirbelbögen*, welche
dem axialen Skeletstamme fest aufsitzen aber genetisch nicht zu ihm gehören.
Solange die einfache und regelmässige ursprüngliche Muskelanordnung besteht,
wirken der ungegliederte und gleichmässige Axentheil und die gesonderten,
paarigen, aber noch wenig entwickelten Wirbelbögen gleichartig neben einander
ohne Veranlassung zur Veränderung. — 3. Die topographische Umbildung der
Muskelmassen hat eine entsprechende Entwicklung der sich ihnen anpassenden
Wirbelbögen (Krümmungen, Auswüchse) zur Folge, welche daher immer mehr
Muskelansätze aufnehmen, endlich die einfache ursprüngliche Muskelbefestigung
an dem Axentheile entbehrlich machen und ganz ablösen. Dadurch wird der
letztere nicht überflüssig, sondern nur eine Arbeitstheilung im Skeletsysteme
eingeführt, Die Wirbelbögen übernehmen die Aufgabe durch ihre reiche
Gliederung den mannigfachsten Hebelwirkungen Angriffspunkte zu gewähren
und enthalten gerade in ihrer Thätigkeit die Ursachen, welche ihnen, im axialen
Skelettheile entsprechend festere aber doch bewegliche Stützpunkte erzeugen.
Die nicht entwickelungsfähige Wirbelsaite kann dazu nichts beitragen-, dagegen
wird ihre äussere Scheide in der unmittelbaren Unterlage jedes Bogenpaares
durch frühzeitige Verknöcherung fester, in den intervertebralen Abschnitten
weicher. Jeder dieser embryonalen Wirbelkörper ist mehr oder weniger
doppelkegelförmig, und die eingeschlossene, noch unveränderte Wirbelsaite ge-
währt ihm noch einen gewissen Halt, ist also noch nicht von jeder Funktion
ausgeschlossen. — 4. Die weitere Entwicklung der einmal angelegten
Gliederung des axialen Skelettheiles lässt die Erzeugnisse der äusseren Chorda-
scheide immer vollständiger an die Stelle der Wirbelsaite treten , wobei diese
ausser Thätigkeit gesetzt endlich ganz der Rückbildung anheimfällt. Dabei
tritt der Gegensatz der vertebralen Regionen und der Intervertebralwülste,
* Die unteren Bögen werden als Theile nur . einzelner Batrachierwirbel ebenso wie die
Querfortsätze und Rippen erst später betrachtet werden.
41l) VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
worauf ihre eigene Entstehung überhaupt beruht, nothwendig immer stärker
hervor: jene, die Mittelstücke der künftigen Wirbelkörper sind fester, wachsen
langsamer, konserviren daher die Wirbelsaite länger, dieEpiphysen dagegen sind
die weichen, stärker wuchernden Theile, welche also die Wirbelsaite zuerst zum
Schwunde bringen. Die Ausbildung der Zwischenwirbelgelenke schliesst
wenigstens in morphologischer Hinsicht die zusammenhängende Kette von Ur-
sachen und Wirkungen der ganzen Wirbelbildung, welche von einfachem Anfange
ausgehend in immer divergentere Erfolge ausläuft. Denn Wirbelsaite und
Segmente mit ihrer Umgebung liefern zunächst die einzigen mechanischen
Formbedingungen, welche das indifferente Bildungsmaterial zu den zweierlei
Wirbelanlagen verdichten; und die sich daraus ergebenden physiologischen
Momente der Muskelaktion wirken ebenfalls auf mechanischein Wege, um die
Gliederung der Wirbelbögen auf die Wirbelkörper zu übertragen , und deren
Form und Gelenkbildung sowie die Verbindung und Arbeitstheilung beider
Theile zu veranlassen.
An der Hand dieser allgemeinen Uebersicht der Wirbelbildung zunächst
der Batrachier will ich versuchen, die besonderen Erscheinungen bei diesen und
anderen Wirbelthieren in Einklang zu bringen. Für die Amphibien liefert
die umfassende Arbeit Gegenbauii's den reichsten und werthvollsten Stoff. Es
erhellt daraus (Nr. 88 S. 3—21. 64. 65), dass die Perennibranchiata, denen sich
Cöcilia anschliesst, ferner die Derotremen und Salamandrinen eine fortlaufende
Entwickelungsreihe darbieten, welche mit der dritten der von mir unterschie-
denen Entwickelungsstufen beginnt. Die gemeinsame Grundform dieser
Reihe offenbart sich zunächst in der Doppelkegelform der Wirbelkörper, welche
um so deutlicher hervortritt, als die letzteren sehr lang gestreckt sind. Hin-
sichtlich der Wirbelbögen hat aber Gegenbaur die eigenthümliehe Form ihrer
knorpeligen Anlagen nicht beachtet, was namentlich aus den ungenauen
Abbildungen hervorgeht (Nr. 88 Taf. I Fig. 8, Taf. III), welche in je einem
Durchschnittsbilde stets den ganzen Verlaufeines Bogens darstellen, während
derselbe auch nicht annähernd in einer Ebene liegt *. Daher rührt auch die
falsche Angabe über die Bildung der Zwischenbogengelenke durch Ueberein-
anderschieben der schon fertigen und in die Breite auswachsenden Bögen. -
* Eine Ausnahme wäre nur für den letzten vollständigen Bogen denkbar, wenn der
Sebnitt nicht senkrecht und ziemlich dick ausgeführt wird.
VIT. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 411
Der Gesammtfortschritt der bezeichneten Wirbelbildungen fällt zusammen mit
der fortschreitenden Entwickelung des Intervertebralwulstes, welcher aber trotz
seiner Ausbreitung und der vollständigen Verdrängung der interyertebralen
Chordaabschnitte in dieser Reihe noch zu keiner vollständigen Gelenkbildung
führt. — Um nun diese Form der Wirbelbildung mit der peri- und epichordalen
der Anuren in Verbindung zu bringen, hat Gegenbaue eine Hypothese vorge-
schlagen, welcher ich nicht beistimmen kann. Davon ausgehend, dass in der
kontinuirlichen Skeletschicht der Anuren die .Knorpelbildung von den Bögen
aus sich um die ganze Wirbelsaite fortsetze und dass diese kontinuirliche
Knorpelröhre schon bei den Ganoiden (Lepidosteus) vorkomme, also eine sehr
alte Einrichtung sei, hält Gegenbaur die Trennung des Intervertebralknorpels
und der knorpeligen Wirbelbögen der Salamandrinen und noch tiefer stehender
Batrachier für eine aus jener ursprünglichen Einrichtung hervorgegangene
Rückbildung, welche dort, wo der Intervertebralknorpel bis zu grosser Annähe-
rung an die Wirbelbogenbasen ausgebreitet erscheint (Siredon, Menopoma),
am wenigsten vorgeschritten sei (Nr. 118 S. 395—397, Nr. 89 S. 6U7). Aus der
Entwicklungsgeschichte der Salamandrinen wissen wir aber, dass diese Aus-
breitung des Intervertebralknorpels von einem beschränkten intervertebralen
Ausgangspunkte fortschreitet, also doch höchst wahrscheinlich für alle ge-
schwänzten Amphibien die grösste Beschränkung jenes Knorpels oder seine
weiteste Trennung von dem Knorpel der Wirbelbögen gerade der ursprüngliche
Zustand ist ; wie denn Gegenbaur selbst die in der Amphibienreihe zunehmende
Verdickung des Intervertebralknorpels für einen Fortschritt erklärt*. Und
da ich gegen Gegenbaur ganz bestimmt daran festhalten muss, dass die
knorpeligen Wirbelbögen der Urodelen nicht unmittelbar auf der Wirbelsaite,
d. h. ihrer inneren Scheide, sondern auf der ununterbrochenen äusseren Chorda-
scheide aufsitzen, welche dort früher verknöchert als der Intervertebralwulst
überhaupt knorpelig wird , so erscheint die Trennung der beiden Knorpeltheile
schon in den Anfängen der in Rede stehenden Wirbelbildung begründet und
ohne jeden Uebergang zum kontinuirlichen Zusammenhange jener Theile bei den
Anuren. Denn die stärkste Ausbreitung der Intervertebralknorpel, welche aber
* Die Vereinigung beider Annahmen, dass liämlich das Wachsthum eines und desselben
Theiles nach zwei Richtungen (Verdickung und Verlängerung), obgleich es beiderseits in
demselben Verhältnisse zu- oder abnimmt, für eine Richtung einen Fortschritt, für die
andere in umgekehrter Ordnung eine Rückbildung bedeute, scheint mir in der Darstellung
Gegenbaur's überhaupt der bedenklichste Punkt zu sein.
412 Vß. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule
nach dem Gesagten selbst bei einem Zusamnienffiessen derselben in derWirbel-
mitte (Menopoma) die Trennung von den Wirbelbögen nicht aufheben kann,
ist nur ein Folgezustand der grössten anfänglichen Trennung, kann also nicht
als ein Mittelglied zwischen dieser und dem angeblich ältesten Zustande des
kontinuirlichen Zusammenhanges äufgefasst werden. Ueberhaupt war jene
Hypothese Gegexbauks nur denkbar, solange die von mir sogenannte äussere
Chordascheide in ihrer morphologischen Anlage und ihrer späteren Sonderung
unerkannt blieb. Denn der histologische Unterschied, ob sie ans ihren inneren
Theilen eine kontinuirliche Knorpelschicht oder diskrete Knorpelpartien
herstellt, tritt in seiner Bedeutung wesentlich zurück, sobald man die
ursprünglich knöchernen Doppelkegel mit den Intervertebralwülsten ans einer
kontinuirlichen Anlage hervorgehen sieht. Und wenn man die Selbstständig-
keit dieser Anlage gegenüber den Wirbelbögen dazunimmt, so lässt sich gerade
der einfache Fortschritt von den Salamandrinen zn den Anuren, wie ich
glaube, unschwer begründen. Bei den ersteren verändern sich die vertebralen
Abschnitte der äusseren Chordascheide bis zu ihrer frühzeitigen Verknöcherung
gar nicht, bei den Anuren wuchert ihr Gewebe in derselben Zeit ganz merklich,
wenn auch langsamer als in den Intervertebralwülsten , und wird viel später
knorpelig und knöchern. Es findet hier also dasselbe Verhältniss statt,
welches ich schon bei den verschiedenen Gewebsbildungen der äussern Chorda-
scheide an einer und derselben Wirbelsäule hervorhob : je lebhafter die Ver-
mehrung der Elemente vor sich geht, desto später erfolgt die Differenzirung
und umgekehrt. Die dickeren vertebralen Abschnitte der äusseren Chorda-
scheide bei den Anuren offenbaren also nicht den ursprünglichen Zustand
gegenüber demjenigen der anderen Amphibien, wie Gegexbaue meint, sondern
einen Fortschritt der Bildung, indem die lebhaftere Entwicklung jenes Theils
eine frühzeitige Verknöcherung verhindert und dieselbe erst in dem Ueber-
gangszustande der Knorpelbildung eintreten lässt. Einen solchen Bildungs-
fortschritt hat Gegenbaue trotz des erwähnten Widerspruchs am Interverte-
bralwulste im grossen und ganzen nachgewiesen, dabei jedoch übersehen, dass
die Anlage des Gelenks schon ursprünglich in den Bildungsursachen jenes
Wulstes selbst begründet ist und daher nicht erst nachträglich in einem
„kontinuirlichen Interveitebralknorpel" entstehe. Desshalb bezog auch
Gegenbaue das an der Oberfläche zu Tage tretende (piergestreifte Gewebe
jener Anlage nur auf ein oberflächliches Ligament. Eine kontinuirliche Knorpel-
masse, welche alle Wirbel mit einander verbände, habe ich weder bei Sala
VII. Die Wifbelsaite und die Wirbelsäule. 413
mandrinen poch bei Anuren gesehen. Allerdings geht der Knorpel jedes
Wirbels allmählich in jene Scheidewand der Gfelenkanlage über; dies geschieht
aber auch am queren Umfange der vertebralen Abschnitte bei den Pelohatiden,
wo doch niemand die ventralen Scheidentheile als knorpelige bezeichnet. -
Mit diesem allmählichen Fortschritte in der Entwicklung der äusseren
Chordascheide durch die ganze Keihe der Amphibien hängt auch die Ver-
änderung der Wirbelform zusammen. Bisher war die Doppelkegelform der
Wirbelkörper nur bei den geschwänzten Batrachiern und nach Vogt's Angabe
bei Alytes obstetricans bekannt; ich finde sie auch bei den Anuren im Anfange
der Entwicklung und halte sie überhaupt für die gemeinsame Grundform
aller Batrachierwirbel, hervorgerufen durch dieselben überall vorhandenen
Wirkungen der Wirbelbögen auf ihre Unterlage, wodurch das Wachsthum der-
selben in den vertebralen Abschnitten gehemmt, in den intervertebralen
gesteigert wird. Man kann auch eigentlich nicht sagen, dass diese Form bei
den Anuren durch eine nachträgliche abweichende Entwickelungsrichtung ver-
drängt werde; sondern während die früh entstandene Knochenrinde der Sala-
mandrinen die vertebralen Abschnitte nur langsam sich verdicken lässt, dagegen
über die sich ausdehnenden Intervertebralwülste mit immer weiterer Üeffnung
auswächst, also die Grundform immer auffallender ausbildet, wird dieselbe bei
den Anuren wenig weiter entwickelt und dadurch bloss der Aufmerksamkeit
entzogen, theils weil die Wirbelkörper sich wenig verlängern, theils weil das
Wachsthum der vertebralen Abschnitte weniger gehemmt ist, als bei den Sala-
mandrinen. Endlich mag die breite Wirbelbogenbasis die ursprüngliche Form
der Wirbelkörper der Anuren mehr verdecken, obgleich dieselbe im weiteren
Umfange der Epiphysen stets angedeutet bleibt. Wie sehr diese Grundform
nur von jener oben bezeichneten, der Wirbelbildung aller Amphibien gemein-
samen Ursache abhängt, erhellt am besten an den Unkenlarven. Bei diesen
äussert sich das Wachsthum der äussern Chordascheide nur im dorsalen
Theile ; und übereinstimmend damit zeigt sich auch jene auf dieselbe ausgeübte
Wirkung nur in einer sattelförmigen Ausbildung der Oberseite des primitiven
Wirbelkörpers, d. h. in einer entsprechend partiellen Doppelkegelform. Diese
Beschränkung der gleichmässigen Entwickelung des Wirbelkörpers enthält
auch den einzigen Unterschied der sogenannten epichordalen Wirbelbildung
von den übrigen Bildungstypen und ich habe schon darauf hingewiesen, dass
jene Abweichung nicht unvermittelt dasteht , sondern in den bei den Kröten
und Fröschen nachweisbaren Formen ein allmählicher Uebergang zu der regel-
414 VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
massigen Grundform zu finden ist. Auffallend bleibt es nur, dass die irrthüm-
lfche Auffassung dieser unregelmässigen perichordalen Entwickelungsform der
Wirbel von Duges an bis in die neueste Zeit unbeanstandet überliefert werden
konnte. Die genauere Untersuchung derselben weist aber noch einen anderen
zwischen den Anuren und übrigen Amphibien aufgestellten Unterschied zurück.
Gegenbatjr legt einigen Nachdruck darauf, dass die Anuren keinen Chorda-
knorpel entwickelten und sich dadurch den höheren Wirbelthieren näherten
(Nr. 88 S. 65) ; nachdem ich aber diesen Knorpel bei der Unke nachgewiesen,
bliebe noch zu untersuchen übrig, ob er nicht auch bei anderen Anuren, welche
ihre vertebralen Chordareste verlieren, z.B. bei den Kröten, sich gleichfalls
entwickele. Jedenfalls kann seine Anwesenheit oder sein Fehlen schon
jetzt nicht mehr als Unterscheidungsmerkmal der beiden Amphibiengruppen
gelten.
Aus allen allgemeinen Betrachtungen und besonderen Vergleichen hin-
sichtlich der Wirbelbildung der Amphibien ergibt sich ganz unzweideutig, dass
sie in der ersten Anlage, in den Bildungsursachen und der ganzen Entwickelungs-
richtung in allen Abtheilungen dieser Wirbelthierklasse durchaus gleich ist,
und dass die Unterschiede der ausgebildeten Formen sich nur auf verschiedene
Grade in der Energie derselben Entwickelungsvorgänge beziehen. Die beiderlei
Wirbelanlagen, ihre gegenseitigen Beziehungen und die doppelkegelförmige
Anlage des Wirbelkörpers sind gemeinsam und nur das Wachsthum der
äusseren Chordascheide schreitet von der äussersten Beschränkung auf die
intervertebralen Abschnitte (Cöcilia, Proteus) durch eine immer grössere Aus-
breitung des Intervertebralwulstes (Menobranchus, Siredon, Menopoma, Sala-
mandrinen) bis zu einem blossen Ueberwiegen in den intervertebralen
Abschnitten (Anuren) fort. Die intervertebrale Beschränkung jenes Wachs-
thums bedingt in jedem Fall die regelmässige und frühzeitige Verknöcherung
der vertebralen Abschnitte; die Wucherung auch der letzteren hält die früh-
zeitige Yerknöchcrung noth wendig auf und geht mit einer Abweichung von
jener Regelmässigkeit in der ganzen äusseren Chordascheide Hand in Hand,
welche bei den Fröschen ganz gering anfängt, sich dann bei den Kröten
steigert, um bei den Pelobatiden und ihren nächsten Verwandten zur vollen
Einseitigkeit zu gelangen. Mit der allmählichen Ausbildung der Intervertebral-
wülste steht die ebenso fortschreitende Entwickelung der Zwischenwirbel-
gelenke in innigem Kausalzusammenhange. Nach dieser Darstellung können
abei die histologischen Unterschiede nicht mehr besondere Berücksichtigung
VIT. Die Wirheisaite und die Wirbelsäule. 415
finden, da sie nur die nothwendigen Folgen der quantitativen Unterschiede in
wesentlich gleichen Entwickelungsreihen sind. Diese Wachsthunisdiftercnzen
beziehen sich allerdings vorherrschend, aber nicht ausschliesslich auf die
äussere Chordascheide, denn der zunehmenden Energie in ihrem. Wachsthum
geht eine ähnliche Steigerung an den Wirbelbögen parallel. Diese sind
nämlich bei den Anuren relativ dicker und namentlich ihre Basen erheblich
verbreitert, sodass sie schliesslich einen nicht geringen Theil des queren
Umfanges der Wirbelbögen umfassen.
Von den übrigen Wirbelthieren schliessen sich hinsichtlich der Wirbel-
bildung die Knochenfische und die Amnioten an die beiden Enden der
Amphibienreihe an. An Forellen embryonen fand ich die Entwickelung
der Wirbelsaite in allen wesentlichen Punkten vollkommen übereinstimmend
mit derjenigen der Batrachier. Anfangs sind die Embryonal zellen der Wirbel-
saite deutlich radiär angeordnet; bald verliert sich aber dieses Bild, weil die
von vorn nach hinten sich stark abplattenden Zellen eine entsprechende Aus-
dehnung im Querschnitte des Organs gewinnen und alsdann scheibenförmig
den grössten Theil dieses Querschnittes durchsetzen. Diese Umbildung bezieht
sich auf alle Zellen, und sobald dieVakuolenbildung in der bei den Batrachiern
beschriebenen Weise angefangen hat, geht auch bei den Forellen embryonen
die Integrität der ursprünglichen Chordazellen verloren, indem sie in die
dünnen Wände der mit gallertiger Flüssigkeit gefüllten Vakuolenräume über-
gehen, und diese Wände zu den einfachen Scheidewänden des Gallertkörpers,
nach aussen aber zur kontinuirlichen und sehr dünnen protoplasmatischcn
Rindenschicht verschmelzen. In der letzteren habe ich bis nach dem
Erscheinen der Wirbelbögen keine Zellen entdecken können, welche überdies
bei der geschilderten Entwickelung der Wirbelsaite aus den scheibenförmigen,
oft die ganze Dicke des Organs durchsetzenden Embryonalzellen nicht abge-
leitetwerden, sondern nur als Neubildungen entstehen könnten. Ich muss daher
die Richtigkeit einer Abbildung Gegenbaue1 s von der Chorda eines Lachs-
embryo bestreiten (Nr. 118 Taf. IX Fig. IG). Ueber die dicke innere Chorda-
scheide habe ich nichts besonderes zu bemerken. Eine kontinuirliche Skelct-
schicht (Gegenbaue Nr. 88 S. 58) habe ich an den Knochenfischen ebenso-
wenig wie an anderen Wirbelthieren gesehen; auch ihre Wirbelanlagen
bestehen in der cylindrischen, der Wirbelsaite angepassten äusseren Scheide
und den Wirbelbögen, welche aus abgelagerten Dotterbildungszellen hervor-
gehen. Dadurch, dass ihre protoplasmatische Grundmasse durch Karmin
41(j VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
lebhaft gefärbt wild, unterscheidet sich die äussere Ch.ordasch.eide leicht von
dem umgebenden Bildungsgewebe, Avobei natürlich zunächst Frontalschnitte zu
berücksichtigen sind. Da diese äussere Chordasciieide niemals knorpelig wird,
so bleibt sie auch von den aufsitzenden knorpeligen Wirbelbögen stets deutlich
•gesondert. Die letzteren haben eine konische Gestalt und wachsen gerade
aufwärts, was natürlich von der einfacheren Anordnung der Muskeln abhängt.
Sie bleiben daher wie der ganze Lokomotionsapparat der Fische auf einer
niedrigen Bildungsstufe stehen , welche von den Amphibien überschritten wird.
Dasselbe gilt vom Wirbelkörper; die vertebralen Abschnitte der äusseren
Chordascheide verknöchern gerade so wie bei den geschwänzten Amphibien,
die intervertebralen Ringe zeigen aber nicht einmal die Anfänge einer
Wucherung und Knorpelbildimg, welche Gegenbaue selbst bei den niedersten
Amphibien entdeckte, sondern gehen offenbar in die bindegewebigen Interverte-
I tralligamente über. Wenn ich daher Gegenbaue beistimme, dass der Interverte-
bralknorpel die niedersten Amphibien über die Knochenfische erhebe (Nr. 88
S. 64) , so geschieht es doch nicht in dem Sinne , als wenn derselbe bei den
Teleostiern überhaupt kein Homologon hätte und beide Klassen dadurch
eigentlich weit geschieden würden (Nr. 118 8. 397). Hätte Gegenbaitr die
allerersten Entwickelungszustände der Wirbelsäule der Amphibien und Knochen-
fische untersucht, hätte er insbesondere die äussere Chordascheide als die
einheitlich morphologische Grundlage sowohl der primitiven perichordalen
Wirbelkörpertheile als ihrer intervertebralen Verbindungen erkannt, so wären
die Ergebnisse seiner sonst so gründlichen und gedankenreichen Untersuchungen
gewiss anders ausgefallen. Denn wie überall bieten auch im vorliegenden
Falle die weiter entwickelten Zustände für sich allein zu unsichere Ausgangs-
punkte, um den onto- und phylogenetischen Zusammenhang der Erscheinungen
und daraus die Homologie der einzelnen Theile festzustellen. Ich sehe mich
daher veranlasst, die Mannigfaltigkeit der bezüglichen anatomischen Thatsachen
und selbst die embryologischen Untersuchungen, soweit ich dieselben selbst
nicht prüfen konnte, hier unberücksichtigt zu lassen und mich zunächsl auf
den Forellenembryo zu beschränken. Dessen Wirbelbildung bleibt nach
meinen Beobachtungen allerdings unter derjenigen von Cöcilia und Proteus
stehen; aber der Unterschied beruht nicht darin, dass die Intervertebral-
knorpel dieser Amphibien als vollständig neue Theile dazukämen, sondern
darin, dass die überall gleichen Anlagen der Intervertebralringe der äusseren
Chordascheide bei der Forelle hloss in dünne Bänder, bei den Amphibien
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 417
ausserdem noch in verschieden dicke Knorpelringe sich verwandeln. Nach dem
morphologischen Werth schliessen sich also die Forellenwirbel unmittelbar an
die Proteuswirbel rückwärts an , wobei jedoch in Folge der späteren Knochen-
ablagerung auf den primitiven Wirbelkörper und der Betheiligung der Wirbel-
bügen an der Herstellung des anatomischen Wirbelkörpers Besonderheiten von
sekundärer Bedeutung sich entwickeln können. Und es ist nicht unmöglich,
dass solche minder wichtige Eigentümlichkeiten bei einem grossen Theil der
Teleostier die fundamentale Uebereinstimmung verdecken.
Sowie die von mir untersuchten Knochenfische die zusammenhängende
Entwickelungsreihe der verschiedenen Amphibienwirbel rückwärts ausdehnen,
scheinen die Amnioten sie zu höheren Bildungen fortzuführen. Hinsichtlich
der Wirbelsaite der Vögel und Säuger muss ich das oft Erwähnte noch ein-
mal wiederholen. Die ganze Masse der embryonalen Chordazellen wird zur
Herstellung eines Gallertkörpers und einer dünnen protoplasmatischen Rinden-
schicht verbraucht, in denen intakte Zellen nicht mehr nachweisbar sind. Ihr
ganzer Bau stimmt vollkommen mit demjenigen der Chorda der Knochenfische
und Amphibien überein; doch sind die freien Kerne der Rindenschicht an
jungen Schaf- und Kaninchenembryonen sowie an 5 — Ötägigen Hühner-
embryonen noch viel deutlicher zu erkennen als bei den erstgenannten Thieren,
wobei ich wiederholt darauf aufmerksam mache, dass diese Thatsachen nur an
Flächenansichten jener Schicht zu eruiren sind, welche wie es scheint bisher
.wenig benutzt wurden. Wenn daher W. Müller darin Recht haben mag,
dass in der ersten Zeit der Vakuolenbildung, über welche ich keine Erfahrungen
besitze, die peripherischen Chordazellen zum Unterschied von den früher ange-
führten Wirbelthieren intakt bleiben (Nr. 74 S. 335 — 338), so existiren solche
Rindenzellen an 5 — Gtägigen Hühnerembryonen ganz bestimmt nicht, noch
viel weniger aber an 4 Centimeter langen Embryonen des Schafes , da ich sie
in viel jüngeren vermisste. — Ueber die eigentliche Wirbelbildung der Amnioten
habe ich nur folgendes zu berichten. Der erste Fortschritt gegenüber den
niederen Wirbelthieren besteht jedenfalls darin, dass die Wirbelsaite wenigstens
der Vögel und Säuger in keiner Weise mehr zur Skeletfunktion benutzt wird,
sondern lediglich als Grundstock zur Ablagerung des sekundären Stammskelets
dient, daher aber auch relativ am frühesten schwindet. Eine kontinuirliche,
Wirbelbögen und Wirbelkörper gemeinsam differenzirende Skeletschicht muss
ich auch für die Amnioten in Abrede stellen und namentlich die Remak'scIic
Darstellung (Nr. 40 S. 41) als unrichtig bezeichnen, wonach die innere Hälfte
Goettr, Entwicklungsgeschichte. -'
418 "VII- Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
jedes Segments sich in einen vorderen und einen hinteren Abschnitt, die Anlage
eines Spinalganglions und eines Wirbelbogens spalte, und der letztere sich erst
nachträglich an die Grenze zweier Segmente verschiebe. Die Wirbelbögen
sind eben keine Ditferenzirungen vorhandener Embryonalanlagen, sondern
wachsen als Neubildungen von ihrer Basis an aufwärts; an Säugethier-
embryonen sehe ich anfangs zwischen den sehr grossen Spinalganglien nur
Gefässe und einiges Bildungsgewebe, die Wirbelbögen wachsen erst später
dazwischen hinein. Noch unbegründeter ist die Angabe Remak's über die
zweifache Gliederung der Wirbelkörpersäule (Nr. 40 S. 42 — 43), indem die
„primitiven Wirbelkörper" als die um die Wirbelsaite zusammengewachsenen
unteren Segmentränder in ihren Grenzen durchaus mit den Segmenten
zusammenfallen, dann aber verschmelzen und durch die „sekundären Wirbel-
körper" ersetzt werden sollen, deren Grenzen der Mitte der Segmente
entsprächen. Die primitiven Wirbelkörper Remak's existiren überhaupt nicht ;
sein Irrthum liesse sich aber vielleicht dadurch erklären , dass , wie ich an
jungen Schafsembryonen finde, die hintersten Rumpfwirbelkörper je eine quere
Einschnürung zeigen*, und Remak seine Auffassung wie es scheint nur aus
einem ganz ähnlichen Bilde schöpfte. — Der Ursprung der Bildungszellen der
Wirbelbögen wie der Wirbelkörper dürfte aber bei den Amnioten wegen der
viel weniger klaren histiologischen Verhältnisse ihrer Embryonalanlagen nicht
so leicht wie bei den Amphibien und Fischen nachzuweisen sein ; und die schon
erwähnte His'sche Lehre , dass alle Bindesubstanzen von den Gefässadventitien
abstammten (Nr. 109 S. 40. 41. 175—179), ist mir am Hühnchen nicht wahr-
scheinlicher geworden als an den Batrachiern. Die erwähnte geringe Deutlich-
keit der Embryonalzellen der höheren Amnioten erschwert natürlich auch die
Erkenntniss ihrer ersten Wirbelanlagen. Zur Zeit, wann sie aus den umgeben-
den Massen klar hervortreten, lässt sich zwischen den Bögen und den Central-
theilen der Wirbelkörper eine Grenze nicht leicht auffinden; im vorderen Rumpfe
junger Schafsembryonen aber, deren Wlrbelsaite noch nicht angefangen hatte
* Dies erinnert offenbar an Kölliker's Beobachtung von der Wirbelverdoppelung bei
Haien, wobei jedoch auch die Nerven sich verdoppelten (Nr. 44 ö. 199). Ich finde dagegen
im Schwänze von Scyllium doppelt soviele vollständige Wirbel als Ganglien und Muskel-
segmente. Dass diese merkwürdige Erscheinung aus einer nachträglichen Theilung hervor-
gehe, muss ich bezweifeln, weil alsdann die Bögen, Interkalarknorpel und diskreten Dorn-
fortsatzanlagen sich nicht einfach neben einander verdoppeln, sondern auf uuliemviflirlie
Weise alternirend stellen müsstcn.
VII. Die Wirbelsaitc und die Wirbelsäule. 419
zu schrumpfen, fand ich um dieselbe eine dicke Zellenschicht, deren Elemente
durchweg koncentrisch angeordnet waren , und im seitlichen Anschlüsse daran
offenbare Wirbelbogenanlagen, deren Zellen jedoch ohne bestimmte Anordnung
waren , sodass dadurch eine wenn auch nicht ganz scharfe Grenze gegen die
unmittelbare Umhüllung der Wirbelsaite gegeben war. Diesen Befund halte
ich für genügend, um mit Rücksicht auf die klaren Bilder bei den Amphibien
und Knochenfischen auch für die Säuger, denen sich wahrscheinlich die
übrigen Anmieten anschliessen, eine äussere Chordascheide als besondere
Wirbelanlage anzunehmen. Das Bemerkenswertheste an unserem Objekte
waren jedoch die Massenverhältnisse und Lagerungsbeziehungen der beiderlei
Anlagen. Die relativ sehr kleinen Masse der Wirbelsaite bedingen es, dass
wenn auch die äussere Scheide bei der so spät eintretenden Muskelaktion und
ihrer Wirkung sich anfangs bis zu einer ansehnlichen Dicke unbeschränkt
entwickeln kann , dieser ganze axiale Wirbeltheil doch nur eine sehr unvoll-
ständige Unterlage des Rückenmarkes bildet; daher krümmen sich die
mächtigen Wirbelbogenbasen von Anfang an unter das letztere, um sich dem
Axentheile in seiner ganzen Höhe anzulegen und mit zugeschärftem Rande auf
seine Ober- und Unterseite überzugreifen. Dieses Uebergewicht der Wirbel-
bögen stimmt nicht nur vollkommen überein mit der später hervortretenden
Doppelkegelform der Wirbelkörper, d. h. dem schliesslich dennoch ungleich-
massig abgeänderten Wachsthum der dicken Chordascheide, sondern erklärt
auch das Fehlen einer deutlichen Abgrenzung zwischen den zweierlei Wirbel-
anlagen älterer Embryonen : indem die histologisch noch ziemlich indifferenten
Wirbelbogenbasen den Axentheil vollständig umwachsen, ordnen sich ihre
Zellen ebenfalls koncentrisch um denselben an, wird also das frühere Grenz-
merkmal verwischt, dagegen ein ganz unmerklicher Uebergang aus der Zellen-
anordnung des Wirbelkörpers in diejenige der freien Bogentheile hergestellt.
Mit dieser starken Wucherung der histiologisch indifferenten Wirbelanlagen
stimmt nach den früheren Erörterungen die späte Knorpel- und Knochen-
bildung gut überein. — Für die Reptilien darf ich, gestützt auf die Unter-
suchungen Gegenbaub's (Nr. 88 S. 40 und flg., Nr. 1 18 S. 398 — 401), annehmen,
dass die Entwicklung ihrer Wirbel sich vollständig an diejenige der Amphibien
und zwar zum Theil (Ascalobatae) der niedersten unter ihnen sich anschliesse.
Wenn ich dabei Gegenbatjr folge, so geschieht es natürlich nur bedingt,
indem ich eine andere Auffassung der Wirbelbildung von den Amphibien auf
jene Amnioten übertrage als mein Gewährsmann. — Was ich über die Form
27*
420 VII. Die AVirbelsaite und die Wirbelsäule.
der Wirbelbögen der Amphibien und die damit zusammenhängende Bildung
der Zwischenbogengelenke mittheilte, gilt gleicherweise für alle Amnioten, deren
fertige Wirbel das betreffende Verhältiiiss noch deutlich erkennen lassen.
Die besten Beweise für die getrennte Anlage der äusseren Chordascheide
und der Wirbelbögen bieten jene Wirbelthiere, in denen die erstere schon
längst bekannt und nur nach ihrem Ursprung und ihren Homologien verschieden
aufgefasst wurde — die Selachier und die Dipnoi. Auch an dieser Stelle halte
ich eine wiederholte Zusammenstellung der verschiedenen einzelnen Formen
und Beschreibungen für überflüssig und beziehe mich bloss auf die neuesten
Darstellungen (Gegenbaur Nr. 118 S. 374. 389, W.Müller Nr. 74 S. 349— 353).
Entgegen seiner früheren Ansicht (Nr. 88 S. 64) hält Gegenbaur die durch die
sogenannte Elastica externa nach aussen deutlich abgegrenzte, knorpelig-binde-
gewebige Chordascheide für ein Produkt der Rindenzellenschicht der Wirbel-
saite, wie sie allen Fischen zukomme, und daher für ein Homologon der nicht
organisirten Kutikularbildungen der Wirbelsaite anderer Wirbelthiere (meine
innere Chordascheide). W. Müller bestreitet die Zulässigkeit dieser Auffassung
und glaubt, dass jene Chordascheide dem perichordalen Theile der Skelet-
schicht der Amphibien entspreche. Auf Grund freilich sehr beschränkter
Untersuchungen an Selachierembryonen (Acanthias, Scvllium), noch mehr aber
aus Rücksicht auf den an den übrigen Wirbelthieren festgestellten Entwickelungs-
verlauf schliesse ich mich der Auffassung Müller's an , natürlich mit der
schon erörterten Einschränkung , dass die betreffende Wirbelanlage weder von
den Gefässadventitien abstamme, noch mit den Anlagen der Wirbelbögen aus
einer kontinuirlichen Skeletschicht hervorgehe, um sich erst später bis zu
einem gewissen Grade von denselben abzugrenzen*./ Alsdann ist aber auch
die Uebereinstimmung in der Wirbelbildung der bei weitem meisten Wirbel-
* W. Müller sagt an der betreffenden Stelle (Nr. 74 S. 353): .,Sic (die Zellen der
Adventitia) umwachsen die Chorda zunächst seitlich und liefern die Anlagen der Wirbel-
I innen, erst später umwächst die innerste Schichte die Chorda auch oben und unten unter
Bildung einer koncentrischen . aus spindelförmigen Zellen bestehenden Umhüllung. Diese
Umhüllung ist es, welche durch ein membranartiges Netz feiner elastischer Fasern von der
Cutikularschicht der Chorda nach Innen und durch ein viel lockeres von den Wirbelbogen
nach aussen sich abgrenzt." Es erhellt daraus, dass W. Müller die ursprüngliche und
fundamentale Trennung der "Wirbelbogenanlagen und der perichordalen Wirbelkörper-
anlagcnderAnuren, von deren verschiedenen Texturverhältnissen er überdies nichts anführt,
gar nicht gekannt hat. Uebrigens kann ich die Anwesenheit der elastischen Fasern unter
den Wirbelbogenbasen nicht bestätigen.
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 421
thiere ganz offenbar; denn die Selachier und Dipnoi besitzen nach jener
Annähme dieselben zweierlei Wirbelanlagen, die äussere Chordasciieide und die
Wirbelbögen, in der deutlichsten Sonderling, welche ich für die Knochenfische,
Amphibien und Sänger direkt beweisen und für die übrigen Amnioten mit
grosser Wahrscheinlichkeit annehmen konnte. Bemerken swerth ist bei den
Selachiern, dass sie durch das starke Wachsthum ihrer äusseren Chorda-
scheide eine höhere Entwicklungsstufe andeuten als die Amphibien, während
doch das" charakteristische Merkmal höherer Wirbelbildung, stärker entwickelte
Intervertebralwülste fehlen. Zur Erklärung dieser Thatsache erinnere ich
zunächst daran, dass gemäss meiner früheren Darstellung vom Zusammen-
hange der einzelnen Entwickelungsvorgänge das Wachsthum der äusseren
Chordascheide überhaupt nicht nothwendig mit der Bildung eines Interverte-
bralwulstes zusammenfällt, sondern nur gewisse Abänderungen eines gleich-
massigen Wachsthums auf Wirkungen der Bogenbildung zurückgeführt werden
sollten. Jene aus der Entwickelungsgeschichte anderer Wirbel gewonnenen
Vorstellungen scheinen mir aber gerade besonders geeignet, die eigen-
thümlichen Verhältnisse der Selachierwirbel in ein neues Licht zu setzen.
Die dicke Chordascheide besteht an den mir vorliegenden Scylliumembryonen
zu innerst aus einer dunkleren Schicht, welche die bekannte Doppelkegelform
zeigt, in der sie auch später verkalkt, und welche die weiten Intervertebral-
ringe allein bildet. Diese Form tritt äusserlich desshalb weniger hervor, weil
um die vertebralen Verengerungen eine ringförmige helle Knorpelschicht
derselben Scheide liegt, welche gegen die Intervertebralwülste zugeschärft
ausläuft und daher gerade die Ausschweifung zum grössten Theile ausgleicht,
Ihr sitzen die Wirbelbögen, allerdings mit verbreiteter Basis, sonst aber als
schmächtige, cylindrische Stücke auf, welche in einer senkrechten Querebene
aufwachsen, ohne jedoch über dem Rückenmarke zur Berührung zu kommen,
wie Gegenbaur meint (Nr. 89 S. 605), sodass ihre spätere mediane Verbindung
durch besondere diskret angelegte Knorpel (Dornfortsätze) bewirkt wird. Die
Interkalarknorpel erscheinen in derselben Gestalt, nur umgekehrt nach unten
verschmälert und den Intervertebralringen aufsitzend ; jene oberen Verbindungs-
stücke liegen je zwischen den Spitzen der Bögen und der Interkalarknorpel,
sodass ihrer zwei auf jeden Wirbel kommen. Dass die unvollkommenen
Bögen, welche mit der einfachen Muskelanordnung übereinstimmen, anfangs
die Doppelkegelform hervorriefen, aber ähnlich wie bei den Knochenfischen
die Bildung von nach innen wuchernden Intervertebralwülsten nicht hervorzu-
422 VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
rufen vermochten, ist nach dem früheren verständlich. Wenn aber darauf
statt eines relativen Stillstandes gerade eine vertebrale Verdickung der
äusseren Chordascheide erfolgt, so niüsste nach meinen Voraussetzungen die
Wirkung der Bögen auf ihre Unterlage geradezu sich zurückbilden-, und dies
lässt sich, wie ich glaube, an den Selachierwirbeln wirklich begründen. Schon
an älteren Embryonen verschiedener Haie sehe ich die Ansätze der Rücken-
muskeln auf die queren Sehnenscheiden beschränkt, und statt der bei anderen
Wirbelthieren erkennbaren Vermannigfaltigung ihrer Befestigung an den
Wirbelbögen erscheinen die letzteren an den reifen Selachiern sammt den
Interkalarknorpeln zu breiten Platten umgebildet und diese zu einer festen
Röhre um das Rückenmark gefügt, welche mit der Muskelaktion unmittel-
bar nichts mehr zu thun hat. Die Wirbelbögen des Selachier geben also
umgekehrt wie bei anderen Wirbelthieren ihre Beziehung zu den Muskeln,
durch deren Steigerung und Gliederung sie allein auf ihre Unterlage, die
äussere Chordascheide, im Sinne der Wirbelkörperbildung wirken können,
ganz auf, um in einer Anpassung an die häutige Rückenmarksröhre ihre
ursprüngliche Bestimmung vollständig zu wechseln. Dann lässt sich aber
auch die beschriebene Wirbelkörperbildung durchaus im Einklänge mit dem
von mir aufgestellten Kausalzusammenhange bei der Wirbelentwickelung
erklären: es schwinden die Ursachen für den Fortschritt derselben so weit,
dass an seine Stelle eine gewisse Entartung des allgemeinen Entwicklungs-
ganges tritt. Diese Beweisführung mag unvollkommen sein , dürfte aber nicht
ganz unberechtigt erscheinen, da sie nicht nur Neues erklärt, sondern auch
meine früheren Voraussetzungen wesentlich erläutert. — Der grosse Förmen-
reichthum, welcher nicht nur bei den Selachiern, sondern auch bei den übrigen
Fischen * die Wirbelbildung auszeichnet, lässt zunächst bestimmte Entwickelungs-
reihen nicht mit Sicherheit bezeichnen , und muss ich mich für meinen Zweck
damit begnügen unter jenen Thieren die Belege für gewisse fundamentale
Vorgänge der allgemeinen Wirbelbildung gefunden zu haben. Nur ein kurzer
Hinweis auf die Cyklostomen sei noch gestattet. Bekanntlich gilt ihr Stamm-
skelet, d. h. die Wirbelsaite mit ihrer äusseren Scheide und die sich daran
schliessende häutige Rückenmarksröhre für das vollkommenste Beispiel der
* Gegenbaür sagt (.Nr. 88 S. 62). „Es sind also bei den Ganoidcn die einfachsten wie
die höchsten Formen der Wirbelkörperbildung vertreten , und es einigen sich zugleich bei
ihnen die beiden sonst streng geschiedenen Hauptformen der Fischwirbelbildung, jene der
Knochenhsche mit der der Selachier."
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 423
kontinuirlichen Skeletscliicht. Wenn aber J. Müllee von Petromyzon angibt
(Nr. 7(3 I S. 84) : ,,An dem oberen häutigen Rohr (sind) Knorpelschenkel ange-
wachsen wie Rudimente von Wirbelbogen", so folgt daraus, dass diese Wirbel-
bogenanlagen ausserhalb der häutigen Röhre und ihr nur dicht anliegen, d. h.
sich genau so verhalten, wie die homologen Theile der Batrachier, Fische und
Amnioten zu der häutigen Rückenmarksröhre, welche nicht zum Skeletsystem
gehört. Darin und dass ferner die knorpeligen Wirbelbögen auch bei den
Cyklostomen von allen Theilen diskreter Wirbel zuerst erscheinen, während
der ungegliederte Axentheil (die Wirbelsaite mit ihrer äusseren Scheide) das
primordiale Stammskelet darstellt, wie es bei den Myxinoiden allein bestehen
bleibt, finde ich Grund genug, das ganze Stammskelet der Cyklostomen den
ersten von mir nachgewiesenen Entwicklungsstufen desselben bei höher-
stehenden Wirbelthieren, insbesondere den Batrachiern, gleichzustellen.
Wenn ich nach dieser freilich sehr unvollständigen Durchmusterung der
meisten Wirbelthierklassen bezüglich ihres Wirbelbaues die Hauptmomente
der Entwickelung kurz zusammenfasse, so darf ich als wesentlichstes Ergebnis*
obenan stellen, dass die Wirbel überall aus demselben Ursprünge und nach
denselben Gesetzen sich bilden, und dass die verschiedenen Wirbeltypen ebenso
wie die auf den ganzen Organismus bezüglichen „Typen" nur verschiedene
Stufen eines gemeinsamen Entvvickelungsganges bezeichnen. Hinsichtlich des
Ursprungs der Wirbel ist daran festzuhalten, dass sie weder aus einer
kontinuirlichen Skeletscliicht, welche auch das Rückenmark röhrig umschlösse,
noch überhaupt aus einer einheitlichen , sondern aus zweierlei Anlagen hervor-
gehen: dem unpaaren Axentheile (Wirbelsaite und äussere Chordascheide)
und den paarigen , durchweg diskret entstehenden Wirbelbögen. Die Lehre
von den „häutigen Wirbeln" ist um so unzulässiger , als der Begriff einer voll-
ständig ungegliederten Wirbelsäule ein Widerspruch in sich selbst ist. Einen
einheitlichen Entwickelungsverlauf der Wirbelbildung hat bisher nur Gegenbaue
aufgestellt: die Knorpelbildung innerhalb der häutigen Skeletscliicht sollte
von den Bögen ausgehend sich um die Wirbelsaite ausbreiten, und so aus den
paarigen Bögen allmählich ein einheitlicher Wirbel sich entwickeln (Nr. 118
S. 395 — 40G). Diskontinuirliche Knorpelanlagen (niedere Amphibien) seien
aus einer Rückbildung zu erklären, der Fortschritt der Entwickelung offen-
bare sich dagegen in der Ausbildung der Intervertebralknorpel , der Anlagen
der Wirbelepiphysen und Zwischenwirbel gelenke. Nachdem ich die Einzel-
heiten dieser Darstellung bereits kritisirt, will ich hier nur hervorheben, dass
424 VII. Die Wirheisaite und die Wirbelsäule.
in ihr jeder Hinweis auf einen Kausalzusammenhang der Entwickelungs-
erscheinungen fehlt, und dass, indem der Schwerpunkt in die Knorpelbildung
verlegt ist, überall dort, wo dieselbe auf die Wirbelbögen (Knochenfische"1
beschränkt oder wenigstens aus dem eigentlichen Wirbelkörper ausgeschlossen
ist (niederste Amphibien) , dem letzteren überhaupt die wesentliche Grundlage
der übrigen Wirbelformen fehlt , also die Wirbelbildung nicht durch die ganze
Wirbelthierreihe mit denselben Elementen beginnt. Ich habe dagegen versucht
aus einem einheitlichen Entwickelungsverlaufe der Wirbelbildung auch ein
einheitliches Kausalgesetz desselben abzuleiten; so wie ich beides, Verlauf und
Gesetz der Erscheinungen, für die Batrachier bis ins einzelne ausführte, kann
es , wie ich glaube , als Vorbild auch für die übrigen Vertebraten gelten. Von
den Cyklostomen an durch die Teleostier, Amphibien und Amnioten hindurch
finden wir dieselbe Reihenfolge der Stammskeletformen , die uns an der
individuellen Entwicklung einer vollkommeneren Wirbelform entgegentritt:
überall ist die Wirbelsaite die einzige primär-morphologische Anlage des Stamm-
skelets , überall sind es die Staminuskeln , welche theils durch ihre morpho-
logischen Anlagen (Segmente), theils durch ihre Funktion die sekundäre
Skeletbildung veranlassen ; überall endlich wird die Gliederung und weitere
Ausbildung der letzteren durch die diskreten Wirbelbogenanlagen vermittelt
und dadurch dem ursprünglichen Skeletgebilde, der Wirbelsaite die Thätigkeit
successiv entzogen und endlich ihr Bestand zerstört. Sobald wir uns aber die
grossen Schwankungen vergegenwärtigen, welche in der Entwickelungshöhe
der Wirbel nahverwandter Thiere vorkommen (vgl. Köllikek Nr. 44,
Gegenbatjr Nr. 88), werden wir darauf verzichten müssen in den Entwickelungs-
reihen der verschiedenen Wirbelformen unfehlbare Wegweiser für phylogene-
tische Verbindungen zu suchen. Nur in einem Falle, bei den Haien*, glaube
ich genügende Anhaltspunkte gefunden zu haben zu der Annahme, dass dort
ebenso wie es schon bezüglich der Hirnbildung angedeutet wurde, eine
Entartung einer höher angelegten Wirbelbildung vorliege. Die lebhafte
Wucherung der äusseren Chordascheide weist mit ebenso grosser Wahrschein-
lichkeit auf jene letztere hin, als die Umbildung der Wirbelbögen, das Auf-
geben ihrer ursprünglichen Funktion eine Entfernung von der allgemeinen
Entwickelungsrichtung deutlich offenbaren. Daher befinden sich die betreffen-
* Es ist sehr wohl möglich, dass das für die Haie Nachweisbare auch noch auf einige
andere Wirbeltbiere (gewisse Ganoiden, Chimära) übertragen werden könnte.
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 425
den Wirbelsäulen trotz ihrer relativ mächtigen Wirbelanlagen funktionell auf
der niederen Stufe eines einfachen elastischen Stabes, wozu die Wirbelbögen
als besondere lokoniotoriscbe Skelettheile nicht mehr gehören.
Es bleibt mir noch übrig einige besondere Theile des Stammskelets einer
näheren Prüfung zu unterziehen, die Querfortsätze, Rippen und unteren Bögen.
In der Beschreibung habe ich sie in der herkömmlichen Weise genannt und
dabei festgestellt, dass die Anuren einfache Querfortsätze und Rippen, die
Salamandrinen und wohl alle übrigen Amphibien dagegen im Rumpfe beider-
lei Skeletstücke doppelt und paarweise verschmolzen besitzen , ausserdem aber
noch untere Bögen an der Schwanzwirbelsäule. Indem ich aber hinzufüge,
dass ich an den Larven der Salamandrinen die Anlagen der Querfortsätze
und Rippen auch an den Schwanzwirbeln, welchen untere Bögen angefügt sind,
wiederfinde, und dass dieser Befund sich noch an erwachsenen Thieren nach-
weisen lässt, geräth meine Darstellung in offenbaren Widerspruch mit der
neuerdings von Gegenbaue durchgeführten Deutung jener Anhänge und
Fortsätze der Wirbel (Nr. 89 S. 602—605. 612—622, Nr. 118 S. 406—417).
Allerdings hatte schon Rathke (Nr. 47 S. 128) eine im allgemeinen zutreffende
vergleichende Darstellung der Wirbelfortsätze gegeben, indem er von den
Wirbelkörpern zwei Strahlen aufwärts (obere Bögen) und zwei abwärts hervor-
gehen Hess, die sogenannten Rippen der Fische und die unteren Bögen der
Schwanzwirbel aller Wirbelthiere, während die seitlichen Querfortsätze und die
von ihnen sich abgliedernden Rippen der Amphibien und Amnioten besondere,
von jenen unteren Wirbelstrahlen unterschiedene Bildungen sein sollten. Da je-
doch Rathke diesen Vergleich weder embryologisch noch sonstwie zu begründen
versuchte, vermochte er demselben keine bleibende Anerkennung zu sichern,
sodass Gegenbaue, mit demselben Recht eine ganz abweichende Auffassung
vortragen konnte. Er stellt dem System der oberen Wirbelbögen das untere
Bogensystem entgegen, welches die Querfortsätze einerseits, andererseits die
Rippen und unteren Bögen, und diese zwar als zweierlei Entwickelungsstufen
gleichwertiger Anlagen, umfasst. Beide Bogensysteme seien nicht homotype
Theile, weil sie „bei absoluter Verschiedenheit der subvertebralen und supraverte-
bralen' Hohlräume " überhaupt nicht „vergleichbare Objekte seien" (Nr. 118
S. 412). Das ventrale Bogensystem, welches die betreffenden Hohlräume ebenso
426 VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
umschliesst wie die oberen Wirbelbögen das Rückenmark, wird durch seine
„Anpassung an den veränderlichen Umfang" der eigentlichen Rumpfhöhle von
den Wirbelkörpern abgegliedert, behält dagegen in der Uinschliessuug des
beständigeren Kaudalkanals die indifferentere Form unbeweglicher Wirbel-
fortsätze. Diese werden von Gegenbaur als „untere Bögen", alle gegliederten
Anhänge als „Rippen" bezeichnet, denen sich die Querfortsätze als häufige
Träger der Rippen und andererseits bisweilen als Elemente besonderer unterer
Dornfortsätze (Teleostier) ansehliessen , welche jedoch mit den eigentlichen
unteren Bögen nicht zusammengeworfen werden dürften (Nr. 89 S. 603. 605.
617. 618, Nr. 118 S. 409. 413. 417).
Da diese Darstellung aus Untersuchungen hervorging, welche durch die
ganze Wirbelthierreihe ausgeführt wurden, so handelt es sich in erster Reihe
darum, die bei verschiedenen Thieren und in verschiedenen Körperregionen
gleichwerthigen Stücke herauszufinden. Dabei stützte sich aber Gegenbaur
nicht auf embryologische Thatsachen, welchen allein die Entscheidung über
die Homologie zusteht, sondern nur auf die fertigen Zustände , die rein ana-
tomische Beobachtung, welche wohl die Geltung der ersteren verallgemeinern,
aber für sich allein dieselben niemals mit voller Sicherheit ersetzen kann. Die
Unvollkommenheit einer solchen anatomischen Argumentation ergibt sich
denn auch sofort, wenn wir die bezüglichen Untersuchungen Gegenbaur' s
näher prüfen. Einmal wechselte er seine Definition in kurzer Zeit vollkommen
aus: indem er zuerst von der gewiss willkürlichen Voraussetzung ausging,
dass die Rippen nicht als kontinuirliche Wirbelfortsätze sondern selbstständig
sich entwickelten , erschienen ihm dieselben als die ursprünglichen Stücke, von
denen ein Theil durch Verschmelzung mit den Wirbeln die unteren Bögen
bilde (Nr. 118 S.414. 415. 417); darauf nannte er sie aber umgekehrt „Fortsatz-
bildungen der Wirbel", welche durch Abgliederung aus den unteren Bögen
sich differenzirt hätten (Nr. 89 S. 617. 621). Ebenso schwankt aber auch
seine Deutung einzelner Stücke, wie z. B. der seitlichen Wirbelfortsätze der
Schildkröten, welche er anfangs für einfache Querfortsätze, später ohne
erkennbare Veranlassung für indifferente Anlagen solcher nebst den zuge-
hörigen Rippen erklärte (Nr. 118 S. 414. 415, Nr. 89' S. 619). Und wenn
Gegen iiArß bei der ersten Entscheidung es ausspricht, „dass der auf eine
Vergleichung von Folgestücken bei einem und demselben Thicre sich
gründende Nachweis einer Homotypie nur dann völlige Geltung haben kann,
wenn auch die genetischen Beziehungen mit dem Befunde des ausgebildeten
Vir. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 427
Theiles im Einklänge stehen", so wurde doch gerade in jenem Falle die
bezügliche embryologische Thatsache der anticipirten anatomischen Definition
untergeordnet und dadurch ihre Beweiskraft illusorisch gemacht: weil die
fraglichen Fortsätze aus den Wirbeln hervorwüchsen (Rathke), sollten sie
keine Homologa von Rippen sein, obgleich deren selbstständige Entwicklung
eine unbegründete anatomische These war, welche Gegenbaur selbst alsbald
aufgab. Im übrigen basiren aber alle seine Feststellungen lediglich auf ana-
tomischen Vergleichen, namentlich der Folgestücke am blossen Skelet. Dass
aber bei einer solchen Methode nicht nur die einzelnen Deutungen, sondern
auch die allgemeineren Vorstellungen unsicher und unklar bleiben müssen , ist
natürlich. Daher ist bisher, solange die Bedeutung der morphologischen
Entwickelung überhaupt nicht genügend erkannt war, auch das Verhältniss
des festen Stammskelets und namentlich seiner Bögen und Fortsatzbildungen
zu den übrigen Körpertheilen irrig aufgefasst worden. Es gehört, wie ich
darzuthun mich bemüht habe, nicht gleich der Wirbelsaite zu den primär-
morphologischen und -typischen Anlagen, sondern stellt nachträgliche Neu-
bildungen vor, welche neben manchen andern Bildungen (Gefässe , Nerven,
Rückenmarkshäute) innerhalb des indifferenten Bildungsgewebes aus dem
plastischen Ernährungsmaterial (Dotterbildungszellen) entstanden und sich
dabei ebenso wie jene andern den bestehenden morphologischen Embryonal-
anlagen anpassten. Ja, man kann sagen, dass sie eigentlich nur den
Lagebeziehungen dieser Embryonalanlagen, den in denselben enthalte-
nen Formbedingungen ihre Entstehung verdanken, indem das plastische
Ernährungsmaterial dadurch zu ungleichmässiger Verheilung im intersti-
tiellen Bildungsgewebe, zu den lokalen Anhäufungen veranlasst wird, deren
histologische Umbildung das gegliederte Stammskelet erzeugt. Dabei-
ist aber auch die morphologische Selbstständigkeit dieser von mir soge-
nannten sekundär- typischen Theile keine ihnen eigen thümliche sondern nur
eine entlehnte; und sowie desshalb das gegliederte Stammskelet nicht zum
Begriff des Wirbelthiertypus gehört, darf es auch nicht für sich allein ver-
gleichend betrachtet , d. h. die einzelnen Theile wie etwa beim Centralnerven-
system immer nur auf das Ganze ihrer Anlage bezogen werden. Wie sehr die
Verkennung dieser Verhältnisse der vergleichenden Osteologie schadete, werde
ich ganz besonders beim Kopfe auszuführen haben. Für das Stammskelet des
Rumpfes lassen sich die meisten Irrthümer darauf zurückführen, dass seine
Bedeutung in der Umschliessung des Rückenmarks gesucht wurde. Die daraus
428 VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
geschöpfte irrige Vorstellung, dass seine gegliederte Form der hantigen
Rückenmarksröhre der Cyklostomen homolog sei, wurde darauf in die
Entwickelungsgeschichte hineingetragen und veranlasste so die Lehre von der
kontinuirlichen, rührigen Skeletschicht, welche die ursprünglichen Beziehungen
der passiven zu den aktiven Bewegungsorganen der Aufmerksamkeit ganz
entzog. Wurden aber die oberen Bögen nur auf den eingeschlossenen Raum
und dessen Kontenta bezogen, so lag es nahe, den übrigen Wirbelanhängen
und Fortsätzen ähnliche Beziehungen zu den subvertebralen Räumen zuzu-
sprechen. So wurde überall eine einfache Reihe unterer, der Rumpfhöhle und
dem Kaudalkanal angepasster Bögen aufgesucht und gefunden , wobei man ein
ganzes Fortsatzsystem übersah oder vom Stammskelet willkürlich ausschloss,
(die eigentlichen Schwanzrijjpen der Amnioten, die sogenannten Fleischgräten
der Fische), andererseits unter dem Namen der Rippen und Querfortsätze
homologe Stücke trennte, ungleichwerthige zusammenstellte. Wie schematisch
die Begründung solcher Auffassungen oft war, erhellt daraus, dass die
Abgliederung oder „Rippenbildung" der unteren Bögen, welche aus einer An-
passung an den veränderlichen Umfang der Rumpf höhle hervorgehen soll, um
den unveränderlichen Kaudalkanal der Reptilien ebenfalls erfolgt, und für das
Unterbleiben einer solchen Abgliederung im Halse und in der Lendengegend
jedenfalls andere Gründe hervorgesucht werden müssen, als die Unveränder-
lichkeit der betreffenden subvertebralen Räume. Die wahren Ursachen aller
Zustände der verschiedenen Wirbelfortsätze lassen sich eben erst aus ihrer
Entwickelungsgeschichte erkennen, welche uns ihre ursprünglichen Beziehungen
und Homologien aufdeckt.
Zunächst lernen wir aus der Entwickelungsgeschichte der Batrachier,
dass die aus den Segmentkernen hervorgehenden Stammuskeln die Bildung des
Stammskelets beherrschen. In welcher Weise dies am Wirbelkörper und den
oberen Pyogen erfolgt, ist bereits geschildert worden ; für alle übrigen Wmbel-
fortsätze ist die Kenntniss von der wechselnden Lage jener Muskelmassen
wichtig. Da ihre Anlagen, die Segmentkerne, die überwiegende Masse der
Segmente ausmachen, so verhalten sie sich natürlich durchaus übereinstimmend
mit den ganzen Segmenten, deren nach den Körperregionen verschiedene
Anordnung bereits geschildert wurde (S. 209 und flg.). Im Schwänze sind
daher die Stammuskeln am gleichmässigsten angeordnet (Taf. XIII, X \ III);
ihre Mitte liegt ohngefähr in der Höhe der Wirbelsaite und die unteren
Hälften erstrecken sich in ähnlicher Weise gerade abwärts wie die oberen bis
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 429
über das Rückenmark gerade aufsteigen. Im Rumpfe verhalten sich die oberen
Hälften ebenso, die unteren dagegen sind zur Seite der Chorda zusammenge-
zogen und desshalb von Anfang an verbreitert, um später mehr oder weniger
seitlich auszuwachsen*. Ausserdem tritt eine vollständige Trennung beider
Hälften aller Stammuskeln ein. — Die diesen präexistirenden Muskelanlagen
sich anpassende Skeletbildung besteht erstens in Bögen, welche unabhängig
von der äusseren Chordascheide und nur auf sie gestützt sich der Innenseite
der Stammuskeln längs der queren Scheidegrenzen anlegen und dort deren
Befestigungen aufnehmen; zweitens in seitlichen Fortsätzen, welche aus jenen
Bögen zwischen die oberen und unteren Muskelhälften hineinwachsen und
gleichsam als quere Träger derselben erscheinen. Bei der durchgängigen
horizontalen Muskeitheilung und der Gleichartigkeit der oberen Muskelhälften
sind die Formbedingungen für die oberen Bögen und seitlichen Fortsätze
überall dieselben, diese Skelettheile daher an allen nicht rudimentären Wirbeln
sowohl des Rumpfes wie des Schwanzes, wo ein solcher persistirt, vorhanden.
Die unteren Muskelhälften bieten aber nur im Schwänze ähnliche Anpassungs-
bedingungen dar wie die oberen Bögen, sehliessen sich dagegen im Rumpfe,
nachdem sie zur Seite der Wirbelkörper verschoben, vollständig den lateralen
Wirbelfortsätzen an ; und die Erfahrung , dass die unteren Bögen nur an den
Schwanzwirbeln vorkommen (Urodelen), bestätigt ihre Abhängigkeit von der
erstgenannten Lage der Stammuskeln. Obere und untere Bögen sind mithin
nach Ursprung und Lagebeziehungen als homotype Theile zu betrachten.
Gegenbaur's Einwand ist nach seiner Begründung nicht stichhaltig, denn die
ursprünglichen, wesentlichen Beziehungen der beiderlei Bögen werden eben
nicht durch die Eontenta der eingeschlossenen Räume, sondern durch die
angehefteten Muskeln bedingt; im übrigen gehört aber jener Einwand
eigentlich nicht ganz hierher, da er sich auf das ganze untere Bogensystem
Gegenbaur's, also auch auf die seitlichen Fortsätze bezieht , welche allerdings
weder den oberen noch den unteren Bögen homotyp sind. Diese Fortsätze
sind bei ihrer Anpassung an die horizontale Muskeitheilung in ihrem Wachs-
thume von der seitlichen Ausbreitung der von ihnen getragenen Muskelmassen
abhängig, welche natürlich im Schwänze am geringsten ist und sich bis in. den
vorderen Rumpftheil steigert, ohne jedoch eine auffallende Differenz zu
* In Folge der Anschwellung des Bauches findet jene Znsammenziehung bei den Anuren-
Iarven viel früher statt als bei den Larven der Urodelen {vgl. Taf. XIX Fig. 338—34:0).
430 VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
erreichen. Dabei tritt offenbar unter dem Einflüsse der sieb ausbreitenden
und verstärkenden Muskelansätze die Gliederung jener Fortsätze in die
medialen Wurzelstücke (Querfortsätze) und die Aussenglieder (Rippen) ein;
wo die Entwicklung dieser Fortsätze niebt so weit fortgeschritten oder die
Gliederung durch Verwachsung rückgängig gemacht ist, müssen sie daher
stets als die indifferenten Anlagen je eines Querfortsatzes und einer Rippe
angesehen und von Querfortsätzen in diesem Sinne unterschieden werden.
Ich werde sie Rippenfortsätze nennen. Von diesen Rippenfortsätzen der
Anuren sagt Gegenbaur (Nr. 89 S. 619) ; „Bei den Anuren sind sie (die Rippen)
vollständig verloren gegangen, oder werden in indifferentem Zustande durch
die hier sein1 ansehnlichen Querfortsätze repräsentirt." Dagegen muss ich
bemerken, dass diese Fortsätze nicht einen unentwickelten, sondern einen
rückgebildeten Zustand darstellen. Eine solche Rückbildimg fehlt bekanntlich
nicht nur an den Rumpfwirbeln, sondern auch an einigen vorderen Schwanz-
wirbeln der ausgewachsenen geschwänzten Amphibien, wie ich Stannius für
Menopoma bestätigen kann (Nr. 80 II S. 12). Gegenbaur erwähnt dieses Ver-
hältniss an Menopoma, dessen untere Bögen er untersuchte (Nr. 118 S. 414),
nicht; es bietet aber dieses gleichzeitige Vorkommen von Rippen und unteren
Bögen an denselben Wirbeln den klarsten Beweis gegen die Lehre Gegenbaur's
von der Identität beider Skelettheile. Die Rippenfortsätze der Amphibien
entspringen übrigens stets, auch wo sie doppelt vorkommen, von den oberen
Bögen; wenn aber schon in Folge der Verschiebung der Wirbelbogenbasen die
Wurzel wenigstens des unteren Fortsatzes an die Seite des fertigen Wirbel-
körpers zu liegen kommt und daher irrigerweise überhaupt nicht mehr auf die
Wirbelbogenbasis bezogen wird, so dienen die früher erwähnten, ganz unregel-
n lässig verknöchernden Bindegewebsbrücken zwischen verschiedenen Wirbel-
theilen dazu, Zahl und Lage der eigentlichen Quer- und Rippenfortsätze am
ausgebildeten Thiere völlig in Zweifel zu stellen, bis die Entwickelungsge-
schichte die Entscheidung bringt. . Doch glaube ich , dass , wenn man dieses
Verhältniss im allgemeinen richtig erkannt hat, die ausführliche Deutung an
jeder Species und jedem auffallenden Wirbel (vgl. Stannius Nr. 80 II. S. 1 3)
kein "sonderliches Interesse hat. — Gegenüber der GEGENBAUR'schen Theorie
steht also für die Amphibien fest, 1. dass ihre unteren Bögen den oberen homo-
typ, beide aber den Rippen nicht gleichwerthig sind; 2. dass diese letzteren nicht
selbstständige Bildungen darstellen, sondern in continuo mit den Querfortsätzen
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 431
aus den oberen Bögen hervorwachsen und sich erst später abgliedern, daher
rieben unteren Bögen bestehen können.
Diese Zustände der Amphibienwirbel lassen sich im allgemeinen auch an
den übrigen Wirbelthieren nachweisen, sobald man ihre Entwickehmg berück-
sichtigt. — Die Amnioten finde ich darin von den Amphibien am wenigsten
abweichend, indem ihre unteren Bögen auf die Schwanzregion beschränkt und
die Rippenfortsätze, d. h. die gemeinsamen Anlagen der Querfortsätze und
Rippen, seitliche Auswüchse der oberen Bögen sind. Dieses letztere Verhältniss
habe ich besonders deutlich im Schwänze von Schafsembryonen gesehen, wo
die Rippenfortsätze von der Wirbelbogenbasis zur Seite verlaufen und die
Stammuskeln in zwei sehr symmetrische Hälften theilen ; da diese Schwanz-
muskeln aber sehr klein sind, reicht die untere Hälfte nur bis zur Bauchfläche
der Wirbelkörper, gibt also zur Bildung unterer Bögen, wenigstens hinter den
allerersten Wirbeln, keine Veranlassung. Dies geschieht erst bei den Thieren,
deren Schwanzmuskulatur mächtiger entwickelt ist , z. B. bei den Reptilien ;
und beim Chamaeleon habe ich ferner ein Seitenstück zu der Schwanzwirbel-
säule der Urodelen gefunden, indem an den vorderen, mit unteren Bögen
(untere Dornfortsätze aut.) versehenen Wirbeln jener Gegend den langen Quer-
fortsätzen gesonderte und artikulirende knöcherne Rippen angefügt sind,
welche allerdings bei ihrer ausserordentlich geringen Grösse von ca. 0.5 Mm.
mit den Muskeln leicht unbemerkt von den Querfortsätzen abgerissen werden
können. Ich mache auf diese Thatsache deshalb aufmerksam, weil Gegenbaur
das Fehlen solcher Rippen bei anderen Reptilien (Krokodile) zu Gunsten seiner
Ansicht anzieht, dass nämlich die Rippen in den unteren Bögen zu suchen
seien (Nr. 118 S. 414, Nr. 89 S. 620-621). Uebrigens steht gar nicht die
Frage zur Entscheidung, ob solche kontinuirliche seitliche Wirbelfortsätze
Querfortsätze oder Rippen seien , sondern es sind eben gemeinsame Anlagen
für beides, welche entweder in ihrem indifferenten Zustande bleiben oder ihre
Gliederung nachträglich verlieren. Sehr anschaulich offenbart sich dies an
den Schwanzwirbeln des Schnabelthieres , deren breite aber spitz auslaufende
Rippenfortsätze theils kontinuirlich erscheinen, theils bei der gleichen Gestalt
eine Naht zeigen, welche die Spitze vom übrigen Körper trennt. Dieselbe Be-
deutung wie die kaudalen Rippenfortsätze haben alle übrigen seitlichen Wirbel-
fortsätze, von denen keine Rippen sich abgegliedert haben, während Querfort-
sätze nach der von mir vorgeschlagenen Terminologie nur die bei der
Abgliederung von Rippen am Wirbel zurückbleibenden Wurzelstücke genannt
432 VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
werden sollten. Dass aber mit dieser Definition die Schwierigkeiten bei der
anatomischen Deutung im einzelnen Falle nicht gehoben sind, wird sich aus
dem folgenden ergeben. Die Wirbelfortsätze der Vögel und Säuger (Huhn,
Wasserhuhn , Schaf, Maulwurf) stimmen in ihrer Entwickelung im allgemeinen
mit denen der Salamandrinen überein, d. h. im vorderen Rumpftheile (Hals) sind
die Rippenfortsätze doppelt und mit ihren lateralen Enden verschmolzen, im
mittleren Rumpftheile (Brust) verkümmert der obere Fortsatz gegenüber dem
unteren zu einer blossen Stütze des letzteren, um in der Lendengegend und im
Schwänze ganz zu verschwinden. Indem jedoch bei jenen Anmieten die Massen-
entwickelung der Stammuskeln je nach der Körperregion stärker wechselt, die-
selben nämlich im Halse und in der Lendengegend nur wenig seitwärts, in der
Brustgegend dagegen bis an die Bauchseite sich ausbreiten (Mm. intercostales),
tritt ein entsprechender Unterschied auch an den davon abhängigen Wirbel-
fortsätzen deutlich hervor. Die doppelten Rippenfortsätze des Halses sind
daher so kurz, dass sie durch ihre Verbindung annähernd einen Ring bilden,
dessen Oeffnung natürlich entgegen dem gleichen Namen nicht dem Foramen
transversarium der Amphibien, sondern nur deren unansehnlichen und desshalb
unbeachteten Lücke zwischen den doppelten Rippenwurzeln entspricht*; die
verschmolzenen Enden sind oft nur durch zwei Spitzen am äusseren Umfange
jenes Ringes angedeutet. Im Uebergange zur Brustregion verlängert sich be-
kanntlich an den letzten Halswirbeln der untere Fortsatz und gliedert sich zu
einer Halsrippe ab, sodass das gegen den oberen Fortsatz gerichtete Ver-
bindungsstück als das Tuberculum der folgenden Brustrippen, jener als das
Ilomologon der bisher sogenannten Querfortsätze erscheint. Diese Homo-
logien sind gewiss richtig, nicht aber die letzte Bezeichnung-, denn jene
„ Querfortsätze" entwickeln sich durchaus selbstständig und gliedern keinen
Theilab, welcher etwa mit der unteren Rippe verschmölze, sind also wahre
Rippenfortsätze und folglich homolog den Rippen nebst deren eigentlichen
Querfortsätzen, an denen ihr Capitulum artikulirt. Die vertebralen Enden
der Brustrippen sitzen nämlich im Embryo ebenfalls auf kleinen Vorsprüngen
(Querfortsätze) an der Seite des Wirbelkörpers, welche erst in Folge der Ver-
schiebung der Rippenenden an die Wirbelgrenzen sich zurückbilden. Die
Tubercula dieser Rippen sehe ich aber als spätere Anpassungen an den von
* Gegenbauk identificirt daher mit Unrecht beide Oeffnungen (Nr. 89 S. 621 1
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 433
oben heranwachsenden Rippenfortsatz entstehen. Bei dieser Sachlage dürfen
natürlich die Wurzeln dieser Rippen nicht mit den gabeligen Vertebralenden der
Doppelrippen bei den Urodelen verglichen werden: der obere Schenkel der
letzteren gehört, wie ich zeigte, zu einer zweiten Rippe, welche mit der unteren
verschmilzt, das Tuberculum der ersteren ist dagegen bloss eine sekundäre
Bildung einer einfachen Rippe. Es entsprechen also die Wirbelfortsätze der
Vögel und Säuger , da an ihnen obere Rippen gewöhnlich nicht zur Abgliede-
rung kommen, den Wirbelfortsätzen der Urodelen nur in der Anlage, nicht in
der späteren Umbildung. Doch dürften Doppelrippen in der vordersten Hals-
gegend jener Amnioten nicht ganz ausgeschlossen sein-, denn am Epistropheus
des Schnabelthiers finde ich eine sehr breite, nicht ganz kurze Rippe, welche
mit zwei ganz gleichen dünneren Schenkeln an zwei ebenfalls gleichen Quer-
fortsätzen durch Naht befestigt ist, sodass dieses Aussehen viel mehr für eine
Doppelrippe als dafür spricht, dass der horizontale obere Schenkel ein eigen-
thümlich gebildetes Tuberculum sei. — Die lumbalen „Querfortsätze" sind nach
meinen Untersuchungen untere Rippenfortsätze, während die oberen in den
„accessorischen Querfortsätzen" zu suchen sind. Wo sich Rippen in der
Lendengegend abgliedern , erscheinen die in der Brustgegend verschwundenen
Querfortsätze vollkommen entwickelt, sodass zum Unterschiede von der letz-
teren Region die Rippenenden ebenso wie am Halse vom Wirbelkörper entfernt
sind. Es verlieren daher die Rippen beim Uebergange aus der Brust- in die
Lendengegend nicht, wie Gegenbaue, meint (Nr. 89 S. 621), ihre unteren
Schenkel (Rippenhals), sondern gerade der Höcker fehlt in Folge der Verküm-
merung des oberen Rippenfortsatzes.
Für die Reptilien fehlen mir eigene embryologische Untersuchungen-,
wenn ich aber die Angabe Rathke's (Nr. 47 S. 129), dass die Rippen der
Vögel und Säuger zum sogenannten Querfortsatze (oberer Rippenfortsatz) ge-
hören , also ihr Hals mit dem Köpfchen eine nachträgliche Bildung sei , als
irrthümlich bezeichnen kann, so dürfte die gleiche Angabe für die Krokodile
wenig Vertrauen verdienen (Nr. 119 S. 58). Daher werden die Reptilien wahr-
scheinlich keine Ausnahme von den übrigen Amnioten machen.
Etwas andere Ergebnisse als bei den bisher genannten Wirbelthieren
lieferte mir die embryologische Untersuchung einiger Haie (Acanthias,
Scyllium). Ihre kaudalen unteren Bögen besitzen ebenso breite Basen an der
äusseren Chordascheide wie die oberen Bögen, gleichen ihnen daher vollständig.
Ausserdem zeigen sie aber dicht unter ihrer Wurzel jederseits einen median-
Goettk, Entwickeluiigsgesehichte. 28
434 VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
wärts gerichteten kurzen Fortsatz, welche beide durch eine bindegewebige
Brücke verbunden sind und so den Kaudalkanal in eine kleinere obere und
eine grössere untere Abtheilung scheiden. Beim Uebergange vom Schwänze
zum Rumpfe verlieren sich die unteren Bögen bis auf die breiten Basen, welche
im ganzen Rumpfe als die „unteren Wirbelstücke" der älteren Embryolagen
vorhanden sind. Statt der unteren Fortsetzung zeigen diese Basalstücke
seitliche Auswüchse, welche anfangs als kontinuirliche Knorpelstäbe zwischen
die beiden Hälften der Stammuskeln bis an deren Aussenseite sich erstrecken,
also nach Ursprung und Lagebeziehungen den Rippenfortsätzen der Amphibien
und Amuioten entsprechen. Denn der Unterschied, dass sie nicht aus den
oberen, sondern aus den unteren Bögen entspringen, ist durch die tiefe Lage
der horizontalen Muskeitheilung bedingt und verlangt allenfalls sie den Rippen-
fortsätzen anderer Thiere nicht einfach homolog, sondern homotyp zu be-
zeichnen. Später gliedern sie sich in kurze Querfortsätze und Rippen , welche
jedoch im ausgebildeten Thiere an Länge und Stärke verlieren. Mit diesen
Befunden erledigt sich die irrige Ansicht Gegexbaur's von dem Uebergange
auch der Salachierrippen in untere Bögen (Nr. 1 LS S. 409 — 410. 417 , Nr. Sil
S. 618). Seine Vergleiche am blossen Skelete lassen aber gar nicht errathen,
welche Lagebeziehungen zu den Muskeln die Wirbelanhänge der von ihm
untersuchten Genoiden haben (Nr. 118 S. 410. 413), ob die letzteren also sich
den Salachiern auschliessen oder den Teleostiern, den letzten hier zu
betrachtenden Thieren. Hinsichtlich dieser hat Gegeniuir in der Sache inso-
fern Recht, als die Stücke, welche er Rippen nennt, thatsächlich abgegliederte
untere Bögen sind. Die Stammuskeln der Teleostier reichen nämlich im Rumpfe
gerade so wie im Schwänze bis zur Bauchseite hinab, sodass die Bogenbildung
dieselben Anpassungsbedingungen auch unter der Wirbelsäule findet. Desshalb
verdienen aber natürlich jene ..Rippen" ihren Namen gerade nicht-, sowenig als
die Bezeichnung „untere Querfortsätze" für die kurzen Fortsätze passt, welche
nach innen von ihnen häutig schon im Rumpfe und ferner im Schwänze einen
Kanal für die Hauptgefasstämme bilden (Stannitjs Nr. 801 S. 27, Gegenbaub
Nr. 89 S. 603. 605). Zunächst scheinen diese Fortsätze ohne Vorbild zu sein ;
doch enthält «die von mir angegebene quere Theilung des Kaudalkanals der
Salachier einen beachtenswerthen Fingerzeig. Ohne eine ausreichende
Erklärung geben zu wollen, halte ich es doch nicht für unmöglich, dass jene
ventralen Fortsätze der Teleostieiwii hol die mit medialen Auswüchsen versehenen
Wurzelstücke der unteren Bögen darstellen, welche ich von den S.-dachiern
VIT. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 435
beschnei), und dass von jenen Wurzelstücken die übrigen grösseren Bogen-
theile sich abgliedern. Wie dem auch sei, das wichtigere Ergebniss bleibt,
dass diejenigen Wirbelanhänge , welche man bisher allein als den Teleostier-
vvirbeln zugehörig betrachtete, bloss dem oberen und unteren Bogensystem
angehören, also wirkliche Rippen nicht enthalten. Fehlen nun solche den
Teleostiern thatsächlich? Zwischen den Hälften der Stammuskeln liegen
regelmässig lange Knochenstücke, welche mit ihren medialen Enden an die
Wirbelbogenbasen oder die Bögen selbst sich anfügen ; sie wurden früher als
obere oder äussere Rippen , in neuerer Zeit aber als rein accessorische Skelet-
theile bezeichnet (Nr. 8i> S. 022). Nach allem, was ich über die Entwicklung
der echten Rippen gesagt, scheinen mir jene „Fleischgräten" die einzigen
wirklichen Rippen der Teleostier zu sein , deren Bedeutung nur desshalb ver-
kannt wurde, weil man sich die wesentlichen Merkmale der Rippen überhaupt
nicht klar gemacht hatte. Jedenfalls liegt weder in ihrer nicht seltenen
Befestigung an den unteren Bögen, noch in ihrer Spaltung oder Verdoppelung
ein Hinderniss für jene vorläufige Annahme, da sowohl Rippenfortsätze aus
beiderlei Bögen hervorwachsen, als auch ihre Querfortsätze verkümmern
können.
Dass das Stammskelet des Kopfes demjenigen des Rumpfes homolog sei,
hat man in der Schädelwirbeltheorie angenommen, bevor eine einzige bezüg-
liche embryologische Thatsache bekannt war. Daher findet sich denn z. B. bei
Vogt die entschiedene Behauptung, dass der ganze quere Schädelumfang
(Schädelbasis , Schädeldach) einem vollständigen Wirbel mit Körper und Bogen
entspreche, während der vorsichtige Rathke nicht einmal über die ersten
Entwickelungsstufen der Schädelbasis sich bestimmt auszusprechen wagt
(Nr. 21 S. 6). Wie ich zeigte, ist bloss die zwischen den grossen Ohrbläschen
befindliche Schädelbasis mit den aus ihren verbreiterten Enden hervorge-
wachsenen zwei Ringen alsKopftheil der Wirbelsäule zu betrachten, wenngleich
abweichende Formbedingungen von Anfang an ihn vom Rumpftheile in nicht ge-
ringem Masse unterschieden sein lassen. Der unpaare Axentheil, die Wirbelsaite
mit ihrer äusseren Scheide, sowie der Ursprung der sich ihm anschliessenden
Seitentheire sind in beiden Regionen die gleichen , sodass die Lehre vom „häuti-
gen Primordialkranium" nicht mehr Boden hat als diejenige von den häutigen
28*
43G VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule.
Wirbeln. Dagegen verschwinden die seginentalen Muskelplatten , welche die
Gliederung des Stammskelets im Rumpfe bedingen, im Kopfe kurz vor der
Entwicklung des Schädels zum grössten Theile, und desshalb bilden die
Homologa der oberen Wirbelbögen im Kopfe, die Seitenplatten der Schädel-
basis, jederseits vom Axentheile eine kontinuirliche, ungegliederte Anlage, an
der jede Andeutung von der Zahl und den Grenzen der zu Grunde liegenden
Segmente fehlt. Für die Frage nach der Gliederung des Kopfes ist daher seine
Stammskeletbildung von gar keiner Bedeutung ; die Entscheidung ruht wie in
allen Körperregionen in den primär-morphologischen Segmenten und ihren
Erzeugnissen , deren Uebersicht einem späteren Abschnitte vorbehalten ist. — '
Den Lagewechsel der Wirbelsaite in der hinteren Schädelbasis hat Gegenbaur
nicht richtig geschildert; sie verläuft nicht in dem hinteren Abschnitte mitten
durch Knorpel, um erst vorn an seine Oberfläche herauszutreten und dort in
einer Rinne zu enden, sondern ist hinten vom Knorpel ventral wärts niemals
9
überzogen, und wenn sie ihn darauf nach vorn vollständig durchsetzt, also in
eine oberflächliche Rinne zu liegen kommt, so bleibt doch die eigentliche Spitze
stets im Knorpel eingeschlossen, wo sie zu einer senkrechten Platte umgebildet
wird. Doch möchte ich diesen Einzelheiten keine besondere Bedeutung beilegen.
Was den histologischen Entwickelungsprocess der Knorpelbildung betrifft,
so ist in letzter Zeit die KüLLiKERsche Ansicht zur herrschenden geworden,
dass die Knorpelzellen nur Umbildungen von Embryonalzellen seien (vgl.
Stricker, Handbuch der Lehre von den Geweben I S. 80); und der Satz: „Von
freier Zellenbildung kommt in Knorpeln nichts vor" (KöllikerNi\ 78 I S. 851)
gilt jetzt wohl als selbstverständlich. Und doch ist er grundfalsch, wie über-
haupt die ganze allgemeine Auffassung, dass die histiologisch ausgebildeten
Zellen stets direkte Nachkommen der Embryonalzellen seien. In der gewisser-
massen schon von Schwann herrührenden Erkenntniss, dass der Knorpel erst
aus den Trümmern der Embryonalzellen hervorgehe, übertreffen Vogt, Prevost
und Gramer Köllixer ganz entschieden, wenn ich auch mit ihren weiteren
Darstellungen nicht übereinstimmen kann; und zur Erklärung des auffallenden
Widerspruchs muss man annehmen, dass Köllikers Untersuchung sich auf
jene allererste Knorpelbildung um die Chordaspitze herum beschränkt habe,
welche für sich allein betrachtet allerdings den Schein eines unmittelbaren
VII. Die Wirbelsaite und die Wirbelsäule. 437
Uebergangs derEmbryonalzellen hervorruft. Ich habe die wesentliche Ueberein-
stimmung dieser Knorpelbildimg mit derjenigen, welche ich in der überwiegenden
Anzahl der Fälle beobachtet habe (Wirbelbögen, äussere Chordascheide, vordere
Schädelbasis, Chordaknorpel, gewisse Theile des Brustbeins) bereits in der Be-
schreibung nachzuweisen gesucht. Daher erinnere ich hier nur daran, dass
auch im ersten Falle ganz offenbar nur die centralen Theile der Embryonal-
zellen sich in die Knorpelzellen verwandeln, die Rindenschicht aber, und nicht
irgend welche „Ausscheidungen" der intakten Zellen, die Bildung der Kapseln
und theilweise wohl auch der Interkapsularsubstanz besorgen. Dass dabei die
Grenzen der früheren Embryonalzellen längere Zeit erhalten bleiben, kann
gegenüber der viel klareren Knorpelentwickelung an anderen Stellen gar nicht
ins Gewicht fallen, weil darnach jene Konservirung durchaus nicht nothwendig,
also als mehr zufällige, lokale Besonderheit erscheint. Der Knorpel gehört
daher unzweifelhaft zu den Geweben, welche aus sekundärer Zellenbildung
hervorgehen, und zwar bietet er gerade in den meisten Fällen die deutlichsten
Bilder der Zellenbildung aus homogener Grundsubstanz um freie Kerne herum.
VIII. Die Segmente des Rumpfes.
Historische Feoersicht der bisherigen Untersuchungen.
Da die Segmente des Humpfes, wie aus den früheren Beschreibungen
hervorgegangen sein wird, mit Ausnahme der Oberhaut, des Rückenmarks und
der Wirbelsaite die ganze übrige Masse des Rückentheils und ebenso das
Innere der Leibeswand zwischen der Oberhaut und dem Epithel des Bauchfells
(Parietalblatt) bilden, so erhellt, dass dieses Kapitel die Entwickelungsgeschichte
der Muskeln, der Nerven, des Bindegewebes im weitesten Sinne (Zwischen-
gewebe, Häute) und der Gefiisse umfassen wird. Da aber die volle Bedeutung
der Segmente bisher unerkannt blieb, so kann ich auch in der folgenden
Uebersicht der betreffenden Literatur keine zusammenhängende Beschreibung
jener mannigfaltigen Leistungen der Rumpfsegmente vorführen , sondern nur
mehr einzelne Darstellungen über die Entwicklung dieses oder jenes Gewebes,
deren Erforschung in neuerer Zeit gerade von Seiten 4er speciellen Histiologie
angeregt und gefördert wird. Dieser Umstand erklärt es aber auch, warum
die Literatur für diesen Abschnitt ganz besonders reich, d. h. in viele kleinere
und grössere Abhandlungen vertheilt ist, sodass ich fürchten muss, dass die
eine oder andere gelegentliche Bemerkung über die Histiogenese der Batrachier-
larven mir entgangen sein wird.
Ruscoxr machte die ersten Angaben über die Entwickelung der Aorta.
Sie entstehe zugleich mit dem Gehirn an noch schwanzlosen Embryonen und
sei alsdann „immediatement au-dessous et presque collee ä Taxe cerebro-spinal".
Sie besitze anfangs dicke, undurchsichtige Wände und zwei Näthe oben und
unten, sodass sie aus zwei Blättern entstanden sein müsse. Vorn geht sie
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 439
zuerst rechtwinkelig, später unter stumpfem Winkel in zwei Aeste auseinander,
woraus Rüsconi folgert, dass sie sich rückwärts verschiebe (Nr. 6. S. 47. 48).
Baumgäetner beobachtete zuerst die Bildung des Blutes und der Gefässe
in den Schwänzen von Froschlarven. Bevor eine Blutbewegung in denselben
sichtbar geworden war, sah er „aus Dotterkügelchen bestehende kugelichte
Massen" in der Art reihenweise aneinander gelagert, dass dadurch auf- und
absteigende Bögen gebildet wurden. In diesen Bahnen oder eben den Gefäss-
anlagen beginnen alsdann jene runden Körperchen oder c|je embryonalen Blut-
kügelchen sich zu bewegen, wobei sie durch allmählichen Schwund der
undurchsichtigen Dotterkügelchen sich aufhellen und endlich einen runden
Kern erhalten (Nr. 12 S. 4a. 45. 46). Nachdem Baumgärtner die Blutbildung
in den Kröten- und Tritonenlarven im wesentlichen ebenso beschrieben (S. 49.
50.58 — 60), sagt er: „Hieraus erhellt, dass der Schwanz der Salamanderlarve
nicht blos der Form nach aus den ursprünglichen Dotterkügelchen geschaffen
werde, sondern dass auch die materielle Umbildung ohne Hülfe von Blut, das
von dem Herzen aus hergetrieben wird, geschehen könne."
Nach Schultz erscheinen die ersten erkennbaren Blutkörperchen als
Häufchen von Dotterkügelchen , „die, von einer eigenen blasenartigen Haut
eingeschlossen, in ihrer Mitte eine Luftblase eingeschlossen enthalten und
daher ganz hohl erscheinen, während die Dotterkügelchen bloss an der inneren
Wand der Blase ankleben" (Nr. 18 S. 30. 31). Allmählich nimmt die Zahl der
Dotterkügelchen ab und wird die Blasenform des ganzen Körperchens dadurch
klarer, welche endlich sich länglich auszieht und abplattet. „Immer haben die
plattwerdenden Bläschen noch anfangs zwei und mehrere grössere Dotter-
körnchen, zuweilen noch ganze Haufen kleinere. Aus diesen bilden sich die
Kerne entweder, indem mehrere kleine in einen grösseren körnigen Kern
zusammenschmelzen, oder indem einer von den grösseren allein übrig bleibt
und die kleineren nach und nach schwinden" (S. 32).
Schwann beschreibt Nervenanlagen aus dem Schwänze von Froschlarven
als schmale blasse Fasern, welche sich vielfach verzweigten und an den
Theilungsstellen etwas angeschwollen wären, zuweilen Kerne enthielten. Diese
Anschwellungen hält Schwann für die ursprünglichen Zellen, aus denen die
Nerven hervorgehen, die feinen Zweige aber für die Fortsätze jener Zellen.
Die weisse Nervenmasse sah Schwann von den Centraltheilen aus gegen die
Peripherie sich entwickeln (Nr. 77 S. 177 — 179). Unter den Kapillargefässen
des Froschschwanzes, deren Kerne Schwann auf die zusammensetzenden Zellen
440 VIII- Die Segmente des Rumpfes.
bezieht, fand er netzförmige Verbindungen , deren Knotenpunkte ansehnlich
erweitert, die Verbindungen derselben aber bis zur Feinheit von Zellenfort-
sätzen verdünnt waren-, auch gingen frei endigende feine Ausläufer von jenen
Erweiterungen aus. Diese Bilder deutet Schwann in der Weise, dass jene
Knotenpunkte ursprünglich Zellen gewesen seien, deren Fortsätze sich theil-
weise mit einander verbunden hätten, theilweise noch solche Verbindungen mit
den freien sternförmigen Zellen des umgebenden Gewebes suchten; nach
Vollendung der Verbindung würden weiterhin die Zellen und ihre Fortsätze in
cylindrische Hohlräume, eben die Kapillaren verwandelt (S. 183 — 187).
Reichert konnte die Bildung von Kapillargefässen durch eine Vereinigung
verästelter Zellen nicht bestätigen, glaubte aber die Lehre v. Baer's, wonach
im Hühnerembryo das Blut sich früher bilde als die Gefässe und durch seine
Bewegung die ursprünglichen wandungslosen Blutbahnen in den Geweben
gleichsam ausgrabe (Nr. 8 II S. 126. 127), auch auf den Batrachierembryo
übertragen zu können (Nr. 22 S. 22. 23. 73. 74). Ueber die Muskelbildimg
linde ich bei Reichert nur eine bestimmte Angabe , nämlich hinsichtlich der
geraden Bauchmuskeln. „Es wachsen hier zuerst von der Beckengegend und
später auch vom Schultergürtel aus die primitiven Muskelbündel einander auf
beiden Seiten der Mittellinie entgegen , bis sie sich erreichen und vereinigen"
(Nr. 22. S. 70).
Auch nach Vogt erschienen die Blutgefässe anfangs „eher wie in den
Zellenmassen ausgehöhlte Rinnen und Kanäle denn als selbstständige Gebilde"
(Nr. 26 S. 70). Doch ist er der Ansicht, ,,dass die Bildung aller Blutgefässe,
Kapillaren wie Stämme, nach demselben Typus vor sich geht, und dass diese
Bildung weder von Ramification von Zellen, noch von der mechanischen Gewalt
des Herzens, sondern von dem selbstständigen Zellenleben abhängt und von
dem Vermögen der Zellen, durch nach einer bestimmten Richtung vorgezeichnete
Gruppirungen an dem einen Orte Anhäufungen an dem andern leere Räume
hervorzubringen. Die Gefässe sind nicht verzweigte Zellen, sondern zwischen
den Zellen verzweigte Räume und bilden sich durch Auseinanderweichen der
Zellen ganz ebenso wie die meisten Canäle des Körpers, namentlich alle Drüsen-
ausführungsgänge und Drüsencanäle" (S. 78. 79).
Platner versichert auf das bestimmteste, dass aus den sternförmigen Zellen
des Froschlarvenschwanzes sich niemals Kapillargefässe bilden, und dass jedes
neue Gefäss eine Fortsetzimg bereits vorhandener . sei. Die Kapillargefässe
enden anfangs stumpf, besitzen aber an diesen Enden je einen feinen soliden
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 441
Ausläufer, welcher sich mit einem benachbarten Ausläufer bogenförmig verbindet.
Da in solchen erst nachträglich ausgehöhlten Schlingen Zellen wie Zellenkerne
vermisst würden, müssten die Kerne der fertigen Kapillargefasswände spätere
Bildungen sein.
Peevost und Lebert haben sowohl bemerkt, dass einige Zellen der Haut
sternförmig auswachsend sich darauf netzförmig verbinden , als auch , dass die
Elemente der Wirbelplatten (Segmente) verlängerte Embryonalzellen seien, von
denen je 3 — 4 zu breiten Fasern verschmelzen , in welchen endlich die querge-
streiften Muskelelemente entständen (Nr. 30 S. 201-203. 224).
Alle Beobachtungen über die Entwickelung des Bindegewebes, der Muskeln,
Nerven und Gefässe der Froschlarven, welche Remak zuerst, in verschiedenen
Aufsätzen mittheilte, hat er in seinem Hauptwerke vollständig wiederholt, so-
dass ich es zweckmässig finde, die Citate dem letzteren allein zu entlehnen.
Was das Bindegewebe betrifft, so hat Remak vorherrschend die Unterhaut des
Schwanzes untersucht. Die anfangs dicht zusammenliegenden Zellen dieser
dünnen Schicht weichen allmählich auseinander und erzeugen so helle Zwischen-
räume zwischen sich; zugleich erscheinen sie sternförmig und die Zwischen-
räume von einem ungemein feinen und zierlichen Netze ihrer mit einander ver-
bundenen Ausläufer durchzogen. Die gallertige Zwischensubstanz reicht nach
aussen über jene Zellen hinaus und verdichtet sich unter der Oberhaut zu
einer festen glashellen Membran. Dann folgen die weichen, gleichfalls stern-
förmigen Pigmentzellen und endlich kleine farblose Sternzellen, „welche bei
fortschreitender Entwickelung in dem Masse an Umfang abnehmen, als die
von ihnen ausgehenden Fasernetze an Ausbildung gewinnen. Bei grösseren
Larven sieht man an beiden Flächen des unverletzten Schwanzes ein solches
Fasernetz, das schon durch seine Zierlichkeit und Feinheit die Aufmerksamkeit
hätte fesseln sollen. Vielleicht haben es andere Beobachter gesehen und für
eine Zellenschicht gehalten , eine Täuschung, welche bei der Regelmässigkeit
der kaum 1/400 L. messenden Maschenräume leicht entstehen kann. Die
Fasernetze der beiden Schwanzflächen stehen durch Fasern mit einander in
Verbindung, welche, von den Winkeln der Maschenräume ausgehend die Dicke
des Schwanzes durchsetzen und offenbar die Festigkeit desselben bedingen."
Diese Fasern vergleicht Remak mit den HENLE'schen Kernfasern des ausge-
bildeten Bindegewebes und findet die Zellen jener Netze an reifen Larven last
unkenntlich. „Da der Schwanz der Larve schwindet, so ist begreiflicherweise
nicht die Rede davon , den Uebergang dieses embryonischen, gallertigen, von
442 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
Sternzellen und Fasernetzen durchsetzten Unterhautbindegewebes in bleiben-
des, unterhäutiges Bindegewebe zu verfolgen." Die Unterbaut des Bauches
sah Remak als eine glashelle Membran, welche wahrscheinlich aus einer Ver-
schmelzung von Zellen hervorgegangen sei und später Quer- und Längsstreifen
zeige als Andeutung sich kreuzender Bindegewebsbündel. Unter dieser Cutis
befinde sich „eine dicke Schicht embryonischen Bindegewebes, welche in ihrem
Bau mit der Unterhaut des Schwanzes übereinkommt." Welche dieser Ele-
mente das definitive Bindegewebe erzeugen, konnte Remak nicht feststellen.
„Sicher ist nur, dass das gallertige, von Sternzellen durchwebte Bindegewebe
an den meisten Stellen des Körpers schwindet und die mit Flüssigkeit
erfüllten Räume zurücklässt , welche bis zu Jos. Meyer' s Untersuchungen als
Lymphräume gedeutet worden sind" (Nr. 40 S. 152. 153). — Wie schon
erwähnt hält Remak die Urwirbel bloss für die Anlagen der Wirbelmuskeln.
„Sie bestehen aus kernhaltigen mit Keimkörnern erfüllten Zellen, die sich ver-
längern und nach Theilung des Kernes in querer Richtung auch in der Längs-
richtung theilen. Die Kerne vermehren sich alsdann in den verlängerten
Zellen durch fortschreitende Theilung und bilden am inneren Rande der
cylindrischen Zelle eine von feinen Körnchen umgebene Reihe, während die
gröbere Körnermasse den andern nach aussen zugewendeten Theil der Zelle
einnimmt. An der Oberfläche dieses äusseren Theils der Zelle erscheint zuerst,
und zwar sobald die Larve innerhalb der Eihaut die ersten Krümmungen zeigt,
eine dünne helle homogene quergestreifte Schicht von Muskelsubstanz, wie es
scheint an der Innenfläche der Zellenmembran abgelagert." „Die so querge-
streifte helle Substanz verdickt sich auf Kosten der Keimkörnerschicht und
gelangt so bis zum anderen von den Kernen eingenommenen Rande der ver-
längerten Muskelzelle, welche nunmehr ein vollständig quergestreiftes sogenann-
tes Muskelprimitivbündel darstellt. An dem letzteren erscheint alsdann ausser
der primitiven Reihe noch eine von neuen Kernreihen besetzte dünne glashelle
Scheide, von welcher ich nicht anzugeben vermag, ob sie die verdickte Zellen-
membran oder ein bindegewebiges Neugebilde sei." Die Spinalganglien
bemerkte Remak erst später und vermuthet wegen ihrer Kleinheit, dass die-
selben aus einer oder einigen wenigen Embryonalzelleu hervorgehen, die sich
durch Theilung vermehren. Da die fadenförmigen Anlagen der Hautnerven des
Schwanzes sich immer als Fortsätze der Spinalganglien erwiesen, so sei
eine Zurückführung derselben auf Embryonalzellen nicht gelungen. „Ein
solcher Faden ist nicht die Anlage einer Nervenfaser allein, sondern auch der
VIII. Die Segmente des- Kumpfes. 443
kernhaltigen Scheide: überdies enthält er häufig die Anlage mehrerer Nerven-
fasern. Kölliker s Behauptung von dem Zusammenhange dieser Fäden mit
den sternförmigen Zellen der Bindegewebeschicht konnte ich nicht bestätigen"
(S. 154). — lieber die Bildung der Aorta sagt Remak: „Es ist das einzige
Gefäss , von welchem sich mit Sicherheit behaupten lässt , dass dessen Anlage
zugleich auch eine grosse Anzahl Blutzellen liefert." Doch hält Remak es
auch von den übrigen primitiven Gef ässanlagen für wahrscheinlich , dass sie
„aus ihrer Axe Blutzellen bilden, während die Rindenzellen sich in die Gefäss-
wände umwandeln" (S. 156). Daraus erhellt, dass Remak bei seiner früheren
Ansicht blieb, wonach die primitiven Hauptgefässe aus soliden cylindrischen
Zellenmassen hervorgehen (vgl. Nr. 36. S. 56). „Die seeundären Gefässe ent-
stehen, wie schon Platnee im Schwänze gesehen, als fadenförmige Ausläufer
der Gefässwände, die allmälig sich verdicken und in Kanäle umwandeln."
Diese lieferten keine neuen Blutzellen (S. 156).
In seiner mikroskopischen Anatomie unterscheidet Kölliker zwei Arten
der Bildung von Blutgefässen. Die erste betrifft alle grösseren Gefässe (Nr. 78
II 8. 545. 552. 554); sie erscheinen zuerst als solide aus Zellen zusammenge-
setzte Cylinder, „die durch Verflüssigung ihres Innern und Umwandlung ihrer
centralen Zellen in Blutkügelchen Höhlungen bekommen", welche unter ein-
ander zu einer vollständigen Blutbahn verschmolzen. Nach einiger Zeit ver-
wandeln sich die peripherischen Zellen, welche die Wände der Schläuche bilden,
in die Fasergewebe und Häute der fertigen Gefässe, wobei ihre Vermehrung
theils durch Theilung, theils durch Anlagerung neuer Zellen aus dem umliegen-
den Gewebe geschieht, Diese Auffassung über die Bildung der nicht kapillären
Gefässe hat Kölliker auch in seiner Gewebelehre aufrecht erhalten (Nr. 79
S. 632). Was die Entwickelung der Kapillaren betrifft, so schloss sich
Kölliker ursprünglich der ScHWANN'schen Darstellung an, wobei er neben
der Verschmelzung sternförmiger Zellen auch eine solche von rundlichen und
spindelförmigen in gerader Linie hintereinander erwähnte (Nr. 32 S. 3, Nr. 78
S. 546 — 548. 553. 554). Neuerdings aber hat Kölliker mit Rücksicht darauf,
dass auch an den Froschlarven „die Zusammensetzung der Kapillarwand aus
getrennten platten Zellen durch Höllenstein sich nachweisen lässt" (Nr. 7'J
S. 632), seine frühere Darstellung der Entwickelung der Kapillargefässe in
einem wesentlichen Punkte ändern zu müssen geglaubt (S. 633 — 655). Auch
jetzt geht er zwar davon aus , dass die ersten Anlagen der Kapillargefässe im
Schwänze der Batrachierlarven solide Verbindungsbügen zwischen den schon
444 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
bestehenden grösseren Gefässen seien, welche in der Weise entständen,* dass
die letzteren „an bestimmten Stellen scheinbar solide Sprossen treiben , welche
dann theils unter einander sich verbinden, theils — und diess scheint um diese
Zeit die Regel zu sein — je zu zwei mit spindelförmigen, in der Bindesubstanz
der Schwanzsäume befindlichen Zellen zusammenfliessen. Einmal gebildet,
werden nun diese Anastomosen nach und nach von den schon für das Blut
wegsamen Gefässen aus hohl, nehmen erst nur Blutplasma, bald auch Blutzellen
auf und dann sind die neuen Gefässe fertig." Erst solche Kapillargefässe ver-
binden sich auch mit sternförmigen Zellen oder auch untereinander „ohne
Vermittelung selbstständiger Zellen , einfach durch das Verschmelzen zweier
Gefässausläufer." Diese Bildungsweise der Kapillargefässe sei früher so ge-
deutet worden, „dass man annahm, die Capillaren seien Intracellulargänge,
d. h. durch Verschmelzung von Zellenhöblungen entstandene Bäume und
bildeten sich auch als solche weiter. Da nun aber, wie ich es gefunden ) auch
die Capillaren im Schwänze der Froschlarven Intercellulargänge sind, und ihre
Wandungen aus nicht verschmolzenen Zellen bestehen, ist diese Auffassung
nicht mehr möglich und können die Gefässe, wie sie von Hause aus Intercellu-
largänge sind, auch nur als solche sich weiter bilden. Die Art und Weise, wie
dies geschieht, ist jedoch erst noch zu ermitteln." Diese Lücke in den
Beobachtungen hat Kölliker durch eine Hypothese auszufüllen gesucht, wo-
nach einmal die scheinbar ungesonderten soliden Ausläufer aus platten , anein-
andergelagerten Zellentheilen beständen, welche später zur Bildung der Gefäss-
wandung auseinanderweichen, während die neu hinzukommenden Zellen,
ähnlich abgeplattet und gebogen, gleichfalls intakt in die Zusammensetzung der
Wand des sich neu bildenden Gefässes eingehen. — Die neuesten Angaben
Kölliker's über die Entwickelung der Lymphgefässe sind im wesentlichen
nur eine Wiederholung seiner früheren bezüglichen Mittheilungen (Nr. 32
S. 3, Nr. 78 II S. 548. 555, Nr. 79 S. 599. (336). „Die Capillaren des Lymphge-
fässsystems, die im Schwänze von Batrachierlarven leicht zu verfolgen sind,
nehmen im wesentlichen genau dieselbe Entwickelung , wie die des Blutgefäss-
systems, nur dass hier Verbindungen der Gefässe selten sind und die Bildungs-
geschichte mehr auf die Aneinanderreihung spindelförmiger oder mit drei
Hauptausläufern versehener Zellen sich beschränkt. Ueber die grösseren
Stämme dieser Gefässe fehlen Beobachtungen ', doch ist nicht zu zweifeln, dass
auch sie ganz den Blutgefässen folgen." Eigenthümlich seien den Lymphge-
fässen die vielen von ihrer Hülle ausgehenden feinen Zacken und dass sie „fast
VIII. Die Segmente des Rampfes. 445
alle mit zugespitzten freien Ausläufern beginnen." Dagegen sei es im hohen
Grade wahrscheinlich , class sie gleich den Blutkapillaren Intercellularräume
seien, obgleich die Anwendung von Höllenstein Zellengrenzen in ihren Gefäss-
wänden nicht sichtbar machen konnte. — Die Entwicklung der Muskeln lehrte
Kölliker längere Zeit im Sinne der ScHWANNsdien Hypothese (Nr. 32 S. 2,
Nr. 78 I S. 257). „Die Primitivbündel der Muskeln des Stammes und Kopfes
bilden sich aus Primitivzellen, die der Extremitäten aus Zellen ohne Fettinhalt.
Diese Zellen ordnen sich, in Reihen verwachsen, zu einer Röhre, deren Membran
aus den Wänden der Zellen, deren Inhalt von den Kernen, den Körnchen und
der klaren Flüssigkeit gebildet wird. Die Primitivfasern der Muskeln entstehen
aus einer Metamorphose dieses Inhalts entweder im ganzen Umfange an der
innern Fläche der Membran (so bei den Extremitäten des Frosches und bei
Triton) oder nur an einer Seite (Muskeln des Stammes und Kopfes beim
Frosche). Im ersten Fall befinden sich in der Axe des Primitivfaserbündels
Zellenkerne, welche lange sichtbar bleiben. Im letzteren Falle befinden sich
die Kerne ausserhalb des Faserbündels zwischen seiner Oberfläche und der
Membran der Röhre. Die Haut, welche die Primitivbündel umgiebt, und die
Kerne sind identisch mit dem Sarcolemma und den Kernen der Muskeln des
erwachsenen Thieres." Später schloss sich Kölliker der PtEMAK'schen Lehre
an, dass jede Muskelfaser nur aus je einer Zelle hervorgehe (Nr. 43 S. 141,
Nr. 79 S. 85. 177. 178). Dabei betont er namentlich die Vielkernigkeit der theil-
weise noch mit Dottermasse angefüllten Muskelzellen und nennt die letzteren
bandartig.
Cramer folgt hinsichtlich der Entwickelung der Muskeln der Schwann'-
schen Lehre und hisst die Kerne der Muskelzellen frühzeitig schwinden (Nr. 34
(S. 60. öl). Die Nerven würden vor den Muskeln gebildet und die Ganglien-
kugeln beständen ganz aus Dotterkörnern, seien wahrscheinlich aus mehreren
Zellen zusammen gewachsen (S. 61 — 63).
F. E. Schulze bestätigt im allgemeinen Remaks Angaben über die Muskel-
entwickelung. In der embryonalen Muskelfaser erscheine zuerst nur eine einzige
Muskelfibrille (Nr. 51 S. 386); später kommen immer neue hinzu, welche das
Protoplasma, aus dem sie entstanden, halbrinnenförmig umschliessen. Die
unterdess vermehrten Kerne rücken zwischen den Fibrillen in's Innere der
Faser (S. 388). Aus dem Vorkommen einkerniger Muskelfasern , deren beide
Enden bereits in Sehnen übergehen, ferner aus dem Umstände, dass in
den fertigen Muskelfasern der Tritonenlarven 7 deren Muskelzellen stets nur
44(3 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
eine Kernreihe enthalten , auf dem Querschnitte nie mehr als ein Kern in jeder
Muskelfaser sich zeigt, schliesst Schulze, dass die Muskelzellen weder mit
ihren Enden noch in ihrer ganzen Länge miteinander verschmelzen, sondern
jede für sich allein eine Muskelfaser bilden. Dies gelte zunächst nur für die
Stammuskeln, doch glaubt Schulze dieselbe Entwickelungsweise auch für die
Gliedermuskeln annehmen zu dürfen. Das Sarcolemma mit den ihm innen an-
liegenden Kernen stamme von der Muskelzelle (S. 389 — 391).
His gibt in seinen Untersuchungen über den Ursprung der Lymphgefässe
an, dass sie im Froschlarvenschwanze nicht verschmolzene Zellenhöhlen,
sondern „Paracellulargänge" seien. Ihre Wand bestehe aus ganzen Zellen,
deren solide Ausläufer die äusseren Zacken bilden, welche die Gefässe vielleicht
mit einander verbinden; mit den sternförmigen Bindegewebszellen hängen sie
nicht zusammen.
Ebenfalls auf den Froschlarvenschwanz beziehen sich die histiogenetischen
Bemerkungen Hensen's. Die Schwanzflosse enthalte eine Flüssigkeit, welche,
wahrscheinlich von der Epidermis abgeschieden , anfangs zellenlos sei ; darauf
wandern Zellen von der Schwanzaxe aus in jene Flüssigkeit, die erst später
gallertig wird. Diese Zellen sind zuerst rund, schicken aber nachträglich
Fortsätze aus, durch welche sie sich netzförmig verbinden; ein Theil dieser
Bindesubstanzzellen legt sich einer festen, der Epidermis anliegenden Basal-
membran an und durchwächst sie mit seinen Fortsätzen. Dieses Netzwerk der
„Cutiszellen" wird in verschiedenem Masse gefärbt (Nr. 54 S. 53 — 57 , Nr. 61
S. 114. 115). Die Zellennetze und epithclartigen Zellenlagen Eberth's hat
Hensen nicht finden können (Nr. 61 S. 116). Die Blut- und Lymphgefässe
sollen von den Bindesubstanzzellen durchaus unabhängig entstehen und be-
stehen (Nr. 61 S. 112); vor ihnen erscheinen aber die Nerven als dünne Fädchen
ganz ohne Kerne, welche erst dadurch hinzukommen, dass dünne, blasse,
äusserst lang gestreckte Zellen jeden Nerv so einscheiden, „dass er in ihrem
Innern zu laufen scheint. Diese Zellen geben nicht anders Ausläufer ab, als
da, wo ein Nervenzweig abgeht, und hängen nicht mit den Parenchymzellen
zusammen." Sie sollen auch nicht von den letzteren abstammen, sondern
direkt von der Axe her den Nerven entlang wachsen (Nr. 54 S. 60). Das Mark
erscheint in einzelnen Tropfen innerhalb der Scheide (Nr. 54 S. 61). Die
Nervenenden treten nur vereinzelt an Cutiszellen heran, die meisten senken sich,
ohne sich netzförmig zu verbinden, in die Epidermiszellcn hinein (Nr. 54
S. 61 — 64). Um dieses Verhalten zu erklären, macht Hensen folgende Hypo-
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 447
these (S. 65 — 72). Nach ihm sind sowohl alle peripherischen Nerven als auch
die Muskeln Erzeugnisse des oberen Keimblattes. Er nimmt darauf an t dass
die Zellen in diesem noch nicht differenzirten Keimblatte sich bei ihrer Ver-
mehrung nur unvollständig, mit Ausziehung eines Verbindungsfadens, eben
eines Nerven, theilen, worauf die eine Endzelle ins Epithel oder eine Muskel-
faser übergeht, die andere sich im Centralorgan in eine Ganglienzelle ver-
wandelt. Alle diese Angaben über die Nerven hat Hensen im zweiten Aufsatze
aufrecht erhalten (Nr. Gl S. 1 IG u. flg.).
Die AnInge der Cutis sieht Eberth an Larven des Bombinator igneus in
jener gallertigen, homogenen Membran, welche unmittelbar unter der Oberhaut
liegt. Sie bestehe aus „feinen, steifen, unter rechtem Winkel sich kreuzenden
Fasern", und werde von Ausläufern der darunter gelegenen Zellen senkrecht
durchsetzt. Jene Fasern kräuseln sich später und verwandeln sich in Bündel
fibrillären Bindegewebes, während in die erweiterten Lücken von unten her sich
Zellen einschieben, um zu den Bindegewebszellen zu werden. Unter der Anlage
der Cutis stellte Eberth „schon in sehr früher Zeit der Larvenperiode" durch
Silbertinktion eine Lage grösserer, zackiger, mit geringen Zwischenräumen an
einander gefügter Zellen dar, welche einem Gefässepithel auffallend gleichen,
und später in das Epithel der Lymphräume übergehen sollen. Unter diesen
Zellen befinden sich einzelne spindelförmige, welche wasserhelle Bläschen und
stellenweise Pigment enthalten und zu fortlaufenden Zellenbändern zusammen-
treten, die sich untereinander zu rechtwinkligen Netzen verbinden. Da diesem
Netze entlang die feinsten peripherischen, ebenfalls netzförmig verbundenen
und mit einzelnen Ausläufern versehenen Nerven verlaufen, so hält Eberth
dasselbe für die Anlage der bindegewebigen Nervenscheiden. An den Nerven
findet er kernhaltige Protoplasmahäufchen, die Anlagen der späteren Primitiv-
scheide, und lässt die ersteren mit den Sternzellen des Gallertgewebes in Ver-
bindung stehen (Nr. GO S. 491-496).
Langer findet an den Lymphgefässen des Batrachierlarvenschwanzes
„scharfe Contouren, ohne jene zackigen Ausläufer, welche Kölliker und His
an ihnen zeichneten." Eine Wand der Lymphgefässe sei deutlich nachweisbar
und sie umschliesse aucli die Kerne (Nr. 62 S. 6). Blinde Ausläufer der Lymph-
gefässe seien gewiss vorhanden und wahrscheinlich aus der GefässwTand hervor-
gewachsen; dies und das Vorkommen feiner Schleifen begründe die Annahme,
dass die Fortbildung des Lymphgelasssystems durch die Verbindung solcher
448 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
Ausläufer vor sich gebe (S. 10. 11). Ein Zusammenhang der Lymphkapillaren
mit den Sternzellen besteht nach Langer nicht (S. 12).
Der einzige Forscher, welcher die Anlage der Aorta nicht nur als einen
von den Segmenten abstammenden soliden Strang ansieht, sondern denselben
auch als aus zwei Hälften zusammenfiiessend zeichnete, ist v. Bambecke
(Nr. 63 S. 55).
Golubew untersuchte die Gefässbildung in den Schwänzen lebender
Larven und kam gleichfalls zu dem Schlüsse, dass dieselbe nur durch Gefäss-
sprossen , ohne die Betheiligung der Sternzeil m vor sich gehe (Nr. (35 S. 65).
Die Gefässsprossen seien kegelförmig zugespitzte solide Fortsetzungen der
Substanz der Gefässwand , welche bei weiterem Wachsthume vom Mutter -
gefässe aus hohl werden. Die Spitzen je zweier Sprossen treffen alsdann
zusammen und verbinden sich zu einer Schlinge, welche von ihren beiden
Enden her ausgehöhlt wird (S. 66. 68). Das regelmässige Zusammentreffen
wenigstens der ersten Sprossenenden versucht Golubew folgen dermassen zu
erklären : die gerade gegen den Schwanzsaum wachsenden Sprossen erreichen
in der Nähe desselben eine dichtere Grundsubstanz , der sie bogenförmig aus-
weichen und so in gegeneinander gerichteten Bögen zusammenstossen (S. 78).
In der Mitte jedes Bogens, wo der endliche Zusammenfluss der beiden hälftigen
Aushöhlungen stattfindet, bilden sich Anhäufungen der Substanz der neu
entstandenen Gefässe (S. 6S), die von Golubew sogenannten Gefässspindeln
oder die zelligen Elemente der späteren inneren Gefässwand (S. 64). Diese
Spindeln vermehren sich durch Theilung, erhalten Kerne und verdrängen
wahrscheinlich die frühere Wandsubstanz (S. 73.83). Aus den fertigen Kapillar-
gefässen treten amöboide Blutkörperchen heraus, welche in das umgebende
Gewebe wandern und sich allmählich zu den Sternzellen desselben umbilden
(S. 75). Hinsichtlich der Entwickelung der Lymphgefässe bemerkt Golubew,
„dass sie in allen wesentlichen Punkten mit jener der eigentlichen Blutcapillaren
übereinstimmt" (S. 85).
Klein, welcher einige Einzelheiten des subepithelialen Netzwerks be-
schreibt, spricht sich auch gegen den Zusammenhang der Nerven mit Stern-
zellen aus (Nr. 70 S. 4).
Arnold bestätigt Golubew's Angaben. Die Gefässentwickelung beginne
immer von einem schon bestehenden Gefässe aus durch Sprossen, welche zu
Protoplasmafäden auswachsen, indem die Substanzkörnchen sieh vermehren
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 449
und vorrücken. Die Körnchen liegen aber getrennt von einander und bewegen
sich innerhall) lichter Bahnen , die vielleicht Spalten des Gewebes darstellen.
Durch Verbindung dieser Protoplasmafäden unter sich und mit den Gefässen
entstehen die Bögen und Schlingen. Die Kanalisirung erfolgt meist von der
Wurzel der Sprossen aus, kann aber auch weiter im Protoplasmafaden beginnen.
In dem Abschnitte, welcher von den Leistungen des mittleren Keimblattes
handelt, habe ich auseinandergesetzt, wie dasselbe frühzeitig sich in zwei
Schichten zu spalten und in einen dicken dorsalen und einen dünnen ventralen
Theil sich zu sondern anfängt. Die vollständige Abtrennung und Quer-
gliederung des ersteren ergibt dann die Segmente, welche also ursprünglich
zweischichtig sind und später eine eben solche ventrale Fortsetzung erhalten.
Diese letztere ist in beiden Segmentschichten gleichmässig dünn und unter-
scheidet sich daher äusserlich nicht unbedeutend von den ursprünglichen und
eigentlichen Segmenten, deren innere Segmentschicht in einer kompakten
Masse erscheint und dadurch, dass die histologische Umbildung in ihr nicht
gleichartig erfolgt, sehr bald noch einmal getheilt wird, in den massigen Seg-
mentkern und das innere Segmentblatt. Da die folgende Entwickelungsge-
schichte dieser Segmenttheile zunächst mit der Histiogenese zu thun hat und
die topographische Anordnung der differenzirten Gewebsmassen erst in zweiter
Linie folgen kann, so sollen auch die verschiedenen Gewebe einer Eintheilung
des ganzen Stoffes zu Grunde gelegt werden.
1. Die Muskeln.
Es werden in beiden Segmentschichten Muskeln erzeugt, in der inneren
die eigentlichen Muskeln des Stammskelets (Stammuskeln) und die tieferen
Bauchmuskeln, in der äusseren derM. obliquus externus und die zu den Glied-
massen gehörigen Muskeln. Ich betrachte zuerst die Entwickelung der Stam-
muskeln im Segmentkerne. — Dort liegen die embryonalen Zellen anfangs
dicht gedrängt und nehmen die aus dem gegenseitigen Drucke hervorgehenden
rundlich eckigen Formen an (Taf. XI Fig. 1,9.9). Aber sobald der Schwanz
hervorzuwachsen beginnt, sieht man die ersten Anfänge einer bestimmten
GrOETTB , Entwickeluiigsgeschichte. 29
450 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
Formveränderung der genannten Zellen {Fig. 200). Diese Veränderung
erscheint zuerst im vorderen Rumpftheile und schreitet dann nach hinten fort,
wie ich es schon von mehreren Entwickelungsvorgängen angab-, und dieselbe
lieihenfolge halten auch alle übrigen an den Zellen der Segmentkerne noch zu
beschreibenden Erscheinungen ein. Indem die Masse der schmalen Segmente
parallel zur Körperaxe ausgezogen wird, geschieht dies auch mit den einzelnen
Zellen der Segmentkerne; sie verlängern sich in der angegebenen Richtung
unter entsprechender Abnahme ihres Querdurchmessers , und indem sie dabei
aneinander vorbeigleiten, dauert diese Veränderung so lange an, bis jede Zelle
die Form eines ziemlich gleichmässigen Stabes erreicht, dessen vorderes und
hinteres Ende in den entsprechenden Flächen des ganzen Segments liegen.
Diese zur Stäbchenform verwandelten Muskelzellen sind aber nicht cylin-
derisch, sondern bei der innigen Aneinanderlagerung prismatisch abgeplattet
und zugleich in ihrer Länge lateralwärts konvex, medianwärts konkav gebogen,
indem in Folge der Absonderung des inneren Segmentblattes die ganze
Muskelplatte jene Form erhält {Taf. XI Fig. 197, Taf. XIV Fig. 251). Der
Kern liegt ohngefähr in der Mitte der Länge der Zelle und bedingt eine
geringe Anschwellung derselben ; indem diese Anschwellungen bei der Anein-
anderlagerung der Zellen einander auszuweichen suchen, sieht man auf
sagittalen Durchschnitten die Kerne nicht in einer geraden Linie über einander
liegen, sondern eine Zickzacklinie beschreiben. Die stumpfen Enden der
Muskelzellen stossen unmittelbar mit denjenigen der benachbarten Segmente
zusammen und verbinden sich mit ihnen zu einem ziemlich festen Zusammen-
hange. Während der beschriebenen Formveränderung der Muskelzellen
bleibt ihre Zusammensetzung zunächst noch bestehen. Sobald aber die erstere
bereits in den Schwanz vorgedrungen ist, bemerkt man im Innern der ersten
Segmente schon bei schwächeren Vergrösserungen eine gewisse Ungleichheit in
der Zeichnung der Dottersubstanz {Taf. XI Fig. 201 — 203). Bei genauerer
Untersuchung erkennt man die Umbildung derselben in reifes Protoplasma in
ähnlicher Weise, wie ich es bereits von den Embryonalzellen des Oentral-
nervensystems beschrieb. Die Umbildungskugeln erscheinen in der unverän-
derten Dottersubstanz, der gestreckten Zellenform entsprechend, in einer
Reihe, welche in ihrer Mitte durch den gleichfalls verlängerten Kern unter-
brochen wird; und indem sie darauf in dem Masse verschwinden, als die
Dottersubstanz sich in reifes Protoplasma verwandelt, weisen sie, wie ich
glaube, deutlich genug auf den Zusammenhang beider Erscheinungen hin.
1. Die Muskeln. 451
Gleich im Anfange dieses Processes beginnt aber schon eine weitere Differen-
zirung des Protoplasmas. In isolirten Muskelzellen aus jener Periode,
entdeckt man nämlich leicht eine sehr regelmässige, feine und ziemlich dichte
Querstreifung, welche sich durch Rollen der Zellen und bei wechselnder Ein-
stellung des Mikroskops als eine oberflächliche und auf die konkave d. h. in
natürlicher Lage die mediale Seite der Zellen beschränkte nachweisen lässt.
Die Bestätigung dessen findet man au den scheibenförmigen Querdurchschnitten
solcher Muskelzellen, in deren medialem Rande ein schmaler Streifen punktirter,
sich lebhaft färbender Substanz sehr scharf von der übrigen , erst theilweise
in Protoplasma verwandelten Zellenmasse sich absetzt ; dieser Streifen greift
häufig bogenförmig auf die obere oder untere Seite der Scheibe über, bleibt
dagegen selten auf eine der letzteren beschränkt {Taf. XI Fig. 197 . 198).
Dass aber diese einseitige Rinde der Muskelzellen mit der quergestreiften
Muskelsubstanz identisch ist , lässt sich an nur wenig älteren Larven , deren
Muskelzellen in den verschiedensten Entwicklungsstufen neben einander liegen,
leicht konstatiren. Obwohl ich den Punkten der Durchschnittsbilder ent-
sprechende Längsstreifen an den ganzen Zellen entweder gar nicht, oder doch
nur andeutungsweise bemerkte , so möchte ich dennoch jene Punkte auf Quer-
durchschnitte von Muskelfibrillen beziehen. Die Flächenbilder der Muskel-
substanz, welche F. E. Schulze aufgetrennte, relativ dicke Fibrillen bezieht,
von denen zuerst eine einzige entstehe, muss ich nach meinen Erfahrungen aus
der Lichtbrechung an den Kanten der prismatischen Zellen erklären. Von
feinerem histiologischen Detail sei noch erwähnt, dass an ganz frisch unter-
suchten Muskelfasern die hellen Streifen ganz deutlich eine zarte punktirte
Linie zeigen, welche sie in der Mitte und parallel den einfassenden dunkeln
Streifen durchzieht {Fig. 203b). — Wenn nun die peripherische Anlage der
Muskelsubstanz in ihrer ersten dünnen und meistentheils rinnenförmigen
Gestalt die Neigung erkennen lässt, sich in der Peripherie der ursprünglichen
Muskelzelle weiter auszudehnen und so deren übrige noch mit Dotterplättchen
durchsetzte Masse röhrenförmig zu umwachsen, so habe ich doch eine solche
Entwickelung nicht verfolgen können. Vielmehr traf ich es als Regel, dass
die anfangs dünne Muskelschicht, während sie an Mächtigkeit beständig zu-
nimmt, sich annähernd cylitiderisch zusammenzieht und so in die übrige Masse
der Muskelzelle vorragt , dass diese alsdann ihrerseits die Rolle einer Rinden-
schicht übernimmt und gewöhnlich rinnenförmig, zuweilen aber auch cylin-
derisch geschlossen erscheint {Fig. 198). Neben den scheibenförmigen Durch-
452 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
schnitten dieser regelmässigen soliden Cylinderform der Muskelsubstanz finde
■ich allerdings nicht ganz selten Ringe, welche auf eine röhrenförmige Umbil-
dung jener Substanz schliessen lassen. Eine solche Röhre kann aber auf die
oben angedeutete Weise d. h. durch Ausbreitung der Muskelschicht über die
ganze Oberfläche der Muskelzellen nicht entstanden sein, da sie nur den
kleineren Theil der unverwandelten Zellenmasse einschliesst, während der
grössere ihr aussen anliegt. Andererseits ist es mir nicht gelungen die Röhren-
form der Muskelsubstanz an isolirten Muskelzellen zu bestätigen , sodass
möglicherweise jene ringförmigen Durchschnitte nicht von wirklichen Muskel-
röhren, sondern nur von zufälligen, beschränkten Einschlüssen einfacher Zellen-
masse in die sonst soliden Muskelcylinder herrührten. Jedenfalls bleibt
weder die eingeschlossene noch die ausserhalb der Muskelsubstanz befindliche
Zellenmasse als solche längere Zeit bestehen, sondern verwandelt sich sehr
bald gleichfalls in Muskelsubstanz, welche sich der schon bestehenden an-
schliesst.
Wenn die Muskelzelle anfangs ebenso wenig wie jede andere Embryonal-
zelle eine Membran besitzt, so bildet sich doch eine solche während der Ver-
wandlung der Dottermasse aus der äussersten Schicht der letzteren, welche
nach Beendigung jener Umbildung als dünnes Häutchen dem Muskelcylinder
anliegt, sein Sarkolemm darstellt (Fig. 204). Dasselbe umschliesst aber noch
einen Theil der ursprünglichen Zelle, welcher sich nicht in Muskelsubstanz
verwandelt, nämlich den Kern. Er streckt sich mit der ganzen Muskelzelle,
wird meist walzenförmig und bleibt nach wie vor in der Mitte der Zellenlänge,
und zwar so lange es noch indifferente protoplasmatische Masse gibt, inner-
halb derselben liegen. Sobald aber das Protoplasma soweit in Muskelsubstanz
verwandelt ist, dass der Rest nicht mehr die Mächtigkeit des Kerns erreicht,
so wird der letztere nicht etwa in die zunehmende Muskelsubstanz eingebettet,
sondern nach aussen gedrängt, sodass er das Sarkolemm je länger desto
stärker vortreibt. Besonders auffallend erscheint dies an den kurzen Muskel-
fasern des Schwänzendes , deren Kerne länger sind als die Hälfte der ganzen
Faser und diese auf einer Seife beinahe in der ganzen Länge ausbauchen
{Fig. 204). Für diese Lagerung des Kerns fehlte ein Motiv, wenn wir die
Bildung der Muskelsubstanz gerade so einfach wie bei anderen Massen-
umbildungen erfolgen Hessen. Ich glaube daher, dass dieser Vorgang in der
Ausfällung stets neuer Fibrillen beruht, welche alsdann nicht an der alten
Stelle liegen bleiben und so den Kern allmählich umwachsen, sondern sofort
1 . Die Muskeln. 453
zur Aktion der ganzen Muskelmasse herangezogen, mit dieser sich cylindrisch
zusammenziehen und dabei den Kern vollständig aus diesem ihrem kontinuir-
lichen Ganzen hinausdrängen. Erst nachdem die ursprüngliche Zellenmasse
vollständig in Muskelsubstanz übergegangen ist, beginnt die Theilung und Ver-
mehrung des Kerns; wenigstens scheint dies die Regel zu sein, da ich nur
äusserst selten zwei Kerne an einer Muskelfaser antraf, in deren Umgebung
noch Dotterreste vorhanden waren. Mit der fortdauernden Vermehrung der
Kerne geht ihre Ausbreitung über die ganze Oberfläche der Muskelfaser,
zwischen der eigentlichen Muskelsubstanz und dem Sarkoleinm Hand in Hand,
sodass die Larven bereits vor dem Erscheinen der knorpeligen Wirbelanlagen
in ihren Muskelfasern alle Elemente enthalten, welche das vollständig
entwickelte Thier besitzt, mit dem einzigen Unterschiede, dass die Kerne nicht
im Innern der Muskelsubstanz liegen, wo sie später angetroffen werden,
sondern ausserhalb derselben, wie man sich an Querdurchschnitten leicht
überzeugen kann. Die Art und Weise, wie jene definitive Innenlage der Kerne
ohngefähr zur Zeit der Verknorpelung der Wirbelbogenanlagen erreicht wird,
ist insofern von besonderem Interesse, als sie von einer eigenthümlichen Ver-
änderung der Muskelsubstanz bedingt wird. Dieselbe vollzieht sich nicht
gleichzeitig in allen Muskelfasern auch nur eines einzelnen Muskels und kann
daher leicht an einigen wenigen gelungenen Querdurchschnitten studirt werden.
Die Muskelsubstanzsäule jeder Faser zerfällt nämlich durch Ein- und Ab-
schnürung nach ihrer Länge erst in zwei und dann fortschreitend in immer
mehr rundliche oder prismatische Säulchen , welche freilich immer zu einem
Bündel oder der Muskelfaser vereinigt bleiben , aber sich augenscheinlich an
einander verschieben {Fig. 205). Bei diesen .wie es scheint langsamen und
wahrscheinlich wie bei der Dotterzerklüftung durch die Theilungsvorgänge
selbst hervorgerufenen Verschiebungen wird ein Theil der peripherisch gelege-
nen Kerne erst in die oberflächlich ausmündenden Fugen gedrängt und dann
von den sich verschiebenden Säulchen vollständig umlagert, sodass er sich
endlich im Innern des ganzen Bündels oder der ursprünglichen Muskelfaser
befindet, welche durch fortgesetzte Vermehrung, also auch Verfeinerung der
sekundären Säulchen wieder ein einheitlicheres Ansehen gewinnt. Es ist also
die Lageveränderung der Kerne von der Peripherie ins Innere der Muskel-
substanz ein nachträglicher und gleichsam zufälliger Vorgang, der ebenso
wenig wie seine nächste Ursache, nämlich die Zerklüftung der ursprünglichen
Muskelsäule für die eigentliche Muskelbildung von wesentlicher Bedeutung zu
454 VIII. Die Segmente des Rumpfe?.
sein scheint. Dagegen erklärt uns jene Zerklüftung, in welcher Weise die Kerne
der Muskel zellen, welche anfangs gerade durch den Zusammenhang der ganzen
Fibrillenmasse einer Faser stets an die Peripherie gedrängt werden, später
doch in das Innere derselben gelangen , ohne jenen Zusammenhang völlig zu
lösen; und darum liegt es nahe, jene Zerklüftung nicht bis zur Isolirung aller
Fibrillen , sondern nur bis zu einer solchen Verfeinerung ihrer sekundären
Bündelchen fortgehen zu lassen, dass man die bekannten CoHNHEEvfschen
Felder für die Durchschnitte derselben halten kann. — Bevor ich nunmehr
auf die topographische Umbildung der dorsalen Muskelmassen übergehen
kann, muss ich einiges über die Entwickelung der Sehnen vorausschicken.
Schon gleich im Anfange der Umbilduug der Muskelzellen sammeln sich in den
Binnen, welche äusserlich die Grenzen der Muskelplatten bezeichnen, Zellen des
interstitiellen Bildungsgewebes an, theils Elemente der inneren Segmentblätter
und der äusseren Segmentschichten, zum grösseren Theile aber, wie mir schien, un-
mittelbar aus den embryonalen Blutgefässen abstammende Dotterbildungszellen
(Taf. XI Fig. 201). Diese Elemente besorgen später auch die Bildung der Nerven,
Gefässe und bindegewebigen Scheiden der Muskeln, wofür ich jedoch auf die
weiter unten folgende Entwickelungsgeschichte dieser allgemeinen Gewebe ver-
weise, um mich hier auf die Muskelsehnen zu beschränken. Jene an den
Muskelgrenzen angesammelten Bildungszellen schmiegen sich anfangs bloss in
die Grenzfurchen, wobei sie sich durchweg entsprechend verlängern, also mit
ihrer Längsaxe diejenigen der Muskelzellen kreuzen und stets je mehrere der-
selben berühren. Darauf verschmelzen sie untereinander zu einer kontinuir-
lichen, von freien Kernen durchsetzten Masse, welche mit den anliegenden
Muskelfaserenden eine feste Verbindung eingeht und allmählich zwischen die-
selben eindringt {vgl. Fig. 206). Auf diese Weise tritt an die Stelle des
unmittelbaren Zusammenhangs der Muskelenden eine besondere Verbindungs-
masse, welche zuerst den ganzen Muskelgrenzen entsprechende, dünne quere
Scheidewände bildet. Aus Zellen entstanden sind diese jungen Sehnenanlagen
doch nicht als Zellengewebe in dem Sinne aufzufassen, als wenn die ganzen
Bildungszcllen seine weitere Entwickelung bedingten und bestimmten und
etwa unmittelbar in die Strukturelemente der fertigen Sehne, in die einzelnen
feinsten Bündel übergingen. Selbst die Verbindungsfäden zwischen einzelnen
Muskelfasern können nicht auf einzelne Zellen bezogen werden, da, wie erwähnt,
die Bildungszellen schon frühzeitig sich über mehrere Muskel fast Menden
erstrecken und die aus ihrer Verschmelzung hervorgegangene Massi* jene
1. Die Muskeln. ^ 455
Enden umwächst und sich mit ihnen verbindet, ehe sie deren unmittelbaren Zu-
sammenhang mit den gegenüberstehenden Muskelfaserenden auflöst. Daher ist
diese anfangs kontinuirliche Masse gleichsam als ein die Muskelsegmente verbin-
dender Kitt zu betrachten, dessen spätere Differenzirung in fibrilläres Bindege-
webe, wovon später die Rede sein wird, von einer Anwesenheit von Zellen ganz
unabhängig ist, und dessen Anordnung in grössere und kleinere Bündel erst in
Folge einer gleichen Eintheilung der Muskelmassen erscheint. Nach dieser Or-
ganisation der Sehnen habe ich, um es beiläufig zu erwähnen, gleich Kölliker an
einzelnen Muskelfasern des Schwanzes 2— o divergirende , sehr dünne Sehnen-
fäden an einem Ende entspringen sehen, wobei dieses Muskelende in ebenso
viele verdünnte Aeste gespalten war. Neben den freien Kernen habe ich in
den Sehnen der Larven bis in die späteren Perioden ganze Zellen vermisst
Fig. 204); und nach der eben vorgeführten Eutwickelungsgeschichte dieses
Gewebes können alle später darin anzutreffenden Zellen nur eingewandert oder
um die freien Kerne neugebildet sein.
Schon bevor die Bildung der Muskellasern ganz vollendet ist hat die topo-
graphiscbe Umbildung der ganzen aus den Segmentkernen hervorgehenden
Muskelplatten begonnen. Anfangs verlaufen ihre Grenzscheiden nahezu senk-
recht und rechtwinkelig zur Körperaxe; darauf gehen sie aber allmählich in
eine zu jener Axe schräge Stellung über, sodass der spitze Winkel nach hinten
sieht (Taf. XVII Fig. 304). Durch diese Verschiebung werden die Endflächen
der Muskelzellen so verändert, dass sie schräg abgeschnitten und mehr oder
weniger zugespitzt aussehen {Taf. XI Fig. 202). Diese Form zeigen sie aber
nur bei Erhaltung ihres natürlichen Zusammenhangs, also in gehärteten
Präparaten , während im frischen Zustande isolirte Muskelzellen runde Enden
erhalten (Fig. 203). Jene Richtungsänderung der Muskelgrenzen wird noch
dadurch komplicirt, dass sie von oben abwärts eine nach vorn konvexe
Krümmung erleiden {Taf. XVI Fig. 290). Diese Konvexität steigert sich
allmählich bis zur Bildung eines Flächenwinkels, dessen Kante ohngefähr in
der halben Höhe der Segmente liegt {Taf. XVIII Fig. 320. 326). Dadurch
entstellt die bekannte Zeichnung der ineinandergreifenden , mit ihren Spitzen
nach vorn gerichteten Zacken, welche zu beiden Seiten des Rückens hinziehen
und häufig schon an dem unberührten Embryo und der jungen Larve durch
das auch an der Hautoberfläche ausgeprägte Relief der Segmente erkannt
werden können. Der Grund dieser komplicirten Verschiebung der Segmente,
welche sich wesentlich in deren Hauptmasse, eben den Muskelplatten aus-
456 VITI. Die Segmente des Rumpfes.
spricht, muss wie ich glaube in den Beziehungen der letzteren zum primären
Stammskelet gesucht werden. Solange die Segmente in der horizontalen
Richtung einen fassförmigen Durchschnitt besitzen und die axialen Anlagen
nur berühren, ohne mit ihnen zusammenzuhängen, erhält sich auch die
ursprüngliche Richtung ihrer Grenzflächen. In der ersten Larvenperiode lösen
sich die inneren Segmentblätter aus dem Bestände der einzelnen Segmente und
rliessen an den Grenzen kontinuirlich zusammen, während ihre dicksten Stellen
an der Segmentmitte zu den Anlagen der Spinalganglien und -nerven sich ab-
sondern. Das die letzteren umgebende interstitielle Bildungsgewebe vermag
bei seinem zarten, lockeren Gewebe weder über noch unter der Wirbelsaite
Befestigungspunkte für die Muskel platten abzugeben-, dagegen gewährt die
Wirbelsaite der sie seitlich einfassenden dünnen Schicht jenes Bildungsgewebes,
der späteren äusseren Chordascheide, eine relativ feste Unterlage und dadurch
den in gleicher Höhe liegenden Sehnenanlagen die nöthigen Ansatzpunkte, so-
dass , wenn die Muskelbäuche durch die Spinalganglien und -nerven von dem
primären Stammskelet getrennt bleiben, die betreffenden Stellen ihrer medialen
Sehnenenden zipfelig gegen dasselbe angezogen erscheinen. Davon kann man
sich sowohl an Durchschnitten wie bei der Präparation ganzer Larven über-
zeugen. Nach der Beobachtung dieser einseitigen und beschränkten Be-
festigung der Muskelplatten braucht man nur ein ungleichmässiges Wachs-
thum der betreffenden Anlagen, welches übrigens sich schon aus den Folgen
klar ergibt, anzunehmen, um die beschriebene Umbildung der Muskelmassen
zu erklären. Bei dem allgemeinen, wesentlich nach hinten gerichteten Wachs-
thume des Rückens verlängert sich die Wirbelsaite, wie aus der betreffenden
Beschreibung (S. 356) erhellen wird, relativ schneller dort, wo der Gallert-
körper in der Bildung begriffen, als wo seine Anlage fertig ist, d. h. die früher
hergestellten vorderen Chordaabschnitte und mit ihnen alsdann die äussere
Scheide nebst den Muskelbefestigungen rücken langsamer vor als die hinteren,
als Stammskelet noch nicht fungirenden Abschnitte. Zugleich vertheilt sich
aber dasselbe Mass der Gesammtverlängerung gleichmässig über die ebenfalls
in verschiedenem Grade entwickelten Segmeute, sodass die an der vollendeten
Chorda entstandenen primären Muskelbefestigungen sich langsamer verschieben
als die ganzen nicht unmittelbar befestigten Muskelmassen. Die Scheidewände
der letzteren werden daher an ihren beschränkten Befestigungs punkten zurück-
gehalten und beschreiben in ihren übrigen Theilen einen um so grösseren
Weg, je weiter dieselben von jenem Tunkte entfernt sind. Die äusseren Theile
1. Die Muskeln: 457
müssen folglich weiter nach hinten rücken als die inneren, die über und unter
dem axialen Stammskelete befindlichen weiter als die in der Hohe desselben
und somit der Befestigung liegenden. Die auf diese Weise konstruirte
Wirkung gewisser vorausgegangener Zustände und Vorgänge stimmt nun
ersichtlich mit der beobachteten Muskelbildung überein und lässt die
versuchte Erklärung derselben nicht unbegründet erscheinen. Denn die nach
vorn gerichteten Spitzen der Zacken der Muskelgrenzen liegen thatsächlich im
Niveau der Muskelbefestigungen, von wo aus die Verschiebung der Muskel-
platten auf- und abwärts ebenso zunimmt, wie von innen nach aussen. Ich
habe mich bei dieser Erörterung aufgehalten , weil ich die gewiss nicht ganz
einfache Entwicklung der ganzen Wirbel auf die eben erläuterte Umbildung
der Musketmassen und deren weitere Wirkungen zurückzuführen versucht habe
(S. 378. 381. 406 u. flg.), und weil die Darlegung eines solchen Zusammenhangs
beweist, wie selbst so mannigfaltig zusammengesetzte Bildungen, wie der
gesammte passive und aktive Bewegungsapparat des Stammes, sich als die
nothwendigen Folgen verhältnissmässig einfacher vorangegangener Entwicke-
lungsvorgänge nachweisen lassen.
Durch die beschriebene Veränderung der Muskelplatten ist bereits eine
gewisse Gliederung derselben angelegt. Die Spitzen der Muskelzacken
bezeichnen die Höhe, in welcher die Muskelplatten in schon erwähnter Weise
in eine obere und eine untere Hälfte getheilt werden und die Rippenfortsätze,
die Träger der seitlichen Stammuskelmassen, hervorwachsen. Dieser neuen
Muskeltheilung entspricht zugleich die obere Seitenlinie unserer Larven,
in welcher der N. lateralis superior vagi verläuft und die Seitenorgane der
Haut versorgt. — Da im vorderen Rumpftheile die stärkere seitliche Aus-
ladung des Rückenmarkes die Ausbildung der inneren Segmente nach oben
anfangs beeinträchtigte, was weiter rückwärts nicht der Fall ist, und ferner im
Schwänze schon die ganzen Segmente unter Reducirung der Seitenplatten viel
tiefer hinabreichen als im Rücken, so ist es verständlich, dass auch die Höhe
der Muskelplatten sowohl in ihrer oberen wie in der unteren Hälfte von vorn
nach hinten ansteigt (Taf. XIII, XV). Während sie dicht am Kopfe über
die WTirbelsaite anfangs nicht weit hinausreichen , um erst später sich den
übrigen Folgestücken anzupassen, überragen sie in der Mitte des Rumpfes
bereits die Axengebilde, sodass ihre medianwärts gekrümmten oberen Ränder
später über denselben zusammenstossen-, im Schwänze geschieht dies aber
45.S VII F. Die Segmente des Rumpfes.
auch unterhalb der Axengebilcle, wodurch um die letzteren eine vollständige
Röhre gebildet wird. Diese Muskelröhre bleibt in der Nähe der Schwanz-
wurzel in der ursprünglichen Weite und der Zusammensetzung aus den dicht
aneinandergelagerten Muskelplatten bestehen; während des Wachsthums des
Schwanzes verjüngt sie sich gegen dessen Spitze hin und dehnen sich die
sehnigen Zwischenwände soweit aus, dass sie sogar längere Abschnitte jener
Röhre darstellen , als die mit ihnen alternirenden Muskellagen (vgl. Taf. XI
Fig. 204). Bei der Schrumpfung des Schwanzes gehen diese hintersten Theile
der Stammuskulatur, nachdem sie sich wieder zusammengeschoben, zuerst zu
Grunde, sodass nach dem schon vorher erfolgten Verluste des Flossensaumes
der Schwauzstummel wesentlich aus einem muskulösen Hohlkegel besteht, der
aber mit den eingeschlossenen Axengebilden fortdauernd von hinten nach vorn
bis auf seine Basis atrophirt (vgl. Taf. XIX Fig. 812). — Im Rumpfe besteht
die geschilderte Anordnung der Stammuskulatur nur bis zur Entstehung des
knorpeligen Skelets und verändert sich darauf, wie ich schon im vorigen Ab-
schnitte beschrieb, nicht unwesentlich. Die Wirbelbögen, welche entsprechend
den bezeichneten Muskelverschiebungen ihre nach hinten gerichteten Krüm-
mungen ausführen, nehmen die Muskelansätze anfangs nicht gleich in ihrer
ganzen Länge auf, sondern wirken zunächst am meisten durch die in die sehni-
gen Scheidewände hineinwachsenden Rippenfortsätze. In der Folge entwickeln
sich zwischen je zwei benachbarten Rippenfortsätzen, so weit dieselben die
Stammuskulatur durchsetzen, dünne bindegewebige Brücken; von den Rippen
fortsätzen des 9. und 10. Wirbels ziehen sie sich zum Steissbein in seiner
ganzen Länge hinüber, laufen also an seinem Ende spitz aus. Alle diese apo-
neurotischen Ausbreitungen bilden in ihrer Verbindung mit den Rippenfortsätzen
auf beiden Seiten der eigentlichen Wirbelsäule eine horizontale Platte, welche
die vorher durch die Seitenlinie nur angedeutete Scheidung der Stanimuskel-
masse in eine obere und eine untere Lage thatsächlich und vollständig aus-
führt*. Jede derselben ist zunächst freilich nur mit einer Fläche an den
Rippenfortsatz befestigt, während die grosse Masse der Muskelfasern einen
andern Halt als die aufrechten Scheidewände noch entbehrt. Im Verlaufe des
* Die für die Anurenlarven bezeichnende beiderseitige starke Aufblähung des Bauches,
zwischen welche der Rückentheil etwas einsinkt, verdeckt in der Seitenansicht die unter
den Rippenfortsätzen befindliche Muskellage vollständig (vgl. Tu/. XVIII Fig. :>25,
Taf. XIX Fig. 338-340).
1. Die Muskeln. 459
späteren Larvenlebens verändert sich dieser Zustand. Während die ganzen
Wirbelbügen von oben her etwas zusammengedrückt werden , die Rippen-
fortsätze sich nahezu horizontal stellen und an Länge zunehmen , wird die
Masse der oberen Muskelhälften aus der Höhe in die Breite umgelagert: die
lateralen Theile verschieben sich mit den wachsenden Rippenfortsätzen nach
aussen und vermehren dabei ihre Befestigungspunkte längs derselben, die
oberen Theile legen sich aber medianwärts auf die Wirbelbögen um und ver-
binden sich mit diesen in der ganzen Breite ihrer medialen Fläche. Die untere
Lage der Stammuskeln wird auf ähnliche Weise und in dem Masse, als die
embryonalen Wirbelkörper von unten her sich abplatten, ebenfalls flacher und
breiter und zuletzt in ihrer ganzen Masse unter die Rippenfortsätze verschoben,
mit welchen allein sie verbunden bleibt. Bei dieser Umbildung der Muskel-
platten sind natürlich auch ihre aufrechten Scheidewände bedeutend reducirt
und längs der Rippenfortsätze und Wirbelbögen in breite, platte Sehnen ver-
wandelt, welche in ihrer ganzen Ausbreitung mit jenen Skelettheilen zusammen-
hängen. Nur an den oberflächlichen Schichten der oberen Lage werden die
Sehnen nicht unmittelbar an die Wirbelbögen befestigt, sondern bleiben
entweder als freie Sehnen in den Verlauf der oberflächlichen Muskelmasse
eingeschaltet oder verschwinden ganz, wodurch die vorher getrennten Muskel-
abschnitte kontinuirlich zusammenfiiessen. Dies tritt insbesondere hinter dem
9. Wirbel in der ganzen Masse der daselbst erhalten bleibenden Stammuskeln
ein, wozu etwa 3 — 4 Segmente beitragen. Verfolgt man die weitere Um-
bildung der ganzen in Rede stehenden Muskulatur der Wirbelsäule bis zum
vollkommen fertigen Zustande, so ergibt sich, dass aus der oberflächlichen, mit
den Inscriptiones tendineae versehenen Muskelmasse der lange Rückenmuskel
(M. longissimus dorsi Ecker Nr. 90 S. 80 — 88), ans den tieferen Schichten der
oberen Lage die Mm. intercrurales und intertransversarii superiores, endlich aus
der ganzen unteren Stammuskellage die Mm. intertransversarii inferiores her-
vorgehen. Hinter dem 9. Wirbel bleiben die Fortsetzungen der Mm. intertrans-
versarii gleichfalls für immer und zwar durch die genannte dreieckige Binde-
gewebsplatte in eine obere und eine untere Portion getrennt. Die erstere ver-
bindet sich mit der Fortsetzung der Mm. intercrurales zum M. coccygeosacralis ;
in der andern oder dem Ende der unteren Stammuskellage stellt sich der
Faserverlauf allmählich schräg nach aussen und abwärts, sodass endlich
die vorderen Muskelenden am Hüftbein und die hinteren am Steissbein
sich befestigen: so entsteht der M. coccygeo - iliacus. An den Mm.
460 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
intertransversarii vom 2. — 9. Wirbel erhält sich die Zweitheilung nicht so
deutlich, weil die Richtung des Faserverlaufs in beiden Lagen dieselbe bleibt;
daher wird von den Anatomen nur eine Lage unterschieden (Ecker a. a. 0.).
Ebenso muss man mit Rücksicht auf die wenngleich vorübergehende Gliederung
der Rippenfortsätze auch bei unserem Thiere die äusseren, an die Rippen be-
festigten Theile der bezeichneten Muskeln als von den eigentlichen Mm. inter-
transversarii nicht deutlich gesonderte Mm. intercostales superiores et inferiores
betrachten. - Vor dem 2. Wirbel verschmächtigt sich die dorsale Muskelmasse
beim Uebergange in den Kopf so rasch, dass sie dort vollständig unter das
Hinterhirn, also unter die Stelle zu liegen kommt, wo sich später das eigentliche
Stanimskelet des Hinterkopfes (hintere Schädelbasis) bildet {Taf. XVI Fig. 303).
Während der Entwickelung des letzteren zieht sich jener Muskelstrang stetig
zurück und wird dabei unter Verschmelzung der früheren Segmentgrenzen
zu einem kleinen Muskelbündel reducirt, welches, da der 1. Wirbel einen
Rippenfortsatz nicht besitzt, vom 2. Wirbel direkt zur Schädelbasis hinzieht
(Taf. XIX Fig. 34.3). Die Wurzel des N. vagus lag schon ursprünglich über
und nach aussen von diesem Muskel, ohne von einem anderen bedeckt zu sein
(Taf. XV. Fig. 375). Wenn sie nun später zwischen zwei Muskeln hervor-
kommt, welche vom 1. Rippenfortsatze nach vorn divergiren , so ist nur der
untere, der von Ecker sogenannte M. intertransversarius capitis inferior, dem
ursprünglichen Muskelstrange zu vergleichen, der M. intertransversarius capi-
tis superior aber als ein nachträglich vorgeschobener Zipfel von der 2. Muskel-
platte des Rumpfes anzusehen, gerade so wie die vordersten Mm. intercrurales
auf das Schädeldach hinübergreifen [Taf. XVIII Fig. 331). — Mit
der geschilderten Anordnung ist die Entwickelungsgeschichte der aus den
Stammsegmenten oder dem Rückentheile der inneren Segmentschicht hervor-
gehenden Muskeln erschöpft, und ich wende mich nun zum Bauchtheile dieser
Embryonalanlage.
Nachdem die Stammuskeln sich oben von der übrigen Masse der Segmente
abgesondert haben, erkennt man den indifferenten Rest der inneren Segment-
schicht leicht in der noch kompakten Masse, welche gerade unter jenen
Muskeln den ganzen Raum zwischen ihnen, dem Darmblatte, der Gekrösefalte
und dem aus dem Parietalblatte unterdessen entwickelten Urnierengange ein-
nimmt und nach aussen an die äussere Segmentschicht anstösst (Taf. XIII
Fig. 241). Indem sie in Geineinsehaft mit dieser sich abwärts ausbreitet, ver-
1. Die Muskeln. 461
liert sich auch ihre Verdickung unter den Stamnmskeln und macht einer
dünnen Lage von lockerem interstitiellen Bildungsgewehe Platz , welche wegen
ihrer histologischen Uebereinstimmung mit dem inneren Segmentblatte nun-
mehr als eine unmittelbare Fortsetzung desselben erscheint (Taf. XIII
Fig. 238, Taf. XIV Fig. 263—205, Taf. XV Fig. 279 281). In dem eigent-
lichen Bauchtheile ist die innere Segmentschicht ebenso wie die äussere sehr
dünn und liegt dieser wie dem Parietalblatte eng an ; es wird daher in kurzer
Zeit eine Unterscheidung dieser Embryonalanlagen an Durchschnitten sehr
schwierig, und muss ihre fernere Entwickelung von der Fläche her studirt
werden. Zu diesem Zwecke löse ich die beiden Segmentschichten an ganz
jungen Larven von 6 — 7 Mm. voller Länge längs des ganzen Rückens ab und
untersuche sie dann entweder isolirt oder beide zusammen , was bei dem netz-
förmig durchbrochenen Gewebe keine Schwierigkeiten macht. Da man ferner
aus den Durchschnitten ersieht, dass zwischen dem Parietalblatte und der
inneren Segmentschicht sich sehr früh Pigmentzellen eindrängen, so liefert dieser
Umstand ein bequemes Merkmal, um in zweifelhaften Fällen die Grenzen jener
Theile auch in der Flächenansicht zu bestimmen {Taf. XVII Fig. 307 — 311).
So fand ich, dass, während die indifferenten , rundlichen Zellen der äusseren
Segmentschicht sehr bald auseinanderrücken, um nur durch schmale Brücken
in Verbindung zu bleiben, die Elemente der inneren Schicht anfangs dichter
zusammenstehen und wahrscheinlich desshalb auch die segmentalen Abthei-
lungen aufrecht erhalten, welche in der äusseren Segmentschicht sehr bald
verloren gehen. Dabei strecken sich jene Zellen der inneren Schicht in hori-
zontaler Richtung, sodass sie den queren Abteilungen ein streifiges Ansehen
verleihen (Taf. XX. Fig. 356). Zu derselben Zeit verwandelt sich aber die
Gestalt des ganzen Bauchtheils der Larve: vorher schmal und lang, wird er
nun durch die eigenthümliche Entwickelung des Darms weit breiter und
scheinbar kürzer. Dies hängt so zusammen, dass, während früher die Darm-
anlage mit der unmittelbar sich ihr anschliessenden Dotterzellenmasse einen
kompakten und schmalen, aber vom Kopfe bis zum After gleichmässigen
Körper bildete, in der ersten Larvenperiode das absteigende Ende des Darm-
kanals, der künftige Mastdarm, sich von der Dotterzellenmasse trennt und ver-
schmächtigt, die letztere aber sich unter dem Mitteldarme zusammenzieht,
dessen weitere Entwickelung und die zugleich sich verschiebenden übrigen
Eingeweide einen grösseren, annähernd kugeligen Raum beanspruchen,
welcher allein von den Segmentschichten umhüllt wird und desshalb auch
462 VIIT. Die Segmente des Rumpfes.
allein als Bauchtheil imponirt, ausserhalb dessen der dahinter befindliche
Mastdarm zu liegen kommt (Taf. II Fig. 38, Taf. XXI Fig. 372, Taf.
XIII, XIV, XX). Es ist leicht verständlich , dass die Segmentschichten
bei dieser Umbildung des Bauchtheils einmal dessen hintere Einschnürung
zuerst vollständig umwachsen und andererseits im Bereiche seiner starken
Erweiterung einer entsprechenden Dehnung ausgesetzt sind. Diese zieht das
streifige, vorher ziemlich dichte Gewebe in den segmentalen Abtheilnugen der
inneren Segmentschicht auseinander und ermöglicht dadurch, seine histolo-
gische Entwicklung bequem zu verfolgen. Die länglichen Zellen verwandeln
sich nämlich in kurzer Zeit in eine dünne Muskelschicht, deren Fasern der
Körperaxe parallel verlaufen; wo sie aber etwas dichter liegen, ist es unmög-
lich die Einzelheiten ihrer Entwickelung klar zu erkennen, sodass man leicht
geneigt sein möchte, dieselbe derjenigen in den Stammuskeln analog anzu-
nehmen. Die der Untersuchung günstigeren, weit auseinander gezogenen
Stellen des Gewebes lehren aber, dass jede durch die Breite je einer segmen-
talen Abtheilung verlaufende Muskelfaser nicht aus einer, sondern aus mehreren
Zellen hervorgeht (Taf. XI Fig. 206). Sie erhalten alsbald eine spindelförmige
Gestalt und legen sich dann meist so aneinander, dass ein Zellenbauch sich je
an die dünnen Enden der vorausgehenden und nachfolgenden Zelle anschmiegt.
Die Endzellen , welche einen solchen Strang an den Grenzen der segmentalen
Abtheilung abschlössen, laufen dort breit aus und verbinden sich mit der An-
lage des Sehnenstreifens oder direkt mit den ähnlichen Zellensträngen der
benachbarten Abtheilung. Da nun solche Stränge aneinandergefügter Spindel-
zelleu an den am meisten ausgedehnten Stellen des Gewebes beinahe immer
isolirt und nur durch dünne Substanzbrücken mit den benachbarten verbunden
erscheinen, so ist es nicht schwer, ihre Verschmelzung zu einer vielkernigen
platten Faser nachzuweisen. Gegen die Ausbildung der einzelnen Zellen zu
ebenso vielen Muskelfasern, in der Weise wie es bei den Stammuskeln der Fall
ist, spricht schon der Umstand, dass die Anzahl der eben fertig gewordenen
Muskelfasern mit derjenigen der Zellenstränge durchaus übereinstimmt,
während andernfalls die erstere ganz bedeutend überwiegen müsste. Wenn
daher das undichte Gitterwerk des eben hergestellten Bauchmuskels später zu
einer kompakten Schicht wird, so ist dies aus einer Neubildung durch nach-
träglich eingeführte Bildungszellen zu erklären. Die Verbindungsfäden , durch
welche die Zellenstränge anfangs zusammenhängen, und die wellenförmigen
Umrisse der letzteren verlieren sich in dem Masse, als dieselben sich in band-
1. Die Muskeln. 463
förmige Muskelfasern verwandelt. Während dieser Unibildung verwandelt
sich ihre Dottersubstanz in ähnlicher Weise wie in den Stammuskeln : erst
schwindet ein Theil der Dotterplättchen, dann erscheint ein schmaler einseitiger
Saum von quergestreifter Muskelsubstanz, endlich ist die ganze Dottersubstanz
durch Muskelmasse ersetzt. Eine wesentliche Vermehrung der Kerne erfolgt
wohl kaum, da dieselben bereits von Anfang an in jeder Muskelfaser zahlreich
vorhanden sind ; über ihr Hineinwachsen in die Muskelsubstanz habe ich an
den Bauchmuskeln keine Erfahrungen gemacht. Alle übrigen Gewebe, welche
an ihnen später vorkommen, als Nerven, Bindegewebe, Gefässe, kann ich von
der ursprünglichen Segmentschicht nicht ableiten , da ich die letztere vollstän-
dig in die Muskeln aufgellen sehe; ich muss daher die Entstehung jener Gewebe
auf nachträglich eingewanderte Bildungszellen zurückführen.
Ebenso wie die eben beschriebenen entstehen alle Muskeln des Bauches,
der Extremitäten und des Kopfes, ausgenommen die direkte Fortsetzung der
Stammuskeln in' dem letzteren, während die Augenmuskeln, welche, wie ich
zeigen werde, ebenfalls den Stammuskeln homolog sind , in der zuletzt geschil-
derten Weise sich entwickeln. Der einzige unwesentliche Unterschied zwischen
allen diesen Muskeln besteht darin, dass die später gebildeten nicht aus
dotterhaltigen Embryonal- oder Dotterbildungszellen , sondern aus protoplas-
matischen Bildungszellen hervorgehen (Taf. XI Fig. 207). Wenn also eine
zweifache ; auf den ersten Blick nicht unerheblich unterschiedene Bildungs-
weise der gesammteu der Willkür unterworfenen Muskulatur bestellt, ohne
dass die betreffenden Muskeln nach ihrem Ursprünge oder ihrem späteren
Verhalten irgendwie in zweierlei Formen zerfielen , so wird man unwillkürlich
an das ähnliche Verhältniss bei der Knorpelbildung erinnert und aufgefordert,
auch für die Muskeln die Ursachen der Verschiedenheit in äusseren, neben-
sächlichen Momenten zu suchen. Allerdings mag es vielleicht nahe liegen, den
Muskelfasern selbst einen verschiedenen Formwerth zuzuschreiben, indem man
die einen als einzellige, die anderen als mehrzellige betrachtet. Von einem
auf die Bildungszellen bezüglichen Formwerthe der GewTebselemente kann aber
wie ich glaube nur die Rede sein, wenn eine Kontinuität der Formentwicke-
lung besteht; in den Anlagen der Muskelfasern geht aber der individuelle
Formbestand der Bildungszellen, ob es nun eine oder mehrere verschmol-
zene sind , verloren , indem sowohl der Kern aus dem Protoplasma hervortritt,
als auch dieses in diskrete Elementartheile zerfällt. Die Bildungszellen über-
liefern also den fertigen Muskelfasern nichts von ihrem Formbestande, sondern
464 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
gewähren nur das Substrat zu wirklichen Neubildungen. Die Ein- oder Mehr-
zelligkeit der Anlagen hat folglich für die Muskelfasern gar keine morpholo-
gische Bedeutung und lässt sich wahrscheinlich ähnlich wie die zweifache
Knorpelbildung auf die verschiedenen Entwickelungsperioden und Körper-
regionen beziehen, in denen die Bildung vor sich geht.
Ich kehre zu dem segmentirten Bauchmuskel zurück, welcher der
späteren Verhältnisse wegen der mittlere heissen kann. Seine queren Streifen
reichen, solange sie noch aus Zellensträngen bestehen, oben bis an die Stam-
muskeln, unten noch nicht bis an die mittlere Bauchlinie, sodass dort die
beiderseitigen Ränder eine längliche Lücke einfassen , welche sich nach vorn
erweitert, rückwärts aber spitz ausläuft, da die beiden Muskeln frühzeitig unter
dem Mastdärme zusammenstossen, um dann denselben umgreifend hinter und
über ihm aufzuhören {Taf. XX Fig. 356). Indem aber die Vorwölbung des
Bauches namentlich an den Seiten beständig zunimmt, wird auch der mittlere
Bauchmuskel stärker ausgedehnt ; sein oberer Rand entfernt sich dabei in einer
aufwärts konkaven Linie von den Stammuskeln, sodass sein hinteres Ende,
welches einer Dehnung nicht ausgesetzt ist, gegen dieselben unter spitzem
Winkel ausläuft, der mittlere Theil am weitesten von ihnen absteht, und der
vordere sich ihnen wieder nähert {Taf. XVIII Fig. 325. 326). Zugleich sind,
je höher hinauf, die Muskelfasern desto mehr auseinandergezogen und die
segmentalen Abtbeilungen durch Verschmelzung der Muskeln theilweise un-
kenntlich geworden; an der Bauchfläche und an beiden Enden liegen die
Muskelfasern dichter und sind die queren Sehnenstreifen deutlicher. Ganz
besondere Erwähnung verdient aber der vordere Abschnitt des mittleren Bauch-
muskels. Da im Kopfe eine Ausbreitung der inneren Segmentschicht nach
unten nicht stattfindet, so kann dort von einer ursprünglichen Fortsetzung
jenes Bauchmuskels nicht die Rede sein; die Seitentheile der hinteren Kopf-
hälfte enthalten im ganzen Zungenbeingürtel und in den Kiemenbögen neben
den Seitenplatten nur Erzeugnisse der oberen Segmentschicht, und in der Wand
des unter dem Kiemenapparate gelegenen Perikardialsackes befindet sich
anfangs nur das Parietalblatt {Taf. VII, XIII, XIV). Ferner ist aber die
Kiemengegend nicht nur in Folge ihrer lateralen Vorwölbung durch eine
Einschnürung vom Rumpfe abgesetzt, sondern auch in ihrem Innern die
Kontinuität des mittleren Keimblattes durch die nach aussen hervorwachsenden
Darmblattfalten unterbrochen, sodass der vordere Rand der Anlage des
mittleren Bauchmuskels, soweit er in der Höhe jener Einschnürung oder der
1. Die Muskeln. 465
nach vorn konkaven hinteren Kopfgrenze liegt, in seiner weiteren Ausbreitung
aufgehalten wird (Taf. XIV Fig. 254, Taf. XVII Fig. 307—309). Anders
liegen die Verhältnisse für den unteren Theil jenes Muskelrandes: Unter dem
Kiemenapparat schliesst sich der von der Oberhaut unmittelbar bedeckte Peri-
kardialsack mit allmählichem Uebergange an den dahinter liegenden, die Leber
enthaltenden Bauchtheil an , wobei auch das perikardiale Parietalblatt konti-
nuirlich in die gleichnamige Unterlage des mittleren Bauchmuskels übergeht.
Auf diesem ununterbrochenen Plan und begünstigt durch den lockeren Zu-
sammenhang desselben mit der Oberhaut wächst nun unsere Muskelschicht
dicht unter den Kiemenbögen den Perikardialsack umfassend nach vorn aus
{Taf. XVII Fig. 310). Zur selben Zeit ist das 2. äussere Segmentpaar des
Kopfes am Bauchtheile des Zungenbeinbogens noch nicht zur Vereinigung ge-
kommen, sodass dort das betreffende Stück der Seitenplatte (Anlage der
Zungenbeinhörner) in unmittelbarer Fortsetzung des perikardialen Parietal-
blattes ebenfalls nur ganz locker mit der Oberhaut zusammenhängt. Auf diese
Weise wird dem auswachsenden Bauchmuskelstrange nahe der ventralen
Mittellinie eine freie Bahn bis zum Unterkieferbogen eröffnet {Taf. XV, XVII).
In Folge der starken Aufblähung des Bauches konvergiren beide Stränge schon
am Perikardialsacke, werden aber von dessen unterer Vorwölbung auseinander-
gehalten ; sobald er sich später aus dem Bereiche der Kiemengegend nach
hinten zurückzieht, schliessen sie sich unter der letzteren ebenso' zusammen,
wie sie zwischen Zungenbein und Unterkiefer nebeneinander verlaufen
Taf. XVIII Fig. 325. 326. 328, Taf. XX Fig. 348). Endlich muss noch be-
merkt werden, dass diesem unteren strangförmigen Vorderende des mittleren
Bauchmuskels später auch dessen obere Randtheile sich anschliessen, indem
durch das Zusammenfallen der ursprünglich weit offenen Schlundhöhle die
bogenförmige hintere Grenze des ventralen Kopftheils, wo jener Rand aufhörte,
zu einer ganz flachen, beinahe horizontalen wird, worauf die betreffenden
Muskelenden konvergirend sich zusammenschieben und dem unteren Strange
anschmiegen. Auf diese Weise wird die bereits erwähnte Einbeziehung des
Perikardialsackes in den eigentlichen Bauchtheil ausgeführt und erscheint der
in der Längsrichtung verlaufende mittlere Bauchmuskel auch dort, wo er
ursprünglich nicht angelegt war, an der Bauchseite der Kopfregion. Da dieser
sein Kopftheil nur aus einer excessiven Verlängerung der in der vorderen
Bauchwand schon vorher bestandenen Anlage hervorgeht, so kann man auch
nicht annehmen, dass durch ihn die segmentalen Abtheilungen des mittleren
Goette, Enuvickelungsge.schichte. 30
466 vm- Die Segmente des Rumpfes.
Bauchmuskels vermehrt seien. Wie viele derselben aber an der Verlängerung
theilnehmen, ist desshalb nicht leicht zu entscheiden, weil der ganze Muskel
sich von den Stammuskeln entfernt und seine vorderen Segmentgrenzen
schwinden, ehe man eine solche Untersuchung an dem enthäuteten, sonst aber
intakten Larvenkörper vornehmen kann. Sobald derselbe die dazu nöthige
Grösse erreicht hat, findet man nämlich nur noch sechs Seimenstreifen, welche
der Ausdehnung der Bauchwand entsprechend in grösseren Abständen als die
Scheidewände der dorsalen Muskelplatten, jedoch gleich weit von einander
entfernt ohngefähr die hinteren zwei Drittheile des Bauchmuskels vom unteren
Rande bis zur halben Breite durchziehen, während das vordere Drittheil bis
zum Zungenbeinknorpel ununterbrochen verläuft, dort aber von der vorderen
schmalen Verlängerung nur durch eine nachträgliche Verbindung mit diesem
Skelettheile geschieden wird, welche also mit einer segmentalen Grenze nichts
zuthunhat (Taf. XVIII— XX). Immerhin lässt sich die ursprüngliche Anzahl
der segmentalen Abtheilungen des Bauchmuskels bestimmen, sobald man die
Nerven des Rumpfes topographisch darstellen kann , was schon an Larven aus
dem Anfange der zweiten Periode gelingt. Die Nerven, welche dem mittleren
Bauchmuskel unmittelbar aufliegend, vom Rücken her ziemlich gerade abwärts
ziehen, sind die Fortsetzungen der an der Innenfläche der dorsalen Muskel-
platten gebildeten Nervenstämme, sodass jedem derselben eine Abtheilung des
Bauchmuskels entsprechen muss. Allerdings verlaufen jene Nerven meist
etwas unregelmässig und werden wohl ebenso wie der Muskel selbst durch die
starke Ausdehnung des Bauches verschoben* (Fig. 325. 326). Doch sah ich
den Nerv, welcher zu der 5. dorsalen Muskelplatte gehört, beständig in die
Abtheilung eintreten , welche von dem 2. und 3. Sehnenstreifen begrenzt wird ;
und wenn die Richtung der hinteren Nerven einigermassen regelmässig
erscheint, so folgen sie der von jenem erstcren angedeuteten Ordnung. Hat
man dies einmal festgestellt, so ergibt sich die weitere Bestimmung von selbst:
der erste Seimenstreif entspricht alsdann der 3. Scheidewand der dorsalen
Muskelplatten, mithin sind vor ihm zwei Seimenstreifen verloren gegangen und
drei Abtheilungen verschmolzen, womit die zugehörigen zwei ersten Rumpf-
nerven insofern stimmen, als an der ersten dorsalen Muskelplatte überhaupt
* An Tritonerilarven, deren Bauch niemals so aufgetrieben wird wie bei den Larven
der ungeschwänzten Batrachier, verlaufen die Bauchnerven regelmässig längs der ihnen
entsprechenden queren Abtheilungen des mittleren Bauchmuskels (Fig. 341),
1. Die Muskeln. 467
kein Nervenstamm sich entwickelt. — Während der Metamorphose bildet sich
im zweiten Sehnenstreifen ein länglicher Knorpel, welcher mit dem anderseiti-
gen nach vorn konvergirend in der Medianebene zusammenstösst und zu einem
winkelig gebogenen, bauchrippenähnlichen Stücke verschmilzt {Fig. 343. 348.
349). Durch dieses wird nun die ganze Ausbreitung des mittleren Bauch-
muskels ganz natürlich in eine vordere und eine hintere Hälfte geschieden, von
denen die erstere vier, die andere scheinbar fünf, wahrscheinlich aber sieben
segmentalen Abtheilungen entspricht. Die letzte Abtheilung darf man nämlich
mit Rücksicht auf die Zahl der über sie hinziehenden Spinalnerven (der 8. 9. 10.)
als aus drei segmentalen Abschnitten zusammengesetzt auffassen, deren Scheide-
grenzen entweder sich gar nicht ausbilden oder sehr frühzeitig schwinden {Fig.
326). Die weitere allgemeine Veränderung des ganzen Muskels besteht darin,
dass er sich gegen das Ende der Larvenzeit bedeutend nach unten zusammen-
zieht und dabei verdickt, sodass er von den Seiten des Körpers ganz ver-
schwindet und nur der Bauchfläche angehört {Fig. 343). In der hinteren Hälfte
bleiben die vier Sehnenstreifen und fünf Abtheilungen zunächst bestehen ; in-
dem aber auf der letzten Abtheilung jederseits eine Hälfte des Beckengürtels
sich entwickelt und hinabwachsend in der Bucht zwischen dem Mastdarm und
dem eigentlichen Bauchsacke mit der anderseitigen zusammenstösst, verbindet
sich der vordere Beckenrand mit dem hintersten Sehnen streifen, sodass für die
Bauchwand im engeren Sinne, zwischen den beiden Extremitätengürteln jeder-
seits nur vier Abtheilungen übrig bleiben , welche je die Hälfte des M. rectus
abdominis darstellen {Fig. 325. 326. 339. 343). Der vordere Theil der letzten
Abtheilung, welcher vom Beckengürtel unmittelbar umschlossen wird, atrophirt
in der Folge-, die dahinter befindlichen Fasern, welche den Mastdarm um-
greifen , verwandeln sich dadurch , dass sein nacktes, durch die Schwanzflosse
verlaufendes Ende während der Atrophie der letzteren sich aufwärts zurück-
zieht, zu einer Art von Sphincter ani, welcher aber wegen seiner Befestigung
viel passender M. ischio - coccygeus (Duges Nr. 13 S. 126) genannt wird. —
Die vordere Hälfte des mittleren Bauchmuskels sondert sich in Folge der be-
reits erwähnten Befestigung am Zungenbeine in zwei Abschnitte: der vordere,
welcher am Zungenbeinkörper lateralwärts von dem hinteren befestigt ist, wird
zum M. genio-hyoideus, der hintere Abschnitt, welcher als Fortsetzung des M.
rectus abdominis von dem bauchrippenähnlichen Skeletstücke verhältnissmässig
breit entspringt und darauf gegen seine Insertionsstelle sich stark zusammen-
zieht, ist der mit einer Inscriptio tendinea versehene M. sterno-hyoideus (Fig.
30*
468 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
328. 348. 356). Da sein Vorderrand ursprünglich hinter dem Kiemenapparate
schräg unter denselben hinabstieg , also die oberen Theile kürzer sind als die
unteren , so wird auch bei der Zusammenschiebung der Muskel selbst wohl
schmäler, aber sein Ende nicht gleichmässig, sondern schräg zugespitzt, sodass
seine frühere breite Insertion an der ventralen und hinteren Seite des Kiemen-
apparates oder dem Zungenbeine nicht aufgehoben, sondern nur horizontal
gestellt wird und an der Seite des Muskelendes verläuft. Abzweigungen dieses
M. sterno - hyoideus habe ich nicht finden können ; und da die Ansicht Henle's
(die Muskellehre des Menschen 1858 S. 116), dass der vordere Bauch des M.
omo-hyoideus des Menschen ein dem M. sterno- hyoideus homologer Muskel sei,
durch anatomische Thatsachen begründet erscheint, so bemerke ich dagegen,
dass der M. omo-hyoideus unseres Thieres keine gemeinsame Anlage mit dem
M. sterno-hyoideus besitzt, sondern noch bevor der letztere sich in der bezeich-
neten Weise zusammengezogen, auf demselben und dessen Insertionsrande
parallel dicht hinter dem M. hypoglossus als Neubildung entsteht, was man
an seinen noch unentwickelten Fasern erkennt {Fig. 342. 348). Diese Ent-
wicklung beweist, dass der M. omo-hyoideus gar nicht aus der inneren Seg-
mentschicht, sondern aus der dieselbe deckenden äusseren Segmentschicht
hervorgeht; und obwohl ich wegen seiner anfänglichen Zartheit nicht nach-
weisen konnte, dass er vom Schultergürtel hervorwächst, so ist dies doch leicht
möglich, da ich erkannt habe, dass die übrigen von den Extremitäten ausstrah-
lenden Muskeln ihre Anheftungspunkte am Kopfe und Rumpfe erst allmählich
erreichen.
Viel später als die Differenzirung der inneren Segmentschicht beginnt die
Muskelentwickelung in der äusseren Segmentschicht. Bevor sie aber bemerk-
bar wird, hat in der letztgenannten Schicht ein anderer Vorgang Platz gegriffen
— die Entwickelung der Rumpfglieder. Ihre ersten Anlagen sind ganz be-
schränkte hügelartige Wucherungen der noch indifferenten äusseren Segment-
schicht, welche unmittelbar unter der Oberhaut liegen. Sie entstehen ohngefähr
gleichzeitig gegen das Ende der ersten Larvenperiode jederseits an beiden
Enden des Rumpfes, und zwar vorn ziemlich hoch am Eingänge in die hinter
den Kiemen befindliche Tasche und zur Seite der an der Innenfläche der Bauch-
wand gelegenen Urniere, hinten auf dem letzten Abschnitte des mittlem Bauch-
muskels, wo nach innen die Trennung des Parietal- und des Visceralblattes
oder die Anlage der Bauchhöhle aufhört {Taf. XVI Fig. 299, Taf. XVII Fig.
319). An diesen Stellen geht die ganze äussere Segmentschicht in jene Anlagen
1. Die Muskeln. 469
auf; und da dieselben den Rumpf in querer Richtung umwachsen, ehe eine all-
gemeine Umbildung der übrigen Theile der Segmentschicht eingetreten ist , so
werden diese in drei Abschnitte geschieden, in den kleineren vorderen, welcher
zwischen dem Kopf- und dem Schultergürtel in der mehrfach genannten Tasche
liegt, in den grösseren mittleren Abschnitt , welcher zwischen beiden Glieder-
gürteln die Hauptmasse des Bauches umgreift, und endlich in den an den
Beckengürtel sich anschliessenden Schwanztheil, welcher aber bloss die binde-
gewebige Bedeckung der Stammuskelplatten liefert und daher hier nicht
weiter zur Sprache kommt. Auch auf die Entwickelung der Gliedmassen werde
ich nur soweit eingehen , als mir nöthig erscheint , um die genetisch ihnen zu-
gehörigen Theile von den übrigen Körpertheilen abzugrenzen, d. h. es sollen
nur ihre Beziehungen zum Rumpfe erörtert, diewollständige Ausarbeitung ihrer
Anlagen aber, insbesondere der aus dem Rumpfe frei hervorwachsenden Theile
ganz übergangen werden. Mich leitet bei dieser Beschränkung meiner Aufgabe
die Ueberzeugung, dass, wenn auch die Entwickelung der Glieder einen für das
spätere Leben sehr wichtigen Theil der Gesammtentwickeluug zum Ausdruck
bringt, dennoch der allgemeinere typische Werth desselben bisher viel zu hoch
angeschlagen wird. Mit Rücksicht darauf, class die Gliedmassen bis in die
Reihe der Amnioten hinauf vollständig fehlen können , ferner oft in engeren,
mehr oder weniger verwandten Kreisen eine ansehnlich wechselnde Ausbildung
zeigen, müsste sie schon der Anatom aus der Reihe allgemein typischer Theile
streichen. Die Entwicklungsgeschichte bestätigt aber diese Auffassung ; die
späte Entstehung der Rumpfglieder als letzte morphologische Anlagen hindert
sie, in den durch die Embryonalentwickelung begründeten Typus einzugreifen
oder ihn nachträglich abzuändern , und lässt sie als Anpassungen der äusseren
Segmentschicht an die schon bestehende Organisation des Rumpfes erscheinen.
Indem die Bildung der Gliedmassen auf diese Weise wesentlich auf das man-
nigfach wechselnde Moment der Gesammtökonomie des übrigen Bewegungs-
apparats zurückgeführt werden muss, ergibt sich auch ihr beschränkter typi-
scher Werth ; in einer Geschichte des allgemeinen Aufbaues der Wirbel thiere
spielen sie nur eine Rolle als quere Gürtelabschnitte der äusseren Segmentschicht,
die Ausbildung der freien Aussenglieder gehört aber dort nicht mehr hinein.
Die Anlagen der vorderen und der hinteren Gliedmassen entwickeln sich
im allgemeinen gleichartig. Es sind kompakte Wucherungen der äusseren Seg-
mentschicht, hervorgerufen durch massenhafte Einwanderung von Dotter-
bildungszellen, für deren beschränkte Ablagerung jedoch eine Ursache sich
470 VUL Die Segmeute des Rumpfes.
nicht erkennen lässt; nachdem sie zu kleinen Hügelchen angewachsen, ent-
wickeln sich von der Aorta her ansehnliche zuführende Blutkanäle, welchen
die weitere Vermehrung des Bildungsstoffes offenbar zuzuschreiben ist. Darauf
breiten sich die dem mittleren Bauchmuskel aufliegenden Zellenmassen
nach oben und unten aus, um den Gürtel herzustellen, während die frei hervor-
tretenden Aussenglieder ohngefähr aus der Mitte jeder Gürtelhälfte (Schulter-
gürtel) oder etwas tiefer (Beckengürtel) hervorsprossen. — Die durch das
Schultergelenk geschiedenen dorsalen und ventralen Abschnitte des Schulter-
gürtels sind insofern gleichartig gebildet, als sie von der Verbindungsstelle aus
sich auf- und abwärts verbreitern, dort bis über die Stammuskeln , hier bis zur
mittleren Bauchlinie hinab. Der dorsale Theil enthält zwischen einer äusseren
und einerinneren Muskellage das knorpelige Schulterblatt; die von diesem oder
dem Oberarm entspringenden , zur Verbindung mit dem Rumpfe bestimmten
Muskeln sind anfangs sehr zart , aber von vornherein so angelegt, dass ihre
Richtungen entsprechend der Gestalt des ganzen vom Schultergelenke aufwärts
sich verbreiternden Gürteltheils nach oben, vorn und hinten ausstrahlen (Fig.
325. 342). An der Aussenfläche des Schulterblattes liegt nur ein zum Rumpfe
hinziehender Muskel, der M. latissimus dorsi, welcher bei unserem Thiere aus
der bandartig dünnen und schmalen Anlage sich zu ganz besonderer Mäch-
tigkeit entwickelt und rückwärts bis gegen die Schwanzwurzel über den Rücken
ausstrahlend in dieser Ausbreitung alle übrigen Wurzeln bedeckt, also auch
den M. obliquus abdominis externus, welcher aus dem breiten Mitteltheile der
äusseren Segmentschicht entstand. Ich hebe dies hervor, weil der letztgenannte
Muskel beim Frosche mit seinem vorderen Rande den hintern Rand des M.
latissimus dorsi deckt, wie es bereits Ecker richtig angab (Nr. 90 S. 81). Die
übrigen Muskeln, welche den dorsalen Theil des Schultergürtels mit dem. übri-
gen Körper verbinden, entspringen meist an der Innenfläche, einzelne von den
Rändern des Schulterblattes, um nach dem Kopfe und nach der Wirbelsäule
auszuwachsen und sich dort zu befestigen (vgl. Ecker Nr. 90 S. 84. 85. 89—91).
Nur der M. sterno-cleido-mastoideus macht davon eine Ausnahme, indem er
gar nicht aus der Anlage des Schultergürtels hervorgeht, sondern im Anschlüsse
an die äusseren Segmentstreifen dos Kopfes aus dem vordersten Rumpf-
abschnitte der äussersten Segmentschicht selbstständig sich entwickelt (vgl. S.
218). Daher sieht man ihn vom Hinterkopfe rückwärts und abwärts gegen
die Stelle verlaufen, wo die Urniere durch die dünne Bauch wand durch-
schimmert, und dort ohne eigentliche Befestigung endigen, solange die dicht an
1. Die Muskeln. 471
diesem seinen Ende hervorsprossenden vorderen Extremitäten noch die Gestalt
von ganz indifferenten Wärzchen zeigen {Taf. XVI Fig. 299—301). Die Ver-
bindung des M. sterno-cieido-mastoideus mit dem Schulterblatte ist also keine
ursprüngliche, sondern tritt erst später ein. — Vom Schulterblatte selbst will
ich noch die eigenthümliche Entwicklung des Periostal- oder Deckknochens
auf der oberen knorpeligen Hälfte (Suprascapulare) erwähnen {Taf. XX Fig.
349). Diese Knochenanlage ist durch eine quere Streifung der Oberfläche an-
gedeutet und besteht aus genau zusammengefügten spindelförmigen Bildungs-
zellen, welche miteinander verschmelzen, worauf die Grundsubstanz so ver-
knöchert, dass um die Kerne eine zellenartige Zone übrig bleibt. Die Analogie
dieser Knochenbildung mit der von mir geschilderten Knorpelentwickelung er-
gibt sich von selbst.
Im ventralen Abschnitte des Schultergürtels liegt das Skeletstück zu
innerst, unmittelbar auf dem M. sterno-hyoideus; aussen bedecken es die vom
Oberarm her gegen die mittlere Bauchlinie ausstrahlenden Brustmuskeln {Taf.
XX Fig. 348 — 351). Jenes Skeletstück besteht anfangs aus einem querver-
laufenden Knorpelrahmen mit schmaler vorderer und hinterer Leiste und einer
breiten, ihre medialen Enden verbindenden Platte, welche ich mit Bezug auf die
von ihr eingenommene Brustbeingegend die Sternalplatte des Schultergürtels
nennen will. Die hintere Leiste verknöchert vollständig und wird so zum
Coracoideum; an der vorderen Leiste bildet sich nur ein Deckknochen, welcher
sie von vorn her halbrinnenförmig umgibt, mit seinem medialen Ende jedoch
auf die Bauchfläche der Sternalplatte übergreift und dort platt ausläuft. Ich
halte diesen Deckknochen nebst dem darunter befindlichen Knorpel für gleich-
werthig einem Schlüsselbeine, sodass die Sternalplatte den gemeinsamen Brust-
beinantheil des Schlüsselbeins und des Korakoids darstellte. Diese Sternalplatte
ist flach und breit, ihr medialer Rand konvex gebogen; indem die beiderseitigen
Platten nach unten vorrücken, sich also einander nähern, entwickelt sich ein breites
festes Band, welches vom bauchrippenähnlichen Knorpel entspringt und sich
überwiegend am Rande der rechten Sternalplatte, theilweise auch an der linken
befestigt. Nachdem die Sternalplatten die Mittellinie des Bauches erreicht, über-
schreiten sie dieselbe, wobei die rechtsseitige Platte sich von unten herüber die
linksseitige schiebt* und das Band sich zwischen beide Theile legt. Uebrigens
verbinden sich die beiden vorderen Ecken der Sternalplatten fest miteinander,
* Dies scheint mir die Regel zu sein , obwohl auch das umgekehrte Verhältniss vor-
kommt.
472 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
sodass die Verschiebungen der letzteren als Drehungen um jenen festen Punkt
erscheinen. Das Band besteht anfangs aus einem indifferenten Bildungsgewebe,
in welchem die ursprünglichen Zellen in bekannter Weise untergingen, sodass
freie Kerne in einer leichtgestreiften Grundsubstanz eingebettet liegen {Fig. 350).
Zumgrössten Theile geht es in Bindegewebe über; zwischen der Bauchrippe und
den Sternalplatten entsteht jederseits frühzeitig eine Verdichtung in jenem Bil-
dungsgewebe, woraus endlich ein länglich -rundes Knorpelplättehen hervorgeht
{Fig. 349). Beide Knorpelstückchen stossen in der Medianebene zusammen
und verschmelzen zuletzt noch mit der Spitze des Bauchrippenbogens; so ent-
steht jenes merkwürdige Skeletstück der Unken, dessen nach hinten diver-
girende Schenkel in die mittlere Bauchmuskellage eingesenkt sind, und dessen
mediane Scheibe frei aus jener Muskelschicht vorragend von hinten her sich
etwas über oder auch zwischen die Sternalplatten schiebt (Fig. 351). Diese
Scheibe und theilweise auch das Band, durch welches sie an die rechte Sternal-
platte geheftet ist, dienen einem Theil der beiden grossen Brustmuskeln zur In-
sertion , während von ihnen bedeckt jederseits ein schlanker Muskel von der
hinteren Ecke der Sternalplatte schräg nach aussen und rückwärts zum
Schenkel des Bauchrippenbogens zieht (Fig. 348). So sind die Sternalplatten
unseres Thiers theils durch Muskel, theils durch ein Band rnit der Bauchrippe
des geraden Bauchmuskels verbunden; mit dem in jenem Bande enthaltenen
Knorpelstücke hängen sie aber nicht unmittelbar zusammen. Um aber die
Bedeutung desselben zu erkennen, habe ich Larven des grünen Frosches unter-
sucht, und gefunden, dass der untere .Knorpelrahmen ihres Schultergürtels ge-
rade so wie bei der Unke beschaffen ist. In der Folge schieben sich aber ihre
Sternalplatten nicht übereinander, sondern ihre medialen Ränder stossen in der
Medianebene zusammen ; von ihren vorderen und hinteren Rändern entspringt
je eine aponeurotische Ausbreitung , welche vorn zur Linea alba der Mm. sub-
hyoideus und submaxillaris hinzieht und einem Theile des M. sterno- radialis
zur Insertion dient , hinten aber mit der Linea alba und demjenigen Sehnen-
streifen des geraden Bauchmuskels sich verbindet, welcher der Bauchrippe der
Unke entspricht. Am Ursprünge beider Aponeurosen entstehen nun Knorpel-
scheiben, welche sich den Sternalplatten anfügen und zu den als Epi- undHypo-
sternum unterschiedenen Skeletstücken werden. Es erhellt daraus, dass das
mit den Sternalplatten stets nur mittelbar verbundene hintere Knorpelstück der
Unke, freilich nur in seinem breiten Mittelstücke, d. h. mit Ausnahme der ange-
fügten Bauchrippe, mit dem Hyposternum der Frösche übereinstimmt, dass
1. Die .Muskeln. 473
aber sowohl dieses wie das Episternimi blosse Anhangsstücke der Sternal-
platten des Schnltergiirtels sind, welche genetisch von diesen Platten durchaus
getrennt werden müssen.
Von dem Beckengürtel habe ich schon angeführt, dass seine Hälften in
der Bucht zwischen dem absteigenden Mastdarm und dem eigentlichen Bauche
zusammenstossen (Fig. 325). Ihre dorsalen Abschnitte wachsen längs der
Grenze zwischen den Stammuskeln und dem Bauche bogenförmig nach vorn
aus, und zwar liegt in diesem anfangs sehr schmalen Substanzstreifen die
Anlage des Darmbeins oben und medianwärts und reicht nur bis etwas über die
Hälfte des Streifens , während die an der Seite des Darmbeins und unter ihm
befindliche Muskelmasse (M. ileo-psoas und M. glutaeus) an seinem Vorderende
durch den M. ileo - lumbaris (quadratus lumborum) fortgesetzt wird. Die be-
deutende laterale Ausbreitung des Rippenfortsatzes vom 9. Wirbel bringt es
mit sich, dass das Ende des Darmbeins nicht zur Seite des ersteren , sondern
etwas unter seinem Rande liegt, während der M. ileo-lumbaris wieder seitlich
von den Enden der Rippenfortsätze bis zum 4. Wirbel hinzieht und später sich
an denselben befestigt (Fig. 343). An diesem oberflächlich und isolirt gelege-
nen Muskel kann man sich am leichtesten überzeugen, wie die von den Extre-
mitätengürteln ausstrahlenden Muskeln nicht an der Stelle entstehen, wo sie
sich später zeigen, sondern durch Hervorwachsen aus dem betreffenden Glieder-
gürtel dorthin gelangen. Zugleich lässt sich an dieser Muskelanlage gut be-
obachten, wie die sie zusammensetzenden Spindelzellen sich in Muskelfasern
verwandeln, ohne die Masse des ganzen Muskels merklich zu vermehren, was
natürlich nur bei einer Verschmelzung der bestehenden Zellenreihen zu den
Fasern angeht, bei einem Auswachsen der einzelnen Zellen zu ebenso vielen
langen Fasern unmöglich wäre (Taf. XI Fig. 207). Sehr bemerkenswerth ist
an jenem Hervorwachsen und. der späteren Lage des dorsalen Abschnittes vom
Beckengürtel der Umstand, dass dieser aus der äusseren Segmentschicht her-
vorgegangene Theil unter Erzeugnisse der inneren Segmentschicht, nämlich die
lateralen Ränder einiger Mm. intertransversarii zu liegen kommt; in der That
ist aber die Abweichung von der ursprünglichen Anlage nicht so gross als es
scheint, da die innere Segmentschicht vom Beckengürtel nicht wirklich durch-
brochen wird, sondern durch die Trennung und Entfernung des mittleren
Bauchmuskels von den Stammuskeln an der Grenze des Rückens ihre Muskel-
schicht verliert , an deren Stelle der vorgerückte Beckengürtel tritt und dabei
etwas unter die Stammuskeln geräth, während die betreffenden Spinalnerven-
474 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
stamme die Kontinuität und ursprüngliche Lage der inneren Segmentschicht
aufrechterhalten, da sie stets unter jenen Theilen des Beckengürtels liegen
bleiben (Taf. XIX Fig. 339). — Ausser demM. ileo-lumbaris gibt es nur noch
einen Muskel, welcher vom Beckengürtel entspringend sich an der Wirbelsäule
befestigt, der M. pyriformis (Ecker Nr. 90 S. 111).
Die ausserhalb der Gliedergürtel gelegenen , flach ausgebreiteten Rumpf-
abschnitte der äusseren Segmentschicht liefern die schon erwähnten Muskeln.
In der dorsalen Hälfte des kleinen, durch den Rumpf und den Schultergürtel
begrenzten Abschnittes entsteht der M. sterno-cleido-mastoideus, welcher aber
richtiger M. scapulo-mastoideus genannt werden sollte {Taf. XVI Fig. 300.
301, Taf. XVIII Fig. 325, Taf. XIX Fig. 339. 3-12). In der ventralen Hälfte
desselben Abschnittes liegt zunächst der M. omo-hyoideus, von welchem ich es
unentschieden lassen muss, ob er als eine Ausstrahlung des Schultergürtels
oder als selbstständige Differenzirung der äusseren Segmentschicht entsteht ;
dagegen muss die Aponeurose , welche die Sternalplatten und Schlüsselbeine
mit dem hinteren Rande des M. submaxillaris verbindet, dessen Grundlage im
Kopfe gleichfalls die äussere Segmentschicht ist, wegen dieser Lage und Ver-
bindung auf jenen Bauchtheil derselben Schicht zurückgeführt werden. Den
gleichen Ursprung scheint mir die andere Aponeurose zu haben , welche den
Schultergürtel an die Bauchrippe befestigt, sodass daraus die Homologie des
Epi- und Hyposternum erhellt. Die übrige zwischen den beiden Gliedergürteln
ausgespannte flache Ausbreitung der äusseren Segmentschicht bildet den
äusseren Bauchmuskel, M. obliquus abdominis externus, dessen Fasern im all-
gemeinen von oben abwärts, jedoch hinter der Schulter etwas schräg nach
hinten , vor dem Becken dagegen meist ebenso nach vorn verlaufen (Fig. 339.
342). Am Rücken bedeckt er alle Stammuskeln und daher selbstverständlich
auch den vorgeschobenen Theil des Beckengürtels , am Bauche den geraden
Bauchmuskel, wird aber selbst sowohl vom M. latissimus dorsi wie vom lateralen
Rande der Portio abdominalis des grossen Brustmuskels bedeckt, welche sich
ziemlich weit nach hinten erstreckt. Diese Uebereinanderlagerung hat natür-
lich nicht die Bedeutung wie die Lage des Darmbeins und seiner vorderen
Muskeln unter den Rippenfortsätzen; sie bezieht sich auf nebeneinander ange-
legte Theile derselben Embryonalanlage, welche sich später in verschiedener
Weise (Frosch, Unke) übereinander verschieben können, ohne die Lagebeziehun-
gen der ganzen Schicht zu beeinträchtigen. An der Bauchseite geht der M.
obliquus externus in eine aponeurotische Ausbreitung über, welche den mitt-
1. Die Muskeln. 475
leren (geraden) Bauchmuskel, bis zum Beckengürtel überzieht. — Bei den Uro-
delen entspringt der äussere Bauchmuskel mit einzelnen Zacken von den
Bippenenden und erhält auch mehr oder weniger deutlich die ursprüngliche
Segmentirung , welche bei den Anuren vollständig verwischt wird {Taf. XIX
Fig. 341).
Ausser den beschriebenen Bauchmuskeln, dem mittleren und äusseren, be-
sitzen die Batrachier wie es scheint durchgängig einen dritten, queren. Derselbe
steht später als die anderen unmittelbar am parietalen Bauchfelle , welches er
in der ganzen Ausdehnung vom Becken bis zum Perikardialsacke und anderer-
seits bis unter die seitlichen Stammuskeln und bis unter den geraden Bauch-
muskel überzieht, ohne dass jedoch die beiden Seitenhälften in der Median-
ebene irgendwo zusammenstiessen ( Taf. XIX Fig. 339. 343). Er liegt also
nach innen von den Erzeugnissen der inneren Segmentschicht, kann aber von
der letzteren nicht abgeleitet werden; denn diese Schicht sah ich vollständig
in den mittleren Bauchmuskel aufgehen , als derselbe noch bis zu den Stam-
muskeln hinaufreichte, und zwischen ihm und dem Parietalblatte findet sich
anfangs nichts weiter als einige verzweigte Pigmentzellen. Während nun diese
Pigmentschicht immer dichter wird , lagern sich auf ihren beiden Seiten Dotter-
bildungszellen ab , welche nach innen am Parietalblatte , nachdem es zum
grössten Theile in das Bauchfellepithel übergegangen, mit einem kleinen Reste
desselben das subepitheliale Gewebe des Bauchfells bilden, nach aussen vom
Pigment aber neben den übrigen allgemeinen Geweben (Bindegewebe , Gefässe,
Nerven) eben den inneren Bauchmuskel erzeugen. Dieser besitzt also über-
haupt keine morphologische Grundlage, sondern ist als eine lokale histiologische
Differenzirung des interstitiellen Bildungsgewebes anzusehen, welche nach den
Lagebeziehungen zu schliessen aus einer Anpassung an das Bauchfell hervor-
ging und daher ihre Produkte diesem letzteren beizuzählen gestattet. Dieser
Auffassung entsprechen auch alle Verbindungen des inneren Bauchmuskels.
Seinen von der Lageordnung der Embryonalschichten ganz abweichenden Ur-
sprung nimmt er an der Aussenseite des Darmbeins , indem er aus der Lage
unter den Spinalnerven (innere Segmentschicht) hervor sich über den M. ileo-
psoas (äussere Segmentschicht) schlägt, sodass er vom 6. und 7. jener Nerven
durchbohrt wird. Von diesem Ursprünge aus breitet er sich fächerförmig über
die ganze seitliche Bauchwand aus ; hinten verlaufen seine Fasern gerade ab-
wärts, je weiter nach vorn desto schräger vor- und abwärts bis unter den ge-
raden Bauchmuskel und vom Vorderende des Darmbeins aus ziehen sie sogar
476 VILI. Die Segmeute des Rumpfes.
theilweise in horizontaler Richtung nach vorn. Dieser oberste und vorderste,
unter dem M. ileo - lumbaris gelegene Theil des inneren Bauchmuskels ist am
dicksten und befestigt sich in der Halsgegend, wo die Rumpfhöhle aufhört und
das parietale Bauchfell nach innen auf den Vorderarm sich umschlägt , an der
Speiseröhre ; die nächsttieferen Theile desselben Muskels finden ihre Insertion
an der oberen Seite des Perikardialsackes, während an die Hinterwand des
letzteren, in das später zu beschreibende häutige Zwerchfell, keine Muskel-
fasern vordringen. Aus diesen Verbindungen unseres Muskels erhellt zur Ge-
nüge, dass er, ohne in den nach aussen wirkenden Bewegungsapparat des
Rumpfes einzügreifen, wesentlich nur die Baucheingeweide zu kbmprimiren
vermag.
Die geschilderte Anordnung des inneren Bauchmuskels habe ich noch in
nahezu erwachsenen Thieren unverändert angetroffen, sodass es nicht un-
wichtig wäre zu entscheiden , ob er wirklich , wie vielfach angenommen wird
(vgl. Ecker Nr. 90 S. 82), die Vereinigung der schon bei den Urodelen deutlich
getrennten beiden M. obliquus abdominis internus und M. transversus abdominis
darstelle. Die Untersuchung von Tritonenlarven , allerdings nur wenn sie von
den frühesten Bildungsstufen der Bauchmuskeln anfängt, gibt darauf eine be-
friedigende Antwort (Taf. XIX Fig. 340. Ml). Anfangs sind deren Rumpf-
muskeln gerade ebenso angeordnet wie bei den Unkenlarven : die Stammuskeln
gehen über die kurzen Rippen niemals hinaus, aber im Anschlüsse an dieselben
entstehen nachträglich in dem ventralen Abschnitte der inneren Segmentschicht
die spärlichen Fasern des gleichfalls segmentirten mittleren Bauchmuskels. In
Bestätigung dessen, dass ich das Hinabrücken jenes Muskels bei den unge-
schwänzten Batrachiern durch die Anschwellung des Bauches begründete, findet
eine gleiche Lageveränderung des mittleren Bauchmuskels bei den stets sehr
schmächtig bleibenden Tritonenlarven nicht statt: während er dicker wird,
breitet er sich allmälig bis zur Mittellinie des Bauches aus, bleibt alter mit
seinem dorsalen Rande den Stammuskeln innig angeschlossen, sodass, wer
seine erste selbstständige Entwickelung nicht beobachtete, ihn leicht für eine
einfache Ausbreitung der Stammuskeln halten' kann. Der Schein eines solchen
unterschiedslosen Zusammenhanges kann noch dadurch gesteigert werden, dass
in älteren Larven, welche am häufigsten zur Untersuchung kommen, der Faser-
verlauf beider Muskollagen bis an die Bauchseite gleichmässig in eine schräg
vor- und abwärts geneigte Richtung übergeht, während der eigentliche Bauch-
theil horizontal gefasert bleibt. Dies veranlasst aber gerade eine Scheidung
1. Die Muskeln. 477
des mittleren Bauchmuskels in einen schräg verlaufenden oberen oder Seiten-
theil , den M. obliquus abdominis internus , und in den horizontal verlaufenden
geraden Bauchmuskel (M. rectus abdominis). Durch diese Entwicklung wird
aber festgestellt, dass der innere schiefe Bauchmuskel mit dem inneren queren
Bauchmuskel, dem eine morphologische Grundlage überhaupt fehlt, nicht zu-
sammengehört, sondern mit dem M. rectus abdominis und dessen Fortsetzungen
ursprünglich eine kontinuirliche Schicht, eben den mittleren Bauchmuskel bildet,
welcher je nach äusseren Formbedingungen, die ich in erster Linie auf die Ge-
stalt des Bauches zurückführte , entweder einheitlich bleibt und sich bloss zu
einem M. rectus abdominis zusammenzieht (Anura), oder in die beiden genannten
Muskeln, den geraden und den inneren schiefen sich trennt (Urodela). Darausfolgt,
dass die Mm. recti der beiden Batrachiergruppen nicht vollständig homolog
sind und der innere Bauchmuskel der Anuren thatsächlich nur einem M. trans-
versa entspricht, dessen obere und vordere Fortsetzungen unvollkommene
Zwerchfellmuskeln darstellen.
Die Muskeln, welche aus den Rumpfseginenten hervorgehen , lassen sich
nach der vorangehenden Beschreibung in folgender Weise gruppiren, wobei
den Hauptunterscheidungsgrund die beiden Segmentschichten abgeben.
I. Die innere Segmentschicht zerfällt in den Rücken- und den Bauchtheil.
1. Der Rückentheil liefert in den miteinander zusammenhängenden Segment-
kernen die Sta minus kein-, diese sondern sich in zwei Lagen,, von denen
a. die obere Lage den M. longissimus dorsi, die Mm. intercrurales
und Mm. intertransversarii superiores (mit Einschluss der
Mm. intercostales externi) mit den Fortsetzungen im M.
coccygeo- sacralis und M. intertransversarius capitis
superior,
b. die untere Lage die Mm. intertransversarii inferiores (mit
Einschluss der Mm. intercostales intern i) mit den Fortsetzungen
im M. coccygeo-iliacus und M. intertransversarius capitis
inferior* umfasst.
2. Der Bauchtheil verwandelt sich in den mittleren Bauchmuskel,
welcher bei den Anuren in die M m. i s c h i o - c o c c y g e u s , rectus a b-
* Zur leichteren Uebersicht lasse ich an dieser Stelle die in der Beschreibung erörterte
Thatsache, dass dieser Muskel Theile der oberen Stammuskellage enthält, unberücksichtigt.
478 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
dominis, sterno-hyoideus, genio-hyoideus zerfällt, wozu bei
den Tritonen noch als Abspaltung des geraden Bauchmuskels der M.
obliquus abdominis internus hinzukommt.
II. Die äussere Segmentschicht zerfällt in 4 quere Abschnitte.
1. Im ersten entwickelt sich nur der M. scapulo-mastoideus (und der
M. omo-hyoideus?);
2. im zweiten der Schultergürtel mit allen von ihm und zu ihm verlau-
fenden Muskeln mit Ausnahme des voranstellenden;
3. dieser Abschnitt liefert den M. obliquus abdominis externus, und
der letzte
4. den Becken gürtel mit allen von ihm und zu ihm verlaufenden Muskeln,
ausgenommen die Bauchmuskeln, den M. coccygeo-iliacus und M. ischio-
coccygeus.
Der innere quere Bauchmuskel (M. transversus) nimmt ausserhalb
der Segmentmuskeln eine besondere Stellung ein.
2. Die Nerven.
Bei der Betrachtung der Rumpfmuskeln war es leicht, Morphologisches
und Histiologisches auseinanderzuhalten ; denn ihre histologische Entwickelung
vollzieht sich an den morphologisch schon bestimmt abgegrenzten Anlagen.
Anders verhalten sich die Spinalnerven. Die Anlagen der Ganglien mit den sich
ihnen anschliessenden Nervenstämmen sondern sich unzweifelhaft in früher
Zeit aus histiologisch indifferenten Embryonalaulagen ab, während ihre
peripherischen Fortsetzungen ebenso unzweifelhaft nicht aus einer Ausdehnung,
einem Wachsthum jener Anlagen hervorgehen, sondern dadurch entstehen, dass
Theile des ursprünglich von verschiedenen Embryonalanlagen gelieferten, dann
durch Dotterbildungszellen wesentlich vermehrten interstitiellen Bildungs-
gewebes sich jenen ersten Bildungen anschliessen. Daher werde ich diese beiden
Theile des peripherischen Nervensystems des Rumpfes getrennt beschreiben.
Da sie aber stets in kontinuirlichem Zusammenhange sich entwickeln , also eine
bestimmte Grenze zwischen ihnen festzustellen nicht möglich ist, will ich die
hier zuerst zu betrachtendeu Nervenstämme soweit verfolgen, als sie sich in
ihrem Verlaufe den zugehörigen Segmenten anpassen, und nur die unbeständi-
gen oder unregelmässigen Zweige den übrigen Erzeugnissen des interstitiellen
1 Uldungsgewebes anreihen.
2. Die Nerven. 479
Untersucht man die Rumpfsegmente am Ende der Embryonalperiode, so
erkennt man an ihren fassförmigen Frontaldurchschnitten unschwer, dass die
inneren Segmentblätter nicht wie die einzelnen Abschnitte der äusseren Seg-
mentschicht konkav-convex gebildet sind, sondern plan-konvexe, an den queren
Segmentgrenzen in scharfe Ränder auslaufende Platten darstellen , deren Vor-
wölbung dem Rückenmarke zugewandt ist (Taf. VII Fig. 121 — 123). Zugleich
gewahrt man auch eine Veränderung in der früher gleichmässigen Anordnung
der Embryonal zellen, welche wohl mit jener Gestalt der ganzen inneren Seg-
mentblätter zusammenhängt und in kurzer Zeit sehr deutlich wird. In den
vorderen und hinteren dünneren Theilen wird nämlich das Gefüge der Zellen
lockerer und geht allmälig in den Zustand des interstitiellen Bildungsgewebes
über, während dieselben im Bereiche der Vorwölbung, also in der senkrechten
Queraxe der Segmentblätter sich gerade fester zusammendrängen, ohne dabei
sich wesentlich zu verändern. Eine richtige Ansicht dieser aus jedem inneren
Segmentblatte ausfallenden Anlagen gewinnt man aber erst auf sagittalen
Durchschnitten, also gleichsam von der Fläche her {Taf. XII Fig. 214). An-
fangs erscheinen sie als spindelförmige , etwas abgeplattete Haufen von rund-
lichen Embryonalzellen, welche etwa in der Höhe der unteren Rückenmarks-
hälfte den Muskelplatten so anliegen, dass ihre Längsaxe den Scheidegrenzen
der letzteren parallel läuft. Allmählich strecken und verschieben sich die Zellen
in derselben Richtung, sodass beide Spindelenden, namentlich aber, das untere
zu einem kurzen Strange ausgezogen wird. Dann kann man den spindelförmi-
gen Körper als künftiges S p i n a 1 gan g li o n von seiner kürzeren oberen Fort-
setzung oder der hinteren Nervenwurzel und der längeren unteren oder
der Anlage des Nervenstammes unterscheiden. Ich will zuerst die histio-
logischen Veränderungen des Spinalganglions betrachten, welche in gleicher
Weise bei allen übrigen Ganglien vorkommen {Taf. XI Fig. 19S, Taf. XII Fig.
21-1 — 218). Man kann sagen, dass sie anfangs mit der Entwickelung der
grauen Rückenmarkssubstanz übereinstimmen : während die Dottersubstanz ver-
mittelst der Umbildungskugeln in reifes Protoplasma verwandelt wird, ver-
schmelzen die Leiber der früheren Embryonalzellen zu einer Grundsubstanz, in
welcher um die Mehrzahl der Kerne ein neuer Zellenleib sich absondert, ein
Theil derselben aber frei eingelagert bleibt. Die neuen Zellenleiber sind oft
etwas dunkler als die Grundsubstanz und ihre Masse erscheint in der Richtung
des Nervenstammes an einer Seite des Kerns angehäuft und bisweilen annähernd
kegelförmig ausgezogen , während die übrige Peripherie des Kerns von einer
430 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
dünneren Schicht umgeben ist (Fig. WS). Ausserdem habe ich an den Spinalgang-
lien deutlich gesehen, dass die neuen Zelleuleiber früher protoplasmatisch um-
gewandelt waren als die Grundsubstanz , welche neben den Umbildungskugeln
noch Dotterplättchen enthielt; und da sie, je jünger das Ganglion ist, gegen die
Grundsubstanz um so mehr zurücktreten, oft kaum andeutungsweise vorhanden
sind, während dieses Verhältniss später sich gerade umkehrt, so möchte ich an-
nehmen dass diese neuangelegten Zellen nicht gleich eine fixe Grenze besitzen,
sondern aus der umgebenden Grundsubstanz fortwährend neues Protoplasma
sich ihnen anfügt. Die Kerne dieser neuen Zellen bleiben kugelig und erscheinen
sehr bald grösser als die länglichen freien Kerne der Grundsubstanz; meist sind
sie mit einem oder mehreren Kernkörpereken verseken. Sind einmal die Umbil-
dungskugeln aus der Grundsubstanz verschwunden, so entwickeln sich in der-
selben Fasern, welche kontinuirlich in diejenigen der austretenden Nerven über-
gehen ; der Rest der Grundsubstanz verwandelt sich dann in eine bindegewebs-
artige Zwischensubstanz , welche später von aussen her vermehrt wird. Jene
darin eingebetteten Zeilen oder die Ganglienzellen bleiben bis in die spätere
Larvenzeit ohne alle Verbindung mit den Nervenfasern, wachsen aber beträcht-
lich in ihren feinkörnigen Zellenleibem {Fig. 217). Sobald sie eine gewisse
Grösse erreicht haben, bemerke ich häufig an gehärteten Präparaten, dass
zwischen den scharfen Grenzlinien der Ganglienzellen und deren feinkörnigem
Inhalte entweder stellenweise oder im ganzen Umfange ein schmaler klarer
Saum entstanden ist, den ich an frischen Präparaten nicht wiederfinde. Ich
schliesse daraus auf die Anwesenheit einer festeren äusseren Hülle, von welcher
die zarte Innenmasse sich bei der Erhärtung trennt. Zu gleicher Zeit erhalten
die Ganglienzellen ihre Fortsätze auf folgende Weise. Zwischen ihnen liegen
sowohl breite, doppelt konturirte Nervenfasern, mit denen sie eine unmittelbare
Verbindung nicht eingehen , als auch spindelförmige Kerne , an deren beiden
Enden äusserst dünne Fäden auslaufen, Bildungen, wie ich sie gleich auch an
den eigentlichen Nervensträngen beschreiben werde. Diese Kerne schmiegen
sich nun einzeln oder zu zweien (mehr habe ich wenigstens nicht gesehen) einer
Ganglienzelle an, sodass man anfangs beide Körper deutlich unterscheidet;
darauf verschwindet aber die Grenze zwischen ihnen , der freie Umriss des
Kerns geht unmerklich in denjenigen der Ganglienzelle über, und die Ver-
schmelzung beider ist endlich so weit vorgeschritten, dass der frühere Kern nur
wie eine dunkle Spitze der Zelle erscheint, welche in einen fadenförmigen Fort-
satz ausläuft. Zur weiteren Bestätigung dieses Vorgangs führe ich noch an,
2. Die Nerven. 481
tlass, solange die Grenze zwischen dem Kerne und der Ganglienzelle noch
scharf ausgeprägt ist, die peripherische, durch die Schrumpfung des Zellenleibes
zwischen ihm und der äusseren Hülle hervorgerufene Lücke auch unter dem
Kerne sichtbar ist, nach der genannten Verschmelzung aber dort unterbrochen
erscheint, Dass an den Kernen, welche mit den Ganglienzellen verbunden sind,
oft kein Fortsatz sichtbar ist, darf bei der grossen Zartheit dieser Ausläufer
und bei der sich daraus ergebenden Schwierigkeit, sie in dem Gewirr der übri-
gen Fasern zu erkennen, nicht Wunder nehmen; dagegen ist es auffallend, dass
solche Kerne nie mehr als je einen Fortsatz zu besitzen scheinen , während die
freien Spindelkerne ihrer stets zwei zeigen. Mir scheint dies so zusammenzu-
hängen, dass diese zwei Fortsätze von zwei entgegengesetzten Polen des Kerns
abgehen und der Axe des ganzen Ganglions parallel verlaufen ; sieht man nun
einen Fortsatz mitten aus dem mit einer Ganglienzelle verschmolzenen Kerne
entspringen, so muss der andere in entgegengesetzter Richtung liegen, also der
Ganglienzelle angeschmiegt und dadurch unkenntlich sein, um sie dann ohne
Kernanschwellung und daher ebenso unbemerkt zu verlassen. Eine andere
Entstehungsweise der Ganglienzellenfortsätze als die geschilderte habe ich nir-
gends angedeutet gefunden ; doch genügt diese Kenntniss vollständig , um sich
die Entwicklung der unipolaren, wie der bi- und multipolaren Ganglienzellen
zu erklären. Die Erhaltung und Verwachsung oder der Schwund des der Gang-
lienzelle angeschmiegten Fortsatzes kann uni- und bipolare , bei der Anwesen-
heit von mehr als einem angewachsenen Kerne multipolare Zellen oder solche
mit zwei nicht polar entgegengesetzten Fortsätzen herstellen (Fig. 216. 217).
Eine wesentliche Veränderung der beschriebenen Form der Spinalganglienzellen
habe ich bis nach dem Ablauf der Larvenmetamorphose nicht angetroffen. Er-
wähnt sei nur, dass gegen das Ende dieser Periode die Oberfläche der inneren
Zellsubstanz mit der Hülle bisweilen in ähnlicher Weise, wie ich es am Piücken-
marke beschrieb, an vielen diskreten Punkten in festere Verbindung tritt, sodass
bei der schon erwähnten Schrumpfung jener Substanz zwischen ihr und der
Hülle eine Anzahl von zarten Brücken ausgezogen wird , welche an die von M.
Schultze (Nr. 120 I S. 128) innerhalb der Ganglienzellenscheide abgebildeten
Fortsätze erinnern (Fig. 218). Diese bindegewebige Scheide entwickelt sich
aber natürlich nicht unmittelbar aus der strukturlosen Cuticula, sondern die
letztere ist nur die Unterlage für die von aussen hinzutretenden bindegewebi-
gen Elemente der Zwischensubstanz der Ganglien.
Ich bemerkte bereits, dass ich eine Verbindung der Ganglienzellen mit
Goette, Entwickelungsgeschichte. ol
482 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
markhaltigen Nervenfasern während der Larvenzeit niemals nachweisen konnte;
wenn aber dadurch die Bedeutung der fadenförmigen Fortsätze zweifelhaft er-
scheint, so vermag nur die Untersuchung der Nervenstämme darüber aufzu-
klären. Sie entwickeln sich aus den unteren Hälften der breiten aber flachen
Zellenanhäufungen, deren obere Hälften den Spinalganglien zur Anlage dienen
(Taf. XII Fig. 214). Während aber die letzteren ihre Ausbildung an Ort und
Stelle erhalten , dehnen sich die ersteren nach unten aus und verschmächtigen
sich dabei zu dünnen Strängen. Dies geschieht dadurch, dass die Zellen, deren
Dottersubstanz eben in der Umwandlung in Protoplasma begriffen ist, sich an-
sehnlich strecken und so aneinander vorbeigleiten, dass nur zwei, höchstens
drei auf den Durchschnitt der Nervenanlagen kommen. Alsdann verschmelzen
je die hintereinander liegenden zu cylindrischen , nur durch die eingelagerten
Kerne etwas aufgetriebenen, nicht zu dünnen Fäden, von denen also zwei bis
drei in einem Strange liegen {Taf. X Fig. 187). Endlich fiiessen auch diese
zu einer einzigen Masse zusammen , welche der Länge nach fein gestreift er-
scheint und die sich vermehrenden spindelförmigen Kerne trägt (Taf. XII Fig.
216. 221). Entsprechend den Längsstreifen lösen sich leicht einzelne äusserst
feine Fasern vom Strange ab, mit welchen meist ein oder zwei von den spindel-
förmigen Kernen verbunden erscheinen, sodass, wer die vorangehende Ent-
wickelung nicht kennt, darin nur lang und dünn ausgezogene Spindelzellen
sehen und geneigt sein könnte, dieselben unmittelbar auf die Embryonalzellen
zurückzuführen. Da aber von solchen nur zwei bis drei, von den Fasern aber
ausserordentlich viele auf den Durchschnitt des Stranges kommen, sodass nur
ein Theil von ihnen überhaupt mit Kernen verbunden sein kann, so fehlt jener
Ansicht jede Unterstützung. Ich muss vielmehr annehmen , dass diese Fasern
ebenso wie in der weissen Masse des Rückenmarks aus den miteinander ver-
schmolzenen Leibern der Embryonal zellen ohne irgend welche Beziehung zu
deren früherem Bestände sich differenziren. Diese ausserordentlich feinen
Fasern, die ersten histiologischen Differenzirungsprodukte der Nervenanlagen
umfassen jedoch nicht die ganze Masse derselben ; dies geht daraus hervor, dass
in der späteren Larvenzeit neue, ihnen durchaus fremde Bildungen zwischen
ihnen sich entwickeln, dieAnlagen des Ner v enmarks (Taf. XII Fig. 222). Sie
erscheinen zuerst als ganz kurze Reihen von hellen, klaren Körperchen, welche
in ihrem Aussehen an die Umbildungskugeln anderer Gewebe erinnern, aber
iieben rundlichen Formen auch längliche zeigen und alsdann häufig eine Ver-
schmelzung aus kugeligen Stücken andeuten. In längeren, weiter entwickelten
2. DieMerven. 483
Reihen fliessen diese Körperchen zu stabförmigen Abschnitten und endHch zu
kontinuirlichen Strängen zusammen, deren wechselnde Einschnürungen aber
nur zum Theil auf die unvollständige Verschmelzung, im übrigen auf die Ein-
wirkung der Konservirungsmittel zu beziehen sind. Denn diese weiter ent-
wickelten Stränge haben bereits das stark lichtbrechende Aussehen des voll-
endeten Nervenmarks angenommen, besitzen also wahrscheinlich schon dessen
Zusammensetzung und die Empfindlichkeit gegen äussere Reize. Die weniger
weit entwickelten Markstränge zeigen anfangs dicke, daher relativ dunkle
Hüllen, denen einige Spindelkerne aufsitzen und welche, während sie nach
aussen cylindrisch erscheinen, nach innen sich den wechselnden Formen der
Markanlagen unmittelbar anschliessend an natürlich isolirten dünnsten Nerven -
anlagen, welche von einem Markstrange soweit ausgefüllt werden, dass man
sie auf einzelne Nervenfasern beziehen kann , sehe ich jene Rindenschicht am
Ende der Markanlagen sich in die ganze cylindrische Nervenanlage fortsetzen.
Später sind die Markstränge in zarte dünne Scheiden eingeschlossen, welche
oft von der geschrumpften Marksubstanz weit abstehen. — Weitere Beobach-
tungen über die Bildung von Nervenfasern stehen mir nicht zu Gebote; doch
halte ich die mitgetheilten für ausreichend, um daraus eine bestimmte Ansicht
über ihren Zusammenhang abzuleiten. Es scheint mir zunächst unzweifelhaft,
dass die primären feinen Fasern der Nervenanlagen die „ Nerve nprimiti v-
fibrillen" M. Schultze's darstellen (vgl. Nr. 120 I S. 108), d. h. die allen
verschiedenen Nervenfasern gemeinsamen Elemente ; denn bis in die spätere
Larvenzeit sind jene Fibrillen die einzigen und bis nach der Metamorphose die
überwiegenden differenzirten Bestandteile der Nervenstränge, welche in dieser
ganzen Zeit allem Anscheine nach nicht anders funktioniren als in älteren
Thieren. Es bliebe also wesentlich zu erklären übrig, wie diese Fibrillen sich
zu den einzelnen Nervenfasern ordnen und dadurch die einzelnen Leitungen
wirksamer isoliren. Wie erwähnt nehmen die Primitivfibrillen nicht die ganze
Masse der Nervenanlagen ein, sondern lassen, wie aus der Bildung der Mark-
substanz zu schliessen ist, eine zunächst indifferente Zwischensubstanz zwischen
sich zurück, wie eine solche im Rückenmarke, an den Scheidewänden der
weissen Masse direkt nachzuweisen ist. Nehmen wir nun an, die Nerven-
primitivfibrillen bildeten sich in der Weise, wie die Fibrillen in den Muskelzellen,
also nicht durch die ganze Substanz zerstreut, sondern so, dass die zusammen-
wirkenden sich in getrennte Bündel zusammenziehen, denen die sich neubilden-
den Fibrillen anpassen; bei dieser wie ich glaube nicht unwahrscheinlichen
4^4 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
Annahme wären jene „Primitivfibrillenbündel" (M. Schultze) von An-
fang an in der Nervenanlage so gelagert, dass jedes von der zuerst gleichartigen
und kontinuirlichen Zwischensubstanz, welche zugleich als Grundmasse zur
Bildung neuer Fibrillen dient , eingeschlossen wird. Der jedem Bündel zuge-
hörige Theil der Zwischensubstanz kann nun entweder bis auf einen kutikula-
ähnlichen Rest, die sogenannte ScmvANNSche Scheide, verbraucht und da-
durch eine marklose Nervenfaser gebildet werden; oder er verliert seine Indiffe-
renz, also die Fähigkeit zur Bildung neuer Fibrillen schon früher, bleibt also
mächtiger und entwickelt darauf die Markanlagen. Diese können aber unter
solchen Umständen bei ihrer offenbaren Ausdehnung und Verbreiterung nicht
strangförmig bleiben, sondern müssen ihrer Grundlage entsprechend das be-
treffende Fibrillenbündel umwachsen und es dadurch zum Axencyliiuler
machen. Dieser Auffassung widersprechen wenigstens die beschriebenen Bilder
der Markbildung nicht, da die Axencylinder in den werdenden Nervenfasern
nicht deutlicher sind als in den fertigen, folglich die Röhrenbildung der Mark-
substanz sich der direkten Beobachtung entziehen und als solide Verdickung
erscheinen muss. Der Umstand , dass , wo eine Markanlage zu sehen ist, auch
schon eine Grenze der ganzen künftigen Nervenfasern besteht, lässt darauf
schliessen, dass die Absonderung der jedem Fibrillenbündel zugehörigen Theile
der Zwischensubstanz relativ früh eintritt. Dann ist es verständlich, warum
die jungen Markanlagen von einer dicken, nach innen ihnen unmittelbar ange-
passten Rindenschicht umgeben sind; es ist die noch unverbrauchte ursprüng-
liche Zwischensubstanz , welche bis auf eine peripherische Membran , eben die
ScHWANN'sche Scheide, noch in Marksubstanz verwandelt wird. Diese Scheide
ist daher weder als eine Ausscheidung des Marks oder bei marklosen Nerven-
fasern der Fibrillenbündel, noch als eine von aussen kommende Anlagerung,
sondern nebst dem Marke als ursprüngliche Zwischensubstanz , als der nicht
zu Nervenprimitivfibrillen verbrauchte Rest der embryonalen Nervenanlage zu
betrachten. Anders verhält es sich mit den bindegewebigen Scheiden der
ganzen Nervenstränge und ihrer Unterabtheilungen, welche erst später auf-
treten und daher höchstwahrscheinlich von aussen angebildet werden. — Wenn
die eben vorgetragene Auffassung vom Entwicklungsgänge der peripherischen
Nervenfasern gebilligt wird, so ist auch die Erklärung ihrer Verbindung mit
den Ganglienzellen gegeben. Mögen die mit den letzteren verbundenen Fäden
auch nur eine oder einige wenige Fibrillen enthalten, so werden dieselben nach
dem Uebergange in den Nervenstamm sich dem einen oder anderen Bündel
2. Die Nerven. 485
anschliessen und alsdann die sich dort in zerstreuten Anlagen bildende Mark-
substanz ebenso gut bis zur Ganglienzelle leiten können, wie sie thatsächlich
dem Verlaufe der anderen Fibrillenbündel folgt. Jedenfalls muss hervorgehoben
»
werden, dass das Nervenmark nicht vom Centrum ausgeht, sondern gerade um-
gekehrt von den peripherischen Nerven zu demselben hin sich entwickelt. Im
Rückenmarke ist es zur selben Zeit noch nicht vorhanden (vgl. S. 280) ; ob es
dort selbstständig oder im Anschlüsse an die centripetal fortschreitende Bildung
in den Nervenstämmen sich bildet, muss ich unentschieden lassen.
Während der histologischen Entwicklung der spinalen Ganglien und
Nervenstämme vollzieht sich auch ihre Verbindung mit dem Rückenmarke.
Die Ganglien füllen anfangs in ihrer ganzen Länge den spaltartigen Raum
zwischen dem letzteren und den Muskelplatten aus ; während sich aber dieser
Raum in der Folge erweitert, bleibt ihre Innenfläche dem Rückenmarke ange-
schmiegt, sodass sowohl ihr oberes strangförmiges Ende als auch der unterste
Theil der Berührungsfläche mit demselben verwachsen kann (Taf. XI Fig. 198).
An diesen Stellen tritt die zellige graue Masse des Rückenmarks durch die
weisse hindurch mit den von aussen angewachsenen Nerven wurzeln in Ver-
bindung und vermittelt so deren Uebergang in die sogenannten Hörner der
grauen Masse {Taf. IX Fig. 172). Weiterhin werden die Spinalganglien vom
Rückenmarke etwas abgezogen und dadurch die Nervenwurzeln zu kurzen
Strängen ausgezogen, welche aber an den hinteren Nerven in Folge der schon
erwähnten relativen Verkürzung des Rückenmarkes während und nach der Me-
tamorphose sich nicht unbedeutend verlängern. Die obere (hintere) Wurzel be-
hält ihren unmittelbaren Uebergang in das Spinalganglion; die untere (vordere)
spaltet sich aber allmählich von demselben ab, sodass sie direkt in den gemein-
samen Nervenstamm mündet und alsdann aus demselben hervorgewachsen zu
sein scheint. Doch gehen nicht nur die beiden Wurzeln ursprünglich aus dem
Spinalganglion hervor, sondern ebenso auch der Ramus dorsalis jedes Spinal-
nerven, welcher anfangs aus einem abgelösten und aufwärts wachsenden Zipfel
des Ganglions besteht und erst später auf dieselbe Weise wie die untere
Wurzel bis zum gemeinsamen Nervenstamm hinab sich vom Ganglion abspaltet
{Fig. 172). Daher erscheint dieser Ramus dorsalis bei der seitlichen An-
sicht einer blossgelegten Wirbelsäule aus der mittleren Larvenzeit als eine dem
abwärtsziehenden Nervenstamme entsprechende obere Fortsetzung des Spinal-
ganglions, während die anatomische Darstellung der späteren Verhältnisse
den aus beiden Wurzeln zusammentretenden Nervenstamm sich in die beiden
4g(j VIII. Die Segmente des Rumpfes.
gleichwerthigeu Aeste, den R. dorsalis und R. ventralis theilen lässt {Taf. XVIII
Fig. 326). Jener versorgt Muskeln und Haut des ßückens, dieser die gleichen
Theile der Seiten und des Bauches; sowie aber die Muskeln dieser letzteren
Regionen eine mannigfaltigere Umbildung erfahren als die Stammuskeln,
nehmen auch die von ihnen abhängigen Nerven ein grösseres Interesse in An-
spruch. Alle Segmente des Rumpfes bis auf das erste Paar, welches keine
Nervenanlagen entwickelt, enthalten je einen Nervenstamm, welcher im allge-
meinen den aus dem zugehörigen Segmente hervorgehenden Muskeln folgt {Taf.
XVIII, XIX). Allerdings kann ich nicht bestimmen, wie weit der aus der mor-
phologischen Anlage des inneren Segmentblattes hervorgehende Nervenstamm
über den Bereich der Stammuskeln hinausreicht, an deren innerer und unterer
Fläche er zur Bauchwand hinzieht, und wo seine Fortsetzung durch von aussen
angefügte Elemente beginnt. Denn einmal gewinnt auch diese Fortsetzung sofort
das Aussehen des Stammes , und ferner verschieben sich die Nerven bei ihrem
Wachsthum aus ihrer ursprünglichen Lage. Immerhin glaube ich aus einigen
Beobachtungen annehmen zu dürfen, dass der ursprüngliche Nervenstamm sich
ohngefähr so weit erstrecke, als er der zugehörigen segmentalen Abtheilung
wenigstens in der ersten Zeit regelmässig folgt, und dass alle End- und Seiten-
zweige nicht dazu gehören. Verfolgt man nun die einzelnen ßami ventrales der
Spinalnerven in ihrer späteren Umbildung, so ergibt sich Folgendes. Bei der
Unke, dem Frosche und wahrscheinlich allen Batrachiern, deren Bauchmuskeln
sich ähnlich verhalten, treten jene Nervenstränge unter den Stammuskeln in
die Lücke zwischen diesen und dem mittleren Bauchmuskel ein, um darauf an
der Aussenfläche des letzteren abwärts zu verlaufen; bei den Salamandrinen,
deren mittlerer Bauchmuskel sich von den Stammuskeln nicht entfernt, bleiben
jene Nerven durchweg an der Innenfläche der inneren Segmentschicht liegen und
befinden sich daher später zwischen dem inneren und mittleren Bauchmuskel
oder dem M. transversus und M. obliquus internus abdominis {Fig. 341). Der
erste vom zweiten ßumpfsegmente stammende ßamus ventralis wird gewöhnlich
als N.hypoglossus bezeichnet; er beschreibt entsprechend der Verschiebung des
unteren Theils vom zugehörigen Abschnitte des mittleren Bauchmuskels einen
nach vorn konkaven Bogen und zieht über den M. sterno - hvoideus zum M. ge-
nio-hyoideus, welchen er bis an den Unterkiefer begleitet {Fig. 326, 328, 343.
348). Die beiden folgenden Seitenrumpfnerven verlaufen anfangs ziemlich ge-
rade zur hinteren Hälfte des M. sterno-hyoideus hinab, wo ihre beiden Ver-
breitungsbezirke nach der segmentalen Eintheilung durch den ersten Sehnen-
2. Die Nerven. 487
streifen geschieden sein sollten. Während aber die Anlage des Schultergürtels
sich unmittelbar auf ihnen entwickelt, erhalten sie ziemlich bald nach ihrem
Ursprünge eine direkte Fortsetzung in die Gliedmasse, wobei die beiden be-
treffenden Aeste' zu einem Stamm, dem Plexus brachialis , zusammenfliessen
(Fig. 3:26). Indem diese Aeste nebst den über ihrem Ursprung befindlichen
Abschnitten der beiden Nervenstämme sehr bald ansehnlich anschwellen, er-
scheint der Plexus brachialis als die eigentliche Fortsetzung des 2. und 3.
Seitenrumpfherven, während ihre ursprünglichen Stämme das Ansehen von
Seitenzweigen annehmen, insbesondere da sie mit den Brachialästen so weit
verschmelzen, dass ihr selbstständiger Verlauf später erst vom Armgeflecht
ausgeht, sie also gewissermassen aus diesem entspringen (Fig. 326, 343). Sie
bleiben natürlich unter dem Schultergürtel liegen und versorgen mit ihren
späteren Verzweigungen wesentlich die Brustmuskeln und den M. sterno-
hyoideus, weshalb sie als Nn. thoracici anterior et posterior unterschieden wer-
den können. Der regelmässige Verlauf der Spinalnerven wird also im Bereiche
des Armgeflechts nur durch nachträgliche Anpassungen verdeckt. Die folgenden
Rami ventrales sind dadurch ausgezeichnet, dass sie nicht nur unter den Stam-
muskeln, sondern auch, wie ich bereits erwähnte, unter den dorsalen Muskeln
des Beckengürtels, dem M. ileo-lumbaris und M. ileo-psoas hervorkommen, ob-
gleich dieselben theilweise unter der Wirbelsäule und ihren Muskeln liegen.
Vom 4. und 5. Seitenrumpfherven ist nichts weiter zu bemerken, als dass sie
sich wie die zwei folgenden meist schon in der Mitte der Seitenhöhe in zwei
Aeste theilen ; sie versorgen die in ihrem Bezirke liegenden Bauchmuskeln. Der
6. und der vordere Ast des 7. Nerven (N. ileo-hypogastricus) durchbohren
ausserdem, um an die Aussenfläche des M. transversus zu gelangen, denselben
dicht am Beckengürtel, wo dieser Muskel sich vom Bauchfelle abhebt, um an
der freien Kante des Darmbeins eine Befestigung zu suchen (Fig. 343). Am
8. und 9. Seitenrumpfnerven habe ich eine Theilung in zwei Aeste nicht be-
merkt, sondern sie scheinen mit ihrer ganzen Masse den Plexus ischiadicus zu
bilden (Fig. 327), sollte dies thatsächlich und nicht bloss einer mangelhaften
Beobachtung* zuzuschreiben sein, so erklärt sich jenes Verhalten dadurch, dass
der Theil des mittleren Bauchmuskels, dem jene Nerven angehören, innerhalb
des Beckengürtels alsbald atrophirt, und dass ausserdem die Stämme der-
* Ich bemerke hier beiläufig, dass ich die Untersuchung des Nervenverlaufs mit einer
BRücKE'schen Lupe von 6— 8facher Linearvergrösserung ausführte.
/
4gg VIII. Die Segmente des Rumpfes.
selben entsprechend dem Ende der Bauchwand so kurz sind, dass gleichsam
die Enden ihres ventralen Verlaufs in den Plexus ischiadicus aufgenommen
werden, also eine Fortsetzung der Stämme, wie sie unterhalb des Armgeflechts
vorkommt, unterhalb des Plexus ischiadicus gar nicht angelegt wäre. An den
letzteren schliesst sich auch der hintere Ast des 7. Seitenrumpfnerven an, ver-
schmilzt aber mit ihm nur in einer ganz kurzen Strecke, während seine Fort-
setzung, schon bevor diese Verbindung erfolgt, ganz selbstständig den N. cru-
ralis bildet. Vollständig geht aber in jenes Geflecht der vordere Ast des 10.
Nerven ein, indess der hintere Ast dem Endstücke des mittleren Bauchmuskels,
dem M. ischio-coccygeus verbleibt und als N. perinealis figuriren mag.* Der
11. und letzte unserer Nerven verläuft ursprünglich jenseits des Endes vom
mittleren Bauchmuskel ; indem aber gerade die hintere Hälfte des Steissbeins
mit der Anheftung des M. ischio-coccygeus gleichsam unter dem 11. Nerven
nach hinten auswächst, bleibt dieser so weit zurück, dass er dem Steissbeine
dicht anliegend eine ansehnliche Strecke rückwärts laufen muss, ehe er hinter
dem genannten Muskel seinen eigentlichen Verbreitungsbezirk am After findet
{Fig. 343, 346). Ich glaube ihn daher mit Recht als den eigentlichen N. coccy-
geus bezeichnen zu dürfen. Der 12. Spinalnerv, welcher im kegelförmigen
Schwanzstummel noch über das Ende des Steissbeins hinabzieht, verschwindet
später mit allen übrigen Schwanznerven. Diese Anordnung der hinteren Spinal-
nerven ist aber weder bei den Unken beständig, noch finde ich sie bei andern
Anuren (Rana) in unveränderter Wiederholung. Es schwankt nämlich die Zu-
sammensetzung des Plexus ischiadicus, indem sich daran bald nur der 8. und
9. oder der 9. und 10., bald der 8. bis 10., 9. bis 11. oder der 8. bis 11. Nerv
betheiligen. Vollständig gehen dabei in den Plexus höchstens zwei von den ge-
nannten Nerven ein; diese können alsdann von den benachbarten Nerven-
stämmen Zweige aufnehmen oder umgekehrt ihnen solche abgeben, wodurch
eben jene verschiedenen Zusammensetzungen des Plexus ischiadicus entstehen.
Aus welchem Nerven die Anastomosen entspringen, bestimme ich nach den
Winkeln, welche sie mit der Axe der mit ihnen verbundenen Nervenstämme
bilden-, diese Winkel und damit die Bestimmung der Richtungen können sich
aber unzweifelhaft allmählich verändern, sei es durch ungleichmässiges Wachs-
* Vgl. Fig. 326, 327. Fig. 343 zeigt bereits eine so vollständige Verschmelzung des vor-
deren Astes vom 10. Nerven mit dem Plexus ischiadicus, dass der freie hintere Ast aus dem
letzteren zu entspringen scheint.
2. Die Nerven. 4,s9
tlium der verbundenen Nervenstämme, sei es durch fortschreitende Verschmel-
zung eines Anastomosenendes mit dem betreffenden Stamme, sodass der
Wechsel in der Anordnung der Lumbal-, Sakral- und Steissbeinnerven selbst
im Bildungsgange eines einzelnen Individuums vorkommen kann. Gegen-
über dieser Unbeständigkeit in der Anordnung scheint die Gesammtzahl jener
Nerven bei den Amiren sich gleich zu bleiben, und desshalb wiederhole ich die
Notiz (vgl. S. 392), class auch der Frosch ein 11. Spinalnervenpaar besitzt,
welches wohl wegen seiner ausserordentlichen Zartheit bisher übersehen wer-
den konnte.
Wenn das beschriebene System der Spinalnervenstämme aus dem grösseren
oberen Theile des inneren Segmentblattes entsteht, so entwickelt sich innerhalb
des interstitiellen Bildimgsgewebes, welches von dem untersten Theile jenes
Blattes abstammend den Betroperitonealraum ausfüllt, gleichfalls ein Nerven-
system, das wenigstens im Anfange seiner Ausbildung eine durchaus selbst-
ständige Existenz hat und erst nachträglich mit den Spinalnerven in Verbin-
dung tritt, — das Eingeweidenervensystem. Aehnlich wie bei dem
ersteren entsteht auch bei dem Eingeweidenervensystem zuerst der Stammtheil,
der sogenannte Grenzstrang, während die weiteren Verzweigungen in den Ein-
geweiden erst später erscheinen. Die ersten Andeutungen des Grenzstranges
glaube ich bereits am Ende der ersten Larvenperiode in kleinen Gruppen von
Zellen gefunden zu haben, welche, in ihrem Aussehen mit den Ganglienzellen
der Spinalnerven übereinstimmend, zu beiden Seiten der Aorta zwischen dieser
und den Anlagen der Nieren liegen. Der Umstand, dass ich sie nur an einzelnen
Querdurchschnitten antraf, scheint darauf hinzudeuten, dass die gangliösen
Anschwellungen die ersten Anlagen bilden. In der Mitte der zweiten Larven-
periode konnte ich den Grenzstrang bereits als ein zusammenhängendes, dem
unteren Theile der Wirbelsaite anliegendes Gebilde vom Kopfe bis über die
Mitte des Rumpfes herauspräpariren (Fig. 327). Er bestand aus den spindel-
förmigen Ganglien und deren Verbindungssträngen; jene waren vorn grösser
und lagen in unregelmässigen Abständen näher beisammen als hinten. Die vom
Grenzstrauge entspringenden Nervenzweige waren äusserst zart und ebenfalls
unregelmässig vertheilt. An Querdurchschnitten konnte ich mich hinlänglich
davon überzeugen, dass die aussen und dicht am Grenzstrange hinablaufenden
Spinalnervenstämme mit demselben noch keine Verbindung eingegangen waren,
sowie auch sein vorderes Ende nur erst bis zum N. vagus reichte, aber mit
demselben noch nicht zusammenhing (Taf. IX Fig. 172). Etwas später waren
4<J() VIII. Die Segmente des Rumpfes.
die vermissten Verbindungen vorhanden: das Vorderende des Grenzstranges
kommunicirte vermittelst einiger äusserst dünnen Fädchen mit dem N. vagus
dicht unterhalb seines Ganglions, und von den Verbindungsstellen des Stranges
mit den Spinalnerven aus spalteten sich kurze Stämmchen der letzteren auf-
wärts von dem Hauptstamme ab (Taf. IX Fig. 178, Taf. XVIII Fig. 329).
Eine weitere Verfolgung der Verbindungen und Verzweigungen des Grenz-
stranges lag nicht in meiner Absicht. Die mikroskopische Untersuchung seines
Gewebes ergab, dass seine Histiogenese bis nach der Metamorphose von der-
jenigen des Spinalnervensystems nicht wesentlich abweicht. Unter den Nerven-
fasern vermisste ich die markhaltigen , und die Leiber der Ganglienzellen sind
durchweg viel kleiner als in den Spinalganglien, sodass beim ersten Hinsehen
nur die kreisrunden Zellenkerne auffallen.
3. Das interstitielle Bildungsgewebe.
Dieses embryonale Gewebe entwickelt sich aus allen den Theilen der Seg-
mente, welche nicht zu den Muskeln, Ganglien und Nervenstämmen verbraucht
werden, also im Rumpfe aus den inneren Segmentblättern mit Ausnahme des
von der Nervenanlage eingenommenen mittleren Streifens, ferner aus den ganzen
oberen Säumen und einzelnen anderen Theilen der äusseren Segmentschicht.
Im Schwänze geht die ganze äussere und der Bauchtheil der inneren Segment-
schicht in das Bildungsgewebe über {Taf. VIT). Diese seine ursprünglichen
Anlagen bezeichnen aber nur die Ausgangspunkte für seine weitere Ausbrei-
tung, welche durch die Ansammlung der Interstitialfliissigkeit und eine
dauernde Einwanderung von Dotterbildungszellen vermittelt, .in alle zugäng-
lichen Zwischenräume zunächst zwischen den morphologischen Anlagen und
dann zwischen den Gewebstheilen der letzteren selbst eindringt. Durch diese
allgemeine Entwicklung rechtfertigt das interstitielle Bildungsgewebe das Bei-
wort seines Namens und offenbart sich anderseits als eine rein histiologische
Anlage, welche nach der Auflösung des Formbestandes seiner embryonalen
Grundlagen (Segmentschicht, Segmentblatt) eine Selbstständigkeit im ganzen
und daher jede morphologische Bedeutung entbehrt, um von der jeweiligen
Umgebung unbedingt abhängig sich ihr erst formal anzupassen und dann ihre
späteren Differenzirungen unter dem verschiedenen Einflüsse dieser formalen
Anpassung einzuleiten. Desshalb repräsentirt auch das interstitielle Bildungs-
gewebe keine bestimmte physiologische Gewebsform, etwa die Gruppe der
Bindesubstanzen allein, sondern dient allen allgemeinen Geweben zur Grund-
'S. Das interstitielle Bildungsgewebe. 491
läge, welche ausserhalb der primär-morphologischen Theile entstehen; dahin
gehören aber ausser den Bindesubstanzen alle Gefässe, die weiteren Nerven-
verzweigungen und einzelne Muskeln fM. transversus, Hautmuskeln). Anderer-
seits ist es aber auch verständlich, dass überall dort, wo die formale Anpas-
sung des interstitiellen Bildungsgewebes an seine Umgebung in sehr be-
stimmten und engen Schranken auftritt, sie die Gestalt von dem die Anpas-
sung beherrschenden Theile entlehnt und dadurch die sekundär -morpholo-
gischen oder -typischen Körpertheile erzeugt, von denen einige, z. B. das Stamm -
skelet, die röhrigen Rückenmarkshüllen, der innere Bauchmuskel, bereits als
solche geschildert wurden. Alle diese Formbeziehungen des interstitiellen Bil-
dungsgewebes zu den uns bekannten Embryonalanlagen prägen sich der Vor-
stellung leicht ein, wenn man die Hauptzüge seiner Ausbreitung und seiner
Verbindungen verfolgt {Taf. VII, XIII, XIV). Zuerst denke man sich die
inneren Segmentblätter jeder Körperseite in eine kontinuirliche Schicht ver-
wandelt, in welcher die ursprünglichen Nervenlagen eingelagert sind und
welche im allgemeinen die Axenorgane (Rückenmark, Wirbelsaite, Axenstrang
des Darmblattes) von den Stammuskeln trennt. Die beiderseitigen Schichten
verbinden sich darauf zwischen diesen Axenorganen und um sie herum, sodass
dieselben gewissermassen ebenso wie jene Nervenanlagen in das Bildungs-
gewebe eingebettet erscheinen. Dabei entstehen aus enger Anpassung an die
beiden mächtigeren Organe die äussere Chordascheide und die Rückenmarks-
hülle, beides röhrige Bildungen, welche aber in Ermangelung eines selbststän-
digen Formwerths den sekundär -morphologischen Körpertheilen zugezählt
werden müssen. Lateralwärts ruft die Anpassung des Bildungsgewebes an die
Segment- oder Muskelgrenzen die sekundär - morphologische Bildung der
Wirbelbögen und ihrer Fortsätze hervor. Ueber dem Rückenmarke eröffnet
sich den vereinigten Segmentblättern in Folge einer entsprechenden Ausdeh-
nung des Oberhautsackes ein weiterer Raum, in welchem sie mit den aufwärts
wachsenden Säumen der äusseren Segmentschicht zur Hersteilimg der soge-
nannten Membrana reuniens superior zusammentreffen, welcher Namen aber
nur eine topographische Bedeutung hat und weder ein besonderes noch ein
vergängliches Gewebe bezeichnet. Ein ähnlicher freierer Zwischenraum wird
unter der Wirbelsaite dadurch gebildet, dass die Darmanlage unter Zurück-
lassung ihres der Chorda angehefteten Axenstranges sich von derselben ent-
fernt, wobei das Bildungsgewebe die von der Wirbelsaite, dem Parietalblatte
und den Stammuskeln begrenzte Lücke, den Retroperitonealraum, in dem
492 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
Masse als er entstellt gleich ausfüllt. Von diesem Räume aus dringt das inter-
stitielle Bildungsgewebe einmal in die Bauchwand vor, wo es mit den gleichen
Gewebstheilen der äusseren Segmentschicht zusammentrifft und die segmen-
talen Bauchmuskeln einscheidet und den inneren sogar erst bildet ; anderseits
verbindet es sich mit dem Bildungsgewebe, welches zwischen dem Darmblatte
und dem Visceralblatte aus dem letzteren entsteht und in alle Anhangsorgane
des Darmkanals sich verbreitet. Im Schwänze, dessen untere Hälfte eine
symmetrische Wiederholung der Anordnung in der oberen Hälfte zeigt,
erfährt auch das interstitielle Bildungsgewebe eine entsprechend symmetrische
Anpassung; daraus erklärt sich die Entwickelung der unteren Wirbel-
bögen und einer unteren medianen Platte des Bildungsgewebes, welche
allein passenderweise als Membrana reuniens inferior bezeichnet werden kann,
wenn man diese Benennung überhaupt beibeb alten will. Beide Verbindungs-
häute liefern dort die Innenmasse der oberen und unteren Schwanzflosse.
Nach dieser Uebersicht der topographischen Entwickelung des intersti-
tiellen Bildungsgewebes wende ich mich zu seiner Histiogenese. Die erste und
charakteristische Bildung dieser Gewebsanlage kann man an den Segment-
theilen des Rumpfes desshalb nicht gut kennenlernen, weil die betreffenden Em-
bryonalanlagen, die inneren Segmentblätter und die äussere Segmentschicht,
zu dünn sind, um auf Durchschnitten ein klares Bild zu gewähren. Ich habe
aus diesem Grunde entsprechende Segmenttheile des Kopfes zur Demonstration
jener Anfänge gewählt. Ursprünglich liegen die rundlichen Embryonalzellen
auch in den hier in Rede stehenden Anlagen (innere Segmente) dicht zusam-
mengeschlossen. Aber schon gegen das Ende der Embryonalperiode treten sie
auseinander, und die sie trennenden, mit Flüssigkeit 'gelullten Lücken ver-
größern sich allmählich so sehr, dass sie endlich einen grösseren Raum ein-
nehmen als die Zellen (Taf. XI Fig. 208). Bei dem Vergleiche der ersten Ent-
wickelungsstufen dieses Vorganges , welche oft nebeneinander angetroffen
werden, rnuss uns die einfachste Ueberlegung davon überzeugen, dass wir es
liier nicht mit einer selbstthätigen Bewegung der Embryonalzellen zu thun
haben. Ich habe allerdings schon eine solche ausführlich beschrieben, die Ver-
schiebung der Embryonalzellen bei ihren Theilungen, und dieselbe als die
eigentliche bewegende Kraft bei den ersten Umbildungen und Ausbreitungen
der Embryonalanlagen hingestellt. Dieses Moment fehlt natürlich auch den-
jenigen Theilen nicht, welche für die Entwickelung des interstitiellen Bildungs-
gewebes bestimmt sind. Aber ebenso natürlich scheint es mir, dass es sich nur
3. Das interstitielle Bildimgsgewebe. 493
auf den Zustand der kompakten Embryonalanlagen bezieht-, soll dagegen ge-
rade die unmittelbare Flächenberührung der Embryonalzellen aufhören, so
kann dafür die gegenseitige Verschiebung der sich drängenden Zellen offenbar
nicht angezogen werden. Ebensowenig kann das geschilderte Auseinandertreten
der Embryonalzellen durch eine solche selbstthätige Bewegung derselben
erklärt werden, wie sie etwa in Form von Kontraktionen die unzweifelhafte
Ortsveränderung fertiger protoplasmatischer Elementarorganismen herbeiführt.
Denn der Kaum, in welchem eine solche Ortsveränderung ausgeführt werden
inuss, wird erst durch jenes Auseinandertreten der Embryonalzellen und in
Folge dessen der Embryonalanlagen erzengt, sodass gewisse zellenfreie Räume
bloss nachträgliche Erweiterungen bereits bestehender weiter Zelleninterstitien
sind. Kurz, es bleibt nichts übrig, als in der die Lücken ausfüllenden Flüssig-
keit die nächste Ursache für die uns hier beschäftigende Erscheinung anzu-
sehen. Die Quelle jener in die Embryonalanlagen eindringenden Flüssigkeit ist
in dem embryonalen Darmraume zu suchen, dessen wasserheller flüssiger In-
halt genau dieselben Eigenschaften wie die erstere zeigt, bei der Erhärtung der
Embryonen theilweise gerinnt und alsdann durch Karmin sehr schwach gefärbt
wird. Die Ursachen für den Uebertritt der Flüssigkeit aus dem Darmraume in
die Masse des eigentlichen Keims glaube ich mit Recht in den veränderten
Spannlingsverhältnissen der letzteren zu erkennen. Schon gleich im Anfange
der Entwickelung hatte ein ähnlicher Vorgang stattgefunden. Die Keimhöhle
entstand durch die Zusammenziehung der radiär gestellten Dottertheilstücke
an ihren centralen Enden und vergrösserte sich in Folge der koncentrischen
Ausbreitung und daher Verdünnung ihrer Decke oder der primären Keimschicht
(Taf. II). Indem darauf der hervorwachsende Rand der sekundären Keimschicht
eine Lage Von Dotterzellen vom Boden der Keimhöhle hob und sie in der ganzen
Höhe der letzteren mit sich zog, wurde der Keimhöhleliraum successiv ver-
engt und endlich zum Schwunde gebracht, während auf der anderen (dorsalen)
Seite der vorrückenden Scheidewand die Darmhöhlenspalte in demselben
Masse sich erweiterte. Da jene Scheidewand der dünnste von allen die Keim-
höhle umschliessenden Theilen ist, so erhellt, dass die Flüssigkeit der letzteren
durch jene Wand in die Darmhöhle übertritt, welche darauf zum Sammelraume
der Interstitialflüssigkeit des ganzen Eies wird. Zwischen den aneinander-
gelagerten runden Zellen der Keimschichten bestehen alsdann nur kleine mit
derselben Flüssigkeit gefüllte Zwischenräume/ welche gerade hinreicht, um die
fortdauernde Zellenbildung zu unterhalten. Im weiteren Verlaufe der Entwicke-
494 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
lung unterliegen aber die einzelnen Theile der relativ gleichmässigen und kon-
tinuirlichen Keimscliichten und -blätter verschiedenen mechanischen Form-
bedingungen, welche die allgemeine, noch immer unmittelbar auf die sich
theilenden und verschiebenden Embryonalzellen zurückführbare Bewegungs-
ursache in immer divergentere Bahnen ausstrahlen lassen. In dem Masse als
diese Bewegungsströme und die von ihnen veranlassten Zellenanhäufungen und
Schichtungen sich von einander sondern, fliessen die aus dem festen Zusammen-
hange ausgeschlossenen Lücken zwischen den Anlagen zu spaltförmigen sie
deutlich trennenden Räumen zusammen. Wenn also gerade die morphologische
Entwicklung die einzelnen Embryonalanlagen fester zusammenfügt, so wird
ein Nachlass ihrer Wirksamkeit den Zusammenhang der Zellen lockern, sodass
die davon betroffenen Theile oder die Anlagen des Bildungsgewebes sich nicht
weiter zusammenziehen, d. h. die ursprünglichen Zelleninterstitien hinaus-
drängen, sondern im Gegentheil bei den fortdauernden Verschiebungen der
festen Embryonaltheile durch den ganzen von diesen übrig gelassenen Raum
sich gleichmässig vertheilen. Diese Ausbreitung der sich formal auflösenden
Anlagen des interstitiellen Bildungsgewebes wird aber erst dann evident, wenn
jener ganze Raum, oder was auf dasselbe hinauskommt, die mit Flüssigkeit ge-
füllten Interstitien sich vergrössert haben. Dies erfolgt aber im Zusammen-
hange mit der schon früher beschriebenen Umbildung des Darmraums (vgl.
Abschnitt IV, 3, Taf. II, IV — VII). Derselbe nahm während der Entwicke-
lung der Keimblätter und ihrer ersten Sonderlingen beständig zu; sobald aber
seine anfangs breite Decke oder der Rückentheil während der Ausbildung des
Centralnervensystems und der Segmente sich zusammenzuziehen begann,
wurde er einer andauernden Einschränkung unterworfen. Dabei wird gerade so
wie bei dem Schwunde der Keimhöhle der Raum, welcher in der Darmhöhle
verloren geht, den Interstitien zwischen den übrigen Anlagen zugelegt, und
natürlich das entsprechende Mass von Flüssigkeit in dieselben übergeführt.
Die Wirkungen dieses Vorgangs äussern sich zunächst eben in der Entwicke-
lung und Ausbreitung des interstitiellen Bildungsgewebes durch die ansehn-
liche Zunahme seiner Zwischenräume. Die wichtigeren Enderfolge sind aber
jedenfalls in der Einwirkung der sich ansammelnden Interstitialfiüssigkeit des
Bildungsgewebes auf die innere Umbildung aller von ihr umspülten Zellen-
massen oder deren Histiogenese zu suchen. Unter diesem Gesichtspunkte er-
scheint die Anwesenheit jener ursprünglichen Flüssigkeit überhaupt als eine
Grundbedingung für die ganze Entwicklung des Individuums. Hervorgegangen
3. Das interstitielle Bildungsgewebe. 495
aus den endosmotischen Wechselwirkungen, welche die erste Entwicklung
des Eies einleiten, unterhält sie fortdauernd die Auflösung des Dotters , wo-
durch zuerst die Dottertheihmg und deren Fortsetzung, die Vermehrung der
Embryonalzellen, damit aber ihre die morphologischen Umbildungen bedin-
genden Bewegungen herbeigeführt werden; sobald aber die einzelnen Zellen-
gruppen eben in Folge dieser Umbildungen verschiedenen und mannigfaltigeren
Bedingungen der fortgesetzten Dotterauflösung unterworfen werden, läuft die
letztere in ebenso verschiedene Wirkungen innerhalb der Zellen selbst aus.
Denn dass ihre letzten Akte unter dem Einflüsse der in die Embryonalzellen
aufgesogenen Interstitialflüssigkeit zur Histiogenese hinüberführen, glaube ich
schon in der Entwickelungsgeschichte der Sinnesorgane (Netzhaut), des Cen-
tralnerven- und Skeletsystems, der Muskeln und Nerven genügend erwiesen zu
haben; und für die übrigen Gewebe wird sich derselbe Zusammenhang ergeben.
Um aber die ganze Wichtigkeit jener Substanz hier vorausgreifend anzudeuten,
füge ich hinzu, dass sie vom Darmraume aus auch in die Dotterzellenmasse
eindringend dort höchst wahrscheinlich die Blutbildung und endlich die Auf-
lösung der übrigen Masse zu einer wirklichen Dotternahrung herbeiführt; dass
sie ferner als erste Blutflüssigkeit und überhaupt den ganzen Körper durch-
tränkende Ernährungsflüssigkeit zur Grundlage aller und jeder Zwischenzellen-
flüssigkeit wird , welche daher nur in sehr bedingter Weise als ein Produkt
der Zellen und Gewebe betrachtet werden kann. Aber obgleich Grundbedin-
gung der Gesammtentwickelung, verläuft ihre Thätigkeit dennoch unter dem
massgebenden Einflüsse der morphologischen Momente, sodass, wo dieser Ein-
fluss nachlässt, auch gleich der Gegensatz jener Thätigkeit gegen das Form-
gesetz sich offenbart : so werden einige morphologische Anlagen als solche auf-
gelöst, sobald in ihnen die Entwicklung des interstitiellen Bildungsgewebes
beginnt, zu deren Erscheinungen ich jetzt zurückkehre.
Während die Interstitialflüssigkeit in den Anlagen des Bildungsgewebes
die Embryonalzellen auseinander drängt, büssen dieselben nicht alle ihre frü-
heren Verbindungen ein, sondern bleiben durch Substanzbrücken in Zusam-
menhang (Taf. XI Flg. 208). Diese Brücken, deren Zahl je nach der früheren
Lage der einzelnen Zellen ausserordentlich schwankt, erscheinen anfangs, so-
lange sie noch eine geringe Länge besitzen, verhältnissmässig breit und be-
stehen aus der vollständigen, mit Dotterplättchen angefüllten Dottersubstanz.
In dem Masse jedoch, als sie sich bei dem anhaltenden Auseinanderrücken der
Zellen verlängern, werden sie auch schmäler, endlich fadenförmig, und ver-
4<iii VIII. Die Segmente des Rumpfes.
wandelt sich ihre Substanz unter Verlust der Dotterplättehen in eine gleich-
artige protoplasmatische Masse {Taf. XI, Fig. 209). Dabei bietet das ganze
Gewebe schon frühzeitig lokale äussere Unterschiede dar; so erscheint es in
engen Räumen dichter als in weiten, daher in der Membrana reuniens superior
lockerer als in der unmittelbaren Umgebung des Centralnervensystems und der
Wirbelsaite {Taf. XI Fig. 209, Taf XII Fig. 211). Die Gestalt der Zellen-
körper wird dadurch, dass die fadenförmigen Ausläufer ihre Ursprungsstellen
allmählich kegelförmig ausziehen, zackig, sternförmig, woraus sich der Namen
„Sternzellen" erklärt; die Spindelform ist wie die sie bedingende Anwesenheit
bloss zweier Ausläufer an den embryonalen Zellen selten. Wenn die Fortsätze
sich bis zu einem gewissen Grade verdünnt haben, endigen einzelne scheinbar
frei; dies kann auch thatsächlich sein, indem die betreffenden Fortsätze bei
einer gewissen Anspannung rissen. Doch glaube ich gestützt auf Beobachtung
und Ueberlegung solche mögliche Fälle von frei endigenden Fortsätzen in dem
noch nicht differenzirten Gewebe auf eine so geringe Zahl beschränken zu
müssen, dass dieselben für die richtige Auffassung der folgenden Entwickelungs-
processe nicht in Betracht kommen können. Einmal muss man die Möglichkeit
zugeben , dass bei der künstlichen Erhärtung der Objekte, welche für solche
Untersuchungen unerlässlich ist,* hier und da ein Verbindungsfaden reisst,
obgleich ich selbst solche Fälle bei gelungenen Präparaten, an denen sich die
feinsten Fasernetze intakt erhalten, für sehr selten halte. Scheut man jedoch
die Mühe nicht, eine grössere Anzahl von solchen Zellenfortsätzen, welche im
mikroskopischen Bilde zuerst frei zu enden scheinen, mit der nöthigen Geduld
zu verfolgen, so wird man finden, dass ein nicht unbedeutender Theil derselben
allerdings mit anderen Fortsätzen zusammenhängt. Von den übrigen werden
manche in ihrem Verlaufe durch Theile verdeckt, welche über oder unter ihnen
liegen; und anderseits wird man zugeben, dass alle diejenigen Fortsätze,
deren Ursprung im mikroskopischen Bilde sichtbar ist, welche aber nicht in
* Frische Objekte kann man nämlich erst von dem Zeitpunkte an untersuchen, wann
die Theile durchsichtig werden ; dies tritt aber erst in den späteren Phasen des vorliegenden
Entwickelungsprocesses ein. Um jeden störenden Einfluss hiutanzuhalten. wäre es ferner
nöthig, die zu untersuchenden Theile, unter denen der Larvenschwanz jederzeit eine grosse
Rolle gespielt hat, ohne weitere Vorbereitung, also auch ohne die Haut abzulösen, unter das
.Mikroskop zu bringen. Dass aber dadurch manche feinere Einzelheiten sich der Beobach-
tung entziehen, wird Keiner bezweifeln, der den Durchschnitt eines ohne wahrnehmbare
Schrumpfung gehärteten Objekts dagegenhält.
.3. Das' interstitielle Bild uugsgewebe. 4(J7
der Fläche derselben, sondern in daraus hervortretenden Richtungen verlaufen,
als frei endigende imponiren, während sie im unzerlegten Körper sicherlich
gerade ebenso sich verhalten wie die im vorhegenden Bilde vollständig zu über-
sehenden. Berücksichtigt man, dass dieses letztgenannte Verhältniss den bei
weitem grössten Theil aller in einem Durchschnitte sichtbaren Fortsätze be-
trifft, so braucht man nur noch für einige anzunehmen, dass ihr Verlauf theil-
weise verdeckt ist oder wegen ihrer Zartheit undeutlich bleibt, um zu dem Er-
gebniss zu kommen, dass, solange der bisher betrachtete embryonale Charakter
des interstitiellen Bildungsgewebes besteht, die Zellen desselben durch ihre
Fortsätze nach allen Seiten in Zusammenhang stehen, ein Netzwerk bilden,
welches gleich ursprünglich durch die erste Ansammlung der Zwischenzellen-
fiüssigkeit angelegt wurde. Doch bleibt noch ein Punkt zu erörtern. Vergleicht
man die ersten und die späteren Zustände dieses Zellennetzes, so überzeugt
man sich leicht, dass die Zahl der Fortsätze zugenommen hat, und dass im Zu-
sammenhange mit ihnen zarte Fasernetze entstanden sind, welche man früher
vermisste. Sollte man nun nicht annehmen, dass die Zellen neue freie Fort-
sätze hervorgetrieben haben, welche zum Theil unter sich und mit den anderen
verschmolzen? Ich halte diese Annahme für unwahrscheinlich, weil der Nach-
weis solcher Erscheinungen an den Embryonalzellen vollständig fehlt. Ander-
seits ist jene Annahme unnöthig, weil eine andere, vollkommen nachweisbare
Erscheinung die vermisste Erklärung gibt. Sobald das Netzwerk des Bildungs-
gewebes sich entwickelt hat, finde ich in demselben keine einzige runde,
fortsatzlose Zelle mehr •, aber von dem Zeitpunkte an, wann die Aorta ent-
standen ist, auf deren Bildung ich gleich zu sprechen komme, erscheint eine
Anzahl beinahe kreisrunder Zellen in jenem Gewebe, wie sie nur noch im
Herzen und den eben angelegten Gefässen, namentlich der weiten Aorta als
Blutzellen vorkommen (Taf. XI Fig. 197, Taf. XII Flg. 211). Wenn man erst
erkannt hat, dass diese Gefässe während längerer Zeit eine netzförmig durch-
brochene Wand besitzen und anfangs in die ZAvischenräume des Bildungs-
gewebes offen auslaufen, so wird man über den Ursprung der in dem letzteren
neu auftretenden runden Zellen nicht zweifelhaft sein : es sind die durch den
Herzstoss aus der Aorta und den übrigen primitiven Gefässen hinausgetriebenen
embryonalen Blutzellen oder Dotterbildungszellen, welche alsdann von der
durch die wiederholten Stösse und die eigene Ansammlung beständig bewegten
Zwischenzellenflüssigkeit des Bildungsgewebes weiter geschwemmt werden.
Diese durch ihre Gestalt von den ursprünglichen Zellen des Netzwerkes leicht
Goette, Kntwickoluugsgescliichte. 32
40S VIII. Die Segmente des Rumpfes.
unterscheidbaren, in ihrer Zusammensetzung aber mit denselben durchaus
übereinstimmenden Dotterbildungszellen verbinden sich früher oder später mit
einem ihnen anstossenden Zellenfortsatze oder Zellenkörper; die anfangs kurze
Brücke wird allmählich lang und dünn ausgezogen, die daran befestigte, in der
Flüssigkeit flottirende Dotterbildungszelle findet neue Befestigungspunkte, an
denen bei der anhaltenden Ausdehnung des ganzen Gewebes wieder neue Fäden
ausgezogen werden, und endlich ist sie von den übrigen Zellen des Netzwerkes
nicht mehr zu unterscheiden und vollständig in dessen Bestand eingetreten,
wodurch aber zugleich die Zahl der Fortsätze an den früheren Zellen vermehrt
ist, und durch Verschmelzung sich kreuzender und zufällig berührender Ver-
bindungsfäden bereits Fasernetze entstanden sein können. Die einzelnen Stufen
einer solchen Umbildung habe ich übrigens in jeder Variirung häufig genug
beobachtet, um jenes Bild des ganzen Vorganges zusammenstellen zu dürfen
{vgl. Fig. 211). Da nun die Einwanderung der Dotterbildungszellen in das inter-
stitielle Bildungsgewebe längere Zeit ununterbrochen andauert, so erklärt sich
daraus ebenfalls dessen bedeutende Massenzunahme, welche aber den Cha-
rakter des Gewebes zunächst nicht verändert, sondern, indem sie mit der An-
sammlung der Interstitialflüssigkeit Hand in Hand geht, lediglich die Ausbil-
dung des Zellennetzes und seine Ausbreitung in alle Zwischenräume der Em-
biTonalanlagen bewirkt. Die wenigen Ausnahmen von dem vollständigen Zu-
sammenhange aller Zellen au släufer unter einander kommen hier nicht in
Betracht ; dagegen entstehen später allerdings Neubildungen im interstitiellen
Bildungsgewebe durch kompakte Ansammlungen der Dotterbildungszellen,
welche an bestimmt begrenzten Stellen das Netzwerk vollständig ausfüllen und
in sich aufnehmen. Diese Bildungen, nämlich die Anlagen gewisser Knorpel-
theile und der Muskelselmen, habe ich bereits beschrieben-, die eigentliche Be-
deutung des Zellennetzes wird dagegen aus der folgenden Entwickelungs-
geschichte der übrigen Gewebe, und zwar zuerst des Blutgefässsystems,
erhellen.
Die ersten Blutgefässanlagen betreffen die Wurzeln und Stämme des
arteriellen und venösen Gefässsystems, welche im Kopftheile (Aortenbögen,
Aortenwurzeln, A. carotis, A. basilaris, Vv. jugulares) oder doch unmittelbar an
dessen hinterer Grenze (A. vertebralis, Ductus Cuvieri, Endstücke der Vv.
jugulares, V. cardinalis) entstehen (Taf. XIII). Da die topographische Au
Ordnung und Ausbildung aller dieser Gefässe erst später behandelt werden soll,
so stelle ich hier nur die Hauptarterienstämme als Mustor für alle übrigen hin.
3. Das interstitielle Bildungsgewebe. 499
— Die Aorta entspringt in der Schlundwand mit den sogenannten Aortenbögen,
welche zu den Aortenwurzeln und* durch diese zur eigentlichen Aorta zusam-
menfliessen; in dieser selben Ordnung erfolgt auch ihre Entstehung {Taf.
XIII— XVII, Taf. XX Fig. 308). Im interstitiellen Bildungsgewebe der
Kiemenbögen zeigen sich im Anfange der zweiten Larvenperiode Längliche
Lücken , welche sich von den übrigen ganz unregelmässigen Lücken desselben
Gewebes bloss dadurch auszeichnen, dass sie mit etwas weiterer Lichtung der
Axe jener Bögen folgen {Taf. XIII Fig. 234). Denn ohne besondere Wan-
dungen zu besitzen ; werden sie lediglich von dem lockeren Bildungsgewebe
umschlossen, welches aber durch die angesammelte Interstitialflüssigkeit aus-
einandergedrängt im unmittelbaren Umfange der kanalförmigen Lücken in
einer nahezu cylindrischen Fläche angeordnet wird , indem die Zellen dieser
zunächst noch vollständig netzförmigen Grenzschicht entsprechend abgeplattet
werden. Durch diese Abplattung wird das, Netzgefüge jener Grenzschicht oder
eben der primitiven Gefässwand engmaschiger und dichter als in dem übrigen
Bildungsgewebe, sodass dieselbe dadurch auf Durchschnittsbildern in gewissem
Grade von der Umgebung abgesondert erscheint {vgl. Taf. XI Fig. 197). Diese
Zusammensetzung der primitiven Gefässwand habe ich aber nicht an den
Aortenbögen, sondern erst an der Aorta selbst entdeckt, deren Untersuchung
wegen des grösseren Umfangs leichter ist {Taf XII Fig. 210). Natürlich lässt
sich dieses Ergebniss nicht aus Querdurchschnitten der Gefässe gewinnen, auf
denen die Wand aus fest aneinandergefügten Spindelzellen zu bestehen scheint,
sondern nur aus Flächenansichten, wie sie sich an einzelnen glücklichen Längs-
durchschnitten darstellen. Am Schnittrande erkennt man alsdann leicht die
starke Abplattung der Zellen. — Diese schlauchförmigen Gewebslücken ent-
stehen ferner nicht mit gleichmässig verlaufender Lichtung-, diese verengt sich
vielmehr an einzelnen Stellen so sehr, dass die Entstellung dieser Gefässanlagen
aus mehreren erst nachträglich zusammenfliessenden Abschnitten wahrschein-
lich wird {Taf '. XIII Fig. 234). Endlich lässt sich an verschiedenen Durch-
schnitten konstatiren, dass, indem die Aortenbögen unter den äusseren Seg-
menten des Hinterkopfs zu den Aortenwurzeln und diese zum Anfange der
Aorta zusammenfliessen, die jeweiligen Enden dieser Gefässanlagen ganz un-
merklich in das übrige Bildungsgewebe auslaufen. Bis zum Zusammentreffen
der beiden Aortenwurzeln, wenn die Artt. carotis, basilaris, vertebralis gleich-
falls schon angelegt sind, habe ich eine Verbindung der Aortenbögen mit dem
Herzen vermisst; und selbst gleich nachdem diese Verbindung zu Stande ge-
32*
5()() . VIII. Die Segmente des Rumpfes.
kommen, finde ich in der Intorstitialflüssigkeit jener Gelässanlagen und des
Herzens selbst keine Spur von Blutzellen , welche zur selben Zeit erst in ganz
spärlichen Anlagen an der Oberfläche der Dotterzellenmasse sich zu bilden an-
fangen (Taf. XIII, XIV). Dasselbe gilt von den Venenstämmen, welche mit
Ausnahme der Dottervenen noch später als die Arterienstämme sich mit dem
Herzen verbinden. Ich sehe aber auch gar keine Möglichkeit, wie die freien
runden Blutzellen in den Gef ässanlagen selbst, also aus den platten, netzförmig
verbundenen Zellen ihrer Wandung entstehen sollten, und kann alle meine Be-
obachtungen gar nicht anders deuten, als dass die Blutzellen bloss in der
Dotterzellenmasse entstehen, von dort durch die Dotternerven erst in das Herz
und von diesem Sammelraumeaus in alle übrigen Gefässe gelangen (vgl. w.u. und
Abschnitt X, XI). Die bezeichneten primitiven Gefässe entwickeln sich also nicht
nur unabhängig vom Herzen, sondern auch ohne jede Beziehung zum wirklichen
Blute als schlauchförmige Erweiterungen von Interstitien des Bildungsgewebes,
deren Inhalt, ein Theil der allgemeinen Interstitialfiüssigkeit, vor der Einfüh-
rung von Blutzellen vom Herzen her nur ein embryonales Blutserum vorstellt.
Diese schlauchförmigen Erweiterungen können aber nicht durch ein aktives
Auseinanderweichen des Zellennetzes entstanden gedacht werden ; denn abge-
sehen von der schon mehrfach erörterten unvollkommenen Lebensthätigkeit der
Embryonalzellen ist jenes Auseinanderweichen mit einer entsprechenden Ab-
plattung der betheiligten Zellen verbunden, welche bei dem deutlichen An-
schwellen der Lichtung nur aus dem Drucke der eingeschlossenen und in Zu-
nahme begriffenen Interstitialfiüssigkeit sich erklären lässt. Ferner deutet
aber noch ein Umstand auf lediglich ausserhalb des Bildimgsgewebes ge-
legene Ursachen dieser ganzen Gefässbildung, nämlich die Gesetzmässigkeit
in dem Verlaufe und den Verbindungen der genannten Gefässanlagen. Da der
allgemeine Formbestand und damit das Formgesetz des interstitiellen Bildungs-
gewebes im ganzen verloren gehen, so können seine gesetzmässigen, morpholo-
gischen Bildungen nur aus dem Einflüsse der sie umgebenden Theile erklärt
und daher bloss als sekundär- morphologische im bekannten Sinne aufgefasst
werden. An den Aortenbögen, welche in der Axe der in den einzelnen Kiemen-
bögen eingeschlossenen Stränge von Bildungsgewebe (Seitenplatte) verlaufen,
springt dies sofort in die Augen, und ihr Zusammenfliessen zu den Aorten-
wurzeln ist ebenfalls durch die bereits in der Anlage gegebene Biegung ihrer
oberen Enden nach innen und hinten vorgezeichnet. Wenn also jene vom
Herzen und vom Blute unabhängigen Gefässanlagen bloss durch ihre Kon-
3. Das interstitielle Bildungsgewebe. 501
tinuität und ihren gesetzinässigen Verlauf ausgezeichnete Lücken des inter-
stitiellen Bildungsgewebes sind, deren zunehmende Erweiterung erst die Anlage
der Gefässwand hervorruft, so lassen sich ihre Bildungsursachen so bezeichnen,
dnss die von verschiedenen Seiteu her aus dem Dannraum in das interstitielle
Bildungsgewebe übertretende Flüssigkeit in gewissen massig weiten Zwischen-
räumen der geformten Embryonalanlagen günstige Bedingungen zur Ansamm-
lung, zugleich aber bestimmte Schranken und Verlaufsbahnen dieser Ansamm-
lung durch jene Anlagen vorgezeichnet findet. Dann erklärt es sich auch,
warum solche Gefässanlagen nicht mitten in den weiten und rasch wachsenden
Regionen des interstitiellen Bildungsgewebes, wie z. B. den Membranaereunientes,
sich entwickeln, wo die sich ansammelnde Flüssigkeit gleichmässig nach allen
Seiten sich ausbreiten kann; und warum sie anderseits zuerst im Kopfe auf-
treten, dessen zur Gefässbildung geeignete Zwischenräume früher gebildet sind
als im Rumpfe, wo zur selben Zeit der Retroperitonealraum, welchen die Aorta
später durchzieht, eigentlich noch nicht vorhanden ist. — Diese Ergebnisse der
Bildungsgeschichte der ersten Gefässe dürfen, soweit es sich bloss um den Auf-
bau der primitiven Gefässe und nicht um die Gesetze des Kreislaufs handelt
(vgl. Abschnitt X) , auch auf die Fortsetzungen jener ersten Gefässe ausgedehnt
werden, welche nach der Verbindung der Aortenbögen mit dem Herzen, also
nach dein Eintritt des Blutes in die für dasselbe vorbereiteten Bahnen sich ent-
wickeln. Zunächst erscheint diese Verbindung gar nicht als ein besonderer,
von den bisher betrachteten Vorgängen wesentlich unterschiedener Akt. Das
Herz kann nämlich nach seiner Entwicklung insofern mit einem Gefässe ver-
glichen werden, als es ebenfalls einen erweiterten, mit der allgemeinen Inter-
stitialflüssigkeit angefüllten Zwischenraum, allerdings nicht im Bildungsgewebe,
sundern unmittelbar zwischen morphologischen Embryonalanlagen darstellt
{Tdf. VII Fig. 133, Taf. XIII Fig. 225. 226. 234). Ferner liegt diese Herz-
lücke an der Bauchseite der Schlundhöhle und ist von den unteren Enden der
Aortenbögen nur durch eine spaltförmige Verengerung der Interstitien getrennt,
sodass eine zunehmende Erweiterung der letzteren die beiderlei Bluträume in der-
selben Weise verbindet, wie die anfangs mehr oder weniger getrennten Abschnitte
der Aortenbögen und -wurzeln zusammenfliessen. Jene Verbindung erfolgt nun
zu der Zeit, wann die Aortenwurzeln ihrer medianen Vereinigung an der hin-
teren Kopfgrenze sehr nahe gekommen sind oder dieselbe eben ausgeführt
haben, sodass die sie fortsetzende und in dem Masse als der Iletroperitoncalraum
entsteht, nach hinten fortschreitende Aortabildung bereits während der offenen
502 VIII. Die Segmente des Rampfes.
Verbindung mit dem Herzschlauche vor sich £eht (Taf. XIII, XI}'). Es wäre
aber voreilig daraus zu schliessen, dass von dein Zeitpunkte jener Verbindung
an die nächsten Fortsetzungen der schon angelegten Gefässe bloss durch den
drängenden und sie im Bildungsgewebe gleichsam ausgrabenden Blutstrom er-
zeugt würden. Bei dem durchgängig netzförmigen Gefüge der primitiven Ge-
fässwände dringt das durch den Herzstoss vorgetriebene Blut an allen Stellen
der von ihm erfüllten Gefässe in die benachbarten Theile ein , und daher nach
bekannten Gesetzen an den jeweiligen Gefässenden, also dort, wo die Gefäss-
bildung eben fortschreitet, gerade mit der geringsten Kraft. Aber auch der
Einwand, dass es dabei auf die Stärke des andrängenden Blutstromes nicht an-
komme, sondern darauf, welchen Widerstand er ausserhalb des Gefässes finde,
und dass folglich die Gefässbildung in der Richtung des relativ geringsten der-
artigen Widerstandes erfolge, ist nicht stichhaltig. Allerdings findet das all-
seitig austretende Blut in den umgebenden Theilen einen Widerstand ; welcher
zudem, wie ich annehmen muss, sehr gross ist, da ein allgemeiner Umlauf der
Interstitialfiüssigkeit noch nicht besteht, und sie daher im Bildungsgewebe nur
in dein Masse Blut aufnehmen kann, als der ganze Raum in Folge der morpho-
logischen Umbildungen wächst. Dies geschieht aber ganz allmählich, und desshalb
verlässt auch das Blut die durchbrochenen Gefässe nur ganz unmerklich. Jener
Widerstand ist auch unzweifelhaft verschieden , geringer in der reichlichen In-
terstitialfiüssigkeit des Bildungsgewebes als in den kompakten Embryonal-
anlagen, sodass die sich neubildenden primitiven Gefässe ganz natürlich nur
in dem ersteren erscheinen. Trotzdem bliebe die Erklärung, dass die fort-
schreitende Gefässbildung der Richtung folge, in welcher der vordringende
Blutstrom dem geringsten Widerstände ausserhalb der Gefässe begegne, man-
gelhaft. Denn die Beobachtung lehrt, dass die in Rede stehenden Gefässe in
die weitesten Regionen des interstitiellen Bildungsgewebes , in welche sich das
Blut am reichlichsten ergiesst, sich gerade nicht fortsetzen, sondern ebenso wie
vor der Verbindung der Aortenbögen mit dem Herzen den kompakten Em-
bryonalanlagen folgen, wo dieselben dem Bildungsgewebe. massig weite, be-
stimmt begrenzte Bahnen vorzeichnen. So sehen wir z. B. , dass am oberen
Ende des ersten Aortenbogens, wo der Blutstrom doch die grösste Kraft besitzt,
weder unmittelbar noch durch die Wurzel der A. carotis, welche zwischen dem
1. äusseren Segmente und dem Darmblatte entstand, Gefässstämme in den nach
innen anstossenden weiten Raum des Bildungsgewebes (2. inneres Segment) ab-
zweigen, obwohl der starke Blutaustritt gerade an dieser Stelle aus den über-
Ü. Das interstitielle Bildungsgewebe. 50o
wiegend vielen freien Dotterbildungszellen direkt bewiesen werden kann {Taf.
XIV Fig. 258. .259, Taf. XV Fig. 271. 272). Dasselbe wiederholt sich etwas
spater an der Membrana reuniens superior {Taf. X V Fig. 279 —281). Indem
wir aber durch diese Beobachtungen an die allererste, unter Ausschluss eines
Blutstromes erfolgende Gefässbildung erinnert werden , finden wir in der An-
nahme derselben Bildungsursachen auch für die spätere Fortsetzung jener
Bildung die gewünschte Erklärung. Das Vordringen des Blutstroms und die
Gefässbildung fallen eben nicht ohne weiteres zusammen. Wo das Blut in
weite Räume des lockeren Bildungsgewebes austritt, verbreitet es sich ähnlich
der sich ansammelnden Interstitialflüssigkeit bei der Bildung jenes Gewebes
gleichmässig nach allen Seiten und wird dabei gleichsam in ein formloses Zwi-
schengewebe aufgelöst, dessen flüssige Grundmasse die allgemeine Ernährungs-
flüssigkeit fortdauernd ergänzt und vermehrt, und dessen zellige Bestandteile
als allgemeines plastisches Bildungsmaterial sich zunächst dem Bildungsgewebe
selbst, dann aber allen übrigen Geweben und Organen anpasst. Nur dort da-
gegen , wo der Blutstrom in die beschränkteren Bahnen des Bildungsgewebes
einlenkt, wird er durch die benachbarten festeren Theile so zusammengehalten,
dass seine Bewegung gleich der Ansammlung der Interstitialflüssigkeit bei den
ersten selbstständigen Gefässanlagen nur in bestimmter Richtung wirken, also
das entgegenstehende Netzwerk des Bildungsgewebes allmählich zu röhrenförmi-
gen Bahnen auseinanderdrängen kann. Die aus dem Darmraume in die Em-
bryonalänlagen übertretende Interstitialflüssigkeit und das durch denHerzstoss
vorgetriebene Blut, welches ja im Grunde dieselbe, nur mit Blutzellen vermengte
Flüssigkeit ist, rufen also die Bildung der primitiven Gefässe mit den gleichen
Mitteln und unter gleichen Bedingungen hervor ; und da für die mechanische
Auffassung dieses Vorgangs jener Unterschied der Kraftträger nach Zusammen-
setzung und Ursprung gleichgiltig ist, so darf der übereinstimmende Kausal-
zusammenhang als das einzige wesentliche Moment betrachtet werden. Aus
einer solchen Entwickelungsgeschichte der primitiven Gefässe ergibt sich , dass
unter ihren Bildungsursachen nicht der bewegenden Kraft, sondern den in der
morphologischen Entwickelung gegebenen Formbedingungen die erste Stelle
eingeräumt werden muss ; denn jene wirkt gleicherweise auch in der formlosen
Ausbreitung des Bildungsgewebes und des austretenden Blutes , wird aber erst
durch jene besonderen Bedingungen zur gesetzmässigen Leistung der Gef äss-
bildung gezwungen. — Eine andere und höhere Bedeutung gewinnt die Bildungs-
thätigkeit des Blutstromes, sobald wir nicht nur den Aufbau der primitiven
5i)4: VIII. Die Segmente des Rumpfes.
Gefässe, sondern ihren Zusammenhang, dio kontinnirliclio Leitung dos kreisen-
den Blutes ins Auge fassen. Morphologisch bleiben jene Gefässe gesetzmässig
ausgebildete und angeordnete Lücken des interstitiellen Bildungsgewebes; da-
durch alier, dass ihre ersten in unmittelbarer Nähe des Herzens befindlichen
Anlagen sich sein* frühzeitig mit demselben verbinden, wird die aktive Bildungs-
ursache in die schon bestehenden Gefässe verlegt und wirkt von dort aus succes-
siv in bestimmten Richtungen fortschreitend , sodass einerseits das arterielle,
anderseits das venöse Gefässsystem, deren Trennung erst später erörtert
worden soll (vgl. Abschnitt X), von den Wurzeln aus in zusammenhängenden
Verzweigungen ans wachsen. Es fragt sich nur, wie weit eine solche Entwicke-
lung fortgeht. Aus der bisherigen Darstellung erhellt, dass die primitiven
Gefässe als sekundär-morphologische Theilenur unter bestimmten Bedingungen
entstehen, welche durchaus nicht an allen Stellen des ganzen Körpers gegeben
sind; im folgenden werde ich eine zweite Art von Gefässbildung beschreiben,
welche die von der ersteren zurückgelassenen Lücken ausfüllt, daher unter ganz
veränderten Bedingungen die nicht bestimmt vorgeschriebenen Blutbahnen her-
stellt. Wenn es nun auch unmöglich ist , die einzelnen Grenzen beider Gebiete
durch direkte embryologische Beobachtungen zu bestimmen, so glaube ich doch
mit Rücksicht auf jene doppelte Bildungsweise ohne wesentliche Fehler zur
ersten Gruppe der primären oder Hauptgefässe alle im allgemeinen
regelmässig verlaufenden Arterien und Venen, zu den sekundären Gefässen
dagegen die unbeständigen und unregelmässigen Fortsetzungen der ersteren
mit Einschluss aller Haargefässe zählen zu dürfen. Von dieser Eintheilung kann
man die Dottergefässe ausschliessen, insofern ihre Entstehung mit der Blutbil-
dung zusammenhängt; und auch die Gefässe der Leber und der Urnieren ent-
stehen aus einer gewissen Modifikation des ersten Typus (vgl. Abschnitt X, XI). -
Bevor ich jedoch zur sekundären Gefässbildung übergehe, will ich noch über
den Bau der Wand der Hauptgefässe einige Worte hinzufügen. Als der die
primitiven Gefässräume unmittelbar begrenzende Theil des interstitiellen
Bildungsgewebes ist die ursprüngliche Gefässwand ein von innen her abge-
plattetes und geebnetes Zellennetz, welches aber nach aussen seine Verbindun-
dungen mit dem übrigen Bildungsgewebe behält und dadurch gerade die un-
unterbrochene Fortsetzung der Gefässbildung ermöglicht. Ich bemerkte eben-
falls, dass offenbar in Folge der Abplattung und Verbreiterung der nicht ent-
sprechend auseinanderrückenden Zellen ihre Verbindungsbrücken kürzer und
breiter, die von ihnen umschlossenen Maschen enger würden (Fig. 210). Die
."!. Das interstitielle Bildimgsgewcbe. 505
Umbildung dieses Netzwerks zu einer zusammenhängenden Haut habe ich im
einzelnen nicht verfolgen können. Wenn man aber die nachweisbar noch fort-
dauernde Verdünnung der primitiven Gefässwand und den ganz ähnlichen
Entwickelungsgang der äusseren Chordascii eide berücksichtigt, so darf man
annehmen, dass die spätere Haut als eine Fortsetzung des anfangs beobachteten
Vorgangs entsteht, indem mit der Abplattung der Zellen die Verengerung ihrer
Zwischenräume Schritt hält und zuletzt eine vollständige Verschmelzung der
orsteren zu einer nicht mehr zelligen Membran herbeiführt {vgl. Taf. XII
Fig. 212 a). Eine solche Membran, welche ähnlich der noch nicht differen-
zirten äusseren Chordascheide' aus einer kontinuirlichen homogenen Grund-
substanz mit den eingestreuten Kernen besteht, halte ich für die Anlage der
epithelialen Innenhaut der Arterien und Venen, weil sie nach der Entwicklung
der sich anschliessenden Haargefässe unmittelbar in deren Wand übergeht.
Alsdann würden die Epithelzellen nachträglich um die freien Kerne entstehen,
alle übrigen Theile der Gefässwand aber aus dem interstitiellen Bildungsgewebc,
der Anlage der meisten Bindesubstanzen, von aussen angelagert werden, wobei
natürlich zunächst an die freien Dotterbildungszellen und deren spätere Ana-
loga gedacht werden muss.
Ich habe es oben zu erklären versucht, warum die Hauptgefässe nur in
bestimmten Linien sich entwickeln , und alle übrigen Räume daher auf eine
andere Weise mit Gefässen versehen werden müssen. Solche Räume sind über-
all dort zu finden, wo das Bildungsgewebe nicht in regelmässige Grenzen von
bestimmter Ausdehnung eingeschlossen ist, also zunächst in den Membranae
reunientes und an fortlaufenden Flächen (Oberfläche des Centralnervensystems.
der Bauchmuskeln), später gerade in den engsten Spalten innerhalb der Organe,
sobald das Bildungsgewebe so weit vorgedrungen ist, oder in der nächsten Um-
gebung der schon bestehenden Hauptgefässe. Da allen diesen Räumen be-
stimmt angeordnete Widerstände gegen die sich ansammelnde Interstitiab
llüssigkeit gerade fehlen, so können die sekundären Gefässe auch nicht aus den
Interstitiell, d.h.alslntercellularräume entstehen; und die bisherige Darstellung
lenkt daher die Aufmerksamkeit ganz naturgemäss auf das Zollennetz des
Bildungsgewebes selbst. — Etwa in der Mitte der zweiten Larvenperiode be-
ginnt an einzelnen Stellen desselben, welche aber mit den schon bestehenden
Gefässen gewöhnlich in keinem unmittelbaren Zusammenhange stehen, eine
Umbildung der Zellensubstanz, welche an die Vakuolenbildung in den ursprüng-
lichen Chordazellen erinnert und im wesentlichen in einer verstärkten Auf-
5) )i ; VIII. Die Segmente des Rumpfes.
saugung der Interstitialflüssigkeit in das Innere der Zellen beruht (Tu f. XII
Fiy. 211. 212). In den eigentlichen Zellenkörpern wird erst die feste Dotter-
substanz aufgelöst und dann verflüssigt, was man an der Lichtbrechung der
an ihre Stelle tretenden Substanz erkennt. In den dünnen Verbindungsfäden
und ihren konischen Ursprungsstellen, wo die Dotterplättchen bereits fehlen,
scheint aus diesem Grunde die Aufsaugung der Flüssigkeit beschleunigt zu sein ;
denn diese Theile schwellen rasch bis zu einem ansehnlichen Durchmesser an
und sind schon mit klarer Flüssigkeit gefüllt, während die Dottersubstanz der
Zellenkörper noch in der Auflösung begriffen ist. Zugleich bemerke ich aber
in dieser Flüssigkeit zerstreute Dotterplättchen, welche unmittelbar vorher in
den Verbindungsfäden fehlten und daher nur aus den anstossenden Zellen-
körpern hineingeschwemmt sein können; woraus zu schliessen ist, dass die
Flüssigkeit jener röhrenförmigen Verbindungsstücke die feste Substanz der an-
stossenden Zellenkörper unterwühlt und deren Zerfall beschleunigt. Und wenn
man ferner berücksichtigt, wie die letzteren sich in ihrer Gestalt den sie ver-
bindenden kurzen Röhrchen anpassen, so wird man den Einfluss solcher im
wesentlichen bereits fertigen Abschnitte den Gefässanlagen auf die ihnen an-
geschlossenen, noch in der Umbildung begriffenen nicht verkennen (vgl. Fig.
211). Es ist klar, dass die Entwicklung dieser mit Flüssigkeit gefüllten
Röhren die gleichzeitige Bildung einer sie umschliossenden Membran voraus-
setzt, da die Embryonalzellen eine solche nicht besitzen. Eine derartige Ver-
dichtung der peripherischen Schichten scheint überhaupt eine nothwendige
Begleiterscheinung oder Folge der Verflüssigung eines Zelleninnern zu sein, und
wenn ich dabei wiederum an die sich umbildenden Chordazellen erinnere, so
lässt sich gleich noch eine Aehnlichkeit der sekundären Gefässanlagen mit den-
selben hervorheben. In beiden Fällen werden die Kerne in die Auflösung der
übrigen Zellensubstanz nicht einbezogen, sondern an die Peripherie gedrängt,
abgeplattet und in die sich gerade bildende Membran aufgenommen. An den
Gefässanlagen ist übrigens die Vermehrung ihrer Kerne durch Theilung leicht
nachweisbar, indem man oft in einem Zellenkörper zwei und mehr Kerne dicht
zusammengedrängt, und anderseits einen Theil derselben bis in die ursprüng-
lichen Fortsätze vorgerückt findet. Es spricht sich darin sehr deutlich die Auf-
lösung des Bestandes der einzelnen Zellen aus, indem nicht nur ihre mit einan-
der verschmolzenen Leiber in kontinuirliche Röhren verwandelt werden, sondern
ihre in die Röhrenwand verdrängten Kerne sich in derselben ohne Rücksicht
auf die ehemaligen Grenzen der zugehörigen Zellen verbreiten: die Eiuzeltheile
3. Das interstitielle Bildungsgewebe. 507
der letzteren weiden eben aus der individuellen Anordnung in eine Massenord-
nung übergeführt. — Alle diese Umbildungen des Zellennetzes des Bildungs-
gewebes fassen sich an geeigneten Stellen, z. B. an der Oberhaut des Central -
nervensystems (Pia mater), nebeneinander und in kontinuirlichem Uebergango
beobachten. Die betreffende Abbildung Fig. 212 zeigt uns ferner diejenige
seltenere Form der sekundären Gefässbildung, wo das gesammte Zellennetz des
va\ Grunde liegenden Bildungsgewebes in der angegebenen Weise kanalisirt wird
{vgl. Taf. XI Flg. 209). Die natürliche Folge davon ist, dass die neugebildete n
Gefässe gleichfalls ein Netzwerk darstellen, welches in Folge der Anschwellung
der ursprünglichen Zellenfortsätze ziemlich engmaschig ist und sich frühzeitig
mit dem nächsten Hauptgefässe, im angezogenen Falle der A. basilaris, ver-
bindet. Denn es erhellt, dass, wenn alle Zellenfortsätze einer bestimmten Re-
gion des Bildungsgevvebes zur Gefassbildung herangezogen werden, dies auch
diejenigen trifft, welche mit den Wandzellen der benachbarten Hauptgefässe
zusammenhängen. Bei der Eröffnung des sekundären Gefässnetzes in das
Hauptgefäss fliessen aber zuerst nur die beiderlei Fluida zusammen, weil die
Lichtung der sekundären Gefässröhren anfangs noch zu eng ist, um den Ein-
tritt der Blutzellen zu gestatten (Fig. 212). Da jedoch die beiderseitigen Flüs-
sigkeiten gleicherweise aus der Interstitialfiüssigkeit abstammen, so verhalten
sich die sekundären Gefässe zum eindringenden Blutstrom ebenso wie die aller-
ersten Gefässe : der in beiderlei isolirten Anlagen befindliche flüssige Inhalt
ist mit vollem Recht auch vor der Beimischung von Blutzellen ein embryonales
Blutserum zu nennen, sodass der Blutstrom ebenso wenig einen völlig neuen
Inhalt in die vorgebildeten Bahnen einführt, als er dieselben erst ausgräbt.
Denn wenn auch die vom Hauptgefäss entspringenden Zellenfortsätze in man-
chen Fällen früher ausgehöhlt werden als die davon entfernteren , so scheint
mir doch , nachdem ich die unzweifelhaft isolirten Gefassanlagen beobachtet
habe, die Annahme natürlicher, dass der Blutstrom die auf endosmotischem
Wege bereits kanalisirten Fortsätze bloss erweitere, als dass sein Stoss gerade
diejenigen Stellen der von ihm bespülten Gef ässwand , welche Fortsätzen zum
Ursprung dienen, durchbohre und darauf die letzteren aushöhle. — Diese Be-
merkungen über die Verbindung mit den Hauptgef ässen beziehen sich auf alle
sekundären Gefässe; nicht alle entstehen jedoch wie die erwähnten unter Be-
nutzung des gesammten zur Stelle befindlichen Bildimgsgewebes. Gerade in
den weiteren Regionen desselben , z. B. in der Membrana reuniens superior des
Rückens, wo die vollständig isolirten Gefassanlagen so überaus deutlich zu
508 VIII. Die Segmente_des Rumpfes.
sehen sind, umfassen sie nur gewisse verzweigte Linien in dem ganzen Zellen-
netze, bei deren unregelniässiger Gestalt es ganz unmöglich ist, die lokalen
Ursachen der getroffenen Auswahl zu entdecken (Fig. Ml). Im einzelnen geht
dort die Entwickeluug durchaus in der beschriebenen Weise vor sich , und es
bliebe nur die Erscheinung zu erörtern, dass solche Gefässanlagen trotz ihrer
unregelmässigen Form und Ausdehnung endlich doch zu einem geschlossenen
Röhrensystem und mit den Hauptgefässen zusammenfliessen. Ohne die mehr-
fach betonte allseitige Kontinuität des interstitiellen Bildimgsgewebes wäre ein
solcher Fortgang der Entwickeluug nicht recht verständlich, wenn man nicht zu
unbegründeten Hypothesen seine Zuflucht nehmen will; durch die Erkenntniss
jener besonderen Erscheinungsform des Bildungsgewebes ist zunächst die Mög-
lichkeit sichergestellt, dass die sekundären Gefassanlagen nach allen Seiten
Fortsetzungen erhalten und folglich Verbindungen sei es unter sich, sei es mit
Hauptgefässen eingehen. In der Ausführung dessen vermag ich aber ein be-
stimmtes allgemeines Formgesetz nicht zuerkennen; ebenso wie die Ausbildung
der ersten, auf gewisse Linien beschränkten und isolirten sekundären Gefäss-
anlagen von der zufälligen Anordnung der dazu geeignetsten Stellen des Bil-
dungsgewebes abhängt, müssen auch die späteren Verbindungen ihrer unregel-
mässigen Verzweigungen gewissennassen dem Zufall unterliegen, wobei jedoch
gewisse günstige und sie daher bestimmende Bedingungen nicht zu verkennen
sind. Wenn sekundäre Gefässanlagen einander oder primären Gefässen so
nahekommen, dass nur eine relativ kurze Zellenbrücke zwischen ihnen übrig
bleibt, so wird sie wie ich glaube unter dem Einflüsse der von zwei Seiten sich
ihr anschliessenden, mit Serum gefüllten Hohlräume leichter ausgehöhlt werden
als andere in indifferentes Bildungsgewebe übergehende Fortsätze derselben
Anlagen; gerade so wie in den ersten sekundären Gefässanlagen die Aushöh-
lung der zwischen die bereits röhrenförmigen Abschnitte eingeschalteten, noch
undurchgängigen Theile (Zellenkörper) unter dem Einflüsse der ersteren be-
schleunigt wird. Mit anderen Worten, die Verbindung zweier benachbarter
Enden von sekundären Gefässanlagen oder einer solchen und eines benach-
barten Hauptgefässes auf dem nächsten Wege des mit ihnen zusammenhängen-
den Bildungsgewebes ist im allgemeinen wahrscheinlicher als ihre Fortsetzung
in getrennten Bahnen. Und diese günstigen Bedingungen für die Her-
stellung eines geschlossenen Gefässnetzes steigern sich noch, sobald der Blut-
strom in das sekundäre Gefässsystem eingedrungen ist und ähnlich wie bei den
Hauptgefässen die Kanalisirung der mit den fertigen Gefässen Zusammenbau-
3. Das interstitielle Bildungsgewebe. 509
genclen Theile des Bildungsgewebes unterstützt und anregt. Auf diese Weise
verbreitet sich das sekundäre Gefässsystem als kontinnirliche Fortsetzung des
primären schon zu Ende der ersten Larvenperiode durch alle Körpertheile, so-
dass für isolirte, d. h. mit fertigen Gefässen nicht unmittelbar verbundene
sekundäre Gefässanlagen eigentlich kein Raum mehr vorhanden ist, und die
quellenden, zur Gef ässbildung sich vorbereitenden Zellenstränge oder einzelnen
Fäden des Bildungsgewebes nur im Anschlüsse an die fertigen Gefässe und vor-
zugsweise , wenn nicht ausschliesslich von den Stellen aus kanalisirt werden,
wo sie mit jenen zusammenhängen und die Verflüssigung ihres Innern vom
Blutstrome her begünstigt und beschleunigt wird. In diesen vorgerückten
Perioden, wann die Dotterplättchen bereits aus dem ganzen Bildungsgewebc
verschwunden sind, erscheinen die Bilder, an denen man bisher allein die Ent-
wickelung der Gefässe studirte und welche man, wie ich behaupten muss, falsch
deutete , weil die nothwendige Kenntniss von der vorausgegangenen Entwicke-
lung und überhaupt von dein Bestände des interstitiellen Bildungsgewebes, so-
wie von der Abstammung aller Gefässe aus demselben fehlte. Auch ich sehe
an den Gefässen des Larvenschwanzes, dieses bevorzugten Objekts histiogene-
tischer Untersuchungen, feinere und gröbere Fortsätze entspringen, welche
theils mit noch indifferenten Zellen des Bildungsgewebes und so indirekt unter-
einander zusammenhängen, theils unmittelbar fertige Gefässe verbinden , oder
endlich scheinbar frei enden (Taf. XII Fig. ,213). Die Kanalisirung der ersteren
habe ich an lebenden Larven verfolgt, und gefunden, dass sie durchaus über-
einstimmend mit der oben gegebenen Darstellung verläuft. Erst schwellen
die Fortsätze vor ihrer Aushöhlung etwas an , ferner erfolgt die letztere zuerst
an den dazu geeignetsten Ursprungsstellen der Fortsätze, um dann in den dazu
vorbereiteten Bahnen fortzuschreiten. Dass dabei ein Zusammenfluss der be-
nachbarten Röhrenenden vermittelst der nächsten Verbindungsbahn des Bil-
dungsgewebes stattfindet, bedarf nach dem oben Gesagten keiner weiteren Er-
läuterung. * Noch einfacher liegen die Verhältnisse bei den direkten , nieist
fadenförmigen Verbindungen zweier Blutgefässe, welche Fäden bei der Ausdeh-
* In der Fig. 213 sind diese Verbindungen der fertigen Blutgefässe mit den Zellen- und
Fasernetzen des Bildungsgewebes nur an zwei Stellen (h, h) in geringer Entwicklung, viel
charakteristischer dagegen an den Lymphgefässen zu sehen ( m , m, o, o), welche sich im
wesentlichen ganz so wie die Blutgefässe entwickeln.
510 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
nung der ganzen wachsenden Gewebsmassen gewöhnlich in geraden Linien an-
gespannt erscheinen {Fig. 213 i, i). Wie steht es nun aber mit den scheinbar
frei auslaufenden Gef ässfortsätzen , aus denen schliesslich fortlaufende Gefäss
schlingen entstehen? Dass sie aus der glatten Gefässwand hervorwüchsen (Ge-
fässsprossen), behauptet doch wohl niemand thatsächlich gesehen zu haben •,
ich darf sie daher mit Recht für die ursprünglichen Fortsätze derjenigen Zellen
erklären , welche die zugehörigen Gefässe in der einen oder der andern Weise
bildeten. Wenn man sich ferner davon überzeugt hat, welche Mühe es kostet,
an möglich dünnsten Präparaten der Gewebe eben des Larvenschwanzes die
feinsten Fasernetze des Bildungsgewebes zu verfolgen (vgl. Fig. 220), wird man
nicht behaupten können, dass alle am unversehrten Schwänze der lobenden
Larve, also unter sehr viel ungünstigeren Beobachtungsbedingungen gesehenen,
scheinbar freien Gefässfortsätze wirklich solche sind. Und wenn endlich ein
solcher Fortsatz nach der herrschenden Ansicht während seiner Umbildung mit
seinem freien Ende bogenförmig und genau auf dasjenige des benachbarten
Fortsatzes stossen soll, um eine Gefässschlinge zu bilden, so kann ich mich zu
der Annahme eines solchen unerklärlichen, aus offenbar unvollkommener Be-
obachtung erschlossenen Vorgangs um so weniger entschliessen, als sich die
ganze Erscheinung natürlich und mit den günstiger beobachteten analogen
Fällen vollkommen übereinstimmend erklärt, sobald man annimmt, dass die
ursprünglichen feinen Verbindungen der Fortsätze bei der Ungunst der Be-
obachtungsbedingungen sich der Erkenntniss entzogen. Das allmähliche Hervor-
wachsen der angeblich frei auslaufenden Gefässfortsätze wäre demnach als die
von ihrer Wurzel aus fortschreitende Anschwellung der am lebenden Thiere
unsichtbaren Fäden aufzufassen , deren schon vorher bestehender Zusammen-
hang die Bildung der Gefässschlingen vorzeichnet, indem, wie ich auseinander-
setzte, die nächsten Verbindungen zweier Gefässröhren leichter kanalisirt
werden als ihre ins indifferente Zellennetz übergehenden Fortsetzungen. — Da
die spätere Ausbreitung des sekundären Blutgefässnetzes von dem durch die
Dotterbildungszellen unterhaltenen Wachsthume des interstitiellen Bildungs-
gewebes abhängig ist, so bedarf es kaum der Erwähnung, dass die Faser- und
Zellennetze des letzteren nur in Bezug auf die einzelne in ihnen stattfindende
Gefässentwickelung als vorgebildet betrachtet werden müssen, im übrigen aber
sich zu jeder Zeit neubilden können. Denn nachdem Golubew die Umbildung
der aus fertigen Kapillargefässen austretenden Blutzellen in die sogenannten
Sternzellen, d. li. die Elemente des Bildungsgewebes, in späteren Entwickekings-
3. Das interstitielle Bildungsgewebe. 511
perioden direkt beobachtet hat, ist es höchst wahrscheinlich , dass dieser Ver-
lauf der beständigen Ergänzung des allgemeinen Bildungsgewebes, welcher
schon vor der Existenz von Kapillargefässen durch die Vermittel ung der primi-
tiven Hauptgefässe in ganz ähnlicher Weise bestand, sich mit gewissen Abän-
derungen bis in das spätere Leben des ausgebildeten Thieres erhält. Diese
Abänderungen bestehen einmal darin, dass die sekundären Gefässe nicht netz-
örmig durchbrochen sind, der unzweifelhafte Austritt der Blutzellen aus ihnen
daher unter anderen, noch nicht genügend erkannten Bedingungen erfolgt; und
da die Wände der Hauptgefässe und eines Theiles der sekundären Gefässe sich
allmählich verdichten und verdicken, so wird der Blutaustritt endlich gerade auf
die aus den letzteren hervorgehenden Kapillaren beschränkt. Ferner sind die
später austretenden Blutzellen nicht mehr die indifferenten, dotterhaltigen Ge-
bilde wie in der ersten Larvenperiode, sondern vollständige und wirkliche „Ele-
mentarorganismen" (vgl. Abschnitt X, XI), deren selbstständige Bewegungen
und Formveränderungen ihre Anpassung an die verschiedensten Gewebe,
namentlich aber die Einfügung in das Zellennetz des interstitiellen Bildungs-
gewebes wesentlich unterstützen. Immerhin bleibt es sehr bemerkenswerth,
dass die doppelte Thätigkeit des Blutes , nämlich der allgemeinen Ernährung
durch die beständige Erneuerung und Ergänzung jeder Interstitialfiüssigkeit
und der plastischen Bildung durch die auswandernden Bildungszellen (Wander-
zellen), schon zu derselben Zeit wie die histologische Entwickelung des Embryo
überhaupt ihren Anfang nimmt.
Ein Vergleich der primären und sekundären Gef ässbildung weist zunächst
einen bedeutsamen Unterschied beider nach ihrem Ursprünge auf; die erstere
verwandelt röhrenförmige Intercellulargänge des Bildungsgewebes, die andere
ebensolche Intracellulargänge in Blutgefässe, wobei dort nur die schon be-
stehende Interstitialfiüssigkeit als erstes Blutserum eingeschlossen, hier dasselbe
erstdurch Vermischung der aufgesogenen Flüssigkeit mit dem aufgelösten Zellen-
innern hergestellt wird. Die Ursachen dieser Verschiedenheit habe ich weiter
oben zu erläutern versucht; der schliessliche Erfolg der Bildung ist aber in
beiden Fällen derselbe. Denn einmal ist der letztgenannte Unterschied ein
ganz unwesentlicher, da es sich bei der Bildung des Blutserums doch nur um
die stoffliche Zusammensetzung handelt, welche dieselbe bleibt, ob nun die
Dotterlösung innerhalb der Zellen diluirt oder in Folge der endosmotischen
Vorgänge bei der allmählichen Umbildung der Zellen ausserhalb derselben der
Interstitialfiüssigkeit beigemischt wird. Was aber den Formwerth des Gewebes
512 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
der einfachen Gefässwände (Innenhaut und Kapillarwand) Detrifft, so muss ich
ihn auf Grund derselben Erwägung, welche mich bei der Beurtheilung der
verschieden angelegten Muskelfasern leitete, bei primären und sekundären Ge-
lassen für ganz gleich erklären. In beiden Fällen wird der Formbestand der
die Gefässwand bildenden Embryonalzellen, wie aus meiner Darstellung genug-
sam erhellt, vollständig aufgelöst und dadurch ihre individuelle Formentwicke-
lung unterbrochen, sodass der Formwerth der Elemente einer fertigen Gefäss-
wand nicht mehr genetisch, sondern nur nach dem gerade vorliegenden ana-
tomisch-physiologischen Befunde beurtheilt werden darf. Nun besteht aber
die Wand der primären wie der sekundären Gefässe in der früheren Larvenzeit
gleicherweise aus einer homogenen Membran mit eingestreuten, sich stetig ver-
mehrenden Kernen; wo sie später in den Arterien und Venen zur Innenhaut
wird, zerfällt die Grundsubstanz in zellenähnliche Bezirke, welche sich um je
einen Kern bilden , und in den Kapillaren , deren Wand durch keinen äusseren
Ueberzug verstärkt wird , lässt sich jene sekundäre Zellenbildung wenigstens
künstlich veranschaulichen, sodass, wenn man in den bekannten Silberfiguren
auch nicht den Ausdruck eines vollkommenen Zellengefüges sehen mag, die-
selben doch im allgemeinen die Grenzen der von den einzelnen Kernen be-
herrschten Gebiete der Grundsubstanz darstellen dürften, in dem Sinne wTic
Viechow die von ganzen Zellen abhängigen „Zellenterritorien" auffasste. Man
kann also sagen, dass die Zellenbildung in den Wänden der Haargefässe bloss
weniger weit fortgeschritten ist als in der Innenhaut der Arterien und Venen,
was aber die wesentliche Uebereinstimmung beider Membranen nicht beein-
trächtigt. Ganz besonders wird dies dadurch bestätigt, dass in jenen sekun-
dären Gefässen, welche sich in Arterien und Venen verwandeln, dieselbe Mem-
bran zur epithelialen Innenhaut wird, welche in der unmittelbaren kapillären
Fortsetzung keine vollkommenen Zellen entwickelt ; dass also zwischen beiden
Zuständen kontinuirliche Uebergänge in derselben Grundlage bestehen. Wenn
daher die Bedeutung der intra- und intercellulären Abschnitte des Blutgefäss-
systems auf die allerersten Entwicklungsstufen desselben beschränkt bleibt,
so bringt uns dies wieder einen Schritt näher zur Auffassung , dass ganz allge-
mein der Formwerth der Gewebselemente von ihrer Genese unabhängig ist.
In der voranstellenden Entwickelungsgeschichte der Blutgefässe habe ich
dargestellt, wie sie anfangs in selbstständigen Anlagen, dann im Anschlüsse
an die schon bestehenden Gefässe und unter dem Einflüsse des sie durch-
strömenden Blutes im Bildungsgewebe entstehen und durch die konthmirlichen
3. Das interstitielle Bildungsgewebe. 513
Netzbahnen desselben sieb allmählich immer weiter ausbreiten. Aber schon
während der ersten Ausbildung dieses Gefässnetzes haben sich andere davon
unberührte Tlieile des interstitiellen Bildungsgewebes in anderer Weise umzu-
bilden begonnen, sodass sie dadurch die Fähigkeit zur Gefässbildung verlieren.
Ueberall wo diese Tlieile des Bildungsgewebes mit den fertigen oder in Ent-
wickelung begriffenen Gefässen zusammenhängen, lösen sich die Verbindungs-
fäden entweder in Folge der heterogenen Differenzirung von den Gefässen all-
mählich ab, oder wenn dies trotz der divergenten Entwickelung nicht geschieht,
so büssen sie doch die innige G.ewebskontinuität mit der primitiven Gefässwand
ein und werden zu bloss angelagerten Gewebstheilen , welche die Anfügung
neuer Bildungselemente an jene Gefässwand unterstützen oder deren späteren
Zusammenhang mit anderen Geweben, insbesondere den Nerven vermitteln
mögen. Auf diese Weise wird das Blutgefässnetz aus dem kontinuirlichen Ge-
füge dos interstitiellen Bildungsgewebes als besonderes Gewebssystem heraus-
gelöst, ohne jedoch allen Zusammenhang mit den übrigen Geweben einzubüssen
und unbeschadet der Fähigkeit, bei der ununterbrochenen Ausbreitung und
Ergänzung des Bildungsgewebes den eigenen Bestand fortdauernd auszudehnen.
Während dieser Herauslösung des Blutgefässsystems entwickelt sich das
Lymphgefässsystem, welches Kölliker im Schwänze der Froschlarven
entdeckte und dessen Verzweigungen ich an dem gleichen Objekte untersuchte.
Ihre erste Entstehung im Bildungsgewebe konnte ich nicht mit Sicherheit er-
mitteln ; da sie aber auf einer vorgeschrittenen Entwickelungsstufe nur durch
den Mangel eines Blutstroms, durch kleinere Lichtung und grössere Zartheit,
nicht aber in ihrer äusseren Gestalt und dem Bau ihrer Wand sich vor den
sekundären Blutgefässanlagen auszeichnen, und da sie ferner alsdann noch mit
unvollkommen ausgehöhlten oder selbst soliden Zellen- und Fasernetzen zu-
sammenhängen und in solche auslaufen, soschliesse ich daraus, dass die Lymph-
gefässe sich in ähnlicher Weise bilden, wie die sekundären Blutgefässe (Taf.
XII Fig. 213). Aus diesem Grunde will ich mich bei ihrer Histiogenese nicht
aufhalten und nur noch die Verbindung dieser Gefässanlagen zu einem beson-
deren kontinuirlichen Röhrensystem der Betrachtung unterziehen. Entwickelte
sich das ganze Lymphgefässsystem bloss aus dem Zusammenflusse jener feinen
netzförmigen Anlagen und gar zur selben Zeit mit den isolirten sekundären
Blutgefässanlagen, so wüsste ich keinen haltbaren Grund anzugeben, warum
die beiderlei gleichartigen Anlagen in dem ihnen gemeinsam zu Grunde liegen-
den kontinuirlichen Netzwerke des Bildungsgewebes sich nicht vielfach mitein-
Goettk, Eutwickeliuigsgescbichte, 33
514 VIII. Die Segmente des Rumpfes
ander verbinden sollten. Das LymphgefäsSsystem hat aber auch eine morpho-
logische Anlage, welche jedoch als Theil des Darmblattes (Schwanzdarm) erst
später beschrieben werden soll (vgl. Abschnitt X). Dieser unter der Wirbelsaite
hinziehende Zellenstrang, an welchen sich das umgebende Bildungsgewebe
schon bei seiner ersten Entstehung befestigt , verwandelt sich in den subverte-
bralen Lymphgefässstamm, nachdem das sekundäre Blutgefässnetz bereits an-
gelegt ist; und erst darauf erscheinen die in zarte Zellennetze auslaufenden
Verzweigungen jenes Stammes (Taf. XIII Fig. 244. 245, Taf. XXI Fig. 372.
377). Es folgt daraus, dass das aus dem Bildungsgewebe hervorgehende Lymph-
gefässsystem erst im Anschlüsse an den bereits hergestellten Gefässstamm
entsteht und zwar zu einer Zeit, wann auch die weitere Ausbildung dos Blut-
gefässsystems sich lediglich auf eine wachsende Verzweigung und Verbindung
schon bestehender Blutbahnen beschränkt. Die beiden Gefässsysteme breiten
sich also, von einem bestimmten Zeitpunkte an, von genetisch gesonderten
Stammbahnen in dasselbe Bildungsgewebe aus, jedoch mit einem bemerkens-
werthen Unterschiede in den wirkenden Bildungsursachen. Sobald der Lymph-
gefässstamm vollendet ist, mündet er auch schon an der Schwanzwurzel in die
Venen, sodass der Abfluss seines Inhalts die Aufsaugung der Interstitialflüssig-
keit in die mit ihm unmittelbar verbundenen- Theile des Bildungsgewebes und
dadurch deren Umbildung zu Verzweigungen des Lymphgefässstammes hervor-
ruft. Da nun jener Abfluss fortdauert, eine andere Zufuhr als aus der Inter-
stitialiliissigkeit sich aber nicht entwickelt, so wird die Aufsaugung der letzteren
zur bleibenden Funktion des Lymphgefässsystems. Das Blutgefässsystem,
welches ganz in derselben Weise durch stärkere Ansammlung oder Aufsaugung
jener Flüssigkeit in die zu bildenden Röhren angelegt wurde, hat diesen
Bildungsgang zur Zeit der Lymphgefässentwickelung bereits verändert und ge-
wissermassen umgekehrt, indem das in die ersten Gefässe einströmende Blut
unter dem Drucke des Herzstosses nur nach aussen diffundiren kann, d. h. so-
wohl in die freie Interstitialflüssigkeit als auch in die sich an die Gefässwand
unmittelbar anschliessenden Zellenstränge, welche dadurch eben von den fertigen
Gefässen aus kanalisirt werden und dann deren Thätigkeit erben. Diese
formale Verschiedenheit der endosmotischen Grundbedingungen beider Gefäss
bildungen, welche allerdings den allgemeinen Charakter der betreffenden Histio-
genese nicht berührt und dieselbe bei Lymph- und sekundären Blutgefässen
gleich verlaufen lässt, scheint mir dagegen die Verbindung beider verschiedenen
Stromgebiete im Biläungsgewebe zu verhindern; denn wo eine Lymph- und
3. Das interstitielle Bildungsgewebe. . 515
eine Blutgefässanlage auf den Zellenbahnen des Bildungsgewebes einander nahe
kommen, werden ihre verschieden gerichteten Diffusionsströme leichter ein
jeder für sich in den anstossenden indifferenten Theilen des Gewebes Anpas-
sungen hervorrufen, als sich einander anpassen , ist also eine getrennte Fort-
setzung beider Anlagen viel wahrscheinlicher als ihr Zusammenfluss. Diese
Trennung beider Gefässsysteme und ihre entgegengesetzten Funktionen stehen
aber auch in innigem ursächlichen Zusammenhange. Denn sowie bekanntlich
die Diffusion des Blutes aus den geschlossenen Blutbahnen nur so lange möglich
ist, als einerseits die allgemeine Interstitialflüssigkeit durch den ununterbroche-
nen Abfluss in die Lymphgefässe und anderseits das Blut selbst durch die Zu-
fuhr desselben Lymphstromes in den erforderlichen Spannungsverhältnissen
erhalten werden , so beruht auch die Fortentwickelung beider Gefässsysteme
auf denselben Grundsätzen. Vor der Entwrickelung des peripherischen Lymph-
m'fässsystems ist nämlich der Uebertritt des Blutes in die Gewebszwischenräume
abhängig von der andauernden Ausdehnung derselben einerseits und der be-
ständigen Zufuhr von der Dotterzellenmasse (Blutzellen) und dem flüssigen
Darminhalte anderseits. Sobald diese Zufuhr bei der fortschreitenden Umbil-
dung des Darmkanals versiegt und von der periodisch unterbrochenen Aufsau-
gung der aufgenommenen Nahrung ersetzt wird, würden die Spannungen des
geschlossenen Blutkreislaufs und der allgemeinen Interstitialflüssigkeit während
der Pausen sofort ausgeglichen und mithin die Diffusion des Blutes sistirt
werden , wenn nicht die Entwicklung des Lymphgef ässsystems jene Ausglei-
chung verhinderte und gleichsam einen beständigen Kollateralkreislauf von
den Blutkapillaren durch die Gewebe in die Lymphgefässe und darauf die
Venen herstellte. Der regelmässige Verlauf dieses vom Blute ausgehenden
Stromes Ist aber gerade die Ursache, dass stets die ihm nächsten Zellennetze
des Bildungsgewebes im Zusammenhange kanalisirt werden und das Blutgefäss-
system auf diese Weise kontinuirlich auswächst, während andernfalls seine
Zunahme vom zufälligen Anschluss getrennter und blind endigender Röhren-
netze abhängig und eine ebenso zufällige Verbindung mit dem Lymphgef äss-
system nicht ausgeschlossen wäre. Anderseits ist die Ausbreitung des letzteren
unmittelbar abhängig von einer entsprechenden Entwich elung der Blutbahnen,
indem diese die Menge der aufzunehmenden Lymphe, also auch den Abfluss
derselben bestimmen, welcher, wie ich oben ausführte, als die Ursache der
Bildung von neuen Lymphgefässen angesehen werden kann. — Ausser den
eben besprochenen Lymphgefässen , die ich gleich meinen Vorgängern nur im
33*
5lß VIII. Die Segmente des Rumpfes.
Larvenschwanze, einen Theil der Rückenflosse mit einbegriffen, verfolgt habe,
gibt es noch andere Lymphbahnen, auf welche ich erst weiter unten beim
Bindegewebe zu sprechen komme.
Die selbstständig angelegten Nervenstamme kommen, indem sie in das
Bildungsgewebe hineinwachsen, alsbald mit T heilen desselben in Berührimg
und verbinden sich darauf mit ihnen. Da ich niemals isolirte Anlagen von
Nervenverzweigungen im Bildimgsgewebe antraf, welche sich nicht hätten
bis zu den Nervenstämmen verfolgen lassen, so muss ich annehmen, dass die
eigentümliche histologische Sonderung dieser Stämme durch ihre Fortsetzung
in die angeschlossenen Zellenbahnen des Bildimgsgewebes die letzteren erst
dem Nervensystem anpasst. Auf diese Weise schreitet die feinere Nervenver-
zweigung allerdings centrifugal fort, aber nicht von den eigentlichen Nerven -
centren , sondern bloss von den ursprünglich angelegten Nervenstämmen aus,
und nicht durch ein Auswachsen derselben, sondern durch eine Anpassung von
sich ihnen anfügenden neuen Theilen. Dies sind natürlich nur solche Abschnitte
des interstitiellen Zellennetzes, welche nicht schon in irgend einer anderen
Richtung sich zu differenziren begonnen haben; und auf diesen Bahnen geht
die Nervenbildung so weit fort, bis sie die zur Schlussbildung der Nervenenden
geeigneten Stellen in Muskeln, Epithel- und Drüsenzellen u. s. w. erreicht hat.
Innerhalb des Bildungsgewebes ist es auch leicht nachzuweisen, dass die einzel-
nen ursprünglichen Zellenfortsätze desselben zu ganzen Nervenbündeln werden,
und gerade im Schwänze jüngerer Larven offenbaren sich die Knotenpunkte
des feinen, meist geradlinigen Nervennetzes auf das deutlichste als die regel-
mässigsten Sternzellen, deren Verbindungen durch die Ausdehnung des ganzen
Netzes sehr lang ausgezogen wurden {Taf. XII Fig. 213). Aber auch für
stärkere Nervenzweige lässt sich die ursprüngliche Zusammensetzung eines
längeren Abschnittes aus wenigen Zellen , deren Fortsätze theils sich zu einem
Stämmchen verbinden, theils zu selbstständigen Verzweigungen divergiren, mit
aller Sicherheit feststellen, wenn diebetreffende Stelle, wie z. B. am Ende des
Ramus nasalis vom N. trigeminus, an verschiedenen Larven leicht aufgefunden
und bestimmt werden kann (Fi//. 219). Für die ausserordentlich reichen netz-
förmigen Endverzweigungen der Schwanznerven oder mit anderen Worten, für
ihre Zusammensetzung aus stark verästelten Sternzellen verweise ich bloss auf
Fig. 220.
Die dritte (iewebsform, welche aus dem interstitiellen Bildungsgewebe her-
vorgeht, umfasst eine Gruppe von äusserlich verschiedenen Bildungen, welche
3. Das interstitielle Bilduiigsgewebe. 51 7
aber wegen ihrer gleichartigen Funktionen und der mannigfachen Uebergänge
in einander sehr nahe verwandt erscheinen und desshalb mit einem gemeinsamen
Namen als „Bind es üb stanz" bezeichnet werden. Vergegenwärtigt man sich,
dass dieselbe nicht nur als Bindemittel der physiologisch höheren Gewebe,
sondern auch in Form von Scheiden, Stützen und Unterlagen für dieselben er-
scheint, so wird man finden, dass die Bindesubstanz dem ursprünglichen
Charakter des interstitiellen Bildungsgewebes insofern am meisten getreu bleibt,
als sie beide eine allgemeine, indifferentere Grundmasse darstellen, in welcher
die anderen Körpertheile eingebettet liegen. — Eine ganze Reihe dieser Zwi-
schengewebe, nämlich die verschiedenen Skeletbildungen, habe ich im vorigen
Abschnitte bereits eingehend beschrieben und fasse deshalb hier nur die wich-
tigsten Momente ihrer EntWickelung zusammen. Die früheste Skelotbildung
ist der Knorpel. Seine Grundlage im Bilduiigsgewebe stellt sich je nach den
Anpassungsbedingungen in zweierlei Form dar. Wo sie in ausgedehnter dünner
Schicht erscheint , wie in der röhrenförmigen äusseren Chordascheide oder in
der im Knorpelrahmen der vorderen Schädelbasis ausgespannten Membran,
da wiederholt sie den Entwicklungsgang der Wand der Hauptgef ässe , indem
das Zellennetz des Bildungsgewebes durch die andauernde Abplattung und
Ausdehnung der Zellen in einer fortlaufenden Fläche zu einer kontinuirlichen,
nichtzelligen und bloss kernhaltigen Haut verschmilzt. Wo dagegen die Grund-
lage des Knorpels , wie z. B. in den Wirbelbogenanlagen , gleich im Anfange
massig erscheint, entsteht sie durch eine Ausfüllung des ursprünglichen Zellen -
netzes mit den rundlichen Dotterbildungszellen, worauf das ganze Zellenkon-
glomorat ebenfalls zu einer kontinuirlichen , mit freien Kernen durchsetzten
Masse verschmilzt. Ob während dieser Verschmelzung der sich berührenden
peripherischen Zellentheile , wodurch der individuelle Bestand der Embryonal-
zellen jedenfalls aufgelöst wird, die centralen, den Kern umschliessenden Zellen-
theile sich von jenen ersteren oder der künftigen Zwischenzellensubstanz sofort
absondern und dadurch zu sekundären Zellen werden (hintere Schädelbasis),
oder ob diese sekundäre Zellenbildung erst nach einer gewissen Dauer des nicht-
zelligen Zustandes der Masse eintritt (Wirbel, Hyposternum), scheint von äusse-
ren Umständen abzuhängen und begründet jedenfalls keinen durchgreifenden
Unterschied. Denn auch im ersten Falle dürfen weder die Knorpelkapseln mit
der übrigen Zwischenzellensubstanz als ein Produkt der zurückbleibenden
Zellen, noch die letzteren als die fortdauernden Embryonalzellen aufgefasst
werden, indem beide Theile zu gleicher Zeit und aus derselben Grundlage,
518 VIII. Die Segnieute des Rumpfes.
nämlich den einzelnen Embryonalzellen, gleichsam als Spaltungsprodukte der-
selben sich entwickeln. Das Knorpelgewebe hat also zur unmittelbaren Grund-
lage ganz allgemein eine bloss aus untergegangenen Embryonal- und Dotter-
bildungszellen zusammengesetzte nicht zellige Masse, in welcher sich darauf
um die freien Kerne neue Zellenleiber absondern und der Rest der aus den Lei-
bern der primären Zellen hervorgegangenen Grundsubstanz als Zwischenzellen-
masse zurückbleibt. — Gerade dasselbe lässt sich von dem Knochengewebe
aussagen, welches sich ohne die Zwischenstufe eines Knorpels bildet, und dessen
bleibende Formelemente (Knochenkörperchen) ebenso wie beim Knorpel ent-
weder schon während der Verschmelzung der Bildungszellen ( Knochenkruste
der oberen Schulterblatthälfte) oder erst einige Zeit darnach um die freien
Kerne der nichtzelligen Grundlage entstehen, wie in der äusseren Chordascheide
der Salamandrinen. Die äussere Chordascheide zeigt ausserdem die Verwandt-
schaft der Bindesubstanzen sehr anschaulich, indem dort Knorpel, Faserknochen
und Bindegewebe kontinuirlich in einander übergehen; ich erinnere bloss an
die Intervertebralknorpel und vertebralen Knochenröhren der Salamandrinen
und- an den Zusammenhang des Knorpels mit seinem Perichondrium und den
Zwischenwirbelbändern (S. 362. 387). Den sogenannten echten, erst in rück-
gebildetem Knorpel sich entwickelnden Knochen übergehe ich hier, da er als
epigonale Gewebsform auch mit seiner Bildungsgeschichte mehr in die reine
Ilistiologie als in eine allgemeine Entwicklungsgeschichte gehört.
Die wichtigste Form der Bindesubstanz ist jedenfalls das eigentliche
Bindegewebe, welches nicht nur für sich allein alle Funktionen der Binde-
substanz ausüben und daher die Skeletbildungen ersetzen kann , sondern auch
neben diesen durch die Ausfüllung aller Zwischenräume in und zwischen den
Organen und übrigen Geweben die weiteste Verbreitung im Körper und die
mannigfaltigste Anordnung erfährt. Dabei zeigt das Bindegewebe in seiner
Entwicklung ähnliche Verschiedenheiten, wie sie bei den Skeletbildungen er-
wähnt wurden, indem es bald unmittelbar aus dem Zellennetze des Bildungs-
gewebes hervorgeht, bald in massigen Ansammlungen der Bildungszellen seine
Grundlage findet. In der ersten Form findet sich die Anlage des Bindegewebes
in allen Zwischenräumen, welche weit genug sind, um die Ausbildung eines
netzförmigen Zusammenhangs der Bildungszellen zu gestatten. An den durch
die verschiedenen Embryonalanlagen gebildeten Wänden dieser Zwischenräume
plattet sich das Zellennetz gerade so ab, wie ich es von der Anlage der äusseren
Chordascheide beschrieb, und bildet einfache und mehrfache Schichten, deren
3. Das interstitielle Bildungsgewebe. 519
Netzgefüge durch die Abplattung und Ausdehnung der Zellen und die daraus
folgende Verengerung der von ihnen umschlossenen Maschen immer dichter
wird, sodass schliesslich der Eindruck eines Netzes ganz verlorengeht, und
man nur von einer durchlöcherten Membran reden kann {Taf. XXI Fi (j. 306).
Dabei vertheilen sich die sich stark vermehrenden Kerne unregelmässig durch
die ganze aus den verbundenen Zellenleibern bestehende Membran , sodass die
Abgrenzung und damit der individuelle Formbestand der früheren Zellen voll-
ständig aufgehoben wird. Solche mit Kernen durchsetzte, stärker oder spär-
licher durchlöcherte Membranen habe ich dort, wo das Bildimgsgewebe sich
einem spaltartigen Raunte anzupassen hat, oft in mehrfacher Schichtung ange-
troffen, so z. B. zwischen der Schädelbasis und dem Epithel der Mundhöhlen-
decke, ferner zwischen den Basen der Rippenfortsätze, wo die horizontale binde-
gewebige Scheidewand zwischen der oberen und der unteren Stammuskelmasse
anfängt (S. 458). Da mir gerade an dieser letzteren Stelle der Nachweis ge-
lang, dass die Zahl und die Grösse der Löcher, welche meist eine regelmässige
Rundung zeigen, gegen das Ende der Larvenzeit ganz merklich abnehmen , so
glaube ich, dass jene feste Scheidewand im allgemeinen ebenso entsteht wie
etwa die äussere Chordascheide oder die Innenhaut der Hauptgefässe, mit dem
geringen Unterschied, dass in die erstere wenigstens zwei von den dünnen Zellen-
schichten eingehen, welche von Anfang an mehrfach miteinander zusammen-
hängen, und dass ein Theil der Löcher bestehen bleiben kann. Ein Durch-
schnittsbild solchen geschichteten Bindegewebes lässt mit Ausnahme' der kurzen
Verbindungen, welche alsdann allein eine Flächenansicht darbieten, die eigent-
lichen Platten wegen ihrer ausserordentlich geringen Dicke als lange dünne
Fortsätze der eingelagerten Kerne erscheinen, welche, ebenfalls abgeplattet, in
jenen Durchschnitten spindelförmig aussehen (Taf. XXI Fig. 368). Ich mache
auf dieses Bild aufmerksam, weil eine Verwechselung solcher Durchschnitte mit
lang ausgezogenen Zellen, welche als die Grundlage des tibrillären Bindegewebes
angesehen werden könnten, leicht eintreten kann. — Die Entwickelung einfacher
Bindegewebsmembranen habe ich am Umfange der Nerven und der primitiven
Gef ässwände verfolgt. Dass diese Anlagen der Nervenscheiden und fibrösen Ge-
f ässhäute anfangs netzförmig die eigentlichen Nerven und primitiven Gef äss-
röhren umspinnen, tritt namentlich in jenen Strecken, wo sie pigmenthaltig sind,
deutlich hervor (Taf. IX Fig. 172). Die anfangs sehr lockeren und weit-
maschigen Netze verdichten sich allmählich, indem die amöboiden Bildimgs-
zellen, welche in der späteren Larvenzeit die Dotterbildungszellen vertreten,
520 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
selbstständig Fortsätze ausschicken und durch dieselben ihre allseitigen Ver-
bindungen vermehren. Endlich fliesst das ganze Zellennetz zu einer kontinuir-
lichen dünnen Membran zusammen, welche später wohl durch neue Anlagerun-
gen sich verdickt {Taf. XII Fig. 221). Dieselben Entwickelungsvurgänge habe
ich ferner an der Aussenfläche des Parietalblattes oder des parietalen Baüch-
fellepithels und in den Rückenmarkshüllen beobachtet, an welchem letzteren
Orte ganz besonders stark ausgezackte Zellen vorkommen, welche in Folge der
Abplattung ausserordentlich gross erscheinen und so zart sind , dass sie sich
nur schwer auffinden und in ihrem netzförmigen Zusammenhange darstellen
lassen. Von allen diesen Schichten und Membranen ist übrigens zu bemerken,
dass sie nicht immer und überall alle ihre ursprünglichen Lücken einbüssen
und daher auch später, wenn nicht netzförmig, so doch durchlöchert er-
scheinen können. Ihre weitere Umbildung ist sehr einfach •, zu einer gewissen
Zeit und zwar an einigen Stellen bedeutend früher als an anderen zeigt die
Grundsubstanz erst eine leichte Streifung und dann einen deutlichen Zerfall in
die bekannten Bindegewebsfibrillen {Taf. XXI Fig. 367). Die in der Richtung
des Faserverlaufs etwas verlängerten Kerne liegen meist scheinbar frei zwischen
den Fibrillen ; bisweilen treten sie aber aus der Fibrillenmasse heraus und zei-
gen dann zwei lange und dünne Fortsätze, welche an beiden Enden des Kerns
konisch entspringen. Ob diese Gebilde als wirkliche Spindelzellen anzusprechen
sind, will ich nicht entscheiden; jedenfalls sind sie keine Umbildungen der
ursprünglichen Bildungszellen, welche lange vorher untergegangen waren , und
könnten so entstanden sein, dass, soweit die Fibrillenbildung durch die Kerne
gleichsam unterbrochen wird, die in dieser Richtung vor und hinter ihnen lie-
genden Theile der protoplasmatischen Grundsubstanz sich ihnen in zellen-
ähnlicher Form anschlössen. Es soll damit nicht behauptet sein, dass nicht
auch neu eingewanderte Bildungszellen sich der Fibrillenmasse anschliessen
und durch einfache Gestaltveränderung in ähnliche Zellen übergehen ; nur muss
ich auf Grund der mitgetheilten Beobachtungen behaupten, dass, solange im
vollständig fertigen iibrillären Bindegewebe nicht eine grosse Anzahl von freien
Kernen nachgewiesen ist, der allem Anschein nach überwiegende Theil der
Zellen dieses Gewebes einer sekundären Bildung aus den Resten der unter-
gegangenen primären Bildungszellen seine Entstehung verdankt. Die genannten
Spindelzellen würden demnach zur Fibrillenmasse gerade dieselbe Stellung
einnehmen, wie die sekundär gebildeten Knorpelzellen zu ihrer Intercellular-
snbstanz. Bei diesem Anlass will ich noch eine Vermuthung aussprechen,
3. Das interstitielle Bildungsgewebe. 521
welche durch Analogien gut unterstützt wird. Wenn innerhalb des Binde-
gewebes, z. B. an den Wänden der interstitiellen Lymphräume ; später epithel-
artige Auskleidungen gefunden werden, su sind meiner Ansicht nach nur zwei
Vorstellungen über die Entwicklung jener Zellenschichten möglich: entweder
lügten sich die allmählich sich ansammelnden Bildungszellen an der Wandfläche
unmittelbar zu einer kontinuirlichen Epithelschicht aneinander, oder sie
bildeten längs der Wand ein flaches Netzwerk und daraus eine kontinuir-
liche, kernhaltige Membran, in welcher das zellige Gefüge erst sekundär ent-
stand. Für die erste Möglichkeit spricht weder irgend eine direkte Beobachtung
noch eine Analogie; wenn ich dagegen die sekundäre Zellenbildung nicht nur
in den übrigen Zellenhäuten (Innenhaut der Gefässe, Kapillarwände), sondern
überhaupt in allen zellenhaltigen Bildungen (Knorpel, Faserknochen) nach-
weisenkonnte, welche in derselben Grundlage des interstitiellen Bildungsgewebes
entstehen wie die fraglichen Zellenauskleidungen, so glaube ich diesen Ent-
wickelungsgang auch für die letzteren als sehr wahrscheinlich bezeichnen zu
dürfen. — Endlich mag hier noch eine Bemerkung über die Pigmentzellen des
Bindegewebes ihren Platz finden. Dieselben sind in ihren bekannten, reich ver-
ästelten Formen gerade bei den Batrachiern so weit verbreitet , dass ich dem
Einwände begegnen muss, als seien die von mir unter den Grundlagen der
eigentlichen Bindesubstanz aufgeführten Pigmentzellen mit Unrecht so gedeutet
worden, und vielmehr identisch mit jenen intakt bleibenden Pigmentzellen. Zur
Unterstützung meiner Darstellung muss ich bemerken, dass die ersteren that-
sächlich ebenso wie die ungefärbten Bindegewebsanlagcn zu Membranen ver-
schmelzen , an denen Zellen nicht mehr zu unterscheiden sind 5 da aber das
Pigment ziemlich ausnahmslos die äussersten Enden der Zellen frei lässt, sodass
beim Zusammenwachsen einer solchen Pigmentzellenschicht immer unfegel-
niässige pigmentfreie Lücken zurückbleiben, so können die auf diese Weise ge-
trennten Pigmentflecke ebensolche Zellen vortäuschen. Untersucht man solche
Schichten an etwas grösseren Larven , so findet man die scheinbaren Pigment-
zellen häutig zerrissen und die Pigmentkörnchen so sehr durch die Zwischen-
zellenräume zerstreut, dass diese ganz allmählich und ohne eine bestimmte
Grenze in die dunkleren, zellenförmigen Pigmentflecke übergehen. Auch ist es
dann trotz vorsichtiger Behandlung nicht möglich, die Pigmentmasse nicht
theilweise in die umgebende Flüssigkeit hinauszuschwemmen. Endlich findet
man oft au Stelle des Kerns eine Lücke, in welcher keine Spur einer Kernmasse
zu entdecken ist, während die darunter liegenden Theile völlig klar und unver-
522 VltL. Die Segmente des Rumpfes.
deckt erscheinen. Bei einem solchen Befunde kann man an dem unverletzten
Zustande der Pigmentzellen nicht festhalten; und man wird zunächst geneigt
sein anzunehmen, dass man es mit einem vollständigen Auflösungsprocesse von
Zellen zu thun habe. Eine solche Auflösung, schon "an sich auffallend, wird erst
recht zweifelhaft, wenn mau die wenig veränderte Lage des Pigments, nament-
lich in der Umgebung des Kerns berücksichtigt; denn das Auflösungsmittel, die
Interstitialflüssigkeit, müsste mit der eigentlichen Zellsubstanz auch deren Pig-
ment gleichmässig in sich vertheilen. Nimmt man aber an , dass das Proto-
plasma und die Kerne der miteinander netzförmig verbundenen oder membran-
artig verschmolzenen Pigmentzellen sich in dieBindegewebsfibrillen und Binde-
gewebskörperchen verwandelt haben, welche man unter dem Pigmente liegen
sieht, so erscheint es ganz erklärlich , dass auch die zwischen den Fibrillen frei
gewordenen Pigmentkörner, wenn auch auf die eine Seite der ungemein dünnen
Fibrillenschicht hervorgedrängt, im allgemeinen ihre frühere Anordnung be-
halten und dadurch noch längere Zeit die Anwesenheit von wirklichen Pigment-
zellen vortäuschen. Diese Beobachtung offenbart es aber recht klar, wie der
Formbestand der ursprünglichen Zellen völlig gelöst und nur ihre metaniorpho-
sirte Substanz in grössere, gleichartige Gewebsmassen übergegangen ist.
Im Anschlüsse an die einfachen Bindegewebsmembranen erwähne ich noch
die von Remak und Eberth beschriebene subepidermoidale Schicht, welche
von ihnen als Anlage der Cutis gedeutet wird. Schon an Larven aus der Mitte
der ersten Periode {vgl Taf. XX Fig. 3ö2 — 354) habe ich sie als völlig homo-
gene, glasartige dünne Haut in grösseren Lappen am ganzen Körper isoliren
können. Sie liegt zwischen der Oberhaut und einem ihr eng angepassten platten
Zellennetze des Bildungsgewebes, dessen dotterhaltige Elemente noch voll-
ständig den embryonalen Charakter zeigen. Es kann also jene feste Haut in
keiner Weise auf umgebildete Zellen zurückgeführt und nur .als kutikulare
Ausscheidung sei es von der Epidermis oder von der Interstitialflüssigkeit auf-
gefasst werden. In der zweiten Larvenperiode findet man sie von rechtwinkelig
sich kreuzenden steifen Fasern durchzogen, an ihrer Innenseite aber statt des
Zellennetzes nur noch die ausserordentlich zarten und grossen scheibenförmi-
gen Kerne und zwischen ihnen diffuse protoplasmaähnliche Substanz, beides
mit der Faserhaut innig verbunden. Zur Zeit der Metamorphose sehe ich an
Stelle dieser Protoplasmaschicht ein sehr zartes Gewirr von gewundenen Fasern
und kleineren Kernen, welche zum Theil in das straffere Gewebe der geraden
Fasern eingelagert erscheinen, sodass sich beide Schichten nicht mehr sondern
3. Das interstitielle Bildungsgewebe. 523
lassen. Das letztgenannte Gewebe bildet alsdann noch immer eine vollständig
kontinuirliche Haut, welche am Rande, längs dessen sie abgerissen wurde, nicht
ausgefasert, sondern stufenförmig ausgezackt aussieht, sodass man die angeb-
lichen steifen Fasern ebenso gut für Spalten erklären könnte. Desshalb halte
ich diese Membran nicht für die eigentliche Anlage der Unterbaut, sondern nur
für eine verdichtete Grenzschicht der Interstitialsubstanz , welche das Unter-
hautbindegewebe gegen die Epidermis abschliesst. Hätten dagegen Remak
und Eberth Hecht — was ich nicht sicher entscheiden kann, da ich die bezüg-
liche Untersuchung ebenso wenig wie sie über die Larvenmetamorphose hinaus
fortsetzte — , dann wäre die Unterhaut nach Ursprung und Entvvickelung von
allen übrigen Bindesubstanzen so sehr verschieden, dass sie keinesfalls als
Typus für die Entwickelung des fibrillären Bindegewebes hingestellt werden
könnte. — Nach innen schliesst sich an die genannte Schicht lockeres, vonGe-
fässen und Nerven durchzogenes Bindegewebe, über welches ich gleich ausführ-
licher sprechen werde •, doch traf ich darin stellenweise sehr klare Bilder von
jenen oben beschriebenen durchlöcherten Bindegewebsmembrauen. In diesem
Gewebe liegt zu innerstdas bekannte schwarze Pigmentzellennetz, dessen lange
und schlanke Fortsätze meist gerade verlaufen und sich oft regelmässig unter
rechten Winkeln kreuzen. Zwischen diesem Netze und dem äussersten unter-
häutigen Bindegewebe findet man an mittelgrossen Larven breite schwarze
Pigmentzellen auf allen Stufen der beschriebenen Auflösung; später schwinden
sie nebst dem zerstreuten körnigen Pigment immer mehr und au ihre Stelle
tritt ein ausserordentlich dichtes Netz von vielfach gezackten helleren aber
doch sehr deutlich konturirten Zellen. Es sind die weissen , silberglänzenden
Pigmcntzellen, welche im durchfallenden Lichte bräunlich erscheinen. Da ich
im selben Baume auch mit Ilöllensteinlösüng keine andere epithelartige Zellen-
lage nachweisen konnte, so ist es wahrscheinlich, dass das von Ebeuth an der-
selben Stelle ähnlich beschriebene Epithel mit jener weissen Pigmentschicht
identisch ist.
• Ich habe die ganze Histiogenese des fibrillären Bindegewebes ander einen
hautartigen Form desselben geschildert und kann nun die übrigen Formen
kürzer behandeln. — So wie die Schichtung und Hautbildung offenbar aus
einer Anpassung an entgegenstehende Flächen hervorgeht, so bedingen die
weiten Zwischenräume zwischen den Organen die Entwickelung des kompak-
teren oder lockeren, nach allen Seiten unteivsich zusammenhängenden Binde-
gewebes. Am frühesten beginnt diese Entwickelung zwischen der Oberhaut
524 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
und den tieferen Theilen des Kopfes. Dort steigert sich die Zunahme der Inter-
stitialnussigkeit des Bildungsgewebes schon in der ersten Larvenperiode in dem
Masse, dass die Oberhaut zu einem unförmlichen, von den tieferen Theilen weit
abstehenden Sacke ausgedehnt wird, an welchem das frühere, die innere Kopf-
bildung abspiegelnde Relief vollständig verloren geht (Taf. III Fig. 54, Taf.
XX Fig. 355. 350', Taf. XVI, XVII). Diese das subepidermoidale Bildungs-
gewebe betreffende Anschwellung verändert aber auch die Anordnung seines
Netzwerks. Seine an die Oberhaut befestigten Maschen sind an mehreren
Stellen erweitert und durch Zerreissen einzelner Netzstränge zu grösseren
Räumen zusammengeflossen, in den zwischenliegenden Theilen dagegen zusam
mengeschoben (Taf. XXI Fig. 364). Ich glaube keinen Widerspruch zu er-
fahren, wenn ich diese erste Umbildung des früher gleichmässigen Netzwerks
durch den Druck der sich stellenweise stärker ansammelnden Flüssigkeit be-
gründe. In der Folge verschmelzen aber die strangförmig zusammengeschobe-
nen, meist senkrecht zur Oberhaut gerichteten Netztheile zu Balken und
Scheidewänden , welche jedoch in feinere Bälkchen und Bänder gespalten er-
scheinen (Fig. 305). Später verwandelt sich dieses Gerüst in der beschriebenen
Weise in fibrilläres Bindegewebe, und indem zugleich die weiten Zwischenräume
zu spaltartigen Lücken zusammenfallen, treten an die Stelle des weitmaschigen
Gerüstes kompaktere Bindegew ebsmassen , deren von Gefässen und Nerven
durchzogene Bündel sich mannigfach kreuzen. Wie schon bemerkt, kommen
unter diesen subepidermoidalen Bindegewebsanlagen, welche vorherrschend
aus einem Balken- und Fachwerke bestehen , mitunter auch membranöse Bil-
dungen vor, und es mögen selbst einige freigebliebene Zellenfortsätze unmittel-
bar in Fibrillen sich verwandeln, obgleich ein Beweis dafür sich schwer führen
Hesse. Wo die Dichtigkeit dieses Gewebes gegen die Oberhaut zunimmt, be-
ginnt eben die Unterhaut, welche ich vom übrigen Bindegewebe genetisch nicht
trennen möchte. — In den spaltartigen das Bindegewebe durchziehenden Lücken
sehe ich die Anlagen des Lymphgefässsystems des Rumpfes und der sogenann-
ten Saftkanäle. Da die letzteren thatsäehlich nichts anderes sind als die feinsten
Bindegewebslücken, welche in unregelmässiger Gestalt und ohne besondere
Wandungen vielfach miteinander zusammenhängen, und in denen die allge-
meine, vom Blute her stets erneuerte Ernäliruiigstiüssigkeit alle Gewebe durch-
strömt, um darauf von den Lymphgefässen wieder aufgesogen und abgeführt
zu werden (vgl. Nr. 1 j?0 IX, das Lymphgefässsy stein von F. v. RECKI/INGKHAUSEN ).
so steht nichts im Wege , sie für die letzten Reste der ursprünglichen Inter-
3. Das interstitielle Bihlungsaewebe. 525
stitien des Bildungsgewebes zu erklären, welcbe etwa, durch fortschreitende
Zerklüftung des Bindegewebes an Ausbreitung und Verfeinerung gewannen.
Weniger einfach erscheint die Sachlage bei den grösseren Lücken, welche ich
für die Lymphgefässe anspreche; denn diese sind mit einer Zellenhaut ausge-
kleidet und zudem in ihren feineren Theilen röhrig. Jene Auskleidung besorgen
aber offenbar in der oben angegebenen Weise die freien Bildungszellen, welche
jederzeit in den Interstitiell des Bildungsgewebes angetroffen werden (vgl. Taf.
XXI Fig. 364.868); und was die röhrenförmigen Intercellulargänge betrifft,
so bestehen sie ja , ganz übereinstimmend mit meinen Voraussetzungen über
die Bildung solcher Gange, nur in engeren Räumen, während im lockeren sub-
epidermoidalen Bindegewebe nur die grossen Lymphsäcke vorkommen. Mit
einer solchen Vorstellung, dass das ganze Lymphgefässsystem des Rumpfes
sammt den Saftkanälen und in beständigem Zusammenhange mit denselben
aus dem interzellulären Lückensystem des Bildungsgewebes hervorgehe, stimmt
der Umstand gut übeiein, dass im Rumpfe der Batrachierlarven solche Lymph-
gefässe wie diejenigen des Schwanzes bisher nicht gefunden wurden. Wenn es
aber höchst unwahrscheinlich ist, dass nur der Larvenschwanz ein Lymph-
gefässsystem mit allen damit verbundenen Folgen besitzen sollte, so wird man
schon dadurch zur Annahme geführt, dass, sowie die grossen Lymphräume
ganz offenbar mit den grösseren Bindegewebslücken der Larve identisch sind,
auch dieses ganze Lückensystem in der Larve als unvollkommenes Lymph-
gefässsystem fungire. Wenn in manchen Organen dennoch intrazelluläre
Lymphgefässanlagen gleich denen des Schwanzes entstehen sollten, so fehlte
ihnen ein Zusammenhang mit den einfachen Bindegewebslücken; denn den
spitz auslaufenden Enden der kaudalen Lymphgefässe wird man entsprechende
Oeffnungen kaum zuschreiben wollen. L^ebrigens will ich durch diese mehr
hypothetische Darstellung der Lymphgefässentwickelung im Rumpfe der Ba-
trachier nichts entschieden und nur weitere Untersuchungen angeregt haben.
Nachdem ich die ersten Anlagen der Muskelsehnen als feste Massen, welche
aus der Verschmelzung von Bildungszellen hervorgingen, bereits geschildert
habe (S. 454), bedarf ihre weitere histologische Umbildung keiner besonderen
Beschreibung, da sie von derjenigen des gemeinen fibrillären Bindegewebes, so-
weit ich sehe, in keinem wesentlichen Punkte abweicht (Taf. XI Fig. 204. 206).
Ebenso will ich hier nur daran erinnern, dass der Glaskörper und die Hornhaut
des Auges, deren bereits im Abschnitt VI Erwähnung geschah, ebenfalls Er-
zeugnisse des interstitiellen Bildungsgewebes sind, welche zu den Binde-
526 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
Substanzen gerechnet werden könnten. Dagegen ist es mindestens zweifelhaft,
ob man ein Recht hat, die Reste des interstitiellen Bildungsgewebes imLarven-
schwanze der Annren, soweit sie nicht zur Anlage bestimmter Gewebstheile
(Gefässe, Nerven, Sehnen) dienen, für eine Art von Bindegewebe anzusehen.
Da die Atrophie eine? solchen Schwanzes nicht durch einen abnormen
pathologischen Prosess, sondern durch die ganze individuelle Entwickelung be-
dingt ist, so muss man auch annehmen, dass ihre Ursachen nicht plötzlich ein-
treten, sondern verhältnissmässig früh zu wirken anfangen. Daher ist es aber
mehr als wahrscheinlich, dass schon in den beinahe zur vollen Grösse ausge-
wachsenen Schwänzen der Zustand der Gewebe von demjenigen der persistiren-
den Tlieile sich unterscheide, und zwar trotz des allgemeinen Wachsthums
mindestens eine Verzögerung in der histologischen Entwickelung, in manchen
Theilen selbst die ersten Anfänge eines Rückschritts derselben -anzeige. Dies
letztere betrifft nun insbesondere jenes sogenannte „embryonale Bindegewebe",
die in der Zwischenzellensubstanz zerstreuten, zu keiner besonderen Bildung
verwandten Sternzellen 5 denn im Vergleich mit analogen Theilen des Rumpfes
ist der Stillstand in der Entwickelung jenes Gewebes ganz offenbar (vgl. Taf.
XII Fig. 213). Unter solchen Umständen halteich es für passender, statt
darin eine besondere Form der Bindesubstanzen zu erblicken, es bloss als
sich rückbildende Reste des ursprünglichen allgemeinen Bildungsgewebes auf-
zufassen.
Ich will die Entwickelungsgeschichte des interstitiellen Bildungsgewebes
nicht abschliessen, ohne die Aufmerksamkeit noch einmal auf zwei Thatsachen
zu lenken, welche allerdings schon erwähnt worden sind, aber bei ihrer Bedeu-
tung für die allgemeine Histiogenese eine Wiederholung an dieser Stelle recht-
fertigen. — Wenn ich in der voranstehenden Darstellung in dem Begriffe jenes
Gewebes das ursprüngliche, aus den Embryonalanlagen hervorgegangene Netz-
werk von den beständig einwandernden Dotterbildungszellen und den sie
später vertretenden indifferenten Bildungszellen nirgends trennte, so kann ich
auch den Bestand und die Thätigkeit des Bildungsgewebes zu keiner Zeit des
individuellen Lebens für beendet erklären. Die dem Blute entstammenden und
in den zurückgebliebenen Interstitiell des früheren Bildungsgewebes (Saftkanäle)
alle Organe und Gewebe durchwandernden Zellen halteich für das indifferente
plastische Ernährungs- und Bildungsmaterial auch des ausgebildeten Thieres,
welches alle Ausfülle ergänzt und alle Neubildungen ausführt, und eben daher
nach Ursprung und Bedeutung als eine Fortsetzung des embryonalen Bildungs-
3. Das interstitielle Bildungsgewebe. 527
gewebes erscheint. Bei einer solchen Auffassung wird man aber nicht geneigt
sein, die wie immer geformten Bildungszellen zu den zelligen Elementen des
Bindegewebes zurechnen-, denn dasselbe ist eben nicht, wie es so häufig ange-
nommen wird, eine einfache Fortsetzung des ursprünglichen Bildungsgewebes,
zu welchem die Dotterbildungszellen allerdings gehören, sondern eiu specifisch
diffcrcnzirter Theil desselben, zu welchem die späteren Bildungszellen in keiner
näheren Beziehung stehen als zu allen übrigen Erzeugnissen des interstitiellen
Bildimgsgewebes. Der Bestand des letzteren ist eben ein flüssiger: von Anfang
an werden Theile von ihm ausgefällt, neue ihm zugeführt; aber während die
eigentliche Entwickelungszeit zu den vielen Neubildungen grösserer vorräthiger
Massen bedurfte, welche uns als zusammenhängendes, besonderes Gewebe ins
Auge fallen, erfüllt es im fertig eingerichteten Organismus seine Aufgabein so
bescheidener Gestalt, dass seine selbstständige Bedeutung sich leicht der Er-
kenntniss entzieht. — Der zweite Punkt, auf den ich hier hinzuweisen habe,
betrifft den Umstand , dass dem in diesem Abschnitte besprochenen Bildungs-
gewebe ein nach seinem Ursprünge durchaus verschiedenes, aber in seiner
Entwickelung und Wirksamkeit ebenso vollständig entsprechendes Bildungs-
gewebe gegenübersteht. Ich meine die Zellen und Zellentheile, welche, soweit
ich linden konnte, nur im Centralnervensystem und der Netzhaut des Auges
von deren besonderen, dem oberen Keimblatte angehörigen Anlagen abfallen,
um Gefässe und verschiedene Bindesubstanzen zu entwickeln. Ich erwähnte
in dieser Beziehung bereits die stützenden und scheidenden Zwischensubstanzen
des Rückenmarks und Hirns (S. 277 — 280), woraus hervorging, dass sie ebenso
wenig wie die übrigen Bindesubstanzen unmittelbar auf ganze umgebildete Em-
bryonalzellen zurückgeführt werden können. Ich glaube aber auch die Gefäss-
bildungen der Centralnervenorgane von den ursprünglichen Anlagen derselben
ableiten zu können. Denn zu einer gewissen Zeit sehe ich Zellen aus der Anlage
der grauen Masse in die weisse Fasermasse einwandern, sich dort strecken und
verzweigen und dann Verbindungen mit den Gefässen der weichen Hirnhaut
anspinnen (Taf. X Fig. 181). Allerdings erkennt man diese Gefässanlagen
nicht in ihrer primitiven Gestalt; denn die dichtgelagerten Nervenfasern ver-
decken die Zellenumrisse so sehr, dass man um den Kern herum eben nur einen
halbverwischten hellen Saum, von eigentlichen Fortsätzen aber nichts unter-
scheidet. Immerhin spricht die Auswanderung der Zellen gegen die Peripherie
des Organs - - wobei sie von den radiären Scheidewänden geleitet werden
mögen (vgl. Taf. IX Fig. 172) — kurz vor der Bildung der Gefässe deutlich
528 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
genug für meine Ansicht. - Dasselbe Verhältniss halte ich für die Netzhaut
des Auges, obgleich die betreffenden Untersuchungen nicht weit genug geführt
wurden, für sehr wahrscheinlich , weil ich ein Eindringen des übrigen Binde-
gewebes in die Retina vermisste (vgl. S. 325 — 326).
Auch in dem folgenden vergleichenden Theile dieses Abschnittes werde
ich die histologischen Beobachtungen voranstellen. — Wie die üebersicht der
früheren Untersuchungen ergibt, war es Remak, welcher zuerst die noch heute
giltige Lehre von der Einzelligkeit der Muskelfaseranlagen aulstellte. Ausser
diesem allgemeinen Ergebniss, welches für die Rückenmuskeln richtig ist, sind
aber die Einzelheiten seiner Untersuchung irrig. Er zeichnet, wie es scheint
nach frischen Objekten, an den erst wenig verlängerten Zellen der Segment-
kerne klare, kreisrunde Kerne in mehrfacher Anzahl, welche meist paarweise
in der Nähe der beiden Zellenenden liegen ; an den grössten Zellen wird merk-
würdigerweise nur ein quergestreckter Kern dargestellt. Ich fand dagegen, dass
die Kerne sich mit ihren Zellen verlängern, stets in der Mitte derselben und bis
zur Vollendung der Muskelfasern einfach bleiben, ausserdem blass und granu-
lirt sind, sodass sie wie in allen dotterh altigen Zellen nur durch Karminfärbung
deutlich gemacht werden können. Wenn ich ferner die Vermehrung der Em-
bryonal z eilen der Segmentkerne durch Th eilung durchaus nicht bestreiten will,
so muss ich doch das Verfahren Remak's als willkürliches bezeichnen, wenn
er aus einem quergestreckten oder zwei in derselben Richtung nebeneinander
liegenden Kernen auf eine folgende Längstheilung der Zelle schliesst, aber die
in der Längsrichtung gestreckten oder vermehrten Kerne zur Deutung einer
Quertheilung nicht benutzt. Und mehr als solche vermeintliche Kerne, welche
ich nicht dafür anerkennen kann, hat Remak für die nach seinen Angaben sein
lebhafte. Längstheilung der Muskelzellen nicht angeführt. Nicht zuverlässiger
ist seine übrige Beschreibung dieser Zellen. Die vermehrten Kerne sollen in
iU^v feinkörnigen Substanz an der medialen Seite der Zelle liegen, die .Muskel-
substanz an der Aussenseite innerhalb der grobkörnigen Dottermasse entstehen.
Querdurchschnitte unseres Objekts, aus welchen die Lage derTheile unbedingt
sicherer bestimmt werden kann als an isolirten Zellen, wie sie Remak benutzte,
ergeben, dass jene Lage der beiden Dottersubstanzen allerdings richtig, die-
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 529
jenige der Kerne und der Muskelsubstanz aber gerade umgekehrt angegeben
ist. Dies führt uns auf die Quelle des Irrthums bezüglich der Kerne. Bleibt
nämlich der wirkliche, stets einfache und längliche Kern der Muskelzelle von
der Dottersubstanz verdeckt, so treten um so deutlicher die klaren, kreisrunden
Umbildungskugeln hervor, welche Remak als solche gar nicht erwähnt; nimmt
man dazu, dass sie anfangs in geringer, dann in stets zunehmender Anzahl und
in einer Reihe die Länge der Zelle durchsetzen , so wird man sich der Ueber-
zeugung nicht verschliessen , dass Remak die Umbildungskugeln mit Kernen
verwechselt, den wirklichen, in der Mitte liegenden Kern dagegen ganz über-
sehen hat. Ein Vergleich seiner Abbildung (Nr. 40 Taf. XI Fig. 7a) mit den
meinigen {Taf. XI Fig. ,201—203) wird meine Ansicht wesentlich unterstützen.
Ganz demselben Irrthume unterlag Kölliker-, aus seiner bezüglichen Abbildung
(Nr. 79 S. 177 Fig. 127) ergibt sich bei dem angegebenen Vergleiche die Ver-
wechselung noch klarer, und man versteht erst dann seinen Ausdruck von den
mehrfachen „ prächtigen Kernen " der jüngeren Muskelzellen (Nr. 413). Es ist
aber, wie schon bemerkt, die Thatsache richtig, dass jede Muskelfaser der
Rückenmuskeln der Batrachier aus einer Embryonalzelle hervorgeht, wie es
seit Remak Kölliker und Schulze bestätigten. Daraus wurde nun trotz
gegentheiliger Ansichten und nicht zustimmender Beobachtungen geschlossen,
dass sämmtliche Muskelfasern der Wirbelthiere auf dieselbe Weise aus ein-
zelligen Anlagen hervorgingen (vgl. Kölliker a. a. 0., Stricker Nr. 120 S.
1227). Dieser Schluss ist aber, wie meine Beobachtungen lehren, selbst in der
Beschränkung auf die Stammuskeln der Batrachier unzulässig, da nebst dem
vordersten Abschnitte dieser Muskeln ( Augenmuskeln ) alle übrigen von mir
untersuchten Muskeln des Kopfes, des Rumpfes und der Gliedmassen mehr-
zellige Anlagen ihrer Fasern besitzen. Ausser der Beobachtung, dass die
Rückenmuskeln der Knochenfische sich ebenso bilden wie bei den Batrachiern,
fehlen mir eigene zusammenhängende Untersuchungen über die Muskelbildung
bei anderen Wirbelthieren. Immerhin dürften die Angaben über mehrzellige
Muskelfaseranlagen jetzt wieder mehr Vertrauen verdienen , seitdem jene ein-
seitige Auffassung nicht mehr für so „gesichert angesehen werden kann", als
Kölliker meint. Nur finde ich, wie ich schon früher ausführte (S. 4(J4), in
dieser Thatsache von der zweifachen Bildungsweise der Muskelfasern durchaus
keine Veranlassung, einen verschiedenen Formwerth der letzteren anzunehmen,
und sehe in den bezüglichen Beobachtungen nur eine Bestätigung dafür, dass
Goette, Entwickelungsgescliicbte. 34
530 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
der ursprüngliche Formwerth der Gewebsanlagen in der Histiogenese erlischt.
— Von der Entwickelung der Textlirverhältnisse der Muskelfasern will ich hier
nur einen Punkt hervorheben. Nachdem zuletzt noch Schulze bis zur Evidenz
erwies , dass das Sarcolemma von den ursprünglichen Muskelzellen abstamme,
hat Stricker neuerdings dieses Häutchen sammt den ihm innen ansitzenden
sogenannten Muskelkörperchen von nachträglich angelagerten Bindegewebs-
körperchen abzuleiten versucht (Nr. 120 S. 1227. 1228). Dass das Sarcolemma
eine ursprüngliche Zellenmembran sei, wird jetzt wohl niemand behaupten
wollen; wer aber die Muskel entwickelung an dem bei weitem günstigsten Ob-
jekte, an den Batrachiern studirt, wird die Ansicht Schulze's bestätigen, dass
jenes Häutchen aus der äussersten Rindenschicht der Muskelzellen hervorgehe.
Dann kann aber auch über den Ursprung der Muskelkörperchen kein Zweifel
bestehen : es sind die an der Oberfläche der Muskelfaser zurückgebliebenen
Muskelzellenkerne, denen die peripherischen Reste des zur Fibrillenbildung
nicht ganz verbrauchten Protoplasmas anhängen. Sie entstehen also in den
Muskelanlagen gerade so wie die ursprünglichen Bindegewebskörperchen aus
den Bindegewebsanlagen und sind wie diese nicht als ganze, bloss in der Ge-
stalt umgebildete Embryonalzellen , sondern als aus den Resten solcher unter-
gegangenen Zellen hervorgehende Neubildungen aufzufassen.
Ueber die Entstehung der Nervenelemente hat sich in neuerer Zeit keine
bestimmte Ansicht herausgebildet, sodass eigentlich nur die Angaben
Schwanns und Remak's zu diskutiren wären. Schwann hat darin vollkom-
men Recht, dass die peripherischen Nervenstämme selbstständig und an dem
Orte, wo sie später liegen, aus indifferenten Zellen entstehen (Nr. 77 S.
175 — 177). Nur irrt er in der von seiner allgemeinen Zellentheorie gebotenen
Vorstellung, dass die Nervenfasern wie alle übrigen Gewebselemente bloss um-
geformte ganze Zellen oder Zellenkomplexe seien. An den Nervenanlagen ist
es wohl noch deutlicher zu erkennen als selbst an den Muskelfaseranlagen, dass
der Bestand der sie bildenden Embryonalzellen in gar keiner Beziehung zu den
entfernteren oder näheren Elementen der daraus hervorgehenden Gewebe.steht;
denn wenige, selbst einzelne verlängerte Embryonalzellen bilden einen gewissen
Abschnitt eines ganzen Nervenstranges mit allen seinen zahlreichen Fasern.
Das Objekt, welches, von Schwann selbst benutzt, gerade die leichteste Wider-
legung seiner Ansicht vom Formwerthe der Nervenfasern gestattet, das Nerven-
system des Larvenschwanzes der Anuren, hat nun aber gerade die Veranlassung
zu einer neuen, noch weniger haltbaren Annahme gegeben. Remak, welcher
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 531
wie alle folgenden Beobachter bloss ziemlich vorgeschrittene Nervenanlagen
untersuchte, an denen die sie zusammensetzenden Zellen bereits unkenntlich
geworden waren , Hess die Nervenfaden als auf Embryonalzellen nicht zurück-
führbare Bildungen aus dem Rückenmarke hervorwachsen ; und Kölliker ver-
suchte diese Hypothese noch weiter auszuspinnen, indem er nach dem Vorgange
von Bidder und Küpefer die Nervenfasern, beziehungsweise deren Axencylinder
einfach für Protoplasmafortsätze der Nervenzellen sowohl der Centralorgane
wieder Ganglien erklärt, welche im Schwänze der Froschlarven in die aus ver-
schmolzenen Zellen vorgebildeten Scheiden hineinwüchsen (Nr. 79 S. 334 — 335).
Noch kühner ist die Hypothese Hensen's-, doch finde ich mich nicht bemüssigt,
diese Darstellungen, welche an die Stelle leicht anzustellender Beobachtungen
zum Theil rein willkürliche Vorstellungen setzen, anders als durch einen
Hinweis auf meine Beobachtungen zu widerlegen. Aus diesen geht hervor, dass
die Nervenfasern sowohl in den Centralorganen (vgl. S. 276) wie in den periphe-
rischen Verzweigungen aus einer von verschmolzenen und aufgelösten Em-
bryonalzellen hergestellten Bildungsmasse sich entwickeln; dass insbesondere
die Nervenstränge theils in selbstständiger morphologischer Anlage, theils durch
Anfügung und Anpassung einzelner Theile des interstitiellen Bildungsgewebes
an die ersteren entstehen, sodass der centrifugale Fortschritt ihrer Ausbildung
lediglich auf die dorsale Lage jener selbstständigen Anfänge zurückzuführen,
und die Verbindung mit dem Rückenmarke als eine nachträgliche und gerade
centripetale zu betrachten ist. Zudem ist die Fasermasse der Nervenstränge
beinahe vollständig gebildet, ehe die Ganglienzellen die ersten Fortsätze und
zwar durch Verschmelzung mit jenen schon gebildeten Fasern oder Fibrillen
erhalten. Wenn die meisten Untersucher des Froschlarvenschwanzes, auch
wenn sie über die Entwickelung der Nerven nichts Neues auszusagen haben,
es zu bemerken nicht unterlassen, ob dieselben nach ihrer Ansicht mit den
Sternzellen zusammenhängen oder nicht, offenbar um daraus Anhaltspunkte
für oder gegen den genetischen Zusammenhang beider Bildungen zu gewinnen,
so kann ich diesen Beobachtungen insofern nur geringe Bedeutung zuerkennen,
als sie durchweg an viel zu alten Larven angestellt sind. Wer die Nerven-
anlagen nicht als einen Theil des Bildungsgewebes, als ein Netz von vielstrahli-
gen Zellen, sondern nur als ein bereits gleichmässiges Fadennetz kennen lernt,
kann ihre Verwandtschaft mit den Sternzellen, mögen sie nun mit diesen Resten
des Bildungsgewebes noch verbunden sein oder nicht, beliebig leugnen oder be-
haupten, dies aber nicht begründen. Denn dass gerade die Ausbildung der diffe-
34*
532 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
renten Erzeugnisse des Bilclungsgewebes sie von einander und von jenen indiffe-
renten Resten desselben trennt, habe ich in der Beschreibung auseinander-
gesetzt, sodass ein Befund ihrer Trennung weder gegen den genetischen Zu-
sammenhang, noch die etwa noch vorhandenen spärlichen Verbindungen dafür
sprechen, dass jene von der Differenzirung offenbar ausgeschlossenen Theile
des Bildungsgewebes unbedingt als künftige Fortsetzungen der Nervenanlagen
anzusehen seien. — Ueber das Nervenmark sei hier noch bemerkt, dass
Schwann es mit Unrecht vom Centralorgan in die peripherischen Nerven
wachsen liisst ; bei den Batrachiern wenigstens existirt am Ende der Entwicke-
lungszeit in der weissen Rückenmarksmasse noch kein Mark, wohl aber an
vielen peripherischen Nervenfasern. Aber auch an diesen tritt es erst auf, nach-
dem die Sonderung der Organe , in denen die Nervenfasern enden , so z. B. der
Muskeln, ziemlich weit vorgeschritten ist; und die anfangs sehr geringe Anzahl
markhaltiger Fasern nimmt ganz allmählich zu. Diese Thatsachen erlauben
die Vermuthung auszusprechen , dass die Markbildimg , welche jedenfalls eine
verstärkte Isolirung der umhüllten Axencylinder bezweckt, eine nothwendige
Folge von der fortschreitenden Absonderung der terminalen Wirkungsbezirke
sei, wofür noch der Umstand ins Gewicht fällt, dass die Eingeweidenerven,
deren Wirkungbezirke in grossen Strecken ungesondert zusammenfliessen, nackt
bleiben.
Ueber die Entwickelung der Ganglien bestanden bisher nur die spärlichen
Angaben Remak's und Cramer's; Jener hält die ganzen Ganglien für Erzeug-
nisse einer oder doch nur weniger Zellen, Dieser jede einzelne Ganglienzelle für
ein Zellenkonglomorat, Beweis genug, dass die Untersuchung an der Entsteh-
ung dieser Ansichten wenig Antheil hatte. Die Behauptung Kölliker's ferner,
dass die Nervenzellen ausgebildete Embryonalzellen seien , lässt sich nur da-
durch erklären, dass ungünstige Objekte von höheren Wirbelthieren zur Be-
obachtung kamen. Denn ich kann versichern, dass es mir wenigstens nicht
gelang, die an den Batrachiern gewonnenen Ergebnisse über die Nervenent-
wickelung an den Embryonen der Amnioten zu bestätigen, aus dem einfachen
Grunde, weil deren Embryonalzellen zu klein und undeutlich sind, um die
klaren Bilder ihrer Umwandlung zu zeigen, wie sie an den Batrachiern zur
Anschauung kommen. Eine ganz neue Ansicht über den Ursprung der
Spinalganglien des Hühnchens hat bekanntlich His vorgetragen : sie sollen aus
einer zwischen das Rückenmark und die Segmente vorragenden Falte des
oberen Keimblattes (Zwisebenrinne , Zwischenstrang) hervorgehen, welche sich
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 533
darauf von ihrem Mutterboden ablöse, um mit jenen beiden Theilen Verbindun-
gen einzugehen (Nr. 109 S. 87. 117). Ich habe diese Thatsachen, nachdem
ich sie für die Batrachier zurückweisen konnte, an Forellen-, Hühner- und
Säugethierembryonen (Kaninchen, Schaf) geprüft und dabei folgendes Ergeb-
niss gewonnen. Die Zwischenrinne besteht allerdings als seichte Einsenkung
des oberen Keimblattes lateralwärts vom auf- und einwärts gekrümmten Rande
der Medullarplatte; bei zu starker Einwirkung der Erhärtungsmittel zieht sie
sich zu einer tieferen Falte ein. Gleich oder sehr bald nach dem Schlüsse der
Medullarfurche, wann sie nach His (Nr. 109 Taf. IX Fig. 4 — 7) als Zwischen-
strang abwärts wachsen soll, findeich sie unverändert, dagegen zwischen den
Segmenten, deren Theilung in inneres Segmentblatt, Kern und äussere Segment-
schicht alsdann vollendet ist, und dem Rückenmarke in der ganzen Höhe des-
selben eine gleichmässig dünne Zellenschicht, deren oberer Rand naturgemäss
an den Boden der Zwischenrinne stösst, aber mit ihm nicht kontinuirlich zu-
sammenhängt. Da der Schein eines solchen Zusammenhangs an manchen
Durchschnitten von Embryonen der Anmieten sehr auffallend sein kann, so
bemerke ich noch ausdrücklich, dass jene dünne Zwischenschicht nicht zapfen-
förmig und allmählich von oben hinabwächst, sondern in gleicher Mächtigkeit
und gleich in ihrer ganzen Höhe entsteht, indem die anfangs zerstreuten Zellen
sich allmählich zu einer Schicht ansammeln, welche längs der ganzen Seite des
Rückenmarks kontinuirlich fortläuft. Die Forellenembryonem bei denen diese
Verhältnisse sich besonders klar darstellen , bieten daher zu jener Verwech-
selung keinen Anlass. Ganz vollständige Analoga der beschriebenen Bildung
findet man zwischen den hintereinander liegenden Segmenten, indem dort das
obere Keimblatt sich gleichfalls rinnenförmig den Einschnitten der Segment-
grenzen anpasst, und im Anschlüsse daran die segmentalen Scheidewände mil-
den sie durchziehenden Gefässen entstehen.* Folgerichtig hätte His auch diese
Muskelsehnenanlage vom oberen Keimblatte ableiten sollen. Wenn aber auch
seine Behauptung von der Abschnürung des Zwischenstranges und dessen Ver-
wandlung in jene Zwischenschicht richtig wäre, so hätte er damit bewiesen, dass
nicht die Spinalganglien, sondern die gefässreichen Hirnhäute vom oberen
Keimblatte abstammten ; denn diese Bedeutung hat die fragliche Zellenschicht,
* Vgl. His Nr. 109 Taf. X Fig. V. VI, wo die Scheidewände allerdings noch nicht zu
sehen sind. Das frühzeitige Erscheinen der Blutgefässe in den Embryonen der Amnioten
erlaubt es, die genannte Schicht auf ausgewanderte Bildungszellen des Blutes zu beziehen.
534 VIIT. Die Segmente des Rumpfes
wie ich mich namentlich an Kaninchenembryonen überzeugte. Frontaldurch-
schnitte aus verschiedenen Entwickelungsstufen ergeben auf das unzwei-
deutigste, dass die äussere Segmentschicht (Rückentafel His) am längsten un-
verändert bleibt und sjmter in die Bauchwand hineinwächst , um den äusseren
Rumpfmuskeln zur Anlage zu dienen-, die schmächtigen Segmentkerne ver-
wandeln sich frühzeitig in die Stammuskeln , und die inneren Segmentblätter,
welche immer in deutlicher Abgrenzung gegen die Segmentkerne und die dem
Rückenmarke unmittelbar angefügte neugebildete Zellenschicht bleiben, ver-
dicken sich am meisten, um endlich die alternirenden Anlagen der spinalen
Ganglien und des dazwischen übrigbleibenden Bildungsgewebes (Bindegewebe,
Gefässe, Wirbel) auszusondern. Jene zwischen den Ganglien und dem Rücken-
marke befindliche dünne Schicht lässt sich freilich, sobald die bei allen
Amnioten ausserordentlich mächtigen und in der Längsrichtung beinahe zu-
sammenstossenden Nervenwurzeln sich mit dem Rückenmarke verbunden haben,
nicht mehr in der früheren Ausdehnung demonstriren, doch kann man stellen-
weise nachweisen , dass sie sich in eine ähnliche lockere und gefässreiche Hülle
des Contralnervenorgans verwandelt, wie ich sie bei den Batrachiern als erste
Bildung des aus den Segmentblättern hervorgehenden Bilduugsgewebes be-
schrieb. Der Umstand , dass bei diesen Thieren die Auflösung der Segment-
blätter nach der Ausfällung der Ganglien bereits eingetreten ist, bevor die Ge-
fässe entwickelt sind und damit die Möglichkeit von Neubildungen durch
Dotterbildungszellen gegeben ist, erklärt es zur Genüge, warum dort die Anlage
der Rückenmarkshäute sich von dem anstossenden Bildungsgewebe nicht so
deutlich absondert wie bei den Amnioten. — Auf Grund meiner Untersuchun-
gen behaupte ich also , dass die Spinalganglien und Spinalnervenstämme bei
allen Wirbelthieren aus den Segmenten hervorgehen (Remak) und nicht aus
dem oberen Keimblatte, wie His irrthümlich angegeben hat.* Hinsichtlich der
peripherischen Nervenausbreitung fand ich eine Bestätigung des bei den
Batrachiern Beobachteten nur bei den Forellenembryonen'; bei den Amnioten
habe ich aber klare Befunde über diesen Vorgang vermisst, und wenn His, wie
es scheint, der -Ansicht ist, dass die peripherischen Nerven aus dem Rücken-
* Die Zwischenrinne hat mithin keine andere Bedeutung, als dass sie vorübergehend
die Grenze von Rückenmark und Segmenten äusserlich andeutet, wie es bereits Dubsy dar-
gethan hat, ohne übrigens auf die wirkliche Bildung der Spinalganglien einzugehen (Nr. 110
S. 54. 55).
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 535
marke und den Ganglien herauswüchsen (Nr. 109 S. 169), so scheint es mir bei
dem Mangel eines Beweises dafür um so mehr gerechtfertigt , den Amnioten
dieselbe selbstständige Entwickelung der Nervenzweige aus dem Bildungs-
gewebe zuzuschreiben, wie sie bei Batrachiern und Fischen thatsächlich
besteht.
Indem ich jetzt in der vergleichenden Betrachtung auf das interstitielle
Bildungsgewebe übergehe, muss ich gleich eingangs konstatiren, dass ein
solches bisher gar nicht bekannt war. So oft noch von einem embryonalen
Bildungsgewebe die Rede war, verstand man darunter lokale indifferente
Grundlagen einzelner Organe und Gewebe; nirgends finde ich aber eine An-
deutung, dass die Gesammtheit der lockeren Zellennetze mit den darin zeit-
weilig frei herumwandernden Bildungszellen, indem sie die Zwischenräume in
und zwischen allen morphologisch geschlossenen Embryonalanlagen erfüllen,
als die gemeinsame und zusammenhängende Grundlage des überwiegend
grössten Theils aller Bindesubstanzen, Gefässe, peripherischen Nerven und
mancher Muskeln* aufgefasst wurden. Den Grund dafür sehe ich hauptsächlich
darin, dass die Untersuchungen an viel zu vorgeschrittenen Entwickelungs-
stufen angestellt wurden , wann das Bildungsgewebe kein indifferentes Gepräge
mehr aufweist, und die Anlagen der Gefässe und Nerven nicht mehr so deutlich
wie früher als unmittelbare Theile jenes Gewebes erscheinen. Der ausge-
wachsene Larvenschwanz ist eben ein so bequemes Objekt, dass man immer
wieder bei demselben stehen blieb, und die dort gesehenen Bilder sowie die
daraus gezogenen Schlüsse als massgebend für alle analogen Entwickelungs-
vorgänge betrachtete. Da nun in diesen vorgerückten Perioden die sich neu-
bildenden Gefässe und Nerven aus den bereits fertigen hervorzuwachsen
scheinen, so ergab sich die Auffassung von selbst, dass die von mir als allge-
meines Bildimgsgewebe erkannten Zellenmassen bloss die Anlage der Binde-
substanz seien. Am schärfsten wurde diese Auffassung von His am Hühnchen
durchgeführt, dem sich darauf W. Müller hinsichtlich der Batrachier an-
schloss (vgl. S. 404). Die Darstellung von His, welche ich übrigens schon an
anderer Stelle kritisirt habe (Nr. 121 S. 165. 183. 192), lässt sich dahin zu-
sammenfassen, dass der Keimwall (Nebenkeim), welcher an den jungen Batra-
* Ausser deu schon erwähnten Hautmuskeln und dem M. trausversus ist hier noch der
M. depressor maxillae inferioris (Ecker, Nr. 90 S. 72) zu nennen, welcher erst während der
Metamorphose entsteht.
536 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
chierlarven der blutbildenden peripherischen Schicht der Dotterzellenmasse
entspricht, nicht nur die Blutzellen (Blutinseln) , sondern auch die ganze Platte
von „gefässbildenden Zellen" erzeugt, in welche die peripherischen Theile des
mittleren Keimblattes auslaufen , und dass darauf diese netzförmigen Gef äss-
anlagen durch Sprossen in den Embryo hineinwachsend dessen sämmtliche Ge-
fässe herstellen, während von der primitiven Gefässwand fortwährend Zellen
sich ablösen, welche als parablastische Anlagen der Bindesubstanzen alle
Zwischenräume zwischen den übrigen Anlagen ausfüllen (Nr. 101) S. 95 — 100.
175. 176). Wenn man aber erfährt, dass His den Beweis für seine Darstellung
nur aus dem Vergleiche der isolirten Elemente des Keimwalls und seiner Ge-
fässschicht schöpfte (S. 96. 97), so versteht man, wie ihm entgehen konnte,
was sich nur aus systematisch gesammelten Durchschnittspräparaten erkennen
lässt , dass nämlich jene Gef ässschicht als peripherischer Theil des mittleren
Keimblattes (Randwulst) stets vom Keimwalle deutlich geschieden besteht, und
schon vor dem Erscheinen der ersten Blutinseln gerade so wie ich es vom inter-
stitiellen Bildungsgewebe der Batrachier beschrieb , sich in ein Zellennetz ver-
wandelt, welches zur Gefässbildung im Gefässhofe verbraucht wird , während
die erst im Fruchthofe deutlicher werdende Sonderung der Seitenplatten sich
allmählich über jene Gef ässschicht ausbreitet (vgl. Nr. 121 S. 184 — 186. Taf.
XII, Nr. 122 S. 46—48. Fig. 8). Es entspricht also diese Gef ässschicht durch-
aus dem Bildungsgewebe, welches bei den Batrachiern am Umfange der
Dotterzellenmasse sich an der Innenseite des Visceralblattes ausbildet, um die
Blutanlagen (Blutinseln) einzuscheiden und in das Herz überzuführen (vgl.
weiter unten). Eine zweite Keimstätte des allgemeinen interstitiellen Bildungs-
gewebes Hnde ich in den inneren Segmentblättern (mediale und untere Ur-
wirbelwande His), deren Umbildung in der Entwickelungsgeschichte der Spinal-
ganglien erwähnt wurde; inwieweit die äussere Segmentschicht (Rückentafel
aut.) sich später am Bildungsgewebe betheiligt, ist mir bei den Amnioten nicht
klar geworden, wogegen ihr vollständiger Uebergang in die subepidermoidalen
Theile desselben Gewebes in Forellenembryonen leicht zu verfolgen ist, bei
welchen ich überhaupt dieselbe Entwickelung des interstitiellen Bildungs-
gewebes wie bei den Batrachiern nachweisen konnte. Es scheint mir daher
festzustehen, dass in allen Fällen gewisse Theile des mittleren Keimblattes die
ersten Grundlagen des interstitiellen Bildungsgewebes abgeben; und nur zur
Ergänzung und Vermehrung desselben dient die Einwanderung indifferenter
Blutzellen, welche ich mit Rücksicht auf nieine Beobachtungen aii den Anuren-
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 537
larven für alle Wirbelthierembryonen annehme. His leitet nun alles lockere
Zwischengewebe von diesen überall in Begleitung der Gefässe auftretenden
Bildungszellen ab, welche er zudem „von den Gefässwandungen weitersprossende
Zellen" nennt (S. 175). Da er aber nach seinem eigenen Geständniss die Bil-
dung und Zusammensetzung der primitiven Gef ässröhren nieht bestimmt er-
kannt hat (S. 98) und uns ferner die Erklärung schuldig bleibt , wie er jenen
merkwürdigen Vorgang sich selbst vorstellt , so sehe ich in dieser Hypethese
am allerwenigsten ein Hinderniss , -die einzelnen Lücken der Beobachtung über
die Entwickelung des Bildungsgewebes bei den Amnioten durch meine an den
Batrachieren und Fischen gemachten Erfahrungen auszufüllen. Die Behaup-
tung W. Müllers dagegen , dass die His'sche Lehre auch für die Batrachier
Geltung finde (Nr. 74 S. 353. 417), wird wohl einfach durch denHiuweis darauf
widerlegt, dass bei diesen Thieren das Bildungsgewebe sieh früher als die Ge-
fässe entwickelt und dass die „zwei Aorten", von welehen diese Entwickelung
ausgehen soll, bei den Batrachiern niemals vorhanden sind. — Aus dieser
ganzen Darstellung ergibt sich mit grosser Wahrscheinlichkeit für alle Wirbel-
thiere, dass ihr interstitielles Bildungsgewebe theils aus vorgebildeten Theilen
des mittleren Keimblattes, theils aus eingewanderten Blutzöllen entsteht. Gegen-
über der Ansicht aber, dass es nur eine embryonale Bindesubstanz darstelle,
muss ich an den von mir an einer anderen Stelle erhobenen Einwand erinnern
(Nr. 121 S. 192), dass es durchaus nicht möglich ist, jene Beschränkung in
der Thätigkeit des Bildungsgewebes zu beweisen, während auf der anderen Seite
es mir zunächst bei Batrachiern und Knochenfischen gelang, seine allgemeine
Bedeutung nachzuweisen.
Von den Erzeugnissen des Bildungsgewebes sind hier noch die Gefässe
und das Bindegewebe vergleichend zu betrachten. — In der Entwickelungs-
geschichte des Blutgefässsystems haben sieh von An läng an bis in die neueste
Zeit die verschiedensten Ansichten gegenübergestanden; und dies erklärt sich
leicht aus dem Umstände, dass es drei Arten der Gefässbildung gibt (primäre,
sekundäre, Dottergefässe), deren Verschiedenheit aber bisher unbekannt blieb,
sodass meist das an einer Art Gesehene auf das ganze Gefässsy stein übertragen
wurde und natürlich den anderen ebenso einseitigen und an verschiedenen
Thieren ausgeführten Beobachtungen widersprechen musste. Bei einer solchen
Mannigfaltigkeit der zu kritisirenden Untersuchungen sehe ich mich veranlasst,
hier einige Bemerkungen über die Dottergefässe der Batrachierembryonen,
deren Entwicklungsgeschichte eigen tlieh in ein späteres Kapitel gehört, sowie
538 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
meine eigenen Beobachtungen über die Gef ässbilclung der Knochenfische und
Vögel vorauszuschicken.
Am unteren und seitlichen Umfange der Dotterzellenmasse der Batrachier-
embryonen bilden sich in der ersten Larvenperiode Inseln von Blutzellen, indem
einzelne von den grossen peripherischen Dotterzellen in Haufen kleinerer runder
Zellen zerfallen. Zugleich löst sich von der anstossenden Innenseite des Vis-
ceralblattes eine Anzahl von Zellen ab , welche unter Ansammlung einiger In-
terstitialflüssigkeit eine flache Schicht von Bildungsgewebe herstellen. Dieses
Bildungsgewebe deckt anfangs die von den neugebildeten Blutzellen ausgefüll-
ten Gruben der Dotterzellenmasse-, indem aber die zunehmende Zwischen-
flüssigkeit die Blutzellenmassen lockert und ausdehnt, treten sie aus der Ober-
fläche der Dotterzellenmasse hervor und wirken dann auf das umgebende
Bildungsgewebe in der gleichen Weise wie die sich ansammelnde Interstitial-
flüssigkeit bei der Entstehung der primären Gef ässe, d. h. sie erzeugen um sich
herum netzförmige Schläuche, welche miteinander in Verbindung treten und
so das Dottergefässnetz zusammensetzen. Da die Dotterzellenmasse vorn
unmittelbar an die Leberanlage (Vordarm) und diese wieder an das Herz an-
stösst, sodass das Visceralblatt von jener Masse in einer Fläche über die Leber
hinweg in die Herzwand übergeht, so ist es verständlich, dass sein Bildungs-
gewebe die Verbindung zwischen dem Dottergefässnetz und der Herzhöhle
vermittelt. In diesen den Vordarm umschliessenden Theilen des Gewebes
entstehen ganz nach dem Typus der primären Gefässe die Dottervenen,
welche die Blutzellenmasse in das Herz überführen. — Dieses Bildungsgewebe
des Visceralblattes ist eben als Bedeckung des Nahrungsdotters homolog der
oben bezeichneten Gefässschicht des Hühnerembryo, welche dem Nahrungs-
dotter (Keimwall) ebenfalls unmittelbar aufliegt; und nimmt man dazu, dass
auch dieser Dotter, wie ich es bereits ausführlich beschrieben habe (Nr. 121
S. 180 — 186), Dotterzellen erzeugt, welche in Haufen von Blutzellen zerfallend
f Blutinseln) sich in jene Schicht eindrängen und das sie zunächst umgebende
Zellennetz in primitive Gefässwandungen verwandeln, und dass darauf diese
mit Blut gefüllten Schläuche sich netzförmig verbinden, so hat man eine voll-
ständige Uebereinstinnnung in der Dottergefässbildung der Batrachier und des
Hühnchens. Der Fruchthof des letzteren, in welchen nur selten einige Blut-
inseln vorrücken , entspricht aber dem Gebiete der sammelnden Dottervenen,
welche in der Batrachierlarve, in Folge der Beschränkung ihres Nahrungs-
dotters auf die Ausbreitung des Mitteldarms hinter der Leberanlage, neben
VIII. Die Segmeute des Rumpfes. 539
dieser einen sehr kurzen Verlauf bis zum Herzen haben. Diese Venen entstehen
höchst wahrscheinlich auch im Fruchthofe des Hühnchens nach dem Typus der
Hauptgefässe; schon v. Baer und Remak sahen dort anfangs nur blutleere
Kanäle (Nr. SIS. 31. 32, Nr. 40 S. 14). Von den übrigen Gefässen des Hühner-
embryo kann ich noch anführen, dass dort, wo jederseits eine der beiden primi-
tiven Aorten entsteht, nämlich in dem dreieckigen Räume zwischen dem
medialen Rande des Visceralblattes , den Segmenten und dem Darmblatte un-
mittelbar vor dem Erscheinen des Gef ässes etwas lockeres Bildungsgewebe liegt,
welches einen Zusammenhang mit demselben Gewebe des Visceralblattes nur
stellenweise zeigt und daher unbedenklich wie bei den Batrachiern von den
inneren Segmentblättern (untere Segmentfläche) abgeleitet werden kann. In
dieser Beobachtung sehe ich einen Beweis , dass die Aorta weder aus einem
soliden Zellenstrange sich entwickelt, noch aus der peripherischen Gef ässschicht
in den Stammtheil hineinwächst. — An den Embryonen der Knochenfische
fand ich, dass, wenn auch der eigentliche Ursprung der blutbildenden Elemente
nicht ganz sicher zu ermitteln ist, immerhin die Blutinseln ebenso wie bei den
Batrachiern und Vögeln an der Oberfläche des Nahrungsdotters entstehen und
in die anliegende Schicht des mittleren Keimblattes aufgenommen werden,
worauf die Dottergef ässbildung in der geschildertun Weise fortschreitet (Nr.
121 S. 196). Hinsichtlich der bleibenden Körpergefässe beobachtete ich, dass
die Aortenwurzeln und die Aorten mit ihren ersten Verzweigungen (-die inter-
segmeutalen Zweige , die Artt. sufrclaviae) in dem sehr deutlich ausgebildeten
Lückensystem des Bildungsgewebes so entstehen, dass vor dem Erscheinen einer
scharfumgrenzten grossen Lichtung an derselben Stelle bereits erweiterte
Lücken lagen ; die eben entstandenen Gef ässwände bestehen aus einer Lage
von Zellen, welche zum Theil untereinander verschmolzen sind und jedenfalls
hier und da kleine Lücken zwischen sich frei lassen, also ein freilich sehr
dichtes , plattes Netz bilden. Diese Beobachtungen halte ich gleichfalls für
geeignet , das bei den Batrachiern unmittelbar Erkannte zu bestätigen , dass
nämlich die Hauptgefässe des Körpers aus regelmässig angeordneten Inter-
cellulargängen des allgemeinen Bildungsgewebes hervorgehen.
Aus allen meinen Untersuchungen über die Bildung der Dottergef ässe und
der Hauptgefässe des Körpers ergibt sich, dass ihre Entwickelungsweise im
Grunde genommen dieselbe und nur in der äusseren Erscheinung verschieden
ist. Denn der wesentliche Bildungsvorgang , nämlich die Ausweitung gewisser
Lücken des Bildungsgewebes zu cylindrischen Intercellulargängen durch eine
540 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
in ihnen sich ansammelnde Flüssigkeit, bleibt sich gleich; und da selbst im
Körper die nach dem Deginn der Herzthätigkeit entstehenden Hauptgefässe
den ausweitenden Inhalt von einer bestimmten Seite her und zuletzt sogar in
Form vollständigen Blutes aus den bereits fertigen Gef ässen zugeführt erhalten,
so beschränkt sich der ganze Unterschied in der Entwickelung der Dutter- und
Hauptgefässe auf die nicht sehr bedeutenden Differenzen des ursprünglichen
Inhalts, welcher bald als blosses Serum, bald in der Form kompakter Blut-
zellenheerde, oder endlich als vollständiges Blut erscheint, nirgends aber mit
den Gefässwänden aus derselben zelligen Anlage hervorgeht, sowie er auch
später nicht zu ihnen gehört. Ich hätte daher auch die Entwickelungsgeschichte
der beiderlei Gefässe gar nicht so vollständig auseinandergehalten, wenn nicht
gerade jene wechselnde äussere Erscheinung zur Quelle der meisten Verwech-
selungen und Irrthümer in diesem Gebiete geworden wäre. • — Die Dottergefässe
der Batrachier sind freilich bei den Salamandrinen (vgl. Rusconi Nr. 39Taf. I II)
und bei Alytes (vgl. Vogt Nr. 26 Taf. I) , nicht aber bei den am häufigsten un-
tersuchten übrigen Anuren bekannt gewesen; über ihre Entstehung berichtet
uns Vogt nichts Besonderes, sondern bringt sie mit allen übrigen Gefässen, die
Kapillaren eingeschlossen, unter ein Bildungsgesetz, wonach sie ohne Mitwir-
kung eines Inhalts entstandene Gewebszwischenräume wären. Diese irrige
Auffassung war offenbar der Rückschlag gegen die v. BAER'sche Lehre, welche
das zuerst gebildete und in Bewegung gesetzte Blut seine Bahnen in indifferen-
tem. Bildungsgewebe ausgraben , und Wandungen derselben erst nachträglich
entstehen liess. Diese nur von Reichert anerkannte Lehre enthält, trotz der
offenbaren Fehler in der allgemeinen These, in ihren Anfängen, in den Be-
obachtungen v. Baer's 5 viel mehr Richtiges als alle späteren Theorien. Auch
bei dieser Gelegenheit inuss ich darauf aufmerksam machen, wie sehr man v.
Baek Unrecht thut, wenn man über seinen theoretischen Auseinandersetzungen
seine eigentlichen Beobachtungen vergisst, jene allein als das Ergebniss seiner
\rbeit betrachtet. Die Beobachtungen , welche nach v. Baer's eigenem Ge-
ständniss seinen vorgefassten und später zu jener Theorie benutzten Ver-
muthungen nicht entsprachen, enthalten Folgendes (Nr. SIS. 31 — 36). Im
Gefässhofe des Hühnerembryo allein füllt wirkliches Blut gleich anfangs die
( M'l'iisso, von denen wenigstens die Grenzvene zuerst eine blosse Lücke im Ge-
webe sei, welche erst später von einer festeren Wandung umschlossen werde.
Die Gelasse des Fruchthofes sowie die jüngsten Aortenanlagen enthalten zuerst
bloss Blutserum, und jene zeigen sofort Andeutungen einer zarten Wand,
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 541
wahrend eine solche an den Aorten eine Zeit lang zu fehlen scheine, und das
Blut wahrscheinlich unbestimmt im Bildungsgewebe sich verliere, um sich
erst allmählich festbegrenzte Bahnen auszugraben. Aus diesen Bemerkungen
ergibt sich , dass meine eigenen Beobachtungen über die Dotter- und primären
Körpergefässe sich unmittelbar an die v. BAEß'schen anknüpfen lassen , indem
sie lediglich als Ergänzungen und weitere Ausführungen der letzteren erscheinen
und den gesammten Bildungsvorgang näher bestimmen. Remak brachte da-
gegen die Ansicht auf, welche in verschiedener Gestalt sich bei allen folgenden
Embryologen erhalten hat, dass nämlich alle Dotter- und Hauptgefässe zu-
gleich mit einem Blutinhalte als Differenzirungsprodukte einer gemeinsamen
Anlage entstehen. An den nicht ganz leicht zu erforschenden Dottergefässen
kann man dies noch zu sehen glauben ; nirgends habe ich aber im Körper dieser
und aller anderen Wirbelthiercmbryonen einen noch so schwachen Anhalts-
punkt für jene Behauptung gefunden, da die ersten Gefässanlagen überall blut-
leere Röhren darstellen , welche erst später vom Herzen aus mit Blut gefüllt
werden. Diese irrige Ansicht Remak's wurde nur von Kölliker unverändert
adoptirt; His folgt ihr, wenn auch nicht ganz bestimmt, in Betreff der Dotter-
gefässe (Nr. 109 S. 98), natürlich unter Voraussetzung des anderen Ursprungs
der ganzen Gef ässschicht. Die Entstehung der übrigen Gefässe hat His nur
ganz allgemein dargestellt: aus der Wand der Dottergefässe sollen Zellen-
stränge hervorsprossen, welche quer gegen die Längsaxe des Embryo wachsend
sich in demselben zu Längssträngen, den Anlagen der Aorten und Kardinal venen,
verbinden, deren Wucherungen das übrige Gefässnetz erzeugen (Nr. 109 S.
100. 175. 176). Da jedoch His über die Zusammensetzung der Wand der
Dottergefässe nur eine Vermuthung ausspricht, für die übrigen Gefässe aber
nicht einmal andeutet, wie sie aus den nicht weiter beschriebenen „Zellen-
strängen" entstehen sollen, so befinde ich mich nicht in der Lage, die Behaup-
tung eines bestimmten Thatbestandes zu widerlegen; sollte übrigens His unter
den strangförmigen Gefässanlagen etwas Aehnliches verstehen wie Remak , so
verweise ich auf das darüber Gesagte. - - Klein glaubte zu erkennen, dass die
Gefässe des Gefäss- und Fruchthofes aus miteinander verschmelzenden Blasen
entständen, aus deren Wand zudem die Blutzellen hervor wüchsen , oder aus
Riesenzellen, welche das Blut endogen erzeugten; ich habe diese Auffassimg,
der sich auch Stricker anschloss (Nr. 120 S. 1218), schon früher zurück-
gewiesen (Nr. 121 S. 194. 195) und will hier nur hinzufügen, dass Klein jene
merkwürdige Entstehungsweise auch auf die Aorten ausgedehnt wissen will
542 Ylll. Die Segmente des Rumpfes.
(Nr. 122 S. 44). — Die fadenförmigen Verbindungen zwischen den Dotter-
gefässen , welche seit Remak bekannt sind, gehören offenbar in die Kategorie
der kapillären Gef ässanlagen, zu denen ich jetzt übergehe.
Ueber die Entwickelung der Haargefässe des Froschlarvenschwanzes,
welche das Vorbild für alle analogen Vorgänge geblieben sind, hat, nach der
sehr ungenauen Beschreibung Baumgärtner's, Schwann die ersten und nach
meiner Erfahrung bisher relativ richtigsten Beobachtungen bekannt gemacht.
Richtig ist nämlich die Ansicht, dass das Kapillarnetz aus einem vorgebildeten
Zellennetze entsteht; irrig aber die später so oft wiederholte Lehre, dass das
Netz in der Weise sich entwickele, dass die Bildungszellen Fortsätze ausschicken,
welche sich mit ihren Spitzen zu kontinuirlichen Fäden verbinden. Diese Vor-
stellung, welche noch auffallender wird, wenn es sich um dotterh altige, also
unvollkommene Zellen handelt, ist so geläufig geworden , dass ich es nicht für
überflüssig halte, noch einmal darauf zurückzukommen (vgl. S. 493. 495). Ein-
mal setzt jene Vorstellung voraus , dass die Zellen in ganz ausserordentlichem
Grade amöboid beweglich seien, was für die Embryonalzellen mindestens nicht
erwiesen ist-, ferner verlangt sie, dass solche Zellen vor ihrer selbstthätigen
Verzweigung den dazu nöthigen Raum vorfinden , was aber nirgends zutrifft.
Denn es ist nicht richtig, dass z. B. in der Schwanzflosse ein solcher Raum vor-
gebildet wird, in welchen alsdann runde Embryonalzellen einwandern , um sich
dort nachträglich netzförmig zu verbinden (Hensen); sondern die Zunahme des
ganzen Innenraums der Schwanzflosse fällt mit der Vergrösserung der Inter-
stitiell der dort vorher zusammengedrängten Embryonalzellen zusammen , und
indem zu gleicher Zeit die früheren Verbindungen der Zellen zu kurzen Brücken
und endlich zu längeren Fäden ausgezogen werden, so geht die Entwickelung
der Intercellularräume mit derjenigen eines vollständigen Zellennetzes von
Anfang an Hand in Hand. In diesem Thatbestande fehlen also nicht nur die
nothwendigen Voraussetzungen für die oben bezeichnete Ansicht, sondern es
wird dieselbe dadurch auch vollkommen überflüssig. Ich habe ferner bereits
ausgeführt, dass und wie die in das ursprüngliche Netzwerk ergossenen Dotter-
bildungszellen dasselbe vervollständigen, ohne dass zunächst amöboide Aus-
strahlungen derselben angenommen zu werden brauchten, und anderseits führt
die andauernde Ausdehnung des ganzen Gewebes in Folge des allgemeinen
Kürperwachsthums so vielfache Verschiebungen und neue Verbindungen herbei,
dass ich alle diese Bedingungen zur Herstellung des komplicirtesten Netzwerkes
für vollständig genügend erachte. Für die späteren Perioden, in denen die Um-
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 543
bildung aller Zellen in vollkommene „Elementarorganismen" vollendet ist,
will ich die amöboiden Verästelungen der Bildimgszellen nicht in Abrede
stellen, namentlich wo dieselben gewissen Flächen sich anpassend (Gef ässwände,
Oberflächen mancher Organe), leicht zur Ausbildung oder doch zur Vervoll-
ständigung netzförmiger Verbindungen führen können. Es fragt sich nur, ob
wir in der Entwickelungsgeschichte der Haargefässe zur ausschliesslichen oder
nur bevorzugten Annahme solcher Ursachen gezwungen sind. Durch meinen
Nachweis der isolirten Anlagen der sekundären Gefässe und ferner der mit
fertigen Gefässen zusammenhängenden weitläufigen Zellennetze, welche bei
der theilweise schon eingeleiteten Umbildung ganz unzweifelhaft für Gefäss-
anlagen gehalten werden müssen, ist es einmal festgestellt, dass die seit
Platnee, übliche Erklärung der Kapillarbildimg sich nur auf spätere Perioden
und Vorgänge beziehen könnte, welche allerdings auch allein zur Untersuchung
kamen, da man stets die leichtere, aber wie ich früher ausführte (S. 49G),
durchaus ungenügende Beobachtung älterer Larven vorzog. Anderseits be-
ruhen aber gewisse wesentliche Voraussetzungen der neueren Theorie lediglich
auf der Unkenntniss über jene unzweifelhafte Kanalisation von Zellennetzen.*
Denn aus meinen bezüglichen Beobachtungen ergibt sich, dass die in gewissen
Linien des Zellennetzes ausgebildeten sekundären Gefässe ebenso wie die pri-
mären nach verschiedenen Seiten und au vielen Stellen noch unbenutzte Zellen-
verbindungen behalten, oder solche durch die wandernden Dotterbildungszellen
neugebildet werden können. Es fehlt daher jede Nöthigung, die von den Ge-
fässwänden ausgehenden Fortsätze für „Sprossen", d. h. Wachsthumsprodukte
der ersteren zu erklären: sie sind nicht zur Gefässbildung neu entstanden,
sondern aus der Zeit zurückgeblieben , wo die Gefässe aus verzweigton Zellen
hervorgingen oder, was ich für den selteneren Fall halte, nachträglich sich mit
solchen verbanden. Hier erhebt sich nun freilich der Einwand , dass man jene
Fortsätze unmittelbar habe wachsen sehen (Golubew , Arnold). Ein solcher
* Es bleibt fraglich, ob aucb die Bilder, welche die ScHWANN'sche Auffassung seinen
Nachfolgern, z. B. Kölliker, empfahlen, wirklich so frühe Entwicklungsstufen betrafen,
dass sie genügende Beweiskraft besassen. Denn wenn Kölliker auch anfangs die
ScHWANN'sche Darstellung derjenigen von Platner so sehr vorzog, dass er über keinen
Gegenstand in der ganzen Histiologie sich glaubte zuversichtlicher äussern zu können (Nr.
78 II S. 551), so hat er doch später nicht nur die Sprossentheorie Platner's, sondern auch
noch andere Hypothesen jener ersten Darstellung substituirt.
544 VIII. Die Segmente des Rampfes.
Befund wird aber gegenwärtig in einem anderen Lichte erscheinen als früher.
Die fertigen Harngefässe des Larvenschwanzes der Anuren, von denen die
Untersuchung bisher ausging, besitzen, wie ich gefunden, ebenso wie alle übri-
gen Gefässe von ihrer ersten Entstehung her mehrfache Verbindungen mit
noch indifferenten Theilen des interstitiellen Bildungsgewebes. Diese Verbin-
dungsfäden erreichen mitunter eine solche Feinheit, dass nur die günstigsten
Präparate sie zu verfolgen erlauben, und sie daher unter weniger günstigen
Beobachtungsbedingungen , wie solche bei der Untersuchung lebender Larven
unzweifelhaft vorhanden sind (vgl. S. 496), nach kürzerem oder längerem Ver-
lauf mit freiem Ende auszulaufen scheinen, Wenn also ein solcher dünner
Gefässfortsatz von seiner Wurzel in der Gefässwand an nach aussen fort-
schreitend aufzuquellen beginnt, so kann er unter jenen ungünstigen Beobach-
tungsbedingungen allerdings nur zuwachsen scheinen, obgleich in der That
bloss die Sichtbarkeit seines Verlaufs in derselben Richtung fortschreitet. Da
nun diese ursprünglichen Verbindungsfäden der Haargefässe mindestens ebenso
zahlreich sind als deren spätere Zweige, so ist es im höchsten Grade wahr-
scheinlich, dass jedes Hervorwachsen eines Gefässsprosses nur scheinbar ist.
Diese Wahrscheinlichkeit wird noch verstärkt durch den Umstand, dass die
Spitzen benachbarter angeblicher Gefässsprossen sei es im kürzesten Bogen
oder trotz einzelner abweichender Biegungen stets auf einander zu wachsen,
um sich darauf zu den bekannten Gefässschlingen zu vereinigen. Denn nach
meiner Darstellung erklärt es sich leicht, dass die Gefässbildung auf den Bah-
nen des ausgespannten Zellennetzes die Maschen desselben umschreibt, also
bogenförmig verläuft, und dass wohl die meisten Gefässanlagen die nächste
Verbindung zum Zusammenrluss benutzen und so die Bögen und Schlingen
schliessen (vgl. S. 508). Im anderen Falle bleibt aber das regelmässige Er-
geh niss ein wunderbares, und der Erklärungsversuch von Golubew scheint mir
weniger sein Ziel zu erreichen, als vielmehr die Schwierigkeit erst recht zu be-
leuchten. Denn das vorausgesetzte mechanische Hinderniss eines geraden
Wachsthüms der Gefässsprossen müsste, von allen übrigen Bedenken abgesehen,
für jede einzelne Gefässschlinge besonders konstruirt werden, un'd würde auch
dann überhaupt nur eine Biegung der einzelnen Sprossen, aber in keiner Weise
das regelmässige Zusammentreffen ihrer Enden erklären. Auf Grund meiner
Beobachtungen darf ich also die Gefässsprossentheorie für jeden einzelnen Fall
anzweifeln, weil die ihr zu Grunde liegenden Beobachtungen sich als unzuver-
lässig, gewisse Folgeerscheinungen mit ihnen unvereinbar erweisen-, ich darf
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 545
ferner jene Theorie als überflüssig erklären, da die dabei nicht beachtete vor-
ausgegangene Entwicklung der betreffenden Theile eine einfachere und natür-
lichere, weil mit der Bildung der ersten sekundären Gefässanlagen überein-
stimmende Deutung auch der späteren Gef ässentwickelung gestattet.* Endlich
möchte ich aber auch die innere Wahrscheinlichkeit der Gef ässsprossentheorie,
die Möglichkeit der von ihr behaupteten Vorgänge überhaupt in Frage stellen.
Dass eine neugebildete Kapillarwand, an der weder selbstständige, noch zu-
nächst überhaupt welche Zellen vorhanden sind, dieselbe ausserordentliche
amöboide Beweglichkeit besitze wie die einzigen vollkommen selbstständigen
Zellen und Elementarorganismen des Wirbelthierkörpers , nämlich die den Ge-
fässen entstammenden wandernden Bildungszellen, kann nur demjenigen
möglich und gar selbstverständlich erscheinen, der darauf verzichtet hat, die
Begriffe des Protoplasmas und des Organismus, d. h. der stofflichen Unterlage
gewisser Elementarvorgänge und des individuellen Trägers einer bestimmten
Organisation jener Vorgänge, worin eben das Leben besteht, auseinander-
zuhalten. Da ich auf diesen Gegenstand weiter unten ausführlich zurückkomme,
so sei hier nur bemerkt, dass der Begründer der Gefässsprossentheorie,
Platnek, seine Ansicht mit der Unbefangenheit äussern konnte, welche der
unentwickelte Zustand der Zellen- und Entwicklungslehre damals bedingte,
dass wir aber gegenwärtig nicht in der Lage sind, die für den einzelnen Fall
nächstliegende Deutung einer auffallenden Erscheinung insbesondere in der
Entwickelungsgeschichte als Thatsache zu verzeichnen, ehe wir ihre Beziehungen
zu den thatsächlich festgestellten analogen Kenntnissen und namentlich ihre
genetischen Voraussetzungen geprüft. — Was nun die der Gefässsprossen-
theorie angehängte, ganz unhaltbare Hypothese Kölliker's betrifft, so zeigt
sie uns das Seitenstück zu der eben kritisirten Auffassungs weise: überwog dort
die Wahrnehmung einer isolirten Erscheinung jedes allgemeine Bedenken ; so
lässt uns diese Hypothese die Stärke eines Vorurtheils, nämlich hinsichtlich des
ununterbrochenen Zusammenhangs der Zellenbildung, gegenüber anerkannten
Beobachtungen bemessen.
Ueber die Lymphgef ässe des Larvenschwanzes kann ich mich kurz fassen.
Von den meisten Beobachtern werden sie nach ihrer Entstehung mit Recht den
* Selbst in erwachsenen Thieren linden sich Bilder von reichverzweigten , mit Haar-
gefässen verbundenen „Sternzellen" (vgl. Eberth Nr. 120 S. 205), welche die Annahme
sichern, dass dort die Neubildung von Gelassen keine abweichende sei.
Goette, Entwickelungsgeschichte. 35
546 \Ill. Die Segmente des Rumpfes.
Blutgefässen gleichgestellt. Wenn His sie als „ Paracellulargänge " entstehen
lässt, so müsste er, um den Widerspruch zwischen Beobachtung und Auflassung
zu lösen, sich die eben bezeichnete Hypothese Kölliker's oder eine ähnliche
aneignen. — Was den Zusammenhang der Lymphgefässe mit den Sternzellen
und ihre „Zacken" betrifft, so gilt hier dasselbe, was ich über die ähnlichen
Verhältnisse der Nerven bemerkte : es haben His , Hensen und Langer es gar
nicht beachtet, dass sie offenbar ältere Entvvickelungsstufen vor sich hatten als
Kölliker, der die früheren Zustände , namentlich den deutlichen Zusammen-
hang der Lymphgefässe mit dem übrigen Bildungsgewebe im allgemeinen
richtig schilderte. Die Zacken erklären sich nach den vorausgeschickten Be-
merkungen über die Blutkapillareneinfach als die Ursprungsstellen der feinsten
und daher oft unsichtbaren ursprünglichen Fortsätze; auf meiner Abbildung
(Taf. XII Fig. 213) fehlt nur einer Zacke jede Andeutung einer Fortsetzung.
Die kegelförmige Vorragung der Gef ässwand ist übrigens nicht ohne weiteres
auf eine beginnende Kanalisirung des Fortsatzes, sondern gewiss zum grössten
Theile auf die Zugwirkimg des sich beständig ausdehnenden Zellennetzes zu
beziehen; denn dieselbe Gestalt der Fortsatzwurzeln besteht auch an den soliden
Gefässanlagen wie überhaupt am ganzen Zellennetze des Bildungsgewebes.
Ebenso wie hinsichtlich dieser Zacken muss ich auch die Angabe Kölliker's
über die blinden Ausläufer der Lymphgefässe bestätigen. — Mit Rücksicht auf
das, was ich über die Lymphgefässe des Larvenschwanzes im Vergleiche zu
denen des übrigen Körpers in der Beschreibung sagte, dürfte es geboten sein,
die bisherigen, auf das erste Objekt beschränkten Erfahrungen über die Lymph-
gef ässentwickelung nicht unbedingt für alle Lymphgef ässe oder selbst Lymph-
kapillaren anderer Körpertheile und anderer Wirbelthiere zu verwerthen.
Das Bindegewebe ist bisher von allen Bindesubstanzen der Batrachier am
wenigsten embryologisch untersucht worden. Die homogene subepidermoidale
Membran, welche Remak als vorläufige, Eberth als bleibende Unterhaut auf-
f;tsst, glaube ich mit mehr Recht nach dem Vorgange Hensen's für eine blosse
Basalmembran erklären zu dürfen. Auffallend bleibt es, dass Remak diese
Membran im Schwänze ganz richtig als verdichtete Zwischensubstanz, am
Bauche aber als ein Verschmelzungsprodukt von Zellen betrachtet. Ihr leicht
nachweisbarer Ursprung in der erstgenannten Weise schliesst die Möglichkeit
aus, ihr zerklüftetes oder faseriges Gewebe mit dem eigentlichen fibrillären
Bindegewebe zu vergleichen. Die Entwickelung des letzteren ist an höheren
Wirbel thieren häufiger untersucht, aber in sehr verschiedener Weise gedeutet
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 547
worden. Schwann glaubte, dass die Spaltung spindelförmiger Bildungszellen
in feinste Fasern die Fibrillenbündel des gewöhnlichen Bindegewebes und der
Sehnen herstelle (Nr. 77 S. 137. 147); seitdem beachtete man aber auch be-
sonders die Zwischensubstanz der zelligen Elemente der Bindegewebsanlagen,
und der Ursprung dieser Substanz, sowie der Antheil, den man ihr bei der Ent-
wicklung des Bindegewebes zuschrieb, bilden die wichtigsten Differenzpunkte
aller späteren Auffassungen. Kölliker führt alle Bindegewebsformen zurück
auf die einfache zellige Bindesubstanz , welche ursprünglich einzig und allein
aus runden, indifferenten Embryonalzellen bestehe (Nr. 79 S. 57. 76). Wenn
dieselben in Kontinuität bleiben, bilden sie die unächten Epithelien der serösen
Säcke, des Herzens und der Gefässe (S. 62). Meist scheiden sie aber eine
Flüssigkeit aus, welche sich zu einer festeren Grundsubstanz verdichtet, wäh-
rend die Zellen sich netzförmig verbinden oder getrennt verschiedene Formen
annehmen (S. 40. 58). Die Grundsubstanz kann dabei gallertig weich bleiben
(Gallertgewebe), oder sie verknöchert (echter Knochen, Zahnbein), oder zerfällt
endlich in die leimgebenden Fibrillen des gewöhnlichen Bindegewebes , wobei
die ursprünglichen Embryonalzellen sich in die zelligen Elemente der ausge-
bildeten Formen (Knochen-, Bindegewebskörperchen ) verwandeln (S. 58. 76).
Eine Grundsubstanz des einfachen netzförmigen Bindegewebes erwähnt
Köllikee überhaupt nicht; die Zellennetze werden aber bloss mit den zelligen
Elementen des fibrillären Bindegewebes verglichen (S. 79). M. Schfltze
brachte dagegen die Ansicht auf, dass die Fibrillenmasse aus den Leibern mit-
einander verschmolzener Zellen hervorgehe, deren unveränderte Beste mit den
zurückbleibenden Kernen die Bindegewebskörperchen bilden (Nr. 92 S. 12. 13).
Diese Ansicht hält auch Rollett für die wahrscheinlichste (Nr. 120 S. 67),
während Stricker sie für unerwiesen, dagegen als Thatsache erklärt, dass,
wie es Ku/snetzoff und Obersteiner behaupten (vgl. Nr. 120 S. 62), die
Fibrillen aus Zellenfortsätzen entstehen (Nr. 120 S. 1217). Boll's Darstellung
scheint mir von denjenigen Schwann'« und M. Schf/ltzes nicht wesentlich
abzuweichen (Nr. 126). Ich habe über die Entwickelung des Binde-
gewebes nur an Batrachiern ausreichende Untersuchungen angestellt , glaube
aber in denselben genügende Anhaltspunkte zur Beurtheilung der analogen
Vorgänge bei anderen Wirbelthieren zu finden. Zunächst liefern also meine
Untersuchungen die thatsächliche Bestätigung dessen , was M. Schultze aus
allgemeinen Gründen glaubte annehmen zu dürfen. Und zwar gilt es nicht
bloss für das Bindegewebe , sondern für alle Bindesubstanzen mit fester Grund-
35*
548 VHI- I^ie Segmente des Rumpfes.
oder Zwischensubstanz, dass dieselbe aus den verschmolzenen Leibern der
Bildungszellen hervorgeht, die Knorpel-, Knochen- und eigentlichen Binde-
gewebskörperchen aber sekundäre Bildungen sind , ganz analog den Muskel-
körperchen und Nervenzellen. Ja selbst die Elemente der epithelialen Binde-
substanzen, vor allem der Innenhäute der Gefässe und der Kapillarwände
sind nach meiner Erfahrung sekundäre Bildungen und keinesfalls die End-
produkte einer kontinuirlichen Formentwickelung der ursprünglichen, embryo-
nalen Bildungszellen. Aus diesem Thatbestande ergibt sich nicht nur die Un-
haltbarkeit der KöLLiKERSchen Anschauung, sondern auch eine relative Ueber-
einstimmung im Bildungsverlaufe aller Bindesubstanzen , welche in allen ihren
wesentlichen Theilen auf die ursprünglichen Bildungszellen selbst zurückzu-
führen sind. Allerdings glaubt auch Kölliker einen „genetischen Zusammen-
hang" der Bindesubstanzen in ihrer gleichen Anlage zu erkennen (Nr. 79 S. 57);
diese Anlage aus ganz indifferenten Zellenmassen hätten aber die Bindesub-
stanzen mit allen übrigen Geweben gemein, auch wenn man den Umstand nicht
berücksichtigen wollte, dass die interstitielle Bindesubstanz des Centralnerven-
organs , der Netzhaut und der Ganglien ebensowenig aus durchweg vollstän-
digen Embryonalzellen sich entwickelt wie die Innenhäute aller sekundären
Gefässe. Weiter hätten aber die epithelialen und einfach netzförmigen Binde-
substanzen nach Kölliker's Darstellung gar keine Gemeinschaft mit den
wesentlichen Theilen des fibrillären Bindegewebes und überhaupt mit der soge-
nannten Grundsubstanz aller übrigen Bindesubstanzen. Abgesehen von der
ungenügenden Beobachtung offenbart aber die Theorie Kölliker's auch ge-
wisse Mängel der Vorstellung , welche ich hervorhebe , weil sie , unbeachtet ge-
lassen , in ähnlichen Fällen leicht wiederholt werden könnten. Kölliker hat
nämlich die Intercellularsubstanzen mit den Ausscheidungsprodukten der
Drüsen und freien Oberflächen zusammengestellt (a. a. 0. S. 38).* Bei den
letzteren Bildungen erfolgt die Ausscheidung auf einer anderen Seite der be-
treffenden Zellenschicht als die Stoffaufnahme , sodass man die Ausscheidungs-
produkte allerdings gesondert bestimmen kann. Wie soll man sich aber bei
den übrigen Geweben, deren Zellen allseitig von einer Intercellularsubstanz
umgeben werden, die Entstehung der letzteren „durch Ausscheidung von Flüs-
* Eine theilweise Ausnahme wird nur für den Knorpel zugelassen , indem die Knorpel-
kapseln als Zellenwandungen an der Bildung der Grundsubstanz des Knorpels theilnebmen
(Nr. 79 S. G8)
I
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 549
sigkeit im Innern von ursprünglich zusammenhängenden Zellenmassen" vor-
stellen? Mag man nun an die Embryonalzellen oder die späteren Bildungs-
zellen denken, so ist es klar, dass sie ohne entsprechende Aufsaugung keine
Flüssigkeit ausscheiden können, sodass, wo dieser Stoffwechsel allseitig und
gleichartig erfolgt, irgendeine von aussen stammende Intercellularflüssigkeit
gerade die nothwendige Voraussetzung jeder Ausscheidung ist, welche wieder-
um beständig sich mit jener vermischt. Sollte in dieser die ursprünglichen
Zellen umspülenden Flüssigkeit rund um dieselben eine Verdichtung entstehen,
so könnte diese Umbildung nicht einseitig auf die gar nicht isolirbare Zellen-
ausscheidung, sondern nur auf die Wechselwirkung der schon bestehenden und
durch Zufuhr stets erneuerten Zwischensubstanz und der Zellenthätigkeit zu-
rückgeführt werden. Also auch bei der Annahme , dass die M. ScHULTZE'sche
Theorie falsch wäre, erschiene die Auffassung Kölliker's nicht zutreffend, dass
die festen Grundmassen der Bindesubstanzen Abscheidungen der Zellen wären,
„die sie in sich bereitet haben" (S. 38). Wenn aber diese Massen, soweit meine
Erfahrung reicht, ohne Ausnahme als Verschmelzungsprodukte von Zellen und
daher als sekundäre Intercellularsubstanzen sich ergeben, so sind davon die
Bildungen wohl zu unterscheiden, in denen die ursprüngliche Interstitialflüssig-
keit unter gewissen Bedingungen, wozu in erster Linie ein gewisser Abschluss
gegen die Umgebung zu gehören scheint, sich eigenthümlich verdichtet. Eine
solche Bildung, z. B. der Glaskörper des Auges, darf in toto mit den anderen
Bindesubstanzen gar nicht verglichen werden; nur sein Zellengerüst und dessen
Umbildungsprodukte sind das vergleichbare Aequivalent, während die gallertige
Zwischensubstanz ihm gegenüber dieselbe Stellung einnimmt wie die lymphoiden
Zellenmassen zum bindegewebigen Fasergerüst eines lymphatischen Follikels,
aber durchaus nicht , wie Kölliker meint (S. 58) , der Grundsubstanz des
Knorpels und Knochens oder der Fasermasse des Bindegewebes entspricht. —
Hält man daran fest , dass nach unseren jetzigen Kenntnissen alle Bindesub-
stanzen unmittelbar aus Zellen hervorgehen, so wird man zugeben, dass die von
Schwann gelieferte Entwicklungsgeschichte des fibrillären Bindegewebes im
wesentlichen richtig ist , und dass , nachdem andere Auffassungen sie verdräng-
ten, die neueren Beobachtungen und Deutungen eine Rückkehr zu der
ScHWANN'schen Ansicht bedeuten. Denn es stehen die neueren Wiener Unter-
suchungen und die Beobachtungen Rollett's gar nicht im principiellen Wider-
spruche, sondern es wird nur für eine Bindegewebsform (Sehnen) die getrennte
Umbildung der ursprünglichen Bildungszellen behauptet, während auf der an-
550 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
deren Seite die Entwickelung der Fibrillen in einer Verschmelzungsmasse der-
selben für wahrscheinlich gehalten wird. Nach meinen Erfahrungen ninss ich
die erste Bildnngsweise , wie ich schon in der Beschreibung erwähnte, auf ein-
zelne Zellen beschränken, für die ganze Masse jedoch in Abrede stellen.
Ebenso wie die vergleichende Betrachtung der Leistungen des mittleren
Keimblattes zur näheren Prüfung der ganzen morphologischen Entwickelung
einlud, ist hier der Ort, nach der Darstellung der Entwickelung der verschiede-
nen Gewebsformen, die Bedeutung der ganzen Histiogenese, ihr Verhältniss zur
morphologischen Entwickelung und überhaupt zur Herstellung des ganzen
individuellen Lebens zu erläutern. Nur eine Gewebsform, welche in den fol-
genden Abschnitten häufiger vorgeführt werden wird , ist bisher nur ganz bei-
läufig bei der Oberhaut und den Sinnesorganen erwähnt worden , nämlich das
Epithel und seine Modifikation in den absondernden Drüsen. Desshalb be-
merke ich hier zur Ergänzung ihrer allgemeinen Bildungsgeschichte , dass alle
echten Epithelien mit den unmittelbar aus ihnen abgeleiteten Bildungen dadurch
sich von allen ähnlichen Geweben , den unechten Epithelien oder Endothelien,
unterscheiden, dass ihre Elemente unmittelbar auf die Embryonalzellen sich
zurückführen lassen und daher nebst den Blutzellen* als primäre Zellen allen
übrigen entgegengestellt werden können.
Nachdem v. Baer den Grund zur morphologischen Entwiekelungs-
geschichte der Wirbelthiere gelegt, gab die bald darauf bekannt gewordene
Zellenlehre Schwanns die Veranlassung, das Verhältniss der Histiogenese zu
jener Entwicklungsgeschichte zu prüfen. Dies geschah zuerst durch Reichert.
Er nimmt zwei, die ganze individuelle Entwickelung beherrschende Principien
an, 1. eine dein zelligen Bildungsmaterial eigenthümliche Kraft der Umbildung
in einzelne Organe und Gewebe (Nr. 28 S. 21. 33. 37), 2. den Endzweck der
Entwickelung, welcher im Typus des fertigen Thieres zum Ausdruck komme
* Ich kann liier mit Sicherheit nur die Blutzellen und natürlich auch die Dotterbildungs-
zellen der jüngeren Larven anführen. Denn es scheint festzustehen, dass die Masse der
späteren Blut- und Bildungszellen (Wanderzellen) durch Lymphzellen ergänzt wird, deren
Ursprung und Entwickelung aber noch unbekannt sind.
VITI. Die Segmente des Rumpfes. 551
und die Anordnung jener Einzeltheile von Anfang an bestimme (S. 41 — 44. 60).
Es wird also die Verschiedenheit der Gewebsbildung in gar keinen Kausal-
zusammenhang mit der morphologischen Entwickelimg gebracht , sondern nur
von der „eigenen Energie" der Embryonalzellen , d. h. da die letzteren in den
einzelnen Embryonalanlagen nach Ursprung und Zusammensetzung vollkom-
men gleich sind , von übersinnlichen Ursachen abhängig gemacht. Dass die
Lehre von dem die morphologische Entwickelung bestimmenden Endzwecke
auf dasselbe Ergebniss hinausläuft, brauche ich nicht weiter auszuführen.
Remak glaubte bei seinem Versuche, jlie leitenden Gesichtspunkte in der
Entwickelungsgeschichte der Wirbelthiere festzustellen, einseitige teleologische
Erklärungen entbehren zu können, weil sowohl manche Zweckmässigkeitsrück-
sichten als auch anderseits die „Umwege" und die „Unbequemlichkeit" bei der
Bildung der Organe sich gleicherweise zurückführen Hessen auf „ eine innere
Notwendigkeit , sie aus einer bestimmten Anlage hervorgehen zu lassen" (Nr.
40 S. 102. 103). In demselben Sinne einer einheitlichen, besonderen Bedeutung
jedes Keimblattes ist Remak der Ueberzeugung, „dass die Bildungsgesetze des
Thieres mit den physiologischen Gesetzen des entwickelten Zustandes im Ein-
klänge stehen" (S. 76), und sucht diesen Einklang sowohl in den Beziehungen
der Keimblätter zur Bildung der verschiedenen Organe ( morphologische Ent-
wickelung) als zu den grossen physiologisch differenten Gewebsgruppen des
erwachsenen Körpers zu finden. In ersterer Hinsicht sieht er „ den entwicke-
lungsgeschichtlichen Werth des oberen Keimblattes in dessen Bestimmung, die
Sinnesorgane und deren Centralorgane zu bilden" (S. 75); doch bekennt er
selbst , dass damit nur die hervorragenden Leistungen des Sinnesblattes be-
zeichnet seien , und die übrigen ganz anderen Zwecken dienen ( S. 76 ) , dass
ferner die Einheit jener Bildungsthätigkeit nur in den Beziehungen zu den
Sinnesorganen überhaupt zu suchen sei, während die einzelnen Bildungen im
übrigen die grössten histiologisch- physiologischen Verschiedenheiten darböten
(S. 100). In der physiologischen Charakteristik des mittleren Keimblattes
wird die motorische Eigenschaft , welche die verschiedensten Gewebe (Muskeln,
Nerven, Skelettheile) vereine, in den Vordergrund gestellt; ihre Verwandtschaft
mit der demselben Keimblatte zukommenden keimbereitenden Thätigkeit sucht
Remak daraus zu erweisen, dass auch der Bewegungsapparat „die Fähigkeit
besitzt , durch Wirkungen nach aussen hin die Existenz des Individuums zu
sichern" (S. 101 — 103). Dagegen „trotzen die Urnieren jedem Versuche, ihnen
im Entwickelungsplan eine entsprechende Stelle anzuweisen", weil sie nicht aus
552 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
dem Darmdrüsenblatte entspringen, dessen Bedeutung in der Bildung assimi-
lirender und absondernder Organe der Ernährung beruhe (S. 76. 77). — Aus
dieser kurzen Uebersicht des REMAK'schen „Entwicklungsplans" erhellt zur
Genüge, zu welcher Einschränkung der angenommenen specifischen Bedeutung
der Keimblätter ihn seine Beobachtungen zwangen. Die ganze physiologische
Gleichartigkeit in den Leistungen eines Keimblattes beruht eben nur in dem
gleichen „physiologischen Zweck" bei verschiedenem „physiologischen Werth"
der aus derselben Anlage hervorgehenden Organe (S. 77); und jener bezeichnet
zudem nicht einmal die ausschliessliche, sondern bloss eine subjektiv bemessene
hervorragende Verwendung der Keimblätter, sodass der„thierische Charakter"
des Sinnesblattes nach der Abschnürung des Centralnervenorgans und der
Sinnesorgane im Hornblatte sich sogar in den „pflanzlichen Charakter" des
Darmdrüsenblattes verwandle (S. 78). — Remak erwähnt ferner beim Horn-
blatte und beim Darmdrüsenblatte eine histologische Uebereinstimmung ihrer
Erzeugnisse , welche aber wenigstens im ersteren durchaus nicht mit dem die
morphologische Entwickelung beherrschenden physiologischen Zweck oder dem
schliesslichen histiologisch-physiologischen Werth jener Erzeugnisse zusammen-
fällt, sondern sich auf die gleichartige äussere Erscheinung während der Ent-
wickelung beschränkt, sodass z. B. die Linse, das Nasen- und Mundepithel, die
Horngebilde u. s. w. als oberhäutige, gefäss- und uervenlose Theile nebenein-
ander gestellt werden (S. 100). Es lässt sich darin die Andeutung nicht ver-
kennen , dass jene Uebereinstimmung wesentlich in der freien Oberfläche der
genannten Blätter oder, allgemeiner ausgedrückt, in einer Lagebeziehung der-
selben begründet ist. Dass eine solche Auffassung Remak selbst vorschwebte,
beweist er dadurch, dass er das Gemeinsame der Sinnesanlagen in den blasigen
Ausstülpungen, also lediglich in der Formbildung erkannt und die ganze
sensorielle Thätigkeit des oberen Keimblattes mit der Oberfläche des embryo-
nalen Körpers in Verbindung bringt (S. 100. 101). Ja, diese Erkenntniss ver-
anlasst ihn, das Hörn - und das Darmdrüsenblatt als oberhäutige und drüsen-
bildende Embryonalanlagen direkt miteinander zu vergleichen und in dieser
Gleichartigkeit, deren morphologische Begründung ihm allerdings nicht klar
wurde, „eine breite und sichere Grundlage der Histologie" anzuerkennen
(S. 78. 100). Es konnte aber Remak unmöglich entgehen, dass diese Begrün-
dung der Histiogenese weder mit der Lehre vom besonderen physiologischen
Zweck der Keimblätter noch mit der blossen Sonderung der letzteren zusam-
menhing, und so vcrlässt er uns am Schlüsse seiner trefflichen Untersuchungen
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 553
in der schlecht verdeckten Unsicherheit, ob er in der vergleichenden Entwicke-
lungsgeschichte der Wirbelthiere das Hauptgewicht in der That auf jenen
mangelhaft erwiesenen Endzweck der einzelnen Keimblätter legen sollte, wel-
chem er doch die morphologische Entwickelung unterstellt hatte, oder ob nicht
in jener, nach ihren Ursachen allerdings nicht 'klar erkannten Grundlage der
Gewebsentwickelung ein noch Avichtigerer Anhaltspunkt gegeben sei. — Unsere
Betrachtung führt uns zu dem Ergebniss, dass Remak trotz seiner Verwahrung
gegen eine unbeschränkte teleologische Erklärung anfangs doch der herge-
brachten Auffassung vom Einflüsse des Endzwecks auf die Entwickelung und
von der specifischeu Bedeutung der Keimblätter für die morphologische Ent-
wickelung anhing ; dass aber gerade seine mit anerkennenswerther Unbefangen-
heit angestellten Untersuchungen ihn ganz allmählich dahin brachten, die
Autorität jener Lehre anzuzweifeln und wenigstens daneben einen ursächlichen
Zusammenhang gewisser allgemeiner Vorgänge unmittelbar in einer eingehen-
den Beobachtung zu suchen. Indem er dies zunächst bei der Histiogenese
unternahm, konnten ihm deren innige Beziehungen zur morphologischen Ent-
wickelung um so weniger klar werden, als die letztere sich ihm noch immer im
Lichte der bezeichneten Vorurtheile darstellte.
Wie wenig indessen dieser Fortschritt Remak's in der Erkenntniss der
Entwickelungserscheinungen verstanden wurde, ergibt sich daraus, dass von
seinen Nachfolgern als sein Hauptverdienst bezeichnet wurde, die histiologische
Sonderung mit der Keimblattbildung in Parallele gebracht zu haben (vgl. His
Nr. 109 S. 49), während er selbst, wie ich eben zeigte, dies gar nicht einmal
versucht hat. Diese missverständliche Auffassung der REMAK'schen Darstel-
lung entsprang daher, dass die meisten seiner Nachfolger ihre histiogenetischen
Einzelforschungen in eine ganz bestimmte Verbindung mit seiner Keimblatt-
lehre zu bringen suchten; bei His aber, dem ersten Embryologen, der seit
Remak eine umfassende und selbstständige Entwickelungsgeschichte eines
Wirbelthiers schrieb, überwog zu sehr die Neigung zur Spekulation , um nicht
gerade die ähnlichen Seiten in Remak's Untersuchungen besonders hervorzu-
heben. Was aber nach meiner Ansicht Remak besonders auszeichnet, dass
bei ihm die traditionelle und anfangs von ihm selbst anerkannte allgemeine
Auffassung in Folge der objektiven Beobachtung eigentlich vollständig Schiff-
bruch leidet, hält His offenbar für die Folge unvollkommener Handhabung der
aprioristischen Theorie, welche bei ihm überall dort, wo die Beobachtung sich
ihr nicht zwanglos oder gezwungen fügt, einfach über sie hinwegschreitet. Ich
554 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
habe die His'sche Darstellung bereits an anderen Stellen aufgezeichnet (vgl.
S. 256. 257, Nr. 121 S. 145-162. 187 — 192), aber noch keine Gelegenheit
gehabt, sie in ihrem ganzen Zusammenhange zu kritisiren, wie es hier ge-
schehen soll.
His geht bekanntlich von der Annahme zweier nach Ursprung und Lei-
stungen durchaus getrennten Keime aus: der Hauptkeim oder der umgewandelte
Hauptdotter (Primordialei Waldeyer) liefere alle Gewebe mit Ausnahme des
Blutes und der Bindesubstanzen und führe zudem die morphologische Gliede-
rung allein und ganz selbstständig aus-, der Nebenkeim stamme vom Neben-
dotter und des weiteren direkt von den Bindesubstanzzellen des mütterlichen
Organismus ab, bilde das Blut und die Bindesubstanzen und passe sich in
seiner Formbildung vollständig dem Hauptkeime an (Nr. 109 S. 34—42. 183).
Die morphologische Entwickelung erfolge dadurch , dass ein ungleichmässiges
Wachsthum (Massenzunahme) des Keims Faltungen hervorrufe, in denen
die mechanischen Bedingungen für alle weitere Formbildung zu suchen
seien (S. 184). Neben dieser mechanischen Begründung kehrt aber bei His,
wie ich in meiner oben citirten Arbeit nachgewiesen habe , das Dogma wieder,
dass der physiologische Werth eines Körpertheils seinen Ursprung und seine
Entwickelung bestimme, und dass daher auch in Ermangelung eines Beweises
die beiden ursprünglichen Keimblätter als animales und vegetatives anzusehen
seien. Hinsichtlich der histologischen Entwickelung unterscheide sich der
Hauptkeim wieder bedeutsam vom Nebcnkeime, indem „für die archiblastischen
Gewebe das Entwickelungsgesetz im Akte der Zeugung scharf bestimmt wird.
Eine archiblastische Zelle durchläuft sonach niemals eine Entwickelungsstufe,
in der sie eben so gut Muskel- als Nerven - oder Epithelialzelle werden könne,
und in welcher es blos von äusseren Verhältnissen abhinge, ob sie das eine
oder das andere wird. Jeder Zelle ist vielmehr ihre Entwickelungsbahn vor-
geschrieben1' (S. 200). Der Nebenkeim sei dagegen auch in seiner histologischen
Entwickelung von den Organen und Geweben des Hauptkeims, denen ersieh
anschliesse, abhängig. Feiner soll die histologische Entwickelung des letzteren
nur in untergeordneten Punkten von der morphologischen Gliederung beein-
flusst werden (S. 198), dennoch alter in den vier Hauptformen der archiblasti-
schen Gewebe (Nerven, animale und organische Muskel, Epithel) mit der vier-
fachen Keimschichtung, in der obersten Schicht zudem mit deren Sonderung
in einen centralen und einen peripherischen Theil zusammenfallen, wobei das
VIIT. Die Segmente des Rumpfes. 555
ungleichmässige Wachsthum in ein ganz bestimmtes Verhältniss zum physio-
logischen Werth jener Gewebe gebracht wird (S. 195. 196).*
His selbst sieht in der Annahme seiner zwei Keime und eines allgemeinen
Grundgesetzes ihres Wachsthums die zwei Principien , deren Feststellung die
Aufgabe seiner Arbeit sei (S. VI). Den grundverschiedenen Ursprung und die
völlig gesonderte Entwickelung beider Keime begründete His 1. aus der Ent-
wickelung des Eierstockseies , 2. aus der Entwicklungsgeschichte des Keim-
walls. Die merkwürdige Einwanderung der ovarialen Bindesubstanzzellen in
den jungen Eifollikel hat sich aber durch die Untersuchungen von Waldeter
als Irrthum erwiesen, und ich konnte Oellacher darin bestätigen, dassin dem
sogenannten weissen Dotter des eben befruchteten Eies überhaupt keine Zellen
vorkommen ( vgl. Nr. 121 S. 155 u. flg.) Aber selbst wenn die von His ange-
nommene Zusammensetzung des Eierstockseies richtig wäre, so steht ihm doch
gar kein Urtheil über die ferneren Schicksale der ovarialen Keime zu, da er
von der ganzen, so ausserordentlich wichtigen Entwickelung, welche das reife
Ei bis zum Beginn der Bebrütung durchläuft, nichts Erwähnenswerthes weiss
(Nr. 109 S. 38), also die Erhaltung der beiden Keime, insbesondere der Ueber-
gang des Nebenkeims in den Keimwall sich nur als eine durch keine einzige
Thatsache unterstützte Vermuthung ergeben (vgl. Nr. 1218. 156). Und auch
die letzte Stütze der His'schen Darstellung, die Entwickelungsgeschichte des
Keimwalls (Nebenkeim), bestätigt sich m keinem einzigen Punkte (Nr.
121 S. 192). Das einzige, . was vom Keimwalle her, nicht aus ihm selbst, in
den Embryo übergeht, ist das Blut, und die einzige Anlage, welche in der
äusseren Erscheinung an den His'schen Nebenkeim erinnert , ist mein inter-
stitielles Bildungsgewebe; offenbar hat nun His aus einer irrthümlichen Ver-
mengung beider Erscheinungen sich das Bild seines den Hauptkeim durch-
wuchernden Nebenkeims konstruirt. Wenn aber in meinem Bildungsgewebe
eine Scheidung der von den Embryonalanlagen abstammenden und der aus
dem Blute eingewanderten Elemente gar keinen Sinn hätte, ist der genaue
Nachweis der angeblich strengen histologischen Sonderling der beiderlei
Keimtheile für His ganz unerlässlich ; er hat dieselbe aber nicht einmal wahr-
scheinlich gemacht, und sich eben wieder mit der blossen Behauptung begnügt.
* His formulirt das betreffende Gesetz folgendermassen : „Es steigt die physiologische
Dignität eines arcliiblastischen Gewebsblastems mit der Grösse der Wacksthumsgesckwin-
digkeit, welche dem Blastem im Beginn der Entwickelung zukommt"!
556 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
Kurz , die Lehre von den beiden Keimen ist weniger aus unvollkommener Be-
obachtung als aus überwiegender Spekulation hervorgegangen.
Ebenso illusorisch erweist sich auch das zweite Princip der His'schen Ent-
wickelungsgeschichte. Sein in den ,, theoretischen Ableitungen" so mühsam
ausgearbeitetes Wachsthumsgesetz soll die morphologische und histologische
Sonderung gleicherweise erklären. Die Thatsache der Massenzunahme des
Keims vom ersten Anfange der Entwickelung an wird dabei als selbstverständ-
lich vorausgesetzt. Diese Auffassung ist ganz erklärlich, solange man seine
Aufmerksamkeit auf die Formveränderungen beschränkt: die äusseren Formen
„wachsen" so augenfällig, ein Nahrungsmaterial (Nahrungsdotter) ist so reich-
lich vorhanden, dass die Massenzunahme, welche man in den vorgeschrittenen
Embryonalperioden mit der wägenden Hand feststellen kann, auch am Keime
und den jüngsten Embryonen unzweifelhaft erscheint. Einer weitläufigen
Theorie ihres organischen Wachsthums hätte aber doch eine Prüfung der
grundlegenden Thatsache vorausgehen sollen. Bei einer solchen Prüfung sind
wir auf die Vergleichung der Durchschnitte und der einzelnen Elemente ange-
wiesen. Berücksichtigt man, dass der sich furchende Keim kompakt ist, und
dass seine Elemente später grossentheils sehr locker angeordnet sind, so wird
man bei dem Vergleich der medianen Durchschnitte,* welche ich in meinem
Aufsatze abbildete (Nr. 121 Fig. 1 — 7), und welche bis zur Zeit der beginnenden
Abschnürung des Kopfes reichen, 1. eine Massenzunahme des Keims nicht wahr-
scheinlich finden, geschweige sich von ihr überzeugen können, dagegen 2. er-
kennen, dass die Ausbreitung des Keims zuerst in der Mitte und dann am
Rande auf Kosten seiner Mächtigkeit erfolgt. Ferner kann man sich aus der
vergleichenden Untersuchung der Querdurchschnitte verschiedener Keime
überzeugen , dass deren Formveränderungen nicht auf einer Massenzunahme,
sondern einer Massenverschiebung beruhen , wie ich es in der morphologischen
Entwicklungsgeschichte der Batrachier ausführlich darstellte. Während jener
Umbildungen vermehren sich nun allerdings die Elemente des Keims, aber
die Fig. 1 — 7 und 37—46** der bezeichneten Arbeit erweisen, dass ihre
Verkleinerung mit der Vermehrung Schritt hält und allein während derBebrü-
* Solche Durchschnitte fallen mit der Queraxe des ganzen Eies zusammen, sind also
auch an den unbehrüteten Keimen mit ziemlicher Genauigkeit ausführbar.
** Da die Fig. 37 und 3b nur stärker vergrößerte Theile der Fig. 6 und 7 darstellen, so
bieten die bezeichneten Abbildungen eine durchaus fortlaufende .Reihe.
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 557
tung bis zum Beginn der Biutbilduiig die Masse der einzelnen Zelle auf den vier-
ten Theil und noch mehr reducirt. Ich muss daher die Behauptung von His :
„Die Keimscheibe wächst durch Vermehrung und Vergrösserung ihrer Zellen"
(Nr. 109 S. 53) für durchaus unbegründet erklären. Mit der Herstellung der
Gefässe beginnt jedenfalls eine nachweisbare Massenzunahme des Keims, aber
einmal sind alsdann die meisten fundamentalen Vorgänge der morphologischen
Entwickelung bereits abgeschlossen , und ferner berührt nach His selbst diese
Massenzunahme nicht den dem Wachsthumsgesetze unterworfenen Hauptkeim.
Den Anfang einer wirklichen Ernährung der Embryonalzellen und daher einer
Massenzunahme während ihrer Vermehrung setze ich entsprechend einer
früheren Darstellung (S. 104) in die Zeit, wo die Umbildung der Dottersubstanz
vollendet ist. Noch leichter ist der Nachweis einer mangelnden Massenzunahme
des Keims und des Embryo bei den Batrachiern , indem selbst die Möglichkeit
derselben sowohl für das ganze Ei (S. 78) wie insbesondere für den Keim von
dem zelligen und längere Zeit unveränderten Nahrungsdotter (Dotterzellen-
masse) her ausgeschlossen werden kann. Mit solchem Nachweise ist natürlich
auch das ganze Wachsthumsgesetz gerichtet. Doch will ich seine Bedeutung
gar nicht bloss von seiner äusseren Berechtigung abhängig machen und es auch
unter der Voraussetuung eines thatsächlichen Wachsthums prüfen. Nachdem
His alle möglichen Folgen eines ungleichmässigen Wachsthums erwogen (Nr.
109 S. 51 — 56. 184 — 188), zählt er „die durch die Beobachtung constatirbaren
Eigenschaften des Wachsthumsgesetzes " auf, also den thatsächlichen Inhalt
seiner auf den Hühnerkeini bezogenen Theorie, um darauf zu dem überraschen-
den Ergebniss zu kommen, dass jene Sätze der „unmittelbare Ausdruck der
Beobachtung" seien (S. 190). Diese aus v. Baer's Entwickelungsgeschichte
entlehnten geistreichen Verallgemeinerungen gewisser Formveränderungen der
Keimschichten könnte man allenfalls ein P]rscheinungsgesetz nennen, welches
das Wesentliche und Gesetzmässige einer Erscheinung zusammenfasst und her-
vorhebt und dadurch die Aufmerksamkeit auf das zu Grunde liegende Kausal-
gesetz lenkt, ohne es selbst zu enthalten oder zu bezeichnen. Allerdings sucht
His sowohl seine Keimfalten aus den Formbedingungen der sich ungleichmässig
ausdehnenden Keimschichten und aus ihnen wieder andere Erscheinungen zu
erklären; aber er selbst bezeichnet die Spaltungen, Falten u. s. w. nur als
Folgen seines Wachsthumsgesetzes (S. 55), und dieses bleibt eine blosse Summe
von gesetzmässigen Wachsthumserscheinungen, deren einheitlicher Ursprung
und Verlauf bei His um so geheimnissvoller erscheinen müssen, als ihm die
558 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
nicht ganz kurze Entwickelung des Keims bis zu dem Punkte , wo seine Unter-
suchungen anfingen, völlig unbekanntblieb. Unter der Voraussetzung des Wachs-
thums ist also das His'sche Wachsthumsgesetz thatsächlich nur eine Auf-
zählung gewisser allgemein ausgedrückter morphologischer Erscheinungen, wie
wir sie in ähnlicher Weise schon bei v. Baer antreffen. Und sollte es etwa an-
deuten, dass man auf demselben Wege der Untersuchung bis zu einer einheit-
lichen Begründung jener Vorgänge gelangen könnte, so wäre es im günstigsten
Falle ein Problem zu nennen, dessen ganze Bedeutung natürlich davon abhinge,
dass seine fundamentale Voraussetzung, eben das Wachsthum , sich bestätigte.
Nach der Widerlegung der letzteren kann das His'sche Grundgesetz nicht ein-
mal den Anspruch erheben, ein genauer Ausdruck der Beobachtung zu sein:
eine bei dem jetzigen Stande der Wissenschaft verunglückte Wiederholung der
v. BAEß'schen Reflexionen , verliert es jeden empirischen und theoretischen
Werth.
Wenn nun die morphologische Entwickelung durch das Wachsthumsgesetz
nichts weniger als erklärt wird, so tritt dafür um so unzweideutiger ein anderes
Erklärungsmoment hervor, der Einfluss des physiologischen Endzweckes. Dass
eine solche Annahme neben den so häufig in den Vordergrund gestellten Ver-
suchen einer rein mechanischen Begründung Platz findet, ist kein Zeugniss für
eine klare Auffassung der zu lösenden Probleme; um so weniger, als His in
der Erörterung der histologischen Sonderung denselben Widerspruch noch in
einer anderen Form sich aneignet. Diese Sonderung wird nur im Nebenkeime
(Bindesubstanzen, Blutgefässe) von der morphologischen Entwickelung
mechanisch abhängig gemacht.* Für die Gewebe des Hauptkeims wird dagegen
eine ganze Reihe verschiedener Beziehungen ihrer Entwickelung aufgeführt
(s. oben), wobei allerdings der gänzliche Mangel histiogenetisoher Untersuchun-
gen in einem merkwürdigen Gegensatze zu der Sicherheit der Aussprüche steht.
Will man zunächst in dem kühnen Satze vom Zusammenhange der Histiogenese
mit der Wachsthumsgeschwindigteit einen Hinweis auf eine empirische Erklä-
rung erkennen, wobei aberHis dennoch von einem Kausalnexus zwischen histio-
* Die Vorstellung, dass die Bindesubstanzzellen des mütterlichen Organismus im Eie
zu indifferenten Dotterzellen werden, im Embryo wieder zu Bindesubstanzzellen u. s. f., also
ein gewissermassen unsterbliches Leben in einem beständigen Wechsel von „Rückschlag"
und Fortentwickelung führen, dürfte in diesen Konsequenzen nicht geeignet erscheinen, eine
ernstliche Prüfung anzuregen.
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 559
logischer und morphologischer Entwickelung nichts wissen will,* so werden
wir durch die Behauptung von der Uebereinstimmung der Hauptgewebe mit
ebenso vielen gesonderten morphologischen Anlagen, nämlich den Keimschich-
ten, zu der weiteren Behauptung hinübergeführt, dass die Umbildung jeder
einzelnen archiblastischen Zelle schon vor dein Beginn der Entwickelung im
Zeugungsakte scharf bestimmt sei ! Wir hätten also eine geheimnissvolle Präde-
stination in der Gewebsbildung so gut wie in der morphologischen Entwicke-
lung; und da sie in beiden Richtungen mit der von His konstruirten Keim-
schichtung zusammenfällt, so darf man annehmen, dass ihm selbst eine Einheit
wenigstens des übersinnlichen Princips, des so zu sagen ursächlichen End-
zwecks , vorgeschwebt habe. Andernfalls würde die Dualität desselben ganz
auffallend an Reichert's bezügliche Darstellung erinnern. Bei solchen Er-
gebnissen muss man' darauf verzichten, in der His'sehen Entwicklungs-
geschichte irgend eine einheitliche Auffassung zu finden ; und daher konstatire
ich bloss, dass darin von einer bestimmten Vorstellung über das Verhältniss
der morphologischen und der histologischen Sonderling zur Gesammtentwicke-
lung und zu einander nichts zu entdecken ist.
Aus der voranstellenden Kritik der verschiedenen Entwicklungspläne lässt
sich entnehmen, wie wenig man bisher geneigt war, einen innigen Kausalzusam-
menhang zwischen histologischer und morphologischer Entwickelung anzuneh-
* In diesen Angaben von His häufen sich Widerspruch und Unklarheit ganz besonders an.
Hinsichtlich des eben genannten Satzes folgertHis so (S. 195): „Im Kopftheil des Keims waltet
die Masse des Nervenblastems beträchtlich vor über die Masse der übrigen Blasteme". „Im
Rumpf- und Schwanztheil des Keimes dagegen nimmt die absolute und relative Menge des
Nervenblastems ab, diejenigen der Muskelblasteme zu''. „Fassen wir das Hauptergebniss
des obigen Befundes zusammen, so ergiebt sich , dass das Nervenblastem in denjenigen Ab-
schnitten der Keimscheibe sich bildet, welche beim Beginn der Entwickelung die
grösste Wachsthunisgesc'hwiiidigkeit besitzen , während das Muskelblastem in den Ab-
schnitten mittlerer, und das Epithelialgewebe in denjenigen geringerer Wachsthums-
geschwiiidigkeit entsteht". Es erhellt, dass dieser Schluss und das daraus abgeleitete Ge-
setz vom Zasammenhange der physiologischen Dignität eines Gewebes mit der Wachsthums-
geschwindigkeit (s. oben) sich nur auf den Kopf beziehen können, im Rumpfe aber gerade
umgekehrt lauten müssten, was zum Ergebniss hätte, dass dieselben Gewebe im Kopfe und
Rumpfe einen verschiedenen physiologischen Wertb hätten ! — Wenn ferner jener Zusam-
menhang keine „Erklärung" der betreffenden Histiogenese enthalten soll, auf derselben
Seite aber dennoch zu den „Erklärungsmomenten:" gerechnet wird (S. 197); wenn endlich
das Wachsthuin der Keimschichten als Ausdruck morphologischer Vorgänge die gewebliche
Entwickelung, wie eben bemerkt, wesentlich „beeinflussen" (S. 200), trotzdem aber der
morphologischen Gliederung, worunter auch die Keimschichtung verstanden ist (S. 195),
„kein entscheidender Einfluss" auf die histiologische Entwickelung zukommen soll, so darf
eine solche Darstellung auf Ueberzeugungskraft keinen Anspruch erheben.
560 VIH- ^ie Segmente des Rumpfes.
men, die Ursachen der ersteren geradein dernatürlichsten Weise in den greifbar
vorliegenden lokalen Beziehungen zu suchen. Den Grund dafür glaube ich darin
zu erkennen, dass man, einem sehr verbreiteten Irrthum folgend , Kausalgesetz
und Erscheinungnicht gehörig unterschied und die Identität des ersteren mit
einer Einheit der Erscheinungen verwechselte. Dieser Irrthum hatte schon die
Auffassung der morphologischen Entwicklung geschädigt,indem das Gemeinsame
in den gesonderten Organen, ihr physiologischer ZwTeck, ihr animaler odervege-
tativer Charakter , nicht nur* auf die gleichen Ursachen bezogen , sondern auch
gleich für den gemeinsamen Ursprung verantwortlich gemacht wurde. Ebenso
glaubte man ferner die Einheit der histiologischen Entwickelung nur in der Ver-
einigung aller gleichen Gewebstheile in je einer besonderen Anlage voraussetzen zu
müssen, ohne sich dessen klar bewusst zu werden, dass man dadurch theoretisch
morphologische und histiologische Anlagen, Organe und Gewebe vollkommen
schied, was wiederum mit der einfachsten Erfahrung nicht im Einklänge stand.
Daher beruht auch die am häufigsten wiederkehrende Vorstellung, dass die
Keimblätter sowohl für die Organe wie für die Gewebe eine besondere einheit-
liche Bedeutung hätten , auf einer Täuschung , welche nur durch ungenaue Be-
obachtung und oberflächliche Ueberlegung sich aufrechterhalten liess. Ich
habe bisher aus den betreffenden Arbeiten selbst theils jenen Widerspruch auf-
zudecken, theils nachzuweisen gesucht, wie er nur durch die Annahme unklarer
übernatürlicher Eingriffe verdeckt werden könnte. Jetzt werde ich durch eine
Zusammenstellung einiger entscheidender Thatsachen, wie sie sich aus meinen
Untersuchungen ergeben, ausführen, wie gründlich jene irrigen Voraussetzun-
gen durch die einfache Beobachtung widerlegt werden.
Zählen wir bloss die histiologischen Leistungen der einzelnen Keimblätter
auf, so schwindet schon von vorn herein jede Aussicht, jedes von ihnen auch
nur in dem Umfange, wie es noch Remak möglich war, durch einige besondere
Gewebsformen zu charakterisiren. Gehen wir vom Darmblatte aus , dessen
Leistungen jener Forscher noch auf die epitheliale Form beschränken konnte,
so finden wir neben dieser noch die endotheliale Auskleidung des Herzens (vgl.
Abschnitt X) und die Erzeugnisse des Axenstranges und des Schwanzdarms,
welche wenigstens theilweise mit grosser Wahrscheinlichkeit auf endotheliale
Lymphgef ässwände bezogen werden können. Des weiteren bezeichnet aber die
„epitheliale Form" nur eine sehr allgemeine äussere Gleichartigkeit der betref-
fenden Gewebe. Denn zwischen dem Leberparenchym , dem Lungenepithel
und etwa den Geschmackszellen, welche letzteren mit dem Ueberzug des ganzen
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 561
Mundhöhlenbodens vom Darmblatte abstammen (S. 332. 335), dürfte der
Unterschied gerade so gross sein wie etwa zwischen den Nerven- und Knorpel-
zellen des Bildungsgewebes. Denn wenn man die einzige wirkliche Gemein-
schaft der erstgenannten Bildungen, nämlich ihre Zusammensetzung aus pri-
mären Zellen hervorhebt, so hat man kein Recht, die entsprechende Aehnlich-
keit in jenen sekundären Zellen des Bildimgsgewebes geringer anzuschlagen.
Ferner ist die epitheliale Gewebsform innerhalb des mittleren Keimblattes in
der Auskleidung der Nieren und Geschlechtsorgane und der grossen serösen
Höhlen, innerhalb des oberen Keimblattes in der ganzen Oberhaut, dem Epithel
der Nasen- und Mundhöhle so reichlich vertreten, dass auch von einer relativen
Beschränkung dieser Gewebsform auf das Darmblatt abgesehen werden muss.
Noch auffallender offenbart sich die Ungleichartigkeit der Gewebsbildung in
den beiden andern Keimblättern. Im oberen bildet der centrale Theil (Axen-
platte) nicht nur die Nervenmasse, sondern auch die Bindesubstanz des Hirns
und Kückenmarks nebst der Epithelbekleidung der Adergeflechte, also ganz
verschiedene Gewebe innerhalb einer einheitlich bleibenden Anlage ; eine Ab-
gliederung dieses centralen Theils, die Sinnesplatte, erfährt in der Riechschleim-
haut, der Netzhaut mit dem Sehnerven und der Auskleidung des Gehörorgans
ebenfalls eine wechselnde gewebliche Umbildung. Die peripherischen Ab-
schnitte des oberen Keimblattes endlich liefern neben den oberhäutigen Bil-
dungen (Oberhaut, Drüsen, Schleimhaut der Mundhöhle) noch die Linse
und das ganze System der Seitennerven mit den Seitenorganen. Alle diese
Bildungen sind nun aber nicht im geringsten eine ausschliessliche Eigenthüm-
licltkeit des oberen Keimblattes; abgesehen von den schon erwähnten Epithelien
bildet das mittlere Keimblatt ebenso wie das Darmblatt (Geschmacksorgan)
eine Art von Sinnesorganen, nämlich die sogenannten Tastkörperchen, und
ferner eine ganze Reihe von diskreten Nervencentren, die Ganglien. Es ist daher
nur eine Gewebsform, die Muskeln, auf ein Keimblatt, nämlich das mittlere
beschränkt, während alle übrigen Gewebe auf zwei oder alle drei Blätter vertheilt
sind, und zwar nicht in einheitlichen Anlagen, von denen aus ihre Bildungs-
zellen dem „Endzwecke" gemäss zu den entferntesten Organen auswandern
müssten (His), sondern in rein lokaler Anordnung. Diese Auffassung wird
durch die Thatsache der wandernden Bildungszellen nicht beeinträchtigt ; denn
einmal dienen sie nur zur Ergänzung schon bestehender Anlagen, und ferner
stellen sie kein besonderes einzelnes Gewebe dar, sondern bleiben bis zur Zeit
ihrer lokalen Niederlassung völlig indifferent, um erst dann je nach den vorge-
Gortte, Entvvickelungsgeschichte. ■*()
562 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
fundenen Bildungsbedingungen in Nerven, Muskeln, Bindesüb stanz oder epi-
theliale Bildungen überzugehen.
Eine genaue Beobachtung widerlegt aber nicht nur vollständig die speci-
fische Bedeutung der Keimblätter und -schichten für die Gewebsbildung,
sondern erweist auch die rein lokale Begründung ihrer Verschiedenheit durch
die morphologische Entwickelung. Die aktiven oder Bewegungsursachen der
Histiogenese sind natürlich die in jeder Embryonalzelle sich entwickelnden,
anfangs überall gleichen physiologischen Vorgänge, deren Massenwirkungen
zuerst in der schon geschilderten morphologischen Entwickelung zu Tage treten,
in der Folge aber sich in die einzelnen histiologischen Erscheinungen auflösen.
Die Bedingungsursachen dagegen, welche jenen Bewegungen Form und Ziel
vorschreiben und dadurch eben allein die histiologischen Unterschiede begrün-
den, sind nun , wie ich aus einer Vergleichung der Beobachtungen glaube ent-
nehmen zu können, in den örtlich verschiedenen, von der vorausgegangenen
morphologischen Entwickelung gesetzten Formbedingungen zu suchen, d. h. in
der Summe von Lagebeziehungen der ganzen Anlagen und ihrer Elemente,
wozu die äussere Form, Grösse, Umgebung der ersteren und das besondere
Gefüge der letzteren gehören. — Im Anfange der Entwickelung sind die
Embryonal- und Dotterzellen nach Inhalt und Zusammensetzung und selbst
in der indifferenten rundlichen Gestalt einander vollständig gleich-, aber schon
die ersten Abweichungen, welche die Gestalt betreffen, werden von der morpho-
logischen Entwickelung herbeigeführt, indem diese einige Zellenmassen in epi-
theliale Schichten zusammendrängt, andere in lockerem Gefüge lässt oder zu
Netzen auseinander zieht. Der Beginn der inneren histiologischen Veränderung
ist ebenfalls in allen Zellen gleichartig, da er von der vorausgehenden Auf-
lösung der Dottersubstanz abhängig ist, welche überdies in den verschiedensten
Gewebsanlagen von der Erscheinung der von mir so genannten Umbildungs-
kugeln begleitet ist. Da diese Einleitung der Histiogenese nicht gleichzeitig
in allen Anlagen, für die einzelnen aber stets in ganz bestimmten Zeitpunkten,
also auch bei ganz bestimmten morphologischen Zuständen eintritt, so dürfte
der wesentliche Einfluss der letzteren schon im Beginne der Gewebsbildung
nicht zu verkennen sein. In einzelnen Fällen, wie bei der ersten Gefassent-
wickelung und der Umbildung der Wirbelsaite können wir sogar diesen Ein-
iluss näher bestimmen. Im ersteren Falle ist jedenfalls die Herstellung des
Bildungsgewebes als der nothwendigen Voraussetzung der Gefässbildung, ob-
wohl dabei gewisse morphologische Anlagen aufgelöst werden, vollständig ab-
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 563
hängig von einem bestimmten Fortsehritte der ganzen morphologischen
Entwickelung (S. 492 u. flg.); und ebenso erscheint die Umbildung der
Wirbelsaite als eine Folge eines allgemeinen morphologischen Vorgangs,
nämlich der Verlängerung der dorsalen Anlagen (S. 356). Noch offenbarer
wird der EinÜuss der morphologischen Entwickelung , genauer gesagt der von
ihr gesetzten Formbedingungen im weiteren Verlaufe der Histiogenese. So
linden wir zunächst, dass das Mass der Veränderung in der zusammenhängen-
den morphologischen und histiologischen Entwickelung, soweit wir beurtheilen
können, sich völlig gleich bleibt, d. h. geringere oder grössere morphologische
Sonderung bedingt auch geringere oder grössere histiologische Differenzirung.
Solange das obere Keimblatt morphologisch indifferent erscheint, lässt sich
auch an seinen Zellen kein Unterschied wahrnehmen. In der sich absondernden
Axenplatte nehmen sie bereits eine andere Gestalt und Lagerung an als in den
peripherischen Theilen, um nach der Abschnürung der Cerebromedullarröhre
einen völlig heterogenen Entwickelungsgang einzuschlagen. Aber gerade dieses
Beispiel malmt uns, die wirkenden Formbedinguugen nicht ohne weiteres mit
der äusseren Formerscheinung zu verwechseln; denn die letztere ist bei der
Entwickelung des Centralnervenorgans der Knochenfische eine andere als bei
derjenigen anderer Wirbelthiere, und nicht immer ist es möglich, die Gleichheit
der dabei wirksamen Ursachen und somit der Formbedingungen der bereits
eingeleiteten Histiogenese dennoch so wahrscheinlich zu machen, wie in diesem
Falle (vgl. S. 185- — 187). Zum Beweise, wie eng sich die histiologische Diffe-
renzirung an die morphologische Sonderuug anschliesst, sei hier an die Knickung
der Hirnaxe und die ihr parallel laufende Biegung der weissen Markfaserstränge
erinnert. Dagegen zeigen wiederum die Schicksale der Sinnesplatte, dass die-
selbe Anlage unter wesentlich veränderten Formverhältnissen ihrer einzelnen Ab-
schnitte auch einer wesentlich divergirenden geweblichen Umbildung unterliegt:
die Fortsetzung jener Platte im Rumpfe (hinterer Rückenmarksstrang) entbehrt
eine morphologische Scheidung vom Rückenmarke und daher auch eine beson-
dere Histiogenese, während die dreitheilige Sinnesplatte des Kopftheils mit
ihrer Absonderung vom Hirne auch die abweichende gewebliche Umbildung
erwirbt. Und noch einmal tritt uns in diesem engeren Kreise verwandter Bil-
dungen ein Beispiel entgegen, wie die unvollkommene Beobachtung des morpho-
logischen Zusammenhangs auch gleich das Verständniss der histiogenetischen
Beziehungen trübt; denn den früheren Embryologen erschienen die homologen
Sinnesanlagen in der Nasengrube, der Linse und dem Gehörbläschen, welche
36*
564 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
vom physiologischen Endzwecke geleitet, aus dem scheinbar gleichartigen
Hornblatte hervorwuchsen, während in der That die Augenblase an die Stelle
der Linse zu treten hat, und alsdann die drei Anlagen der empfindenden Sinnes-
apparate eine gewisse histiologische und physiologische Verwandtschaft unter
sich schon in der gemeinsamen morphologischen Anlage offenbaren , welche
nicht weniger von der Stirnplatte als von der Oberhautanlage sich absondert.
Wie aber die Linse aus einer nachträglichen mechanischen Anpassung an die
Augenblase hervorgeht, habe ich in einem früheren Abschnitt erörtert (S. 326),
damit aber auch erklärt, warum dieses Organ auch geweblich der Oberhaut
näher steht als den empfindenden Sinnestheilen. Die Oberhaut endlich erfährt
die geringsten morphologischen Umänderungen und daher auch die am wenig-
sten wesentliche gewebliche Differenzirung: alle ihre Bildungen bewahren mehr
oder weniger den epithelialen Charakter, und dadurch nähert sie sich eben dem
Darmblatte, welches zum weitaus grössten Theile ebenfalls in epitheliale Bil-
dungen übergeht. Desshalb wurde schon Bjemak, wie wir sahen, zu einem
eigentümlichen Vergleiche beider Keimblätter veranlasst, wobei die histio-
logische Uebereinstimmung mit den verschiedenen physiologischen Zwecken in
Widerstreit gerieth. His verlegte sogar alle echten Epithelien in seine beiden
Grenzblätter. Dass aber die Epithelbildung ihnen nicht ausschliesslich eigen-
thümlich ist, habe ich schon gezeigt; und es kommt hier nur darauf an zu
erweisen, dass sie überhaupt nicht aus ursprünglichen Eigenthümlichkeiten der
Keimblätter, sondern aus bestimmten, erst durch die ganze morphologische
Entwickelung örtlich zusammengeführten Formbedingungen hervorgeht. Wenn
ich die Epithelbildung für eine nothwendige Folge einer Lagebeziehung, näm-
lich der freien Oberfläche erkläre, wie es schon Remak vorschwebte, so mag
dies Manchem selbstverständlich erscheinen ; dagegen muss ich aber bemerken,
dass alsdann bisher wenigstens die selbstverständlichen Schlüsse daraus nicht
abgeleitet wurden, auf die es hier allein ankommt. Die Oberfläche des ursprüng-
lichen indifferenten Keimblattes bedingt nicht ohne weiteres seine Umbildung
in ein epitheliales Gewebe, sondern diese tritt nur dort ein, wo die mit jener
Lagebeziehnng der freien Oberfläche verbundenen besonderen Formbedingungen
bis zum Beginn der betreffenden Gewebsbildung erhalten bleiben oder, wenn
sie anfangs nicht vorhanden waren, sich im Verlaufe der morphologischen Ent-
wickelung zusammenfinden ; und ferner betrifft diese Bildung gar nicht durch-
weg die ganze Mächtigkeit des zu Grunde liegenden Keimblattes, sondern
reicht nur so weit, als jene Formbedinguugen wirken. Desshalb sehen wir die
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 565
Axenplatte, welche anfangs von den peripherischen Theilen des Keimblattes
kaum verschieden ist, durch ihre morphologische Umbildung die Fähigkeit
zur Epithelbildung grösstenteils verlieren, und der Hirnanhang hat mit einer
solchen nichts mehr gemein. Anderseits hindert die Epithelbildung die tiefe-
ren Theile nicht, sich an gewissen Stellen histologisch vollkommen abzusondern,
wofür ich besonders das aus der Oberhautanlage abstammende Seitennerven-
system anführe. Doch wird meine Erklärung namentlich durch die Entwicke-
lung des mittleren Keimblattes unterstützt. Die Seitenplatten liefern die
Epithelien der serösen Höhlen, der Harn- und Geschlechtsorgane auf demselben
histiogenetischen Wege wie das obere Keimblatt die Oberhaut, aber nach einer
ganz anderen vorausgehenden morphologischen Entwickelung. Sie sind anfangs
weder hautartig noch im Besitz einer freien Oberfläche ; beides entsteht erst
im Verlaufe der morphologischen Entwickelung, nach der Spaltung der Seiten-
platten, welche aber alsdann nicht vollständig in ein Epithel übergehen, sondern
im Rumpfe aus ihren tieferen Elementen interstitielles Bildungsgewebe (Ge-
fässe, Nerven, Bindegewebe und Muskeln des Darmkanals, des Herzens u. s. w.)
erzeugen, im Kopfe dagegen (Zungenbein-, Kiemenbögen) in Folge einer nach-
träglichen Verwachsung der freien Oberflächen die Fähigkeit zur Epithelbildung
vollständig einbüssen. Nach solchen Erfahrungen werden wir der Thatsache,
dass das Darmblatt entsprechend seiner ursprünglichen Fonnbildung ganz
überwiegend in oberhäutige Gebilde übergeht, keine besondere Bedeutung mehr
zuschreiben wollen ; es ist vielmehr das mittlere Keimblatt kaum weniger als
das obere, darin dem Darmblatte verglichene, ein Epithelblatt zu nennen, und
die Epithelbildungen aller drei Blätter stellen sich als Wirkungen der in ihren
unmittelbaren morphologischen Grundlagen vereinigten Formbedingungen dar,
ganz ohne Rücksicht darauf, ob die letzteren bereits in den indifferenten Keim-
blättern theilweise vorgebildet waren, oder erst während der morphologischen
Entwickelung neu entstanden. Auch der letzte Einwand, dass diese Epithelien
nur äusserlich gleichartig, funktionell aber ganz verschieden seien, ist hinfällig-,
wenn wir beim Vergleich der Funktionen naturgemäss eine gewisse Grenze der
Aehnlichkeit nicht überschreiten dürfen, so kann ich eine Grundverschiedenheit
jener drei Epithelformen nicht einsehen. Die sensorielle Bedeutung der Ober-
haut müssen wir jetzt, wo die besonderen Anlagen der drei höheren Sinnes-
organe (Sinnesplatte) nicht mehr mit derselben zusammengeworfen werden
können, auf eine untergeordnete Beziehung zu den empfindenden Sinnesaparaten
(Linse, äusserer Gehörgang, Ueberzug der Tastnervenendigungen) und ebenso
566 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
untergeordnete eigentliche Sinnesbildungen (Seitenorgane) beschränken. Und
gerade ebenso verhalten sich die Epithelien der anderen Keimblätter zur Bil-
dung eigener Sinnesorgane (Zunge) oder zu ausser ihnen befindlichen Empfin-
dungsapparaten, wie das Darmblatt am ganzen Mundhöhlenboden, die Epithelien
des mittleren Keimblattes im Gekröse und der Scheide zu den Kkause'scIicii
und VATEß'schen Körperchen. Gegenüber jener beschränkten sensoriellen Be-
deutung der Oberhaut erscheint ihre perspiratorische und überhaupt absondernde
Thätigkeit von weit grösserer Bedeutung; und wenn gewissen Wirbelthieren
auch eine Aufsaugung aus dem umgebenden Medium durch die Oberhaut' nicht
fehlt, so stehe ich nicht an, sie in funktioneller Beziehung den Epithelbildungen
des Darmblattes und der Seitenplatten im allgemeinen gleichzustellen.
Prüfen wir jetzt den behaupteten Kausalzusammenhang der histologischen
und morphologischen Entwicklung von einer anderen Seite, an der Bildung
homologer Theile, zunächst der Gegen- und Folgestücke. Die sie bedingende
Gliederung vollzieht sich an den Wirbelthierembryonen zuerstund selbstständig
im mittleren Keimblatte; die daraus hervorgehenden Segmente bieten als
Folgestücke grösstenteils völlig gleiche, als Gegenstücke durchweg symmetrisch
gleiche Formbedingungen, und ihre gewebliche Umbildung folgt durchaus
dieser Anordnung. Als Folgestücke gewähren sie aber gleichsam noch eine
Gegenprobe. Ihre Formbedingungen verändern sich nämlich beim Uebergange
aus dem Rumpfe in den Kopf; und zwar schwächt sich die morphologische
Gliederung der inneren Segmente bis zum Vorderkopfe ab, wogegen diejenige
der äusseren Segmente in derselben Richtung an Intensität zunimmt. In Ueber-
einstimmung damit fällt und steigt auch die histologische Differenzirung : den
inneren Segmenten entfällt schon vor dem ersten Wirbel die Nervenanlage, um
erst am zweiten Kopfsegmente, aber dort ohne eine zugehörige Muskelbildung
wiederzuerscheinen (vgl. Abschnitt IX); die äusseren Segmente, im Schwänze
morphologisch alsbald aufgelöst und nur in interstitielles Bildungsgewebe ver-
wandelt, erhalten sich im Rumpfe in blattförmiger Anlage, welche entsprechende
Muskelschichten liefert, während ihre mächtigere Entwickelung im Kopfe neben
zusammengesetzten Muskelmassen selbstständige Nervenanlagenund Skelettheile
hervorruft. Wir lernen daraus, dass ursprünglich gleiche morphologische Anlagen
durchaus nicht den gleichen Entwickelungsverlauf nothwendig involviren, indem
nachträgliche Formveränderungen derselben, welche von der Anpassung an die
umgebenden Anlagen, also von äusseren Formbedingungen abhängen, ebenfalls
nachträgliche Veränderungen der histiologisch-physiologischen Ergebnisse zur
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 567
unausbleiblichen Folge haben. Wir können ferner diese Betrachtung verallge-
meinern und von den Folgestücken ausgehend, welche so offenbar durch eine all-
mählich sich steigernde Divergenz ihrer anfangs relativ gleichen Formbeding-
ungen zu verschiedenen Zielen geführt werden, für jede einzelne morphologische
Grundlage eines Organs oder Gewebes behaupten, dass, was wir ihre besonde-
ren Formbedingungen nennen, nicht eine ihr innewohnende und ursprünglich
an sie gebundene Eigenthüinlichkeit ist, sondern sich erst allmählich im Gefolge
der ganzen morphologischen Entwickelung im Wirkungskreise der einzelnen
Anlage, theils an ihr selbst, theils in ihren Beziehungen nach aussen ansammelt.
Desshalb ist auch der Werth des Komplexes von Formbedingungen, welche an
eine Aidage geknüpft sind, ein während ihrer eigenen Ausbildung wechselnder
und gewinnt erst im Beginne der daraus hervorgehenden Gewcbsbildung die
volle Bedeutung einer sie mit Notwendigkeit hervorrufenden Grundlage. Da
nun nach allen Beobachtungen, wie ich noch näher ausführen werde, der An-
fang der Histiogenese im allgemeinen das Ende der betreffenden morpholo-
gischen Entwickelung bezeichnet, so liegt die Bedeutung der letzteren für das
physiologische Endresultat nur in ihrem eigenen Endziel, nicht in den wechseln-
den Fähigkeiten früherer Zustände. Ueber diesen Wechsel können wir uns
aber nicht nur aus dem eben besprochenen Beispiele der verschieden umge-
bildeten homologen Folgestücke eine Vorstellung machen, sondern vielleicht
noch besser aus dem Vergleich einer verschiedenen Entwickelung identischer
Theile. Ein solcher Vergleich lässt sich natürlich nur an verschiedenen Thieren
anstellen, bietet sich aber im Bereich der Wirbelthiere häufig genug dar in den
sogenannten rudimentären oder rückgebildeten Organen. Es erhellt, dass diese
Rückbildung sich von derjenigen einzelner Folgestücke desselben Thieres
nicht unterscheidet; ich erwähne sie nur, weil sie stets eine besondere Auf-
merksamkeit auf sich zog. Wenn die gleichen morphologischen Anlagen der
Kiemen bei dem einen Thiere zu einem bestimmten physiologischen Endresultat
führen, bei dem andern schon vor einer besonderen histologischen Entwickelung
atrophiren und verschwinden, so müssen wir im letzteren Falle offenbar die
abweichenden Anpassungsbeziehungcn zum übrigen embryonalen Körperbau
anschuldigen, die in den ursprünglichen morphologischen Anlagen gelegenen
Fähigkeiten unterdrückt zu haben, und daher gestehen, dass dieselben, mögen
wir sie nun auf ein Keimblatt oder ein Gliederungsprodukt desselben be-
ziehen, ein bestimmtes Ziel nicht nothwendig involviren. Dies wird an dem
gewählten Beispiele dadurch noch besonders gut illustrirt, dass selbst das er-
5(38 VITT. Die Segmente des Rumpfes.
reichte physiologische Endresultat unbeständig, schon in der Entwicklungs-
zeit vergänglich sein kann , wie bei den meisten Batrachiern ; wobei die Ver-
theidiger des vorherbestimmten Ziels in Verlegenheit gerathen müssen, ob es
für die Kiemenbögen in dem zeitweilig bestehenden Kiemenapparate oder in
den spärlichen Schlundmuskeln und -nerven zu suchen sei, welche zuletzt für
das vollkommene Leben übrig bleiben. — Von nicht geringerem Gewicht für
meine Ansicht ist die von mir als Gaumenleisten noch zu beschreibende Larven-
bildung, welche sich füglich mit den Anlagen des Gaumens der Anmieten ver-
gleichen lässt {vgl. Abschnitt IX, Taf. XVIII, Fig. 329. 332). Bei den
Batrachiern, wo dieses Organ in der ganzen Wirbelthierreihe zuerst auftritt,
geht es über den Zustand der getrennten seitlichen Leisten, den wir bei den
Anmieten als Anlage bezeichnen, nicht hinaus, ist zudem sehr vergänglich und
daher gewiss von geringer Bedeutung für den ganzen Organismus. Man darf
also behaupten, dass hier das umgekehrte Verhältniss wie bei den Kiemen vor-
liege, nämlich nicht eine in der Entwickelungsreihe eines Typus fortschreitende
Rückbildung, sondern eine in derselben Richtung sich allmählich steigernde Aus-
bildung eines Organs, wobei derGrad der letzteren und daher die physiologische
Bedeutung offenbar nicht von der relativ gleichen Anlage, sondern vielmehr von
der während der Entwicklung wechselnden Korrelation der Theile abhängt.
— Es beweisen also die verschieden entwickelten Folgestücke, die rudimentären
Anlagen und die provisorischen Larvenorgane, dass das thatsächliche Endziel
und die Bedeutung für den fertigen Organismus in durchaus homologen und
ursprünglich gleichen Anlagen sehr verschieden sein können, dass also das
jeweilige Endresultat nicht von der einzelnen ursprünglichen Anlage, sondern
von der schliesslich en Zusammensetzung ihrer inneren und äusseren Formbe-
dingungen abzuleiten sei, welche erst durch den Gesammtverlauf der morpho-
logischen Entwicklung und daher auch bei gleichen Anlagen unter Umständen
in ganz verschiedener Weise zusammengeführt werden.
Ich kann mich aber nicht enthalten, zur Beleuchtung des Gesagten
noch auf eine grosse Reihe von Bildungen hinzuweisen, welche den Mangel
einer ursprünglichen Bestimmung vielleicht am klarsten offenbaren. Ich nieine
die dem interstitiellen Bildungsgewebe entstammenden und insbesondere die
sekundär-morphologischen Gebilde. Sie entbehren insgesammt morphologische
Anlagen und entstehen aus einem ganz indifferenten und ungefonnten Bildungs-
material, welches durch äussere Umstände von verschiedenen Seiten heran
gewissen Stellen zusammengeführt wird, um dann morphologisch sich der Um-
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 569
gebung anzupassen und in seiner weiteren histiologischen Umbildung dieselbe
Abhängigkeit von den lokalen Formbedingungen zu bethätigen, wie ich sie eben
an den primär-morphologischen Anlagen nachzuweisen suchte. Angesichts
einer solchen Entwickelung ist die Ansicht natürlich ganz unhaltbar, dass die
Bildimgsursachen auch vor ihrem schliesslichen Zusammenwirken in der be-
treffenden Gewebsentwickehmg beständig in irgendeiner Anlage vereinigt seien
und daher derselben einen bestimmten Entwickelungsverlauf vorschrieben.
»Sucht man diese Ursachen genau zu verfolgen, so verzweigen sie sich gleich-
sam in dem ganzen morphologischen Aufhau; und schon zur Erklärung
einer einzigen Wirbeanlage hat man die Bildung des Blutes, der Gefässe und
überhaupt des Bildungsgewebes, ferner die formalen und funktionellen Be-
ziehungen der dorsalen Hauptanlagen (Centralnervenorgan, Wirbelsaite, Rücken-
muskeln und Spinalnerven), endlich den Einfiuss der Muskelwirkung auf die in
der Entwickelung begriffenen Skelettheile in ursächlichen Zusammenhang zu
bringen.
Alle vorstehenden Beobachtungen und Betrachtungen sollten meiner An-
sicht nach Jeden überzeugen, dass die Gewebsentwickehmg und die sich weiter
daraus ergebenden physiologischen Folgen für das Leben des ganzen Individuums
ihre Ursachen nothwendig und ausschliesslich in ihren unmittelbaren morpholo-
gischen Grundlagen finden, oder mit andern Worten — damit nicht selbstver-
ständlich erscheine, was bisher dafür nicht gegolten — , dass die Gewebsent-
wickehmg nirgends in einem besonderen Bildungsmaterial, seien es Enibryonal-
anlagen oder einzelne Bildungszellen, ursächlich vorherbestimmt, sondern ein
Ergebniss der Gesammtentwickelung desIndividuums ist, welche von einem formal
und funktionell durchaus einfachen und einheitlichen Anfänge aus sich in ein
immer mannigfaltigeres zusammenhängendes Gefüge gliedert, worin jeder Einzel-
theil nur in dem Zusammenwirken vieler anderen bedingt, seinerseits wieder
wesentlich in die Bildung und den Bestand anderer eingreift. — Ich habe dieses
Entwickelungsleben in der morphologischen Entwickelung aufzudecken gesucht ;
da jedoch die histiologisch-physiologische Ausbildung der Einzeltheile nur den
endlichen Ausfluss der morphologischen Entwickelung darstellt, so ist auch die
erstere demselben Gesetze unterworfen. Ich habe ferner nicht nur für die ganze
morphologische Entwickelung, sondernauch für die Einleitung der Gewebsbildung
die mechanischen Formbedingungen mit Recht stets in den Vordergrund ge-
stellt; denn die eigentliche Triebkraft der Entwickelung, welche wir in den
Lebensherden der einzelnen Elemente zu suchen haben, wirkt in den bezeich-
570 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
neten Perioden in völlig gleichartiger, ebenfalls mechanischer Weise durch die
Theilungsbewegungen, sodass das eigentliche Motiv jeder Sonderung gerade in
jenen beständig wechselnden, sich gliedernden Formbedingungen zu suchen ist.
Es erscheint daher geboten, auf das Wesen und den Ursprung dieser Formbe-
dingungen näher einzugehen, als es bisher geschehen ist.
Es ergibt sich aus der früheren Darstellung der morphologischen Ent-
wicklung (S. 31-35. 77—105. 139. 241—252), dass für den Beginn und
weiteren Verlauf derselben zwei ursächliche Momente auseinanderzuhalten
sind: die von dem besonderen Stoff abhängigen Beziehungen zum umgebenden
Medium und die Umstände^ welche dieselben in eine gesetzliche Form über
führen. Der Ursprung der ersteren liegt also in den sämmtlichen physikalischen
und chemischen Eigenschaften der Dottersubstanz. Wie wenig aber dieselben
für sich allein genügen, um die Entwickelung hervorzurufen, geht aus der Be-
obachtung des nicht befruchteten Eies hervor, welches gewöhnlich ganz ohne
Ansatz der Dottertheilung abstirbt, nicht weil die Wechselwirkung zwischen
Dotter und Wasser ausbleibt oder in ihrem Wesen abändert, sondern weil die
bestimmte Regelung derselben fehlt (S. 83 — 85); und selbst wenn in den
selteneren Fällen ein unbefruchtetes Ei sich zu entwickeln anfängt, so geht es
doch an der Unregelmässigkeit der Dottertheilung und ihren Folgen zu Grunde
(S. 49). Es ist also die bestimmte Zusammensetzung der Dottersubstanz die
erste nothwendige Voraussetzung für den Beginn der Entwickelung, indem die
darin begründete Wechselwirkung mit dem umgebenden Medium die Bewegungen
und Veränderungen des Stoffes erzeugt, welche ich die aktiven Entwickclungs-
ursachen oder die Elementaraktionen nenne. Aber erst die Summe der
Bedingungen, welche zunächst weder den Stoff noch jene seine Wechselwirkung
ihrem Wesen nach verändern, dagegen das Mass und die Anordnung, dadurch
aber die Leistung derselben bestimmen, ruft die Entwickelung thatsächlich
hervor. Diese Bedingungen habe ich, da sie sich nicht auf die stofflichen Ver-
änderungen an sich beziehen, als Formbedingungen, ihre Gesammtwirkunu
als Formgesetz der Entwickelung bezeichnet. Dieses Formgesetz sehen
wir schon im Verlaufe der morphologischen Entwickelung oder der Embryonal-
periode im werdenden Organismus selbst enthalten , und daraus entsprang der
Irrthum , dass man desshalb auch den Ursprung des Formgesetzes oder, wie
man zu sagen pflegt, der „ Organisation " in den sichtbaren Ausgangspunkt
der Entwickelung , in die Dottermasse selbst verlegte, sodass die ganze Ent-
wickelungsfähigkeit mit der stofflichen Zusammensetzung derselben zusammen-
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 571
fiele. Die Beobachtung gestattet uns aber einen solchen Schluss nicht. Die
Formbedingungen beziehen sich einmal auf die Herstellung der radiären
Diffusion in der Dotterkugel und zweitens auf die bestimmte formale Differenz
derselben gleich im Anfange ihrer Entstehung. Jene Diffusion ist eine Folge
der Kugelgestalt des Dotters und der Verdichtung seiner Rindenschicht, diese
sind aber, wie ich früher auseinandersetzte (S. bo u. flg.), auf Wirkungen der
Eihüllen zu beziehen, welche jedoch zum Tlveil erst ausserhalb des Eierstocks
dem Eie angefügt werden (Gallerthülle), am Eierstocksei e aber (Dotterhaut)
ganz allgemein unmittelbar von der Follikelthätigkeit abgeleitet werden. Die
ursprüngliche und wie aus meiner Darstellung der Dottertheilung hervorgeht
so bedeutsame formale Differenz in den radiären Diffusionsströmen ist nun
allerdings in der Entwicklung des Eies selbst, aber docli^ nicht stofflich be:
gründet. Denn zur Erklärung der excentrischen Lage des ersten Lebenskeims
weiss ich für das Batrachierei nichts anderes anzuführen als die nachträgliche
Verschiebung des centralen Sammelpunktes der Diffusion oder des Dotterkerns
in Folge seines abnehmenden Gewichts; die Lage des Keimbläschens stimmt
mit derjenigen des Dotterkerns nicht überein (S. 52. 53) , kann also auch
in diesem Falle nicht herangezogen werden. Allerdings erscheint eine solche
Uebereinstimmung bei den meroblastischen Eiern, indem, wie es namentlich
Oellachee für das Hühner- und Forellenei nachwies*), die Austrittsstelle des
Keimbläschens den späteren Keim, also auch den Theilungspol bezeichnet. Bei
solchen Eiern mag die ausserordentlich excentrische Lage des Keimbläschens
die Verstärkung der feinkörnigen Dotterrinde in seiner nächsten Umgebung
und dadurch die beständige Pollage derselben bedingen. Jedenfalls sind aber
die beiderlei Vorgänge, das Aufsteigen des Keimbläschens und des Dotterkerns,
vollständig -ausserhalb der chemischen Zusammensetzung der Dottermasse be-
gründete Ursachen für die Herstellung der ungleichen Diffusionsradien. —
*' Ich nehme hier Gelegenheit, die bezügliche Arbeit Oellachek's nachträglich anzu-
führen, da sie am rechten Orte durch ein Verschen übergangen wurde: Beiträge zur Ge-
schichte des Keimbläschens im Wirbelthiereie, in M. Schultze's Archiv für mikroskopische
Anatomie Bd. VIII, 1872. Der Unterschied im Schwunde des Keimbläschens bei den
Batrachiern und andern Wirbelthieren — dort Austritt der Flüssigkeit und Auflösung der
festen Theile innerhalb- des Dotters, hier vollständiger Austritt — ist natürlich von gar keiner
weiteren Bedeutung. Wenn dagegen dieser Vorgang für eine „Lebensäusserung" erklärt wird
(S. 14), weil seine angeblichen Ursachen, die Zusammenziehungen des Keims, eine solche
seien, so konstatire ich hier bloss, dass eine solche Erklärung eine einfache Konsequenz der
weiter unten zu erörternden Protoplasmatheorie ist.
572 Vi 11. Die Segmente des Rumpfes.
Alle diese äusseren Formbedingungen kommen nun im Formgesetz der Bewegun-
gen und Umbildungen des Dotters zur Wirkung und zwar so, dass dasselbe früher
oder später von seinen Ursachen unabhängig wird und sich in den Entwickelungs-
vorgängen selbstständig erhält. So ist, wie wir uns leicht überzeugen können,
die Dotterhaut auch nach dem Beginn der Dottertheilung zur Erhaltung der
Kugelgestalt des Eies und der davon abhängigen Erscheinungen unentbehrlich,
während sie nach der Herstellung einer fest zusammenhängenden Eioberfläche
selbst vor dem naturgemässen Ausschlüpfen der jungen Larve ohne Nachtheil
entfernt werden kann •, und wo die Lage des Keimbläschens ganz ausschliesslich
für die Ursache der excentrischen Lage des ersten Theilungscentrums gehalten
werden kann, da wird die betreffende Wirkung noch früher von dem Fortbe-
stande der Ursache unabhängig. Es ist daher unser Formgesetz, obgleich
später ausschliesslich an die Entwickelungsersclieinungen und deren Substrat,
den Dotter und seine Umbildungsprodukte, gebunden, nach seinem Ursprünge
als ein ausserhalb derselben verursachtes und vorbereitetes Motiv der Ent-
wickelung anzusehen, von welchem sogar hinsichtlich der unumgänglichen
Wirkung des Samens behauptet werden kann, dass es in diesem wichtigen
Punkte gewissermassen zufällig zum Keimstoffe hinzukomme. Doch brauche
ich bei einem Hinweise auf meine ganze Darstellung nicht weiter auszuführen,
dass in dem bezeichneten Formgesetze der Entwickelung kein irgendwie ausser -
empirischer , etwa teleologischer Eingriff in die natürlichen, d. h. naturnoth-
wendigen Wirkungen des uns beschäftigenden Dotterstoffes enthalten sei. Die
weiblichen Wirbelthiere bereiten einen für die Elementaraktionen der Ent-
wickelung geeigneten Stoff und umgeben ihn zugleich mit gewissen Vorrich-
tungen, welche ausserhalb des mütterlichen Organismus noch wesentlich er-
gänzt, die nothwendigen Wechselwirkungen jenes Keimstoffes mit dem Medium,
in welches er unter normalen Umständen geräth, unter ein ganz besonderes
Gesetz des Masses, der Ordnung und daher der schliesslichen Leistung stellen.
Ich will mit meiner Darstellung nur immer von neuem hervorheben, dass, wenn
die Entwickelung eines individuellen Lebens, eines Organismus, in den bezeich-
neten Elementaraktionen keine anderen aktiven Mittel besitzt, als wie sie aus
den chemisch-physikalischen Eigenschaften gewisser nicht lebendiger Stoffe,
eben der Keimstoffe, bei ihrer Wechselwirkung mit bestimmten, sie gewöhnlieh
unigebenden Medien sich ergeben, anderseits ihre Verwendung zu der Leistung
eines wirklichen Lebens , und zwar eines sich ausserordentlich mannigfaltig
gliedernden Lebens, nicht bereits an die blosse Existenz jener Elementaraktionen
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 573
und ihres Substrats, sondern an eine Reihe besonderer, sie formal regelnder
Bedingungen geknüpft ist, welche wenigstens in ihrer nothwendigen Gesammt-
heit mit der Entstehung jener Keimstoffe nicht in ursächlichem Zusammenhange
stehen, und daher als von aussen zufällig hinzugekommene Momente betrachtet
werden müssen. '
Dass diese ganze Auffassung sich auch auf die übrigen Wirbelthiere aus-
dehnen lasse, scheint mir selbst nach den bisherigen unvollständigen Beobach-
tungen über ihre Entwickelung nicht zweifelhaft zu sein (vgl. S. 105—110.
143 — 145. 156. 107, Nr. 108, 121)*, sodass ich auch alle aus jener Auffassung
abzuleitenden allgemeinen Schlüsse als für alle Wirbelthiere giltige glaube be-
zeichnen zu dürfen. Diese nicht unwichtigen Schlussfolgerungen fasse ich in nach-
stehender Weise kurz zusammen. — Da die Keimstoffe und ihre Elementar-
aktionen den selbstverständlichen Inhalt der organischen Existenz überhaupt
bilden, so kann bei einem Vergleiche nichtlebendiger Vorgänge und des Lebens
das Formgesetz__fü glich als die eigentliche und wesentliche
Grundursache der organischen Entwickelung bezeichnet werden.
Mit Rücksicht auf frühere Erläuterungen meiner bezüglichen Beobachtungen
(S. 98 u. flg.) will ich hier hervorzuheben nicht unterlassen, dass zunächst für
* Die äusseren Umstände, unter denen sich die verschiedenen Eier der Wirbelthiere
entwickeln, weichen nur in ihrer Erscheinung, nicht in ihrer Wirkung in erheblichem Masse
von einander ab. Wenn wir als das mit dem Keimstoffe in Wechselwirkung tretende Medium
genau genommen nur die innerhalb der Dotterhaut befindliche eiweisshaltige Flüssigkeit
betrachten dürfen, so scheinen die verschiedenen Eihüllen nur dazu zu dienen, trotz der je
nach der Species oft innerhalb desselben Geschlechts wechselnden äusseren Umgebung des
Eies jenes nothwendige innere Medium in seiner relativen Gleichartigkeit herzustellen oder
zu erhalten. Die auf eine dünne Dotterhaut reducirten PJihüllen der lebendiggebärenden
Halamandra dürften dem Umstände entsprechen, dass der Eihälter bereits eine eiweiss-
haltige Flüssigkeit liefert, welche dem Dotter unmittelbar zugeführt werden kann; die
umfänglichen Eihüllen der im Wasser befruchteten Eier sind dagegen offenbar dazu be-
stimmt, den unmittelbaren und plötzlichen Zutritt des Wassers zum Dotter aufzuhalten,
und es nur in dem Masse heranzuleiten, als ihm die nöthige Beimischung gegeben werden
kann. Und noch innerhalb der Abtheilung der Batrachier sehen wir endlich diejenigen
Eier, welche sehr bald aus dem Wasser in die Luft gelangen (Alytes), an der Oberfläche
erhärten, um wie es scheint die Verdunstung des aufgenommenen Wassers zu verhindern.
Aehnlich gestalten sich diese Verhältnisse bei den übrigen Wirbelthieren; und für die
Amnioten will ich zum Schluss noch darauf aufmerksam machen, dass auch die ausserembryo-
nalen Theile der Keimhaut, indem sie nach der Absonderung des Embryo morphologisch
bedeutungslos werden, im Amnion und theilweise im Chorion zu Vorrichtungen benutzt
werden, welche dieselbe Bestimmung wie die einfachen Eihüllen offenbaren, nämlich das für
die Entwickelung nothwendige äussere Medium zu sammeln.
574 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
die uns gerade beschäftigenden Organismen das vollkommene Leben nicht etwa
ein zeitlich unmittelbares Produkt von der Unterstellung der bezeichneten
Elementaraktioncn unter das Formgesetz ist, wobei die Entwickelung als Folge
des erzeugten Lebens erschiene, sondern dass vielmehr umgekehrt die Entwicke-
lung des ursprünglich nicht lebendigen Keimstoffes oder die Wirkung und eigen-
thümliche Gliederung des Formgesetzes in demselben erst ganz allmählich das
Leben hervorruft. Die Entstehung des Lebens ist nothwendig an
eine gewisse Entwickelung seines Substrates, also an das die-
selbe beherrschende Formgesetz gebunden. Nicht minder wichtig ist
die Erkenntniss, dass die volle Bedeutung des Formgesetzes erst in seiner Ein-
heit gefunden wird. Es äussert sich anfangs in einem einfachen, einheitlichen
Vorgange, der radiären Diffusion, innerhalb eines durchaus einheitlichen
Körpers ; und indem sich dieser Körper theilt, werden durch das noch von aussen
auf das Ganze wirkende Formgesetz nicht nur die Theile in inniger gegenseiti-
ger Anpassung erhalten und dadurch endlich in thatsächlichen Zusammenhang
gebracht, sondern damit zugleich die in ihnen hervorgerufenen Lebensvorgänge
in regster Wechselwirkung entwickelt, sodass fernerhin kein einziger Entwicke-
lungsvorgang isolirt für sich verlaufen kann. Jeder von ihnen entspringt gemein-
sam mit anderen aus einer Gliederung und geweblichen Sonderung einer einfachen
Grundlage und kann in den vom Formgesetz gezogenen Grenzen nur in wechsel-
seitiger Anpassung an jene anderen Vorgänge und überhaupt an seine ganze
Umgebung sich ausbilden; und seine eigene Bildung setzt daher bereits die
unvermeidlichen Bedingungen für die folgende Entwickelung. Die Einheit
des individuellen Lebens wurzelt daher nur in der individuellen
Entwickelung. Aus dieser Abhängigkeit des einzelnen Vorgangs, der ein-
zelnen Erscheinung nach allen Seiten hin, einer nothwendigen Folge von der
Gliederung eines einheitlichen Ganzen bei der Fortdauer seines Einheitsgrundes,
erhellt, dass das im einzelnen Theile erreichte Ziel niemals bloss auf den Ur-
sprung seiner stofflichen Unterlage, sondern stets auf das Ganze bezogen
werden muss, dass, sowie jeder Theil integrirend für das Ganze erscheint, dieses
demselben erst Ziel und Zweck bestimmt. Die volle Bestimmung d es
einzelnen Körpertheils ist vor seiner Vollendung nirgends lokal
vorgebildet; sie entwickelt sich in und mit dem Ganzen. That-
sächlich ist freilich die Erhaltung des Ganzen nicht unbedingt an die vollstän-
dige Erhaltung der P'inzeltheile gebunden ; soweit die Wirkung des Einzelnen
auf das Ganze sich in dem Masse abschwächt, dass sie eventuell durch andere
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 575
Tlicile ergänzt und ersetzt werden kann , wird das Ganze auch beim Verluste
einzelner Theile bestehen bleiben können. Grundsätzlich steht aber fest, dass
nur der volle Zusammenhang des einheitlichen Formgesetzes den Bestand des
individuellen Lebens gewährleistet; und in dieser Unverletzlichkeit des;den Or-
ganismus einheitlich aufbauenden, einheitlich zusammenhaltenden Formgesetzes
•liegt offenbar das, was wir die Individualität nennen. Die Individualität ist
der physiologische Ausdruck des Formgesetzes.
Ich glaube nicht, dass der flüchtige Ueberblick, welcher die eben hervor-
gehobenen Hauptsätze zusammenlas, vollständig genügt, um von ihrer Wahr-
heit zu überzeugen. Ich hoffe indessen, in den weiter unten folgenden Bemer-
kungen sie besser beleuchten zu können. Ich habe diese Sätze in ihrem kurz
motivirten Zusammenhange an dieser Stelle vorgeführt, weil es mir für das
Folgende dienlich erscheint, an ihrer Hand eine Kritik der entsprechenden
Auffassungen, wie sie bisher geboten wurden, vorauszuschicken.
Noch immer machen sich bei der Betrachtung des Lebens und bei der Un-
tersuchung seiner Ursachen und Bedingungen zwei entgegengesetzte Auffassun-
gen unter den Naturforschern geltend. Die ältere von ihnen glaubt aus allge-
meinen Gründen daran festhalten zu müssen, dass für die Entstehung und Er-
haltung des Lebens die blossen Stoffe und ihre Kräfte nicht genügen, und dass
dazu noch ein besonderes Moment hinzukomme. Dieses Moment bezeichnete
man Trüber als Lebenskraft und stand nicht an, derselben nicht nur ein nicht
empirisches, aussernatürliches Wesen zuzuschreiben, sondern sie auch in der-
selben Weise in den natürlichen, empirisch fassbaren Verlauf der Erscheinun-
gen eingreifen zu lassen. Nachdem die Unhaltbarkeit dieser krassen Negation
jeder Empirie erkannt war, suchte man das Princip in der Weise zu wahren,
dass man die unnatürlichen Eingriffe in den Verlauf der naturnothwendig be-
stimmten Erscheinungen aufgab, aber im gesetzlichen Zusammenhange der-
selben ein auf deren Substrat nicht zurückführbares Moment, den „Zweck", an-
zuerkennen fortführ. Der gediegenste Fürsprecher dieser Ansicht, v. Baer,
hat dafür jüngst den Ausdruck „Zielstrebigkeit" vorgeschlagen (Nr. 124). Gegen
die Annahme einer unnatürlichen Lebenskraft oder des Endzwecks überhaupt
entwickelte sich mit der Lebhaftigkeit eines Extrem's die Lehre, dass, da jene
Annahmen den Boden der einfachen Erfahrung verliessen, diese uns dagegen
für den Ursprung und Zusammenhang aller Naturerscheinungen nur die An-
nahme der unabänderlichen, Zweck wie Zufall ausschliessenden Notwendigkeit
gestatte, die Lebenserscheiuungen gerade ebenso wie die Vorgänge in der an-
576 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
organischen Natur lediglich aus den besonderen Stoffen und ihren Eigenschaf-
ten zu erklären seien. Der hervorragendste Vorkämpfer dieser Richtung in
unserer Zeit und Wissenschaft ist Haeqkel (vgl. Nr. 100). Aus meinen bis-
herigen Erörterungen wird wohl bereits erhellen, dass ich keiner von den beiden
genannten Auffassungen beistimme : wo die eine ihrem richtigen Gefühl eine
entsprechende Deutung nicht zu geben wusste und dadurch in unklare An-
schauungen und Folgerungen gerieth, suchte die andere jeden Zweifel durch
blosse Negation zu heben, und über die kritischen Punkte durch das Pochen
auf die von keiner Seite mehr angefochtenen Sätze hinwegzukommen. Die
Beweisführung für diese Behauptung will ich aber nicht schuldig bleiben.
Die Teleologie v. Baer's betont den zweckmässigen Zusammenhang aller
Theile eines Organismus, das Ineinandergreifen, die gegenseitigen Zweck -
beziehungen ihrer immerhin nothwendigen Wirkungen, welche nur in dieser
Weise das Leben ermöglichen, während die ohne diese Zielstrebigkeit verlau-
fenden Vorgänge zu einer einheitlichen Wirkung unfähig seien, in sich selbst
die Kraft dazu nicht besässen. So weit, d. h. bis zur Anerkennung einer die
einheitliche Existenz gewisser Naturkörper beherrschenden besonderen Ursache
schliesse ich mich jener Auffassung an, dann aber gehen unsere Wege ausein-
ander. Es scheint nichts natürlicher, als dass v. Baer das unter gewissen Be-
dingungen immer wiederkehrende Zusammenwirken von Naturnothwendigkeiten
mit dem einzig passenden Namen eines Gesetzes bezeichnet hätte, welches eben
jenen Naturkörpern eigenthümlich sei ; die Unterlassung scheint mir dadurch
veranlasst zu sein, dass v. Baer dem Einwände nicht zu begegnen wusste, das
Gesetz, welches die innere Einheit eines lebenden Naturkörpers beherrsche,
sei eben nichts weiter als der Ausdruck für die im Zusammenhange wirkenden
Eigenschaften der Einzeltheile, also lediglich in diesen begründet. Ich glaube
aber, dass man auf Grund der von mir mitgetheilten Beobachtungen und ihrer
Erörterung jenes Gesetz, also in der Entstehungsgeschichte der Wirbelthiere
mein Formgesetz recht gut von den inhärenten Eigenschaften der stofflichen
Träger der Entwickelung unterscheiden könne: es ist eben der Ausdruck für eine
Summe von gesetzmässig zusammengefügten Formbedingungen, welche ausser-
halb des Keimstoffes verursacht, theilweiso sogar zufällig zusammentreffen, um
seine naturnoth wendigen, aber an sich nichts weniger als formbildenden Wir-
kungen zu formal und daher funktionell ganz bestimmten Leistungen zu zwin-
gen. Solange nun diese Bedeutung des Formgesetzes unerkannt blieb, musste
die Teleologie entweder das besondere Princip des Lebens und der Entwicke-
VIII. Die Segmente. des Rumpfes. 577
lung in besonderen, individuell wirkenden „Zwecken" suchen, wie die ältere
Lehre lautete, oder sie erkannte bei universeller Auffassung dasselbe allgemeine
Princip der Zielstrebigkeit der nothwendigen Erfolge auch im Bereich der An-
organe an, im Kreislaufe tellurischer und kosmischer Erscheinungen, und führte
es in letzter Reihe auf die Grundlagen des empirisch fassbaren Seins überhaupt
zurück (v. Baer). In der That lässt sich auch gar nicht leugnen, dass ein ganz
ähnliches Formgesetz wie das von mir aus der thierischen Entwickelungs-
geschichte abgeleitete die Bildung und den Bestand gewisser kosmischer und
tellurischer Vorgänge beherrscht. Auch steht wahrlich der Empirie kein Ur-
theil darüber zu, ob es zulässig sei, einen letzten Grund des empirisch fass-
baren Seins überhaupt anzunehmen und mit demselben den Begriff des Zweckes
zu verbinden. Sobald aber der Nachweis desselben in den Naturerscheinungen
versucht wird, tritt auch gleich die Kontrole der Naturforschung in ihre Rechte.
Von einem solchen dem Ausgangspunkte alles Seins inhärenten Zwecke könnte
man einmal annehmen, dass er mit der Gliederung des ursprünglichen Substrats
sich allen Naturerscheinungen ohne Ausnahme mittheilte; dann liesse sich vom
empirischen Staudpunkte nichts dagegen einwenden , da die Allgegenwart des
Zweckes ihn eben nirgends unterscheiden, also auch nirgends ausschliessen
liesse. Aber eine solche Annahme hätte für die empirische Erkenntniss natür-
lich gar keinen Werth, da die Zweckidee sich überall mit der Vorstellung von
der gleichfalls allgegenwärtigen Naturnotwendigkeit deckte. Ferner könnte
der ursprüngliche Zweck bloss durch alle zweckmässigen oder zielstrebigen
Vorgänge durchlaufend gedacht werden, während die sogenannten zufälligen
davon unberührt blieben; und gerade bei dieser Annahme, auf welche die v.
BAER'sche Darstellung hinauszulaufen scheint, lässt sich die Inkonsequenz un-
schwer nachweisen. Der beschränkte Zweck bedingt natürlich die Annahme
unzweckmässiger Vorgänge und Bildungen, welche man unter den Begriff des
Zufalls zusammenfasst. v. Baer hat denselben definirt als „ein Geschehen, das
mit einem anderen Geschehen zusammentrifft, mit dem es nicht in ursächlichem
Zusammenhange steht" oder „nicht von einem gemeinschaftlichen Grunde aus-
geht" (Nr. 124 S. 71); und indem er an einer anderen Stelle die „nothwendige
Wirksamkeit" eben als die zweckmässige der zufälligen gegenüberstellt (S. 84),
so sollte man meinen, die Zielstrebigkeit sei nur darin begründet, dass die Ur-
sachen einer solchen Erscheinung nicht unabhängig von einander, sondern in
Folge eines vorangehenden, gesetzlichen Zusammenhangs zusammenwirkten.
Diese folgerichtige Auffassung wird aber sofort vernichtet durch die Erklärung,
Goette, Entwickeluugsgeschichte. *j'
578 VIII. Die Segmente des Rumpfes
dass das- Ziel, die Aufgabe den Zusammenhang einer zielstrebigen Erscheinung
bestimme (S. 71. 72. 81. 82), wobei v. BAERden Widerspruch mit seiner eigenen
Definition übersieht; denn wenn er in einer Reihe von Vorgängen, z. B. derjeni-
gen, welche den Zusammenhang zwischen der Sonnenwärme und dem thieri-
schen Leben bilden, deren gegenseitige Beziehungen in Bezug auf ein bestimmtes
Ziel zweckmässige nennt, so ist daran zu erinnern, dass aus denselben .Be-
ziehungen auch zufällige Erscheinungen hervorgehen, also dasselbe Verhältniss
je nach dem , welche von seinen Folgen man ins Auge fasst , zielstrebig wäre
oder nicht, während doch nach der ersten Definition die Bedeutung einer Er-
scheinung lediglich von der Art ihrer Verursachung abhängen sollte. So wäre,
um ein Beispiel aus dem hier nächstliegenden Erscheinungskreise anzuführen,
die Begattung im Hinblick auf die befruchteten Eier ein zweckmässiger Vorgang,
hinsichtlich der nicht befruchteten Eier aber jedenfalls nicht zweckmässig ; und
die Befruchtung selbst dürfte desshalb, weil sie in der Entwickelung des Thieres
ein eminentes ,,Ziel" hat, doch nicht zweckmässig genannt werden, da das Zu-
sammentreffen des Samens und des einzelnen Eies gar nicht gesetzlich bestimmt
und absolut nothwendig ist, folglich im besten Falle ein sehr gewöhnlicher Zu-
fall genannt werden müsste. Gewiss gibt es Vorgänge in der Natur, welche
man als zielstrebige bezeichnen könnte in dem Sinne , dass gewisse Ursachen-
komplexe nicht nur eine nächste Wirkung involviren, sondern unabhängig von
anderen Einflüssen eine ganze Reihe von gesetzlichen Folgen ; und es ist leicht
zu erkennen , dass die Vorstellung einer solchen Erscheinungsreihe mit dem
Begriffe der individuellen Entwickelung zusammenfällt; denn die Fähigkeit
eines Vorgangs, ohne Anziehung neuer Ursachen in andere Wirkungen überzu-
gehen, finden wir bloss in den eigenthümlichen, durch das Formgesetz begrün-
deten Verhältnissen der Entwickelung. Will man also schlechtweg die Ent-
wickelungsvorgänge als zielstrebige allen übrigen Vorgängen in der Natur als
zufälligen entgegensetzen , so beruht der Unterschied lediglich in der Art des
Kausalzusammenhangs, welcher im ersten Falle durch das Formgesetz der Be-
dingungen zu einer fortlaufend sich potenzirenden Wirkung befähigt wird, bei
den zufälligen Erscheinungen dagegen zu einer formgesetzlich nicht geregelten
Leistung führt, welche daher in sich ein Motiv zu bestimmten weiteren Wirkun-
gen nicht besitzt. — Ich zeigte, wie sehr v. Baer in der Definition des Zufalls
sich dieser Ansicht nähert, wie er aber bei der Verkennung des eigentlichen In-
halts des Formgesetzes die Ursachen des Unterschieds dennoch wieder in den
Zielen sucht, welche für die Bedeutung und das Wesen des Entwickelungsver-
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 579
laufs gar nicht in Frage kommen. Ebenso wenig hängen die verschiedenen
Entwickelurigsverläufe unmittelbar zusammen und bilden eine kontinuirliche
Kette von Zweckbeziehungen; jeder von ihnen verliert nach längerer oder kür-
zerer Wirksamkeit die Energie der ursprünglichen Fähigkeit , um dann erlah-
mend wieder in bloss zufällige Erscheinungen sich aufzulösen , und selbst die
Fortpflanzung wohl aller eierzeugenden Thiere beruht, wie ich schon vor län-
gerer Zeit erklärte, nicht airfeiner Kontinuität des Lebens, sondern auf einer
Neubildung des Entwickelungsgesetzes für jedes Individuum, wozu der mütter-
liche Organismus nur das Substrat liefert. So' wechseln Zufall und Entwickelung
im unaufhörlichen Wogen des Seins, und wenn wir im weiten und im ganzen doch
beschränkten Ueberblick von der frühesten Jugend unseres Sonnensystems bis zu
den höchsten thierischen Schöpfungen der Erde eine steigende Vervollkommnung
der Entwickelungsverläufe wahrnehmen, so dürfen wir nicht vergessen, dass
neben den höchsten derselben die elementaren noch fortdauern, und gewiss
noch fortdauern werden, wann längst das letzte lebende Wesen auf der veröde-
ten Erde verschwand. Wer trotzdem in jener Vervollkommnung den Fortschritt
des Weltzweckes sieht , für den schliesst derselbe allerdings im Menschen ab,
und alle übrigen daneben entwickelten „Ziele" werden zwecklos, sobald sie mit
jenem Erfolge entweder gar nicht oder nicht mehr unmittelbar zusammenhän-
gen. So kann aber die unbefangene Naturforschung nicht urtheilen; in ihren
Augen geht der Werth eines Entwickelungsverlaufs über sein eigenes Ziel nicht
hinaus , und widerspricht ein durch die Entwickelungsreihen durchlaufender
Zweck ebenso sehr der Erfahrung, wie ein Allzweck des Seins jede Bedeutung
entbehrt. Der isolirte „Selbstzweck" der einzelnen Entwickelung hebt sich aber
entweder selbst auf, insofern seine erste Begründung immer gewissermassen zu-
fällig ist, und er anderseits, soweit unsere Kenntniss reicht, nothwendig in eine
schliessliche Vernichtung seines Erfolges ausläuft; oder er streift jede aus-
schliessliche Beziehung auf irgendwelches Ziel ab und fällt mit dem empirischen
Wesen der Entwickelung, mit ihrem thatsächlichen Gesetze zusammen: dann
hat aber der Selbstzweck mit dem teleologischen Begriff nur noch den Namen
gemein, der mehr verwirrt als nützt.
Ich habe mich bei dieser Erörterung etwas aufgehalten , nicht so sehr um
die oft besprochenen Irrthümer der Teleologie von neuem aufzudecken , als um
zu zeigen, was ihre Gegner bisher kaum gethan, dass ihr Ausgangspunkt im
Grunde ein berechtigter ist. Diejenigen Erscheinungen , welche zunächst die
Vorstellung des Zweckes und der Zweckmässigkeit in der Natur weckten } näm-
37*
580 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
lieh die verschiedenen individuellen Lebensformen mit ihren wechselnden, aber
stets auf die Selbsterhaltung hinzielenden inneren und äusseren Beziehungen,
unterscheiden sich allerdings, nicht in analytischer Hinsicht, sondern nach der
Art des Kausalzusammenhangs von den übrigen Naturerscheinungen, v. Baer
kam der Erkenntniss dieses Zusammenhangs sehr nahe, seine Zielstrebigkeit
steht eigentlich mitten inne zwischen dem wirkenden Zwecke und dem empiri-
schen Entwicklungsgesetz, und könnte sogar mit dem letzteren im wesentlichen
zusammenfallen, wenn nicht gar zu viele Reminiscenzen aus der älteren Teleo-
logie hinzugezogen wären und so mit der einen Hand genommen würde, was
die andere gab.
Prüfen wir jetzt die gegenteilige Auffassung. Die unhaltbaren Folgerungen,
zu denen ein Thei] der Naturforscher durch eine richtige, aber in ihrer Allge-
meinheit unklare Vorstellung von der Besonderheit des Lebens uud der Eut-
wickelungsvorgänge überhaupt sich verleiten Hess, mussten den Widerspruch
um so mehr reizen, als Jene die unzutreffende Erklärung von jener Thatsache
der Besonderheit selbst nicht zu trennen wussten und daher nicht geneigt
waren, mit der ganzen Lehre auch die nicht unbegründete allgemeine Ueber-
zeugung aufzugeben. Dieselbe Unklarheit leitete aber auch die lebhaften An-
griffe gegen den Zweckbegriff; der leichte Erfolg gegenüber dem letzteren führte
sie über das natürliche Ziel hinaus, und an die Stelle der irrigen Unterschei-
dung trat der Beweis von dem Mangel eines wesentlichen Unterschieds zwischen
lebendigen und leblosen Naturkörpern. Dem Unempirischen Zwecke wurde die
Naturnothwendigkeit gegenübergestellt; aber mit dem Ausschluss übernatür-
licher Principien hat auch die Naturnothwendigkeit ihre Rolle ausgespielt.
Wenn man ihr darüberhinaus eine besondere Beweiskraft bei der Beurtheilung
des Lebensbegriffes zuschreibt , so beruht dies auf einer missverständlichen
Deutung. Die Naturnothwendigkeit alles Geschehens enthält nur die Behaup-
tung, dass dasselbe die unausbleibliche Wirkung natürlicher Ursachen sei, sagt
aber nichts aus über das Wesen und die Gleichheit oder Verschiedenheit des
Kausalzusammenhangs, welcher sich erst aus dem besonderen Gesetze des ein-
zelnen Geschehens ergibt. Ein solches Gesetz bezeichnet aber nicht nur die
aktiven Ursachen, gleichsam die Träger der Naturnothwendigkeit an sich, son-
dern stellt auch die Bedingungen fest, unter deren Voraussetzung allein die
naturnothwendige Wirkung eintreten kann. In vielen Fällen sind diese Beding-
ungen mit der thatsächlichen Möglichkeit der Wechselwirkung jener Ursachen
erschöpft: die blosse Anwesenheit zusammenwirkender aktiver Ursachen genügt
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 581
zur erwarteten Wirkung; und dieser einfachste Fall des Naturgeschehens hat
offenbar zu der irrigen Ansicht geführt, als sei dasselbe überall eine Folge aus-
schliesslich der aktiven Ursachen, der in Wechselwirkung tretenden Stoffe, und
somit durch die Naturnotwendigkeit genügend erklärt. Ich habe aber aus-
einandergesetzt, dass die Entwickelungsvorgänge ausser jener Wechselwirkung
als Bewegungsursache noch einen Komplex von sie formal bestimmenden Be-
dingungen voraussetzen, deren Ausdruck ich in demnäher beschriebenen Form-
gesetz linde. Zum Beweise, dass diese Bedingungen bei der eben bezeichneten
Ansicht nicht etwa in den wirkenden Ursachen mit inbegriffen, sondern that-
sächlich und vollständig übersehen sind, soll die folgende Beleuchtung der
HAECKEL'schen Erklärung des Lebens dienen.
Haeckel beginnt seinen Vergleich der leblosen Naturkörper oder Anorgane
und der lebendigen Organismen mit der Untersuchung ihrer Stoffe (Nr. 10!» I.
S. 111 u. flg.) Hier begeht er nun gleich die Inkonsequenz, die Stoffe jener von
ihm selbst so definirten beiden Arten von Naturkörpern mit den organischen
und anorganischen Stoffen im Sinne der Chemiker zu verwechseln. Allerdings
ist der Vergleich in diesem Sinne seit langer Zeit gebräuchlich und daher seine
Wiederholung sehr natürlich; indem man die Stoffe, welche allen Lebens-
äusserungen ohne Ausnahme zu Grunde liegen, mit denjenigen verglich, welche
die grosse Masse der leblosen Körper zusammensetzen, kam man zu dem be-
friedigenden Ergebniss, dass die Organismen stofflich nur relativ von den An-
organen verschieden seien. Wenn man aber jene Verwechselung vermeidet und
der Frage: wie unterscheiden sich leblose und lebendige Naturkörper nach ihren
Stoffen — die Antwort genau anpasst , so kommt man nicht nur schneller zum
Ziel, sondern entgeht der Gefahr eines Grundirrthums, welcher bisher unver-
meidlich gewesen zu sein scheint, dass nämlich gewisse Stoffe, wenn sie auch
nur relativ von den übrigen unterschieden seien, dennoch den Organismen aus-
schliesslich eigenthümlieh seien. Es ist klar, dass die leblosen Naturkörper,
welche Haeckel Anorgane nennt, nicht mit den sogenannten anorganischen
Stoffen zusammenfallen ; denn die organischen Kohlenstoffverbindungen, welche
keine Lebewesen darstellen, müssen ebenfalls zu jenen Anorganen gezählt wer-
den, und dazu gehören nicht etwa bloss lebensunfähige Substanzen (Fette,
organische Säuren u. s. w.), sondern unter Umständen dieselben Stoffe, welche
unter gewissen Bedingungen Lebensträger werden. Ich glaube dafür kein
besseres Beispiel anführen zu können als die meroblastischen Eier der Vögel :
mag man an denselben dem eigentlichen Keime eine besondere Zusammen-
532 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
Setzung zuschreiben, so ist es doch gewiss unmöglich, die Dotterzellen stofflich
von dem übrigen nicht organisirten Keimhöhlenboden ( Nahrungsdotter ) zu
unterscheiden, aus welchem sie sich je nach zufälligen Umständen, bald hier,
bald dort herauslösen (vgl. Nr. 1*21). Und wenn ich ferner daran erinnere, dass
jeder Organismus und jeder Theil desselben zu leben aufhört, sobald man
seinen formalen Zusammenhang völlig zerstört, so bedarf es wohl keines
weiteren Beweises mehr, dass die Stoffe lebloser und lebendiger Naturkörper
identisch sein können, dass also die ganze Erörterung von den Unterschieden
anorganischer und organischer Stoffe in einer direkten und präcisen Beantwor-
tung der eben bezeichneten Frage gar nicht am Platze ist. Gewisse organische
Stoffe, welche man unter den Kollektivbegriff des Protoplasmas zusammenfassen
kann, sind allerdings durch ihre besonderen Eigenschaften, worunter der fest-
flüssige Aggregatzustand und, die damit verbundene Quellungsfähigkeit obenan
stehen, allein befähigt, Lebensäusserungen hervorzurufen-, dajedochdie letzteren
an denselben Stoffen unter Umständen auch ganz fehlen, also nicht der einfache
Ausdruck der allgemeinen Eigenschaften derselben sein können, so sind für die
Erklärung des Lebens noch andere Ursachen zu entdecken als die blosse An-
wesenheit jener Stolle. Solange es sich nicht um eine Einsicht in den Verlauf
der einzelnen Lebenserscheinungen , sondern wie bei der Untersuchung
Haeckel's darum handelt, den empirischen Grund des Lebens überhaupt zu
erkennen, kann es zunächst gleichgiltig sein, die Unterschiede der protoplas-
matischen Stoffe und der anorganischen Substanzen zu erfahren; die Haupt-
frage lautet vielmehr: was verwandelt jene erstgenannten Stoffe aus leblosen
in lebendige oder umgekehrt? — Haeckel stellt allerdings eine solche Frage
gar nicht, denn die beständige Verwechselung von Organismen und organischen
Stoffen ist nicht nur unvereinbar mit der Erkenntniss, dass dieselben sich in
keinem Falle ohne weiteres decken, sondern führt ihn gerade zu einer entgegen-
gesetzten Ansicht. Die Bekämpfung der „Lebenskraft" verlangte den Nach-
weis, dass die Organismen vor den Anorganen weder durchaus andere Stoffe
noch wesentlich verschiedene Kräfte voraus hätten; die häufige Wiederholung
dieser Analyse Hess endlich die allein derselben zugänglichen Stoffe auch als
die einzigen für das Leben in Betracht kommenden Faktoren erscheinen , und
es wurde daher dasselbe ausschliesslich für den Kollektivbegriff der gewissen
Stoffen inhärenten Kräfte erklärt. Diese Folgerung, dass die synthetische Auf-
fassung des Lebens mit den Ergebnissen der analytischen Untersuchung seines
Substrats zusammenfalle, musste trotz ihres Anspruchs auf eine empirische
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 583
Thatsächlichkeit Hypothese bleiben, solange nicht ein völlig unorganisiiter
protoplasmatisclur St oll' unmittelbar als Lebensträger demonstrirt war. Haeckel
glaubt dies an den seither entdeckten, denkbar niedersten Organismen, den
Moneren, nachweisen zu können. Dieselben seien vollkommen homogene, form-
und strukturlose Protoplasmaklümpchen (Nr. 100 I S. 133 — 136), d. h. es be-
stehe an ihnen weder eine Differenzirung noch eine feststehende Anordnung und
Wechselwirkung ihrer nach allen Richtungen frei verschiebbaren Theile. Es
sei daher das Leben dieser Moneren (Ernährung, Bewegung, Fortpflanzung)
ganz offenbar der „unmittelbare Ausfluss der formlosen organischen Materie",
ihrer „atomistischen Constitution als ein leicht zersetzbarer und imbibitions-
fähiger Eiweissstoff. " „Indem bei diesen homogenen belebten Naturkörpern
von differenten Formbestandth eilen, von „Organen" noch keine Spur zu ent-
decken ist, erscheinen vielmehr alle Moleküle der structurlosen Kohlenstoffver-
bindung, des lebendigen Eiweisses, in gleichem Masse fähig, sämmtliche Lebens-
tünetionen zu vollziehen." Da Haeckel zur Verallgemeinerung seiner Schlüsse
die Moneren für gleichwertig mit allen Cytoden erklärt, welche Bedeutung auch
den Wirbelthiereiern vor dem Beginn der Entwicklung zukommen soll (vgl.
S. 73 Anm.) , so muss ich zunächst mit aller Entschiedenheit das schon mehr-
fach Behauptete wiederholen, dass die morphologische und physiologische Ent-
wickclung der Wirbelthiere wohl einen bestimmten und besonderen Stoff, eben
den protoplasinatischen Dotter, nothwendig voraussetzt, aber durchaus nicht
eine blosse Folge seiner materiellen Zusammensetzung und der davon ab-
hängigen Wechselwirkung mit dem umgebenden Medium ist, sondern dass die
daraus hervorgehenden Elementaraktionen nur durch das von aussen bedingte
Formgesetz zu den Leistungen jener Entwickelung und des Lebens befähigt
werden. Und ich habe allen Grund zur Annahme, dass ein solches Formgesetz
auch das Leben jener niedersten Organismen hervorrufe und unterhalte, wo es
Haeckel allerdings völlig übersah. M. Schultze beschreibt sehr anschaulich
das Absterben der Pseudopodien von Foraminiferen, deren Körper durch Druck
zerstört war (Nr. 126 S. 22. 23)-, das Protoplasma jener Pseudopodien blieb
ebenso intakt wie ihre Beziehung zum umgebenden Medium, und dennoch ver-
loren sie nach der theilweisen Abtrennung vom übrigen Körper ihre Lebens-
fähigkeit, „bis der diftundirende Einfluss des Wassers endlich die Auflösung der
Fadenreste herbeiführte." Dass dies in noch höherem Grade von dem zerdrück-
ten Protoplasma gilt, ist selbstverständlich. Wenn es gewiss statthaft erscheint,
diese Erfahrungen am „ amorphen Protoplasma " der Foraminiferen auf das-
584 VII 1. Die Segmente des Rumpfes.
jenige der Moneren zu übertragen, so stehen sie mit den bezüglichen Behahp-
hingen Haeckel's in vollem Widerspruche. Denn sie lehren , d.ass dag Leben
jener niedersten Organismen lediglich an eine gewisse Integrität des formalen
Zusammenhangs gebunden ist und ohne die geringste vorhergehende Vera»,-
derung in der chemischen Zusammensetzung des Stoffes und der ihn beein-
flussenden Medien dennoch ausnahmslos vernichtet wird, sobald jenerindividuelle
Zusammenhang verletzt wird. Wie wäre dies aber zu verstehen, wenn die
Lebensfähigkeit in den einzelnen Molekülen der strukturlosen Kohlenstoffver- '
bindimg vollständig vorhanden wäre, welche alsdann doch in jenen Pseudo-
podien, ja selbst in den zerrissenen Körpertheilen das Leben ununterbrochen
fortsetzen müssten? Um nichts zu übersehen, sei hier noch der mögliche Ein-
wurf erwähnt, dass bei jeder mechanischen Zerstörung eines Organismus ganz
gewöhnlich früher oder später eine Zersetzung des Stoffes, also auch eine Ver-
änderung seiner früheren Eigenschaften eintrete, sodass in dem angeführten
Falle bloss die Zersetzung des lebenzeügeiiden Protoplasmas auch seine Lebens-
eigenschaften vernichtete. Dieser Einwurf erledigt sich aber durch die Ueber-
legung, dass, wenn jener mechanische Eingriff weder die chemische Zusammen-
setzung des Protoplasmas, noch die äusseren Lebensbedingungen (das umgebende
Medium u. s. w.) unmittelbar verändert, die nothwendig folgende Zersetzung
doch nur aus der Zerstörung des formalen Zusammenhangs hervorgehen kann,
dieser also auch als die ausschliessliche und unentbehrliche Lebensbedingung
im Organismus selbst sich herausstellt; dass also die Zersetzung dem Tode des
Ganzen oder eines Theils nicht vorausgeht, sondern gewöhnlich ganz unzweifel-
haft als Folge desselben erscheint. Ergibt sich daraus die Unmöglichkeit, das
Leben der Moneren bloss aus der chemischen Mischung ihres Protoplasmas zu
erklären, so provociren dagegen alle bezüglichen Beobachtungen die Annahme,
dass in ihnen ein ähnliches einfaches Formgesetz, wie ich es für die Eier der 1 latra-
chier als radiäre Endosmose beschrieb, die Wechselwirkungen der einzelnen Stoff-
ftheilchen ztirGesammtleistungdes Lebens anordnet. Indem die mechanische Zer-
störung des Organismus ausschliesslich dieses Formgesetz trifft, isteinenothwen-
dig darauf folgende Einstellung der Lebensthätigkeit ohne vorausgehende Ver-
änderung in der stofflichen Zusammensetzung genügend erklärt.* Wenn aber
-*Die Beobachtung Haeckel's über die Vermehrung der Moneren durch künstliche
Theilung (Nr. 101 'S. 22) kann gegen meine Darstellung nicht angerufen werden, »da eine
solche, auch hei viel höheren Organismen nicht ungewöhnliche Theilbarkeit an gewisse Be-
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 585
r
HjVECkel von einer Organisation der Moneren nichts wissen will — und das
Formgqsetz ist doch nichts weiter als ein allgemeiner Ausdruck dafür — so
rührt dies theilweise daher, dass er in der heftigen Opposition gegen die teleo-
logische Anschauung alle ihre Lehren, daher auch diejenige von der allen Lebe-
wesen eigenthümlichen Organisation prinzipiell verwarf, zum Theil aber auch
von den ganz unklaren Definitionen von Organisation und Struktur. Wenn die
letztere bloss die Zusammensetzung aus gleichartigen oder ungleichartigen
Theilen (Nr. 1001 S. 25) oder ganz allgemein „das Verhältniss der einzelnen
eonstituirenden Bestandteile der Organismen zu einander und zum Ganzen"
(ebend.S. 370) bedeuten soll, so ist natürlich eine Struktur überall dort vorhanden,
wo Ganzes und Theilc unterschieden werden können, fehlt also auch den „form-
und strukturlosen" Moneren keineswegs, wie denn Haeckel selbst in der 48.
These von ihrer Struktur spricht. * Dieser Widerspruch wird aber dadurch
wenigstens erklärlich, dass Haeckel an anderen Stellen (vgl. S. 133) die
Struktur als „Zusammensetzung aus bestimmt angeordneten Theilen" definirt,
welche letzteren in den Organismen durch die Organe dargestellt würden. Eine
solche Struktur fehlt den Moneren allerdings-, und auch die erste, von Haeckel
selbst für sie angenommene Struktur erweist sich als ein für ihre Morphologie
ganz bedeutungsloser Begriff. Sie soll nämlich in den Lagebeziehungen aller
konstituirenden Moleküle bestehen; der stete Wechsel dieser Beziehungen in
dem fortwährend strömenden Protoplasma der niedersten Organismen spottet
aber natürlich jeder Bestimmung. Damit ist aber noch nicht die Möglichkeit
dingungen des Masses u s. w. geknüpft ist, also mit einer beliebigen mechanischen Zer-
störung nicht identisch ist; und weil ferner die Theilstücke nicht unverändert das Leben
weiter fortsetzen, sondern gewöhnlich in einem Ruhezustände das dem ursprünglichen
Ganzen eigentümliche Formgesetz und seine Organisation wiederherstellen müssen, ehe die
entsprechenden Lebensäusserungen wiederkehren. Wenn wir überlegen, dass diese Fähig-
keit nur solchen Organismen zukommt, deren Organisation ein relativ einfaches Formgesetz
oder doch eine sehr gleichartige Gliederung zu Grunde liegt, so brauchen wir nur anzuneh-
men, dass jedes regenerationsfähige Theilstück einen den übrigen gleichwertigen Abschnitt
des gesammten Formgesetzes enthalte, um zu verstehen, dass jene Regeneration bis zu
einem gewissen Grade einer eigentlichen Entwickelung gleicht, also jene Theilstücke von
beliebigen Substanzpartikeln desselben Organismus sich ebenso unterscheiden wie ein ent-
wicklungsfähiges Ei von anderen nicht'organisirten Substanzen.
* Derselbe Widerspruch begegnet uns bei Haeckel auch hinsichtlich des Ausdrucks
„Form." Gegenüber der Behauptung, dass das Leben der Moneren einAusfluss der ,, form-
losen organischen Materie" sei (S. 136), finden wir wenige Seiten weiter den Satz, dass
„sämmtliche Lebenserscheinungen der Organismen ohne Ausnahme Wirkungen der geform-
ten organischen Materie" seien (S. 140).
586 VIII. Die Segmente des-Rumpfes.
t :
erschöpft, hei den Moneren ein Formgeserz überhaupt nachzuweisen. Das was
ich so nenne, und z. B. sowohl im noch ungetheilten Batrachierei wie in dessen
Dottersfccken und den indifferenten Embryonalzellen in der radiären protoplas-
matisclien Strömung erblicke, ist eben gar nicht der Inbegriff der gegenseitigen
Lage- oder Wirkungsbeziehungen aller einzelnen Moleküle, sondern bezieht sich
nur auf das Gesammtziel aller einzelnen elementaren Bewegungen, mögen die-
selben im einzelnen je nach wechselnden Umständen noch so häufig von einer
bestimmten Richtung abweichen ; gerade so wie die einzelnen Wassertheilchen
eines Flusses in Wellen und Wirbeln eine ganz andere Bahn beschreiben als die
ganze Wassermasse, welche einen ganz bestimmten, relativ unveränderlichen
Verlauf zeigt. Und folgerecht besteht das Leben als sich allmählich ent-
wickelnde Wirkung der formgesetzlich geordneten Elementaraktionen des
Dotters nicht in deren einzelnen Vorgängen, sondern lediglich in ihrer einheit-
lichen Gesamnitleistung. Genau dieselben Verhältnisse wie in dem sich ent-
wickelnden Eie finden sich nun auch in den lebenden Moneren wieder. Denn
eine radiäre Anordnung aller ihrer protoplasmatischeu Strömungen lässt sich
meist unmittelbar erkennen , und in dieser bestimmten Gesammtform ihrer
inneren Elementarvorgänge darf ich wohl mit demselben Rechte wie bei den
Batrachiereiern ihr Formgesetz oder ihre eigentliche Struktur erkennen. Soweit
nun eine solche Gesammtform der Elementaraktionen mit einer vollständigen
Einheit auch der äusseren Formerscheinung zusammenfällt, können wir die
letztere ein formgesetzliches oder morphologisches Element nennen, so-
dass also die sogenannten monoplastiden Organismen über den Werth eines
einfachen morphologischen Elements nicht hinausgehen und daher von einer
Korrelation von Formtheilen bei ihnen nicht die Rede sein kann , während die
Struktur aller übrigen, aus vielen solchen Elementen zusammengesetzten Or-
ganismen aus den Wechselbeziehungen derselben und ihrer Produkte (Gewebe;
und Organe) bestimmt werden kann. Auf diese Weise wird die Kluft, welche;
nach Haeckel's Darstellung bezüglich des Baues zwischen den mono- und
polypiastiden Organismen besteht, ganz natürlich ausgefüllt, und zugleich durch
eint; solche Auffassung das eigentliche Wesen der Organisation richtig beleuchtet.
Sic hat eben nur Sinn als Ausdruck für die Formbedingungen des Lebens, und
wenn wir in der organischen Morphologie uns auf die blossen Körperformen
glauben beschränken zu dürfen, so erscheint dies doch nur unter der Voraus-
setzung statthaft, dass uns die Beziehung der organischen Form auf die Form-
gesetze eines Geschehens stets gegenwärtig bleibe. Und sowie sie daher natur-
VIII. Die "Segmente des Rumpfes. 587
gemäss nicht in den Bewegungen der einzelnen Moleküle sich äussern kann,
sondern im Gesetz ihrer Gesamnitleistung in den morphologischen Elementen,
so kann auch anderseits die Formerscheinung der letzteren, deren Elementar-
aktionen durch die stete Wechselwirkung mit der Aussenwelt unterhalten wer-
den, ebenso wenig starr und unabänderlich sein, als ihr Formgesetz Mass und
Ordnung nur relativ bestimmt. Nur wird mit der steigenden Gliederung des
Kormgesetzes und der Struktur und mit der dadurch bedingten physiologischen
Arbeitsteilung die Veränderlichkeit der Formerscheinung theils beschränkt,
theils sehr ungleich im Organismus vertheilt; wenn in den morphologisch und
physiologisch ungesonderten Moneren noch der ganze Körper die Ernährung,
die Lokomotion besorgt, so kann er dabei keine starre äußere Form behalten
wie gewisse Theile höherer Organismen, äussert aber im Grunde genommen
keine grössere Beweglichkeit als die Ernährungs- und Lokomotionsvorgänge
der letzteren. Dazu kommt, dass mit der höheren Differenzirung'eine gewisse
Periodicität im ganzen Lebensverlaufe auftritt, die einzelnen Aeusserungen
desselben intermittirend erscheinen , und dass es uns anderseits unmöglich ist,
mit Ausnahme eben der niedersten Organismen, den Zusammenhang der Or-
ganisation am lebenden Thiere unmittelbar zu beobachten. Daraus erklärt
sich aber zur Genüge die Gewohnheit, die Vorstellung von der Organisation der
betreffenden Geschöpfe dem indifferentesten Ruhezustande der Erscheinung zu
entnehmen; und alsdann widerspricht allerdings die ruhelose Erscheinung eines
Moners jenen Vorstellungen von der feststehenden Struktur der übrigen thieri-
schen Organismen. Folgerichtig wäre aber mit der letzteren auch nur der in-
differente Ruhezustand des Moners zu vergleichen gewesen; und in der ency-
stirten regelmässigen Protoplasmakugel hätte sich eine sehr bestimmte Form
und damit auch das Moment der Vergleich ung ergeben. Es offenbart eben
jeder Organismus ein beständiges Formgesetz im nothwendig ununterbroche-
nen Wechsel der Erscheinungen; dass dasselbe in der Gliederung und Sönderung
deutlicher zum Ausdruck kommt, ist von untergeordneter Bedeutung, wichtiger
dagegen die Erkenntniss , dass es ein ursächliches Moment des Lebens , eines
Komplexes von Vorgängen und Bewegungen, ist, und daher in der allein wahr-
nehmbaren und meist in der Vorstellung unnatürlich isolirten Formcrscheinung
nicht aufgeht. Der Grundirrthum Haeckels besteht aber darin, dass er die
Morphologie der Organismen ebenso wie diejenige derAnorgane auf eine unver-
änderliche äussere Formerscheinung bezieht, und daher beide in ihrem Wesen
identifieirt. Die Morphologie der Krystalle fällt allerdings thatsächlich mit
588 VIII. Die Sesmente des Rumpfes.
den unveränderlichen Lagebeziehungen der Moleküle zusammen, also mit den
Folgen einer Bewegung, welche der jeweiligen Existenz des Krystalls voraus
ging; aber gerade in diesem Sinne würden nicht nur die Moneren, sondern über-
haupt alle Organismen eine Struktur entbehren, da die stete Auswechselung
und Bewegung ihrer Theile eine starre Form ausschliessen, und überhaupt jede
Beständigkeit derselben verhindern würden, wenn nicht das bestimmte Form-
gesetz zugleich mit der Bewegung auch ihren sinnlichen Ausdruck in der Form-
erscheinimg beherrschte und beschränkte. Dass einzelne starre Körpertheije
das Wesen der organischen Morphologie als eines Ausdrucks von formgesetz-
lichen Bewegungen oder der besonderen Existenzform der Organismen nicht
verändern können, ist selbstverständlich; und wenn Haeckel sich den Ausdruck
entschlüpfen lässt, dass die Radiolarien „zum Thoil vollständig, in ihrer ge-
sammten Körperform", „die reinsten und regelmässigsten Krystallformen dar-
stellen", so verbessert er sich doch gleich dahin, dass zu dem Krystallskelet
stets noch diu „amorphe Sarkode" als eigentlicher Lebensträger dazu komme
(Nr. 100 I S. 138). Es offenbart sich also bei diesen Organismen, welche bei
oberflächlicher Betrachtung den Krystallen in morphologischer Beziehung nahe
zu stehen scheinen, das Leben oder ihr eigentliches Wesen in den Theilen,
welche nach IIaeckel's Bestimmung gerade die strukturlosen, nach meiner
Ansicht aber die Träger des organischen, also für die Organismen allein in
Frage kommenden Formgesetzes sind. Dass das letztere sich gar nicht wesent-
lich von demjenigen der Moneren zu unterscheiden braucht, um das regelmässige
Kalkskelet hervorzurufen, dürfte ohne weiteres erhellen, sobald man an eine in
den einzelnen Strahlen etwa bloss quantitativ verschiedene radiäre Lebensthätig-
keit denkt. — Gegenüber dem im ersten Momente der Entstehung unveränder-
lich festgesetzten Strukturgesetze der Krystalle- erstreckt sich also die Formen-
lehre in jedem einzelnen Organismus auf die ganze Reihe von wechselnden
Erscheinungen, welche aus dem nothwendig allmählichen Werden und der fort-
schreitenden Gliederung des Formgesetzes bis zu seiner Vollendung, mit anderen
Worten aus der noth wendigen organischen Entwickelung hervorgehen. In der
Entwickelung'liegt das Wesen der organischen Morphologie und
des Lebens überhaupt, die Entwickelung scheidet die Organismen
von den Anorganen. Wer aber wie Haeckel statt dieses fundamentalen Un-
terschiedes zwischen Organismen und Anorganen bloss ihre oberflächliche Form-
älinliehkeit hervorhebt, gelangt in nothwendiger Konsequenz zu ganz unhalt-
baren Anschauungen und in letzter Linie zu einer Verneinung des Lebens-
VIII. Die Segmente des Rumpfes^. 589
begriffes. Haeckel nennt die Moneren und Cytoden strukturlos-, die That-
sache ihrer Fortentwickeluug zu mannigfach organisirten Geschöpfen erkennt
er natürlich an, erklärt dieselbe jedoch für eineunmittelbare Wirkung der form-
losen Materie, ihrer besonderen chemischen Konstitution (Nr. 100.1 S. 1G4. 165-
190). Es muss uns aber die einfachste Ueberlegung überzeugen, dassganz im
allgemeinen die Form niemals eine unmittelbare Funktion ihres stofflichen
•Substrats sein kann; sie ist stets eine mechanische Leistung, hervorgegangen
aus bestimmten Beschränkungen einer Bewegung, sodass, wenn die ah sich
regellosen Elementaraktioneii in einem ünorganisirten Stoffe einmal eine gesetz-
miissige Gesammtform und in Folge dessen eine sich mehr oder weniger ent-
wickelnde Organisation erhalten, diese Formbeschränkung (Formgesetz) nicht
von Anfang an im amorphen Substrate gelegen haben, sondern als neues ursäch-
liches Moment der Formerscheinung nur von aussen eingeführt sein kann. Da
die organische Form überall erst mit einer geregelten Gesammtleistung der zu
einem morphologischen Elemente verbundenen Moleküle anfängt, und die Kräfte
des amorphen Protoplasmas in den einzelnen, zu einer regellosen Gesammt-
erscheinung verbundenen Molekülen beruhen, so fehlt uns auch jede Vorstellung
darüber, worin die angebliche „formbildende Funktion des Plasmas" (Nr. K'O
1 S. 190) begründet sein könnte. Wie sollen dieselben Eigenschaften, welche
den ünorganisirten Zustand bedingen, allein und unmittelbar die Organisation
hervorrufen, und gar auf dem Wege der Entwicklung, einer kausal zusammen-
hängenden Reihe von sieh stetig weiter gliedernden Formerscheinungen ? Ist
überhaupt in jenem Ausdrucke der „formbildenden Funktion des Protoplasmas"
mehr enthalten als eine Umschreibung der Thatsache, dass die Entwickeluugs-
vorgänge und die organischen Formen nur an protoplasmatischen Substraten
sich offenbaren? — Die von aussen bedingte und allmählich zur Wirkung kom-
mende formale Beschränkung der Elemeutaraktionen eines Protopiasma-
klumpens oder die Thätigkeit unseres Formgesetzes veranlasst und erklärt da
gegen die Entwicklung als unmittelbarste naturnoth wendige Folge, woraus erst
die Organisation des ganzen Substrats und die einheitliche Gliederung der
physiologischen Wirkungen oder das Leben hervorgehen, sodass diese drei Mo-
mente nicht als verschiedene Funktionen des Stoffes, sondern nur als verschie-
dene Aeusserungen desselben Vorgangs erscheinen , welche sich bloss unserer
Erkenntniss und Auffassung einzeln präsentiren und in ihrem ursächlichen Zu-
sammenhange keinem Organismus fehlen. Ganz im Gegensatze dazu hält
Haeckel die Entwickelung für den Ausfluss besonderer Eigenschaften des nicht
590 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
organisirten, aber schon vollkommen lebendigen Protoplasmas, wesshalb sie bei
der Unterscheidung der Organismen von den Anorganen kaum berücksichtigt
wird. Dabei wird aber entweder in dem einer Entwickelungsreihe vorangehen-
den Zustande das schon bestehende Formgesetz übersehen , wenn z. B. dem
„formlosen Eiweissklumpen" des Radiolarienkörpers die Fähigkeit zugeschrie-
ben wird, „lediglich vermöge seiner specifischen atomistischen Constitution"
das komplicirte formenstrenge Kalkskelet zu erzeugen, während dieses doch nur
das Formgesetz des Protoplasmaleibes zum sichtbaren Ausdruck bringt; oder
es wird anderseits dem Eie im Beginn seiner Formentwickelung ein Leben zu-
erkannt, welches ihm in der That noch fehlt. Nach meiner Ansicht, welche
ich weiter unten noch näher ausführen will, macht ein vollkommenes Leben die
Entwickelung unmöglich, sowie eine solche und folglich ein Formgesetz im
ersten Anfange der individuellen Existenz unbedingt nöthig sind, um das Leben
in seiner individuellen Einheit zu erzeugen. Die Existenz und der Ursprung
dieser Einheit bleiben aber in der HAECKELSchen Darstellung unerklärt.
Alle Untersuchungen und Betrachtungen Haeckel's über das Wesen der
Organismen laufen in dem einen Ziel zusammen, welches schon im Anfange
kenntlich wurde, dass nämlich der Gesammtinhalt der organischen Existenz
nach Form- und Bewegungserscheinungen ausschliesslich eine natumothwendi^e
Wirkung der chemischen Mischung des Substrates sei, dass folglich die Or-
ganismen sich nur durch die letztere von den Anorganen unterschieden. „Alle
uns bekannten Naturkörper der Erde, belebte und leblose, stimmen überein
in allen wesentlichen Grundeigenschaften der Materie, in ihrer Zusammen-
setzung aus Massen- Atomen und darin, dass ihre Formen und ihre Funktionen
die unmittelbaren und nothwendigen Wirkungen dieser Materie sind. Die Un-
terschiede, welche zwischen beiden Hauptgruppen von Naturkörpern hinsicht-
lich ihrer Formen und Funktionen existiren, sind lediglich die unmittelbare und
nothwendige Folge der materiellen Unterschiede, welche zwischen Beiden durch
die verschiedenartige chemische Verbindungs-Weise der in sie eintretenden Ele-
mente bedingt werden" (a. a. 0. S. 164). Ich habe dagegen gezeigt, 1. dass
die Organismen sich von den Anorganen unter Umständen stofflich gar nicht
unterscheiden, da es ebenso wohl lebloses als lebendiges Protoplasma gibt, 2.
dass das Leben folglich eine Wirkung des blossen Stoffes nicht sein kann, viel-
mehr nothwendig eine Organisation desselben, d. h. eine von aussen bedingte
formgesetzliche Anordnung seiner Elementaraktionen voraussetzt, 3. dass diese
wichtigste Lebensursache oder das Formgesetz durch seine allmähliche Aus-
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 591
bildung in dem zu organisirenden Stoffe die Formentwickelung und steigende
physiologische Ärbeitstheilung herbeiführt, sodass die Entwickelung ganz im
allgemeinen zur nothwendigen Entstehungsform des Lebens und seiner körper-
lichen Träger wird, 4. dass das Fonngesetz ferner , da es nur in seiner Einheit
Bestand findet, das Leben nothwendig an die Bedingung knüpft, dass es eine
in ihren Theilen kausal zusammenhängende Gesammtleistung eines nach aussen
bestimmt abgeschlossenen Körpers oder mit anderen Worten durchaus individuell
sei. Aus diesen Ergebnissen meiner Untersuchung ergibt sich natürlich die
Unmöglichkeit, die Organismen in irgend einer anderen Hinsicht als gerade
nach der chemischen Konstitution mit gewissen Anorganen in Parallele zu
bringen. Wenn aber Haeckel die Organismen nicht nur bezüglich der Struktur
mit den Krystallen vergleicht, welche ich in den beiderlei Naturkörpern für
grundverschieden erklärte, sondern auch Analoga wahrer Lebenserscheinungen
an den Krystallen glaubt nachweisen zu können, so beruht auch dieser Irrthum
auf seiner fehlerhaften Auffassung des Lebens und unzureichenden Begriffs-
bestimmungen. So soll die Erscheinung des Wachsthums den Organismen und
Krystallen 'gemeinsam sein (a. a. 0. S. 141 u. flg.). Der Ausdruck „Wachs-
thum" bezieht sich aber ursprünglich nur auf die betreffende Lebenserscheinung
und bezeichnet eine bestimmte Folge der Ernährung ; da die letztere den Kry-
stallen fehlt, so kann ihr Wachsthum nur in einem übertragenen und wesentlich
anderen Sinne gemeint sein, welcher einen unmittelbaren Vergleich mit dem
organischen Wachsthum gar nicht zulässt. Zur Durchführung der Analogie
erklärt Haeckel das Wachsthum für eine durch die Anziehungskraft des be-
treffenden Körpers herbeigeführte Massenzunahme desselben (a. a. 0. S. 142.
144. 152); in welcher Weise dies aber für die Organismen Geltung finden soll,
deren Nahrungsaufnahme doch nicht durch eine Anziehung erfolgt, ist mir
durchaus räthselhaft geblieben , wie nicht minder die aus jener Behauptung
konsequent abgeleitete Folgerung, dass die Ernährung nicht die Ursache, son-
dern nebst der Fortpflanzung eine Folge der Besonderheiten des organischen
Wachsthums sei (S. 1G6). Solche Behauptungen würden allerdings den genann-
ten Vergleich unterstützen, wenn sie nur mit der bisher allgemein üblichen
Auffassung und Bestimmung der Ernährung und des Wachsthums irgendwie in
Uebereinstimmung gebracht werden könnten.
Es lässt sich nun nicht verkennen, dass die von Haeckel verfochtene Auf-
fassung des Lebens als einer unmittelbaren Wirkung des Protoplasmas nur
eine konsequente Ausführung der sogenannten Protoplasmatheorie ist, welche
592 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
in M. Scinjltze ihren Haiuptbegründer gefunden hat. Indem dieser ausge-
zeichnete Forscher die alte schematische Begriffsbestimmung der Zelle als un-
haltbar nachwies und ihre Hauptbedeutung in das Protoplasma, „dieunge-
formte contractile Substanz'1 verlegte (Nr. 93 S. 2), wollte er zunächst gewiss
nicht der Zelle die ihr eigentümliche, wenn auch unsichtbare Organisation
absprechen und ihre Lebensursache mit den chemisch - physikalischen Eigen-
schaften des Protoplasmas identificiren. Die Individualität des lebendigen Zell-
protoplasmas sollte sieh nicht nur durch „seine eigentümliche' Consistenz" er-
halten, sondern ebenso „durch sein centripetales Leben, durch die Eigenthüm-
lichkeit, mit dem Kern ein Ganzes zu bilden, in einer gewissen Abhängigkeit
von demselben zu stehen" (a. a, 0. S. 12). Ich linde in dieser Aeusserung ganz
unverkennbar diejenige Struktur oder Organisation angedeutet, welche ich
selbst für alle werdenden oder fertigen Piastiden als unentbehrliche Lebens
bedingung annehme, und wenn die Ursache dafür, nämlich das von mir soge-
nannte Fonngesetz, unerkannt blieb, so lag dies daran, dass die Entwickelung
iler Zellen zu wenig beachtet wurde. Denn schon die deutlichen Bilder der
Knorpelzellenbildung hätten davon überzeugen müssen, dass die Leiber dieser
Zellen nicht lediglich durch die Eigenschaften des Protoplasmas, sondern durch
die ausser ihm in den freien Kernen enthaltenen Formbedmgungen aus der
formlosen (mmdsubstanz ausgefüllt werden, während der Rest derselhen in der
Zwischenzellensubstanz unverändert zurückbleibt. M. Schultze ging aber über
jene Andeutungen von der Eigenthümlichkeit des Lebens in seineu einfachsten
Existenzformen nicht hinaus; und solange die bestimmte Formel zur Erklärung
ihres kausalen Zusammenhangs fehlte, musste jeder Versuch, ihn näher zu de-
finiren , entweder zu Widersprüchen oder zur einfachen Negation jener lugen
thümlichkeit führen. So meint Stricker, dass zum Begriff einer Zelle oder
eines Elementarorganismus ein Klümpcheu Protoplasma genüge, schliesst aber
daran die Behauptung, dass nicht jedes Stück lebender Materie eo ipso eine
Zelle sei: „damit wir ein isolirtes Klümpchen lebender Materie eine Zelle nen-
nen, müssen wir daran die ganze Gruppe von Erscheinungen wahrnehmen,
welche ein selbständiges Thierindividuum, einen selbständigen Organismus
charakterisiren" (Nr. 120 I S. (J. 7). Diese eigentümliche Ansicht, dass
lebende Körper und Organismen nicht identisch seien, beleuchtet die Mängel
der neuesten Protoplasmatheorie aufs klarste. Während man einerseits sich
daran gewöhnt hat, die Kralläusserungen des Protoplasmas, insbesondere seine
Kontraktilität, schlechtweg als Leben zu bezeichnen, scheut man sich doch,
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 593
dasselbe mit dem Inbegriff der die Organismen auszeichnenden Thätigkeiten,
was doch stets für die allgemeinste Bestimmung des Lebens galt, ohne weiteres
zu identificiren. Man braucht dasselbe Wort für zwei Erscheinungen, deren
wesentlichen Unterschied man doch nicht leugnet; und da das Substrat in beiden
Fällen dasselbe bleibt , so muss das unterscheidende Moment eben ausserhalb
des blossen Stoffes liegen. Der Unterschied von der teleologischen Auffassung
reducirt sich alsdann darauf, dass an die Stelle der Lebenskraft oder des
Zweckes ein unbekanntes X tritt; indem man aber die Erörterung desselben zu
umgehen öderes durch jenen Doppelsinn des Wortes „Leben" zu verdecken sucht,
lässt sich der innere Widerspruch doch nicht vermeiden. Die natürliche Lösung
desselben ergibt sich nach meiner Ansicht durch die Erkenntniss des von mir
erörterten Formgesetzes; wer dagegen den Schwierigkeiten der Untersuchung
dadurch zu entgehen glaubt, dass er jene unbekannte besondere Lebensursache
einfach leugnet, verlegt den Widerspruch bloss in die weiteren Schlussfolgerun-
gen, wie ich es in der Kritik der IlAECKEL'schen Darstellung nachwies.
Ich glaube durch die voranstehende Untersuchung jedem möglichen Ein-
wände gegen die Annahme und die Bedeutung des Formgesetzes der Organis-
men begegnet zu sein und nehme jetzt die nähere Erörterung der sich daraus
ergebenden Folgerungen wieder auf, welche ich in einigen Hauptsätzen bereits
andeutete (S. 573— 575), und welche uns den richtigen Standpunkt für die
Beurtheilung der Gewebe nach ihrem Formwerthe anweisen sollen. Die Unter-
suchung über die Beziehungen der morphologischen und histiologischen Ent-
wickelung führt zum Ergebniss, dass die erstere gewissermassen keine unmittel-
bare Bedeutung für das vollständige individuelle Leben hat, sondern eine Art
von Vorbereitimg für- die Gewebsbildung darstellt, sodass die ursächliche Dis-
position für die letztere und damit für jenes Leben erst am Schlüsse der morpho-
logischen Entwicklung vollständig gegeben ist. Wenn also schon daraus
hervorgeht, dass das individuelle Leben während der morphologischen Ent
Wickelung nur ein unvollkommenes sein kann, so lässt sich dies noch be-
stimmter begründen. Ich habe in dem III. und IV. Abschnitte dieses Buchs
'erörtert, dass ich keine Möglichkeit sehe, die morphologischen Entwickelungs-
Vorgänge anders als durch die Massenverschiebungen der Embryonalzellen
in Folge ihrer fortlaufenden Theilungen zu erklären. Mit der Indifferenz der
Embryonalzellen hört auch diese ununterbrochene Theilung auf, theils weil ihre
individuelle Existenz in den meisten Geweben überhaupt verloren geht, theils
weil die Theilung nunmehr als Fortpflanzung nur noch einen Theil der Ge-
' Goettb, Eutvvickeluugsgescliichte. 38
594 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
sammtleistimg der individuell erhaltenen Zellen bildet, also viel seltener er-
scheint als früher. Anderseits würden die individuell verschiedenen Ernäh-
rungs- , Wachsthuins- und Anpassungsvorgänge vollkommener Zellen die Gleich-
artigkeit der Massenbewegung , welche mir für die morphologische Entwicke-
lung unumgänglich scheint , in verschiedenster Weise stören und daher ihre
notwendigen Leistungen wesentlich beeinträchtigen. Die Aufgabe aber, welche
dadurch der Natur gestellt wird, nämlich dieselben Bewegungen, welche später
Lebensäusserungen hervorrufen, anfangs in nicht lebendigen Wirkungen der
morphologischen Elemente sich äussern zu lassen , diese Aufgabe wird in ein-
fachster Weise dadurch gelöst, dass im Innern dieser unvollkommen lebendigen
Elemente wirkliches Leben und daher individuelle Lebensträger (Kerne) sich
allmählich entwickeln, deren Lebensbewegungen bei der Gleichmässigkeit ihrer
in der umgebenden Dottermasse gegebenen Bedingungen ebenfalls gleichartig
verlaufen, durch die Ernährung stets zum Wachsthum , durch dieses zur be-
ständig wiederholten Fortpflanzung führen und dadurch zu den fortdauernden
Ursachen der mechanischen Theilung und Verschiebung der ganzen Embryonal-
zellen werden. Es ist ferner natürlich, dass die fundamentale Lebensbedingung
dieser Kerne, ihre Ernährung, innerhalb der sie enthaltenden morphologischen
Elemente durch die früher beschriebene Dotter Schmelzung unterhalten wird,
also durch einen Vorgang, welcher unter Ausschluss eines Gesammtlebens des
Eies und des Embryo dennoch das Theilleben in jenen Elementen ermöglicht.
Die feste Dottersubstanz enthält die Spannkräfte, deren massenhafte Auf-
speicherung jede Nahrungszufuhr entbehrlich macht, indem dieselben durch
die fortdauernde Umwandlung in lebendige Kräfte die isolirten und be-
schränkten Lebensprocesse nicht nur zu unterhalten, sondern allmählich auf
das Ganze oder die ganzen morphologischen Elemente auszudehnen vor- *
mögen. * In dem nothwendigen Vorrath von immanenten Spannkräften liegt ^
daher, auch die besondere Bedeutung der Dottersubstanz für die Entwicke-
* Gleichsam als Gegenprobe zu dem früher gebrachten Beweise von dem Mangel einer
Ernährung und einer Massenzunahme des Keims (S. 78. 556. 557,} dürfte hier die Notiz am
Platze sein, dass nach einem von mir mehrfach angestellten Versuche 100 Eier und ebenso
viele Larven aus der ersten Periode, also vor dem Beginn der Nahrungsaufnahme , auf einer
genauen Wage sich das Gleichgewicht halten. Die beiderlei Entwickehmgsformcn wurden
dazu natürlich ohne ihre Hüllen und im getrockneten Zustande benutzt. — Für die Säuge-
thicre wäre noch insbesondere zu bemerken, dass die rasche Anschwellung ihrer Eier durch-
aus nicht ein von den übrigen Wirbelthieren abweichendes Verhalten bedeutet, da sie wohl
die sogenannte Keimblase, aber nicht den davon unterschiedenen und hier allein in Betracb.1
kommenden Keim (vegetatives Blatt aut.) betrifft (vgl. Nr. 103).
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 595
hing und die Berechtigung sie als unreifes Protoplasma zu bezeichnen. Das
Mass jener Spannkräfte stellt nämlich im geraden Verhältniss zum Mass oder
Fortgange der morphologischen Entwickelung, indem ein relativ geringerer
Vorrath von fester Dottersubstanz ihre vollständige Auflösung, damit aber auch
den Eintritt der histologischen Differenzirung oder das Ende der morphologi-
schen Entwickelung natürlich früher herbeiführt als ein grösserer Vorrath, und
umgekehrt. Aus einer solchen Ueberlegung ergibt sich, dass die morphologische
Entwickelung, welche den Grund zu der ganzen individuellen Existenz legt, mit
der histologischen Differenzirung oder der Ausbildung eines vollständigen Lebens
der morphologischen Elemente im Wechselverhältniss gegenseitiger Beschrän-
kung steht, sodass im ganzen wie im einzelnen der Satz gilt: die histologische
Differenzirung schliesst die morphologische Entwickelung ab,
und diese verträgt sich wieder nicht mit einem Gesammtl eben des
werdenden Organismus.* Mit Rücksicht auf das praktische Ergebniss kann
man dies auch so ausdrücken: je früher jene Differenzirung oder das vollständige
Leben in einem Entwickelungsverlaufe erscheint, desto geringer wird die typische
Entwickelungshöhe des betreffenden Organismus sein. Von diesem Gesichts-
punkte aus müssen die bisher noch immer verfochtenen Ansichten, dass die
Entwickelung der Anfang des Wachsthums und daher gewissermassen eine Lebens-
äusserung sei (vgl. His Nr. 109 S.51, Haeckel a. a. 0.), als ungenaue oder un-
klare bezeichnet werden; die Entwickelung ist die Entstehungsform des' Lebens
und der Organismen und kann folglich nicht eine Wirkung derselben vorstellen.
Dies wird noch ganz besonders erläutert durch ihr Verhältniss zur Indi-
vidualität der Organismen. Ich nannte diese den physiologischen Ausdruck
des Formgesetzes mit Rücksicht darauf, dass weder die zusammengesetzte Form-
erscheinung, noch die Summe der analytisch wahrgenommenen einzelnen Wir-
kungen des Organismus, sondern füglich nur das Erscheinung und Bewegung
einheitlich umfassende Kausalgesetz auf die Bezeichnung der Unverletzlichkeit
oder Untheilbarkeit Anspruch erheben kann. Dieses Gesetz ist aber, wie ich
schon früher andeutete (S. 570 u. flg.), wohl in seinen Ursachen, den äusseren
Formbedingungen, nothwendig von Anfang an gegeben, jedoch nicht sofort
* Natürlich muss man dabei im Auge behalten, dass weder alleKörpertheile sich gleich
schnell entwickeln , noch der Uebergang von der morphologischen und histologischen Ent-
wickelung ein plötzlicher ist. Wenn ich hinzufüge, dass ich die nachträglichen topographi-
schen Anpassungen nebst allen Rückbildungen und histiologischen Neubildungen nicht mehr
zur eigentlichen morphologischen Entwickelung zähle , glaube ich alle möglichen Einwürfe
gegenmieine Behauptung berücksichtigt zu haben (vgl. S. 249—255).
596 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
vollständig an den werdenden Organismus selbst geknüpft, und daher auch die
Individualität desselben nicht gleich vollkommen angelegt. Selbst in der ein-
fachen Dotterkugel ist die radiäre Diffusion nicht gleich mit der Herstellung
jener Bedingungen vollendet, sondern entwickelt sicherst allmählich; und gleich
darauf wird mit der ersten Dottertheilung die Einheit der im Eie verlaufenden
Elementaraktionen zunächst wieder aufgehoben, indem jener Vorgang zwei ge-
trennte Diffusionssysteme schafft, welche mit jeder folgenden Theilung vermehrt,
gewissermassen ebenso, viele getrennte Individuen vorbilden. Und in der That
. zeigen uns homologe Vorkommnisse, auf die ich im Schlusskapitel zurückkom-
men werde, dass solche getrennte Eitheile, indem sie durch histiologische Aus-
bildung den weiteren Fortgang der morphologischen Entwickelung unter-
brechen , zu vollständigen Einzelindividuen werden können. Im Wirbelthiere
werden sie aber durch die noch bestehenden äusseren Formbedingungen , ins-
besondere die Dotterhaut, in der ursprünglichen Gesammtform des Eies zuerst
bloss zusammengehalten, dann aber in Folge der andauernden Berührung
wenigstens an den freien Oberflächen durchweg in festere Verbindung gebracht,
sodass im weiteren Verlaufe der Entwickelung die Gliederung des Formgesetzes
in einem thatsächlich zusammenhängenden Körper sich vollzieht. Bei dieser
gruppenweisen yerbindung der morphologischen Elemente zu Gewebs - und
Organanlagen büssen dieselben jene Fähigkeit ein , selbstständige Individuen
herzustellen, indem das Formgesetz der einzelnen Zelle bis zu einem nicht mehr
unbedeutenden Grade von den mit ihr verbundenen Theilen mitbestimmt wird,
also in ihr allein nicht mehr zu individuellem Abschluss gelangt. Und dasselbe,
was für die einzelnen morphologischen Elemente gilt, lässt sich von den zu
ganzen Körperth eilen verbundenen Zellengruppen, den Geweben und Organen,
aussagen* je weniger die Gliederung des Formgesetzes, nicht extensiv sondern
im Sinne divergirender Bildungen, vorgeschritten ist, also je einfacher der ganze
Bau und je gleichartiger die einzelnen Abschnitte sind, desto beschränkter ist
die Unverletzlichkeit jenes Gesetzes oder die Individualität des ganzen Organis-
mus. Denn die Gleichartigkeit des Formgesetzes in jenen homologen Ab-
schnitten sichert ihnen eine gewisse Unabhängigkeit von einander, indem keiner
von ihnen* durch ihm selbst fehlende, daher integrirende Formbedingungen der
anderen mitbestimmt wird; und diese Beschränkung der Individualität des
ganzen Organismus zu Gunsten seiner Einzelabschnitte geht bisweilen so weit,
dass er spontan oder in Folge äusserer Eingriffe in zwei und mehr sieh voll-
kommen individiuilisirende Theile zerfallen kann, im ersten Falle, bei der
VIII. Die Segmeute des Rumpfes. 597
Fortpflanzung durch Theihmg oder Knospcnbildung, wird die volle Unab-
hängigkeit der gleichwertigen oder von den übrigen abgesonderten Abschnitte
im natürlichen Lebensprocesse herbeigeführt, bei der künstlichen Vermehrung
. dagegen das Formgesetz des abgelösten Theils individuell hergestellt. Ander-
seits nimmt aber in dem Masse, als die einzelnen gröberen Körpertheile eine
divergente Entwicklung erfahren, ihre gegenseitige Anpassung und Abhängig-
keit zu Gunsten des Gesammtindividuums zu, dagegen ihre Fähigkeit zur Aus-
bildung einer eigenen Individualität ab, indem die aus jener Entwickelung re-
sultirende physiologische Arbeitstheilung die verschiedenen Gewebe, Organe
und ganzen Körperabschnitte theils über ein gewisses Mass hinaus, theils über-
haupt nach ihrer Eigenschaft für die Erhaltung des einheitlichen Formgesetzes
und dieses wieder für die Existenz des Einzeltheils unentbehrlich macht. Solche
Betrachtungen führen uns noth wendig zu dem Ergebniss, dass die Individualität
eines Organismus nur ein besonderer Ausdruck seines Entwickelungsziels ist,
also während seiner Entstehung sich ebenfalls allmählich und parallel der
Gliederung des Formgesetzes entwickelt. Je mehr dabei die Einzeltheile, seien
es die morphologischen Elemente oder deren Verbindungen zu Organen und
Körpersegmenten, sich einer morphologischen Gleichartigkeit und physio-
logischen Koordination nähern, desto lockerer wird der Bestand der Indivi-
dualität des Ganzen bis zu einer vollständigen Vertheilung derselben auf jene
Elemente und Abschnitte ; dagegen erhöht sich ihre Intensität mit der steigen-
den Divergenz in der Gliederung des Formgesetzes und der dadurch herbei-
geführten Unterordnung der Theile, sodass zunächst die ursprünglich angelegte
Individualität der morphologischen Elemente in der Herstellung der Organe
und Körpersegmente , und in zweiter Linie die Selbstständigkeit der letzteren
• im Kausal zusammenhange des ganzen Organismus aufgeht.
Wollen wir auf Grund dieser Ergebnisse den Formwerth der verschiedenen
Gewebe der Wirbelthiere prüfen, so muss vor allem vorausgeschickt werden,
dass die verschiedenen Stufen in der Ausbildung der Individualität, wie sie sich
in der allgemeinen Betrachtung ergaben , in dem Entwickelungsverlaufe eines
bestimmten Thieres natürlich nicht thatsächlich durchlaufen werden , aus dem
einfachen Grunde, weil sie selbst ein Entwickelungsergebniss und als „physio-
logischer Ausdruck des Formgesetzes" (S. 575) erst im vollendeten Zustande
des Organismus erfasst werden kann. Dieselbe Ueberlegung, welche dem
ganzen Eis sowie den einzelnen Dotter und Embryonalzellen ein vollkommenes
Leben abspricht, kann ihnen auch nur die Anlage zur Ausbildung einer eigenen
598 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
Individualität zugestehen. In der Gewebsbildung wird aber diese Anlage nicht
weiter entwickelt, sondern wie erwähnt gerade zurückgebildet; sobald jene
Zellen durch ihre innere Umbildung zum wirklichen individuellen Leben fähig
werden, gehen sie auch sehen gruppenweise in Massenprodukten auf, werden
gewissermassen zu neuen Formbeständen höheren Grades „verwebt." Ich habe
es für die Mehrzahl der Gewebe, für die Bindesubstanzen im weitesten Sinne,
für die Muskelfasern und Xervenelemente nachgewiesen, dass bei ihrer Ent-
wicklung der frühere Formbestand der Embryonalzelleu aufgelöst und aus
dem dadurch gewonnenen Bildungsmaterial unter dem Eintiusse der lokalen
Formbedingungen theils neue Zellenformen, theils nichtzellige Gewebsbestand-
theile hervorgehen. Aber auch diese sekundären Zellen können als wirkliche
Organismen (Elementarorganismen) nicht angesprochen werden, da ihnen ein
selbstständiges Formgesetz, eine vollkommene Individualität fehlt. Sie treten
meist in den engsten anatomisch-physiologischen Zusammenhang mit anderen,
selbst nichtzelligen Gewebstheilen, wie z. B. die Nervenzellen mit den Nerven-
fasern, sodass schon ihre körperliche Abgrenzung ganz unbestimmt wird ; ander-
seits sind die sie betreffenden Lebensvorgänge, namentlich die Ernährung, nicht
in ihnen abgeschlossen, sondern verbreiten sieh in einheitlicher Gliederung
durch das ganze Gewebe. Sie bleiben also integrirende Theile desselben und
verhalten sich zu ihm gerade so wie die Kerne zu den ganzen Zellen, verdienen
daher den Namen eines Elementarorganismus so wenig wie die Zellenkerne.
Die Zellen als Gewebstheile sind keine Organismen, keine or-
ganischen Individua. Man wird mir vielleicht erwidern , dass diese Be-
weisführung auf eine Spitzfindigkeit hinauslaufe , da jene sekundären Zellen
jedenfalls lebende Körper seien. In diesem Ausdrucke liegt aber der Doppel-
sinn von lebenden Individuen und von Körpern, die an einem Leben theil-
nehmen. Dies letztere kommt natürlich ebenfalls den Zellenkernen und den
nichtzelligen Gewebselementen, den Fasern, festen Intercellularsubstanzen u. s. w.
in gleichem Grade zu, sie werden ernährt, sie wachsen, bewegen sich und ver-
mehren sich selbst unter Umständen durch Theilung. Und folglich konnte, so-
lange die Anwesenheit eines selbstständigen Formgesetzes als eine nothwendige
Voraussetzung der Existenz eines Organismus nicht erkannt war, eine grund-
sätzlich verschiedene Bedeutung der Zellen und der übrigen Protoplasma-
produkte wenigstens nicht genügend begründet werden: sollten die zelligen Ge-
webstheile Elementarorganismen sein, so hatten die übrigen Gewebselemente
denselben Anspruch auf diese Bezeichnung. Dieselbe Ueberzeugung aber, welche
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 599
mich veranlasst, den bisher besprochenen unselbstständigen zelligen Gewebs-
elementen den Werth eines Elementarorganismus nicht zuzuerkennen , lässt
mich ganz allmähliche Uebergänge von denselben zu völlig selbstständig und
individuell lebenden Zellen finden. Die Epithelien stellen eine solche Ueber-
gangsstufe dar; dehn wenn sie sich durch die spärliche, ihre Zellen verbindende
Kittsubstanz auch nur graduell etwa vom Knorpel unterscheiden, so erscheinen
doch die Epithelzellen bisweilen so locker gefügt, dass sich einzelne aus dem
Gewebe herauszulösen und in dem umgebenden Medium eine Zeit lang ein
scheinbar vollkommen individuelles Leben zu führen vermögen. Endlich finden
wir in den Bildungszellen des vollendeten Thieres (Lymph-, junge Blut- und
Wanderzellen), solange sie nicht thatsächlich in den Bestand eines Gewebes
eingehen, wirkliche Elementarorganismen, d.h. Formelemente mit einem voll-
kommen individuellen Leben. Da sie aber ein solches Leben nur eine relativ
kurze Zeit führen und nach meiner Ansicht im vollendeten Organismus ebenso
wie ich für gewisse Entwickelungsperioden nachweisen konnte , in die ver-
schiedensten Gewebe übergehen und sich denselben anpassen, so besitzen wir
an ihnen das beste Beispiel eines thatsächlichen, allmählichen Uebergangs von
Elementarorganismen in untergeordnete Theile eines einheitlichen Gesammt-
individünms. Ich bestreite jedoch , dass wegen eines solchen Uebergangs das
Anfangs- und das Endglied des betreffenden Entwickelungsverlaufs als gleich-
artig angesehen werden dürften; denn nach diesem Grundsatze müsste man
auch den gar nicht bestimmt begrenzten Lebenskeimmassen den Form werth von
Zellenkernen, also ganz bestimmt gesonderter Körper, zuschreiben. Daher kann
auch nach meiner Ansicht nicht alles, was man eine Zelle zu nennen gewohnt
ist, unter allen Umständen und in jeder Umbildungsform denselben Werth be-
halten, so wenig wie die verschiedenen Entwicklungsstufen des ganzen Organis-
mus den gleichen morphologisch -physiologischen Werth besitzen. Nun wird
aber häufig davon gesprochen, dass der eine oder andere Gewebstheil, welcher
nicht einmal in seiner äusseren Erscheinung an Zellen erinnert, denFormwerth
einer oder mehrerer Zellen habe. Wenn damit in den meisten Fällen nur der
Ursprung des betreffenden Gewebstheiles aus einer oder mehreren Zellen be-
hauptet werden sollte, so wäre an dem Ausdrucke nur auszusetzen, dass er
wenig exakt ist. Denn es ist nicht einzusehen, warum die Beziehung auf die
Zahl der Bildungszellen durch das Wort,, Formwerth" bezeichnet wird, da doch
ihr Formbestand gerade aufgelöst wird. Neuerdings hat sich aber Haeckel
derselben Ausdrucksweise in einem andern Sinne bedient , indem er den Form-
(j(j() VIII. Die Segmente des Rumpfes.
werth^ der mehrkernigen Gewebstheile (Zellfusionen, Zellenstöcke ) ganz uline
Rücksicht auf die Zahl der Bildungszellen nur nach derjenigen der späteren
Kerne bemisst. Allerdings sagt er an einer Stelle von den Muskelfasern: „Die
Zahl dieser Kerne bezeichnet die Zahl der Zellen , welche in der Bildung des
Zellenstockes aufgegangen sind" (Nr. 100 I S. 2U7); aber wenn wir sehen, dass
die einfachen Kerne der Primitivfasern der Stammuskulatur sich erst zu theiien
anfangen, nachdem die Muskelsubstanz längere Zeit fertig bestand und thätig
war, so lässt sich eine solche Kern- Vermehrung natürlich nicht auf eine unvoll-
ständige Theilung der Bildungszellen beziehen. Auch erwähnt Haeckel die
Bildungszellen bei der eigentlichen Erörterung seiner Auffassung überhaupt
nicht. Er schliesst folgendermassen. Da ein einfacher Protoplasmaklumpen
(Cytode) von einem kernhaltigen (Zelle) unterschieden werden müsse, so be-
stimme „einzig und allein der Nucleus die Individualität der Zelle1', wobei
natürlich die von Haeckel sogenannte morphologische Individualität, d. h. die
Einheit der Formerscheinung gemeint ist.* Folglich habe ein Gewebstheil den
Formwerth von soviel Zellen, als Kerne in ihm enthalten seien, wogegen der
Ausdruck „vielkernige Zelle" eine contradictio in adjecto sei. Die einkernigen
Gewebstheile werden daher einfachen Zellen gleichgesetzt und einzellige Ele-
nientarorganismeu genannt (vgl. Nr. 100 1 S. 2bo. 278.296, Nr. 127 S. 15. 17.
21 — 22. 40, Nr. 128 I. S. 105. 106). Ich glaube, dass diese Darstellung zunächst
nicht anders zu verstehen ist, als dass ein Gewebstheil aus so viel „morpholo-
gischen Individuen" bestehe, als Kerne vorhanden sind. Dieses Raisonnement
Haeckel's ist aber an sich und mit Bezug auf andere seiner Definitionen
fehlerhaft, wenn wir dieselben vorläufig annehmen. Wenn ganz unzweifelhaft
die Anwesenheit eines Kerns die Formerscheinung einer Zelle gegenüber einer
Cytode bestimmt, so darf doch daraus nicht ohne weiteres gefolgert werden,
dass ein Kern in einem Gewebe nun unter allen Umständen die Existenz einer
Zelle andeute ; der Erörterung, ob ein mehrkerniger Gewebstheil einer oder
* Haeckel »unterscheidet nämlich die Individualität nach der untheilbaren Form-
erscheinung und der theilbaren Lebenseinheit (morphologische, physiologische Individualität),
und sondert ferner die entsprechenden Individuen in verschiedene Ordnungen, sodass jedes
morphologische Individuum unter Hinzutritt der physiologischen Individualität für sich allein,
oder ohne dieselbe als untergeordneter Theil einer höheren Ordnung bestehen kann (Nr.
100 I S. 265 und flg. 33.3— 335. 367). Die morphologische Individualität wird durch den
Mangel der physiologischen nicht beeinträchtigt, sondern kann trotz aller Unterordnung
„scharf ausgeprägt- bleiben (ebciid. S. 304); zur Herstellung eines Organismus ist daher
offenbar das Zusammentreffen der beiderlei Individualitäten erforderlich.
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 601
mehreren Zellen entspreche, hätte der Beweis vorausgehen sollen, dass jenem
eine Zellennatur wenigstens im morphologischen Sinne überhaupt zukomme.
Nun bezeichnet aber Haeckel die morphologischen Individuen, also in erster Linie
Cytoden und Zellen, als räumlich abgeschlossene Körper von bestimmter Ge-
stalt (Nr. 100 I S. 265); dann kann aber doch ein einheitliches aber vielkerniges
Plasmastück, z. B. gerade eine sogenannte vielkernige Zelle, eine Mehrheit von
solchen Körpern nicht genannt werden, um so weniger, als Haeckel selbst
ausspricht, dass die Zellen als morphologische Individuen bei ihrer Verbindung
zu höheren Formindividuen „ihre individuelle Selbständigkeit mehr oder weniger
aufgeben" (cbend. S. 290). Da nun bei einer solchen Beurtheilung des Form-
werthes vielkerniger Gewebstheile die Beziehung auf die Bildungszellen ebenso
wie die einfache Identiticirung mit ebenso vielen morphologischen Individuen
als Kerne vorhanden sind, ausgeschlossen werden muss, so ist nicht leicht ein-
zusehen, was der bezeichnete „Formwerth von mehreren Zellen" eigentlich be-
deuten soll. — Ansprechender ist schon die Bezeichnung einkerniger Muskel-
fasern und Ganglienkugeln als Zellen , sobald man die letzteren lediglich als
kernhaltige Protoplasmastiicke und nicht , wie ich es allein für richtig halte,
jede Bildung nach dem ihr eigentümlichen Formgesetze definirt. Nun bleibt
aber Haeckel bei ihrer morphologischen Zellennatur nicht stehen, sondern er-
klärt sie gleich für Elementarorganismen. Ein Organismus involvirt aber die
physiologische Individualität im Sinne Haeckel's (vgl. die letzte Anm.) , d. h.
die Fälligkeit, vollkommen selbstständig zu leben, wenigstens sich zu ernähren
( a. a. 0. S. 266 ) , was freilich nach meiner Ansicht auch schon Bewegung,
Wachsthum, Fortpflanzung facultate einsehliesst; und eine solche Fähigkeit den
genannten Gewebstheilen zuzuschreiben, dürfte nicht leicht Jemand sich bereit
finden, es sei denn, dass man bereits in ihrem normalen Zustande innerhalb des
Gewebes jenes vollkommen selbstständige Leben erkennen wollte, was aber
nach der oben citirten Bemerkung Haeckel's bei ihm nicht der Fall ist.
Noch schärfer treten die Mängel solcher Bestimmungen hervor, wenn man den
ausgesuchten, ansprechenden Beispielen andere, unzweifelhaft analoge Fälle
zur Seite stellt. Die Ganglienzellen sind von blossen kernhaltigen Stellen des
Axencylinders nur quantitativ zu unterscheiden (vgl. M. Sciiultze Nr. 120 I
S. 115. 126. 127); folglich wäre ein kernhaltiger Axencylinder eine Kolonie oder
ein Stock von Elementarorganismen, ein kernloser dagegen mit Zellen und Ele-
mentarorganismen überhaupt nicht vergleichbar und daher im Formwerthe nur
etwa einer Bindegewebsfaser verwandt. Und erinnern wir uns der thatsäch-
602 VE! Die Segmente des Eumpfes.
liehen Entstellung einer Muskelprimitivfaser, so müssen wir gestehen, dass
nach der Formerscheinung die Muskelfibrillen zu den Muskelkörperehen gerade
so sich verhalten, wie die Fibrillen eines Bindegewebsbündels zu den anhaften-
den Bindegewebskörperchen, dass demnach, wenn die gesammte Muskelprimitiv
faser so vielen Zellen entspräche, als Kerne in ihr vorhanden sind, auch jene
Bindegewebsfibrillen auf alle zugehörigen Bindegewebskörperchen vertheilt ge
dacht werden müssten, um mit ihnen „untheilbare Formindividuen" zu bilden!
Diese Konsequenzen, welche sich beträchtlich vermehren Hessen, sind folge-
richtig, aber ich muss bezweifeln, dass Haeckel selbst sie annehmen möchte.
Ganz anders gestaltet sich die Sache, wenn wir die organische Formerscheinung
als Ausdruck eines Formgesetzes von Bewegungen auffassen und so die Morpho-
logie und Physiologie zur Lehre von der formgesetzlichen Erscheinung des
Lebens wahrhaft synthetisch verbinden. Dann muss auch bei der Beurtheih in-
des Formwerthes der Gewebe die organische Entwickelung zu Grunde gelegi
werden; aus dem Neben- und Nacheinander verschiedener Formen lässt sich
aber ein einheitlicher Vorgang erkennen, welcher, wie ich bereits erwähnte,
aus ungleichartigen Gliedern besteht, deren grösste Divergenz an den End-
punkten ersichtlich wird. Die freien Bildungszellen sind die einzigen wirklichen
Elementarorganismen des Wirbelthierkörpers ; diese Bedeutung verlieren sie in"
dem Masse, als sie sich zu Formelementen eines Gewebes umbilden. Soll da-
her der Begriff der Zelle mit demjenigen eines Elementarorganismus zusammen-
fallen, so wird der Name „Zellen" auf die noch nicht in Gewebe übergegangenen
Formelemente beschränkt werden müssen. Da man aber höchst wahrscheinlich
diesen Namen stets so weit ausdehnen wird, als die äussere Formerscheinung
im wesentlichen dieselbe bleibt, so wird die Zelle einen wechselnden Indivi-
dualitätswerth behalten. Wo aber nicht nur die Individualität des ursprüng-
lichen Elementarorganismus, sondern auch seine frühere Form in der fortschrei-
tenden Metamorphose vollständig aufgelöst ist, dort noch von einem Zellen-
bestande zu reden , halte ich für willkürlich und für schädlich , weil der Ge-
brauch eines Wortes in ganz verschiedenem Sinne nur bei vollständig befestig-
ten Begriffen ohne nachtheilige Folgen bleibt.
Bei einem schnellen Rückblick auf die voranstellenden Betrachtungen der
Zellenlehre kann es uns nicht entgehen, dass alle Widersprüche, Ungenauig-
keiten und offenbaren Irrthümer in dieser Lehre die nothwendigen Folgen der
einseitig analytischen Methode und der schematischen Begriffsbestimmungen
sind, welche sich meist bloss an die äussere Erscheinung hielten, und wo sie
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 603
das Wesen der organischen Form zu erschöpfen versuchten, seine Einheit in
eine Reihe getrennter Begriffe zersplitterten. So verstand Haeckel wohl den
relativen Werth des [ndividualitätsbegriffs wie aller verwandten Begriffe (Leben,
Organisation) auf analytischem Wege zu zerlegen, aber nichtmehr zurthatsäch-
liehen Einheit zurückzuführen. Die Neigung zur vollsändigen Sonderung der
thatsächlichen Verhältnisse je nach den verschiedenen Seiten unseres Erkennt-
nissvermögens hängt aber gerade aufs innigste zusammen mit der Neigung, die
qualitativen Unterschiede zu leugnen, die bestehenden Differenzen zu nivelliren,
in der Zellenlehre nicht weniger als in allen übrigen Beziehungen des organi-
schen Lebens. Indem man sieh in der analytischen Untersuchung verlor, über-
sah man das einzig und allein untheilbare Gesetz des Zusammenhangs , wurde
jede in ihre Elemente zerlegte Erscheinung zur blossen Summe derselben,
welche daher in ihrem Wesen dem Ganzen gleich sein mussten. So wurde das
Leben zur Summe der ihm zu Grunde liegenden Elementaraktionen der Materie
und konsequenter Weise mit den inhärenten Eigenschaften des Protoplasmas
identificirt, der Organismus, das organische Individuum als blosses Aggregat
von Formelementen und auf der niedersten Stufe nur als indifferente „Baum-
einheit" jenes speeifischen Lebensstoffes hingestellt. Dabei wurde die Bedeutung
der Entwickdung für die Entstehung des Lebens, der Organisation, der
Individualität vollkommen übersehen, das Wesen dieser Erscheinungsformen
als der Endprodukte eben des individuellen Entwickelungsverlaufs , durchaus
verkannt, und daher brachte man auch den letzteren unter das Schema jener
Analyse und Summirung, welche man so oft für synthetische Betrach-
tung ausgab: die einzelnen Entwicklungsstufen der Organisation und des
Lebens wurden nur äusserlich , nach dem Masse der Gliederung unterschieden,
im Wesen war das noch unveränderte Ei so gut ein Organismus wie alle seine,
späteren Theilungsprodukto, die Embryonalzellen und deren weitere Umbildun-
gen, und diese unterschieden sich nur durch ihre elementare Form (Elementar-
organismen) von dem Gesammtorganismus oder Gesammtindividuum. Indem
ich aber hier insbesondere dieser letzteren Auffassung entgegentrete, kommt es
mir natürlich nicht darauf an, den Sprachgebrauch abzuändern, welcher nun ein-
mal den Ausdruck „Leben" nicht auf die Gesämmtleistung des Organismus be-
schränkt, sondern auch alle Einzeltheile desselben lebendige nennt. Ich ver-
lange nur, dass man sich den grundsätzlichen Unterschied eines solchen Theil-
lebens von dem individuellen Leben eines vollkommenen Organismus vergegen-
wärtige und sieh dessen stets bewusst bleibe. Da ich jedoch der Ansicht bin,
ß04 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
dass die Entstehung eines jeden Organismus unmittelbar oder mittelbar (bei
der Fortpflanzung durch Theilung) auf eine Entwickelung aus einem ursprüng-
lich unorganisirten protoplasmatischen Stoffe zurückzuführen, und selbst jeder
Theil des vollendeten Thieres in seiner früheren Anlage niemals nach seinem
ganzen wesentlichen Inhalte enthalten sei, sondern der letztere ganz allmählich
durch die Gesammtentwickelung zusammengeführt werde, so kann es mir natür-
lich nicht einfallen, zwischen dem vollendeten und dem unvollkommenen Zu-
stande oder noch weiter zurückliegenden Ursachen des Lebens, der Organisation
und Individualität an irgend einem Punkte des Entwickelungs Verlaufs eine be-
stimmte Grenze abzustecken. Sobald man diese Begriffe aus dem Wesen der
Entwickelung erklärt, welches in der vollständigen aber ganz allmählichen Ein-
führung eines neuen, von aussen bedingten Moments, eben des Formgesetzes,
in die Existenz gewisser Naturkörper besteht, so ist darin die Thatsache des
unmittelbaren Zusammenhangs der einzelnen Zustände ebenso begründet wie
die Anerkennung eines grundsätzlichen Unterschieds zwischen Anfang und
Ende des ganzen Vorgangs. In dieser Auffassung der organischen Entwicke-
lung liegt eben die Ausgleichung der bisherigen Gegensätze, der Annahme einer
übernatürlichen Lebensursache und der radikalen Identificirung des Lebens
mit nichtlebendigen Vorgängen : ohne einen unnatürlichen Eingriff in den Zu-
sammenhang und Verlauf der Elementaraktionen des Protoplasmas werden sie
doch in begrenzten Körpern auf eigentümliche Weise zu einer Gesammtleistung
vereinigt, deren Theile durch ihre Entstehung ursächlich zusammenhängen,
daher sich nothwendig gegenseitig voraussetzen und bedingen und so ein relativ
untheilbares Ganze, eine organische Individualität konstituiren , deren form-
gesetzliche Wirksamkeit sie von dem blossen Aggregate der Elementaraktionen
in unorganisirten Körpern wesentlich unterscheidet. Wer aber dieser Auffas-
simg sich anschließt, wird meine übrigen Folgerungen kaum zurückweisen.
Die zuletzt erörterte war aber der Satz, dass die Individualität des Wirbelthier-
organismus eine so vollständige ist, dass von einem individuellen Sonderleben
seiner einzelnen Theile nicht die Rede sein kann,* vielmehr von denElenienten
durch die Gewebe , Organe, Körpersegmente bis aufwärts zum Ganzen jeder
* Die Ausnahme, welche die freien Bildungszellen machen, muss durch die Ueberlegung
auf ihr richtiges Mass zurückgeführt werden, dass ihre Thätigkeitgewisfiermassen die letzten
Ausläufer oder eine Furtsetzung der plastischen Entwickelung darstellt, welche für die Er-
haltung der endgiltig erreichten Form ebenso nothwendig ist wie für deren Entstehung
VIII. Die Segmente des Rumpfes. ß05
Theil als mehr oder weniger untergeordnetes Glied in den Bestand der nächst-
höheren Kategorie aufgehe und dadurch seine eigene Selbstständigkeit oder In-
dividualität einbüsse. Jeder nimmt Theil am Leben, welches aber nicht eine
Summe, sondern ein durch den Kausalzusammenhang der Entwicklung ge-
wonnenes Resultat aller der Theilvorgänge ist , nur in der einheitlichen Ge-
sammtleistung des Ganzen oder des organischen Individuums besteht.
Bietet die an den Rumpfsegmenten nachzuweisende Histiogenese einen
passenden Ausgangspunkt zu einer Reihe von allgemeinen Betrachtungen , so
finden wir anderseits in der morphologischen Gliederung der segmentalen Ge-
websmassen der Batrachier Anknüpfungspunkte an die entsprechenden Ver-
hältnisse aller übrigen Wirbelthiere.
Sowenig der vollendete Zustand der Teleostier eine Uebereinstimmung
ihrer Rumpfmuskulatur mit derjenigen der Batrachier vermutheu lässt, so offen-
bart sich eine solche doch unzweifelhaft in der Entwickelung und zwar insbe-
sondere zwischen Teleostiern und Salamandrinen. Die Segmente dieser Fische
(Forelle, Lachs) entsprechen einmal in ihrer Anlage und Sonderung vollständig
der uns bekannten Form: die Anlage der Muskeln, der Segmentkern, liegt als
die Hauptmasse des Segments zwischen der hautartigen äusseren Segmentschicht
und dem ebenfalls dünnen inneren Segmentblatte mit seinen Nervenanlagen ein-
geschlossen und zeigt frühzeitig eine Sonderung in zwei Hälften, indem das
ganze Segment in der Höhe der Wirbelsaite und entsprechend der Erweiterung
des an den Embryo sich anschliessenden Dottersackes nach aussen umgebogen
erscheint (Taf. XXII Fig. 382). In die dadurch entstehende fortlaufende
Längsfurche wachsen von der Oberhaut die Seitenorgane hinein und bezeichnen
daher die Linie, in welcher die Stammuskeln später sich vollständig in eine
dorsale und eine ventrale Masse trennen. In dem Masse, als sich der Embryo
über den Dottersack erhebt, gleicht sich jene Winkelstellung beider Hälften
aus; die untere erstreckt sich alsdann gerade abwärts, ist ebenso hoch wie die
obere und läuft mit zugeschärftem Rande an der Grenze des Dottersackes aus,
sodass dieser Rand am After in die Bauchlinie des Schwanzes übergeht. Die
queren Scheidewände der Muskelsegmente verlaufen gleichfalls in gebrochenen
Linien, deren nach vorn gerichtete Spitzen an der Grenze beider Muskelhälften
liegen und daher sämmtlich in die Seitenlinie fallen. Diese ganze horizontal
606 VIII. Die Segmente dos Rumpfes.
gefaserte Muskelmasse entspricht also durchaus der Stammuskulatur der
Batrachier. An dem eben ausgeschlüpften Fischchen finde ich nun an der
Aussenseite dieser Stammuskelmasse, also an der Stelle der früheren äusseren
Segmentschicht, ausser spärlichem Bildungsgewebe eine dünne Muskellage,
deren Fasern schräg nach unten und hinten gerichtet ist; es ist darin die An-
lage eines M. obliquus externus nicht zu verkennen , welche noch an Fischchen
von einigen Centimetern Länge sich unterscheiden lässt , aber später offenbar
den Stammuskeln sich anpasst und spurlos in sie aufgeht. An dem eben aus-
geschlüpften, noch mit einem ansehnlichen Dottersacke versehenen Fische habe
ich ferner eine deutliche Fortsetzung der Stammsegmente oder der inneren
Segmentschicht in die Wand des Dottersackes oder die spätere Bauchwand auf-
gefunden, welche natürlich auf den eigentlichen Rumpf zwischen Kopf und
After beschränkt bleibt, da im Schwänze die Stammsegmente bis zur Bauch-
seite hinabreichen. Diese ventrale Fortsetzung der inneren Segmentschicht
besteht zum grössten Theile aus Bildungsgewebe, enthält aber darin eine dünne
Muskellage , welche in der angegebenen Zeit erst in der Bildung begriffen ist.
und deren Fasern gerade so wie ich es für den mittleren Bauchmuskel schilderte,
je aus mehreren Zellen sich zusammensetzen. Diese Muskelschicht schliesst
sich nur mit einigen weit auseinander stehenden Fasern an den unteren Band
der Stammuskeln an, während sie weiter abwärts , wo auch ihre Entwicklung
noch im Rückstande ist, gleich in dichtem Gfefüge entsteht. Ferner verlaufen
die Fasern in jenem oberen Theile nicht horizontal , sondern denen dos M.
obliquus externus gerade entgegengesetzt schräg nach vorn und unten, und ihre
erst zart angedeuteten segmentalen Scheidegrenzen fallen ebenfalls nach vorn
ab , sodass sie mit denen der unteren Stammuskelhälfte einen nach hinten ge-
richteten Winkel bilden. Die Neubildung dieser Muskeischicht innerhall) eines
reichlichen jungen Bildungsgewebes, der abweichende Verlauf ihrer Fasern und
Segmentgrenzen , endlich ihr lockerer Zusammenhang mit den Stammuskeln,
während ihre Hauptmasse gleich kompakt entsteht, lassen in ihr nicht eine
einfache Fortsetzung eben dieser Stammuskeln , sondern die Grundlage eines
neuen Muskels erkennen , welcher nur dem mittleren Bauchmuskel der Batra-
chier verglichen werden kann, sodass die gesammte Rumpfmuskulatur des
jungen Teleostiers bis * auf die geringere Ausdehnung des äusseren schrägen
Bauchmuskels vollständig mit derjenigen der Urodelcnlarven übereinstimmt
(vgl. Tu. f. XIX Fiij. 341). Statt einer weiteren Ausbildung dieser ursprüng-
lichen Sonderung tritt aber bei den Teleostiern allmählich eine Rückbildung
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 007
ein, indem die Stammuskeln mit dem mittleren Bauchmuskel , welcher die An-
lagen eines M. obliquus internus und M. rectus abdominis enthält, und mit dem
M. obliquus externus zu dem sogenannten Seitenrumpfmuskel verschmelzen, an
welchem nur die Trennung der Stammuskelhälften erhalten bleibt. Es scheint
mir auch zweifelhaft, ob in den untersten Zacken der segmentalen Scheidewände
des fertigen Seitenrumpfmuskels die frühere Grenze des mittleren Bauchmuskels
wiederzuerkennen ist, da solche Zacken alsdann auch ander Bauchseite des
Schwanzes vorkommen (vgl. Nr. 129 Taf. H), welcher ja anders wie der Rumpf
ausschliesslich Stammuskeln enthält. — Der Mangel eines inneren Bauch-
muskels (M. transversus abdominis) bei den Fischen kann nicht auffallen, da
er lediglich eine aus nachträglicher Anpassung an das parietale Bauchfell her-
vorgehende Bildung darstellt, und die innige Verbindung desselben mit der be-
schriebenen Hauptmuskelmasse bei den Fischen die Entwickelung eines M.
transversus unmöglich zu machen scheint. — An Selachierembryonen lässt sich
eine Trennung der Stammuskeln von einem Bauchmuskel noch deutlicher nach-
weisen als bei den Teleostiern. An den schon früher erwähnten Scyllium-
embryonen sehe ich die untere Stammuskelhälfte im Rumpfe nur wenig unter
das Niveau des Rückens hinabreichen ; daran schliesst sich der Bauchmuskel,
dessen Fasern oben schräg, unten horizontal verlaufen, und dessen verdünnter
oberer Rand kaum merklich über denjenigen der Stammuskeln übergreift. An
reifen Mustelusembryonen reichen die letzteren tief hinab und werden -zu einem
ganzen Drittheil vom Bauchmuskel bedeckt, sodass jenes Drittheil dort wo es
hinter dem Becken frei zu Tage tritt, bei flüchtiger Untersuchung eine Fort-
setzung des Bauchmuskels vortäuscht. Die Untersuchung von der Bauchhöhle
aus, sowie die Inkongruenz der segmentajon Abtheilungen in den beiderlei
Muskelgruppen schützt jedoch leicht vor jener Verwechselung. Aus dem Ver-
gleiche beider Befunde schliesse ich, dass die Ueberlagerung des Bauchmuskels
über die Stammuskeln nachträglich eintritt. — Ferner beweisen uns die Unter-
suchungen M. Schultze's, dass die allereinfachste unter den Wirbelthieren
vorkommende Rumpfmuskulatur, nämlich diejenige der Neunaugen, nicht einer
niedersten Entwicklungsstufe , sondern nur einer am weitesten gediehenen
Rückbildung gesonderter Grundlagen entspricht. Denn er hebt ausdrücklich
hervor , dass die Embryonen dieser Thiere ausser den segmentirten „ Seiten-
muskeln", welche nach den beigefügten Abbildungen nur wenig unter die
Wirbelsaite hinabreichen, noch ein „System von Bauchmuskeln" besitzen,
„welche der Längsaxe des Körpers parallel laufen" (Nr. 02 S. 34, Taf. VII. VIII).
(30g VIII. Die Segmente des Rampfes.
Ich kann diese Muskeln nur als einen mittleren Bauchmuskel und eine ungetheilte
Stammuskelmasse deuten. Dann ist es aber für die meisten Fische* nachweis-
bar, dass ihre einfache Rumpfmuskulatur aus der Rückbildung einer typischen
ursprünglichen Sonderung hervorgeht, welche mit derjenigen der Batrachier
vollständig oder doch im wesentlichen übereinstimmt.
Für die Vögel und Säugethiere habe ich dieselbe Sonderung und topo-
graphische Anordnung der Segmenttheile wie bei den Batrachiern nachgewiesen
(S. 533 — 534). Die Verwandlung des in jenen Klassen schmächtigen Segment-
kerns in die Stammuskulatur sowie das Hinabwachsen der längere Zeit indiffe-
renten äusseren Segmentschicht und einer ebensolchen Fortsetzung der inneren
Segmentschicht in die Bauchwand lassen es mir unzweifelhaft erscheinen, dass
die gesammte Rumpfmuskulatur dieser Thiere und überhaupt aller Amnioten
dem Typus folge, welchen ich aus der Entwicklungsgeschichte des Muskel-
systems der Batrachier erkannte, wesshalb auch der fertige Zustand in beiden
Abtheilungen leicht in Uebereinstimmung zu bringen ist, ** Für die Stamm-
muskulatur der Amnioten wäre nur besonders hervorzuheben , dass sie sich im
Bereiche der Rippen mit denselben bis zur Bauchseite erstreckt (vgl. S. 432.
460) •, bei der Herstellung eines kostalen Brustbeins wird der mittlere Bauch-
muskel von demselben überlagert und dort ganz oder theilweise zum Schwunde
gebracht (vgl. Meckel Nr. 130 Bd. III S. 304. 450), sowie er nachweislich durch
den Beckengürtel erst nachträglich unterbrochen wird (vgl. S. 467). Ferner
kann die untere Stamnmskelhälfte ebenso wie sie am Halse in die langen tiefen
Halsmuskeln sich verwandelt, auch am Sehwanze besondere Längsmuskel bilden •,
so finde ich beim Cbamaeleon zwei starke Rollmuskeln des Schwanzes, welche
vom Becken entspringend und in besondere, den unteren Wirbelbögen ange-
* Die Rumpfmuskeln der Myxinoiden besitzen eine Anordnung', welche mit derjenigen
anderer Wirbelthiere nicht ohne weiteres übereinstimmt, und die ich daher bei dem Mangel
embryologischer Daten nicht sicher zu deuten weiss.
** Sil sehr auch in den meisten Einzelheiten der Entwicklung und des anatomischen
llaues gerade die Anuren nähere Beziehungen zu den Amnioten zeigen als die Sala-
mandrinen, welchen in vieler Hinsicht mit Recht eine nähere Verwandtschaft mit den Fischen
zugeschrieben wird, so liefert doch der vorliegend»! Fall gerade keine Belege dafür. Die
Gliederung der Efcückenmuskeln bleibt allerdings bei den Urodelen auf niederer Stufe stehen
und gleicht mehr derjenigen der Fische, sowie sie in den Anuren Ins zu der bei den Amnio-
ten gewöhnlichen Anordnung fortschreitet. Aber den letztgenannten Batrachiern fehlt mit
ausgebildeten Rippen auch deren besondere Muskelgruppe, und was von grösserem Gewichte
ist. ihr mittlerer Bauchmuskel entbehrt die Sonderung in einen M. obliuuus internus und
rectus abdominis, welche wohl allen Amnioten zukommt.
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 609
heftete Scheiden eingeschlossen ihre Sehnen bis zur Schwanzspitze erstrecken
und wie die Beuger der Finger und Zehen wirken. — Der wichtigste ventrale
Theil des mittleren Bauchmuskels muss in seiner ursprünglichen Anlage als
eine vom Kinne bis zum After oder der Schwanzwurzel kontinuirlich fortlaufende
Muskelmasse angesehen werden, welche erst sekundär in die Mm. genio-, sterno-
hyoidei, recti abdominis und die hinter dem Becken gelegenen Längsmuskel
zerfallt. Diese letztere Abtheilung wird bei den Batrachiern nur durch den
M. ischio-coccygeus repräsentirt, dessen ursprüngliche Verhältnisse aber meist
verdeckt werden, indem nur seine den After oben und seitlich umgürtende Partie
muskulös bleibt, während die absteigenden Schenkel sehnig werden. Nur bei
der gemeinen Kröte bilden auch diese Schenkel, wie bereits Duges sehr richtig
hervorhob (No. 13 S. 126), schlanke Muskelbäuche, deren Enden ich unter der
Symphyse der Sitzbeine in eine Sehne zusammenlaufen und sogar mit der End-
sehne des M. rectus abdominis sich verbinden sehe, was aber wahrscheinlich eine
spätere Anpassung ist, da ihre gemeinsame Anlage bei der Unke nach innen vom
Becken liegt. Der M. ischio-coccyeus der Kröte lässt es aber kaum zweifelhaft
erscheinen, dass alle im Becken ausgange, zwischen der Schwanzwurzel oder dem
Steissbeine einerseits und den Sitz- und Schanibeinen anderseits, mehr oder
weniger sagittal ausgespannten Muskeln, welche namentlich bei den Säugern
eine reichere Gliederung zeigen, aus Umbildungen jenes hintersten Abschnittes
vom mittleren Bauchmuskel hervorgehen. — Wenn man ferner für denM. sterno-
cleido-mastoideus den gleichen Ursprung annehmen darf wie für den M. scapulo-
mastoideus der Batrachier, so ergeben sieh natürlich der erstere und der M.
obliquus externus abdominis der Amnioten als Homologa.
Auf Grund dieser vergleichenden Untersuchungen und Betrachtungen
glaube ich ein System der Rumpfmuskulatur aufstellen zu dürfen, nach welchem
die Grundlagen derselben allen daraufhin untersuchten Wirbelthieren durch-
aus gemeinsam sind, und nur die fortschreitende Ausbildung der ursprünglichen
Sonderung oder deren nachträgliche Rückbildung die späteren Unterschiede
herbeiführen. In der folgenden Tabelle habe ich dieses System übersichtlich
zu schematisiren versucht, wobei die einzelnen Ausnahmen, wie z. B. Ostracion
unter den Fischen, nicht weiter berücksichtigt wurden.
Goette , Kntuickelungsgeschichte. 39
610
VIII. Die Segmente des Rumpfes.
Muskeln der
äusseren Segment
Schicht ( die Glied
massen ausge-
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fehlt,
1. M. scapulo- oder sterno-cleido-
mastoideus.
2. M. ohliquus externus abdominis
die über der Rippenlinie befindlichen Rücken- und
Schwanzmuskeln.
mit Absonderung der Mm.
intercostales externi.
die unter der Rippenlinie befindlichen Rücken- und
Schwanzmuskeln.
mit Absonderung der Min.
intercostales interni.
M. ischio-coccygeus.
Längsmuskeln des
Beckenausgangs
M. rectus abdominis
1. M. rectus abdominis.
2. M. obliquus internus
abdominis.
1. M. sternohyoideus
2. M. geniohyoideus
(vgl. Nr. SO I S. 113. 117.)
Innerste Bauch-
muskelschichl
fehlt.
M. transversus
abdominis.
1. M. transversus
abdominis
2. M. diaphrag-
matis.
Wenn die bisherigen Leistungen in der vergleichenden Muskellchre nach
zuständigem Urtlieile (vgl. Geghenbauk Nr. 89 S. 706) unvollkommene blieben,
so. lag dies nicht nur an dem Mangel vergleichender Betrachtung, sondern, auch
wo eine solche durchgeführt wurde, daran, dass zur Grundlage derselben aus-
schliesslich die fertigen anatomischen Zuständedienten. Es offenbart sich darin
wiederholt die irrige Meinung, dass die Homologien anmittelbar aus der fertigen
VIII. Die Segmente des Rumpfes. (Jl 1
Formerscheinung erschlossen werden könnten, dass die Bedeutung der
letzteren schon in der unmittelbaren Wahrnehmung enthalten sei. Ich muss
aber dagegen an der Auffassung festhalten, dass die organische Form als Aus-
druck eines Geschehens, welches das Ergelmiss einer Entwicklung ist, eben-
falls nur aus ihrer Entstehungsgeschichte verstanden werden kann, und dass
daher ein Vergleich organischer Formen nur auf eine Vergleichung ihres Bil-
dungsganges sich gründen kann. - J. Müller hat die Rumpfmuskulatur der
Wirbelthiere bekanntlich zuerst in drei Systeme geschieden , „welche sich auf
einander nicht reduciren lassen , sich meistens gegenseitig beschränken" ; es
sind dies die Seitenrumpfmuskeln, die Interkostalmuskeln und die seitlichen
Bauchmuskeln (Nr. 7G I S. 225 u. flg.). Gegenbaue folgt dieser Eintheilung
mit der Modifikation, dass er die Interkostal- und geraden Bauchmuskeln als
eine zusammengehörige aus den Seitenrumpfmuskeln hervorgehende Gruppe be-
trachtet (Nr. 89 S. 707 u. flg.). Der Seitenrumpfmuskel erscheine in seiner in-
differentesten Gestalt bei den Fischen, bei denen er von der dorsalen bis zur
ventralen Mittellinie theils ungesondert (Petromyzon), theils in zwei übereinander
gelegene Hälften geschieden vom Kopfe bis zur Schwanzspitze sich erstrecke.
Dieser Muskel habe sich auch noch auf die Amphibien ,, vererbt ", indem die
Perennibranchiaten und die Larven der übrigen Amphibien ihn besässen; bei
den ausgebildeten Salamandrinen sei sein Baue] itheil am Rumpfe verschwunden
und bleibe nur noch am Schwänze erhalten. Bei den Anmieten komme ein
solcher Bauchtheil im Rumpfe überhaupt nicht zur Entwickelung, sondern
werde ebenso wie bei den Batrachiern durch die Interkostalmuskeln ersetzt,
denen sich der gerade Bauchmuskel mit dem M. sterno-hyoideus anschliesse.
Ebenfalls als Modifikationen jenes Bauchtheils vom Seitenrumpfmuskel werden
die tiefen Halsmuskeln und der M. quadratus lumborum, dagegen die beiden
schiefen und der quere Bauchmuskel sowie der Zwerchfellmuskel als besondere
Bildungen vorgeführt. — - Diese Darstellung wird nun durch die embryologischen
Thatsachen widerlegt. Der so oft genannte Seitenrumpfmuskel der Fische ist
im Rumpfe aus drei getrennten Anlagen (Stammuskeln, mittlerer Bauchmuskel,
M. obliquus externus abd.) und nur im Schwänze einfach, bloss aus den Stamm-
muskeln entstanden, also weder eine genetisch einheitliche, noch überhaupt eine
in der ganzen Länge des Körpers gleichwerthige Bildung. Als Rückbildungs-
produkt kann er daher nicht den einfachen Ausgangspunkt für weitere Umbil-
dungen darstellen. So besitzen denn auch die Larven der Salamandrinen wohl
die gleiche Muskulatur wie die noch unentwickelten Fische, aber niemals deren
39*
612 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
Seitenrumpfmuskel; auch verschwindet in der Metamorphose gar kein Th eil,
sondern wird nur jede Schicht schärfer gesondert und in geringem Masse um-
gebildet. Die Anurenlarven zeigen aber, sobald ihre Muskeln gebildet sind,
niemals eine kontinuirliche Seitenmuskulatur, also auch nicht einmal eineäusser-
liche Aehnlichkeit derselben mit dem Seitenrumpfmuskel. Die Batrachier
führen uns aber zu den Amnioten hinüber. Für diese wäre noch insbesondere
zu bemerken, dass die tiefen Halsmuskeln, die Zwischenrippenmuskeln und die
unteren Schwanzmuskeln nicht Modifikationen des Bauchtheils vom Seitenrumpf-
muskel, sondern nur derStammuskeln sind, und zwar die Zwischenrippenmuskeln
der oberen wie der unteren Hälfte derselben, die übrigen nur der unteren. Der
M. quadratus lumborum ist aber ein Extremitätenmuskel, sowie anderseits der
M. sterno-cleido-mastoideus genetisch nicht zum Schultergürtel, sondern mit dem
M.obliquus externus zusammengehört. Der letztere fehlt aber den Fischen nicht
vollständig, sondern verliert nur frühzeitig seine Selbstständigkeit, welche von
den Amphibien aufwärts erhalten bleibt. Der M. obliquus internus ist zu-
sammen mit dem M. rectus abdominis nur ein Gliederungsprodukt einer ein-
heitlichen Anlage, was namentlich deutlich aus dem Vergleiche der Anuren
und Urodelen hervorgeht; und diese Anlage oder der mittlere Bauchmuskel ist
eben der eine ursprüngliche Bestandtheil des sogenannten Seitenrumpfmuskels,
zu welchem sich die Stammuskulatur und bei den Fischen noch der äussere
schräge Bauchmuskel gesellen. Die Enden des mittleren Bauchmuskels sind
aber nicht am Zungenbein und dem Becken zu suchen, sondern am Unterkiefer
(M. genio-hyoideus) und dem Steissbein oder der Schwanzwurzel (Muskeln des
Beckenausgangs). - - Sowie die Mm. recti und obliqui interni abd. scheinen mir
der M. transversus und der Zwerchfellmuskel der Amnioten zusammenzugehören;
jedenfalls fehlt beiden eine besondere morphologische Grundlage und jede Be-
ziehung zu den Segmenten, sodass sie viel passender mit der übrigen Muskula-
tur der Seitenplatten, nämlich den Eingeweidemuskeln des Herzens und des
Darms zusammengestellt werden können.
Ausser der eben kritisirten und bisher allgemein anerkannten Auffassung
des Muskelsystems des Rumpfes liegt uns eine neueste vergleichende Darstellung
desselben von Schneieer vor (Nr. 131). Der Seitenrumpfmuskel der Fische
wird bloss den Rückenmuskeln der übrigen Wirbelthiere verglichen; und indem
Schneider den Begriff des Rumpfes von der Anwesenheit eines M. rectus ab-
dominis abhängig zu machen scheint, erklärt er: „Die Pisces bestehen demnach
nur aus Kopf und Schwanz." Ich brauche aber wohl nicht erst auf die voll-
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 613
ständige Irrigkeit jener Deutung der Muskeln wiederholt hinzuweisen, um einen
solchen Ausspruch als völlig unbegründeten zu bezeichnen. Als eine Fortsetzung
des M. rectus sieht Schneider ebenso wie ich es bereits in meiner vorläufigen
Mittheilung angab (M.Schhltze's Archiv 18 72), auch denM. genio-hyoideus an;
der M. sterno-hyoideus soll eine Fortsetzung bald der Rückenmuskeln (Hyodorsa-
lis) bald der Bauchmuskeln (Hyöventralis) sein. Diese Unterscheidung ist aber
nicht nur grundfalsch, indem der M. sterno-hyoideus stets ein Theil des freilich
nicht immer kenntlich bleibenden mittlerenBauchmuskels ist, sondern hebt auch
für alle Fälle, wo einHyodorsalis neben einemM.rectus vorkommen soll (Amphibien,
Reptilien), den genetischen Zusammenhang des letzteren mit dem genio - hyoi-
deus auf. * In der „äusseren Querfaserschicht" werden der M. obliquus externus,
M. mylo-hyoideus, einige Kiemen- und Halsmuskeln ohne Bedenken zusammen-
geworfen, und ebenso verfährt Schneider hinsichtlich der „inneren Querfaser-
schicht" , zu welcher einige ungenannte Muskeln des Kopfes und Halses , im
Bauchtheile aber die Mm. obliquus internus und transversus abdominis ge-
rechnet werden. Dass die letzteren nichts mit einander gemein haben, geht
aus meinen Untersuchungen hervor , ebenso aber auch , dass weder den Am-
phibien überhaupt ein M. transversus fehlt, noch den Anuren ein M. obliquus
internus zukommt, wie Schneider meint. Er behauptet auch auf Grund von
Untersuchungen an Froschlarven, dass mit Ausnahme des M. rectus und M.
sterno-hyoideus alle an die Gliedergürtel sich ansetzenden Muskeln weder vor
denselben bestanden, noch Theile der Rumpfniuskeln („Stammesmuskeln"
Schneider) seien; dies ist aber für den M. sterno - cleido-mastoideus und die
Muskulatur des Beckenausgangs falsch. Kurz , ich vermag in der Schneider-
schen Auffassung einen Fortschritt gegenüber der früheren nicht zu erkennen.
Ganz neu ist aber der Anspruch, auf die vergleichende Anatomie der Muskeln ein
neues System der Wirbelthiere zu begründen, weil diese Organe ebenso frühe
aufträten als andere zur Eintheilung benutzte Hauptorgane und ihren ursprüng-
lichen Charakter behielten. Aber das Centralnervenorgan tritt noch früher
auf als die Muskeln , und von der Beständigkeit ihrer ursprünglichen Anlagen
kann man eben doch nur bei einer völligen Vernachlässigung ihrer Entwicke-
lungsgeschichte reden; man findet wohl kein zweites Organsystem, welches durch
fortschreitende Gliederung, Neu- und Rückbildung sich so mannigfach verändert
* Die Verwechselung gewisser selbstständiger Kiemenmuskeln mit abgelösten Enden
des M. sterno-hyoideus a. a. 0. S. 7) beruht auf einer willkürlichen Annahme.
ßl4 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
wie das Muskelsystem. Und zwar legt Schneider selbst in seinen Bemerkungen
über die Veränderung der Rückenmuskulatur der Anuren (a. a. 0. S. 4. 5) da-
für Zeugniss ab. Nur kann ich allerdings diesen seinen Angaben nicht beistim-
men. Dass die Rückenmuskulatur der Froschlarven fischähnlich sei , später
aber derjenigen der Amnioten gleiche, dürfte nicht neu sein; dass aber die Lar-
venmuskulatur und die epigonalen Rückenmuskeln zweierlei nebeneinander
entstehende, getrennte Bildungen seien, welche demnach in dem Verhältniss
wie die Urnieren und die bleibenden Nieren zu einander ständen, ist allerdings
eine neue, aber nach meinen Untersuchungen irrige Meinung. Von den defini-
tiven Rückenmuskeln sollen die Mm. intertransversarii und interspinales wenig-
stens gleichzeitig, wahrscheinlich aber schon vor der Bildung der vertebralen
Knorpel entstehen und von den Larvenmuskeln durch Lymphräume getrennt
sein, „sodass sie bei älteren Larven sich leicht von einander ablösen lassen."
Aber auch „innerhalb der Fascien der Larvenmuskeln " und zwar an deren
medialen Rändern entständen neue Muskelfasern als Anlagen des M. extensor
dorsi communis. Nach der Metamorphose lösten sich die Larvenmuskeln, deren
Primitivfasern durch ihre Dicke sich vor den neuen auszeichnen, vollständig auf.
„Keiner von den übrigen Muskeln erleidet eine ähnliche Metamorphose." Das
Thatsächliche aller dieser Angaben reducirt sich darauf , dass die bis zu ihrer
Gliederung während und nach der Metamorphose stets nur zweitheilige Stamni-
muskulatur der Anuren (Rana, Hyla, Bombinator, vgl. Taf. XIX Fig. 338.339)
alsdann ihre einzelnen Fasern gegen neue austauscht, indem zwischen den
alten neue und daher dünnere erscheinen und nach der Auflösung der ersteren
au ihre Stelle treten. Diese Neubildung von Muskelfasern, welche mir zum
Theil wenigstens von den Muskelkörperchen auszugehen scheint, tritt einmal
unregelmässig in den ursprünglichen Muskelmassen auf, sodass der Querdurch-
schnitt derselben wegen des verschiedenen Durchmessers der atrophischen und
neuen Elemente und wegen ihrer verschiedenen Tinktionsfähigkeit unregel-
mässig gefleckt aussieht; oder die neugebildeten Fasern sammeln sich am
Rande der ursprünglichen Muskelmassen zu gleichartigen Gruppen an , welche
aber anfangs von jenen nur durch die kompakte Anhäufung der neuen Elemente
gesondert sind. In diesem ganzen Vorgange sehe ich aber nur eine ungewöhn-
liche Steigerung des normalen Ersatzes verbrauchter Gewebstheile durch neue,
welche durch die allgemeine Metamorphose herbeigeführt , den neuen Gewebs-
theilen auch gleich neue Ansatzpunkte in den vollendeten Wirbelbögen und
Rippenfortsätzen bietet. Wenn aber dadurch die allmählich neu eingeführten
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 6X5
Gewebstheile zugleich einer reicheren Gliederung entgegengeführt werden , als
sie bei den ursprünglichen Stannnuskeln möglich war, so tritt doch diese Um-
bildung niemals aus dem Rahmen einer Gliederung des Formgesetzes innerhalb
der ursprünglichen Muskelanlage hervor. Die dabei stattfindende Gewebs-
erneuerung ist nur am Muskelgewebe besonders auffallend, aber durchaus nicht
auf die Rückenmuskulatur beschränkt, wie Schneider meint, sondern noch in
höherem Masse am Kopfe nachweisbar. Wenn man die nach gleichem Mass-
stabe gezeichneten Fig. 326 und 342 vergleicht, so wird man finden, dass der
M. temporalis der Larve während der Metamorphose nicht nur kürzer wird,
sondern seinen Ursprung von der Hinterwand der Augenhöhle auf die Schädel-
decke verschiebt. Diese Veränderung ist ohne eine lebhafte Gewebserneuerung
unmöglich-, doch erkenne ich darin nur eine Verwandlung des Schläfenmuskels
aus seinem Larvenzustande in den definitiven, nicht aber den Ersatz eines
Larvenmuskels durch eine morphologische Neubildung. Dasselbe gilt für die
meisten übrigen Kopfmuskeln und die definitiven Rückenmuskeln; ja ich
behaupte, dass die auffallende Umbildung gewisser Kopfskelettheile , des
Darms u. s. av. während der Larvenmetanmrphose dieselbe Bedeutung hat, wie
jene Veränderung der Muskeln. Die schlagendste Widerlegung der Schneider-
schen Auffassung von dem thatsächlichen Wechsel der Rückenmuskulatur der
Anuren finde ich endlich darin , dass die jungen Larven der Salamandrinen die
gleichen Erscheinungen der gruppenweisen Neubildung von Muskelfasern in
ihren Stammuskeln darbieten, obgleich die letzteren fischälmlich bleiben und
jene Metamorphose nicht eingehen sollen (a. a. O. S. 4).
Hinsichtlich der Bildung der Gliedmassen habe ich schon Gelegenheit
gehabt zu erläutern (S.231. 236), dass v. Baer eigentlich der einzige Embryolog
ist, welcher sie richtig von den Segmenten und zwar einer äusseren Fortsetzung
derselben , also der äusseren Segmentschicht (äussere Fleischschicht v. Baer)
ableitete, obgleich die weitere Ausführung, dass dieses röhrenförmige Primitiv-
organ in seiner Gesammtheit durch Zusammenziehung sich in die beiden Glied-
massengürtel verwandle, nicht zutrifft. Diese Angaben v. Baer's müssen um
so beachtenswerther erscheinen, wenn man damit die Darstellung von der Ent-
wickelung der Gliedmassen vergleicht , welche neuerdings His geliefert hat
(Nr. 109 S. 153. 154), und welche sich darauf beschränkt, die Ursachen zu be-
zeichnen, welche die Lage der Extremitäten bestimmen sollen, über den Ur-
sprung ihres Bildungsmaterials aber nichts anzugeben weiss. Jene Ursachen
wären nach His in gewissen am Hühnerkeime sichtbaren Faltungen zu suchen ;
Q[Q VIII. Die Segmente des Rumpfes.
es wird aber dabei , wie überhaupt in der ganzen von His aufgestellten Falten-
theorie, übersehen, dass den Keimen und Embryonen der Anamnia solche Fal-
tungenfehlen, und überdies sehe ich an jungen Kaninchenembryonen die Entwicke-
lung der vorderen Gliedmassen an einer ebenen Stelle der Leibeswand ganz ebenso
verlaufen wie bei den Batrachiern. Die erste Anlage jenes Schultergürtels er-
scheint als ein ausserordentlich kleines Hügelchen, welches unmittelbar aus der
dort leicht kenntlichen äusseren Segmentschicht (Muskelplatte aut.) nach aus-
sen hervorwächst und die Oberhaut in der entsprechenden beschränkten Aus-
dehnung vorwölbt, Bei den Knochenfischen dagegen entsteht der Schultergür-
tel gleich mit sehr breiter Basis aus einer Fortsetzung der äusseren Segment-
schicht. Es passt daher die Erklärung von His, welche selbst für die Vögel un-
genügend begründet erscheint, für die übrigen Wirbelthiere ganz entschieden
nicht, sodass wir uns nach anderen allgemeinen Ursachen der Gliedmassenbil-
dung umzusehen haben.
Ich habe schon in der Beschreibung hervorgehoben (S. 469) , dass die
Gliedmassen nicht als allgemein typische Theile gelten können, sondern ledig-
lich als besondere und nachträgliche Anpassungen der äusseren Segmentschicht
an die schon bestehende Organisation des Rumpfes erscheinen. Es äussert sich
nämlich in der Entwicklung der Gliedmassen in ganz besonders hohem Grade
die Abhängigkeit des Einzeltheils von der Gesammtentwickelung. Ihre mor-
phologischen Grundlagen sind einzelne Abschnitte der äusseren Segmontschicht,
Avelche aber für sich allein keine Andeutung von besonderen jene Neubildungen
hervorrufenden Formbedingungen enthalten und in gewissen Abtheiluugen der
Wirbelthiere trotz eines gleichen allgemeinen Entwickelungsganges die Extre-
mitätengürtel bald erhalten bald entbehren. Es müssen also deren Bildungs-
ursachen nothwendig unmittelbar aus allgemeinen Formbedingungen der Ge
sammtorganisation zusammenfliessen. Prüfen wir dieselbe in verwandten Arten,
von denen ein Theil Gliedmassen besitzt, ein anderer Theil aber nicht, so er-
gibt sich alsbald, dass die wesentlichen Unterschiede nicht in besonderen Ab-
weichungen der Bildungsgesetze, sondern in gewissen Massverhältnissen be-
ruhen. Je allmählicher der Uebergang in der Ausbildung der Segmente vom
Kopfe bis zum Schwanzende ist, je gleichmässiger sich also auch grössere
Körperabschnitte gestalten, desto weniger Gelegenheit rindet sich, den Zufluss
an Bildungsmaterial an einzelneu Stellen zu koncentriren ; jene Bedingungen
finden aber ihren Ausdruck theils in einem langgestreckten Rumpfe, theils in
einem stark entwickelten, vom Rumpfe nicht merklich abgesetzten Schwänze,
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 617
sodass wir in einer solchen gleichmässigen Vertheilung der Körpermasse oder
in der embryonalen Disposition dazu den Grund für eine unvollkommene Aus-
bildung der Gliedmassen oder einen vollständigen Mangel derselben erkennen
dürfen, während ihre kräftige Entwicklung mit einer ausgeprägten Sonderung
der Körperabschnitte zusammenfällt. Da nun diese Massenverhältnisse selbst
in engeren Kreisen der Wirbelthiore nicht unbedeutend wechseln, habe ich auf
eine umfassende Entwicklungsgeschichte der Gliedmassen verzichtet, und
selbst ihre demRunipfe unmittelbar angelagerten Theile nur bei den Batrachiern
in ihrer Entstehung verfolgt. Es kann hier folglich von einer vergleichenden
Betrachtung der Extremitäten nicht die Rede sein, und beschränke ich mich
lediglich auf einzelne Bemerkungen. — An dem ventralen Skelettheile des
Schultergürtels der Anuren habe ich nach dem Vorgange älterer Autoren den
vorderen Ast des Knorpelrahmens als Clavicula und das ihm angefügte Knochen-
stück als seinen Deckknochen bezeichnet. Gegenbaur (Nr. 132 S. 52 u. flg.)
sieht aber nur in letzterem die eigentliche Clavicula , in dem anderen Stücke
aber ein Procoracoideum. Die Gründe, welche Gegenbaur zu Gunsten seiner
Deutung anführt, halte ich nicht für entscheidend, muss aber auf eine ein-
gehende Kritik verzichten, da mir genügende vergleichende Beobachtungen über
die Entwicklung der entsprechenden Theile anderer Wirbelthiere fehlen.*
Dagegen gestattet die Entwicklungsgeschichte des Schultergürtels der Anuren
eine nähere Bestimmung des Brustbeins und seiner Theile. Zunächst versteht
man darunter das Skeletstück der Amnioten, welches aus einer Vereinigung der
beiderseits die Rippenenden verbindenden Knorpelstreifen hervorgeht; und als-
dann besitzen die Amphibien kein Brustbein. Wenn Gegenbaur das Hypo-
sternum der Batrachier einfach für ein Brustbein erklärt, welches seine Beziehun-
gen zu den rückgebildeten Rippen verloren habe (Nr. 89 S. G23. 626, Nr. 132
S. 64) , so erhellt die Hinfälligkeit dieses Vergleichs aus der Entwickelungs-
geschichte. Denn das Hyposternum ist ein Erzeugniss der äusseren Segment-
* Wenn übrigens Gegenbaur selbst für die Schildkröten die Möglichkeit zugibt , dass
die Clavicula in das Procoracoideum aufgenommen sei, so könnte eine solche Vereinigung
in dem Schlüsselbeine der Sauger ebenfalls bestehen , dieses also der Clavicula und dem
Procoracoideum, wo sie getrennt vorkommen , entsprechen (vgl. S. 471). Denn dass das
letztgenannte Stück nicht bloss in medialer Verbindung mit dem Coracoideum, sondern auch
mit freiem Ende vorkommen kann, beweisen die Urodelen (vgl. Nr. 132 Taf. III); ich selbst
habe bei Menopoma auf einer Seite die beiden Knorpelstücke verbunden , auf der anderen
getrennt gefunden.
ß!8 VIII. Die Segmente des Rumpfes.
schickt dicht hinter der Mitte des Schultergürtels, welches daher zu den aus den
Wirbeln hervorwachsenden und im Rückentheile bleibenden Rippen in gar
keiner genetischen Beziehung stehen, noch einst gestanden haben kann. Es ist
eine selbstständige Bildung, welche nach ihrem Ursprünge dem Schultergürtel
näher verwandt ist als einem kostalen Brustbeine. Uebrigens ist die Verbin-
dung dieses Skelettheils mit einer Bauchrippe bei der Unke bisher unbekannt
geblieben (vgl. Nr. 132 S. 65). Den Anfang einer Brustbeinbildung erkenne
ich dagegen in der Verbreiterung der vorderen Rippenenden bei Anuren und
Salamandra, welche Enden dadurch beinahe bis zur Berührung sich einander
nähern können. Und wenn man die homologen Stücke aus der Beckengegend
thatsüchlieh mit ihren Enden verschmelzen sieht (vgl. Tu f. XIX Fig. 346), so
hat man in dem zusammenhängenden Seitenrande des Kreuzbeins auch der
höheren Wirbelthiere ein Homologon einer Brustbeinhälfte anzuerkennen. An-
derseits finde ich 'an Maulwurfembryonen, dass ihr Manubrium aus der Ver-
wachsung der vertebralen Enden der Schlüsselbeine gerade so entsteht wie das
unpaare mediane Knorpelstück aus den von mir so genannten „Sternalplatten"
<lcs Frosches-, sodass man eine solche Abgliederung des Schultergürtels als
klavikulares oder korakoidales Brustbein von dem eigentlichen kostalen unter-
scheiden muss. Da das embryonale Manubrium des Maulwurfs sehr bald aus
einem Hauptstücke , welches Spuren einer medianen Theilung zeigt, und zwei
getrennten vorderen Seitenstücken besteht , so dürfte darin die Uebereinstini-
mung mit den Bildungen nicht zu verkennen sein, welche Gegenbaue als Epi-
sternalknochen der mit einem Schlüsselbeine versehenen Säuger besonders auf-
führt (vgl. Nr. 132 Taf. II Fig. 6—9, Nr. 89 S. 628). Die Episterna der Am-
phibien und Reptilien sind dagegen selbstständige Anhangsgebilde des Schulter-
gürtels oder Brustbeins, welche wegen des gleichen Ursprungs aus der äusseren
Segmentschicht mit dem Hyposternum verglichen werden können. Nach der
Bestimmung des letzteren bietet die Annahme, dass der Schwert fortsatz der
Sänger die gleiche Entstellung habe, keine Schwierigkeiten. — Das Ergebniss
dieser Vergleiche ist folgendes. Unter der Bezeichnung „Brustbein" werden
zweierlei nach ihrem Ursprünge aus den Embryonalanlagen verschiedene
Bildungen zusammengefasst: einmal die Abglicderungsprodukte der Rippen
— kostales Brustbein, Brustbeinkörper; ferner Abglicderungsprodukte des
Schultergürtels — klavikulares oder korakoidales Brustbein. Dazu kommen
vordere und hintere Anhangsgebilde, welche der äusseren Segmentschicht
angehören — Epi-, Hyposternum. Diese Skeletstücke können sich in
VIII. Die Segmente des Rumpfes. 619
verschiedener Weise zusammenfinden und miteinander verbinden, durch Ge-
lenke, Näthe oder völlige Verschmelzung. 1. Die Säuger besitzen ein klaviku-
lares Brustbein (Manubrium mit den Episterna Gegenbaue's ) , ein kostales
Brustbein ( Brustbeinkörper ) und ein Hyposternum (Schwertfortsatz)-, einigen
Säugern, welchen Schlüsselbeine fehlen, mag auch ein selbstständig angelegtes
Episternum zukommen. 2. Bei den Reptilien ist das letztere unzweifelhaft
vorhanden, und da das Brustbein des Chamaelcons und der Krokodile indem
vordersten grossen, mit dem Schultergürtel verbundenen Stücke nach meiner
Ansicht unzweifelhaft ein Homologon des Manubriums enthält, so sind die bei-
den Formen des Brustbeins in dieser Klasse vertreten. 3. Für die Vögel bleibt
es noch der weiteren Untersuchung zur Entscheidung überlassen , ob ihr Ster-
niim bloss ein kostales ist oder noch andere Theile aufgenommen hat. 4. Die
Amphibien besitzen meist nur die endständigen Anhangsgebilde, Epi- und
Hyposternum, welche mit den unveränderten Schultergürtelhälften verbunden
sind ; nur bei den Fröschen hat sich ein Homologon eines Manubriums von dem
Schultergürtel abgegliedert, welches daher auf den Namen eines Brustbeins am
meisten Anspruch hat.
Die topographische Anordnung Und Umbildung der segmentalen Rumpf-
nerven, wie ich sie für die Anuren nachwies (S. 485 — 490), halte ich für ge-
eignet, der Deutung derselben Körpertheile in anderen Wirbelthieren , wo sie
namentlich im Bereiche der Gliedergürtel nicht ohne weiteres in die Augen
springt, zu Grunde gelegt zu werden ; doch fehlen mir die direkten bezüglichen
Untersuchungen. Die ohne jeden Nachweis hingestellte Bemerkung von His,
(lass die motorischen Wurzeln der Spinalnerven des Hühnchens, „wie kaum zu
bezweifeln ist", aus dem Rückenmarke in die Muskeln hineinwüchsen (Nr. 109
S. 107. 1(39), scheint mir nicht geeignet, die vorläufige Annahme einer Ueber-
einstimmung aller Wirbelthiere in Bezug auf die Entwicklung der Spinalnerven
zu stören.
IX. Der Kopf.
Da dieser Abschnitt sich mit der weiteren und zwar vorherrschend mit
der topographischen Umbildung der bereits besprochenen fundamentalen An-
lagen des Kopfes beschäftigen soll , über diese Entwickelung der Batrachier-
larven bisher aber meist nur ganz vereinzelte, zusammenhangslose Angaben be-
standen, so sehe ich keinen Vortheil darin sie voranzustellen, und werde sie daher
erst in den vorgleichenden Betrachtungen zur Sprache bringen. Die allgemeine
Histiogenese wird nach ihrer ausführlichen Erörterung im vorigen Abschnitte
natürlich nicht wiederholt werden.
Nach dem Bilde von der Zusammensetzung des embryonalen Kopfes,
welches ich bei der Besprechung der Leistungen des mittleren Keimblattes ent-
warf, werden die einzelnen Regionen, in welche sich derselbe natürlich gliedert,
nach den verschiedenen Segmenten bestimmt , denen die Anlagen der übrigen
Keimblätter je nach ihren Beziehungen zugetheilt werden müssen. So bezeich-
nen also einerseits die inneren Segmente den Stammtheil, welcher als eine Fort-
setzung des gleichnamigen Theiles im Rumpfe erscheint, die äusseren Segmente
aber die Seitentheile des Kopfes, während anderseits das erste Doppelpaar der
Segmente den Vorderkopf vom Hinterkopfe abscheidet (vgl. S. 216 u. flg.).
1. Der Vorderkopf.
In der ersten Embryonalzeit, wann die Entscheidung schwankt , ob mau
es mit einem etwas differenzirten Eie oder schon mit einem noch kugeligen
1. Der Vorderkopf. 621
Embryo zu thun habe, ist der ganze spätere Kopf in einem kreisrunden Seg-
mente der Keimblase enthalten, welche Form, wie es scheint, in dorn Keime
aller Wirbelthiere sich wiederfindet, aber auffallender Weise oft auf das Hirn
allein bezogen wird. Etwas später, wann der ganze Embryo länglich geworden,
und die dem zweiten Kopfsegmentpaare entsprechende Zone bereits als der vor-
dere Rand des cylindrischen Körpers angesehen werden kann, bildet der Vorder-
kopf in Gestalt einer dicken Platte den vorderen Schluss des Cylinders". Ihre
hintere Fläche steht alsdann ziemlich senkrecht, entspricht im Rückentheile
genau der Grenze zwischen Mittel- und Hinterhirn und der Chordaspitze, wird
darunter zur Vorderwand des Kopfdarmes, welcher zur Zeit erst die Schlund-
höhle enthält, und endet ohngefähr an der Stelle der Bauchfläche des Kopfes,
wo die epidermoidalen Haftorgane später in der Medianebene zusammenstossen
{Taf. II Fig. 37. 38, Taf. IV Fig. 70—79, Taf. X VI Fig. 286— 287). Die
Vorderfläche des Kopfes fällt anfangs schräg nach hinten ab, indem der
Kiefertheil unter dem vorragenden Vorderhirne ohne Abgrenzung in die Bauch-
fläche des Rumpfes übergeht. AeusserMch markirt sich die hintere Grenze des
Vorderkopfes oben durch eine Einsenkung zwischen den genannten Hirntheilen,
seitlich durch die seichte Furche, welche die Anlage der ersten Schlundspalte
bezeichnet {Taf. III Fig. 50. 51). Dadurch, dass die lateralen Stücke des
ersten Segmentpaares vom Rückentheile in den Bauch - oder Kiefertheil des
Vorderkopfes hinabwachsen, wird die Plattenform desselben in derschon be-
schriebenen Weise verändert. Indem zwischen dem Stammtheile und dem
Unterkieferbogen die Oberkieferwülste und die mittlem Gesichtstheile sich ent-
wickeln, wird der erstere gehoben und seine senkrechte hintere Wand zur flachen
Mundhöhlendecke umgewandelt, zwischen den auseinander tretenden Kiefer-
wülsten aber aussen die Mundbucht, nach innen die Mundhöhle angelegt {Taf.
III, XIV, XVI, XVII). Da aber in der Bildung der Oberkieferwülste die
beiderlei Segmente konkurriren , sodass ihre Beschreibung daselbst nicht wohl
getrennt werden kann, so werde ich die zuerst angedeutete einfache Eintheilung
des Vorderkopfes in einen Stammtheil und Seitentheil dahin abändern, dass
ich die erstere Bezeichnung auf die nächste Umgebung der vorderen Hirnhälfte
beschränke und die aus ihm hervorwachsenden Gesichtstheile mit dem Unter-
kieferbogen zusammen bespreche.
I
I
022 IX- Dcr Kopf.
Der Stammtheil des Vorderkopfes.
Da ich die Entwicklung des Hirnes und des Auges bereits abgehandelt habe,
so sind für den »Stammtheil des Vorderkopfes nur noch die Umbildung des inneren
Segmentpaares und die zwischen seinen Erzeugnissen und jenen Theilen sich all-
mählich entwickelnden Lagebeziehungen zu betrachten. Ich knüpfe dazu an die
frühere, Beschreibung der morphologischen Anlagen des Vorderkopfes an (vgl.
S.225 u.flg.). Anfangs nimmt die vordere Hirnhälfte, welche an ihrem Ende jeder-
seits zur Anlage einer Augenblase ausgebuchtet ist, noch den bei weitem gross
ten Tlieil jener Kopfregion ein, und die Oberbaut liegt ihr vorn, oben und theil-
weise an den Seiten eng an, sodass sie erst im hinteren und unteren Umfange
der Augenanlage an die Segmente stösst, welche die ganze hintere Hälfte des
Vorderhirns von innen nach aussen und vorn umgreifen (Taf. VI Fig. 89— 107).
Das äussere Segment bedeckt dabei die hintere Aussenseite der Augenanlage,
krümmt sich darauf an. ihrer Unterseite bis unter das Vorderhirn, um dort als
kompakte Masse die entsprechende Hälfte des Kiefertheils auszufüllen (Taf. VI
Fig. Jos. W9, Taf. XVI Fig. 286. 287). Die Masse des Stammsegments liegt
Dach innen vom äusseren, umgreift von der Chordaspitze aus die Basis des
Vorderhirns, um dann rechtwinkelig zu dessen Axe, also ziemlich horizontal
nach vorn seine Seitentheile zu umwachsen. Die Gleichmässigkeit dieses
Wacbsthums wird aber zunächst durch die weite Verbindung zwischen Augen-
anlage und Vorderhirn oder die verhältnissmässig noch kolossale Sehnervenanlage
gehindert, welche daher das Segment in einen oberen und einen unteren Zipfel
auslaufen lässt und ihm eine sichelförmige Gestalt verleiht. In dem Masse aber,
als sich die Sehnervenanlage zu einem dünnen Strange abwärts zusammenzieht,
füllt der obere Zipfel des Stammsegments die dadurch entstehende Spalte
zwischen Augenblase und Hirn aus und fliesst vor dem Sehnerven mit dem un-
teren Zipfel zusammen, sodass alsdann das ganze Stammsegment wieder eine
einheitliche nur von jenem Nerven durchbohrte Platte darstellt, Indem die
beiderseitigen Platten von ihrem geineinsamen Ausgangspunkte an der Chorda-
spitze längs der Schlussseite des Vorderhirns durch die weite mediane Lücke
des mittleren Keimblattes geschieden sind, aber bei ihrem Wachsthume nach
vorn hinaus am Gewölbetheile des Vorderhirns zur Vereinigung kommen, bilden
sie wie alle übrigen Stammsegmente einen rechtwinkelig zur Axe des eingeschlos-
senen Abschnittes vom Gentralnervenorgane gerichteten Ring, welcher aber wegen
der Abbiegung des ganzen Vorderkopfes nicht zugleich senkrecht zur übrigen
1. Der Vorderkopf. 623
Körperaxe, sondern ihr parallel oder horizontal liegt. Diese horizontale Ring-
form kommt jedoch desshalb nicht zu deutlicher Anschauung, weil die beiden
ersten Segmente bei ihrem Wachsthum sich auf- und rückwärts bis zum zweiten
senkrecht stehenden Segmentpaare ausdehnen, ähnlich wie die Seiten der recht-
winkelig hinuntergebogenen vorderen Hirnhälfte von ihrer kurzen Basis bis zur
Schlusslinie der konvexen Decke merklich an Ausdehnung gewinnen. Diese
Umbildung des ersten Stammsegmentpaares erfolgt aber nicht so einfach und
so rasch,, als die eben gegebene Darstellung andeuten dürfte, welche nur den
Zweck hat, über die wesentlichen, bleibenden Lagebeziehungen jener Theile zu
orientiren. Der Gang der Entwicklung ist vielmehr folgender.
Sowie das Hirn anfangs überhaupt alle Umbildungen der anliegenden Seg-
menttheile beherrscht, so ist auch, solange an seiner vorderen Hälfte die Breiten-
dimension überwiegt, die Masse des ersten Stammsegments in dem engen Räume
über und hinter der Augenanlage zu der erwähnten kompakten, sichelförmigen
Anlage zusammengedrängt (Taf. VI, XVI). Sobald jedoch das Vorder- und
das Mittelhirn auf Kosten ihrer Breite sich nach vorn und oben hervorzuwölben
beginnen, verengt sich auch der den Segmenten zugewiesene Raum in querer
Richtung, um in der allgemeinen Längsrichtung und in die Höhe zu wachsen.
Zugleich legt sich die stärker hervortretende Augenblase mit breiterer Fläche
der Oberhaut an und drängt dadurch das äussere Segment vollständig an ihren
hinteren Umfang, was natürlich wiederum das Stammsegment in derselben
Richtung beeinträchtigt (Taf. VII Fig. 121—123). Dafür erhalten die oberen
Theile beider Segmente einen freieren Spielraum in der geräumigen Bucht,
welche an dem bogenförmigen Uebcrgange aus dem Hinterhirn in die vordere
Hirnhälfte unter dem sich erweiternden Gewölbe, zwischen der verschmälerten
Basalhalfte der Hirnröhre und der Oberhaut entsteht. In Folge dessen rücken
nun die oberen Wurzeltheile beider Segmente auf- und rückwärts über die
Grenze des Vorderkopfes etwas hinaus und kommen an den vorderen Abschnitt
des Hinterhirns zu liegen, mit dem ihre Erzeugnisse später in Verbindung zu
treten haben , obgleich sie nach ihrer ursprünglichen Lage zur vorderen Hirn-
hälfte gehören (Taf. VII Fig. 121. 129. 130, Taf XIV Fig. 246, Taf. XVI
Fig. 286 — -280). Es sondert sich nämlich schon sehr frühe und noch bevor
dasselbe im Rumpfe geschieht, in jenen beiden Thcilen je eine kompakte spindel-
förmige Anlage eines Nervenknotens ab, welche beide mit ihren hinteren oberen
Enden zusammenstossen und später zum Ganglion G a s s e r i verschmelzen,
nach vorn aber divergireu , sodass die Fortsetzung des äusseren schräg zum
ß24 IX- Der Kopf.
Unterkieferbogen hinabzieht, die des inneren nurwenig gegen die Spalte zwischen
Auge und Vorderhirn neigt, im wesentlichen jedoch einen horizontalen Verlauf
nimmt {Taf. XVI). Die übrige Zellenmasse jener Wurzeltheile beider Seg-
mente, in welche die Doppelanlage des GASSER'schen Nervenknotens eingebettet
ist, verwandelt sich in interstitielles Bildungsgewebe und überzieht als solches
sowohl das Mittelhirn, wie den Basaltheil des Vorderhirns, an welchem es die
Spitze der Wirbelsaite einfasst, um sowohl zur Keimstätte für die Wurzeln des
ersten Wirbelbogenpaars zu werden , als auch von dort aus in die davor und
darüber entstehende Tasche zwischen dem platten Hirntrichter und der Hinter-
hirnbasis wuchernd, die bindegewebige quere Leiste zu bilden , welche man
seit Rathke den mittleren Schädelbalken zunennen pflegt {Taf. XV Fig. 283.
284, Taf. XVI). — Die Formbedingungen, in Folge deren das erste Stamm
segment anfangs zurückgedrängt wurde, bleiben jedoch nicht lange bestehen,
indem durch die allmähliche Ausdehnung der Oberhaut die Zwischenräume
zwischen ihr und dem Hirne zunehmen und dadurch die Ausbreitung des Stamm-
segments gerade nach vorn ermöglichen. Sein oberer Zipfel wächst einmal an
der Seite des Vorderhirns in die Höhe, um an dessen Decke eine Fortsetzung
der Membrana reuniens superior zu Stande zu bringen, anderseits aber wie er-
wähnt in den spaltförmigen Raum zwischen dem Augapfel und dem Hirne hin-
ein {Taf. VII). Dieser Kaum war vorn zuerst dadurch abgeschlossen, dass die
dicke Geruchsplatte die anfangs flache Einsenkung zwischen dem Vorderhirn
und der Augenblase vollständig ausfüllte. Sobald diese Einsenkung sich spalt-
förmig vertieft, dringen die Elemente des genannten Segmenttheils in derselben
vorwärts und verbinden sich an der Vorderfläche der Sehnervenanlage mit der
unteren Segmenthälfte, welche vom Wurzeltheile aus an der unteren Fläche
des Auges, zwischen diesem und dem sehr deutlich begrenzton äusseren Seg-
mente ebenfalls bis an die Geruchsplatte sich erstreckt {Taf. XIII , Taf. XVI
Fig. 294:- 297). Nachdem auf diese Weise das Stammsegment wieder zu
einer Platte geworden, deren Kontinuität durch die nunmehr unwesentliche Lücke
für den Durchtritt des Sehnerven nicht mehr beeinträchtigt wird, wächst sie,
wieich schon auseinandergesetzt habe, im allgemeinen gerade vorwärts und bildet,
wo sie über die nächste Umgebung des Hirnes hinausgeht, unter Mitbetheiligung
des äusseren Segments die entsprechende Hälfte der subcpidermoidalen Gc-
sichtsthcile. Soweit aber jene Platte im nächsten Bereiche des Centralnerven-
systems bleibt und den dorsalen Abschnitten der übrigen Stammsegmente ent-
spricht, bildet sie den hier zunächst in Betracht kommenden Stamm- oder Hirn-
1. Der Vorderkopf. 625
theil des Vorderkopfes. Ausser in der genannten vorherrschenden Wachsthums-
richtung breitet sie sich in dünner Schicht nach allen Seiten aus und stösst da-
her mit der anderseitigen Platte in der Medianebene und zwar nicht nur an der
ursprünglichen Grundfläche und der Decke, sondern zuletzt auch an der
Schlussseite des Vorderhirns zusammen (S. 367). So verwandelt sich der hori-
zontal liegende erste Segmentring in eine die ganze vordere Hirnhälfte ein-
schliessende Kapsel, welche aber mit einer vorläufigen Schädelkapsel ebenso-
wenig identificirt werden darf als ein Paar Rückensegmente mit einem Wirbel.
Denn in jener kapseiförmigen Verbindung der beiden ersten Stammsegmente
sind ganz dieselben Anlagen enthalten wie in jedem andern Stammsegmente,
deren Erkenntniss nur durch die abweichenden Lage Verhältnisse der Einzel-
theile des Vorderkopfes erschwert wird. Die Anlage des zugehörigen Ganglions,
nämlich der inneren Portion des GASSEß'schen Nervenknotens habe ich schon
beschrieben. Da das erste Stammsegment keine ventrale Ausdehnung gleich
der inneren Segmentschicht des Rumpfes erfährt, sondern auf den Rückentheil
beschränkt bleibt, so ist es natürlich, dass von jenem Ganglion aus sich nur
nach einer Richtung hin ein Nervenstamm fortsetzt ; und zwar bringt es die
abweichende Richtung der Axe des ganzen Vorderkopfes mit sich , dass sein
Stammnerv, indem er wie alle Spinalnerven jene Axe rechtwinkelig kreuzt, mit
Rücksicht auf die natürliche Lage des ganzen Körpers horizontal verläuft (Taf.
XVI). Wenn die Muskelanlage des ersten Stammsegments in ihrer Lage und
Anordnung ebenso wie der zugehörige Stammnerv mit den homologen Theilen
des Rumpfes übereinstimmen sollte , so müsste sie parallel zur Medianebene
liegen und müssten ihre Fasern der Axe des Vorderkopfes parallel, d. h. senk-
recht verlaufen. Im grossen und ganzen ist auch eine solche Anordnung nicht
zu verkennen , doch tritt der Einfluss des Auges auf die Umbildung des ersten
Stammsegments bei den Muskeln desselben früher und stärker hervor als beim
Nervenstamme. Die Muskulatur entsteht nämlich aus jenen Theilen des Stamm-
segments, welche der Innenseite des primitiven Augapfels anliegen und von
dort aus ihn in seinem ganzen Umfange lateralwärts umwuchern (Taf. XIII,
XIV, XV Fig. 269. 270). Daher wird die genannte Muskelanlage, welche
übrigens nur bis zum grössten sagittalen Durchschnitte des Auges vordringt,
zu einer nach aussen konkaven Form gezwungen und kann, da das Auge hinten
und unten von der kompakten Masse des äusseren Segments ( Kaumuskeln,
Flügelgaumenbogen) umkreist wird und vorn beinahe an die Nasengrube stösst,
im allgemeinen nur eine geringe Mächtigkeit besitzen, welche natürlich dadurch
Goette, Eutwickelungsgeschichte. 40
626 IX. Der Kopf.
nicht verändert werden kann , dass um die vollendete zusammenhängende An-
lage nachträglich weite, von Bildungsgewebe erfüllte Räume sich entwickeln
(Taf. XVI). Gehen wir nun auf die topographischen Verhältnisse des den
Augapfel umgebenden primitiven Orbitalraumes näher ein, so finden wir, dass
die stärkste mediale Vorwölbung des Augapfels gegen das Vorderhirn die Mäch-
tigkeit der zwischenliegenden Segmenttheile am meisten beeinträchtigt, sodass
in der Mitte der dem Auge angepassten schalenförmigen Vertiefung die Muskel-
anlage sich überhaupt nicht entwickelt, vielmehr eine sphärisch gekrümmte
Zone darstellt, die Anlage der gesammten Augen muskula tu r , welche diese
ihre ursprüngliche Form auch im vollendeten Zustande im allgemeinen bei-
behält, indem sowohl die ganze laterale als ein gewisser Theil der medialen
Mache des Augapfels von Muskeln nicht überdeckt wird (Taf. XVI Fig. 30.2).
Die vordere Hälfte dieser Muskelzone ist schon durch ihre Entstehung in dem
engen Räume zwischen Auge, Hirn und Nasengrube und in dem dünnen Seg-
mentstreifen unterhalb des Auges flach angelegt. Ihr demselben angepasstes,
gekrümmtes Blatt zieht sich am Augenhöhlenboden bis an dessen hintereGrenze
hin, wo es später die aus der hinteren Zonenhälfte hervorgehenden Muskeln von
unten her verdeckt; an die Oberseite des Augapfels greift es dagegen viel weni-
ger hinüber. Da diese dünne aber breite Muskelplatte an der Vorderwand der
Augenhöhle Befestigungspunkte findet, so th eilt sie sich natürlich in einen
oberen kleineren Abschnitt, der M. obliquus superior, und einen unteren
grösseren, welcher sich in der Hauptmasse in den grossesten Augenmuskel, den
M. levator bulbi* verwandelt, während der M. obliquus inferior nur als ein ab-
gelöstes Bündel desselben zu betrachten ist. Die hintere Hälfte der ganzen
Muskellage ist von Anfang an nicht flach gebildet wie die vordere, sondern nach
hinten und oben verdickt und mit einer in gleicher Richtung vorspringenden
Ecke versehen (Taf. XIV Fig. 257, Taf. XV Fig. 270, Taf. XVII Fig. 804)
Im Innern enthält diese Muskelanlage eine spaltförmige, scharfbegrenzte Lücke
und erscheint dadurch wie aus Platten zusammengesetzt, welche jene Lücke
unischliessen. Drei derselben, nämlich die horizontale obere, die sagittale innere
und die quere hintere, stossen in jener anfangs scharf ausgeprägten Ecke pyra-
midal zusammen, und der zwischen ihnen befindliche Raum wird gegen das
Auge durch eine gekrümmte, der Oberfläche des letzteren angepasste Platte
abgeschlossen. Zur Zeit, wann die Muskelfasern durch Verschmelzung der
Für die Benennungen der Augenmuskeln verweise ich auf Ecker Nr. 90 S. GG— 70.
1. Der Vorderkopf. 627
länglichen Zellen sich zu bilden beginnen, werden die Kanten der Pyramide
und die innere Lücke undeutlich; die ganze Anlage sinkt etwas tiefer hinab und
verwandelt sich in einen niedrigen Kegel , dessen Fasern von seiner medialen
Spitze gegen den ganzen hinteren Umfang des Auges ausstrahlen (Taf. XVII
Fig. 314. 315). Es entstehen daraus die Mm. recti und der M. retractor bulbi,
sodass es sehr wahrscheinlich ist, dass schon jene erste pyramidale Form der
hinteren Muskelhälfte auf die Sonderung der einzelnen Muskeln bestimmend
einwirkt, indem die geraden, in je einer Ebene verlaufenden Platten den geraden
Augenmuskeln zur Grundlage dienen* die von ihnen verdeckte gekrümmte
Platte aber dem an mehreren Punkten der Augenoberfläche sich inserirenden
M. retractor bulbi entspricht, welcher auch im erwachsenen Frosche „inner-
halb des von den geraden Augenmuskeln gebildeten Conus gelagert ist"
(Eckek S. 67).
Die Ausbildung dieser in verschiedenen sich kreuzenden Pachtungen ver-
laufenden Augenmuskeln bedingt auch die allmählich eintretende Verzweigung
des zugehörigen Stamm nerven, dessen Wurzel gerade hinter dem Ursprünge
der geraden Augenmuskeln liegt {Taf. XVI, XVII). Während der ersten
Larvenperiode ist nur ein Hauptast desselben vorhanden , der spätere Piamus
nasalis nervi trigemini, welcher zwischen der oberen Hälfte des Auges und dem
Yorderhirne, später der seitlichen Schädelwand lateralwärts dicht anliegend bis
an die Nasenhöhle vordringt, dort aber sich theilt, um die letztere -von innen
und aussen mit je einem Zweige zu umfassen (Fig. 302. 314). Der laterale
Zweig bleibt bis in die spätere Larvenzeit oberflächlich liegen , wird alsdann
beim Austritte aus der Augenhöhle über dem Gaumenbeinknorpel von einem
lateralwärts vordringenden Knorpelflügel der Nasenkapsel umwachsen und ver-
liert sich mit mehreren Ausläufern in der Haut der Zwischenkiefergegend (Taf.
X VIII Fig. 325, Taf. XIX Fig. 335. 342). Der mediale Zweig, welcher an
der Seite des Vorderhirns bleibt und zwischen demselben und der Geruchsplatte
den Geruchsnerven überschreitet, durchläuft später die ganze Nasenkapsel
längs der medianen Nasenscheidewand, um nach innen und unten von der
äusseren Nasenöffnung gleichfalls an die Oberfläche hervorzutreten und dem
lateralen Zweige parallel hinabzuziehen, mit dem er Ziel und Endigungsweise
gemein hat. Uebrigens mögen von ihm auch die Nasenmuskeln innervirt werden
* Eine besondere Anlage des M. rectus inferior würde entweder fehlen oder übersehen
worden sein.
40*
628 IX. Der Kopf.
(vgl. Fischer Nr. 82 S. 7). Ausser dieser Endverzweigung entsendet der un-
geteilte Stamm unseres Nerven schon in der ersten Larvenperiode ohngefähr
aus der Mitte seines orbitalen Verlaufs zwei zarte Zweige gerade aufwärts,
welche allerdings mit dem noch zu erwähnenden N. trochlearis anastomosiren,
aber medianwärts an den oberen Augenmuskeln vorüberziehen, um sich an der
Oberseite des Schädelsund in dem oberen Augenlide zu verbreiten. Der erste
ausgebildete Ast des Stammnerven des Vorderkopfes ist also ganz vorherrschend
ein Empfindungsnerv. Die motorischen Aeste entstehen später, und zwar als
neue Fortsätze des zugehörigen Ganglions oder der medialen Hälfte des Gakser-
schen Knotens, also in derselben Weise wie die dorsalen Aeste der Spinalnerven
sich entwickeln (vgl. S. 485). Am deutlichsten habe ich dies hinsichtlich des
N. abducens und N. trochlearis an jungen Larven erkannt, welche eben in die
zweite Periode eingetreten waren (Taf. XIX Fig. 344). Der N. abducens ent-
springt von der Unterseite des Ganglions mit einer verdickten Wurzel, welche
zahlreiche Ganglienkugeln enthält, sodass der Stamm des Nerven sich offenbar
allmählich aus dem Ganglion herauszieht. Er ist dem N. nasalis dicht ange-
schmiegt, und durchsetzt daher mit ihm gemeinsam die quere Knorpelwand'
welche sich zwischen die Nervenwurzeln des Vorderkopfs und deren weitern
Verlauf einschiebt (Schläfenflügelknorpel s. unten). In der Augengrube wendet
er sich dicht am M. rectus inferior vorbei lateralwärts zum M. rectus externus.
Der N. trochlearis geht ebenfalls mit ganglionärer Wurzel aus der Oberseite
desselben Ganglions hervor, steigt aber hinter dem Schläfenflügelknorpel nach
vorn an, um ersjt dann die seitliche Schädelwand, sobald sie gebildet ist, lateral-
wärts zu durchsetzen und an ihr entlang zum oberen schiefen Augenmuskel zu
gelangen. Auf diesem Wege anastomosirt er mit dem ersten Orbitalzweige des
'N. nasalis dort, wo die beiden Nerven sich kreuzen.* Die erste Entstehung des
N. oculomotorius habe ich überhaupt nicht verfolgen können , weil er bis zu
* An dem Präparate, welches meiner Abbildung zu Grunde lag, war diese Anastomose
in Folge der unvermeidlichen Verschiebung der weichen Theile während der schwierigen
Entfernung des Schläfenflügelknorpels nicht zu erkennen. Diese Verschiebung täuschte
mich damals auch in der Deutung der Nerven, indem ich den N. lateralis capitis superior,
welchen ich erst weiter unten beschreiben werde, für den bereits abgelösten N. trochlearis,
diesen für einen zweiten N. oculomotorius hielt. Daher stammt die irrige Bezeichnung n t
für den Seitennerv, vo für den Bollmuskclnerv. Bei der Nachuntersuchung, welche ich für
diese Theile wie für die meisten anderen längere Zeit nach der ersten Beobachtung ausführte,
erhielt ich von jungen Froschlarven (.'5—4 Mm. Länge ohne den Schwanz), indem ich jenen
Knorpel im Präparate Hess, klarere Bilder, auf welche meine Beschreibung sich wesentlich
stützt.
1, Der Vorderkopf. 029
seinem Eintritt in die Augengrube zwischen den zusammenstossenden Ursprün-
gen der geraden Augenmuskeln hervor theils durch diese, theils durch den N.
nasalis und den Knorpel verdeckt wird. Wenn man jedoch überlegt, dass die
Wurzel des N. oculomotorius anfangs dem Ganglion der bisher genannten Nerven
dicht anliegt, dass ferner sein oberer Zweig bei den Salamandrinen durch einen
Zweig des N. nasalis vertreten wird (Fischer Nr. 82 S. 26. 27), dass endlich
bei Pipa dieser letztere Nerv neben dem N. oculomotorius die meisten Augen-
muskeln gleichfalls versorgt (a. a. 0. S. 16), so wird es sehr wahrscheinlich,
dass der N. oculomotorius ebenso wie die anderen Augenmuskelnerven eine
Abzweigung der gemeinsamen Nervenanlage des ersten Stammsegments ist. —
Im Stammtheile des Vorderkopfes kommen noch zwei Nervenpaare vor, je ein
Gaumennerv und ein Hautnerv, welche aber aus dem ersten Stammsegmente
nicht hervorgehen und daher später beschrieben werden sollen.
Diejenigen Theile des ersten Stammsegments , welche zur Bildung der be-
schriebenen Muskeln und Nerven nicht verwendet werden, verwandeln sich sehr
frühe in interstitielles Bildimgsgewebe, welches sowohl die bindegewebigen
Theile des Vorderkopfes, die Hirnhäute und Gefässe, die verschiedenen Hüllen
des Auges, das Gerüst des Glaskörpers u. s. w., als auch die Skelettheile
liefert. Die ersteren habe ich schon theils im Abschnitte über die Sinnesorgane,
theils bei der Darstellung der allgemeinen Histiogenese ausreichend besprochen.
Auch die Entwicklung der Knorpelkapsel, welche vom ersten Bögenpaare
der hinteren Schädelbasis aus die ganze vordere Hirnhälfte unten und seitlich
umwächst, wurde im allgemeinen und nach ihrer histologischen Seite darge-
stellt (S. 360. 367. 368), sodass nur mehr Einzelheiten unerwähnt blieben. —
Die ursprüngliche Grundlage des ganzen Schädels besteht erstens in der hin-
teren Schädelbasis, einer die Wirbelsaite einschliessenden Knorpeltafel, in wel-
cher ich gleichwie an den Rumpfwirbeln einen Axentheil , die Wirbelsaite mit
ihrer äusseren Scheide, und die den Wirbelbögen homologen Seitenplatten
unterscheide; dazu kommen noch die zwei Bögenpaare, welche als Fortsetzun-
gen dieser Seitenplatten an dem vorderen und hinteren' Ende derselben dort die
anatomische Vorderhirnbasis, hier einen Theil des Hinterhirns seitlich um-
greifen und endlich ringförmig umschliessen (Taf. XVII Fig. 324. 327. 331).
Das vordere Bogenpaar gehört also dem in Rede stehenden ersten Körperseg-
mente an; es bildet den ersten Wirbelbogen,welcher inUebereinstimniungmit der
ganzen Lage dieses Segments horizontal liegt, aber einen entsprechend gelagerten
Wirbelkörperabschnitt entbehrt, da das einen solchen erzeugende Axengebilde,
630 IX Der K°Pf-
die Wirbelsaite, aus dem Vorderkopfe sich bis zur vorderen Grenze des Hinter-
kopfes zurückzog. Das erste Stammsegment enthält also nicht sowohl die Anlage
eines vollständigen Wirbels, sondern nur eines Wirbelbogens , dessen Wurzeln
mit dem Axentheile der übrigen Kopfwirbelreihe verbunden sind. Dass dieser
Wirbelbogen anfangs nicht unter dem Niveau der anatomischen Vorderhirnbasis
liegt, wie man von ihm als Grundlage der vorderen Schädelbasis annehmen
könnte, geht schon daraus hervor, dass seine Ursprungsstelle oder die Chorda-
spitze an die embryonale Vorderhirnbasis (Hirntrichter) stösst (Taf. XVI Fig.
303, Taf. XVII Fig. 314— 316). Sein querer Wurzeltheil umgreift diese
Basis jederseits in einem flachen, nach vorn konkaven Bogen, welcher nach
innen vom GAssER'schen Nervenknoten gerade bis zum gemeinsamen Ausgangs-
punkte der geraden Augenmuskeln reicht , durch den sein Verlauf abgelenkt
wird (a. a. 0.). Hinter diesem Muskelursprunge biegt sich nämlich der Wirbel-
bogen abwärts, um dicht unter demselben und dem davor liegenden Sehnerven
an den Seitenrand der anatomischen Vorderhirnbasis zu gelangen. Anfangs
folgt er aber der letzteren nicht bis zu ihrem Vorderrande, sondern krümmt
sich noch hinter dem eben angelegten Riechnerven abwärts in den unterdessen
hervorgewachsenen und mehr unter als vor dem künftigen Zwischenhirn befind-
lichen Gesichtstheil. Dabei sind beide Wirbelbogenhälften gegen einander
konkav gekrümmt, also mit ihren vorderen Enden einander genähert; zwischen
ihnen spannt sich die hautartige Zellenschicht aus , welche in Verbindung mit
dem sie haltenden Knorpelrahmen die Anlage der vorderen Schädelbasis dar-
stellt. Diese reicht also zuerst nicht so weit nach vorn als das von ihr getragene
Vorderhirn ; erst dadurch, dass dieses gegenüber den anderen Theilon des Vor-
derkopfes im Wachsthum etwas zurückbleibt, schiebt sie sich allmählich bis
unter das vordere Eno)e der Grosshirnlappen vor, wo ihre Ränder, eben die
Wirbelbogenhälften, sich bis zur Berührung einander nähern und so einen voll-
ständigen Wirbelbogenring bilden {a. a. 0. und Taf. XV Fig. 284, Taf. XXI
Fig. 377). Da die Geruchsorgane bei dieser Ausdehnung der vorderen Schädel-
basis an die Vorderseite des Grosshirns verschoben werden, so ist es verständ-
lich, dass alsdann die Wurzeln der Geruchsnerven den Wirbelbogen nicht mehr
seitlich, sondern an seiner Schlussseite überschreiten. Gleich darauf beginnt
auch die Bildung der Seitentheile der vorderen Hirnkapsel, welche im Anschlüsse
an den Wirbelbogen gerade aufwärts wachsen und dabei für die ihre Anlage quer
durchsetzenden Gebilde ebenso wie die Schädelbasis Lücken frei lassen. Von
diesen verdienen ausser den Oeffnungen für den Austritt der Geruchs-, Seh- und
1. Der Vorderkopf. 631
Augenmuskelrierven noch besonders erwähnt zu werden die Lücken, durch
welche jederseits die Ursprungsenden der geraden Augenmuskeln und hinter
ihnen die beiden inneren Karotiden in die Hirnkapsel eindringen (Taf. XVI
Fig. 297, Taf. XVII Fig. 314—316, Taf. XVIII Fig. 327). Jene Muskel-
ursprünge biegen sich vor und über dem queren Wurzelstücke desWirbelbogen-
knorpels etwas rückwärts an dessen Innenfläche und befestigen sich daher
eigentlich an der seitlichen Innenwand der Bucht, welche die Schädelbasis vor
der Chordaspitze unter dem Einflüsse des nach unten vorragenden Basaltheils
vom Vorderhirne bildet. Später ziehen sie sich in die Schädelwand selbst zu-
rück, so dass sie gleichsam nur eine Lücke derselben ausfüllen ; im vollständig
entwickelten Thiere endlich werden sie durch Knorpelmasse an die Aussen-
fläche der seitlichen Schädelwand verdrängt, und behält nur noch der N. ocu-
lomotorins an der Stelle der früher gleichmässig weiten Lücke ein kleines
Durchtrittsloch. Die Karotiden treten hinter den Ursprüngen der Mm. recti
aber dicht unterhalb der Wirbelbogenwurzeln in die Hirnkapsel ein, sodass
durch diese Muskelursprünge und Gelasse der Verlauf des ursprünglichen
Wirbelbogens auch späterhin bestimmt werden kann. Denn wenn derselbe
während des grössten Theils des Larvenlebens in dem Rande jener Bucht
und weiter nach vorn in dem verdickten Seitenrande der vorderen Schädelbasis
leicht zu erkennen ist, so gleichen sich diese Unterschiede zwischen den eigent-
lichen Grundlagen des Schädels und den sekundär sich daran schliessenden
Knorpeltafeln später vollständig aus, sodass sie schon an dem sogenannten
Primordialkranium der noch ganz jungen Thiere nicht mehr unmittelbar unter-
schieden werden können. Verfolgt man nun die Ausdehnung und die Grenzen
der Seitenwände der vorderen Hirnkapsel, so vermisst man an ihnen eine
solche vollständige und kontinuirliche Fortsetzung in die Seitenwände des
hinteren Schädeltheils, wie sie an den Basaltheilen beider Schädelhälften statt-
findet. Zunächst sieht man leicht ein, dass sie nur so weit dem ursprünglichen
Wirbelbogeu aufsitzen können, als dieser zur Seite des Vorderhirns hinzieht,
und dort aufhören müssen, wo die Wurzeltheile jener Knorpelspangen sich
medianwärts unter das Hirn biegen, um sich an der Chordaspitze zu ver-
einigen {Taf. XVIII Fig. 324. 326. 327). Diese Stelle liegt dicht hinter dem
Ursprünge der geraden Augenmuskeln; ebendaselbst erreicht aber auch die
Knorpelplatte des ersten äusseren Segments, welches, wie erwähnt, mit seinem
Wurzeltheile sich medianwärts hinter das zugehörige Stammsegment einschob,
denWirbelbogen desselben, um mit ihm zu verschmelzen (a. a. 0. und Taf. XVII
632 IX- Der K°Pf-
Fig. 314. 315). Dieses Winkelstück des Skeletgürtels des ersten äusseren
Segments, welches ich aus später zu erörternden Gründen den grossen oder
S c h 1 ä f e n - F 1 ü g e 1 k n o r p e 1 nenne , ist eine senkrecht und quer gestellte
Platte, welche vom Wirbelhogen aufwärts auch mit dem hinteren Rande der
vorderen Hirnkapsel zusammenfliesst, sodass deren Seitenwand an ihrer hin-
teren Grenze mit einer beinahe rechtwinkeligen Krümmung nach aussen fort-
gesetzt erscheint. Auf diese Weise schliesst der Schläfenflügelknorpel den
Raum, welcher zugleich einer Augenhöhle und Schläfengrube entspricht, nach
hinten ab und bildet ferner eine Scheidewand zwischen dem GASSEß'schen
Nervenknoten und allen übrigen Segmenttheilen des Vorderkopfes. Da aber die
Nerven dieses Ganglions nach vorn verlaufen, so müssen sie, soweit sie sich
uicht schon frühzeitig medianwärts entfernt haben, wieder N. oculomotorius und
N. trochlearis , jene Scheidewand entweder durchsetzen oder überschreiten.
Ersteres geschieht durch die Nu. nasalis und abducens, die von dem Schläfen-
flügelknorpel dicht an seinem Uebergange in die vordere Schädelkapsel um-
wachsen werden; der zum äusseren Segment gehörige Nervenstamm der late-
ralen Portion des GASSER'schen Ganglions bleibt aber frei auf dem oberen,
medianwärts etwas ausgeschweiften Rande des Schläfenflügelknorpel s liegen,
und krümmt sich erst von dort aus seitwärts auf die Oberfläche des Schläfen-
muskels, wo er sich sofort in die beiden Kiefernerven spaltet. — Anfangs be-
findet sich zwischen dem Schläfenflügelknorpel oder der hinteren Wand oder
Schläfen- Augengrube und dem Gehörbläschen ein merklicher, von dem Gas-
SER'schen Nervenknoten und dem Wurzeltheile des zweiten Kopfsegmeiits
(Ganglion des N. facialis und N.palatinus)ausgefüllterZwischenraum, welcher nach
aussen offen daliegt, da der entsprechende Abschnitt der Schädelbasis kaum an-
gelegt ist, also von einer lateralen Fortsetzung derselben zur Bildung einer Seiten-
wand nicht die Rede sein kann (Taf.XVII. XVIII). In dem Masse aber, als der
Hinterkopf in seinem Längenwachsthum durchaus hinter dem Vorderkopfe zu-
rückbleibt, wird jene Oeffnung nicht nur relativ, sondern durch dieVergrösserung
der knorpeligen Ohrkapsel auch thatsächlich kleiner, sodass die nach hinten
ausgebogene laterale Hälfte des Schläfeuflügelknorpels endlich die knorpelige
Ohrkapsel berührt und auf dieseWeise den seitlichen Abschluss des Hirnraumes
hinter der Schläfen-Augengrube bis auf eine an der Schädelbasis zurück-
bleibende Lücke herbeiführt (Taf. XV III Fig. 329. 331). Medianwärts von
jener Verbindung bleibt ein etwa dreieckiger Raum als seitliche Ausbuchtung
der Schädelhöhle bestehen; von den Ganglien, welche ihn einnehmen, entsendet
1. Der Vorderkopf. 633
das hintere, zum zweiten Segment gehörige seinen Nervenstamm durch
die erwähnte Lücke am Boden der Schädelbucht nach aussen. Es erhellt uns
dieser Beschreibung und den Abbildungen, dass der Schläfenflügelknorpel die
seitliche Schädelwand unmittelbar vor der Ohrkapsel allein bildet, dass also
im Vorderkopfe ein Skelettheil des äusseren Segments sich der ursprünglichen
Schädelanlage , welche in einem Wirbelbogenpaar und den sich aus demselben
entwickelnden Bildungen besteht, zur Umschliessung des Hirnes an - und so in
die Zusammensetzung des definitiven Schädels einfügt. Dabei offenbart sich
wiederum das Hinübergreifen von dorsalen Theilen des Vorderkopfes in die
Region des Hinterkopfes, und dem Nerven- und Skelettheil folgt darin schliess-
lich ein Muskel, indem der Ursprung des M. temporalis sich vollständig auf
die Oberseite der Ohrkapsel verschiebt {Taf. XIX Fig. 337. 342). Hinter dem
Schläfenflügelknorpel wird die seitliche Schädelwand ebenfalls durch einen
nicht zum Wirbelsystem gehörigen Theil, die Ohrkapsel, gebildet, und erst
nach dieser doppelten, ansehnlichen Unterbrechung schliesst wieder eine Wirbel -
bogenbildung, nämlich das ringförmig verbundene hintere Bogenpaar der
Schädelbasis, den Schädel auch seitlich ganz allein ab. — An der Herstellung
des knorpeligen Seh äd eldachs, welches ich bisher noch nicht erwähnt habe,
betheiligen sich nur die Wirbelbogenhomologa oder ihre Fortsetzungen. Der
obere Rand der vorderen knorpeligen Hirnkapsel überragt die Oberseite des
Vorderhirns mit einem ganz unbedeutenden, medianwärts umgebogenen und
zugeschärften Streifen, während das Perichondrium von einer Seite kontinuir-
lich zur anderen hinüberzieht, gerade so wie ich es von den aufeinanderfolgen-
den Wirbelbögen des Rumpfes beschrieb Taf. XVIII Fig. 331, Taf . XIX
Fig. 337. 347). Dieser horizontale Knorpelstreifen nimmt an metamorpho-
sirten Thieren an Breite zu, geht aber über die Form eines eine weite mittlere
Lücke umschliessenden Saumes auch am vorderen Schädeldach ganz erwachse-
ner Thiere nicht hinaus. . Rückwärts setzt sich jener Knorpelrand anfangs in
den konkaven oberen Rand des Schläfenflügelknorpels fort; während aber
dieser unverändert bleibt, wächst der erstere noch in der Larvenzeit über des-
sen Niveau in die Höhe und nach hinten und aussen zu einer horizontalen
Platte aus, welche ich den kleinen oder Orbital-Flügelknorpel nenne.
Er bildet die etwa dreiekige Decke der lateralen Ausbuchtimg der Schädel-
hohle zwischen der Ohrkapsel und dem Schläfenflügelknorpel ; sein vorderer
Seitenrand legt sich über den Ausschnitt des letzteren und verwandelt ihn in
eine Austrittsöffnung für den Kiefernervenstamm , die äussere Ecke und der
634 IX. Der Kopf.
hintere Seitenrand verschmelzen dagegen theils mit dem Schläfenflügelknorpel,
theils mit der Ohrkapsel. Dieser entlang zieht sich nun eine Fortsetzung des
Orbitalflügelknorpels nach hinten und trifft mit einem ebensolchen vorwärts
wachsenden Fortsatze des hinteren Wirbelbogenringes zusammen, sodass auch
am hinteren Schädeldache ein lateraler Knorpelsaum entsteht. Zugleich
wächst etwa aus der Mitte des medialen Randes des Orbitalflügelknorpels ein
schmaler Knorpelzipfel hervor, welcher in querer Richtung unter dem häutigen
Schädeldache, d. h. unter der erwähnten Fortsetzung des Perichondriums, mit
dem anderweitigen zu einer queren Brücke zusammenstösst. Indem diese Bil-
dung ganz augenscheinlich der Vordergrenze des rückwärts verschobenen
paarigen Mittelhirngewölbes folgt, ist die Mitte jener Brücke nach hinten in
einen Zipfel ausgezogen, welchem eine ähnliche mediane Spitze des hinteren
Wirbelbogenringes entgegenwächst. Nachdem daraus auch eine mediane
Knorpelbrücke entstanden, bilden alle Knorpeltheile des Schädeldaches einen
Rahmen, der durch eine quere Brücke in einen grösseren vorderen und kleine-
ren hinteren Abschnitt getheilt ist, von denen der letztere wiederum durch den
medianen Knorpelstreif in zwei Seitenhälften zerfällt. Die grosse unpaare Lücke
des vorderen Theils entspricht dem Vorderhirne, die zwei kleineren hinteren
den Mittelhirnhemisphären; nach aussen werden diese knorpelfreien Stellen
bloss durch das kontinuirlich darüber hinziehende Perichondrium verdeckt,
welches, soweit die Lücken erhalten bleiben, über ihnen die einzige Grundlage
des Schädels bildet. Aber sowie jene Lücken nicht aus einer nachträglichen
Auflösung innerhalb einer kontinuirlichen Knorpeltafel, sondern aus der Ver-
bindung schmaler Knorpelstreifen hervorgehen, nimmt ihre Grösse im Verlaufe
des Lebens nicht zu, sondern gerade ab; dies bezieht sich namentlich auf die
beiden hinteren Lücken , welche zuletzt zu kleinen Löchern werden (vergl.
Ecker No. 90 S. 34). Das perichondrale häutige Schädeldach , welches ich
mit der ähnlichen Bildung in der vorderen Hälfte der horizontalen Wirbel-
bogenabschnitte des Rumpfes verglich, verknöchert in der Folge gleichfalls,
jedoch mit anderem Erfolge. In den Wirbelbögen des Rumpfes schliesst sich
der betreffende Faserknochen an die vollständige knöcherne Hülse an, in welcher
die knorpeligen Wirbelbögen stecken, um endlich einer inneren Verknöcherung
Platz zu machen; am Schädeldache bleibt aber die Knochenbildung einseitig
und erzeugt dadurch zwei symmetrische Platten (Ossa frontuparietalia Ecker
a. a. 0. S. 31), welche dem unveränderten Knorpel nur äusserlich angefügt er-
scheinen.
1 . Der Vorderkopf. 635
Der Unterkieferbogen und der ({esichtstheil des Vorderkopfes.
Der Umfang und die Begrenzung des von mir so genannten Gesiehtstheils
ist aus dem Vorangehenden leicht zu ersehen : er umfasst die Nasen-, Zwischen-
kiefer- und Oberkiefergegend, während das Auge wegen seiner Lage und der
Bedeutung seiner Muskeln zum Stammtheile im engeren Sinne gehört. Der
Gesichtstheil entsteht wesentlich durch eine Fortentwickelung des Vorderendes
des ersten Stammsegmentpaares; weil aber der Kiefertheil in eigentümlicher
Weise an jener Bildung theilnimmt, werde ich dessen Entwicklung zuerst be-
trachten.
Aus der Beschreibung der ersten Umbildung des Vorderkopfes (S. 225 —
228) wird man sich erinnern, dass das äussere Segment nach seinen topo-
graphischen Verhältnissen in einen dorsalen und einen ventralen Abschnitt
zerfällt, obgleich seine Erzeugnisse kontinuirlich aus dem einen in den anderen
übergehen und daher in ihrer Hauptmasse als Unterkieferbogen aufgefasst
werden können. * Jene Unterscheidung beruht aber darauf, dass die obere
Hälfte des Segments im Hirntheile des Vorderkopfes, also über der Mundhöhle
liegen bleibt, die ventrale Hälfte aber nach der vollendeten Drehung der Kiefer-
wülste die Mundhöhle seitlich und von unten umschliesst und dort nach der
Zusammenziehung der Seitenplatte nach oben dem Darmblatte unmittelbar
anliegt (Taf. VII Fig. 128. 129). Von der Grenze beider Abschnitte geht
dann noch ein kleiner Theil des äusseren Segments schräg vor- und aufwärts in
den Oberkieferwulst hinein (lateraler Gesichtsfortsatz), welcher sich keilförmig
zwischen Hirn- und Kiefertheil entwickelt {Taf. XVI Fig. 288—291). — Der
dorsale Abschnitt des äusseren Segments oder des Unterkieferbogens geräth
durch die Ausdehnung der Augenblase hinter dieselbe und die ihr anliegenden
Muskelanlagen des Stammsegments. Sein oberster Zipfel verbindet sich dar-
auf unter Verwandlung in die spindelförmige Anlage eines Nervenknotens mit
dem analogen Theile des Stammsegments zum GASSER'schen Doppelganglion.
Doch bemerkte ich bereits, dass , während die aus der inneren Portion der
letzteren entspringenden Zweige des ersten Stammnerven ziemlich horizontal
nach vorn verlaufen, der aus der äusseren Portion hervorgehende Kiefern erven-
* Ich werde die epithelialen Bildungen des Darmblattes und der Oberhaut , soweit sie
nur durch Flächenausbreitung am allgemeinen VVachsthum theilnehmen, hier unberück-
sichtigt lassen.
636 IX- Der Kopf.
stamm steil gegen die Unterseite des Auges hinabzieht. Die Embryonalzellen,
welche diese Nervenanlage des äusseren Segments umgeben, und überhaupt
die ganze Rindenschicht der Segmentmasse verwandeln sich in interstitielles
Bildungsgewebe. Unterhalb des Ganglions hebt sich alsdann die centrale
Masse als ein kompakter dicker Zellenstrang gegenüber dem schon gelockerten
umgebenden Bildungsgewebe ab, welcher etwa von der halben Augenhöhe an
sich der hinteren Oberfläche des Auges nähert, dasselbe bis nach unten um-
greift und darauf zur Seite der Mundhöhle abwärts zieht, wobei er sich gegen
sein unteres Ende verschmächtigt. Dieser durch seine zusammengedrängten
und längere Zeit mit Dotter gefüllten Elemente leicht kenntliche Zellenstrang
ist die Anlage für die Muskeln des Unterkieferbogens, sodass also die
Nerven und Muskeln im äusseren Segmente ebenso wie im Stammsegmente
von allen Geweben zuerst angelegt erscheinen. Um aber die Gliederung dieser
Muskelanlage zu verstehen, muss man die Veränderungen im Verlaufe des
Unterkieferbogens berücksichtigen. Er mnschliesst die Mundhöhle anfangs
mit zwei abwärts bogenförmig konvergirenden Hälften. In dem Masse jedoch,
als sich der rinnenförmige Mundhöhlenboclen ebnet und verbreitert, erfährt der
ventrale Abschnitt des Unterkieferbogens in der Höhe jenes Bodens eine
Knickung; darüber bleibt er in der seitlichen Mundhöhlenwand sagittal ge-
lagert, darunter biegt er sich aber horizontal unter den Mundhöhlenboden und
kommt so mit seinem Gegenstücke in eine Fläche zu liegen {Taf. VII Fig. 120,
Taf. XIII Fig. 231, Taf. XIV Fig. 257, Taf. XV Fig. 270). Nach dieser
Umbildung des Unterkieferbogens kann man selbstverständlich nicht mehr von
einem dorsalen und ventralen Abschnitte desselben reden, sondern nur einen
ventralen, horizontal liegenden und einen lateralen, bis in den Rückentheil hin-
aufreichenden Abschnitt unterscheiden, deren Axen sich nunmehr rechtwinkelig
schneiden. Dem entsprechend sondert sich auch die dicke strangförmige
Muskelanlage in einen längeren oberen Theil, welcher bis zum Niveau des
Mundhöhlenbodens steil hinabsteigt, und einen kleineren horizontalen Theil
unter demselben. Der erstere spaltet sich alsbald in zwei Hälften. Die äussere
oder die Anlage des M. temporalis beginnt mit breitem Ursprungsrande hinter
dem Kiefernervenstamme ; weiter abwärts gliedert sich der M. masseter seitlich
von ihr ab (a. a. 0. und Taf. XVIII Fig. 331). Die innere Hälfte oder der M.
pterygoideus liegt der hinteren Augenfläche, also auch den betreffenden Augen-
muskeln ziemlich dicht an und tritt erst am Augenhöhlenboden lateralwärts
hervor, um mit seinem lateralen Rande sich unter den M. temporalis zuschieben.
1. Der Vorderkopf G37
Die untere Muskelanlage entwickelt einen Antagonisten der genannten Kau-
muskeln oder einen Oeffner des Mundes, den M. submentalis, welcher jederseits
nach innen und etwas rückwärts zieht. Während die Muskelfasern dieser An-
lagen sich durch Zellenverschmelzung auszubilden beginnen , wächst der
Kiefernervenstamm in zwei Aeste aus, welche bis unter die hintere Augen-
hälfte neben einander liegen bleiben, von dort an aber so auseinandergehen,
dass der laterale oder untere Kiefernerv (R. maxillaris inferior n. trigernini)
über die vordere Fläche des M. temporalis schräg nach aussen und unten ver-
läuft, um die Kiefermuskeln zu versorgen, der mediale obere Kiefernerv (R.
maxillaris superior n. trigernini) dagegen unter dem Auge nach vorn in die
Oberkiefergegend (lateraler Gesichtsfortsatz) hinabzieht, wo er oberflächlich
gelegen in der Haut und vielleicht dem oberen Lippenmuskel seine Endigung
findet {Taf. XVI Fig. 294, Taf. X VIII Fig. 825—327). Diese Kiefernerven
sind schon mitten in der ersten Larvenperiode kenntlich; zu gleicher Zeit er-
scheinen die ersten Anlagen für die knorpeligen Skelettheile des ganzen
Unterkieferbogens. Da die Gliederung desselben in einen lateralen und
ventralen Theil alsdann vollendet ist, so wird die Knorpelanlage des ventralen
Theils oder der Unterkiefer von Anfang an quer unter der Mundhöhle lie-
gen, diejenige des lateralen Theils oder das gesammte Kiefersuspensorium
von oben herab unter einem rechten Winkel auf das laterale Unterkieferende
stossen; beide Anlagen werden sehr frühzeitig in Knorpel verwandelt {Taf. XV
Fig. 270. 271, Taf XVI Fig. 299—303). Da der ganze ventrale Theil des
Unterkieferbogens alsbald unter reichlicher Entwicklung eines weitmaschigen
oder mit grossen Lymphräumen versehenen Bindegewebes stark aufgetrieben
wird, so nimmt der knorpelige Unterkiefer nur den kleinen oberen Theil des
ganzen Raumes unmittelbar unter der queren Scheidewand ein, welche die
innere Mundhöhle und die äussere Mundbucht trennt, sodass er zwischen der
inneren und äusseren Bekleidung des ganzen Bogens, d. h. zwischen Darmblatt
und Oberhaut eingeschlossen liegt. Sowie aber der ganze ventrale Unter-
kieferbogen noch längere Zeit einen medianen Einschnitt behält, die letzte Spur
seiner Entwicklung aus zwei konvergirenden Hälften und folglich eine Art
Fortsetzung oder Ausläufer der Mundbucht, so verläuft auch die cylindrische
Anlage des Unterkiefers nicht geradlinig von einer Seite zur anderen , sondern
besteht aus zwei Seitenhälften, welche hinter jenem Einschnitte in einer rück-
wärts und abwärts gerichteten Spitze zusammentreffen , von dort aus aber
lateralwärts einen nach vorn konvexen Bogen beschreiben, dessen Ende wieder
(338 IX- Der Kopf.
nach aussen umgebogen ist , sodass jede Unterkieferhälfte S-förmig gekrümmt
erscheint (Taf. XVII Fig. 318. 319). Jenes laterale Ende umgreift den hin-
abziehenden Muskelstrang von hinten her und zwar, da es im Niveau des
Mundhöhlenbodens die Grenze des Bauchtheils vom Unterkieferbogen gegen
dessen Seitentheil bildet, gerade an der Stelle, wo die dicke obere Muskelmasse
(Mm. pterygoideus , temporalis, masseter) in die schmächtigere untere Fort-
setzung (M. submentalis) übergeht (Taf. XV. Fig. 269. 270). Allmählich
schiebt sich aber dieses quere Unterkieferstück zwischen die anfangs zusam-
menhängenden Enden beider Muskelmassen und trennt sie dadurch vollständig.
Die Kaumuskeln befestigen sich an ihm an der ursprünglichen Berührungsstelle,
d. h. etwas medianwärts von seinem äusersten Ende (Taf. XVIII). Die beiden
einwärts gerichteten Hälften des M. submentalis rücken indessen gegen die
Medianebene vor und vereinigen sich schliesslich zu einem einzigen queren
Muskel, welcher die Enden der Mm. geniohyoidei von unten verdeckt (vergl.
S.465. 407) und deren Ansatzstellen, nämlich das eingeknickte Mittelstück des
Unterkiefers von hinten her umgreift, indem er seine bleibenden Insertionen
jederseits nach aussen von dem Scheitel der konvexen Krümmung des Unter-
kiefers findet (Taf. XX Fig. 363). Wie schon aus den Ansätzen dieser Mus-
keln hervorgeht, muss der M. submentalis die lateralen Abschnitte des Unter-
kiefers einander zu nähern suchen, während die Mm. geniohyoidei die beiden
Schenkel des eingeknickten Mittelstückes, an denen sie sich befestigen, rück-
wärts ziehen müssen. Da nun der Unterkiefer jederseits in der sich allmählich
ausbildenden Gelenkverbindung mit dem Suspensorium einen festen Drehpunkt
besitzt, so sind jene Muskelwirkungen nur ausführbar bei einer zusammenge-
setzten Bewegung jeder Unterkieferhälfte, wobei ihre Seitenstücke bei einer
Drehung nach hinten ihre medialen Enden rückwärts nähern und zugleich das
Mittelstück stärker einknicken. Dies setzt aber nothwendig voraus oder ver-
anlasst die Bildung dreier, wenngleich unvollkommener Gelenke des ganzen
Unterkiefers in den Zwischenräumen der vier Muskelansätze, also am Scheitel
der beiden konvexen Krümmungen und an der medianen Spitze. In Folge
dessen muss man am Unterkiefer unserer Larven zwei Paare symmetrischer
Stücke unterscheiden, zwei kleinere mediale und zwei grössere laterale, von
denen jene nach hinten und unten, diese in horizontaler Lage nach vorn kon-
vergiren. Diese ursprüngliche Stellung der Seiten- und Mittelstücke des
Unterkiefers, wobei die Mundhöhle eine ziemlich weite Lichtung besitzt und
die Mundränder von einander abstehen, entspricht auch bei der ihre Kiefer
1. Der Vorderkopf. 639
bereits bewegenden Larve dem Zustande bei geöffnetem Munde. Wird er ge-
schlossen, so tritt eine sehr auffallende Lageveränderung der Unterkieferstücke
ein, welche ich jedoch erst nach der Beschreibung des gesammten Bewegungs-
apparats der Kiefer erörtern kann.
Das Suspensorium des Unterkiefers ist eine vielfach gebogene, mit mehre-
ren Fortsätzen versehene Knorpelplatte, welche desshalb an den jüngsten Lar-
ven, welche eine plastische Zergliederung noch nicht gestatten, in einzelnen
Durchschnitten nur unvollständig dargestellt werden kann. Doch ergibt sich
ihr Bau ohne Schwierigkeit aus ihrer Entwicklungsgeschichte, welche die ein-
zelnen Theile erst nacheinander auftreten lässt und zum Ganzen fügt. Ihre
erste Anlage, zugleich ihr Hauptstück, ist eine relativ dünne und sich erst all-
mählich verbreiternde Platte, welche an der Hinter- und Aussenseite der Heber
des Unterkiefers schräg nach vorn hinabzieht und in zwei dicke Gelenktheiie
ausläuft (Taf. XVI Fig. 300). Der eine liegt in der angegebenen Richtung,
stösst auf den Unterkiefer und artikulirt mit ihm auswärts von der Insertion
jener Muskeln. Seine geschweifte Gelenkfläche sieht nach innen, vorn und
unten , sodass das eingefügte Unterkieferende bei der Ausführung seiner Be-
wegungen am seitlichen Ausweichen aus dem Gelenke verhindert wird (Taf.
XVIII Fig. 324. 327. 329. 331). Der zweite Gelenktheil wächst aus der
unteren Hälfte des Suspensoriums nach hinten und unten hervor und besteht
in einem niedrigen aber breiten Stumpfe, dessen Ende eine Gelenkgrube ent-
hält, in welche der flache vordere Seitenhöcker des grossen Zungenbeinhorns
sich einsenkt. Im oberen Theile geht die ganze Knorpelplatte oder der Qua-
dratbeinknorpel hinter dem dorsalen Ende des M. temporalis medianwärts
in den schon früher beschriebenen Schläfenflügelknorpel über, welcher sich
allmählich in den Schädel einfügt (S. 633). Der Uebergang beider Theile in
einander ist ein durchaus kontinuirlicher, unmerklicher, und ihre Unterschei-
dung ist nicht genetisch, sondern durch das spätere Verhalten begründet und
gerechtfertigt. Oben und seitwärts an der konkav gebogenen Vorderfläche
des Schläfenflügelknorpels befestigt sich der M. temporalis in flacher Ausbrei-
tung,- um sich abwärts zu einem rundlichen Bauche zusammenzuziehen, dessen
Ende den Unterkiefer von oben etwas umgreifend sich an dessen Vorderfläche
ansetzt. Der M. temporalis rollt daher das Seitenstück des Unterkiefers nach
oben und hinten um, während er es zurückzieht. Ein lateraler, ziemlich star-
ker Bündel inserirt sich während der Larvenzeit an dem noch zu beschreiben-
den, unmittelbar davor liegenden Oberkieferknorpel. Die mediale Fläche des
6AÖ IX. Der Kopf.
Sehläfenflügelknorpels, an welcher die einzelnen Ae'ste des Stammnerven und
der Kiefernervenstamm aus der Schädelhöhle in die Augengmbe eintreten,
bleibt frei; sein unterer Rand dagegen dient dem M. pterygoideus zum Ur-
sprünge, dessen Insertionsende sich unter den M. temporalis schlägt und nach
aussen von dessen Ansatzstelle, hart neben dem Unterkiefergelenk sich am
Unterkiefer befestigt. Ausser den genannten Theilen entwickelt der Quadrat-
beinknorpel noch zwei Fortsätze: die Flügelgaumenplatte und den
Joe lifo rtsatz. Der letztere ist eine dreieckige Knorpelplatte, welche am
Aussenrande des Quadratbeinknorpels über und vor dem Zungenbeingelenke
mit breiter Basis entspringt, die Kaumuskeln lateralwärts verdeckt und mit
ihrer Spitze vor- und aufwärts gerichtet ist (Taf. XVII Flg. 316, Taf. XVIII
Fig. 324-327. 331, Taf. XIX Fig. 335-337). Von der Innenfläche des
Jochfortsatzes entspringt der kurze M. masseter mit zwei Bündeln-, sie kon-
vergiren nach innen , vorn und unten und erreichen lateralwärts vom M. tem-
poralis das Seitenstück des Unterkiefers, welches sie umrollen und zurück-
ziehen, d. h. in einer Kegelfläche, deren Spitze im Hauptgelenke liegt, auf- und
rückwärts bewegen helfen , wobei das geknickte Mittelstück des Unterkiefers
etwas quer gestreckt wird. Die Aussenfläche des Jochfortsatzes dient dem
zum Zungenbeinbogen gehörigen breiten M. depressor ossis hyoidei zum Ur-
sprünge; von ihm bedeckt und mit ihm sich kreuzend zieht der gleichfalls aus
dem zweiten äusseren Segmente hervorgehende M. depressor mandibulae von
der Hinterfläche des Quadratbeinknorpels zwischen dem Jochfortsatze und
dem Zungenbeingelenke zum äussersten Ende des Unterkiefers hinab (a. a. 0.
und Taf .XVI Fig. 294. 299). Dicht unter seinem Ansätze liegt derjenige des
M. levator ossis hyoidei, welcher horizontal vom Ende des grossen Zungenbein-
horns kommt. — Aehnlich wie der Jochfortsatz am Aussenrande des Quadrat-
beinknorpels, wächst die Flügelgaumenplatte an seinem Innenrande hervor; sie
liegt dem Darmblatte, soweit es die seitliche Auskleidung der Mundhöhle
bildet, dicht an, steigt also unter den Kaumuskeln und medianwärts von ihnen
in gleichmässiger Breite vorwärts auf und verschmilzt mit dem ersten Wirbel-
bogen, dem späteren Seitenrande der Schädelbasis {Taf. XVI Flg. 290. 302,
Taf XVII Fig. 310. 317, Taf. XVIII Flg. 324. 331). Diese Verbindung
rückt während der Ausdehnung der Schädelbasis endlich so weit vor , class die
Flügelgaumenplatte die innere Nasenöffnung von hinten begrenzt. Auf diese
Weise umgibt das Knorpelstück, welches ich zuerst ganz allgemein als Sus-
pensorium des Unterkiefers bezeichnete, indem es sich mit der Mitte und dem
1. Der Vorderkopf. 641
Vorderende der ganzen seitlichen Schädelwand verbindet, eine Oeffnung, welche
den Boden der Schläfenaugengrube einnimmt und durch Bindegewebe und Mus-
keln ausgefüllt wird. Aus der Verbindimg der Flügelgaumenplatte und der
Schädelwand entwickelt sich weiterhin eine hinter der Nasenkapsel aufsteigende
Leiste ; sie wird unter Einschliessung des äusseren Zweiges vom N. nasalis vom
Ürbitalfortsatze des Nasenknorpels bedeckt und beide bilden alsdann eine nie-
drige vordere Wand der Augenhöhle (Taf. XV II Fig. 331, Taf. XIX Fig. 342.
343). Vervollständigt wird dieselbe durch straffes Bindegewebe, welches von
ihr zum Jochfortsatze sich erstreckend (Jochbogen) zugleich die von letzterem
dargestellte Seitenwand der Schläfenaugengrube ergänzt. Die hintere und die
innere Wand derselben Grube (laterale Schädelwand, Schläfenflügelknorpel)
habe ich bereits beschrieben. Es besitzt also schon die Larve eine gut begrenzte
Schläfenaugengrube, deren vorderer innerer Theil vom Auge und dessen vom
ersten Stammsegmente gelieferten Muskeln und Nerven, der hintere und äus-
sere Theil von den Muskeln und Nerven des ersten äusseren Segments einge-
nommen wird.
Die Betrachtung der Flügelgaumenplatte führt naturgemäss zur Entwickl-
ungsgeschichte des zuletzt angelegten und ausgebildeten Theils des Vorder-
kopfes, nämlich des Gesichtstheils; denn jene Knorpelplatte entsteht bereits in
dem am Aufbaue des Gesichts betheiligten lateralen Gesichtsfortsatze des äus-
seren Segments. Da das Gehirn und damit der ganze Rückentheil des Vor-
derkopfes anfangs den Unterkieferbogen nach vorn überragt, so muss alsdann
die ganze Vorderfläche des Kopfes schräg nach hinten abfallen. Aus dieser
schrägen Kopfseite wächst nun der Gesichtstheil der Larve hervor. Betrachtet
man das äussere Relief dieser Kopfregion an verschiedenen Larven der er-
sten Periode, wobei also der Blick den Kopf von vorn und unten treffen muss,
so kann man folgende Entwicklungsstufen der Gesichtsbildimg unterscheiden.
Zur Zeit, wenn das Centralnervensystem eben in der Schliessung begriffen ist,
wird die ganze Vorderseite des Kopfes unter der Oberhaut nur von zwei Haupt-
anlagen eingenommen: die durch die Augenanlagen verbreiterte, in dieser
Ansicht ohngefähr dreieckige vordere Hirnhälfte bildet den oberen Theil, die
sich darunter hinziehenden, in einem flachen Bogen zusammenstossenden Kie-
ferwülste den unteren Theil der Gesichtsgegend (Taf. III Fig. 45). Zwischen
beiden und in der Medianebene liegt eine Einsenkung, gleichsam eine Erweite-
rung der trichterförmigen Anlage des Hirnanhangs, welche seitlich am unteren
Rande des Hirns in je eine flache Furche, den Anfang der Nasengrube, ausläuft,
Goettk, Entwickelungsgeschichte. 41
642 IX- Der Kopf.
abwärts aber sich zwischen die Kieferwülste fortsetzt und so die Anlage der
äusseren Mundbucht herstellt. Während der seitlichen Abplattung des ganzen
Kopfes verändert sich das äussere Bild ganz auffallend (Fig. 46). Der vor-
derste Abschnitt des Vorderhirns erscheint als ein schmaler Vorsprung zwi-
schen den vertieften, aufwärts gerichteten Nasengruben, welche unter jenem
Vorsprunge durch rinnenförmige Fortsetzungen mit dem obersten Ende der
Mundbucht oder der Anlage des Hirnanhangs zusammenhängen (vgl. S. 318.
330). Darunter ist der flache Bogen der Kieferwülste durch die ansehnliche
Höhenzunahme auf Kosten der Breite unkenntlich geworden, und seine Stelle
nehmen dann paarige seitliche Wülste und die beiden ventralen Hälften des
Unterkieferbogens ein, unter denen die beiden vorher auseinanderstehenden
Haftorgane zusammengestossen sind. Die folgende Entwickelungsstufe zeigt
Veränderungen vorherrschend in der Umgebung der Nasengrube (Fig. 47). Die
sie mit der Mundbucht verbindenden Furchen sind ausgeglichen oder nur noch
schwach angedeutet, die Gruben selbst durch paarig zwischen ihnen und dem
Vorderhirn hervortretende Fortsätze von einander entfernt; diese letzteren
aber verbinden sich miteinander in der Medianebene, anderseits lateral- und
abwärts unter den Nasengruben mit den oben bezeichneten seitlichen Wülsten,
sodass aus diesen vier Vorsprüngen endlich ein gewölbtes Dach der Mundbucht
hervorwächst, welches sich mit seinen seitlichen Enden auf den Unterkiefer-
bogen stützt und mit ihm die äussere Mundöffnung umschliesst (Fig. 48). Im
weiteren Verlaufe der Entwickelung schwindet dieses durch die Umbildung
der einzelnen Segmenttheile hervorgerufene Relief des Gesichts, indem die
Oberhaut durch die. weiten Lymphräume des subepidermoidalen Bindegewebes
ziemlich gleichmässig aufgetrieben wird (Fig. 49). — Hält man sich nun an
die eben gegebene Uebersicht der äusseren Erscheinungen bei der Entwicke-
lung des Gesichts, welche bisher für die Bildungsgeschichte des letzteren mass-
gebend waren, so würde jeder mit der Entwickelungsgeschichte der Wirbel-
thiere einigermassen Vertraute in der ersten der angeführten Entwicklungs-
stufen einen einfachen unter dqm Hirn hinziehenden Unterkieferbogen, darauf
zwei seitlich daraus hervorwachsende „Oberkielerwülste" und ferner einen
zwischen den Nasengruben erst einfach, dann paarig hervorwuchernden „Stirn-
fortsatz" zu erkennen glauben. Eine solche Deutung wäre aber sowohl im
Vergleiche mit anderen Wirbclthierembryonen falsch als auch an sich für die
Erkenntniss der betreffenden Entwickelungsvorgänge von geringem oder gar
keinem Werthe, und ich halte gerade die genannten Erscheinungen bei der
1. Der Vorderkopf. 643
Bildung des Batrachiergesichts für besonders geeignet die Unvollkommenheit
der bisher geübten Methode darzulegen, welche die Entwickelungsgeschichte
des Gesichts zum grössten Theile auf die Beschreibung des äusseren Reliefs
beschränkte. Fürs erste kann der laterale oder Oberkieferwulst der Batrachier
dem Oberkieferfortsatze anderer Wirbelthierembryonen gar nicht verglichen
werden, da er sowohl das Homologon des letzteren, den lateralen Gesichts-
fortsatz des äusseren Segments, als auch eine dem sogenannten „seitlichen
Stirnfortsatze" oder „äusseren Nasenfortsatze"*) entsprechende Fortsetzung
des inneren Segments enthält, welche Theile aber äusserlich allerdings nicht
geschieden erscheinen (Taf. XVI Fig. 295. 29G). Ferner scheint es mir un-
passend, den lateralen Gesichtsfortsatz (Oberkieferfortsatz aut.) aus dem Un-
terkieferbogen abzuleiten, da die nähere Untersuchung ergibt, dass beide
Theile gleichzeitig und neben einander sich aus dem indifferenten Kieferwulste
absondern (Taf. XVI Fig. 288 n. flg). Endlich ist der „mittlere Stirnfortsatz"
wenigstens im Anfange seines Bestehens nur der Ausdruck des vorragenden
Vorderhirns und sind in seinem Innern die für das Gesicht bestimmten Theile
des mittleren Keimblattes kaum spurweise enthalten {Taf. XIV Fig. 251, Taf^
XVII Fig. 305). Ueberdies muss ich aber die bisher üblichen Bezeichnungen
zurückweisen, weil sie falschen Voraussetzungen über die Bedeutung der Theile
entsprangen. In dem allerdings nur bei den Batrachiern vorkommenden unge-
sonderten Oberkieferwulste sind freilich die Grundlagen für die ganze Ober-
kiefergegend enthalten, nicht aber bloss in seinem äusseren Theile, welcher bei
anderen Wirbelthierembryonen als Oberkieferfortsatz bekannt ist. Denn der
Oberkieferknorpel unserer Larven entsteht, wie ich gleich zeigen werde, mit der
Hauptmasse des Gesichts aus den beiderlei „Stirnfortsätzen." Dieser letztere
Ausdruck ist aber nicht nur für den in den Oberkieferwulst eingehenden Theil
des Stammsegments unzulässig, da derselbe zur Stirn in gar keiner Beziehung
steht (vgl. Kölliker a. a. 0.), sondern auch für den mittleren, zwischen den
Nasengruben gelegenen Theil unpassend, weil derselbe auch nicht einmal theil-
weise „aus dem Schädeldache" hervorwächst, sondern unter dem Hirn hervor
umfänglich sich zu entwickeln beginnt, während zwischen der Oberhaut und dem
Vorderhirngewölbe eine Grundlage der späteren Stirntheile entweder noch gar
nicht oder doch nur in den spärlichen Andeutungen eines interstitiellen Bil-
* Dieser Fortsatz legt sich keilförmig zwischen den „Oberkieferfortsatz" und den „mitt-
leren Stirnfortsatz" (vgl. Kölliker No. 48 S. 211).
41*
644 !X. Der Kopf.
dungsgewebes vorhanden ist {Taf. XVI Fig. 293. 298. 303). Die sogenannten
Stirnfortsätze und die Stirnanlagen sind vielmehr als Erzeugnisse des das
Centralnervenorgan über seiner Axe umwachsenden Stammsegments gleicher-
weise Homologa der Membrana reuniens superior des Rumpfes und daher ge-
netisch durchaus koordinirte Sonderungen derselben Grundlage-, und wenn man
an ihnen wie gewöhnlich die Skelettheile zunächst ins Auge fasst, so ist die
Stirnwand oder das Schädeldach vielmehr als Fortsetzung der Schädelbasis
und ihrer Ausläufer in den Gesichtstheil zu betrachten als umgekehrt. Und
da die beiderlei Stirn- oder Nasenfortsätze, obgleich sie anfangs äusserlich
durch die Nasengrube und ihre zur Mundbucht hinabziehende Furche geschie-
den erscheinen, in der Folge gar keine entsprechend gesonderten anatomischen
Theile entwickeln, sondern in durchaus gemeinsamer Arbeit das Gesichtsskelet
entwickeln, so wähle ich für beide den gemeinsamen und ganz allgemeinen
Namen des medialen Gesichtsfortsatzes. — Es werden auf diese Weise
die Bildungsanlagendes Gesichts nicht nach dem äusseren Relief, sondern nach
ihrem Ursprünge aus den Segmenttheilen unterschieden-, der mediale Gesichts-
fortsatz, welcher mit zwei Schenkeln die Nasengrube umwächst, ist eine Bildung
des Stammsegments, der laterale Gesichtsfortsatz des äusseren Segments (Aus-
sentheil des ganzen Oberkiefervvulstes) legt sich nur von aussen und hinten dem
ersteren an. Die Bedeutung dieser Lagebeziehungen erhellt aber erst vollstän-
dig, sobald wir die Ursachen der genannten Fortsatzbildimgen uns klar zu
machen suchen.
Das durch die Sehnervenanlage anfänglich getheilte Stammsegment fiiesst
vor dem Auge, zwischen diesem, der Geruchsplatte und dem Vorderhirne wieder
zusammen, um von dort aus in alle anstossenden , zwischen den genannten Or-
ganen und der Oberhaut befindlichen spaltartigen Räume hineinzuwachsen
(Taf. XVI Fig. 288 n. flg.). Dies ist eben die ungetheilte Wurzel des medialen
Gesichtsfortsatzes. Sie erstreckt sich nun nicht gleichmässig über die ganze
Fläche des anliegenden Vorderhirnabsclmittes , sondern läuft aufwärts in eine
verdünnte Zellenlage, eben die erste Stirnanlage, aus, während ihre grössere
Masse sich gerade um die vordere anatomische Hirnbasis ansammelt, um
darauf schräg vor- und abwärts auszuwachsen. Diese ungleichmässige Anord-
nung der mit einer Membrana reuniens superior zu vergleichenden Theile des
Vorderkopfes hängt unzweifelhaft aufs innigste zusammen mit dessen komplicir-
ten Lagebeziehungen. Die Bildung des Vorderhirngewölbes ist dabei nicht in
erster Linie massgebend; denn sie ist in der in Rede stehenden Periode noch un-
1. Der Vorderkopf. 645
bedeutend, und anderseits liegt jenes Gewölbe im Uebergange zur Schlussseite
des Hirns der Oberhaut ursprünglich ebenso eng an wie weiter oben. Von ent-
scheidender Bedeutung für die Bildung des mittleren Gesichtsfortsatzes scheint
mir aher der Umstand zu sein, dass das erste äussere Segmentpaar das Hirn
nicht vorwärts umkreist, sondern durch die mediane Scheidewand des Kiefer-
theils in dessen seitliche Taschen gedrängt nach unten auswächst. Der daraus
hervorgehende Unterkieferbogen bildet also mit dem horizontal auswachsenden
Vorderhirne einen Winkel, welcher aber durch die zwischen beiden Theilen
ausgespannte Oberhaut äusserlich verdeckt wird. Dieser durch die Einsenkung
der Mundbucht gewissermassen in eine Falte verwandelte Oberhautabschnitt
unischliesst einen von der Seite gesehen dreieckigen Baum, welcher für die
Ausbreitung der angrenzenden Segmenttheile die günstigsten Formbedingungen
darbietet, also auch ihre Richtung bestimmt. Aus der vorangegangenen Be-
schreibung wird man erkennen, dass diese neuentstehende Kopfregion äusser-
lich durch den Oberkieferwulst bezeichnet wird, und ferner verstehen, warum
sie trotz ihrer topographischen Einheit von zwei Seiten her ganz verschiedene
und durch embryonale Lymphräume deutlich gesonderte Segmenttheile erhält.
Dieser Inhalt des Oberkieferwulstes wächst eben nicht aus einer einheitlichen
Wurzel im Grunde des oben bezeichneten Winkels hervor, sondern das Stamni-
segment wie das äussere Segment entsenden in den sich neben ihnen neu er-
öffnenden Baum Ausläufer ihrer noch indifferenten Bildungsmassen, -welche da-
her für das eine von oben, vorn und innen (medialer Gesichtsfortsatz), für das
andere von unten, hinten und aussen herkommen (lateraler Gesichtsfortsatz)
und bei weiterer Ausbreitung sich auch entsprechend decken. Da jedoch die be-
zeichnete Abhebung der Oberhaut vom Hirntheile des Vorderkopfes sich selbst-
verständlich nicht auf die Aussenseite beschränkt, sondern gleicherweise dessen
laterale Bauchseite betrifft, soweit ihr nicht durch die mediane Mundbucht
Grenzen gesteckt werden, so entwickelt sich der mediale Gesichtsfortsatz nicht
nur lateralwärts von der entgegenstehenden Nasengrube (seitlicher Stirnfort-
satz, äusserer Nasenfortsatz), sondern auch medianwärts von ihr nach unten
und vorn (mittlerer Stirnfortsatz); und da beide Schenkel des Fortsatzes durch
die Nasengrube ebenso wie weiter rückwärts das Stammsegment durch den
Sehnerven nur zeitweilig getrennt erscheinen, sehr bald aber um die Nasen-
höhle herum kontinuirlich zusammenfliessen, so ist ihre Zusammenfassung zu
einem medialen Gesichtsfortsatze auf jeder Körperseite gerechtfertigt.
Nach dieser Darstellung des ursächlichen Zusammenhangs der embryo-
646 IX- Dei' Ko f.
nalen Gesichtsbildimg mit den ursprünglich im Vorderkopfe enthaltenen Form-
bedingungen wende ich mich zur speciellen Entwickelungsgeschichte des Ge-
sichtstheils. — Die Grenzen des medialen Gesichtsfortsatzes lassen sich anf-
and rückwärts nicht bestimmt angeben, da er dort kontinuirlich in die schon
betrachteten , das Vorderhirn und das Auge umgebenden Stammsegmenttheile
übergeht. Abwärts bleibt er gegen den lateralen Gesichtsfortsatz des äusseren
Segments so lange, bis die histologische Sonderung der einzelnen Anlagen an-
gefangen hat, durch deutliche Spalten getrennt, und daher lassen sich auch
seine späteren Erzeugnisse leicht bestimmen (Taf. XVI). Von seiner Wurzel
aus umwächst der mediale Gesichtsfortsatz zuerst die davor liegende Geruchs-
platte, wobei deren dem Vorderhirn angeschmiegte konvexe Fläche seine Masse
in einen oberen und einen unteren Strang theilt, zwischen denen der Geruchs-
nerv sich absondert (Taf. XIII Fig. 223. 227—229, Taf. XV Fig. 266—268).
Nachdem diese Stränge sich vor dem Geruchsnerven wieder vereinigt haben,
ist die Kontinuität des ganzen Fortsatzes in derselben Weise wiederhergestellt,
wie der Sehnerv den älteren Theil des Stammsegments nur zeitweilig spaltete.
Die laterale Umwachsung des Geruchsorgans fällt mit der Herstellung einer
wirklichen Nasengrube zusammen. Ich habe früher gezeigt (S. 330), dass die
Nasengrube nicht aus einer Einstülpung der Geruchsplatte, sondern dadurch
entsteht, dass die Oberhaut zuerst am oberen und hinteren Umfange jener
Platte mit einer freien Falte nach vorn auswächst und indem sie dadurch der
medialen Geruchsplatte eine seitliche Nasenplatte entgegenstellt, zwischen bei-
den die anfangs enge Nasenhöhle erzeugt (Taf. XVII). In diese Oberhautfalte
dringen auch sofort Theile des Gesichtsfortsatzes vom Stammsegmente von
hinten ein, welche die epitheliale Auskleidung der Nasenhöhle nunmehr von
innen, oben und aussen kontinuirlich umgeben. Nur der Boden der Nasengrnbe
entwickelt sich später als ihre Seitenwand, indem die früher erwähnte rinnen-
förmige untere Fortsetzung der Grube in die Mundbucht die beiden Seiten-
wände während einiger Zeit als getrennte Vorsprünge, eben die beiderlei Stirn-
oder Nasenfortsätze, erscheinen lässt (Taf. III). Diese kurzdauernde Erschei-
nung wird aber bei den Batrachiern nicht dadurch aufgehoben, dass die beiden
Vorsprünge jene Furche wie bei den Amnioten überbrücken ; dieselbe wird viel-
mehr von hinten her ausgeglichen, indem die beiden durch sie getrennten Theile
des medialen Gesichtsfortsatzes von ihrer gemeinsamen Wurzel hinter der Na-
sengrube aus und unter entsprechender Vortreibung der Oberhaut successiv
nach vorn zusammenwachsen. Auf diese Weise erhält die Nasengrube einen
1. Der Vorderkopf'. 647
Boden und wird in einen Blindsack verwandelt, dessen Oeffnungin dem Masse,
als sie vorgeschoben wird, sich zugleich verengt. In der Felge scheint diese
äussere Nasenöffnung successiv nach üben zu rücken; diese Lageveränderung
ist aber keine thatsächliche, sondern bloss eine relative und dadurch hervor-
gerufen, dass der die Nasengrube nunmehr vollständig umschliessende mediale
Gesichtsfortsatz in einer gleich näher zu erläuternden Weise sich rasch vor-
und abwärts ausdehnt, also sein Rand sich von der Nasenöffnung entfernt,
welche durch die ganze mit dem Hirn verbundene Nasengrube an ihrer früheren
Stelle zurückgehalten und nur durch den darunter entstehenden Gesichtstheil
aufwärts gekehrt wird. Der Grund der blind endigenden Nasengrube verlän-
gert sich unterdessen abwärts und einwärts gegen die Mundbucht-, bevor er
aber mit ihrer Oberhautauskleidung verschmelzen kann, hat sich die innere
Mundhöhle mit der sie quer verschliessenden Scheidewand in Folge jenes star-
ken Vorwachsens des Gesichtsfortsatzes so weit vorgeschoben, dass jener untere
hintere Zipfel der Nasenhöhle dicht hinter der queren Scheidewand in die eigent-
liche Mundhöhle durchbricht {Taf. XV Fig. 268, Taf. XVIII Fig. 320—323).
Wenn ich eben von einem vor- und abwärts gerichteten Wachsthume des
medialen Gesichtsfortsatzes sprach, so ist dies nicht so zu verstehen, als wenn
derselbe in der angegebenen Richtung frei hervorwucherte. Aus der Darstel-
lung, welche ich vom Kausalzusammenhänge der Gesichtsbildung mit den all-
gemeinen im Vorderkopfe enthaltenen Formbedingungen gab, geht hervor, dass
der Ueberschuss von indifferentem Bildungsmaterial am Vorderende des Stamm-
segments die bequemsten Bedingungen zu seiner Ausbreitung in der weiten
Oberhautfalte findet, welche jederseits zwischen der Vorderhirnbasis und dem
Unterkieferbogen sich ausspannt und die Mundbucht seitlich begrenzt. Der me-
diale Gesichtsfortsatz des Stammsegments breitet sich daher während der Um-
wachsung der Nasengrube zugleich abwärts und rückwärts in jener Falte
(Oberkieferwulst, Seitenwand der Mundbucht) gegen den Unterkieferbogen aus.
Dabei füllt er die seiner Wurzel am nächsten liegenden vorderen und oberen
Theile des wulstigen Mundbuchtrandes zuerst und ausschliesslich aus, um sich
gegen den Unterkieferbogen etwas zu verschmächtigen, während der ihm ent-
gegenwachsende laterale Gesichtsfortsatz des äusseren Segments seine Haupt-
masse hinter dem ersteren entwickelt und auf den genannten wulstigen Rand
nur seitlich mit verdünntem Saume übergreift {Taf. XVI Fig. 288 u. flg). Da
dem seitlichen Mundbuchtrande oder dem Oberkieferwulste durch die früh-
zeitig beginnende Einwärtsbiegung des ventralen Abschnittes vom Unterkiefer-
g48 IX- Der Kopf.
bogen eine bestimmte untere Grenze gestcekt wird, so endet auch der in ihm
enthaltene mediale Gesichtsfortsatz an derselben Stelle und geht darauf mit
dem Unterkieferbogen die schon kurz erwähnte innige aber vergängliche Ver-
bindung ein (Oberkieferknorpel und M. temporalis). Der hintere innere Hand
unseres Fortsatzes, welcher vom Augenhöhlenboden ziemlich steil zu jener
Stelle hinzieht, bleibt von den dahinter liegenden Kaumuskeln längere Zeit
durch embryonale Lymphräume deutlich getrennt. Die Hauptmasse des Fort-
satzes ist daher im ganzen Umfange der Nasengrube und im seitlichen oberen
Mundbuchtrande zu suchen. Diese beiderseitigen Randwülste divergiren an-
fangs von ihrer oberen Verbindung nur wenig abwärts, umfassen also
eine median gestreckte Mundbucht, welche oben am Ausgangspunkte der An-
lage des Hirnanhangs beginnt und unten in die beide Unterkieferhälften schei-
dende Furche ausläuft {Taf. III). In dem Masse, als die letzteren sich quer
stellen und dadurch die Mundbucht mit ihrer Scheidewand verbreitern, nimmt
auch die Divergenz der oberen Randwülste zu, sodass sie endlich die querge-
zogene Mundbucht ganz flach überragen und in der Medianebene immer mehr
zu einem kontinuirlichen schirmähnlichen Dach zusammenfliessen, welches
von einer Seite zur anderen gekrümmt die Mundbucht von vorn her verdeckt
{Taf. XVI Fig. 303). Die äussere Mundöffnung wird dadurch natürlich nach
unten gerichtet. Die breite Basis dieses Daches geht zwischen und unter den
Nasenhöhlen in die Gegend der vorderen Schädelbasis und der vorderen Schä-
delwand über; unmittelbar hinter jenen Höhlen steigt sie zum Unterkieferbo-
gen hinab, auf den sich die lateralen Enden des Daches in der Nähe des Unter-
kiefergelenks gleichsam stützen.
Anfangs schickt das Stammsegment in den medialen Gesichtsfortsatz nur
interstitielles Bildungsgewebe hinein. Sobald aber die beiden Wirbelbogen-
hälften des Vorderkopfes angelegt sind, erscheint auch sofort eine Fortsetzung
derselben in den medialen Gesichtsfortsätzen oder dem Dache der Mundbucht,
wo sie an seiner Innenseite der Oberhaut dicht anliegen ( Taf. X Fi" Fig. 303, Taf.
X VII Fig. 316 — 318). Solange aber dieser Gesichtstheil noch unter dem
Zwischenhirne entspringt, die künftige Schädelbasis über den Sehnervenur-
sprung wenig hinausreicht, stehen die konvergirenden Wirbelbogenhälften auch
beim Uebergange in den Gesichtstheil, wo sie lateralwärts die inneren Nasen-
mündungen unmittelbar begrenzen, ziemlich weit auseinander und wachsen im
Mundbuchtdache divergirend nach aussen und unten, sodass ihre abgeplatteten
Enden an dessen unterster Grenze sich dem Unterkiefergelenke nähern. Wäh-
y
1. Der Vorderkopf. 649
rend die Schädelbasis und damit die Basis des medialen Gesichtsfortsatzes
sieh bis unter das vordere Hirnende vorschieben , verbinden sich dort die Wir-
bel bogen hälften ringförmig; und von diesem vorderen Schlüsse der Schädel-
basis oder der Wurzel der vorderen Schädelwand setzt sich die Verschmelzung
der Bogenhälften noch in den Gesichtstheil fort und bildet dadurch die unpaare
mediane Wurzel oder die Stammplatte des Gesichts skelets (Taf. XV
Fig. 284, Taf. X VIII Fig. 324. 326. 327. 331, Taf. XIX Fig. 337. 343). Mit den
ursprünglichen Hälften dieser Stammplatte sind auch die ihnen anliegenden
inneren Nasenöffnungen nach vorn und medianwärts gerückt, sodass sie end-
lich zur Seite der Stammplatte liegen. Dabei haben die eigentlichen Nasen-
höhlen ihre Lage in gleichem Sinne verändert und lagern daher jederseits vor
der Schädelkapsel nahe bei einander auf den Seitentheilen der Stammplatte.
Zwischen ihnen entwickelt sich später von der Stammplatte aus eine mediane
Knorpelwand, die N a s e n s c h e i d e w a n d, während die übrigen die Nasenhöhlen
später umgebenden Knorpelstücke selbstständige Bildungen sind, ähnlich den
Knorpelkapseln des Gehörorgans und de"s Auges. — Aus der Stammplatte tre-
ten die beiden Wirbelbogenhälften wieder divergirend hervor; indem sie sich
aber abwärts gekrümmt dem Rande des Mundbuchtdaches nähern, erleiden sie
gewissermassen eine Knickung gegen die Median ebene und stossen mit den da-
durch gebildeten Vorsprüngen an jenem Rande zusammen, ehe sie längs des-
selben nach beiden Seiten diametral auseinanderfahren. Diese ihre Seitenflügel,
welche durch eine rasch zunehmende Abplattung und Verbreiterung eine ohn-
gefähr viereckige Gestalt mit geschweiften Rändern erhalten, sondern sich als-
bald durch einen Einschnitt von den medialen Theilen ab und verdienen als-
dann die Bezeichnung von Oberkieferknorpeln. Denn indem sie sich dem
Mundbuchtdache entsprechend nach hinten umbiegen, stösst ihre laterale obere
Ecke an das Insertionsende des M. temporalis und verbindet sich mit einem
Bündel desselben, einem zeitweiligen M. retrahens maxillae superioris, sodass
die fragliche Knorpelplatte den lateralen oberen Mundrand bis zum Unterkie-
ferbogen umzieht. Dann ergeben sich aber die beiden medialen Knorpelstücke,
welche in der Mitte des oberen Mundrandes zusammenstossen, seitlich in den
Oberkiefer, aufwärts rückwärts um eine mediane Spalte herum in die Nasen-
scheidewand übergehen, als die Hälften des Zwischenkiefers. — Auf diese
Weise entsteht die ganze knorpelige Grundlage des vorderen Gesichtsskelets
aus den Enden des ersten Wirbelbogenpaars, soweit sie über den Wirbelbogen-
ring hinauswachsen; und wenn die ganze subepidermoidale Masse des medialen
550 IX- Der Kopf.
Gesichtstheils mit der Membrana reuniens des Hinterkopfes und Rumpfes ver-
glichen werden kann, so darf man jenes ursprüngliche Gesichtsskelet als Homo-
logon der Darmfortsätze der Rumpfwirbel betrachten, welche allerdings bei
unserem Thiere in den knorpeligen Spitzen der queren Bogenstücke nur ange-
deutet sind.
Der laterale Gesichtsfortsatz des äusseren Segments ist theils in die Tiefe
des Oberkieferwulstes, theils auf dessen untere Aussenseite verwiesen (Taf.
XVI). Am erstgenannten Orte entsteht die schon beschriebene Flügelgaumen-
platte als Brücke vom Unterkieferbogen zur Schädelbasis. Aussen zwischen
demselben und dem Mundbuchtdache erzeugt der laterale Gesichtsfortsatz vor-
herrschend interstitielles Bildungsgewebe; nur sein unterster Theil, welcher vom
Ende des lateralen Unterkieferbogens nach vorn ausstrahlt, verwandelt sich in
spärliche Muskelbündel. Doch wird diese dünne Muskellage von der im oberen
Mundrande überwiegenden Masse des medialen Gesichtsfortsatzes so weit hin-
abgedrängt, dass der anfangs stumpfe seitliche Mundwinkel, indem er sich all-
mählich zuspitzend quer vorrückt, jene nach vorn ausstrahlende Muskelschicht
in zwei Hälften theilt, von denen nur die obere die Seite des Mundbuchtdaches
bedeckt, die andere unter dem Mundwinkel in den queren Unterkieferwulst
verschoben wird (Taf. XVII Fig. 318. 319, Taf. XVIII Fig. 326. 328. 331).
Beide Muskeln entspringen mit schlanken Sehnen von der Mitte der vorderen
Fläche des lateralen Unterkieferstückes; um aber ihre Insertionen am oberen
und unteren Mundrande zu verstehen, muss man die besondere Umbildung der
letzteren kennen lernen. — Wenn das Knorpelgerüst des Gesichtstheils an-
fangs in der Tiefe desselben, an seiner visceralen Seite liegt, so wird der nicht
unansehnliche Raum zwischen demselben und der vorgewölbten äusseren Ober-
haut theils von den Nasenhöhlen eingenommen, zum grösseren Theile aber von
einem bindegewebigen Balkenwerke durchzogen, dessen Stränge nach vorn aus-
strahlen und sehr weite Lymphräume zwischen sich frei lassen (Taf. XV Fig.
283, Taf. XVI Fig. 302. 303). Dieses lockere und leicht verschiebbare Ge-
webt erfüllt also auch den ganzen wulstigen Mundrand, dessen Oberhaut da-
gegen resistenter ist, da sie schon sehr frühe verdickt erscheint. Diese Ver-
dickung zieht sich vom unteren Bande des Zwischen- und Oberkieferknorpels
an deren hintere viscerale Fläche hinüber, wo beide Theile so innig zusammen-
hängen, dass eine Trennung derselben ohne wesentliche Beschädigung des einen
oder anderen nur selten gelingt. Eine ähnliche Oberhautverdickung befindet
sich auf dem vorgewölbten Theile des ventralen Unterkieferbogens, dicht unter
1. Der Vorderkopf. 651
dem Mittelstücke des Unterkiefers, deren obere Fortsetzung dem letzteren eben-
falls angelöthet ist. Beide Oberhautbildungen oder die Hornlippen der Larve
geben lateral wärts mit einem Umschlag in einander über, und zwar in einem
solchen Abstände von der Medianebene , dass die Seitenstücke des Unterkie-
fers zum grössten Theile und von den Oberkieferknorpeln die hinteren
Fortsätze frei bleiben (Taf. XVIII Fig. 329). Diese Hornplatten entwickeln,
soweit sie nicht mit den Kieferknorpeln verwachsen sind, einige parallele Quer-
reihen von sogenannten Hornzähnen, deren Entwickelungsgeschichte und Hi-
stiologie mir zu fern lag, um sie genauer zu untersuchen (vgl. Vogt, Leydig,
Schulze). Jede Hornplatte besteht also aus zwei Theilen, dem unbeweglich
an den betreffenden Kieferknorpel befestigten und dem davon nach vorn ab-
gehenden, zähnetragenden Theile, welcher nach innen mit dem beschriebenen
lockeren Bindegewebe in Verbindung steht und daher am Knorpelrande wie
an einem Charnier bewegt werden kann (Fig. 326—331). Bevor die Larven
zu fressen anfangen, stehen diese beweglichen Theile beider Lippen so zu ein-
ander, dass die obere Platte mit ihrer konkaven Fläche schräg nach unten und
hinten sieht, die untere nach vorn und in Folge einer dem eingeknickten Mit-
telstücke des Unterkiefers entsprechenden Einbiegung etwas nach oben gekehrt
ist. Und da die Ansatzlinien beider Lippen kürzer sind als ihre freien Aussen-
ränder, so umschliessen sie in der bezeichneten Periode einen von zwei Seiten
her etwas zusammengedrückten trichterförmigen Raum; diese ihre Stellung
deutet daher ebenso wie die schon erwähnte gleichzeitige Lage des Kieferge-
rüstes den Zustand des massig weit geöffneten Mundes an, welcher zunächst in
die vorherrschend im oberen Theile entwickelte Mundbucht oder den Ptaum vor
dem Unterkiefer und den hinteren Nasenöffnungen , und nach dem alsbald er-
folgenden Durchbruche und Schwunde der queren Scheidewand in die ganze
eröffnete Mundhöhle führt (Taf. XX Fig. 352-356). An die bezeichneten
Hornlippen setzen sich nun die beiden dünnen Muskeln an, welche als ein nach-
träglich gespaltenes Erzeugniss des lateralen Gesichtsfortsatzes betrachtet wer-
den können. Der obere Lippenmuskel, M. constrictor labii superioris, schlägt
sich um den hinteren Seitenrand des Oberkieferknorpels und strahlt über des-
sen Seitenfläche fächerförmig gegen den Rand der Oberlippe aus, welche er
hebt und da ihre Enden befestigt sind, stärker krümmt. Aehnlich inserirt sich
der andere Lippenmuskel an der unteren Hornlippe, welche durch ihn gleich-
falls gekrümmt wird; er wird vom unteren Kiefernerven versorgt, welcher wahr-
scheinlich auch den oberen Muskel mit Zweigen versieht. So klein und zart auch
652 IX. Der Kopf.
diese beiden Lippenmuskeln erscheinen, so sind sie doch nicht unwichtige Theile
des ganzen Bewegungsapparats der Kiefer, welcher bei der Larve viel kom-
plicirter ist als im erwachsenen Thiere.
Im beständigen Zustande des geöffneten Mundes, welcher den noch nicht
fressenden Larven der ersten Periode eigen ist, wird die trichterförmige Stel-
lung der beiden Hornlippen theils durch den gekrümmten Oberkieferrand
(Zwischen- und Oberkieferknorpel), theils durch den Unterkiefer aufrecht er-
halten, dessen Seitenstücke ziemlich horizontal liegen, also von der Mundhöh-
lendecke abstehen , und dessen stark geknicktes Mittelstück nach hinten und
unten gerichtet ist. Dieser Zustand der noch unbeweglichen Kiefer kann aber
natürlich nicht das Maximum der Oeffnung darstellen, da in diesem Falle bei
dein Eintritte der Bewegungsfähigkeit den Oeffnungsmuskeln die Möglichkeit
einer Verkürzung, also der Thätigkeit überhaupt fehlte. Es ist also ein mitt-
lerer Ruhezustand des Kieferapparats, der aber dem Maximum der Oeffnung
näher steht als dem vollständigen Verschlusse des Mundes. Soll jene ursprüng-
liche Oeffnung erweitert werden, so kann dies, da die zusammenhängenden
Flächen der Lippen sich nicht ausdehnen können, nur durch ihre stärkere
Krümmung oder eine Vervollkommnung der Trichterform, und ein Verschluss
des Mundes nur durch ein Zusammenpressen der abgeplatteten Lippen erreicht
werden. In beiden Fällen führt aber die Unterlippe, wie man sich an lebenden
Larven leicht überzeugt , die stärkere Bewegung aus und unterstützt dabei die
entsprechenden Veränderungen der Oberlippe. Diese würde zum Zweck der
Oeffnung des Mundes durch den M. constrictor labii superioris nur wenig ge-
hoben werden, wenn ihre Enden nicht durch die sich gleichzeitig senkende
Unterlippe hinabgezogen und dadurch der obere Mundrand stärker gekrümmt,
also der Trichterraum des Mundeingangs nach oben vergrössert würde. Die
Senkung und Krümmung der Unterlippe setzen aber eine entsprechende Lage-
und Formveränderung ihrer Ansatzlinie oder des Unterkiefers voraus. Die Sen-
kung wird durch den M. depressor mandibulae herbeigeführt, welcher das Sei-
tenstück des Unterkiefers wie einen zweiarmigen Hebel um das Hauptgelenk
abwärts dreht; da aber beide Gelenkstücke .ursprünglich horizontal lagen, so
würde diese Bewegung ihre medialen Enden von einander entfernen, daher das
Mittelstück strecken und die Krümmung der daran befestigten Unterlippe ge-
rade abflachen, wenn nicht die Mm. geniohyoidei jenes Mittelstück nach hinten
zögen und mit der dadurch herbeigeführten Annäherung seiner Enden auch
seine Knickung vergrößerten, wobei der M. submentalis wesentlich mitwirkt.
1. Der Vorderkopf. 653
Es wird also durch die vereinigte Wirkung dieser Muskeln die mittlere Spitze
des Unterkiefers unter Verkleinerung ihres Winkels schräg rückwärts und ab-
wärts bewegt, und in Folge dessen das durch die Hornlippen gebildete Larven-
maul trichterförmig erweitert. Diese Bewegung kann aber die eigentliche
Mundhöhle, welche hinter dem queren Unterkiefer über dem grossen embryona-
len Zungenbeinapparate liegt, und die sich daran schliessende Schlundhöhle
nicht wesentlich verändern. Ursprünglich stellen beide allerdings einen weit
offenen Raum dar, welcher sogar höher als breit ist; allmählich wird er aber
niedriger und breiter, sodass er am Ende der ersten Larvenperiode zu einer
horizontalen Spalte geworden ist, welche Decke und Boden des ganzen Kopf-
darmraums sich berühren lässt {Taf. XIII— XV, XXI Fig. 360. 370, Taf.
XVI Fig. 202. 203. 298. 303). Soll nicht bloss das Larvenmaul kauen, son-
dern Nahrung, Wasser oder Luft in die Mundhöhle aufgenommen und von dort
weiter befördert werden, so muss der Boden der letzteren gleichfalls gesenkt
und darüber auf diese Weise ein freier Raum geschaffen werden-, dies geschieht
durch den M. depressor ossis hyoidei, welcher jederseits das laterale Ende des
Zungenbeinhorns rückwärts hebt, das mediale aber senkt, Dabei fixirt er diesen
Skelettheil für die oben erwähnte Oefmungsbewegung des M. geniohyoideus.
Die Schliessung des Mundes erfolgt, sobald die genannten Oeffn er erschlaf-
fen, durch die Thätigkeit der Kaumuskeln (Mm. temporalis, pterygoideus, mas-
seter). Wie schon erwähnt (S. 339. 340), rollen sie die Seitenstücke des Unter-
kiefers in einer Kegelfläche, deren Spitze im Hauptgelenke liegt, nach oben und
hinten um und heben sie lateralwärts ; dadurch wird das geknickte Mittelstück
quer gestreckt und nach vorn gehoben , zugleich aber an den Oberkieferbogen
gedrückt, welcher seinerseits durch die beiden Mm. retrahentes maxillae su-
perioris zurückgezogen, also dem Unterkiefer entgegengepresst wird. Da nun
der letztere durch seine quere Streckung die Krümmung der Unterlippe ab-
plattet, so passt sich ihr die angelagerte Fläche der Oberlippe an, und beide
verwandeln so den Mundtrichter in eine geschlossene quere Spalte. Zugleich
schliesst sich auch die Mundhöhle theils durch Erschlaffung des M. depressor
ossis hyoidei, theils durch die Wirksamkeit seines Antagonisten , des Zungen-
beinhebers, welcher an dem durch die Kaumuskeln fixirten Unterkiefer einen
festen Ursprungspunkt erhält. Da aber die Bewegungen des Mundhöhlen-
bodens Drehungen um eine quere, die seitlichen Zungenbeingelenke verbindende
Axe sind, so muss meiner Ansicht nach eine Hebung vor dieser Axe (Mund-
höhle) mit einer Senkung dahinter (Schlundhöhle) zusammenfallen, sodass der
654 IX. Der Kopf.
Inhalt der Mundhöhle durch ihre Schliessung ganz natürlich in die Schlund-
höhle geschoben wird.
Es bleiben noch einige Bildungen im Bereiche der Nasenhöhlen zu er-
wähnen. An den letzteren sind, nachdem sie die zuletzt geschilderte Ausbil-
dung erlangt, zwei Abtheilungen zu unterscheiden: die weitere obere Höhle
mit der eigentlichen Geruchsplatte und der untere enge Ausgang in die Mund-
höhle {Tat. XVI Fig. 302, Taf. XVIII Fig. 326, Taf. XXI Fig. 377). Die
erstere liegt allein auf der Stammplatte und stösst hinten mit blindem Ende
an die vordere Schädelwand ; aus ihrer vorderen, unter der äusseren Oeffnung
gelegenen Bucht geht abwärts und einwärts ein kleiner Blindsack ab , welcher
von oben durch ein horizontal aus der Wand hervorgewachsenes Blättchen be-
deckt wird, abwärts sich aber mit einer Drüse verbindet, welche vom Mund-
epithel aus sich zwischen die beiden Zwischenkieferschenkel entwickelt (Kiefer-
drüse Letdig Nr. 81 S. 30). Es dürfte daher jene Ausstülpung der Nasen-
höhle einem JACOBSONSchen Organ , welches mit beiden Haupthöhlen des Ge-
sichts in Verbindung steht, verglichen werden. Auch fehlt der Nasenhöhle der
Batrachier eine besondere knorpelige Umhüllung nicht. Der Boden und die
gemeinsame Scheidewand entspringen allerdings aus der Stammplatte. Das
Dach und die Seitenwand der Nasenhöhle werden aber von einem Knorpel-
blatte überdeckt, welches der bindegewebigen, pigmentirten Unterlage des
Nasenepithels dicht anliegt, aber von der angrenzenden Schädelwand und der
Nasenscheidewand anfangs leicht getrennt werden kann, sodass mir seine
Uebereinstimraung mit den eigenen Knorpelkapseln des Auges (Sklerotikal-
knorpel) und des Ohres nicht zweifelhaft ist {Taf. X VIII Fig. 331, Taf. XIX
Fig. 336). Der Nasenknorpel umkreist die äussere Nasenöffnung von
hinten und innen, wo er später mit dem Schädel und der Nasenscheidewand
verschmilzt, und legt sich ferner mit einem gekrümmten dünnen Blatte über
die ganze vordere äussere Fläche der Nasenhöhle; dabei umfasst er auch das
JACOBSON'sche Organ, dessen untere Kommunikation ihn durchbohrt, und
schickt auch einen Fortsatz in das erwähnte horizontale Blättchen, worauf
dasselbe eine unbestreitbare Aehnlichkeit mit einer Nasenmuschel erhält (vgl.
Ecker Nr. 90 S. 33). Rückwärts erreicht diese vordere äussere Platte des
Nasenknorpels dessen hinteren Theil, aus dem ihr eine kurze Spitze entgegen-
wächst, nicht; ein anderer Fortsatz desselben Theils, der Orbitalfortsatz des
Nasenknorpels, erstreckt sich seitwärts auf die Leiste des (Jaumenbeinknorpels
und verbindet sich mit ihr je länger desto fester. Er umwächst den Scitcnzweig
1. Der Vorderkopf. 655
des N. nasalis und erhöht die vordere Augenhöhlenwand (Taf. XIX Fig. 335,
336. 342). Der kanalförmige enge Ausgang der beschriebenen weiten Nasen-
höhle entsteht dadurch, dass die noch nicht verbundenen Wirbelbogenhälften
als getrennte Anlagen der Stammplatte den ursprünglichen Blindsack der Nase
in seiner halben Fläche von innen her eindrücken, sodass der untere Theil des-
selben nach seiner Verbindung mit dem Epithel der Mundhöhle um den Rand
der Stammplatte gekrümmt und abgeplattet bleibt (Taf. XVIII Fig. 322).
Daher besitzt er, obgleich spaltartig eng, eine gewisse Höhe und sagittale
Länge und verdient den Namen eines Nasenrachenganges. Seine Mündung
liegt in dem Winkel zwischen der Stamm- und der Flügelgaumenplatte, und
ist vor dem Beginn oder Metamorphose schräg nach innen gerichtet, sodass
ein wulstiger lateraler Saum sie von unten bis auf das vorderste Ende verdeckt
(Fig. 323). In der Basis dieser wulstigen Lippe entwickelt sich später ein
festes Band, welches an der Aussenseite der Nasenöffnung zwischen jenen
beiden Knorpelplatten ausgespannt, aus kurzen Fortsätzen derselben entspringt
(Fig. 327. 331). Von diesen bezeichnet der vordere ohngefähr die Grenze
zwischen Stammplatte und Zwischenkiefer; der hintere scheidet ebenso die
Flügelgaumenplatte in den medianen Graumenbeinknorpel und den late"
ralcn Flügelbeinknorpel. Unterdessen hat sich jene wulstige äussere
Lippe der inneren Nasenöffnung eigenthümlich weiter entwickelt {Fig. 329).
Nach vorn setzt sie sich in einen niedrigen Wall fort, welcher bogenförmig
mit dem anderseitigen zusammenstösst und so den Gaumenbogen bildet.
Vom vorderen Ende der Nasenöffnung an wächst die genannte Lippe, indem
sich ihre Bildung in der ursprünglichen schrägen Richtung über die ganze
Bauchfläche des Gaumen- und Flügelbeinknorpels fortsetzt, zu einer dünnen
aber breiten Platte aus, welche horizontal gegen die Medianebene gerichtet ist.
einen vorderen queren und einen medialen nach hinten und aussen gekrümmten
Rand besitzt, der mit kurzen Zäpfchen besetzt ist. Nach ihrer Lage gehört
sie vorn dem medialen, hinten dem lateralen Gesichtsfortsatze an; ihre Be-
ziehungen zur inneren Nasenöffnung und zur Mundhöhle gestatten sie als
Gaumenleiste zu bezeichnen. Die Spalte, welche zwischen beiden nach hinten
divergirenden Gaumenleisten liegt und nach vorn sich gleichsam innerhalb des
Gaumenbogens erweitert, stellt alsdann eine mediane Gaumenspalte dar.
Verwüchse dieselbe, so entstände auch bei den Batrachiern ein vollständiger
Gaumen als Boden einer weiten gemeinsamen Fortsetzung der beiden kurzen
Nasenrachengänge ; und selbst für eine Theil ung dieses Raums findet sich eine
656 IX- Der Kopf.
Anlage in unseren Larven, indem ein medianer dreizipfeliger Fortsatz zwischen
den Gaumenleisten aus der Mundil öhlendecke hervorwäclist. Alle diese Bil-
dungen beginnen sich zurückzubilden, sobald die Larvenmetamorphose eintritt,
welche auch alle übrigen Theile des Vorderkopfs wesentlich verändert.
Die Larven metamorph ose der Batrachier ist eine Periode im Ge-
sammtverlaufe ihrer Entwicklung, welche sich dadurch auszeichnet, dass eine
Anzahl von bereits funktionirenden Organen und Organsystemen in relativ
kurzer Zeit wesentlich und in gegenseitiger Anpassung verändert werden, und
dadurch das Bild einer gründlichen Umwälzung in der gesammten Organi-
sation und Oekonomie der Larve hervorgerufen wird. Es darf jedoch dabei
die Vorstellung nicht Platz greifen, als wenn die wichtigste Veränderung, näm-
lich diejenige des Ernährungssystems, die ausschliessliche Ursache der ganzen
Metamorphose oder diese ein Entwickelungsvorgang sui generis sei, ohne rechte
Analogie im übrigen Entwickelungsverlaufe. Man hat sich daran gewöhnt,
den Begriff der in Rede stehenden Larvenmetainorphose in durchaus unnatür-
licher Weise so zu bestimmen, dass sie im Verluste gewisser provisorischer
Larvenorgane bestehe (vergl. Haeckel Nr. 100 II S. 24. 25); diese auf die
äussere Erscheinung beschränkte und daher von den Ursachen derselben ganz
absehende Auffassung muss aber nothwendig den Schluss provoeiren, dass die
Gesammtveränderung eine Folge jenes Verlustes der provisorischen Larven-
organe sei. Gegenüber den entwickelungsgeschichtlichen Thatsachen scheint
mir aber eine solche Vorstellung ganz unhaltbar zu sein. Einmal findet jeder
Verlust einen Ersatz oder eine Ausgleichung durch korrelative Ausbildung-
anderer Theile : an die Stelle der Kiemen treten die Lungen, die räumliche Re-
duktion des Kiemenapparats steht im Zusammenhange mit der stärkeren Ent-
wickelung des davor liegenden Unterkiefers und Flügelgaumenbogens, die Ver-
änderung der Fresswerkzeuge mit der Umbildung des Darms, und die Korre-
lation in der Ausbildung des Schwanzes und des übrigen Bewegungsapparats
habe ich schon früher erörtert (S. 616). Ferner verläuft die korrelative Aus-
bildung der bleibenden Theile im allgemeinen gleichzeitig mit der Rückbildung
der provisorischen Organe, sodass ebenso oft die erstere die Ursache zu sein
scheint als umgekehrt. So finden wir bei den Anurenlarven die Lungenath-
mung in energischer Ausbildung begriffen, während die innere Kiemenathmung
noch in vollem Flor steht, und im Zusammenhange damit schwindet auch die
letztere relativ, d. h. im Veihältniss zur Bildung des ganzen Thiers bis zur Ge-
schlechtsreife, viel früher als bei den Tritonen, deren Lungen viel später zu
I. Der Vorderkopf. (357
funktioniren anfangen; ferner ist bei den Tritonen, deren Kiemenapparat beim
Mangel innerer Kiemensäcke eine viel geringere räumliche Reduktion erfährt
als bei den Anuren, auch der Unterkiefer von Anfang an stärker und vor-
springender entwickelt als bei den letzteren. Kurz, alle bezüglichen Beobach-
tungen reden der Auffassung das Wort, dass das Wesen der Metamorphose
nicht in den einzelnen Rückbildungen, sondern in der gegenseitigen Anpassung
gewisser in verschiedenem Grade entwickelter Theile beruhe , wobei Rückbil-
dung und Fortbildung sich gegenseitig bedingen und zum Ganzen in bestimm-
tem Wechselverhältnisse bleiben. Dann werden wir aber auch in der Larven-
metamorphose nur eine besondere Form der korrelativen Entwicklung erkennen,
welche bereits in der embryonalen Periode deutlich genug, aber in der äusseren
Erscheinung weniger auffallend hervortritt, weil die Differenzirung aller Körper-
theile weniger weit vorgeschritten ist. Und wenn man darauf Gewicht legen
wollte, dass es in dein ersten Falle sich um Theile handle, wrelche bereits funk-
tionirt haben, in dem andern Falle aber um histologisch und physiologisch
noch indifferente Embryonalanlagen, so erinnere ich an die Stammuskeln des
Hinterkopfes und die Haftorgane der eben ausgeschlüpften Larven, welche voll-
kommen, aber nur bis zum Anfange der zweiten Larvenperiode, mit welcher
das physiologische Gesammtleben erst beginnt, funktioniren, und deren alsdann
eintretende Rückbildung doch wohl nicht den Anfang der Larvenmetamorphose
bezeichnen soll. Es kommt der letzteren folglich nur eine, wenn ich so sagen
darf, praktische, nicht theoretische Bedeutung zu, indem gewisse Entwicklungs-
vorgänge aus Ursachen , die ich erst an einer anderen Stelle erörtern will , auf
eine Zeit verschoben sind, welche uns für eingreifende Veränderungen un-
gewöhnlich spät erscheint. Mit welchem Recht soll erst später untersucht
werden. Bei einer solchen Beurtheilung der Larvenmetamorphose kann die
Beschreibung ihrer einzelnen Erfolge nur eine einfache Fortsetzung der voran,
gegangenen Darstellung sein. — Während der aufgetriebene Bauch der Larve
durch die beträchtliche Verkürzung des Darmkanals abschwillt, um erst in
einen walzenförmigen, dann einen abgeplattet breiten Rumpf überzugehen,
während ferner der Lokomotionsapparat in der Stammuskulatur eine reichere
Gliederung, in den wachsenden Gliedmassen eine stärkere Entwickelung erfährt,
dafür aber im Schwänze das seitherige Ruderorgan verliert, ist es eigentlich der
Kopf, an welchem sich die mannigfaltigsten Veränderungen vollziehen. Sie
lassen sich leicht in zwei Gruppen scheiden, welche sich auf den Vorder- und
den Hinterkopf vertheilen, nämlich für diesen als Rückbildung des Kiemen
Gof.ttk , Entwickelungsgeschichte. 42
658 IX. Der Kopf.
apparats, für jenen als Umbildung des Kieferapparats. Zunächst beschäftigt
uns nur der letztere.
Der eigentliche Gesichtstheil wird während der Larvenmetamorphose
einer merklichen Reduktion unterworfen (Täf. XVIII, XIX). Zuerst schwin-
det die Hornlippe mit ihren Muskeln, sodass der obere Mundrand sich bis auf
den horizontalen unteren Rand der Kieferknorpel zurückzieht (Fig. 336. 336).
Ferner verkürzen sich die Zwischenkieferhälften bis zur Gestalt zweier nach
unten und aussen gekrümmten unansehnlichen Fortsätze der Stammplatte-, die
Oberkieferknorpel lösen sich von ihnen ab, schrumpfen zu niedrigen Platten ein
und büssen ihre Verbindung mit dem M. temporalis ein {Flg. 337. 343). Diese
Schrumpfung der Knorpeltheile des vorderen Gesichts geht Hand in Hand mit
einer Zusammenziehung des lockeren Bindegewebes, welches sie vorn bedeckte
und den relativ grossen seitlichen Zwischenraum zwischen ihnen , den Nasen-
kapseln und dem Unterkieferbogen ausfüllte. Es verwandelt sich in ein dich-
tes Binde- und Bildungsgewebe, und zieht sich mit den darin enthaltenen
Zwischen- und Oberkieferknorpeln bis zum unteren Umfang der unterdessen
vergrösserten Nasenkapseln hinauf, welchem es sich in Form eines das Vorder-
ende des Gesichts abschliessenden, abwärts in den oberen Mundrand aus-
laufenden Bogens eng anschliesst. Die Nasenkapseln dehnen sich vorherrschend
in die Breite aus, woran insbesondere ihr knorpeliger Boden oder die Stamm-
platte theilnimmt, sodass die inneren Nasenöffnungen lateralwärts verschoben
sich von einander entfernen (vgl. Fig. 329. 332). Zugleich wächst am Ur-
sprünge des jede dieser Nasenöffnungen lateralwärts umziehenden Bandes ein
halbmondförmiger Fortsatz der Stammplatte hervor, welcher dasselbe theil-
weise ersetzt, sowie auch der Gaumenbeinknorpel eine Spitze in jenes Band vor-
schiebt (Fig. 337). Diese nunmehr theilweise knorpelige laterale Einfassung
der inneren Nasenöffnung bezeichnet die Wurzel des jederseitigen hinteren Ab-
schnitts vom Gaumenbogen, welcher im übrigen mit der sich ausdehnenden
Stammplatte flach in die Breite ausgezogen den vorderen und seitlichen Umfang
der Nasenkapseln umschreibt. Daraus erhellt aber, dass der sich ausdehnende
Gaumenbogen endlich sehr dicht nach innen von dem sich aufwärts um die
Nasengegend zusammenziehenden Oberkieferbogen zu liegen kommt, dessen
hinteres Ende mit dem atrophischen Oberkieferknorpel sich gleichfalls an den
lateralen Vorsprung des Gaumenbeinknorpels befestigt {Fig. 332. 330. 337).
Während aber der Gaumenbogen in den vollendeten Zustand des Batrachier-
kopfes mit hinübergenommen wird, atrophiren die Gaumenleisten so weit, dass
1. Der Vorderkopf. 659
an ihrer Stelle der schmale Gaumenbogen auf den Flügelbeinknorpel fortgesetzt
erscheint. Mit jenen Leisten schwindet auch der ganze wulstige Saum der
inneren Nasenüfihungen, welche in Folge der Ausdehnung der Nasenhöhlen aus
der früheren schräg seitlichen Lage in eine horizontale übergehen; durch diese
Veränderungen verlieren sie die ursprüngliche Form kurzer abgeplatteter
Kanäle (Nasenrachengänge) und werden zu unmittelbaren OefFnungen der
Nasenhöhlen mit weiter runder Lichtung. — Aehnlich dem Gaumenbogen er-
hält auch der Oberkieferbogen eine Art Fortsetzung nach hinten, indem
zwischen seiner konvexen Aussenseite und dem vorderen Gelenkende des
Quadratbeinknorpels sich ein breites Band entwickelt {Fig. 335 — 337. 342.
343). Diese Anlage eines unteren Jochbogen s steht anfangs von dem hin-
teren Theile des Oberkieferbogens ziemlich weit nach aussen ab. In Folge des
queren Wachsthums des Gaumenbeinknorpels erreicht aber sein laterales Ende
jenen Jochbogen, welcher also davor mit dem Oberkieferbogen völlig verschmilzt
und selbst rückwärts dem unterdessen in sagittaler Richtung lang ausgezogenen
P'lügelbeinknorpel und dem von ihm getragenen hinteren Gaumenbogen eine
Strecke weit sich eng anschliesst. — Schon während der Metamorphose beginnen
an dem geschilderten Gesichtsskelete Verknöcherungen aufzutreten. Zuerst
bilden sich schmale und dünne knöcherne Platten, welche die Zahnwurzeln des
oberen Mundrandes befestigen und verbinden. Diese Alveolarplatten zerfallen
jederseits in ein vorderes und ein hinteres Stück ; die beiden vorderen schliessen
sich den Zwischenkieferknorpeln an, welche mit ihren hinteren von der Stamm-
platte und der Nasenscheidewand abgelösten Enden sich aufrichten und ganz
verknöchern. Die 0 s s a i n t e r m a x i 1 1 a r i a des ausgebildeten Thieres bestehen
daher aus einem aufgerichteten medialen und einem unteren horizontalen
Seitenstücke, von denen nur das erstere knorpelig vorgebildet aus dem ersten
Kopfwirbelbogen hervorging. An die Zwischenkieferbeine schliesst sich jeder-
seits eine Alveolarleiste, welche nach aussen von dem atrophischen und alsbald
ganz verschwindenden Oberkieferknorpel gelegen und in wechselnder Länge in
dem unteren Jochbogen sich fortsetzend als Os maxillare beschrieben wird.
Mit den genannten Knochen verbindet sich medianwärts eine schmale horizon-
tale Knochenplatte , welche im Gaumenbogen entsteht und daher ein echtes,
wenngleich unansehnliches Homologon eines nicht zum medianen Abschluss
kommenden harten Gaumens darstellt. Der hinterste Abschnitt des Joch-
bogenbandes verknöchert ebenfalls und zieht zugleich einen kleinen Theil vom
Gelenkende des Quadratbeinknorpels in seine Verknöcherung hinein, sodass
42*
660 IX. Der Kopf.
das Os jugale an der Herstellung der Gelenkgrube betheiligt ist (vgl. Ecker
Nr. DO S. 36). Die Nasenbeine gehören als Deckknochen der Nasenkapselo
durchaus nicht in dieselbe Kategorie wie die Schädeldachknochen; dagegen
dürfen zum eigentlichen Schädel mit mehr Recht die Pflugscharbeine ge-
rechnet werden, welche anfangs an der Grenze von Schädelbasis und Stamm-
platte sich ebenso bilden wie dahinter das sogenannte Os sphenoideum. Die
V erknöcherang des Vorderrandes der knorpeligen Schädelkapsel (Os en ceinture)
habe ich in den von mir untersuchten Entwiekelungsstufen nicht beobachtet.
Bei der Metamorphose des Unterkieferbogens greifen ebenfalls Rückbildung
und Wachsthum in einander, um den Kauapparat denveränderten Verhältnissen
anzupassen. Wenn der laterale Abschnitt des Unterkieferbogens durch das
mit ihm verbundene Larvenmaul zu einer sehr schrägen Lage nach vorn ge-
drängt war, der Unterkiefer alsdann nur einen queren Träger der unteren Horn-
lippe darstellte, so wächst er in dem Masse zu einem weiten Bogen aus, als sein
Suspensorium oder der Quadratbeinknorpel nach der Atrophie jenes zeit-
weiligen Kauapparats zusammenschrumpft und nach hinten rückt, wo ihm der
reducirte Zungenbein- und Kiemenapparat Platz machen. Dabei stellt sich
der Quadratbeinknorpel aufrecht und später sogar von oben nach hinten und
unten. Während dieser Lageveränderung löst er seine Kontinuität mit dem
Schläfenflügelknorpel des Schädels, um nach einer kurzdauernden Selbst-
ständigkeit mit dem letzteren neuerdings und zwar etwas rückwärts von
der ersten Stelle bleibend zu verschmelzen. Jene allerdings vergängliche
Trennung, wobei der Quadratbeinknorpel über die Aussenfläche des Schädels
hinzugleiten scheint, lässt seine Homologie mit dem gleichnamigen Theile
anderer Wirbelthiere deutlich hervortreten. Die Gelenkgrube für das Zungen-
beinhorn verstreicht, sobald das letztere sich herauslöst um einer eigenthüm-
lichen Umbildung zu unterliegen. Auch der Jochfortsatz schrumpft; ein Theil
von ihm geht aber in die Verknöcherung des oberen Jochbogens (vorderer Arm
des Os tympanicum, Processus zygomaticus Ecker Nr. 90, S. 35) ein, wesshalb
auch der von jenem Fortsatze entspringende M. masseter später an dem be-
zeichneten Knochen befestigt erscheint. Mit dem Zurückweichen des Quadrat-
beinknorpels geht eine Verlängerung des unteren Jochbogens und des Flügel-
beinknorpels Hand in Hand; der letztere wird dabei aus seiner queren Lage, in
welcher er die unmittelbare Fortsetzung des Gaumenbeinknorpels darstellt, von
demselben nach hinten abgebogen und sagittal gestreckt. Von dem Deck-
knochen dieses Flügelbeinknorpels heisstes, dass er rückwärts in zwei Schenkel
1. Der Vorderkopf. 661
ausläuft, von denen der eine dem Knorpel folgt, der andere nach innen zum
Felsenbeine ablenkt (Ecker Nr. 90, S. 37). Dies muss dahin berichtigt wer-
den , dass schon der Knorpel einige Zeit nach der Metamorphose sich an seiner
Wurzel spaltet und darauf der theilweise verknöcherte innere Schenkel sich
dem Deckknochen des äusseren Schenkels anschliesst. — Mit dem Quadrat-
beinknorpel müssen natürlich auch die Kaumuskeln sich wieder steil aufrich-
ten, woljei die Ursprungsenden der Mm. temporalis und pterygoideus sich theils
auf den Schläfenflügel, theils auf das Schädeldach verschieben.
Die Umbildung des Unterkiefers erfolgt nicht einfach so, dass sein mehr-
fach gebogener querer Verlauf in horizontaler Richtimg sich zu einer kontinuir-
lichen Bogenlinie ausdehnt , sondern mit einer gleichzeitigen Drehung seines
Mittelstücks. Eine solche findet in der Larvenzeit bei der Streckung dieses
Stückes während der Schliessung des Mundes statt; dass aber während der
Metamorphose der Mund ziemlich beständig geschlossen bleibt, geht schon
daraus hervor, dass das Fressen eingestellt wird und die Oeffner des Mundes
mit Ausnahme der Mm. genio-hyoidei atrophiren ; die letzteren werden erhal-
ten, weil sie bei einer Fixirung des Unterkiefers durch die Kaumuskeln als Anta-
gonisten der Mm. sterno-hyoidei zu wirken haben. Indem also während jener an-
haltenden Schliessungslage das geknickte Mittelstück des Unterkiefers wächst,
richtet sich seine mediane Spitze ganz nach vorn und streckt es sich quer in der
ganzen Breite des Unterkieferbogens. Dabei weichen ihm die ursprünglich gleich-
falls queren Seitenstücke aus, welche durch die weite Verschiebung des Unter-
kiefergelenkes nach hinten in eine sagittale Richtung gerathen. Dass bei einer
solchen Umbildung des dreifach gebogenen Unterkiefers der Larve in einen kon-
tinuirlichen Bogen die unvollkommenen Gelenke in seinem Verlaufe ganz ver-
schwinden, brauche ich kaum zu bemerken. Wenn aber die eigentlichen Kau-
muskeln des sich metamorphosirenden Kieferapparates erhalten bleiben, so
tritt an die Stelle der schwindenden Senker des Unterkiefers ein neuer M. cl e -
pressormandibulae, welcher vom Unterkieferende etwas rückwärts gegen
die Schädeldecke ausstrahlt und die noch zu erwähnenden Schlundmuskeln
verdeckt. Zur Zeit, wann der Schwanzstummel nur noch als ein kleiner Kegel
sichtbar ist, finde ich die Anlage dieses Muskels noch aus spindelförmigen, nur
zum Theil in Stränge verschmolzenen Zellen bestehend.
Nach dieser Einzelbeschreibung lassen sich die wesentlichen Momente in
der ganzen Umwandlung des Kieferapparates übersehen. Die Anurenlarven
besitzen zwei bewegliche Kieferhälften , welche aber nicht die Rahmen zweier
662 ]X- Der Kopf.
entgegengesetzten Mundflächen darstellen, deren Oeffnen und Zusammen-
scbliessen dazu diente, die Nahrung zu ergreifen und zu kauen, sondern welche
im allgemeinen quergestellt als Träger der beiden Hornlippen oder des vor der
eigentlichen Mundhöhle befindlichen und von ihren Bewegungen unabhängigen
Kauapparats fungiren. Dadurch , dass er bei der Oefi'nung eine Trichterform
annimmt, kann er zum Ergreifen der Pflanzenblätter , welche die Nahrung der
Anurenlarven ausmachen, nicht gerade geschickt sein. Es ist mir daher sehr
wahrscheinlich, dass, indem der Trichter an eine Blattfiäche angedrückt und
dann dahinter die Mundhöhle erweitert wird, eine saugende Wirkung auf jene
Fläche ausgeübt und durch Kauen des etwas eingezogenen Blattes Theile des-
selben abgelöst und dann in die Mundhöhle aufgenommen werden. Es wäre
also der Kauapparat der Anurenlarven dem Cyklostomenmaul zu vergleichen,
ihre Mundhöhle dagegen, welche mit der Schlundhöhle sich wechselsweise
öffnet und schliesst, ausser zu jenem Ansaugen nur noch zur Fortbewegung der
aufgenommenen Stoffe bestimmt (vgl. S. 653). Die Umwandlung besteht nun
darin, dass unter Schwund des saugenden und kauenden Larvenmauls das
Kieferskelet rückwärts die Mundhöhle umrahmt und so zwei horizontal zusam-
menschliessende Mundflächen bildet, von denen die obere oder der Oberkiefer
unbeweglich mit dem ganzen Kopfe verbunden die feste Wand bildet, gegen
welche der an hinteren Gelenken deckelartig bewegliche Unterkiefer angepfesst
werden kann, sodass die Nahrung nunmehr unmittelbar von den Kiefern er-
griffen wird und in die Mundhöhle gelangt. Der eigenthümliche Bau des Kie-
ferapparats der Anurenlarven ist daher daraus zu erklären, dass er eine der
unvollendeten Entwickelung des späteren Kieferapparats zeitweilig angepasste
Vorrichtung zu einer dennoch relativ vollkommenen Nahrungsaufnahme darstellt.
2. Der Hinterkopf.
Der embryonale Hinterkopf hat die Form eines kurzen Cylinders und ist aus
drei segmentalen Ringen zusammengesetzt (vgl. S. 216 — 225). Denkt man sich
aber die innere Auskleidung oder den kontinuirlichen und vollständigen Darm-
blattcylinder entfernt, so ist nur der erste Abschnitt, der Zungenbeinbogen, ring-
förmig geschlossen ; die folgenden Kiemenbögen hören im mittleren und oberen
Keimblatte an der Grenze des Perikardialsackes auf, welcher ihre unteren Enden
auseinanderhält. Später wachsen jedoch die Seitenplatten dieser Bögen median-
wärts zwischen den Perikardialsack und das Darmblatt und schliessen dort die
2. Der Hinterkopf. 663
eigentliche Schlundwand auch im mittleren Keimblatte cylinderisch ab (Taf.
XIII— XV). Indem endlich der Perikardialsack sich in die Bauchgegend zu-
rückzieht, und an seiner Stelle nur die Fortsetzung des mittleren Bauchmuskels
(Mm. sterno-, genio-hyoidei) zurückbleibt, fällt diese und die sie deckende Ober-
haut der Schlundgegend anheim (Taf. XVIII Fig. 328, Taf. XX Fig. 348).
- Der Rückentheil des Hinterkopfes enthält in der medianen Region das Hin-
terhirn, darunter die Wirbelsaite mit den inneren Segmenten-, zur Seite dieser
Anlagen liegen die Wurzelstücke der drei lateralen Segmente, zwischen deren
erstes und zweites (2. und 3. des ganzen Kopfes) das Ohrbläschen sich von
aussen einschiebt (Taf. VII Fig. 12 t). Die Seitenwand des Hinterkopfes oder
die Schlundwand besteht vorn im Anschlüsse an den Unterkieferbogen aus dem
Zungenbeinbogen, welcher im lateralen Abschnitte jederseits nur das zweite
laterale Kopfsegment, an der breiteren Bauchseite daneben auch noch Reste der
Seitenplatte enthält (Fig. 130. 131). Die hinter dem Zungenbeinbogen gelegenen
Kiemenbögen werden je weiter nach hinten desto kürzer und bestehen zum
grösseren Theile aus den verschmolzenen Schichten der Seitenplatte, während
die sie von aussen deckenden lateralen Segmente nur als dünne Streifen er-
scheinen {Taf. XIII.X VI). Da das Ohrbläschen gerade über dem ersten Kiemen-
bögen sich entwickelt und das dorsale Wurzelstück des dritten lateralen Kopf-
segments nach hinten verdrängt, so beschreibt dasselbe einen Bogen um die
hintere und die Bauchseite des Gehörorgans, ehe es in den Kiemenbögen ein-
tritt. Das vierte laterale Kopfsegment vertheilt sich, wie ich es früher erklärte,
auf die drei anderen , d. h. den 2. — 4. Kiemenbögen.
Vom dorsalen Stammtheile des Hinterkopfes sind das Hinterhirn
und der Schädel bereits ausführlich beschrieben worden. Ebenso bemerkte ich
schon (S. 217), dass die drei inneren Segmentpaare im allgemeinen dieselbe
Entwickelung zeigen wie die entsprechenden Rumpfsegmente, mit dem Unter-
schiede jedoch, dass sie zum Theil unvollständig bleibt oder einer Rückbildung
anheimfällt. In ihremlnnern entstellt jederseits neben der Wirbelsaite einMuskel-
strang , an dem man die Abtheilung für das dritte und vierte Segment längere
Zeit deutlich, diejenige für das zweite Segment dagegen nur unsicher oder gar
nicht erkennt (Taf. XVI Fig. 303, XVII, Fig. 304. 314—316). Dafür er-
zeugt das letztere allein von den Stammsegmenten des Hinterkopfes eine Ner-
venanlage, welche nach ihrer Lage, medianwärts neben derjenigen des zu-
gehörigen lateralen Segments (N. facialis), für ein Homologon eines Spinalgan-
glions gelten darf (Taf. XVI Fig. 302, Taf. XVII Fig. 315). Diese Ansicht
664 IX- Der Kopf.
wird dadurch unterstützt, dass der aus dieser Anlage entspringende Gaurn en-
nerv in der Region der Stamm segmente bleibt, und da ein solches im Zungen-
beinbogen fehlt, sich in den entsprechenden Theil des Vorderkopfes begibt. Unter
dem ersten Wirbelbogen , dicht neben seiner Verbindung mit dem Schläfen-
migelknorpel, gelangt der Gaumennerv an die Bauchfläche der vorderen
Schädelbasis und folgt ihr jederseits bis zur Gaumengegend {Taf. XVIII Fig.
320). Doch hindert nicht bloss jene Deutung des Gaumennerven, einer zweiten
gesonderten Nervenbildung desselben Stammsegments, nämlich dem Hörnerven,
die gleiche Bedeutung zuzuschreiben. Denn der letztere geht aus einer
histologischen Differenzirung des zwischen dem Hinterhirne und dem Ohrbläs-
chen eingezwängten Bildungsgewebes hervor, gleicht also darin durchaus dem Ge-
ruchsnerv, welcher mit den Stammsegmentnerven des Vorderkopfes nichts
gemein hat. Allerdings verbindet sich aber sehr bald die Anlage des Hör-
lici ven abwärts mit derjenigen des N. facialis, welche von vorn und unten dem
Ohrbläschen angeschmiegt ist, sodass beide Nerven, obgleich sie genetisch durch-
aus nicht zusammengehören, später aus einer gemeinsamen Wurzel entspringen
{Taf. XVI Fig. 288—291. 296, Taf. XVII Fig. 304. 314. 315). Im übrigen
verwandelt sich die Hauptmasse der Stammsegmente des Hinterkopfes unter
Verlust ihrer segmentalen Gliederung in interstitielles Bildungsgewebe, welches
ausser den noch besonders zu beschreibenden Gefässen den Skelettheilen jener
Gegend (hintere Schädelhälfte) zur Grundlage dient {Taf. XV, XXI Fig. 369
— 371). Dieses schon ursprünglich hervortretende Uebergewicht des Bildungs-
gewebes über die unvollständigen primär -morphologischen Anlagen in den
Stammsegmenten des Hinterkopfes wird noch durch eine nachfolgende Rück-
bildung ihrer Muskeln erhöht, welche durch die Entwickelung der hinteren
Schädelbasis nach hinten gedrängt und ausser Thätigkeit gesetzt , atrophiren
und mit ihren Resten jederseits in den M. intertransversarius capitis inferior
aufgenommen werden (S. 460).
Die Unvollständigkeit und Rückbildung jener primär -morphologischen
Anlagen der Stammsegmente wird durch [die reichere Entwickelung der zuge-
hörigen lateralen Segmente aufgewogen, welche alle Muskeln und die meisten
und wichtigsten Nerven des Hinterkopfs liefern und durch ihre die Stammseg-
mente überwiegende sagittale Ausdehnung dieselben rückwärts so weit über-
ragen, class der dorsaleRumpftheil in den Kopf eingekeilt erscheint. — Bevor das
erste dieser Segmente oder das zweite des ganzen Kopfes die Bauchseite des
Znngenbeinhogens erreicht hat, sondert sich sein dorsaler Wurzeltheil zu einem
2. Der Hinterkopf. 665
schräg aufgerichteten spindelförmigen Nervenknoten ab, dessen obere Verbindung
mit dem Hörnerven bereits erwähnt wurde, und dessen untere Fortsetzung im
Zungenbeinbogen zum N. f aci ali s wird (Taf VII Fig. 131, Taf XIII Fig. 233,
Tu f. XIV Fig. 250, Taf XVI Fig. 290. 204). Jener Nervenknoten liegt anfangs
frei zwischen dem Ohrbläschen und dem GASSER'schen Ganglion; später, wann
der Zwischenraum zwischen diesen Theilen sich bedeutend verengt, kommen
die beiden Nervenknoten in der Bucht des Schädelraums, welche zwischen dem
Sehläfenflügelknorpel und der Ohrkapsel entsteht, in Berührung und ver-
schmelzen so weit, dass ihre beiden Massen nur durch eine leichte Einschnürung
unterscheidbar bleiben (Taf. XVIII Fig. 326). Dagegen vereinigt sich
die ganglionäre Anlage des N. palatinus mit dem Ganglion des N. facialis
sehr bald vollständig , sodass der erstere in der Folge nur wie ein Zweig des
Gesichtsnerven erscheint. Der letztere versorgt sämmtliche Muskeln des
Zungenbeinbogens. Sein Stamm folgt vom M. depressor mandibulae verdeckt
und dem Quadratbeinknorpel angeschmiegt dem Verlaufe jenes Muskels bis zu
dessen Ansatzpunkte, dem Unterkieferende, schlägt sich sodann um dieses an
die Innenseite des Unterkiefers, um derselben entlang nach vom zu verlaufen
(Taf. XVIII Fig. 326. 328. 329, Taf. XIX Fig. 335. 336, Taf XX Fig.
348.) Er bezeichnet also, sowie er im vorderen Theile des Zungenbeinbogens
sich entwickelte , auch späterhin die Grenze desselben gegen den Unterkiefer-
bogen. Auf diesem Verlaufe giebt der Stamm des Gesichtsnerven einen stär-
keren Zweig an der Mitte des Unterkiefersenkers ab , welcher an die Aussen-
seite dieses Muskels tritt, gerade abwärts ziehend auch den M. levator ossis
hyoidei überschreitet und dann an der Bauchseite des Zungenbeinbogens den
vierten gleich zu erwähnenden Muskel desselben versorgt. Die Entwickelung
der Muskulatur des Zungenbeinbogens entspricht insofern derjenigen
des Unterkieferbogens , als in jenem ebenfalls frühzeitig ein mittlerer heller
Zellenstrang von kompaktem Gefüge als Muskel anläge, welche mit der Nerven-
anlage in Verbindung bleibt, sich von der umgebenden, mehr lockeren und pig-
mentirten Schicht von interstitiellem Bildungsgewebe absondert, und ferner
dieser Zellenstrang der Form des ganzen Zungenbeinbogens entsprechend in
einen oberen lateralen und einen ventralen Abschnitt zerfällt (Taf VII, XIII,
XIV). Der erstere füllt mit seiner Umhüllung von Bildungsgewebe , welches
gleichfalls vom äusseren Segmente abstammt, den Seitentheil des Zungenbein-
bogens vollständig aus, da die Seitenplatte dort schon vorher verdrängt war;
er spaltet sich in den Senker des Unterkiefers und den Senker des Zungenbeins,
666 XL Der Kopf.
welche erst allmählich auseinandertreten (Taf. XV Fig. 272, Taf. XVI Fig.
294. 290). Die ventrale Muskelmasse des Zungenbeinbogens wächst mit einer
Portion gerade vorwärts (M. levator ossis hyoidei), mit einer andern aber ebenso
wie der M. submentalis quer gegen die Medianebene, in der er mit seinem
Gegenstücke durch Vermittelung eines zarten Sehnenstreifens zum M.subhyoideus
sich verbindet {Taf. XVII I Fig. 328). Als Erzeugniss eines lateralen Segments
deckt er alle übrigen Theile des mittleren Keimblattes, welche aus der inneren
Segmentschicht (Mm. sterno-, genio -hyoidei) oder der Seitenplatte (Zungenbein)
hervorgegangen in seinem Bereiche liegen. Die ersteren sind schon mehrfach
erwähnt, die Umbildung der ventralen Seitenplatte des Zungenbeinbogens aber
noch nicht erörtert worden.
Anfangs , wenn die Grenzfalte oder die künftige Decke des Perikardial-
raumes unmittelbar hinter dem queren Kiefertheile des Vorderkopfes aufsteigt,
existirt ein besonderer Bauchtheil des Zungenbeinbogens ebensoAvenig als ein
solcher des Unterkieferbogens : beide Bögen laufen unter der ersten Schlund-
falte unmerklich aus {Taf. VII Flg. 110. 120). Erst während der allgemeinen
seitlichen Abplattung und Verlängerung des Embryo dehnt sich auch der Raum
vor der Grenzfalte so weit aus, dass die hinunterwachsenden lateralen Segmente
jener beiden Bögen auch deren ventrale Abschnitte abstecken können; bevor
aber der Unterkieferbogen seinen queren ventralen Schluss erhält, haben seine
Seitenhälften bereits angefangen, jene Drehung nach vorn und aussen um eine
an ihrer hinteren Grenze oder in der ersten Schlundfalte befindlichen Axe aus-
zuführen , wodurch zwischen ihren einander zugekehrten inneren Flächen die
im Frontaldurchschnitte dreieckige innere Mundhöhle entsteht. Dadurch muss
die noch indifferente Schlüsselte beider Bögen in dem Boden der neuen Mund-
höhle eine entsprechende Ausdehnung von annähernd dreieckiger Gestalt
erahren {Taf. XIV Fig. 249 — 253). Die beiden lateralen Segmente des Unter-
kieferbogens benutzen aber diese Vergrösserung des ihnen zugewiesenen ven-
tralen Raums nicht, indem sie während der gedachten Drehung eine Wachs-
thumsrichtung nach vorn, unten und innen erhalten , und so jenen dreieckigen
Mundhöhlenboden nur mehr mit konvergirenden Schenkeln, deren hintere
Theile nur Bindegewebe enthalten, einrahmen. Dafür breitet sich die ventrale
Seitenplatte des Zungenbeins, welche bereits durch den Perikardialsack in zwei
nach vorn konvergirende Hälften angeordnet war, in derselben Gestalt in jenen
davor befindlichen Baum aus. Wesentlich beeinfiusst wird die Entwickelung
dieser Seitenplatte noch durch die Anlage der Schilddrüse. Sie ent-
2. Der Hinterkopf. CHT
wickelt sich aus einer Grube des Darmblattes, welche als Rest der früher
bestandenen, durch die mediane Verwachsung der Oberhaut und des Darm-
blattes hervorgerufenen Einsenkimg des letzteren hinter dem Unterkieferbogen
zurückblieb (Taf. VII Fig. 127—130, Taf. XIII— XV, XVI Fig. 292. 293).
Anfangs hängt sie noch nach vorn mit der medianen Scheidewand zusammen,
welche jenen Bogen durchsetzt-, nach dem Schwunde derselben erscheint die
Anlage der Schilddrüse als ringsum freie, trichterförmige Vertiefung des Darm-
blattes, welche durch die geschilderte Ausdehnung des Mundhöhlenbodens in
den vorderen Theil des Zungenbeinbogens geräth und dadurch von vorn her
einen Einschnitt in dessen Seitenplatte veranlasst. Indem sich nun die letztere
zu einer ventralen Knorpelanlage des Zungenbeinbogens verdichtet, nimmt die-
selbe die durch die genannten Formbedingungen vorgeschriebene Gestalt an:
sie besteht aus einer queren Platte, welche von beiden Seiten medianwärts und
nach vorn sich verbreitert, aber gerade in der Mitte durch die Schilddrüsen-
anlage einen so tiefen Einschnitt erfährt, dass sie dadurch in zwei nach vorn
konvergirende Seitenhälften zerfällt {Tu f. XVII Fig. 309). Wo diese Hälften
oder die grossen Zungenbeinhörner hinter dem sie trennenden vorderen
Einschnitte zusammenstossen , bildet sich eine weichere Verbindungsmasse,
unter welcher und dem sich dahinter anschliessenden Zungenbeinkörper die
Schilddrüsenanlage in zwei divergirende Schenkel ausläuft, deren Enden sich
zuletzt als kugelige Massen abschnüren, während der Stiel atrophirt* (Taf.
XVI Fig. 298, Taf. XVII Fig. 319, Taf. XVIII Flg. 332—334). Die
Seitentheile der grossen Zungenbeinhörner sind schmäler aber dicker als die
platten Mittelstücke und besitzen zwei seitliche Höcker, einen vorderen, auf-
wärts gerichteten, welcher zur Seite der ersten Schlundfalte mit dem Quadratbein-
knorpel in Gelenkverbindung tritt, und einen hinteren, weiter nach aussen vor-
ragenden Höcker, welcher den Hebelwirkungen des Zungenbeinhebers und
-senkers zum Angriffspunkte dient (Taf. XVI, XVIII). Der M. subhyoideus
befestigt sich jederseits an der Bauchfläche desselben Höckers und mag schon
in der Larvenzeit den Schlundhöhlenboden heben. Nach der Larvenmetamor-
phose thut er es gewiss, und zwar im Anschlüsse an einen andern Muskel,
dem die Stellvertretung des geschwundenen M. levator ossis hyoidei zufällt. Es
ist der M. submaxillaris , welcher jedoch in der Larvenzeit so schwach ist,
dass ihm eine nennenswerthe Wirkung nicht zugeschrieben werden kann (Taf.
* Eine ausführliche Entwicklungsgeschichte der Schilddrüsen des Frosches hat W,
Mueller geliefert (Nr. 71 111).
668 IX. Der Kopf.
XVIII Fig. 328). Er entspringt an der Hinterfläche des Unterkiefers mich
aussen von den Lippenmuskeln und strahlt unter den Mm. genio-hyoidei fächer-
förmig gegen die Medianebene aus, so dass seine vordersten Fasern quer, die
hintersten schräg rückwärts verlaufen und mit einigen vorgeschobenen Fasern
des M. snbhyoideus sich sehr frühe verbinden. Während der definitiven Um-
bildung des Unterkiefers breitet sich der Ursprung des M. submaxillaris über
die ganze Länge der lateralen Unterkieferstücke aus und nimmt in Folge ihrer
Lageveränderung eine vollständig quere Stellung ein {Taf. XX Fig. 348).
Die beiderseitigen Muskellagen verbinden sich gerade so wie der M. subhyoideus
durch einen medianen Sehnen streifen und erreichen jenen Muskel wenigstens in der
Mitte, sodass die Anatomen bisher beide Muskeln bloss für zw"ei Partien eines ein-
zigen ansahen (vgl. Ecker Nr. 90 S. 74). Nach ihrer Entwickelung* und ihren
Ursprüngen sind sie aber füglich zu trennen. Die späte Ausbildung des M. sub-
maxillaris ist aus dem provisorischen Kieferapparate der Larve verständlich :
sie war verhindert durcli die quere Lage des ganzen Unterkiefers, und zudem der
Muskel zur Hebung des Mundhöhlenbodens überflüssig, da dieselbe bereits
durch die breiten Zungenbeinhörner besorgt wurde. Sobald diese letztere
Thätigkeit in der Metamorphose aufhört, tritt die Funktion des M. submaxillaris
an ihre Stelle; da es mir aber für die Schling- und Athembewegungen nöthig
scheint, dass der Boden der Mundhöhle und derjenige des Schlundes nicht
gleichzeitig, sondern wie ich es von der Larve beschrieb, nacheinander gehoben
werden, so halte ich auch die Wirkungen des M. submaxillaris und M. sub-
hyoideus weder für gleichzeitige noch für durchaus analoge. Wird der erstere
einem M. mylo-hyoideus verglichen, so dürfte der andere einem M. stylo-hyoideus
am meisten entsprechen.
Der von den grossen Zungenbeinhörnern getragene, nach vorn verschmä-
lerte und daher beinahe dreieckige Mundhöhlenboden ist anfangs glatt und
eben; darauf erhält er seitlich kleine runde Papillen, aus seiner Mitte
wächst aber ein ganz neues Organ hervor — die Zunge {Taf. XV Fig. 283,
Taf. XVI Fig. 303, Taf. XVII Fig. 318, Taf. XVIII Fig. 330). Sie ent-
wickelt sich unmittelbar hinter dem Ursprünge der Schilddrüse, und da die
quere Scheidewand der beiden ursprünglichen Mundräume, der äusseren
Mundbucht und der inneren Mundhöhle, über dem Unterkiefer aufsteigt, so ist
::: Es kommt mir sehr wahrscheinlich vor, dass der M. submaxillaris nicht aus dem
Zungenbeinbogen, in dessen Gebiete er später liegt, sondern aus dem Unterkieferbogen her-
vorgeht.
± Der Hinterkopf. 669
die Bildungsstätte der Zunge ganz unzweifelhaft der ursprüngliche Darmraum.
Ihre Anlage besteht in einem nach vorn gerichteten Auswüchse des Darmblattes
und des zwischen diesem und dem Zungenbeine befindlichen Bildungsgewebes
der Seitenplatte, in welchem ich längere Zeit jede Spur von Muskeln vermisste.
Diese scheinen erst während der Metamorphose aus einer einheitlichen An-
lage hervorzugehen, welche von der Zungenbasis nach vorn (M. genio-glossus)
und hinten (M. hyo-glossus) ausstrahlt und erst nach begonnener Bildung der
Muskelfasern sich in zwei Massen sondert. Nach ihrem Ursprünge sind diese
Muskeln von allen übrigen Kopfmuskeln verschieden und nur der gleichfalls
aus der Seitenplatte (Visceralblatt) hervorgehenden Darmmuskulatur ver-
gleichbar. — Im Anfange der histologischen Differenzirung des Zungenbein-
und Unterkieferbogens beginnt auch die Rückbildung der sie trennenden ersten
Schlundfalte. Nachdem sie sich von der Oberhaut wieder abgelöst und ihre
beiden Blätter lateralwärts zu einer einfachen Platte verschmolzen sind,
schrumpft dieselbe zu einem unansehnlichen Klümpchen zusammen, welches
sich endlich vom medialen Theile abschnürt und entweder ganz vergeht oder
den gleichen Resten der zweiten Schlundfalte sich anschliesst, woraus, wie ich
weiter unten zeigen werde, die Halsdrüse entsteht (Taf. XV Fig. 271. Taf.
XVI Fig. 294. 295. 300, Taf. XV IL Flg. 807).
Die Umbildung des Zungenbeinbogens in der Larvenmetamorphose erfolgt
im innigen Anschlüsse an diejenige des Kiemenapparats, dessen Ent-
wickelungsgeschichte daher der Betrachtung der ersteren vorangehen soll. —
Wenn wir die anfangs weite und namentlich hohe Kopfdarmhöhle allmählich
in einen viel breiteren aber spaltförmig niedrigen Raum sich verwandeln sehen,
so sind die Ursachen davon unschwer in der Form- und Lageveränderung der
Seitentheile jenes Darmraumes oder der so oft genannten lateralen Bögen des
Kopfes zu erkennen. Darin gehen die zwei ersten und zugleich stärksten, der
Unterkiefer- und der Zungenbeinbogen, voran, indem sie aus der ursprünglich
nahezu senkrechten Lage in eine schräg nach vorn und unten gerichtete über-
gehen, und ihre unteren Abschnitte horizontal umlegen, wodurch die Höhe der
von ihnen umschlossenen Mundhöhle in zweifacher Weise verkürzt wird. Diese
Umbildung der beiden ersten Bögen beeinflusst diejenige der Kiemenbögen um
so mehr, als sie schwächer angelegt sind und zwischen jene und den Rumpf
eingekeilt sich nach allen Seiten äusseren Formbedingungen zu fügen haben.
Indem der Zimgenbeinbogen sich besonders stark zur Seite ausbaucht, zieht er
den ersten Kiemenbögen zu derselben Breite aus, während der letzte Kiemen-
670 IX- Der Kopf.
bogen in der zwischen Kopf und Rumpf entstandenen Einschnürung zurück-
gehalten wird; es muss folglich die Gesammtheit der Kiemenbögen schräg nach
aussen und hinten gerichtet werden, wozu sich allmählich, in Anpassung an die
betreffende Lage der zwei ersten Kopfsegmente noch die Richtung nach hinten
und unten gesellt (Taf. XIV, XVI, XXII). Und selbst eine ventrale
Umlagerung ihrer unteren Seitenflächen kommt an den Kiemenbögen zu
Stande , obgleich dem ganzen Kiemenapparate eine freie Bauchseite anfangs
fehlt. Der Boden der Schlundhöhle, welcher die ganz lateralen Kiemenbögen
beider Körperseiten mit einander verbindet, ist zugleich die Decke des Perikar-
dialraums und muss durch dessen stete Erweiterung ebenso beständig gehoben
werden {Taf. XIV. XV, XXI Flg. 369—371). Dadurch werden aber die
Kiemenbögen nach aussen vorgewölbt und endlich ihre unteren Abschnitte seit-
lich vom Schlundhöhlenboden beinahe horizontal umgelegt, sodass die darin
enthaltenen Schlundfalten und ihre alsbald entstehenden spaltförmigen äusseren
Mündungen nach unten und hinten sehen, während die oberen Kiemenbogen-
abschnitte, in deren Bereiche die Schlundfalten die Oberhaut nicht durch-
brechen, aus- und aufwärts gekehrt bleiben. — Nach der Feststellung dieser
allgemeinen Lageverhältnisse der Kiemenbögen gehe ich zur Entwickelungs-
geschichte ihrer äusseren Segmente über.
Im ersten Kiemenbögen erzeugt das dritte laterale Kopfsegment den N.
glosso-pharyngeus, dessen Wurzel hinter dem Ohrbläschen mit dem
Ganglion des folgenden Hauptnerven, des N. vagus, verschmilzt (Taf. XVI).
Von dort beschreibt der mit einem sehr lauggezogenen Ganglion versehene N.
glosso-pharyngeus den schon erwähnten Bogen unter das Gehörorgan, um seinen
Kiemenbögen zu erreichen, und entsendet, bevor er in denselben eintritt, eine
Anastomose zum N. facialis, den R. communicans. Im weiteren Verlaufe durch
den ersten Kiemenbögen versorgt der N. glossu-pharyngeus dessen ebenfalls
aus dem äusseren Segmente hervorgegangene Muskeln (Taf. XVIII Fig.
325 — 328). Es sind ihrer drei, welche nach ihrer Lage als Kiemenöffner
zu bezeichnen sind. Der obere entspringt breit und dünn am Schädel, ver-
deckt den oberen Verlauf des Nerven und setzt sich über der ersten Kiemen-
spalte und mit ihrer Axe einen nach vorn offenen Winkel bildend an der Aussen-
fläche des Kiemenbogens an; ebenfalls an der Ausscnfiäche, aber tiefer, befindet
sich die Insertion des zweiten Muskels, welcher am Aussenrande des Zungen-
beinhorns entspringt; der dritte und unterste endlich ist wie der vorige schmal
und platt und an der Bauchseite des Kiemenbogens zwischen diesem und dem
2. Der Hinterkopf. 671
Innenrande des Zungenbeinhorns ausgespannt. Er enthält in der Larvenzeit
das Ende des N. glosso-pharyngeus. — Das vierte und letzte laterale Kopfseg-
ment bildet an seiner Wurzel das Ganglion und den Stamm des N. vagus,
welcher anfangs über den Stammuskeln des Kopfes und später zwischen den
beiden Mm. intertransversarii capitis nach aussen hervortritt (vergl. S. 460).
Seine Verbindung mit dem N. glosso-pharyngeus habe ich oben erwähnt; die-
jenige mit dem Hinterhirn erfolgt wohl zur selben Zeit wie an den übrigen
Hirnnerven. Unter jener Nervenanlage theilt sich das vierte laterale Segment
in 3 Streifen für den 2.-4. Kiemenbogen {Taf. XV Fig. 275. 276, Taf.
XVIII, XXI Fig. 371. 377). Der vorderste liefert nur einen oberen Kiemen-
öffner des zweiten Kiemenbogens , demjenigen des ersten Bogens in Beschaffen-
heit und Befestigung ähnlich, und den zugehörigen zweiten Kiemennerv , wel-
cher sich alsbald bis zum Ganglion vom gemeinsamen Stamme abspaltet. Der
zweite Streifen des vierten Segments zieht an der Aussenseite des dritten
Kiemenbogens hinab , welcher die Vorderwand der zwischen dem Kiemen-
apparate und dem Rumpfe frühzeitig angelegten und sich immer mehr ver-
tiefenden Tasche bildete, sodass sie endlich bei äusserer Ansicht der enthäuteten
Larve sich dem Blicke ganz entzieht. Die Muskeln dieses Segmentstreifens
sind der dritte obere Kiemenöffner, welcher in allem den zwei ersten entspricht,
und weiter unten der gemeinsame Ki einen s chliesser, der am Grunde jener
Tasche vom unteren Ende des dritten Kiemenbogens entspringt und an der
unteren Grenze des gauzen Kiemenapparates, also lateralwärts vom M. sterno-
hyoideus ziemlich horizontal nach vorn verläuft, alle Kiemenbogen unten um-
greift und an der Bauchfläche des ersten endigt. Nach dieser Lage kann es
freilich zweifelhaft erscheinen, ob der bezeichnete Muskel zum zweiten Theile
des vierten lateralen Segments gehöre. Mir scheint aber seine Innervirung
durch den zweiten Ast des N. vagus entscheidend zu sein, während die
Verschiebung des Insertionsendes über den ursprünglichen Bezirk hinaus eine
ganz gewöhnliche Erscheinung ist. Dasselbe gilt für einen anderen Muskel,
welcher von der Basis des Kiemengerüstes entspringend unter den vom Bulbus
arteriosus kommenden Gelässstämmen zum Zungenbeinkörper zieht, und in
welchen hinein ich einen Ausläufer des zweiten Vagusastes verfolgen konnte.
Der dritte Abschnitt des vierten lateralen Kopfsegments, welcher hinter der
fünften Schlundfalte auf den vierten Kiemenbogen fällt, verwandelt sich eben-
falls in einen oberen flachen Muskel mit seinem Nerven. Es sind aber dieselben
nicht nur für den vierten und kleinsten Kiemenbogen bestimmt. An der
672 IX- Der K°Pf-
äussersten Kopfgrenze gelegen schliesst er sich nämlich in dein Masse, als die
schräge Verschiebung des Kiemenapparates nach hinten erfolgt, der unmittel-
baren Fortsetzung der Schlundhöhle von aussen an, welche beim Uebergange
in den Rumpf noch eine ungespaltene Seitenplatte um die Darmblattrühre ent-
hält (Taf. XV Fig. 27 ö. 270, Taf. XVI Fig. 303, Taf. XVII Fig. SOS. 318).
Dieser vorderste Abschnitt des Vordarms stellt in seiner unteren Hälfte die mit
der darüber liegenden Speiseröhre noch weit kommunicirende Anlage des Kehl-
kopfes dar; und daher kommt es, dass die Hälfte unseres Kiemenmuskels schräg
gegen den Kehlkopf ziehend sich an ihm befestigt und der betreffende Nerv
zum vorderen Kehlkopf aste desN. vagus wird. Dieser hinterste Ast
der im vierten Kopfsegmente entstehenden Nervenanlage spaltet sich in Folge
seiner tiefen Lage nur wenig vom gemeinsamen Stamme ab, und erscheint daher
als ein Seitenzweig, der zweite und stärkste Ast (3. Kiemennerv) dagegen als
die eigentliche Fortsetzung desselben {Taf. XVIII Fig. 326. 327).
Wenn die bisher beschriebenen drei Vaguszweige die einzigen ursprüng-
lichen und nach ihrer Entstehung zusammengehörigen sind, so verbinden sich
doch im Laufe der Entwickelung ganz heterogene Nervenanlagen mit dem N.
vagus, welche später als seine Aeste , der eine sogar als der eigentliche Vagus-
stamm gelten. Es sind dies die Seitennerven und der Eingeweideast
des N. vagus. Jedoch gibt es im Vorderkopfe einen Seitennerven, welcher
selbstständig bleibt, den ich aber hier mit beschreiben will. — Zur Zeit, wann
die Sonderung des zweiten lateralen Segments im Zungenbeinbogen beginnt,
bemerke ich eine längliche Verdickung der Oberhaut zwischen dem Gassee'-
schen Ganglion und demjenigen des Gesichtsnerven {Taf. XIII Fig. 233). Das
obere Ende dieser Verdickung löst sich von der übrigen Haut ab, wächst bis
zum Hinterhirn hinauf, mit dem es sich verbindet und verwandelt sich in einen
Nervenstamm (Taf. XV Fig. 272, Taf. XVI Fig. 291. 294. 295, Taf XVII
Fig. 304). Die eigentliche Hautverdickung wird gangliös und zieht sich eben-
falls in einen zweitheiligen Nerven aus, der mit der Oberhaut in eigenthüinlicher
Verbindung bleibt, indem er die in seinem Verlaufe entstehenden Seitenorgane
des Kopfes versorgt (Taf. XIX Fig. 344. 345). Sein Stamm kommt über dem
Orbitalflügelknorpel hervor, theilt sich hinter dem Auge und umfasst dasselbe
innen und aussen, um darauf in der Kiefergegend auszulaufen (Taf. XVIII Fig.
325 — 327). An gehärteten Larven ist sein Verlauf schon äusserlich an den
Seitenorganen kenntlich, welche Reihen von hellen Punkten darstellen. Ebenso
entsteht etwas später der dorsale und der ventrale Seitennerv des Rumpfes.
2. Der Hinterkopf. 673
Der erstere geht von einer gangliosen Anschwellung aus , welche dicht hinter
dem Ganglion des N. vagus in horizontaler Richtung sich von der Haut ablöst und
wegen dieser Lage sich leicht mit jenem Ganglion verbindet; der aus dieser An-
lage ausgesponnene Nervenstamm verläuft in der schon erwähnten Seitenlinie
des Rumpfes, also längs der Grenze zwischen den oberen und unteren
Stammuskelhälften (Taf. XIV Fig. 251. 202—265. Taf. XV Fig. 276—
278, Taf. XVI Fig. 291. 296. 802, Taf XVII. Fig. 305). Bei den Anuren-
larven wird jedoch durch die starke Auftreibung des Bauches und die Abhebung
der Oberhaut von den tieferen Organen die Reihe der Seitenorgane aus ihrer
ursprünglichen Lage aufwärts verdrängt ; bei den Tritonen verharrt sie aber in
derselben (Taf. XVIII Fig. 325. 326, Taf. XIX Fig. 341. 342). Da übrigens
Stannius (Nr. 80 II S. 148) und Fischer (Nr. 82 S. 34) an Tritonen nur einen
Seitennerven des Rumpfes kennen, so bemerke ich, dass ihre Larven ebenso
wie Proteus und Menobranchus drei solcher Nerven besitzen, indem sowohl
über dem beschriebenen ein oberster Seitennerv verläuft, als auch der ventrale
vorkommt. Der letztere entwickelt sich übrigens bei der Unke ebenso selbst-
ständig wie der obere Seitennerv an der vorderen Grenze des Rumpfes, vor der
Anlage des M. scapulo-mastoideus und ihr parallel; aufwärts verbindet er sich
mit dem Hauptstamme des Vagus ziemlich entfernt vom Ganglion, in der Nähe
der Bauchseite wendet er sich rückwärts, um in einer grossen S-förmigen
Biegung die Spinalnerven zu kreuzen (Taf. XV Fig. 276, Taf XVI Fig. 300,
Taf. XVI II Fig. 325 — 327). — Der Eingeweideast des N. vagus besitzt eben-
falls eine durchaus selbstständige Anlage in einem länglichen Ganglion, welches
sich jederseits in der Wand der Speiseröhre über der Lungenwurzel bildet und
daher dem ursprünglichen Vagusstamme sehr nahe liegt (Taf XVIII Fig.
327). Er verbindet sich zuerst mit demselben dicht unter dessen Ganglion
durch einige dünne Fädchen, dann immer fester, indem er sich ihm abwärts
eine Strecke weit anlegt, sodass der Eingeweideast endlich ziemlich tief unter
dem Ganglion vom N. vagus abgeht (Taf. XIX Fig. 343). Und wenn er bis-
her für den Stamm des N. vagus gehalten wurde, aus welchem die Schlund- und
Hautzweige mit wesentlich anderem Ziele entsprängen, so erhellt aus den ange-
führten Thatsachen, dass dieser in einer gemeinsamen Wurzel vereinigte Nerven-
komplex gar nicht aus einer einheitlichen Nervenanlage, ja nicht einmal inner-
halb derselben Embryonalanlage sich entwickelt, vielmehr der typische Kopf-
nerv nur in der Verzweigung der Schlundnerven und des vorderen Kehlkopfastes
zu suchen ist, während die Hautäste und der scheinbare Stamm (Eingeweideast)
Ooette, Eutwickelungsgeschichte. 43
(374 IX Der Kopf.
nach Genese und Wirkung ganz anderen Gebieten des Rumpfes angehörig und
ohne eigene Verbindimg mit dem Centralnervensytem erst nachträglich sich
jenem typischen Kopfnerven anschliessen.
Von der Seitenplatte der Kienienbögen habe ich schon erwähnt,
dass ihr Bildungsgewebe allmählich zwischen den Perikardialsack und das
Darmblatt wächst und auf diese Weise die inneren Theile der Kienienbögen
zum ventralen Schlüsse und ausserhalb des Bereichs der Schlundfalten zur
kontinuirlichen Wiedervereinigung bringt. Dieses Bildungsgewebe verbindet
sich vorwärts mit der Anlage der grossen Zungenbeinhörner und geht rückwärts
in die Seitenplatte des Rumpfes über, welche den unmittelbar angrenzenden
Darmtheil, die Kehlkopfanlage, gleichfalls zwischen Perikardialsack (Sinus
venosus) und Darmblatt (Kehlkopfepithel) an der Bauchseite umgreift (Taf,
XIV— XVI). Die erste histologische Umbildung der Seitenplatte des
Kiemenapparats beginnt aber nicht in dem eben geschilderten neugebildeten
Theile des Schlundhühlenbodens und im Anschlüsse an die ihm homologen
vorderen Zungenbeinhörner, sondern in den lateralen Kienienbögen selbst. In
jedem derselben entsteht nämlich eine Knorpeln nlage, welche, seiner Axe
folgend, zwischen dessen äusseren Segmenttheilen, Muskeln und Nervenstämmei),
und der inneren Darmblattauskleidung einen entsprechend gebogenen cyliu-
drischen Stab darstellt, welcher aufwärts an die Schädelbasis anstösst, und
dessen uuteres Ende in dem Schlundhöhlenboden eine Fortsetzung erhält
(Taf. XVI, XVII). Zwischen dem vordersten Paare dieser einander gegen-
überstehenden unteren Fortsetzungen der Kiemenknorpel finde ich ein geson-
dertes medianes Stück , welches mit dem homologen Mittelstücke der ersten
Zungenbeinhörner in Verbindung steht; und aus dem späteren Verhalten der
übrigen Kuorpelanlagen schliesse ich, dass alleKiemenknorpelpaare im Schlund-
höhlenboden anfangs solche mediane Schlussstücke besitzen (Fi<j. 318). Dies
ist desshalb nicht leicht unmittelbar festzustellen , weil die Sonderung der ge-
nannten Anlagen im Schlundhöhlenboden nur kurze Zeit besteht; nachdem sie
aber dort zu einer kontinuirlichen Knorpelplatte, dem Zungenbeinkörper,
verschmolzen sind, zeigt derselbe in der Mittellinie eine Reihe flacher runder
Vorsprünge, welche ich eben auf jene Copulae beziehe (Taf. XV III Fig. 332).
Er füllt den ihm zugewiesenen Raum zwischen den grossen Zungenbein-
hörnern, den Kienienbögen und dem Rumpfe vollständig aus und entlehnt
daher seine Gestalt von den Grenzen des Schlundhöhlenbodens. Dieser ver-
schmälert sich von der grössten vorderen Breite, welche über der queren
•2. Der Hinterkopf. 675
Drehungsaxe beider Zungenbeinhörner liegt, nach hinten zu, ebenso wie es am
Mundhöhlenboden nach vorn zu der Fall ist, sodass beide einen rautenförmigen
Plan herstellen (Taf. XVIII Fig. 330). Der Zungenbeinkörper wird daher
zwei zum Kehlkopf konvergirende hintere Seitenränder erhalten , welche jeder-
seits die untere Grenze der bereits schräg verschobenen Kiemenbögen bezeich-
nen. An seinem hinteren Ende läuft er in zwei kurze Fortsätze aus, welche ab-
wärts vom letzten Kiemenknorpel gleich diesem schräg nach aussen und hinten
gerichtet sind und den Kehlkopf von unten umgreifen , sodass dieser in den
durch jene Fortsätze oder die hinteren kleinen Zungenbeinhörner ge-
bildeten Ausschnitt eingefügt erscheint. Lateralwärts von der Wurzel dieser
hinteren Hörner liegen die beiden Schilddrüsen. Der Vordertheil des Zungen-
beinkörpers zeigt dagegen entsprechend dem ihn aufnehmenden stumpfen
Winkel, unter welchem die vorderen Zungenbeinhörner zusammentreffen, eine
mediane Spitze. Die beiden von derselben ausgehenden Kanten stossen übrigens
nicht gerade auf die angrenzenden Kanten jener Hörner, sondern schieben sich
seitwärts etwas unter dieselben, sodass die sich senkenden Hörner des Zungen-
beins auch den Vordertheil seines Körpers hinunterdrücken, zugleich aber
dessen hintere Hälfte lieben.
Ich kann mich nun zum wichtigsten, dem eigentlichen respiratorischen
Theile des Kiemen apparats wenden. Sobald die Kiemenbögen nach aussen
vorgewölbt und ihre unteren, die äusseren Spaltmündungen enthaltenden Ab-
schnitte ventral umgelegt sind, beginnen an ihrer von der Oberhaut überzogenen
pigmentirten Aussenfläche fingerförmige Fortsätze auszuwachsen, welche unter
der Haut Bildungsgewebe mit je einer Gefässschlinge des den ganzen Bogen
durchziehenden Hauptgefässes (Aortenbogen) enthalten* {Taf. XIV — XVII).
Diese ersten äusseren Kiemenfransen sind auf das laterale Ende der ven-
tralen Kiemenbogenabschnitte beschränkt, was man aber erst bei einer gewissen
Ausdehnung der letzteren und der von ihnen eingefassten Kiemenspalten deut-
lich erkennt-, sie stehen büschelweise, sind am ersten Kiemenbögen am längsten
und nehmen bis zum dritten au Länge ab. Der vierte Kiemenbögen entwickelt
solche Kiemen nicht. Anfangs hängen sie frei in's Wasser hinein und sind
daher äusserlich sichtbar; bevor aber die hinteren genügend entwickelt sind,
* Eine ausführliche Beschreibung der Gefässverzweigungen in den äusseren Kiemen
der Froschlarven hat Rusconi geliefert (Nr. 6 S. 51—53); dieselben Organe der Unkenlarven
sind zu einer gleichen Untersuchung weniger geeignet, doch glaube ich Rusconi's Angaben
im allgemeinen auch für diese Larven bestätigen zu können.
43*
676 IX Der Kopf.
beginnt vorn die Bildung des Kiemendeckels, welcher sie alsbald völlig
verdeckt und der Ansicht von aussen entzieht {Taf. XV Fig. 273, Taf. XVI
Fig. 299—301, Taf. XVII). Die Oberhaut und das subepitheliale Bildungs-
gewebe des Zungenbeinbogens wachsen nämlich in einer wulstigen Falte über
dessen hintere Grenze hinaus-, diese Anlage des Kiemendeckels geht aber
nur über die ventralen, die äusseren Kiemenfransen erzeugenden Abschnitte der
Kiemenbögen frei hinüber, verwächst aber sowohl mit den oberen Abschnitten,
welche von den Schlundfalten nicht mehr durchbrochen werden, als auch unter
den Kiemenbögen mit der Hautbedeckung des Perikardialsackes , sodass die
Anheftung des Kiemendeckels aus einer geraden Linie in eine bogenförmige
übergeht, welche den respiratorischen Kiemenapparat von vorn her auf- und
abwärts umkreist. Hinter demselben geht sie nicht etwa auf den letzten im
Grunde der tiefen Grenzeinschnürung zwischen Kopf und Rumpf befindlichen
Kiemenbögen über, sondern umzieht diese ganze Bucht von oben, um dann
hinter ihr und sogar unmittelbar hinter der Anlage der vorderen Gliedmassen
auf der Bauchhaut fortzugleiten. In gleicher Weise umwächst der Kiemendeckel
den Kiemenapparat auch von unten, sodass sehr freier Band hinter und unter
demselben einen engen Zugang zu dem ganzen überdeckten Baume, dem
äusseren Kiemensacke oder der äusseren Kiemenhöhle, begrenzt {Taf.
XX Fig. 252 — 258). Solange jene Oeffnung noch breit und nicht weit nach
hinten vorgerückt ist, hängen die beschriebenen Kiemenbüschel aus ihr heraus;
sobald sie aber abwärts und rückwärts vorgeschoben sich in einen engen all-
seitig von der Oberhaut ausgekleideten Kanal verwandelt, werden jene Büschel
vollständig in den äusseren Kiemensack aufgenommen, welcher übrigens nach
dem Gesagten nicht nur die äusseren Kiemen , sondern auch die vordere Ex-
tremität beherbergt. Indem die beiderseitigen etwas abgeplatteten Kiemen-
gänge oder Athemr Öhren in der angegebenen Richtung gleichmässig vor-
rücken, stossen sie in der Mittellinie des Bauches zusammen und vereinigen sich
alsdann zu einer einzigen Oeffnung, welche noch weiter rückwärts wächst, so-
dass aus jener Vereinigung beider Röhren noch ein gemeinsames medianes End-
stück ausgezogen wird {Taf. XVIII Fig. 328). Diese Beschreibung der Athem-
röhren gilt übrigens zunächst nur für die Larven der Unke und der gemeinen
Kröte. Bei den übrigen Anuren verbinden sich beide Kiemensäcke durch einen
queren ventralen Kanal, ohne dass die Kiemendeckelöffnungen zusammen-
treffen, sodass der rechte Kiemensack, auch nachdem seine Oeffnung sich ge-
schlossen hat, durch jenen Verbindungskanal und die erhalten bleibende linke
2. Der Hinterkopf. 677
Oeffhung einen Ausgang behält (vergl. v. Baer Nr. 9 S. 304 — 305). Merkwür-
digerweise schweigen die späteren Darstellungen von jenem Verbindungskanale,
sodass der Schein erweckt wird, als wenn durch den Verschluss der rechten
Oeffnung der betreffende Kiemensack einen Ausgang überhaupt verliert (vergl.
Eemäk Nr. 40 S. 156, Eckee Nr. 41 Taf. XXIII Fig. XXVII XXIX). Die
Lage des unpaaren Kiemenlochs korrespondirt übrigens mit der Stellung des
Hautafters: ist jene median, so ist es auch diese, dem bloss linkerseits erhal-
tenen Kiemenloche entspricht eine Verschiebung des Afters an die rechte Seite
der ventralen Schwanzflossenwurzel.
Nachdem die Kiemendeckel vollendet, beginnen die in dem engen Kiemen-
sacke eingeschlossenen Kiemenfransen zu atrophiren ; dafür wachsen aber an
den bis dahin freien medialen Abschnitten der Kiemenspaltränder neue und
zwar verzweigte Kiemenfransen — bei den Fröschen sind auch die ersten ver-
zweigt — nach aussen hervor, welche kürzer als die ersten sind, aber dichter
und nach der Ausdehnung der ganzen Spalten in längeren Reihen stehen {Taf.
XVIII Fig. 325. 328, Taf. XIX Fig. 335). Da jeder Rand eine Kiemenreihe
trägt , so besitzen der erste und vierte Kiemenbogen je eine , der zweite und
dritte zwei Reihen. Ich bezeichne diese neuen Kiemen zum Unterschiede von den
ersten, am lateralen oder oberen Ende jedes Kiemenbogens entspringenden als
die medialen; diese beiden Gruppen sind aber nach ihrem Ursprünge an der
von der Oberhaut überzogenen Aussenseite der Kiemenbogen durchaus gleich-
werthige Bildungen und können daher ohne Rücksicht darauf, ob sie vom
Kiemendeckel stets verdeckt werden oder nicht, um so mehr gleicherweise
Au s s enk i e m e n genannt werden, als die Anurenlarven noch eine ganz andere
Art von Kiemen besitzen , welche weder an der Aussenseite des Körpers ent-
stehen, noch an dieselbe hervortreten. Diese Innenki einen entwickeln sich
nämlich an den einander zugekehrten vom Darmblatte überzogenen Flächen
einiger Schlundfalten. Von der ersten derselben war bereits die Rede; die
zweite bildet sich in ähnlicher Weise zurück, indem sich ihre beiden Blätter von
der Oberhaut trennen und lateralwärts zu einer einfachen Scheidewand ver-
schmelzen, sodass nur der mediale Abschnitt dieser Schlundfalte unmittelbar
vor dem inneren Kiemenapparat zu einer Seitenbucht der Schlundhöhle sich
eröffnet {Taf. XVII Fig. 317—319, Taf. XXI Fig. 369). Jene Scheidewand
trennt noch einige Zeit den ersten Kiemenbogen von der ihn nach aussen be-
deckenden Fortsetzung des Zungenbenibogens oder der Wurzel des Kiemen-
deckels ; später löst sie sich von dem medialen Darmblatte vollständig ab und
578 IX- ^er KoPf-
ballt sich zu einem runden Körperchen zusammen, welches als Haisdr üse
durchaus den ähnlichen Rückbildungsprodukten der Schlundfalten bei höheren
Wirbelthieren, den sogenannten Nebendrüsen der Schilddrüse entspricht (vgl.
Remak Nr. 40 S. 123) und daher mit einer Thymus nicht verglichen werden
kann, wie es durch Leydig geschieht (Nr. 81 S. 63. 64 Anm.j. Sie verschiebt
sich alsbald unter den ersten oberen Kiemenöffner {Taf. X VIII Fig. 325, Taf.
XIX Fig. 335). Die mediale Bucht der zweiten Schlundfalte befindet sich
nach dem Schwunde der sie ursprünglich vorn begrenzenden Muskeln des
Zungenbeinbogens und des hinter ihr liegenden ersten Kiemenknorpels zwischen
dem Quadratbeinknorpel und den Schlundmuskeln oder den umgewandelten
Kiemenöffnern und unter dem Stamme des Gesichtsnerven. Bald nach der
Metamorphose wird sie bei der Unke, einigen verwandten Anuren und allen
Urodelen (vgl. StanniusNi-. 80 II S. 161) vollständig ausgeglichen; bei anderen
Anuren (Rana, Bufo etc.) bleibt sie aber, wie ich es an Larven von Rana escu-
lenta fand, als Anlage der Paukenhöhle und der Tuba Eustachi i
erhalten.
Zeigen uns nun die zwei ersten Schlundfalten der Batrachierlarven eine
theilweise oder vollständige Rückbildung, so deutet die Entwicklung der fol-
genden Falten bei allen von mir untersuchten Anuren jedenfalls ihre ursprüng-
lichere Bestimmung an. Nachdem die Falte in ihrem unteren Theile die Ober-
haut erreicht hat, spaltet sie sich der Länge nach, sodass jedes Faltenblatt
einen eigenen lateralen Saum erhält {Taf. XIV Fig. 248). Diese Säume diver-
giren an der entgegenstehenden Einsenkung der Oberhaut so, dass sie dieselbe
zwischen sich fassen, und erst dann spaltet sich auch die Oberhautrinne, sodass
jeder Spaltrand der Oberhaut mit dem unter ihn geschobenen Darmblattsaum
verschmilzt {Fig. 254, Taf. XVII Fig. 308). Während nun an den Aussen-
flächen der Kiemenbögen die lateralen Aussenkiemen entstehen, entfernen sich
die beiden Blätter der früheren Darmblattfalten von einander und erzeugen so
je einen anfangs platten Raum, der aber durch beständige Erweiterung sich in
eine runde Höhle verwandelt {Fig. 317. 318, Taf. XXI Fig. 370). Dies hängt
natürlich lediglich von der Formveränderung der Kiemenbögen ab. Würden
sie ihre früheren Dimensionen in querer und sagittaler Richtung beibehalten,
so könnten sie auch später nur cylindrische Spangen und die ursprünglichen
Schlundfalten zwischen ihnen bloss die Auskleidung unmittelbarer Spaltöff-
nungen der Schlundhöhle darstellen. Indem sie aber frühzeitig sich in querer
Richtung ausdehnen und dabei dünner werden, verwandeln sie sich in wirk-
2. Der Hinterkopf. ß7<j
liehe Seheidewände der in der Bildung begriffenen Schlundfaltenräume oder
der inneren K i e me n h ö h len. Diese Ausbildung der Kiemenbögen bezieht
sich aber nicht auf ihre Aussenseiten , welche daher nicht zu dünnen Aussen-
rändern der queren weit auseinanderstellenden Innenwände werden und so die
Kiemenspalten ausserordentlich erweitern , sondern im Gegentheil von Anfang
an in sagittaler Richtung, rechtwinkelig zu jenen Wänden sich in demselben
Masse ausdehnen, als die letzteren sich von einander entfernen oder die
zwischenliegenden Höhlen sich erweitern 5 diese nach aussen und unten gewölb-
ten Aussenwände schliessen also die inneren Höhlen bis auf die ursprünglichen
Spaltöffnungen gegen den äusseren Kiemensack ab (Taf. XVIII Fiy. 330).
Doch ist die Betheiligung der einzelnen Kiemenbögen an der Herstellung des
inneren Kiemenapparats eine ungleiche. Da der erste Bogen mit seiner vorderen
Darinblattrläche theils die Paukenhöhlenbucht begrenzt, theils seitlich mit der
Wurzel des Kiemendeckels sich verbindet , so bildet er keine innere Kienien-
scheidewand, sondern nur die ausgedehnte Vorderwand der ersten inneren
Kiemenhöhle. Im 2. und 3. Kiemenbögen stossen die queren Innenwände auf
die Längsaxe der gewölbten Aussenwände; sodass der horizontale Durchschnitt
dieser Verbindung T-förmig wird; der 2. umschliesst die hintere Hälfte der
ersten und die Vorderhälfte der zweiten Kiemenhöhle, der 3. ebenso die zweite
und dritte Kiemenhöhle. Der 4. und letzte Kiemenbögen endlich legt sich in
Ermangelung einer sechsten Schlundfalte rückwärts und einwärts analen Kehl-
kopf an, sodass seine freie, etwas rückwärts geneigte Vorderfläclie zur hinteren
Schlusswand der dritten Kiemenhöhle wird, seine hintere Hälfte aber bereits in
die Zusammensetzung des Kehlkopfs eingeht. Auf diese Weise nehmen an der
Bildung des inneren Kiemen apparates nur zwei ganze Kiemenbögen, der 2. und
3., und zwei halbe, der 1. und 4., Theil. In die geschilderte äussere Formver-
änderang der Kiemenbögen werden aber nicht alle ihre inneren Bestandteile
gleichmässig hineingezogen ; indem sich ihre anfangs cylindrischen Knorpel in
der Aussenwand und mit ihr abplatten , schliessen sie die inneren Kiemenhöh-
len vollständig gegen die äusseren Segmente und die Aussenkiemen ab ; selbst
die Gefässstämme der letzteren, die Aortenbögen, bleiben in äusseren Längs-
rinnen der Knorpel liegen. Im ersten Kiemenbögen setzt sich die Knorpelplatte
auf die Vorderwand der ersten Kiemenhöhle fort, im letzten Bogen ebenso auf die
Hinterwand der dritten Höhle; wie weit dies in den Scheidewänden des 2. und
3. Bogens geschieht, weiss ich nicht. Die zwei ersten Knorpelplatten artiku-
liren am Zungenbeinkörper , die zwei folgenden verschmelzen alsbald mit dem-
680 IX- Der Kopf.
selben und unter einander zu einer einzigen von der kleinen dritten Kiemen-
spalte durchbrochenen Platte (Taf. XVIII Flg. 332). Aehnlich verbinden sich
die oberen Enden aller Knorpel einer Seite. — Die inneren Kiemenhöhlen wer-
den aber nicht bloss gegen einander und nach aussen in der beschriebenen
Weise abgeschlossen, sondern auch nach innen gegen die Mundhöhle. An den
beiderseitigen, nach hinten konvergirenden Grenzen des inneren Kiemenappa-
rats und des Schlundhöhlenbodens erhebt sich nämlich sehr frühe ein Wulst,
welcher sich darauf in eine niedrige aber breite Leiste mit zwei scharfen Rän-
dern verwandelt, von denen einer gegen die Schlundhöhle, der andere gegen die
Kiemenhöhle vorragt (Fig. 330. 370). Vorn und auswärts geht jene Leiste in
die Vorderwand der ersten Kiemenhöhle über; die zwei folgenden Scheide-
wände laufen an ihr mit vorspringenden Ecken aus, wodurch die Leiste feston-
artig geschweift erscheint. Die hinteren Ecken beider Leisten verbinden sich
quer vor dem Kehlkopfe, wobei sie eine ziemlich weite Kommunikation des
letzten Kiemenhöhlenpaars überdachen; der Kehlkopf wird daher vorn und
seitlich von einer kontinuirlichen Bucht, einer Art Vorhof, umgeben. Jener un-
teren Grenzleiste des inneren Kiemenapparats entgegen entwickelt sich von der
Schlundhöhlendecke ein länglicher Wulst, welcher vorn mit den Leisten, aber
hinten weder mit ihnen noch mit seinem Gegenstücke sich verbindet (Fig.
329). Auch reichen die queren Scheidewände nicht bis zu ihm hinauf, sodass
die drei Kiemenhöhlen unvollkommen geschieden bleiben. Immerhin bilden
die beiderlei Vorsprünge einen solchen Abschluss der Kiemenhöhle gegen die
Schlundhöhle , dass nur eine spaltförmige Verbinduug zwischen ihnen übrig
bleibt. An der Innenfläche unserer Kiemenhöhlen, welche ausschliesslich vom
Darmblatte gebildet wird , entwickelt sich eine nicht geringe Anzahl gegen die
äusseren Spalten rechtwinkelig auslaufender zarter Leistchen ; sie fehlen nur
an der glatt bleibenden Höhlendecke. Aus ihren Rändern sprossen kleine
kolbige oder verzweigte Blättchen hervor, welche ihnen ein zickzackförmiges
Aussehen verleihen. Diese Leistchen , welche mit ihren Auswüchsen die Ober-
fläche der inneren Kiemenhöhlen ansehnlich vergrössern, finde ich mit Blut ge-
füllt und kann sie daher nur für einen respiratorischen Apparat halten, woraus
sich die Bedeutung der inneren Kiemenhöhlen ergibt.
Während der Larvenmetamorphose gehen auch im Hinterkopfe Rückbil-
dung und Fortentwickelung neben einander her. Indem die lateralen Muskeln
des Zungenbeinbogens (Mm. depressor mandibulae , clepressor et levator ossis
hyoidei) schwinden, wird auch die ganze Hebeleinrichtung der grossen Zungen-
2. Der Hinterkopf. 681
beinhörner überflüssig. Es schwindet der den Zungenbeinkörper überragende
Rand ihrer breiten medialen Platten und macht einem Ausschnitte Platz;
medianwärts von diesem verschmelzen sie mit dem Körper und beschreiben von
diesem aus jederseits einen nach vorn konvexen Bogen , während ihre Seiten-
theile die Gelenkverbindung mit dem Quadratbeinknorpel aufgeben und sich
schlank ausziehend zur Schädelbasis hinaufwachsen , an der sie sich befestigen
(Taf. XVIII Fig. 332—334). Der Zungenbeinkörper wächst in die Breite und
erhält dadurch einen weiten Ausschnitt zwischen den Ursprüngen der grossen
Hörner; der hintere Seitenrand, welcher den Kiemenknorpeln zum Ansätze
diente, erscheint nach dem Schwunde derselben ebenfalls tief ausgeschnitten,
indem ein Ptest des ersten jener Knorpel ihn mit einer vorderen , das stärker
sich entwickelnde hintere Zungenbeinhorn mit einer hinteren Spitze versieht.
In den Grund dieses Ausschnittes hat sich jederseits die Schilddrüse einge-
bettet ; indem er sich aber rückwärts zusammenzieht, richtet sich der ursprüng-
liche Vorderrand des Zungenbeinkörpers immer entschiedener seitwärts und
wächst in derselben Richtung bogenförmig aus. Das ganze Wachsthum des
Zungenbeinapparats lässt ihn aber trotzdem im Verhältniss zu den übrigen
Kopftheilen bedeutend zurücktreten, sodass aus den breiten horizontalen
Knorpelstücken, welche den Boden der Mund- und Schlundhöhle in der Larven-
zeit vollständig einnahmen und die Schaukelbewegung seiner Hebung und
Senkung besorgten, ein von der Schädelbasis hinabhängendes schlankes
Knorpel- und Knochengerüst geworden ist , dessen ventrales Schlussstück nur
einen kleinen Theil des Mundhöhlenbodens einnimmt und mit seinen Be-
wegungen unmittelbar nicht viel zu thun hat, Während es in dieser seiner
früheren Funktion durch die zum Theil neugebildeten Mm. subhyoideus und
submaxillaris ersetzt wird, erscheint es dagegen mehr als eigentliches Zungen-
*
bein, d. h. als Träger der stärker anwachsenden Zunge. — Die am meisten
in die Augen fallende Veränderung am Hinterkopfe ist der Schwund des Kie-
menapparats. Zuerst schrumpfen und schwinden die Aussenkiemen mit den
sie stützenden Knorpeln, worauf auch die Kiemenspalten sich schliessen. Der
Kiemendeckel, welcher auch die Vordergliedmassen in den äusseren Kiemen-
sack einschloss , wird zuerst von denselben durchbrochen , sodass sie wie aus
kurzen Aermeln hervorragen {Taf. XIX Fig. 335. 336); dann verwächst er
mit den anliegenden Kiemenbögen und geht auf diese Weise in die Haut der
Schlundwand über. Aehnlich schwinden die Athemröhren in der Bauchhaut,
Die inneren Kiemen atrophiren erst später; die verödeten inneren Kiemen-
682 IX. Der Kopf.
höhlen bestehen noch bis ans Ende der Metamorphose , und es ist mir wenig-
stens bei Hyla wahrscheinlich geworden, dass sie sich in die dem Kehlkopfe
vorn und seitlich angeschlossenen Kehlsäcke ausziehen. Die auf einen
schmalen Streifen hinter und unter dem Gehörorgan reducirte Schlundwand
wird nur noch von den Kiemennervenstämmen (N. glossopharyngeus, Rami
n. vagi) und den früheren oberen Kiemenöffnern umgürtet, welche von der ge-
sammten Muskulatur dieser Gegend allein übrig bleiben und, indem ihre unteren
Ansatzenden bis zum Zungenbeinkörper hinabrücken, sich in die Konstrik-
toren des Schlundes verwandeln (Mm. petro-hyoidei Ecker Nr. 90, S. 77. 78),
deren vorderster den Stamm des N. glossopharyngeus und wenigstens noch
einige Zeit nach der Metamorphose die Halsdrüse halb verdeckt (Taf. XIX
Fig. 342. 343). Die Bauchseite des Schlundes, also auch des ganzen Zungen-
beinkörpers tritt in Folge des Zurückweichens des Perikardialsackes in unmittel-
bare Berührung mit den breiter gewordenen ventralen Längsmuskeln, den Mm.
sterno-und genio-hyoidei, welche wiederum entsprechend den ursprünglichen
Lagebeziehungen der zu Grunde liegenden Seginentschichteu von unten durch
die Mm. subhyoideus und submaxillaris völlig verdeckt werden. Die Kiemen-
nervenstämme behalten die Zweige, mit welchen sie die erhalten bleibenden
Schlundmuskeln versorgen, der N. glossopharyngeus zudem seine Verbindung
mit dem N. facialis; ihre untern Fortsetzungen erhalten aber in Folge des
Schwundes der unteren Kiemenmuskeln eine andere Verwendung. Der N.
glossopharyngeus, dessen unteres Ende schon anfangs zwischen dem grossen
Hörne und dem Körper des Zungenbeins lag (Taf. XVIII Fig. 328), kommt
mit dem N. hypoglossus, welcher den Mm. geniohyoidei folgt, dadurch, dass die
Zungenbeinmuskulatur sich unter dem Zungenbein ausbreitet (M. hyoglossus),
in die unmittelbare Nähe derselben-, und da die Zunge keine eigenen Nerven-
anlagen besitzt, so bezieht sie die nöthigen Nervenzweige von jenen ihr zu-
nächst liegenden Nervenstämmen , und zwar aus dem Bereiche sowohl der
inneren Segmentschicht des Rumpfes (N. hypoglossus) als der .äusseren Kopf-
segmente (N. glossopharyngeus) (Taf. XX Fig. 348). Durch die Verschiebung
des Unterkiefersuspensoriums "nach hinten werden beide Nervenstämme im
lateralen Verlaufe gleichfalls zurückgedrängt und beschreiben daher, bevor sie
die Bauchseite des Kopfes erreichen, zwei parallele nach hinten konvexe Bö-
gen (Fig. 343). Zwischen denselben liegt der Vagusstamm, dessen Verzweigung
eigentlich nach allen Richtungen ausstrahlt. Seine drei ursprünglichen Aeste
bleiben in zwei Schlundnerven und dem vorderen Kehlkopfnerven erhalten; in
IX. Der Kopf. 68?
0
welcher Weise der mit ihm nachträglich verbundene Eingeweideast später als
die eigentliche Fortsetzung des Stammes erscheint, habe ich bereits erörtert.
Nach dem Schwunde der Seitennerven entsendet der Vagusstamm, sei es direkt
oder aus den Wurzeln jener Nerven Zweige in die benachbarten Hals- und
Schultermuskeln.
Ich glaube in dem beschreibenden Theile die wesentlichsten Momente in
der Entwickelungsgeschichte des Batrachierkopfes genügend hervorgehoben zu
haben. Das Hirn, die Sinnesorgane und die Oberhaut sind wegen ihrer Grösse,
scharfen Sonderung und ihrer oberflächlichen Lage zu jeder Zeit leicht zu unter-
scheiden und einzeln zu verfolgen ; im übrigen spielen sie mit Ausnahme des
Hirns in der allgemeinen Architektonik des embryonalen Kopfes keine wesent-
liche Rolle und finden nur gelegentlich in ihren Lagebeziehungen zu den übrigen
Theilen Beachtung. Am Hirn spricht sich aber ein sehr bedeutsames Form-
verhältniss des Kopfes aus, nämlich die Axenbiegung, wodurch Vorder- und
Hinterkopf bleibend geschieden und für den ersteren ganz besondere Lagever-
hältnisse herbeigeführt werden. Als einheitliche Embryonalanlage nimmt
daran unmittelbaren Antheil das Darmblatt, was aber bisher nicht richtig auf-
gefasst wurde. Am mittleren Keimblatte ist eine solche Biegung desshalb nicht
immer unmittelbar nachweisbar , weil es keine durch alle Kopfregiouen zusam-
menhängende Bildung bleibt. Dafür bietet aber seine Sonderung in die ver-
schiedenen Segmente, die daraus hervorgehende Gliederung ihrer den verschie-
densten Organsystemen angehörigen Erzeugnisse und endlich die theilweise
Uebertragung dieser Gliederung auf andere Anlagen (Schlundbögen) das reichste
Material für eine vergleichend - anatomische Analyse des Wirbelthierkopfes.
Die Anpassung dieser Segmenttheile an die Lageverhältnisse, welche durch
die Hirnröhre und den Kopfdarm bereits vorgezeichnet waren, ist der Schlüssel
zum Verständniss des ganzen Aufbaues des Kopfes. Die Kenntniss der bezüg-
lichen Thatsachen kann nach meinen Erfahrungen zunächst nur aus der Ent-
wickelungsgeschichte der Batrachier in ausreichendem Masse geschöpft wer-
den ; diese gewährt uns aber ferner die Anhaltspunkte, um auch an den übrigen
Wirbelthieren den wesentlich gleichen Entwicklungsgang zu verfolgen. Für
die Entwickelung des Batrachierkopfes bestehen aber noch immer die alten
Arbeiten Reichert's als die einzigen einigermassen umfassenden. Ich habe
dieselben schon einmal kritisirt (vgl. S. 190—193. 234. 235), jedoch nur mit
684 IX. Der Kopf.
Rücksicht auf die Gliederung des mittleren Keimblattes überhaupt, sodass die
ganze Entwiekelung des Kopfes hier besonders ausgeführt werden muss.
Reichert betrachtet den Batrachierkopf als eine unmittelbare Fortsetzung
des Rumpfes mit den durch die Chorda getrennten Röhren des Centralnerven-
und Darmsystems und den sie auf- und abwärts umwachsenden Rücken- und
Visceralplatten (Nr. 20S.2u. flg. 152 u. flg.). Dass aber Reichert den Kopfdarm
überhaupt nicht näher untersucht hat, geht sowohl aus seinen bereits citirten
Angaben über die Bildung des Darmblattes als besonders aus der häufig wieder-
holten Behauptung hervor , dass die Batrachier ebenso wie alle niederen Wir-
belthiere wegen der schwächeren Entwiekelung des Geruchsorgans (!) niemals eine
Gesichtskopf beuge besässen, sodass die genannten röhrenförmigen Kopfanlagen
mit ihren Rücken- und Visceralplatten in unveränderter Richtung vom Rumpfe
bis an das vordere Kopfende verliefen (Nr. 20 S. 13. 156. 157. 206). Schon
daraus lässt sieh entnehmen, dass die senkrechten queren Abschnitte, welche
Reichert am Kopfe als Fortsetzung der „Wirbelabtheilungen" des Rumpfes
unterscheidet, unmöglich mit den von mir nachgewiesenen Kopfsegmenten des
mittleren Keimblattes übereinstimmen können, von denen das erste von Anfang
an eben in Folge der ursprünglichen Kopfbeuge rechtwinkelig nach unten um-
gelegt ist. Die ganz willkürliehe Bestimmung der REiCHERT'schen Kopfwirbel
wird vollends evident , wenn man erfährt , dass sie im Rückentheile zuerst in
den drei Hirnblasen sich ausprägen, in den Rückenplatten oder dem „häutigen
Schädel" dagegen erst durch die Ossifikation gleichfalls in der Dreizahl hervor-
treten (Nr. 20 S. 28. 44. 91. 208. 209). Denn jene Hirntheile haben mit der
grundlegenden Segmentirung des mittleren Keimblattes nichts zu thun , da die
beiden ersten Hirnblasen in den Bereich des ersten Segments fallen , während
auf die letzte drei von jenen Segmenten kommen-, und ferner ist diese Glie-
derung des mittleren Keimblattes von Reichert um so gewisser übersehen wor-
den, als er die bezüglichen „Wirbelabtheilungen" erst nach der vollständigen
Umbildung der Segmente erkennt. Nicht anders steht es mit den Wirbel-
abtheilungen in der Visceralplatte des Kopfes , den sogenannten Visceralfort-
sätzen und -bögen. Reichert nimmt für die Batrachier nur zwei solche Bögen
an, welche durch die erste Visceralspalte von einander getrennt würden-, die
darauf folgenden Kiemenbögen seien keine Visceralbögen und daher der ganze
Raum zur Seite des Kieinenapparats zwischen dem zweiten Visceralbögen
(Zungenbeinbogen) und dem Rumpfe als zweite Visceralspalte, als eine wirk-
liche „Oeffnung in der Kopfvisceralröhre" zu betrachten (Nr. 20 S. 55. 56. 155. 207)
IX. Der Kopf. 685
— eine Auffassung, die sich nicht weiter kritisiren lässt. Auch die beiden
Visceralhögen Reichert1* entsprechen meinem Unterkiefer- und Zungenbein-
bogen nicht; denn der erste soll erst unter dem Auge und zwar mit breiter, bis
zum Geruchsorgan reichender Basis entspringen und senkrecht hin unterziehen,
bezeichnet also nur die untere Hälfte meines Unterkieferbogens nebst dem late-
ralen Gesichtsfortsatze, während die dorsale Hälfte jenes Bogens dem zweiten
Visceralhögen zugerechnet wird (Nr. 20 S. 22). Diese Verwechselung wird aus
der Weiteren gleich zu erwähnenden Darstellung Reichert's ganz evident. Eine
Neubildung, welche der Kopf vor dem Rumpfe voraushaben soll, sei das Ge-
sicht; es entstehe dadurch, dass die Basis der Rückenplatten oder die „Schädel-
basis" in der geraden Richtung der gesammten Wirbelreihe über den ersten
Kopfwirbel hinauswachse und sich ihr dabei seitliche Fortsätze sowohl der-
selben Platten (Nasen-, Stirnfortsätze) als auch des ersten Visceralfortsatzes
(Oberkiefer) anschliessen (Nr. 20 S. 6. 7. 14. 15. 155. 183). Aus der weiteren
Angabe, dass der Oberkiefer die ganze Seitenwand der Nasenhöhle bilde, geht
aber hervor, dass in dieser Anlage Theile der beiderlei Segmente und Gesichts-
l'ortsätze unterschiedslos zusammengeworfen werden (vgl. S. 642. 643).
Indem Reichert auf diese Weise die ganze fundamentale Kopfbildung
bloss nach dem äusseren Relief und ohne Rücksicht auf die ursprüngliche innere
Zusammensetzung zu veranschaulichen und zu erklären suchte, musste ihm die
Einsicht in den ursprünglichen Zusammenhang zwischen der morphologischen
Entwickelung und dem anatomischen Verhalten der Einzeltheile entgehen und
konnten sich selbst in die Darstellung des letzteren mannigfache Irrthümer
einschleichen. Ist schon die Unterscheidung von Rücken- und Visceralplatten
selbst für die erste Entwickelungsperiode unpassend, da sowohl in der dorsalen,
wie in der ventralen Kopfhälfte verschiedene Theile des mittleren Keimblattes
nebeneinander vorkommen, so ist die Annahme, dass die Rückenplatten, indem
sie das Hirn umwüchsen, einen „häutigen Schädel" darstellten, geradezu falsch;
denn dieser angebliche Schädel bildet die Anlagen für die Muskeln und Nerven
dieses Kopftheils (Augen-, hintere Stammuskeln, alle Segmentnerven) früher als
diejenigen des Skelets ; ausserdem aber noch alle zu dem letzteren nicht ge-
hörenden Bindesubstanzen (Hirnhäute, Gefässe u. s. w.), lauter Theile, welche
über den „Schädelwirbeln" vergessen wurden, abgesehen davon, dass die ver-
tebralen Skelettheile als sekundär-morphologische Bildungen eine ursprüng-
liche Anlage gar nicht besitzen. Hiernach bedarf es keiner näheren Erörterung,
dass Reichert's Schädelwirbel mit den von mir beschriebenen vertebralen
686 IX Der Kopf.
Schädeltheilen nur den Namen gemein haben ; und daraus folgt weiter, dass er
die Knorpel der Stirnfortsätze als einfache Verlängerungen des ersten Wirbel-
bogenpaars nicht zu erkennen vermochte. Von der weiteren Entwicklung des
ersten Visceralfortsatzes berichtet uns Reichest, dass in dessen oberstem
Theile, und zwar als sehr späte Bildung, der Gaumenflügelbogen, gerade dar-
unter der Quadratbeinknorpel entstehe, welcher letztere anfangs nur durch
seinen Orbitalfortsatz (Jochfortsatz) an der Wurzel der Stirnfortsätze mit dem
Schädel verbunden sei , und dem sich im ventralen Schlüsse des ganzen Bogens
der in Mittel- und Seitentheile gesonderte Unterkiefer anschliesse. Die breite
ursprüngliche Fortsetzung des Quadratbeinknorpels in den Schläfenfiügel-
knorpel, welche Reichert gegen Duges ein „unscheinbares Knorpelstückchen"
nennt, soll im oberen Theile des zweiten Visceral- oder des Zungenbeinbogens
entstehen (Nr. 20 S. 30 — 37. 234). Die Unhaltbarkeit auch dieser Angaben
ergibt sich ohne weiteres, sobald man die betreffenden Theile genauer unter-
sucht (vgl. Taf. XVI). Wenn es ferner anzuerkennen ist, dass Reichert zuerst
die Bedeutung der später sogenannten Urwirbel auf die Muskeln ausdehnte
(vgl. S. 234), so muss es um so mehr auffallen , dass er es unterlassen hat , die
von ihm beschriebene Muskulatur des Kiefer- und Zungenbeinapparats (Nr. 20
S. 38 — 40) auf seine Visceralbögen als ventrale Wirbelabschnitte zu vertheilen.
Sollte übrigens die Eintheilung jener Muskeln in Beweger der Kiefer und des
Zungenbeins und Kiemendeckels ihre verschiedene Zugehörigkeit zu den beiden
Visceralbögen ausdrücken, so wäre dies fehlerhaft, indem der M. depressor
mandibulae nicht aus dem Unterkiefer-, sondern aus dem Zungenbeinbogen her-
vorgeht. Von den Kiefermuskeln beschreibt Reichert einen grossen auf dem
Quadratbeinknorpel liegenden Kaumuskel, welcher durch seinen Ansatz am
Unterkiefer denselben vorziehe und durch ein abgezweigtes Bündel den knor-
peligen Zwischenkiefer (Oberkieferknorpel) senke. Diese ganz unbegründete
Vereinigung der drei sehr deutlich geschiedenen Kaumuskeln — was schon mit
blossem Auge erkannt werden kann und die schon gegen den äusseren
Augenschein sprechende Angabe ihrer Wirkung hebe ich besonders hervor,
weil Reichert seiner Beschreibung eine spöttische Bemängelung der durchaus
zutreffenden bezüglichen Darstellung von Duges (Nr. 13 S. 146) vorausschickt.
Dagegen hat er die gleichzeitige Querstreckung des Unterkiefers und die damit
zusammenhängende Abplattung der Unterlippe richtig beobachtet. Diese
Wirkung soll ein zweiter Muskel unterstützen, von dem es heisst: „Er kommt
von dem mittleren Tlieil des hinteren Randes vom Meekel'schen Knorpel und
IX. Der Kopf. 687
setzt sich an den äusseren Rand des entsprechenden unteren Kieferstücks,
gleichfalls ungefähr in der Mitte." Dieser von Reichest sogar abgebildete
Muskel (Nr. 20 Taf. I Fig. 17) existirt aber bei den Froschlarven ebensowenig
wie bei den Unkenlarven; und wenn er vorkäme, so würde er, wie namentlich
aus der Abbildung klar genug hervorgeht, die Biegungen des Unterkiefers
nicht abschwächen können, sondern sie gerade verstärken müssen. Die folgen-
den Muskeln sind von Reichert ebenfalls nicht benannt worden , aber aus der
Beschreibung nicht zu verkennen. Die Mm. depressor mandibular submaxil-
laris und genio-hyoideus sollen durch ihre vereinigte Aktion das Mittelstück
des Unterkiefers stärker knicken, was ich für richtig halte, dabei aber den Unter-
kiefer zurückziehen und die Mundspalte verengen, wogegen Duges den ersten
Muskel als Unterkiefersenker* richtig bezeichnet (Nr. 13 S. 147). Da nun mit Aus-
nahme der schwachen Lippenmuskeln und des M. subrnentalis** andere Kiefer-
muskeln als die von Reichert beschriebenen nicht existiren, *** so nmss die Vor-
stellung, welche ersieh von der Kieferbewegung macht, namentlich im Hinblickeauf
die ihm vorliegende, im allgemeinen richtige Beschreibung von Duges, eine
höchst unvollkommene genannt werden. Wenn die eigentlichen Kaumuskeln
durch Vorziehen und Strecken des Unterkiefers und Senken des Oberkiefers
„die Mundöffnung zuschliessen," die Antagonisten jener Muskeln oder die Zu-
rückziehet- des Unterkiefers „die Mundspalte verengen" sollen , so vermag ich
weder einen Gegensatz in der Wirkung beider Gruppen, noch die eigentlichen
Oeffner des Mundes zu entdecken. Die zwei von Reichert bezeichneten
Zungenbeinmuskeln (M. depressor ossis hyoidei, M. subhyoideus) bewegen an-
geblich den Kiemendeckel; bei den Unkenlarven sind aber während der kurzen
* Der Unterkiefer stellt für den M. depressor mandibulae einen zweiarmigen Hebel vor,
indem die Last, die Unterlippe, medianwärts vom Unterstützungspunkte oder dem Gelenke,
die Kraft auf der entgegengesetzten lateralen Seite angreift; die Richtung der Kraft —
schräg auf- und rückwärts — muss also der Bewegungsrichtung der Last entgegengesetzt
sein, folglich die Unterlippe sich schräg vor- und abwärts bewegen , wobei die Mitwirkung
des einfach zurückziehenden M. genio-hyoideus das Vorziehen paralysirt. — Bei gleicher
Beurtheilung ist der Unterkiefer hinsichtlich der Mm. temporalis und pterygoideus ein
einarmiger Hebel, sodass diese dein M. depressor mandibulae parallel laufenden Muskeln
doch seine Antagonisten werden.
** Duges kennt die Lippenmuskeln, hält aber den M. subrnentalis, den er an der Larve
vermisst, irrthümlicherweise für den metamorphosirten unteren Lippenmuskel (Nr. 13
S. 144. 145).
***Der M.lavator ossis hyoidei könnte unter Umständen, bei einer Fixirung des Zungen-
beins durch dessen Senker, auch den Unterkiefer bewegen, nämlich vorziehen; jedoch kommt
diese Möglichkeit liier gar nicht in Betracht, da Reichert diesen Muskel nicht anführt.
688 lx- ßer Kopf.
Zeit seines fischähnlichen ', deckelartigen Zustandes weder jene Muskeln noch
das Zungenbein bis zur Bewegungsfähigkeit entwickelt (Taf. XVII Fig. 308
— 311), dagegen mögen solche Bewegungen bei den Fröschen stattfinden, deren
Kiemendeckel länger frei bleibt und überdies einen eigenen Muskel entwickelt
(vgl. Duges Nr. 13 S. 148).
Die übrigen Kopftheile (Nerven, Augen-, Stamm-, Kiemenmuskeln u. s. w.)
hat Reichert so vollständig ausser Acht gelassen, dass man sehr bald einsieht,
dass er unter der Entwickelungsgeschichte des Kopfes eigentlich nur die Bil-
dung des Kopfskelets verstanden habe. Aber auch dieses ist nur zum Theil
eingehender untersucht worden; vom Kiemenapparate erfährt man nur, dass,
obgleich die eigentlichen Bögen ausser allen Vergleich mit den Visceralbögen
gestellt werden, ihr ventrales Verbindungsstück oder der spätere Zungenbein-
körper (Kiemenbogenträger) dennoch wieder der Visceralplatte angehöre,
wozu dann noch das mit dem vierten Kiemenknorpel verwechselte hintere
Zungenbeinhorn gerechnet wird (Nr. 20 S. 56—59). — Ueber die Verän-
derungen des Kopfskelets in der Larvenmetamorphose ist Reichert gleichfalls
in mancher Beziehung weniger gut unterrichtet als Duges. Allerdings hat auch
dieser Beobachter, da er die Entwickelung bis zur zweiten Larvenperiode so gut
wie gar nicht verfolgt hat, weder die Bedeutung des Schläfenflügelknorpels,
noch den Zusammenhang der Skelettheile der Nasengegend erkannt. Aus Be-
schreibung und Abbildungen erhellt, dass sein Rostrale superius zugleich
meinem Oberkieferknorpel und dem unteren Theile des Zwischenkieferknorpels,
das Adrostrale der hinteren oberen Spitze des ersteren entspricht (Nr. 13 S.
84 — 80, Fig. 70 — 72). Die Kontinuität dieser beiden Knorpelstücke unter-
einander und mit dem oberen Theile meiner Zwischenkieferknorpel (Ethmoi-
dale Duges) ist aber Duges entgangen , so wie ihr völliger Schwund während
der Metamorphose und die vorausgehende Entwickelung der Zwischen- und
( )berkieferknochen als Deckknochen auf denselben falsch angegeben ist (a. a.
( ). S. 90 — 92). Der Oberkieferknorpel löst sich vielmehr alsdann erst vom
Zwischenkieferknorpel ab und atrophirt ganz unabhängig von der Faserknochen-
anlage des Maxillare , während der gesammte von der Stammplatte abgelöste
Zwischenkieferknorpel in den aufsteigenden Ast des Intermaxillare übergeht.
Die Ethmoidalia endlich scheinen nicht nur den oberen Theil meiner Zwischen-
kieferknorpel, sondern auch die Stammplatte und einen Theil der Nasenscheide-
wand und der Nasenhöhlendecke zu umfassen (a. a. 0. und Taf. XVIII); es sind
zwei nach einer sehr ungenauen Untersuchung willkürlich konstruirte und
IX. Der Kopf. 689
daher ganz falsch wiedergegebene Skelettheile. Die Umbildung des übrigen
Kopfskelets wird von Duges richtig beschrieben (a. a. 0. S. 88 — 102). Reichest
hat nun die oben bezeichneten Irrthümer seines Vorgängers nicht verbessert,
dagegen bezüglich der Metamorphose andere hinzugefügt. So sollen alle Zu-
rückzieher des Unterkiefers vollständig und die zwei erwähnten Zungenbein-
muskeln „zum grössten Theile" atrophiren (Nr. 20 S. 42. 43); die Mrn. sub-
maxillaris, genio- und subhyoideus wachsen aber gerade während der Metamor-
phose ansehnlich, wie es schon Duges bekannt war. Und da Reichert einmal
den äusseren Kiemensack als zweite Visceralspalte aufgefasst hatte, hält er es
konsequenterweise für wahrscheinlich, dass derselbe bei den mit einer Pauken-
höhle versehenen Batrachiern sich in die letztere verwandele (a. a. 0. S. 74).
Seit den Untersuchungen Reichert's sind manche Beiträge zur Entwicke-
lungsgeschichte des Batrarchierkopfes geliefert, dieselbe aber nicht mehr um-
fassend, durch die Embryonal- und beide Larvenperioden hindurch, behandelt
worden. Wo aber auch die Embryonalpeiiode scheinbar vollständig unter-
sucht wurde, fehlte immer die Erkenntniss von dem Ineinandergreifen jener
beiden wichtigsten Formverhältnisse, der Kopf beuge und der Segmentirung
(vgl. S. 229 — 239). Ferner ist seit Reichert's Arbeiten auf die von ihm be-
haupteten Unterschiede in der Entwicklung der Anuren und Tritonen nicht
mehr die Rede gekommen , wahrscheinlich weil die angeblichen Folgen jener
Unterschiede, namentlich der Mangel eines Flügelgaumenbogens bei' den Tri-
tonen , von der vergleichenden Anatomie mit Recht nicht anerkannt wurden.
Immerhin verdienen die bezüglichen Bemerkungen Reichert's eine grössere
Beachtung, als ihnen bisher geschenkt wurde, weil die individuelle Entwicke-
lung jener beiden Batrachiergruppen, obgleich in den allgemeinen Anlagen über-
einstimmend, in der gegenseitigen Anpassung derselben nur Unterschiede offen-
bart , deren Bedeutung für den Vergleich mit der Bildungsgeschichte anderer
Wirbelthiere Reichert im allgemeinen richtig herausgefühlt hat, obschon ihm
das klare Verständniss der einzelnen Vorgänge fehlte. Um nur an eines zu er-
innern, so hat er die Beschränkung der Larvenmetamorphose bei den Urodelen
als Folge jener ursprünglichen Verschiedenheit ganz zutreffend hervorgehoben
(a. a. 0. S. 75. 207), wobei freilich mehr der „Endzweck" als der natürliche
Kausalzusammenhang zur Erklärung dienen muss. Doch kann ich hier auf
diese Verhältnisse nicht in ihrer Allgemeinheit, sondern nur in der besonderen
Beziehung auf die Entwicklungsgeschichte des Kopfes eingehen. Ich habe
dieselbe bei den Tritonen nicht fortlaufend verfolgt, aber durch die Unter-
Goette, Entwickelungsgeschiehte. 44
690 1X Der Kopf.
suchimg einzelner Entwickelungsstufen aus der Embryonal- wie aus den Lar-
venperioden die Aveseutliclien Abweichungen von der Bildung der Anuren-
embryonen und -larven wie ich glaube genügend erkennen können. Reichert
sieht diese Abweichungen namentlich darin, dass der erste Visceralfortsatz bei
den Anuren einen breiten Ursprung an der Schädelbasis bis vor das Auge be-
sitze, bei den Tritonen dagegen hinter dem Auge hervorwachse. Die Folge
davon sei, dass die Tritonen mit jenem suborbitalen Theile des Visceralfort-
satzes auch seine Erzeugnisse, den Flügelgaumenbogen, entbehrten, während
er bei den Anuren durch das Zurück weichen des Quadratbeinknorpels während
der Metamorphose vor demselben freigelegt, ebenso wie bei den Anmioten jenen
Skeletbogen ausbilden könne (a. a. 0. S. 82 — 102. 123). Wenn nun schon
der knorpelige Flügelgaumenbogen der Urodelen ganz evident ist (vgl. Ruscoxi
Nr. 39 S. 69. 73, Gegenbaur Nr. 133). so sind auch die angeblichen Ursachen
seines Mangels nur aus der schon erwähnten missverständlicheu Bestimmung
der Visceralfortsätze entnommen. Allerdings reicht der ursprüngliche Kiefer-
theil der Urodelen mit seiner ganzen Masse nicht so weit unter das Auge wie
bei den Anuren ; dies hat aber seinen Grund nicht in einem anderen Ursprünge
desselben, welcher bei allen von mir untersuchten Wirbelthierembryonen hinter
dem Auge zu suchen ist, sondern in den besonderen Formbedingungen, welche
sein Hinabwachsen und daher seine spätere Lage bestimmen. Wir sehen den
Kopf der jüngsten Anurenembryonen so allmählich aus der Form einer sphäri-
schen Scheibe zu derjenigen eines Cylinders hervorwachsen , dass der Yorder-
kopf anfangs, statt einen ersten Cylinderabschnitt zu bilden, eine quere und fast
senkrechte Platte darstellt, in deren oberer Hälfte (Hirntheil) die künftige
Decke, darunter im Kiefertheile die ungesonderten Seiten- und Bauchtheile
des noch gar nicht existirenden vordersten Kopfdarmabschnittes oder der inne-
ren Mundhöhle enthalten sind. Die neben und hinter dem platten Yorder-
hirne und seiner Augenanlage hervorkommenden Aussensegmente werden da-
her nicht gerade abwärts, sondern etwas schräg vorwärts unter jene Theile ge-
leitet, sodass der dadurch gebildete quere und breite Kieferwulst eigentlich
ganz vor dem Kopfdarme und unter dem Hirne liegt und durch seine mediane
Scheidewand einen ebensolchen Durchbruch des Kopfdarms nach aussen, d. h.
eine senkrechte Mundspalte vorzubereiten scheint. Dieses Lageverhältniss
wird durch die folgende seitliche Abplattung der Anurenembryonen noch star-
ker hervorgehoben, indem die beiden Hälften des Kieferwulstes sich in zwei
absteigende Kieferschenkel verwandeln, denen sich vorn und oben von der
X
IX. Der Kopf. 691
Hirnbasis her die medialen Gesichtsfortsätze auflagern (Oberkieferwulst), so-
dass zwischen den beiderseitigen Kieferbildungen auch thatsächlich eine äussere
Mundbucht von der Form einer medianen Furche entsteht, welche an das ge-
schlossene Cyklostomenmaul erinnert. Durch die früher erörterte Drehung
beider Kieferschenkel und die damit verbundene dachförmige Ausbreitung der
medialen Gesichtsfortsätze, was natürlich mit dem Auswachsen des Hirntheils
zusammenhängt, werden allerdings die Mundbucht wie die durch die quer-
gezogene Scheidewand noch abgeschlossene innere Mundhöhle verbreitert-, da
aber der Kiefertheil von Anfang an soweit vorgeschoben war, dass sein ven-
trales Schlussstück auch beim Hervorwachsen der medialen Gesichtsfortsätze
sich unmittelbar unter denselben befindet und mit ihnen in Verbindung bleibt,
so wird dadurch einmal die seitliche Beschränkung der Mundbucht und später
der Mundöfinung durch die ineinander übergehenden Lippen und ferner die
Anpassung der Skelettheile des Ober- und Unterkiefers zu queren , annähernd
ringförmig zusammengefügten Trägern bloss jener Lippen erzielt. In Folge
dessen wird der grössere Theil der Masse des Kiefertheils zum schräg vorge-
schobenen Suspensorium des schwach entwickelten Unterkiefers verbraucht,
der laterale Gesichtsfortsatz zunächst nach aussen und hinten verdrängt und
von der Begrenzung der Mundöfinung ausgeschlossen. Auf diese Weise wird also
der für die unmittelbare Nahrungsaufnahme bestimmte Abschnitt des Kiefer-
apparats auf das von den Lippen gebildete weit vorgeschobene Rundmaul be-
schränkt, weh lies sich vom Cyklostoineumaul im allgemeinen nur dadurch un-
terscheidet, dass es sich von der ersten, zur aufrechten Mundöffnung neigenden
Anlage, welche bei den Cyklostomen noch im geschlossenen Maule zum Aus-
drucke kommt, weiter entfernt hat, indem seine Schliessung in einer queren
Spalte erfolgt. Dieses Verhalten bahnt aber auch schon die Metamorphose
des Kieferapparats der Anuren an , deren allgemeine Bedeutung darin beruht,
dass das vorgeschobene runde Saugmaul in ein weit zurückweichendes, breit-
gespaltenes Greifmaul umgebildet wird. Mit- den ineinander übergehenden
Lippen schwindet auch das dadurch bedingte ringförmige Gefüge ihrer Skelet-
theile; das Unterkiefersuspensorium zieht sich aus der schrägen Lage in eine
immer steilere zurück, wobei der Unterkiefer zum horizontalen Bogen aus-
wächst und die Mundöffnung immer weiter rückwärts sich ausdehnt; der late-
rale Gesichtsfortsatz (Oberkieferfortsatz) endlich tritt an die Stelle der ver-
kümmernden Seitentheile des Oberkiefers der Larve und damit in die unmittel-
bare obere Begrenzungder Mundöffnung. — Aus diesem Bildungsgange des Kiefer-
44*
692 IX. Der Kopf.
apparats der Amiren lässt sich entnehmen, dass das langsame Hervorwachsen des
embryonalen Vorderkopfes die Ursache der vorgeschobenen Lage des Kiefertheils
und folglich der Ausbildung des Rundmauls ist, und dass die entgegengesetzt wir-
kende, durch die Hirnentwickelung bedingte Verbreiterimg der Mundhöhle und
Mundöffnung zu spät eintritt, um die zeitweilige Larvenbildung zu verhindern.
Die Urodelen zeigen dagegen von Anfang an günstigere Bedingungen für die
Herstellung des definitiven Kieferapparats. Die Abschnürung des Vorder-
kopfes erfolgt sehr bald, indem der Hirntheil sich frühzeitig vorwölbt, und der
ihn umkreisende Keimtheil sich rückwärts umlegend zum Boden des breiten
und flachen vorderen Kopfdarmabschnittes wird. Begreiflicherweise wächst
dann das äussere Segmentpaar in diesen hinter dem Vorderhirne den Kopf-
darm umschliessenden Kieferbogen ziemlich steil hinab und füllt dessen flach-
gebogenen ventralen Abschnitt oder den Unterkiefer gleich mit grösserer
Masse aus. Und da der vordere Faltenrand des platten Darmblattsackes der
Mundhöhle zwischen dem vorgewölbten Hirntheile und dem noch zurücktreten-
den Unterkieferbogen mit der Oberhaut verwächst, so stellt sich die Mund-
bucht umgekehrt wie bei den Anurenlarven als eine quere, übrigens wenig ver-
tiefte Furche dar, welche den lateralen Gesichtsfortsatz (Oberkiefer Reichert)
gleich bei seiner Entstehung vom zurückgedrängten Unterkieferbogen trennt.
Diese Mundbucht öffnet sich alsdann nach innen ganz nach dem Vorbilde der
Kiemenspalten, sodass der Mundraum der jungen Urodelenlarven nicht aus
zwei durch eine Scheidewand getrennten Höhlen besteht, sondern einem voll-
ständigen Munde bei geschlossenen Kiefern und Lippen gleicht (vgl. meinen
Aufsatz Nr. 64 Fig. 29). — Also nur eine wesentlich durch die Hirnentwicke-
lung herbeigeführte Verschiedenheit in den Formbedingungen der topographi-
schen Anordnung dergleichen Kopfanlagen ruft jenen Unterschieden der Entwicke-
lung der Anuren und Urodelen hervor, wodurch die ersteren während ihrer Lar-
venzeit sich hinsichtlich des Kieferapparats den niedersten Wirbelthieren nähern,
die Urodelen ähnlich den Teleostiern und Amnioten sich von Anfang an dem blei-
benden Zustande anpassen. Leider lässt sich aber die Entwickelungsgeschichte
des Oyklostomenkopfes auch aus den Untersuchungen M. Schultze's nicht ein-
mal annähernd erkennen; denn die äussere Erscheinung, namentlich die Ab-
schnürung des Kopfendes (vgl. Nr. 92 Taf. III. IV), erinnert weit mehr an die
Embryonen der Urodelen, während der vollendete Zustand des Kopfes wenig-
stens der Neunaugen ganz entschieden auf die Anurenlarven hinweist. Doch
habe ich schon häufig auf die Unsicherheit der Schlüsse aus der äusseren
IX. Der Kopf. 693
Erscheinung aufmerksam gemacht, und es bietet sich, indem wir auf die
Knochenfische übergehen, hier gleich die Gelegenheit, jene Erfahrung von neuem
zu bestätigen.
Ueber die Entwickelung des Teleostierkopfes, soweit sie sich auf die
Theile des mittleren Keimblattes und des Darmblattes bezieht, liegen bisher nur
die spärlichen Beobachtungen Oellacher's vor. Er erwähnt eine mediane Lücke
des mittleren Keimblattes in der Kopfregion, welche die Hirnanlage mit dem
Darmblatte in der ganzen Kiemengegend oder dem Hinterkopfe bis vor die
Augenanlagen in Berührung bringe (Nr. 107 S. 44. 45. 56. 57); die Wirbelsaite
schiebe sich erst nachträglich in den Hinterkopf vor. Bei dieser irrigen Dar-
stellung ist aber eine Vergleichung jener Lücke des mittleren Keimblattes mit
derjenigen der Batrachier nicht möglich ; vielmehr besteht die Chordaanlage
der Forellenembryonen gleich ursprünglich bis gegen die Mitte zwischen Augen-
uncl Ohranlage , und jene Lücke entsteht ebenso wie bei den Batrachiern vor
der Chordaspitze , um den vordersten Theil des mittleren Keimblattes durch-
weg in zwei Seitenhälften zu theilen, in welchen die Seitenplatten gleichfalls
zur Herstellung der Segmentplatten (1. Segmentpaar) aufgebraucht werden.
Im übrigen Kopfe unterscheidet Oellacheb, nur die das Hirn umfassenden
Kopfplatten und die lateralwärts gelegenen Perikardialplatten, welche beiderlei
Gebilde jederseits durch einen soliden, bis zu den Augenanlagen reichenden
seitlichen Auswuchs des Darmblattes geschieden würden ; dieser Wulst sei die
Anlage der Kiemenhöhle , welche erst hohl werde , nachdem sich an den Ver-
bindungsstellen mit der Oberhaut die Kiemenspalten gebildet und Fortsetzungen
der Kopfplatten zwischen jene Kiemenhöhlenanlage und die Perikardialplatten
die Kiemenbögen angelegt hätten (a. a. 0. S. 70. 73. 74. 78 — 82). Auch diese
durchaus irrigen Angaben erklären sich theils aus einer mangelhaften Unter-
suchung der Querdurchschnitte, theils daraus, dass die letzteren allein über die
Form- und Lagebeziehungen des Kopfes nur sehr ungenügend orientiren kön-
nen. Eine gleichzeitige Prüfung von Frontal- und Sagittaldurchschnitten hat
mich belehrt , dass die Knochenfische auch hinsichtlich der Kopfentwickelung
im wesentlichen den Batrachiern, insbesondere den Urodelen sich anschliessen.
Schon von Anfang an gehen die zweischichtigen Seitenplatten ganz unmerklich
in die Segmentplatten über; darauf schlägt das Darmblatt, während der ganze
Kopftheil sich höher hebt, eine nach aussen und oben gerichtete Falte, und
indem der untere Faltenumschlag nach innen vorrückt und sich mit dem ander-
seitigen vereinigt, wird der breite aber spaltförmig enge und vom Hirn konkav
694 IX. Der Kopf.
eingedrückte Kopfdarm gebildet, welchen Oellachee für eine solide Ver-
dickung des Darmblattes und die Anlage der Kiemenhöhle erklärt (vgl. S. 263).
An dieser Herstellung des Kopfdarmes durch das Darmblatt nimmt auch das
mittlere Keimblatt Theil, indem die Seitenplatten sich unter die Darmblatt-
falte einschlagen; doch erscheint der ihr unmittelbar anliegende und rückwärts
den Segmentplatten angeschlossene Theil ungespalten und geht erst im Grunde
der Tasche in den gespaltenen Theil , Oellacher's Perikardialplatten , über.
Wir haben daher in jenem ersteren Theile die rückgebildete Seitenplatte der
Schlundwand der Batrachier vor uns, nicht nachträgliche Auswüchse der oberen
Segmentplatten. Da nun, wie erwähnt, im Vorderkopfe die gesammte Seiten-
platte in die Segmentplatte aufgeht, kann der Faltenrand des abgeplatteten
Kopfdarms unter der letzteren im ganzen vorderen und seitlichen Umfange des
Vorderkopfes mit der Oberhaut verwachsen und dadurch eine ausgedehnte aber
noch geschlossene horizontale Mundspalte anlegen. Eine Strecke weit hinter
dem Mundwinkel erreicht jener Falteiirand mit einer nach hinten stark geneig-
ten und zu einer gewissen Höhe auswachsenden Fortsetzung die Oberhaut aber-
mals, um die erste Schlundfalte zu bilden; die zweite entsteht unter dem Ohr-
bläschen, dahinter noch vier weitere. Bei ihrer schrägen Stellung kann man ihre
Grenzen, Zwischenwände u. s. w. an Querdurchschnitten natürlich nicht erken-
nen, welche vielmehr eine fortschreitende Annäherung des ganzen Seitenrandes
vom Kopfdarme an die Oberhaut vortäuschen. Was endlich die Kopfsegmente
des Forellenembryo betrifft, so sind sie allerdings nicht so klar zur Anschauung
zu bringen wie bei den Batrachiern. Immerhin habe ich an einigen glücklichen
Frontaldurchschnitten zwei sehr grosse zwischen Ohr und Auge gelegene und
zwei kleinere hinter dem Ohr nachweisen können ; die ersteren werden abwärts
durch die erste und zweite Schlundfalte begrenzt, sodass ihre ventralen Fort-
setzungen gleichfalls schräg nach vorn und unten auswachsen. Das erste late-
rale Kopfsegment wird dabei durch den Mundwinkel gleichsam gespalten, so-
dass der obere Schenkel oder der laterale Gesichtsfortsatz und der Unterkiefer-
bogen in einer weiten Strecke von einander geschieden werden, wodurch die
Uebereinstimmung mit der embryonalen Anlage des Kieferapparates der
Urodelen deutlich hervortritt. Aeusserlich gibt sich dies alles nicht zu erken-
nen, weil die Oberhaut an der beschriebenen Abschnürung des Kopfes zunächst
gar keinen Antheil nimmt, vielmehr von der Unterlippe und den oberen Theil en
aller seiner Bögen sich unmittelbar auf den Dottersack umschlägt, unter dessen
Oberfläche daher der Kopfdarm mit den längeren ventralen Abschnitten jener
IX. Der Kopf. 695
Bögen verborgen bleibt. Erst um die Zeit des Ausschlüpfens der jungen Fisch-
ehen beginnt die Oberhaut von den eben bezeichneten Grenzen an sich um die
fertige Bauchwand des Kopfdarms und des Perikardialsackes zusammen-
zuziehen und sie vom Dottersacke vollends abzuschnüren. — Von weiteren Ein-
zelheiten der Kopfbildung sei hier noch hervorgehoben , dass die segmentalen
Nervenanlagen sich gerade so verhalten wie bei den Batrachiern, dass folglich
die Nervengruppe des Vorderkopfes auf zwei Hauptanlagen zu vertheilen ist
und der N. vagns mit Ausnahme des R. lateralis und R. intestinalis einheitlich
entsteht. — Von der morphologischen Entwickelung des Teleostierkopfes wäre
also besonders hervorzuheben, dass er durch die frühzeitige Abschnürung eines
flachen Kopfdarms und die Anlage einer ausgedehnten queren Mundspalte sich
nicht weniger als bei den Urodelen von einer Neigung zur Bildung eines runden
Saugmauls entfernt, obgleich äusserlich weder von jener Abschnürung noch von
der bereits angelegten queren Mundspalte etwas zu erkennen ist. Und ebenso
wie die gemeinsamen Bildungsursachen bei der Entwickelung des Centralner-
vensystems der Teleostier und der übrigen Wirbelthiere auch bei der inneren
Untersuchung nicht sofort in der äusseren Erscheinung sich offenbaren, ergeben
sie sich hinsichtlich der allgemeinen Kopfbildung ebenfalls nicht ohne. weiteres
aus den uns vorliegenden Bildern. Bei den Urodelen und, wie ich weiter unten
zeigen werde, auch bei den Amnioten erscheint die Vorlagerung des Vorder-
hirns vor den Kopfdarm als das wesentlichste ursächliche Moment für die Zu-
rückdrängung des Kiefertheils; und dieses fehlt den Teleostiern anfangs voll-
ständig. Aber sowie es in Verbindung mit der Kopfbeuge auch den rund-
mäuligen Amirenlarven nicht völlig mangelt, spricht sich darin der Einfluss des
Hirns auf die übrige Kopfbildung nur ganz einseitig aus-, von nicht geringerer
Bedeutung ist die Verbreiterung und Abplattung des vordersten Kopfdarmab-
schnittes mit der daraus folgenden Anlage einer queren Mundspalte, welche den
Unterkieferbogen von dem vorderen Hirntheile trennt und dadurch die Bildung
des vorgeschobenen Rundmauls hindert. Und dieser Umstand ist gerade bei
den Teleostiern entscheidend, und muss trotz der späten Abbiegung und Vor-
lagerung des Vorderhirns dennoch auf eine Wirkung der tief eingesenkten und
anfangs so massigen Hirnanlage zurückgeführt werden. Also nicht ein be-
stimmtes Formverhältniss des Hirns, sondern seine stärkere oder schwächere
anfängliche Entwickelung nach der einen oder andern Seite bleibt überall das
Hauptmoment in der typischen Kopfbildung.
Ueber die embryonale Kopfbildung bei den Vögeln und Säugethieren
696 IX. Der Kopf.
hat Duesy die letzten umfassenden Untersuchungen veröffentlicht, Er unter-
scheidet in seiner Beschreibung einen dorsalen Kopftheil von einem ventralen.
Jener bestehe aus der Hirnröhre und der sie allseitig umschliessenden Schädel-
röhre, welche beide sich gleichzeitig durch die seitliche Auf krümmung des Keimes
(Medullarwülste) von einer ebenen Grundfläche aus bilden und daher bis zum
ursprünglichen Vorderende des Kopfes oder dem Chordaknopfe (Hypophysis-
gegend) ganz gerade ohne jede Biegung verlaufen (Nr. 136 S. 45 — 48. 53).
Die Schädelröhre bestehe aus den Wirbelplatten, welche sich nicht in Urwirbel
gliedern, aber bis zu seinem Vorderende von den Seitenplatten gesondert
blieben-, an der Vorderseite der geraden Hirnröhre fliessen sie im Schlussbogen
oder der primitiven Stirnwand zusammen, welche abwärts mit dem Chorda-
knopfe oder dem Ende der primitiven Schädelbasis (Spheno Occipitaltheil) zu-
sammenhänge (a. a. 0. S. 8. 9). Um eine dieses Ende durchsetzende quere
Axe drehe sich darauf das Vorderende des dorsalen Kopftheils nach vorn und
unten , sodass die primitive Stirnwand vom Chordaknopfe nicht mehr steil auf-
sondern absteige und dadurch zu einer stark umgebogenen Fortsetzung der
ursprünglichen Schädelbasis, d. h. zum Spheno - Ethmoidaltheile derselben
werde (a. a. 0. S. 54). Diese ganze Darstellung soll sich auf alle Wirbelthier-
embryonen gleicherweise beziehen (S. 57. 59). Der ventrale Kopftheil oder der
Kopfdarm bilde sich durch Umschlag und Abschnürung der Keimhaut vom
Chordaknopfe aus nach unten und rückwärts, sodass das spitze Ende der Kopf-
darmhöhle im Grunde der Kopf beuge eingeklemmt zur RATHKE'schen Tasche
oder der Anlage des Hirnanhangs werde (S. 90' — 93). Nach den beigefügten
schematischen Zeichnungen berührt aber die vordere Schlussseite des Kopf-
darms oder die quere, angeblich aus allen drei Keimblättern bestehende Scheide-
wand der Mundhöhle den vor ihr liegenden umgebogenen Hirn-Schädeltheil
nicht, sondern ist von dessen Basalfiäche durch eine enge Bucht getrennt. Seit-
lich umwüchsen den Kopfdarm dieSchlundbögen, die unteren durch die Schlund-
spalten geschiedenen Fortsetzungen der Bauchplatte, von denen der erste Unter-
kiefer und Zungenbein gemeinsam erzeuge , der zweite den Kiemendeckel her-
vortreibe, welcher alle folgenden Spalten verdecke und mit den Bögen ver-
wachse (a. a. 0. S. 112. 113. 115). Während die vordere Schädelbasis in ihrer
ganzen Breite zwischen den beiden Nasengruben als deren Scheidewand hervor-
wächst, schliessen sich ihr zur Bildung des Gesichts die seitlichen Stirn- und die
Oberkieferfortsätze an , welche aus dem ursprünglichen Kopfende der Bauch-
platte entspringen sollen (a. a. 0. S. 92. 107. 143. 145). Der Oberkieferfort-
IX. Der Kopf. 697
satz soll hinter dem Auge mit der Schädelbasis verbunden sein, und unter dem-
selben hervorkommend von dem seitlichen Stirnfortsatze oder der seitlichen
Nasenhöhlenwand durch eine Spalte vollkommen getrennt bleiben ; hinter dem
Auge umkreist er es mit einer Fortsetzung, welche die Grundlage für das Joch-
bein und die Weichtheile der Schläfengrube enthalte, abwärts bilde eine zum
Unterkiefer hinüberziehende Falte die Backe (a. a, 0. S. 131. 162 — 165). Der
Gaumen endlich entstehe aus einem medialen Längswulste des Oberkieferfort-
satzes (S. 171). Nach ihrer Entwickelung hätten die seitlichen Stirn- und die
Oberkieferfortsätze die Bedeutung von Visceral- oder Schlundbögen, welche nur
nicht zur medianen Vereinigung gelangen, und die sie trennende Spalte sei da-
her einer Visceralspalte homolog (S. 3. 164. 165).
Auch wenn es Duesy nicht selbst im Vorworte ausspräche, so müsste man
es bei der Durchsicht seiner Arbeit erkennen , dass gewisse Einzelheiten der
späteren Kopfbildung (Entwickelung des Gaumens, der Nasenhöhlen u. s. w.)
das eigentliche Thema seiner Untersuchung bildeten, dass hingegen erst nach-
träglich versucht wurde, jene einzelnen Vorgänge auf frühere Entwicklungs-
stufen des ganzen Kopfes zurückzuführen, welche theils nur nach dem äusseren
Relief beurtheilt, theils nur schematisch konstruirt wurden. Je schwieriger
aber die Aufgabe ist, eine den gegenwärtigen Anforderungen entsprechende
Entwickelungsgeschichte des Kopfes gerade der Amnioten zu liefern, desto
weniger konnte die angedeutete Untersuchungsmethode Dursy1 s zum Ziele füh-
ren. Gleich der wichtigste morphologische Bildungsvorgang des Kopfes , die
embryonale Kopf beuge, ist durchaus falsch und zwar so dargestellt, dass man
leicht erkennt, wie der Verfasser sich denselben lediglich auf Grund der späteren
Zustände zurechtlegte. Der vordere Hirntheil des Kopfes mag später aller-
dings unabhängig vom Kopfdarm und bei der Ansicht ganzer Hühnerkeime,
welche Dursy allein zu Rathe zog , wohl auch erst nach der Schliessung der
Hirnröhre abwärts umgebogen zu sein scheinen.- Thatsächlich verhält es sich
aber ganz anders. Mediane Durchschnitte solcher Keime, an denen der Um-
schlag am Kopfende beginnt, lehren, dass dort das mittlere Keimblatt allen-
falls noch in geringen Spuren (vgl. Nr. 121 Fig. 8), meist aber gar nicht mehr
vorhanden ist, sodass das obere Keimblatt und das Darmblatt im Bereiche der
ganzen S-förmigen Biegung sich unmittelbar und zwar in fester Verbindung
berühren. Ob diese Verbindung bei der Betrachtung des ganzen Keims von
oben und im durchfallenden Lichte den rundlichen Flecken verursacht, welchen
Dursy auf einen Chordaknopf bezieht (vgl. Nr. 13G Taf. II Fig. 10), weiss ich
(398 IX Der KoPf-
nicht; jedenfalls existirt in jener Zeit an der Unibiegungsstelle des Keims weder
ein Chordaknopf noch überhaupt ein mittleres Keimblatt, welches aus dem
ganzen vorderen Theile des Keims sich zurückzieht und somit die Erscheinung
wiederholt, welche ich bei Batrachiern und Knochenfischen als Lücke des mitt-
leren Keimblattes im Kopfe beschrieb. Jene erste Faltung des noch wenig
veränderten Keims betrifft an den Seiten des Kopftheils allerdings nur die Bil-
dung des Kopfdarms, indem die Axenplatte in denUmschlagnicht hineingezogen
wird, sondern zwischen den beiden seitlichen Umsehlagsrändern noch flach
ausgebreitet zurückbleibt. Es entbehrt auch der epitheliale Kopfdarmsack
ebenso wie bei den Knochenfischen eine eigentliche Seitenwand, da seine kon-
kave Oberseite mit einem einfachen Faltenumschlage in die konvexe Bauch-
seite übergeht. Vorn bildet aber das absteigende Darmblatt eine wirkliche
Vorderwand des Kopfdarms, welche mit winkeliger Biegung nicht nur in dessen
Decke, sondern auch in den Boden seines abwärts erweiterten vorderen Endes
übergeht. Das mit dieser Vorderwand des epithelialen Kopfdarmsackes innig
verbundene und mit ihr zugleich aus der ebenen Keimfläche abwärts gebogene
Stück des oberen Keimblattes ist nun, wie Untersuchungen an Hühner- und
Kaninchenembryonen mich gelehrt haben, die ursprüngliche Vorderhirnbasis,
von welcher aus das Vorderhirn nicht im gleichen Plan wie das Hinterhirn,
sondern von dessen Anlage bereits rechtwinkelig abgebogen sich röhrig ent-
wickelt. Wenn man an dem in Fig. 36 oder 37 dieser Arbeit abgebildeten
Mediandurchschnitte eines Unkenembryo die unter dem Hirne absteigende
Kopfdarmwand (Kiefertheil) sich horizontal nach hinten umgelegt , das Darm-
blatt bis zu seiner obersten Biegung mit der Vorderhirnbasis in Berührung und
endlich den RATHKE'schen mittleren Schädelbalken bereits entwickelt denkt
— also lauter Umbildungen, welche den Batrachiern nicht ganz fehlen, son-
dern lediglich erst später eintreten — , so hat man das Bild eines Kaninchen-
embryo, welches selbst die vordere Abplattung der abgebogenen Hirnhälfte sehr
deutlich zeigt. Solchen Befunden gegenüber lässt sich die DüRSY'sche Dar-
stellung um so weniger bloss auf unvollkommene Beobachtung zurückführen,
als sie den Anspruch erhebt, die allen Wirbelthieren gemeinsamen Normen der
embryonalen Kopfbildung thatsächlich wiederzugeben; sie entsprang vielmehr
dem noch immer üblichen wenig empirischen Verfahren, aus den späteren Ent-
wiekelungszuständen die früheren mit mehr oder weniger Scharfsinn zu kon-
struiren. Dies trifft aber nicht nur zu für die eben besprochene embryonale
Kopfbeuge nebst der Bildung des Vorderhirns und des Kopfdarms, sondern
IX. Der Kopf. 699
auch für das ganze übrige Verhalten des mittleren Keimblattes im Kopfe. Wenn
wir auch bei Dursy als Erbtheil von den ältesten embiyologischen Unter-
suchungen des Kopfes die Bezeichnung der das Hirn umgebenden noch indiffe-
renten Theile des mittleren Keimblattes oder der dorsalen Segmenttheile als
primitive häutige Schädelröhre wiederfinden, so verweise ich hinsichtlich der in
die Augen springenden Unrichtigkeit solcher Deutung auf das, was ich darüber
bei der Besprechung der REiCHERT'schen Untersuchungen sagte, und will hier
nur bei der Behauptung verweilen, dass jene angebliche Schädelröhre zugleich
mit der Hirnröhre entstehe. Diese Angabe kann sich wie bemerkt auf that-
sächliche Beobachtung gar nicht stützen, weil einige wenige sagittale und
mediane Durchschnitte aus der Zeit bis nach dem Schlüsse der Hirnröhre voll-
kommen genügen, um von der medianen Lücke des mittleren Keimblattes und
überhaupt von dessen Fehlen an der ganzen von der Oberhaut überdeckten
Oberfläche des Vorderhirns zu überzeugen. Der „Schlussbogen der Urwirbel-
platten" des Kopfes existirt ebenso wenig wie die ,, primitive Stirnwand", welche
durch die nachträgliche Kopfbeuge in die vordere Schädelbasis verwandelt wer-
den soll. Vielmehr finde ich die ursprünglichen Segmenttheile des Amnioten-
kopfes in denselben Lagebeziehungen zu dessen übrigen Embryonalanlagen wie
bei den schon behandelten niederen Wirbel thieren , sodass sich hier sofort die
Frage erhebt , ob nicht auch in der segmentalen Gliederung des Kopfes eine
Uebereinstimmung beider Gruppen nachweisbar sei. Wenn es nun auch wegen,
der eigenthümlichen formalen und histologischen Beschaffenheit des embryona-
len Anmiotenkopfes vielleicht unmöglich bleiben sollte, eine ursprüngliche seg-
mentale Eintheilung an demselben unmittelbar nachzuweisen, so darf doch der
diesbezügliche Befund an Batrachiern urfd Teleostiern, denen jene Eintheilung
bisher" irrthümlicherweise ebenfalls abgesprochen wurde (vgl. S. 236) den
Schluss rechtfertigen, dass, da die übereinstimmende Anordnung der morpho-
logisch bereits gesonderten Anlagen des Kopfes , namentlich der Nerven , bei
allen Wirbelthieren gewiss aus gleichen Ursachen erfolgt, dieselben auch bei
den Amnioten in einer ursprünglich angelegten und nur äusserlich verdeckten
segmentalen Gliederung der dorsalen Theile des mittleren Keimblattes beruhen.
Auch glaube ich beim Hühnerembryo wenigstens ganz im allgemeinen äussere
und. innere Segmenttheile in indifferentem Zustande unterscheiden zu können,
von denen die ersteren über den Stammsegmenten liegend den His'schen , an-
geblich aus dem „Zwischenstrange" abstammenden Nervenanlagen entsprechen
würden. Daraufhin muss ich aber auch den Amnioten vier Stammsegment-
700 lx- Der KoPf-
paare und ebenso viele laterale Segmente des Kopfes mit derselben Bedeutung
wie bei den niederen Wirbel thieren zuschreiben. Das Homologon des 1. Stamm-
segmentpaares finde ich namentlich an Kaninchenembryonen in dem sogenann-
ten mittleren Schädelbalken Rathke's, welcher bei den Amnioten sehr früh-
zeitig und stark entwickelt ist, und in seinen seitlichen bis hinter das Auge
reichenden Fortsetzungen. Von dort wächst es in der Folge zu beiden Seiten
der medianen Verbindung zwischen der vorderen aufrechten Darmblattwand
und der Vorderhirnbasis abwärts und rund um das Auge vorwärts, gerade so
wie ich es von den Batrachiern schilderte. Nach aussen von diesem Stamm-
segmente erstreckt sich eine dichtere Zellenmasse des mittleren Keimblattes
hinter den Seitentheilen der Vorderhirnbasis und den daran stossenden Kopf-
darm umgreifend abwärts ; und da das Darmblatt in der Medianebene nicht
nur mit der davor liegenden Hirnbasis, sondern auch mit der ventralwärts es
überziehenden Oberhaut innig verbunden ist, so bilden jene beiderseitigen
Zellenmassen einen den vordersten Kopfdarmabschnitt umgürtenden, an seiner
Bauchseite aber durch einen medianen Einschnitt getheilten Wulst oder den
Kieferwulst, woraus die Bedeutung der Zellenmassen als des ersten lateralen
Kopfsegmentpaars erhellt. Da nun das Vorderhirn anfangs sich nicht weiter
hinab erstreckt als seine ursprüngliche mit der Vorderwand des Kopfdarms ver-
bundene Basis, so erreicht der Kieferwulst bereits zu jener Zeit jederseits von
der medianen Einsenkung das Niveau der Schlussseite des Vorderhirns oder
dessen späterer anatomischer Grundfläche, an welcher das Stammsegment
^Dursy's vordere Schädelbasis) sich auszubilden anfängt. Indem darauf ge-
rade jene anatomische Hirnbasis mit dem ganzen Vorderhirngewölbe mächtig
auswächst, zeichnet sie nicht nur dem Stammsegnient die Bahnen seines Wachs-
thuins vor (medialer Gesichtsfortsatz), sondern zieht auch jenen vordersten
untersten Zipfel des lateralen Segments nach vorn aus (lateraler Gesichtsfoit-
satz). Ich habe oben gezeigt, dass wenn bei träge entwickeltem Vorderhirn der
Kiefertheil weit unter dasselbe vorrücken konnte, ehe eine quere Mundbucht
angelegt war, mit der Anlage eines Rundmauls auch die schwache äussere Ab-
sonderung des lateralen Gesichtsfortsatzes von dem schräg vorgeschobenen
Unterkieferbogen verbunden ist (Anuren), während eine stärkere Hirnentwicke-
lung auch eine Verbreiterung des Kopfdarms und darauf die Anlage einer
queren Mundspalte zur Folge hat, welche den Unterkieferbogen frühzeitig vom
lateralen Gesichtsfortsatze trennt (Urodelen, Teleostier). Die Säuger, welche
schon durch die Lage ihres Kiefertheils diese letztere Bildungsweise erkennen
IX. Der Kopf. 701
lassen , erhalten denn auch frühzeitig im seitlichen Anschlüsse an die trichter-
förmige Anlage des Hirnanhangs eine quere Mundbucht unter dem vordersten
Ende des Kopfdarms, welche den auswachsenden Kiefertheil in die eben bezeich-
neten Schenkel spaltet, Da aber, wie ich es bereits bei den Batrachiern aus-
führte, die meisten Einzeltheile aus der Wurzel des Kiefertheils kontinuirlich
und gerade zum Unterkieferbogen hinabziehen , so fasse ich die Gesammtheit
dieser Erzeugnisse des ersten lateralen Kopfsegments (Kaumuskeln, unterer
Kiefernerv, Anlagen des Unterkiefers und seines Suspensoriums) als Unter-
kieferbogen zusammen, und betrachte den lateralen Gesichts- oder Oberkiefer-
fortsatz als Abspaltung von demselben. Da dieser Fortsatz bei den Amnioten
nicht nur äusserlich sich von der Umgebung deutlich absetzt, sondern auch in
den Durchschnittsbildern durch ähnliche Gewebslücken wie bei den Anuren-
larven von den anstossenden Gewebsmassen abgesondert erscheint, so ist seine
ganze Entwickelung leicht zu verfolgen. Hinter dem Auge entspringend und
unter demselben neben dem medialen Gesichtsfortsatze nach vorn ziehend
nimmt er den unteren Seitenrand des unter dem Vorderhirn sich entwickeln-
den Gesichts ein; vorn wird er durch die in den medialen Gesichtsfortsatz ein-
gesenkte Nasenhöhle mehr auswärts gedrängt, sodass erst seine unter dem
Niveau dieser Nasengegend frei hervorwachsende Gaumenleiste sich median-
wärts wenden kann, während er hinter dem Blindsack der Nasenhöhle von An-
fang an dem Stammsegmente angeschmiegt bis gegen die Medianebene sich
erstreckt. — Die Einheit des medialen Gesichtsfortsatzes ist gerade bei den
jüngeren Embryonen der Amnioten (Maulwurf) sehr deutlich zu erkennen , in-
dem der hintere Blindsack der noch unentwickelten Nasenhöhle von einer
völlig indifferenten und kontinuirlichen Masse des mittleren Keimblattes all-
seitig umschlossen wird (vgl. Taf. XIII Fig. 228), welche erst weiter nach vorn
durch die offene Nasenfurche abwärts gespalten erscheint. Die beiderseitigen
medialen Gesichtsfortsätze sind anfangs durch die mediane Lücke des mittleren
Keimblattes, in welche sich das Vorderhirn gleichsam einsenkt, viel weiter von
einander entfernt als es bei den Batrachiern der Fall ist (vgl. Taf XIII Fig. 223),
und fliessen daher auch viel später in der Medianebene zusammen, erst dadurch
die vermeintliche und angeblich ursprüngliche vordere Schädelbasis (Duüsy)
bildend. Die Divergenz ihrer vorderen Enden lässt sie zuerst in ziemlicher Breite
das Gesicht vorn abschliessen ; später scheinen mir aber die Oberkieferfortsätze
jenen Zwischenkiefertheil vollständig zu überwachsen, denn die Lippenmuskeln der
Sä uger h alte ich für richtige Homologa der gleichnamigen Theile der Anurenl arven .
702 IX Der KoPf-
Diese allgemeine Entwickelung der Vorderkopfsegmente , wovon ich nur
die für meinen Zweck wichtigsten Punkte hervorhob, ist von Dursy vielfach
anders gedeutet worden. Den medialen Gesichtsfortsatz zerlegt er nach dem
Vorgange Reichert's in einen mittleren und einen seitlichen Stirnfortsatz. Mit
Rücksicht auf das Relief und zum Zwecke der Beschreibung mag diese Unter-
scheidung ganz nützlich sein; nur darf sie nicht auf den Ursprung beider Fort-
sätze ausgedehnt werden, wie es Dursy thut, indem er den mittleren mit der
vorderen Schädelbasis, also dem Schlussbogen der Urwirbelplatten identifi-
cirt, den seitlichen als Visceralfortsatz von der „Bauchplatte" des Kopfes ab-
leitet. Zunächst bleibt uns dabei Dursy die Erklärung schuldig , wie jene
Bauchplatte zwischen dem Oberkieferfortsatze und dem Schädel, welche hinten
von dessen Basis an bis über das Auge hinauf in Berührung geschildert wer-
den, nach vorn vordringen kann. Ferner hätte im Hinblicke auf die bedeut-
samen Folgerungen, die daraus gezogen werden, jener wiederholten Behaup-
tung vom Ursprünge und der Bedeutung des seitlichen Stirn- und des Ober-
kieferfortsatzes eine Untersuchung vorangehen sollen, was die Bauchplatte
eigentlich sei, und ob sie überhaupt am Kopfe in dem gleichen Sinne wie am
Rumpfe vorkomme. Ich habe sowohl' in der Beschreibung der morphologi-
schen Entwickelung des Batrachierkopfes als auch in der Kritik der bisherigen
Vorstellungen über die Zusammensetzung des embryonalen Wirbelthierkopfes
überhaupt auseinandergesetzt, dass die Kopfdarmwand eine durchaus andere
Zusammensetzung hat wie die Leibeswand des Rumpfes und nicht einmal in
ihren einzelnen Abschnitten übereinstimmt (S. 218 — 229. 231 u. flg.). Mag
daher Dursy die Bauchplatte im Sinne v. Baer's oder eines anderen Embryo-
logen auffassen, so bleibt die Annahme, dass sie sich in den Kopf fortsetze,
jedenfalls ganz irrig. Nehmen wir aber auch die Existenz der Bauchplatte im
Kopfe und den Ursprung der bezeichneten Gesichtstheile aus derselben als rich-
tig an, so lässt sich noch immer nicht deren Bezeichnung als Visceralfortsätze
rechtfertigen. Die von Reichert zuerst so genannten Theile sind Bögen, welche
das vordere Kopfdarmende abwärts umschliessen •, der seitliche Stirn- und der
Oberkieferfortsatz umwachsen dagegen vordem Kopfdarme nur die Gesichtshöh-
len, welche dem Kopfdarme nichts weniger als homolog sind. Die Spalte endlich,
welche nach Dursy jene Fortsätze trennen soll, thatsächlich aber nicht existirt,*
* Da Dursy Durchschnitte jüngerer Embryonen überhaupt nicht untersucht hat. so hat
er bei der Besichtigung von Durchschnittsflächen bei auffallendem Lichte und schwacher
Vergrösserung wahrscheinlich die von mir bezeichneten Gewebslücken des mittleren Keim-
blattes mit einer durchgehenden, von der Oberhaut ausgekleideten Spalte verwechselt.
IX. Der Kopf. 703
könnte nur bei einer vollständigen Verkennung des Begriffs der Homologie mit
einer Visceralspalte verglichen werden. Kurz, ich komme zum Schlüsse dieser
Bemerkungen darauf zurück, dass die DmtSYsche Arbeit trotz der zutreffenden
Untersuchungen über einzelne spätere Entwickelungszustände des Säugethier-
kopfes über den eigentlichen morphologischen Aufbau desselben nur mangel-
hafte und irrige Aufschlüsse geliefert hat. Dagegen muss ich hervorheben,
dass die morphologische Entwickelung des Kopfes , soweit ich sie nur verfolgt
habe, bei allen Wirbelthieren von denselben Grundlagen ausgeht und ganz im
allgemeinen auch denselben Gang offenbart, sodass nur die allmählich stärker
hervortretenden Folgen der gegenseitigen Anpassung der in ihren Massen- und
äusseren Formverhältnissen wechselnden Einzeltheile die definitiven Unter-
schiede hervorrufen. Von diesen treten diejenigen des Vorderkopfes, also
der vorderen Hirnhälfte und des Gesichtes mit dem Kieferapparate am stärksten
hervor, wesshalb ich auch deren wahrscheinliche Ursachen besonders hervor-
hob. Je träger sich der Hirntheil anfangs entwickelt und je ungünstiger sich
alsdann das Massenverhältniss zum Kiefertheile gestaltet, desto weiter rückt
dieser unter ihm vor, um den unter dem schmalen Hirntheile gleichfalls schma-
len Kopfdarm (innere Mundhöhle) mit zwei abwärts wachsenden Schenkeln zu
umfassen ; durch ihre obere vordere Verbindung mit den unter dem Vorderhirn
hervortretenden medialen Gesichtsfortsätzen wird zwischen den sagittalen wul-
stigen Rändern beider Bildungen eine mediane Mundfurche angelegt, sodass
das dadurch vorgezeichnete Rundmaul nur den kleineren Abschnitt des ganzen
Kiefertheils in Anspruch nimmt, der grössere zu dem schräg auf- und rückwärts
ziehenden Bewegungsapparat desselben verbraucht wird (Anurenlarven). Die
Ursachen, welche das Massenübergewicht des Kiefertheils hervorrufen, wirken
aber offenbar auch noch auf den Zungenbeinbogen , dessen Muskelmassen sich
dem Kiefersuspensorium anschliessen. Diese mächtige Entwickelung der Kie-
fermuskulatur und des ihr zur Stütze und Befestigung dienenden Suspensoriums
passt insofern zum kleinen Bewegungsobjekt, dem eigentlichen Larvenmaul,
als die meisten jener Muskeln gegen die zu bewegenden Hebel ausserordentlich
geneigt liegen und daher, unter ungünstigen Bedingungen wirken. Ganz an-
ders gestaltet sich das Ergebniss dort, wo das Hirn gleich anfangs durch seine
Entwickelung den Kiefertheil so sehr überwiegt, dass es sich ganz vor ihn und
den von ihm eingeschlossenen Kopfdarm lagert und die Ausbildung dieser
Theile in die Breite veranlasst (Teleostier, Amnioten). In Folge der sich daraus
ergebenden queren Mundbucht wird auch ein grösserer Abschnitt des Kiefer-
704 IX Der Kopf.
theils in den queren ventralen Unterkiefer verwandelt, welcher durch die zu-
rückgedrängten und steiler gerichteten Kaumuskeln unter günstigeren Be-
dingungen bewegt, einen in die Gesichtsbildung viel weniger eingreifenden und
doch viel stärkeren Hebelapparat darstellt, als es im ersten Falle möglich war.
Indem aber den Anurenlarven die Bedingungen zur Herstellung dieses zweiten
Typus der Vorderkopf bildung nicht ganz fehlen, sondern erst spät zur Geltung
kommen, stellen sie sich als die erwünschtesten Verbindungsglieder beider
Typen dar. Wenn aber der Uebergang ihrer Larvenform in die definitive, den
Teleostiern und Amnioten entsprechende Kopfform klar vorliegt, so scheint mir
nunmehr auch ein Vergleich der ersteren mit der Organisation des Cyklostomen-
kopfes wenigstens der Neunaugen ausführbar. Abgesehen von der auffallenden
Uebereinstimmung im Schädel der jungen und erwachsenen Neunaugen und
der Anurenlarven, worauf ich später zurückkomme, will ich hier nur auf den dem
Schädel der Neunaugen seitlich angefügten Knorpelrahmen hinweisen, welcher
das Auge trägt und vorn und hinten einen Fortsatz ausschickt, von denen der
erstere schräg vor- und abwärts gerichtet sich mit einem vorderen Mundknor-
pel verbindet, der hintere wenigstens ebenfalls nach vorn zum Munde ziehen-
den Muskeln zum Ursprünge dient (vgl. J. Mueller Nr. 76 I S. 106 — 110
Taf. IV). Schon J. Mueller verglich diesen ganzen Skelettheil mit dem Kie-
fersuspensorium und dem Flügelgaumenbogen der Knochenfische und nannte
den hinteren Fortsatz ein Zungenbeinhorn (a. a. 0. S. 162 — 163); ungleich an-
sprechender finde ich aber den Vergleich mit den gleichnamigen Theilen der
Anurenlarven {vgl. Taf. XV III Fig. 324). Die schräg vorwärts gerichtete Lage
dieses Suspensoriums der Neunaugen und der von ihm entspringenden mäch-
tigen Muskelmassen stimmt nach der oben gegebenen Auseinandersetzung
mit dem weit vorgerückten Saugmaul gut überein ; da sich aber dieses bei den
Neunaugen viel stärker und entschiedener entwickelt als bei den Auurenlarven,
wo es doch schon den Unterkiefer rudimentär erscheinen lässt, so finde ich es
nicht auffallend , dass die ersteren einen Unterkiefer ganz entbehren und statt
dessen im knorpeligen Lippenringe und dem vorderen Mundschilde nebst ihren
knorpeligen Anhängen* ganz eigenthümliche, ausschliesslich der Unterstützung
der Lippen dienende Bildungen besitzen. Diese Auffassung gewinnt durch den
Umstand, dass das Larvenmaul der Neunaugen (Ammocoetes) durch die
* Es könnte vielleicht die hintere Seitenplatte des Mnndschildes (J. Mueller a. a. 0.)
davon ausgenommen werden, indem sie wegen ihrer Lage und Verbindung mit dem Suspen-
sorium dem Oberkieferknorpel der Anurenlarven verglichen werden dürfte.
IX. Der Kopf. 705
Anwesenheit einer grossen schirmdachähnlichen Oberlippe und einer kleinen
zurückstehenden und quergeschweiften Unterlippe (vgl. Rathke Nr. 137
S. 68. 75, Taf. III Fig. 15, M. Schultze Nr. 92 S. 25), sowie durch die Ab-
wesenheit jenes besonderen Mundskelets dem Larvenmaul der Anuren bedeu-
tend ähnlicher ist als dasjenige der erwachsenen Neunaugen-, die Neunaugenlarve
steht also nach ihrer allgemeinen Kopfbildung in der Mitte zwischen dem fertig
entwickelten Neunauge und den Anurenlarven, deren beider Formen von jenem
indifferenten Zustande immer mehr divergiren, indem einmal der cyklostome
Charakter, immer einseitiger ausgeprägt, zu ganz besonderen Bildungen hin-
führt, anderseits in die Organisation des ursprünglichen Rundmauls neue Form-
elemente wie der am Suspensorium befestigte Unterkiefer eingehen, welche die
Verwandlung dieses Typus in einen wesentlich anderen, den des queren Greif-
mauls, ermöglichen. Dadurch, dass dies in der individuellen Entwickelung der
Anuren wirklich ausgeführt wird, gewähren sie uns die befriedigendste Einsicht
in den ursprünglichen und ursächlichen Zusammenhang beider Typen. Die
morphologischen Grundlagen beider sind eben dieselben , und selbst die Ur-
sachen ihrer Umbildung in der einen oder anderen Richtung schliessen sich
nur in den extremsten Bildungen aus (Cyklostomen und Amnioten), und können
im übrigen sich mannigfaltig kombiniren. So sehen wir die Ursachen beider
Entwickelungsrichtungen in den Anurenlarven gewissermassen vereinigt und
nur abwechselnd das Uebergewicht erlangen. Bei den Teleostiern ferner über-
wiegen die Formbedingungen für den zweiten Typus der Vorderkopf bildung
allerdings gleich im Anfange der Entwickelung; doch nimmt das Uebergewicht
der Hirnbildung in der Folge so stark ab, dass trotz der quermäuligen Anlage
unter Umständen nachträglich eine Annäherung an die Kieferbildung der
Anurenlarven darin sich zu erkennen gibt, dass die beweglichen Skelettheile
des oberen Mundrandes (Maxillare, Intermaxillare) sich auf den Unterkiefer
stützen, und zwar oft so steil, dass die genannte Aehnlichkeit in Form und Be-
wegung sofort in die Augen springt.
Die Ucbereinstimmung aller Wirbelthiere in den primär-morphologischen
Anlagen und der allgemeinen Entwickelung des Hinterkopfes ist weit leich-
ter kenntlich als diejenige des Vorderkopfes, weil dort die Lagebeziehungen
und Umbildungen der ursprünglichen Anlagen während der Entwickelung sich
länger gleich bleiben. Hinsichtlich der segmentalen Gliederung und der grund-
legenden Zusammensetzung der Schlundwand habe ich jene Uebereinstimmung
allerdings nur für die Batrachier und Knochenfische unmittelbar nachweisen
Goette, Entwicklungsgeschichte. 45
706 IX Der Kopf-
können. Wenn wir aber an den Embryonen der Amnioten wenigstens diesel-
ben ursprünglichen Nervenanlagen im Rückentheile des Hinterkopfes, deren
Entstehung zu den frühesten Sonderungen der Embryonalanlagen gehört, und
ferner dieselbe Schlundspaltung wie bei den niederen Wirbelthieren erkennen,
so dürfen wir wohl mit vollem Recht annehmen , dass den schliesslich noch so
differenten Kopfformen aller Wirbelthiere homologe Embryonalanlagen mit
derselben segmentalen Gliederung zu Grunde liegen.
Wenn ich nun auf Grund der voranstehenden Vergleiche die Ueberzeugung
ausspreche, dass die Batrachier, weil sie wie in den meisten embryologischen
Beziehungen, so auch in der Bildungsgeschichte des Kopfes die einzigen klaren
und vollständigen Befunde liefern, und ferner die Uebergänge von niederen zu
höheren Formzuständen uns lebendig vor die Augen führen, desshalb die einzig
sichere Grundlage für jede vergleichende Betrachtung des Wirbelthierkopfes
bieten , so trete ich damit in scharfen Gegensatz zu Gegenbaue, , welcher die-
selbe Frage von einer ganz anderen Seite her zu lösen versucht hat (Nr. 135).
Dieser Versuch, in formeller Hinsicht ein Muster vergleichend-anatomischer
Darstellung und in der Durchführung ein glänzendes Zeugniss anatomischen
Scharfsinns, hat nach meiner Ansicht sein Ziel desshalb verfehlt, weil der Ver-
fasser von der die Methode und den Gang seiner Untersuchungen bestimmenden
Auffassung ausgeht, dass die rein anatomische Vergleichung fertiger Formen
wirklich zuverlässige Ergebnisse liefere, und bei der Unzulänglichkeit embryo-
logischer Nachweise allein die Lücken unserer Erkenntniss vom Zusammen-
hange der verschiedenen Formen auszufüllen fähig sei. Ich habe schon mehr
als einmal irrige Deutungen hervorgehoben, welche jener Auffassung und Me-
thode ihren Ursprung verdanken und hoffe in dem Folgenden wiederholt den
Beweis zu erbringen , dass die vergleichende Anatomie nur als letzte Schluss-
folgerung einer vergleichenden Ontogenie volle Sicherheit und bleibende Be-
deutung gewinnt, ohne genügende Berücksichtigung derselben aber jedes Kri-
terium für die Richtigkeit ihrer Schlüsse entbehrt.
Gegenbaur hat sich die Aufgabe gestellt, die Genese des Kopfskelets der
Wirbelthiere zu erklären, indem er es an dem angeblich günstigsten Objekte,
den Salachiern, in seinen einzelnen Theilen vergleichend untersucht. Der
Angelpunkt der Frage ist die Vergleichbarkeit des Kopfskelets mit dem Wir-
belsystem des Rumpfes. Dabei werden zunächst die Fehler der älteren Wirbel-
theorie aufgedeckt, welche das fertige knöcherne Kopfskelet in eine Reihe
vollständiger Wirbel zu zerlegen versuchte, während die embryonale Grund-
IX. Der Kopf. 707
läge desselben, das häutige und knorpelige Primordialkranium, „keine Spur
einer Gliederung in Wirbel" zeige, und der Grundstock der Wirbelbildung, die
Wirbelsaite, nur die hintere Hälfte der Schädelanlage durchziehe (Nr. 135
S. 1—8). Wenn daher der Schädel nicht als aus wirklichen Wirbeln zusam-
mengesetzt angesehen werden dürfe, so seien doch in seiner Entstehungs-
geschichte und seinem späteren Verhalten genügende Anhaltspunkte vorhan-
den, um seine Bildung auf dieselben Grundlagen wie bei den Wirbeln des
Rumpfes zurückzuführen. Soweit die Wirbelsaite den embryonalen Kopf
durchzieht, wird sie von denselben skeletogenen Theilen wie im Rumpfe um-
geben, * von denen die den Wirbelbögen entsprechende kontinuirliche Knorpel-
schicht aufwärts das Hirn und das ihm anliegende Gehörorgan umwächst
(a. a. 0. S. 26 — 29) ; dabei sei die Anpassung dieses vertebralen Schädelknor-
pels an das Gehörorgan so offenbar, dass in den Wirbelthierformen, welche das
letztere noch nicht besassen , die Labyrinthregion nothwendig ebenso einfach
gestaltet war wie die Occipitalregion, welche sich in ihrer Gestalt oft noch un-
mittelbar an die Wirbelsäule anschliesse (S. 30 — 52. 258 — 260). Ferner könne
der Mangel einer Gliederung im Schädelknorpel nicht gegen seine Wirbelnatur
zeugen : denn jene Gliederung könne auch an einzelnen Abschnitten der Wirbel-
säule fehlen, sodass das Kriterium des Wirbels nicht sowohl in seiner vollstän-
digen Sonderung als in der Beziehung zu einem bestimmten Körpersegmente
(Metamer) zu suchen sei (S. 260 — 263). Es entwickele sich also der bis zum
Vorderende der Wirbelsaite oder bis zur Sattelgrube reichende Abschnitt des
Primordialschädels im wesentlichen ebenso wie die Rumpfwinkel, wogegen die
vor der Sattellehne befindliche Schädelhälfte sowohl wegen der Abwesenheit
der Wirbelsaite und ihrer Scheide als auch desshalb, weil ihre Grundlagen, die
beiden seitlichen Schädelbalken Rathke's erst nachträglich aus der hinteren
Schädelbasis hervorwüchsen, von jener Homologie als prävertebraler Schädel-
theil ausgeschlossen werden müsse (S. 119 — 134. 295).
Bleiben wir zunächst bei diesen grundlegenden Ausführungen Gegenbaur's
stehen, so muss die Unhaltbarkeit der alten Wirbeltheorie ebenso unbedingt
zugegeben werden wie die Uebereinstimmung der allgemeinen Grundlagen der
Rumpfwirbel und des Schädels. In der näheren Begründung und Bestimmung
* Da mir die in Rede stehende Schrift Gegenbaub's bei der Abfassung des VII. Ab-
schnittes (vgl. S. 420) noch nicht vorlag, so muss ich nachträglich hinzufügen, dass Gegen-
baur nunmehr zu seiner ersten , später verworfenen und von W. Mueller wieder aufge-
nommenen Ansicht zurückgekehrt ist (Nr. 135. S. 123. 126), dass die äussere (skeletogene)
Chordascheide nicht von der Wirbelsaite selbst abstamme.
45*
708 IX. Der Kopf.
dieser Homologie kann ich aber Gegenbaue nicht folgen. Allerdings kann
nur der hintere chordale Abschnitt der Schädelbasis mit einer Reihe von noch
ungesonderten Wirbelkörperanlagen verglichen werden ; die zugehörigen Homo-
loga der Wirbelbögen sind aber weder auf jene hintere Schädelhälfte be-
schränkt, noch die ausschliesslichen Elemente der Seitenwand und der Decke des
Primordialkraniums. Allerdings sind nach meinen Erfahrungen die Embryonen
der Haie nicht geeigneter als diejenigen der Amnioten, die elementare Zusam-
mensetzung des Kopfes im Bereiche des mittleren Keimblattes uns kennen zu
lehren; um so bestimmter sind nun aber die Aufschlüsse, welche uns die Ent-
wicklungsgeschichte der Batrachier liefert, und welche aus den schon mehr-
fach bezeichneten Gründen auf alle übrigen Wirbelthiere angewandt werden
dürfen. Darnach gehören alle ursprünglich vor der Chordaspitze befindlichen
Schädeltheile einem einzigen vordersten Stammsegmentpaare an, welches in
Folge der embryonalen Kopf beuge horizontal umgelegt war-, und da als Grund-
lage dieses vorderen Schädelabschnitts bei allen Wirbelthieren ein Paar Knor-
pelbögen erscheint, welche von der Chordaspitze entspringend längs der ana-
tomischen Vorderhirnbasis nach vorn verlaufen und sich endlich ringförmig
schliessen, so sehe ich darin gerade den vollkommensten, weil am deutlichsten
gesonderten Wirbelring, dessen Körper bloss durch die frühzeitige Zurück-
ziehung der Wirbelsaite in den Bereich des Hinterkopfes verschoben ist. Auf
den möglichen Einwurf, dass dieser Wirbelring das Hirn gar nicht umgreife,
was doch eine wesentliche Lagebeziehung aller Wirbel sei, ist zu erwidern,
dass es am Hirntrichter wohl bei allen Wirbelthieren, bei den Batrachiern da-
gegen noch in viel grösserem Masse geschieht (vgl. Taf. XVII Fig. 314—316),
und dass bloss die überall nachweisliche nachträgliche Zusammenziehung der
ursprünglich getrennten Wirbelbögen unter das Vorderhirn bei den meisten
Wirbelthieren auch schon während der ersten Entwickelung mitgewirkt haben
mag. Es liegt demnach auf der Hand, dass der vertebrale Charakter des vor-
deren Schädelabschnittes mit der Thatsache, dass die Wirbelkörperanlagen
des ganzen Schädels nur bis zur Sattellelme reichen , sich ganz wohl verträgt.
Jener erste Wirbelbogenring ist aber nicht die einzige Grundlage der vorderen
Schädelhälfte. Rathke, welcher diese seine seitlichen Schädelbalken in allen
Wirbelthieren nachwies* und selbst im Knorpelringe der vorderen Schädel-
* Da Rathke gerade bei den niederen Wirbelthieren die jüngsten Entwickelungsstui'en
dieser Skelettheile nicht kannte, so ist ihm auch entgangen, dass sie an der Stelle ihrer spä-
teren Vereinigung ursprünglich weit auseinanderstehen. Der mittlere Schadelbalken oder
die bindegewebige Leiste über der künftigen Sattellehne hat mit den seitlichen Balken gar
IX. Der Kopf. 709
basis der Neunaugenlarven mit Recht dieselbe Bildung erkannte (Nr. 21 S. 7.
8. 16. 19. 22), hat deren Betheiligung am Aufbau der vorderen Schädelhälfte
im allgemeinen richtig gesehen , aber irrig gedeutet. Er nahm an , dass die
orbitale Schädelwand (vorderer Keilbeinflügel) der Batrachier und Knorpel-
fische eine unmittelbare Fortsetzung der seitlichen Schädelbalken sei (a. a. 0.
S. 17. 25) ; bei den Knochenfischen (Blennius viviparus) und den Amnioten, aus-
genommen die Eidechsen und Vögel, entständen allerdings gesonderte Knor-
peltafeln der vorderen Keilbeinflügel, aber immerhin in einer aus den Schädel-
balken hervorgewucherten Grundlage, sodass sie gleich dieser zum Wirbcl-
system gerechnet werden müssten (a. a. 0. S. 13. 20. 25). Ich kann diese Auf-
fassung nicht theilen. Bei den Batrachiern wächst die orbitale Schädelwand
mir bis zu einem gewissen Grade ganz bestimmt aus den cylindrischen Wirbel-
bögen (Schädelbalken) hervor, da diese sich zusehends abplatten. Da sie aber
dabei an den Rändern ihre bestimmte Grenze einbüssen, so muss ich an der
Ansicht festhalten, dass ihr Wachsthum nicht weniger durch Anlagerung neuer
Bildungselemente an jene Ränder erfolgt (vgl. S. 367. 368). Dasselbe dürfte
für alle mit einem sehr vollständigen Primordialschädel versehenen Knorpel-
fische, also gerade die Selachier, um so mehr gelten, als die noch immer voll-
ständigsten Untersuchungen über die Entwickelung desselben, welche wir Let-
dig verdanken, dieser Auflassung das Wort reden (Nr. 139 S. 100. 103. 106.
108). Die unbedeutende orbitale Schädelwand der Neunaugen mag dagegen
allerdings ausschliesslich aus den ursprünglichen Wirbelbögen der Ammocoetes-
form hervorgehen. Bei den Forellene mbryonen sehe ich aberdie vorderen Wirbel-
bögen in ihrer Gestalt längere Zeit unverändert unter dem Vorderhirn bloss immer
mehr zusammenrücken, während im Umfange des vorderen Schädeldachs, also von
ihnen vollständig getrennt und sogar weit entfernt ein schmaler Knorpelstreif ent-
standen ist. Ebenso kann ich an Coronella laevis bestätigen, was Rathke von
Coluber natrix aussagt, dass nämlich die orbitale Schädelwand aus einer grossen
von den Schädelbalken gesonderten Knorpelplatte hervorgeht, welche später den
grössten Theil der vorderen Schädelkapsel bildet, während jene Balken sich
unverändert in der Schädelbasis erhalten (Nr. 115 S. 124 194). Duesy's Be-
obachtung , dass die Orbitaldecke und die Orbitalflügel der Säugethiere nicht
aus dem hinteren, noch in die Schädelhöhle hineinragenden Rande der medianen
keine Aehnlichkeit und ist, wie es Rathke selbst angibt, ein vergängliches Gebilde (Nr. 21
S. 8). Da dieser Tbeil übrigens nicht eine Eigentümlichkeit der Amnioten ist (vgl. Rathke
a. a. 0. S. 7), sondern allen Wirbelthieren nur in wechselndem Masse zukommt, verdient er
eine eigene Bezeichnung, wozu ich die eingebürgerte Rathke'scIic beibehalte.
710 IX. Der Kopf.
Scheidewand des Gesichts, also nach Rathke;s Erklärung der miteinander ver-
schmolzenen Schädelbalken, hervorwachsen, sondern durch lokale Differenzirung
entstehen, spricht natürlich gerade gegen ihren vertebralen Charakter, wäh-
rend Duksy sie trotzdem nach der alten Schädelwirbellehre für Wirbelbögen
erklärt (Nr. 136. S. 182. 193. 206). Was endlich die Ausfüllung des vorderen
Wirbelbogenrings oder die Bildung des Mitteltheils von der vorderen Schädel-
basis betrifft, so beruht dieselbe überall, wo sie vorkommt, auf einem selbst-
ständigen Vorgange. Dies war bereits Rathke bekannt (Nr. 21 S. 10 — 12.
17. 22, Nr. 115 S. 123); bei seiner Auffassung der Schädelbalken als Wirbel-
bogenbasen musste ihm jedoch jenes Mittelstück des vorderen Keilbeinkörpers
als Bestandtheil eines Wirbelkörpers imponiren , während nach meiner Dar-
stellung darin nur das quere Schlussstück der in den Kopf fortgesetzten und
an seinem Vorderende horizontal umgebogenen Wirbelröhre zu sehen ist. —
Es ergibt sich aus diesen Thatsachen, dass der erste Wirbelbogenring (Schädel-
balken) entgegen der Deutung Rathke1 s nicht durchweg die Grundlage auch
nur der seitlichen und oberen Knorpeltheile des vorderen Primordialkraniums
ist, sondern wahrscheinlich bloss bei den Neunaugen diese Rolle spielt, bei den
übrigen Knorpelfischen und den Batrachiern in geringem Grade, ganz entschie-
den aber bei den höheren Wirbelthieren durch accessorische Bildungen zu
jenem Schädeltheil ergänzt wird.
Ebenso wenig wie der mit Unrecht „prävertebral" genannte vordere Ab-
schnitt des Primordialkraniums verdient der hintere Abschnitt die Bezeichnung
„vertebral" in dem Sinne, dass alle seine Knorpeltheile aus kontinuirlich mit-
einander hervorgewachsenen Wirbelbögen bestehen. Schon Rathke sieht in
der Ohrkapsel eine vom Wirbelsystem ganz gesonderte Bildung-, dagegen wer-
den die unmittelbar vor derselben gelegenen hinteren Keilbeinflügel, mögen sie
auch gesondert auftreten wie bei der Natter, gleich den vorderen Keilbeinflügeln
und dem Occipitalringe von der hinteren Schädelbasis abgeleitet und daher dem
Wirbelsystem hinzugezählt (Nr. 21 S. 13. 25, Nr. 115 a. a. 0.). Meine Unter-
suchungen an den meisten Wirbelthieren haben mich zur Ueberzeugung ge-
bracht, dass die ihnen allen gemeinsamen ventralen Theile der hinteren Schädel-
hälfte nur die Schädelbasis und der Occipitalring sind , dass aber die Bedeu-
tung der übrigen Bestandteile, wenn dieselben auch nach dem anatomischen
Verhalten sehr ähnlich erscheinen, je nach den einzelnen Abtheilungen sehr
verschieden sein kann. — Wie ich es für die Batrachier bereits nachgewiesen
habe (S. 632), wird der grössere Theil der hinteren seitlichen Schädelwand von
IX. Der Kopf. 711
dem Schläfenfliigelknorpel und der knorpeligen Ohrkapsel eingenommen, also
Skelettheilen, welche beide getrennt von den in der Schädelbasis enthaltenen
Wirbelelementen entstehen und von denen das erstere durch seine Grundlage
(äusseres Segment) von der Bildungsstätte der Wirbel (Stammsegmente) fun-
damental geschieden, den nicht entwickelten Wirbelbogen des zweiten Kopf-
segments vertritt, das andere aber, die Knorpelkapsel des Ohrs , eine dem Wir-
belsystem noch fremdere Einschaltung darstellt, an welche sich erst wieder ein
vertebrales Stück der seitlichen Schädelwand anschliesst. Da das letztere oder
der Occipitalring dem 3. und 4. hinter das Ohrbläschen verdrängten Kopfseg-
mente gemeinsam angehört, auch deren beide Nervenstränge (N. glossopharyn-
geus, N. vagus) seine Wurzel durchsetzen, so muss man in ihm das Aequivalent
zweier miteinander verschmolzenen Wirbelbogenabschnitte anerkennen. Wie
weit der in den Hinterkopf übergreifende Orbitalflügelbogen sowie überhaupt die
vor dem Occipitalringe befindlichen Knorpeltheile des Schädeldachs von jenem
oder dem vorderen Wirbelringe abzuleiten sind, ist gerade bei den Batrachiern
schwer zu entscheiden. Die häutigen Theile des Schädeldachs habe ich in der
Beschreibung als unmittelbare Fortsetzungen des Perichondriums der beschrie-
benen Knorpel „perichondrale" genannt, um damit anzudeuten, dass es nicht
Reste eines häutigen Primordialschädels sind, welcher als Vorläufer des knor-
peligen demselben zugleich als Grundlage diente. Die Anlage eines Knorpels
ist weder jemals häutig noch ein fertiges Gewebe , und jene Verbindungshäute
des Schädels entstehen ebenso wie die ihnen homologen Zwischenbogenbänder
des Rumpfes später als die Wirbelbögen; so lange man aber diese Bänder
nicht zu den Wirbelelementen zählt, können auch jene häutigen Schädeltheile
überall nur als accessorische betrachtet werden.
Der Seh ädel der Neunaugen bietet in seiner hinteren Hälfte gewisse Unter-
schiede vom Primordialkranium der Batrachier dar. Die Wurzel des Kiefer-
suspensoriums, welche bei den Neunaugenlarven unmittelbar vor und unter dem
vorderen Ende der Ohrkapsel mit dem vorderen Wirbelbogen zusammenhängt,
behält diese Lage auch im erwachsenen Thiere , sodass es höchst wahrschein-
lich ist, dass der in die Höhe auswachsende Wirbelbogen über ihr mit der Ohr-
kapsel zusammenstösst und sie somit von der Betheil igung am Aufbaue der
Schädelwand ausschliesst, wenn nicht diese Betheiligung vielleicht an der
Schädelbasis in bescheidenem Masse stattfindet (vgl. J. Muellee Nr. 76 I S.
106—110, Taf. IV, Langerhans Nr. 138 S. 34 Taf. IV Fig. 2). Ferner ist der
dorsale Schluss des Occipitalringes jener orbitalen Schädelwand so nahe ge-
7^2 IX. Der Kopf.
rückt, dass ihr unmittelbares Zusammentreffen an der Seite des Schädeldachs
angenommen werden darf. Unter diesen Voraussetzungen besitzen natürlich die
Neunaugen die einfachste Zusammensetzung des Schädels, indem derselbe neben
den beschriebenen Wirbelelementen nur die Ohrkapsel und das Schlussstück der
ganzen Wirbelröhre (harter Gaumen J. Mueller) als accessorische Stücke enthält.
Denn dass die Ohrkapsel mit den Wirbelanlagen nichts gemein hat, scheint mir auch
abgesehen von den bezüglichen embryologischen Beweisen für die übrigen Wir-
belthiere, aus den angeführten Darstellungen selbst deutlich genug hervorzugehen.
Die Knochenfische stehen in den eben erörterten Punkten den Batra-
chiern wieder näher als dieNeunaugen. Die hintere Schädelbasis der von mir unter-
suchten Forellenembryonen ist von dem das Gehörorgan anfangs nur lateral wärts
bedeckenden Knorpel durch eine deutliche und stellenweise breite Lücke ge-
trennt; nur an beiden Enden des Gehörorgans setzt sie sich in seitliche Bö-
gen fort, welche mit dem äusseren Ohrknorpel alsbald in kontinuirlichen, wenn-
gleich längere Zeit nur lockeren Zusammenhang gerathen. Das hintere Bogen-
paar unterscheidet sich vom Occipitalringe der Batrachier nicht. Der vordere
Seitenast der Schädelbasis beginnt am vorderen Wirbelbogen, bald nachdem
derselbe die Wirbelsaite verlassen hat, * zieht dann bogenförmig nach
aussen und zwischen den Stämmen des Trigeminus und Facialis unter das
Vorderende des Gehörorgans und verschmilzt mit dessen äusserer Knorpel-
wand nur wenig einwärts von der Stelle, wo das Hyomandibulare dieselbe noch
sehr nahe von der Basalseite berührt. Wenn ich hinzufüge, dass das Hyoman-
dibulare, wie ich weiter unten beweisen werde, zum Kiefersuspensorium gehört,
und daran erinnere, wie bei den Batrachiern die ursprüngliche Wurzel des
Suspensoriums (Schläfenflügelknorpel) sich von seinem äusseren Theile trennt,
so ist es kaum zweifelhaft, dass wir in jenem Seitenaste des ersten Wirbel-
bogens nicht einen Auswuchs desselben, sondern ein mit ihm sekundär verbun-
denes Homologon des Schläfenflügelknorpels der Batrachier vor uns haben.
Seine geringe Entwicklung bei unseren Fischen ist dadurch bedingt, dass ihr
Auge und Ohr , welche anfangs weit auseinander vor und hinter dem ersten
äusseren Segment lagen, während und nach der Bildung der Kopf beuge sehr
nahe zusammenrücken und dadurch sowohl das Wachsthum des Schläfenflügel-
knorpels in die Höhe unterdrücken, als ihn auch von den zurückgedrängten
Aussentheilen des Kiefersuspensoriums trennen. Durch seine frühzeitige Ver-
* Bei den Salmoniden verlässt der vordere Wirbelbogen die Wirbelsaite sebon hinter
ihrer Spitze, sodass dieselbe frei hervorragt (vgl. Vogt Nr. 123 S. 111 Taf. VII Fig. 166).
IX. Der Kopf. 713
Schmelzung mit der Ohrkapsel lassen sich seine Grenzen später ebenso wenig
bestimmt unterscheiden wie bei den Batrachiern ; jedenfalls ist er im vorderen
unteren Theile des Pro-oticum enthalten. Im Anschlüsse an das äussere Ende des
Schläfenflügelknorpels der Forelle setzt sich ein nach vorn über das Gehör-
organ vorragender Saum seiner Knorpelwand aufwärts fort , um in den schon
erwähnten seitlichen Knorpelstreifen des vorderen Schädeldachs überzugehen.
Ob nun diese Bildungen , welche ich für die Grundlagen des Ali- und Orbito-
sphenoids und des Schädeldachs halte, vom Schläfenfiügelknorpel oder von der
Ohrkapsel ausgehen oder endlich, was wohl wahrscheinlicher ist, eine ganz
lokale Entstehung haben, ist von gar keinem Belang gegenüber der Thatsache,
dass sie ausserhalb des Wirbelsystems stehen.
An die oben erläuterte Zusammensetzung des Teleostierschädels schliesst
sich der Schädelbau der Reptilien ziemlich eng an. Bei Coronella laevis und
Anguis fragilis finde ich die hintere Schädelbasis im allgemeinen so wie sie
Rathke von Coluber natrix beschrieben hat (Nr. 115 S. 33. 34. 122 u. flg.);
nur hat er die vordere Hälfte des Schädelabschnitts der Wirbelsaite desshalb
übersehen, weil dieselbe nicht in der Schädelbasis steckt wie die hintere Hälfte,
sundern ihr nur aufliegt und daher bei der Abtragung der Hirnhäute mit die-
sen entfernt wird. Ueber die gesonderte Anlage der Ohrkapsel und die Bil-
dung des Occipitalringes habe ich nichts hinzuzufügen. Von anderen Stücken
der hinteren Schädelhälfte beschreibt Rathke nur die sogenannten hinteren
Keilbeinflügel, welche als Knorpel getrennt, von der Schädelbasis auftreten, aber
wahrscheinlich doch ursprünglich aus derselben hervorgewachsen seien und
später ausser der Schläfengegend gleich den vorderen Keilbeinflügeln die zuge-
hörigen Abschnitte des Schädeldachs, die Parietalia, bilden (Nr. 115 S. 124.
193. 194, Nr. 21 S. 13. 25). Die Auffassung Rathke' s über den Ursprung
dieser Knorpelplatten der Schlangen ist aber nach meinen Beobachtungen un-
begründet, und wenn selbst die Beschreibung derselben richtig ist, so ist da-
gegen ihre Bezeichnung unpassend. Das Homologon des Schläfenflügelknor-
pels der Batrachier und Teleostier, welches die Schlangen und Eidechsen ge-
meinsam besitzen, hat Rathke allerdings gezeichnet (Nr. 115Taf. VII Fig. 17 c*),
aber als bedeutungslosen Fortsatz der Ohrkapsel unbeachtet gelassen. Er be-
steht schon von dem Erscheinen der erstgenannten Knorpelplatte, beginnt an
der Wurzel des ersten Wrirbelbogens dort, wo nach Rathke ursprünglich das
stielförmige Kiefersuspensorium aus der Schädelbasis hervortritt, und zieht durch
den zwischen der letzteren und dem Vordertheil der Ohrkapsel befindlichen
714 IX. Der Kopf.
Zwischenraum aus- und rückwärts unter diese Kapsel (vgl. Nr. 115 Taf. VII
Fig. 12. 17). Nach seinen Verbindungen,- seiner Lage zwischen den Aus-
trittsstellen des Trigerainus und Facialis entspricht er ebenso sehr den oben be-
zeichneten Schläfenflügelknorpeln , namentlich demjenigen der Fische, als der
RATHKE'sche Keilbeinflügel durch seine Lage vor dem Trigeminus, durch seine
späte und wie ich an Coronella laevis sehe, von dem unterdessen rückwärts
verschobenen Kiefersuspensorium vollkommen getrennte Entstehung von jener
Homologie ausgeschlossen wird. Die Verbindung jenes Schläfenflügelknorpels
der Reptilien mit dem äusseren Kiefersuspensorium habe ich in Ermangelung
genügend junger Embryonen allerdings nicht gesehen •, da jedoch sein mediales
Ende dieselbe Stelle einnimmt wie nach Rathke's, Beobachtung der ursprüng-
liche Stiel des Kiefersuspensoriums, und sein laterales Ende ganz entsprechend
der starken Verschiebung des letzteren nach hinten ebenfalls dorthin gerichtet
ist, so halte ich es für mehr als wahrscheinlich, dass bei den Reptilien die*nach
Ursachen und Folgen gleiche frühzeitige Trennung der Wurzel oder des Stiels
vom äusseren Theile des Kiefersuspensoriums eintritt wie bei den Batrachiern
und Knochenfischen. Dann erscheint es aber auch erklärlich , dass Rathke
jenen an der Schädelbasis zurückgelassenen Stiel, weil er ihn in der veränder-
ten Lage nicht wiedererkannte, sich mit dem übrigen Suspensorium ablösen
und verkümmern Hess (Nr. 115 S. 126. 127). Ist einmal der Schläfenflügel-
knorpel der Reptilien bestimmt, welcher später ebenso wie bei den Knochen-
fischen in das Pro-octicum aufgeht, so ergibt sich die richtige Deutung des
RATHKE'schen Keilbeinflügels von selbst: es ist bloss ein Parietale, welches
wegen der geringen Ausbildung des eigentlichen Keilbeinflügels vor demselben
und der Ohrkapsel bis an die Schädelbasis hinabreichen kann. Zum Ueber-
flusse mache ich darauf aufmerksam, dass er niemals den sogenannten hinteren
Keilbeinkörper berührt, sondern eine gute Strecke davor an die vorderen
Wirbelbögen oder Schädelbalken herantritt. Nach seiner Entstehung ist er
dem Wirbelsystem ebenso fremd wie die Ohrkapsel oder der Schläfenflügel-,
denn die Annahme Rathke's, dass der letztere oder sein Kieferstiel mit dem
Unterkiefer und Flügelgaumenbogen gleich einer Rippe aus. der Schädelbasis
hervorwüchse (Nr. 115 S. 78), entbehrt in demselben Masse jede direkte Be-
gründung, als sie indirekt durch den Vergleich mit den Batrachiern widerlegt
wird. Die Columella der Eidechsen kann nach Rathke's Vorgang auf Grund
ihrer Lagebeziehungen sehr wohl mit dem Seitentheile des Parietale der
Schlangen verglichen werden (Nr. 21 S. 13)-, denn ihre besondere Verbindung
IX. Der Kopf. 715
mit dem Flügelbein lässt sich aus der bei den Schlangen fehlenden Anlagerung
des letzteren an die Schädelbasis erklären. Jedenfalls lässt sich das Parietale
der Schlangen mit den knorpeligen Grundlagen des Alisphenoids und des
Schädeldachs der Teleostier ebenso gut vergleichen wie die Orbito-Frontalia
(vordere Keilbeinflügel, vorderes Schädeldach) beider Formen; und da das
„Alisphenoid" gar zu sehr an den „Schläfenflügelknorpel" erinnert, so wäre
es vielleicht passender, den ersteren Namen ganz aufzugeben und den Orbito-
Frontalia die Temporo-Parietalia entgegenzustellen, welche beiden in wech-
selnder Ausdehnung sich auf je einen der durch ihren Namen 'bezeichneten
Theile beschränken können (Orbitalia, Frontalia; Temporalia, Parietalia).
Ueber die Genese des Vogelschädels weiss ich nichts weiter anzugeben
als was schon Rathke bekannt war und wonach sie in den vertebralen Schädel-
anlagen (Schädelbasis, Occipitalring) mit der bereits betrachteten Schädelent-
wickelung namentlich der Reptilien übereinstimmt. — Dasselbe gilt auch von
den Säugethieren , deren Keilbeinflügel sich übrigens leicht mit dem Orbital-
und Schläfenflügelknorpel der Batrachier in Parallele bringen lassen. Die
Uebereinstimmung der Schläfenflügel halte ich wegen ihrer gleichen Lage-
beziehungen zur Schädelbasis, zur Ohrkapsel und zum Trigeminus für ge-
sichert. Dann braucht man, um die Homologie der vorderen Flügel vollstän-
dig zu machen, zum Bestände des von mir so genannten Orbitalflügels der Ba-
trachier nur noch dessen Wurzelstück bis zum Austrittsloche des Opticus hinzu-
zurechnen (vgl. Taf. XVIII Fig. 331). Darnach weicht aber auch der Säuge-
thierschädel hinsichtlich seiner vertebralen Zusammensetzung in keinem wesent-
lichen Punkte von den bereits betrachteten Schädeln ab.
Wenden wir uns nun zuletzt zu den höheren Knorpelfischen, insbesondere
den Selachiern, so stimmt das, was uns Leydig über die Genese ihres späteren
Primordialkraniums mittheilt (Nr. 139 a. a. 0.), mehr zu meinen Befunden an
den übrigen Wirbelthieren als zu der Auffassung Gegenbaur's. Leydig gibt
nämlich an, dass die „festen Gehörkapseln" erst zur Zeit, wann der vordere
Wirbelring bereits ausgefüllt ist und der Occipitalring sich zu bilden begonnen,
mit der zwischen ihnen liegenden Schädelbasis kontinuirlich verwachsen , und
ist offenbar der Ansicht, dass die Knorpelsubstanz auch ausserhalb der genann-
ten Theile lokal entstehe. Wenn also Leydig ein kontinuirliches Aufwachsen
des gesammten knorpeligen Primordialkraniums von der Schädelbasis nicht
kennt, Gegenbaur es aber behauptet (Nr. 135 S. 27 — 29), so dürften doch die
zahlreichen unzweifelhaften Befunde an anderen Wirbelthieren, welche ganz
716 IX. Der Kopf.
unvergleichlich günstigere Untersuclmngsobjekte darbieten, den Ausschlag
geben. Berücksichtigt man, dass die Primordialschädel aller übrigen Wirbel-
thiere aus diskreten und ungleichwerthigen Knorpelanlagen hervorgehen,
welche in den einzelnen Abtheilungen in verschiedenem Grade zu einem Kon-
tinuum verschmelzen und auswachsen, sodass das fertige Primordialkranium
der Batrachier demjenigen der Selachier an Vollständigkeit nicht viel nach-
steht , so stellt das letztere eben nur die letzte Stufe dieser sekundären Ausbil-
dung dar, ohne dass es darum in seinen Anlagen irgendwie von den anderen
Wirbelthieren abzuweichen brauchte.
Die Ergebnisse der angeführten vergleichenden Betrachtungen des Primor-
dialkraniums der Wirbelthiere sind folgende. 1. Nicht nur die hintere Hälfte
desselben, sondern auch die vordere enthält Theile, welche Wirbelanlagen
homolog sind. 2. Diese Wirbelanlagen erhalten aber durch die embryonale
Kopfbeuge in beiden Kopfhälften eine verschiedene Lage, indem die Bögen im
Hinterkopfe gleichwie im Rumpfe auf den horizontal verlaufenden Wirbelkörper-
anlagen aufrecht stehen, im Vorderkopfe sich horizontal umlegen und daher den
zugehörigen Wirbelkörperabschnitt an der Chordaspitze oder der Grenze bei-
der Hälften zurücklassen. 3. Dieser vorderste Wirbelring und der Occipitalring
sind nebst der sie verbindenden Schädelbasis die einzigen ursprünglichen Schädel-
wirbeltheile, welche allen Wirbelthieren gemeinsam sind. 4. Der dem Vorderkopfe
angehörige vordere Wirbelring entspricht dem ersten Kopfsegment, repräsentirt
daher einen einzigen Wirbel, welcher den in der Grösse sehr wechselnden vor der
Sattellehne liegenden Abschnitt der Schädelbasis bildet und theilweise seitlich
auswachsen kann (orbitale Schädelwand der Cyklostomen und Batrachier) ; mit
seinen vorderen Fortsetzungen gehört er dem Gesichte an. Die Bögen des
zum 2. Kopfsegment gehörigen Wirbelsegments kommen nirgends zur Ent-
wickelung; der auf das 3. und 4. Kopfsegment gemeinsam fallende Occipital-
ring enthält ebendesshalb die stets ungesonderten Elemente zweier vollständigen
Wirbel. 5. Die zwei genannten, nur in ihren Basaltheilen kontinuirlich ver-
bundenen, in den Bogentheilen getrennten Wirbelringe bilden das Primordial-
kranium nur in Gemeinschaft mit anderen von ihnen unabhängig entstehenden,
nicht vertebralen Knorpeltheilen , welche theils dem Wirbelsystem fremden
Organen angehören, wie die Ohrkapsel und das den 2. Kopfwirbelbogen ver-
tretende Schädelende des Kiefersusponsoriums (Schläfcnflügelknorpelj, theils
den Interkalarknorpeln der Rumpfwirbelsäule verglichen werden können, wie
die Orbito-Frontalia und Tempora-Parietalia der Knochenfische und Reptilien
IX. Der Kopf. 717
oder das den ersten Wirbelring ausfüllende Schlussstück der ganzen Wirbel-
reihe.* Die Ohrkapsel ist ein allen Wirbelthieren, der Scbläfenflügelknorpel
ein den meisten von ihnen zukommender Bestandtheil des Schädels-, die übrigen
Schaltstücke sind weder in ihrem Vorkommen , noch in ihrer Lage und Aus-
dehnung beständig und können selbst durch Auswüchse der Wirbelbögen theil-
weise ersetzt werden. 6. Die vergleichende Entwicklungsgeschichte der ver-
schiedenen Primordialschädel lehrt uns aber nicht nur, dass sie weder als Kon-
tinuum noch aus lauter homologen Wirbelanlagen entstehen, sondern vermag
allein uns den Weg ihrer phylogenetischen Entwickelung anzudeuten. Wir
erfahren dadurch, dass die Schädelanlagen die spätesten Bildungen des Kopfes
sind, welche sich den schon vorhandenen primär -morphologischen Theilen
(Hirn, Sinnesorgane, Wirbelsaite) und deren charakteristischenLagebeziehungen
von kleinem Anfange aus bis zu immer grösserer Ausdehnung anpassen und
nicht etwa aus einem gleichartigen früheren Bestände durch jene Theile nach-
träglich abgeändert werden. Eine solche Annahme hat nur einen Sinn , wenn
man den knorpeligen Wirbelanlagen häutige vorangehen lässt, welche mit ge-
wissen fundamentalen Segmenttheilen identisch wären (vgl. Gegenbattr Nr.
135 S. 26); denn dass z. B. das Gehörbläschen früher da ist als irgend eine ver-
tebrale Knorpel anläge , geht aus der Entwicklungsgeschichte aller Wirbel -
thiere ganz unzweifelhaft hervor. Sie weist aber auch ebenso entschieden die
Lehre vom häutigen Primordialschädel und den häutigen Wirbeln zurück. Die
Zusammensetzung der uns vorliegenden Primordialschädel ist also nicht ein
Zeugniss für die allmähliche Umbildung, der seine einfachen und gleichmässigen
ursprünglichen Grundlagen unterlagen, sondern nur ein Ausdruck für die vor
seiner Herstellung bereits erreichte Entwickelungshöhe des Wirbelthierkopfes.
Da ferner der Schädel früher erscheint als die Rumpfwirbelsäule, so dürfte es
konsequenter sein, in seinen von der Wirbelsaite ausgehenden Skelettheilen
nicht sowohl durch ungünstige Bedingungen nicht zur vollen Entwickelung ge-
kommene Wirbelanlagen, als vielmehr in der Rumpfwirbelsäule eine höhere
Entwickelung jener im Schädel bereits vorgebildeten Skeletstücke zu sehen.
Bei der embryologischen Untersuchung des Schädelbaues habe ich die
Frage nach der Wirbelnatur des Primordialschädels im allgemeinen von der
besonderen Bestimmung der einzelnen vertebralen Theile gar nicht trennen
* Mir scheint es richtiger, nur solche Schädeltheile mit den Interkalarknorpeln zu ver-
gleichen, welche neuen der Ergänzung des Wirheisystems des Schädels keine anderen ur-
sprünglichen Beziehungen hahen; daher kann ich Rathke nicht heistimmen, wenn er jenen
Knorpeln allein die Ohrkapsel zur Seite stellt (Nr. 21 S. 32).
718 IX. Der Kopf.
können, weil eben die letzteren nicht die einzigen Bestand th eile des Schädels
sind und daher von den übrigen einzeln unterschieden weiden mussten. Indem
aber Gegenbatjr zur Ansicht gelangte, dass die hintere Schädelhälfte bloss aus
kontinuirlich verbundenen Wirbeln entstehe, musste er die Bestimmung ihrer
Zahl und Lage zum Gegenstande einer besonderen Untersuchung machen. Da
er nun von der Ueberzeugung ausgeht, dass die Unzulänglichkeit der Entwicke-
lungsgeschichte in diesem Punkte feststehe (Nr. 135 S. 301), sucht er seine
Aufgabe dadurch zu lösen , dass er die den fraglichen Wirbeln zu Grunde lie-
genden, den Rumpfsegmenten homologen Abschnitte aus den Merkmalen der
vollendeten anatomischen Formen nachweist. Dabei leiten ihn die Nerven als
die beständigsten, mindest wandelbaren Theile (Nr. 134, Nr. 135, S. 264 — 293).
Die der vertebralen Schädelhälfte angehörigen Kopfnerven, also den N. olfac-
torius und N. opticus ausgenommen, werden nun durchweg für Homologa der
Spinalnerven erklärt ; und da sie mit den ventralen Hauptästen je einen Vis-
ceralbogen versorgen, in welchen Bögen sich eine Metamerenbildung gleich
derjenigen des Rumpfes offenbare, wo auf jedes Metamer je ein Spinalnerv
komme (Nr. 135 S. 257), so müssten im Kopfe ursprünglich so viele gesonderte
Spinalnerven bestanden haben, als es Visceralbögen gibt. Da jedoch an den
letzteren eine Reduktion nicht zu verkennen sei, so bezeichneten die noch be-
stehenden Visceralbögen die Minimalzahl der ursprünglichen und nur allmäh-
lich vielfach miteinander verschmolzenen spinalen Kopfnervenstämme (Nr. 135
S. 278). Doch erklärt Gegenbaur die beiden Kiefernerven nur mit Vorbehalt
für die ventralen Aeste zweier Spinalnervenhomologa , weil auch ihm die Vis-
ceralbogennatur des ersten zugehörigen Bogens, nämlich des Labialbogens, nicht
ganz unzweifelhaft erscheint. Der R. ophthalmicus sei der dorsale Ast, die
Augenmuskelnerven die motorischen Zweige des 1. und 2. Trigeminusastes
(Nr. 135 S. 286 — 290). Der N. facialis mit dem N. palatinus stelle den Haupt-
nervenstamm des Zungenbeinbogens vor, wozu sich der N. acusticus als R. dor-
salis gesellt (S. 280 — 286). Hinter dem N. glosso - pharyngeus , dem ersten
Kiemennervenstamm, stelle der N. vagus einen Komplex von mindestens fünf
solchen ebenso vielen Spinalnerven entsprechenden Stämmen dar, woran die
Hypothese geknüpft wird, dass der R. lateralis und R. intestinalis als umgebil-
dete Reste von verloren gegangenen, d. h. in das Darmrohr umgewandelten
Kiemenbögen zurückgeblieben seien (S. 264 — 280). Aus diesen mindestens
neun nach dem Typus der Spinalnerven angelegten Kopfnervenstämmen der
Selachier ergebe sich die gleiche Zahl von ursprünglichen Metameren des verte-
IX. Der Kopf. 719
bralen Kopfabschnittes und folglich von ursprünglichen, später durch Konkrescenz
verbundenen Wirbelsegmenten des vertebralen Primordialkraniums (S. 290— 293).
Soweit sich diese Ausführungen Gegenbaur's auf die ursprünglichen Me-
tameren und Wirbelsegmente des Kopfes beziehen, kann ich ihnen mit dem
kurzen Hinweise darauf begegnen, dass während er eine grössere Zahl jener
Theile auf indirekte Weise wahrscheinlich zu machen sucht, die Entwickelungs-
geschichte, wie ich gezeigt habe, vier Kopfsegmente und die zugehörigen
Schädelwirbelanlagen direkt und mit aller Bestimmtheit nachweist und dadurch
die endgiltige Entscheidung fällt. Aber auch hinsichtlich der anderen wich-
tigen Verhältnisse der Kopfbildung, aufweiche näher einzugehen Gegenbaub
bei seiner Beweisführung sich veranlasst sah , namentlich hinsichtlich der Spi-
nalnervennatur der Kopfnerven und der Metamerenbildung und Homologie der
Visceralbögen stimmen die Ergebnisse der GEGENBAUR'schen Untersuchungen
mit den embryologischen Befunden nicht überein. Zur leichteren Uebersicht
werde ich im Folgenden die beiderlei Auffassungen, und zwar zuerst mit Bezug
auf die Kopfnerven, dann auf die Visceralbögen vergleichend betrachten.
Bei der Untersuchung der Kopf nerven handelt es sich zunächst um
ihre Zugehörigkeit zu den ganzen hintereinander liegenden segmentalen Ab-
theilungen des Kopfes, ferner um ihre Unterscheidung, je nach dem Ursprünge
aus dem inneren oder äusseren Segmente des mittleren Keimblattes oder aus
anderen Embryonalanlagen jeder Abtheilung. Zu den letzteren gehören der
Sehnerv und die Seitemierven als Erzeugnisse des oberen Keimblattes; die
übrigen Kopfnerven entstehen aus dem mittleren Keimblatte. Gegenbaub.
vertheilt dagegen alle Kopfnerven auf seine beiden grundlegenden Abschnitte
des Kopfes in der Art, dass der Olfactorius und Opticus auf den prävertebralen,
alle übrigen auf den vertebralen Theil kommen. Jene beiden Sinnesnerven
seien mit den anderen Kopf- und den Spinalnerven des Rumpfes nicht ver-
gleichbar , einmal weil sie in ihren Stämmen als zum Gehirn gehörige Central-
organe sich ergeben, und ferner weil der prävertebrale Kopftheil eine Meta-
merenbildung überhaupt entbehre (Nr. 135 S. 290 — 292). Da es nun aber
einen prävertebralen, von der Metamerenbildung ausgeschlossenen Kopftheil
nicht gibt, so können auch jene beiden Sinnesnerven die ihm eigenthümlichen
Nervenbildungen nicht darstellen ; sie fallen vielmehr mit dem ganzen Trigemi-
nus, den vorderen Seitennerven mit inbegriffen , und den Augenmuskelnerven
gemeinsam in den Bereich der ersten segmentalen Kopfabtheilung (Vorder-
kopf). Auch kann ihre Bedeutung als Centralorgane gegen ihre Vergleichung
720 IX- Der Kopf.
mit peripherischen Nerven gar nicht aufgeführt werden, da die embryologi-
schen Beweise, auf welche sich Gegenbaur dabei stützt, nicht stichhaltig
sind. Für den Olfactorius der Batrachier habe ich nachgewiesen, dass sein
Stamm nicht aus einer unmittelbaren Verschmelzung der Geruchsplatte und
des Vorderhirns, sondern durch Vermittelung einer zwischengelagerten Masse
des mittleren Keimblattes entsteht (S. 331). Und wenn ich dabei auch der
Vermuthung Raum gab, dass später auch Elemente des Hirns in jene ursprüng-
liche Nervenbrücke einwandern, so scheint mir doch die Annahme, dass die
letztere auf jene Weise endlich durch einen specifischen Hirntheil vollständig
ersetzt werde , ebenso unbegründet wie etwa die Bezeichnung der in ähnlicher
Weise entstehenden Spinalnervenwurzeln als besondere Centralorgane. * Wenn
ich aber gleichfalls den Tractus olfactorius ausser allen Vergleich mit den
übrigen aus dem mittleren Keimblatte hervorgehenden Nervenstämmen stelle,
so geschieht es desshalb , weil ihm die ursprüngliche morphologische Anlage
fehlt, w eiche jene auszeichnet, er vielmehr aus einer sekundären Anpassung
eines morphologisch indifferenten Theils an besondere lokale Formverhältnisse
sich entwickelt. — Hinsichtlich des Opticus kann seine Auffassung als Central-
organ nur auf der bisher üblichen Vorstellung beruhen, dass die Augenanlage
ein wirklicher Auswuchs des Hirns sei. Diese Vorstellung ist aber nach meinen
Untersuchungen für das Auge nicht weniger unstatthaft wie für das Geruchs-
und Gehörorgan (S. 180); soll daher der Opticus nach seiner Genese — denn
nach seinem anatomisch-physiologischem Verhalten unterscheidet er sich von
allen übrigen Nervenwurzeln in keinem wesentlichen Punkte — sich als Central-
organ ausweisen , so liegt kein Grund vor , dieselbe Bedeutung der Netzhaut,
der Geruchsplatte und den epithelialen Bildungen des Labyrinths vorzuenthal-
ten, welche gemeinsam aus der von der Hirnanlage abgegliederten Sinnesplatte
hervorgehen. Wenn wir aber diese Organe als peripherische Endapparate dem
Centralnervensystem entgegensetzen, so ergibt sich daraus, dass eine solche
Unterscheidung lediglich aus physiologischen Anschauungen hervorging, und
dass wir auf Grund derselben den Opticus nicht weniger als den Olfactorius
oder Acusticus als die vermittelnden Leiter oder als peripherische Nerven anzu-
sehen haben, welche aber durch ihre Entwickelung jede Verwandtschaft mit
* Bei gewissen Wirbelthieren, z. B den Plagiostomen, mag die Höhlung des Tractus
olfactorius dafür zu sprechen scheinen, dass es ein Hirnauswuchs sei; wenn sich dies aber
auch bewahrheiten sollte, so ist damit noch nicht gesagt, dass auch dem endstäudigen Bul-
bus dieselbe Bedeutung zukomme und er dadurch von der Homologie mit dem Geruchs-
nerven der Batrachier ausgeschlossen wäre.
IX. Der Kopf. 721
allen eigentlich segmentalen Nerven entbehren. Dasselbe gilt von den Seiten-
nerven. Da der vordere Seitennerv der Anurenlarven sich nachträglich mit
dem Trigeminus verbinden kann , wesshalb ihn schon Fischee als Zweig des
letzteren beschrieb (Nr. 82 S. 59), so ist es nicht unwahrscheinlich, dass er in
gewissen dorsalen Trigeminusästen namentlich der Teleostier Homologa findet
(vgl. Stannius Nr. 80 I S. 155), welche alsdann vom übrigen Trigeminus prin-
cipiell geschieden werden müssen. — Von segmentalen Nerven enthält der
Vorderkopf den Trigeminus und die Augenmuskelnerven. Bei der Deutung
dieser Nervengruppe schwankt Gegenbaur allerdings hinsichtlich der Zahl
der von ihr vertretenen Metameren; indem er ihr aber ausschliesslich den
Charakter von Spinalnerven zuerkennt, bleibt die Ansicht, dass sie bloss einen
Spinalnerv repräsentire, nicht viel weniger fehlerhaft als die Annahme zweier
Spinalnerven, welcher Gegenbaur übrigens den Vorzug zu geben scheint, da
sie in der von ihm ausgeführten Tabelle allein zum Ausdruck kommt (Nr. 135
S. 293). Der Trigeminus und die Augenmuskelnerven der Batrachier ent-
wickeln sich innerhalb der einen segmentalen Abtheilung des Kopfes allerdings
aus zwei Anlagen, welche aber nicht gleichwerthig sind, sondern den zweierlei
Theilen jedes ganzen Segments entsprechen. Sie verhalten sich folglich zu
einander wie die Nerven der aus äusseren Segmenten sich entwickelnden
Rumpfgliedmassen zu den mit ihnen verbundenen Spinalnervenstämmen: der
N. nasalis mit den Augenmuskelnerven repräsentirt den durch die abweichen-
den Lagebeziehungen des ersten Kopfsegments in seinem Verlaufe veränderten
und nachträglich zersplitterten Spinalnervenstamm, die zwei Kiefernerven sind
aber die mit ihm verbundenen Homologa der Extremitätennerven. Die theil-
weise Zersplitterung und anderseits die Verbindung der beiden ursprünglichen
Anlagen erfolgen erst im Laufe der individuellen Entwickelung ; und da diese
Umbildung selbst in so nahverwandten Kreisen wie die einzelnen Batrachier-
gruppen es sind , mannigfach wechselt (vgl. Fischer Nr. 82), so kann aus den
ähnlichen Abweichungen bei den übrigen Wirbelthieren ein Argument gegen
die Gleichartigkeit der ersten Anlagen bei ihnen allen nicht entnommen
werden.
Ganz ähnlich wie diese Nerven in der ersten segmentalen Kopfabtheilung
verhält sich in der zweiten die Doppelanlage des Gesichts- und Gaumennerven,
welche genetisch ebenso wenig zu einander wie mit dem Acusticus zusammen-
gehören, wie es Gegen'baur annimmt. Wenn er ferner die gesonderte Anlage
des Acusticus und den Mangel eines Ganglions an diesem rein sensiblen Aste
Goette, Entwickelungsgeschichte. 46
722 IX- Der Kopf.
dadurch erklärt findet, dass die Bildung der Spinalganglien wie die Verbindung
der beiden Spinalnervenwurzeln lediglich aus sekundären Vorgängen resultiren
(Nr. 135 S. 284), so muss ich diese bestimmte Behauptung, mag sie nun einer
mir unbekannten embryologischen Quelle, oder, wie es wahrscheinlicher ist,
einer allgemeinen Ueberlegung entnommen sein, als durchaus unzutreffend be-
zeichnen; denn der ganze Spinalnerv mit seinen beiden Wurzeln und seinen
dorsalen Zweigen spinnt sich gerade von der ursprünglichen Anlage des Gang-
lions aus (S. 479. 485). Uebrigens habe ich meine Ansicht über den Acusticus
als peripherischen Nerven bereits ausgesprochen. — Der N. glosso-pharyngeus
und N. vagus enthalten überhaupt keine Elemente, welche mit Spinalnerven
übereinstimmten ; sie gehören bloss zwei äusseren Segmenten an. Damit fallen
alle Versuche Gegenbaur's, in ihnen eine grössere Anzahl spinaler Nerven
nachzuweisen , besonders da die zu demselben Zwecke herangezogene „Meta-
merenbildung" der Visceralbögen , wie ich gleich zeigen werde , auf eine solche
Bezeichnung gar keinen Anspruch hat. Die Verzweigung und selbst vollstän-
dige Spaltung des Vagus kann aber dabei um so weniger von Belang sein, als
das analoge Verhalten der Augenmuskelnerven Gegenbaue zu keiner solchen
Auffassung provocirt hat. Dass der R. intestinalis und die Rr. laterales des Vagus
ursprünglich weder zum letzten Nervenstamme des Kopfes noch überhaupt zu
den segmentalen Bildungen gehören, wird aus meiner Beschreibung genügend
erhellen. Den N. hypoglossus hält Gegenbaur für einen Theil des Vagus-
komplexes (Nr. 134 S. 530. 531, Nr. 135 S. 269); wenn wir ihn aber nach
seinem Wirkungsbereich überall zu den Fortsetzungen der ersten Rumpfseg-
mente (Mm. genio-hyoidei etc.) gehören sehen, und wenn er auch wie bei den
Batrachiern thatsächlich aus einem Spinalnerven sich entwickelt, ihn nachträg-
lich mit dem Vagus verbunden finden (vgl. Fischer Nr. 82 S. 63), so scheint mir
die Annahme berechtigt, dass auch bei den höheren Wirbelthieren der N. hypo-
glossus ursprünglich aus dem ersten SjDinalnerven hervorgehe und mit dem
Vagus nur eine sekundäre Anastomose eingehe , welche in Folge eines über-
wiegenden Wachsthums das Aussehen des eigentlichen Nervenursprungs erwirbt.
Für solche den genetischen Zusammenhang der Nervenursprünge verdeckende
Umbildungen besitzen wir eine ganze Reihe von Analogien, z. B. an dem eben
erwähnten Eingeweideast des Vagus, welcher fälschlich für den Stamm dessel-
ben gilt, dann am Armgefiecht, wo die eigentliche Fortsetzung der zugehörigen
Spinalnervenwurzeln nicht gemäss der gewöhnlichen Auffassung in den Arm-
nerven selbst, sondern in den schwachen Brustzweigen derselben zu suchen ist
IX. Der Kopf. 723
(vgl. S. 487) u. s. w. Es würde alsdann die GEGENBAUR'sche Auffassung den
anatomisch-physiologischen Verhältnissen der erwachsenen Thiere, die mehlige
dem genetischen Zusammenhange entsprechen.
In ganz ähnlicher Weise wie die Kopfnerven weder unter sich noch mit den
Spinalnerven völlig übereinstimmen, unterscheiden sich die Visceralbögen
von der Leibeswand des Rumpfes. Was zunächst ihre von Gegenbaür behaup-
tete Homologie mit den segmentalen Abtheilungen des Rumpfes betrifft, so
muss ich hier noch einmal auf das eigenthümliche Verhältniss der Metameren-
bildung in der Schlundwand zurückkommen. Die Metamerenbildung ist lange
nicht in allen Theilen, an denen sie später erscheint, ein und derselbe Vorgang,
sondern betrifft primär nur die dorsalen Segmente des mittleren Keimblattes.
Der Satz, dass die Metamerenbildung der Schlundwand nothwendig den dor-
salen Kopftheil in Mitleidenschaft gezogen haben müsse (Nr. 13ö S. 257) be-
ruht daher auf einer ganz irrigen Anschauung , indem die primäre Metameren-
bildung des Kopfes ebenfalls nur von dessen dorsalen Segmenten abhängig ist.
Die ursprünglichen Segmente übertragen nun ihre Eintheilung auf die übrigen
Embryonalanlagen erst sekundär, durch sehr verschiedene Anpassung und in
verschiedenen Perioden (S. 246). Ein Beispiel dafür sind die Wirbel, von deren
Körpern immer je eine vordere und hintere Hälfte einem und demselben Seg-
mente entsprechen , während von ihren an den Segmentgrenzen entstehenden
Fortsätzen (Bögen, Rippen) eigentlich gar nicht gesagt werden kann, ob sie
zum vorderen oder hinteren Segmente gehören. In anderen Fällen wird die
ursprüngliche Metamerenbildung durch die Verschiebung gewisser segmentaler
Systeme in den Bereich anderer geradezu verwischt. Das Vorrücken der vor-
dersten ventralen Rumpfsegmente an die Bauchseite des Kopfes stört bereits
die durchgehende segmentale Eintheilung desselben, da die betreffenden Mus-
keln (Mm. sterno-, genio-hyoidei) im Bereiche des Kopfes nur vom ersten
Rumpfnerven (N. hypoglossus) versorgt werden, also höchstens zwei Segmente
auf der ganzen dorsalwärts von den vier Kopfsegmenten beherrschten Strecke
darstellen (vgl. S. 466). Eine noch intensivere Störung wird durch die
Schlundfalten herbeigeführt. Ich habe ihre Entstehung dadurch wahrschein-
lich zu machen gesucht , dass das bei der Abschnürung des Kopfes in den-
selben hineingezogene Darmblatt nur im dorsalen Theile die entsprechende
ebene Ausdehnung erfährt, in den Seitenplatten aber bei der geringeren Aus-
dehnung der Unterlage zu Faltungen veranlasst wird, welche sich im allge-
meinen den Segmenten anpassen (S. 222 — 225. 247. 262). Die drei ersten
46*
724 IX- Der Kopf.
Schlundfalten werden dabei durch die drei ersten lateralen Kopfsegmente und zwar
durch deren an Masse anfangs noch überwiegenden dorsalen Theile bestimmt;
dies ergibt sich daraus, dass die Anlagen jener Schlundfalten an der Decke der
Schlundwand in unmittelbarer Anpassung an die bezeichneten Segmenttheile
und weiter abwärts, wo die letzteren noch fehlen oder zunächst nur in dünnen
Strängen vorhanden sind, dennoch in den gleichen Proportionen wie oben er-
scheinen (Taf. VI Fig. 98—107, Taf. VII Fig. 121—126). Da jedoch schon
vor der Entwicklung der vierten Schlundfalte das vierte laterale Kopfsegment
im Bereiche des Darmblattes sich zu einer breiten aber dünnen Platte aus-
gedehnt hat, welche an der Grenzeinschnürung des Kopfes unmerklich in die
laterale Segmentschicht des Kopfes übergeht (Fig. 123. 124), so kann dieselbe
die folgende Schlundfalte nicht mehr bestimmen, und diese wie die fünfte ent-
stehen beide mitten im Bereich des vierten Kopfsegments unter anderen Form-
bedingungen als die drei ersten Falten. Diese Bedingungen setzen sich fol-
gendermassen zusammen. Der Kopf wächst, wie ich es schon früher erwähnte,
ungleichmässig hervor (S. 647). Während im Rumpfe die Ausdehnung der
Segmente von den mächtigeren Stammtheilen abhängt, welche die dünnen
Platten der lateralen Segmente mit sich ziehen, können im Kopfe die an Masse
überwiegenden und von den Stammsegmenten völlig unabhängigen Aussenseg-
mente über die Grenzen der letzteren hinaus sich ausbreiten. Die Veranlassung
dazu findet insbesondere das 4. laterale Kopfsegment in der seine untere Hälfte
enthaltenden und während der Faltenbildung sich ansehnlich ausdehnenden
Schlundwand. So verschieben sich die hinteren Aussensegmente über den Be-
reich ihrer rudimentären Stammsegmente rückwärts, wogegen das 1. Stamm-
segment des Rumpfes keilförmig zwischen sie vorrückt (Taf. VI, Taf. VII).
Während nun das Darmblatt vom 4. lateralen Kopfsegmente nicht weiter be-
einflusst wird, schmiegt es sich jenem ersten Rumpfsegmente ebenso an wie allen
übrigen (S. 247) und springt folglich an der eingezogenen vorderen und hin-
teren Segmentgrenze mit zwei queren Leisten vor, welche weiter abwärts die
Bildung der beiden letzten Schlundfalten im Bereiche des vierten lateralen
Kopfsegments bestimmen, obwohl sie nach ihrem Substrat und ihren Bildungs-
ursachen dem Rumpfe angehören. * So ist es verständlich , dass die durch die
beiden letzten Schlundfalten erzeugten drei Kiemenbögen nicht aus einer ein-
* Ich habe leider versäumt, jene Anpassung des Darmblattes an die Rumpf segmente
abzubilden, und kann daher dieselben nur am Axenstrange des Darmblattes demonstriren
(Fig. 123).
IX. Der Kopf. 725,
fachen Metamerenbildung, sondern aus einem sehr komplicirten Vorgange
resultiren, wobei eine sekundäre Segmentirung des Rumpfes in Folge nachträg-
licher Verschiebung das eigentliche letzte Metamer des Kopfes mehrfach spal-
tet; folglich können sie weder als Metameren des Kopfes noch überhaupt als
primäre Metameren bezeichnet werden. Was aber für die zwei letzten Schlund-
falten der Batrachier gilt, muss bei der sonstigen Uebereinstimmung offenbar
auch für die drei letzten Schlundfalten der meisten Fische gelten , deren Zahl
bekanntlich nur selten um eine oder zwei überschritten wird. — Das Ergebniss
dieser Untersuchung lautet daher: der Unterkiefer-, Zuagenbein- und erste
Kiemenbogen sind die ventralen Abschnitte der drei ersten Metameren des
Kopfes, die übrigen Kiemenbogen dagegen Spaltungsprodukte eines einzigen
Metamers. Da sich dies natürlich auch auf die in den Bögen eingeschlossenen
Nerven bezieht, so werden auch von dieser Seite her die betreffenden Vagus-
zweige genetisch einem einzigen Stamme zugewiesen. Schon dadurch ist eine
völlige Homologie der ganzen Visceralbögen unter sich widerlegt, und es
bliebe noch zu erwägen, wie weit sie bei Nichtberücksichtigung des Metameren-
charakters die von Gegenbaur befürwortete gleichwertige Zusammensetzung
zeigen.
Für den Kiefer- und Zungenbeinbogen führt Gegenbaur zunächst den
Nachweis, dass sie in den früheren Stammformen der Selachier ebenfalls voll-
ständige Kiemen getragen hätten, und da die Gleichartigkeit der Funktion auf
ein gleichartiges morphologisches Verhalten schliessen lasse, auch im Bau der
Skelettheile einfache Kiemenbogen gewesen seien, welche nur durch spätere
Anpassungen sich zu ihrer gegenwärtigen Gestalt entwickelt hätten (Nr. 135
S. 183— 18G. 205—211. 231. 236). Auch die Labialknorpel werden den
kiementragenden Bögen gleichgestellt, obgleich dieselbe Funktion in zurück-
liegenden Bildungszuständen für sie nur wahrscheinlich gemacht , nicht bewie-
sen werden könne (S. 228 — 230). Ferner seien alle diese Bögen namentlich
wegen ihrer Innervirung als zum Kopfe gehörig zu betrachten; und da ihre
Skeletbögen, wenn auch wegen des Mangels der serösen Leibeshöhle im Kopfe
den Rippen nicht vollständig homodynam, so doch im allgemeinen homolog er-
scheinen , so müsse für sie ein gleicher ursprünglicher Kontinuitätszusammen-
hang mit den zugehörigen Wirbelanlagen wie für die Rippen vorausgesetzt,
d. h. alle Visceralskeletbögen als untere Bogenbildungen des vertebralen
Schädeltheils aufgefasst werden (S. 252 — 257). — Gegenbaur stützt sich bei
diesem Vergleiche auf die im besten Falle nur wahrscheinlich gemachte ana-
726 IX- Der Kopf.
tomische Uebereinstimmung der fraglichen Theile ; aber die anatomische Aehn-
lichkeit allein erlaubt nicht einmal auf die Gleichwerthigkeit der verschiedenen
Abschnitte eines kontinuirlichen Theils, also noch viel weniger diskreter Theile
mit aller Sicherheit zu schliessen. Oder ist nicht der Körper des Steissbeins
der Anuren in seinem hinteren Abschnitte, welcher nur aus dem hypochor-
dalen Knorpelstabe entsteht , wesentlich verschieden von dem kurzen , bogen-
tragenden Vordertheile , dessen Knorpel die theilweise ebenfalls verknorpelnde
Wirbelsaite einschliesst? Und wenn die unteren Bögen und die Rippen der-
selben oder verschiedener Thiere noch so ähnlich erscheinen, so ergibt sich
doch ihre Ungleichwerthigkeit aus der Entwickelungsgeschichte mit voller Be-
stimmtheit (S. 392. 393. 425 u. flg). Ebenso gewiss ist aber auch die geneti-
sche Verschiedenheit der Visceralskeletbögen unter sich und im Vergleich mit
unteren Wirbelbögen zunächst bei den Batrachiern und Knochenfischen und in
Folge dessen sehr wahrscheinlich auch bei den übrigen Wirbelthieren, in erster
Reihe bei den Selachiern. Die Visceralskeletbögen entsprechen den Schädel-
wirbeln weder in der Zahl , noch wachsen sie überhaupt aus denselben hervor,
unterscheiden sich also in ihrer Entwickelung von den Rippen und unteren
Wirbelbögen ganz wesentlich , wie sie denn auch zu ganz anderen Muskel- und
Nervengruppen in Beziehung treten. Auch sind die Knorpelbögen der Kiemen
(bei den Selachiern die inneren Kiemenbögen) als Erzeugnisse der Seitenplatte
wohl den Zungenbeinknorpeln nicht aber den Knorpeln des Kieferbogens homo-
log, welche als Skelettheile eines gürtelförmig die inneren Körpertheile um-
wachsenden äusseren Segmentpaars ausschliesslich den Skeletgürteln der
Rumpfgliedmassen an die Seite gestellt werden dürfen. Der Schwund der
Seitenplatte im Unterkieferbogen kann dabei die Homologie ebenso wenig
stören , als der Mangel der Rumpfhöhlenbildung innerhalb des Beckengürtels
dessen Gleichwerthigkeit mit dem Brustgürtel aufhebt. Dagegen ist allerdings
die Gesammtheit der aus den äusseren Segmenten jedes Kiemenbogens und des
Zungenbeinbogens hervorgehenden Bildungen (Muskeln, Nerven , Kiemenstrah-
len) mit der Masse einer Rumpfextremität ebenfalls vergleichbar , sodass eine
solche nach der Sonderung der Einzeltheile vor jenen Organkomplexen eben
nur den die Aussentheile tragenden Skeletbogen voraushätte , welcher in jenen
Bögen des Kopfes durch einen genetisch verschiedenen Skelettheil ersetzt wird.
Daher muss der Vergleich zwischen dem Kiemenbögen- und Gliedmassenskelet
auf die Aussenglieder, die Kiemenstrahlen und die Flosse, beschränkt, alsdann
aber auch auf eine wirkliche allgemeine Homologie bezogen werden , während
IX. Der Kopf. . 727
Gegenbaur bei der Erwähnung jener Vergleichung offenbar die ganzen
Skeletkomplexe im Auge hatte und daher konsequenterweise bei der angeb-
lichen Uebereinstimniung der inneren Kiemenbogenknorpel mit Rippen von
einer Homologie jener ganzen Komplexe nicht reden konnte (Nr. 135 S. 181).
Um so leichter lässt sich aber unter solchen Umständen der Kiemenstrahlen
tragende Unterkieferbogen der Haie (Nr. 135 S. 203—207) mit deren ganzen
Gliedmassen in Parallele bringen. — Am wenigsten glücklich ist Gegenbaur
beim Vergleiche der Lippenknorpel der Haie mit den übrigen Visceralskelet-
bögen. Denn nach seiner Ansicht, welcher ich gern beitrete, sind sie den oberen
Lippenknorpeln der Anurenlarven homolog (Nr. 89 S. 648), alsdann aber auch
als kontinuirliche erst sehr spät abgegliederte Fortsetzungen des ersten dor-
salen Kopfwirbelbogens von allen sogenannten Visceralskeletbögen grundsätz-
lich verschieden, wie ich sie denn genetisch in Gemeinschaft mit ihrem Wurzel-
stücke oder der Stammplatte nur knorpelig vorgebildeten Dornfortsätzen an
die Seite zu setzen weiss.
Nach diesen mehr allgemeinen Betrachtungen will ich noch auf einige be-
sondere Ergebnisse der vergleichenden Entwickelungsgeschichte des Wirbel-
thierkopfes aufmerksam machen. Ich beginne mit dem Gesichtstheil des
1. Kopfwirbelbogens. Es ist bekannt, dass dieses Wirbelbogenpaar oder
die von Rathke so genannten seitlichen Schädelbalken in sehr verschiedener
Ausdehnung zur Verschmelzung kommen (Rathke Nr. 21 S. 8, Nr. 47 S. 133).
Auf der niedersten Entwicklungsstufe aller Wirbelthiere umfassen sie die vor-
dere Schädelbasis bis zu den Geruchsorganen mit einem länglichen Ringe, aus
dessen vorderem Schlüsse sie vereinigt hervortreten, um darauf nach beiden
Seiten auseinanderzufahren; die gemeinsame Wurzel dieser vorderen Hörner
oder die Stammplatte des Gesichts wird zum Boden des unpaaren Geruchs-
organs oder wächst zur senkrechten Scheidewand der paarigen Nasenhöhlen
aus. Bei den Cyklostomen und Batrachiern bleiben diese Lagebeziehungen
durch das ganze Leben erhalten : die vom Wirbelringe umschriebene vordere
Schädelbasis bildet stets in der ursprünglichen Gestalt und relativen
Grösse das einzige Verbindungsglied zwischen der hinteren Schädelbasis und
jenen Nasenskelettheilen. Die Teleostier zeigen noch nach der Enthüllung
einen ähnlichen vorderen Wirbelring , wie ihn Rathke von einem jungen Nat-
terembryo abbildet (Nr. 115 Taf. VII Fig. 12)-, erst später, also in einer sehr
vorgerückten Bildungsperiode beginnen die beiden Wirbelbögen von der ur-
sprünglichen Nasenscheidewand rückwärts fortschreitend sich zu nähern, um
728 ' IX- Der Kopf.
endlich miteinander zu verschmelzen, und im Anschlüsse an sie verwandeln
sich die über ihnen liegenden orbitalen Schädelwände in ähnlicher Weise von
unten und vorn aus in eine mediane Scheidewand, die Interorbitalwand, welche
alsdann wie eine Fortsetzung der Nasenscheidewand erscheint. Diese Umbil-
dung und insbesondere die Verschmelzung der Wirbelbögen geht bis an die
Stelle , wo deren Wurzeln den Hirntrichter mit dem Hirnanhange umkreisen ;
diese Wurzelstücke bleiben getrennt, und da ich den M. rectus externus des
Auges schon sehr frühe das Wurzelstück seiner Seite überschreiten und unter
die hintere Schädelbasis vorrücken sehe, so ist es klar, dass die beiden Wirbel-
bogenwurzeln ,das sogenannte Sphenoideüm superius oder Basisphenoid kon-
stituiren und ferner den Umfang der Sattelgrube bleibend bezeichnen (Hall-
mann Nr. 140 S. 57, Stannius Nr. 80 1 S. 61). In Folge dessen ist aber natür-
lich auch nur die Decke des Augenmuskelkanals als hintere Schädelbasis und
das Parasphenoid der einen solchen Kanal besitzenden Fische nicht als Deck-
knochen der Bauchseite des Schädels anzusehen. Jenes scheinbare Vorrücken der
Nasenscheidewand unter den verkümmernden vorderen Schädelraum, welches von
dessen ursprünglicher Basis nur einen kleinen Rest vor der Sattellehne, die so-
genannte Sattelgrube zurücklässt , ist nur denkbar bei einer zurückbleibenden
Entwicklung des Vorderhirns, wodurch dasselbe aus dem früher eingenomme-
nen Räume sich successiv zurückzieht; und diese Formbedingung der geschil-
derten Umbildung des Schädels zeigt sich bei allen Teleostiern in gleichem
Masse, sodass, wo der in seiner Grösse ausserordentlich wechselnde Rest des
vorderen Schädelraums am wenigsten reducirt erscheint (Cyprinoiden), er auch
vom zurückgewichenen Vorderhirn am wenigsten ausgefüllt wird. Das wech-
selnde Mass der Konservirung des vorderen Schädelraums und der damit zusam-
menhängenden Ausbildung der Interorbitalwand hängt mithin von sekundären
Ursachen ab, während der gesammte'Rückbildungsproccss der vorderen Hirn-
und Schädelhälfte in seinem wesentlichen Kausalzusammenhange allen Te-
leostiern gleicherweise gemeinsam zu sein scheint. Aehnlich verhalten sich die
Reptilien und Vögel, unter denen sich bekanntlich bloss die Schlangen durch
den Mangel einer Interorbitalwand und die Erhaltung des allerdings ausser-
ordentlich komprimirten Wirbelrings auszeichnen (vgl. Ratiike Nr. 115 S. 194,
Taf. VII Fig. 17 , Huxley Nr. 113 S. 203); da jedoch ihr Hirn keine grössere
Entfaltung zeigt als bei den übrigen Reptilien und anderseits ihre orbitalen
Schädelwände sich über den Wirbelbögen zu einer neuen vorderen Schädel-
basis verbinden, so werden dieselben immerhin unzweifelhaft durch die gleichen
IX. ÜerKopf. 729
Ursachen aus ihren früheren Lagebeziehungen zum grössten Theile verdrängt
und gewissermassen überflüssig, um nur noch in der den Hirntrichter mit der
Hypophysis aufnehmenden Grube die ursprüngliche Lage und Funktion zu be-
halten. Ich will noch hinzufügen, dass ich bei der Forelle und wenn ich mich
nicht täusche, auch beim Hühnchen eine Einschnürung des ursprünglichen Wir-
belrings in seiner hinteren Hälfte erkannt habe, als frühzeitig angedeutete
Grenze zwischen seinem unter der Interorbitalwand verschmelzenden vorderen
und dem hinteren Abschnitte, welcher bei den mit einem Basisphenoid ver-
sehenen Teleostiern so gut wie bei den Reptilien und Vögeln den Umfang ihrer
Sattelgrube bleibend bezeichnet. — Behält man jenes Verhältniss der Schlangen
zu den übrigen Reptilien im Auge und überlegt ferner, dass, Avie ich bei einem
Vergleich meiner Präparate von jüngeren Acanthiasembryonen mit den Abbil-
dungen Letdig's von solchen älteren Embryonen (Nr. 139 Taf. III Fig. 9) finde, bei
den Selachiern der vordere Wirbelring sich ebenfalls von den Seiten zu einer rela-
tiv schmalen Platte zusammenzieht, und dass auch ihr darüber gebildeter vorderer
Schädelraum vom zurückbleibenden Vorderhim nicht ausgefüllt wird, so scheint es
mir richtiger, sie mit Bezug auf die vordere Schädelbildung nicht einfach etwa den
Batrachiern an die Seite zu setzen, sondern ihnen dieselbe Stellung zu den Teleos-
tiern anzuweisen, welche die Schlangen zu den übrigen Reptilien einnehmen.
Die geschilderten Verhältnisse sind bei den Säugethieren noch nicht ver-
gleichend festgestellt worden. Berücksichtigt man jedoch, dass ihre Sattel-
grube ganz allgemein mit dem gleichnamigen Theile der übrigen Wirbelthiere
verglichen und ihr Praesphenoid, welches das Ende der medianen Scheidewand
des Gesichts nebst den oft beträchtlichen hintersten Abschnitten der Nasen-
höhlen enthält, im ganzen vom Primordialkranium abgeleitet wird (Gegenbaue
Nr. 89 S. 658), so ergibt sich daraus unausgesprochen aber konsequenterweise
die Auffassung , dass auch bei den Säugethieren der vorderste Theil ihres pri-
mordialen Schädelgrundes sich abwärts in eine senkrechte Scheidewand ver-
wandele, welche als hintere Fortsetzung der knorpeligen Nasenscheidewand
den Charakter einer Interorbitalwand, welcher sie homolog wäre, nur dadurch
verlöre, dass zu ihren beiden Seiten sich die Nasenhöhlen in die ursprüngliche
Schädelbasis hineinzögen. Wie ungenügend Nasenscheidewand und Inter-
orbitalwand auseinandergehalten werden , erhellt übrigens auch daraus , dass
Huxley die Interorbitalwand der Vögel als hinter der eigentlichen Nasen-
scheidewand liegendes Ethmoideum bezeichnet (Nr. llo S. 242). Dagegen
muss ich in Bestätigung der DüRSY'schen Untersuchungen (Nr. 136 S. 97. 142.
730 IX. Der Kopf.
143. 191) bemerken, dass das Septum und die seitlichen Höhlen des Prae-
sphenoids schon in den ursprünglich bis an den vorderen Boden der Sattelgrube
reichenden Anlagen der Nasenscheidewand und der Nasenhöhlen vorgebildet
sind, und zwar so, dass nur das knorpelige Septum in den Schädelgrund konti-
nuirlich übergeht, die untern Seitentheile des späteren Praesphenoids aber frei
daneben liegen (Durst a. a. 0. Taf. VII Fig. 14. 15). Es wird folglich kein
Theil des primordialen vorderen Schädelgrundes der Säugethiere in der Weise
wie bei den Vögeln, Reptilien und Teleostiern umgewandelt , derselbe vielmehr
zwischen der Sattellehne und der Wurzel des Keilbeinseptums , nicht aber im
ganzen Praesphenoid, in seinem ursprünglichen Bestände unverändert erhalten ;
wie denn auch über diesem Theil der anatomischen Schädelbasis der Wirbel-
thiere die ganze Basis des Vorderhirns vom Hirnanhange bis zum Ursprünge
des Balkens liegt. Es folgt also die Entwickelung der Schädelbasis der Säuge-
thiere lediglich dem durch die Batrachier repräsentirten Typus, und
nur aus ihrer relativen Verkürzung könnte man vielleicht den Schluss ziehen
wollen, dass sie eine gewisse Rückbildung anzeige. Darin passt sie sich aber
vollständig dem Vorderhirn an , dessen an der Basis allerdings zurückbleiben-
des Wachsthum durch die Entfaltung der Gewölbetheile mehr als aufgewogen
wird; und indem dieselbe die temporalen und orbitalen Schädelwände nebst
ihrem vorderen Schlüsse theilweise horizontal nach aussen umlegt , veranlasst
sie nicht nur eine entsprechende stärkere Entwickelung dieser, sondern nament-
lich der Schädeldachtheile, sodass die vordere Schädelhälfte der Säugethiere in
ihrer Gesammtentwickelung diejenige der ihr morphologisch am nächsten
stehenden Wirbelthiere weit überholt. Als Begleiterscheinung eines fundamen-
taleren Vorgangs , eben der Hirnentwickelung , bekundet auch die Schädelbil-
dung in denselben Beziehungen, welche uns bei den Cyklostomen und Ba-
trachiern einen relativen Stillstand , bei den Selachiern , Teleostiern , Reptilien
und Vögeln einen allmählichen Rückschritt der Entwickelung anzeigen, bei den
Säugethieren im allgemeinen einen entschiedenen Fortschritt.
Aus dem vorderen Schlüsse des ersten Wirbelbogenrings geht bei allen
Wirbelthieren die Stammplatte hervor. Bei den Monorrhina entwickelt sie
sich natürlich nur zum Skeletboden des unpaaren Nasenorgans (Rathke Nr.
21 S. 22. 23)*; bei den Amphirrhina verwandelt sie sich vorherrschend in die
* Der Umstand, dass Langerhans den betreffenden Fortsatz des Ringschlusses bei
Ammocoetes nicht erwähnt (Nr. 138 S. 33), erklärt sich vielleicht auf dieselbe Weise wie die
Thatsache, dass der umsichtige Rathke bei der ersten Untersuchung von Ammocoetes zum
IX. Der Kopf. 731
Nasenscheidewand, was aber die gleichzeitige Entwicklung eines Nasenhöhlen-
bodens aus derselben Grundlage nicht ausschliesst (Batrachier, Reptilien). In-
dem man den unteren Rand der Nasenscheidewand und , wo eine Interorbital-
wand vorkommt, auch diese als eine Art Fortsetzung der Schädelbasis betrach-
tet, werden die Biegungen ihres Gesammtverlaufs mit der embryonalen Kopf beuge
in Zusammenhang gebracht. Da man jedoch die letztere meist nach den
weiter entwickelten Zuständen in ganz unzutreffender Weise bestimmte,
wurde vollkommen übersehen, dass wenn auch die spätere Schädelbasis ganz
eben ausläuft, die Erfolge der embryonalen Kopf beuge an ihr nicht weniger
als am Hirn erhalten bleiben (S. 303). Die Biegung der Schädelwirbelröhre
ergibt sich überall aus dem Winkel , den der vordere Wirbelring mit dem occi-
pitalen bildet. Dabei darf natürlich nur die ursprüngliche vordere Schädel-
basis, also wohl auch der untere Rand einer Interorbitalwand zur Bestimmung
des vorderen Winkelschenkels dienen, nicht aber gleicherweise die Nasen-
scheidewand, deren unterer Rand oft nicht in der Ebene jener Schädelbasis
fortläuft. — Die Entwicklung und Umbildung der vorderen Hörner der Stamm-
platte des Gesichts habe ich an den Batrachiern eingehend geschildert (S. 649.
658). Noch viel entschiedener als bei diesen tritt die Unabhängigkeit des Maxillare
von jenen knorpeligen Hörnern bei den Teleostiem hervor, bei denen der ge-
nannte Knochen weit hinter jeneu Enden der Stammplatte entsteht und erst
nachträglich mit seinem vorderen Ende deren Spitzen erreicht. Ob die Prae-
maxillaria der Knochenfische sich zu den bezeichneten Knorpeln ebenso ver-
halten wie bei den Batrachiern oder ihnen nur aufliegen, weiss ich nicht. Ge-
genbauk hält nach dem Vorgange von Duges die Maxiilaria undPraemaxillaria
der Batrachier für Deckknochen ihrer embryonalen oberen Lippen- oder
Schnauzenknorpel oder der von mir sogenannten Oberkieferknorpel (Nr. 89
S. 648); und indem er ferner die letzteren in den Labialknorpeln der Selachier
wiedererkennt, erklärt er die genannten Kieferknochen der übrigen Wirbel-
thiere gleichfalls für ursprüngliche Deckstücke von Labialknorpeln, welche nach
ihrer Rückbildung die ersteren allein hätten forterben lassen (Nr. 135 S. 222.
223. 227). Nach meinen Beobachtungen passt aber diese Auffassung für die
Batrachier und wenigstens zum Theil auch für die Knochenfische nicht; am
wenigsten kann ich mich aber der Behauptung anschliessen , dass ein Deck-
Erstaunen J. Müellee's gerade die härtesten Theile, eben den ersten Wirbelring oder die
Gaumeuleisten Müellee's nicht gefunden hat. Es liegt nämlich jetzt die Vermuthung nahe,
dass den genannten Forschern verschiedene Altersstufen jener Larve vorlagen.
732 XI- Der Kopf.
stück auch ohne seine knorpelige Unterlage vererbt werden könne. Entweder
fehlt ein genetischer Zusammenhang solcher Bildungen ; dann ist natürlich die
einseitige Vererbung des Deckknochens möglich, aber zugleich jede morpholo-
gische Beziehung desselben zur früheren Unterlage auszuschliessen. Oder
jener Zusammenhang besteht in der Weise, dass der Knorpel die Bildung des
Deckknochens veranlasst; dann kann nach dem Wegfall des ersteren als der
nothwendigen Formbedingung der Knochenbildung die letztere allein nicht
identisch vererbt werden. An die Stelle der Doppelbildung mag freilich eine
einfache Kiiochenbildung treten; sie ist aber alsdann der früheren nicht homo-
log ; es sei denn, dass man die Homologie nach dem anatomisch-physiologischen
und nicht nach dem genetischen Verhalten beurtheilt. Ersteres kann uns aber
zunächst nur über die Analogie Auskunft geben, weil auch die genetisch dispa-
ratesten Theile endlich zu grosser Aehnlichkeit sich umbilden können. Daher
sollte nach meiner Ansicht die morphologische Gleichwerthigkeit lediglich aus
der Entwicklungsgeschichte begründet, in letzter Instanz nur aus der Gleich-
artigkeit der Bildungsursachen abgeleitet werden. Wenn wir also die bisherigen
identischen Bezeichnungen für die Randtheile des knöchernen Oberkiefers bei-
behalten wollen, so dürfen wir damit den Begriff ihrer Homologie nicht ver-
binden.
Einen sehr guten Beleg für diese meine Ansicht liefert uns die vergleichende
Betrachtung des Kiefer Suspensoriums der Wirbelthiere. Ich habe damit
jenes primordiale Skeletstück der Batrachierlarven bezeichnet, welches in der
oberen Hälfte des Unterkieferbogens gelegen , zuerst mit seinem oberen Ende
gerade einwärts, dann durch einen Ast vor- und aufwärts sich mit der
Schädelbasis verbindet (Schläfenflügel, Flügelgaumenbogen), am unteren Ende
aber die betreffende Unterkieferhälfte trägt. Bei den Cyklostomen behält es
diese primitiven Beziehungen zum Schädel und den kontinuirlichen Zusam-
menhang seiner Theile. Im weiteren Entwickelungsverlaufe der Batrachier
sondert es sich in zwei Stücke, indem das mediale Schädelende sich vom
äusseren Theile vollständig ablöst und als Schläfenflügelknorpel in den Zusam-
menhang der seitlichen Schädelwand eingeht, während das frei gewordene
obere Ende des Aussentheils alsbald weiter rückwärts mit der Ohrkapsel ver-
schmilzt. Diese erste Theilung des primitiven Kiefersuspensoriunis habe ich
bei den Teleostiern und Reptilien, denen sich wohl die Vögel und Säuger an-
schliessen lassen, wiedererkannt; und wenn wir das Quadrato-Palatum der
scheinbar niedersten Haie in einer Gelenkverbindung mit dem oberen Theile
IX. Der Kopf. 733
der Ohrkapsel antreffen (Gegenbaur Nr. 135 S. 53), so dürfte auch für diese die
Annahme eines in die Schädelbasis aufgenommenen Homologons eines Schläfen-
flügelknorpels nicht unwahrscheinlich sein. An dem abgesonderten Aussen-
theile des primitiven Kiefersuspensoriums lassen sich bei den Batrachiern zwei
Theile unterscheiden, der eigentliche Träger des Unterkiefers und Zungenbeins
oder das Quadratum und der von diesem nach vorn aufsteigende und es offen-
bar stützende Flügelgaumenbogen. Ihre knorpeligen Grundlagen bleiben im
kontinuirlichen Zusammenhange, lassen aber durch die völlig getrennten
knöchernen Auflagerungen bereits eine Neigung zum weiteren Zerfall erkennen.
Ganz besondere Beachtung verdient aber der Umstand , dass die Wurzel des
Flügelgaumenbogens nach der festeren Verbindung des Quadratum mit dem
Schädel sich spaltet und der mediale Ast mit seinem Ende weiter gegen die
Schädelbasis vorrückt. Da bei allen Teleostiern an der Stelle, wo das Qua-
dratum und der Flügelgaumenbogen der Batrachier liegen, eine Reihe diskreter
Knochen sich vorfinden, von denen keiner die Merkmale eines jener ersteren
Skeletstücke ganz vereinigt, so hat sich der anatomische Scharfsinn in sehr
verschiedenen Deutungen derselben versucht. Da ich mit den älteren ebenso
wenig übereinstimmen kann wie mit der neueren, werde ich nur die letzteren
als die gegenwärtig massgebenden berücksichtigen. Nach Huxley und Ge-
genbaur hat man in dem ganzen vom Schädel zum Ober- und Unterkiefer
absteigenden Skeletkomplex Theile des Kiefer- und ZungenbeinbogenS zu schei-
den; zum ersteren gehören das Quadratum mit dem Flügelgaumenbogen (Ekto-,
Meta- , Entopterygoid und Palatinum) , zum Zungenbeinbogen das Hyomandi-
bulare mit dem Symplecticum (Nr. 113 S. 133, Nr. 89 S. 643). Die Entwicke-
lungsgeschichte dieser Knochen lehrt nun Folgendes. Ihre knorpeligen Grund-
lagen bestehen in zwei länglichen, anfangs ausserordentlich geneigt verlaufen-
den sagittalen Knorpelplatten, einer grösseren hinteren, welche mit dem breiten
Haupttheile an der Ohrkapsel hängt und vor- und abwärts in einen stielför-
migen Fortsatz ausläuft, und einer kleineren länglich-ovalen Platte, welche sich
dem Vorderrande der ersteren eng anschmiegt. Das grössere Knorpelstück
stellt das Hyomandibulare mit dem Symplecticum, das andere die Grundlage
des Quadratum und Metapterygoids und später, nachdem es vorwärts gegen die
Schädelbasis mit einem schmäleren Fortsatze ausgewachsen ist, in diesem die
übrigen Stücke des Flügelgaumenbogens dar. Die spätere Sonderung dieser
einfachen Grundlagen wird theils durch getrennte innere Verknöcherungen, theils
durch die Entwickelung getrennter Deckknochen herbeigeführt. Sowie das
734 IX. Der Kopf.
auf- und rückwärts überwiegende Hyomandibulare die Verbindung mit dem
Schädel besorgt, trägt das vor- und abwärts über das Symplecticum vorragende
Ende der vorderen Platte oder das künftige Quadratum den Unterkiefer- das
breite Zungenbeinhorn ist durch einen kurzen dünnen Stiel an dem Hinterrande
der grösseren Platte an der Grenze zwischen Symplecticum und Hyomandi-
bulare befestigt, von diesen aber immer deutlich gesondert. Die erste Schlund-
falte, welche die Verbindung mit der Oberhaut sehr frühe aufgibt und sich
etwas einwärts zurückzieht, liegt, wie ich es am besten an successiven Frontal-
durchschnitten feststellen konnte, zwischen dem Zungenbeinhorn einerseits und
dem Unterkiefer und Symplecticum anderseits und verstreicht nach innen vom
Zungenbeinstiele. Dadurch ist einmal erwiesen, dass das Hyomandibulare mit
dem Symplecticum gleichfalls im Unterkieferbogen entstehen und nach ihren
Lagebeziehungen eben nur zu der als Kiefersuspensorium thatsächlich fungiren-
den vorderen Platte gehören können. Vergleicht man nun diesen ganzen Auf-
hängeapparat der Teleostier mit demjenigen der Batrachier (vgl. Taf. XVI
Fig. 294—296. 300— SO 2, Taf.. XIX Fig. 343), so ergibt sich als einziger
wesentlicher Unterschied die ursprüngliche oder vielleicht nur sehr frühe Tren-
nung des ersteren in die zwei beschriebenen Hälften. Da nun die Sonderung
des ganzen primitiven Suspensoriums in getrennte Stücke (Schläfenflügelknorpel,
Quadratum) schon bei den Batrachiern beginnt, so kann ein weiterer Fort-
schritt dieser Erscheinung bei den Teleostiern die Vergleichung im allgemeinen
nicht beeinträchtigen. Ich sehe daher im Hyomandibulare und Symplecticum
das Quadratum der Batrachier, in der Grundlage des Quadratum der Teleostier
und ihres Ektopterygoids einerseits , und des Meta- und Entopterygoids ander-
seits die beiden Wurzeläste des Flügelgaumenbogens der Batrachier. Allerdings
könnte der Uebergang des Unterkiefergelenks von der ihm nach der eben ausge-
führten Vergleichung zukommenden Stelle, also dem Symplecticum, auf den
äusseren Wurzelast des Pterygoids (Quadratum aut.) die Ansicht vertheidigen
lassen, dass der ursprüngliche Gelenkfortsatz des Kiefersuspensoriums sich vom
unteren Theile desselben abgelöstund mit dem Pterygoid verbunden hätte; da aber
nicht nur allgemeine Gründe, wie die oft nachweisbare Uebertragung eines Ge-
lenks auf benachbarte Theile und der Umstand , dass das Symplecticum an-
fangs den Unterkiefer ebenfalls erreicht , sondern auch der direkte Nachweis
einer Antheilnahme des Pterygoids an der Bildung des Unterkiefergelenks bei
einem Amphibium, dem Cryptobranchus (vgl. Htütl Nr. 141 § 15 Taf. I Fig. 1),
für die erste Auffassung sprechen, so gebe ich ihr den Vorzug. Da der
IX. Der Kopf. 735
Zungenbeinbogen der Teleostier in seiner dorsalen Hälfte anfangs so wie bei
den Batrachiern ohne Skelettheile bleibt, und auch die erste Schlundfalte nicht
so hoch hinaufreicht, so verwachsen seine Weichtheile dort mit dem davor
liegenden Kieferbogen und zwar, weil in demselben die Nerven und Muskeln
ebenfalls vorn und aussen, die Skelettheile hinten und innen liegen, mit dem
sogenannten Hyomandibulare. Indem nun die in ziemlicher Breite miteinander
verschmolzenen dorsalen Hälften beider Bögen eine rückwärts von der zweiten
Schlundfalte begrenzte Platte bilden, welche sich mit dem ganzen Kiemen-
apparate aus der ursprünglichen queren Lage schräg nach hinten und beinahe
ganz sagittal umlegt, so wird in ihr zuletzt das Hyomandibulare nach aussen von
seinen Muskeln , nach innen von den dünnen Weichtheilen des Zungenbein-
bogens bedeckt, wesshalb auch der N. facialis als der zu diesem Bogen gehörige
Nervenstamm nach seinem Austritt aus dem Schädel an der medialen Seite des
Hyomandibulare abwärts verläuft und wo er dessen schrägen Hinterrand über-
schreitet, erst ganz allmählich von demselben umwachsen wird/ Aus demselben
Grunde wurzelt die Kieme des Zungenbeinbogens anfangs scheinbar an der
Innenseite des Kieferbogens , an der Grenze des Hyomandibulare und der
Grundlage des Metapterygoids ; der als Kiemendeckel frei hervorwachsende
Hinterrand des Zungenbeinbogens endlich muss als eine Fortsetzung des
Hinterrandes vom Kieferbogen erscheinen, und kann in Folge dessen das
Kiemendeckelskelet sich dem Hyomandibulare und Symplecticum rückwärts
unmittelbar anschliessen. Wenn man sich über diese Verschiebungen an
Batrachierembryonen orientirt (Taf. XVI Fig. 300—302, Taf. XVII Fig. 307.
308, Taf. XVIII Fig. 326, Taf. XIX Fig. 343), so lässt sich dadurch jedem
Einwurfe begegnen , der sich bei einer Ausdehnung des oben vorgenommenen
Vergleichs auf die Selachier erheben könnte. Gehen wir dabei von den Noti-
daniden aus (vgl. Gegenbaue Nr. 135) und denken uns bei ihnen so wie es bei
den Teleostiern geschieht, die Erzeugnisse der ersten Schlundfalte oder das
Spritzloch atrophirt, die Skeletbogentheile des Zungenbeinbogens auf die ven-
trale Hälfte desselben beschränkt , so würde das Quadratum genannte dorsale
Skeletstück des Kieferbogens, welches an der Labyrinthregion des Schädels
artikulirt, vorwärts in den Flügelgaumenbogen kontinuirlich übergeht und den
Unterkiefer trägt, scheinbar auch die Kieme des Zungenbeinbogens tragen, und
der Facialis, welcher eigentlich hinter dem Spritzloch liegt (Nr. 134 S. 514),
in seinem ganzen Verlaufe jenem Quadratum angeschmiegt sein; kurz, unter
Berücksichtigung sekundärer Erscheinungen , wozu auch die Abgliederung des
736 IX. Der Kopf.
Flügelgaumenbogens und die Verschiebung des Unterkiefergelenks gehören,
stimmt das Quadratum der Notidaniden sowohl mit demjenigen der Batrachier
wie auch mit dem Hyomandibulare der Teleostier überein. Und da Gegenbaur
die abweichenden Verhältnisse des Kiefer- und Zungenbeinskelets der übrigen
Haie und der Rochen mit jenem der Notidaniden in Einklang gebracht hat, so
gilt jener Vergleich auch für diese Plagiostomen , und kann daraus, dass bei
ihnen der dorsale Skelettheil des Zungonbeinbogens oder des Hyomandibulare
theilweise in die Funktion des zurückgebildeten und vom Schädel abgelösten
Quadratum tritt und diese Theile dadurch den bisher ebenso genannten Skelet-
stücken der Knochenfische äusserlich sehr ähnlich werden, ein anatomischer
Beweis für deren Homologie im Sinne Huxley's und Gegenbaur's (vgl. Nr. 135
S. 174) jetzt nicht mehr geschöpft, sondern müssen imGegentheil alle Selachier
in der gedachten Beziehung den Teleostiern um so weniger ähnlich erklärt
werden , je weiter sie sich in der Organisation ihres Kieferapparates von den
Notidaniden entfernen. Es darf daher das Hyomandibulare der Teleostier
seinen Namen nicht gemeinsam mit dem gleichbenannten Stücke der Haie und
Rochen führen , welches als oberes Skeletstück des Zungenbeinbogens bei den
Teleostiern entweder gar nicht vorkommt oder sein Homologon allenfalls nur
in dem kurzen Zungenbeinstiel findet.
Ueber die erste Entwicklung des Kiefersuspensoriums der Amnioten
geben uns zunächst nur die Beobachtungen Rathke's an der Natter einige
Aufklärung. Ihr Suspensorium besteht aus einem kurzen Stiele, welcher
zwischen Auge und Ohr mit der Schädelbasis zusammenhängt, und zwei davon
ausgehenden Bögen, wovon der eine als Flügelgaumenbogen im Oberlüefer-
fortsatze, der andere als MECKEL'scher Knorpel im Unterkiefer wulste liegt
(Nr. 115 S. 77. 78). An der gemeinsamen Wurzel dieser Bögen wächst der
Quadratbeinknorpel hervor, und gliedert sich darauf von ihnen ab-, alsdann
verkümmert auch der erstgenannte Stiel, löst sich von der Schädelbasis ab und
wird in Folge der Verschiebung des Quadratbeins nach hinten zu dem rück-
wärts vorspringenden Ende des MECKEL'schen Knorpels, mit welchem der
Flügelgaumenbogen in Verbindung bleibt (Nr. 115 S. 126. 127). Beim Ver-
gleiche mit den Batrachiern wird man den ursprünglichen Kieferstiel der
Natter mit dem primitiven Schläfenflügelknorpel jener Thiere und ebenso die
beiderlei Quadrata für Homologa erklären. Da ich nun bei etwas älteren
Embryonen an der Stelle jenes Kieferstiels ein Knorpelstück finde , welches in
allen Lagebeziehungen mit dem bezeichneten Schläfenflügelknorpel überein-
IX. Der Kopf. 737
stimmt, so kann die Erklärung ihrer Identität um so eher gebilligt werden, als
Rathke's Deutung die bezügliche Entwickelung der Natter ausser alle Be-
ziehung zu den übrigen Wirbelthieren brächte, während meine Auffassung ihre
vollständige Uebereinstimmung auch in diesem Punkte befürwortet. Auch das
von Rathke angenommene Hervorwachsen des knorpeligen Zungenbeinbogens aus
der Schädelbasis kann ich auf Grund meiner Erfahrungen an Batrachiern und
Fischen mit grosser Wahrscheinlichkeit für einen Irrthum erklären. Wenn das
Gehörknöchelchen der Reptilien wirklich als oberster Abschnitt des Zungen-
beinhorns (Nr. 115 S. 78. 128), also wohl auch dem Zungenbeinstiele der
Teleostier und dem Gelenkkopf des Zungenbeinhorns der Batrachier homolog
zu betrachten ist, so stimmt seine frühzeitige, auch von mir gesehene Anschmie-
gung an das Quadratum mit der Suspension jener andern Theile gut überein.
Bei den Batrachiern, Teleostiern und Reptilien finden wir also gleicherweise
ein primitives Kiefersuspensorium, welches drei Abschnitte unterscheiden lässt :
1. einen medialen, mit der Schädelbasis stets an der gleichen Stelle (Wurzel
des vorderen Wirbelrings, hinterer Keilbeinkörper) verwachsenen Stiel, welcher
allmählich zum Schläfenflügel auswächst; 2. eine äussere längliche Platte,
welche sich von jenem Stiel früher oder später ablöst und als Quadratum der
Ohrkapsel angelagert oder mit ihr verwachsen den ursprünglichen Träger des
Unterkiefers und des Zungenbeins darstellt , um später bald die eine , bald die
andere Verbindung aufzugeben; 3. den im Anschlüsse an das Quadratum
entstehenden Flügelgaumenbogen, dessen Wurzel sich am Unterkiefergelenke
betheiligen oder es ganz übernehmen kann. Hinsichtlich ihres späteren Ver-
haltens zeigt aber dieselbe nicht unbedeutende Verschiedenheiten. Ihre ein-
fache Verbindung mit dem unteren Ende des Quadratum scheint von der
ursprünglichen, vorwärts absteigenden Richtung des letzteren abhängig zu sein;
wenigstens besteht sie nur bei den Neunaugen und den Anurenlarven. In dem
Masse als sich das Quadratum steiler stellt , verbreitert sich die Wurzel des
Pterygoids und beginnt eine Spaltung desselben in zwei Schenkel oder Aeste;
und zwar zeigen die Batrachier bereits die Vorbilder für die betreffenden Um-
bildungen aller übrigen Wirbelthiere. An den schon erwähnten jungen
Embryonen von Anguis finde ich die Verbindung des Pterygoids mit der
Schädelbasis bereits in der bekannten Form des erwachsenen Thieres : es ist
mit einem stumpfen, noch sehr lange knorpelig bleibenden Höcker einem beii-
förmigen Fortsatze der Schädelbasis angelagert. Man braucht daher nur die
Abbildung Eckee's vom Pterygoid des Frosches (Nr. 90 S. 37) mit dem Flügel-
Goette, Entwiekelungsgeschichte. 47
738 IX Der Kopf.
bein der Eidechsen zu vergleichen, um in dem beschriebenen medialen Gelenk-
höcker des letzteren den medialen Wurzelast des ersteren wiederzuerkennen,
wie denn schon Ditges einen ähnlichen, nur wie es scheint auf die Knochen
beschränkten Vergleich anführt (Nr. 13 S. 25). Bei den Embryonen von Coro-
nella laevis vermisse ich die genannte Verbindung; nach dem anatomischen
Verhalten der meisten Reptilien und Vögel muss sie aber als die Regel be-
trachtet werden. Sowie also die Anuren durch ihr schlankes und deutlich ge-
spaltenes Pterygoid zu den Reptilien und Vögeln hinüberführen, weisen uns
die Urodelen mit ihrem breiten, ungespaltenen Flügelbein auf die übrigen
Wirbelthiere. Den Salamandrinen und dem Axolotl z. B., deren Flügelbein
wesentlich am Quadratum entspringt und über dessen mediale Grenze hinaus
den Schläfenflügel nicht erreicht (vgl. Nr. 39 Taf. IV, Nr. 133), entsprechen im
allgemeinen die Teleostier , bei denen nur der spätere Zerfall der einheitlichen
Anlagen in mehre Stücke störend eingreift ; Cryptobranchus endlich , dessen
Flügelbein unter dem Schläfenflügel bis vor denselben sich der Schädelbasis an-
schliesst (Nr. 141 Taf. I) macht es uns verständlich, wie bei einer Rückbildung
und Ablösung des Quadratum von Pterygoid , wie es bei den Säugern eintritt,
dieses unter der Sattelgrube befestigt erscheinen kann, ohne dass man kompli-
cirte Lagenveränderungen anzunehmen brauchte. Dass auch die Haie sich
hinsichtlich dieser Anpassungen des Pterygoids von den übrigen Wirbelthieren
nicht ausschliessen , lehren uns die Untersuchungen Gegenbaur's über die
Palato-Basal- Verbindung jener Thiere (Nr. 135 S. 63).
Den Kiemen ap parat sehe ich bei den Selachiern, Teleostiern und
Urodelen in gleicher Weise entstehen und sich entwickeln. Es verdient nur
bemerkt zu werden, dass, sowie die Kiemenstrahlen dem Operculum homolog
sind (Gegenbatjr Nr. 89 S. 667), die namentlich bei den Selachiern weit ent-
wickelten Kiemenscheidewände lauter Kiemeudeckel darstellen, welche den
Urodelen schon wegen der ausschliesslichen Anwesenheit dorsaler Aussen-
kiemen auf den oberen Enden der Kiemenbögen fehlen. Die Selachier besitzen
also die am meisten differenzirten Aussenkiemen. Der Kiemenapparat der
Anurenlarven zerfällt dagegen in zwei durchaus verschiedene Abtheilungen,
von 'denen nur die äussere, d. h. die Knorpelbögen mit den Aussenkiemen,
Muskeln und Nerven dem Kiemenapparate der genannten Thiere gleichwerthig
sind ; die inneren Kiemen entwickeln sich ganz abweichend von jenen aus der
Oberhaut Ihervorwuchernden Aussenkiemen am Darmblatte, welches die ein-
wärts erweiterten Kiemenspalten überzieht, und finden ihre Homologa wahr-
IX. Der Kopf. 739
scheinlich nur in den Kiemensäcken der Cyklostomen , welche alsdann mit den
Kiementaschen der Selachier nicht vergleichbar wären. Da diese Ansicht sich
zunächst noch nicht direkt beweisen lässt*, will ich sie durch die Darstellung
dessen, was aus der Ontogenie für die phylogenetische Entwicklungsgeschichte
des Wirbelthierkopfes geschlossen werden könnte, zu unterstützen suchen.
Wenn ich dabei zu ganz anderen Resultaten gelange als Gegenbatjr, dessen
Untersuchungen ganz vorherrschend den Nachweis des phylogenetischen
Zusammenhangs der verschiedenen Wirbelthierformen zum Ziel haben, so liegt
dies weniger an den einzelnen Schlussfolgerungen und Beweisen als in den ver-
schiedenen Voraussetzungen und Ausgangspunkten unserer Arbeiten.
Aus der vergleichenden Anatomie der Selachier glaubt Gegenbauk
schliessen zu können, dass deren Kopf ursprünglich dem Rumpfe wesentlich
gleich aus morphologisch übereinstimmenden Metameren gebildet gewesen sei,
in welchen diskrete obere Wirbelbögen von der Wirbelsaite ausgehend das
Centrainerve nsystem und ähnliche untere Bögen den ventralen Eingeweideraum
umschlossen; ebenso habe jedes Metamer des Kopfes einen Nerv enthalten,
welcher den Spinalnerven in jeder Beziehung gleich war. Ein Unterschied
beider Körperabschnitte hätte nur insofern bestanden, als im Kopfe zwischen
den unteren Bögen Spalten vom Darm nach aussen durchbrachen, deren Wände
ein respiratorisches Gefiissnetz trugen, während die unteren Bögen des Rumpfes
in die kontinuirliche Leibeswand eingeschlossen waren. Ein solcher Zustand
stände demjenigen von Amphioxus am nächsten, indem dieses Thier in seinen
Metameren die diskreten Elemente der Wirbel durch den ganzen Körper hin-
durch , im vorderen Abschnitte aber jene einfachste Form des Kiemenapparats
darstelle, welcher Abschnitt somit auch in Abwesenheit eines kontinuirlichen
Kraniums zuallererst den Kopf bezeichne. Die Umwandlung der Acrania in
Craniota (Haie) gehe von einer Differenzirung des Kiemenapparats aus, welcher
in seinen hinteren Abschnitten reducirt, vorn mannigfaltig umgebildet werde.
Von den zwei vordersten Visceralbögen (Lippenknorpel) abgesehen, deren ehe-
malige Kiemenbogennatur zweifelhaft erscheine, verwandle sich der dritte in
den Kieferbogen und verliere alsdann die zugehörige Kieme bis auf geringe
* Aus M. Schultze's Untersuchungen geht allerdings hervor, dass die äusseren
Kiemenspalten der Neunaugenembryonen ohne die Dazwischenkunft von lateralwärts hervor-
wuchernden Scheidewänden sich in die bleibenden äusseren Kiemenöffnungen verwandeln;
doch hat er die Frage, ob die Kiemenhöhlen von der Oberhaut oder dem Darmblatte ausge-
kleidet würden, unentschieden gelassen (Nr. 92 S. 24. 25).
47*
740 IX. Der Kopf.
Reste (Spritzlochkierne) •, geringer sei die Veränderung des folgenden Bogens
(Zungenbeinbogen). Die übrigen Visceralbögen (Kiemenbögen) lösten sich in
Folge der gesteigerten Ansprüche an ihre Bewegungsfähigkeit vom dorsalen
Kopftheile ab , welcher vor allem dadurch den Anstoss zur Konkrescenz seiner
diskreten Wirbelelemente zu einem kontinuirlichen Kranium erhält. Der Zu-
stand der zugehörigen, zum Theil gleichfalls miteinander verschmolzenen
Nerven scheine dafür zu sprechen, dass auch die ursprünglich zu den verloren
gegangenen hinteren Kiemenbögen gehörenden Wirbelelemente in das kontinu-
irliche Primordialkranium aufgegangen seien. Die weitere Entwickelung
desselben werde durch den nachträglich hervorwachsenden prävertebralen Ab-
schnitt sowie durch den Einfluss des Hirns und der Sinnesorgane herbeigeführt.
— Als Hauptergebniss der GEGENBAUß'schen Untersuchung darf also hinge-
stellt werden , dass der Kopf der Craniota aus dem kiementragenden vorderen
Rumpftheile einer dem Amphioxus sehr nahe stehenden Stammform durch Zu-
sammenziehung und Differenzirung vieler ursprünglich gleichartiger Metameren
und zwar in Folge der nach dem Princip der Arbeitsteilung divergirenden
Umbildung des Kiemenapparats entstand (Nr. 89 S. 746, Nr. 135 S. 294 — 305).
Die vergleichende Entwicklungsgeschichte der Craniota gestattet mir
nicht solche Folgerungen zu ziehen. 1. Die Hauptunterschiede in den morpho-
logischen Verhältnissen des Kopfes und Rumpfes sind in letzter Instanz nicht
auf Veränderungen der anfangs gleichartigen ventralen Abschnitte zurückzu-
führen, sondern gehen .umgekehrt von den dorsalen Theilen aus. 2. Von diesen
sind es zunächst die Segmente, welche die Metamerenbildung des Bauches erst
ausführen, also von ihnen eine Aenderung ihrer eigenen grundlegenden Formen
nicht erfahren können-, zugleich mit der Metamerenbildung bedingen die dor-
salen Segmente durch ihre eigene Verschiedenheit die divergente Entwickelung
der Leibeswand in der vorderen und hinteren Körperhälfte. 3. Die Ver-
schiedenheit der dorsalen Segmente muss wiederum auf die Differenzirung des
Central nervensystems zurückgeführt werden. Die besondere Ausbildung des
Kopftheils der Axenplatte bedingt zugleich die embryonale Kopf beuge, Avelche
zur Grundlage der Besonderheiten des Vorderkopfes wird , und führt anderer-
seits zur Entwickelung der drei höheren Sinnesorgane, welche die Kopfbildung
noch weiter beeinflussen. 4. Kein kraniotes Wirbelthier gestattet die Annahme,
dass sein Kopf aus der Zusammenziehung vieler theils zurückgebildeter Meta-
meren hervorgegangen sei ; vielmehr sind an allen übereinstimmend nur vier
ursprüngliche Metameren des Kopfes nachweisbar, auf deren jedes ein Theil
IX. Der Kopf. 741
der allgemeinen Organsysteme des Kopfes (Muskeln, Nerven, Skelet) zurück-
geführt werden kann, und deren erstes insbesondere die Anlage des Vorder-
kopfes enthält, welcher daher aus der Metamerenreihe nicht ausgeschlossen
werden darf. Das sogenannte Visceralbogensystem der Craniota stellt in
seinem hinteren Abschnitte keine einfache Metamerenbildung, sondern eine
komplicirte sekundäre Erscheinung dar. 5. Alle genannten Bildungsmomente
beziehen sich zunächst nur auf die primär -morphologischen Organe (Central-
nervensystem , höhere Sinnesorgane, Wirbelsaite, Muskeln, Nerven), während
das vertebrale Skeletsystem als eine sekundär-morphologische Bildung , welche
aus der Anpassung an die bereits erreichte fundamentale Absonderung des
Kopfes hervorgeht, im indifferenteren Zustande des Wirbelthiers überhaupt
nicht, also auch niemals in gleicher Form am Kopf und Rumpf bestanden
haben kann. Ausserdem entstehen die dorsalen und ventralen Skelettheile des
Kopfes viel früher als diejenigen des Rumpfes, können daher füglich nicht als
Modificationen des letzteren betrachtet werden.
Dies sind die Thatsachen, welche uns die individuelle Entwickelungsge-
geschichte als Richtschnur bei phylogenetischen Untersuchungen überliefert.
Gehen wir nun ebenfalls vom Amphioxus als der ältesten Wirbelthierform aus,
so fehlt an seinem vorderen Körperabschnitte in Uebereinstimmung mit dem
Mangel einer besonderen Entwicklung des Centralnervensystems sowohl die
von mir beschriebene Abänderung der Segmente und der Leibeswand als auch
ein Merkmal der Kopf beuge; folglich kann kein Abschnitt seines Körpers als
Kopf unterschieden und dürfen höchstens die vom Rumpfe noch in keiner Be-
ziehung verschiedenen vier ersten Metameren nach Zahl und Lage mit den-
jenigen verglichen werden, aus denen in der Stammform der mit einem Kopf
versehenen Wirbelthiere sich dessen Grundlagen entwickelten. Wenn ich auch
mit Gegenbaur den ganzen Kiemenapparat der Craniota zum Kopfe rechne,
so ist doch der Kiemenapparat des Amphioxus nach seiner morphologischen
Anlage mit dem ersteren gar nicht durchweg zu vergleichen. Bei den Amphir-
rhina besteht jener Apparat wesentlich aus den von den äusseren Segmenten
des Kopfes und der Oberhaut abstammenden Aussenkiemen. Von den inneren,
aus der Seitenplatte hervorgehenden Knorpelbögen kann dabei ganz abgesehen
werden ; denn einmal fehlen sie manchen Kiemen (Spritzloch-, Operkularkieme)
vollständig, ferner können sie bei den Anurenlarven ebenso gut zu den inneren
Kiemen gerechnet werden, und endlich ergeben sie sich aus der Entwicklungs-
geschichte als sekundäre Anpassungen an den schon angelegten Kiemen-
742 IX- Der KoP*'-
apparat, welche zu seinem Wesen ebenso wenig gehören wie die Wirbel zum
primitiven Bewegungsapparat des Rumpfes. Auch die Darmblatt! alten müssen
morphologisch von den Aussenkiemen getrennt werden, mit welchen sie in
keinem unmittelbaren Kausalzusammenhänge stehen, da sie sich in den bei
weitem meisten Fällen zum blossen Epithelüberzuge der erstgenannten
Knorpelbögen zurückbilden. Nur in den Anurenlarven zeigen sie eine höhere
Difierenzirung zu einem selbstständigen inneren Kiemenapparate, welcher nach
seinen morphologischen Grundlagen und sogar nach seiner physiologischen
Ausbildung allein den Darmkiemen des Amphioxus an die Seite gestellt werden
kann, und dem folglich die ursprünglichen Kiemenspalten zugezählt werden
müssen*. Da nun ein Theil von den Anlagen dieser Darmkiemen auch bei
den Batrachiern nachweislich dem Rumpfe angehört und erst nachträglich
und bloss in den Darmblatttheilen in den Kopf vorrückt, so kann die ursprüng-
liche Lage derselben bei Amphioxus am wenigsten zur Abgrenzung eines Kopf-
abschnittes benutzt werden. Dieses Thier hat also weder einen Kopf noch kann
die Entwickelung eines solchen von einer Difierenzirung der Darmkiemen zu
dem morphologisch nur den Gliedmassen vergleichbaren Aussenkiemenappa-
rate der Craniota abgeleitet werden. Die Entwickelung des Hirns und der
höheren Sinnesorgane ist die eigentliche Ursache der Kopfbildung der Wirbel-
thiere, indem dadurch die Besonderheit der Kopfsegmente und die Kopf beuge
mit allen ihren Folgen hervorgerufen werden. Im Vorderkopfe oder dem
ersten Metamer des Körpers erscheint die grösste Veränderung in den Anlagen
des mittleren Keimblattes durch die vollständige Auflösung der Seitenplatte,
wahrend die drei folgenden Metameren nur mehr in den abweichenden Massen-
verhältnissen jener Anlagen vom Rumpfe differiren. Die weitere Umbildung
des doppelten Segmentpaars in jenem ersten Metamer zum Gesicht und Kiefer-
apparat ist aber, wie ich zeigte, noch insofern von der Hirnentwickelung sehr
wesentlich abhängig, als ein geringeres Mass derselben zur cyklostomen Bildung
führt, in welcher die Bedeutung der Kiefer kaum angedeutet ist, während eine
grössere Energie jener Entwickelung dieselben Anlagen zum vollkommeneren
plagiostomen Kieferapparate umbildet. .Ferner unterdrückt das Hirn in den
* Dass diese Kiemenspalten auch bei den übrigen Wirbelthieren nur als rückgebildete
innere Kiemenanlagcn aufzufassen sind , welche sich dem äusseren Kiemenapparate erst
sekundär einfügen, dürfte aus dem Umstände erhellen, dass die ins Wasser frei hinein-
hängenden Aussenkiemen bereits funktioniren, bevor die sie trennenden Kiemenspalten
eröffnet sind ( Taf.XVIl), was bereits den älteren Embryologen bekannt war (Nr. 9 S. 304).
IX. Der Kopf. 743
inneren Segmenten die Grundlagen für den allgemeinen Bewegungsapparat,
wie er im Rumpfe bestellt, und drängt mit den äusseren Segmenten die Anlagen
der von Anfang an mehr lokal angeordneten, weil nicht an den durchgehenden
Skeletstamm (Wirbelsaite) geknüpften Muskelgruppen als Homologa der
Extremitäten an die Seiten des Kopfes. Was von den Muskeln und Nerven
jener inneren Segmente sich nicht unter ganz neuen Formbedingungeu den
lokalen Bedürfnissen des Auges anpasst, geht im Hinterkopfe allmählich zu
Grunde , sodass jedoch dieser mit der Ausbildung der seitlichen Muskulatur
zusammenhängende Schwund erst nach der Entwickelung des Gehörbläschens
aber vor der Anlage der hinteren Schädelbasis oder der hinteren Kopfwirbel-
theile erfolgt. Die beginnende Bildung des Primordialkraniums musste daher
die besonderen morphologischen Grundlagen des Wirbelthierkopfs bereits vor-
finden; und da sie im Vorderkopfe beginnend die Entstehung der Wirbelsäule
einleitete, so erweisen sich auch darin die Cyklostomen als diejenigen von den
uns bekannten Craniota, welche der vorausgesetzten Stammform der Wirbel-
thiere am nächsten stehen. Kommen wir endlich zum Kiemenapparate, so
konnten die uns bekannten Aussenkiemen erst nach der Entwickelung der
lateralen Kopfsegmente entstehen, d. h. nachdem die wesentlichen Grundlagen
des Wirbelthierkopfes bereits gelegt waren. Bis dahin funktionirten also wahr-
scheinlich die Darmkiemen allein und zwar im Kopfe nach der Rückbildung
seiner etwa vorher bestandenen serösen Höhle * in der Form , wie „wir sie bei
den Anurenlarven kennen. Dann werden die beiderlei Kiemenapparate neben-
einander existirt haben , wie es die Anurenlarven noch zeigen , bis der äussere
das Uebergewicht gewann und der innere sich bis auf wenige Reste zurück-
bildete. Da nun die Cyklostomen sich in der Bildung aller übrigen Kopftheile
als älteste der uns bekannten Craniotenformen erwiesen haben, ihre Kiemen
dagegen mit den übrigen Fischkiemen verglichen eine ausserordentlich weit
vorgeschrittene Umbildung einfacher Aussenkiemen bekunden würden , ander-
seits aber viel mehr mit den Innenkiemen der Anurenlarven korrespondiren, so
sehe ich in ihnen die modificirten und zum Theil aus dem Rumpfe in den Kopf
vorgeschobenen Darmkiemen des Amphioxus. Wenn wir aber ihre morpho-
logischen Anlagen bis auf die höchsten Wirbelthiere vererbt und theilweise in
neuer Umbildung erhalten sehen (Paukenhöhle mit ihrem Rachengange), so
* Aus der Anlage der beiden Schichten der Seitenplatte im Kopfe (S. 221. 222) könnte
auf eine frühere Ausdehnung der serösen Rumpfhöhle bis in den letzteren hinein ge-
schlossen werden.
744 IX Der Kopf.
Hesse sich vielleicht noch die weitere Hypothese verth eidigen, dass nämlich die
Lungen weniger weit veränderte Homologa der Darm- oder Innenkiemen seien.
Wenn man ihre hintersten Anlagen bei den Anuren in den Rumpf verlegen
muss , wenn man dann die Anlage der Lungen dicht hinter der letzten in den
Kopf vorgerückten Schlundfalte ebenfalls in einem Paar seitlicher Darmblatt-
falten erkennt {Taf. XIV Fig. 254, Taf. XVII Fig. 308), welche nur wegen
ihrer bleibenden Lage innerhalb der Rumpfhöhle eine andere Fortentwicke-
lung erfahren , so wird man jene Hypothese nicht ohne weiteres von der Hand
weisen. — Das Ergebniss dieser Betrachtungen über die sogenannte paläonto-
logische Entwickelung des Wirbelthierkopfes wäre nun folgendes. Nicht der
Primordialschädel unterscheidet die Craniota von Amphioxus, sondern der Be-
sitz eines dem letzteren fehlenden Kopfes; nach der Entwickelung desselben
stehen aber dem Amphioxus ganz unbedingt die Cyklostomen am nächsten,
und auf sie folgen nicht etwa die Selachier, sondern die Batrachier , vor allem
die Anuren. Die Selachier zeigen ein im Verhältniss zu den Batrachiern mächtig
angelegtes und erst nachträglich zurückbleibendes Hirn (S. 312), daher eine
starke Kopfbeuge und ein frühes Uebergewicht der plagiostomen Form, endlich
sehr weit differenzirte Aussenkiemen ohne Spur der inneren, lauter Momente,
welche ihrem Ursprünge eine höhere phylogenetische Stufe anweisen als den
Anuren. Der knorpelige Zustand ihres Kopfskelets, welcher übrigens bei den
Batrachiern erst spät und nur theilweise aufgegeben wird, kann als histolo-
gisches Moment am wenigsten in allgemeinen morphologischen Fragen mass-
gebend sein, besonders da es sich dabei nur um sekundär-morphologische Theile
handelt; wenigstens mit dem gleichen Rechte könnte der Zustand der Oberhaut
zum gleichen Zwecke benutzt werden und aus der weichen, indifferenteren
Haut der Batrachier gerade ihr engerer Anschluss an die Cyklostomen und die
Stammform gegenüber den Selachiern gefolgert werden.
X. Das Herz und das Gefässsystem.
1. Das Herz.
Die morphologischen Grundlagen des Herzens und des Perikardialsackes
sind die beiden Schichten der Seitenplatte unter der Schlundhöhle. Der Boden
dieses Darmabschnittes und überhaupt des ganzen Vorderdarms wird im ersten
Anfange der Embryonalentwickelung unmittelbar vor der Dotterzellenmasse,
wo dieselbe in das einfache Darmblatt übergeht, durch die aneinandergeschlos-
senen drei Keimblätter gebildet {Taf. II Fig. 35 — 37). Sehr bald zeigt sich
auch dort in Folge der dorsalwärts gerichteten Zellenbewegung eine Fort-
setzung der medianen Lücke des mittleren Keimblattes vom Vorderkopie her,
welche weiterhin auch auf den Rumpf übergeht; in der Schlundhöhle senkt sich
das Darmblatt zwischen die getrennten Ränder der beiden Seitenplattenhälften
bis zur Oberhaut ein (Taf. V Fig. 91, Taf. VI Fig. 111. 112). Indem aber
darauf die Rückbildung der Seitenplatte in der Schlundwand beginnt und da-
durch jene Zellenbewegung aufgehalten wird, behalten die ventralen Abschnitte
jener Platte im primitiven Schlundhöhlenboden einen genügenden Ueberfluss
an Bildungsmaterial, um in rückläufiger Bewegung ihre beiden Schichten, das
Visceral- und das Parietalblatt in ganz bedeutender Ausdehnung auszubilden
(S. 213. 214. 246). In dieser Entwickelung werden sie durch die Entstehung der
Grenzfalte gefördert, wodurch das Darmblatt zwischen der vor der Dotter-
zellenmasse zurückbleibenden Tasche des Vorderdarms und dem Zungenbein-
bogen zuerst aus ihrer medianen Einsenkung und dann noch höher gehoben
wird, und so zwischen dem unmittelbaren Boden der Schlundhöhle und der in
ihrer früheren Lage zurückbleibenden Oberhaut sich der Herzraum successiv
erweitert (S. 220). Dieser Raum ist also innerhalb der genannten Grenzen dem
746 X. Das Herz und das Gefässsystem.
Darmblattboden der Schlundböhle genau angeschlossen, sodass seine oberen
Seitenränder mit der fortlaufenden unteren Grenze der Kiemenbögen zusam-
menfallen ( Taf. XIII Fig. 225. 226. 235—237). In dem Masse als der Herz-
raum wächst, erweitern sich auch die in ihm enthaltenen Abschnitte der Seiten-
platte, und indem ihre beiden Blätter auseinanderweichen, verwandeln sich die
sie zusammenhaltenden Ränder in Falten, welche mitten durch den Herzraum
einander entgegenwachsen und sich in der Medianebene endlich verbinden
(Taf. VII Fig. 132—134, Taf. XIII). Dabei erhält sich ein medianer Zusam-
menhang der beiden Blätter noch einige Zeit, sodass die beiderseitigen von
ihnen eingeschlossenen Spalträume getrennt bleiben. Rückwärts setzt sich
natürlich die so gebildete Seitenplatte mit ihren beiden Blättern kontinuirlich
in die gleichnamigen Theile des Rumpfes fort, wobei sie sich tiefer senkend zu-
nächst die Tasche des Vordarms umgreift (Taf. II Fig. 38, Taf. VII, XIII).
Da nun die von beiden Blättern eingeschlossenen grösstentheils noch spaltför-
migen Lücken im Herzräume die künftige Perikardialhöhle, im Rumpfe
die sogenannte Pleuroperitoneal höhle darstellen, so ergibt sich daraus
die kontinuirlich e, einheitliche Anlage beider Höhlen. Aber noch ein anderer
ursprünglicher Zusammenhang der Herzbildung ist hier hervorzuheben. Die
eigentliche H e r z h ö h 1 e ist nämlich in der Lücke zu suchen, welche zwischen dem
sich hebenden Darmblattboden der Schlundhöhle und der von den Kiemenbögen
gleichsam herabhängenden Seitenplatte, genauer gesagt deren Visceralblatte
entsteht. Während diese beiden Blätter auseinanderweichen, löst sich eine
lockere, nicht zusammenhängende Schicht vom Darmblatte ab, um vielleicht
in Verbindung mit einigen vom Visceralblatte stammenden Bildungszellen
eine zarte, zunächst bloss untere und seitliche Auskleidung der primitiven
Herzhöhle zu bilden. Verfolgen wir das Visceralblatt rückwärts, wo es sich
senkend die Vordarmtasche umgreift , so treffen wir bereits eine Ausbuchtung
dieses Darmtheils gegen den Herzraum und im Anschlüsse daran eine begin-
nende seitliche Abschnürung desselben gegen den darüberliegenden Vordarm-
abschnitt; die dadurch entstandene Furche schliesst das sich darüber spannende
Visceralblatt zu einer kanalartigen Lücke ab, welche den oberen Umfang jener
sich abschnürenden Darmblatttasche oder der Leberanlage umkreist, vorn im
unmittelbaren Zusammenhange mit der Herzlücke steht und jederseits an der
hinteren Grenze der Leberanlage in den Spaltraum zwischen der Dotterzellen-
masse und dem Visceralblatte des Rumpfes übergeht (Taf. VII, XIII). In
diesem Spaltraume entstehen die D ottergefässe und in jener die Wurzel
1. Das Herz. 747
der Leberanlage umgreifenden Lücke die Dotter darin venen in der Weise,
dass ein vom Visceralblatte geliefertes Bildungsgewebe die von Blut oder bloss
Serum gefüllten Lücken mit einer primitiven Gefässwand umkleidet, welche
dort, wo die beiden Dotterdarmvenen über der vorderen Ausbuchtung der
Leberanlage zusammentreffen, sich alsbald mit der inneren Auskleidung der
primitiven Herzhöhle oder dem Epithel des Endocardium verbindet
(S. 538). Daraus ergibt sich aber der ursprüngliche kontinuirliche Zusammen-
hang aller dieser in analoger Weise entstandenen Bluträume von selbst. Wen-
den wir uns nun wieder dem Herzen zu, welches von allen Bluträumen
zuerst angelegt wird, so betrifft seine Absonderung anfangs nur die Höhle:
die künftige Her zw and, nämlich das zumeist vom Darmblatte abstammende
Endokardialblatt und das ihm unterliegende Visceralblatt bilden zuerst nur
den muldenförmigen Boden jener Höhle. Mit der wachsenden Erweiterung des
ganzen Herzraums nimmt aber auch die Ausdehnung der Seitenplatte zu, und
da das Visceralblatt wie im ganzen übrigen Körper das Parietalblatt an Dicke
übertrifft, schreitet auch seine Ausdehnung schneller fort und zwingt es daher
innerhalb des vom Parietal- und dem Darmblatte begrenzten Raumes zu Fal-
tungen. Die Lage und Richtung derselben wird durch die noch bestehende
mediane Verlöthung beider Blätter bestimmt; sie zieht das Mittelstück des
Visceralblattes hinunter und lässt in Folge dessen seine Seitentheile an der
Darmblattdecke jederseits in einer medianwärts gerichteten Falte vorrücken
und so die muldenförmige Herzwand allmählich zu einem Schlauche ab-
schnüren, während zugleich die Decke des Herzraums eine perikardiale Aus-
kleidung erhält (Fig. 133. 225. 226. 234—236). Indem das Parietalblatt da-
bei an der Oberhaut zurückbleibt, * verwandelt jene Abschnürung die spalt-
förmigen Perikardiallücken in weitere Räume, welche nach der Lösung der sie
trennenden medianen Verbindung zu einer Höhle zusammenfiiessen, in welche
der Herzschlauch frei hinabhängt. Eine vollständige Abschnürung dieses dop-
pelwandigen Schlauches erfolgt übrigens nur in seinem mittleren Abschnitte
Vorn bleibt er gegen das Darmblatt geöffnet, sodass die Enden der ersten
Kiemenbögen mit den darin gebildeten primitiven Aortenbögen zwischen dem
Visceral- und dem Darmblatte bis an dieses Vorderende des Herzschlauches oder
* An den Durchschnittspräparaten berühren sich Parietalblatt und Oberhaut gewöhn-
lich nicht ; wenn man aber berücksichtigt , dass in anderen Fällen oft ganz unzweideutige
Zeichen einer durch die Präparation gelockerten oder gelösten Verbindung jener Theile
vorliegen (Taf. XIII Fig. 236), so darf der bisweilen relativ grosse Abstand derselben
auch in Abwesenheit jener Zeichen für unnatürlich gehalten werden.
748 X. Das Herz und das Gefässsystem.
den zukünftigen Bulbus arteriosus vorrücken und sich mit dessen Endo-
kardialsacke verbinden können (Fig. 234) ; rückwärts erweitert sich der Herz-
schlauch gewissermassen trichterförmig gegen den ganzen Vordarm, indem sein
Visceralblatt in dessen unmittelbare Umhüllung übergeht (Taf. XIV Fig. 249.
250. 252). Dabei legt es sich der Vorderseite der Leberanlage eng an , lässt
aber über ihrem Vorsprunge die Lücke frei , in welcher die primitiven Dotter-
darmvenen aus ihrem seitlichen Verlaufe medianwärts gelenkt zusammen-
treffen und endlich zum Sinus venosus verschmelzen (Taf. XIII, XIV,
XVI Fig. 292. 293). Darüber geht dann die Abschnürung des Herzschlauches
bis an die hintere Grenze des Venensackes fort, sodass derselbe bis auf die hin-
tere und untere Anlagerung an die Leber frei in die Perikardialhöhle vorragt.
Die Wände dieser Höhle werden nur vorn, unten und seitlich vom Parietal-
blatte gebildet, das Visceralblatt überzieht dagegen nicht nur den eigentlichen
Herzschlauch mit seinen Uebergängen in die Gefässe, sondern auch die obere
und hintere Wand der Perikardialhöhle. Dort, wo beide Blätter an der vor-
deren und seitlichen Grenze des Herzraums in die Seitenplatte des Zungenbein-
bogens und der Kiemenbögen übergehen , verschmelzen sie alsbald zu einem
kontinuirlichen Zusammenhang und lösen sich von ihrer ursprünglichen Fort-
setzung ab. Dasselbe geschieht, nur später, im vorderen queren Umfange des
Vordarms, soweit derselbe die ursprüngliche Hinterwand des Perikardialsackes
bildet-, nur sind dabei folgende Punkte hervorzuheben. Anfangs biegt der
horizontale Darmblattboden der Schlundhöhle unmittelbar in die Vorderwand
des Vordarms um, sodass die letztere den Herzraum nur rückwärts begrenzt
(Taf. II Fig. 38); allmählich legt sich aber der oberste Abschnitt jener Wand
nach vorn um und nimmt daher als mehr oder weniger gerade Fortsetzung des
Schlundhöhlenbodens an der oberen Begrenzung des Herzraums Theil (Taf.
XVI). Nach der vollständigen Abschuürung des Herzschlauchs und seines
Sinus venosus erscheint jener Vordarmabschnitt (Kehlkopf, Lungenwurzel) mit
dem ihn überziehenden Visceralblatte als Decke der über dem Venensacke be-
findlichen engen Bucht der Perikardialhöhle (Taf. XIII Fig. 237. 238, Taf.
XIV Fig. 261. 262, Taf. XV Fig. 274—277). Das sich daran schliessende
zur Leberanlage absteigende Stück des Vordarms (Magen, vorderes Duodenum)
begrenzt mit seinem Darmblatte den Innenraum des Venensackes von hinten,
welcher das der Vorderseite dieses Darmtheils zukommende Visceralblatt ihm
völlig entzieht (Taf. XVI). Darunter bildet die vom Visceralblatte überzogene
Vorderfläche der Leberanlage den grössten Theil der Hinterwand der Perikardial-
1. Das Herz. 749
höhle. Diese dem eigentlichen Darmkanal und verschiedenen seiner Anhangs-
organe angehörigen Visceralblattflächen bleiben dort, wo sie an die Leibeswand
anstossen, d. h. unter der vorderen Leberfläche, zur Seite derselben, des
Venensackes und des horizontalen oberen Vordarmabschnittes (Lungenwurzel)
mit dem Parietalblatte in Berührung , um von dort aus die betreffenden Ein-
geweide weiter einzuscheiden. An jener Berührungsgrenze zieht aber das
Parietalblatt nicht eben weiter, sondern schiebt auf jene Visceralblattflächen
eine kurze Falte vor, welche mit ihnen nach einiger Zeit verwächst und so die
Perikardialhöhle auch gegen die Pleuroperitonealhöhle vollends abschliesst
(Taf. XIII Fig. 237, Taf. XIV, XV). Wenn aber in der Folge mit dem ganzen
Larvenkörper auch die genannten Höhlen an Breite zunehmen, wachsen jene
in die Perikardialhöhle schauenden Visceralblattflächen nicht in entsprechen-
dem Masse, sondern nebst den betreffenden Eingeweiden etwas langsamer in die
Breite ; dadurch werden aber die an ihren Rand gehefteten Falten des Parietal-
blattes als Duplikaturen in die Scheidewand beider grossen Höhlen hinein-
gezogen {Taf. XXI Fig. 373). Soweit diese Duplikaturen den Rand der
Scheidewand bilden, soweit allein wird sie selbstständig, während die gleich-
sam von diesem Rande umschriebene grosse mittlere Lücke nur durch ein-
geschobene Eingeweide, die Leber und die Lungenwurzel, ausgefüllt wird. Die
grosse Bedeutung dieser Entwickelungsvorgänge für die Erkenntniss der gene-
tischen Beziehungen der übrigen Eingeweide wird sich im nächsten Abschnitte
ergeben, hier soll nur das den Perikardialsack unmittelbar Betreffende er-
wähnt werden. Da derselbe nach vorn, unten und den beiden Seiten vollkom-
men abgeschlossen und abgesondert ist und durch keine irgendwie festere Ver-
bindung gehalten wird, und auch mit dem Schlundhöhlenboden nur durch die
Aortenbögen zusammenhängt, welche bei der bekannten Leichtigkeit der
Wachsthumsausdehnung der Gefässe kein bedeutendes Hinderniss für die Ent-
fernimg des Perikardialsackes von jenem Boden und dem darin enthaltenen
Zungenbeine sein können, so hängt seine Lage lediglich von jenen Eingeweiden
ab, welche mit breiter Fläche seiner Wand eingefügt, also aufs innigste mit ihm
verbunden sind, — die Lungenwurzel und die Leber (Taf. XVI Fig. 292. 293.
298, Taf. XXI Fig. 272. 277). Das absteigende Vordarmstück (Magen, Duo-
denum) kommt hier desshalb nicht in Betracht, weil es sein vorderes Visceral-
blatt ganz dem Venensacke überlässt und darauf in später zu erläuternder
Weise sich von dem letzteren völlig abschnürt und zurückzieht. Schon die
horizontale Umlagerung der unteren Wand der Lungenwurzel ist ein Ausdruck
750 X. Das Herz und das Gefässsystem.
der Streckung und Verlängerung dieses Darmabschnittes , wodurch der Peri-
kardialsack bereits ein wenig über die hintere Grenze der Schlundhöhle hin-
ausgerückt wurde ; geschieht dies in noch höherem Grade und wird zugleich die
Leber zurückgezogen, so muss natürlich der ganze Perikardialsack mit seinem
Inhalte ihnen folgen und so seine Bildungsstätte, die Bauchseite der Kopfregion,
verlassen, um ganz in den Rumpf überzutreten, während von diesem aus schon
vorher die Mm. genio- und sterno-hyoidei zwischen Perikardium und Oberhaut
an jene Bauchseite des Kopfes vorgerückt sind, welche sie später an Stelle des
Herzbeutels allein einnehmen.
Die Beschreibung des embryonalen Herzschlauches habe ich auf jener
frühen Entwickelungsstufe unterbrochen , wann er zwischen seinen befestigten
Enden eben zur vollen Abschnürung gelangt. Schon während dieses Vorgangs
beginnt er sich zu verlängern, und da seine Endpunkte sich nicht entsprechend
von einander entfernen, muss er seinen gestreckten Verlauf aufgeben und seine
Verlängerung in Windungen zum Ausdruck bringen (Fig. 252. 253. 255.
260. 273). Diese sind ganz gesetzmässig und daher müssen auch die Ursachen
ihrer bestimmten Richtung gesetzmässig konstante sein. Wenn es aber auch
gelingt, nachzuweisen, dass bevor jene bestimmte Asymmetrie im Verlaufe des
Herzschlauches eintritt, bereits ebenso konstante asymmetrische Form- und
Lageveränderungen der mit ihm in engstem Zusammenhange stehenden Theile
des Vordarms sich zeigen , welche sogar schon auf den Mitteldarm hinüber-
greifen (vgl. Taf. XIII Fig. 23S — 240), so ist es mir doch nicht gelungen,
irgend einen haltbaren Grund für diese eigenthümliche Erscheinung zu ent-
decken, als deren Folgen alle späteren Asymmetrien des Situs viscerum er-
scheinen. Der ungleichmässige oder unsymmetrische Zufluss des Blutes, wel-
chen v. Baer zur Erklärung der gleichen Erscheinungen am Hühnerembryo
glaubte benutzen zu können (Nr. 8 I S. 177. 178. 2V6 — 219), kann abgesehen
davon, dass er selbst ebenso unerklärt bliebe, desshalb in unserem Falle nicht
angezogen werden, weil er erst später eintritt als die ersten Zeichen der übrigen
Asymmetrie. Ihr gesetzmässiger Ausdruck am Herzschlauche ist nun fol-
gender. Zuerst beschreibt er mit seinem Haupttheile einen Bogen nach links
und unten ; dann schnürt sich sein Vorderende oder der Bulbus arteriosus bis
an die gerade aufwärts gerichtete Verbindung mit den Aortenbögen vollends ab
und weicht von der Medianebene in der Weise nach rechts ab , dass er nach
hinten, aussen und unten gerichtet, in der Tiefe quer in den linken Bogen über-
gehen kann, welcher den hintersten, unmittelbar an den Venensack stossenden
1. Das Herz. 751
Abschnitt des freien Herzschlauches noch kaum merklich nach rechts hinüber-
drängt. Es beschreibt also der ganze Herzschlauch von dem Ursprung der
Aortenbögen bis zum Sinus venosus, welche beiden die oberen , ziemlich genau
median gelegenen Endpunkte darstellen , einen vollständigen Schraubengang,
von vorn nach rechts und unten, dann nach links hinüber, endlich rückwärts
und aufwärts wieder in die Medianebene zurück. Durch allmählich entwickelte
Einschnürungen theilt sich der gewundene Herzkanal in den vorderen , rechts
hinabsteigenden Bulbus arteriosus, in die Kammer, welche den nach links ge-
wandten Haupttheil umfasst, und in den venösen Vorhof, welcher in dem hin-
teren aufsteigenden Abschnitte enthalten ist {Taf. XIV, XVI). Indem schon
durch die Zusammenziehung und schräge Verschiebung der Kiemenbögen nach
hinten der Ursprung der Aortenbögen zurückgedrängt wird, nähert sich natür-
lich auch der Bulbus arteriosus der Vorderwand des Vorhofs, an die er sich
schliesslich anlegt, während die Kammer unter den letzteren rückt, wobei sie
jedoch die Richtung ihres Grundes nach links beibehält {Fig. 298. 310 — 312.
372. 377). Daraufweitet sich der Vorhof auf jeder Seite zu einem sogenann-
ten Herzohre aus , welches auf die Kammer hinabhängt. Inzwischen hat «r
auch seine anfangs ziemlich symmetrische Stellung aufgegeben und ist ganz
entschieden vor die rechte Hälfte des Sinus venosus gerückt , sodass seine am
meisten über der Kammer gelagerte linke Wölbung durch eine ziemlich tiefe
Bucht von der linken Hälfte des Venensackes und überhaupt der Hinterwand
des Perikardialsackes getrennt wird {Fig. 255. 311. 319). Indem nun von der
Decke des Vorhofs eine Scheidewand schräg nach hinten und links hinüber
gegen den an der linksseitigen Grenze von Vorhof und Venensack nach innen
vorspringenden Grund der genannten Bucht hervorwächst und darauf bis zur
Kommunikationsöffnung zwischen Kammer und Vorhof vordringt, wird die
linke Hälfte des letzteren nicht nur von der rechten , sondern auch von ihrer
früher gemeinsamen Wurzel, dem Venensacke, völlig getrennt und bildet, wenn
man von einer inzwischen neu entstandenen Gefässöffnung an ihrer hinteren
oberen Wand (V. pulmonalis) absieht, einen bloss in die Kammer sich öffnen-
den Blindsack {Fig. 310. 319. 370). Der Venensack bleibt dann nur mit der
rechten Vorhofshälfte in Verbindung. Eine ähnliche nur unvollkommene Hal-
birung der Kammer und des Bulbus arteriosus, deren physiologische Bedeutung
uns Bruecke geschildert hat (Nr. 142 S. 354—357), habe ich allerdings schon
frühe beginnen sehen, doch nicht näher untersucht {Fig. 372).
Bezüglich der Histiogenese des Herzens habe ich zu bemerken , dass das
752 %■■ Das Herz und das Gefässsystem.
Visceral- und Parietalblatt überall das ganze Perikardium, das erstere am
Herzen ausserdem noch die ganze Muskulatur und überhaupt alle Gewebe bis auf
das endokardiale Epithel bilden. Dieses leitet aber die Bildung der Vorsprünge
ein, welche schon sehr zeitig die innere Kammerwand bedecken (Fig. 370).
2. Die Arterien.
Während der Herzschlauch in der Abschnürung begriffen ist, vollzieht sich
die schon erwähnte Verbindung seines Bulbus arteriosus mit den Aorten-
bögen, indem die letzteren von Bildungszellen umgeben, welche die ventrale
Vereinigung der getrennten Kiemenbogenenden im Schlundhöhlenboden ein-
leiten, zwischen das Darmblatt und das Perikardium bis zum offen daliegenden
Endokardialsack hineinwachsen (Fig. 234). Daher entspringen die beider-
seitigen einfachen Wurzelstücke der Aortenbögen nicht divergirend , sondern
rechtwinkelig aus dem Ende des Bulbus arteriosus (Fig. 309. 319). In den
Kiemenbögen verlaufen sie in der äusseren Schicht der Seitenplatte, liegen also
später dem knorpeligen Kiemgerüste aussen an , der zweite Aortenbogen ins-
besondere in einer Rinne des unterliegenden Knorpels , was an das ähnliche
Verhalten bei den Fischen erinnert (Taf. XVIII Fig. 332); von den aus den
äusseren Segmenten hervorgehenden Muskeln und Nerven werden die Aorten-
bögen, soweit sie mit ihnen in denselben Querebenen liegen, bedeckt. Sehr
bald nach seiner Entstehung verdoppelt sich jedes solche Hauptgefäss eines
Kiemenbogens im Bereiche der Kieme in der von Rusconi (Nr. 6 S.. 50 — 54)
beschriebenen Weise (vgl XVI Fig. 295. 300—302, Taf. XVII Fig. 309.
319); da ich mich aber auf die Einzelheiten des Blutumlaufs in den Kiemen
nicht einlassen will, werde ich von den Aortenbögen als von einfachen Gefäss-
stämmen reden oder vielmehr nur die bleibenden Hälften vom Doppelbogen be-
rücksichtigen. — Zuerst entsteht der Aorten bogen des ersten Kiemen-
bogens, welcher sich alsbald mit dem Herzen in Verbindung setzt-, unter dem
Ohrbläschen und auf der Darmblattdeke der Schhmdhöhle angelangt, wendet
er sich rückwärts und etwas einwärts, sodass er unter den Stammuskeln zu lie-
gen kommt, und endet vorläufig, da eine Aorta noch nicht besteht, an der
Hintergrenze des Kopfes (Taf. XIII Fig. 234 — 237). An dieser Stelle schliesst
sich ihm aber bereits ein Seitenast an, welcher die Stammuskeln von aussen
und aufwärts umgreifend das Hinterhirn erreicht, um an dessen Basis und nach
innen von den Wurzeln der Kopfnerven vorwärts zu ziehen. Es ist dies die
2. Die Arterien. 753
primitive Wirbelarterie mit ihrer Fortsetzung, der A. basilaris
(Fig. 237. 274). Zur selben Zeit ist auch schon ein zweiter Ast des ersten
Aortenbogens vorhanden, die A. carotis, welche denselben dort verlässt, wo
er die Schlundhöhlendecke unter dem Ohrbläschen erreicht , und auf dieser
Decke gerade vorwärts zieht. Beide Aeste des ersten Aortenbogens verlieren
sich jedoch gleich ihm selbst nach kurzem Verlaufe im Bildimgsgewebe.
Immerhin erhellt aus der selbstständigen Entwickelung des ersten Aorten-
bogens bis jenseits des Ursprunges der primitiven Wirbelarterie, dass er die
dorsale Verbindungsbahn der Aortenbögen bis zum Anfange der Aorta ganz
allein bildet. — Der zweite Aortenbogen fliesst am Bulbus arteriosus mit
dem ersten zusammen und ergiesst sich in dessen oberen horizontalen Verlauf,
sodass darauf die jenseits ihrer Vereinigung liegende Aortenwurzel von den
eigentlichen Bögen unterschieden werden kann , obgleich sie ebenso wie der
sogenannte R. communicans , nämlich der zwischen dem Anfange der Aorten-
wurzel und der Carotis liegende Gefässabschnitt , lediglich aus dem ersten
Aortenbogen entsteht. Der dritte Aortenbogen der Anurenlarven kann
jedoch als an der Bildung der Aortenwurzel mitbetheiligt gar nicht angesehen
werden; denn sowie er nicht mehr aus dem Bulbus arteriosus, von dem er be-
reits zu weit entfernt ist, sondern aus dem Wurzelstück des zweiten Aorten-
bogens entspringt, so mündet er auch gar nicht unmittelbar in die Aorten-
wurzel; indem er im dritten Kiemenbogen schräg rückwärts aufsteigt und in
derselben Richtung über die letzte Kiemenspalte hinzieht, schickt er dem End-
stück des zweiten Aortenbogens bloss einen Verbindungszweig, während der
Gefässstamm in den vierten Kiemenbogen, nach innen vom dritten ursprüng-
lichen Vagusaste (N. laryngeus anterior), eindringt und medianwärts gewandt
sich der Lungen wurzel anschliesst {Taf. XV Fig. 275. 276, Taf. XX Fig. 233,
Taf. XXI Fig. 377). Aehnlich wie der zweite Aortenbogen zum zweiten, ver-
hält sich der letzte Kiemengefässstamm zum dritten, mit dem er sich
an dessen Wurzel und auf seinem Verlaufe zur Lungenwurzel verbindet. —
Obgleich es nicht möglich ist, an den kleinen schwarzen Unkenlarven die Rich-
tung der verschiedenen Blutströme unmittelbar und sicher festzustellen, so gibt
es doch genügende Anhaltspunkte, um jene Bestimmung indirekt auszuführen.
Der dritte Aortenbogen führt sein Blut nur so lange, als der Lungenkreislauf
noch gar nicht angelegt ist, vollständig in den zweiten Aortenbogen über. Da
jener Kreislauf aber schon im Anfange der zweiten Larvenperiode fertig
entwickelt ist, so ist es wenigstens möglich , dass von diesem verhältnissmässig
Goktte, Eutwickeluugsgescliiclite. 48
754 X. Das Herz und das Gefässsystem.
frühen Zeitpunkte an das Blut des dritten Aortenbogens nur zum Theil in die
Aorta, zum Theil in die Lunge abfiiesst. Wahrscheinlich wird dies erstens da-
durch, dass der Uebergang jenes Bogens nach hinten gegen die Lunge stumpf-
winkelig , nach vorn zum 2. Aortenbogen spitzwinkelig erscheint , dass also das
Blut in der ersten Richtung einen bequemeren Abfluss hat. Der 4. Kiemen-
gefässbogen kann aber abgesehen davon, dass seine Mündung in den ursprüng-
lichen hinteren Ast des 3. Aortenbogens nach hinten gerichtet ist, schon wegen
seines schwächeren Durchmessers nicht zugleich die stärkere Verbindungsbahn
zum 3. Aortenbogen und den rückwärts weiter ziehenden Lungenast mit seinem
Blut füllen. So sprechen alle Umstände dafür, dass der 3. Aortenbogen schon
ausserordentlich frühe den grösseren Theil seines Blutes rückwärts der Lunge
zuführt, also die Rolle spielt, welche ihm durch die Metamorphose ganz un-
zweifelhaft zufällt, nämlich als Lungen art er ie zu fungiren, wodurch sein
Verbindungsast zum 2. Aortenbogen als Botalli'scher Gang erscheint. Der
spät entwickelte 4. Kiemengetässbogen hat daher wohl niemals die Bedeutung
eines Aortenbogens, sondern stellt nur einen der Lungenarterie angefügten
Seitenbogen dar. Wenn frühere Beschreibungen bei den Anuren vier Aorten-
bögen erwähnen, welche zur Aortenwurzel zusammenÜiessen und von denen
der letzte den Lungenast abgebe (Rusconi Nr. 6 S. 53. 54 , v. Baer Nr. 9
S. 307), so widerspricht dem schon der anatomische Befund, wonach der 3.
und 4. Gefässbogen gar nicht mehr unmittelbar mit der Aortenwurzel zu-
sammenhängen , und die Thatsache , dass der Lungenast schon vor der Ent-
wickelung des letzten Bogens besteht; die Auffassung aber, dass alle Bögen
ihr Blut zur Aortenwurzel schicken und nur der letzte einen Theil zur Lunge
fliessen lasse, wird auch abgesehen von den schon angeführten Gründen allein
beim Vergleiche mit den Urodelenlarven unwahrscheinlich. Diese zeigen aller-
dings das von den Anuren irrthümlich behauptete Verhalten der Aortenbögen,
indem alle vier, von denen der letzte keine Kieme speist, unter spitzen, strom-
abwärts gerichteten Winkeln zusammenfliessen , sodass sämmtliches Kiemen-
blut in die Aorta gelangt, während die vom 4. Bogen abgehende Lungenarterie
nur einen Theil seines nicht oxydirten Blutes empfängt. Diese selben Larven
machen aber auch bis kurz vor der Metamorphose von ihren wenig entwickelten
Lungen so gut wie gar keinen Gebrauch, während die Anurenlarven schon sehr
frühe energische Lungenathmung erkennen lassen, was sich aus dem anatomischen
Zustande und der verschiedenen Anfüllung der Lungen mit Luft leicht konstatiren
2. Die Arterion. 755
lässt*. Dass nun dieser bedeutsame Unterschied in der Atlmiung der beiden
Larvenformen ganz ausser Beziehung zur Anordnung des Blutkreislaufs stände,
scheint mir undenkbar. Um so mehr muss der genannte Unterschied zu
Gunsten meiner Ansicht sprechen , dass die überwiegende und so gut wie aus-
schliessliche Kiemenathmung der Urodelenlarven nur einen Theil des vom
letzten und kleinsten Gefässbogen geführten Blutes zur Lunge gelangen lasse,
bei den mit Kiemen und Lungen gleichmässig athmenden Anurenlarven aber
in Folge einer für die Lungen vortheilhafteren Einrichtung der gleichen Gefäss-
bahnen jene Organe schon von Anfang an alles Blut des 4. Gefässbogens und
den grösseren Theil des Blutes vom 3. Bogen empfangen.
Jede wesentlich aus den zwei ersten Aortenbögen gebildete Aortenwurzel
unserer Unkenlarven umkreist die hintere Schädelbasis und vereinigt sich dicht
hinter der Grenze des Kopfes mit der anderseitigen (Taf. XVII Fig. 305. 306.
316. 317). Vor ihrer Vereinigung oder dem Anfange der Aorta finde ich eine
quere strangförmige aber zarte Brücke zwischen beiden Aortenwurzeln ausge-
spannt. Ihre Bedeutung ist mir unbekannt geblieben-, doch habe ich durch
sie feststellen können , dass jene Vereinigungsstelle der beiden Aortenwurzeln
zur ungeteilten Aorta, welche später viel weiter rückwärts angetroffen wird,
diese Lageveränderung nicht mittelst einer Ausdehnung oder Verschiebung der
ganzen Wurzeln (vgl. Rusconi Nr. 6 S. 48) , sondern durch eine nach hinten
fortschreitende Spaltung der Aorta ausführt. Bevor jedoch die Aorta voll-
ständig angelegt ist, entwickelt sich eine neue besondere Verbindungsbahn
zwischen dem 1. Aortenbogen und der Aortenwurzel. Die Carotis hat sich
nämlich schon während der Entwickelung des zweiten Aortenbogens bis an das
Wurzelstück des ersten Wirbelbogens verlängert, unter welchem sie in die
Sattelgrube eintritt, um von dort aus sich in zwei Aeste fortzusetzen. Der
vordere verläuft als ihre gerade Fortsetzung jederseits an der anatomischen
Hirnbasis nach vorn, wobei er durch das Austrittsloch des Sehnerven eine
A. ophthalmica abgibt ; der andere Ast (R. communicans carotidis posterior)
steigt aus der Sattelgrube gerade auf und umgreift, dem Vorderhirn dicht
anliegend, dessen Basaltheil oder den Hirntrichter bis au seine Oberseite, wo
* Die Urodelenlarven zeigen solche Lungen, wie sie den Anurenlarven in der ersten
Larvenperiode eigen sind {Taf. XVII Fig. 318), dickwandige Cylinder, welche selten
vereinzelte Luftblasen enthalten; die Lungen der Anurenlarven erscheinen von dem ange-
gebenen frühen Zeitpunkte an als weite und dünnwandige, gewöhnlich prall mit Luft ge-
füllte Säcke.
48*
756 X. Das Herz und das Gefässsystem.
er in dem sogenannten mittleren Schädelbalken Rathke's eingebettet ist
(Fig. 305. 316. 377). Von dort aus geht unser R. communicans in die Basilar-
arterie seiner Seite über, welche alsdann auch eine hintere Fortsetzung im
Rückenmarkskanale besitzt (A. spinalis inferior); indem aber beide Basilar-
arterien sowie diese ihre Fortsetzungen unter dem Hirn und Rückenmark
allmählich zusammenrücken und sich endlich zum unpaaren medianen Stamme
vereinigen, erscheint dieser als Zusammenfluss jener nach hinten konvergirenden
Karotiszweige. Die beiden primitiven Wirbelarterien und ihre noch getrennten
vorderen Fortsetzungen, die Basilararterien , bilden also jederseits die hintere
Hälfte, die inneren Karotiden mit ihren hinteren Verbindungszweigen die
vordere Hälfte eines cerebralen Gefässbogens, welcher dem extra-
kraniellen Herz-Aortenbogen gleichsam von oben aufgesetzt ist. Bevor dieser
cerebrale Gefässbogen vollendet ist, müssen die ersten ins Herz und die Aorten-
bögen eintretenden Blutwellen von beiden Seiten her, von vorn durch die
Karotiden, von hinten durch die primitiven Wirbelarterien dem Gehirn zuge-
führt werden. Während der Vollendung des Bogens bilden sich bereits die
Seitenbahnen, in welche sich die beiderseitigen Blutströme verth eilen, sodass
sie nicht mit der ganzen Masse in der Hauptbahn aufeinanderstossen , sondern
die Karotiden mehr das Hirn, die primitiven Wirbelarterien das Rückenmark
versorgen; und wenn der Blutzufluss zu den letzteren schon durch die indess
erfolgte Bildung der Aorta abnimmt, was man an den sich verengenden Gefäss-
lichtungen erkennt, so hört er sehr bald, noch zu Ende der ersten Larven-
periode ganz auf, indem die primitiven Wirbelarterien verschwinden und ihr
Gebiet ganz den Karotiden überlassen.
An das bisher geschilderte zusammenhängende Gefässbogensystem des
Kopfes fügt sich als letztes Glied eine im Zungenbeinbügen verlaufende Arterie
an. Sie entsteht ganz wie die Aortenbögen in der Aussenschicht der Seiten-
platte und nach innen vom lateralen Segmente, liegt also im Bauchtheile des
betreffenden Bogens zwischen dem M. subhyoideus und dem grossen Zungen-
beinhorn, welcher den Kiemenknorpeln homolog ist, im Seitentheile des
Zungenbeinbogens dagegen, welcher seine Seitenplatte frühzeitig verlor,
zwischen dem Darmblatte und den Senkern des Unterkiefers und Zungenbeins
an der Vorderseite der Paukenhöhlenbucht; der Gesichtsnerv verläuft vor dem
Gefässe (Taf. XIV Fig. 259, Taf. XVI Fig. 294. 295, Taf. XVII Fig. 316,
Taf. XXI Fig. 377). Dasselbe hängt an der Bauchseite des Schlundes mit
der Wurzel des ersten Aortenbogens zusammen; dieser Ursprung wird aber
2. Die Arterien. 757
durch das Auswachsen des letzteren etwas lateral wärts verschoben, sodass
jenes Gefäss wie ein Zweig des Aortenbogens erscheint (Fig. 319). Im Zungen-
beinbogen aufsteigend erreicht es hinter und unter dem Ganglion des N. facia-
lis den Karotisast des ersten Aortenbogens und mündet in denselben. Da nun
der vorwärts gerichtete Strom der Carotis schon vor jener Verbindung bestand,
und die in sie mündende Arterie des Zungenbeinbogens viel dünner ist, so kann
gar nicht daran gedacht werden , dass die letztere ihr Blut durch die Carotis
zu den übrigen Aortenbögen hinüberleite und auf diese Weise sich ihnen
funktionell anschliesse. Sie kann folglich ihren Blutstrom , solange und wenn
er überhaupt aufsteigt, nur demjenigen des cerebralen Gefässbogens beimischen
und verhält sich zu den Aortenbögen so wie die 4. Kiemenarterie: sie stimmt
mit ihnen in der Anlage , nicht aber in der Bedeutung für den allgemeinen
Kreislauf überein. Wenn ich aber die Möglichkeit zugebe , dass das Blut des
in Rede stehenden arteriellen Verbindungsbogens anfangs in den cerebralen
Gefässbogen aufsteige, so dauert dies jedenfalls nur kurze Zeit. Schon im An-
fange der zweiten Larvenperiode finde ich sein Mittelstück enger als die beiden
Endstücke, von denen das untere in der geraden Fortsetzung seiner nach vorn
gerichteten Wurzel alsbald einen Zweig entwickelt, der an der Aussenseite des
M. genio-hyoideus verläuft. Nach einiger Zeit obliterirt jenes Mittelstück voll-
ständig, sodass ich vom ganzen ursprünglichen Gefässbogen nur noch seine
ventrale Wurzel mit der geraden vorderen Fortsetzung oder die A. lingualis
mit einem dünnen in den Zungenbeinbogen aufsteigenden Seitenzweige, und
das obere Endstück finde, welches sich gleichfalls nur als Wurzel einer neuge-
bildeten Arterie erhält, welche für den Unterkieferbogen bestimmt ist (Fig. 294.
305. 363. 377). Sie dringt unter dem Suspensorium in die Masse der Kau-
muskeln und gelaugt zuletzt unter und hinter den Unterkiefer, um vor dem
Ursprünge der Schilddrüse im Bildungsgewebe, später wohl im M. submaxilla-
ris zu enden. Dass diese A. temporo -maxillaris noch viel weniger als
die vergängliche Verbindungsbahn des Zungenbeinbogens mit einem Aorten-
bogen verglichen werden kann, liegt auf der Hand.
Während der Larvenmetamorphose unterliegen die Aortenbögen gewissen
Abänderungen , wodurch das bleibende Gefässsystem des Kopfes hergestellt
wird (Taf. XXI Fig. 378). Indem die Fortsetzung des 1. Aortenbogens vom
Ursprünge des Karotisastes bis zur Mündung des 2. Aortenbogens (R. commu-
nicans aut.) obliterirt und nur als dünner Strang bestehen bleibt, wird das
Blut des genannten Bogens nicht mehr dem Rumpfe, sondern ausschliesslich
758 X. Das Herz und das Gefässsy stein.
der vorderen Kopfhälfte zugeführt; er wird so zum Stamm der Carotis, welcher
die längst bekannte, aber von Leydig zuerst richtig erkannte Anschwellung
zeigt (Nr. 81 S. 55). Der 2. Aortenbogen wird dadurch und durch die gleich-
zeitige Rückbildung des EoTALLischen Ganges zum ausschliesslichen Ur-
sprünge der Aorten wurzel, der 3. Aortenbogen nach dem Schwunde des 4.
Kiemengefässbogens zur einfachen Lungenschlagader seiner Seite. Ein zweiter
Ast des 3. Aortenbogens, nämlich die von Biraow zuerst genauer beschriebene
A. cutanea (Nr. 144 S. 11), entwickelt sich erst während der Metamorphose. —
Die Aorten wurzel verliert ihren ersten Zweig, die primitive Wirbelarterie,
bereits sehr frühe ; dadurch wird aber der Zuüuss zur A. spinalis inferior von
unten her nicht ganz aufgehoben, indem jene vergängliche Wirbelarterie abge-
sehen von kleinereu neugebildeten Aortenzweigen namentlich durch eine blei-
bende Wirbelarterie ersetzt wird, welche an derselben Stelle wie die
erstere aus der Aortenwurzel entspringt, aber nach innen von den Stammuskeln
(M. intertransversarius capitis inferior) , zwischen diesen und der Wirbelsaite
und durch das erste Zwischenwirbelloch in den Rückenmarkskanal eindringt
(Taf. XXI Fig. 371). Sie entlässt auch die A. supravertebralis anterior.
Hinter der Wirbelarterie entwickelt sich aus der Aortenwurzel in dem Masse,
als die vordere Extremität hervorwächst, die A. subclavia. — Gleich hinter
der Vereinigung beider Aortenwurzeln entsendet die A<Ma ihren stärksten Ast,
die A. mesenterica, welche an derselben Stelle wie die Hohlvene die Wirbel-
säule verlässt, sodass jene rechts, die Arterie links hinüberneigt (Fig. 363. 372.
377). Da die Gekrösearterie im erwachsenen Thiere als Ast der linken Aorten-
wurzel erscheint, so liefert dies einen neuen Beweis, dass die Aorta der Anuren
sich rückwärts spaltet und dadurch ihre Wurzeln verlängert. Rückwärts ver-
läuft die Aorta der Larven bis an das Schwanzende der Wirbelsaite und gibt
auf diesem Wege zahlreiche obere und untere Zweige ab. Die ersteren steigen
an der Innenseite der Stanimuskelplatten und längs deren Scheidewänden auf,
und gelangen mit einer geraden Fortsetzung in die dorsale Flosse, während ein
Seitenzweig in der halben Hohe jeder Muskelscheidewand dieselbe durchbohrt
und an ihrer Aussenseite sich in eine obere und eine untere Vene (V. vertebra-
lis) theilt. Die unteren Aortenzweige versorgen im Rumpfe die Baucheinge-
weide und die Leibeswand , im Schwänze dessen untere Flosse. Mit der Ent-
wicklung der hinteren Extremitäten erscheinen die beiden Aa. iliacae. Nach
der Larvenmetamorphose bleibt von der kaudalen Fortsetzung der Aorta nur
3. Die Venen. 759
ein kleines unpaares Stämmchen zurück, welches im Theilungswinkel der beiden
Aa. iliacae wurzelt (Taf. XXI Fig. 380).
m
3. Die Venen.
Das Venensystem entwickelt sich von mehreren getrennten Hauptanlagen
aus, welche sich in zwei natürliche Gruppen scheiden: die eine gehört dem
Kopfe, den Stamm- und Seitentheilen des Rumpfes an, die andere ausschliess-
lich den Eingeweiden. Alle Hauptanlagen der ersten Gruppe erscheinen zuerst
als Reihen zusammenhängender grösserer Lakunen des interstitiellen Bildungs-
gewebes, welche sich darauf in Kanäle verwandeln und dann gleich den Arte-
rienstämmen ihre feineren Verzweigungen vom Stamme aus, aber im Hinblick
auf ihre spätere Stromrichtung stromaufwärts entwickeln. Die zuerst auf-
tretende dieser Anlagen, welche mit den Aortenbögen ohngefähr um dieselbe
Zeit entsteht, kann mit Rücksicht auf ihre spätere Ausbildung gleich anfangs
in drei Abschnitte zerlegt werden, welche in einem Punkte zusammentreffen,
sodass der eine die gemeinsame Fortsetzung der beiden anderen bildet. Dies
sind Theile der Drosselvene, die Stammvene (V. cardinalis Rathke) und der
sie vereinigende Ductus Cuvieri (Rathke).
Von der Drosselvene finde ich zunächst ein kurzes, horizontales Stück,
welches unter dem äusseren Rande der ersten Stammuskelplatten des Rumpfes
liegt und alsbald sich in eine vordere Wirbelvene fortsetzt, welche aussen
an der Grenze der 2. und o. Stammuskelplatte aufsteigt und die dorsalen
Venen des vorderen Rumpftheils sammelt (Fig. 238 — 240), An dieses horizon-
tale Stück schliesst sich an der hinteren Kopfgrenze ein gleichfalls an der
Aussenseite der Muskeln aufsteigendes Stück der Drosselvene, welches von
hinten her zwischen die Vaguswurzel und das Hinterhirn tritt und so den Anfang
der V. j u g u 1 a r i s interna bezeichnet. Bevor aber diese letztere sich ausbildet,
erscheint die V. jugularis externa als der mächtigste Theil des Drossel-
venensystems {Fig. 273—278. 305. 306. 315—317. 377). Sie umkreist in
weitem Bogen, welcher dem inneren arteriellen Bogen von dem Schädeleintritt
der Carotis bis zu den Aortenwurzeln koncentrisch verläuft, den unteren äusseren
Umfang des Ohrbläschens und liegt dabei lateralwärts vom Facialis, Glossopharyn-
geus und Vagus, sodass also diese Nerven den arteriellen vom venösen Bogen
trennen. Hinten mündet die äussere Drosselvene unter der Wurzel des Seiten-
nerven in die innere Vene; vorn dringt sie zwischen dem Facialis und dem
GASSERSchen Nervenknoten in den Schädelraum, nachdem sie vorher einige
7(50 X. Das Herz und das Gefässsystem.
stärkere Zweige in den Zungenbein- und Unterkieferbogen entsandt hat. Der
horizontale Stamm der vorderen Wirbel vene und die gemeinsame Wurzel der
inneren und äusseren Drosselvene verbinden sich zu einem kurzen gemeinsamen
Stamme oder der V. jugularis communis, welche hinter dem Kiemen-
apparate hinabläuft; dort trifft sie mit der von der Urniere kommenden Stamm-
vene zum abwärts ziehenden Ductus Cuvieri zusammen. Die letztgenannten
Venenstämme liegen dem Parietalblatte aussen an, also in der künftigen Leibes-
wand, und werden von den später erscheinenden Bauchmuskeln bedeckt. —
Mit diesen Beobachtungen, welche bis in den Anfang der zweiten Larvenperiode
reichen, schliesse ich die Entwickelungsgeschichte der V. jugularis, da es mir
nicht gelang, Präparate derselben aus der späteren Larvenzeit herzustellen.
Die Stamm vene wendet sich aus dem Ductus Cuvieri sofort auf- und
rückwärts zur Urniere und geht vollständig in die Zwischenräume der Schläuche
derselben über, um erst am oberen hinteren Ende des Organs wieder zu einem
Gefässezusammenzufliessen(J«/. 238—240. 263—265. 278—281. 308—311).
Um eine richtige Vorstellung von den genetischen Beziehungen der Urniere
und der Stammvene zu gewinnen, muss man sich vergegenwärtigen, dass die
Anlage dieses Gefässes in Lakunen besteht, welche zwischen dem Parietalblatte
und der ihm sonst eng anliegenden inneren Segmentschicht auftreten, und dass
anderseits die Urniere aus schlauchförmigen lateralen Ausstülpungen desselben
Parietalblattes sich entwickelt, welche jene Segmentschicht ebenfalls nach
aussen abheben und so zwischen und um sich unregelmässige, von spärlichen
Bildungszellen durchzogene Zwischenräume hervorrufen, welche mit den an
sie herantretenden Venenanlagen in Kommunikation treten und von ihnen aus
mit Blut gefüllt werden. Indem der vom ganzen Organ eingenommene Baum
sich allmählich gegen die Umgebung abschliesst 'und abkapselt, liegen seine
Schläuche gleichsam frei in einem von Bildungszellen durchzogenen Vonensinus,
der in den Verlauf der Stammveue eingeschaltet ist ; und während ferner die
sich verlängernden und aufknäuelnden Urnierenschläuche diesen Sinus in ein
System von allseitig zusammenhängenden Spalträumen verwandeln, können die
Bildungszellen die engen Stellen derselben ganz abschliessen, die weiteren zum
Theil oder ganz auskleiden und so den weiten ursprünglichen Gefässsack in ein
pfortaderähnliches Gefässnetz der Urniere umbilden, welches ausderStammvenc
kommt und in deren Fortsetzung wieder übergeht. Die Stammvene verlässt
die Urniere zugleich mit dem Urnierengange, an dessen mediale Seite sie ange-
schlossen bleibt, und gleitet dann über das Parietalblatt (parietales Bauchfell)
3. Die Venen. 761
median- und rückwärts bis gegen die Gekrösefalte, sodass beide Gefässe den
medianwärts von ihnen gelegenen Aortenwurzeln ohngefähr parallel nach hinten
konvergiren ; unter den Stammuskeln angelangt wenden sie sich gerade nach hinten,
lateralwärtsnoch immer von den Urnierengängen, medianwärts von den aus den Ge-
krösefalten hervorwachsendenNierenanlageneingefasstundunterdem Niveau der
Aorta gelegen (Taf. XI Fig. 197, Taf. XX Fig. 362. 363). Während darauf die
Gekrösefalten unter der Aorta zusammenstossen, nähern sich auch die Nierenan-
lagen mit den Venen und Urnierengängen der Medianebeue, indem sie zwischen die
Aorta und die neugebildete Gekrösewurzel eindringen, sodass zuletzt nur noch die
komprimirten Wurzeln der Nierenanlagen die Venen unter der Aorta trennen,
während der Haupttheil jener Anlagen jederseits zwischen den beiderlei Ge-
fässen nach aussen und oben gedrängt, über die Stammvene hinüber den Ur-
nierengang erreicht (Fig. 198). Zu Ende der ersten Larvenperiode löst sich die
Verbindung der Nieren und Gekrösefalten vollends, sodass die beiden Stamm-
venen lediglich durch ihre eigenen dünnen Wände geschieden den Raum zwischen
der Gekrösewurzel und der Aorta ausfüllen. Diese ihre Aneinanderlagerung
reicht bis gegen das Ende des Rumpfes , wo an Stelle der Nieren der oberste
Theil der Darmanlage sich aufwärts zwischen die Venen drängt und sie dort
bleibend trennt. Indem aber die gerade Fortsetzung jenes Darmtheils als
Schwanzdarm aus dein hinabziehenden Afterdarm frei hervortritt, stossen die
unter seinem Niveau verlaufenden Stammvenen unter ihm zusammen und ver-
schmelzen zur unpaaren unteren Schwanz vene (Fig. 363. 377). Der
Schwanzdarm liegt also zwischen den kaudalen Fortsetzungen der arteriellen
und venösen Hauptgefässe des Stammes. Dort, wo die Stammvenen die Wurzel
des Schwanzdarmes nach unten und hinten umgreifen, entwickeln sie jederseits
in derselben Richtung einen starken Ast, die V. iliaca, welche zwischen dem
Afterdarm und der Anlage des Beckens abwärts verläuft, um darauf nach vorn
in die A. iliaca bogenförmig überzugehen. Der ganze Kreislauf an der Wurzel
der hinteren Extremität' besteht also anfangs in einer einfachen mit der Aorta
und der Stammvene zusammenhängenden Schlinge; durch Wachsthum, Ver-
zweigung und fortgesetzte Schlingenbildung dieser ersten Anlage entsteht dann
der definitive Kreislauf mit arteriellem, venösem und kapillärem Gebiete ganz
ähnlich wie derjenige des Schwanzes aus den einfachen bogenförmigen Ueber-
gängen der ursprünglichen kaudalen Hauptgefässe (S. 509 — 511). Auf dieselbe
Weise sammelt also die untere Schwanzvene das zurückströmende Blut der
unteren Schwanzhälfte, sowohl aus den gerade nach unten gerichteten wie auch
762 X. Das Herz und das Gefässsystem.
aus den durch die Muskelplatten zurücklaufenden Zweigen. Die zwischen den
oberen Rändern der Muskelplatten hinziehende obere Schwanzvene sammelt
die übrigen Venenzweige der dorsalen Flosse und ergiesst sich an der Schwanz-
wurzel jederseits mit zwei äusseren, intersegmentalen Stämmchen in die V.
cardinalis. Eine Fortsetzung der oberen Schwanzvene in den Rumpf hinein
existirt nicht-, vielmehr werden die dorsalen Gefässschlingen der hinteren
Rumpfhälfte in einzelne Venenäste hinübergeleitet, welche unregelmässig, bald
die Muskeln ganz von aussen umgreifend, bald dieselben durchbohrend die
Stammvenen erreichen. Die stärkste dieser hinteren Wirbelvenen scheint
mir die erste zu sein, welche an der nächsten hinter der vorderen Wirbelvene
gelegenen Muskelscheidewand und hinter der Urniere hinabsteigt (Fig. 362).
Dicht über der Mündung dieser hinteren Wirbelvene finde ich in der letzten
Zeit der ersten Larvenperiode eine Erweiterung des Gefässes, welche alle übrigen
Gefässlichtungen an Grösse übertrifft. Wenn ich das Mikroskop auf die ent-
sprechende Stelle der Oberfläche einer etwas älteren lebenden Larve einstelle,
so sehe ich einen runden, blutrothen Fleck, welcher durch regelmässige Pul-
sationen bewegt wird. Da nun J. Müller solche von dem vorderen Lymphherz
abhängige Pulsationen an der vorderen, in die Drosselvene sich ergiessenden
Wirbelvenen des erwachsenen Frosches nachgewiesen hat (Nr. 143 S. 209),
so muss ich annehmen, dass jene erste hintere Wirbelvene später, wenn ihr
Abfluss in die atrophirende Stammvene aufhört, mit der vorderen Wirbelvene
sich verbindet und so deren Gebiet vergrössert.
In der beschriebenen Anordnung bleiben die Stammvenen und die meisten
ihrer Zweige nicht lange bestehen. Die erste Veränderung wird durch die Ent-
wickelung des vorderen, von der Wirbelsäule zur Leber niedersteigenden Ab-
schnitts der hinteren Hohlvene herbeigeführt. Ich werde diesen Vorgang weiter
unten genauer schildern und erwähne hier nur seinen Enderfolg, welcher darin
besteht, dass jener von den Stammvenen unabhängig entwickelte Hohlveinn-
abschnitt die rechte Stammvene von vorn und unten dicht vor ihrem Zusammen-
treffen mit der linken und neben der Wurzel der A. mesenterica erreicht und mit
ihr sich verbindet {Fig. 363 ) . Dies geschieht im Anfange der zweiten Larvenperiode
und hat zur Folge, dass das Blut aus dem hinter jener neuen Mündung der
rechten Stammvene gelegenen, bei weitem grossesten Abschnitte derselben durch
zwei Bahnen, also leichter abfliessen kann als aus der linken Stammvene. Zu
gleicher Zeit ist auch die zwischen den aneinandergelagerten Stammvenen noch
bestehende Scheidewand gegen die linke Gefasslichtung konvex vorgewölbt,
3. Die Venen. ■ 703
also die linke Vene viel weniger gefüllt als die rechte, was wohl so zusammen-
hängen mag, dass der leichtere Abfluss durch die letztere auch einen stärkeren
Zufluss zu derselben aus der gemeinsamen Quelle beider Blutbahnen, nämlich
der Schwanzvene hervorruft. Unterdessen drängen sich die frei gewordenen
Nierenanlagen jederseits zwischen die Stammvene und den Urnierengang ein
und geben dadurch Veranlassung, zu zweierlei Umbildungen der Stammvenen.
Wenigstens möchte ich auf diesen Umstand zunächst ihre Verschmelzung in
dem grösseren vorderen Theile ihres Verlaufes zwischen den Nieren zurück-
führen, da die letzteren dort am stärksten entwickelt und einander am meisten
genähert sind, während ihre schmächtigen, sich von einander entfernenden
hinteren Abschnitte auch die getrennt bleibenden, in der angegebenen Weise
ungleichen Stammvenenabschnitte zwischen sich fassen (Fig. 380). Der auf
diese Weise entstandene unpaare Venenstamm stellt die hintere Hälfte oder
den Nierentheil der Hohlvene dar, sodass also dieses Hauptgefäss des
erwachsenen Thieres aus zwei genetisch ganz geschiedenen Hälften hervorgeht.
Seine vollständige Herstellung hat aber die Rückbildung der beiden ursprüng-
lichen Urnierenab schnitte der Stammvenen von ihrem Zusammenfluss bis zu
ihren Mündungen in die Ductus Cuvieri nicht zur unmittelbaren Folge, sondern
dieselbe wird erst durch die allmähliche Schrumpfung der von ihnen durch-
strömten Urnieren herbeigeführt. Diese Organe scheinen freilich in dem Masse,
als ihre Funktion an die bleibenden Nieren übergeht und sie in Fol'ge dessen
atrophiren, sich von den Stammvenen abzuschnüren (Fig. 363); dennoch müssen
sie dabei dem centripetalen Blutstrome dieser Gefässe hinderlich werden, denn
dieselben veröden zuerst gerade in den vor den Urnieren gelegenen Hälften,
während ich die mit der Hohlvene zusammenhängenden Abschnitte noch bei
einjährigen Thieren theilweise mit Blut gefüllt angetroffen habe {Fig. 380). —
Die bleibenden Nieren beeinflussen jedoch nicht nur die Umbildung der Stamm-
venen, sondern auch diejenige ihrer Seitenzweige oder der hinteren Wirbel-
venen. Während die Nieren zur Seite der Stammvenen zwischen jene ihre Längs-
axe quer durchschneidenden Gefässe hineinwachsen, erhalten sie von ihnen
zahlreiche, zu einem Gefässnetze zusammenfliessende Zweige, unter denen die
ursprünglichen Stämmchen im engeren Bereiche der Nieren unkenntlich werden,
sodass sie nur an den Rändern derselben, wo sie das Organ verlassen, als
stärkere Gefässe hervortreten. Von diesen heissen nunmehr die medialen,
welche sich in den Nierentheil der Hohlvene ergiessen, Vv. renales adve-
hentes; die lateralen Stämmchen werden am Seitenrande der Niere durch
7(j4 X. Das Herz und das Gefässsystem.
fortlaufende Anastomosen oder die Jacobson'sche Vene verbunden, welche, da
die letzten Wirbelvenen an der Mündung der V. iliaca die Stammvene noch
unmittelbar erreichen, ebendaselbst mit der letzteren zusammentrifft und daher
wie eine Fortsetzung derselben oder später der V. iliaca erscheint. Die Jacob-
soNSche Vene scheidet also jene lateralwärts von der Niere liegenden Abschnitte
der ursprünglichen Wirbelvenen in innere Stämmchen, welche sich in die Niere
einsenken und Vv. renales advehentes heissen und äussere, welche im
Grunde dieselbe Bedeutung haben, aber immerhin den alten Namen „hintere
Wirbelvenen" behalten mögen. Ihre Zahl ist schliesslich gering, was wohl eine
Folge mehrfacher Verschmelzungen ist-, denn wenn die ursprünglichen Wirbel-
venen kaum mehr als je zwei Segmenten angehören, haben die späteren weit
grössere Bezirke. Bei der Unke finde ich zwei solche Venen, welche am
Vorderende und der Mitte der Niere sich in die JACOBSON'sche Vene ergiessen ;
eine dritte mündet mit der V. iliaca zusammen. Dass die vor der Niere befind-
lichen hinteren Wirbelvenen sich später wahrscheinlich an die vordere Wirbel-
vene anschliessen, wurde bereits erwähnt. — Die getrennten hinteren Stamm-
venenabschnitte bleiben den medialen Rändern der Nieren bis zu derer hinterem
Ende, wo sie mit der JACOBSON'schen Vene und der Hüftvene zusammentreffen,
und von dort an den Urnierengängen dicht angeschmiegt. Indem nun im Ver-
laufe der Entwickelung die beiden hinteren Nierenenden divergirend auseinander-
weichen, sodass hinter ihnen die freien Urnierengänge bis zu ihrer gemeinsamen
medianen Mündung wieder konvergiren, bilden die getrennten Stamm venen-
abschnitte eine rautenförmige Figur, deren vordere Spitze in die Hohlvene, die
hintere in die untere Schwanzvene übergeht, und deren laterale Winkel den
Zusammenfluss der Stammvenen mit den oben genannten Venen bezeichnen.
Erst nach der Larvenmetamorphose atrophiren die vorderen Schenkel jeuer
Rautentigur und zwar, sowie die linke Stammvene schon frühzeitig die schwächere
wurde, zuerst der linke Schenkel, während der rechte als Andeutung einer aus
den Hüftvenen entspringenden Hohlvene, wie sie bei höheren Wirbelthieren be-
steht, bisweilen noch in einjährigen Unken vorhanden ist (Fig. 380). Doch habe ich
auch das umgekehrte Verhalten angetroffen. Die lateralen Winkel der Rauten-
figur ziehen sich allmählich je in ein kurzes unpaares Venenstämmchen aus,
welches nach dem Schwunde der vorderen Schenkel einerseits eine V. renalis
advehens für das Nierenende entwickelt, anderseits in den hinteren Schenkel
übergeht; diese beiden hinteren Rautenschenkel erhalten sich aber, nachdem
ihre Vereinigung in dem Reste der unteren Schwanzvene sich gelöst, als zwei
•">. Die Venen. 7(55
hinter dem Mastdarm rückwärts verlaufende Venen. Es sind die einzigen in
den vollendeten Zustand des Venensystems übergebenden Reste der getrennten
Stammvenen.
Hinsichtlich der Ductus Cuvieri kann ich mich kurz fassen. Es sind
kurze Gefässstämme, welche anfangs vom Zusammenfluss der Drossel- und der
Stammvene hinter der Kopfregion senkrecht in der Leibeswand hinablaufen
und nach dem Schwunde der Stammvenen als Vv. cavae anteriores s. ano-
nym a e jederseits die Verbindung der Drosselvene und der V. subclavia darstellen
(Fig. 238—240. 255. 262. 296. 302. 311. 312. 318. 319. 363. 377). Sie haben
zuerst wie alle grossen primitiven Gefässe keine Mündung, sondern endigen
blind im obersten Abschnitte jener Falte des Parietalblattes, welche dieses auf
die perikardiale Visceralblattfläche der Leber vorschiebt; während der Ver-
wachsung jener sich berührenden Blätter durchbrechen die Ductus Cuvieri diese
sie von der Höhle des Venensacks trennende Scheidewand und münden dann
seitlich in den letzteren ein. In ihre Mündung ergiesst sich noch ein selbst-
ständig entstehender Venenstamm des Kopfes, die V. jugularis inferior
(V. jugularis externa Gruby Nr. 145 S. 224. 225). Sie verläuft ohngefähr
parallel der A. lingualis, aber am medialen Rande des M. genio-hyoideus, und
nachdem sie ihn an seinem Ursprünge überschritten, am lateralen Rande des
M. sterno-hyoideus * und unter den Wurzeln der Aortenbögen rückwärts bis
zur Mündung der Ductus Cuvieri, welche sie von oben her erreicht {Fig. 255.
273—277. 302. 310. 312. 319. 363). Während die zwischen der Bauch- und
Perikardialhöhle hergestellte Scheidewand in ihren freien, selbstständigen
Randtheilen oder der beschriebenen Duplikatur des Parietalblattes sich aus-
dehnt, also auch die Leber mit dem Venensack von der Leibeswand entfernt,
werden die anfangs unmittelbaren Mündungen der Ductus Cuvieri in kurze,
zwischen der Leibes wand und dem Venensacke ausgespannte Stämme aus-
gezogen.
Als. letzter Venenstamm der ersten Gruppe ist die V. abdominalis zu
nennen. Ihre paarigen Anlagen liegen jederseits in der unteren Bauchwand
unmittelbar auf dem Parietalblatte oder dem Bauchfelle und erstrecken sich
zuerst von der Lebergegend nur eine kurze Strecke rückwärts. Neben der
Leber durchbrechen sie die ihr angeheftete Duplikatur des Parietalblattes
gerade so wie die Ductus Cuvieri, nur dass diese mehr von oben, die Bauch-
* Dieser laterale Rand ist anfangs, solange der Muskel den Herzbeutel nur oben um-
greift, natürlich ein oberer Rand.
7(36 X. Das Herz und das Gefässsystem.
venen von unten in den Venensack münden {Fig. 277.296. 302.371). Rückwärts
verlängern sie sich bis in die Beckengegend, wo sie mit den Venen der Extremitäten
in Verbindung treten (Vv. epigastricae) und namentlich das Venennetz der
Harnblase aufnehmen. Später verschmelzen diese hinteren Abschnitte der Bauch-
m
venen von der Harnblase an vorwärts zu einem Stamme (Fig. 380), worauf in dem
noch getrennten vorderen Verlaufe die rechte Bauchvene völlig schwindet, sodass
die linke allein die Fortsetzung des hinteren Stammes bildet. Wenn man die Be-
ziehungen der Allantois zur Harnblase bei den höheren Wirbelthieren berück-
sichtigt, so erscheinen die Bauchvenen der Anuren als richtige Stellvertreter
der Umbilikalvenen der Amnioten, um so mehr, als sie später in unmittelbare
Beziehungen zu den Dotterdarmvenen treten, welche sich als Homologa der
Vv. omphalo-mesentericae erweisen. Diese und eine andere Verbindung der
Bauchvene können aber erst nach der Betrachtung der eigentlichen Eingeweide-
venenstämme verständlich werden.
Das viscerale Venensystem im engeren Sinne scheidet sich gleichfalls in
mehre Gruppen. — Die Dotterdarmvenen habe ich als zwei Gefässstämme
beschrieben, welche jederseits das Dotterblut sammeln und über der Leber-
anlage dem Herzen zuführen, an dessen hinterem Ende sie sich zum Venen-
sacke verbinden (Taf. XIII — XV). Diese Darstellung passt aber nur auf
den ersten Entwickelungszustand der Dotterdarmvenen. Was zunächst deren
Wurzeln, die Dottergefässe betrifft, so sind sie nicht von sehr langem Bestände;
denn sobald die Dotterzellenmasse bis unter den Mitteldarm abgeschnürt ist,
beginnt ihre Umwachsung durch das Darmblatt, welches folglich an Stelle der
ersteren zur Unterlage des Visceralblattes wird und dadurch die Bildung des
Dotterblutes und seine Abführung in die Dotterdarmvenen unterbricht (S. 265.
266). Desshalb ist aber der Blutzufiuss zu den letzteren nicht aufgehoben.
Sehr bald nach der Anlage der ersten Dottergefässe finden sich auch primäre
Gefässanlagen zwischen dem Visceralblatte und unzweifelhaften Dotterblatt-
theilen, welche auf der kontinuirlichen Unterlage (Darmblatt, Dotterzellen-
masse) mit den Dottergefässen ähnlich wie die Dotterdarmvenen in Verbindung
treten und sich in demselben Masse ausbreiten als die ersteren durch das aus-
wachsende Darmblatt beschränkt und verdrängt werden (Fig. 362). Die
Dotterdarinvenen kommuniciren also sehr bald nicht nur mit den Dottergefäs-
sen, welche man ja wohl als Venen bezeichnen muss, sondern, wie ihr Name
besagt, auch mit eigentlichen Darm- und Eingeweidevenen, welche wäh-
rend der Rückbildung der Dottergefässe an deren Stelle treten und so die
3. Die Venen. 767
Dotterdarinvenen in blosse Darmvenenstänime verwandeln. Während dieses
eigenthümlichen Wechsels im Ursprungsgebiet unseres Venensystems werden
auch seine ausführenden Stämme wichtigen Veränderungen unterworfen. Wenn
sie anfangs in ihren vordersten Abschnitten, namentlich in der Anlage des
Venensackes und sogar im Uebergange zum freien Herzschlauche bloss als
zwei getrennte primitive Gefässrühren erscheinen, so finden sich doch schon in
jener ersten Zeit ihrer Entstehung etwas rückwärts neben der Wurzel der
Leberanlage einige kleinere Gefässlichtungen statt der einen grossen (Fig.
237 — 239. 253). Diese Vermehrung der Dotterdarmvenen nimmt während
ihrer weiteren Ausbildung zu, sodass zwei einfache Stämme derselben eigent-
lich nur ganz vorn und wegen der frühzeitigen Verschmelzung zum Venensacke
nur kurze Zeit bestehen. Indem sich nun die Leberanlage gegen den übrigen
Vordarm abzuschnüren beginnt, wobei ihre Wurzel, der primitive Lebergang
mit der medianen unteren Aussackung der Gallenblasenanlage, sich abwärts
zusammenzieht, rücken die über dieser Wurzel gelagerten Dotterdarmvenen
gleichfalls hinab. Die eigentliche Leberanlage wächst dagegen vorwärts und
aufwärts gegen den Perikardialsack aus, hebt also den Venensack und zieht
zugleich ihre Wurzel vor, sodass sie gewissermassen zwischen diese Theile sich
einfügt (Taf. XVI, XXI Fig. 372). Ferner verändert sich ihre blindsack-
artige Darmblattanlage sehr wesentlich. Wenn ihre Fläche anfangs ganz glatt
und darauf mit flachen Buckeln sich demVisceralblatte anlegte und daher nur
im Verlaufe der Grenzeinschnürung gegen den Vordarm zur Bildung der Dotter-
darmvenen geeignete Lücken unter dem Visceralblatte entstehen liess, so nimmt
ihre Unebenheit allmählich so zu, dass die Buckeln in kolbige Auswüchse, diese
aber durch mannigfache Verschmelzung in ein massiges Balkenwerk sich ver-
wandeln, wubei die sackartige Grundlage zu dieser Umbildung verbraucht, in
"sie hineingezogen wird. Auf diese Weise schiebt sich in den Verlauf der in der
Entwickelung begriffenen Dotterdarmvenen und zwar zwischen ihre Mündungen
in den Venensack und ihre zur Seite der Gallenblasenanlage gelegenen hinteren
Abschnitte allmählich eine von netzförmig verzweigten und verbundenen
Zwischenräumen durchzogene Masse ein ; und gerade so wie ein ähnliches In-
einandergreifen der Entwickelung eines Gefäss Verlaufs und eines drüsigen Or-
gans die Stammvene zur Auflösung in ein die Urniere durchziehendes Gefäss-
netz brachte, verwandeln sich auch die Zwischenräume der Leber gleichsam in
Folge einer Zerklüftung der noch unausgebildeten Dotterdarmvenen in ein voll-
ständiges Gefässnetz, welches nur vorn mit dem Venensacke, rückwärts und
768 X. T>as Herz und das Gefässsystem.
unten mit den noch intakten hinteren Anschnitten der Dotterdarmvenen kom-
municirt. Ich mache noch besonders darauf aufmerksam, dass in der Leber
anfangs ebenso wenig wie in der Urniere die Gefässanlagen vollkommen sind,
das Blut vielmehr die Zwischenräume beinahe ganz ohne eigene Wandungen
durchströmt (Fig. 371) ; diese entwickeln sich erst allmählich von den benach-
barten Gefässen aus und unter direkter Betheiligung der embryonalen Blut-
zellen , welche ja als Dotterbildungszellen das interstitielle Bildungsgewebe
überall ergänzen. Die Umbildung dieses einfachen kontinuirlichen Lebergefäss-
netzes in ein zu- und ein ausführendes Gefässsystem durch sekundäre Vorgänge,
wie solche die einfache Gefässschlinge der Extremitätenanlage in die Gesammt-
heit ihrer Arterien, Venen und Kapillaren verwandeln, widerlegt hinlänglich
die Auflassung, dass jenezwei Lebergefässsysteme von zwei getrennten Ursprüngen
aus in die Lebermasse hineinwüchsen. Von den ausserhalb der Leber zurück-
gebliebenen Abschnitten der ursprünglichen Dotterdarmvenen sind nun die
Mündungen in den Venensack als die ausführenden Lebervenen zu be-
trachten; die hinten in das Organ eintretenden Gefässe atrophiren auf der
rechten Seite frühzeitig, links von der Gallenblase vereinigen sie sich aber zu einem
Stamm, der Pfortader. Da die Pfortader ebenso wie ihre Anlagen innerhalb
des Visceralblattes an der Hinterscite der Leber, also auch innerhalb der
späteren Bauchhöhle liegt, die in der Leibeswand verlaufende Bauchvene aber
erst durch die stets mit der Vorderfläche der Leber zusammenhängende Dupli-
katur des Parietalblattes an den Venensack gelangt, so kann von einem ursprüng-
lichen Zusammenhangebeider Gefässanlagen keine Ptede sein. Nur die Mündungen
der Bauchvenen und der Lebervenen in den Venensack sind anfangs insofern ver-
bunden, als die erstere nach ihrem Durchbruch unter das Visceralblatt der Leber
nicht weiter abgesondert erscheint sondern dort eigentlich mit den Mündungen
aller übrigen Venenstämme zusammenfliesst (Fig. 371). Diese zuerst vermisste
Absonderung des extraparietalen Verlaufs der Bauchvene vollzieht sich in der
Folge ähnlich wie ich es von den Ductus Cuvieri beschrieb. Wenn aber diese
innerhalb der Duplikatur des Parietalblattes in der ursprünglichen queren
Richtung ausgezogen werden, so tritt dagegen die Bauchvene rückwärts aus
derselben hervor, indem sie auf dem Wege durch die vordere Bauchwand und
an der linken Seite der Leber bis zum Venensacke eine sie einschliessende und
in die Bauchhöhle vorspringende Peritonealfalte abhebt. Nachdem aus der ur-
sprünglichen Leberanlage ein linker Lappen zur Seite jener Falte hervorgewachsen
ist, leitetdieselbe die Bauch vene durch den Einschnitt zwischen dem Mittelstück
3. Die Venen. 769
und dem linken Lappen der Leber unter und vor letzterer zum Venensacke, verhält
sich also bis auf die abweichende Lage der Vene — vor statt hinter der Leber
— wie das Lg. Suspensorium hepatis der Säuger. Auch geht die Bauchvene
dort, wo sie die Leber streift, mit dem Gefässsystem derselben direkte und
durch die Pfortader indirekte Verbindungen ein; dies geschieht aber erst sehr
spät. Lange vorher ist sie mit einer Herzvene, welche in der Einschnürungs-
furche zwischen der Kammer und dem Vorhofe entsteht und auf der rechten
Seite sich unter den Venensack begibt, an der Mündung zusammengeflossen
(Fig. 37 9). Diese gemeinsame Mündung der Bauch- und der Herzvene atrophirt
indessen zur Zeit, wann weiter rückwärts und unten die Verbindung der ersteren
mit der Pfortader zu Stande kommt und das Bauchvenenblut nicht mehr direkt
zum Venensacke, sondern in das Pfortadersystem und in die Leber fliesst, in
Folge dessen auch das Herzvenenblut in den gleichsam unbenutzten, der unteren
Leberseite angeschmiegten vorderen Abschnitt der Bauchvene und dann
gleichfalls in die Leber geleitet wird. Die so ausserordentlich abweichenden
Verhältnisse des Pfortadersystems der Batrachier (vgl. Nr, 145, Nr. 80 II S. 233)
entstehen also dadurch, dass in Folge der nachträglichen Verbindung der
Bauchvene mit der Leber ihr vorderster Abschnitt unter Umkehrung seines
früheren Blutstroms in eine Fortsetzung der Herzvene bis zur Leber ver-
wandelt wird.
Wenn das Pfortadersystem der Batrachier sich aus mehreren getrennten
Anlagen (Darm-, Herz-, Bauch vene) entwickelt, so zeigen die übrigen Venen
des engeren visceralen Gebiets sehr viel einfachere Verhältnisse. Die Lungen-
vene sehe ich, noch bevor die Theilung des primitiven Vorhofs sich vollzogen
hat, an der Decke des Venensacks in einer nach innen vorspringenden Leiste
entstehen und an der Hintergrenze des Venensackes aufwärts zur Lungenwurzel
ziehen (Fig. 371. 372). Ob diese Leiste eine Fortsetzung der hervorwachsenden
Vorhofsscheidewand ist, habe ich nicht entscheiden können. Indem sich die
Lungenvene darauf vom Venensacke nach aussen und oben abschnürt und
anderseits in den linken Vorhof eröffnet, ist ihre Bildung vollendet. — Der von
der Wirbelsäule zum Herzen niedersteigende vordere Abschnitt der
Hohl vene entsteht ganz evident stromaufwärts (Fig. 378 — 380. 359 — 362.
376. 377). Ich werde im nächsten Kapitel auseinandersetzen, wie nach der Ver-
schiebung der embryonalen Leberanlage auf die rechte Seite sie dort in beständigem
Zusammenhange mit dem übrigen Vordarme bis zu dessen Gekröse rückwärts
auswächst, sodass von ihrer Oberseite, welche unmittelbar an den Venensack
Goette, EntwickcluDgsgeschichte. 49
770 X. Das Herz und das Gefässsystem.
stösst, bis zur Gekrösewurzel eine besondere kontinuirliche Brücke hergestellt
wird. Im Visceralblatte dieser Brücke entwickelt sich nun von der Hinter-
wand des Venensackes aus ein Gefäss, dessen Lichtung anfangs unter allmäh-
licher Abnahme nur bis in die Nähe der Gekrösewurzel sich verfolgen lässt,
und erst in der zweiten Larvenperiode die rechte Staramvene erreicht, worauf
sie mit dem sich daranschliessenden unpaaren Abschnitte beider Stammvenen
oder der hinteren Hohlvenenhälfte die ganze V. cava posterior koustituirt.
Ihrer Mündung in den Venensack schliessen sich später die Lebervenen an.
Ueber die definitive Umbildung der embryonalen Blutzellen, deren Ent-
stehung ich bereits beschrieben habe (S. 538) kann ich zu dem von früher her
Bekannten nichts hinzufügen: während die Dotterplättchen in den Blutzellen
allmählich schwinden, nehmen die Zellenleiber und Kerne ein homogenes,
etwas opalisirendes Aussehen an, dann verlängern sie sich unter Abplattung
von zwei entgegengesetzten Seiten und erhalten einen leichten gelblichen
Schimmer. Diese fertigen gelben Blutzellen scheinen im Anfange der ersten
Larvenperiode eine Zeit lang die einzigen Formelemente des Blutes zu sein;
darauf erscheinen aber in demselben auch weisse Zellen, deren Ursprung ich
aber erst im nächsten Kapitel erörtern kann.
Bevor ich das Blutsystem ganz verlasse, mögen hier noch einige Be-
merkungen über die ersten Anfänge der Blutbewegung, des Kreis 1 aufs, Platz
finden. Die ersten Herzkontraktionen habe ich an den Unkenlarven nicht
beobachten können ; doch scheint es mir nach den direkten Beobachtungen
Vogt's an der Geburtshelferkröte sicher zu sein, dassjene Bewegungen bei allen
Batrachiern nicht später beginnen als bei Fischen und Vögeln, nämlich noch
vor dem Eintritt wirklichen Blutes in das Herz (Vogt Nr. 2(3 S. 69, Nr. 123
S. 182. 185. 189, v. Baer Nr. 8 I S. 31-34). Nur kann ich Vogt darin nicht
beistimmen, dass die Herzkontraktionen die ausschliessliche Ursache jeder
Blutbewegung seien. Zuerst rufen sie nur undulirende Bewegungen des serösen
Inhalts des Herzens und der mit ihm gleich anfangs verbundenen Dotterdarm-
venen (Venenschenkel aut.) hervor; dann beginnt aus den letzteren Blut ins
Herz hineinzufliessen und seinen Lauf stets in derselben Richtung vom venösen
zum arteriellen Ende und in die sich daran schliessenden Gefässstämme fort-
zusetzen. Nun kann schon jener nachträgliche Eintritt des Dotterblutes ins
Herz weder durch die Herzkontraktionen noch durch den Anschluss der
Körpergefässstämme verursacht werden; denn die ersteren bestehen schon
stundenlang vor jenem Einströmen des Blutes und anderseits kann jener An-
3. Die Venen. 771
schluss die Spannung des Herzinhalts nicht vermindern und dadurch auf das
Blut gleichsam saugend wirken, da die primitiven Gefässanlagen nicht leere
sondern ebenso gefüllte Räume sind wie das Herz. Und da ferner niemals ein
Kreislauf des blossen Serums im Körper beobachtet wird, bevor nicht das
Dotterblut oder wenigstens das Serum der Dotterdarmvenen in ihn einzu-
fliessen begonnen hat , so kann auch die bestimmte Richtung jenes Umlaufs
nicht ohne weiteres allein von den lange vorher thätigen Herzkontraktionen
abhängig sein. Denken wir uns dagegen, dass die Spannung in den Dotter-
gefässen in Folge der fortgesetzten endosmotischen Ansammlung von Inter-
stitialflüssigkeit in den anfangs kompakten Blutinseln, der jene Gefässe ihre
Entstehung verdanken (S. 538), allmählich über das Mass des Druckes ge-
steigert wird, unter welchem der Herzinhalt steht, so lässt sich daraus die ver-
misste Erklärung ohne Zwang ableiten. Einmal muss jene gesteigerte Spannung
in den Dottergefässen eine Ausgleichung in den kontinuirlich mit ihnen ver-
bundenen, aber unter geringerem Drucke stehenden Bluträumen, nämlich dem
Herzen und den ihm bereits angeschlossenen Gefässen, suchen, folglich das
Dotterblut allmählich in dieselben hineintreibenvwas durch die Herzkontraktionen
weder gefördert noch gehindert, sondern bloss rhythmisch geregelt werden kann.
Und wenn die Spannung in den Körpergefässen durch das einströmende Blut mo-
mentan auch vergrössert würde, so muss sie doch bei dem beständigen Austritt des
Blutes aus jenen Gefässen immer wieder unter das Mass derjenigen der Dotter-
gefässe hinabgedrückt werden, welches durch den zunächst noch andauernden
Ersatz des Abflusses sich relativ unverändert erhält. Die Dotterdarmvenen
münden ferner von hinten her in das Herz , sodass ihr Blut in der Fortsetzung
seiner ersten Strömung gegen das Vorderende des Herzens andringt und
somit während des peripherisch getrennten Bestandes der Arterien und Venen
in grösserer Masse in die Aortenbögen gelangen muss als in die Venenstämme,
deren Mündungen theils gleich denen der Dotterdarmvenen nach vorn gerichtet,
theils ihnen wenigstens nicht entgegengesetzt sind. Dass aber immerhin auch
in die blind endigenden Venen Blut eindringt, sehe ich am deutlichsten am
Mündungsstücke der Hohlvene, bevor es sich mit dem subvertebralen Nieren-
theile derselben verbunden hat. Sobald nun die peripherische Verbindung der
Arterien und Venen hergestellt ist, kann kein nennenswerthes Blutquantum aus
dem Herzen in die Venenstämme eindringen, weil alsdann eben jener durch die
Arterien auf sie fortgepflanzte Hauptstoss des Herzblutes stärker ist als der
vom Venensacke her rückwärts auf sie ausgeübte Druck des an ihren Mündungen
49*
772 X. Das Herz und das Gefässsystem.
vorüberströmenden Dotterblutes, und folglich das Venenblut, wenngleich es
früher unmittelbar aus dem Herzen kam, allmählich umgekehrt in dasselbe
zurückströmen muss. Dieser venöse Blutstrom kann natürlich anfangs nur sehr
schwach sein, weil die Stosskraft des Aortenblutes im Verlaufe des Arterien-
systems durch den Blutaustritt abgeschwächt wird, und anderseits das mit
Dotterblut gespeiste Herz nicht zugleich einen der in die Aortenbögen abge-
gebenen Blutmasse entsprechenden Venenstrom aufnehmen kann. Wir werden
durch diese Ueberlegung vielmehr zu der weiteren Folgerung gedrängt, class
das Venenblut nach seinen ersten Oscillationen nur in dem Masse einen centri-
petalen Strom einleiten kann, als der Zufluss des eigentlichen Dotterblutes sich
erschöpft, und die Dotterdarmvenen mehr und mehr mit aus dem Körper zurück-
kehrendem Blute gefüllt werden. Und als Ersatz des in die Gewebe und
Organe entlassenen Blutes schiebt sich der Zufluss der Lymphgefässe in die
Venen allmählich in den allgemeinen Kreislauf ein, sodass das quantitative
Gleichgewicht in dem das Herz verlassenden und es wieder füllenden Blute er-
halten bleibt (vgl. S. 515). Da jedoch, wie ich eben erwähnte, die Produktion
des Dotterblutes nach nicht sehr langer Zeit abnimmt, so würde damit die
Triebkraft der fortdauernden Blutbewegung versiegen, wenn nicht alsdann die
von hinten nach vorn fortschreitenden Herzkontraktionen bereits vollkommen
ausgebildet wären und jene Bewegung im Gange erhielten. Die Drucksteigerung
des Dotterblutes kann also nur die Bedeutung haben, dasselbe in den Körper
einzuführen und dadurch in Folge der ihm durch die morphologische Ent-
wicklung vorgeschriebenen Bahnen einen bestimmten Kreislauf einzuleiten,
während die Erhaltung dieses Zustandes auch nur von einer konstanten Be-
wegungsursache abhängen kann, eben den Herzkontraktionen, welche dagegen
für sich allein den ersten und bestimmt gerichteten Blutstrom nicht zu erzeugen
vermögen. — Sowie nun die wenigstens ihrem Wesen nach primäre Bewegungs-
ursache allmählich zurücktritt, so muss auch die sekundäre mit langsamer
Steigerung stellvertretend eingreifen, sodass man annehmen darf, dass eine
normale Entwickelung der Blutcirkulation ein genau abgewogenes Wechsel-
verhältniss beider Thätigkeiten nicht entbehren könne. Dann wäre aber auch
die Auffassung wenig befriedigend, dass die beiderlei Ursachen der Blutbewegung
sich unabhängig von einander entwickelten, folglich die bestimmt geregelte
Herzthätigkeit lediglich von lokalen histologischen Prädispositionen abhinge,
welche mit der Bildung der Dottergefässe natürlich in keine direkte ursächliche
Beziehung gebracht werden könnten, obgleich die Erfolge beider Vorgänge
3. Die Venen. 773
stets in derselben Weise unmittelbar zusammentreffen. Ich halte daher folgen-
den Zusammenhang der Erscheinungen nicht für unwahrscheinlich. Die centri-
petale Blutströmung bringt zuerst notwendigerweise bloss das Serum der Dotter-
darmvenen ins Herz, ehe dasselbe sich mit den Blutzellen der Dottergefässe füllen
kann; dies stimmt auch mit den Beobachtungen v. Baer's, welcher beim Hühnchen
zuerst die Bewegungen des Herzens, dann das Serum aus den Gefässen des Frucht-
hofes und zuletzt das rothe Blut des Gefässhofes in das Herz fliessen sah (a. a. 0.).
Da aber eine langsame Strömung des farblosen Serums jedenfalls schwerer zu er-
kennen ist als die Herzbewegung, so steht der Annahme nichts im Wege, dass jene
Strömung schon vor der letzteren, nur unmerklich beginnt, und dass die ersten
wurmförmigen Bewegungen des Herzens nur Auslösungen des Reizes sind,
welchen die durch jene unmerkliche Zufuhr sich steigernde Spannung des Herz-
inhalts auf die Herzwand ausübt. Unter dieser Voraussetzung erscheint es
ganz natürlich, dass auch schon jene ersten Herzbewegungen dem Verlaufe der
bezeichneten Steigerung oder langsamen Strömung folgen, d. h. vom Venenende
des noch geschlossenen Herzens zum arteriellen fortschreiten, um durch die
von v. Baer zuerst beobachtete zurückschlagende Welle der Herzflüssigkeit
zur fortgesetzten Wiederholung dieses Spiels veranlasst zu werden, bis der durch-
gehende Blutstrom ihrer Thätigkeit wesentlichere Erfolge sichert. Erst bei einer
solchen Auffassung ergibt sich ein einheitlicher Kausalzusammenhang von Blut-
bildung und Blutbewegung: nicht die Herzkontraktionen sind es, welche spontan
und doch in auffallender Uebereinstimmung mit der gleichzeitigen Blutbildung und
den vorher angelegten Bahnen den Kreislauf hervorrufen, sondern die Blutbildung
selbst treibt nothweudigdas von ihr bereitete Fluiclum in und durch den Körper,
wobei es beim Eintritt in die vorgeschriebenen Bahnen auch gleich die Muskel-
aktionen hervorreizt, und regelt welche nach dem Versiegen jener lebendigen
Blutquelle seinen ferneren Umlauf unterhalten sollen. Und wenn ich früher
andeutete, dass die Bildung des Blutes und der entfernt davon für seinen künf-
tigen Lauf vorbereiteten Gefässe auf eine gemeinsame Ursache, nämlich den
Uebertritt der allgemeinen Interstitialflüssigkeit aus der Darmhöhle in das
Bildungsgewebe und die Dotterzellenmasse, dieser Vorgang aber ebenso wie die
einzelne Gefässbildung auf die ganze morphologische Entwickelung zurückgeführt
werden müssten (S. 494. 495. 500—503. 569), so erscheint die Behauptung nicht
mehr als lediglich unerweisbare Hypothese, dass die gesammte anatomisch-
physiologische Einrichtung des Gefässsystems eine nothwendige Folge des
ursprünglichen individuellen Formgesetzes sei, in dem Sinne wie ich dasselbe
774 X. Das Herz und das Gefässsystcm.
definirt habe (S. 570 u. flg.). Es ist eben die kouservirende plastische Thätig-
keit des den ganzen Organismus durchströmenden Blutes nicht der Ausdruck
eines unfassbaren „formbildenden Princips", sondern stellt im ganzen nur eine
von den Metamorphosen jener ursprünglich so einfachen, aber gesetzmässig
geregelten Bewegung der organischen Entwickelung dar, so wie im einzelnen
die überwiegende Spannung des Dotterblutes gewissermassen in die ersten
Muskelaktionen des Herzens übertragen wird.
4. Die Lymphgefässstämme.
Von den primären Gefässanlagen ist nur noch diejenige des subverte-
bralen Lymphgefässstammes nicht zur Sprache gekommen, welcher
allerdings zu den erst im nächsten Abschnitte zu betrachtenden Erzeugnissen
des Darmblattes gehört , aber wegen seiner nahen Beziehungen zu den Blut-
gefässen hier abgehandelt werden soll, nachdem die Entwickelung des übrigen
Lymphgefässsystems bereits früher mitgetheilt wurde (S. 513 — 516. 524). Ich
habe nämlich den Schwanzdarm ganz bestimmt als die Anlage des den
Schwanz durchziehenden, zwischen der Schwanzaorta und der unteren Schwanz-
vene gelegenen Lymphgefässstammes erkannt. Er ist eine röhrenförmige, enge
aber dickwandige Fortsetzung der Darmanlage des Rumpfes, welche an der
Schwanzwurzel gerade über der Vereinigung der Urnierengänge vom Hinter-
darme ausgeht und ebendaselbst von den beiden Stammvenen nach hinten und
unten umgriffen wird, sodass deren Fortsetzung oder die untere Schwanzvene
unter den Schwanzdarm zu liegen kommt (Taf. XIII. Fig. 242 — 245, Taf.
XXI Fig. 372. 377). Dieser wird mit der zunehmenden Länge des Schwanzes
immer dünner, sodass seine Lichtung nur an seiner Wurzel deutlich bleibt, und
löst sich gegen den Ausgang der ersten Larvenperiode vom Hinterdarme voll-
ständig ab, worauf seine Wurzel zwischen den Enden der beiden Stammvenen
oder im späteren hinteren Winkel ihres rautenförmigen Verlaufs gleichsam ein-
geklemmt zurückbleibt. Während alsdann die Dotterschmelzung in den
. Zellen des nunmehr soliden Schwanzdarms durch helle Umbildungskugeln ein-
geleitet wird, platten sich die peripherischen Elemente ab und verbinden sich
zu dem Gefüge einer Gefässwand , wogegen die wenigen centralen Zellen rund
bleiben und nach der Ansammlung von einiger Interstitialflüssigkeit zwischen
ihnen zu einem blutähnlichen Inhalte des auf diese Weise entstandenen Kanals,
eben des kaudalen Lympfgefässstammes werden. Diese spärlichen ersten
Lymphzellen verschwinden sein' bald aus dem Gefässe und beweisen dadurch,
4. Die Lymphgefässstämme. 775
dass sein zwischen die Stammvenen eingeklemmtes Vorderende mit demselben
bereits sich in Verbindung gesetzt und die Lymphflüssigkeit auf diesem Wege
ihren ersten Abfluss in die Venen gefunden hat. Ob man damit zugleich die
Entwickelung der hinteren Lymphherzen der Batrachier in Verbindung bringen
dürfe, müssen spätere Untersuchungen lehren. — Nach dem Angefühlten muss
die Frage ganz natürlich erscheinen , ob denn nur der bei den Anuren zudem
so bald verschwindende Schwanz eine morphologische Anlage für das Lyrnph-
gefässsystem besitze und dem Rumpfe eine solche vollständig fehle? Nach den
Erfährungen am Schwanzdarme sollte der Axenstrang des Darmblattes
als eine solche Anlage bezeichnet werden dürfen (S. 270); wenigstens spricht
dafür seine Abstammung vom Darmblatte, seine strangartige Form und die
ganz in derselben Weise wie am Schwanzdarme auftretende Dotterschmelzung
in seinen Zellen {Taf. XI Fig. 197). Und wenn man ihn zwischen Wirbelsaite
und Aorta eingezwängt allmählich sich abplatten und über die ganze Oberseite
dieses Gefässes sich ausbreiten, anderseits den die Aorta später einscheidenden
Lymphraum sie noch während der Metamorphose nur oben und seitlich umgeben
sieht, so gewinnt die Vermuthung an Wahrscheinlichkeit, dass der Axenstrang
eben in jenen Lymphraum übergehe (Taf. JX Fig. ISO, Taf. XI Fig. 198).
Dennoch muss ich diese Annahme aufgeben, weil es mir nicht nur nicht gelang,
die Kontinuität beider Bildungen nachzuweisen, sondern ich mich von der Atro-
phie und dem Schwunde des Axenstranges im Anfange der zweiten Larven-
periode überzeugt zu haben glaube. Sein vorderer Abschnitt zeigt übrigens
während seines intakten Bestandes noch eine besondere Entwickelung. An
medianen Durchschnitten erkennt man nämlich über dem Vordarme unzweifel-
hafte, abwärts gerichtete Auswüchse jenes Stranges, welche scheinbar alle in
die Aortenlichtung vordringen und zum Theil dieselbe durchsetzend das dar-
unter liegende Bildungsgewebe erreichen (Fig. 372) ; an Querdurchschnitten
fand ich eine häufige Bestätigung dieses Befundes, insoweit die Aorta von den
Auswüchsen nur eingedrückt, nicht völlig durchsetzt wird. Weiter habe ich
diese Bildungen nicht verfolgt, doch ist es nicht unmöglich, dass dieser Theil
des Axenstranges, welchen letzteren ich nebst dem Schwanzdarme in Forellen-
embryonen wiederfinde, ähnlich dem Hirnanhange als vererbter Rest eines
vollkommeneren Organs in irgend einem unscheinbaren Gebilde erhalten bleibt.
776 X. Das Herz und das Gefässsystem.
Von wirklichen Beobachtungen über die erste Bildung des Batrachier-
herzens kann ich in den früheren Entwickelimgsgeschichten nichts entdecken.
Reichert beschränkt sich auf die Bemerkung, dass es aus dem vorspringendem
Vorderende der Dotterzellenmasse hervorgehe (vgl. S. li>3), was ich wohl nicht
näher zu widerlegen brauche. Bei Remak findet sich nur eine Angabe über
die Perikardialhöhle: die kanalförmigen Anlagen der Bauchhöhle zu beiden
Seiten der Wirbelsäule Hessen sich vorn von deuuhinten eingeschnürten Rande
der Schlundhöhle bis zu deren Bauchfläche verfolgen und vereinigten sich dort
„oberhalb der Leberanlage" zur Perikardialhöhle (No. 40 S. 156). Dass diese
Höhle kontinuirlich mit der der Bauchhöhle zusammenhänge, ist gewiss richtig;
die sehr ungenaue nähere Ausführung dieses Zusammenhangs lässt aber deut-
lich genug erkennen, dass Remak die am Hühnchen gewonnenen Resultate auch
auf die Batrachier glaubte übertragen zu können, v. Bambecke bezeichnet
die Lage der Herzanlage, vor der Leberanlage, ganz richtig, hat aber offenbar
sie selbst nicht gesehen, da er sie als cylindrische Verdickung der Seitenplatte
beschreibt (No. 63 S. 55). Erst in dem Beitrage, den Oellacher zur Ent-
wickelungsgeschichte des Batrachierherzens lieferte (No. 73), finde ich einige
Momente derselben genauer beschrieben ; nur hat Oellacher dabei, scheinbar
ohne es zu wissen, im allgemeinen das wiederholt, was ich zwei Jahre vorher
in derselben Zeitschrift veröffentlicht hatte (No. 64 S. 112), dass nämlich das
Batrachierherz durch eine Ausbuchtung des Visceralblattes unter der Schlund-
höhle und eine darauf folgende Abschnürung des ausgebuchteten Stückes ent-
stehe. Ich kann dies sowie die schon damals von mir gegebene Erklärung über
den Kausalzusammenhang dieses Vorgangs durch die ausführlichere Darstel-
lung in diesem Kapitel bestätigen, wogegen die Erklärung Oellachers, dass
die Perikardialhöhle durch die Ausstülpung des Herzschlauches hervorgerufen
werde, gerade so wie die Lungen die Blätter der Seitenplatte auseinanderdrän-
gend die Pleurahöhlen bilden, nur möglich erscheint, weil Oellacher die erste
Entwicklung beider Organe gar nicht kannte. Die Anlage des Endokardial-
epithels hat er dagegen in dem noch offenen Herzschlauche richtig wiederge-
geben, wenngleich er sie nicht sicher zu deuten wusste; die Anwesenheit der
freien Zellenmassen in der Perikardialhöhle , welche vermuthungsweise mit der
Bildung des Perikardiums in Zusammenhang gebracht werden, ist lediglich auf
beschädigte Präparate zu beziehen.
Die Litteratur über die Entwickelung des Teleostierherzens hat
Kupfeer so eingehend und übersichtlich zusammengestellt (No. 105 S. 255
X. Das Herz und das Gefässsystcm. 777
und flg.), dass ich um so eher auf eine Wiederholung verzichten kann, als erst
Küpffek selbst jenen Vorgang auf bestimmte Umbildungen des mittleren Keim-
blattes bezogen und jedenfalls richtiger dargestellt hat als Vogt, Lereboullet
und Aubert. Kupfeer sieht zuerst den künftigen Herzbeutel aus einer Spal-
tung des mittleren Keimblattes unter der Kopfregion entstehen; diese Spalte
erweitere sich zu einer Blase , aus deren oberer Wand darauf eine konische
Zellenwucherung als Anlage des Herzens hinabwachse, welche den Boden des
Perikardialsackes erreiche und mit ihm sich verbinde, sodass ihre nachträglich
gebildete Höhle in den Raum unter dem Perikardialsacke oder den Venensack
münde (No. 105 S. 239. 254. 255). Zutreffend an dieser Darstellung ist, dass
die Perikardialhöhle aus einer Spaltung des mittleren Keimblattes (Seitenplatte)
und früher sich entwickelt als das Herz; dies hängt aber nicht etwa so zu-
sammen, dass das von einer Seite zur anderen kontinuirliche mittlere Keimblatt
sich ebenso kontinuirlich spaltete und das Herz von der Decke dieses Spalt-
raumes frei in denselben hineinwücbse. Die Perikardialhöhle der Fische
wird vielmehr, wie ich es zuerst angedeutet (No. 102) und darauf Oellacher
beschrieben (No. 107 S. 09. 84), in den beiderseitigen noch getrennten Seiten»
platten paarig angelegt, und erst durch die Verschmelzung dieser medianwärts
unter den Kopfdarm auswachsenden Platten (Perikardialplatten Oellacher)
in einen einheitlichen Raum verwandelt. Dieser Vorgang in den Forellenem-
bryonen ist der nämliche, welcher von den Amnioten schon längst als ,-,Abschnü-
rung" des Darmkanals bekannt ist, wobei das Visceralblatt mit dem anlie-
genden Darmblatte oder die künftige Darmwand ein- und abwärts eine Falte
schlägt (Darmschlussfalte,) und die beiderseitigen Falten unter der Darmlich-
tung in einer medianen Naht sich verbinden, von welcher die unbenutzten un-
teren Faltentheile sich als kontinuirliche Schicht ablösen und auf dem Dotter
zurückbleiben. Oellacher hat aber diese Uebereinstimmung der Teleostier
mit den Amnioten nicht erkannt, weil für ihn das Darmblatt sich gar nicht blattför-
mig umbildet, sondern als solide dicke Zellenmasse unter der Wirbelsaite liegend
von den Visceralblattfalten umwachsen wird (vgl. S. 268). In Folge dessen sieht
er auch die Herzanlage in einer kompakten Zellenmasse, welche von den Kopf-
platten (Segmente, Kiemenbögen) her zwischen jener Darmanlage und den
Perikardialplatten (Visceralblatt) hinabwachse und zwischen der ersteren und
dem Dotter liegen bleibe, sodass sie die mediane Vereinigung der Perikardial-
platten verhindert, aus denen nur der äussere Perikardialüberzug hervorgehe
(No. 107 S. 81 — 80). Auf die Batrachier bezogen würde dies etwa so viel
778 X. Das Herz und das Gefässsystem.
heissen , dass die Innenmasse der Kiemenbögen zwischen die ventralen Falten
der Seitenplatte hineinwüchse und dort das Herz bildete. Wenn also
diese Darstellung Oellachee's schon mit seinen eigenen Beobachtungen an
der Kröte in offenem Widerspruche steht , so habe ich sie auch direkt als voll-
ständig verfehlte nachweisen können. Ich finde nämlich die Herzbildung der
Knochenfische und Batrachier im wesentlichen durchaus übereinstimmend, und
die nicht unbedeutenden Unterschiede in der äusseren Erscheinung nur in
nebensächlichen Grössendifferenzen ihrer verschiedenen Embryonal- und Ei-
theile begründet. Denken wir uns den Nahrungsdotter der jüngsten Batrachier-
embryonen (Taf. II Fig. 34 — 36) in dem Masse vergrössert , dass er immer in
Verbindung mit dem Darmblatte bis unter den Kopfdarm reichte, so würde
das Darmblatt des letzteren zwischen den weit auseinandergezogenen Falten
der Seitenplatte fortlaufend auf den Dotter übergehen wie bei den Teleostiern
und Amnioten; in Ermangelung dieser Ausdehnung des Dotters schlägt sich
bei den Batrachiern das Darmblatt nur sackförmig zwischen die Seitenhälften
der Seitenplatte ein {Taf. VI Fig. 111, Taf. VII Fig. 132-131). Bei der
folgenden Abschnürung des Darmkanals der Teleostier wird nun das gesammte
Darmblatt in den Darmkanal zusammengeschoben und eingeschlossen, sowie
es auch bei den Batrachiern geschieht ; doch erfolgt dies in der Kopfrogion nur
ausserhalb der eigentlichen Herzanlage in " der geschilderten Weise. Diese
Anlage stellt in beiden Thierformen im Grunde genommen eine Unterbrechung
der Darmnaht in schräger (Batrachier) oder senkrechter Richtung (Teleostier)
vor, worauf sich mein Vergleich dieser Anlage mit einem Darmnabel bezieht
(Nr. 102). Man überzeugt sich davon leicht, wenn man Durchschnitte unter-
sucht, welche mit der Längsaxe der Herzanlage zusammenfallen {Taf XIV
Fig. 24'J. 250): es lässt sich die letztere stets auf den Raum zwischen den
nicht zur Vereinigung gekommenen Darmschlussfalten zurückführen. Ergänzen
wir an den eben citirten Abbildungen das aufgekrümmte Vorderende der
Herzanlage {Taf. VII Fig. 133, Taf. XIII Fig. 226), so versteht sich erstens,
dass das YisctTalblatt des Herzschlauchcs eine nabeiförmige Verbindung
zwischen der Decke und der Hinterwand des Perikardialsackes bildet, und
Inner, dass das Darmblatt, indem es sich in den Darmkanal hinaufzieht, eine
Auskleidung jener Nabelröhre zurücklässt, welche mit dem Venensacke in Ver-
bindung tritt. Gerade dasselbe geschieht bei den Teleostiern, mit dem
unwesentlichen Unterschiede, dass ihre hintere Perikardialwand anfangs noch
gewissermassen im Boden der Perikardialhöhle liegt (vgl. Nr. 105 Fig. 32) ;
X. Das Herz und das Gefässsystem. 779
das die Darmschlussfalten auskleidende Darmblatt bleibt, während es sich
darüber zum Epithelialschlauche des Schlundes abschliesst, in der Nabelröhre
des Herzens als eben solcher Schlauch (Endokardialepithel) zurück, und diese
Bildung ist offenbar in geschrumpftem Zustande Oellacher als eine kom-
pakte Anlage des ganzen Herzens mit Ausnahme des Perikardialüberzugs
erschienen. Um aber die Uebereinstimmung zwischen Teleostiern und Batra-
chiern vollständig übersehen zu lassen, müsste noch hinzugefügt werden, dass
der Venensack der Teleostier unter dem Perikardialsacke rückwärts an den
Darmblattumschlag stösst , welcher den Vorderrand des Darmnabels überzieht
und die noch indifferente Leberanlage darstellt; die spätere Zusammenziehung
dieser Theile bringt auch den Herzschlauch der Teleostier in die definitive an-
nähernd horizontale Lage.
Bei den Vögeln und Säugern ist die Herzbildung noch leichter
als bei den Teleostiern mit derjenigen der Batrachier in Uebereinstimmung zu
bringen. Denn nicht nur besteht sie ebenfalls wesentlich in einer Lücke, welche
zwischen den sich verbindenden Darmschlussfalten der Schlundgegend in
schräger Richtung zurückbleibt, und bis auf die Enden durch das Visceralblatt
oben und unten vollkommen röhrig abgeschlossen wird, sondern es lässt sich
auch sofort erkennen , dass das hintere Venenende des Schlauches an dem zur
Leberbildung bestimmten Umschlage der ventralen Vordarmwand oder dem
Vorderrande des Darmnabels in die zwei sogenannten Venenschenkel'übergeht,
welche jene Umschlagsfalte umgreifend in die Vv. omphalo-mesentericae sich
fortsetzen. Daran knüpft sich auch gleich die Besonderheit der Herzbildung
bei den Amnioten. Sowie die primitiven Gefäss schlau che der Dotterdarmvenen
bei den Batrachierii bis in das Herz hinein getrennt verlaufen, ist diese Bil-
dung bei den Amnioten noch weiter fortgesetzt, da auch der Endokardialsack
in den noch getrennten Darmschlussfalten paarig vorgebildet ist, sodass diese
paarige Herzanlage erst nach dem erfolgten Darmschlusse zu einem einfachen
Schlauche zusammenfliesst. Diese paarigen Endokardialschläuche liegen bei
den Vögeln sehr flach zwischen Visceral- und Darmblatt, bei den Säugethieren
stülpen sie aber das erstere schon frühzeitig gegen die Perikardialhöhle aus,
sodass diese Bildung als eine vollständige Herzhälfte angesehen werden kann.
Bei den Vögeln blieb mir der Ursprung des Endokardialschlauches (Endo-
kardialepithel) zweifelhaft; bei jungen Kaninchenembryonen sah ich aber das
Darmblatt sehr deutlich in das Innere der genannten Herzhälften hineingezogen
und mit dem Endokardialsack in Zusammenhang, sodass ich den letzteren
780 X- Das Herz u°d das Gefässsystem.
ebenso wie bei den Batracliiern und Fischen für ein Erzeugniss des Darmblattes
halten möchte. Der Unterschied aller dieser Herzbildungen bestände also nur
in der äusseren Erscheinung, indem die Ausbuchtung der für den Herzschlauch
bestimmten Abschnitte der Darmschlussfalten gegen die Perikardialhöhle bei
den Teleostiern ganz unmerklich erst nach vollzogener Herzbildung, bei den
Batracliiern während derselben und bei den Säugethieren sogar schon vorher
erfolgt. — Die geschilderte Doppelanlage des Vogelherzens finde ich zuerst
bei His beschrieben (Nr. 109 S. 84. 85), wobei nur seine schon früher erwähnte
falsche Deutung der Seitenplatten in der Herzgegend die ganze Darstellung
empfindlich schädigt (vgl. Nr. 121 S. 190). His läugnet nämlich den kontinuir-
lichen Zusammenhang der Perikardial- und Bauchhöhle und überhaupt die
Anwesenheit des Visceralblattes in der Herzgegend, wodurch natürlich die
Möglichkeit eines Vergleichs mit meiner Darstellung ausgeschlossen ist. Auch
die Angabe, dass der Endokardial schlauch vom „Nebenkeim" abstamme, muss
ich, selbst wenn man darunter das interstitielle Bildungsgewebe versteht, nach
den eben mitgetheilten Beobachtungen an den Embryonen der übrigen Wirbel-
thiere, insbesondere der Kaninchen, beanstanden. Mit meinen eigenen Beobach-
tungen am Hühnchen stimmen noch am meisten die von Balfour gegebenen
Abbildungen der Herzanlage desselben Thiers überein (Nr. 146). In einer
Anmerkung erwähnt His, dass Hensen dieselbe doppelte Herzanlage in
Kaninchenembryonen gefunden habe (a. a. 0.).
Es ist freilich nicht leicht, ohne die betreffenden Abbildungen die Ueber-
einstimmung in der Herzentwicklung aller Wirbelthiere auseinanderzusetzen;
in der Hoffnung, dass mir ein solcher Nachweis wenigstens in den wichtigeren
Punkten gelungen ist, will ich,, daran eine allgemeinere Betrachtung über die
Entstellung des Herzens anknüpfen. — In allen genannten Wirbelabtheilungen
ist der Endokardialsack,, weil er sich kontinuirlich in die primitiven Gefäss-
wände der Aortenbögen und Dottervenen fortsetzt, und aus einer ganz locke-
ren, durchbrochenen Haut besteht, jenen Gefässen gleich zu achten. Der ab-
weichende Ursprung kann desswegen von keiner Bedeutung sein, weil es sich
um eine histologische Entwickelungserscheinung in dem früher erörterten
Sinne handelt, und zwar um interstitielles Bildungsgewebe, welches sich ebenso
im oberen Keimblatte, im Oentralnervensysteme und der Netzhaut , wie im
mittleren Keimblatte entwickelt, ohne dass wir die Bindesubstanzen der ver-
schiedenen Organe principiell zu scheiden vermöchten (S. 560 u. flg.). Die
äussere Umhüllung des Endokardialsackes oder die Masse der Herzwand ist
v
X. Das Herz und das Gefässsystem. 781
ebenfalls in histiogenetischer Beziehung von der sekundären Gefässwand der
grossen Arterien und Venen nicht unterschieden, besonders wenn wir dem peri-
kardialen Ueberzuge den peritonealen der stärkeren Gekrösegefässe und der
Pfortader gegenüberstellen. Kurz, wir könnten das Herz einfach als Ver-
schmelzungsprodukt zweier Hauptgefässe betrachten, wenn nicht sein Visceral-
blatt in unzweifelhaft primär-morphologischer Weise an seiner Bildung be-
theiligt wäre und es dadurch von den lediglich sekundär-morphologischen
oder gar atypischen Bildungen des Gefässsystems schiede. Diesen Konflikt
kann nun gerade die Betrachtung des Säugethierherzens am meisten aus-
gleichen helfen. Die primär-morphologische Bildung desselben erscheint ganz
offenbar als unmittelbare Fortsetzung der sekundär -morphologischen Dotter-
darmvenen, diese als der Zusammenfluss der im einzelnen völlig atypischen
Dottergefässe; und der Grund dieses verschiedenen Formwerthes ist auch nicht
schwer zu erkennen. Die Dottergefässe verlaufen atypisch, weil sie dem
direkten formbildenden Einflüsse der Embryonalanlagen vollständig entzogen
sind ; ihr Zusammenfluss wird aber durch die schon vorher angelegten Dotter-
darmvenen bestimmt, welche bereits in unmittelbarer Anpassung an jene mor-
phologischen Grundlagen des Embryo entstehen; in der Herzanlage endlich
sind die gesetzlichen Formbedingungen, wenn ich so sagen darf, dermassen
koncentrirt, dass eine von den formbedingenden Embryonalanlagen, das Vis-
ceralblatt, gleich in toto in die betreffende Blutraumbildung hineingezogen
wird und derselben dadurch den Charakter eines ebensolchen Entwickelungs-
produktes verleiht, wie es etwa eine andere Faltonbildung des Visceralblattes
z. B. die Urniere ist. Ferner lehrt uns aber die Entwickelungsgeschichte des
Gefässsystems der Wirbelthiere, dass, sowie in ihm die verschiedenen Stufen
des Formwerths nebeneinander vorkommen, jede derselben in ihrer besonderen
Entwickelung tiefere Stufen durchläuft. Am Herzen ist der Endokardialsack
als einfache primitive Gefässröhre früher angelegt und vollendet als die primär-
morphologische Visceralblattröhre; diese primitiven Gefässröhren besitzen
anfangs, bevor ein Theil von ihnen sich mit verschiedenen Aussenschichten um-
gibt, sämmtlich den Bau von Kapillaren, welche eigentlich nur eine besondere
Gewebsform darstellen, und entstehen aus einer Reihe von hinter- und neben-
einanderliegenden, an sich zunächst formlosen Lücken des interstitiellen Bil-
dungsgewebes, welche erst allmählich in der kürzeren oder queren Richtung
zu einer einzigen Lichtung, in der Längsrichtung zu einem fortlaufenden Kanäle
7,S2 X. Das Herz und das Gefässsystem.
zusammenfliessen. * Dieses Lückensystem des interstitiellen Bildungsgewebes,
welches im Saftkanalsystem des entwickelten Organismus erhalten und als
Zwischenglied zwischen Blut- und Lymphgefässsystem in den allgemeinen
Kreislauf eingeschoben ist, stellt gewissermassen die niederste Bildungsstufe
seiner Leitungen dar (vgl. S. 524. 525), da an ihm vun einem eigenen Form-
bestande selbst im Sinne eines Gewebes nicht mehr die Rede sein kann. Da
nun kein anderes Organsystem diesen Uebergang und Zusammenhang ganz
analoger, aber durch alle Grade des Formwerths verschiedener Theile zeigt,
so darf auch gerade in dieser Betrachtung ein nicht unwichtiger Fingerzeig er-
kannt werden, wie in der phylogenetischen Entwickelungsreihe eine atypische
histiologische Bildung (primitive Gefässröhren) sich erst aus einem partiellen
Formverhältniss eines all gemeinen Gewebes (Lückensystem) herauszulösen und
weiterhin in eine primär-morphologische Bildung (Herz) sich zu verwan-
deln vermag. Es läuft eben diese Entwickelungsreihe dem Fortschritte der
morphologischen Gliederung parallel*, sodass mit den niedersten Stufen der-
selben auch ein regelloses Lückensystem des Körpers zusammenfällt, und
während der sich steigernden Ausbildung des Formgesetzes auch immer mehr
gesonderte Bahnen entwickelt werden, bis endlich ein bestimmter Abschnitt
derselben sogar als primär-morphologische Bildung auftritt. Wir dürfen daher
in jenem blossen Interstitialsystem den thatsächlichen phylogenetischen Ausgangs-
punkt für die allmähliche Entstehung des höchstentwickelten Kreislaufes an-
erkennen. Um uns aber nicht gleich in schematische Deduktionen zu verlieren,
wird der Hinweis darauf nicht überflüssig sein, dass der angedeutete Entwicke-
lungsverlauf nur im allgemeinen jene Stufenleiter durchläuft, nicht aber regel-
loses Lückensystem, atypische Kapillaren, typische Gefässe, Herz, nothwendig
in dieser Reihenfolge auftreten. Im Gegentheil scheinen die ersten wirklichen
Gefässe überall gerade einige typische Stämme, die sekundären und kapillaren
Gefässnetze dagegen eine Begleiterscheinung erst höher entwickelter Gefäss-
systeme zu sein. Meine Absicht war es auch nicht, eine fertige „Stammes-
geschichte" des Gefässsystems anzudeuten, sondern, was mir viel wichtiger
scheint, nachzuweisen, dass formgesetzliche Bildungen ganz allgemein aus
histologischen und atypischen sich allmählich entwickeln, und dass dieser
* Ich nniss nachträglich berichten, dass ich diese zuerst von den Batrachiern und
Fischen angeführte Erscheinung (S. 499 589) auch an der Aortenanlage junger Kaninchen-
nnbryonen, und zwar womöglich noch charakteristischer gesehen habe; sie besteht aus
einem an den aufeinanderfbl^mlon Querdurchschnitten wechselnden Komplex von grossen
und kleinen Lichtungen, einem wahren Lückensystem.
Das Herz und das Gefässsystem. 783
Vorgang in der fortschreitenden Gliederung des Formgesetzes der individuellen
Entwickelung begründet ist.
Bezüglich des Verlaufs, der Verbindungen und Unibildungen der einzelnen
Gefassanlagen verschiedener Wirbelthiere, besitze ich zu wenige eigene Erfah-
rungen, um eine vollständige Vergleichung durchführen zu können; doch
dürften dieselben genügen um zu zeigen, wie abhängig diese sekundär-morpho-
logischen Bildungen von ihren Formbedingungen, nämlich in erster Reihe nicht
von den allgemein-typischen, sondern gerade von den besonderen Lagebezie-
hungen der Organe abhängig sind, welche in den bei verschiedenen Formen
desselben Typus vielfach wechselnden Dimensionen begründet sind und die Unbe-
ständigkeit und die vielen Anomalien der Gefässe, vornehmlich aber die Schwierig-
keit, ihre allgemeinen Homologien festzustellen, erklären. — Gehen wir vom ar-
teriellen G efässsystem aus, so bieten schon die Aortenbögen Belege dafür. *
Für die Karpfen gibt v. Baer sieben ursprüngliche Aortenbögen an, von denen der
erste vor der ersten Schlundfalte im „Unterkiefer", d. h. der gemeinsamen An-
lage des Unterkiefer- und Zungenbeinbogens (vgl. Nr. 8 II S. 300), der zweite
hinter jener Spalte oder im künftigen ersten Kiemeubogen, der sechste und
siebente beide hinter der fünften und letzten Spalte verlaufen; jener erste Ge-
fässbogen schwinde bald bis auf den oberen Theil, aus dem die Carotis und die
Kiemendeckelarterie hervorgehen (a a. 0., Nr. 147, S. 27). Vogt lässt den
ersten Aortenbogen der Salmoniden am Zungenbeinbogen , die übrigen , mit
Ausnahme des nicht beobachteten siebenten Bogens, ebenso verlaufen wie es
v. Baer beschrieb; der zuerst allein bestehende erste Bogen entsendet bereits
eine Carotis (Nr. 123 S. 226). Ich kann diese Angaben für den Forellenembryo
bestätigen und muss daher hervorheben, class der Unterkieferbogen kein beson-
deres Verbindungsgefäss vom Herzen zur Aortenbahn enthält und dass folglich
der erste Aortenbogen nicht vor sondern hinter der bisher vollständig über-
sehenen ersten Schlundspalte liegt (vgl. S. 734). Die Aortenbögen der Teleostier
fangen also erst im Zungenbeinbogen an, wo die Batrachier allerdings auch einen
Verbindungsbogen, aber nicht zur Aortenwurzel sondern zum cerebralen Gefäss-
bogen besitzen. Bei den Amnioten scheinen dagegen alle sogenannten Visceralbögen
des Kopfes eigene Aortenbögen zu entwickeln, deren Blut direkt in die Aorten-
wurzeln fliesst. Da nun der erste Aortenbogen in der dorsalen Kopfhälfte den
* Da die Entwickelung der Aortenbögen ganz allgemein so geschildert wird, als
wuchsen sie aus dem Herzen hervor, so mache ich darauf aufmerksam, dass sie wenigstens
bei den Batrachieru und Fischen ganz unabhängig vom Herzen in den Schlundbögen ent-
stehen.
784
X. Das Herz und das Gefässsystem.
umgekehrten Weg wie der Karotisstamm der Batrachier beschreibt, so ersetzt
er gewissermassen den bei diesen Thieren so frühzeitig angelegten, bei den Am-
inoten dagegen erst viel später erscheinenden cerebralen Gefässbogen; wenn
er aber zu dieser Bahn durch die besonderen Formbedingungen des embryo-
nalen Amniotenkopfes veranlasst wird, so gewährleistet wiederum sein Massen-
übergewicht über jenen cerebralen Gefässbogen der Batrachier dem Amnioten-
hirn die stärkere Ernährung und damit die Mittel zu der überwiegenden
Entwickelung desselben. Der frühzeitige Schwund der beiden ersten Aorten-
bögen lässt den dritten zum Karotisstamm, den vierten zur eigentlichen Aor-
tenwurzel, den fünften zur Pulrnonalis mit dem BoTALLi'schen Gange werden;
diese Umbildung stimmt also mit derjenigen der gleichen Bögen bei den
Batrachiern überein. Zur leichteren Uebersicht habe ich die folgende ver-
gleichende Tabelle des Gefässsystems der Visceralbögen zusammengestellt,
wobei die Richtigkeit der von mir nicht nachuntersuchten Gefässentwickelung
Visceral-
bögen.
Teleostier
Urodelen
Anuren
A m n i o t e n
I.
—
— —
1. Aortenbogen
(Unterkicforbogen)
II.
(Zungeobembogen)
III.
IV.
1. Aortenbogen
2. Aortenbogen
3. Aortenbogen
a
Verbindung zum cerebralen Gefäss-
bogen
2. Aortenbogen
CO
IS]
1. Aortenbogen
3. Aortenbogen
cd
2. Aortenbogen
4. Aortenbogen
V.
4. Aortenbogen
3. Aortenbogen
3. Aortenbogen
5. Aortenbogen
a
u
Cu
(eigentlich Pulrnona-
lis mit D. Botalli)
f-M
VI.
5. Aortenbogen
4. Aortenbogen
Zweiter Pulmonalast
—
VII.
6 Aortenbogen
—
—
—
I.
—
\ schwinden
(Unlerkieffrliogen)
IL
^/iin'.'fiiboiiihogen)
Operkularkie-
menarterie und
\ bis auf Ab-
T3
schwindet bis auf Abschnitte der Carotis
und Lingualis
l schnitte der
Carotis
CS
Karotiswnrzel
CO
3
III.
1. Kiemenge-
1. Aorten- od. Kie-
Karotiswnrzel
Karotiswnrzel
N
fässbogen
mengefässbogen
>-*
IV.
2 Kiemenge-
2. Aorten- od. Kie-
Aorten wurzel
Aortenwurzel
TS
fassbogen
mengefässbogen
3
V.
3. Kiemenge-
3. Aorten- od. Kie-
Pulrnonalis
Pulrnonalis
fässbogen
mengefässbogen
tn
VI.
4. Kiemenge-
fässbogen
4. Aorten- od. Kie-
mentjefassbogen mit
Pulmonalast
schwindet
VII
schwindet
—
—
—
4. Die Lymphgefässstämme. 785
der Amnioten vorausgesetzt wurde und die spätere asymmetrische Anordnung
unberücksichtigt blieb.
Die Eutwickelung des Venensystems der Wirbel thiere hat bekanntlich
Rathke zuerst übersichtlich behandelt und die noch heute giltigen Grundlagen
für eine vergleichende Anatomie der Venen geschaffen*. Ein Hauptpunkt der-
selben besteht darin, dass die allen Wirbelthierembryonen gemeinsamen Kardi-
nalvenen nur bei den Fischen als paarige Venenbahn des Stammes sich erhalten,
bei allen übrigen Vertebraten aber grösstentheils schwinden und durch die
neugebildete hintere Hohlvene ersetzt werden •, ihre hinteren Hälften mit der
Schwanzvene und den Hüftvenen werden bei den Amphibien und Reptilien in
Vv. renales advehentes verwandelt, bei den Vögeln und Säugern schliessen sie
sich aber der neuen Hohlvene an, während die vorderen queren Zweige der-
selben Kardinalvenen durch Längsanastomosen verbunden in die hinteren
Wirbelvenen oder die Vv. azygos und hemiazygos zusammenfhessen. — Diese
Darstellung ist für die Batrachier, wie ich gezeigt habe, unrichtig-, von den
Kardinalvenen vergehen nur die vordersten Urnierenabschnitte, die Nierentheile
verschmelzen zum Theil zum unpaaren Stamme der hinteren Hohlvene, welche
nur in ihrem vordersten absteigenden Gekröseabschnitte eine Neubildung ist
und noch längere Zeit nach der Metamorphose wenigstens eine einseitige Ver-
bindung mit den zuführenden Nierenvenen oder den Enden der Kardinalvenen
(Vv. iliacae , caudalis) behält. Es unterscheiden sich also die Batrachier von
den Teleostiern nur darin, dass der zur unpaaren Hohlvene verschmolzene
Hauptabschnitt ihrer Kardinalvenen nicht mehr durch die ursprünglichen
paarigen sondern ein neugebildetes unpaares Mündungsstück zum Venensacke
gelangt, welches Stück bei den Teleostiern wohl wegen der fehlenden Leber-
gekrösebrücke nicht entwickelt wird. — Für die Amnioten kann ich nun freilich
Rathke's Darstellung nicht ohne weiteres angreifen, weil mir eigene Beobach-
tungen über diesen Gegenstand fehlen; überlegt man aber, dass die Art und
Weise, wie die Hohlvene sich entwickelt und die Hauptäste der Kardinalvenen
auf dieselbe übertragen werden , noch unbekannt ist , für die Batrachier aber
ein ganz ähnlicher Vorgang von mir auf eine blosse Umbildung der Stamm-
* Da mir das betreffende Hauptwerk (Ueber den Bau und die Entwickelung des Venen-
systems der Wirbelthiere) zur Zeit leider nicht zugänglich war, so habe ich mich an die
übrigen bezüglichen Mittheilungen Rathke's (Nr. 148) und an seine Entwicklungsgeschichte
(Nr. 47) halten müssen. Dazu bemerke ich noch, dass v. Baer das Verhältniss der Stamm-
venen zu der hinteren Hohlvene schon früher angedeutet hatte (Nr. SIS. 71).
Goette, Entwickelungsgeschiebte. ^OV
786 X. Das Herz und das Gefässsystem.
venen und eine Neubildung bloss ihres Mündungsstückes zurückgeführt ist, und
dass ferner aus dieser Bildungsgeschichte des Venensystems der Batrachier
alle Modificationen desselben bei den Amnioten sich ableiten lassen, so muss
die Glaubwürdigkeit der RATHKE'schen Darstellung erschüttert erscheinen.
Jenes Venensystem der Batrachier stimmt zunächst mit demjenigen der
Reptilien im wesentlichen überein ; denkt man sich ferner , dass die hintere
Fortsetzung der Hohlvene der Batrachier bis zur Schwanzvene in dem
ursprünglichen kontinuirlichen Zusammenhange bliebe, und ihre sekundäre
Verbindung mit der JACOBsoN'schen Vene nicht zu Stande käme, so hat man
die den Säugern eigenthümlichen Zustände, nämlich eine aus den Hüftvenen
sich zusammensetzende Hohlvene ohne renalen Pfortaderkreislauf und in den
beiden JACOBsoN'schen Venen die Vv. azygos und hemiazygos. — Die Entwicke-
lungsgeschichte der Venen der Batrachier dürfte aber auch in ihren übrigen
Theilen zu erneuerten Untersuchungen über denselben Gegenstand bei den
anderen Vertebraten anregen. Einmal finde ich nirgends eine Andeutung
darüber, auf welchem Wege, von der hinteren Hohlvene ganz abgesehen, die
in der Leibeswand verlaufenden beiden Ductus Cuvieei und die Umbilikal-
venen das Venenende des Herzens erreichen, welches mit seinen beiden Schen-
keln (Dotterdarmvenen) der Darmwand angeschlossen ist und folglich anfangs
durch die zusammenhängenden Höhlen des Herzbeutels und des Bauchfell-
sackes von der Leibeswand und jenen Gefässen getrennt ist. An die Leber
wurde dabei jedenfalls nicht gedacht, da z. B. Kölliker behauptet, dass beim
Menschen „die Umbilikalvene sicherlich vor der Bildung der Leber" sich
entwickele (Nr. 48 S. 418); und da die Frage nach dem oberen und hinteren
queren Abschlüsse der Perikardialhöhle gegen die übrigen serösen Höhlen gar
nicht berührt wird, derselbe aber auch ohne die Anlage der Leber gar nicht
existircn kann, so muss man über die Unbefangenheit staunen, mit der bisher
alle damit beschäftigten Embryologen jene Gefässe der Leibeswand in das Herz
münden lassen ohne mit einem Worte zu erwähnen, wie dieselben die ursprüng-
lich kontinuirliche Leibeshöhle durchsetzen. Daher haben alle jene schemati-
schen Darstellungen dieses Gefässsystems, welche den Zusammenhang der ein-
zelnen Stämme veranschaulichen sollen, ohne eine, vorangegangene Untersuchung
ihrer ersten Beziehungen zur Leberanlage und zum Perikardialsacke nur einen
sehr beschränkten Werth. So kommt mir z. B. die Beschreibung, welche
v. Baer und Rathke vom ursprünglichen Verlaufe der Umbilikalvene der
Amnioten und seiner Umbildung geben (Nr. 8 I S. 93, Nr. 148), wegen ihrer
4. Die Lymphgefässstämme. 787
grossen Uebereinstimmung mit den analogen Verhältnissen der Batrachier viel
glaubwürdiger vor als die gewöhnliche Vorstellung, dass jene Vene schon ur-
sprünglich nicht unter und vor sondern hinter der Leber aufsteige und der
Ductus venosus Arantii, welcher bei den Batrachiern vollständig fehlt, nicht
sekundär gebildet (Rathke), sondern ein Rest der ersten Mündung sei(KöLLiKER
Nr. 48 S. 421).
Ueber die Bildung des Blutes kann ich mich kurz fassen, da ich dieselbe
von den Teleostiern, Batrachiern und Vögeln bereits ausführlich beschrieben
habe (S. 538, Nr. 121 S. 180—186. 196). Alle Beobachter stimmten bisher
darin überein, dass das Blut theils in den Gefässen, theils in den peripherischen
Theilen der tieferen Keimschichten (mittleres Keimblatt) an der Oberfläche des
Dottersackes gebildet würde (vgl. a. a. 0. und Vogt Nr. 26 S. 71, Kupffek
Nr. 105 S. 263—265); ich habe dagegen den Ursprung der Blutzellen aus dem
Nahrungsdotter für die Batrachier und Vögel genauer nachgewiesen, für die
Teleostier wenigstens wahrscheinlich gemacht. Auch habe ich schon bei einer
früheren Gelegenheit darauf hingedeutet, dass diese Bildung mit der Aufnahme
der Interstitialflüssigkeit aus der Darmhöhle in den Nahrungsdotter zusammen-
hänge, also der eigentliche Keim dabei nicht unmittelbar sondern nur durch
die mechanischen Wirkungen seiner morphologischen Entwickelung betheiligt
sei (S. 194). Als weiteren Beleg dafür führe ich hier noch an, dass ich an
einigen jungen Unkenlarven ganz ansehnliche kugelige Blutinseln mitten im
Nahrungsdotter angetroffen habe. Nach solchen Erfahrungen musste mich
selbstverständlich die scheinbar ganz evidente Thatsache wenig befriedigen,
dass bei den Säugern, weil ihre Keimblase und daher auch der Dottersack nur
eine Flüssigkeit enthält, das Blut sich in den peripherischen Keimtheilen selbst
bilde. Doch ist es mir endlich gelungen, auch diese wohl ganz allgemeine
Ansicht zu widerlegen und zugleich eine neue wichtige Uebereinstimmung in
der Entwickelung der Säugethiere und übrigen Vertebraten nachzuweisen. An
Kaninchenembryonen , deren Dotterdarmvenen eben angelegt , aber die eigent-
lichen Dottergefässe noch nicht gebildet waren , fand ich unter dein ganzen
Keime eine feste Dotterschicht von demselben Aussehen wie die feinkörnige
Dottermasse der Hühnereier und von einer Mächtigkeit, welche diejenige des
Keims übertraf. Diese vorherrschend dem mittleren Keimblatte und nur in
der unmittelbaren Nähe des Embryo dem Darmblatte, welches dort seine
Grenze findet, fest angefügte Dotterschicht kann nach ihrer gleich zu erwähnen-
den Umbildung kein künstliches Gerinnungsprodukt sein; doch habe ich sie
50*
7yg X. Das Herz und das Gefässsystem.
an den noch wenig entwickelten Eiern, welche mir die merkwürdige Bildung
der Keimschichtung gezeigt haben (Nr. 103), nicht erkennen können. An den
erstgenannten Keimen besitzt jene Dotterschicht gegen das mittlere Keimblatt
eine ganz glatte, scharfe Grenze; an verschiedenen Stellen sind grössere Platten
oder kleinere dicke Stücke dieser Masse durch zarte aber deutliche Linien in
der Weise abgesondert, dass sie mit ihrer unteren konvexen Fläche im übrigen
Dotter eingebettet liegen, mit der ebenen Oberseite aber an das mittlere Keim-
blatt stossen. Schon die kleineren Stücke übertreffen die Embryonalzellen um
ein Vielfaches an Grösse und besitzen je einen grossen klaren Kern , sodass sie
in jeder Hinsicht den in den Keimwall vorrückenden Dotterzellen des Hühner-
eies gleichen (vgl. Nr. 121). An nur wenig älteren Kaninchenembryonen hat
die Anzahl dieser Dotterzellen zugenommen ; sie zeigen verschiedene Theilungs-
erscheinungen , wobei die Theile je nach dem Grade der Vermehrung allmäh-
lich kleiner werden und da sie bereits als Zellenhaufen vom übrigen Dotter
abstechen , wie in einer Ablösung von dem darüber hinstreichenden mittleren
Keimblatte begriffen aussehen. Doch findet schon in dieser Zeit, noch deutlicher
aber etwas später gerade das Gegentheil statt, nämlich eine allmähliche Auf-
nahme jener Zellenhaufen in das mittlere Keimblatt, wo ich sie in Blutinseln
sich verwandeln sehe , gerade so wie ich es vom Hühnerkeime beschrieb. Zur
selben Zeit erscheint der grösste Theil der beschriebenen Dotterschicht aufge-
braucht ; unbedeutende Reste mögen später aufgelöst werden. — Diese Beobach-
tung bringt natürlich das Säugethierei um einen bedeutenden Schritt den Eiern
der übrigen Vertebraten näher; wenigstens kann ich es jetzt als Thatsache hin-
stellen, dass es nicht nur durch die Gastrulaform seines Keims, sondern auch
durch einen wirklichen blutbildenden Nahrungsdotter mit denselben überein-
stimmt.
XL Der Darmkanal und seine Anhangsorgane.
Nach den vorausgegangenen Darstellungen über die Form, Lage und Ein-
teilung des embryonalen Darmkanals der Unke (S. 218 — 221. 260 und flg.)
können wir denselben in seinem morphologisch wichtigsten Theile, dem Darm-
blatte, als einen länglichen Schlauch betrachten, welcher an beiden Enden
blindsackartig geschlossen (Vorder-, Hinterdarm), in seiner Mitte jedoch ab-
wärts noch weit offen ist (Mitteldarm) und mit den Rändern dieser anfangs
länglichen Oeffnung der Dotterzellenmasse ohngefähr so aufgesetzt ist wie im
ersten Anfange der Entwicklung die primäre Keimschicht {Taf. IT). Die
besondere Hülle oder Scheide dieses Darmschlauches ist zuerst überall die
Seitenplatte , deren auseinanderweichende Blätter die grossen serösen Höhlen
bilden; ihre verschiedenartige Rückbildung in der Kopfregion sondert den
Kopfdarm am meisten vom übrigen Darmkanal, in erster Linie also von dem
anstossenden Vordarme. Im Vorderkopfe geht die Seitenplatte in die Bil-
dung der Segmentplatten vollständig auf; im Hinterkopfe wächst sie über der
Darmblattdecke der Schlundhöhle nicht zusammen, sodass das Darmblatt dort
unmittelbar an das Bildungsgewebe der Stammsegmente stösst, und in der
Seitenwand jener Höhle verschmelzen die Blätter der Seitenplatte zu einer
ungesonderten Schicht, welche sich von ihrer ventralen Fortsetzung (Perikardial-
sack) vollends löst und beiderseits unter den Darmblattboden der Schlundhöhle
auswächst, wodurch dieselbe von jeder Beziehung zur eigentlichen serösen
Höhle des Kopfes, nämlich dem Perikardialsacke ausgeschlossen wird (Taf. VII,
XIII). Jene das Darmblatt des Kopfdarms oder die Anlage seines Epithels
umgebenden Theile der Seitenplatte und der Segmente liefern ausser einem
gleich zu erwähnenden beschränkten Bewegungsapparate die bindegewebige
790 XI. Der Darmkanal und seine Anhangsorgane.
Unterlage des Epithels, sodass der ganzen Kopfdarrnwand als kontinuirliche
Bildung nur eine den übrigen Kopftheilen eng angeschlossene Schleimhaut
eigen ist und daher jede Selbstständigkeit abgeht. In Folge dessen wird der
ganze Kopfdarm während der Ausbildung des Kiemenapparats durch den sich
hebenden Boden zu einem breiten spaltartigen Räume zusammengedrückt, welcher
nicht eben hinzieht, sondern dem Relief der Decke und des Bodens entsprechend
gebogen und ausserdem bei den Bewegungen des Kieferapparats einem beständigen
Wechsel unterworfen ist (Taf. X V, XXI). Diese Abhängigkeit der dem Kopf darm
eigenthümlichen Theile vom übrigen Kopfe ist aber nicht' in allen Entwickelungs-
perioden dieselbe. Während der Larvenzeit erzeugt seine Seitenplatte einmal
das Zungenbein mit der Zunge und ferner das Kiemengerüst, welches bei den
Anuren vielmehr den inneren Kiemen als dem äusseren Kiemenapparate ange-
passt erscheint. Die inneren Kiemen sind als eigentliche Darmbildungen auf-
zufassen, welche durch das angepasste Knorpelskelet eine gewisse Selbst-
ständigkeit erhalten (S. 741 u . flg.) ; aber wir sehen sie sowohl in der individuellen
Entwicklung der Anuren wie durch die ganze Thierreihe in dem Masse sich
zurückbilden und schwinden als die Ausbildung der die ganze Entwicklung
des Kopfes beherrschenden Theile zunimmt; und soweit sich trotzdem das
Kiemenskelet erhält, tritt es aus den Beziehungen zum eigentlichen Kopfdarme
heraus und ganz in den Dienst des äusseren Kiemenapparats. Ebenso verhalten
sich das Zungenbein und die Zunge zum Kieferapparate; denn wenn auch die
Muskulatur der letzteren den Darmmuskeln homolog ist (S. GG9), so entfernt
sie sich doch von denselben in Folge der Anpassung an die besonderen Form-
bedingungen jener Kopfregion bis zum Verluste jeder Aehnlichkeit in Form, Lage
und Innervirung. Sehen wir ferner auf die histiologischen Umbildungen der
dem Kopfdarme eigenthümlichen Schleimhaut, so finden wir in dem Sinnes-
apparate der Zunge und den meisten Zahnbildungen* wiederum besondere
Anpassungen an den Kieferapparat, welcher am Eingange des Darmkanals
allerdings die Ernährungsthätigkeit eröffnet, aber in einer Form, welche ihn
* Ein Theil der Zähne ist freilich auf die zur Auskleidung der Mundhöhle hineinge-
zogene Oberhaut zu beziehen, und es ist mir selbst an den Salamandrinen, deren Darmblatt
bis an den Lippenrand des Mundes vordringt, wahrscheinlich geworden, dass die Grund-
schicht der Oberhaut nach innen unter das Darmblatt auswächst, um an der Bildung der
Kieferzähne theilzunehmen (Nr. G4 S. 118). Aber bei den Teleostiern, deren Darmblatt
ebenfalls bis zum Lippenrande reicht und dort einfach mit der Oberhaut verschmilzt , sind
alle Zähne ebenso gewiss Erzeugnisse der Darmblattschleimhaut wie wenigstens die Gaumen-
zähne der Batrachier.
XI. Der Darmkanal und seine Anhangsorgane. 791
auch darin den ihm morphologisch gleichwertigen Gliedmassen des Rumpfes
an die Seite stellt.
In ganz anderem aber nicht weniger innigem Zusammenhange mit der
Kopfbildung vollzieht sich die Entwickelung des Vor dar ms. Während der
Kopfdarm durch die Entstehung des Herzraums in seinem Boden und der
Mitteldarm von Anfang an durch die Dotterzellenmasse von unten her verengt
erscheinen, behält der Vordarm allein die ganze ursprüngliche Höhe zwischen
der dorsalen und ventralen Körperwand und macht daher den Eindruck einer
zwischen Perikardialsack und Dotterzellenmasse eingesenkten Tasche, obgleich
die • definitive Hinterwand dieser Tasche erst allmählich durch das aus-
wachsende und die Dotterzellenmasse abschnürende Darmblatt hergestellt wird
(S. 260), und wenn man bloss die morphologischen Anlagen in Betracht zieht
dieser Darmtheil anfangs durchaus jenem rück- und abwärts trichterförmig
erweiterten Uebergange des vorderen Darmblindsackes des Hühnchens in den
Dottersack und die Mitteldarmfurche entspricht, welchen die älteren Embryo-
logen als „Fovea cardiaca" (Wolff) oder als „vorderen Eingang in den Speise-
kanal" (v. Baer) bezeichneten. Der Vordarm besitzt eine vollkommen ausge-
bildete Seitenplatte, welche nur eine kurze Zeit an der Bauchseite durch eine
schwache Fortsetzung der medianen Lücke des mittleren Keimblattes getrennt
ist (Taf. VII Fig. 135—137, Taf. XIII Fig. 239. 240). Sobald sich diese
geschlossen und die beiden Blätter der Seitenplatte vollkommen ausgebildet
haben, gehen sie in der oberen Hälfte in die rückgebildete Seitenplatte der
Kiemenbögen, in der unteren Hälfte aber kontinuirlich in die beiden Perikardial-
blätter über {Taf. XIV Fig. 247 — 256). Diese bereits im vorigen Abschnitte
erörterten Beziehungen des Vordarms zum Perikardialsacke (S. 746) enthalten
den Schlüssel zum Verständniss der Trennung der verschiedenen serösen
Höhlen des Rumpfes, der Verbindungen der vorderen Baucheingeweide unter-
einander und des schon geschilderten Zusammenflusses der Venenstämme mit
dem Herzen , und müssen daher hier theils wiederholt , theils ausführlicher be-
handelt werden. Anfangs, solange der Perikardialsack in seiner ursprünglichen
Lage die hintere Grenze der Schlundhöhle oder des Kiemenapparats nicht
überschreitet , biegt der Darmblattboden der Schlundhöhle unmittelbar in die
Vorderwand des Vordarms um, welche den Perikardialsack nach hinten ab-
schliesst (Taf. II Fig. 38). Der letztere liegt also als Fortsetzung der Anlage
der Pleuroperitonealhöhle des Rumpfes genau vor dieser, welche erst an seiner
hinteren Grenze sich aufwärts bis zum Rücken erstreckt ; die hintere Oeffnung
792 XI. Der Darmkanal und seine Anliangsorgane.
des Perikardialsacks gegen die Pleuroperitonealhöhle wird unten von der
Vorderfläche der Leberanlage, darüber ebenfalls von der Vorderseite eines
Darmabschnitts ausgefüllt, welcher in seinem kurzen Verlaufe die Anlage des
Darmkanals von der Mündung des Leberganges bis zur Schlundhöhle oder bis
zum Kehlkopfe umfasst. Diese Anordnung verschiebt sich in Folge des
weiteren Vorwachsens des Kopfes {Tu f. XVI Fig. 292. 293. 298, Taf. XXI
Fig. 372). Mit der Leberanlage, welche noch mit der Dotterzellenmasse verbun-
den ist, wird auch derPerikardialsack an seiner früheren Stelle zurückgehalten
(S. 749), während der obere Abschnitt des Vordarms durch die Schlundhöhle
vorwärts gezogen den entsprechenden Theil seiner Wand aus der Hinterwand
des Perikardialsackes in dessen Decke umschlägt. Diese unscheinbare Ver-
änderung hat nun sehr bedeutsame Folgen. Das horizontal über die hintere
Hälfte des Perikardialsackes umgelegte Vordarmstück — ich will es vorläufig
den Lungendarm nennen — hat in diese neue Lage natürlich auch die es um-
hüllende zweiblättrige Seitenplatte mit hinübergezogen , sodass nun der darin
eingeschlossene Abschnitt der Pleuroperitonealhöhle über der Perikardialhöhle
liegt, und beide Höhlen dort ebenso kommuniciren und darauf geschieden
werden wie im vorderen Umfange der Leber: die vom Visceralblatte überzogene
breite Bauchseite des Lungendarms bildet die Decke der über dem Venensacke
befindlichen Perikardialbucht, welche an den beiden Seitenrändern jener Decke
durch enge Spalten mit dem an jeder Seite des Lungendarms befindlichen Ab-
schnitte der Pleuroperitonealhöhle zusammenhängt und gewissermassen die
ventrale Vereinigung dieser beiden lateralen Abschnitte oder, um es gleich zu
sagen, der primitiven Pleurahöhlen darstellt {Taf. XIV Fig. 261. 262,
Taf. XV Fig. 274—277). Indem nun aber längs jener Verbindungsspalten
das Parietalblatt ebenfalls durch vorgeschobene Falten mit den Seitenrändern
der ventralen Visceralblattfläche des Lungendarms verschmilzt, so hört damit
der ventrale Zusammenhang beider Pleurahöhlen auf und der Lungendarm
wird zu einer vollkommenen medianen Scheidewand derselben , sodass sie erst
rückwärts durch die Peritonealhöhle, in welche sie offen ausmünden, in Verbin-
dung bleiben. Die Trennung der beiden primitiven Pleurahöhlen von einander und
anderseits von der Perikardialhöhle ist also das Ergebniss eines einheitlichen
Entwickelungsvorganges , nämlich der Einfügung der Bauchseite des Lungen-
darms in die Decke des Perikardialsackes.
Der vorderste Abschnitt des Vordarms, welchen ich eben als Lungen -
darin bezeichnete, wird wie der ganze übrige hinter dem Kopfe gelegene Darm
XI. Der Darnikanal und seine Auhangsorgane. 793
in Folge der seitlichen Abplattung des Körpers zu einem schmalen aber hohen
Kanal, dessen fernere Gestaltveränderungen in innigem Zusammenhange mit
der Umbildung der ihn begrenzenden Darmabschnitte stehen (Taf. XIII). Die
seitlichen Leisten, welche am Boden der Schlundhöhle längs der Grenze der
inneren Kiemen sich erheben (S*. 680), konvergiren rückwärts in dem Masse,
dass sie beim Uebergange in den Vordarm eine enge mediane Spalte einfassen,
in welcher Form sich dann auch die untere Hälfte des vordersten Lungen-
darms darstellt, während die über diesen Leisten befindlichen Mündungen der
Innenkiemen in der oberen Hälfte jenes Darmstückes zu einem breiten
Schlauche zusammenfliessen (Taf. XV). Darauf verschmelzen jene Leisten
dort, wo sie an der hinteren Kopfgrenze zusammenstossen, vollständig und
schliessen dadiueh die spaltförmige untere Hälfte des vorderen Lungendarms
oder die Anlage des Kehlkopfs nach vorn vollständig ab, sodass sie nur auf-
wärts mit der weiten oberen Hälfte oder dem Eingange in die Speiseröhre
kommunicirt (Taf. XVII Fig. 308, Taf. XXI Fig. 371). Diese Verbindung
bleibt immer spaltförmig und wird daher, während sich die darunterliegende
Kehlkopf höhle später erweitert , zur Stimmritze (Taf. X VIII Fig. 330).
Durch die Einkeilung des vorderen Rumpfendes in den Hinterkopf gelangt der
Kehlkopf endlich ganz zwischen die hintersten inneren Kiemensäcke, welche
nicht nur über ihm unmittelbar in die Speiseröhre übergehen, sondern auch
vor ihm in jener Bucht zusammenhängen, welche durch den quer nach hinten
vorspringenden scharfen Rand der vereinigten medialen Kiemenleisten entstand.
Denkt man sich die innere Scheidewand des dritten Kiemenbogens jederseits
so stark entwickelt, dass das hinterste, den Kehlkopf vorn und seitlich um-
ziehende Paar der Kiemensäcke gegen die anderen vollkommen abgeschieden
wird , so lässt sich in dieser Bucht oder dem von mir sogenannten Vorhof des
Kehlkopfes und dem ihn von vorn her überragenden Schirmdach eine auf-
fallende Aehnlichkeit mit dem vorderen Kehlkopfraume und dem Kehldeckel
der Wirbelthiere nicht verkennen. Diese Theile erhalten sich bei den Batra-
chiern, welche Kehlsäcke besitzen, indem die letzteren, wie ich an Hyla zu
sehen glaube, aus jenem Vorhofe hervorwachsen und das kiemendeckelartige
Schirmdach zu einer rückwärts über die Stimmritze verschiebbaren Hautfalte
wird (S. 682). — Hinter der Kehlkopfgegend bleibt nicht bloss der dorsale
Abschnitt des Lungendarms als vordere Speiseröhre etwas erweitert, sondern
auch der ventrale buchtet sich seitlich aus und bildet so die breite Lungen -
wurzel, deren Höhle mit dem Kanal der vorderen Speiseröhre noch einige
794 XI. Der Darmkanal und seine Anhangsorgane.
Zeit gleichsam durch eine hintere Fortsetzung der Stimmritze in Verbindung
bleibt (Taf. XV Fig. 277). Erst nachdem die Lungenwurzel jederseits in einen
Lungenschlauch ausgewachsen ist, schnürt sich ihr Darmblattsack von der
Auskleidung der Speiseröhre völlig ab, bleibt aber so kurz, dass die Unter-
scheidung eines Kehlkopfs und einer Lungenwurzel als Homologon einer Luft-
röhre endlich illusorisch wird.
Die Seitenplatte rückt am Lungendarm niemals ganz hinauf, sodass so
ziemlich sein ganzer dorsaler Abschnitt oder die vordere Speiseröhre zwischen
den Gekrösefalten aufwärts hervorragt und wesentlich vom Bildungsgewebe der
ersten Rumpfsegmente, dem sich hinaufwuchernde-Theile jener Falten anschliessen
mögen, umhüllt wird, während die zweiblättrige Seitenplatte die Scheide des
Kehlkopfs und der Lungenwurzel bleibt (Fig. 262. 270. 277). Im Umfange des
ersteren bilden sich jedoch die beiden Blätter frühzeitig zurück, indem sie mit
dem ganzen Organ zwischen die hintersten Kiemenbögen eingeklemmt, unter-
einander und mit dem Bildungsgewebe der letzteren zu einer Masse verschmelzen
(Fig. 308)^ immerhin können die Kehlkopfknorpel schon desshalb von der
Seitenplatte abgeleitet werden, weil der ganze Kehlkopf in der aufwärts ge-
richteten Gabel der hinteren Zungenbeinhörner ruht, welche mit dem übrigen
Kiemenskelet ebenfalls aus der Seitenplatte hervorgehen. Wegen dieses über-
einstimmenden Ursprungs können wir die Knorpel und Knochen des Kiemen-,
Zungenbein- und Kehlkopfapparats sowie weiterhin überhaupt der ganzen
Respirationsorgane als homologe Bildungen ansprechen. — Erst von der Lungen-
wurzel rückwärts erhält sich die Sonderung des Visceral- und Parietalblattes
und daher jederseits zwischen ihnen die Anlagen der Pleurahöhlen, in welche
von der Lungenwurzel aus die Lungen hineinwachsen. Die Anlagen dieser
Organe sind aber nicht als einfache Ausstülpungen des Lungendarms aufzu-
fassen, sondern nachdem eine quere Erweiterung der Darmblattröhre die
Lungenwurzel angedeutet, entwickelt zunächst das Visceralblatt eine grössere
Thätigkeit, indem es unter dem Zufluss der alsdann überall einwandernden
Dotterbildungszellen jederseits von der Lungenwurzel aus rückwärts zu einem
mächtigen soliden Wulste anschwillt, welcher im kontinuirlichen Zusammen-
hange mit der übrigen Darmwand über sie hingleitet (Fig. 254. 263. 278.
279). Hinterher dringt erst in diese schon vorgebildeten Visceralblattwülste
je ein Auswuchs der Darmblattauskleidung der Lunsfenwurzel von der Form
fiiies Handschuhfingers hinein; und indem dieser Darmblattschlauch den ihm
gleichsam vorauseilenden Visceralblattwulst im Wachsthum einholt, entwickelt
XI. Der Darmkanal und seine Anhangsorgane. 7<)f,
sich die embryonale Lunge zu einem am hinteren Ende blind geschlossenen
Hohlcylinder, dessen Aussen wand sich darauf von der Seite des Darms abzu-
schnüren beginnt, aber eine bandartige Verbindung mit demselben und später
mit dessen Gekröse noch lange behält (Fig. 308. 318. 359—362). Wie diese
dickwandigen, von einem sehr engen Kanäle durchzogenen Lungencylinder sich
in die weiten, dünnwandigen Luftsäcke des athmenden Thieres verwandeln,
mögen speciellere Untersuchungen darthun ; ich begnüge mich hier mitder Bemer-
kung, dass das Darmblatt wohl ziemlich zweifellos nur die innere epitheliale Aus-
kleidung der Lunge liefert, alle übrigen Gewebe aber vom Visceralblatte ab-
stammen. Wichtiger scheint es mir, die Aufmerksamkeit noch auf einige topo
graphische Verhältnisse der Amphibienlunge zu lenken. Die Lungenwurzel
reicht anfangs bis an die Hinterwand des Perikardialsackes, und wenn später
auch noch der Lungenhals in der primitiven Pleurahöhle steckt, so ragt doch
das übrige Organ rechts über der Leber, links über dem Magen frei in die
Bauchhöhle vor. Es könnte demnach der Vergleich jener unbedeutenden vor-
deren Ausläufer der Bauchhöhle mit wirklichen Pleurahöhlen sehr gesucht
erscheinen. Aber wie ich es schon an mehreren Beispielen ausführte, dass
nicht die äussere Erscheinung, die fertige anatomische Form, sondern lediglich
die gleichen Bildungsursachen und deren gleichsinnige Verknüpfung die Homo-
logien begründen können, so verhält es sich auch mitder Deutung der unschein-
baren Pleurahöhlen der Batrachier. Würde der ganze Vordarm mit der in
ihm enthaltenen Anlage des Lungendarms vollständig in seiner ursprünglichen
Lage hinter dem Herzräume liegen bleiben, so wäre wohl irgend ein Abschluss
des jede Lunge unmittelbar umgebenden Raumes möglich, aber diese Lungen-
behälter wären nur Analoga, nicht Homologader Pleurahöhlen der Säugethiere.
Denn sie würden weder den Herzbeutel begrenzen, noch überhaupt vor sondern
über der übrigen Bauchhöhle liegen, und ihre eigene mediane Scheidewand
müsste entweder ein Darmgekröse oder eine Neubildung, die untere sie von
der Bauchhöhle scheidende Wand ganz bestimmt eine solche sein, — kurz, Lage-
beziehungen und Zusammensetzung solcher Höhlen würden sie morphologisch
von den Pleurahöhlen vollkommen scheiden. Dadurch aber, dass der Lungen-
darm sich über den Perikardialsack lagert und mit seiner Bauchseite sich in
ihn einfügt, stellt er für die ihn beiderseits begrenzenden Abschnitte der konti-
nuirlichen Pleuroperitonealhöhle alle wesentlichen Formbeziehungen der Pleura-
höhlen hinsichtlich der Lage, der Zusammensetzung der äusseren Wände und
der inneren Scheidewand her. Abgesehen davon, dass den Batrachiern , wie
796 XI. Der Darmkanal und seine Anhangsorgane.
ich zeigen werde, die Anlage einer hinteren, dem Zwerchfelle vergleichbaren
Schlusswand nicht fehlt, so ist deren Vollendung desshalb für den obigen Ver-
gleich nicht unerlässlich, weil die embryonalen Pleurahöhlen der Säuger sie
ebenso entbehren wie die embryonalen Perikardialsäcke aller Wirbelthiere,
also ein solcher hinterer Abschluss ein sekundärer Vorgang ist, Es bliebe also
nur der Punkt aufzuklären, warum bei den Batrachiern Pleurahöhlen und
Lungen nicht miteinander korrespondiren. Dazu erinnere ich zunächst daran,
dass bei allen Wirbelthierembryonen das Herz unter dem durch die Schlund-
falten bezeichneten Kopfdarme entsteht, also auch bei den Säugern der Vor-
darm ebenso wie bei den Batrachiern sich über den Perikardialsack vorschieben
muss. Der Raum der Pleurahöhlen ist nirgends wie derjenige der Perikardial-
und Bauchhöhle in den ersten Embryonalanlagen topographisch fertig abge-
steckt, sondern entsteht erst in dem Masse, als jene Verschiebung fortschreitet.
Bei den Batrachiern ist nun dieser Fortschritt ein so langsamer, dass ihre
Lungen aus den für sie ungenügenden Höhlen endlich in bedeutendem Masse
hervorwachsen und dadurch natürlich deren Abschluss hindern, während die
Lungen der Säugethierembryonen über eine gewisse hintere Grenze, welche
etwa mit dem Vorderende des Magens zusammenfällt, niemals hinausragen,
weil die primitiven Pleurahöhlen dieser Thiere entsprechend dem Wachsthume
ihrer Lungenanlagen sich nach vorn ausdehnen (vgl. Külliker Nr. 48 S. 373,
Bischoff Nr. 140 S. 109 Taf. XL XIII). Dieses Wachsthum des von den
Pleurasäcken umfassten Lungendarms oder der Lungenwurzel und Speiseröhre
ist aber natürlich abhängig von der Verlängerung der zugehörigen Stammtheile,
also davon, wie viele Segmente sich nachträglich über den Perikardialsack
oder vielmehr die ihn zurückziehende Leberanlage vorschieben , welche durch
die Dotterzellenmasse (Batrachier) oder den Darmnabel (Säuger) zurückgehalten
wird, in dessen Vorderrande sie ja entsteht. Das Hauptmotiv einer solchen
Verschiebung sehe ich nun bei den Säugethierembryonen in der starken kon-
vexen Krümmung ibres Rückens, in dessen konkaver Beuge der Darmkanal
einen viel kürzeren Bogen beschreibt, sodass bei der Streckung der vorderen
Rückenhälfte der entsprechende Darmabschnitt oder der Lungendarm über den
Perikardialsack weit vorgezogen werden muss. Mit jener ursprünglichen Krüm-
mung, welche auf die Entwickelung der Axenplatte zurückzuführen ist, fehlt
den Batrachiern auch die nothwendige Folge, sodass wir nun zu folgenden Re-
sultaten gelangen. Die Anlage wirklicher Pleurahöhlen ist als Folge zweier
Kutwickelungsvorgänge zu betrachten , erstens der frühzeitigen Anheftung
XI. Der Darmkanal und seine Anhangsorgane. 797
des Perikardialsackes an die Leber als einen so zu sagen fixen Punkt des
embryonalen Darmkanals, und zweitens der Ausdehnung des Lungendarms
über jene Organe nach vorn, deren Mass abhängig ist von der Verschiebung
der vorderen Stammtheile über jenen fixen Punkt des Darmkanals hinaus und
in letzter Linie von der ersten Entwickelung der Axenplatte. Auf diese Weise
gelangen wir zu einer bestimmten Definition der Brustregion als des vor
der Leber liegenden Rumpftheils, dessen Ausbildung diejenige der
Pleurahöhlen erst bedingt und nicht etwa umgekehrt; bei der Entwickelung
der Brustregion sehen wir aber dieselben Ursachen wirksam eingreifen, welche
bereits die Kopfbildung am wesentlichsten bestimmen, nämlich die in der sich
umbildenden Axenplatte enthaltenen Formbedingungen. Diese Auffassung
scheint mir geeignet, das Verständniss für die Verschiedenheiten im allgemeinen
Aufbau der einzelnen Wirbelthierformen zu fördern: mit der relativ geringsten
Forment wickelung des Hirns, worin doch die Entwickelungshöhe der Axen-
platte zum Ausdruck kommt, fällt auch der Mangel einer Brustregion und folg-
lich der Brusthöhlen im engeren Sinne zusammen (Fische), und die steigende
Ausbildung dieser Theile läuft auch dem Fortschritte der Hirnbildung parallel
(Batrachier, Amnioten)*.
Etwa zur selben Zeit, wenn die durch ihre Gestalt kenntlichen Darmblatt-
zellen vom Grunde des blindsackartigen Vordarms an dessen Hinterwand hin-
aufzurücken und durch diese Bewegung ihn zu vervollständigen und von der
Dotterzellenmasse abzusondern beginnen, offenbart das Darmblatt auch an
allen übrigen Stellen desselben Darmtheils Zeichen einer erhöhten Thätigkeit,
welche in gesteigerter Zellentheilung und -Verschiebung besteht und in einer
Flächenausdehnung des Blattes und einer Anpassung desselben an die umgeben-
den Formbedingungen zum Ausdruck kommt. Dabei ist vor allem zu berück-
sichtigen, class dem Vordarme eine kanalförmige Anlage vollständig fehlt, also
als Folgen der Ausdehnung in einem beschränkten Räume zunächst nicht Win-
dungen, sondern vielmehr Faltung und Einschnürung zu erwarten sind. An
einer Stelle stösst übrigens der Vordarm auf keinen Widerstand, nämlich dort,
wo er den noch relativ weiten Perikardialsack begrenzt; daher buchtet er sich
auch frühzeitig in jene Höhle aus und bildet so die Leb er anläge. Dieser
Ausweg gestattet der vorderen und seitlichen Wand des Vordarms sich abwärts
* Die Halsbildung ist eine sekundäre Folgeerscheinung des eben geschilderten Ent-
wickelungsvorgangs und als solche in eben dem Grade von geringerem morphologischen
Interesse, als ihre Ursachen unbeständiger und schwieriger zu bestimmen sind,
798 XI. Der Darmkanal und seine Anhangsorgane.
auszudehnen und dadurch den Uebergang in die dabei vorwärts ausweichende
Leberanlage einzuschnüren {Taf. XVI). Diese Einschnürung stellt den künf-
tigen Ductus hepaticus vor, hinter dem noch ein von vorn abgeplatteter, beutei-
förmiger Rest des ursprünglichen Vordarm -Blindsacks zurückbleibt, welcher
abwärts und nach beiden Seiten die Anlagen der Gallenblase und des bleiben-
den pankreatischen Ganges hervortreibt, in seinem Mittelstücke aber eine
kontinuirliche Fortsetzung des Lebergangs zum eigentlichen Darm enthält
(Ductus choledochus). Zunächst nenne ich aber die ganze Verbindung zwischen
Leber und Darm ohne Rücksicht auf jene accessorischen Bildungen den pri-
mitiven Leberstiel, dessen Axe also, wenn man sich die blosse Einschnürung
der Leberwurzel in einen kurzen Gang ausgewachsen denkt, von vorn nach
hinten und dann aufwärts gebogen verläuft. Während dieser Entwickelung
der unteren Hälfte des ursprünglichen Vordarms wird auch sein oberer weiter
Abschnitt, welcher anfangs einen geraden, nur abwärts erweiterten Uebergang
vom Kopf- und Lungendarm zum Mitteldarm darstellt, eingreifenden Umbil-
dungen unterworfen. Wie man sich an Durchschnitten leicht überzeugt, ist
die Decke des Vordarms zuerst schmal und dachförmig wie am Mitteldarm ;
da ihr bei dem Beginn der Ausbreitung des Darmblattes eine sagittale Ver-
längerung offenbar noch nicht freisteht, buchtet sie sich seitlich aus, wobei sie
etwas einsinkt und von der Wirbelsaite sich entfernt (Taf. XIII — XV). Da
diese beiderseitigen Ausbuchtungen nur die Folgen einer Flächenausdehnung
im relativ beschränkten Räume sind, äussert sich die letztere in einer jederseits
unter die Ausbuchtung sich einwärts einschlagenden Falte; und indem eine eben
solche Falte alsbald auch quer hinter dem verbreiterten Mittelstücke der Vor-
darmdecke, eine andere vor ihm entsteht, welche mit den seitlichen Falten in
einer kontinuirlichen Einschnürung sich abwärts und einwärts zusammenziehen,
so erhellt daraus, dass diese Abschnürung die Mitte des weiten oberen Ab-
Schnittes des Vordarms gleichsam so herausschneidet, dass der Rest desselben
als ein aufwärts konkaver Verbindungsbogen zwischen dem Lungen- und dem
Mitteldarme zurückbleibt, in dessen untere Seite der primitive Leberstiel ein-
mündet (Fig. 372, vgl. Nr. 64 Fig. 39—41). Im vorderen niedersteigenden
Schenkel dieses Bogens ist als Fortsetzung der aus dem Lungendarme hervor-
tretenden Speiseröhre die Anlage des Magens enthalten; der untere Theil und
der hinten aufsteigende Schenkel des Bogens bilden die Anlage der D uo denal-
schlinge, auf welcher der quer abgeschnürte Darmtheil oder die Hauptanlage
der Bauchspeicheldrüse wie ein Zwerchsack auf jeder Seite überhängend
XI. Der Darmkanal und seine Anhangsorgane. 799
ruht. Die Einzelheiten der Entwickelung dieser Drüse wie der Leber werde
ich erst weiter unten eingehender behandeln, hier aber die weitere topographische
Umbildung des Vordarms zu Ende verfolgen. Schon während die ersten Aus-
buchtungen der Pankreasanlage hervortreten, lässt sich eine ganz bestimmte
asymmetrische Lage derselben konstatiren: der rechts überhängende Blindsack
ist etwas vorwärts, der linke rückwärts gerichtet; zugleich offenbart sich eine
entsprechende Umlagerung des ganzen Gastro-Duodenalbogens und der Leber-
anlage {Fig. 254. 255. 311). Indem diese auf die rechte Seite hinüberneigt,
weicht der vordere Schenkel mit dem primitiven Leberstiele oder der Magen-
Leberdarm nach links von der Medianebene ab, während der Uebergang
des Duodenums in den Mitteldarm in Folge einer entgegengesetzten Verschie-
bung des hinteren Schenkels oder des Pankreasdarms auf die rechte Seite zu
liegen kommt {Fig. 278. 279. 311 — 313. 352. 359-362). Mit anderen
Worten, die ganze Gastro - Duodenalschlinge rückt aus der medianen in eine
schräge und selbst quere Stellung, welche ihrer Verlängerung mehr Spielraum
gewährt; und indem sie sich dabei ventralwärs ausdehnt, verdrängt der links
hinabsteigende Magen die darunter liegende Leber auf die noch freie rechte
Seite. Diese sehr unmerklich beginnende Lageveränderung des Vordarms und
seiner Abschnürungsorgane ist nicht nur die Einleitung und, ohne dass sich ihre
eigene Ursache bezeichnen liesse, der leicht nachweisbare Ausgangspunkt für
alle späteren Zustände des Situs viscerum, sondern auch die unerlässliche Grund-
lage für die gesetzmässigen, eigenthümlichen Verbindungen der vorderen Bauch-
eingeweide vermittelst des sie gemeinsam überziehenden Visceralblattes.
Schon am Hinterende des Lungendarms, wo die Speiseröhre sich zum
Magen zu erweitern beginnt, dringen die Gekrösefalten wieder bis zur Rücken-
seite des Darmblattkanals hinauf und vereinigen sich über ihm zur Anlage
eines Gekröses {Fig. 263—265. 279—281). An der genannten Stelle bleibt
es allerdings sehr kurz; rückwärts aber über der ganzen Gastro-Duodenal-
schlinge bis zum Mitteldarm dehnt es sich bereits in der ersten Larvenperiode
zu einem wirklichen Aufhängebande aus {Fig. 359 — 362). Unmittelbar erreicht
es übrigens nur die Anlage des Magens ; dahinter endet es an der Oberseite der
zwerch sackförmigen Pankreasanlage, welche die konkave Biegung des Duo-
denums vollständig ausfüllt und mit demselben breit zusammenhängt. In Folge
der asymmetrischen Umlagerung der Vordarmtheile wird das genannte Gekröse
von seiner medianen Wurzel aus durch den Magen Leberdarm nach links, vom
Pankreasdarm nach rechts hinübergezogen. — Zu gleicher Zeit mit diesem
ftQQ XI. Der Darmkanal und seine Anhangsorgane.
Gekröse entwickelt sich das Ligamentum hepato-gastro-duoclenale
oder das kleine Netz, welches man ganz wohl als interviscerales Gekröse be-
zeichnen darf. Wenn alle bisherigen Schilderungen der Leberentwickelung
richtig wären, wenn also dieses Organ wirklich ein freier Auswuchs, eine voll-
ständige Ausstülpungsbildung des Darmkanals wäre, so bliebe für die noch
nirgends erörterte Entstehung des kleinen Netzes nur die Annahme übrig, dass
es aus einer sekundären Verbindung der Leber mit dem Darmkanal hervor-
ginge, welche aber um so wunderbarer erschiene, als die frühzeitige Streckung
des primitiven Leberstiels , welcher doch später in der breitesten Stelle jenes
Bandes liegt, nothwendig eine von Anfang an zunehmende Entfernung jener
beiden Eingeweide wenigstens an jener Stelle voraussetzt, was auch thatsächr
lieh der Fall ist. Erscheint aber schon die Vorstellung einer Ausstülpung für
die Anlage der Batrachierleber ganz unstatthaft, so bezieht sich auch die ge-
schilderte Abschnürung derselben nur auf das Darmblatt. Das Visceralblatt,
welches ursprünglich kontinuirlich von der Seite des Vordarms auf die Leber-
anlage überging, zieht sich allerdings jederseits in die Abschnürungsfurche
faltenförmig ein, wird aber über dem Leberstiel nicht quer durchbrochen, son-
dern beide Falten vereinigen sich in dem Masse, als jene Eingeweide ausein-
andertreten, zu einer Platte, deren beide Blätter beim Uebergange auf die
dadurch verbundenen Eingeweide nach beiden Seiten wieder auseinander-
weichen (Fig. 298. 312). Dasselbe geschieht auch über der Leber zwischen
dem Magen und dem Venensacke bis zum Lungendarm hinauf, wo das Visceral-
blatt jenes Sackes das Darmblatt wieder erreicht, also die mediane Platte auf-
hört {Fig. 255. 311). In ihrer Entstehung stimmt folglich diese Platte oder
eben das kleine Netz mit dem Gekröse vollständig überein und ihre Lage und
Gestalt bleiben stets in genauer Anpassung an die Lagebeziehungen der durch
sie verbundenen Theile. Anfangs , solange die Leber aus ihrer Lage vor und
unter dem Vorderschenkel der noch ziemlich median gestellten Gastro-
Duodenalschlinge noch wenig gewichen ist, verläuft auch das kleine Netz ziem-
lich senkrecht und in einem sehr schmalen Streifen zwischen der Hinterfläche
der Leber, der nur wenig geneigten Vorderfläche des Magens und Duodenums
bis zum kurzen primitiven Leberstiel hinab (Fig. 298). Je weiter die Leber
nach rechts rückt, desto länger wird der primitive Leberstiel und damit ein
unterer Rand des kleinen Netzes ausgezogen, sodass es zwischen Leber,
Magen-Leberdarm und dem Leberstiele eine dreieckige Scheidewand bildet,
deren Basis mit dem letzteren zusammenfällt und deren Spitze im Uebergange
X f. Der Darmkanal und seine Aiihangsorgane. 301
des Magens in die mediane Scheidewand der Pleurahöhlen liegt. Diese drei-
eckige Membran wird aber in Folge jener Lageveränderung der Vordarmtheile
zugleich schräg von vorn und rechts nach links mit einer Neigung nach hinten
gestellt. Auf diese Weise entsteht zwischen dem kleinen Netze und der Leber
vorn und etwas rechts, dem Magen-Leberdarm links und dem queren Pankreas-
darm , nebst dessen ebenfalls quergezogenem Gekröse als Hinterwand ein nur
abwärts und rechts sich öffnender Raum, welcher aber so eng ist, dass der
durch ihn repräsentirte Netzbeutel nur als Spalte erscheint {Fig. 278. 311.
312. 359 — 362). Später sucht man aber auch nach einem solchen spaltförmi-
gen Netzbeutel vergebens; denn indem sich einerseits die Masse der Bauch-
speicheldrüse von der Gastro- Duodenalschlinge vollkommen und ohne Aus-
ziehung eines intervisceralen Gekröses trennt, und anderseits auch der
schmälere Theil des kleinen Netzes bis auf das die Gefässe, Nerven und den
Leber-Gallengang leitende Band resorbirt wird,* erhalten die Wände des ur-
sprünglichen Netzbeutels so viele Lücken, dass sein embryonaler Bestand aus dem
anatomischen Verhalten im entwickelten Thiere nicht erkannt werden könnte. —
Wenn die Leber ihrer Entstehung gemäss ursprünglich nur ein interviscerales
Gekröse, eben das kleine Netz, besitzen kann, so erhält sie nachträglich gewisse
Verbindungen mit der Leibeswand, welche allerdings nicht im wörtlichen Sinne
Aufhängebänder, aber doch die Leber in ihrer Lage zu erhalten bestimmt sind
und daher als ihre Richtbänder bezeichnet werden könnten. Von diesen habe
ich das gewöhnlich sogenannte Lig. Suspensorium hepatis oder das Leitband
der Bauchvene bereits geschildert (S. 768) ; ein zweites geht in entgegengesetz-
ter Richtung an die Wirbelsäule. Auf der rechten Seite wächst nämlich die
Leberanlage mit dem ihr angeschlossenen bleibenden pankreatischen Gange am
Venensacke bis an die rechte Seite der in den Magen übergehenden Speise-
röhre und bis dicht unter den der letzteren angehefteten rechten Lungen-
schlauch hinauf, wobei sie mit diesen Theilen kontinuirlich verbunden bleibt
{Fig. 278. 359—362). Indem aber diese rechte Leberhälfte seitlich an die
Leibeswand stösst und längs derselben auswachsend sich rückwärts wendet,
schiebt sie sich von vorn und rechts vor die Oeff'nung des Netzbeutels und ver-
vollständigt so dessen vordere Bucht, während sie anderseits durch die Aus-
füllung des Raumes zwischen ihrer Befestigung an der Speiseröhre und der
* Stakniüs spricht noch von einem kontinuirlichen Gekröse der Anuren (Nr. 80 II
S. 180), während Letdig bereits auf Gekröselücken in der Magengegend einiger Amphibien
aufmerksam machte (Nr. 81 S. 45).
Gof.tte , Entwickelungsgescliichte. "1
g02 XI. Der Dannkanal und seine Anhangsorgane.
seitlichen Leibeswand die um die rechte Lunge bereits entstandene offene Höhle
von einer ähnlichen ventralen Lücke zur Seite der Gallenblasenanlage scheidet.
Die obere Befestigung dieser rechten Leberhälfte zieht sich darauf zu einem
kurzen Bande aus, welches beim weiteren Auswachsen der Leber von der rech-
teu Seite der Speiseröhre auf das sich daran schliessende Pankreasgekröse sich
fortsetzt und so schräg auf- und rückwärts die Wurzel desselben erreicht. Im
Anfange der zweiten Larvenperiode wird dieses neugebildete Gekröse der rech-
ten Leberhälfte durch ihr andauerndes Wachsthum schräg nach rechts hinab-
gezogen und dadurch vom Gekröse der Gastro-Duodenalschlinge gleichsam ab-
gespalten, sodass es endlich rechts neben der Wurzel desselben und gerade
unter der Stammvene derselben Seite eine eigene subvertebrale Befestigung er-
hält (Taf. XXI Fig. 376). Dabei wird natürlich die Anheftung der Lunge auf
die schräg auf- und lateralwärts gekehrte Fläche dieses Lebergekröses über-
tragen. Auch ist es jetzt leicht verständlich, wie der vordere Hohlvenen-
absdhnitt, indem er vom Venensacke aus sich in diesem Gekröse in dem Masse
rückwärts entwickelt, als dasselbe vorrückt, durch dasselbe endlich in die rechte
Stammvene hinübergeleitet wird (S. 769). Untersucht man nun diese Bildung
nach der Larvenmetamorphose, so findet man mit der Verbreiterung der rech-
ten Leberhälfte auch das geschilderte Gekröse noch mehr lateralwärts um-
gelegt, sodass zwischen seinem freien Rande und der Leibeswand nur ein
Schlitz übrig bleibt, durch welchen die rechte Lunge, welche bei massiger Fül-
lung durch jenes Gekröse von unten verdeckt werden könnte, bei stärkerer
Luftaufnahme in die Bauchhöhle hervortritt. Nun denke man sich die Aus-
dehnung der Pleurahöhlen nach vorn so beschleunigt, dass sie zur Bergung der
wachsenden Lungen jederzeit vollkommen ausreichen und daher der nach
rechts schauende freie Rand des genannten Lebergekröses der Leibeswand
einige Zeit angeschmiegt bliebe, ohne von der in Thätigkeit versetzten Lunge
beständig wieder abgehoben zu werden; dann wäre eine Verwachsung jenes
Randes mit dem parietalen Bauchfelle oder der feste hintere Verschluss der
rechten Pleurahöhle ebenso wahrscheinlich wie der hintere Verschluss der
Perikardialhöhle unter ähnlichen Umständen konstant eintritt. Jene Voraus-
setzung ist nun für die Säugethierembryonen vollständig zutreffend: ihre Leber
wächst ausserordentlich schnell , während die Lungen noch ganz über (hinter)
dem Herzen in ihren Pleurahöhlen liegen, und zugleich vollzieht sich auf eine
noch nicht aufgeklärte Weise der hintere Abschluss dieser Höhlen (vgl. Koel-
likee Nr. 48 S. 879). Es kommt mir daher mehr als wahrscheinlich vor, dass
IX. Der Darmkanal und seine Anhangsorgane 303
der letztere so entsteht, wie er bei den Batrachiern angelegt und nur durch die
relativ frühe Ausdehnung der Lunge an der Vollendung gehindert wird; um so
mehr als nur bei dieser Annahme die noch ebenso unaufgeklärte Entwicklung
des vorderen Hohlvenenendes der Säuger verständlich wird, welches eben nicht
durch ein Darmgekröse, sondern über der rechten Leberhälfte und innerhalb
des Zwerchfells von der Wirbelsäule zum Herzen hinabsteigt. — Ganz ähnliche
Beziehungen , wie sie das subvertebrale Lebergekröse zur rechten Lunge und
Pleurahöhle eingeht, zeigen zu den linken Gegenstücken derselben der letzte
Speiseröhrenabschnitt und der Magen mit ihrem Gekröse, denen sich noch, wie
ich wenigstens an erwachsenen Unken sehe, ein linkes Leberband anschliesst,
sodass ich zu behaupten wage , dass die Batrachier so gut wie die Säugethiere
hintere Schlusswände ihrer Pleurahöhlen entwickeln, welche aus den angeführ-
ten Ursachen nur nicht zur Verbindung mit der lateralen Leibeswand gelangen.
Diese beiden Wände und die Hinterwand des Perikardialsackes bilden nun eine
die Rumpfhöhle quer durchsetzende nach vorn und oben gewölbte Scheide-
wand, ein vollkommenes Homologon des Zwerchfells. Denn es erhellt, dass
die morphologische Bedeutung desselben von der Anwesenheit der vom
M. transversus sekundär hineinwachsenden Muskelbündel unabhängig ist, wel-
cher Vorgang bei den Batrachiern wohl zum grössten Theil durch die mangelnde
Verbindung des pleuralen Zwerchfells mit der Leibeswand verhindert wird.
Ebenso ist die schliessliche Ausdehnung desselben bei den Säugethieren, welche
natürlich mit der Ausbreitung der Pleurahöhlen bis an die Bauchseite des
Perikardialsackes fortschreitet, sowie die grössere oder geringere Absonderung
der Leber vom Zwerchfelle für jenen Vergleich unerheblich. Bevor ich diesen
Gegenstand verlasse, will ich nur noch die Frage anregen, ob nicht das Centrum
tendineum eine Folge der unmittelbaren Einfügung der vorderen Leberseite in
die künftige Mitte des Zwerchfelles ist, indem dort anfangs die einfachen
Duplikaturen von Peritoneum und Pleura, Peritoneum und Perikardium auf-
hören, und die zwischen die auseinanderweichenden serösen Blätter eingefügte
Leber dem Fortschritt der Muskeln in jenen Duplikaturen ein Ziel setzt.
Ueber die besondere Entwicklung der zwei grossen Abschnürungsorgane
des hinteren Vordarms habe ich noch Folgendes zu berichten. — Die erste
Anlage der Leb er zeigt sich in der vorderen unteren sackförmigen Ausbuchtung
des Vordarms, welche beim Beginn der aktiven Umbildung des Darmblattes als
erster Ausdruck seiner Ausdehnung erscheint. Die Folge zeigt, dass diese
Thätigkeit mit einem organischen Wachsthum unter Massenzunahme nichts zu
51*
gQ4 XL Der Darmkanal und seine Anhangsorgane.
thun hat; denn die Ausdehnung geht im allgemeinen mit der Verkleinerung der
Zellen und der Verdünnung des ganzen Blattes Hand in Hand, und Beides
schreitet dort am schnellsten fort, wo die Formbedingungen dazu am günstig-
sten sind, nämlich die Ausdehnung genügenden Spielraum findet. Daher scheint
es natürlich, dass der Darmblattsack sich zuerst gegen die freie Perikardial-
höhle ausbuchtet; sobald aber diese Ausbuchtung durch das mit vorgeschobene
Viseeralblatt oder durch andere Umstände behindert, in ihrem Inneren indessen
ein grösserer freier Raum entstanden ist, findet die fortschreitende Ausdehnung,
gemäss jener mechanischen Vorstellung den bequemsten Ausweg gegen diesen
' Innenraum und zwar in Form von Faltungen oder Einsenkungen {Fig. 250. 256.
277. 278. 292. 203. 313). Da nun aber diese nicht als isolirte gruben- oder
furchenförmige Vertiefungen auftreten, sondern von Anfang an nach verschie-
denen Seiten zusammenhängen, sodass die zwischen ihnen zurückbleibenden
Theile der ursprünglichen Darmblattoberfläche erst als flache Buckel, dann
als kolbige hohle Sprossen erscheinen, so hat man sich daran gewöhnt , diese
als einfache Ausstülpungen anzusehen. Achtet man jedoch darauf, dass wäh-
rend dieser ersten Umbildung der äussere Umfang der Leberanlage nicht zu-
nimmt, dagegen ihre Höhle alsbald verdrängt und durch die von der Leber-
wurzel aus nach allen Seiten hin ausstrahlenden engen Kanäle jener Sprossen
ersetzt wird, so muss die erste Schilderung den Thatsachen besser entsprechend
erscheinen. In dem Masse als die sich centripetal ausdehnende Darmblattmasse
den weiten Innenraum der Leberanlage zum Theil ausfüllt, wachsen an der
Peripherie die Zwischenräume zwischen dem glatt gespannten Visceralblatte
und den Enden der Lebersprossen; folglich können diese Enden anschwellen und
im kleinen die erste Umbildung der ganzen Leberanlage wiederholen: sie be-
decken sich mit Buckeln, welche sich in kleine Blindsäckchen verwandeln, und
die ganze Darmblattmasse der Leber bietet das Bild einer Drüsenanlage,
welche zu einer traubigen Form auszuwachsen im Begriffe steht {Fig. 277).
Doch folgt die weitere Leberentwickelung diesem Typus nicht, sondern die sich
weiter verzweigenden und dabei stets dünner werdenden Blindsäckchen oder
hohlen Kölbclien verwachsen mit ihren Enden nach allen Seiten und bilden auf
diese Weise das bekannte embryonale Lebernetz (Fig. 250. 371. 373). Diese Ab-
weichung der Leber von anderen ähnlich angelegten Drüsen trifft mit der früh-
zeitigen Blutgefässbildung in ihren ersten Interstitiell zusammen, welche Bil-
dung sie nur noch mit den nicht verzweigten Urnierenanlagen theilt ; und ich
glaube es daher als wahrscheinlich bezeichnen zu dürfen, dass die Entwickelung
XI. Der Darmkanal und seine Anhangsorgane. 805
jenes schon beschriebenen Gefässnetzes zwischen den noch einfachen Leber-
sprossen diese veranlasst, die Blutbahnen zu umwachsen und dabei netzförmig
zusammenzustossen. Dies bleibt aber auch der einzige wesentliche Unter-
schied der Leber von anderen verzweigten Drüsen; denn dass von den ersten
hohlen Sprossen nur noch solide Kölbchen auswachsen, das ganze embryonale
Lebernetz also ein Balkenwerk und nicht ein Kanalsystem sei , muss ich nach
meinen Erfahrungen für die Batrachier in Abrede stellen. Allerdings nimmt
aber, die Weite der Lichtungen schon in den sekundären Sprossen so beträcht-
lich ab, dass man sie zwischen den noch mit Dotterkörnern angefüllten und da-
her nicht scharf begrenzten Zellen nur an ausgesuchten Durchschnitten und bei
stärkerer Vergrösserung erkennt (Fig. 374). Dieser Umstand lässt mit Rück-
sicht auf die bekannte Enge der feinsten Gallenkanälchen erwachsener Thiere
annehmen, dass auch die scheinbar soliden Cylinder in der Leberanlage unseres
Thieres hohl seien. Die weitere Entwickelung des Lebernetzes, welche ich noch
bis in die zweite Larvenperiode verfolgt habe, bot mir nur eine fortlaufende
Wiederholung der geschilderten Vorgänge, wozu ich noch bemerke, dass auf den
Durchmesser eines Lebercylinders durchgängig zwei Zellen kommen, so dass
die Annahme eines denselben durchziehenden feinen Kanälchens auf keine
Schwierigkeiten stösst. Für die entwickelten Batrachier ist bekanntlich ein
solcher Bau der Leber durch Herinu nachgewiesen worden (Nr. 154 S. 94 — 97),
sodass der direkte Uebergang des netzförmigen aus dem Darmblatte hervor-
gehenden Kanalsystems der embryonalen Leber in den Galle bereitenden und
ausführenden Apparat des fertigen Organs unzweifelhaft erscheint; die einzige
erwähuenswerthe Veränderung besteht eben darin, dass im ersten Falle die
secernirenden Drüsenzellen und das Epithel der Ausführungsgänge noch voll-
ständig gleich sind, in der Folge aber das letztere abgeplattet wird. Alle
Bindesubstanzen der Leber werden vom Bildungsgewebe des Visceralblattes
geliefert , natürlich stets unter Voraussetzung der Ergänzung durch Dotter-
bildungszellen.
Die Entstehung des Ductus hepaticus, cysticusund choledochus wäre sehr ein-
fach zu verstehen , wenn der primitive Leberstiel nichts weiter erzeugte. Der
gleichzeitige Ursprung des pankreatischen Ganges aus derselben Anlage er-
schwert die sondernde Erkenntniss um so mehr, als seine Entwickelung nach
den genauesten Untersuchungen , die ich darüber anstellen konnte, von zwei
getrennten Punkten ausgeht. Die Auflassung, dass der pankreatische Gang
gar nicht zum primitiven Leberstiel gehöre , sondern als besonderer Auswuchs
gQ(j XI. Der Darmkanal und seine Anhangsorgane.
des Duodenums zu betrachten sei , kann die Darstellung desshalb nicht verein-
fachen, weil die Anlagen der genannten Gänge und der Gallenblase ursprüng-
lich einen einfachen Sack bilden, der durch allmähliche Abschnürung in jene
Theile aufgeht. Zunächst lässt sich die mehr hohe als breite Einschnürung,
welche die eigentliche Lebermasse absondert, als unbestrittene Anlage des
Ductus hepaticus von dem dahinter liegenden Beutel scheiden, welcher aufwärts
in das Duodenum übergeht {Fig. 298. 372). Weil sein schmälerer Grund ge-
rade unter der Mündung in den Lebergang sich zu einer anfangs platten Tasche
oder der Gallen blasen anläge abschnürt, lässt sich sein Mittelstück, wel-
ches in den Lebergang und die Gallenblase unter der geringsten Aenderung
seiner Axe sich fortsetzt, als D. choledochus bezeichnen. Die Gallen-
blasenanlage schiebt sich in der Folge unter die Leber (Fig. 278), und indem
sie sich zu einer dickwandigen Blase erweitert, verursacht sie einen Eindruck
an der Unterseite des weichen auswachsenden Organs und im Anschlüsse daran
scheinbar auch dessen erste Sonderung in zwei Hälften oder Hauptlappen, von
denen der linke sich später noch einmal theilt (Fig. 371. 379). Die Seitentheile
des beuteiförmigen primitiven Leberstiels buchten sich frühzeitig aus, der linke
schwächer und etwas tiefer, der rechte stärker und aufwärts, sodass er als
länglicher Blindsack der Hinterseite des rechten Leberlappens angeschlossen,
mit ihm in der beschriebenen Weise auswächst und dabei an der rechten Seite
des Magens auf die dort herabhängende Hauptanlage des Pankreas stösst und
sich mit ihr verbindet (Fig. 278. 279. 360). Da diese Verbindung sich voll-
zieht, bevor noch die feinere Ausbildung der Drüse begonnen hat, so kann na-
türlich eine Grenze, wie weit ein jeder von den beiden genetisch verschiedenen
Theilen am Aufbau des ganzen Organs betheiligt ist, nur annähernd bestimmt
werden; und wenn ich zur Vereinfachung der Darstellung die aus dem primi-
tiven Leberstiel hervorgehende Anlage bisher als pankreatischen Gang bezeich-
nete, so will ich jetzt ausdrücklich hervorheben, dass die Mächtigkeit derselben
gegenüber derjenigen des Alisführungsganges der Leber es mir höchst wahr-
scheinlich erscheinen lässt, dass jene Anlage ausser dem Endstücke des
pankreatischen Ganges auch noch Theile der eigentlichen Drüsensubstanz er-
zeuge, dass also die Batrachier, sowie ich es seinerzeit für die Vögel nachwies
(Nr. 153 S. 48 — 51), ebenfalls zwei vollständig getrennte Bauchspeicheldrüsen-
anlagen besitzen. Die morphologische Entwickelungsgeschichte ihres gemein-
samen bleibenden Ausführungsganges ist aber in der obigen Darstellung noch
nicht erschöpft. Die linke Ausbuchtung des primitiven Leberstiels, welche an-
XI. Der Darmkanal und seine Anhangsorgane. 807
fangs scheinbar isolirt besteht, wird während der folgenden Lageveränderung
der Leber mit der rechtsseitigen Anlage des pankreatischen Ganges dadurch
verbunden, dass die letztere über die Vorderseite des primitiven Leberstiels
nach links hinüber sich von ihm abschnürt und daher endlich in die linksseitige
mündet, welche ihrerseits sich allmählich vom D. choledochus bis zum Duo-
denum absondert (Fig. 278. 313. 359. 360). Daraus erhellt, warum der fer-
tige Ausführungsgang der Bauchspeicheldrüse den D. choledochus von rechts
her überschreitet , um an dessen linker Seite sich in den Darm einzusenken
(Fig. 37 3). Die dorsale Pankreas anläge, welche ich in ihrer ursprünglichen
Gestalt mit einem Zwerchsacke verglich, ist von Anfang an mehrfach aber
weniger regelmässig als die Leberanlage ausgebuchtet-, der überwiegende Theil
ihrer Masse neigt nach rechts von der Gastro-Duodenalschlinge und verschmilzt
dort mit dem vom Leberstiele hinaufwachsenden Blindsacke, während die
kleine , halbkugelig vorragende linke Hälfte am längsten mit dem konkaven
Grunde jener Schlinge verbunden bleibt und daher deren Umlagerungen sehr
gut kennzeichnet (Fig. 311. 312. 352. 373). Diese Verbindung besteht längere
Zeit in einer bei der Abschnürung der ganzen Anlage zurückgebliebenen kanal-
förmigen Kommunikation zwischen dem Innenraum des Darms und des
Pankreas, sodass dasselbe nicht nur, wie wir sahen, aus drei getrennten An-
lagen hervorgeht, sondern einige Zeit durch zwei an den entgegengesetzten Enden
mündende Kanäle mit dem Darme in Verbindung steht. Der zuletzt be-
schriebene , der Hauptanlage angehörige Gang schwindet aber in der Folge,
worauf sich die Drüse von der Gastro-Duodenalschlinge völlig ablöst und so
einen der merkwürdigsten Wechsel in den ursprünglichen und späteren Verbin-
dungen und Beziehungen eines Organs zu anderen offenbart. Die weitere Ent-
wickelung der Darmblattanlage beginnt ähnlich wie an der Leberanlage : das
sich ausdehnende Blatt erzeugt gegen den Innenraum vorspringende und den-
selben verengende Falten und zwischen diesen nach aussen gerichtete Blind-
säckchen, welche sich allmählich verzweigen. Der verengte Innenraum wird
zum centralen Ausführungsgang, die Blindsäckchen ordnen sich zu den an-
sitzenden Drüsenläppchen an. Diese behalten stets deutliche Lichtungen und
scheinen sich nicht stark weiter zu verzweigen , sondern die Drüsenkanälchen
länger zu werden, als es sonst bei traubigen Drüsen der Fall ist (Fig. 376).
Der Umstand, dass obgleich die Entwicklung der Bauchspeicheldrüse der-
jenigen der Leber anfangs sehr ähnlich ist, bei dem relativ viel späteren Auf-
treten der weniger zahlreichen und starken Gefässe die Drüsensprossen wohl
gQg XI. Der Darmkanal und seine Anhangsorgane.
dicht zusammengedrängt erscheinen, aber niemals miteinander verschmelzen,
dürfte die Auffassung unterstützen, dass die Entwickelung des besonderen Ge-
fässnetzes der Leberanlage auch ihre abweichende Drüsenbildung bedinge.
Der Mitteldarm ist der am spätesten zum vollständigen unteren Ab-
schlüsse kommende Darmabschnitt (vgl. S. 265—267). Man macht sich die
richtigste Vorstellung von seinem Verhältniss zu den anderen Abschnitten,
wenn man sich das Darmblatt als einen weiten Sack denkt, der an beiden
Enden (Vorder-, Hinterdarm) blind geschlossen, in der Mitte seiner Unterseite
eine grosse Oeffnung besitzt, in welche eine kompakte Masse (Dotterzellen-
masse) so weit eingefügt ist, dass sie die darüberliegende Lichtung ausser-
ordentlich verengt (Mitteldarmkanal) und die anstossenden unteren Theile der
endständigen weiteren Räume rückwärts und vorwärts abschliesst (Vordarm,
Afterdarm). Daher sind auch diese an beiden Enden des Mitteldarmkanals
sich abwärts vertiefenden Buchten nicht als vollständige Darmblattbildungen
anzusehen, was sofort erhellt, wenn man sich die Dotterzellenmasse durch ihr
Homologon bei anderen Wirbelthierembryonen, den flüssigen Nahrungsdotter
vertreten denkt: der „Blindsack" des Vordarms ergibt sich dann als die gegen
den Dotter weit offene Fovea cardiaca, der „Blindsack" des Afterdarms als
die ebenso weit zugängige hintere Darmbucht der Anmioten. Indem aber die
gleichsam freien Ränder des sich ausdehnenden Darmblattes die vordere und
hintere Fläche der Dotterzellenmasse aufwärts überziehen und sie dadurch von
der Begrenzung jener Blindsäcke ausschliessen, an den Enden des Mitteldarms
angekommen aber in dessen Darmblattränder umschlagen, welche umgekehrt
die Dotterzellenmasse abwärts umwachsen, wird die letztere in eine bruchsack-
artige, vorn und hinten gegen die endständigen Darmabschnitte abgeschnürte
Erweiterung des Mitteldarms eingeschlossen {Fig. 372. 877). Diese Bildung
unterscheidet sich, besonders wenn wir die mit einer grossen Dotterzellenmasse
versehenen Batrachier, z. B. Salamandra maculata berücksichtigen (vgl. Nr. 39
Taf. I), vom Dottersacke der meisten Teleostierembryonen nur durch die seit-
lich mangelnde Abschnürung eines Danndotterganges, während in beiden Fällen
der innere Dottersack in einer einfachen Erweiterung der Bauchhöhle ruht
(Taf. XX). Dann ist aber auch die Homologie mit den Amnioten, denen auch
die Leibeswand um den Dottersackstiel eingeschnürt wird, leicht verständlich;
und selbst die zellige Beschaffenheit des Nahrungsdotters der Batrachier kann
nicht mehr als Ausnahme gelten, seit ich die Blutbildung im Nahrungsdotter
der Fische und Vögel nachgewiesen und neuerdings dasselbe Verhalten auch
XI. Der Darmkanal und seine Anhangsorgane. §09
bei den Säugethieren angetroffen habe (vgl. S. 787). Anderseits lässt sich aber
der durchweg zellige Nahrnngsdotter der Batrachier, indem wir uns nur seine
Masse redueirt denken, als Theil der primären Keimblase und der sich darauf
einstülpenden Hälfte derselben betrachten ; und daraus rechtfertigt sich die
Auffassung, dass der Nahrungsdotter der Batrachier, wenn er auch thatsächlich
nicht als Theil des Darmblattes bezeichnet werden kann, dennoch aus einem
Eitheil hervorgeht, welcher bei geringerer Differenzirung des ganzen Eies in
dem gleichmässigen Entoderm der Gastrulaform enthalten ist(vgl.S. 143 — 145).
Sowie aber in diesem Falle der Nachweis der Homologie noch nicht ohne
weiteres dieselbe Bezeichnung für die ursprünglich homologen aber verschieden
weiter entwickelten Theile gestattet, so werden wir auch den unteren Theil des
Mitteldarms der Batrachier nicht schlechtweg einen Dottersack nennen können,
um so weniger, als jener Theil, wenn er sich vollkommen geschlossen, d. h.
sein Darmblattsack die Dotterzellenmasse vollends in sich aufgenommen hat,
auch die entfernteste Aehnlichkeit mit einem abgeschnürten Sacke verliert und
der ganze Mitteldarm als die bloss etwas dickere und zudem quer gestellte
Mitte des gesammten. gewundenen Darmkanals erscheint (Fig. 353. 354). Diese
Form- und Lageveränderung' wird durch die Umbildungen des Vor- und Hinter-
darms eingeleitet und bedingt (Taf. XX). Die Gastro-Duodenalschlinge ent-
wickelt sich von vorn nach hinten fortschreitend, sodass zuerst ihr vorderer
Schenkel sich ausdehnt und dabei in Folge der einmal angeordneten Asymmetrie
sich auf die linke Körperseite hinüber biegt, der sich daran schliessende, noch
wenig abgesonderte, hintere Schenkel sich quer umlegt, wodurch zugleich dessen
Mündung in den Mitteldarm nach rechts rückt (Fig. 361. 362. 373). In der Folge
trägt nun, wie man es leicht an dem noch angewachsenen linken Pankreas-
lappen erkennen kann, wesentlich die Verlängerung des Magen- Leberdarms
zur Lageveränderung der ganzen Gastro-Duodenalschlinge bei, indem seine
untere Hälfte den Pankreasdarm vor sich her schiebend an seine frühere Stelle,
von links und oben quer über die Bauchseite nach rechts und wieder aufwärts,
tritt, sodass der Verlauf der Gastro-Duodenalschlinge vom Ende des Lungen-
darms bis zum Uebergang in den Mittel darin eine Spirale beschreibt (Taf. XX).
Der letzte auf der rechten Seite quer aufsteigende Abschnitt dieser Spirale
zieht aber auch das anstossende Stück des Mitteldarms in dieser Richtung her-
vor und drängt ferner mit der fortschreitenden Ausdehnungsbewegung dessen
Hauptmasse nach links hinter den absteigenden Magen-Leberdarm (vgl. Fig.
373). Damit erhält auch der Mitteldarinkanal eine etwas schräge Richtung
810 XI. Der Darmkanal und seine Anhangsorgane.
von vorn und rechts nach hinten und links und wird auch das Vorderende des
Hinterdarms auf die letztere Seite verschoben. Sobald nun der Hinterdarm in
sagittaler Richtung nach vorn sich zu strecken beginnt, schiebt er in ähnlicher
Weise wie es die Gastro - Duodenalschlinge am Vorderende des Mitteldarms
thut, dessen Hinterende vor sich her, legt ihn also vollends in eine quere Lage
um (Taf. XX). Indem sich zuletzt der Mitteldarm selbst der allgemeinen Ver-
schmächtigung und Verlängerung des Darmkanals anschliesst, zieht sich sein
mit dem Hinterdarm verbundenes Ende in eine nach vorn gerichtete Schlinge
aus, welche zuerst an der linken Seite des Magen-Leberdarms liegt und darauf
während des andauernden Längenwachsthums sich abwärts und rückwärts
wendet, um die bekannten Schneckenwindungen auszuführen, durch welche
die Gesammtlänge des Darms endlich das 12 — 13 fache der ganzen Körper-
länge bis zur Schwanzwurzel erreicht.* Bei dieser Aufwindung des eigent-
lichen Dünndarms muss natürlich das Mesenterium die Form einer Schraube
■
annehmen, an deren scharfem Rande eben der Darm befestigt ist. Durch diese
Entwicklung des Dünndarms wird die gleichfalls stärker gewundene Gastro-
Duodenalschlinge ganz nach rechts verdrängt-, indem aber während der Meta-
morphose jene bedeutende Länge des Dünndarms ganz unverhältnissmässig
reducirt wird, rückt auch jene Schlinge wieder in ihre frühere quere Lage hinter
der Leber.
Während der Abschnürung des Hinterdarms entwickelt sich die zwischen
seinem absteigenden Ende oder dem Afterdarm und der Dotterzellenmasse
befindliche Seitenplatte nicht in entsprechender Weise zu einer jenen dreieckigen
Raum ausfüllenden Fortsetzung des Bauchfellsackes, sondern atrophirt dort zu
einer dünnen medianen Bindegewebsplatte, welche mit den seitlich anliegenden
Oberhauttheilen eine Fortsetzung der Schwanzflosse vor dem Afterdarm dar-
stellt (Taf. XVIII Fig. 326, Taf. XXI Fig. 372. 377). Dieselbe Rückbildung
zeigt die Seitenplatte auch im lateralen Umfange des Afterdarms, sodass er in
die Schwanzflosse vollständig eingeschlossen einen besonderen, extraperitonealen
Darmabschnitt bildet. Dass auch die Bauchmuskulatur jene Vordergrenze
der ventralen Schwanzflosse nicht überschreitet und daher den Afterdarm unbe-
deckt lässt, wurde früher erwähnt, ebenso die Rückbildung desselben in der
Larvenmetamorphose und die bei verschiedenen Anuren wechselnde Lage seiner
Mündung innerhalb der Flosse (S. 467. 609. 677, vgl. Fig. 356). Dort wo der
* Cuviek gibt das bezeichnete Verhältniss bei den Froschlarven auf 1 : 9, 7 an (Lecons
d'anatoinie comparee, 2. edit. IV. 2. S. 202).
XI. Der Dannkanal und seine Anhangsorgane. gH
Hinterdarm das Ende der Bauchhöhle erreicht, wächst jederseits eine Hälfte
der Harnblase aus ihm heraus, welche durch diese Doppelanlage an ihr
Homologem in höheren Wirbelthieren , die Allantois, erinnert. Darüber liegt
die Wurzel des Schwanzdarms und die Einmündung der Urnierengänge, sodass
diese Region nach der Reduction des Afterdarms als Kloake vom eigentlichen
Mastdarm unterschieden werden kann.
Von der Histiogenese des Darmkanals habe ich nur wenig zu be-
richten. Die Auflösung der in den Mitteldarm aufgenommenen Reste der
Dotterzellenmasse geht gegen das Ende der ersten Larvenperiode , wann seine
geschilderte äussere Umbildung beginnt, rasch von statten. Die Dotterzellen
werden durch die zwischen sie eindringende Interstitialflüssigkeit von einander
gelöst und bilden , indem die grösseren Lücken mit der ursprünglichen kleinen
Darmlichtung zusammenfliessen , in diesen Raum unregelmässig vorspringende
oder bereits in ihm frei suspendirte grössere und kleinere Zellenhaufen, an
denen die Auflösung der einzelnen Elemente oft ganz deutlich zu sehen ist
{Fig. 361. 362. 373). Während der Darmraum* dadurch vergrossert, aber
seine Zunahme auf den sich verlängernden Kanal vertheilt wird , verwandeln
sich die wandständigen Darmblattzellen unter fortschreitender Vermehrung
und Verkleinerung in das cylindrische Darmepithel {Fig. 376). Solche
Bilder, wie sie Remak auf Längstheilungen dieser Zellen bezieht (Nr. 40 S. 160),
habe ich niemals wahrgenommen. Alle übrigen Gewebe der „ Darmwand
(Bindegewebe, Muskeln, Bauchfellepithel) liefert das Visceralblatt, natürlich
unter Zuziehung von Dotterbildungszellen, aber unter Ausschluss einer irgend-
wie nennenswerthen Betheiligung der Segmente. Dass die letzteren nament-
lich nicht das gesammte subepitheliale Gewebe liefern , wie es Schenk für die
Vögel wahrscheinlich zu machen sucht (Nr. 155 S. 195 u. flg.), geht wenigstens
für die Batrachier daraus hervor, dass erstens das Visceralblatt als angeblich
ausschliessliche Epithelanlage des visceralen Bauchfells gar keine glatte Innen-
fläche behält, sondern gegen das Darmblatt ganz kontinuirlich in unregel-
mässige Zellenschichten übergeht, und dass ferner der Zugang zu den sub-
epithelialen Darmtheilen vom Lungendarm an bis zum Hinterdarm schon vor
dem Eintritt einer regeren Diöerenzirung des Visceralblattes theils durch die
Aorta, die Gef ässknäuel der Urnieren, die Gekrösefalten erschwert, theils durch
die vollendete Gekrösebildung ganz verschlossen ist {Taf. XIV. XV). Ferner
spricht für meine Ansicht noch der Umstand, dass das Bildungsgewebe auf der
Dotterzellenmasse (Dottergefässschicht) und die Muskelwand des Herzens ganz
812 XI. Der Dannkanal und seine Anhangsorgane.
unzweifelhaft selbstständige Bildungen des Visceralblattes sind. — Nur an
einer Stelle entsteht im Visceralblatte ein besonderes Organ, die Milz. Sie
hat keine ursprüngliche morphologische Anlage, sondern erscheint im Mesen-
terium des Mitteldarms, nahe der Wurzel der A. mesenterica, im Anfange der
zweiten Larvenperiode als ein flaches Häufchen indifferenter rundlicher Zellen
mit granulirten deutlichen Kernen , welche ich eben desshalb und weil alle
umgebenden Zellen alsdann bereits differenzirt erscheinen, für direkte Abkömm-
linge der Dotterbildungszellen halte {Fig. 376). In den Blutbahnen sind die-
selben zu der angegebenen Zeit schon sämmtlich in der Umwandlung in voll-
ständige Blutkörperchen begriffen. Bald darauf tritt jenes Zellenhäufchen als
rundliches dem Mesenterium anhängendes Körperchen hervor, ohne dass
jedoch seine Innenmasse sich merklich verändert hätte. Ohngefähr zur Zeit,
wann die Larve die Hälfte ihrer vollen Rumpflänge erreicht hat, konnte ich
an der Milzanlage Folgendes erkennen. Die Anwesenheit einiger weniger,
durch ihre gelbliche Färbung , ihre ovale Gestalt und den homogenen Kern
wohl charakterisirter Blutzellen liess annehmen , dass alsdann die Gefasse der
Milz in der Bildung begriffen seien. Zerdrückte ich eine solche Milzanlage, so
stürzte der Inhalt nicht sogleich vollständig heraus, sondern quoll allmählich
an vielen Stellen hervor und bestand aus einer grossen Menge freier Zellen,
welche ungefärbt, wasserhell, mit grossen zarten leicht granulirten Kernen ver-
sehen, also von den darunter gemischten noch äusserst spärlichen Blutzellen
sehr leicht zu unterscheiden waren. Aus jenem Verhalten beim Zerdrücken
der Milz vermuthe ich , dass sie in jenem Zustande bereits enge geschlossene
Hohlräume enthält, in denen die genannten weissen Zellen angehäuft sind.
Noch bemerke ich , dass sie in der Grösse sehr schwanken , auch verhältniss-
mässig zahlreiche Theilungserscheinungen darbieten. Untersuchte ich nun
das Herzblut derselben Larven, so fand ich unter der Masse gelber Blutzellen
bereits einige den Milzzellen ähnliche Elemente, die aber ebenso spärlich waren
wie die gelben Blutzellen in der Milz. An wenig grösseren Larven hatte sowohl
die Zahl der Blutzellen in der Milz als auch diejenige der weissen Zellen im
Herzblute ansehnlich zugenommen. Da nun von allen Lymphgefässen allen-
falls nur der subvertebrale Lymphgefässstamm des Schwanzes eine sehr geringe
Anzahl von Lymphzellen liefern könnte, eine andere Quelle der weissen Blut-
zellen bei den Batrachiern, denen die Lymphdrüsen bekanntlich fehlen, nicht
ausfindig zu machen ist, so halte ich es für mehr als wahrscheinlich, dass jene
weissen Blutzellen und die Milzzellen als direkte Abkömmlinge der Dotter-
XI. Der Darmkanal und seine Anhangsorgane. 813
bildungs- oder embryonalen Blutzellen identisch sind. Uebeiiegt man , dass
die Milzzellen erst dann ihr Organ verlassen können, wann dessen Blutgefässe
in genügender Weise gebildet und sekundär mit den Aufenthaltsräumen jener
Zellen in Verbindung getreten sind, so stimmen damit meine obigen Beobach-
tungen vollkommen überein und liefern dadurch einen tatsächlichen Beleg für
die von Leydig und W. Müller histologisch begründete Ansicht, dass die
Milz der niederen Wirbel thiere einer Lymphgefässdrüse gleichkomme (Nr. 81
S. 46—52, Nr. 120 I S. 252).
Die Entwickelungsgeschichte des Darmkanals der Batrachier halte ich für
besonders geeignet, in dem unbefangenen Beobachter die Ueberzeugung hervor-
zurufen, dass alle dabei erzielten Bildungen lediglich auf eine einfachste, im
wesentlichen überall gleichartige Bewegungsursache zurückzuführen sind,
welche erst vermöge der sie formgesetzlich bestimmenden übrigen Embryonal-
anlagen in jene mannigfaltigen Leistungen übergeführt wird , durch die der
fertige Darmkanal mit seinen Anhangsorganen sich auszeichnet. Für das
Darmblatt, an welchem die Formbildung des Darmkanals ihren unmittel-
barsten und deutlichsten Ausdruck findet, kann wenigstens bei den Batrachiern
jede allgemeine Massenzunahme während seiner morphologischen Entwickelung
vollständig ausgeschlossen werden: es behält nicht nur sein festes epitheliales
Gefüge, sondern bei dem späten Beginn histologischer Veränderungen auch die
embryonale Zusammensetzung seiner dotterhaltigen Zellen, was einer Auf-
nahme von Dotterbildungszellen sogut wie einer wirklichen endosmutischen
Nahrungsaufnahme widerspricht. Auch erfolgt die morphologische Umbildung
des Darmblattes stets im Zusammenhange mit einer entsprechenden Ver-
kleinerung und Verschiebung seiner Elemente, sodass die aus der Zeilen-
theilung abzuleitende Bewegungsursache als die bei dieser Entwickelung
ausschliesslich wirksame betrachtet werden muss; und seine ursjjrüngliche
epitheliale Form lässt die Zellenbewegung sich wesentlich in einer Flächen-
ausdehnung äussern. Anderseits verbietet die relativ gleichmässige Be-
schaffenheit aller Abschnitte des Darmblattes ihm innewohnende Differenzen
als selbstständigen Ausgangspunkt seiner Formbildung anzunehmen; seine
gleichmässig angelegte Ausdehnung gelangt aber zu wirksamer Entwickelung
erst dann, wann die umgebenden Embryonalanlagen ihr bereits mannigfach ge-
gliederte Foimbedingungen entgegenstellen, sodass die mechanische Wechsel-
814 XL Der Darmkanal und seine Anhangsorgane.
Wirkung sich bei eingehender Beobachtung eigentlich von selbst ergibt. Daher
glaube ich die bezüglichen Erklärungen, welche ich in diesem und früheren
Kapiteln (vgl. S. 260 — 270. 723 — 725) für die Entwicklung der einzelnen
Darmabschnitte gegeben habe, wenigstens im grossen und ganzen als natur-
gemässe"bezeichnen zu dürfen. Dieser wesentlich mechanische Kausalzusammen-
hang in der morphologischen Entwicklung des Darmkanals lässt sich aber
auch über die ersten Anlagen hinaus weiter verfolgen, wenn man überhaupt
auf die gleichzeitige Entwicklung der umgebenden Theile achtet. Bisher
wurden aber die Umbildungen der sack- oder schlauchförmigen Darmanlage
für sich gesondert und vorherrschend an dem relativ ungünstigen Objekte des
Vogelembryo beschrieben, sodass entweder auf die Einsicht in jenen Kausal-
zusammenhang ganz verzichtet oder die Bildungsursachen in den einzelnen
Darmtheil selbst verlegt, d. h. der leidigen „histologischen Differenzirung"
oder einem die Erscheinung einfach umschreibenden „Wachsthumsgesetze"
alles das aufgebürdet werden musste, wofür eine Erklärung fehlte.
Rusconi gab die ersten schönen, aber leider nicht fehlerfreien Abbildungen
von der allmählichen Ausziehimg und Aufwindung des Froschdarms (Nr. 6
S. 56. 57 Taf. III) *. Reichert, welcher bekanntlich den im Rumpfe liegenden
Darmkanal und Nahrungsdotter der Batrachierembryonen für einen abge-
schlossenen und mit Dotter ganz erfüllten Sack hält, lässt das Vorderende
desselben zur Zeit, „wo beim Frosch noch keine Spur des Darmsystems in der
Bauchhöhle enthalten ist", in die gemeinschaftliche Anlage der Leber und
Bauchspeicheldrüse sich verwandeln, und die Lungen überhaupt nicht aus dem
Darmkanal, sondern im Zusammenhange mit dem „Kiemenbogenträger" aus
dem „Wirbelsystem" entstehen (Nr. 22 S. 24. 74). Vogt hat die Leberanlage
von Alytes ziemlich ebenso wie Reichert beschrieben (Nr. 26 S. 58. 77. 92).
Erst Remak führte, gestützt auf seine vergleichend -embryologischen Studien,
den Darmkanal und seine Anhangsorgane wenigstens auf eine einheitliche
Gesammtanlage zurück, obgleich es ihm nicht gelang, die morphologische Be-
deutung der letzteren auch nur so weit richtig zu erfassen wie v. Baer
(vgl. S. 268. 269). Leber, Pankreas und Lungen sind nach Remak Auswüchse
der Darmwand, die beiden ersten an der Bauch- und Rückenseite einander
* Durch die dritte bezügliche Abbildung hat Rusconi den Formzusaminenhang zwischen
den ersten und den folgenden Entwickelungsstufen vollständig unterbrochen und das Ver-
standniss des allmählichen Uebergangs ganz unmöglich gemacht.
XI. Der Darmkanal und seine Anhangsorgane. 815
entgegengesetzt und erst nachträglich miteinander verwachsen (Nr. 40 S. 162.
163). Sowie aber diese Verwachsung irrthümlich als eine linksseitige bezeich-
net wird, ist auch die von der Leber angeblich unabhängige Bildung der
Gallenblase und die Entwicklung eines blinden Pankreasganges vom Organ
selbst gegen den Darm hin unrichtig angegeben. Die Entwicklung des Leber-
netzes hat Remak ganz unverkennbar unter dem Einflüsse seiner bezüglichen
Beobachtungen am Hühnchen beschrieben, welche ihn zur Annahme solider
Leberbäikchen bewogen ; sonst hätte er die Kolben der Leberanlage nicht einfach
für verlängerte Zellen halten und bei starker Vergrösserung so zeichnen können
(Nr. 40 Taf. IX Fig. 23). Wenn Remak ferner die Lungenanlagen solide nennt,
so entspricht dies nicht den soliden Verdickungen des Visceralblattes , welche
nach meiner Darstellung der Bildung der hohlen Darmanhänge vorausgehen;
sondern Remak hält irrigerweise auch den bereits vorhandenen axialen Darm-
blattheil der Lungenanlagen für eine solide Bildung, welche erst durch Ausein-
anderweichen der Zellen hohl werde. Die im allgemeinen richtige Angabe
Remak's, worin ihm übrigens Reicheet vorausgegangen war (S. 259), dass die
innerste Schicht des embryonalen Darmkanals zum Epithel werde, verliert
wiederum ihren Hauptwerth durch die früher erörterte Verwechselung der
Dotterzellenmasse mit dem eigentlichen Darmblatte (S. 268). v. Bambecke
weicht in keinem wesentlichen Punkte von Remak ab (Nr. 63 S. 55 — 58), so-
dass sich die sämmtlichen bisherigen Beobachtungen über die vorgeschrittenere
Darmentwickelung als ausserordentlich dürftige darstellen.
Ueber die gleichen Vorgänge bei den übrigen Wirbelthieren fehlen mir
eigene Untersuchungen in der Ausdehnung, welche ich oben als für eine richtige
Erkenntniss des Kausalzusammenhangs nothwendig bezeichnete, und ich kenne
auch keine fremden Arbeiten dieser Art ; und nur daraufhin , dass ich in den
primitiven Darmanlagen eine Uebereinstimmung aller Wirbelthiere nachweisen
konnte, habe ich es schon im beschreibenden Theile versucht, den noch aus-
stehenden Einzeluntersuchungen vorausgreifend einige Vergleichungspunkte
hervorzuheben. Was zunächst den Vordarm betrifft, so sehe ich bei den
Batrachiern die wichtigsten seiner Formbedingungen darin, dass er durch die
Dotterzellenmasse gleichsam fixirt , durch den Uebergang seines Darmblattes
auf dieselbe rückwärts und abwärts erweitert, in seiner Ausdehnung aber durch
ebendieselbe Masse auf den davor liegenden Raum beschränkt ist, wobei die
Perikardialhöhle die günstigsten Bedingungen zum Auswachsen der Leber-
anlage bietet. Die gleichen ursprünglichen Formbedingungen finde ich am
316 XI. Der Darmkanal und seine Anhangsorgane.
Vordarm der übrigen Wirbelthiere wieder. Indem der Nahrungsdotter der
Teleostier und Amnioten unter das Niveau des Darmkanals hinabsinkt, und die
auf ihn übergehende Darmwand durch eine Einschnürung (Darmnabel) in
Darmanlage und den inneren Dottersack* geschieden wird, fällt allerdings die
bedeutungslose hintere Begrenzung des Vordarmsackes durch den Nahrungs.-
dotter (Batrachier) fort; doch bleibt dieser Darmtheil durch den Vorderrand
des Darmnabels, welchen man mit dem Grunde jenes Sackes bei den Batra-
chiern vergleichen kann, fixirt und nach unten und hinten erweitert, während
die Perikardialhöhle seinen Uebergang in den Kopfdarm von unten verengt.
Dieser trichterförmig erweiterte hintere Abschnitt des Vordarms der Teleostier
und Amnioten entspricht also vollständig dem Vordarmblindsacke der Batra-
chier, sobald man dessen nicht dazu gehörige, vom Nahrungsdotter gebildete
Hinterwand hinwegdenkt, und enthält ebenfalls in seiner unteren Wand die
Anlage der Leber, in seiner dorsalen Wand diejenige der Bauchspeicheldrüse.
Bei den Teleo stiem sehe ich den engen und rückwärts nur an Höhe zu-
nehmenden Vordarm die weite konthmirliche Leibeshöhle (Perikardial- und
Bauchhöhle) wie eine mediane Scheidewand durchsetzen, da er nach seiner
Abschnürung noch einige Zeit mit seinem unteren Rande an den Dottersack
oder die unteren Blätter der Darmschlussfalten geheftet bleibt. An derVor'der-
grenze des Darmnabels beginnt dieser erweiterte untere Theil des Vordarms
sich nach vorn und etwas links gegen die künftige Perikardialhöhle auszu-
sacken; und indem der Darmnabel von hinten gegen diese Aussackung oder
die Leberanlage zusammenzieht, kommt er an ihre rechte Seite zu liegen und
kann der atrophirende innere Dottersack sich sogar vor jenes Organ schieben.
In dieser Weise hat auch v. Baer die Lagebeziehungen der Leber im Karpfen-
embryo geschildert und nur darin geirrt, dass er aus der rechtsseitigen Lage
der Darmnabelmündung darauf schliesst, dass die Bauchseite des Darms der
Fischembryonen ebenso wie bei den Embryonen der Amnioten nach rechts ge-
wandt sei (Nr. 147 S. 32 — 34). Denn die ersteren legen sich nicht auf die linke
um wie z. B. die Vögel (vgl. Nr. 8 I S. 80), sondern umgekehrt auf die rechte
Seite-, und wenn man dann ihre Medianebene durch den Dottersack fortsetzt,
so liegt dessen grössere Hälfte allerdings rechts von jener Ebene, aber gerade
* Nach einem schon v. Baee geläufigen Ausdruck kann man den Dottersack in eine
Fortsetzung der Darmwand und der Leibeswand sich geschieden denken, und alsdann die
erstere als inneren Dottersack der anderen oder dem äusseren Dottersack entgegensetzen.
XI. Der Parnikanal und seine Anhangsorgane. 817
weil die Bauchseite des Darms sich nach links verschoben hat. Auch hat
v. Baer die Leberanlage richtig als eine Art Ausstülpung beschrieben , deren
innere Höhlung sich in die dicke Wand hinein verzweige, ohne dass die Läpp-
chen der letzteren deutlich würden (Nr. 147). Statt diese richtigen Beob-
achtungen zu bestätigen, lässt Vogt die Leber der Forellenembryonen sich aus
einer soliden Zellenmasse entwickeln, welche erst durch eine nachträgliche Aus-
höhlung mit dem Darm in Kommunikation trete (Nr. 26 S. 58. 92, Nr. 123
S. 175); auch Leydig scheint geneigt, die Leberanlage der Haie für eine blosse
Zellenanhäufung zu halten (Nr. 139 S. 116). — Die Perikardialhöhle der Fische
bleibt wegen der mangelnden Abschnürung der Leibes wand lange Zeit sehr
weit und kann daher durch die viel schmälere Leber rückwärts nicht ver-
schlossen werden ; dass dieser Verschluss endlich doch eintritt, dürfte sich da-
durch erklären, dass bei der Zurückziehung des schrumpfenden Dottersackes
aus dem Boden des Perikardialraumes der letztere bedeutend zusammenge-
zogen und verschmälert wird. Warum bei den Fischen eine Ausdehnung des
Vordarms nach vorn unterbleibt und in Folge dessen Brust und Pleurahöhlen
fehlen, habe ich schon erläutert (S. 797); der Ursprung der Schwimmblase
über der Leber ist ein weiterer Beleg für den Mangel jener Ausdehnung, da
dieses Organ von v. Baer mit vollem Recht für eine rechte Lunge erklärt wird.
Ich kann sie zu einer gewissen Zeit von den noch nicht thätigen Lungen der
Batrachierlarven nicht unterscheiden, und zweifele auch gar nicht an der Rich-
tigkeit der Beobachtung und Auffassung v. Baer's, dass die Schwimmblase
während der ersten Zeit der Luftaufnahme als wirkliche Lunge fungire (Nr. 147
S. 33). Die Ausstülpung der Schwimmblasenanlage aus dem embryonalen
Darmkanal hat Vogt ebenfalls übersehen, dagegen die Luftaufnahme ebenso
wie v. Baer beschrieben (Nr. 123 S. 177).
Ueber die sekundären Umbildungen des Darmkanals der Amnioten habe
ich ebenfalls nur wenig zu bemerken. Erwähnt wurde bereits , wie sehr die
Beziehungen der Anhangsorgane des Vordarms zur Leibeswand und zum Ver-
schluss des Perikardialsackes und der Pleurahöhlen vernachlässigt wurden;
dass sie aber im wesentlichen mit den entsprechenden Verhältnissen der Batra-
chier übereinstimmen, glaube ich in einigen Durchschnittsbildern bestätigt zu
sehen, welche sich in der His'schen Arbeit über die Entwickelung des Hühn-
chens finden (Nr. 109 Taf. XI). Fig. 13 der 1. Serie zeigt uns den Venensack
unter der Lungenwurzel, und da die Abschnürimg und seitliche Abplattung des
ganzen Embryo bereits vorgeschritten sind, jenen Herztheil bereits in Verbin-
üokttb, Kutwickelungsgescbichte. «2
818 XI. Der Darmkanal und seine Anhangsorgane.
dung mit der Leibeswand. Diese Verbindung würde allein dadurch, dass die
Leibeswand bis an das Herz heranrückte, nicht zu Stande kommen, weil das
letztere ohne seine Fixirung am Vorderrande des Darmnabels oder an der
Leberanlage zu stark bewegt würde ; ferner scheint mir auch die letztere , wie
es auf dem folgenden Durchschnitte Fig. 14 zu sehen ist, die sie umgreifenden
Dotterdarmvenen auseinanderzutreiben und dadurch der Leibeswand zu nähern.
Nur darf man die Bestätigung dessen nicht im Texte von His selbst suchen ;
denn er erklärt jene Leberanlage für die Anlage der Lungen , welche nach
hinten offen , zwischen und über den Dotterdarmvenen lägen (Nr. 109 S. 145.
146) ! Ferner hat His auf derselben Tafel (Serie IV Fig. 5. 6) eine sehr
interessante Bildung wiedergegeben, ohne sie jedoch mit einem Worte zu
erwähnen: es sind Durchschnitte eines Lebergekröses, welches rechts vom
Magen und dem Netzbeutel zur ursprünglichen Gekrösewurzel aufsteigt und
ein Gefäss dorthin leitet. Man braucht diese Bilder nur mit den von mir ge-
gebenen entsprechenden Durchschnitten der Unkenlarven zu vergleichen
(Taf. XX Fig. 359 — 361), um sich davon zu überzeugen, dass wir in jener
Bildung des Hühnchens dieselbe von mir ausführlich besprochene Gekröse-
brücke vor uns haben , welche das Mündungsstück der hinteren Hohlvene vom
Herzen und der Leber zur Wirbelsäule hinaufleitet. Mit allen diesen Be-
merkungen soll aber der bezügliche Gegenstand nicht als erledigt betrachtet
sondern nur ferneren Untersuchungen empfohlen werden.
XII. Die Harn- und die Geschlechtsorgane.
Die gemeinsame Embryonalanlage für die Entwicklung der Harn- und
der Geschlechtsorgane ist die Seitenplatte des Rumpfes, und zwar ihr dorsaler
Theil, wo die beiden Blätter in der Gekrösefalte ineinander übergehen. Eine
,, Mittelplatte" in dem Sinne wie bei den Amnioten lässt sich bei den Batra-
chiern weder lateral- noch medianwärts abgrenzen , da jene Bildungen ebenso-
wohl auf das Parietalblatt der Leibeswand wie auf das Visceralblatt des Darms
übergreifen. Bekanntlich gibt es in den Embryonen der Wirbelthiere zweierlei
Harnorgane, die Urnieren und die bleibenden Nieren, von denen jene zuerst
entstehen , sehr bald ihre definitive Struktur erhalten und wie es scheint auch
in Funktion treten, die anderen später sich zu bilden anfangen und bis zum
Eintritt der Funktion eine längere Entwickelungszeit brauchen. Doch fällt
die Entwickelung der beiderlei Harnorgane vor diejenige der Geschlechts-
organe, und daher gebührt ihnen der Vortritt in der Beschreibung.
1. Die Urnieren.
Ihre ersten Anfänge erscheinen bereits in der Embryonalperiode zu der
Zeit, wann die Seitenplatte sich von den Segmenten zu trennen beginnt.
Während die laterale Einkerbung zwischen dem Parietalblatte und den Seg-
menten entsteht, buchtet sich dasselbe in der Gegend des Yordarms und
ohngefähr in der Höhe der Darmlichtung in einer abwärts überhängenden
Falte lateralwärts aus, sodass die letztere anfangs nur unten gegen das
Parietalblatt abgesetzt erscheint, aufwärts aber noch ohne Grenze in dasselbe
übergeht (Taf. VI Fig. 114). Indem sich aber dieser beutclförmige Anhang
52*
820 XII. Die Harn- und die Geschlechtsorgane.
des Parietalblattes alsbald auch nach oben ausdehnt, also sich von diesem
Blatte abzuschnüren beginnt, erscheint er nach den Querdurchschnitten als
abgeplattete, mit dem Parietalblatte durch einen hohlen Stiel zusammen-
hängende, also auch mit der spaltförmigen Rumpfhöhle kommunicirende
Tasche {Taf. VII Fig. 137. 138). Verfolgt man die ganze Reihe der aufein-
ander folgenden Querdurchschnitte, so überzeugt man sich, dass die Breite der
Tasche nicht gleichmässig bleibt, dass der Stiel in horizontaler Richtung fort-
läuft, also eigentlich eine hohle Leiste darstellt, und dass endlich die Höhe
seines Ansatzes gleichfalls wechselt {Taf. XIII Fig. 239—241). Diese Um-
stände machen es begreiflich , dass eine klare Vorstellung über die Gestalt der
ganzen Ausstülpung des Parietalblattes oder der Urnierenanlage aus den
Durchschnitten unmittelbar nicht zu gewinnen ist. Und da es unmöglich ist,
diese Anlage aus dem weichen Embryo im Zusammenhange herauszupräpariren,
so habe ich ein anderes Mittel gewählt sie zu klarer Anschauung zu bringen.
An einer lückenlosen Reihe von Querdurchschnitten der betreffenden Embry-
onen bestimmte ich aus ihrer Zahl und der Länge des zerlegten Körpertheils*
ihre durchschnittliche Dicke. Dann zeichnete ich ein Liniennetz, dessen
Quadrate die Länge jenes Masses und die Höhe meiner Mikrometereintheilung
in gleicher Vergrösserung besassen. Nach dieser Vorbereitung brachte ich
die Durchschnitte der Reihe nach unter das Mikroskop und bestimmte alle
Grenzen der Urnierenanlage, indem ich ihre Entfernungen von einer durch den
ganzen Rumpf sich gleich bleibenden Höhenlinie, nämlich der tiefsten Stelle
der Wirbelsaite, mass. Diese Masse bezeichnete ich darauf in dem genannten
Liniennetze, ebenfalls von einer bestimmten Horizontalen ausgehend, in der
Weise, dass ich die Masse des ersten Durchschnitts in eine senkrechte Kolonne,
die Masse des zweiten in die folgende eintrug u. s. w. So wurden auf dem
Papier durch die aneinandergereihten Grenzbestimmungen der Querdurch-
schnitte der Urnierenanlage deren in sagittaler Richtung verlaufenden Umrisse
dargestellt. Um die Richtigkeit solcher Konstruktionen zu prüfen, habe ich
erstens dasselbe Bild zu verschiedenen Malen durch neue Messungen hergestellt,
wobei sich keine nennensvverthen Differenzen herausstellten, ferner stets die
beiderseitigen Urnierenanlagen desselben Embryo in der angegebenen Weise
gezeichnet, und kann versichern, dass ihre Unterschiede in der Zeichnung nicht
grösser waren , als sie auch ganz naturgemäss an anderen paarigen Organen
x" Die letztere wurde an Frontaldurchschnitten ganz gleicher Embryonen gemessen.
1. Die Urnieren. 821
vorkommen. Die Zusammenstellung der Durchschnittsbilder mit den konstru-
irten Seitenansichten ergibt nun, dass die vom Parietalblatte sich abschnürende
Urnierenanlage an ihrem vorderen Ende aus einer länglichen platten Tasche
besteht, welche mit der Bauchhöhle durch eine aufwärts konkav gebogene Längs-
spalte kommunicirt; dies ist die eigentliche Drüsen anläge {Fig. 239 — 241.
247 , Taf. XXII Fig. 381a). Von der Stelle, wo ihr unterer und hinterer
Umfang zusammentreffen, setzt sie sich röhrenförmig verengt nach hinten fort,
und indem diese Fortsetzung in horizontaler Richtung bis zum Hinterdarm
sich aus dem Parietalblatte hervorstülpt, aber dann auch sofort als ge-
schlossener Kanal sich von ihm vollständig abschnürt, entstellt der Ausführungs-
gang der Urniere, der Urnieren gang. Auf der folgenden Entwickelungs-
stufe hat sich das Bild nicht unwesentlich verändert. Die obere, die Verbin-
dung mit der Bauchhöhle enthaltende Hälfte der Drüsenanlage hat sich in der
Längsrichtung über den unteren Theil hinaus erweitert, bildet also einen
vorderen und einen hinteren Zipfel, welche die Enden der ursprünglichen
peritonealen Verbindungsspalte enthalten; indem sich aber die letztere durch
eine entsprechende Abschnürung der Drüsenanlage vom Parietalblatte bis auf
jene Enden und eine zwischen ihnen gelegene Stelle schliesst, verwandelt sich
jene obere Hälfte unserer Anlage in einen horizontalen Schlauch, weicher durch
zwei endständige und eine mittlere Mündung, die sich alsbald in kurze Röhr-
chen ausziehen, mit der Bauchhöhle zusammenhängt (Fig. 381b).- Die untere
Hälfte der früheren Tasche oder der künftige Haupttheil des Orgaus beginnt
unterdessen von jenem oberen Mündungstheile sich abzusondern, wobei natürlich
der Ansatz des Urnierengangs abwärts gezogen wird, sodass er hinter der
Drüsenanlage bis zu seiner horizontalen Fortsetzung bogenförmig aufsteigen
muss (Taf. XVI Fig. 290. 291). In der Folge verlängern und verengen sich
die beiden Zipfel des Mündungstheils bis zu ihren peritonealen Oeffnungen
wobei sie einen geschlängelten Verlauf annehmen ; und auch die mittlere Mün-
dung zieht sich so weit röhrenförmig aus, dass dieser ganze obere Theil der
Drüsenanlage in drei Mündungsröhren umgebildet erscheint, welche von ihrer
gemeinsamen Wurzel, wo sie in die impaare Fortsetzung der Drüse übergehen,
gegen die Bauchhöhle in Form eines Delta divergiren (Taf. XVII Fig. 308).
Der untere Theil des Organs dehnt sich in gleicher Weise zu einer immer
engeren Röhre aus, deren Durchmesser endlich demjenigen des Ausführungs-
ganges gleichkommt, und deren bedeutende Verlängerung in stetig zunehmen-
den hin- und her gerichteten Windungen ihren Ausdruck findet, in welche
$22 XII. Die Harn- und die Geschlechtsorgane.
möglicherweise auch die angrenzenden Abschnitte des Urnierengangs hinein-
gezogen werden (Taf. XVI Fig. 299 — 301, Taf. XX Fig. 35!) — 361
Fig. 381 c. d.). So verwandelt sich die ganze Anlage in einen dichtgewundenen
Knäuel, der aber weder aus einer einzigen Röhre noch aus einem quastenför-
migen Bündel von Röhren besteht, welche gemeinsam in den Urnierengang zu-
sammenlaufen, sondern uns eine eigenthümliche Verbindung beider Formen
zeigt : der knäuelförmig aufgewundene Hauptgang , welcher allein unmittelbar
in den Urnierengang übergeht, mündet in die Bauchhöhle mit drei gleichfalls
gewundenen divergirenden Armen. In welcher Weise diese Urniere sehr bald
nach ihrer ersten Anlage von der Stammvene durchsetzt wird, habe ich schon
in der Entwickelungsgeschichte der letzteren angegeben. Das Blut erfüllt
dabei die Zwischenräume der Urniere gerade so wie anfangs diejenigen der
Leber, ohne von vollständigen Gefässwänden umschlossen zu sein; dagegen
bildet sich sehr frühzeitig eine die ganze Urniere einschliessende zarte Haut,
welche in die Gefässwand der ein- und austretenden Stammvene sich fortsetzt
{Taf. XIV, XV, XVII Fig. 307—311. 318. 319). Das ganze Organ bleibt
stets dicht am Parietalblatte , also am parietalen Bauchfelle liegen und wird
daher von den Segmentschichten und den daraus hervorgehenden Muskeln
lateralwärts bedeckt. Die Mündungen der Urniere bleiben gegenüber der
Vorderhälfte des Vordarms, jedoch stets über den hervorwachsenden Lungen
liegen. Die Urnierengänge folgen den Lageveränderungen der ihnen median-
wärts angeschlossenen Stammvenen und gelangen auf diese Weise allmählich
in den Retroperitonealraum, wo sie zunächst zwischen dem Parietalblatte und
den Stammuskeln, später den Nierenanlagen liegen bleiben (Taf. XI Fig. 197.
198). Während sie sich aber rückwärts vom Parietalblatte abschnüren, bildet
sich die zweiblättrige Seitenplatte um das hinterste Ende des Hinterdarms zu
einer einfachen dünnen Schicht von Bildungsgewebe zurück, sodass die
Entwickelung der Urnierengänge an derselben Stelle, nämlich unterhalb der
Wurzel des Schwanzdarms eine natürliche Grenze findet , und ihre blinden
Enden dort nur durch etwas Bildimgsgewebe vom Darmblatte des Hintordarms
geschieden werden (vgl. Taf XIII Fig. 242. 243). Dieses Hinterdarmende
wird aber während der Abschnürung der Schwanzdarinwurzel von seiner dor-
salen Seite etwas quer ausgezogen , sodass diese beiden seitlichen Zipfel des
Minterdarnis gerade auf die danebeiiliegenden blinden Enden der Urnieren-
gänge stossen und sich darauf mit denselben verbinden. Auf diese Weise
erhalten die Urnierengänge eine Mündung in den Dannkanal , und indem das
1. Die Urnieren. 823
die beiden Mündungen enthaltende dorsale Ende des Hinterdarms sich vom
absteigenden Afterdarme etwas abschnürt, verwandelt es sich in ein kurzes
Röhrenstück, durch welches beide Urnierengänge gemeinsam und von hinten
her in die spätere Kloake münden ( Taf. XXI Fig. 372. 377). Dieses gemein-
same Mündungsstück der Urnierengänge , welches nicht aus einer Verschmel-
zung ihrer Enden hervorgeht, sondern aus dem Darme gleichsam hervorge-
zogen wird, bildet sich nach kurzer Zeit wieder zurück und lässt die Urnieren-
gänge definitiv getrennt münden.
Wenn die Urniere nun in dem Urnierengänge einen unzweifelhaften Aus-
führungsgang besitzt , so weist der Umstand , dass sie auch mit der serösen
Leibeshöhle kommunicirt, darauf hin, dass sie in engeren Beziehungen zu dieser
im allgemeinen oder gewissen Einzeltheilen derselben stehe. Allerdings galt
auch bisher schon ein in der Nähe der Urniere gelegener Gefässknäuel für ein
ihr zugehöriges Gebilde; aber seine Lage innerhalb der serösen Leibeshöhle
war meinen Vorgängern ebenso unbekannt wie die Mündungen der Urniere in
dieselbe, und die Zustände in der zweiten Larvenperiode, wann die Urniere und
ihr Gefässknäuel getrennt, wenn auch nahe beieinander unter dem Bauchfell
liegen, sind nichts weniger als geeignet, die Beziehungen beider Theile zu ein-
ander über Vermuthungen hinaus festzustellen. Möglich wird dies nur durch
die Kenntniss der frühesten Entwickelungszustände jener Organe und ihrer
Umgebung und durch Vergleiche mit entsprechenden Entwickelungsvorgängen
anderer Wirbelthierembryonen. Hinsichtlich des Ersteren finde ich, dass die
seröse Leibeshöhle sich zuerst im Bereiche der noch jungen Urnierenanlage
und zwar nur im nächsten Umfange der peritonealen Mündungen dieses
Organs öffnet, und dass dieser beschränkte Theil der Bauchhöhle, selbst nach-
dem sie sich darunter gleichfalls geöffnet hat, dadurch für sich abgeschlossen
und nur mit den Urnierenmündungen in Verbindung bleibt , dass während der
ursprünglichen Berührung des die Urniere einwärts bekleidenden Parietal-
blattes und des Visceralblattes des Lungendarms im Verlaufe der Lungen-
anlagen eine zarte Verbindungsbrücke entsteht, und einige Zeit bestehen bleibt
{Taf. XIV, XV). Unterdessen hat sich die Anlage des Gefässknäuels aus
dem Visceralblatte gebildet, welches gegenüber den Urnierenmündungen die
mediale Wand des bezeichneten abgeschlossenen Raumes darstellt. Diese
Wand treibt zuerst eine längliche horizontale Leiste hervor, welche anfangs
wie die ganze Gekrösefalte noch neben der Darmrinne liegt und erst später
über dieselbe hinaufrückt (Fig. 240. 264. 265). Diese Leiste könnte man
824 XII. Die Haru- und die Geschlechtsorgane.
einige Zeit nach ihrem Entstehen geneigt sein als hohle Ausstülpung des
Visceral blattes zu bezeichnen, in welche nachträglich locker zusammen-
hängende Zellen eingewandert seien. Wenn man aber erkannt hat, dass das
Visceralblatt schon vor dieser Bildung in eine äussere epitheliale und eine
lockere innere Zellenschicht zu zerfallen begonnen hat (S. 811), und darauf
die erstere in den äusseren Ueberzug der Leiste, die andere in deren Inhalt
übergehen sieht, so wird man die Anlage des Gefässknäuels eine solide nennen
müssen und mit der darunterliegenden für die Lunge bestimmten Verdickung
des Visceralblattes vergleichen können, an der auch von Anfang an zwei
entsprechende Zellenschichten sich absondern, das Pleuraepithel und die
weniger fest gefügte Anlage der subepithelialen Gewebe. Jene unter der Ge-
krösefalte entstandene Leiste schnürt sich gegen das übrige Visceralblatt
immer mehr ab und rückt dabei bis zur späteren Gekrösewurzel hinauf, sodass
daraus erhellt, dass das Mesenterium eigentlich nicht aus der primären Ge-
krösefalte sondern vom ursprünglichen Darmtheile des Visceralblattes hervor-
gezogen wird (Taf. XIII— XV). Da dasselbe Verhältniss längs der ganzen
Anlage der bleibenden Nieren und der Geschlechtsorgaue sich wiederholt,
indem dieselben aus jener primären Gekrösefalte hervorgehen, will ich die
letztere die Uro- Gen i talfalte nennen, mit dem Bemerken, dass sie ausser-
halb des Bereichs der Uro - Genitalorgane die Bedeutung einer einfachen
Gekrösefalte behält. Jene innere lockere Zellenmasse der Gefässknäuelanlage
der Urniere verwandelt sich nun ziemlich bald in eine unregelmässig geformte
Gefässanlage , die mit der Aorta nachträglich in Verbindung tritt, und alsdann
von derselben aus mit Blut gefüllt wird {Fig. 279. 280). Durch zahlreiche
Ausbuchtungen gewinnt der Gefässknäuel ein traubiges Aussehen, welches mir
noch dadurch verstärkt zu sein scheint, dass die Zellen der äusseren Epithel-
schicht nicht eine glatte Fläche hilden, sondern höckerig vorragen {Fig. 307. 308).
Wie der Kreislauf in diesem Gefässknäuel eigentlich vor sich geht, weiss ich
nicht •, doch dürfte derselbe kaum von grösserer Bedeutung sein , da der ganze
Gefässknäuel, wie ich gleich erklären werde, nur eine rudimentäre Bildung zu
sein scheint.
Fassen wir die früheren Zustände der Urniere ins Auge, so ist es nach
unseren übrigen Kenntnissen vom Nierenbau sehr nahe gelegt, den vom Gefäss-
knäuel gleichsam eingestülpten, mit den Urnierenkaiiälon unmittelbar
kommunicirenden, sonst aber ziemlich vollständig abgeschlossenen Theil der
allgemeinen Bauchhöhle mit dem erweiterten, einen MALPrani'scheii Gefäss-
1. Die Urnieren. 825
knäuel umfassenden Ende eines Harnkanälchcns — ich will es kurz „Harn-
kanalkapsel" nennen — zu vergleichen. Nun wird aber bei unserem Thiere
der Vergleich ganz wesentlich durch den Umstand gestört, dass jener Abschluss
des genannten Raums sehr bald aufhört, und der letztere wieder in die
allgemeine Bauchhöhle aufgeht, theils bevor, theils gleich nachdem der Gefäss-
knäuel Blut aufgenommen hat (Taf. XV, XX). Allerdings sind im Grunde
genommen alle Hohlräume der ganzen Urniere umgewandelte Theile der
ursprünglichen Bauchhöhlenanlage, welche mit derselben zunächst in Ver-
bindung bleiben; und anderseits bleibt der Gefässknäuel in seiner ursprüng-
lichen Lage , dicht vor den Mündungen der Urniere , sodass , solange er ein
Exkret liefern sollte , dieses zum Theil von den Urnieren aufgenommen werden
könnte, also der zwischen beiden befindliche Raum seiner ihm ursprünglich
bestimmten Aufgabe getreu bliebe. Immerhin lässt sich nicht läugnen, dass
durch seine vollständige Eröffnung in die Bauchhöhle die ganze Einrichtung des
harnleitenden Apparats mangelhaft geworden ist, gegenüber der ersten Anlage
eine Rückbildung erfahren hat, sodass man fragen könnte, ob die Aehnlichkeit
der in Rede stehenden Bildungen mit den bekannten Einrichtungen eines
Harnapparats allein genügt, den oben ausgeführten Vergleich zu begründen,
und ob nicht die Urnierenanlage im engeren Sinne mit der sie durchströmen-
den Stammvene für sich allein einen primitiven Harnapparat darstelle und mit
dem Gefässknäuel gar nicht in Verbindung zu bringen sei. Die Untersuchung
des Forellenembryo hat mir einen vollkommen entscheidenden und befriedigen-
den Aufschluss über jene bei den Batrachiern zweifelhaften Verhältnisse gelie-
fert. Bekanntlich hat Rosenberg den Nachweis geliefert, dass die Teleostier-
niere im allgemeinen aus zwei verschiedenen Anlagen hervorgehe, von denen
die eine (Kopfnierej der Urniere, die andere (Bauch- und Kaudaluiere) der
bleibenden Niere zunächst der Batrachier entspreche (Nr. 156). Ich kann dieses
Resultat nach meinen Beobachtungen an der Forelle im allgemeinen durchaus
bestätigen, muss aber eben desshalb die Entwickelung der Kopfniere des
Hechtes, wie sie uns Rosenbekg beschreibt, für viel weniger geeignet erklären,
um jene Homologie nachzuweisen. Rosenberg's Darstellung lautet folgender-
massen (a. a. 0. S. 41 u. flg.). Der Urnierengang entsteht als Ausstülpung der
Hautplatte (Parietalblatt) und schnürt sich darauf von derselben zu einem ge-
schlossenen Kanal mit blindem Vorderende ab ; das letztere erweitert sich in
der Folge , rückt über der ursprünglichen Gekrösefalte (Uro - Genitalfalte)
medianwärts gegen die Aorta vor und wird alsdann von einer aus der letzteren
826 XII. Die Harn- und die Geschlechtsorgane.
hervorwachsenclen Gefässschlinge eingestülpt, wodurch eben der Gefässknäuel
der Urniere entstehe. Eine darauf folgende Aufknäuelung des Urnierengangs
in der Gegend des vom Gefässknäuel eingestülpten Endes bilde die eigentliche
Urniere ; die beiden Gefässknäuel vereinigen sich unter der Aorta zu einem
Körper. — Meine an Forellenembryonen angestellten Untersuchungen ergeben
etwas andere Resultate. Während der Urnierengang in seinem grössten Theile
sich vom Parietalblatte abschnürt, ist sein Kopfende von Anfang an in einer
solchen Ausdehnung angelegt, dass die mediale Abschnürungsfalte sich auf
dem Visceralblatte des Darms befindet (Taf. XXII Fig. 382). Dieses Kopf-
ende des Urnierengangs oder die von seinem übrigen Verlaufe so wesentlich
unterschiedene Anlage der eigentlichen Urniere erscheint daher von ihrer
engen Mündung in die Bauchhöhle auswärts zum Uebergange in den Urnieren-
gang, einwärts aber in die Uro-Genitalfalte ausgebuchtet und kommt daher
dort in Folge des Zusammentreffens beider Uro - Genitalfalten mit ihrem
Gegenstücke in Berührung. Die unter dieser medialen Bucht der Urnieren-
anlage gelegene Visceralblattfalte ist gleich anfangs so breit, dass nur ihr
unterer Rand mit der gegenüberstehenden Parietalblattfalte sich zum Abschluss
der ganzen Urniere verbindet, während ihr oberer Theil die Lichtung der
letzteren lateralwärts verengt und alsbald wie ein eingedrückter Theil ihrer
Innenwand erscheint. Es ist dies, wie sich aus dem Folgenden ergibt, die
ursprüngliche Anlage des Gefässknäuels. Während dieser Bildungen ist eine
Aorta noch gar nicht vorhanden und sind die sich berührenden medialen
Enden beider Urnieren oder eben die Uro-Genitalfalten von der Wirbelsaite
durch die zusammengeflossenen unteren Theile der inneren Segmentblätter ge-
trennt. Indem sich darauf der Darmblattschlauch senkt und so zwischen den
Anlagen der Gefässknäuel heraustritt, schnürt sich das Visceralblatt jederseits
an der Grenze dieser beiden Theile ein ; und indem beide Blätter sich dort zum
definitiven Gekröse vereinigen , scheiden sie den Darm vollends von den beiden
nun mehr gegen einander offenen Gefässknäuelanlagen ab (Fig. 383). Unter-
dessen hat sich im Innern der letzteren gerade so wie bei den Batrachiern eine
lockere Zellenmasse angesammelt, welche durch ein geringes Auseinander -
weichen der sie oben abschliessenden Uro-Genitalfalten zunächst mit dem
erwähnten Bildungsgevvebe der Segmente und durch dieses mit der gleichzeitig
gebildeten und der Wirbelsaite dicht angefügten Aorta in Verbindung tritt.
Diese Innenmasse der Gefässknäuelanlagen kann, solange die Uro-Genital-
falten in Berührung bleiben, nur vom Visceralblatte selbst abstammen; später
1. Die Urnieren. 827
mögen reichliche Dotterbildungs- oder Blutzellen dieses Bildungsgewebe ver-
mehren, aus welchem die Gefässanlagen jedenfalls unabhängig von der Aorta
entstehen. — Es erhellt aus dem Voranstehenden, dass bei der Forelle
abweichend von der RosENBEBG'schen Darstellung bezüglich des Hechtes
1. das Kopfende des Urnierengangs den ganzen Bereich der Uro -Genitalfalte
mit umfasst , also auch einen Theil des Visceralblattes einschliesst , dadurch
aber von Anfang an als besondere Anlage der eigentlichen Urniere sich dar-
stellt, 2. dass das eingeschlossene Visceralblattstück den Gefässknäuel unab-
hängig von der späteren Verbindung mit der Aorta anlegt, 3. dass der zwischen
denselben und den Anfang des eigentlichen Urnierengangs ohne Lage-
veränderung eingeschlossene Abschnitt der serösen Rumpfhöhle zu einer Harn-
kanalkapsel wird. Die Richtigkeit der RosENBERG'schen Darstellung voraus-
gesetzt, erscheinen die Unterschiede zwischen derselben und meinen Unter-
suchungen in Bezug auf die allgemeine Auffassung nicht bedeutend , da man
eigentlich nur die Grenze von Parietal- und Visceralblatt zu verschieben
braucht, um im wesentlichen auf dasselbe Resultat hinauszukommen. Nur in
Betreff der Gefässknäuelbildung von der Aorta her, worüber Rosenberg selbst
übrigens sich nicht ganz sicher ausspricht (Nr. 156 S. 48), muss ich seine An-
gaben schon desshalb bezweifeln, weil es unwahrscheinlich klingt , dass die
Aorta erst über den beiden Urnieren, dann ganz zwischen ihnen und endlich
wieder über ihnen liege (vgl. Nr. 156 Fig. I , II, VI) . Für den Vergleich mit
den Batrachiern ist aber der Befund an den Forellenembryonen ungleich
geeigneter. Die Harnkanalkapsel ihrer Urniere mit der ursprünglich in sie
eingeschlossenen Uro-Genitalfalte und den Getässknäuelanlagen entspricht auf
das vollständigste jener zweifelhaften Harnkanalkapsel der Urniere bei den
Batrachiern, welche sich von der ersteren nur dadurch unterscheidet, dass sie
den unvollkommenen Abschluss gegen die Bauchhöhle alsbald völlig zurück-
bildet und dadurch den eingeschlossenen Theil der ursprünglichen Bauchhöhle
ihr wieder zurückgibt (vgl F'kj. ,278—280. 360. 382. 383). Diese Eröffnung
und Zurückbildung der Harnkanalkapsel macht es aber sehr unwahrscheinlich,
dass der Gefässknäuel dennoch weiter funktionirte, weil unter solchen Um-
ständen gerade der grössere Theil des Sekrets unfehlbar in der Bauchhöhle
sich ansammeln müsste; und anderseits ist aus ähnlichen Gründen die Fort-
dauer der peritonealen Urnierenmündungen sehr zweifelhaft. Wenn es daher
feststeht, dass die Urniere wenigstens der Unkenlarven der Kopfniere der
Forelle vollständig homolog angelegt wird, so sprechen doch alle Beobachtungen
g28 XII. Die Harn- und die Geschlechtsorgane.
dafür, dass von der ersteren der mediale Gefässkiiäueltheil rudimentär bleibt
und sehr bald bis zur Funktionsunfähigkeit sich zurückbildet, dass aber der
laterale Theil alsdann für sich allein, durch die unmittelbare Wechselwirkung
zwischen den gewundenen Röhren und dem sie allseitig unispülenden Stamm-
venenblut, in der Art einer einfachen Knäueldrüse, z. B. einer Schweissdrüse,
funktionirt. Bekanntlich verödet aber auch die Urniere noch in der Larven-
zeit, während der Urnierengang eine andere Bestimmung erhält.
2. Die bleibenden Nieren.
Diese Organe entwickeln sich aus der Uro-Genitalfalte ohngefähr vun der
Stelle an, wo der absteigende Hohlvenenabschnitt sich später mit der rechten
Stammvene verbindet, bis gegen das Schwanzende hin. In jener Falte behal-
ten die Embryonalzellen ihre ursprüngliche Grösse, während sie im übrigen
Parietal- und Visceralblatte noch in der ersten Larvenperiode nach Ablösung
einer inneren lockeren Schicht von Bildungsgewebe an der freien Oberfläche
zum Peritonealepithel werden. Etwa zur Zeit , wann die Stammvenen unter
den medialen Rand der Segmente vorrücken, dringen die grosszelligen Uro-
Genitalfalten jederseits in einer Reihe von schlauchförmigen Sprossen zwischen
die Aorta und die Stammvenen ein ; diese hohlen Sprossen schliessen sich dabei
bis auf eine Spaltöffnung, welche die beiden Blätter bleibend auseinanderhält
(Taf. XI Fig. 197. 198, Taf. XXI Fig. 372. 376). Während darauf die beiden
Stammvenen zur Medianebene zusammenrücken, werden jene Sprossen der
Uro - Genitalfalten seitwärts über die Venen und die ihnen aussen anliegenden
Urnierengänge gehoben und endlich von ihren zwischen den Venen zusammen-
gedrückten Stielen abgelöst. Die auf diese Weise von den Uro-Genitalfalten
getrennten und in das Bildungsgewebe des Retroperitonealraums eingebetteten
kleinen Schläuche sind nun die Anlagen der bleibenden Nieren; die an der
Gekrösewurzel zurückbleibenden Reste der Uro-Genitalfalten entwickeln da-
gegen die Geschlechtsorgane. Die Zellen, welche die spaltförmige Lichtung
der getrennten Nierenschläuche umschliessen, nehmen alsbald nicht nur an
Zahl, sondern nach der Umwandlung der Dottersubstanz auch an Masse zu; in
Folge davon beginnen die Schläuche sich auszudehnen und erhalten eine
grössere, stetig wachsende Lichtung. Dabei zieht sich aber der gedrungene,
dickwandige Schlauch nicht etwa gleichmässig zu einer schlanken Röhre aus,
sondern die Ausdehnung überwiegt sehr bald am unteren Umfang, welcher
2. Die bleibenden Nieren. S29
röhrenförmig und wegen des beengten Raumes immer mehr sich aufwindend
zwischen die Hohlvene und den Urnierengang hervorwächst , welcher letztere
dadurch seitwärts gedrängt wird ; der obere Theildes ursprünglichen Schlauches
bleibt aber gleichsam als Vorrath für die fortdauernde Ausdehnung der von
ihm ausgehenden schlanken Röhren noch einige Zeit in der früheren Gestalt,
nämlich als sehr enger, dickwandiger Blindsack , dessen grosse Zellen ausser-
ordentlich gedrängt erscheinen und ganz allmählich in das flachere Epithel
der relativ fertigen Harnkanälchen übergehen. Dies erkennt man an Quer-
durchschnitten, welche aber wegen der vielfachen Windungen der auswach-
senden Harnkanälchen deren ganzen Verlauf und Zusammenhang nicht über-
sehen lassen. Präparirt man die ganzen Nierenanlagen einer Seite aus jungen
Larven im Beginn der zweiten Larvenperiode heraus und bringt sie im Zusam-
menhange unter das Mikroskop, so erkennt man sofort, dass die Entwickelung
der Nierenanlagen vom früher beginnt und schneller fortschreitet als hinten,
wodurch während längerer Zeit die Nieren rückwärts verjüngt auslaufen {Taf.
XX Fig. 363). Dieser Umstand gewährt den Vortheil, die einzelnen Ent-
wickelungsstadien neben einander verfolgen zu können, wobei ich darauf auf-
merksam mache, dass die Salamandra maculata viel schönere und klarere Bil-
der der Nierenentwickelung bietet, als alle anderen von mir untersuchten Ba-
trachier. Solche Präparate lassen nun weiter erkennen, dass jeder primitive
Nierenschlauch nicht etwa in eine einzige Röhre, sondern in eine ganze Gruppe
von solchen auswächst, worauf einzelne dieser röhrenförmigen Auswüchse sich
vom Stamme ablösen und selbstständig weiter wachsen und sich aufwinden
{vgl. Taf. XXI Fig. 375 und Nr. 64 Fig. 46). So entstehen anfangs neben
einander liegende getrennte Knäuel von kürzeren und längeren Röhren, welche
aber während des weiteren Wachsthums zusammenstossen und sich verbinden;
denn wenn es auch nicht möglich ist, die einzelnen gewundenen Röhren zu
isoliren und ihren ganzen Verlauf zu verfolgen, so schliesse ich doch auf jene
sekundären Verbindungen der ursprünglich getrennten Anlagen aus dem
Umstände, dass später auch keine Spur jener Trennung bei der Unke anzutref-
fen ist. Ziemlich frühe erscheinen die Anlagen der Gefässknäuel da-
bleibenden Nieren ; welche so wenig wie an der Urniere Erzeugnisse schon be-
stehender Gefässe sind , vielmehr vollständig aus den primitiven Nierenschläu-
chen selbst hervorgehen, wie es bereits Kupffer von den Säugethieren angab
(Nr. 151). Dies ergibt sich einfach daraus, dass die Gefässknäuel bis zu einem
gewissen Grade entwickelt erscheinen, bevor noch irgend ein Gefäss in der
830 XII. Die Harn- und die Geschlechtsorgane.
Niere auftritt. Ich sehe nämlich einzelne der blinden Röhrenenden sich ver-
dicken, sodass ein Zellenpfropf nach innen gegen die Lichtung vorwächst-, in-
dem sich nun die letztere um den kugeligen Pfropf ausdehnt, erscheint das
blinde Röhrenende kapselartig erweitert und gleichsam seine Mündung von dem
ersteren ausgefüllt (Fig. 375). In dem Masse als der Zellenpfropf wächst,
platten sich die Zellen der dadurch erweiterten Kapsel immer mehr ab, sodass
sie am Uebergange in das unveränderte Harnkanälchen ziemlich unvermittelt
an dessen dickere Elemente sich anschliessen. Einen Uebergang dieses Platten-
epittiels auf die Innenfläche des Zellenpfropfes oder was dasselbe ist, eine
epitheliale Absonderung der diese Fläche bildenden Zellen habe ich nicht
erfolgen sehen, ebenso wenig alle Stufen der Vaskularisirung jener Gefässknäuel-
anlage verfolgt; nach den Erfahrungen bei der Urniere zu schliessen, dürften
auch in der Niere die kompakten Zellenmassen jener Anlagen sich erst zu einem
lockeren Bildungsgewebe ausdehnen, bevor Fortsetzungen der die Zwischenräume
der Niere durchziehenden Gefässe in sie eindringen. Ob alle einzelnen primi-
tiven Harnkanälchen Gefässknäuel bilden, weiss ich nicht ; doch unterscheiden
sich die mit solchen versehenen in keiner Hinsicht von anderen , welche diesel-
ben noch nicht besitzen, vielleicht auch nie erhalten. Und wenn es auch nicht
gelingt, die späteren Verbindungen der auswachsenden Harnkanälchen zu ver-
folgen, so glaube ich doch annehmen zu dürfen, dass sie ohne ein bestimmtes
Gesetz aus den zufälligen Anpassungen der Lage und der beginnenden Funktion
erfolgen , ähnlich wie es bei den Gefässverbindungen geschieht. Die Verbin-
dung der Harnkanälchen mit dem Urnierengange erfolgt erst in der Mitte des
Larvenlebens. Schon vorher war dessen mediale Wand durch die einzelnen
Gruppen der Harnkanälchen eingedrückt, sodass er zwischen denselben scharfe
Vorsprünge erhält (Fig. 375). Auch dieses Verhalten finde ich an Salamander-
larven deutlicher ausgeprägt. Von diesen Vorsprüngen entwickeln sich kurze
Röhrenstämmchen, welche aber dünner sind als die Harnkanälchen, daher nach
ihrer Verbindung mit denselben sich immer vor ihnen auszeichnen. Auch finde
ich sie bei den Unkenlarveu gewöhnlich ebenso pigmentirt wie den Urnieren-
gang , sodass man sie auf den ersten Blick unterscheiden und ihren geringeren
Durchmesser erkennen kann. Wie diese Mündungsstücke der bleibenden Niere
sich von dem Urnierengange bis zu seinem letzten Abschnitte ablösen, habe ich
nicht weiter beobachtet, bin aber von der Richtigkeit der Angabe Wittich's
überzeugt, dass dies durch allmählich fortschreitende Abspaltung erfolge
(Nr. o7 S. 139). Nur muss dazu bemerkt werden, dass, wie es Leyjbig nnzwei-
3. Die Geschlechtsorgane. 831
deutig nachwies (Nr. 81 S. 73, Taf. III Fig. 25. 26), Wittich sich entschieden
versehen hat, wenn er jene Abspaltung gerade für die männlichen Unken in
Abrede stellt und den Urnierengang in den Harnsamengang sich verwandeln
lässt (Nr. 37 S. 135).
3. Die Geschlechtsorgane.
Was von der grosszelligen Uro - Genitalfalte nach der Abschnürung der
Nierenschläuche an der Gekrösewurzel zurückbleibt, dient zur Anlage der Ge-
schlechtsorgane; und zwar' beginnt ihre Entwickelung zuallerletzt von allen aus
den Embryonalanlagen hervorgehenden Körpertheilen. Daher schwindet auch
die Dottersubstanz in den grossen Zellen der Geschlechtsdrüsenanlagen später
als in allen übrigen Zellen des Larvenkörpers. Diese Zellen rücken im Anfange
der zweiten Larvenperiode an der Gekrösewurzel, unter dem späteren medialen
Rande der Niere zusammen und bilden jederseits eine lange Leiste, welche durch
die unregelmässig neben und hinter einander angeordneten grossen runden
Zellen ein traubiges Ansehen hat ( Taf XXI Fig. 372. 377). Bei ihrer weiteren
Entwickelung sondert sich diese Leiste in zwei Abschnitte. Der kleinere vor-
dere, welcher auf die nächste Umgebung des Ursprungs des absteigenden Hohl-
venenabschnittes beschränkt ist , beginnt sehr bald kleine Sprossen gegen die
Bauchhöhle zu treiben , welche fingerförmig auswachsen und sich in den be-
kannten Fettkörper verwandeln {Taf. XX Fig. 363). Der hintere längere
Abschnitt der Leiste, die eigentliche Geschlechtsdrüsenanlage, wächst unter Ver-
kleinerung und Vermehrung ihrer Zellen gleichmässig nach unten aus , wobei
insbesondere ihre oberflächliche Zellenlage sich dem übrigen Peritonealepithel
kontinuirlich anschliesst. Dadurch kann unter Umständen das Bild einer Falte
entstehen, deren Inneres mit anderen Zellen angefüllt ist (Fig. 1. 2). Doch
lässt sich die ganze Leiste leicht auf eine einfache Verdickung der Zellenschicht
der Uro-Genitalfalte, also auf eine durchaus einheitliche Anlage zurückführen,
und zeigt sich auch fernerhin kein Unterschied in der Entwickelung ihrer peri-
pherischen und centralen Elemente, wie ich es schon in der Entwicklungs-
geschichte des Eierstocks hervorhob , welche mit der eben beschriebenen Ent-
wickelungsstufe begann (vgl. S. 10 u. flg.). Es wurde dort auch schon bemerkt,
dass die Geschlechtsdrüsenanlagen anfangs geschlechtlich nicht geschieden sind,
sodass die ganze Beschreibung der ersten Umbildung jener Zellenmassen so-
wohl für den Eierstock wie für den Hoden gilt. Auch der letztere entwickelt
832 XTI. Die Harn- und die Geschlechtsorgane.
sich also aus den durch Zellenverschmelzung entstandenen Follikeln, sodass
seine endliche Bildung sich erst durch nachträgliche Abweichungen vom Bil-
dungsgange des Eierstockes ergibt. Die letzteren beginnen allerdings schon
vor der Larvenmetamorphose, fallen aber anfangs, wenn man die Entwickelung
nur vorwärts verfolgt, nicht in die Augen. Denn einmal treten sie bei dem
langsamen Fortschritte der Geschlechtsdrüsenentwickelung nur sehr allmählich
auf, und zweitens betreffen sie zunächst noch keine Neubildungen, sondern be-
stehen vielmehr in einer Art Stillstand der begonnenen und in ihrem direkten
Fortgange zur Eierstocksbildung führenden Follikelentwickelung. Statt dass
nämlich die einzelnen noch indifferenten Follikel durch energisches Wachsthum
sich zu den Anlagen junger Eierstockseier ausbilden, bleiben sie in den künf-
tigen Hoden im Wachsthum durchaus zurück, sodass, während immer neue
dazu entstehen, die älteren sich viel weniger von denselben unterscheiden als
in den Eierstocksanlagen. Daher erscheinen die Hodenanlagen beinahe bis
zum Eintritt der Larvenmetamorphose nur als in der Entwickelung etwas zurück-
gebliebene Eierstöcke, die sich daher mehr äusserlich, durch die schmächtigere
kürzere Gestalt vor den andern auszeichnen. Dieser Eindruck wird noch da-
durch verstärkt, dass unter den der Metamorphose entgegengehenden Larven,
deren relatives Alter oder Zustand der Reife durch äussere Merkmale, die Aus-
bildung des Kopfes und der Glieder, Rückbildung des Schwanzes u. s. w., leicht
bestimmt werden kann, unter gleichen Umständen und im allgemeinen die
künftigen Weibchen die Männchen an Grösse übertreffen. Ich will damit na-
türlich nicht ohne weiteres das Gesetz aufstellen, dass die kräftigere Ernährung
des Larvenkörpers unbedingt das weibliche Geschlecht erzeuge; wenn aber die
erste Scheidung der indifferenten Genitaldrüsenanlagen nach dem Geschlechte
nachweislich dadurch erfolgt, dass die Entwickelung derselben bei den künfti-
gen Männchen gegenüber derjenigen der künftigen Weibchen zurückbleibt, und
damit auch das Wachsthumsverhältniss des ganzen Körpers, wenigstens bei den
äussersten Grössenunterschieden meist übereinstimmt, so sehe ich nicht ein,
warum man der Ernährung der Larven nicht einen wesentlichen Einfluss auf
die Erzeugung der Geschlechter einräumen sollte.
Sehen wir uns die Textur der Hodenanlagen älterer Larven an, so erscheinen
manche Follikel ganz unverändert, einkernig, aber gegenüber den gleich alten
Eifollikeln sehr klein ; ich halte sie wegen ihrer relativen Formvollendung für
die ältesten Follikel. An den anderen, jüngere Entwicklungsstufen darstellen-
den Follikeln fällt es auf, dass die Verschmelzung der centralen Zellenkerne
3. Die Geschlechtsorgane. 333
zu keimbläschenartigen Bildungen nirgends über die ersten Anfänge hinaus
fortgeschritten ist, und anderseits umgekehrt wie in den Eierstocksanlagen mit
der Grösse der Follikel nicht zu- sondern abnimmt, sodass die grossesten
Follikel auch am weitesten zurückgeblieben erscheinen, die am meisten ge-
trennten Kerne enthalten. Es versteht sich daraus, dass solche Follikel weniger
klar sind als die kleineren mehr eiähnlichen und daher dem frischen Organ ein
etwas fleckiges Ansehen verleihen. Eine bestimmte Anordnung der beiderlei
Follikelformen, sodass die einkernigen kleinen und klaren ausschliesslich die
Oberfläche, die anderen also 'das Innere des Organs einnähmen (Wittich), muss
ich nach der Untersuchung zahlreicher querer und longitudinaler Durchschnitte
vollständig in Abrede stellen-, sie sind unterschiedslos durch das ganze Organ
vertheilt, und nur an einzelnen Stellen sah ich bei Fröschen die kleineren
Follikel kränz- oder röhrenförmig um die grösseren angeordnet, aber natürlich
ohne Bezug auf Peripherie und Centrum des Organs. Vergleicht man nun
wieder die einzelnen Follikel mit einander, so ergiht sich ferner, dass die
grossesten, scheinbar am meisten gewachsenen nicht nur die am meisten ge-
trennten, sondern auch die zahlreichsten Kerne einschliessen. Ueberlegt man,
dass die ganzen Hodenanlagen in jener Zeit gar nicht wachsen, und da eine
wirkliche Atrophie einzelner Follikel nicht zu konstatiren ist, auch die übrigen
sich nicht wohl durch Wachsthum vergrössert haben können, so bleibt nur die
Annahme übrig, dass sie aus der Verschmelzung mehrer kleiner Follikel hervor-
gingen. Dies ergibt sich auch immer deutlicher an den jungen Unken nach be-
endigter Larvenmetamorphose: die Follikel — um zunächst noch bei diesem
Ausdrucke zu bleiben ■ werden immer weniger zahlreich, indem an Stelle
vieler geschwundener nur einzelne ganz grosse Follikel treten, an denen oft die
Spuren der Verschmelzung aus einer (huppe kleinerer in den Resten ihrer
früheren Wände deutlich wahrzunehmen sind, und welche daher geräumige und
unregelmässig ausgebuchtete Höhlungen mit einer ausserordentlich grossen An-
zahl freier Zellenkerne im Innern darstellen.* An jungen Unken , die ich nach
ihrer Grösse für mindestens einjährige halten musste, waren die kleinen ein-
kernigen Follikel bloss auf die engen Zwischenräume zwischen jenen grossen
Höhlen beschränkt, die letzteren aber in ihrem Inhalte nicht verändert, woraus
* Ich habe Abbildungen der Hodenentwickelung mir ersparen zu können geglaubt, da
man sich an den Bildern der embryonalen Eierstöcke bloss die vielkernigen Follikel im
Verhältniss zu den einkernigen ausserordentlich vergrössert zu denken braucht, um das
Bild der bezüglichen Struktur des Hodens zu erhalten.
Goette, Entwiekelungägesehiehte. 53
g34 XII. Die Harn- und die Geschlechtsorgane.
hervorgeht, dass die Entwicklung der eigentlichen Hodensubstanz vollständig
in das spätere Lehen unseres Thieres gehört. Ich habe sie auch nicht weiter
verfolgt als bis zu dem angegebenen Zeitpunkte, glaube aber, dass in den be-
schriebenen schlauchförmigen Höhlen die Anlagen der Hodenschläuche un-
zweifelhaft erkannt werden dürfen.
Ein Rückblick auf die Entwicklung der beiderlei Geschlechtsdrüsen liefert
das Ergebniss, dass beide Formen aus völlig gleichen Anlagen hervorgehen
und sich erst dadurch scheiden, dass im künftigen Eierstocke die einmal be-
gonnene Entwickelung in der Follikelbildung fortdauert, im künftigen Hoden
dagegen neben einem Stillstande in der Fortbildung der schon fertigen Follikel
die Ausbildung der jüngeren auf einer niedrigeren Stufe stehen bleibt, sodass
wenigstens für die Anlage des Hodens der Ausdruck berechtigt erscheint , die-
selbe gehe hervor aus einem gewissen Rückschritte des früher eingeschlagenen
und im Eierstocke fortdauernd eingehaltenen Entwicklungsganges. Die fertige
Hodenbildung ist aber das Resultat weiterer sich an den letzteren Zustand an-
schliessenden histologischen Umbildungen.
Da die Ausführungsgänge der Sexualdrüsen der Batrachier theils im
Urnierengange (Eileiter), theils in gewissen Abschnitten der Niere und ihrer aus-
führenden Kanäle (Samenleiter) gegeben sind, so halte ich eine Wiederholung
der Untersuchungen Wittich's und Letdig's nicht für geboten.
Bekanntlich war es J. Mueller, welcher die Urnieren der Amphibien-
larven entdeckte und sie als von dem Ende des Urnierengangs ausstrahlende
Blinddärmchen beschrieb, denen ein weissliches Körperchen anliege, während
die eigentlichen Nieren anfangs aus einer Reihe gestielter Körperchen bestän-
den (Nr. 10 S. 10 — 12). Biddeb, erkannte in dem der Urniere locker anlie-
genden Körperchen einen MALPiGHi'schen Gefässknäuel (Nr. 157 S. 58); Wit-
tich verbesserte wiederum die Beschreibung J. Mueller's dahin, dass die
Urniere nicht aus einer Quaste von Blinddärmchen, sondern bei Bombinator
und Triton aus einem einzigen aufgewundenen Kanäle bestehe, welcher bei den
anderen Batrachiern verzweigt sei. Er hält es daher für wahrscheinlich, dass
das Vorderende des Urnierengangs, welcher solid zu entstehen scheine, sich in
mehre Aeste ausbuchte, die sich darauf zu einem Knäuel aufwinden; ebenso
seien die Anlagen der bleibenden Nieren, die von J. Mttellee beschriebenen
gestielten Körperchen, Auswüchse des Urnierengangs (Nr. 37 S. 12!» 133).-
;>. Die Geschlechtsorgane. 835
Ich kann, wie aus meiner Beschreibung genügend erhellt, diesen Darstellungen
meiner Vorgänger nicht beistimmen. Abgesehen davon , dass die Entstehung
des Urnierengangs unerwähnt blieb, so ist die Auffassung, als wenn die
Urniere lediglich aus einer Aufknäuelung seines gespaltenen Vorderendes ent-
stände, nicht zutreffend. Denn zur Urniere gehört, wie eine vergleichende Unter-
suchung lehrt, auch der Gefässknäuel und der ganze zwischen beiden liegende
Bauchraum, mit welchem die Urnierenkanäle einige Zeit kommuniciren; und
ferner entsteht die Urniere als breite taschenförmige Ausbuchtung des Parietal-
blattes zuerst, sodass der Urnierengang als Fortsetzung derselben erscheint.
Es haben eben die genannten Forscher das Organ nicht in seinen frühesten Zu-
ständen untersucht ; in der zweiten Larvenperiode sind aber seine ursprüng-
lichen Theile vollständig getrennt, die Urniere im engeren Sinne liegt als blosse
Knäueldrüse in der Leibeswand, während der atrophische Gefässknäuel, nach-
dem die primitive Harnkanalkapsel wieder in die allgemeine Bauchhöhle auf-
gegangen ist, an der Gekrösewurzel hängen bleibt,* sodass die genetischen
Beziehungen dieser Theile nicht mehr erkannt werden können. Offenbar hat
denn auch das Postulat ihres vermissten innigen Zusammenhangs Remak ver-
anlasst, den Gefässknäuel irrthümlicherweise gleichfalls in die Leibeswand hin-
ter die Urniere zu versetzen, wo er, wenn auch nicht in den Kanal eingeschlossen,
doch von ihm umfasst sein sollte (Nr. 40 S. 59. 154. 155, Taf. X Fig. 17a. 18b).
Anderseits mag die ungenaue Auffassung, dass die Urniere ein Produkt des
sich spaltenden und aufwindenden Urnierengangs sei, die irrige Annahme
Wittich's hervorgerufen haben, dass die Nierensäckchen Ausstülpungen des-
selben Ganges seien. Eine solche Annahme ist zudem nach meinen Beobach-
tungen gar nicht nöthig, um die Homologie der beiderlei Harnorgane zu
erweisen, denn mit dem Nachweise, dass der Drüsentheil der Urniere mit dem
Gefässknäuel und dem zwischenliegenden Räume als primitive Harnkanalkapsel
eine ursprünglich einheitliche Anlage der gleichsam erweiterten Uro-Genital-
falte bilden, an welche sich der Urnierengang erst sekundär anschliesst, ist jene
Homologie gesichert, da ja die Nierensäckchen als gemeinsame Anlagen für
die Harnkanälchen , deren Kapseln und Glomeruli ebenfalls Abschnürungs-
produkte derselben Falte sind. Der einzige Unterschied zwischen beiden
* Ich möchte es hier als Verrauthung aussprechen, dass die Röhrenknäuel , welche
Leydig neben dem atrophischen Urnierengange einiger Urodelen . und zwar rückwärts von
dessen freiem Ende fand (Nr. 81 S. 88 Fig. 28. 29), nicht nach seiner Deutung die Reste der
Drüse, sondern gerade dos Gefässknäuels darstellen.
#36 XII. Die Harn- und die Geschlechtsorgane.
Harnorganen bestände also darin, dass die bleibenden Nieren, wie es Wittich
und Leydig (Nr. 81 S. 85) zuerst erkannten, anfangs keinen eigenen Aus-
führungsgang besitzen, sondern als solchen den Urnierengang benutzen, mit
dem sie sich erst sekundär verbinden, um dann im späteren Leben sich doch
wieder von ihm abzuspalten.
Bezüglich der Nierenbildung stehen den Batrachiern die Teleo stier am
nächsten. Wenn Rosenberg die Kopfnieren derselben als Homologa der
Urnieren der Amphibien betrachtet (Nr. 156 S. 70 — 73), so kann ich ihm inso-
fern nur bedingt beistimmen, als die bisher allein untersuchten weiter
entwickelten Urnieren einfache Knäueldrüsen sind ohne Zusammenhang mit
dem sich zurückbildenden Gefässknäuel. Die vollständige Urniere der Batra-
chier ist daher nur die allerkürzeste Zeit der Kopfniere der Teleostier homolog
und kann im allgemeinen als rudimentäre Bildung betrachtet werden. Bei
dem genannten Vergleiche konnte sich Rosenberg immerhin auf einen für that-
sächlich gehaltenen Nachweis , nämlich vom Zusammenhange der Urniere und
des Gefässknäuels der Batrachierlarven , berufen-, wenn er aber ferner die
Bauch- und Kaudalniere der Teleostier mit der bleibenden Amphibienniere ver-
gleicht , obgleich er die von Wittich angegebene Entwickelungsgeschichte der
letzteren bezweifelt (Nr. 156 S. 73 Anm. 2) und hinsichtlich der ersteren nur
vermuthet, dass sie sich in ähnlicher Weise entwickele, wie es Kupffer für die
Säuger annimmt (Nr. 156 S. 74), so muss ich jene zweite Vergleichung für
unbegründet erklären. Denn wenn Rosenberg's Vermuthung sich bestätigte,
so würden die Bauch- und Kaudalnieren der Teleostier aus einem anderen
Keimtheile und auf andere Weise entstehen als die Amphibiennieren , diesen
also auch nicht homolog sein. Dagegen glaube ich jene Hypothese allerdings
unterstützen zu können, indem ich die Zellenmasse, welche später den Retro-
peritonealraum zwischen den Stammgefassen und den Urnierengängen aus-
füllt und von Rosenberg als Bildungsstätte der Bauch- und Kaudalnieren
erkannt wurde (Nr. 156 S. 52 — 55) , ebenso wie die Nierenanlagen der Batra-
chier von den verdickten Uro-Genitalfalten sich abschnüren sehe.
Weniger sicher als hinsichtlich der Teleostier ist der Vergleich der beider-
lei Harnorgane der Batrachier mit denjenigen der Anmieten. Nachdem
Waldeyer die Entwicklung der Urniere des Hühnchens im Gegensatz zu
seinen Vorgängern auf Ausstülpungen des Urnierengangs zurückgeführt hat
(Nr. 66 S. 119. 120), was mir durchaus begründet erscheint, und anderseits
die Entstehung des Urnierengangs aus einer Ausbuchtung des Parietalblattes
3. Die Geschlechtsorgane. 337
nunmehr auch für das Hühnchen durch Romiti bestätigt worden ist (Nr. 150
S. 204. 205), dürfte die Homologie der Urniere aller Wirbelthiere ziemlich
zweifellos sein. Denn auch bei Kaninchenembrvonen finde ich die Anlage des
Urnierengangs im Zusammenhange mit dem Parietal blatte , wenn es mir auch
nicht gelang die Kontinuität seiner Lichtung und der Bauchhöhle klar zu
erkennen. — Der eigentliche Ureter der Säuger und Vögel entspringt nach
Kupfeer's und meinen Beobachtungen aus dem Ende des Urnierengangs , wo-
gegen wir die Angabe Remak's (Nr. 40 S. 121) von der Ausstülpung der Haru-
kanälchen aus dem Ureter nicht zu bestätigen vermochten (Nr. 151, 152, 153
S. 56—60). Waldeyer schliesst sich uns hinsichtlich des Ureters an, glaubt
aber für die Harnkanälchen der bleibenden Niere aus allgemeinen Gründen
dieselbe Entstehungsweise wie bei der Urniere annehmen , also darin gerade
Remak bestätigen zu müssen (Nr. 66 S. 130 — 132). Ich gestehe, dass ich dieser
REMAKSchen Ansicht jetzt ebenfalls den Vorzug gebe und daher vorbehaltlich
ihrer definitiven Bestätigung die bleibenden Nieren der Anmieten allerdings
für eine Weiterbildung des Urnierengangs halten möchte*. Unter einer
solchen Voraussetzung wären aber die vergänglichen und bleibenden Amnioten-
nieren als zusammengehörige Organkoni plexe zunächst nur mit den Urnieren
der Knochenfische und Amphibien in Parallele zu bringen. Da ich aber nach-
gewiesen habe, dass die beiderlei Harnorgane der Batrachier und ihre Homo-
loga bei den Fischen im Grunde genommen bei dem gemeinsamen Ursprünge
aus der Uro-Genitalfalte sich gar nicht unterscheiden, so kann ich zum Schluss
dieser vergleichenden Betrachtungen meine Ueberzeugung aussprechen , dass
die beiderlei Harnorgane aller Vertebraten sich nicht morpho-
logisch, sondern n u r p h y s i 0 1 0 g i s c h , nach der verschiedenen Zeit ihrer
Entstehung und Wirksamkeit von einander trennen lassen.
Von den Geschlechtsorganen der Batrachier ist der Eierstock bereits
im ersten Kapitel dieser Arbeit so weit, als es mir meine Erfahrungen erlaubten,
vergleichend betrachtet worden ; und es erübrigt hier noch in gleicher Weise
vom Hoden zu reden. Ueber dessen Entwickelung finde ich erst bei Wittich
etwas eingehendere Angaben (Nr. 37 S. 153 — 158). Längere Zeit bleiben die
Anlagen der beiderlei Geschlechtsorgane sich völlig gleich; während aber
* Natürlich würde der etwaige Nachweis , dass die Drüsenanlage der Amniotenniere
auf direkterem Wege als durch deu Ureter und Urnierengang vom Parietalblatte abstamme,
ihre Homologie mit den bezüglichen Organen der Anamnia nur noch klarer stellen.
338 XII. Die Harn- und die Geschlechtsorgane.
darauf die grossen eiälmlichen Zellen in den künftigen Weibelien allmählich
das ganze Organ bis auf die bindegewebigen Theile durchsetzen, beschränken
sie sich in den männlichen Thieren auf die Peripherie, um früher oder später
ganz zu schwinden , während im Innern sich die eigentliche Hodensubstanz
bildet. Von derselben erscheine zuerst im mittleren oberen Theile der
Geschlechtsdrüsenanlage eine Röhre, welche später die Vasa efferentia vor
ihrem Eintritt in die Niere vereinigt. Neben diesem Kanäle bildeten sich mit
kleinen Zellen ausgekleidete und angefüllte weite Höhlungen , welche sich mit
ihm verbinden und ihm schliesslich gestielt aufsitzen. Diese ganze Hoden-
substanz würde anfangs noch von der peripherischen grosszelligen Eierstocks-
masse umschlossen, welche erst allmählich und zwar langsamer bei Bombi-
nator als bei den Fröschen schwinde. Bei den Krötenlarven sei das Kopfende
der Geschlechtsdrüsenanlage knopfförmig angeschwollen und bilde in beiden
Geschlechtern Eier aus, welche nur in den Männchen, deren Hodensubstanz in
der grösseren hinteren Hälfte der Geschlechtsdrüsenanlage entstehe, in der
weiteren Entwickelung zurückbleiben-, immerhin sei dieser Kopftheil des Hodens
als rudimentäres Ovarium aufzufassen und der peripherischen Eierstocksmasse
an den Hodenanlagen der übrigen Batrachier homolog, sodass „jede Batrachier-
larve die Bedingungen sowohl der männlichen, als auch der weiblichen keim-
bereitenden Drüsen in sich trägt, ja, bei allen ein gewisser unvollkommener
Hernuvphroditismus der vollen Geschlechtsreife voraufgeht.1' Nur in der
Dauer des hermaphroditischen Zustandes unterscheiden sich die einzelnen
Batrachier nicht unwesentlich, indem derselbe am frühesten bei den Fröschen,
später bei der Unke und einigen Krötenarten schwinde, bei Bufo cinereus aber
lebenslänglich erhalten bleibe (Nr. 37 S. 158 — l(3f). Ich kann die voran-
stehenden Beobachtungen Wittichs über die Entwickelung des Hodens der
Batrachier nicht bestätigen, daher auch seine allgemeine Auffassung nicht
theilen. Abgesehen von der schon in der Beschreibung hervorgehobenen
Differenz, dass ich die Hodenbildung durchaus nicht so regelmässig angeordnet '
finde wie Wittich, mache ich vor allem darauf aufmerksam, dass nach seinen
Beobachtungen die eigentliche Hodensubstanz aus der indifferenten Geschlechts-
drüsenanlage morphologisch und histologisch sich ganz anders entwickelt als
die Eierstocksmasse, sodass in dem einen Falle nur Eianlagen, im anderen
Falle neben und nicht aus ihnen Hodenanlagen entständen, deren Wachsthum
die ersteren zurückdrängt und ganz oder theilweise zur Atrophie bringt.
Nach meinen Beobachtungen ist aber die embryonale Hodensubstauz eine durch
3. Die Geschlechtsorgane. 839
einen gewissen Rückschritt des ursprünglichen Entwickeliingsverlaufs modifi-
cirte Eierstocksmasse ; sie entstellt nicht aus indifferenten Zellen, wie es Wittich
annimmt, sondern aus wirklichen, nur unreifen Eifollikeln , welche statt zur
vollständigen Jndividnalisirnng fortzuschreiten, zu grösseren kontinuirlichen
Gewebsmasseri verschmelzen. Der unvollkommene Hermaphroditismus der
Kröten beruht daher, wie ich schon einmal an anderer Stelle aussprach,
darauf, dass das in der Entwickelung voraneilende Kopfende des indifferenten
Geschlechtsorgans , sowie es dem jungen Eierstocke die grossesten oder die
ersten reifen Eifollikel liefert, bei dem Eintritt der Hodenentwickelung bereits
zu weit vorgeschrittene Follikel enthält, um dieselben noch in Hodenschläuche
verwandeln zu können. Daraus ergibt sich aber als natürliche Schluss-
folgerung, dass die Eibildimg den primären, ursprünglichen Entwickelungsver-
lauf der Geschlechtsdrüsenanlage, die Hodenbildung eine sekundäre Abweichung
derselben darstellt, der sogenannte Hermaphroditismus also konsequenter-
weise nur als eine Uebergangsstufe von der weiblichen zur männlichen Form
betrachtet werden kann.
Wie sehr diese Auffassung von derjenigen Wittich's abweicht, erhellt
daraus, in welcher Weise Waldeyer dazu kommt Wittich zu bestätigen. Er
weist die Ansicht, dass das nie fehlende Keiniepithel des Hühnchens auch die
Hodensubstanz liefere, zurück, und nachdem er gewisse Beobachtungen ange-
führt, welche für den Ursprung der Samenkanälchen aus der Urniere sprechen,
kommt er zum Ergebniss: „Das Epithel des WoLEF'schen Ganges ist die An-
lage der männlichen Sexualorgane" (Nr. 66 S. 137 — 140. 152). Die Ueber-
einstimmung mit Wittich sieht nun Waldeyer besonders darin, dass die
Samenkanälchen nicht aus dem Keimepithel, der Grundlage der weiblichen
Geschlechtsprodukte, sondern getrennt von demselben entstehen; daraus
folgert er dann weiter, dass der Urzustand der Geschlechtsdrüsen nicht ein
indifferenter oder gar weiblicher, sondern ein hermaphroditischer sei, was
freilich schon früher behauptet worden, aber „erst durch das gleichzeitige Auf-
treten beider Keimdrüsenanlagen bei jedem Individuum sicher gestellt ist"
(Nr. 6ö S. 152. 153). Dagegen muss ich bemerken, dass meine Beobachtungen
eine solche Auffassung für die Batrachier vollständig zurückweisen, indem die
Entwickelung der männlichen Geschlechtsprodukte aus rudimentären weib-
lichen ganz evident ist, während die Beobachtungen Waldeyer' s über den Ur-
sprung der Samenkanälchen des Hühnchens gar nicht so bestimmt lauten, dass er
das oben citirte Ergebniss für gesichert halten könnte. Soweit ich meiner eigenen
34(J XII. Die Harn- und die Geschlechtsorgane.
Beobachtungen sicher zu sein glaube, halte ich es vielmehr für viel wahr-
scheinlicher, dass bei allen Wirbelthieren die beiderlei Geschlechtsprodukte
aus einer Quelle stammen, also die Samenkanälchen der Anmioten aus dein
Keimepithel hervorgehen, welches nach Waldeyer auch am Hoden Primordial-
eier zeigt und von ihm „das weibliche Princip in der (hermaphroditischen)
Keimdrüse" genannt wird. Und wenn Waldeyee die hermaphroditische Ur-
anlage der Geschlechtsorgane für die ganze Thierreihe wahrscheinlich zu
machen sucht (a. a. 0. S. 153 — 158), so will ich, um nicht in ein gar zu weites
Gebiet abzuschweifen, nur auf die im nächsten Kapitel noch näher zu präci-
sirende Thatsache hinweisen , dass die niedersten thierischen Organismen , die
Protozoen, ihre Entwickelung gleichfalls mit der Eiform beginnen , welche von
den entwickelten Individuen erzeugt wird , ohne dass von einer besonderen
Geschlechtlichkeit derselben wenigstens auf den niedersten Organisationsstufen
geredet werden könnte. Ist also das weibliche Zeugungsprodukt das ursprüng-
lichere in der ganzen Thierreihe, so schliesst dieses die hermaphroditische
Form als Ausgangspunkt der ersten geschlechtlichen Differenzirung aus,
sowie in dem uns zunächst vorliegenden Falle der Batrachier die Annahme
doch kaum ernstlich versucht werden dürfte, dass die hermaphroditische An-
lage sekundär sich in eine für beide Geschlechter weibliche verwandelt hätte,
um dann bloss in den künftigen Männchen Avieder zur ersten Form zurück-
zukehren. Und da die Eibildung als gemeinsame Grundlage für die beiderlei
Sexualprodukte innerhalb des höchsten thierischen Typus sich unzweifelhaft
nachweisen lässt, so darf eine Bestätigung dessen auch in manchen niederen
Kreisen erwartet werden, wo die hermaphroditische Uranlage der Geschlechts-
organe jetzt noch so sicher erscheint, Avie es bisher auch bei den Batra-
chiern schien.
Mit der Annahme aber, dass das Aveibliche Zeugungsprodukt das ursprüng-
liche sei, kann ich, am Schlüsse der eigentlichen Entwickelungsgeschichte der
Unke angelangt, gerade auf das letzte Ziel der individuellen Entwickelungsge-
schichte überhaupt hinweisen, nämlich allen Formenreichthum stets und immer
wieder in ursächlichem Zusammenhange auf eine einfachste erste organische
Form, auf die homogene Dotterkugel des Eies, zurückzuführen und so den
King der Untersuchungen zu schliessen: ab ovo usque ad Ovum!
XIII. Schlussbetrachtungen,
Ich habe dieses Buch nicht in der Absicht verfasst, um lediglich die
Erscheinungsthatsachen in der Entwickelungsgeschichte der Wirbelthiere fest-
zustellen; sondern mein Ziel war, an der Hand jener Thatsachen und auf Grund
des beobachteten Uebergaugs der Formen ineinander zu einer Vorstellung
über den Kausalzusammenhang derselben zu gelangen. Bei dieser Behandlung
des Gegenstandes blieb ich bisher im allgemeinen innerhalb der Grenzen, die
ich mir gesteckt hatte, und verliess das Gebiet des Wirbelthierreichs nur aus-
nahmsweise. Da ich aber dabei neben den Ergebnissen für die vergleichende
Anatomie der Wirbelthiere zu einer Reihe allgemeiner Sätze gekommen bin,
deren Werth wesentlich davon abhängt, dass ihnen in der Entwickelungs-
geschichte anderer Thiere wenigstens kein Widerspruch begegnet, so will ich
in diesem letzten Abschnitte kurz andeuten , in welcher Weise ich jene Sätze
stets in Bezug auf die Gesammtheit der Thiere gedacht habe. Ich verzichte
dabei auf eine erschöpfende Erörterung der betreffenden Vergleiche , welche
hier nicht am Platze ist, glaube aber dennoch für die folgende gedrängte
Uebersicht die gleiche Berechtigung in Anspruch nehmen zu können wie für
die weiter ausgeführten Betrachtungen in den vorangehenden Kapiteln , weil
im allgemeinen dieselben Beweismomente wiederkehren, namentlich die streng
genetische und ursächliche Begründung der Homologien.
Für die Wirbelthiere steht der Erfahrungssatz fest, dass jede individuelle
Existenz ausnahmslos mit der einfachsten Formerscheinuug anhebt, mit der
relativ homogenen Dotterkugel des reifen Eies, Avelche in dem mütterlichen
Organismus aus einer oder mehren Keimzellen durch eine eigenthümliche Um-
$42 XIII. Schlussbetrachtungen.
bildung derselben entsteht. Ich habe gezeigt, dass das Produkt dieser Bildung
eine unorganisirte, nicht lebende Masse ist , und dass Lebensvorgänge auch als
wirksame Ursachen der ersten Entwickelungserscheinungen jener Masse aus-
geschlossen werden müssen. Ich kann natürlich die betreffende Beweisführung
hier nicht wiederholen, sondern nur kurz an die wichtigsten Momente erinnern
(vgl. S. 31—35. 71 — 110. 241—252. 570—605). Betrachten wir zunächst die
erste Entwickelungserscheinung , die Dottertheilung mit ihrer Fortsetzung an
den Embryonal- und Dotterzellen , so verläuft dieselbe ohne Ernährung und
Wachsthum der Gesammtmasse und der ganzen Theilstücke, sodass man sie
schon desshalb nicht als eine Lebenserscheinung der letzteren ansehen darf.
Da ich nun eine nicht greifbare , specifische und immanente „Bildungskraft"
der Dottersubstanz nicht anerkenne, so glaube ich jene Theilungen annehmbar
und genügend zu erklären, wenn ich sie von einem einfachen und durch die
Beobachtung nachweisbaren chemisch - physikalischen Vorgange ableite. Die
Entwicklung des Eies setzt nothwendig die Wechselwirkung der Dotter-
substanz mit einer sie umgebenden Flüssigkeit voraus; den Beweiss dafür
liefert uns die zu beobachtende Auflösung oder Schmelzung der festen Dottertheile,
gewisserinassen eine Verflüssigung der ganzen Substanz. Die allmähliche
Lösung der in den festen Dottertheilen aufgespeicherten Spannkräfte liefert
notwendigerweise durch eine gewisse Zeit hindurch ein Quantum an leben-
digen Kräften oder Bewegungen, welche in den Theilungen zur Ersch einung
kommen, während das stoffliche Lösungsprodukt vollkommen lebensfähiges
Protoplasma wird (Lebenskeime). Hätte die Dottermasse im wesentlichen die
Zusammensetzung der im vollkommenen Leben begriffenen protoplasmatischen
Substanzen, so würde ihre fortdauernde Lösung ohne entsprechenden Ersatz
durch Ernährung die Erhaltung des Ganzen unmöglich machen, d. h. wirklich
lebendes Protoplasma kann den Entwickelungserscheinungen des Eies nicht zu
Grunde liegen, diese können nicht Lebensäusserungen sein. Das lebensfähige
„reife" Protoplasma, welches neben den festen Theilen im Dotter enthalten ist
und durch die Lösung der ersteren erzeugt wird, unterliegt aber der Zerstörung
desshalb nicht, weil es, soweit es selbstthätig an den Umbildungsbewegungen des
Dotters theilninimt, eben durch die Dotterlösung auch beständig ernährt wird.
Wir hätten demnach in dem im Ganzen nicht lebenden Eiprodukt einzelne
wirkliche Lebensherde anzunehmen; und da der Begriff „Leben" nothwendig
einen bestimmt begrenzten Lebensträger voraussetzt, so stellen nicht die von
mir sogenannten Lebenskeime, sondern erst die fertigen Kerne die ersten that-
XIII. Schlussbetrachtungen'. 843
sächlichen Lebensformendes sich entwickelnden Eiprodukts dar, mit nachweis-
barem Wachsthume und daraus folgenden Tneiluugserscheinungen. Dieses
Theilleben als Erzeugniss der bestimmt angeordneten Dotterlösung breitet sich
immer weiter aus und tritt in dem Masse an die Stelle der nicht lebendigen
Entwickelungsvorgänge, als diese mit dem Verbrauch der festen Dottersubstanz
sich erschöpfen. Hat es dieselben vollständig ersetzt , ist also das ganze Ei-
produkt oder ein Theil desselben individuell lebendig, so mnss natürlich eine
Ernährung desselben eintreten , mag sie selbstständig oder passiv durch einen
Nahrungsdotter, durch Placentarbildimgen erfolgen. Es kann sich also jedes
individuelle Leben , da es im unveränderten reifen Eie nicht möglich erscheint,
nur ganz allmählich im Laufe der Entwickelung und als Folge derselben
entwickeln. Die Entwickelung ist die nothwendige Entstehungs,
form des Lebens und kann anderseits nur an einem nicht lebenden-
aber mit Spannkräften erfüllten Substrat beginnen.
Indem ich aber eben andeutete, wie ein gewisser Vorrath von Spann-
kräften die erste Voraussetzung und deren allmähliche Lösung die einzige
thatsächliche Bewegungsursache der Entwickelung des Eies darstellen , habe
ich bereits angenommen, dass die daraus hervorgehenden Elementaraktionen
unter der Leitung eines Komplexes von bestimmten Formbedingungen stehen ;
denn ohne diese bestimmte formale Beschränkung können sie die sich immer
weiter gliedernden Formleistungen , worin eben die Entwickelung des Eies be-
steht, entweder gar nicht ausführen , oder dieselben werden mit einer solchen
Abänderung der Massverhältnisse begonnen , dass dieselbe in der folgenden
Gliederung die gegenseitige Anpassung der einzelnen Formleistungen im
bestimmten Rahmen des Ganzen aufhebt, und so den Keim der Zerstörung des
letzteren und seiner Theile in sich trägt. Dieses Formgesetz der Elementar-
aktionen braucht aber ebenso wenig wie die Entwickeluugsbewegung selbst als
der unmittelbare Ausdruck undefinirbarer, verborgener Eigenschaften des
Eistoftes angesehen zu werden; seine Annahme kann vielmehr nur dann eine
wirkliche natürliche Erklärung der uns beschäftigenden Vorgänge involviren,
wenn wir dasselbe auf eine einfache und allgemeine nachweisbare physi-
kalische Erscheinung zurückzuführen vermögen. Als seine einfachste Grund-
lage betrachte ich die kugelige Zusammenziehung, welcher sehr viele organische
Substanzen bei einer gewissen relativ kleinen Masse und in Folge der Ein-
wirkung gewisser sie umgebenden Flüssigkeiten unterliegen und dadurch die
denkbar einfachste erscheinungsgesetzliche Furm erhalten. Aber sowie die
344 X\U. Schlussbetrachtungen.
Entwickelung des Eies einerseits an eine ganz bestimmte, die Lebens thntigkeit
ausschliessende Zusammensetzung ihres protoplasmatischen Substrats ge-
bunden ist, so ist auch die kugelige Zusammenziehung eines solchen zur
formalen Begründung der Entwickelung nicht ohne weiteres genügend. Denn
wenn die Kugelgestalt an sich nur eine gleichmässige radiäre Anordnung der
Wechselwirkungen der Dottermasse mit der umgebenden Flüssigkeit bedingt,
so ist zu einer weiteren Gliederung dieser ersten und einfachsten Form-
erscheinung eine gewisse Differenz nothwendig. Allerdings mag die zufällige
Entstehung einer solchen naturgemässer erscheinen als die vollständige Gleich-
mässigkeit der radiären Dotterströmung. Doch kann nur eine beschränkte
und bestimmte Differenz der Stromlängen in die fortgesetzten Theilungen des
Stromgebiets und damit der zusammenhängenden Masse in der Weise
hinüberführen, dass darin die nuthwendigen Bedingungen zum weiteren form-
gesetzlichen , d. h. individuell zusammenpassenden Fortschritt der gesammten
Formgliederung gegeben werden. Die Besonderheit dieser ersten Differenz
ist nun ebenso wie das bestimmte Mass der endosmotischen Wechselwirkungen
der Dottermasse abhängig von einer Reihe von Formbedingungen , welche
theils schon im Eierstocke bei der Ausbildung des reifenden Eies angelegt
werden (Dotterrinde, Dotterhaut), theils nachträglich und selbst mehr
zufällig sich hinzugesellen (äussere Eihüllen, Befruchtung). Das aus diesen
Bedingungen resultirende Formgesetz der Entwickelung kann daher keines-
falls als eine besondere Eigenschaft der Dottermasse betrachtet werden,
sondern ist lediglich die nothwendige Folge verschiedener unter gewöhnlichen
Verhältnissen zusammentreffender Umstände, welche die Wirksamkeit der
Dottersubstanz in einer ganz bestimmten und einheitlichen Form regeln. Das
Formgesetz ist der Inbegriff der rein mechanischen Momente,
welche die lebendigen Kräfte der sich lösenden Dottersubstanz
zu den einheitlichen Formleistungen der Entwickelung zwingen
und dadurch mittelbar in derselben die einzelnen Leben sthätig-
keiten erzeugen und zur individuellen Einheit verbinden.
Untersuchen wir endlich das Wechselverhältniss der beiden Faktoren, als
deren Produkt das individuelle Leben erscheint, nämlich der protoplasmati-
schen Elementaraktionen und des mechanisch wirkenden Formgesetzeß/ im
Laufe der Gesammten twickelung, so ergibt sich uns Folgendes. Solange und
soweit das ganze Eiprodukt und seine Theilstücke ein vollkommenes Leben
noch nicht erlangt haben, gehen die Wirkungen der in ihnen thätigen Kräfte
XIJI. Schlussbetrachtungen. 845
über die Grenzen des Ganzen nicht hinaus, indem sie in die rein mechanischen
und sich stetig weiter gliedernden Formleistungen auslaufen. In dem Masse
jedoch, als die in den Formelementen des Eiprodukts eingeschlossene Lebens-
thätigkeit sich ausbreitet, und an Stelle der sich erschöpfenden inneren Kraft-
quelle, nämlich der anfangs andauernden Dotterschmelzung, der Verbrauch
der Formelemente selbst tritt, muss die' zu deren mechanischen Ver-
schiebungen und dadurch zum formalen Ausbau des Ganzen verwandte
Arbeit immer mehr eingeschränkt und müssen dafür die frei werdenden Kräfte
immer mehr zum Ersatz der einzelnen Verluste und so endlich lediglich zur
Erhaltung des Ganzen herangezogen werden. Daraus folgt nothwendig , dass
die rein mechanische Formentwickelung, — welche ich die morphologische
nenne, weil sie die Grundlage jeder Formbildung, auch der histiologischen ist
— in demselben Verhältniss abnehmen und endlich zum Stillstande kommen
muss , als die histologische Entwickelung das vollständige Leben des Ganzen
vorbereitet und endlich zur Herrschaft bringt. Auf welcher Entwicklungs-
stufe dies eintritt, hängt natürlich ab von dem relativen Mass der im Ei ange-
sammelten oder ihm andauernd zugeführten Spannkräfte (Nahrungsdotter,
Placentarbildungen) , deren Anwesenheit die Entwickelung überhaupt erst
ermöglicht; jedenfalls stehen aber morphologische und histologische Ent-
wicklung, Formgesetz und Individualisirung des Ganzen und der Theile in
dem Wechselverhältniss, dass wenn im Laufe der Entwickelung das Eine über-
wiegt, das Andere solange zurücktritt. Die morphologische Entwicke-
lung als Grundlage der gesammten typischen Formbildung und
die Ausbildung der Individualität des ganzen Eiprodukts
erreichen daher eine um so höhere Stufe, je länger der Beginn
des vollendeten Lebens im Ganzen oder in den Theilen zurück-
gehalten wird.
Ich will jetzt die im Voranstehenden hervorgehobenen allgemeinen Sätze
auf den niedersten Thierkreis oder die Urthiere anzuwenden versuchen. Von
Eiern derselben wird gewöhnlich desshalb nicht gesprochen, weil man darunter
ein befruchtungsbedürftiges weibliches Zeugungsprodukt versteht. Da aber
die Befruchtung keine unerlässliche Bedingung für den Anfang und Fortgang
der Entwickelung des Eies ist, so ist jene Definition zu beschränkt, und wir
haben bloss zu untersuchen, ob die Urthiere Zustände zeigen, welche mit dem
reifen Eie der Vertebraten verglichen werden können. Die wesentlichen
Merkmale desselben finde ich nun in den encystirten Protoplasmakugeln der
346 XIU. Schlussbetrachtungen.
Protozoen vereinigt*. Die encystirte Protoplasmakugel wird allerdings allge-
mein als das fortlebende Thier betrachtet, welches durch die Cystenbildung die
Fortpflanzung durch einfache Theilung nur modificirt. Dagegen muss ich aber
bemerken, dass, wenn ein solcher Organismus in Folge der kugeligen Zu-
sammenziehung seine Bewegungen oft für lange Zeit einstellt, seine bisweilen
nicht unbedeutende ge webliche Differenzirung völlig einbüsst, die Vakuolen
verliert, die Skelettheile resorbirt (Heliozoa, Radiolaria) , und dabei insbeson-
dere der etwa vorhandene Kern, das verbreitetste und wichtigste Analogon
eines Organs, aufgelöst wird**, diese Erscheinungen weit mehr einer Rück-
bildung als einer bloss temporär veränderten Lebensweise gleichen; während
anderseits die Behauptung, dass das encystirte Wesen ungestört weiter lebe,
wohl nur demjenigen selbstverständlich erscheinen könnte , wer das Leben ein-
fach als eine dem Protoplasma inhärente Eigenschaft betrachtet. Die chenii-
sehen und physikalischen Eigenschaften des Protoplasmas stellen aber, wie ich
bereits an mehren Stellen dieses Buchs auseinandersetzte, bloss die eine Hälfte
der Lebensursachen dar, welche ohne die andere, nämlich das durch die
Entwickelung erworbene Formgesetzy nicht zum Leben, sondern gerade zur
Auflösung des etwa schon bestandenen Lebens führt: Unter „Leben" kann
man daher füglich nicht bloss den einen der beiderlei Ursachenkomplexe, son-
dern nur die Gesammtheit ihrer gemeinsamen Leistungen verstehen; und die
bezüglichen fehlerhaften Schlussfolgerungcn bekunden auf das unzweideutigste
dass der Komplex derFormbedingungen, welche im Formgesetz der organischen
Bildung zum einheitlichen Ausdruck kommen, nicht etwa stillschweigend
vorausgesetzt, sondern thatsächlich übersehen wurde, wie es sich noch im
* Die Infusorien muss ich von dem Vergleiche ausschliessen, da die Beobachtungen
über- ihre Fortpflanzung noch zu wenig klar, bestimmt und übereinstimmend sind. Denn <
die blosse Thatsache, dass derNucleus der Ausgangspunkt, ein zellenähnliches Gebilde das
erste Ziel der Entwickelung des Infusorienindividuums ist, kann in der zunächst vorliegen-
den Frage in keiner Weise verwerthet werden.
** Manche Beobachter, welche in den Theilungen der encystirten kernhaltigen Proto-
zoen nur durch die Anwesenheit der Schale modificirte Zeilentheilungen sehen, vermuthen
den Fortbestand des früheren Kerns auch dann , wenn er nicht zu sehen ist. Da nach
meiner Auffassung der Mangel eines Kerns unter Umständen nur eine kurze Zeit dauern
kann, indem wenigstens ein kernähnliches Centrum der ersten Theilung vorausgeht, so
haben alle Nachweise eines Kerns in den Protozoeneiern keine Bedeutung, solange nicht die
Identität desselben mit dem Kern des Zeugungsthieres evident nachgewiesen ist. Dies ist
bisher nicht geschehen, das Gegentheil aber in manchen Fällen sehr wahrscheinlich gemacht
oder selbst bestimmt festgestellt worden (Schulze, Cienkowskt).
XIII. Schlussbetrachtungen. 847
Folgenden ergeben wird. Wenn wir nun den gesammten Ausdruck der form-
gesetzlichen Diflerenzirung eines Urthiers* schwinden und dasselbe alle seine
Lebensäusserungen einstellen sehen, so scheint mir die Ansicht weit begrün-
deter, dass wir in der encystirten Protoplasmakugel der Protozoen eine ebenso
unorganisirte , nicht lebende Bildung wie das P]i der Wirbelthiere vor uns
haben. Ein solches Protozoenei besitzt allerdings nicht immer eine besondere
Eihülle, dieselbe wird' aber theils durch die zurückgebliebene Schale des
Zeugungsthieres ersetzt (Monothalamia, Heliozoa), theils Hesse es sich wohl
«lenken, dass gerade bei den Protozoen die Formbedingungen für die Einleitung
der Entwickelung so einfacher Natur seien, dass unter Umständen eine beson-
dere Eihülle ganz entbehrlich würde.
Ein wichtigerer Einwurf wäre derjenige, dass die Encystirung oder
Eibildung gar nicht für alle Protozoen nachgewiesen , dagegen die Theilung
des lebenden Thiers viel allgemeiner verbreitet sei und als einzige Fortpflan-
zungsweise mancher niedersten Protozoen gerade als die ursprüngliche sich
darstelle. Zunächst wissen wir aber nur so viel sicher, dass einfache Theilung
und Encystirung mit der darauf folgenden Vermehrung nebeneinander vor-
kommen; die fehlende Beobachtung der einen oder anderen Erscheinung könnte
nur dann eine vorläufige Bedeutung beanspruchen , wenn man in beiden einen
gleichartigen, nur nebensächlich modificirten Vorgang annimmt. Dies halte
ich jedoch für unstatthaft; die Theilung des lebenden Thiers ist eine Lebens-' ..
crscheinung , diejenige des Eies ein nicht lebendiger Entwickelungsvorgang.
Ferner spricht aber auch ein sehr gewichtiges Bedenken gegen die Annahme,
dass selbst ein Urthier nur in der ersten Weise sich fortpflanze. Aus dem (_
Wechselverhältniss der beiden Faktoren des individuellen Lebens, wie wir es
aus der Entwicklungsgeschichte herauslesen können , ergibt sich die Not-
wendigkeit eines zeitlich beschränkten Bestandes des Einzellebens , also seine
früher oder später erfolgende Auflösung. Anfangs überwiegt, wie ich
auseinandersetzte, ■in gewissem Sinne das Formgesetz, indem es die Elementar-
aktionen in solchem Masse beschränkt, dass ihre Leistungen innerhalb der
Grenzen des Ganzen wesentlich in der mechanischen Formbildung aufgehen.
Das fertig entwickelte Leben löst aber diese Form des Geschehens ab, seine
Arbeit wird zum grossen Theil ausserhalb des Organismus geleistet, indem die
Bewegungen der Lokomotion , der Nahrungsaufnahme auf Aussendinge über-
tragen werden, und die innere formbildende Arbeit erschöpft sich in der
Erhaltung, dem Ersatz der durch jene Bewegungen gelösten Spannkräfte und
348 " XIII. Schlussbetrachtungen.
Formtheile. Das individuelle Leben ist aber nicht 11111' unvermögend , seine
einmal gewonnenen formalen Grundlagen weiter zu gliedern, sondern die
unveränderte Erhaltung derselben erscheint auf die Dauer unmöglich , da das
Formgesetz mit jedem Verbrauch eines Formtheils durchbrochen wird, und der
Ersatz die einmal eingetretene Lockerung des ersteren nicht ungeschehen
machen, sondern bloss zeitweilig ihren Fortschritt aufhalten kann. Kurz, so-
bald die aktiven Lebensursachen nicht mehr von den innerhalb der Embryonal-
theile im Ueberfluss angesammelten Spannkräften zehren, sondern die ganzen
Formelemente selbst anzugreifen anfangen, nimmt der Zusammenhang des
Formgesetzes langsamer oder schneller ab , und die volle Auflösung desselben
und damit der Tod des Individuums ist ebenso unvermeidlich wie sein zeitlicher
Anfang, und zwar nicht in Folge einer „lebensunfähigen" Veränderung des
stofflichen Substrats, welches z. B. bei der Encystirung der Protozoen mehr
oder weniger vollständig in neue Lebensformen übergeführt werden kann,
sondern lediglich in Folge der Auflösung des form gesetzlichen Zusammenhangs
seiner Theile. Jane solche erfolgt aber bei der Theilung des ununterbrochen
fortlebenden Thieres nicht ; nimmt man daher an , dass irgend ein Urthier nur
durch solche Tlieilungen sich fortpflanze, so ist, wie mir scheint, die weitere
Annahme konsequenterweise unerlässlich, dass der ganze von einem ersten
Individuum ausgegangene Stamm nach einer relativ beschränkten Zeitdauer
ausstirbt. Und da die Bildung neuer Lebensformen, .wie ich noch ausführ-
licher zeigen werde, nur auf ontogenetischem Wege möglich ist, so könnten
höher organisirte Thiere von solchen Protozoen, welche sicli nur durch ein-
fache Theilung fortpflanzten, nicht abgeleitet werden, die letzteren niemals
der Ausgangspunkt von phylogenetischen Reihen sein. Die ebenfalls,, aus
meiner Auffassung der individuellen Entwicklungsgeschichte logisch begründ-
bare Notwendigkeit der Descendenztheorie (s. w. u.) fordert daher die
Annahme einer Eibildung bei den allerersten Stammformen des Thierreichs
sowohl mit Hinsicht auf die dauernde Erhaltung wie auch die Weiterbildung
derselben. Endlich folgt auch aus der voranstehenden Erörterung, dass das
Ei unmöglich einen besonderen Zustand des fortdauernden individuellen Lebens
darstellen kann , weil alsdann die durch das Ei ausgeführte Fortpflanzung mit
der einfachen Theilung zusammenfiele und alle daraus gezogenen Konsequenzen
mit sich brächte, welche eben mit der Descendenztheorie im Widerspruch stehen.
Nach der eben gegebenen Definition des individuellen Todes erscheint es
ganz natürlich, dass bei der niederen Organisation der meisten Protozoen nicht
XIII. Schlussbetrachtungen. 849
einzelne Theile derselben zu Eiern differenzirt weiden, sondern der ganze
absterbende Mutterorganismus sich in eine unorganisirte Protoplasmakugel
zusammenzieht und so sich in ein Ei verwandelt. Dabei wird nicht bloss mit
der individuellen Lebensform jede Differenzirung des Protoplasmas aufgegeben,
sondern dasselbe verdichtet sich in ganz auffallender Weise und wird durch eine
Ausfällung zahlreicher Körner undurchsichtig. Diese nur dem Encystirungs-
zustande eigene Erscheinung entspricht aber vollkommen dem aus der
Entwicklungsgeschichte der Vertebraten abgeleiteten allgemeinen Postulat,
dass das Ei zur Einleitung und Ausbildung eines individuellen Lebens einen
gewissen Vorrath von Spannkräften in Eorm eines festen, durch Auflösung in
lebensfähiges Protoplasma überführbaren Stoffes enthalte. Diese Dotter-
bildung im Protozoeneie sowie seine Umhüllung sind aber nicht sowohl Lebens-
erscheinungen des Protoplasma, sondern Erzeugnisse der Wechselwirkung
zwischen dem leblosen Protoplasma und dem umgebenden Wasser, ähnlich
wie bekanntlich einzelne künstlich und beliebig abgetrennte Protoplasmastücke
gewisser Protozoen unter demselben Einfluss sich kugelig zusammenzuziehen
pflegen, ohne dass daraus stets wieder neue Individuen entständen. Gerade
die Beobachtung, dass in solchen, ich möchte sagen künstlich erzeugten
Eibildungen die Entwickelnng bald leicht und schnell eintritt, und neue
Individuen bildet, bald nach unvollkommenem Anfang wieder zurückgeht oder
endlich ganz unterbleibt, diese Beobachtung scheint mir sein" geeignet um
darzuthun , dass die zur Entwicklung nothwendigen Formbedingungen nicht
bereits fertig im Eistoffe enthalten sind, sondern erst unter gewissen Umständen
an demselben zusammentreffen. Denn selbst wenn wir für die denkbar ein-
fachsten Organismen annehmen wollten, dass zur Einleitung ihres individuellen
Lebens nichts weiter nöthig wäre als die unter der Einwirkung des Wassers
nothwendige kugelige Kontraktion eines beliebigen Protoplasmastückes, so setzt
dies doch immer einen Zustand voraus, in welchem dasselbe Protoplasmastück
alle Bedingungen zu jener Eibildung noch nicht vereinigte, mögen dieselben nur
ganz zufällig oder normal im Laufe einer Generationsreihe zusammentreffen.
Der Bestand und die Thätigkeit des von mir erörterten Formgesetzes >
zeigt sich an den Protozoeneiern auch in ihrem weiteren Verhalten. Als erster
Ausdruck der fornigesetzlich angeordneten Wechselwirkungen ihrer Dotter-
kugel mit dem umgebenden Wasser stellt sich gleichfalls eine Theilung ein,
welche bereits von Anderen mit der Dottertheilung der höheren Thiere ver-
glichen worden ist. Ein Wachsthum der sich theilenden Masse fehlt auch am
Goette, Eutwickelungsgescbichlc 54
850
XIII. Schlussbetrachtunaen.
Protozoeneie, wodurch sich ein solcher Vorgang grundsätzlich von einer durch
Wachsthum herbeigeführten Zeilentheilung unterscheidet.* Ob dabei sofort
oder erst nach einiger Zeit oder gar keine Kerne sichtbar werden, ändert an der
allgemeinen formgesetzlichen Bedeutung nichts •, denn auch in kernlosen Proto-
plasmakugelu kann nach begonnener Entwicklung ein centraler Sammelpunkt
ihrer radiären Strömungen so wenig geläugnet werden, wie etwa in den Wirbel-
thiereiern, wo ich solche Centra in der Dotterkugel und ihren ersten gleichfalls
kernlosen Theilstücken nachwies. Die Kernbildung bezeichnet bloss eine höhere
histologische Differenzirung , der morphologische Typus bleibt aber in kern-
losen und kernhaltigen Dottertheilstücken derselbe. Die weiteren Schicksale
der aus einem Protozoeneie hervorgehenden Theilstücke sind lauter Bestä-
tigungen für meine Ansicht von den Beziehungen der morphologischen und
histologischen Entwicklung und der Individualität des ganzen Eiprodukts
und seiner Theile. Meist ist die Dottersubstanz so ungenügend gebildet und
daher die histologische Ausbildung und individuelle Lebensfähigkeit der Theil-
stücke so früh hergestellt, dass dadurch nicht nur der Fortgang der morpho-
logischen Entwicklung unterbrochen wird, sondern, wo dieselbe sogar bis zur
radiären Anordnung der Elemente , ja bis zur Bildung einer während einiger
Zeit zusammenhängenden Keimblase gedieh (Magosphaera planula Haeckel),
diese Gesammtform schliesslich doch wieder aufgelöst wird. Die kaum an-
gelegte Individualität des Ganzen geht vollständig auf die einzelnen Form-
* Haeckel hat den Mangel eines Wachsthums bei der ,.Furchnng" der Magosphaera
planula selbst konstatirt (Nr. 101). Er hat den abnehmenden Durchmesser der Furchungs-
kugeln direkt gemessen; ich habe sie von demselben ersten Durchmesser ausgehend berech-
net unter der Voraussetzung, dass das Gesammtvolumen nicht zunimmt, und stelle hier die
beiderlei Verhältnisszahlen zusammen:
VonH.
gemessen.
Von
mir b<
^rechnet.
Einfache Eizellen
Durchmesser 60
Durchmesser 60
I.
Furchung
2
Zellen
')
40
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II.
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IV.
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16
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24
V.
')
32
»*
?1
20
M
19
Es ergibt sich daraus, 1. dass das Volumen der 32 Theilstücke dasjenige des ungetheilten
Eies nicht nennenswerth übertrifft, 2. dass aber das letztere bei der ersten Theilung plötz-
lich abnimmt, um allmählich wieder das frühere Mass zu erreichen. Diese Thatsachen
stimmen auf das befriedigendste mit der nothwendigen Zusammenziehung des Eies vor der
Theilung überein und verallgemeinern dadurch meine bezüglichen an den Batrachiern ge-
wonnenen Resultate.
XIII. Schlussbetrachtungen. 851
elemente über, das Eiprodukt zerfällt in zahlreiche einelementige Organismen,
sinkt also vom höheren Typus der Keimblase auf die niederste Stufe des einfach
kugeligen Typus zurück, welcher trotz aller äusseren Abweichungen wenigstens
in dem von mir erörterten Sinne der Grundform oder des Typus allen ein-
elementigen Organismen gemeinsam bleibt. Allerdings können durch Ungleich-
heit der Radien und denselben angepasste histiologische Differenzirungen uni-
und bipolare, sowie bilaterale Formen auch an den einelementigen Organismen
hervorgebracht werden ; zu typischer Bedeutung gelangen aber solche Form-
verhältnisse erst dort, wo sie der morphologischen Entwickelung angehören,
während sie für jene Organismen nur die Bedeutung haben wie die „Variationen"
desselben Typus z. B. bei den verschiedenen Wirbelthieren. Ferner wird nach
meiner Ansicht der Begriff des einelementigen Organismus, soweit er durch die
morphologische Entwickelung festgestellt ist, auch durch die postembryonale
Vermehrung der Kerne, ja selbst durch Erzeugung endogener Zellen nicht
berührt; denn diese Bildungen gehören in die Kategorie histiologi scher Differen-
zirung, welche den genetisch-morphologischen Werth des ganzen Organismus
nicht abändern kann. Der allgemeine Charakter der Protozoen lässt sich daher
dahin zusammenfassen, dass es Thiere sind, deren morphologische Entwickelung
auf so niederer Stufe bleibt , dass das Eiprodukt seine Individualität nicht zu
wahren vermag , sondern stets in die sämmtlichen Formelemente als die indivi-
duellen Fortpflanzungsprodukte zerfällt, Nur einzelne deuten in ihrer Entwicke-
hing Ansätze zum Fortschritte des Typus an (Magosphaera) ; Uebergänge zur
nächsthöheren Gastrulaform sind nicht bekannt.
Dafür, dass die Eier der über den Protozoen stehenden Thiere am Aus-
gangspunkte ihrer Entwickelung kernlose Protoplasmakugeln sind, wurden be-
reits so viele Beweise erbracht, dass wir diese Thatsache im allgemeinen auf alle
jene Thiere beziehen dürfen. Was alles über die Zellennatur ihres Eies ge-
schrieben worden ist, konnte eigentlich nur so lange eine grössere Bedeutung
beanspruchen, als man glaubte daran festhalten zu können, dass gewisse Zellen
des Zeugungsthiers durch blosses Wachsthum zu reifen Eiern würden und
dann durch ebenso einfache Zellentheilungen in die Embryonalbildung über-
gingen. Seitdem wohl allgemein anerkannt wird, dass in dem allein ent-
wicklungsfähigen reifen Eie mit dem Schwunde des Keimbläschens die Zellen-
natur der seiner Bildung zu Grunde liegenden Keimzelle aufhört, kann die
Frage nach der „Eizelle" füglich nur noch für die letztere oder etwa die erste
Stufe der bereits begonnenen Embryonalentwickelung, die sogenannte erste
54*
852 XIII. Schlussbetrachtungen.
Furchungszelle, in Betracht kommen, aber nicht mehr auf eine vom Zeugungs-
thier auf die Nachkommen kontinuirlich vererbte Zellenexistenz hinzielen. Da
es sich jedoch bei dieser Frage in erster Linie um die Bedeutung des Eies als
eines Elementarorganismus handelt, welcher von der Keimzelle an bis zu dem
aus ihm hervorgehenden vollkommenen Organismus das Leben kontiuuirlich
fortführe , so nehmen die Anhänger der Eizellentheorie gegenwärtig in dem
kernlosen Zustande des reifen Eies nur einen Wechsel in der äusseren Form des
kontinuirlichen Lebens an. So hält Haeckel den Schwund des Keimbläs-
chens, den er früher nicht recht anerkennen wollte (S. 73), nunmehr für^ einen
durch die Befruchtung bewirkten Rückschlag aus der Zellen- in die Cytoden-
form , welche vor der Dottertheilung wieder in die erste übergehe , sodass die
l/^Furchimg" eine, einfache Zeilentheilung sei. Aber schon durch die sich be-
ständig mehrenden Nachweise der Parthenogenesis, sowie durch die wenigstens
bei den Wirbelthieren vollständig gewisse, lange vor der Befruchtung eingeleitete
Atrophie des Keimbläschens wird der Einfluss der Befruchtung auf diesen Vor-
gang ganz bestimmt ausgeschlossen. Mögen aber auch in anderen Fällen beide
Vorgänge koincidiren oder selbst im Kausalzusammenhänge stehen, so haben
wir in jener Umbildung des reifenden Eies immerhin einen Rückbildungspro-
cess anzuerkennen; und dass ein solcher, welcher zudem einen der zwei Haupt-
bestandtheile der angeblichen einfachen Zelle zerstört, dennoch ihr Leben
nicht abschwächen, sondern gerade zur höchsten Entwickelung veranlassen
soll, scheint mir schon a priori eine bedenkliche Annahme. Anderseits ist mir
nichts bekannt, was der Auffassung widerspräche, dass die reifen Eier der zwi-
schen den Protozoen und Vertebraten stehenden Thiere sich in jeder Hinsicht
so wie bei diesen verhielten. Ueberall geht das die Eibildung einleitende
Zellenleben zu Grunde, indem das Keimbläschen sich auflöst und die übrige
Eimasse sich in eine mehr oder weniger körnige Dottersubstanz verwandelt,
welche in ihren überwiegenden festen Theilen die Lebensfähigkeit des Proto-
plasmas nicht besitzt. Und dies stimmt wieder mit meiner Auffassung von den
Bedingungen der Entwickelung vollkommen überein : die Entwicklungsfähig-
keit des reifen Eies schliesst ein wirkliches Leben desselben aus. Natürlich
verträgt sich aber damit die Deutung der Dottertheilung als einer einfachen
Zellentheilung nicht. Und wenn gerade dieser unpassende Vergleich wohl nicht
wenig dazu beigetragen hat, die Annahme zu empfehlen , dass die Keimzelle
im wesentlich ungestörten Fortbestande in die sich theilende Dotterkugel über-
gehe, dass also die Eizelle vor und nach dem vorübergehenden kernlosen Zu-
XIII. Schlussbetrachtungen. 853
stände im Grunde dieselbe Bildung sei, so will ich nochmals an die hinsichtlich
der Wirbelthiere und Protozoen bereits hervorgehobenen Inkonsequenz erinnern,
womit z. B. Haeckel die Zeilentheilung als einWachsthum über das indivduelle
Mass hinaus bezeichnet (vgl. S. 100, Nr. 100 II S. 16), während er selbst in dem
am genauesten untersuchten Falle der Dottertheilung bei Magosphaera den voll-
ständigen Mangel eines Wachsthums nachgewiesen hat. Nicht einmal in der
äusseren Erscheinung stimmen beide Theilungsvorgänge überein. Die Ansicht,
dass die Dotterkugel unmittelbar vor der ersten Theilung bereits einen voll-
ständigen Kern enthalte, ist freilich so naheliegend, sobald man die deutlichen
Bilder desselben an den späteren Zellen kennt, dass man jene Ansicht leicht
für thatsächlich erwiesen hält, auch wo die bezügliche Beobachtung sich auf
die Wahrnehmung irgend eines hellen Centrums am unberührten Eie be-
schränkt. Genügende Sicherheit gewährt nur die Untersuchung von Durch-
schnitten, wie sie z. B. Kowalewski an Eiern von Euaxes ausgeführt hat (Nr.
159 S. 13 u. flg. Taft IV). Vergleicht man aber dieselben mit den ent-
sprechenden Abbildungen von Batrachiereiern , so wird man nicht geneigt sein,
die grossen hellen Centren, welche Kowalewsky selbst als Kerne deutet, auch
wirklich für solche zu halten. Einmal sind sie selbst auf den stark vergrösser -
ten Durchschnittsbildern nicht durch einen eigenen Kontur, sondern bloss durch
die körnige Dottermasse selbst und zwar mit winkelig gebogenen oder zackigen
Linien begrenzt; ferner sollen die Kernkörperchen dieser Kerne anfangs nur
Körnerhaufen sein, welche sich bei der Theilung in zwei durch einen Faden ver-
bundene Hälften ausziehen. Diese auffallenden Angaben passen zu allen
sonstigen Beobachtungen von einfachen sich theilenden Kernen nicht im gering-
sten, decken sich aber vollständig mit meinen Beobachtungen am Batrachiereie,
wenn man die angeblichen Kerne und Kernkörperchen von Euaxes mit den
Lebenskeimen und Kernkeimhaufen jener Vertebraten vergleicht, welche früher
ebenfalls für Kerne und Kernkörperchen gehalten wurden (S. 68. 69). Nimmt man
dazu, dass in der Fig. 25 der KowALEWSKY'schen Arbeit nach Grösse und Aussehen
genau gleiche Gebilde in den grösseren Stücken als Kernkörperchen, in den da-
von abgetrennten kleineren Dotterstücken als Kerne figuriren , so wird es noch
wahrscheinlicher, dass die letzteren die Hälften der sich theilenden angeblichen
Kernkörperchen /sind und dass folglich diese in der That die während
der Dottertheilung in der Bildung begriffene Kerne darstellen, welche also
ebenso wie bei den Batrachiern aus Körnerhaufen inmitten der mit der unver-
änderten Dottersubstanz kontinuirlich zusammenhängenden Umbildungscentren
$54 XIII. Schlussbetrachtungen.
derselben oder der Lebenskeiuie entstehen. Der Umstand , dass nach meinen
Beobachtungen die Kerne allerdings zuletzt an die Stelle der aufgebrauchten
Lebenskeime treten, lässt die von mir angenommene Verwechselung um so er-
klärlicher erscheinen, besonders da die Aufmerksamkeit bisher auf diesen
Punkt nicht gelenkt war. Aus denselben interessanten Untersuchungen Kowa-
lewsky's, welche jedenfalls die Dottertheilung niederer T liiere am ausführlich-
sten darstellen , entnehme ich ferner die wichtige Thatsache , dass die Dotter-
schmelzung der morphologischen Entwickelung durchaus parallel geht, in den
sich schneller theilenden und verkleinernden Dotterstücken auch am schnell-
sten abläuft (Embryonalzellen), in den grösseren aber zum Stillstand kommt,
sobald ihre Theilungen eingestellt werden. Ferner sind die Unibildungsherde
der grossen ersten Dotterstücke excentrisch gelegen, wie ich es nicht nur an
.Vertebraten und einigen niederen Thieren als Norm fand, sondern auch als die
nothwendige nächste Ursache der Scheidung des Eies in zwei ungleichmässige
Hälften erkannte, woraus an Euaxes in durchaus ähnlicher Weise wie bei den
Batrachiern die weitere morphologische Entwickelung sich ergibt. Es lassen
sich also aus dem ausführlichsten Beispiele der ersten Entwickelung des Eies
niederer Thiere alle diejenigen Merkmale und Vorgänge beobachten, aus denen
ich zunächst für die Wirbelthiere den Kausalzusammenhang der Entwickelung
ableitete, sodass die darauf bezüglichen allgemeinen Sätze dadurch eine weitere
Verallgemeinerung erfahren. Und zwar glaube ich ihre Gültigkeit auch für
alle diejenigen Fälle annehmen zu dürfen, welche nicht genau dieselben äusseren
Befunde liefern sollten. Mag z. B. die Dottersubstanz weniger deutlich, der
Kern aber früher erscheinen als in den erörterten Beispielen , so schwächt dies
die Bedeutung der ersteren für die ganze Entwickelung ebenso wenig ab , als
selbst eine wirklich und nicht bloss scheinbar kernhaltige Dotterkugel dadurch
noch nicht zum fertigen Elementarorganismus wird. Auf die blossen Namen
„Eizelle", „Zeilentheilung" kann es dabei freilich nicht viel ankommen, solange
man die Morphologie in der bisherigen schematischen Weise weiter behandelt,
wonach Protozoen, Eier , Gewebsfasern u. s. w. in eine Kategorie zusamnien-
. geworfen werden. Auch werden gewiss die grundsätzlich verschiedenen Zu-
stände des reifen Eies und des vollkommenen individuellen Lebens in den ein-
zelnen Thierformen durch einen wechselnden Abstand getrennt sein. Es kommt
mir aber nur darauf an, an einzelnen Beispielen zu zeigen, dass ein solcher nur
durch allmähliche Entwickelung auszufüllender Abstand wirklich besteht-, und
die bezeichneten Abweichungen in dem Befunde verschiedener Entwickelungs-
XIII. Schlussbetraclitungen. 855
verlaufe werden uns nicht an sich , sondern nur insofern interessiren , als sich
uns daraus die Unterschiede erklären müssen , welche bei dein relativ gleichen
Anfang und Vorgang der gesammten thierischen Entwickelung in den einzelnen
Endergebnissen entgegentreten.
Die verschiedene chemische Beschaffenheit der Dottersubstanz kann zu-
nächst natürlich nicht festgestellt werden. Auch scheint sie mir in den vor-
liegenden Fragen von geringerer Bedeutung zu sein und erst später, namentlich
in der Histiogenese zur vollen Geltung zu kommen. Denn einmal können wil-
den am leichtesten nachweisbaren stofflichen Unterschieden, nämlich hinsicht-
lich des Pigments, jeden Einfiuss auf die fundamentale morphologische Ent-
wickelung absprechen, da dasselbe oft in derselben Art einem nicht unbedeu-
tenden Wechsel unterworfen ist; und ferner finden' wir ebenso oft eine so grosse
Uebereinstimmuiig in der ersten morphologischen Entwickelung ganz verschie-
dener Thiere — ich erinnere nur an die Entstehung der Gastrula bei manchen
Coelenteraten, Echinodermen, Würmern, Ascidien, Amphioxus — , deren Eiern
man unzweifelhaft eine verschiedene chemische Konstitution zuschreiben muss,
dass wir auch in diesem Falle eine unmittelbar massgebende Einwirkung der
letzteren auf jene Entwickelungsresultate nicht wohl annehmen können. Dagegen
kommt die Beschaffenheit der Dottermasse allerdings in Betracht, soweit es sich
um ihre Verschiedenheit in demselben Eie handelt, also insbesondere um die
Ausbildung einer Rindenschicht und deren relative Massverhältnisse, und soweit
durch jene Beschaffenheit das Mass der im Eie angesammelten Spannkräfte l'elativ
bestimmt wird. Im ersten Falle liegt aber bereits eine von den mechanisch
wirkenden Formbedingungen vor , welche das Formgesetz konstruiren (S. 571),
und das Mass der Spannkräfte wirkt natürlich nicht unmittelbar formbildend,
sondern stellt sich , indem es das Quantum der für die morphologische Ent-
wickelung verfügbaren Elementaraktionen bestimmt, dem Formgesetz eben als
der zweite der beiden Faktoren der Gesammtentwickelung gegenüber , dessen
Werth wir gerade nach der Höhe der morphologischen Entwickelung bemessen.
So müssen wir auch bei den bevorstehenden Vergleichen stets von den Form-
verhältnissen ausgehend auf den Kausalzusammenhang des Vorgangs schliessen,
aber alsdann auch die Werthschätzung der ersteren oder die Homologien nur
auf diesen genetischen Zusammenhang begründen.
Eine eingehendere Vergleichung der individuellen Entwickelungsgeschichte
der verschiedenen Hauptformen des Thierreichs ist erst seit der durch Dar-
win veranlassten lebhaften Wiederaufnahme der Descendenztheorre ins Leben
856 XIII. Schlussbetrachtuugen.
getreten ; und auch in dieser Beziehung ist es vornehmlich Haeckel gewesen,
der mit der ihm eigentümlichen Energie das Problem gleich im grossen und
ganzen zu vollständiger und radikaler Lösung zu bringen versuchte. Ich halte
es daher für geboten, bevor ich jene Vergleichung nach den von mir entwickel-
ten Grundsätzen unternehme, gleich hier auf den wesentlichen Unterschied
zwischen Haeckel's und meiner Auffassungsweise in dieser Frage hinzuweisen.
— Haeckel kennt und berücksichtigt in der individuellen Entwicklungs-
geschichte nur die äusseren Form erscheinungen, und wenn er von ihrem Kausal-
zusammenhange spricht, so kann er nur ihren Kontinuitätszusammenhang
meinen ; denn der erstere mag dabei wohl stillschweigend vorausgesetzt werden,
gegenständlich bezeichnet wird er entweder gar nicht oder in einer Weise,
welche nicht gerade an mechanische Auffassung erinnert. Allerdings könnte
hierher der Versuch einer mechanischen Erklärung der Zellentheilung bezogen
werden, indem nach Haeckel's Ansicht die Dottertheilung nichts anderes vor-
stellen soll. Wollten wir aber auch im Widerspruch mit den Thatsachen bei
. der Dottertheilung ein Wachsthum über das individuelle Mass hinaus anerkennen,
so wäre doch dasselbe durch die ganz allgemeine Annahme anziehender und
abstossender Kräfte als mechanischer Ursachen nicht im mindesten erklärt
(S. 90. 91). Denn Anziehung und Abstossung können wohl die „Erscheinung"
des individuellen Zusammenhangs und darauf der Theilung einer Zelle ganz
im allgemeinen ausdrücken, aber ebendesshalb ihre thatsächlichen Ursachen
selbst hypothetisch nicht im entferntesten andeuten , sowie in der Physik jene
Ausdrücke die Wechselbeziehungen der Atome zu einander nicht erklären, son-
dern lediglich bezeichnen und so die Formel für das letzte nicht weiter erklär-
bare „Erscheinungsgesetz" darstellen. Zudem ist mit der angeblichen Zellen-
theilung für die individuelle Entwicklung wenigstens der über den Protozoen
stehenden Thiere, der Metazoen nach Haeckel, gar nichts gewonnen, da die
Dottertheilstücke eben nicht auseinanderfallen, sondern von Anfang an bei einer
gewissen Verschiedenheit in der Grösse in einem eigenthümlichen formgesetz-
lichen Zusammenhange bleiben, um auf Grundlage desselben eine kürzere oder
lungere Reihe ganz gesetzmässiger Umbildungen des Ganzen auszuführen, bis
dieselben allmählich durch die lokale histiologische Entwicklung abgelöst wer-
den. Alle diese Thatsachen, auf denen das Verständniss der ganzen thierischen
Morphologie beruht, hat Haeckel unmittelbar gar nicht anders als durch die
„l'orinbildende Funktion des Plasmas" zu erklären versucht. In zweiter Linie
wird allerdings die Phylogenese als „mechanische Ursache" der gesammten
XIII. Sclilussbetrachtungen. 857
individuellen Entwickelung genannt; doch kann uns natürlich die Bezeichnung
entfernterer hypothetischer Ursachen nicht befriedigen, wenn die nächsten so
wenig greifbar sind wie in diesem Falle , also der Nachweis eines Zusammen-
hangs zwischen der Phylogenese und ihrer zu erklärenden Wirkung fehlt. Ich
habe bereits auseinandergesetzt (S. 589), dass Substrat und Form niemals in
dem einfachen Verbal tniss von Grund und Folge gedacht werden können; ich
will hier aber hinzufügen, dass wir überdies von der ganzen Funktion des
Plasmas nichts weiter erfahren als ihren „formbildenden" Einfluss, und dass
uns daher nichts verloren geht, wenn wir uns statt dessen mit der Behauptung
begnügen , die gesammte Morphologie der Thiere beruhe eben auch lediglich
auf naturnothwendigen Vorgängen. Damit wird aber unzweifelhaft nichts er-
klärt , sondern nur der Standpunkt bezeichnet, von welchem die Untersuchung I
des besonderen Kausalzusammenhangs auszugehen habe. — Noch auffallender
ist gerade bei Haeckel eine Annahme , die uns ganz konsecpient über den
naturnothwendigen Kausalnexus hinausführt. Er ist nämlich der Ansicht, dass
die Bildungszellen gewisser Organe bereits unter den „gleichartigen Furchungs-
zellen" soweit vorherbestimmt seien, dass sie bei der Sonderung der beiden pri-
mären Keimblätter im Laufe der Phylogenese allmählich aus der ursprüng-
lichen Lage in dem einen Blatte in das andere übergehen und so die
Entwickelung des gleichen Organs in die fundamental verschiedensten Lagen
übertragen könnten (Nr. 163 S. 45. 40). Wenn Haeckel einen solchen Vor-
gang für einige besondere Fälle (Sexualzellen und Theile des mittleren Keim-
blattes) auch nur vermuthet , so nimmt er doch offenbar an der Vorstellung
selbst nicht den mindesten Anstoss. Demzufolge hätte eine jede Furchungs-
zelle* eine besondere und ganz bestimmte Bildungskraft, welche durch die
eingreifendsten Lageveränderungen unberührt bleibt, also den Einwirkungen
der im Laufe der Entwickelung wechselnden formalen und sonstigen Anpassungs-
bedingungen nicht unterworfen ist. Und da die „gleichartigen Furchungs-
zellen" aus der „ganz gleichartigen und strukturlosen Masse" des Eies
(Monerula) unmittelbar hervorgehen, so fehlt auch in dem letzteren jedes
mechanische oder physiologische Kausalmoment für die Entstehung jener
einzelnen von Anfang an gesonderten und unendlich mannigfaltigen Bildungs-
* Es ist selbstverständlich , dass die Sexualorgane und die Erzeugnisse des mittleren
Keimblattes keine Ausnahme von allen übrigen Körpertheilen machen können , obgleich es
für die folgende Beweisführung ganz gleichgültig ist , auf welche und auf wie viele Organe
/
die bezeichnete Ansicht angewandt wird.
858 XIII. Sclilussbetraehtungen.
kräfte. Deim selbst eine hypothetische formbildende Funktion des Plasmas
könnte in einem homogenen Substrat nicht mannigfaltig und unveränderlich
getheilt und weiterhin jedem natürlichen Einflüsse entzogen gedacht werden.
Kurz, jene Vorstellung Haeckel's, welche mit der von His. gelehrten Prädesti-
nation der Embryonalzellen zusammenfällt (S. 554) , löst konsequenterweise
die Erscheinungen der individuellen Entwickelung von den natürlichen Be-
dingungen ihres Substrats ab und setzt für sie eine in natürlicher Weise nicht
zu begründende Ursache voraus, welche von der Lebenskraft oder sonst einer
teleologisch konstruirten Ursache nur durch den Namen sich unterschiede. Die
Berufung auf die Phylogenese als die letzte „mechanische Ursache" der
individuellen Entwickelung ändert an dem Gesagten nichts , da sie ja doch nur
durch das Ei wirken könnte, wo die mechanische Begründung der weiteren
Entwickelung nach der eben kritisirten Darstellung aufhört. — Ich finde daher
bei Haeckel nicht nur keinen Aufschluss über den natürlichen Kausal-
zusammenhang der aneinandergereihten Entwickelungsglieder, sondern ge-
legentlich Vorstellungen, welche denselben durchaus verneinen. Aber auch die
Art und Weise, wie Haeckel die Homologien ableitet, kann seine ontogene-
tischen Vergleiche nicht unterstützen. Zum Beleg dafür wähle ich die Begrün-
dung der Gastraea- Theorie, welche Haeckel zum Ausgangspunkte für die
Erkenntniss des monophyletischen Zusammenhangs aller Metazoen nimmt.
Nachdem bereits in sehr vielen grösseren und kleineren Abtheilungen des
Thierreichs eine ganz gleiche Entstehung der Gastrulaformen, durch Ein-
stülpung der Keimblase, beobachtet worden ist, so Hesse sich die Annahme
einigermassen rechtfertigen, class, wo diese Entstehung auch nicht beobachtet
wurde , die entsprechende Embryonalform dennoch ähnlich entstehe wie jene
anderen Gastrulae, also ihnen auch homolog sei. Haeckel nimmt aber für die
Schwämme an (Nr. 128 I S. 330 — 336), dass die aus der Eitheilung hervorge-
gangene kompakte Zellenmasse (Morula) durch lokale Absonderung in zwei
koncentrische Schichten zerfalle (Planula) , von denen darauf die innere eine
Höhle erhalte (Planogastrula) ; und indem diese Höhle nach aussen durch-
breche, sei die Gastrula der Schwämme als eine den übrigen homologe Form
fertig. Später lässt er sogar beide Arten der Gastrulabildung mit der Aus-
höhlung der Morula beginnen, worauf die dadurch gebildete Blase entweder
vermittelst einer Einstülpung oder durch lokale Schichtung ihrer Wand und
sekundären Durchbruch des Mundes zur Gastrula werde (Nr. 103 S. 23). In
beiden Fällen sei das Resultat ganz dasselbe und daher die scheinbar
XIII. Schlussbetrachtungen. 859
bedeutende Verschiedenheit der Genese aus einer sekundären Anpassung in
Folge abgekürzter Vererbung abzuleiten. Durch eine solche Art Homologien
festzustellen würde aber -die genetische Begründung derselben überhaupt
illusorisch. Denn wenn die ausgehöhlte Morula oder die Keimblase der ge-
meinsame Ausgangspunkt ist, so wäre im ersten Falle das Entoderm in der
unteren Hemisphäre, im anderen Fidle an der Innenfläche der Keimblase ange-
legt, die Darmhöhle dort eine an die Stelle der Keimhöhle tretende Neubildung,
hier die fortbestehende Keimhöhle selbst. Die sekundär durchbrechende
Mundöfhiung endlich hat mit der Einstülpungsöffnung gar nichts zu schaffen.
Mag nun die „Fälschung der Ontogenese" noch so gewiss die Ursache der
grundsätzlichen Verschiedenheit beider Entwickelungsvorgänge sein, so wird
doch im gegebenen Falle die letztere dadurch nicht gehoben, folglich auch die
vermisste Homologie der HAECKEL'schen Gastrulaformen nicht hergestellt.
Allerdings scheint aber Haeckel die genetische Uebereiustimmung für die
Homologie überhaupt nicht unbedingt zu verlangen; denn an einer anderen
Stelle sucht er die Homologie der beiden überall nachweisbaren ursprünglichen
Keimschichten, worauf mit Recht das Hauptgewicht gelegt wird, ausschliesslich
dadurch zu beweisen , dass sich aus ihnen überall dieselben fundamentalen
Organe entwickelten (Nr. 158 S. 159). Nur vermag ich wenigstens alsdann
den Unterschied zwischen Analogie und Homologie ' nicht mehr einzusehen.
Soll erst die Gleichheit der Erzeugnisse die Homologie ihrer Anlagen begründen,
so erhellt, dass jene Gleichheit zunächst nur eine Analogie sein kann; denn
die Homologie jener Erzeugnisse würde natürlich diejenige ihrer Anlagen
voraussetzen. Haeckel bestimmt also die Homologie durch Analogien und
erklärt damit zugleich, dass auch ein gleicher Ursprung verschiedener Gastrula-
formen ihre genetisch - morphologische Uebereinstimmung — denn dies allein
kann „Homologie" heissen (vgl. Nr. 89 S. 79) — noch nicht genügend bekundet.
Die nothwendige Folge davon , dass Haeckel auf diese Weise die Begriffe der
Analogie und Homologie zusammenwirft und willkürlich abändert , ist nun die,
dass er die morphologische Gleichwerthigkeit aller Gastrulaformen auch von
seinem Standpunkte aus nicht beweisen kann. Er macht dieselbe wie gesagt
davon abhängig , dass die beiden primitiven Keimblätter überall die gleichen
fundamentalen Organe erzeugen. Dabei nimmt natürlich der Nachweis des
überall gleichen Ursprungs des mittleren Keimblattes, gewissermassen des
ersten Erzeugnisses des zweischichtigen Keims , die erste Stelle ein ; und diese
lediglich vergleichend - embryologische Untersuchung wird von Haeckel in
860 XIII. Schlussbetrachtungen.
folgender Weise angestellt (Nr. 103 S. 25 n. flg.). Da die Einbryologen noch
uneinig seien, ob das einheitlich auftretende mittlere Keimblatt der Wirbel-
thiere aus dem Ektoderm oder dem Entoderm abstamme, so sei zu vermuthen,
dass es aus beiden hervorgehe, der animale Theil aus dem Ektoderm, der vege-
tative aus dem Entoderm. Dies werde „fast zur Gewissheit" dadurch, dass
eine solche Entstehung des Mesoderms bei niederen Thieren , z. B. bei Euaxes;
beobachtet (Kowalewsky) und dieselbe Lehre auch bezüglich der Wirbelthiere
vertreten sei (v. Baer). Von entscheidender Bedeutung für die letzteren wäre
der unzweifelhafte Nachweis dieses Vorgangs bei Amphioxus (Kowalewsky).
Nun hat aber Kowalewsky selbst den einseitigen Ursprung des ganzen Meso-
derms aus dem Entoderm ganz unzweideutig bei Lumbricus nachgewiesen
(Nr. 159) und für den nah verwandten Euaxes, wo die Verhältnisse durchaus
nicht so klar vorliegen und namentlich die Abgrenzung beider primitiven
Keimschichten ganz dem Ermessen des Beobachters anheimgestellt ist, wohl
die Ableitung des mittleren Blattes von dem oberen für möglich erklärt, aber
schliesslich seinen Ursprung aus dem Entoderm als Thatsache hingestellt (Nr. 159
S. 16. 27). Haeckel erwähnt mit keinem Worte, worauf sich seine abweichende
Deutung stützt ; dagegen werde ich weiter unten zeigen, dass die Ansicht Kowa-
lewsky's sich sehr wohl aus seinen Beobachtungen beweisen lässt. Ferner ist die
angeführte Auffassung v. Baek's allerdings in seinen Schemata enthalten ; doch
wird der aufmerksame Leser seiner Entwicklungsgeschichte finden, dass seine
Beobachtungen dieses Schema durchaus nicht bestätigen, sondern das mittlere
Keimblatt einheitlich zwischen den beiden anderen auftreten lassen (vgl. S. 134.
135). Die Entstehung zweier ursprünglicher Mittelblätter aus den beiden
primären Keimschichten ist dagegen eine fundamentale Lehre von His, welche
also Haeckel von demjenigen Embryologen adoptirt, dessen Unzuverlässigkeit
zu betonen er nicht müde wird. Dieses letztere ist wohl auch der Grund,
warum nicht jener His'schen Lehre , sondern der ganz gleichen und ebenso
ungenügend erwiesenen Behauptung von Kowalewsky bezüglich des Amphioxus
eine in dieser ganzen Frage entscheidende Bedeutung beigelegt wird. Alles
zusammengenommen, läuft die Beweisführung Haeckel's darauf hinaus, dass
er aus den verschiedenen ihm vorliegenden Angaben desselben Beobachters
(Kowalewsky) über die Entstehung des Mesoderms der Metazoen ganz will-
kürlich die am wenigsten sichere ausliest und für die massgebende erklärt, die
übrigen willkürlich deutet oder verschweigt, endlich alle anderen Beobachtungen
als verdächtige bezeichnet. Dass eine solche Kritik doch nicht „fast zur
XIII. Schlussbetrachtungen. gß1
Gewissheit" führe, scheint denn Haeckel neuerdings selbst eingesehen zu
haben, indem er die Entscheidung mit den Worten: „sei dem nun, wie ihm
wolle" aufgibt und darauf das Hauptgewicht nicht mehr auf die überein-
stimmende Entstehung, sondern auf die blosse Anwesenheit von vier Keim-
blättern bei den höheren Metazoen legt (Nr. 158 S. 164. 165). Ist aber die
gleiche Abstammung des Mesoderms und folglich seiner Erzeugnisse von den
primären Keimblättern nicht zu beweisen, so fällt damit nach Haeckel's
eigener Bestimmung die Homologie der verschiedenen Gastrulaformen und
ihrer beiden primären Keimschichten. Wenn aber Haeckel trotzdem fort-
fährt, diese Homologie als die sichere Grundlage aller seiner phylogenetischen
Hypothesen zu behandeln und mit deren Hülfe eine ganz neue Entwickelungs-
geschichte der Wirbelthiere zu konstruiren, so ist sein Standpunkt dabei
genügend bezeichnet : die allgemeinen Folgerungen werden nicht unbedingt an
die Beobachtungen geknüpft, sondern eine vorgefasste Hypothese bestimmt die
Zulässigkeit der letzteren oder setzt an deren Stelle eine willkürliche Be-
hauptung. Eine weitere Kritik der übrigen in ähnlicher Weise durchgeführten
ontogenetischen Vergleiche Haeckel's wird dadurch überflüssig, und es bleibt
mir nur übrig, seine grundlegende Theorie über den phylogenetischen Zusammen-
hang der Thiere einer Prüfung zu unterwerfen. Um aber beurtheilen zu können,
wie sich die bisherigen thatsächlichen Beobachtungen zu jener Theorie verhalten,
nehme ich den unterbrochenen Vergleich der Vertebraten und der übrigen
Thiere in genetischer Beziehung wieder auf.
Ich habe durch den Vergleich der Entstehung und Zusammensetzung der
verschiedenen Eier, sowie der ersten an ihnen nachweisbaren Entwickelt] ngs-
erscheinungen nachzuweisen versucht, dass der Anfang, der individuellen
Entwickelung aller Thiere nach dem Wesen und Kausalzusammenhänge der
wirksamen Faktoren überall der gleiche ist. Dies beseitigt eigentlich schon
den möglichen Einwurf, dass , da die Eier der verschiedenen Thiere theils aus
einem ganzen einelementigen Organismus (viele Protozoen) oder innerhalb
eines solchen (Infusorien), theils innerhalb verschiedener, nicht homologer
Theile der Metazoen auf verschiedene Weise entstehen , sie selbst auch nicht
als homologe Bildungen betrachtet werden könnten, folglich ihre genetische
Uebereinstimmung an einem wesentlichen Mangel leide. Doch sei hier zum
Ueberfluss noch auf Folgendes hingewiesen. Indem sich die Homologie auf
Vorgänge der Formbildung bezieht, diese aber mit Bezug auf den künftigen
Organismus im werdenden Eie noch gar nicht begonnen hat, so ist selbstver-
862 XIir- Schlussbetrachtungen.
ständlich die Homologie über den vollendeten, entwicklungsfähigen Zustand
des alsdann stets selbstständigen Eies hinaus rückwärts nicht zu verfolgen.
In diesem und in seinen ersten Theilungen haben wir aber einen nach
der Erscheinung und ihren Ursachen gleichartigen Ausgangspunkt für die
individuelle Entwickelung aller Thiere , in deren Verlauf sich erst die Homo-
logien herausstellen können. Jene Uebereinstimmung schliesst nun aber
ein verschiedenes Mass der gleichen Ursachen nicht aus, wesshalb auch die
Entwickelung von Anfang an, wenn auch nicht gleich merklich, nach ver-
schiedenen Richtungen auseinandergeht. Bei den Protozoen wird nämlich, wie
erwähnt, die eigentliche Dottersubstanz so ungenügend entwickelt, dass die
morphologische Entwickelung während der Theilungen unterbrochen wird; und
die Formdifferenz der radiären Dotterströmung ist offenbar so unbedeutend,
dass sie in den Theilstücken zur Ausgleichung kommt. Die in Folge davon
relativ gleiche und histiologisch vorgeschrittene Entwickelung der einzelnen
Formelemente löst den individuellen Zusammenhang des ganzen Eiprodukts,
spaltet gewissermassen das in der Bildung begriffene Formgesetz und die
Individualität desselben vollständig in die Bezirke jener Theile, welche alsdann
auseinanderfallen und selbstständig werden (vgl. S. 596. 597. 850). Wenn aber
diese vollständige Spaltung des Eiprodukts in genetisch einelementige Orga-
nismen das gemeinsame Merkmal aller Protozoen ist, so findet sich doch schon
unter diesen eine gewisse Entwickelungsreihe des Formgesetzes. Zerfällt ein
Protozoenei in einen ungeordneten Haufen von Formelementen, so darf man
annehmen, dass die bedingende Formdifferenz der radiären Dotterströmung
keine bestimmte und beständige sei, sondern in der ersten Dotterkugel ebenso zu-
fällig entstehe wie während der späteren Dotter- und Zellentheilungen auch in
viel höher organisirten Thieren. Dagegen müssen wir einen Fortschritt in der
Ausbildung des Formgesetzes bei denjenigen Protozoen annehmen, deren
Dottertheilstücke eine regelmässige radiäre Anordnung zeigen (Myxastrum,
Magosphaera); denn diese setzt eine gesetzmässige Beständigkeit der Form-
differenz voraus. Endlich sehe ich in dem wenngleich kurzdauernden keim-
blasenförmigen Zusammenhange des Eiprodukts von Magosphaera ein Zeichen
dafür, dass die Einheit seines Formgesetzes durch einen relativ grösseren
Vorrath von Spannkräften länger unterhalten wird. Dadurch wird aber die
Möglichkeit angedeutet, dass diese einfachste Grundform eines mehrelemen-
tigen Organismus oder eines ganzen individuell gewordenen Eiprodukts sich zu
irgend einer Zeit bleibend erhielt und so die Reihe aller über den Protozoen
XIII. Schlussbetrachtungen. 863
stehenden Thiere eröffnete *. Der primären Formdifferenz der radiären Dotter-
strömung, welche einer solchen aus relativ gleichen Formelementen zusammen-
gesetzten Keim blase zu Grunde liegt, möchte ich nach dem Gesagten die
einfachsten gesetzmässigen Verhältnisse zuschreiben, nämlich dieselben, welche
auf der oben bezeichneten niedersten Entwicklungsstufe unbeständig auf-
treten und bereits in der vorübergehenden radiären Anordnung wenigstens
eine regelmässige Entstehung andeuten. Und zwar glaube ich auf Grund der
noch zu erläuternden Befunde bei der Dottertheilung höherer Thiere jene
Formdifferenz sogar gegenständlich bezeichnen zu können. Denken wir uns
dazu die drei sich rechtwinkelig schneidenden Hauptdurchmesser der Dotter-
kugel, so ist die einfachste Abweichung von einer gleichmässig radiären Dotter-
strömung nicht in der Excentricität ihres gemeinsamen Sammelpunktes,
sondern lediglich in der symmetrischen' Verlängerung eines einzigen Durch-
messers gegeben; denn im ersten Falle würden mindestens dreierlei, im
anderen Falle nur zweierlei verschiedene Radien in jenen Hauptdurchmessern
entstehen. Letzteres genügt , um die Theilung einzuleiten und fortzuführen
und bedingt anderseits die beobachtete relative Gleichheit der Theilstücke.
Denken wir uns dagegen einen Durchmesser der Dotterkugel aus zwei unter
sich und daher auch mit den anderen Radien ungleichen Hälften zusammen-
gesetzt, so ergibt sich aus meiner früheren Darstellung der Dottertheilung der
höheren Thiere , dass die Endpunkte dieser Hauptaxe des Eies die Pole zweier
sich ungleich theilenden Hemisphären bezeichnen. Um den oberen Pol,
welcher dem excentrischen ersten Lebenskeim näher liegt , müssen kleinere
Dotterstücke entstehen , mag dies nun von Anfang an oder in Folge des damit
verbundenen schnelleren Fortschritts der Dottertheilung bemerkbar werden.
Diese kleinzellige Hemisphäre der Keimblase muss sich ferner in Folge der mit
der Theilung verbundenen Verschiebung schneller in koncentrischer Richtung
ausbreiten und so die trägere grosszellige Hemisphäre umwachsen, wobei
ebenso mechanisch die Sonderung zweier koncentrischen Zellenschichten
(Keimschichten) herbeigeführt wird. Dadurch dass die Keimblase in ihrer
Entstehung die Bedingungen zur Herstellung einer wenn auch noch so kleinen
* Ich brauche kaum zu bemerken, dass hier der Ausdruck „mehrelementig" sich
ebenso wie der Ausdruck „einelementig" für die Protozoen nicht auf den histologisch
entwickelten Zustand, sondern nur auf die genetische Grundform bezieht. Diese Bezeich-
nungen sind daher von den Worten „ein- und mehrzellig", welche auf jeden beliebigen Zu-
stand augewandt werden, wesentlich zu unterscheiden.
8(34 XIII. Schlussbetrachtungen.
Centralhöhle (Keimhöhle) enthält, in welche die untere Hemisphäre unter dem
Andränge der sich ausbreitenden oberen ausweichen und so der Innenfläche
der letzteren sich anlegen oder wenigstens nähern kann , wird die Herstellung
einer neuen centralen Höhle ermöglicht, indem gleichsam der ausgefüllte
Raum der Keimhöhle in die Mitte der konzentrisch umgelagerten unteren
Hemisphäre verlegt wird. Diese Embryonalform des sich entwickelnden Eies,
welche nach dem Gesagten wesentlich aus zwei koncentri sehen, eine Höhle
(Darmhöhle) umschliessenden Zellenschichten besteht, bezeichne Jch mit dem
passenden von Haeokel eingeführten Namen de_r_ Gastrula,/muss aber
gleich hinzufügen , dass ich darunter nicht ohne weiteres dasselbe verstehe wie
Haeckel. Indem er von der klarsten Erscheinung der Gastrulabildung aus-
geht, welche sich in der bekannten Einstülpung der Keimblase darstellt, hält
er die nach aussen führende Einstülpungsöffnung der Gastrulahöhle für so
wesentlich, dass er bei der sonst ganz ähnlichen, aber eine solche Oeffnung
entbehrenden Embryonalform (Planogastrula) einen sekundären Durchbruch
eines Mundes zur Vervollständigung der Gastrula verlangt. Ich habe es
bereits erwähnt, dass dadurch ganz heterologe Bildungen zusammengestellt
werden, und werde ferner zeigen, dass, wenn wir die verschiedenen zwei-
schichtigen Embryonalformen auf ihre Homologie prüfen, jene Einstülpungs-
öffnung sich als eine unbeständige, für die Homologie ganz unwesentliche
Erscheinung herausstellt.
Jene ausserordentlich klare Erscheinung der Gastrulabildung, wobei sich
die einschichtige Keimblase von einer Seite einstülpt und so zwei koncentrische
Keimschichten, das Ektoderm und das Entoderm, herstellt, ist bekanntlich bei
einem Theil der Coelenteraten, Echinodermen, Würmer, Brachiopoden, Ascidien
u. a. m. nachgewiesen worden. In einigen dieser Darstellungen ist die von mir
erörterte Verschiedenheit der beiden Keimblasenhälften, der Ekto- und der
Entodermhemisphäre , sehr deutlich, sodass meine Ansicht vom Kausal-
zusammenhange der Gastrulabildung direkt bestätigt wird ; in andern Fällen
wird die Keimblase in ganz symmetrischer Bildung vorgeführt, und da muss
ich einen wenn auch geringfügigen und bei dem Mangel einer besonders darauf
gerichteten Aufmerksamkeit leicht erklärlichen Beobachtungsfehler annehmen.
Denn die Einstülpung ist ohne irgend eine vorhergehende Verschiedenheit der
Keimblasentheile nicht denkbar-, diese kann aber weder von zufälligen äusseren
Einflüssen abhängen, da die Gesetzmässigkeit der Erscheinung dem widerspricht,
noch von histiologischen Zuständen, da dieselben überhaupt keine primär-
XIII. Schlussbetrachtungen. g(35
r
morphologische Bildung herbeiführen, im Gegentheil die Formentwickelung
unterbrechen. Ein treffendes Beispiel dafür, wie ein solcher Beobachtungs-
fehler entstehen kann, liefert uns Kowalewsky. Die anfänglichen Grössen-
unterschiede der „Furchungszellen" von Lumbricus sieht er bei der Betrach-
tung der Oberfläche des Eies sich fast ausgleichen, während der optische Quer-
schnitt einen sehr auffallenden und während der ganzen Embryonalentwickelung
beständigen Grössenunterschied in den Elementen beider Hemisphären und
später beider Keimschichten zeigt (Nr. 151) S. 21, Taf. VI, VII). Nun ist aller-
dings noch der Fall denkbar, dass die Formdifferenz anders als ich sie angab,
und ZAvar umgekehrt dadurch wirkte , dass eine beschränkte kleinzellige Keim-
blasenhälfte durch den nicht zu überwindenden Widerstand der grösseren
Hälfte selbst eingestülpt würde. Die Beobachtungen an den Eiern von
Cassiopea (Nr. 160), welche dafür zu sprechen scheinen, kommen mir nicht
ganz unzweideutig vor*; sollten sie aber trotzdem, dass sie den Befunden an
nah verwandten Formen, z. B. anderen Acraspeda, nicht entsprechen, sich
dennoch bestätigen , so hätten wir darin und in dem ähnlichen Verhalten bei
den Kalkschwämmen (Nr. 164) eine unvollkommene Homologie zu erkennen,
indem die Einstülpung durch eine andere Wechselwirkung der beiden
differenten Keimblasenhälften erfolgt. An der Keimblase der Ktenophoren **
und Arthropoden ist eine Einstülpung eines aus grösseren Elementen zusammen-
gesetzten Theils ebenfalls nachweisbar (Nr. 159, 160). Nur tritt dabei die
Modifikation ein, dass der Nahrungsdotter und das Entoderm nicht nebenein-
ander im Umfange der Einstülpungs- oder Darmhöhle liegen, sondern das
Entoderm allein die Auskleidung besorgt und der Nahrungsdotter zwischen
dieser und dem Ektoderm zurückbleibt. Augenscheinlich ist also der Kausal-
zusammenhang bei diesen Bildungen , wenn auch nicht fundamental , doch so
weit abweichend, dass der allgemeine Entwickelungsgang auf einer vorge-
schrittenen Stufe die homologen Bahnen verlässt.
* Bei Cassiopea ist das Dickenverhältniss beider Schichten gleich nach der Bildung
der Gastrula gerade umgekehrt dargestellt, ohne dass beide Verschiedenheiten von Kowa-
lewsky mit einem Worte erwähnt werden (Nr. 160 Taf. II). Bei Sagitta, an deren Ei
Kowalewsky gleichfalls das sich einstülpende Entoderm dünner als das Ektoderm
zeichnet (Nr. 159 Taf. I), habe ich das umgekehrte Verhältniss wenigstens während der
Einstülpung sehr deutlich gesehen.
** Die zeitweilige obere Lücke der Ektodermkappe der Ktenophoren findet bei den
Vertebraten ein Homologon, nämlich die von Rusconi beschriebene polare Oeffnung der
primären Keimschicht der Molcheier, welche direkt in die Keimhöhle führen soll (Nr. 16).
Goette, Entwickelungsgeschichte. 55
866 XIII. Schlussbetrachtungen.
Für eine ganze Reihe von Thieren wird die Bildung der beiden primären
Keimschichten durch eine einfache Einstülpung der Keimblase ganz bestimmt
ausgeschlossen und im allgemeinen angenommen, dass die einfache Keim-
blasenwand sich der Fläche nach in jene Schichten spalte. Ich wähle nur
wenige Beispiele, um diese Auffassung zu prüfen. Am bestimmtesten ist der
behauptete Vorgang von Metschnikoff am Geryonienei dargestellt worden
(Nr. 165 S. 18). Aber wollten wir auch davon absehen, dass es so leicht ist,
sich bei solchen Untersuchungen zu täuschen, indem bei der natürlichen mit
dem oberen Pol aufwärts gekehrten Lage des Eies sowohl die excentrische
Lage des ersten Lebenskeims und die Ungleichmässigkeit der Keimblase , als
insbesondere die Einstülpung der letzteren sich der Beobachtung entziehen , so
liegt uns für das bezeichnete Thier die ebenso bestimmte Angabe Kowalewsky's
vor, dass es sich in der Gastrulabilduug von den schon erwähnten höheren
Medusen nicht unterscheide (Nr. 160 S. llj. Ferner erinnere ich an die
Wirbelthiere, für welche (mit Ausnahme des Amphioxus) bisher niemand
angenommen hat , dass ihre beiden ursprünglichen Keimschichten sich ebenso
entwickeln wie bei den sich einstülpenden Keimblasen. Ich habe aber an
Teleostiern, Batrachiern , Vögeln und Säugern gezeigt, dass es sich dennoch so
verhält. Der um den oberen Pol gelegene kleinzellige Keimtheil schliesst sich
zur Seite der oft nur spaltförmigen Keimhöhle durch eine Zone von Uebergangs-
formen (Randwulst der primären Keimschicht) an den meist nur theilweise
grobzerklüfteten Nahrungsdotter an*. Das kleinzellige Centrum jenes Keim-
theils umwächst darauf in Folge seiner schnelleren Ausbreitung den trägeren
Randwulst und den Nahrungsdotter gerade so wie die Ektodermhemisphärc
* Dafür, dass bei den Säugern diese Formdifferenz der sich theilenden Dotterkugel
nicht bemerkt wurde, verweise ich auf das hinsichtlich der niederen Thiere Bemerkte. Die
Annahme einer solchen Verschiedenheit wird durch die bekannten Abbildungen Bischoff's
vom Hundeei, wo eine kleine peripherische Zellenscheibe als Keim gegenüber der aufge-
lösten grösseren Dotterhälfte (Nahrungsdotter) zurückbleibt, durchaus gefordert
(vgl. Nr. 159 Taf. II). Daraus folgt allerdings, wie sich am Ende schon aus meiner vor-
läufigen Mittheilung ergibt (Nr. 103), dass die während der Auflösung des Nahrungsdotters
durch freie Zellenbilduna: sekundär entstehende einschichtige „Keimblase" in keiner
unmittelbaren Beziehung zur Gastrula steht, sondern eine von dem eigentlichen Eie sich
ablösende zellige Eihülle darstellt, welche auch thatsächlich in die Bildung des Chorions
aufzugehen scheint. Aehnliche Vorkommnisse sind auch an anderen Thieren verschiedener
Typen beobachtet worden, wesshalb mir auch der von Kleinenberg angestellte Vergleich
einer solchen Keimschale von Hydra mit dem Hornblatte der Wirbelthiere nicht zutreffend
erscheint (Nr. 167 S. 85).
XIII. Schlussbetrachtungen. 867
die sich einstülpende Entodermheinisphäre an den oben genannten Thieren;
wobei man sich vergegenwärtigen mnss, dass jene Randzone der primären
Keimschicht dem Rande, der eigentliche Nahrungsdotter der Mitte einer
Entodermhemisphäre homolog ist (vgl. Taf. II Fig. 28. 29). Indem sich nun
diese Theile der Innenfläche des sie umwachsenden Ektoderms anlegen,
schnürt sich der Nahrungsdotter von der Randzone (sekundäre Keimschicht)
ganz oder theilweise ab und füllt, indem er dieselbe zu einer kontinuirlichen
koncentrischen Schicht verwachsen lässt, den grössten Theil der Gastrulahöhle
aus. Die RuscoNi'sche Oeffnung ist eine wirkliche Einstülpungsöffnung der
Gastrula, deren grundsätzliche Verschiedenheit von der sekundär durch-
brechenden Mundöffnung in diesem Falle ganz besonders in die Augen fällt.
Die zweischichtige „Keimblase" der Wirbelthiere stimmt also mit der schon
besprochenen Gastrulaform niederer Thiere genetisch vollkommen überein, ist
ihr homolog.
Diese Auffassung des Wirbelthierkeims lässt sich nun auf viele jener
Keime niederer Thiere übertragen , welche ein klares Bild der Gastrulabildung
nicht gewähren. Betrachten wir den bestuntersuchten solcher Keime, nämlich
den von Euaxes. Kowalewsky interpretirt den ganzen Vorgang dieser von
ihm untersuchten Keimbildung in der Weise, dass das obere Keimblatt in einer
kleinen Scheibe und darunter das alsbald in zwei Streifen gespaltene mittlere
Keimblatt von der übrigen grosszelligen Dottermasse oder dem „Darmdrüsen-
blatt" sich absondern und darauf das letztere umwachsen. Danach entständen
also die Blätter durch lokale Absonderung in übereinanderliegenden Schichten,
während die Umwachsung der inneren Blätter durch das äussere allerdings
mit einer Einstülpung verglichen wird (Nr. 159 S. 16. 27. 28). Ich deute die
so wichtigen Durchschnittsbilder Kowalewsky's etwas anders. In Fig 26 der
betreffenden Entwickelungsgeschichte sehe ich ein relativ kleinzelliges Gewölbe
über die Keimhöhle gestülpt und mit seinem Rande der grosszelligen Masse
aufruhen , gerade so wie sich die primäre Keimschicht der Batrachier verhält.
Fig. 27 zeigt uns den Umfang dieses kleinzelligen Gewölbes ein wenig weiter
ausgedehnt , aber die am aufruhenden Rande hervortretenden grösseren Zellen
nach innen unter die deutliche Keimhöhle verschoben und dort zusammen-
stossend, sodass dieser durch die vorgeschrittene Auflösung des Dotters in
seinen Zellen charakterisirte Theil wie eine abgeplattete, die Keimhöhle
enthaltende Blase auf der grosszelligen Dottermasse liegt. Mit der fort-
schreitenden Abplattung dieser Blase schwindet die Keimhöhle vollends; indem
55*
368 XIir- Schlussbetrachtungen.
sich aber die erstere stetig ausbreitet, drängen sich dotterhaltige Zellen von
unten in ihre Innenschicht ein, sodass deren protoplasmareichere Elemente nur
mehr auf die Peripherie beschränkt, einen nach innen umgeschlagenen ring-
förmigen Saum der äusseren Zellenschicht darstellen, dessen Oefihung in dem
Masse, als sie sich erweitert, von dotterhaltigen Zellen ausgefüllt wird, welche
dadurch sich an die Innenfläche der äusseren Zellenschicht anlegen und
wenigstens im Anfange Uebergangsformen zwischen den kleinen Zellen jenes
verdickten Saums und der ganz grosszelligen unteren Dottermasse bilden
(Nr. 159 Fig. 28. 29). Wir finden also am Euaxeseie eine kleinzellige polare
Keimschicht, welche sich koncentrisch ausbreitend ihren eigenen Rand und die
sich daran schliessenden gröberen Dotterelemente unter Verdrängung der
Keimhöhle an ihre eigene Innenfläche anlagert; d. h. die Einstülpung und Um-
wachsung einer Entodermhemisphäre durch ein in der Entwickelung über-
wiegendes Ektoderm erfolgt bei Euaxes genau so wie bei den Wirbelthieren,
insbesondere den Batrachiern. Wie bei diesen schliesst sich auch bei jenem
Wurme ein grobzelliger Nahrungsdotter kontinuirlich an das peripherische
Entoderm an ; und indem der verdickte Randwulst des letzteren sich reger
entwickelt, trennt er sich als mittleres Keimblatt von den trägeren Theilen,
welche mit dem Nahrungsdotter ohne nachweisbare Grenze verbunden bleiben.
Jenes mittlere Keimblatt von Euaxes bleibt länger, als bei den Wirbelthieren
ringförmig auf den Randwulst beschränkt, während das obere Keimblatt im
Wachsthum gleichsam vorauseilend über ihn hinweggleitet und dadurch von
ihm sich völlig ablöst, wie es auch am Hühnerkeime geschieht. Auch der
anfängliche Mangel einer offenbaren Darmhöhle kann die allgemeine Ueberein-
stimmung der Embryonalentwickelung von Euaxes und den Wirbelthieren
nicht stören. Die Darmhöhle ist ursprünglich- auch bei diesen eine zwischen
Darmblatt und Nahrungsdotter befindliche Spalte, deren Lichtung bei den
Knochenfischen so unansehnlich bleibt, dass sie bisher ganz übersehen wurde
(S. 268), während ein Theil der embryonalen Darmhöhle der Batrachier nach-
träglich so reducirt wird, dass man sie irrthümlicherweise ganz schwinden liess
und daher das Darmblatt, welches nach meiner Auffassung dann bereits einen
grossen Theil des Nahrungsdotters umwachsen hat, mit dem letzteren identi-
licirte (S. 2(39). Die deutliche Ausbildung der Darmhöhle hängt aber von der
morphologischen Entwickelung des übrigen Keims ab, welche die Spalte theils
unmittelbar erweitert und dadurch die Sonderung des Darmblattes fördert
(vgl. S. 564), theils mit der dort angesammelten Flüssigkeit zugleich die Auflösung
XIII. Schlussbetrachtungen. 869
des zelligen Nahrungsdotters einleitet und so den vom Darmblatte umschlosse-
nen Raum in eine Höhle verwandelt. Da diese Vorgänge bei Euaxes erst viel
später eintreten, so bleiben eben das Darmblatt und der Nahrungsdotter dieses
Thiers länger in einem vollständigen Zusammenhange (Nr. 159 Taf. IV, V). —
Auf Grund des voranstehenden Vergleichs muss ich die Auffassung zurück-
weisen, dass die Keimblätter des Euaxeseies und aller ähnlich sich entwickeln-
den Eier sich ohne Lageveränderung schichtenweise absondern , wonach die
Umwachsung der inneren Blätter durch das äussere als ein besonderer, davon
unabhängiger Vorgang erschiene; denn nach meiner Ansicht kann nur die
Zellenverschiebung die Schichtung bewirken und muss die wirksame Ver-
schiedenheit dieser Bewegung auf diejenige der Dottertheilung und endlich die
erste Formdifferenz zurückgeführt werden.
Ich habe mich bei diesem Vergleiche etwas aufgehalten, um zu zeigen,
dass, wenn man von den im allgemeinen entschiedeneren und klareren Befunden
der Entwickelung der Wirbel thiere ausgeht, auch die auf den ersten Anschein
weniger deutlichen Erscheinungen niederer Thiere sich in einer ganz bestimmten
Weise deuten lassen. Denn nachdem die Gastrulabildung von Euaxes auf den
einfachen Einstülpungsprocess zurückführbar erscheint, darf man annehmen,
dass dasselbe sich auch für andere niedere Thiere nachweisen Hesse, deren
Eier weder eine offenbare Einstülpung der Keimblase noch eine ursprüngliche
Darmhöhle zeigen , sondern erst eine äussere Zellenschicht um einen zelligen
oder nicht zelligen centralen Dottertheil, und dann an der Peripherie des
letzteren eine zweite Zellenschicht hervortreten lassen, während sich das Centrum
mehr oder weniger offenbar auflöst. In dieser Weise verhalten sich bekanntlich
viele Coelenteraten (vgl. Kowalewsky Nr. 160, Metschnikoff Nr. 165). Nur
müsste, um den Vergleich mit der besprochenen Gastrulabildung durchführen
zu können, angenommen werden, dass das Ektoderm bloss aus einem Theil der
Keimblasenoberfläche entstände und die anderen Theile umwüchse; und dies
bleibt desshalb möglich, weil in den meisten Fällen die Uebergänge von der
Dottertheilung zum zweischichtigen Keime entweder gar nicht oder sehr unvoll-
ständig zur Beobachtung kamen.
Endlich könnte in der Entwickelung des Eies der Hydroidpolypen eine
dritte abweichende Bildungsform der Gastrula gesehen werden, indem Kowa-
lewsky an Kampanulariaeiern die Keimblase in einer fortlaufenden Reihe von
Entwicklungsstufen scheinbar unverändert antraf, während von ihrer Innen-
fläche vereinzelte Zellen sich ablösten und im Zusammenhange mit einer
870 * XIII. Schlussbetrachtungen.
eigentümlichen Umbildung des flüssigen Inhalts der Keimhöhle das Entoderm
herstellten (a. a. 0.). Nun scheint es aber doch, dass diese Zellenablösung
vorzugsweise, wenn nicht ausschliesslich an einem verdickten Ende der ver-
längerten Keimblase vor sich geht, sodass man annehmen könnte, diese Stelle
sei eine wie so häufig bei den Coelenteraten sehr beschränkte Entoderm-
hemisphäre, welche von der an Ausdehnung ausserordentlich überwiegenden
Ektodermhälffce in sehr unregelmässiger Weise nach innen gedrängt werde.
Diese Ansicht wird sehr wesentlich unterstützt durch die Beobachtungen
Kowalewsky's über die Entwicklung der Brachiopoden. Während nämlich
die Keimblase von Argiope sich deutlich einstülpt, geschieht es bei Thecidium
nicht, sondern die Keimhöhle füllt sich mit Zellen, welche von der äusseren
Zellenwand sich in der Weise ablösen , dass sie aus deren festem Zusammen-
hange nach innen hervortreten (Nr. 161 S. 14. 15). Ein solcher Vorgang kann
um so weniger als eine histologische Absonderung des Entoderms vom blasen-
förmigen Ektoderm bezeichnet werden, als seine Wirkungen sich mit denen der
eingestülpten Keimblase von Argiope vollständig decken. Dagegen illusfairt er
die eben für das Kampanularienei gemachte Annahme sehr gut, und Beides
könnte alsdann als eine in ihrer Erscheinung weniger vollkommene Form der
gewöhnlichen Gastrulabildung betrachtet werden, welche aber in ihrem Kausal-
zusammenhange durchaus mit der letzteren übereinstimmte. Sollten aber
erneuerte Untersuchungen nachweisen, dass es wenigstens bei den Coelenteraten
zwei Bildungsarten des zweischichtigen Keims gebe, so dürfen auch die daraus
hervorgehenden Bildungen als homologe nicht betrachtet werden. — Die
Ergebnisse unserer Untersuchung lassen sich also dahin zusammenfassen, dass
der zweischichtige Keim, auch wo er nicht durch eine Einstülpung einer Keim-
blase entsteht, allerdings auf eine solche zurückgeführt werden kann, dass aber
in einigen Fällen die Homologie eine unvollständige oder zweifelhafte bleibt.
Ich gehe nun zur Bildungsgeschichte des mittleren Keimblattes über,
welches, wo es vorkommt, in der morphologischen Entwickelung nächst der
Gastrulabildung zuerst in Betracht kommt. Ich brauche nicht weiter zu
erklären, dass, da die ganze Keimblättertheorie von der Embryologie der
Wirbelthiere ausging, man natürlich auch das mittlere Keimblatt derselben
zum Ausgangspunkte der Vergleichung zu nehmen hat. Dieses ist nach meinen
Untersuchungen diejenige embryonale Zellenmasse, welche von der inneren
oder sekundären Keimschicht nach der Absonderung des epithelialen Darm-
blattes übrig bleibt oder von dem epithelialen Gefüge des Entoderms sich
XIII. Schlussbetrachtungen. 871
ablöst. Bei den bisherigen Untersuchungen der Homologien des mittleren
Keimblattes hat jedoch , abgesehen von der seither bestandenen Unsicherheit
dieses Begriff's bei den Wirbelthieren selbst , der Mangel einer Unterscheidung
von morphologischer und histologischer Entwickelung oder die missverstandene
REMAK'sche Keimblättertheorie zu ganz auffallenden allgemeinen Irrthümern,
geführt. Es ist mir kein Beispiel bekannt, d-ass nach dem Ursprünge des
mittleren Keimblattes als einer indifferenten embryonalen Bildung und ohne
Rücksicht auf seine etwaigen Erzeugnisse gefragt worden wäre ; vielmehr wird
darunter stets a priori die Grundlage des Muskel-, Nerven-, Bindegewebes
u. s. w. verstanden , und je nach dem Ursprünge dieser Gewebe aus dem Ekto-
derm oder dem Entoderm die Homologie des mittleren Keimblattes bestätigt
oder verworfen, wobei die Homologie jener beiden ursprünglichen Keimschichten
offenbar durch ihre blosse Anwesenheit im Keime als erwiesen vorausgesetzt
wird. Ich finde aber nach allen thatsächlichen Beobachtungen über die
Entwickelung niederer Thiere meine für die Wirbelthiere begründete Ansicht nur
bestätigt, dass Morpho- und Histiogenese nicht ohne weiteres zusammenfallen,
sondern in einem eigenthümlichen Wechselverhältniss stehen , an welchem nur
die Kausalität überhaupt, nicht aber etwa eine stets gleiche Wirkung beständig
ist. Die Schwämme und viele Coelenteraten besitzen kein mittleres Keimblatt,
weil die Histiogenese ihrer beiden primitiven Keimschichten so frühe eintritt,
dass dadurch die weitere morphologische Entwickelung unterbrochen oder
wenigstens eingeschränkt wird. Und zwar betrifft dies zunächst das Ektoderm,
welches z. B. nach Metschniköff bei den Schwämmen zur Sarkode zu ver-
schmelzen und selbst Nadeln auszuscheiden beginnt, bevor die Gastrula
vollendet ist (Nr. 164). Wenn Metschniköff die Umbildung dieses Ekto-
derms in eine skeletbildende Schicht als Beweis für ihre Homologie mit einem
Mesoderm ansieht, so ist dies nur eine sehr auffallende Konsequenz des
häufigen Irrthums , dass die Erzeugnisse eines Embryonaltheils seine Homo-
logie bestimmen. Demselben Irrthum unterliegt Kleinenberg, indem er
die Uebereinstimmung des muskelerzeugenden Ektoderms der Coelenteraten
mit dem Ektoderm der Wirbelthiere für eine „rein äusserliche gleichgültige
Aehnlichkeit" erklärt, falls nicht das letztere ebenfalls das mittlere Keim-
blatt erzeugte (Nr. IGT S. 84). Obgleich nun diese Voraussetzung nicht
zutrifft, so halte ich doch die angeblich gleichgültige Aehnlichkeit für eine
echte morphologisch - genetische Gleichwertigkeit, das von Kleinenberg in
Betracht gezogene Verhältniss aber für eine blosse Analogie. Die muskulösen
372 XIII. Schlussbetrachtungen.
Ektodermfortsätze der Hydroiden bilden überhaupt niemals eine Embryonal-
anlage, welche einem Keimblatte verglichen werden könnte, sondern sind
sekundäre histologische Bildungen von ganz ähnlicher Bedeutung wie die aus
der Oberhautanlage der Batrachier hervorgehenden Seitennerven. Erst bei
den höheren Coelenteraten finden sich unzweideutige Spuren eines mittleren
Keimblattes als einer indifferenten zelligen Anlage zwischen Ekto- und Ento-
derm, deren Ursprung von dem letzteren bei Cassiopea und namentlich bei
Pelagia beobachtet worden ist (Nr. 160). Für Alcyonium vermuthet
Kowalewsky die Abstammung derselben Schicht vom Ektoderm darauf hin,
dass sie demselben dichter anliege als dem Entoderm-, doch hat sich die
gleiche und ähnlich begründete Vermuthung bei den Wirbelthieren als
irrthümlich erwiesen und ist jedenfalls von keiner Bedeutung gegenüber den
ersteren positiven Beobachtungen. Anderenfalls hätten die Alcyonien und
vielleicht auch andere Anthozoen kein Homologon eines mittleren Keimblattes,
sondern gleich den Hydroidpolvpen nur analoge Bildungen. Ebenso wider-
sprechend sind die Angaben bezüglich der Ktenophoren, indem von demselben
Beobachter in zwei Familien (Euchariden, Cydippiden) das Gallertgewebe mit
seinen zelligen Theilen vom Ektoderm , bei den Beroiden vom Entoderm abge-
leitet wird (Nr. 160 S. 35. 36). Aehnlich wie bei Pelagia, nur umfassender
entwickelt sich ein mittleres Keimblatt vom Entoderm bei den Stachelhäutern;
und da meines Wissens die Beobachtung Metschnikoff's , dass bei den
jüngsten Larven dieser Thiere einzelne oder gruppenweise vereinigte Zellen
sich zu dem Zwecke von der Darmanlage ablösen (Nr. 166), noch nicht bestätigt
worden ist, thue ich es hiermit auf Grund meiner eigenen Beobachtungen. Dieses
mittlere Keimblatt der Echinodermen bildet keine primär -morphologischen
Anlagen, sondern nach meinen Befunden sehr bald ein netzförmiges Bildimgs-
gewebe, ganz übereinstimmend mit dem interstitiellen Gewebe der Wirbelthiere,
welches erst später sich zu sekundär -morphologischen Bildungen (Darm-
muskel-, Perisomscbichten, Nerven) den übrigenTheilen anpasst. *
Bei den übrigen Wirbellosen ist nach den besten Beobachtungen
(Nr. 159, 160, 161) ein echtes mittleres Keimblatt als anfangs indifferentes
* Das gedachte Zellennetz schien mir wenigstens bei Ophiurenlarven auch ebenso wie
bei den Vertebraten zu entstehen. An den jüngsten Larven füllen zusammengedrängte
rundliche Zellen den grössten Theil des von der Keimhöhle zurückgebliebenen Raumes aus;
indem der letztere durch AnsammhiHg von Flüssigkeit wächst, werden die bereits theilweise
verbundenen Zellen zu einem Netz auseinandergezogen. Später wird es durch freie Wander-
zellen vervollständigt (vgl. S. 492 u. flg.).
XIII. Schlussbetrachtungen. 873
Produkt des Entoderms vorli anden, und nur in seiner Abgrenzung gegen das andere
Produkt derselben Keimschicht oder das Darmblatt kann ich mit Kowalewsky
nicht übereinstimmen, welcher die ursprünglichen Ausstülpungen derGastrula-
höhle bei Sagitta und den Brachiopoden, weil sie sich später in die gesonderte
sogenannte Peritonealhöhle verwandeln, als Theile des mittleren Keimblattes
behandelt. Das letztere erscheint bei den Verteb raten nicht als beliebiger
Abschnitt des Entoderms oder der sekundären Keimschicht, sondern als
indifferente Zellenmasse, welche ausserhalb der unmittelbaren Auskleidung
der ganzen Gastrulahöhle, also ausserhalb des sich absondernden Darmblattes
zurückbleibt. Wenn daher ganze Theile der ursprünglichen Darmhöhle, indem
sie an ihrer Aussenfläche eine dem mittleren Keimblatte homologe Zellenmasse
absondern , sich selbst vom bleibenden Darm abschnüren und eine Peritoneal-
höhle bilden*, bleiben sie immerhin echte Homologa von anderen Darm-
aussackungen. Nachdem Metschnikofe die sogenannte Peritonealhöhle und
das Wassergefässsystem der Echinodermen als symmetrische Ausstülpungen
des primären Darmschlauchs nachgewiesen hat (Nr. 166), was ich in vollem
Umfange bestätigen kann, muss man ihm auch ferner folgen, wenn er neuer-
dings diese Abschnürungsräume mit den blossen Ausstülpungen des embryo-
nalen Darms der Ktenophoren vergleicht (Nr. 165 S. 74). Alsdann lässt sich
die folgende Entwickelungsreihe des ursprünglichen Darmraums aufstellen.
1. Einfache vom Entoderm ausgekleidete Gastrulahöhle, erhalten bei den
einfachsten typischen Schwammformen (Ascones der Kalkschwämme Haeckel)
und bei einigen Hydroidpolypen mit gar keinen oder soliden Tentakeln (Proto-
hydra, Cordylophora u. s. w.)-, 2. verzweigte Darmhöhle oder das gesammte
Gastro vaskularsystem der meisten Schwämme und Coelenteraten ; 3. Darm
mit abgetrennten Aussackungen und Verzweigungen oder den Peritoneal- und
Wassergefässräumen der Echinodermen, Brachiopoden und Sagitten. Ausser-
dem kommt es mir nach der Darstellung Kowalewsky's sehr wahrscheinlich
vor, dass die „Leibeshöhle" der Arthropoden in ganz ähnlicher Weise von der
ursprünglichen Entodermeinstülpung sich abschnürt, wogegen bei den Oli-
gochaeten ähnlich wie bei den Wirbelthieren das mittlere Keimblatt eine seröse
* Ich selbst habe eine solche Ablösung der dem mittleren Keimblatte" vergleichbaren
Bildungszellen von dem eben eingestülpten Entoderm bei Sagitta noch vor dessen Aus-
sackung gesehen. Und da bei den Echinodermen die Darmmuskulatur langst fertig ist,
bevor das Peritonealblatt den Darm umwächst, so ist selbst die Analogie desselben Blattes
mit dem Visceralblatte (Darmfaserblatte) der Vertebraten unvollständig.
874 XIII. Schlussbetrachtungen.
Leibeshöhle bildet. Sollte die Angabe Kowalewskys richtig sein, dass dasselbe
Keimblatt des Amphioxus in doppelter Anlage aus beiden primären Keim-
schichten hervorgehe (Nr. 111 S. 6), so würden seine definitiven vier Keim-
blätter gar keine Homologie mit den drei Blättern anderer, namentlich der
Wirbelthiere darbieten ; wesshalb ich denn doch jene nicht sehr zuversichtliche
Angabe im Gegensatz zu Haeckel (vgl. S. 860) in Zweifel ziehen möchte.
Hinsichtlich des mittleren Keimblattes lässt sich also Aehnliches behaupten
wie über die Gastrulabildung , dass nämlich nur ein Theil der bisherigen
Beobachtungen sich in Uebereinstimmung bringen lässt, ohne dass wir ein
Recht hätten, alle abweichenden Darstellungen zu verwerfen, dass aber ander-
seits die verschiedenen Erscheinungen einer vom Entoderm abstammenden
Zwischenschicht eine fortlaufende Entwickelungsreihe eines und desselben Vor-
gangs darstellen. Sowie am Anfange der Metazoenreihe die beiden primären
Keimschichten sich etwas anders zu bilden scheinen (Schwämme) als weiterhin,
dann der Einstülpungsprocess der Keimblase unvollkommen beginnt (Hydroid-
polypen) , um sich aufwärts immer vollständiger und umfassender auszubilden,
so fehlt auch die Bildung eines mittleren Keimblattes bei den Schwämmen und
einem Theil der Coelenteraten ganz und erscheint erst allmählich in einer den
beiden anderen Blättern koordinirten Form. Wird es nämlich anfangs durch
das ganze Ektoderm (Schwämme) oder histiogenetische Erzeugnisse desselben
physiologisch vertreten (Hydroidpolypen, Anthozoa? Ctenophora?), so sind
auch die ersten einem mittleren Keimblatte homologen Absonderungen des
Entoderms (Cassiopea, Pelagia, Beroe) weniger als eine morphologische
Embryonalanlage wie als ein histiogenetisches Produkt des Entoderms zu
betrachten. Erst bei den Echinodermen erscheint zum Theil ein etwas kom-
pakteres mittleres Keimblatt, welches aber dennoch nur durch die histio-
logische Zwischenform eines netzförmigen Bildungsgewebes in die sekundären
Erzeugnisse übergeht, sodass bei dieser seiner ungenügenden Entwickelung
Theile der Darmhöhle vikarirend eintreten müssen (Echinodermen , Sagitta,
Brachiopoden) ; und nicht früher als bei den höheren Würmern gelangt das
mittlere Keimblatt zu der Ausbildung, welche es befähigt, in die morphologische
Entwickelung des Thiers bestimmend einzugreifen. Dieser allgemeine Paralle-
lismus in der Entwickelung der Gastrula und des mittleren Keimblattes lässt
sich nun ganz wohl auf eine Abhängigkeit des letzteren von der Entwicklungs-
stufe der Gastrula zurückführen, welche ihrerseits wenigstens bis zu einem
gewissen Grade als Ausdruck für das Mass der ersten Formdifferenz der
XIII. Schlussbetrachtungen. 875
die morphologische Entwickelung einleitenden und unterhaltenden Dotter-
strömungen gelten kann. Denn die Steigerung dieser Differenz steigert auch
den Gegensatz beider Hemisphären der sich theilenden Dotterkugel , alsdann
aber auch die Bedingungen zu einer raschen und umfassenden Einstülpung ;
je früher aber bestimmte Formleistungen erscheinen , desto mehr werden die
Anpassungsbedingungen für die folgenden Wirkungen gegliedert, sodass ganz
im allgemeinen eine grössere primäre Formdifferenz auch mehr leistet. Doch
muss uns die einfachste Ueberlegung sagen, dass aus den bisher allein betrach-
teten Massverhältnissen der im oberen Theilungspol auslaufenden Eiaxe die
Mannigfaltigkeit aller Formbildungen sich nicht erklären lasse. Allerdings
behält jene Formdifferenz als Massstab für die quantitative Ausbildung der
Keimblätter ihre Bedeutung durch die ganze Reihe der Metazoen; aber die oft
sehr frühe sich offenbarende besondere und bestimmte Anordnung dieser
embryonalen Grundlagen, also auch ihre daraus folgende eigenthümliche
Umbildung und gegenseitige Anpassung zu einer bestimmten typischen Grund-
form kann nur von anderen als den genannten Formbedingungen abgeleitet
werden. In der folgenden Betrachtung dieser Verhältnisse und namentlich der
Haupterzeugnisse der Keimblätter muss ich mich aber natürlich noch viel mehr
als bisher auf ausgewählte Beispiele beschränken.
Indem ich erst bei gewissen Protozoen eine konstante Formdifferenz der
ersten Dotterströmung und zwar in einfachster Gestaltung, für die Metazoen
aber in steigender Gliederung annehme, so sollen damit die Thatsachen nicht
unter schematische Formeln gebracht werden, von denen die eine die anderen
absolut ausschlösse. Ich denke vielmehr, dass wenn anfangs bei den niedersten
Protozoen die Formdifferenzen der radiären Dotterströmung nach allen Seiten
schwanken, allmählich die eine so weit überwiegt, dass sie, konstant geworden,
die anderen nicht zu nachdrücklicher Wirkung gelangen lässt, ohne sie völlig
auszuschliessen. Diese erste konstante Formdifferenz kann auch in der Keim-
blasenform nicht auf einer entschieden ungleichtheiligen Hauptaxe beruhen,
weil dadurch bereits die Gastrula angelegt würde ; unter den Protozoen muss
daher die Formdifferenz in dem sich entwickelnden Eie in relativ gleichtheiligen
Abänderungen der Durchmesser sich bewegen, während jene oftgenannte
Hauptaxe, deren Ungleichtheiligkeit in der Excentricität des ersten Lebens-
keims zum Ausdruck gelangt, durch die in ihr enthaltenen Bedingungen zur
Gastrulabildung von den Proto- zu den Metazoen hinüberführt. Denken wir
uns nun, dass diese naturgemäss senkrechte Hauptaxe (Scheitelaxe) die
876 XIII. Schlussbetrachtungen.
gleichtheiligen Durchmesser, welche für die Herstellung einer Keimblase noch
genügten, nicht ablöse, sondern neben ihnen zur Entwickelung komme, so
würden diese, durch die Excentricität des Lebenskeims aus Durchmessern in
excentrische Axen verwandelten Richtungslinien in einer horizontalen (Aequa-
torial-) Ebene liegend und einander und die Scheitelaxe rechtwinkelig
schneidend gedacht werden müssen (Kreuzaxen). Werden nun diese beiden
Kreuzaxen als von früher her unter sich ungleich angenommen (Formdifferenz
der Keimblasenform), so muss nach dem von mir vorausgesetzten Kausal-
zusammenhange der Dotter- und Zeilentheilung (vgl. S. 58. 81. 93 — 96. 249)
dieselbe im Bereiche der kürzeren Axe oder auf zwei entgegengesetzten Seiten
der primären Keimschicht und darauf der Gastrula beschleunigt werden, die
Flächenausdehnung dort überwiegen, sodass die Gastrula keinen kreisförmigen,
sondern einen regelmässig elliptischen Querdurchschnitt bekäme. Ein solches
Verhältniss der Eiaxen und ihrer Wirkungen ist nun thatsächlich und sehr
deutlich an manchen in der Theilung begriffenen Eiern und den symmetrisch
abgeplatteten Gastrulaformen vieler Coel enteraten ausgesprochen (vgl. Nr. 160
Taf. II, VII, Nr. 165 Taf. III Fig. IV). Ferner können wir uns statt der gleich-
theiligen Abänderung der einen Kreuzaxe eine ungleichtheilige entstanden
denken, und würden davon konsequenterweise neben der ursprünglichen
polaren Differenz der Dottertheilung auch eine solche in querer Richtung und
demzufolge eine Beschleunigung der Gastrulabildung am kürzeren Ende der
neuen Axe erwarten. Bei den Wirbelthieren vermochte ich eine solche
einseitige Abweichung von der gleichmässig koncentrischen Ausbreitung der
primären Keimschicht erst während des Beginns der Einstülpung (Batrachier)
oder doch nach abgelaufener Dottertheilung (Knochenfische) nachzuweisen;
Kowalewsky lässt uns in seiner vortrefflichen Arbeit über die Entwickelung
des Euaxes und des Lumbricus die Ursachen jener ungleichmässigen Gastrula-
bildung schon im ersten Anfange der Dottertheilung erkennen (Nu 159 Taf. III).
Doch ist daneben ein gewisses Uebergewicht der Theilungsvorgänge in der
gleichtheiligen Kreuzaxe bemerkbar, sodass die Zone der schneller getheilten
kleineren Elemente auf den beiden Längsseiten am breitesten bleibt (a. a. 0.
Fig. 8. 9. 13. 14. 16). Erst bei den Wirbelthieren geht das Uebergewicht der
ganzen Entwickelung vollständig auf den einen Pol der ungleichtheiligen
Kreuzaxe über. Die andere Kreuzaxe greift allerdings auch noch durch
ungleichhälftige Ausbildung in die Kombinationen der übrigen Formdifferenzen
ein, bleibt aber im allgemeinen weniger bedeutsam und soll daher erst später
XIII. Schlussbetrachtungen. 877
zur Erörterung kommen. Hier will ich aber die allgemeine Bedeutung jener
näher bezeichneten ursprünglichen Forrndifferenzen des sich entwickelnden
Metazoeneies zu erklären versuchen (vgl. den Holzschnitt S. 880).
Die erste für die Metazoen in Betracht kommende Formdifferenz der
radiären Dotterströmung erzeugt durch den oftgenannten mechanischen Kausal-
zusammenhang die Gastrula, und die betreffende ungleichtheilige Hauptaxe des
Eies oder die Scheitelaxe wird, sowie sie die Pole der Keimblase bestimmte, auch
zur Hauptaxe der Gastrula (S. 880 Fig. I. II). Bleiben die Kreuzaxen gleich und in-
different, so hatjene Gastrulaaxe, welche natürlich mit der Längsaxe der primitiven
Darmhöhle zusammenfällt, die Bedeutung, dass alle Keimtheile in ihrem Um-
fange in der Weise gleichmässig angelegt sind, dass jeder Querdurchschnitt der
Gastrula eine regelmässig radiäre Anordnung zeigt, die verschiedenen Quer-
durchschnitte aber je nach dem Mass der Differenz der beiden Pole in deren Nähe
verschieden abändern. Für jeden axialen Längs- und jeden Querdurchschnitt
liegt also die wesentlichste Formbedingung in dem Gegensatz von Peripherie
und Axe oder Centrum, sodass die etwaigen weiteren Umbildungen jener gleich-
massigen Gastrula auch nur in gleichmässig radiärer Form erfolgen können.
Damit ist der Strahltypus gegeben. Doch darf man dabei nicht an ein starres
Schema denken. So ist es für viele Schwämme leicht möglich , dass durch
eine zu geringe Beständigkeit der besprochenen Formdifferenz die Gastrula-
form überhaupt nicht zu einer regelmässigen Entwickelung gelangt oder dieselbe
sekundär abändert. Ferner wird die radiäre Grundform, welche zudem oft
ausschliesslich in der Vierzahl der Kreuzradien zum Ausdrucke kommt
(Rugosa, Medusae), durch einen massigen Grad von gleichtheiliger Differenz
in einer Kreuzaxe nicht beeinträchtigt, weil dadurch nur die Radien symmetrisch
abgeändert werden, nicht aber die Gastrulaaxe selbst-, dieses Verhalten trifft
man bereits unter den Schwämmen (Grantia compressa) , noch häufiger wie
erwähnt unter den Coelenteraten, und zwar bei Larven und entwickelten Thieren
(Hydroidlarven, Ktenophoren). Und selbst wenn wir die Grenzen erlaubter
Deduktionen in diesem Gebiete der Morphologie eng ziehen, so scheint es mir
doch statthaft, aus der Entwicklungsgeschichte der Siphonophoren den Schluss
zu ziehen , dass unter den Coelenteraten selbst die Wirkungen einer ungleich-
theiligen Kreuzaxe sich bemerkbar machen. Eine Radialebene tritt bereits
am jungen Embryo ganz offenbar vor allen anderen hervor und ändert dadurch
die gesammte Anordnung der Organisation in der Weise ab , dass obgleich die
radiäre Grundform im allgemeinen erhalten bleibt, wie wir denn die Scheitelaxe
378 XIII. Schlussbetrachtungen.
des Eies in die Darmaxe übergehen sehen, dennoch die Symmetrie des Strahl-
typus verloren geht, was nicht nur in der Stellung, sondern auch in der höchst
divergenten Entwickelung der aus dem polypoiden Gentralkörper hervor-
wachsenden Organe sich kundgibt (Nr. 165 Taf. VI, X — XII)*. Wir finden
also, dass die gesetzmässige Differenzirung der Kreuzaxen, welche bei den
Schwämmen noch selten ist , in ihrer einfachsten gleichtheiligen Form bei den
Larven der Hydroiden allgemein wird, bei vielen Anthozoen und namentlich
den Ktenophoren im vollendeten Zustande erhalten bleibt, und bei den Sipho-
nophoren sogar in eine ungleichtheilige Form übergeht. Daraus lässt sich aber
entnehmen, dass alle im Eie möglichen und in erster Linie massgebenden Form-
differenzen nicht nur bereits im niedersten Metazoentypus vereinigt vorkommen,
sondern dass sie sich auch bis zu einem gewissen Grade gleichmässig
steigern , sodass in dem Verhältniss , als die Ausbildung der Keimblätter zu-
nimmt, auch die sekundären Forindifferenzen beständiger hervortreten. Der
Strahltypus wird aber immerhin durch eine solche relativ geringe Höhe jener
Steigerung begrenzt, dass diese sekundären Differenzen jedenfalls nicht zu
typisch bestimmendem Einfluss gelangen, womit eben auch eine gegenüber
anderen Typen schwächere Entfaltung der ersten Formdifferenz in der
Scheitelaxe und daher der embryonalen Grundlagen zusammenfällt. Dieses
* Mit dieser Auffassung schliesse ich mich natürlich Metschnikoff an, welcher die
sogenannten polymorphen Individuen eines Siphonophors für Organe erklärt (a. a. 0. S. 38).
Es ist hier nicht der Ort, diese Ansicht näher zu begründen und beschränke ich mich daher
auf die Bemerkung, dass die Lehre vom Polymorphismus der Siphonophoren sich auf
unpräcise Begriffe der Knospung und der Individualität stützt. Eine Knospe ist stets ein
physiologisches Produkt , setzt also ein vollständiges Leben des Keimbodens voraus , wovon
aber während der morphologischen Entwickelung keine Rede sein kann. Daher knospen
fertige Schwammindividuen , Hydroidstöcke , auch wohl die thatsächlich wachsenden
Scyphistomen , nicht aber die noch nicht individualisirten Eiprodukte; man müsste denn
den besonderen Sinn des Wortes „Knospung" ganz aufgeben und mit Haeckel auch die
Segmentirung der Wirbelthierembryonen als „terminale Knospung" ansehen (Nr. 100 II
S. 137). Anderseits ist die Folge der schematisch-aualysirenden Auflösung des Individua-
litätsbegriffs durch Haeckel (vgl. S. 600) die, dass dieses Wort „Individualität" nunmehr
nicht ein bloss nach dem Entwickelungsgrade verschiedenes Verhältniss, sondern ganz
heterogene Dinge bezeichnet. So kann offenbar die ,. untheilbare morphologische
Individualität" nichts anderes bedeuten als die blosse Abstraktion der Form, welche aber
zur organischen Individualität in keiner näheren Beziehung steht als zu irgend einem
beliebigen Formverhältnisse. Bei einer solchen willkürlichen Zersplitterung eines Begriffs
kann das in verschiedenem Sinne gebrauchte Wort allerdings gewisse Schwächen einer
Erklärung verdecken , um jedoch andere um so leichter hervortreten zu lassen. So lässt
sich dadurch der Polymorphismus der Siphonophoren vertheidigen, aber die Konsequenz
nicht ausschliessen , dass jeder beliebige andere Organismus dasselbe Verhältniss zeigt.
XIII. Schlussbetrachtungen. 879
spricht sich in verschiedenen Richtungen der individuellen Entwickelung der
Coelenteraten aus. Einmal können wir uns dadurch die Erfahrung erklären,
dass mit dem Vorherrschen der ersten Formdifferenz oder mit dem radiären
Typus ein Uebergewicht des einfachen Entoderms oder des Darmblattes in der
morphologischen Entwickelung zusammenhängt. Da die letztere mit der
Duttertheilung in der Ektodermhemisphäre beginnt , und diese wiederum ihre
erste und wichtigste Arbeit in der Entodermausstülpung , also ausserhalb ihres
eigenen Bereichs leistet, bevor für sie selbst differentere Anpassungsbedingungen
entstehen, so ist es natürlich, dass die morphologische Entwickelung des Ekto-
derms sich früher erschöpft und gleichsam ungünstiger arbeitet als im Ento-
derm , wo sie später aber auch sofort unter der bestimmenden Formbedingung
der typischen Anordnung anhebt. Kommt daher der radiäre Typus vor-
herrschend im Entoderm zum Ausdruck, sodass das Ektoderm nur mehr passiv,
sekundär daran theilnimmt, so ist dennoch ein bezüglicher Fortschritt
innerhalb desselben Typus nicht zu verkennen: bei den Hydroiden bleibt das
obere Keimblatt morphologisch indifferent , dann gibt sich seine selbstthätige
Entwickelung wenigstens in einer stärkeren gleichmässigen Ausdehnung
(Medusenschirm) und , wenn sie endlich noch unter dem Einflüsse der schneller
gebildeten Gastrula erfolgt, in selbstständigen radiären Bildungen zu erkennen
(Rippen, Tentakel der Ktenophoren, Schwimm-, Deckstücke u. s. w. der
Siphonophoren). Mit der niederen Formstufe des Strahltypus hängt ferner nicht
nur die dürftige Entfaltung eines mittleren Keimblattes, sondern überhaupt die
geringe histiologisch-physiologische Differenzirung des ganzen Organismus zu-
sammen (S. 874), wobei aber immer Ursache und Wirkung eine Reihe von ver-
schiedenen Entwicklungsstufen darstellen.
Die eben entwickelten allgemeinen Gesichtspunkte über das Wechselver-
hältniss und die Wirkung der Formdifferenzen der Eiaxen finden ihre
Bestätigung in den über den Coelenteraten stehenden Thieren. Die für die
Würmer bereits angegebenen ursprünglichen Formbedingungen erzeugen ein
Uebergewicht der Entwickelung auf zwei symmetrisch entgegengesetzten Seiten
der Gastrula, sodass die aktiven Wirkungen der zweiten ungleichtheiligen
Kreuzaxe dagegen zurücktreten. Immerhin bestimmt die letztere die vor-
herrschende Ausdehnung jener Seiten nach dem trägeren Kreuzpole, wodurch
die ganze Gastrula in derselben Richtung ausgezogen wird und eine neue
Längsaxe des Darms rechtwinkelig zu der früheren Gastrulaaxe entsteht,
während diese nur noch in der Einstülpungsöffnung, d. h. in sehr vielen Fällen
880
XIII. Schlussbetrachtungen.
dem späteren Munde sich erhält (s. u. Fig. III. IV). Da die nach meiner Darstellung
vom Kausalzusammenhangeder Embryonalentwickelung nothwendigen ursprüng-
lichen Formursachen einer solchen Larvenform in den Dottertheilungsbildern
einiger Ringelwürmer einen getreuen Ausdruck finden (Nr. 159 Taf. III), so ist es
wohl erlaubt anzunehmen, dass die gleiche Larvenform der Echinodermen, welche
namentlich bei Pentacta und den wurmförmigen Seesternlarven J. Müller's
deutlich hervortritt (Nr. 162, Nr. 168 Taf. VI, VII, Nr. 169 Taf. I), und die
typische Anordnung der entwickelten Plattwürmer ganz ähnliche Ursachen
I. III. V.
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VI.
I. Ei. a. Scheitelaxe.
II. Reguläre Gastrula. b, c. Kreuzaxen.
III. Wurmembryo. a'. Rückenaxe.
IV. „ vom Scheitelpol gesehen. b'. Bauchaxe.
V. Vertebratenembryo.
VI. „ vom Scheitelpol gesehen.
haben. Diese drei Gruppen haben also als gemeinsamen Ausgangspunkt ihrer
Formbildung neben der ungleichtheiligen Scheitelaxe eine überwiegende gleich-
theilige und eine untergeordnete ungleichth eilige Kreuzaxe, also die schon bei
den höheren Coelenteraten nachweisbaren Formdifferenzen, aber in solcher
Steigerung, dass die Gastrulaaxe nicht erhalten bleibt, sondern durch eine
rechtwinkelig auf sie stossende Darmaxe ersetzt wird. Aber auch in jenen
drei Gruppen divergirt die Entwickelung in Folge eines ungleichen Masses
jener Steigerung schliesslich so weit, dass sie in drei verschiedene Typen aus-
läuft. — Die definitive Grundform der Plattwünner weicht nach meiner
XIII. Schlussbetrachtungen. 881
Ansicht von der bezeichneten Larvenform am wenigsten ab; denn sie behält
die Darmaxe als Richtungslinie des ganzen Körpers, sodass die Scheitelebene
a b (Medianebene) und die Kreuzebene b c (Frontalebene) allerdings unter sich
differiren, aber jede für sich relativ symmetrisch oder gleichtheilig bleibt. Man
kann daher diese Ebenen mit den bilateral abgeänderten Radialebenen der
Ktenophoren vergleichen, wobei als grundsätzliche Differenz die verschiedene
Bedeutung der beiderlei Darmaxen erscheint. Viel näher stehen den Coelen-
teraten die Echinodermen, deren Larven bereits durch die bilateralen Darm-
ausstülpungen eine Aehnlichkeit mit den Ktenophoren.erhalten (Metschnikoff).
Indem aber eine von diesen bilateralen, radiär gctheilten Embryonalanlagen
sich theilweise zurückbildet und dadurch die andere allein mit ihrer gleich-
massig radiären Theilung den Darm umwachsen lässt, wird von dieser Seite
her eine entsprechende Anpassung der übrigen noch indifferenten Theile des
Ekto- und Mesoderms bewirkt; es verwandeln sich demnach die paarig
symmetrischen Hauptebenen der Plattwürmer bei den Echinodermen mit
wenigen Ausnahmen in lauter gleiche Radialebenen. Kurz , der Strahltypus,
dessen allgemeinster Ausdruck in der centralen Darmaxe auch den Platt-
würmern nicht fehlt, kommt bei den Stachelhäutern schliesslich zu ganz
besonders deutlicher Entwickelung, wobei nur wie bei den Plattwürmern die
neue Darmaxe eine grundsätzliche Abweichung von den Coelenteraten bildet.
Bei dieser Rückbildung der bilateral angeordneten Theile der Echinodermen-
larven zur Strahlform ist es wiederum der embryonale Darm, von welchem die
Veranlassung zu der letzteren gerade so wie bei den Coelenteraten selbst aus-
geht. Schon die Gastrula der Echinodermen zeigt uns deutlich, dass die
Entodermeinstülpung im Verhältniss zu derjenigen der Würmer eine schwache
ist (Nr. 162); und wenn dies schon auf ein geringes Mass der Formdifferenz
in der Scheitelaxe des Eies deutet, so wird dieser Hinweis noch unterstützt
durch die weitere morphologische Entwickelung, welche ähnlich wie bei den
Ktenophoren wesentlich vom Darmblatte ausgeführt wird , während das Ekto-
derm nur in untergeordneten Bildungen sich selbstständig entwickelt, das
mittlere Keimblatt aber als bloss sekundär geformtes netzförmiges Bildungs-
gewebe auftritt.
Zeigen uns schon die eben behandelten beiden Gruppen eine nicht unbe-
deutende Divergenz der Entwickelung von einem wahrscheinlich gleichen
Ausgangspunkte aus, so entfernen sich die Ringelwürmer noch weit
entschiedener von demselben, und zwar wiederum nur durch eine weitere
Goette, Eiitwickelungsgesckichte. 56
g£2 XIII. Schlussbetrachtungen.
Steigerung der oftgenannten Fornidifferenzen. Zunächst bewirkt sie eine
Beschleunigung der Gastrulabildung , sodass dieselbe im Anfange der Dotter-
theilung beginnend ein mächtiges Entoderm mit einem frühe sich abspaltenden
ansehnlichen mittleren Keimblatte anlegt. Die ausgeprägt bilateral - sym-
metrische Anlage des letzteren erlangt auch den massgebenden Einfluss auf
die typische Gestaltung dieser Thiere. Einmal wird das Darmblatt von einer
aktiven morphologischen Entwickelung dadurch ausgeschlossen, dass die
Grundzüge derselben durch die beiden anderen weit vorauseilenden Keim-
blätter festgestellt sind, ehe jenes seine andauernde Indifferenz aufgibt , welche
eben die Folge davon ist, dass die untere Eihälfte (Darmblatt und eventuell
Nahrungsdotter) durch die Begünstigung der um den oberen Pol gelegenen
Eitheile (oberes, mittleres Keimblatt) gleich bei der Dottertheilung ausser-
ordentlich zurückbleibt. Ferner kann aber auch die Bildungsthätigkeit des
oberen Keimblattes auf diejenige des mittleren zurückgeführt werden; denn
die geringe Verdickung des ersteren über dem Randwulste tritt erst mit der
Ausbildung des letzteren hervor und bleibt während der Umwachsung des
übrigen Entoderms auf ihn beschränkt (Nr. 159 Taf. IV). Es ist daher durch-
aus gerechtfertigt , die paarigen Keimstreifen in erster Linie nur auf das
mittlere Keimblatt zu beziehen. Durch ihre symmetrische Disposition auf
zwei entgegengesetzte Seiten des Einstülpungsrandes der Gastrula unter-
scheiden sie sich ebenso sehr von den ersten morphologischen Anlagen der
Vertebraten, wie sie dadurch die in zwei Längsebenen relativ symmetrische
Anordnung der Embryonalanlagen der Echinodermen und Plattwürmer ver-
hindern. Denn mit der sich zusammenziehenden Gastrulaöffnung kommen sie
auf die Seite des unteren Eipols, wo sie endlich in der durch sie gleich von
Anfang bestimmten Medianebene und unter Einschluss der Mundöti'nung
zusammenstossen und auf diese Weise sowohl im eigenen Bereich wie auch im
oberen Keimblatte, dessen bilaterale Verdickungen darüber gleichfalls
zusammenfliessen, die Anlage je einer unpaaren Bildung veranlassen, des
merkwürdigen Analogons einer Wirbelsaite und des Bauchmarks (Nr. 159 S. 20).
Jede Homologie dieser Bildungen mit der Chorda und dem Nervensystem der
Vertebraten ist selbstverständlich ausgeschlossen, aber nicht etwa desshalb,
weil sie auf der oralen oder Bauchseite liegen, denn die „ventral" und „dorsal"
genannten Lagebeziehungen stimmen in beiden Typen überhaupt nicht überein,
wie ein Blick auf die Schemata zeigt (S. 880 Fig. III — VI); sondern weil jene
XIII. Schlussbetrachtungen. 883
Axentheile der Vertebraten primär unpaar*, diejenigen der Würmer aber aus
einem Zusammenstoss symmetrisch paariger Anlagen sekundär entstehen.
Ausserdem muss hervorgehoben werden, dass nach den vorliegenden embryolo-
gischen Thatsachen sowohl bei den Oligochaeten wie bei Sagitta das obere
Schlundganglion genetisch zum Bauchmarke gehört. — Die Keimstreifen des
mittleren Keimblattes führen aber noch eine weitere Neuerung der morpholo-
gischen Entwickelung herbei, die Flächenspaltung und die Quergliederung,
welche allerdings in ihren nächsten, lokalen Anpassungsbedingungen mit der-
jenigen der Wirbelthiere übereinzustimmen scheinen, ohne dass jedoch die
weitere Entwickelung der Segmente in diesen beiden Abtheilungen des Thier-
reichs irgend welche bestimmten Homologien böte**. Die Lagebeziehungen
dieser Segmente zu den unpaaren zwischen ihnen entstehenden Organen lassen
es unmittelbar erkennen, dass die Hauptrichtungslinie des Körpers solcher
Würmer aus der Darmröhre auf die durch jene Körpertheile ausgezeichnete
Seite der Leibeswand übergegangen ist, womit sich eine wichtige Veränderung
der primären, in zwei Richtebenen symmetrischen und folglich darmaxigen
Wurmform vollzogen hat. Sie ist ventro-axial geworden, sodass sie von den
ursprünglichen Lagebeziehungen der Gastrula nur noch die orale Seite und
deren Gegensatz im Rücken behält. Da nach dem Gesagten diese Veränderung
der Grundform sich leicht auf eine Steigerung der Formdifferenzen des Eies
zurückführen lässt, so brauche ich die weiteren Folgen derselben für die
Organisation der höheren Würmer nicht näher auszuführen. Die hier zum
ersten Mal auftretende primär - morphologische Entwickelung des mittleren
Keimblattes überträgt ihre Formen nicht nur auf das obere Keimblatt,
sondern bietet in ihrem eigenen Bereiche so mannigfaltige neue Formbe-
diugungen, dass die höhere histologische Differenzirung als Folge einer solchen
morphologischen selbstverständlich ist.
*) Wer von meiner bezüglichen Darstellung bei den eigentlichen Wirbelthieren
(S. 157. 158) sich nicht will überzeugen lassen, den kann ich an dieser Stelle auf Ascidia
und Amphioxus verweisen.
**) Ich erinnere zunächst daran , dass die getrennten Segmente und die primär und
grösstentheils überhaupt nicht segmentirten Seitenplatten zwei verschiedene Keimtheile
darstellen. Die aus den Segmenten der Würmer hervorgehende Leibeshöhle und ihre
Segmentalorgane können daher den ähnlichen Erzeugnissen der Seitenplatten der Wirbel-
thiere nicht homolog sein ; die Segmentalorgane als röhrenförmige Auswüchse der Segment-
wand in die Leibeshöhle hinein (Nr. 159 S. 25) haben insbesondere mit den Urnieren, mit
denen sie Kowalewsky selbst vergleicht (S. 29) , nur die genetische Aehnlichkeit, dass
sie im mittleren Keimblatte als Röhren entstehen, was sich aber natürlich auch vom
Herzen und anderen heterogenen Organen behaupten lässt.
56*
384 XIII. Schlussbetrachtungen.
Den höheren Würmern sind die Arthropoden und die Brachiopoden nach
ihrer Entwicklung unbedingt anzureihen; vielleicht dürfen auch die Mollusken
derselben Grundform, natürlich in weiteren Grenzen, zugezählt werden. Bei
den Insekten liegt die Gastrulaöffnung als lange Spalte zwischen den bilateral
symmetrischen Randwülsten (Nr. 159 Taf. VII), sodass die Lage der die
Körperaxe bestimmenden Hauptorgane (mit Einschluss des oberen Schlund-
ganglions) , parallel zur sekundären Darmaxe oder rechtwinkelig zur Scheitel-
axe des Eies und zur Gastrulaaxe leicht verständlich ist. Doch ist das
Zusammenfliessen dieser paarigen Anlagen zu unpaar - axialen weniger voll-
ständig als bei den Oligochaeten, welche den Schluss einer Entwickelungsreihe
bilden , die mit einer relativ symmetrischen Trennung der bilateralen Anlagen
bei den Ktenophoren und Echinodermen beginnt und dann durch die Platt-
würmer zu den höheren Formen des ventro-axialen Typus führt.
Ueber die Wirbelthiere brauche ich nicht viel zu sagen. Das sie von dem
eben betrachteten Typus unterscheidende Merkmal ist bei der allgemeinen
Steigerung aller Formdifferenzen das sehr früh hervortretende Uebergewicht
jener im vorigen Typus noch untergeordneten ungleichtheiligen Kreuzaxe, so-
dass Ektoderm und mittleres Keimblatt gleich primär in einseitigen unpaaren
Anlagen die künftige Richtungslinie des Körpers bestimmen, welche aber nicht
wie im ventroaxialen Typus aus der sekundären, abgebogenen Darmaxe, sondern
aus der ursprünglichen Gastrulaaxe verschoben wird, dieser also parallel
liegt (vgl. S. 880). Mit anderen Worten, wenn der Rücken eines Wurms oder
Arthropoden dem oberen Polfeld des Eies entspricht, so entsteht der Rücken
des Wirbelthiers längs einer meridionalen Linie desselben; die Einstülpuugs-
öffnung der Gastrula, welche bei den erstgenannten Thieren zum Munde wird,
bezeichnet bei den Vertebraten (Knochenfische, Batrachier) die Lage des
künftigen Afters *. Sowie nun im Strahltypus das Darmblatt oder doch das
ungetheilte Entoderm , im ventro-axialen Typus das mittlere Keimblatt die
morphologische Entwickelung beherrscht, so ist es bei den Wirbelthieren
(dorso-axialer Typus) das obere Keimblatt, welches in seiner fundamentalen
Anlage des Centralnervensystems im allgemeinen und im besonderen die Höhe
* Wenn dies auf die Amnioten nicht ohne weiteres anwendbar ist , so wissen wir doch,
dass die Embryonalanlage nur mit ihrem Schwanzende den Rand der Keimscheibe erreicht,
mit dem Kopfende aber von ihm weit absteht, sodass der Schluss dieses Randes unter dem
Nahrungsdotter dem After immer näher liegen muss als dem Munde.
XIII. Schlussbetrachtungen. 885
jener Entwickelung bestimmt, wie ich es vielfach nachgewiesen habe, für
den Kopf in seinen einzelnen Theilen (Kiefer, Kiemen, Herz), für die Brust und
ihre Eingeweide u. s. w. Daher ist der Gegensatz von Bauch und Rücken der
Wirbelthiere erst mit jener dorso-axialen Anlage bezeichnet, während bei den
Würmern und Arthropoden die schon ursprünglich bestimmte orale Seite der
Gastrula sich in die ventrale des entwickelten Thieres verwandelt.
Bevor ich diese vielleicht schon ermüdenden Vergleiche verlasse , sei noch
kurz der Wirkungen einer geringen Ungleichtheiligkeit der bisher als gleich-
theilig behandelten zweiten Kreuzaxe des Eies gedacht. Diese Abänderung
kann nach allen voranstellenden Betrachtungen ein gewisses niederes Mass
nicht überschreiten , wenn die typische Entwickelung überhaupt nicht beein-
trächtigt und endlich ganz aufgelöst werden soll. Ihre Wirkungen treten daher
nur sekundär und relativ spät ein, sodass der bereits festgestellte Typus
dadurch keine wesentliche Abänderung erleidet, obgleich sie für gewisse
beschränktere Entwickelungsvorgänge von grösster Bedeutung sind. Deutlich
erscheint eine solche Wirkung erst bei den Echinodermen in der erwähnten
Rückbildung der einen lateralen Darmaussackung , wodurch die andere allein
die Anlage des Wassergefässsystems liefert und die radiäre Anordnung der
meisten oder selbst aller Körpertheile hervorruft. Bei den Mollusken mag die
spirale Aufwindung daher rühren ; und wenn sich ganz allgemein die Ursachen
der gesetzmässigen Asymmetrie des Situs viscerum darauf zurückführen liessen,
so brauche ich die Bedeutung dieser Formdifferenz für die Bildung gewisser
Organe, Gefässe u. s. w. nicht weiter zu erörtern (vgl. S. 750. 799). An dieser
Stelle habe ich sie nur erwähnt , um zu zeigen , dass in den uns vorliegenden
Typen des gesammten Thierreichs alle im Eie möglichen wirksamen Form-
ursachen erschöpft sind.
Die voranstehenden Betrachtungen beziehen sich allerdings nur auf die
Hauptformen des Thierreichs , und behandeln ferner nur die grundlegenden
Erscheinungen ihrer individuellen Entwickelung-, doch halte ich sie für
genügend, um mit Rücksicht auf meine eingehenden Untersuchungen an
Wirbelthieren auch für die weitere Entwickelung der übrigen Thiere die allge-
meine Auffassung geltend zu machen, dass die ganze morphologische
Entwickelung in mechanischen Formleistungen verlaufe, welche in ununter-
brochenen Kausalzusammenhang von jenen ersten einfachsten Formbedingungen
der im Eie eingeleiteten protoplasmatischen Bewegungen ausgehen, durch
gegenseitige Anpassung und Bewirkung sich fortlaufend gliedern und am Ende
^g(J XIII. Schlussbetrachtungen.
dieser Entwicklung in den lokal geschaffenen Formbeziehungen der embryo-
nalen Jiörpertheile die einzigen unmittelbaren Ursachen der Gewebssonderung
darstellen. Von diesem Gesichtspunkte aus rechtfertigt sich die Beschränkung
auf die bisher betrachteten primären Formverhältnisse, da in ihnen die
wesentlichen Grundlagen des Gemeinsamen und Verschiedenen in der späteren
Entwickelung hinlänglich angedeutet sind. Gemeinsam für die Ontogenese
aller Thiere ist die Natur der im jeweiligen Ausgangspunkte (Ei) vorhandenen
Ursachen der Entwickelung und die Art ihres Zusammenwirkens , verschieden
lediglich das Mass derselben ; die einzig denkbaren qualitativen Unterschiede,
nämlich diejenigen der stofflichen Zusammensetzung, kommen zunächst in
qualitativ verschiedenen Wirkungen nicht zum Ausdruck, können daher nur
jenes Mass der gleichartigen Vorgänge beeinflussen, also füglich unbeachtet
bleiben, solange es sich in erster Linie um diese Vorgänge selbst handelt. An
jenem Ausgangspunkte der individuellen Entwickelung aller Thiere finden
wir nun gerade so wie ich es zuerst bei den Wirbelthieren nachwies,
eine unorganisirte , relativ homogene Masse, welche an sich ohne Leben,
ein gewisses Quantum von Spannkräften enthält, deren Lösung die an der
ganzen Masse sich vollziehenden Formbildungen unterhält und in denselben
ein individuelles Leben neu entstehen lässt. Das Formgesetz, welches in den
bestimmten Formleistungen dieser aktiven Bildungsursachen sich ausspricht,
ist überall auf die denkbar einfachste gesetzmässige Form im Anfange der
Entwickelung zurückzuführen, auf die Kugel, welche die radiäre Anordnung
der Elementaraktionen bedingt. Jedes Heraustreten aus diesen indifferentesten
gesetzmässigen Formverhältnissen ist daher an die Abänderung der Bewegungs-
radien geknüpft , welche durch die Extreme in den drei Hauptdurchmessern
oder -axen bemessen wird. Im allgemeinen darf man annehmen , dass diese
dreierlei Formdifferenzen in allen Eiern, nur in sehr verschiedenem Masse
angelegt sind, sodass die weniger ausgebildeten nicht zu wirksamem Ausdrucke
kommen. ' Da gleiche Axen indifferent bleiben * , so muss bei eingetretener
Wirkung stets eine axiale Formdifferenz überwiegen, an welche sich eventuell
die anderen anschliessen ; die verschiedenen Kombinationen dieser ineinander-
greifenden Formdifferenzen ergeben alsdann in der beschriebenen Weise die
* Sind sie gleichtheilig, so ist die Indifferenz selbstverständlich; sind sie ungleich-
theilig , so wird die in der Mitte /.wischen ihnen liegende Axe als differentere allein zur
Wirksamkeit gelangen.
XIII. Schlussbetrachtungen. 887
verschiedenen Grundformen*, wobei ich nur hervorheben will, dass im allge-
meinen (aber durchaus nicht regelmässig) die Formdifferenzen in allen drei Axen
sich gemeinsam steigern, und daher auch die Steigerung der ganzen Organisation
von einer Grundform zur andern fortschreitet. Die Verschiedenheit der
letzteren lässt sich also sowohl im ganzen Thierreiche wie in den einzelnen
grösseren Abtheilungen desselben auf eine Reihe verschiedener Grade in der
Fonndifferenzirung der radiären protoplasmatischen Strömung zurückführen,
welche den allen Thieren gemeinsamen Ausgangspunkt ihrer individuellen
Entwicklung bildet ; und nothwendig knüpft sich an diesen Schluss die Frage,
ob wir in jener allmählich fortschreitenden Gliederung einen thatsächlichen
Entwickelungsverlauf vor uns haben und wie eventuell der Zusammenhang der
Glieder sich gestalte. Ich komme damit zur Kritik der Descendenztheorie, zu
welcher ich mich an dieser Stelle desshalb veranlasst fühle, weil Haeckel
bekanntlich behauptet, dass die Phjdogenese die eigentliche mechanische
Ursache der Ontogenese (Nr. 163 S. 7) , und folglich die letztere nur aus
der ersteren zu erklären sei. „Die Descendenz-Theorie ist die wissenschaftliche
Begründung der gesammten Entwicklungsgeschichte durch das allgemeine
Kausalgesetz". „Ohne die Abstammungslehre ist die Morphogenie nur eine
empirische Sammlung von Thatsachen, welche erst in den von der ersteren
enthüllten wirkenden Ursachen ihre Erklärung finden" (Nr. 100 II S. 149).
Ich glaube nun allerdings in diesem ganzen Buche bis zu dieser Stelle den Be-
weis geliefert zu haben, dass die Ontogenese in ununterbrochenem ursächlichen
Zusammenhange auf den allereinfachsten nicht lebenden Ausgangspunkt sich
zurückführen lasse, ohne dass die Phylogenie auch nur erwähnt zu werden
brauchte-, ich glaube ferner darin nicht zu viel behauptet zu haben, dass sich
bei Haeckel nicht nur keine einzige thatsächliche Bezeichnung irgend eines
* Ich brauche hier nur kurz zu bemerken , dass meine Auffassung der genetischen
Grundformen der Thiere mit der Promorphologie Haeckel's nicht im geringsten zusammen-
fällt. Die letztere sucht die Gestalten aller organischen Erscheinungen durch Beziehung
auf eine ihnen zu Grunde liegende stereometrische Form in anschaulicher Weise dem Ge-
dächtniss einzuprägen (Nr. 100 I S. 377 u. flg.). Natürlich werden dabei die heterogensten
Dinge zusammengestellt , Pflanzen und Thiere , ganze Organismen und einzelne Körper-
theile, Organsysteme und Gewebselemente; dass aber auch die „Promorphen" der ganzen
Thiere sich nicht mit deren genetischen Grundformen decken , ergibt sich aus folgenden
Zusammenstellungen gleicher Promorphen: Rugosa, Anneliden, Nemertinen -u. s.w.—
Wirbelthiere , Arthropoden, Mollusken, Echinodermenlarven , Siphonophoren (a. a. 0.
S. 515. 521) , wobei namentlich im zweiten Falle Metazoen von allen genetischen Grund-
formen als Eudipleura vereinigt werden.
888 XIII. Schlussbetrachtungen.
ontogenetischen Kausalzusammenhangs, sondern im Gegentheil als Ausgangs-
punkt jeder Ontogenese eine empirisch weder begründbare noch fassbare
Ursache (Bildungstrieb des Plasmas) angegeben findet, sodass damit der
natürliche Kausalzusammenhang zwischen Onto- und Phylogenese bereits negirt
ist. Dennoch wäre es möglich , dass manchem Leser dieses Buches die insbe-
sondere von Haeckel systematisch ausgearbeitete DAEWiN'sche Descendenz-
theorie so unanfechtbar erschiene , dass dadurch meine Darstellung an Glaub-
würdigkeit einbüsste ; dies veranlasst die folgenden Bemerkungen.
Die Notwendigkeit der Descendenztheorie finde ich nirgends anders
motivirt , als dadurch , dass im Falle ihrer Verneinung nur die Annahme einer
übernatürlichen Schöpfung aller Thierformen im fertigen Zustande übrig
bliebe. Dieses Dilemma existirt für denjenigen nicht mehr , wer Haeckel's
Theorie von der autogonen Entstehung der ersten Organismen sich zu eigen
macht. Danach entstanden dieselben wie Krystalle, indem die Moleküle
anorganischer Stoffe sich unmittelbar zu fertigen Moneren verbanden, welche
lediglich vermöge ihrer chemischen Konstitution in form- und strukturlosem
Zustande Leben und Entwickelungsfähigkeit besassen (vgl. S. 583 — 589,
Nr. 100 I S. 164. 165. 182. 190). Nun betrachtet aber Haeckel die reifen
Eier aller Thiere als ebensolche Bildungen (Monerulae) , deren Bildungskraft
ebenfalls nur in ihrer besonderen chemischen Zusammensetzung beruhe
(Nr. 100 II S. 174). Dann muss aber konsequenterweise die Möglichkeit einge-
räumt werden, dass solche Eistoffe ebenso gut wie das Protoplasma der
Moneren autogon entstanden und vermöge der ihnen adhärenten Bildungskraft
sich unmittelbar zu den verschiedensten Thieren entwickelten*. Meine Auf-
fassung der individuellen Entwickelung nöthigt aber allerdings unbedingt zu
der Annahme, dass jeder etwas weiter differenzirte thierische Organismus
sowie jedes solche Ei durch eine kontinuirliche Generationsreihe von aller-
einfachsten ersten Lebewesen abstammen , und dass wahrscheinlich ganz im
allgemeinen die Reihe der dabei durchlaufenen verschiedenen Formstufen um
so länger sei, je differenter die individuelle Entwickelungshöhe des betrachteten
* Die besonderen Eihüllen werden von Haeckel bei der Erklärung der Entwickelungs-
fähigkeit der Eier (a. a. ü.) nicht erwähnt und beachtet, sie können daher auch die
genannte Schlussfolgerung nicht stören. Uebrigens gibt es bekanntlich auch unter den
Metazoen nackte Eibildungen , sowie auch eine einfache Dotterhaut als Absonderung der
Dotterkugel für die Autogonie keine Schwierigkeiten bieten könnte.
XIII. Schlussbetrachtungen. 889
Organismus sich herausstellt. Nachdem ich auseinandergesetzt, dass ein
wirkliches Leben ohne ein Formgesetz undenkbar , dieses aber keinesfalls eine
Eigenschaft der Stoffmoleküle an sich ist (S. 583 u. flg.) , so kann ich selbst-
verständlich die Hypothese Haeckel's von der Autogonie der ersten Organismen
nicht billigen. Auch die Krystallisation der Anorgane setzt bereits die fertigen
Moleküle des betreffenden Stoffes voraus, welche durch den Krystallisations-
process nicht erst geschaffen, sondern in neue Lagebeziehungen zu einander
gebracht werden; wie viel mehr muss bei der Entstehung der ersten
Organismen ein bereits fertiges und zusammenhängendes organisches Substrat
vorausgesetzt werden, da die Organisation desselben nicht der unmittelbare
Effekt irgend einer physikalischen Wirkung, sondern erst die Folge einer wenn
auch noch so kurzen Entwickelung sein kann. Denken wir uns nämlich einen
Theil eines nichtorganisirten protoplasmatischen Stoffes,/ welcher selbst erst
durch eine Reihe von Umbildungen entstanden sein mag, von der übrigen Masse
abgelöst und darauf unter dein Einflüsse des umgebenden Mediums kugelig
kontrahirt, dadurch also in eine gesetzmässige Form gebracht, so wären damit
im besten Falle erst die Bedingungen angelegt, unter denen die früheren
Wechselwirkungen des Stoffes mit seiner Umgebung sich gegenseitig so
anpassen können, dass ihre einheitlichen Wirkungen sich allmählich zu der
physiologischen Leistung der Ernährung steigern , welche erst die durch Reize
ausgelösten Kontraktionen des ganzen Körpers fortdauernd unterhält und so
in individuelle oder Lebensbewegungen verwandelt. Eine solche in Folge
einer wirksamen Formbildung eingeleitete und allmählich sich vollziehende
Herstellung eines individuellen Lebens fällt aber mit dem Begriff der indivi-
duellen Entwickelung zusammen. So konnten also nach meiner Ansicht auch
die ersten Organismen nur auf ontogenetischem Wege aus bereits vorgebildeten
organischen Stoffen entstehen. Sie konnten aber auch nur eine relativ
einfachste Organisation besitzen, mochte dieselbe auch in den einzelnen
Individuen bereits innerhalb gewisser Grenzen verschieden sein; denn schon
unter den Protozoen sehen wir die Eibildung und -entwickelung an gewisse
Bedingungen geknüpft, welche bei den einfachen Wechselwirkungen eines
unorganisirten Stoffes mit seiner natürlichen Umgebung nothwendig fehlen,
so z. B. die Herstellung und den Aufenthalt des Eies im Mutterthier bei den
Infusorien. Dies erfordert die Annahme, dass diese Thiere irgend einmal aus
anderen hervorgingen, deren individuelle Entstehung nicht an jene Bedingung
geknüpft war, d.h. ausserhalb des Zeugungsthieres verlief, also auch nothwendig
890 XIII. Schlussbetrachtungeu.
einen anderen Verlauf hatte ; die Vorfahren der Infusorien mussten anders ge-
bildet gewesen sein. Selbstverständlich müssen solche Schlussfolgernngen
noch in viel höherem Masse für die Metazoen Platz greifen. Und da die
relativ niedersten Protozoen eine Form der individuellen Entwickelung zeigen,
welche dem vermuthlichen Vorgange der ersten Entstehung von Organismen
am nächsten steht, so folgt daraus, dass alle über den Protozoen stehenden
Thiere von niedersten Organismen abstammen müssen, welche jenen sehr
ähnlich waren-, und da ferner die einzelne Fortpflanzung die schon bestehende
Form der Eltern in den Nachkommen im allgemeinen wiederholt (Vererbung),
so wn'd, je komplicirter die Formbedingungen einer bestimmten Eibildung und
-entwickelung erscheinen, eine um so grössere Reihe verschiedener von den
Vorfahren durchlaufener Formen wahrscheinlich, von denen jede einen neuen
Beitrag zur Herstellung jenes Komplexes von Formbedingungen und somit der
daraus folgenden Organisation lieferte. Im allgemeinen wird also jede solche
zusammenhängende Formenreihe einen Fortschritt von niederen zu höheren
Formstufen darstellen.
Damit wäre zunächst nur die Notwendigkeit der Annahme der Descen-
denztheorie überhaupt erwiesen. Wie steht es aber mit dem Kausalzusammen-
hange der von ihr geforderten phylogenetischen Entwickelungsreihen , was
bewirkt die Abänderung der Stammformen und dann die relative Erhaltung
der veränderten Form ? — Die Antwort , welche Darwin darauf gegeben hat,
wird wie mir scheint noch immer falsch beurtheilt. Dass naturgemässe
Veränderlichkeit und die Erblichkeit in ihrer Wechselwirkung der fort-
schreitenden Formbildung der Generationsreihen zu Grunde lägen, war am
Ende schon für den ersten Begründer der Descendenztheorie, Lamaeck,
selbstverständlich-, und wenn Haeckel hervorhebt, dass das eigenste besondere
Verdienst Darwin's in der Fassung der Selektionstheorie, der natürlichen Zucht-
wahl bereits vorhandener Formen im Kampfe ums Dasein, beruhe (Nr. 100 II
S. 160), so ist es mindestens inkonsequent, wenn Haeckel auf der folgenden
Seite ausspricht: „Der Grundgedanke von Darwins Selektions- Theorie liegt
in der Wechselwirkung zweier physiologischen Functionen", nämlich der Ver-
erbung und Anpassung. Denn die natürliche Zuchtwahl im Kampfe ums
Dasein kann lediglich von den bereits vorhandenen Formen einige ganz aus-
schliessen, andere erhalten und daher eine einschränkende Bedingung für die
Kormumbildung der folgenden Generationen werden, gerade so wie daneben
die Isolirung nach Wagner' s Migrationstheorie und vielleicht noch andere be-
XIII. Schlussbetrachtungen. 891
stimmter zu sondernde äussere Beziehungen des thierischen Lebens. Indem
aber so die natürliche Zuchtwahl bloss von der Verschiedenheit abhangig , wie
sich gleiche oder ungleiche Formen zu verschiedenen oder denselben äusseren
Lebensbedingungen verhalten, nur unter gewissen Umständen die aus Ver-
änderlichkeit und Erblichkeit hervorgegangenen formbildenden Wirkungen
sekundär trifft , kann sie uns weder die mechanischen Ursachen der letzteren
aufdecken, noch gar enthalten, ihre Lehre daher nicht im geringsten zur
„unerschütterlichen mechanischen Basis der Descendenztheorie" werden, wie
Haeckel meint (a. a. 0.). Die Selektionstheorie ist vielmehr nur zulässig-
unter der Voraussetzung, dass die Descendenzlehre bereits vollkommen ge-
sichert ist. Die jener entgegengesetzten Auffassung zu Grunde liegende Ver-
wechselung wird dadurch verständlich, dass man bisher, wie ich weiter unten
zeigen werde, irrtümlicherweise die Ursachen der erblichen Veränderungen
und diejenigen der natürlichen Zuchtwahl gleicherweise in den äusseren Lebens-
bedingungen der Thiere suchte, also identificirte. Dies that bereits Darwin,
aber erst Haeckel hat es mit aller wünschenswerthen Klarheit auseinander-
gesetzt, sodass ich meine Kritik auch vorzugsweise gegen sein fertiges System
richte. Ehe ich daran gehe, sei im voraus bemerkt, dass ich dadurch, dass
auch Darwin ein Irrthum nachgewiesen wii;d , seine grossen Verdienste nicht
wesentlich geschmälert, sondern nur in einer anderen Richtung sehe als in der
„mechanischen Begründung" der gesammten Descendenztheorie. "Ob der
Beweis für die letztere im einzelnen richtig, ob eine thatsächliche und aus-
reichende Erklärung derselben überhaupt gegeben ist oder nicht, tritt gegen
die Thatsache zurück, dass er es verstanden hat, uns die Wahrheit jener
Hypothese durch ihre Brauchbarkeit mit überwältigender Macht zum Bewusst-
sein zu bringen , uns zu einer instinktiven Anerkennung derselben zu zwingen.
Seiner Selektionstheorie an sich kann dagegen nur die sekundäre Bedeutung
zukommen, zu zeigen, wie die aus der Descendenztheorie abzuleitenden Folgen
sich in der Gesammtökonomie der Natur gestalten , und zwar in wechselnder
Weise je nach den aufeinanderfolgenden oder nebeneinander gesonderten
Bedingungen jener Oekonomie. Daher ist jene Bedeutung auch nur eine
relative-, mdem wir die natürliche Zuchtwahl an einem Ort und zu einer Zeit
eine Form erhalten sehen, welche sie an anderen Orten und zu einer anderen
Zeit vernichtet, werden wir sie nur für den jeweiligen Bestand der
organischen Formenwelt verantwortlich machen können, nicht für die
Entstehung der Formen überhaupt. Die Täuschung, als ob die letztere
892 XIII. Schlussbetrachtungen.
wirklich von der natürlichen Zuchtwahl geleitet werde , entspringt eben aus
der Verwechselung der Begriffe der Formbildung am einzelnen Individuum
und der Artbildung oder des praktischen Resultats der im Kampfe ums
Dasein einander gegenübergestellten Formen, welches Resultat zudem ganz
subjektiv auf einer früheren oder späteren Stufe bestimmt wird, während jener
nie rastende Kampf und die daran geknüpfte Zuchtwahl endgiltige Resultate
nicht kennen. Die bestimmte individuelle Formbildung und der willkürliche,
schwankende, nur aus einer Mehrheit von Individuen und Generationen zu
abstrahirende Artbegriff sind eben zwei verschiedene Dinge, die sich nicht im
mindesten decken, sodass die erstere ebenso gut eine vorübergehende
Erscheinung sein oder vererbt und in den Nachkommen weiter ausgebildet
eine wirkliche Art bilden kann. Daraus geht aber klar hervor, dass die
Entstehung der Arten gar nicht unmittelbar oder ausschliesslich in der
individuellen Formbildung begründet ist, sondern dass die letztere gleichsam
nur das Material liefert , womit die Artenbildung unter den Bedingungen der
. Gesammtökonomie der Natur operirt; und wenn dieser letztere Vorgang in
Darwtn's Selektionstheorie eine ganz ausgezeichnete Darstellung fand, so
kann ich dies von der Begründung der Descendenztheorie durch denselben
Naturforscher nicht behaupten. Er selbst hat auch jene kausale Begründung
durchaus nicht in den Vordergrund seiner ganzen Beweisführung gestellt; dies
geschah jedoch durch seinen beredtesten Anhänger , durch Haeckel , dessen
übersichtliche und bestimmte Darstellung ebenso sehr für sich gewinnen mag,
als sie anderseits die Kritik erleichtert.
Die A n p a s s u n g und die V e r e r b u n g sind nach Haeckel zwei allgemeine
physiologische Funktionen , von denen die eine die Form des sich anpassenden
Individuums verändert , die andere sie auf die Nachkommen überträgt und bis
zum Eintritt neuer Veränderungen erhält. Dies seien die einzigen „mechani-
schen Ursachen der Morphogenesis" (Nr. 100 II S. 9. 223). — Indem Haeckel
selbst die Anpassung unterscheidet , je nachdem sie selbstständige Individuen
oder den Keim im mütterlichen Organismus betrifft, so ist die Bezeichnung der
Anpassung als individueller physiologischer Funktion nur unter der Voraus-
setzung allgemein statthaft, dass der Keim, das Ei, als selbstständiger Or-
ganismus und lebendes Individuum betrachtet wird. Da ich diese Auffassung
mehrfach widerlegt habe, so kann ich die durch das Mutterthier hervorgerufenen
Veränderungen des Eies während seiner Entstehung nicht als eigene physio-
logische Anpassung desselben, sondern nur als mechanische Wirkung seiner
XIII. Schlussbetrachtungen. 893
Umgebung ansehen , welche zudem gar nicht immer unmittelbar durch physio-
logische Akte des Zeugungsthiers hervorgerufen wird, da bei den Protozoen der
Tod des letzteren der Eibildung vorausgeht. Von diesen Veränderungen des sich
bildenden Eies, welche nach meiner Ansicht unter allen Umständen sich im
Wesen gleich bleiben, nennt Haeckel diejenigen, deren spätere Wirkung
einer vorangehenden Veränderung des Zeugungsthieres entspricht, Vererbungs-
erscheinungen; die anderen oder die „indirekten Anpassungen", wobei che
Ernährung des Zeugungsthiers nur den Keim, nicht es selbst abändere, seien
überhaupt nicht sicher zu beweisen, sodass ihre Existenz nur dadurch
begründet werden könne, dass eigentlich niemand daran zweifle (Nr. 100 II
S. 203. 207. 208). Unter solchen Umständen muss man wohl annehmen, dass
Haeckel bei seinen weiteren Folgerungen jene angeblich unerwiesenen Vor- _
gänge unberücksichtigt gelassen und bloss die empirisch festgestellten, direkten
physiologischen Anpassungen im Auge gehabt habe. Die auf solche Weise
vom Individuum erworbenen Veränderungen würden nun — ob ausnahmslos
oder nicht, bleibt sich im vorliegenden Falle gleich - - mit der gesammten
angeborenen Organisation auf die Nachkommen vererbt. — Von der Ver-
erbung behauptet Haeckel, dass sie eine physiologische Funktion der
organischen Individuen sei, welche sich in der Thatsache äussere, dass die-
selben bei ihrer Fortpflanzung ihnen ähnliche Individuen erzeugten; und die
Ursache der ihr zu Grunde liegenden „Kraft" oder der Erblichkeit sei .lediglich
„die partielle Identität der specifisch-konstituirten Materie im elterlichen und
im kindlichen Organismus, die Theilung dieser Materie bei der Fortpflanzung"
(Nr. 100 II S. 170. 171). Wir erfahren hier allerdings, was die Aeusserungen
und Ursachen der Vererbung sind, aber durchaus nicht, worin nun der
betreffende physiologische Vorgang bestehe, der Vererbung heisst. Vergegen-
wärtigen wir uns den ganzen Vorgang der Fortpflanzung, die Bildung,
Ablösung, Befruchtung des Eies , so wird wohl keiner dieser Akte Vererbung
genannt werden können; die Vererbungsfunktion könnte also bloss in einem
bisher nicht entdeckten Vorgange neben den genannten empirischen
Erscheinungsreihen bestehen. Dagegen stellt es die einfachste Ueberlegung
fest , dass das einzige Bestimmte und Thatsächliche , was wir mit dem Worte
„Vererbung" unzweifelhaft bezeichnen, ein Verhältniss ist, nämlich die Relation
der Gleichheit zwischen Zeugungsthier und Nachkommen. Es kann also die
Vererbung in diesem Sinne natürlich nicht die mechanische Ursache dessen
sein, was sie selbst bezeichnet, nämlich des Wiedererscheinens der elterlichen
§94 XIIT. Schlussbetrachtungen.
Form in den Nachkommen. Und Haeckel selbst liefert uns den Beweis, dass
er in der That diese Erscheinung mit den ihr zu Grunde liegenden Vorgängen
verwechselt und in Folge dessen zu einer angeblichen Funktion gestempelt
hat, mit welcher fernerhin als mechanischer Ursache operirt wird. Setzen wir
nämlich die Richtigkeit der Behauptung voraus, dass die Erblichkeit, welche
sich mit dem „inneren Bildungstriebe" oder der „unmittelbaren Wirkung des
Stoffes der Organismen" decke, nur in jener Identität des Stoffes des Zeugungs-
thiers und seiner Zeugungsprodukte begründet sei (Nr. 100 I S. 155, II S. 171),
so ergibt sich daraus , dass diese Identität auch schon den gleichen Bildungs-
trieb in beiden Theilen involvirt, also das Verhältniss der Gleichheit in
der Bildung der Eltern und Nachkommen zur Folge haben muss. Da nun bei
Haeckel als diese nothwendige Folge die „Vererbungsfunktion" erscheint, so
erhellt, dass nach seinen eigenen Worten diese angebliche Funktion
sich mit der Vererbung als Relation deckt. — Ist nun auf diese
Weise die Vererbung als mechanische Ursache eliminirt, so bleibt noch die
eben erwähnte kausale Begründung der als Relation erkannten Erscheinimg
zu untersuchen übrig. Jene von Haeckel als die fragliche Ursache angeführte
Identität des Stoffes des Zeugungsthiers und seiner Zeugungsprodukte ist nach
allen angezogenen Vergleichen, mit Rücksicht auf die handgreiflichen That-
sachen und daraus sich ergebenden Folgen grundfalsch (vgl. Nr. 100 II S. 174).
Mag die Theilung lebender Organismen auf einem Wachsthum des gleichen
stofflichen Substrats beruhen, so besagt dies eben nichts für die Eibildung,
welche als Herstellung einer unorganisirten Dottermasse mit jenen Theihmgen
nichts gemein hat und am wenigsten aus solchen hervorging. Die Behauptung,
dass die Gesammtheit der verschiedensten Stoffe des mütterlichen Organismus
dem „homogenen" Eistoffe gleich sei, und dass daher dieselben Kräfte und
Formen an beiden „haften", kann im ersten Theil nur Sinn haben, wenn man
überhaupt alle materiellen Differenzen der protoplasmatischen Substanzen
leugnet ; der zweite Theil ist aber ein so krasser Ausdruck jener schon mehr-
fach widerlegten Auffassung, dass Leben und Formbildung inhärente Eigen-
schaften des Plasmas' seien , dass ich nur auf Früheres hinzuweisen brauche
(S. 589).
Das Ergcbniss unserer Untersuchung ist, dass Haeckel weder eine klare
Vorstellung vom Begriffe der Vererbung hat, noch diese Erscheinung irgendwie zu
erklären vermag. Sehen wir uns zuletzt noch den Zusammenhang an, in den
er Vererbung und Anpassung zu bringen sucht, um dadurch die gesammte
XIII. Schlussbetrachtungen. 895
Descendenztheorie kausal zu begründen. Ich zeigte, dass für Haeckel
zunächst nur die direkten physiologischen Anpassungsvorgänge bei der Ver-
erbung in Betracht kommen können; und in der That sind auch die von
Haeckel erdachten Beispiele nur auf solche Vorgänge bezogen, wie z. B. die
Abänderung der Planaea in eine Gastraea durch einseitige Nahrungsaufnahme,
der Gastraea in einen Protascus (Strahltypus) und eine Prothelmis (Wurm-
typus) durch festsitzende und kriechende Lebensweise erklärt wird (Nr. 158
S. 393. 401. 402). Die Vererbung solcher direkten Anpassungen oder im
individuellen Leben erworbener Veränderungen wird nach Darwins Vorgange
allerdings behauptet, und zwar sowohl für normale als pathologische, psychische,
histiologische und morphologische Verhältnisse. Natürlich kann ich mich
hier auf eine Kritik aller angeführten Fälle nicht einlassen; die psychischen
Zustände kann ich zudem ganz übergehen, da ihr Kausalzusammenhang noch
gar nicht diskutabel ist und sie für die liier zunächst in Betracht kommende
Umbildung der Körperformen ohne Bedeutung sind. Die in den Nachkommen
wiederholten histologischen Veränderungen , namentlich des Integuments und
seiner Erzeugnisse, sind von Darwin selbst in vielen Fällen auf eine an den
Nachkommen wiederholte gleiche Anpassung an Klima, Lebensweise u. s. w.
zurückgeführt worden, und bezüglich der pathologischen Veränderungen ist es
klar, dass so oft ein Krankheitsstoff vorhanden ist, welcher direkt auf die
Zeugungsprodukte übertragen werden kann, er ganz unabhängig von den Ver-
änderungen des Zeugungsindividuums in den Nachkommen wirkt, gerade so als
wenn er in einen vom Mutterthier abgelösten Keim eindränge. Können wir uns
aber rühmen, die Anwesenheit eines solchen Krankheitsstofies oder etwa eines
unmerklichen Organisationsfehlers, dessen Folgen nur scheinbar als erworbene
sich vererbten, in allen zweifelhaften Fällen ausschliessen zu können? Es
bleiben also die nachweislich erworbenen morphologischen Veränderungen
übrig, welche angeblich erblich würden ; von einem Beweise dieser Behauptung
habe ich aber nicht gehört. Man verweist z. B. auf die abgeänderten Haus-
thiere; wer hat es aber beobachtet, dass die jeweilige erste Veränderung
nicht angeboren war, oder dass nicht ein Theil der Unterschiede für jeden
einzelnen Fall eben durch die äusseren Einflüsse hervorgerufen wird , gerade
so wie bei den erwähnten nicht vererbten sondern immer neu erzeugten
histiologischen Veränderungen ? Wer kann überhaupt behaupten , dass irgend
eine Veränderung im späteren Leben , deren ' äussere Verursachung nicht
unmittelbar beobachtet wurde, dennoch erworben sei und ihre Vererbung für
896 XIII. Schlussbetrachtungen.
das von mir bestrittene Verhältniss zeuge? Gegenüber allen solchen
mindestens zweifelhaften Fällen der Vererbung direkt erworbener Ver-
änderungen wird uns das gerade Gegentheil täglich vor Augen geführt; ja wir
wissen, dass durch lange Zeiträume systematisch fortgesetzte künstliche
Abänderungen des Körpers, auch wo sie zweckmässig erscheinen, nicht erblich
wurden. Ich erinnere an die im zartesten Alter begonnene Verunstaltung des
Kopfes verschiedener uncivilisirter Volksstämme, an die Füsse der Chinesen,
an die verschiedenen Arten der Beschneidung u. s. w. Natürlich entscheidet
dies die fragliche Angelegenheit nicht, und ich habe zunächst nur hervorheben
wollen , dass die gemeine Erfahrung nicht für , sondern gegen die Vererbung
erworbener Veränderungen spricht. Wollen wir aber die innere Wahrschein-
lichkeit dieser Hypothese prüfen , so kann offenbar nur eine genaue Kenntniss
der individuellen Entwickelung uns darüber Ausschluss geben, und zwar
nicht in ihren äusseren Erscheinungen, sondern lediglich durch die logisch
erworbenen Vorstellungen von ihrem thatsächlichen Kausalzusammenhange.
Ich habe bei einer eingehenden Untersuchung und Betrachtung der
individuellen Entwickelung gefunden, dass die gesammte Organisation des
fertigen Thiers sich auf zweierlei ursprüngliche Kausalmomente des reifen und
eventuell befruchteten Eies zurückführen lasse: die Zusammensetzung der
Dottersubstanz und die Formbedingungen , welche ihre unter der Wechsel-
wirkung mit der Aussenwelt hervorgerufenen Elementaraktionen regeln. Der
Einfluss des Zeugungsthieres auf die spätere Entwickelung des Eies ist also
auch auf die Bildung des an sich einer Formbildung unfähigen Dotterstoffes
und auf die Anlage seiner Formbedingungen beschränkt. Soll nun eine
beliebige erworbene Veränderung des mütterlichen Organismus vererbungs-
fähig sein, so erfordert dies die Annahme , 1. dass jeder, auch der kleinste
Körpertheil unmittelbar und in bestimmtester, in ihrem Wesen nie abge-
änderter Weise auf jedes einzelne Zeugungsprodukt, z. B. jedes Ei wirke,
2. dass jede dieser Wirkungen vollständig für sich gesondert sowohl die
Dotterbildung wie die Herstellung aller Formbedingungen beeinflusse , 3. dass
diese Wirkungen stets und ausschliesslich diejenigen' Punkte treffen, welche
massgebend sind für c|ie dem Ausgangspunkte der Wirkung ähnlichen
Entwickelungserfolge. Verlässt uns schon beim ersten Punkte jede empirische
Vorstellung, so verlangen die zwei anderen geradezu die Annahme über-
natürlicher , teleologischer Kräfte. Denn wie soll man sich die unmittelbare
natürliche Wirkung eines vom Geschlechtsorgan entfernten Körpertheils, z. B.
XIII. Schlussbetrachtungen. 897
eines Knochens, eines Nagels, auf die Bildung jedes Follikels, der Dotter-
substanz und der Dotterhaut, des Keimbläschens mit seinen nothwendigen
Lageveränderungen , ferner aber auch in durchaus zusammenstimmender
Weise auf die etwaigen Dotter- und Eihüllendrüsen u. s. w. denken? Wie
hat man sich vorzustellen, dass das alles in vollständiger unabänderlicher
Harmonie mit allen übrigen Körpertheilen geschehe, welche für ihre streng
gesonderte Vererbungsthätigkeit dennoch gemeinsam dieselben Objekte haben?
Was sagt endlich die naturwissenschaftliche Logik dazu, dass die Endglieder
jener wunderbaren Ketten heterogenster Ursachen und Wirkungen stets wieder
zur Beschaffenheit der Anfangsglieder zurückkehren ? Und alle diese Annahmen
wären erforderlich , um etwas zu erklären , was in keinem einzigen Falle t'hat-
sächlich erwiesen ist , aber von unzähligen anderen Thatsachen widerlegt wird
und zudem, wie ich noch zeigen wrerde (S. 900), für die Descendenztheorie nicht
den geringsten Werth hat, da die einzigen für die letztere in Frage kommenden
Formbildungen überhaupt nicht erworben werden können. Wenn die Wahrheit
der Descendenztheorie wirklich von jenen Hypothesen abhinge, so wäre sie damit
eben gerichtet. Darwin selbst, welcher seine Theorie nicht aus der Entwicke-
lungsgeschichte schöpfte , sondern aus dieser erst nachträglich gewisse Belege
für die erstere suchte, verfuhr ganz konsequent, indem er der eben bezeich-
neten, nach der vorausgesetzten Vererbungshypothese nothwendigen Vor-
stellung vonl kausalen .Zusammenhange des mütterlichen Organismus mit dem
Zeugungsprodukte in der Hypothese der „ Pangenesis " offenen Ausdruck
verlieh , und zwar weil er schon vorher zur Ueberzeugung gelangt war , dass
die einzelnen Erscheinungen eines Entwickelungsverlaufs unabhängig von-
einander entständen (Nr. 170 II S. 48o. 491). Ich brauche am Ende dieses
Buches jene Ueberzeugung, welche den Kausalzusammenhang der Entwicklung
einfach negirt, ebenso wenig wie die Hypothese der Pangenesis mit allen ihren
Voraussetzungen und Folgerungen zu widerlegen; ich bemerke bloss, dass die
Annahme der Vererbung erworbener Veränderungen , sowie überhaupt irgend
einer wirklichen Uebertragung der im elterlichen Organismus vorhandenen
Stoffkombinationen und Formzusammenhänge auf die Zeugungsprodukte in
jedem Falle nothwendig zu einer Erklärung führt , welche ihrem Wesen nach
mit der DARWiN'schen Pangenesis übereinstimmt.
Die beiden angeblichen physiologischen oder mechanischen Ursachen der
in der Generationsreihe fortschreitenden Formbildung oder der Phylogenese,
die Vererbung und die Anpassung, haben sich als ungenügend erwiesen , die
Goette, Entwicklungsgeschichte. 57 V;
898 XIII. Schlussbetrachtungen.
verlaugte Erklärung zu leisten. Die Vererbung erklärt nichts, sondern ist nur
ein Ausdruck für eine Thatsache , welche selbst erklärungsbedürftig bleibt ;
soll dieses Wort mehr bedeuten, nämlich was man offenbar bei seiner
Einführung im vorliegenden übertragenen Sinne annahm und noch immer
annimmt, einen Vorgang, durch welchen Eigenschaften des Zeugungsthiers in
irgend einer Weise thatsächlich auf die Nachkommen übertragen werden, so
ist man zu unhaltbaren, unempirischen Schlussfolgerungen gezwungen. Damit
ist auch die Vererbungsfähigkeit erworbener Veränderungen der Organisation,
also gerade die physiologische Anpassung -lebender Individuen an äussere
Einflüsse von der Begründung der Phylogenese ausgeschlossen. Dagegen
halte ich meine Auffassung von dem Kausalzusammenhange der individuellen
Entwickelung für geeignet, die noch ausstehende Erklärung der Phylogenese
zu geben. — Das Formgesetz der individuellen Entwickelung enthält die
Ursachen für die Bildung aller Körpertheile, also auch der Geschlechts-
produkte sogut wie anderer Organe und Gewebe; das Zeugungsthier verhält
sich daher zu den ersteren im allgemeinen nicht anders als zu jedem anderen
Körpertheile, indem ihre gegenseitige physiologische Anpassung lediglich der
Inhalt der in der morphologischen Entwickelung begründeten Individualität
des Ganzen ist (S. 575. 595. 596). Bei der Frage nach dem Grunde der Ver-
erbung kann es sich also nicht um ein besonderes Verhältniss des fertigen
Zeugungsthiers und seiner Zeugungsprodukte , sondern lediglich darum #
handeln, warum ein Theil eines Eiproduktes sich regelmässig in einige dem
Ausgangspunkte oder reifen Eie relativ gleiche Gebilde verwandle. - Die
nächste, auf den einzelnen Fall beschränkte Antwort liegt eben in dem Hin-
weise auf das Formgesetz der individuellen Entwickelung, welches bei allen
Thieren, wie ich kurz zu erläutern versuchte, den Ausgangspunkt in ununter-
brochenem Kausalzusammenhange mit allen Endpunkten der Entwickelung
verbindet*. Von dem einzelnen individuellen Formgesetz können wir alsdann
vorwärts blickend sagen, dass es eine thatsächliche mechanische Ursache
für die Vererbungserscheinungen aller folgenden Generationen ist, indem es
in jedem Individuum Gebilde schafft, an denen sein eigener Bildungsverlauf
* Für die Geschlechtsorgane mag noch besonders hervorgehoben werden , dass sie
selbst unter den Wirbelthiereu sich nachweislich unmittelbar aus Formelemeuten
entwickeln, welche den Charakter völlig indifferenter Embryonalzellen tragen. Aehnliches
ljesse sich auch für andere Thiere leicht nachweisen und dadurch bestätigen, dass die
Bildung der Geschlechtsorgane ein unmittelbarer Effekt des Formgesetzes der individuellen
Entwickelung ist.
XIII. Schlussbetrachtungen. 899
sich wiederholt. Wenn daher jede einzelne Vererbung in dem erörterten
Sinne der Relation die nothwendige Bedingung aller kontnmirlich folgenden
ist, so erscheint sie selbst auch nur in den vorhergegangenen begründet: die
Frage nach ihrem Kausalzusammenhänge setzt sich von jedem individuellen
Formgesetze auf das diesem zu Grunde gelegene fort , sodass wir nothwendig
bis zu den ersten Organismen zurückgeführt werden. Nach meiner schon
ausgeführten Vorstellung über die Entstehung derselben findet dabei im
Grunde genommen dasselbe statt , wie bei der individuellen Entwickelung vom
Eie an: ein formloser, unorganisirter Stoff wird unter günstigen Umständen
unter Formbedingungen gebracht, welche seine Beziehungen zur Aussenwelt
regeln und daraus allmählich ein einfachstes Leben entwickeln, gerade so wie
m der Dotterkugel eines vollkommeneren Eies lediglich durch die gesetz-
mässige Regelung der rein physikalisch -chemischen Elementaraktionen in den
Kernen die ersten einfachsten Lebensformen entstehen. Die Bildung des
ersten Formgesetzes unterscheidet sich also von derjenigen der folgenden
dadurch, dass seine Ursachen sich in jedem einzelnen Falle ganz zufällig
zusammenfanden, während weiterhin das Zeugungsthier schon unter den
Protozoen die Neubildung des Formgesetzes für seine Nachkommen bis zu
einem gewissen Grade sichert, indem es durch sein Absterben die Encystirung
als Eibildung herbeiführt. So wird durch die Entstehung des ersten Form-
gesetzes die Vererbung als relativ gesicherte Folge desselben auch, in letzter
Instanz durch die individuelle Entwickelung erklärt, deren nothwendiger Ab-
schluss im Tode des Individuums zur Ursache der ersten Realisirung der Ver-
erbung wird. Wer aber die ersten Organismen geschaffen oder überhaupt
mit einem Schlage fertig aus anorganischen Elementen entstehen lässt wie
Haeckel , der kann eine Antwort auf die Frage nach dem ersten Formgesetz
natürlich nicht erhalten. Denn im fertigen Organismus lebt das Formgesetz
nur noch in seinen Wirkungen fort , also nur unter der Voraussetzung seines
Werdens in der Entwickelung, niemals jedoch , wie ich schon häufig ausführte,
als inhärente Eigenschaft des Stoffes. Für jene angeblich fertig hingestellten
ersten Organismen fehlt daher ein solches Formgesetz , mag es nun durch
Schöpferkraft oder durch Eigenschaften der Anorgane ersetzt gedacht werden ;
und damit fehlt die letzte kausale Erklärung der Vererbung, wenn man dazu
nicht etwa den Hinweis auf jene Eigenschaften oder überhaupt die Natur-
notwendigkeit für genügend halten will.
Allerdings befindet sich Haeckel dieser Schwierigkeit scheinbar nicht
57*
900 xm- Schlussbetrachtungen.
gegenüber, indem er die Fortpflanzung der höheren Thiere von der einfachen
Theilung, angeblich der ausschliesslichen Fortpflanzungsweise der niedersten
Lebewesen, ableitet und so die Vererbung zur selbstverständlichen Begleit-
erscheinung eines physiologischen Vorgangs macht. Aber einmal lässt sich
die Fortpflanzung durch Eier mit der Theilung weder vergleichen, noch von
ihr ableiten, da durch Theilung allein die Generationsreihe sich unmöglich über
das bescheidenste Mass hinaus fortsetzen lässt (S. 848). Doch muss ich hier
den möglichen Einwurf erwähnen, dass, bevor eine gewisse durch blosse
Theilungen fortgeführte Generationsreihe von niederen Protozoen ausstarb,
irgend ein Individuum durch fortgesetzte Difterenzirung in Folge direkter An-
passungen sich soweit verändert hätte, dass es ein keimerzeugender Organismus
geworden wäre, wodurch selbst nach meiner Auffassung die Fortführung der
Generationsreihe gesichert und die blosse Theilung thatsächlich durch einen
wirklichen Zeugungsakt abgelöst würde (vgl. No. 158 S. 120). Mit der Be-
antwortung dieses Einwurfs komme ich zum zweiten Hauptpunkt in der Unter-
suchung der Phylogenese, nämlich zur Frage nach der Entstehung der
Veränderungen, welche in irgend einer Weise vererbt die einzelnen Ent-
wicklungsstufen der phylogenetischen Reihen darstellen. Ich habe die Gründe
auseinandergesetzt, warum die Vererbung erworbener, d. h. vom Formgesetz
der individuellen Entwicklung unabhängiger Veränderungen unmöglich ange-
nommen werden könne; aus dem Kausalzusammenhange der Ontogenie ergibt
sich aber auch ferner , dass selbst die Annahme einer solchen Vererbung die
fortschreitende Phylogenese nicht im geringsten erklären könnte. Allerdings
lassen sich die möglichen Fälle jener direkten Anpassung nicht zählen , nicht
übersehen, sodass es nahe liegt, nach dem beschränkten Massstab unserer
Erkenntniss und Vorstellung jene Anpassungsfähigkeit eine unbeschränkte zu
nennen •, und doch ist dies nicht statthaft , weil für dieselbe ein grosses Gebiet
uns bekannter und für die Phylogenie allein massgebender Veränderungen
verschlossen bleibt. Es sind dies eben die Entwickelungsvorgänge. Geht man
davon aus, dass jedem Entwickelungsverlauf gerade durch die ihm zu Grunde
liegenden Ursachen eine ganz bestimmte Grenze gesetzt ist, von wo ab die
formgesetzliche Einheit der erreichten Organisation nur noch zeitweilig erhalten
r
werden kann, um alsdann dem unvermeidlichen Zerfall entgegenzugehen, und
dass ferner jene Grenze für jeden einzelnen Körpertheil mit dem Eintritt des
vollständigen Lebens erreicht ist, so erhellt, warum jenseits dieser Grenze eine
Weiterentwickelung im Sinne morphologischer Gliederung und Neubildung un-
XIII. Schlussbetrachtungen. 901
möglich ist (S. 5(J5. 847. 848). Dem fertig gebildeten Körpertheil und dem
fertigen Gesammtorganismus fehlen eben die inneren Bedingungen dazu, welche
durch lokale, nicht aus dem individuellen Formgesetze hervorgegangene Ein-
flüsse nicht ersetzt werden können; die letzteren mögen daher in morphologischer
Hinsicht wohl Rückbildungen veranlassen , Neubildungen können sie bloss in
histiologisch-physiologischer Richtung erzeugen, dadurch aber die abgeschlos-
sene typische Entwickelung des Individuums nicht wieder wachrufen. Die
Einsicht in den Kausalzusammenhang der individuellen Entwickelung verbietet
uns also ' die Annahme , dass irgendwelche Entwickelungsveränderungen im
physiplogischen Leben erworben würden; wo solche erscheinen, sind sie unbe-
dingt auf die noch nicht abgelaufene ursprüngliche Entwickelung zu beziehen.
Damit ist auch der oben bezeichnete Einwurf erledigt : auch ein Protozoon kann
die einmal abgeschlossene Gliederung des seiner Organisation zu Grunde lie-
genden Formgesetzes im physiologischen Leben nicht weiter führen und dess-
lialb, unbeschadet einer mannigfaltigen histiologischen Differenzirüng , niemals
mit Umgehung der individuellen Entwickelung eine höhere phylogenetische
Stufe erreichen. Wären die ersten Organismen nur auf die direkte physio-
logische Anpassung angewiesen geblieben , so hätte es eine Phylogenese gar
nicht geben können. Die Ursachen derselben liegen eben in ganz anderen Ver-
hältnissen. Aus der Untersuchung über die Vererbung ging bereits hervor,
dass lediglich das Formgesetz des Zeugungsthiers die mit dessen Fortpflanzung
zusammenhängende Vererbung oder die Neubildung eines ebensolchen Form-
gesetzes in den Zeugungsprodukten bedinge. Diese Vererbung kann aber dess-
halb keine absolute Gleichheit der aufeinanderfolgenden Generationen betreffen,
weil sie nicht eine Kontinuität, sondern lediglich eine wiederholte Neubildung
desselben Formgesetzes bedeutet, sodass bei der stets erneuerten Zusammen-
stellung der gleichen Bildungsursachen immerhin kleine, wenn auch noch so
unmerkliche Abänderungen unvermeidlich sind. Diese sind theils vom Zeu-
gungsthier, welches die Zeugungsprodukte unter dem wechselnden Einfluss
seiner physiologischen Verhältnisse ausbildet, theils von den abweichenden
Einflüssen abhängig, denen das vom Zeugungsthier getrennte Ei unterliegt *.
* Für diejenigen Eier, welche ihre Entwickelung zum Theil oder vollständig innerhalb
des Zeugungsthiers durchlaufen, lässt sich natürlich eine bestimmte Grenze nicht angeben,
wann der Einfluss desselben auf die Zusammensetzung der Dottersubstanz und die Fest-
stellung der Formbedingungen aufhört und sich lediglich auf lokale , später selbst physiolo-
gische Erwirkungen beschränkt. Doch finde ich nicht, dass eine solche Bestimmung im
vorliegenden Falle von irgend welcher Tragweite wäre.
902 XIII. Schlussbetrachtungen.
Woher sie aber auch stammen, so muss uns nach meiner Ansicht die individuelle
Entwicklungsgeschichte überzeugen, dass sie nur in gewissen Grenzen fördernd
eingreifen können, einmal weil sie sich auf sehr einfache Verhältnisse der
Bildlingsursachen zu beziehen haben, und ferner, weil uns manche darauf zu-
rückführbare Missbildungen , die Untauglichkeit des Samens zur Befruchtung
nahverwandter Arten u. a. m. lehren , dass nur gewisse Kombinationen jener
Verhältnisse zu lebensfähigen Erzeugnissen führen. Betrachten wir endlich
diese Kombinationen, wie sie sich uns aus der vergleichenden Ontogenie ver-
schiedener grosser Abtheilungen des Thierreichs als wahrscheinliche ergeben
so müssen wir gestehen, dass sie sich auf eine gewisse Masssteigerung von
grundlegenden Entwickelungsursachen beschränken, welche in ihrem Wesen
und ursächlichen Zusammenhange überall gleich vorhanden sind. Also nur ein
Theil jener für Haeckel nicht sicher nachweisbaren „indirekten Anpassungen",
nämlich diejenigen, welche die Eibildung in allen ihren Beziehungen betreffen*
und eben desshalb keine physiologischen sein können (S. 892. 893), kommen bei
der Phylogenese in Betracht; und da die Wirkungsweise dieser Abänderungen
durch die nach ihrem Kausalnexus allen Thieren gemeinsame Form des Aus-
gangspunktes der individuellen Entwickelung auf relativ enge Grenzen be-
schränkt ist, so werden wir auch, trotz aller Mannigfaltigkeit der schliesslichen
Ent wickelungserzeugnisse. i n j e n e r g e m e i n s a m e n G r u n d 1 a g e a 1 1 e r E n t-
wickelung ein die ganze Thierwelt, ja vielleicht die ganze or-
ganische Welt einheitlich beherrschendes Kausalgesetz an-
erkennen müssen. Und dies um so mehr, als die Notwendigkeit der
Phylogenese für jeden einzelnen Organismus noch nicht im geringsten die An-
nahme der ausnahmslosen Blutsverwandtschaft aller fordert , welche ohne jene
aus der Ontogenie abgeleitete Erkenntniss allein die Einheit der organischen
Welt begründen könnte und daher für den grössten Theil der Thierwelt, näm-
lich alle Metazoen und ihre Stammformen unter den Protozoen, einen Grundsatz
der phylogenetischen Hypothesen Haeckel's bildet. Der Satz : „Formverwandt-
schaft ist Blutsverwandtschaft" (Nr. 100 II S. 290. 419, Nr. 158 S. 88) könnte
wohl als Schluss aller endgiltig durchgeführten phylogenetischen Untersuchungen
gedacht werden; im ersten Anfange derselben bleibt er eine unbegründete, will-
■ * Ein Theil der sogenannten angeborenen Besonderheiten kann bei einer längeren
Dauer der Entwickelung innerhalb des Zeugungsthiers unbedingt auf direkte physiologische
Anpassungen bezogen werden.
XIII. Schlussbetrachtungen. 903
kürliche Behauptung. Denn Formgemeinschaft deutet zunächst lediglich
auf eine Gleichheit der Ursachen; dass damit eine thatsächliche Identität der-
selben zusammenfalle, lässt sich nur in den engsten Kreisen wahrscheinlich
machen, in den weiteren kaum vermutben, wie viel weniger annehmen. Und
welche Inkonsequenz ist es , den monophyletischen Zusammenhang der Meta-
zoen zu behaupten und die Protozoen davon auszuschliessen, da sie doch so-
wohl unter sich wie mit den Metazoen die einelementige Form des Eies ge-
meinsam haben ! Ist aber für die Protozoen eine polyphyletische Abstammung
möglich , so gilt das auch für die Metazoen , und die Entscheidung über die
Blutsverwandtschaft hängt nicht mehr von der Formgemeinschaft allein, son-
dern von der kritischen Prüfung sehr vieler anderer Verhältnisse ab, und bleibt
eine Wahrscheinlichkeitsrechnung in allen möglichen Abstufungen der Glaub-
würdigkeit.
Wie übrigens Haeckel die Formgemeinschaft begründet , habe ich in der
Kritik seiner Untersuchungen über die Homologie der Gastrula und der Keim-
blätter gezeigt; darnach kann es uns nicht mehr wundern, in seinem oftgehörten
biogenetischen Grundgesetze, „von dessen Anerkennung das ganze innere Ver-
ständniss der Entwicklungsgeschichte abhängt" (Nr. 15S S. 7, Nr. 1(53 S. 7).
dass nämlich die Keimesgeschichte eine kurze Wiederholung der Stammes-
geschichte sei, eine Verleugnung nicht nur jedes ontogenetischen Kausal-
zusammenhangs, sondern selbst der Erscheinungsthatsachen der individuellen
Entwickelungsgeschichte zu finden. Denn es ist klar, dass wenn man nicht an
die Stelle jenes Zusammenhangs übernatürliche Anpassungs- und Vererburrgs-
vorgänge treten lässt, ein individueller Entwickelungsverlauf nicht nach einem
Typus anfangen kann, um dann nach einem andern fortzufahren, dass also
keine Form irgendwelche Entwickelungsstufen einer anderen Form durchlaufen
kann. Die thatsächlichen Uebergänge aus der einen in die andere können
daher nur in der Weise stattgefunden haben , dass eben die bereits im Eie be-
gründeten Ursachen und damit auch alle folgenden Erscheinungen der Entwicke-
lung sich veränderten. Und wenn dabei das Mass der Veränderung bei einander
nahestehenden Formen so gering ist, dass es unserer Aufmerksamkeit ent-
gehen kann, obschon es bei oberflächlicher Kenntniss der Ontogenie stets unter-
schätzt wird , so nehmen selbst die äusseren Unterschiede für die grossen Ab-
theilungen des Thierreichs so sehr zu, dass die individuelle Entwicklung
innerhalb derselben auch schon in grossen Zügen von Anfang an auseinander-
geht, wie ich es beim Vergleiche der typischen Formdifferenzen zeigte. Doch
904 XIII. Schlussbetrachtungen.
habe ich hier keine Veranlassung , darauf näher einzugehen und bemerke nur
noch Folgendes. Selbstverständlich stehen die zuletzt genannten Aussprüche
Haeckels nicht isolirt da; er hält sie eben für die nothwendige Folge der
„Erkenntniss", dass die durch die physiologischen Funktionen der Vererbung
und Anpassung begründete Phylogenese die einzige mechanische Ursache der
individuellen Entwicklung und im weiteren der gesammten Morphologie sei
und daher auch die einzige Erklärung beider enthalte (Nr. 100 II S. 290). Ich
habe dagegen gezeigt, dass die von Haeckel missverstandenen Begriffe der
Vererbung und Anpassung zur Begründung der Phylogenie gar nichts bei-
tragen, dass ferner, sowie die Bedeutung jener Ausdrücke nur aus einer genauen
Untersuchung der Ontogenie sich ergibt, ebenfalls lediglich individuelle Ent-
wickelung durch Erzeugung der ersten Organismen den Grund zu allen sich
daraus ergebenden Folgen der Vererbung und Abänderung, mithin auch
der Phylogenese legte; und zwar nicht auf Grund der chemischen Wahl-
verwandtschaft, auf welche alle Erklärungen Haeckel's zuletzt hinauslaufen,
sondern vermöge der Einführung des organischen Formgesetzes in die lebens-
fähigen Stoffe. Alsdann kann aber auch keine Frage entstehen, was von beiden
die Erklärung für das andere enthält, etwaige phylogenetische Thesen und
überhaupt die gesammte Descendenztheorie oder die in ihrem Kausalzusammen-
hange erforschten Thatsachen der Ontogenie. Die individuelle Ent-
wicklungsgeschichte der Organismen begründet und erklärt
allein c]ie gesammte Morphologie derselben.
Sowie ich in den vorangehenden Theilen dieses Buchs darzuthun mich be-
mühte, dass die vergleichende Entwickelungsgeschichte einer engeren Thier-
gruppe nicht nur für diese allein die eben bezeichnete Aufgabe zu lösen, son-
dern daneben auch allgemeine, weitergreifende Gesichtspunkte aufzudecken
vermöge, so habe ich in diesem letzten Abschnitte in gedrängter Uebersicht den
Nachweis liefern wollen, dass solche Ergebnisse der vergleichenden indivi-
duellen Entwickelungsgeschichte allein uns selbst über diejenigen Verhältnisse
Aufschluss geben, welche weit über die Grenzen des zuerst betrachteten Gebiets
hinausgehen. Vieles musste in einer solchen Uebersicht unerwähnt bleiben;
mein Zweck ist erreicht, wenn nur die Grundzüge des Gedankengangs klar vor-
liegen, welcher vom Einzelnen zum Allgemeinen führt. '
Verzeichniss der benutzten Litteratur.
1. Spallanzani, Versuche über die Erzeugung der Thiere und Pflanzen , aus
dem Französischen von Michaelis. 1786.
2. Prevost et Dumas, Deuxieme Memoire sur la generation, in: Annales des
sciences naturelles Tom. 2. 1824.
3. Rathke, lieber die Entwickelung der Geschlechtstheile bei den Amphibien,
in den Beiträgen zur Geschichte der Thierwelt 3. Abtheilung. (Aus:
Neueste Schriften der naturforschenden Gesellschaft in Danzig I. Band
4. Heft 1825).
4. Huschke , Ueber die Umbildung des Darmkanals und der Kiemen der
Froschquappen, in: Isis 1826. S. 613 — 627.
5. Dutrochet, Ueber die Eier und Larven der Batrachier, in: Froriep's
Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Band 13.
Nr. 283. 1826.
6. Rnsconi , Developpement de la Grenouille commune depuis le moment de
sa naissance jusqu'a son etat parfait. 1826.
7. v. Baer, De ovi mammalium et hominis genesi epistola. 1827.
8. - -, Ueber Entvvickelungsgeschichte der Thiere. 1828. 1837.
!». -, Geschichte des Froschembryo in: Burdach, die Physiologie als
Erfahrungswissenschaft. IL Band. 1. Auflage 1828 S. 222—235; 2. Aufl.
1838 S. 297—312.
10. J. Müller, Bildungsgeschichte der Genitalien aus anatomischen Unter-
suchungen an Embryonen des Menschen und der Thiere. 1830.
11. — , De glandularum secernentium structura penitiori earumque prima
formatione in nomine atque animalibus. 1830.
906 Verzeichniss der benutzten Litteratur.
12. Baunigärtner, Ueber Nerven und Blut. 1830.
13. Duges. Recherches sur l'osteologie et la myologie des Batraciens ä leurs
differents äges. 1834. Aus: Memoires presentes par divers savants ä
l'Academie des sciences de l'Institut de France, sciences mathematiques
et physiques Tom. 6. 1835.
14. v. Baer, Die Metamorphose des Eies der Batrachier vor der Erscheinung
des Embryo und Folgerungen aus ihr für die Theorie der Erzeugung, in
Müller's Archiv für Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Mediän
1834.
15. — -, Entwickelungsgeschichte der ungeschwänzten Batrachier in : Bulletin
scientifique , publie par l'Academie Imperiale des sciences de St. Peters-
bourg Tom. I. 1835.
10. Rusconi, Erwiderung auf einige kritische Bemerkungen des Hrn. v. Baer
über Rusconis Entwickelungsgeschichte des Froscheies in Müller's Archiv
für Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Mediän 1836.
17. Wagner, Prodromus historiae generationis hominis atque animalium,
sistens icones ad illustrandum ovi primitivi, inprimis vesiculae germina-
tivae ac germinis in ovario inclusi genesin ac structuram, per omnes ani-
malium classes multosque ordines indagatae. 1836.
18. C, H. Schultz, Das System der Circulation in seiner Entwickelung durch
die Thierreihe und im Menschen und mit Rücksicht auf die physiolo-
gischen Gesetze seiner krankhaften Erscheinungen dargestellt. 1836.
19. Ratlike , Ueber die Entstehung der glandula pituitaria in Müller's Archiv
für Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medicin 1838.
20. Reichert , Vergleichende Entwickelungsgeschichte des Kopfes der nackten
Amphibien, nebst den Bildungsgesetzen des Wirbelthierkopfes im Allge-
meinen und seinen hauptsächlichen Variationen durch die einzelnen
Wirbelthier-Klassen. 1838.
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22. Reichert, Das Entwickelungsleben im Wirbelthierreich. 1840.
23. Rusconi, Ueber künstliche Befruchtung von Fischen und über einige neue
Versuche in Betreff künstlicher Befruchtung an Fröschen in Müller's Archiv
für Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medicin 1840.
24. Bergmann. Die Zerklüftung und Zellenbildung im Froschdotter ebend. 1841.
Verzeichnis der benutzten Litteratur. 907
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Archiv für Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medicin 1 842.
28. Reichert, Beiträge zur Kenntniss des Zustandes der heutigen Entwickelungs-
geschichte. 1843.
29. Platner , Einige Beobachtungen über die Bildung der Capillargefässe in
Müller's Archiv für Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medicin
1844.
30. Prevost et Lebert, Memoire sur la formation des organes de la circulation
et du sang dans les Batraciens, in: Annales des sciences naturelles
3. Serie. Zoologie. Tom. 1. 1844.
31. Reichert, Der Furchungsprocess und die sogenannte Zellenbildung um
Inhaltsportionen in Müllers Archiv für Anatomie, Physiologie und wissen-
schaftliche Medicin 1840.
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Neue Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde Band 39
Nr. 844. 1846 (vgl. desselben Note sur le developpement des tissus
orgamques chez les Batraciens in : Comptes rendus hebdomadaires des
seances de l'Academie des sciences de Paris. Tom. 23. 1846).
33. — , Zur Lehre von den Furchungen in: Archiv für Naturgeschichte 1847.
34. Cramer, Bemerkungen über das Zellenleben in der Entwickelung des
Froscheies in Müller's Archiv für Anatomie, Physiologie und wissen-
schaftliche Medicin 1848.
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sophical Transactions of the Royal Society of London 1851.
36. Remak, Ueber die Entstehung des Bindegewebes und des Knorpels in
Müller's Archiv für Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medicin
1852.
37. Wittich, Beiträge zur morphologischen und histiologischen Entwickelung
der Harn- und Geschlechtswerkzeuge der nackten Amphibien in Siebold's
und Kölliker's Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie IV. Bd. 1853.
38. Lenckart, Artikel „Zeugung" in Wagners Handwörterbuche der Physio-
logie mit Rücksicht auf physiologische Pathologie. IV. Band. 1853.
'/
9Qg Verzeichniss der benutzten Litteratur.
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mandre terrestre. 1854.
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1850 — 55.
41. Ecker, Icones physiologicae. 1851 — 59.
42. Thomson, Article „Ovum", in: Todd Cyclopaedia of anatomy and physio-
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Kölliker's Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie IX. Band 1858.
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der Selachier und einiger anderen Fische in : Verhandlungen der physi-
kalisch-medicinischsn Gesellschaft in Würzburg X. Band 1860.
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der äusseren Kiemen in: Sitzungsberichte der mathematisch -natur-
wissenschaftlichen Klasse der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften
zu Wien 1860.
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Siebold's und Kölliker's Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie
XL Band 1861.
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Froschdotters und seine Bedeutung für die Lehre von der Zelle in Müller's
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52. M. Schnitze , Observationes nonnullae de ovorum ranarum segmentatione.
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53. Babuchin, Beiträge zur Entwickelungsgeschichte des Auges in: Würzburger
naturwissenschaftliche Zeitschrift IV. Band 1863.
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1864.
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in Reichert's und Du Bois-Reymond1s Archiv für Anatomie, Physiologie
und wissenschaftliche Medicin 1864.
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schaftlichen Klasse der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu
Wien 1864.
57. Barkau , Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Auges der Batrachier,
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nächsten Umgebung, ebend. 1866.
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M. Schultze's Archiv für mikroskopische Anatomie 1866.
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berichte der mathematisch -naturwissenschaftlichen Klasse der kaiser-
lichen Akademie der Wissenschaften zu Wien 1868.
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Memoires couronnes et Memoires des savants etrangers, publies par
l'Academie royale des sciences, des lettres et des beaux-arts de Belgique.
Tom. XXXIV. 1868.
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M. Schultze's Archiv für mikroskopische Anatomie 1869.
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berichte der mathematisch- naturwissenschaftlichen Klasse der kaiser-
lichen Akademie der Wissenschaften zu Wien 1870.
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Verzeichniss der benutzten Litteratur. 91 1
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vertebres. (Aus : Nova acta physico-medica Academiae Caesareae Leopol-
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Siebold's und Kölliker's Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie
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für wissenschaftliche Zoologie XII. Band 1862.
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gi2 Verzeichniss der benutzten Litteratur.
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104. Fick, Die medicinische Physik. 1858.
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M. Schultze's Archiv für mikroskopische Anatomie 1868.
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Kölliker's Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie Band XXII 1872.
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135. — , Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere.
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schlechtssystems. I. die Entstehung der Niere bei Schafembryonen , in
M. Schultze's Archiv für mikroskopische Anatomie Bd. I 1865.
152. -, - H. die Entstehung der Niere beim Hühnchen ebend. Bd. II 1860.
153. (foette, Beiträge zur Entwickelungsgeschichte des Darmkanals im
Hühnchen. 1867.
154. Hering, Ueber den Bau der Wirbelthierleber, in M. Schultze's Archiv für
mikroskopische Anatomie Bd. III 1873.
155. Schenk , Beitrag zur Lehre von den Organanlagen im motorischen Keim-
blatte, in den Sitzungsberichten der k. Akademie der Wissenschaften zu
Wien, mathematisch-naturw. Klasse Bd. LVII 1868.
156. Rosenberg, Untersuchungen über die Entwickelung der Teleostier-
Niere. 1867.
157. Bidder, Vergleichend -anatomische und histologische Untersuchungen
über die männlichen Geschlechts- und Harnwerkzeuge der nackten
Amphibien. 1846.
158. Haeckel, Anthropogenie. Keimes- und Stammesgeschichte des Menschen.
1874.
159. Kowalewsky, Embryologische Studien an Würmern und Arthropoden,
aus: Memoires de l'Academie Imperiale des sciences de St. Petersbourg
VII. Serie Tom. XVI Nr. 12.
160. — , Beobachtungen über die Entwickelung der Goelenteraten, aus den
Berichten der Gesellschaft der Freunde der Naturwissenschaft u. s. w.
in Moskau (russisch) 1873.
161. -, Beobachtungen über die Entwickelung der Brachiopoden , ebendas.
1874.
162. — , Beiträge zur Entwickelungsgeschichte der Holothurien, aus den
Memoires de l'Academie Imperiale des sciences de St. Petersbourg
VII. Serie Tom. XI Nr. 6.
58*
916 Verzeichniss der benutzten Litteratur.
163. Haeckel, Die Gastraea-Theorie, die phylogenetische Classification des
Thierreichs und die Homologie der Keimblätter, aus der Jenaischen
Zeitschrift für Mediän und Naturwissenschaft 1874.
164. Metsclinikoff, Zur Entwickelungsgeschichte der Kalkschwämme, in
Siebold's und Kölliker's Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie
Bd. XXIV 1874.
1 65. — , Studien über die Entwicklung der Medusen und Siphonophoren, ebend.
166. — , Studien über die Entwicklung der Echinodermen und Nemertinen,
aus den Memoires de l'Academie Imperiale des sciences de St. Peters-
bourg VII. Serie Tom. XIV Nr. 8.
167. Kleinenberg, Hydra. Eine anatomisch - entwickelungsgeschichtliche
Untersuchung. 1872.
168. ,T. Müller, Ueber die Larven und die Metamorphose der Holothurien und
Asterien. 1852.
169. — , Ueber den allgemeinen Plan in der Entwicklung der Echinodermen.
1853.
170. Darwin , Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Dome-
stication, übers, von J. V. Carus. 1868.
Alphabetisches Autoren -Verzeichniss.
Agassiz et Vogt 129.
Arnold 72.
Babuchin 53.
v. Baer 7. 8. 9. 14. 15. 124. 147.
Balfour 146.
v. Bambecke 63. 71.
Barkau 57.
Baumgärtner 12.
Bergmann 24. 27.
Blöder 157.
Bischoff 14(J.
Boll 126.
Bruch 50.
Brücke 142.
Burow 144.
Carus 87.
Cramer 34.
Darwin 170.
Dönitz 67.
Duges 13.
Dursy 110. 136.
DüTROCHET 5.
EbertH 60.
Ecker 41. 90.
Fick 104.
Fischer 82.
Friedreich und Gegenbaur 133.
-J-.
Gegenbaur 88. 89. 118. 132. 134. 135.
Goette64.69.102. 103. 108. 121. 153.
Golubew 65. 68.
Gruby 145.
Haeckel 100. 101. 127. 128. 158. 163.
Hallmann 140.
Hensen54. 61. 98.
Hering 154.
His 97. 109.
HüSCHKE 4.
HUXLEY 113.
Hyrtl 141.
Klein 70. 122.
Kleinenberg 167.
Kölliker 32. 33. 43. 44. 48. 78. 79.
Kowalewsky 11 1. 159. 160. 161. 162.
Kupffer 105. 151. 152.
Langer 62.
Langerhans 138.
Lereboullet 84.
Leuckart 38.
Leydig 81. 91. 139.
Lieberkühn 75. 99.
Mayer 1 1 6.
Meckel 130.
Metschnikoff 164. 165. 166.
Miklucho-Maclay 1 1 2.
018
Alphabetisches Autoren-Verzeichniss.
Müller (J.) 10. 11. 76. 143. 168. 169.
Müllee (W.) 74.
Newport 35.
Oellacher 73. 106. 107.
Platner 29.
Prevost et Dumas 2.
Prevost et Lebert 30.
Rathke 3. 19. 21. 47. 115. 119. 137.
148.
Reichert 20. 22. 25. 28. 31. 49. 86.
Remak 36. 40. 83.
Romiti 150.
Rosenberg 156.
Rusconi 6. 16. 23. 39.
Schenk 56. 117. 155.
Schneider 131.
Schultz 18.
Schultze 52. 92. 93. 125.
Schulze 51.
Schwann 77.
Spallanzani 1.
Stannius 80.
Stieda 95. 96.
Stricker 45. 46. 55. 120.
Thomson 42.
Tiedemann 114.
Török 58. 59.
Vogt 26. 123.
Wagner 17.
Waldeyer 66.
Wittich 37. 85.
Wyman 94.
Erklärung der Abbildungen.
Alle Abbildungen, bei denen das zugehörige Thier nicht genannt ist, beziehen sich auf die Unke.
Die Taf. II, III Fig. 39 — 54 sind nach gleichem Massstabe gezeichnet, ebenso Taf. III Fig. 55 — G2,
Taf. IV— VII, XIII— XV Fig. 281, XVI. XVII.
TAFEL, I.
Fig. 1. Querdurchschnitt einer jungen Geschlechtsdrüsenanlage.
a. Gekröse, b. Stammvenen, c. Peritonealepithel, d. solide Anlage der Geschlechts-
drüse, e. Anlage des Follikelepithels, f. flüssiger Inhalt des Follikels, g. Kerne.
Fig. 2. Querdurchschnitt einer ähnlichen Anlage, die Follikel-
bildung vorgeschritten, Bezeichnung wie in Fig. 1.
Fig. 3. Querdurchschnitt einer etwas älteren Geschlechtsdrüsen-
anlage, Bezeichnung wie in Fig. 1.
Fig. 4 — 8. Einzelne Follikel aus älteren Geschlechtsdrüsen-
anlagen, Verschmelzung der primären Follikel und ihrer Kerne zu
Eifollikeln und Keimbläschen g, Bezeichnung wie in Fig. 1.
Fig. 9. Grösserer Eifollikel mit beginnender Dotterbildung,
e. Follikelepithel, g. Keimbläschen, h. Dotterkörnerhaufen, i. Keimflecke, k. Binde-
gewebe.
Fig. 10. Schrumpfendes Keimbläschen aus einem reifenden Eie.
Fig. 11. Meridionaldurchschnitt durch ein ausgewachsenes Eier-
stocksei, a. Keimbläschen, b. die durch seine Schrumpfung entstandene Höhle.
Fig. 12. Meridionaldurchschnitt durch ein ähnliches Ei nach dem
Schwunde jener Höhle, a. Keimbläschen, c. verstörte Pigmentschicht.
Fig. 13. Ein ähnlicher Durchschnitt nach der Auflösung des Keim-
bläschens.
920 Erklärung der Abbildungen.
Fig. 14. Meridionaldurehschnitt eines eben befruchteten Eies.
a. Dotterkern.
Fig. 15. 16. Die Bildung der ersten Tbeilungsfurche.
Fig. 17. Verschiedene Lebenskeime, a. vor der ersten Theilung,
b. nach der zweiten Theilung, c. in kleineren Dotterstücken, d. Lebenskeim ohne
und mit Kernkeimen, e. Hof desselben, f. Dottersubstanz.
Fig. 18. Durchschnitteines sich theilendenDotterstücks.
a. Trennungslinie, b. äussere Einschnürung, d. Kernkeimhaufen, e. Hof desselben.
Fig. 19. Kernbildung in den Dotterstücken, d. Kern mit der An-
deutung der verschmolzenen Kernkeime, d'. Kerne in der Theilung, e. Hof des
früheren Lebenskeims.
Tafel II.
Fig. 20. Meridionaldurehschnitt durch ein Ei vor der ersten
Theilung, mit peripherischer Körnerschicht, Dotterkern und Lebens-
k e i m.
Fig. 21 — 23. Desgl. während der ersten Theilung.
Fig. 24. 25. Desgl. während der ersten Aequatorialtheilung.
Fig. 26. 27. Desgl. während der folgenden Theilungen. a. Keimhöhle.
Fig. 28. Desgl. während der Bildung der primären Keimschicht,
a. Keimhöhle, b. Grenzen der primären Keimschicht,
Fig. 29. Mediandurchschnitt durch ein Ei während der Bildung
der RuscoNi'schen Spalte, a. RuscoNi'sche Spalte, b. ventraler Rand der
primären Keimschicht, c. Keimhöhle, d. d'. die zwei Lagen der Keimschicht,
e. Dotterzellenmasse (Nahrungsdotter).
Fig. 30. Desgl. an einem älteren Ei. a. b. dorsaler und ventraler
Rand der RuscoNi'schen Oeffnung, c. gehobener Rand des Keimhöhlenbodens,
d. d'. wie in Fig. 29, f. sekundäre Keimschicht.
Fig. 31. Desgl. während der Anlage der Darmhöhlenspalte, a. b. c.
wie in Fig. 30, d. Deckschicht, d'. Grundschicht des oberen Keimblattes e, f. f.
mittleres Keimblatt, g. Darmblatt.
Fig. 32. Desgl. während der Entwicklung der Darmhöhle, c. c. ge-
hobene Theile des Keimhöhlenbodens, e. Dotterpfropf.
Fig. 33. Desgl. während des Schwundes der Keimhöhle, c. Keim-
höhle, d. Deckschicht des oberen Keimblattes, d'. Hirnplatte, e. f. f. g. wie in
Fig. 31. 32, o. Darmhöhle.
Fig. 34. Mediandurchschnitt durch einen jungen Embryo, d'. Hirn-
platte, e. RuscoNi'sche Oeffnung, f. f. Mittleres Keimblatt, h. Medianer Schluss
Erklärung der Abbildungen. 921
des Kopfwulstes , i. medianer Schluss der Shmesplatte (Anlage des Hinianhangs),
n. Dotterzellenmasse (Nahrungsdotter), o. ventrale Vordarmbucht , p. ventrale
Hinterdarmbucht.
Fig. 35. Mediandurchsclmitt durch einen Embryo mit einsinken-
dem Rücken, e. h. n. o. wie in Fig. 34, k. vordere Tasche der Hirnplatte,
1. Knickung der Hirnplatte.
Fig. 36. Mediandurchschnitt eines Embryo nach Schluss der
Rückenrinne, e. n. o. p. wie in Fig. 34. 35, i. Anlage des Hirnanhangs,
k. plattes Vorderhirn, in. Uebergang des Rückenmarkskanals in den Hinterdarm.
Fig. 37. Dasselbe von einem Embryo mit vortretendem
Schwänzend e.
Fig. 38. Dasselbe von einem Embryo mit auswachsendem Ruder-
schwanz, a. Hinterhirn, b. Vorderhirn, c. Anlage der Zirbel, d. Rückenmark,
e. ventrale Seitenplatte des Hinterkopfs , Anlage des Perikardialsackes , f. Anlage
des Afters, g. Afterdarm, h. ventrale Vordarmbucht, i. Anlage des Hirnanhangs,
k. Schwanzdarm, 1. Grenzeinschnürung zwischen Mittel- und Hinterhirn, m. Ueber-
gang des Rückenmarkskanals in den Schwanzdarm, n. Membrana reuniens
superior.
Tafel III.
Fig. 39. Ein ganzes Ei vor der Bildung der Rückenwülste, von
hinten und oben gesehen.
Fig. 40. Die gleiche Ansicht eines Eies mit Rtickenwülsten.
a. Rückenrinne, b. Medullarplatten, c. Rückenwülste.
Fig. 41. Dasselbe Ei von oben gesehen, Bezeichnung wie in Fig. 40.
Fig. 42. Ein Embryo von oben gesehen, a. b. c. wie in Fig. 40, d. vor-
gewölbter Uebergang von der Schlundwand zum Kieferwulst (vgl. Fig. 77 — 80).
Fig. 43. Embryo während des Schlusses der Rückenfurche, Be-
zeichnung wie in Fig. 42.
Fig. 44. Aehnlicher etwas älterer Embryo, c. Vorderhirn, d. Kiefer-
wulst, e. Zungenbeinbogen, f. Hinterhirn, g. Uebergang zum Rückenmark,
h. Vorragung der Segmentplatten.
Fig. 45. Junger Embryo von vorn gesehen, a. Hirnschluss, b. Hirn-
theil des Vorderkopfes, c. Kiefertheil desselben (Kieferwulst), d. Zungenbeinbogen,
e. Haftorgan, f. Anlage der Mundbucht und des Hirnanhangs.
Fig. 46. Seitlich abgeplatteter und gekrümmter Embryo von vorn
gesehen, b. Vorderhirn, c. Unterkieferwulst, d. Zungenbeinbogen, e. Vorwölbuug
922 Erklärung der Abbildungen.
des Herzraums, f. Mundbucht, g. Nasengruben, h. dazwischen vortretende Vorder-
hirnwölbung (vgl. Fig. 251), i. Oberkieferwulst, k. Rücken, m. linke Körperseite.
Fig. 47. Embryo von vorn und unten gesehen, b. c. d. f. g. i. wie in
Fig. 46, h. medialer Gesichtsfortsatz, k. Vorwölbung des Auges.
Fig. 48, 49. Aeltere Embryonen in derselben Ansicht, Bezeichnung
wie in Fig. 47. e. Kiemen.
Fig. 50. Junger Embryo in der Seitenansicht, a. vordere Hirnhälfte,
b. Hinterhirn, c. Rückenmark, d. Kiefertheil des Vorderkopfes, e. Schlundwand.
Fig. 51. Seitenansicht eines etwas älteren Embryo, a. Vorwölbung
des Auges, b. Hinterhirn, d. Kiefertheil, e. Schlundwand, f. zweites laterales Kopf-
segment, g. Vorragung der Segmentplatten, h. abgestumpftes Hinterende.
Fig. 52. Noch älterer Embryo, a. Mittelhirn, a'. Auge, d. Unterkiefer-
bogen , d'. Gl. Gasseki, e. Schlundwand, f. zweites laterales Kopfsegment, f. drittes
und viertes Kopfsegment, g. Segmente des Rumpfes, h. Anlage des Schwanzes,
i. ventrale Grenze zwischen Vordarm (Leberanlage) und Dotterzellenmasse.
Fig. 53. Weitere Entwicklungsstufe, a. a'. d. d'. i. wie in Fig. 52.
b. Hinterhirn, e. Zungenbeinbogen, e'. Kiemenbögen, f. Gl. nervi facialis, f. Gl.
nervi glosso-pharyngei et vagi, g. Gehörbläschen, k. Haftorgan, 1. Vorwölbung des
Herzraums, m. Vorwölbung der Urniere.
Fig. 54. Noch ältere Entwickelungsstufe. a. a'. d. d'. e. e'. f. f. g. k.
wie in Fig. 53, i. Seitennerv, 1. Nasengrube, m. Mundbucht, n. Oberkieferwulst,
Fig. 55. Querdurchschnitt durch die Rückenseite des Eies,
a. b. Deck- und Grundschicht des oberen Keimblattes, d. Dotterzellenmasse
(Nahrungsdotter), e. Darmblatt, s. mittleres Keimblatt,
Fig. 56. Dasselbe von einem etwas älteren Eie. a. d. e. wie in
Fig. 55, b. Medullarplatte, s. s'. Rücken- und Seitentheil des mittleren Keimblattes,
h. Rest der Keimhöhle.
Fig. 57. Desgl. nach Erweiterung der Darmhöhle, a. b. d. e. wie
in Fig. 55. 56, f. Darmhöhle, s. Axenstrang des mittleren Keimblattes, s'. Seiten-
theil desselben.
Fig. 58. Desgl. mit der Anlage der Wirbelsaite, a. b. d. e. f. wie in
Fig. 55. 57, g. Anlage der Wirbelsaite, s. Segmentplatte, s'. Seitenplatte.
Fig. 59 — 62. Querdurchschnitte eines Embryo von vorn nach hinten
folgend, Fig. 59—61 durch den Kopftheil, Fig. 62 durch den Rumpf, a. Deck-
schicht, b. Hirn-, Medullarplatte, b'. Grundschicht der Oberhaut, d. Dotterzellen-
masse (Nahrungsdotter), e. Darmblatt, f. Darmhöhle, g. Wirbelsaite, h. Sinnes-
platte , i. Spalte zwischen Hirn- und Sinnesplatte , k. Einbiegung der Hirnplatte
Erklärung der Abbildungen. 923
zwischen dem medialen und lateralen Theil (Kopfwulst) , s. Segmentplatte,
s'. Seitenplatte.
Tafel IV.
Fig. 63 — 67. Querdurchschnitte durch den Kopftheil, von vorn
nach hinten folgend, Fig. 65 aus zwei Schnitten zusammengesetzt, einem
vorderen links und einem hinteren rechts, a'. Kopfwulst, b. Hirnplatte, g. noch
nicht gesonderter Axenstrang (Fig. 65) und Wirbelsaite (Fig. 66. 67), h. Sinnes-
platte, Fig. 63 — 65 links zur Augenanlage, Fig. 65 rechts und Fig. 66 zur Ohran-
lage gehörig, Fig. 67 im Uebergange in die Medullarplatte, i. Spalte zwischen
Hirn- und Sinnesplatte, r. Rückenrinne, s. Segmentplatte, s'. Seitenplatte,
is. inneres Segment, as. äusseres, laterales Segment.
Fig. 68. Querdurchschnitt durch den hinteren Rumpftheil eines
gleich alten Embryo, Bezeichnung wie im Voranstehenden.
Fig. 69. Querdurchschnitt dicht vor der RuscoNi'schen Oeffnung.
d. Dotterzellenmasse (Nahrungsdotter), e. Darmblatt, f. Darmhöhle, g. Uebergang
des Darmblattes in die Deckschicht des oberen Keimblattes, weiter oben noch
ausserhalb des Schnittes (vgl. Fig. 35), v. s. wie vorher.
Fig. 70. Querdurchschnitt durch die RuscoNi'sche Oeffnung (vgl.
Fig. 77. 78). a. Deckschicht, b. Grundschicht (Medullarplatte) im Uebergange in
das mittlere Keimblatt, s. s'. wie vorher, d. Dotterzellenmasse (Nahrungsdotter),
e. Darmblatt, durch die RuscoNi'sche Oeffnung in die Deckschicht a übergehend.
Fig. 71 — 74. Querdurchschnitte durch den Kopftheil eines etwas
älteren Embryo, a'. Kopfwulst, b. Hirnplatte, e. Darmblatt , f. Darmhöhle,
g. Anlage der Wirbelsaite, h. Sinnesplatte, Fig. 71 im Bereiche der Augenanlage,
weiterhin der Ohranlage, i. Rückenfurche, r. Rückenrinne, s. s'. is. as. wie vorher,
as'". das letzte laterale Kopfsegment.
Fig. 75. Durchschnitt durch die Mitte des Rückens, im Anschlüsse
an Fig. 71 — 74. a. Deckschicht auf dem Rückenwulst, b. Deckschicht auf dem
medialen Theil der Medullarplatte b', mit dieser bereits verschmolzen, i. s. s'. wie
vorher.
Fig. 76 — 80. Frontaldurchschnitte (senkrecht zu den Median-
und Querdurchschnitten) eines Embryo kurz vor der Schliessung
d e r C e r e b r o m e d u 1 1 a r f u r c h e , von obennach unten folgend, b. Hirn-
und Medullarplatte, d. Dotterzellenmasse (Nahrungsdotter), e. Darmblatt, f. Darm-
höhle, g. Wirbelsaite, h. Sinnesplatte (Augenanlage), i. Cerebromedullarfurche, in
Fig. 77. 78 in die Darmhöhle übergehend, is. is'; is". is'". die vier inneren Kopf-
924 Erklärung der Abbildungen.
Segmente, as. as'. as". as'". die vier lateralen Kopfsegmente, is*. as*. innere und
laterale Segmentplatten und Segmente des Rumpfes, m. Grenzfurche der Oberhaut
zwischen den beiden ersten lateralen Kopfsegmenten, n. Anlage der ersten
Schlundfalte, o. Anlage der Grenzfalte am Boden des Vorderdarms, p. Verbindung
von Oberhaut und Darmblatt im Bereiche der medianen Lücke des mittleren
Keimblattes, s. s'. Segment- und Seitenplatte.
Tafel V.
Fig. 81 — 88. Querdurchschnitte durch den Kopf eines Embryo
vom gleichen Alter wie in Fig. 76 — 80. a. Deckschicht der Oberhaut,
a'. Kopfwulst, b. Hirnplatte , b'. Grundschicht der Oberhaut, d. Dotterzellenmasse
(Nahrungsdotter), e. Darmblatt, f. Darmhöhle, g. Wirbelsaite, h. Sinnesplatte,
i. Cerebromedullarfurche , is. as. erstes inneres und laterales Kopfsegment,
is*. as*. erstes inneres und laterales Rumpfsegment, as"'. viertes laterales Kopf-
segment, s'. Seitenplatte.
Fig. 84. Durchschnitt durch die Mitte des Rückens eines
gleichen Embryo, d. f. g. s'. wie in Fig. 81 — 83, is*. as*. inneres und
äusseres Rumpfsegment.
Fig. 85 — 87. Querdurchschnitte durch Kopf und Rumpf während
der Schliessung der Cerebromedullarfurche, Bezeichnung wie in Fig.
81-84.
Fig. 88 — 97. Querdurchschnitte eines Embryo nach der
Schliessung der Cerebromedullarfurche, von vorn nach hinten
folgend; Fig. 88—91 Kopf, Fig. 92—94 Anfang und Mitte des Rumpfes,
Fig. 95 — 97 Schwanzende und RuscoNi'sche Oeffnung. a'. d. e. f. g. h. m. as. as'.
as'". as*. is. is'. is*. s'. wie vorher, a. Mittelhirn, b. (Fig. 88—90) Vorderhirn,
b. (Fig. 97) Medullarplatte , zur Seite des Vorderendes der RuscoNi'scheu
Oeffnung fortgesetzt, i. i'. Hirnhöhle, o. Anlage des Hirnanhangs, r. Rinne über
der Verschmelzung der Kopf-Rückenwülste, hinten in die RuscoNi'sche Oeffnung
übergehend.
Tafel VI.
Fig. 98 — 104. Frontaldurchschnitte eines etwas älteren
Embryo, b. Hirn, c. medialer Rand der Seitenplatte am Grunde der Schlund-
höhle, d. Anlage des Haftorgaas, e. (Fig. 100 — 102) erste Schlundfalte, e.
(Fig. 103) Grenzfalte am Boden der Schlundhöhle, e'. zweite- Schlundfalte, f. oberer
Erklärung der Abbildungen. 925
Theil des Yorderdarms, g. Wirbelsaite, i. Scheidewand der beiden Unterkiefer-
wülste, 1. Anlage der Mundbucht, m. Oberhautfalte an der Grenze der beiden
ersten Kopfsegmente, x. Schlundhöble mit der seitlichen Ausbucbtung in die
Schlundfalte o und der vorderen Ausbuchtung oder der inneren Mundhöhle
(irrtbümlicb ebenso bezeichnet wie das Parietalblatt p), y. Vordarm, v. Visceral-
blatt, p. Parietalblatt, r. Einbuchtung der Oberhaut über der Hirnuath, s. Seiten-
platte, is — is'". innere Kopfsegmente, as — as"'. laterale Kopfsegmente, is*. as*.
innere und laterale Rumpfsegmente.
Fig. 105 — 107. Frontaldurchschnitte eines noch älteren
Embryo, a. Vorderhirn mit der seitlichen Ausbuchtung der Augenanlage,
b. Anlage der Geruchsplatte, e. Darmblatt, x. Verbindung des Vorderhirngewölbes
mit der Oberhaut. Die übrigen Bezeichnungen wie in Fig. 98 — 104.
Fig. 108 — 118. Querdurchschnitte eines Embryo mit hervor-
sprossendem Schwänze, i. Mundbucht, p. Parietalblatt, u. Urnierenanlage,
v. Visceralblatt, x. Schlundhöble, is- — is'". as — as'". innere und äussere Kopf-
segmente, is*. as*. innere und äussere Rumpfsegmente, ias. laterale Verbindungs-
falte der beiderlei Segmente. — Fig. 108. 109. Vorderkopf. a. Mittelhirn,
a'. Basaltheil des Vorderhirns, b. Augenanlage , e. Vorderende der inneren Mund-
höhle. — Fig. 110. Schnitt durch die erste Schlundfalte, b. Ver-
bindung derselben mit der Oberhaut, g. Wirbelsaite, d. Haftorgan. — Fig. 111.
Schnitt durch den Zungenbein bogen. 1. Membrana reuniens superior,
h. Ohranlage, e. Darmblatt, s'. Seitenplatte mit breiter ventraler Lücke. —
Fig. 112. Hinterende des Kopfes, s'. Seitenplatte, e. Darmblatt am Ueber-
gange zum Vordarm (vgl. Fig. 102) schräg durchschnitten und daher scheinbar
verdickt. — Fig. 113. Anfang des Rumpfes, s'. ungesonderter ventraler
Schluss der Seitenplatten, y. Vordarm. — Fig. 114. Urnierengegend. h. Mem-
brana reuniens superior,. s. ungesonderter ventraler Schluss der Seitenplatten,
f. Uebergang des Vordarms in den Mitteldarm, e. unterer Blindsack des Vordarms.
— Fig. 115. Einige Schnitte weiter rückwärts, e. Mitteldarm. —
Fn;. 116. Hintere Hälfte des Rumpfes, e. Mitteldarm, s. s'. Segment- und
Seitenplatte. — Fig. 117. Durchschnitt durch die RuscoNi'scheOeffnung.
a. Rückenmark, b. Wirbelsaite, e. Hinterdarm, s. Segmentplatte. — Fig. 118.
Durchschnitt durch die Schwanzanlage, a. Rückenmark übergehend
in den Schwanzdarm e, s. Segmentplatte.
Tafel VII.
Fig. 119. 120. Tiefe Frontaldurchschnitte des vorderen Körper*
theils. a. Haftorgan, b. vorderer Theil der Schlundhöhle, c. Vordarm,
y26 Erklärung der Abbildungen.
d. Dotterzellenmasse (Nahrungsdotter) , f. über der Grenzfalte zwischen b und c
gelegene hintere Hälfte der Schlundhöhle, i. mediane Verbindung der Oberhaut
und des Darmblattes , p. Parietalblatt , p'. Perikardialhöhle , v. Visceralblatt,
s'. ventrale Reste der Seitenplatte im Zungenbeinbogen, as. as'. ventrale Enden
der lateralen Segmente des Unterkiefer- und Zungenbeinbogens.
Fig. 121 — 126. Frontaldurchschnitte einer Larve aus dem An-
fange der ersten Periode, gb. Gehörbläschen, e. Darmblatt, sf — sf". die
drei ersten Schlundfalten, s". s'". Seitenplatte des ersten und der folgenden
Kiemenbögen, p. Parietalblatt, v. Visceralblatt, is — is'". as — as"'. die vier inneren
und äusseren Kopfsegmente, is*. as*. innere und äussere Rumpfsegmente.
Fig. 121. In der Höhe der Gehörbläschen, a. Vorderhirn, b. Rückenmark,
g. innere Segmentblätter, m. Segmentkern (Rückenmuskulatur). — Fig. 122. In
der Höhe der Wirbelsaite w. a. Vorderhirn, b. Augenblase, m. Segment-
kern (Rückenmuskulatur). — Fig. 123. In der Höhe des Axenstranges vom
Darmblatte 1. a. Vorderhirn, b. Augenblase, d. Haftorgan, m. leistenförmige
Vorsprünge der Oberhaut gegen die Schlundfalten , m'. dasselbe an der hinteren
Kopfgrenze (Seitennerv? vgl. Fig. 251), n. Anlage des Facialis, g. inneres
Segmentblatt, s*. Seitenplatte des Rumpfes. — Fig. 124. In der Höhe des
Mitteldarmkanals, b. Uebergang desselben in die Schlimdhöhle, f. innere
Mundhöhle, i. mediane Scheidewand des Kiefertheils, m. Verbindung der Oberhaut
mit der ersten Scblundfalte , u. Urnierenanlage. — Fig. 125. Unterhalb des
Mittel dar mkanals. b. Mundhöhle, c. Vordarm, i. mediane Scheidewand des
Kiefertheils. — Fig. 126. Unterhalb der Schlundhöhle. a. schräger
Durchschnitt des Haftorgans, c. Blindsack des Vordarms, g. Perikardialhöhle.
Fig. 127 — 141. Querdurchschnitte einer Larve von gleichem
Alter wie in Fig. 121 — 126. h. Membrana reuniens superior, h'. Membrana
reuniens inferior, i. mediane Scheidewand des Kiefertheils, 1. Axenstrang des
Darmblattes, m. Muskelanlagen, p. Parietalblatt, v. Visceralblatt, gb. Gehör-
bläschen, is—is*. as — as*. wie in Fig. 121 — 126. — Fig. 127. Schnitt durch
die Augenanlagen b. a. Vorderhirn. — Fig. 128. Durchschnitt des
Unter kief er bogens. a. Vorderhirn, d. Haftorgan, e. Mundhöhle, n. Ganglion
des Stammsegments (innere Portion des Gl. Gassebi). — Fig. 129. Ein
weiterer Schnitt durch den Unterkieferbogen as. a. Mittelhirn, a'. Basal-
theil des Vorderhirns, e und n wie vorher. — Fig. 130. Durchschnitt durch
die 1. Schlundfalte e, welche mit der Oberhaut b verbunden ist, oben der
zurückgedrängte obere Zipfel des-l. lateralen Segments as (äussere Portion des
Gl. Gasseei), unten das vorgerückte untere Ende des Zungenbeinbogens as', durch
die Lücke d noch vom Gegenstücke getrennt, w. Wirbelsaite, f. Schlundhöhle. —
Erklärung der Abbildungen. 927
Fig. 131. Im Bereiche des Zungenbeinbogens, mit seiner Muskelanlage
m und Nervenanlage n (Ganglion des Facialis), d. wie in Fig. 130. — Fig. 132.
Im Bereiche der 2. Schlundfalte e. g. der faltenförmige mediale Band
der Seitenplatte, durch die Lücke d noch vom Gegenstücke getrennt. — Fig. 133.
Im Bereiche des 1. Kiemenbogens, welcher ausser der Seitenplatte s" noch
das 3. laterale Kopfsegment as" (N. glossopharyngeus u. s. w.) enthält, die beider-
seitigen Falten der Seitenplatte sind in g verbunden und vom Darmblatte e der
Schlundhöhle so weit entfernt, class dazwischen die Anlage der Herzhöhle o
entsteht, v'. das vom Darmblatte abgelöste Endocardium , w. Wirbelsaite. —
Fig. 134. Im Bereiche der 3. Schlundfalte e. f. Schlundhöhle, g. Rand der
Seitenplatte zur Seite der medianen Lücke , o. Vorderwand des Blindsackes vom
Vordarme oder der Leberanlage. — Fig. 135. Durchschnitt durch den
Vordarm f, mit dem schräg durchschnittenen und daher unnatürlich breit
erscheinenden 4. lateralen Kopfsegmente as/", welches rückwärts verschoben ist
(vgl. Fig. 121 — 124). g. wie in Fig. 134. — Fig. 136. Ein weiterer Durch-
schnitt des Vordarms, auf welchem keine Kopfsegmente mehr sicht-
bar sind. f. Blindsack des Vordarms, e. Darmblatt, b. Gekrösefalte. — Fig. 137.
Hintere Grenze des Vordarms, f. sein Uebergang in den Mitteldarm,
f. der Grund seines Blindsackes, e. Darmblatt in die Dotterzellenmasse d über-
gehend, a. Leiste der Oberhaut, in welche die Rückenflosse ausläuft, b. primäre
Gekrösefalte (Urogenitalfalte), u. Urniere. — Fig. 138. Mitte des Rumpfes,
x. Rückenflosse, b. wie in Fig. 137, u. Urnierengang. — Fig. 130. Hinterer
Rümpft heil mit kontin uirlichem Zusammenhange der beiden
Schichten der Segmente und der Seitenplatte und des Darmblattes
mit seinem Axenstrange. — Fig. 140. In der Gegend der geschlosse-
nen RuscoNi'schen Oeffnung f. a. Rückenmark, b. Wirbelsaite, e. Hinter-
darm , is. as. die beiden oben genannten Schichten des mittleren Keimblattes,
x. wie in Fig. 138. — Fig. 141. Durchschnitt durch den Schwanz, dicht
vor dem Uebergange des Rückenmarks a in den Schwanzdarm e. x. dorsale,
f. ventrale Schwanzflosse.
Tafel VIII.
Fig. 142 — 144. Hirn einer Larve gegen das Ende der ersten
Larvenperiode. Fig. 142 von der Seite, Fig. 143 von oben und in gestrecktem
Zustande, Fig. 144 von unten gesehen, a. Vorderhirn, b. Mittelhirn, c. Hinter-
hirn, d. Grenze der beiden Gewölbehälften des Vorderhirns, e. Basaltheil desselben,
f. Sehnervenplatte unter dem Mitteltheile des Vorderhirns, g. Hirnanbang,
h. Vordergewölbe des Hinterhirns (kleines Hirn), i. Zirbel, k. mediane Ver-
928 Erklärung der Abbildungen.
bindungshaut des Vorderhirns, 1. wulstige ventrale Verbindung beider Gewölbe-
seiten des Vorderhirns.
Fig. 145 — 147. Hirn einer Larve aus der zweiten Periode,
Fig. 145 von der Seite, Fig. 146 von oben, Fig. 147 von unten gesehen, a — b. wie
in Fig. 142 — 144, a'. hinteres Gewölbe des Vorderhirns , a". vorderes Gewölbe
desselben (Grosshirnhemisphären), a'". solide Fortsätze der Grosshirnhemisphären,
i. Wurzel des Zirbelstiels, k. mediane Spalte zwischen beiden Grosshirnlappen,
1. verdickter Boden der ersten Hirnkammern als Fortsetzung des queren Wulstes
vor der Sehnervenplatte (vgl. Fig. 144), m. Riechnervenhügel mit dem Tractus
olfactorius, n. Gl. Gasseei und seine Wurzel, o. Ganglion des N. facialis und
seine Wurzel, p. N. vagus, q. N. glosso-pharyngeus.
Fig. 148 — 150. Hirn einer fertig entwickelten Unke in den drei
bezeichneten Ansichten, a— b wie in Fig. 142 — 144, a'. a". a'". i — m. wie
in Fig. 145 — 147, c'. Decke des Hinterhirns mit ihrem Gefässnetze, f'. Sehnerv,
m'. Geruchsnerven, r. Hirnlücke mit dem Adergeflechtknoten.
Fig. 151. Hasselbe Hirn wie in Fig. 149, auseinandergezogen
und nach Entfernung der Adergeflechte und der Zirbelwurzel,
a". Paarige Hirnkammern durch eine punktirte Linie angedeutet, b. Gewölbe-
höhlen des Mittelhirns ebenso angedeutet, c. Rautengrube des Hinterhirns, h. das
Vordergewölbe desselben (Kleinhirn), i. durch das Herausreissen der Zirbelwurzel
entstandene Lücke, r. vordere Hirnlücke.
Fig. 152. Die verdickten Hirnhauttheile (a, b) zwischen den
Grosshirn- und Mittelhirngewölben mit den daran befestigten
Adergeflechten r und c (vgl. Fig. 141J). i. Durchtrittsstelle des Zirbelstiels
durch die Hirnhäute.
Fig. 153. Median durch schnitt der Mundhöhle und Mundbucht
mit ihrer Umgebung von einem Kaninchenembryo, a. Durchschnitt
der anatomischen Vorderhirnbasis, c. Basis des Hinterhirns, d. innere Mundhöhle,
e. umgebogener Theil der embryonalen Hirnbasis, g. Oberhaut, g'. Tasche der-
selben zwischen Mundhöhle und Hirnbasis , Anlage des Hirnanhangs , h. mittlerer
Schädelbalken Rathke's, i. Umriss der in der Medianebene noch getrennten
Unterkieferwülste.
Fig. 154. Dasselbe von einem älteren Kaninchenembryo, nach
dem D u r c h b r u c h der inneren Mundhöhle in die M u n d b u c h t , wo-
durch die Anlage des Hirnanhangs in die Tiefe der sekundären
Mundhöhle gelangt, k. Wirbelsaite mit ihrer Scheide, die übrigen Bezeich-
nungen wie in Fig. 153.
Erklärung der Abbildungen. 929
Fig. 155. Querdurchschnitt des Rückenmarks einer jungen
Larve (vgl. Fig. 241). a. Anlage der grauen Masse, b. Anlage der weissen
Masse, c. Centralkanal des Rückenmarks, d. inneres Segmentblatt, e. Muskelplatte,
f. Gallertkörper der Wirbelsaite, g. innere Scheide derselben.
Fig. 156. Frontaldurchschnitt des Rückenmarks einer älteren
Larve der ersten Periode (vgl. Fig. 314 — 319), Bezeichnung wie in
Fig. 155.
Fig. 157. Die den Centralkanal des Rückenmarks begrenzenden
Zellen, a. die inneren, b. die auswärts gekehrten Enden.
Fig. 158. Querdurchschnitt einer Augenanlage mit beginnender
Linsenbildung, a. Deckschicht der Oberhaut ; b. Grundschicht derselben,
b'. Anlage der Linse, c. Anlage der Netzhaut, d. Pigmentepithel, e. Kanal des Seh-
nerven, f. Hirn, g. interstitielles Bildungsgewebe.
Fig. 159. Querdurchschnitt eines älteren Auges, a — e. wie in
Fig. 158, g. Anlage des Glaskörpers, i. Anlagen der Stäbchen und Zapfen.
Fig. 160. Tiefer Frontaldurchschnitt des Auges, a. c. d. wie
vorher, g. Anlage des Glaskörpers in der Augenspalte.
Fig. 161. Querdurchschnitt des Auges mit freier Linse, a. c. d. g.
wie vorher, b'. Linsenkörper, b". Linsenepithel, h. Linsenhöhle , k. Anlage der
Bindehaut und Hornhaut.
Fig. 162. Aeussere Netzhautschicht, Bezeichnung wie in Fig. 159.
Fig. 163. Durchschnitt der ersten Verbindung von Hirn (a) und
Geruchsplatte (b). c. interstitielles Bildungsgewebe mit Dotterbildungszellen d.
Tafel IX.
Fig. 164. Mediandurchschnitt durch die hintere Schädelbasis
und den Anfang der Wirbelsäule einer grossen Larve, a. Gallert-
körper der Wirbelsaite, b. innere Chordascheide, c. Sattelgrube, d. knorpelige
Bauchseite der äusseren Chordascheide der Schädelbasis , e. häutige Dorsalseite
derselben Scheide in der Mitte der Schädelbasis, rückwärts in eine dickere
Knorpelplatte f übergehend, g. nicht knorpeliger Uebergang dieser Platte in den
epichordalen Knorpel der 1. Wirbelanlage, Homologon eines Intervertebral-
wulstes, h. h'. vertebrale epichordale Knorpelplatten der beiden ersten Rumpf-
wirbel, i. i'. Anlagen der epichordalen Intervertebralwülste, k. gleichmässig fort-
laufende Bauchseite der äusseren Chordascheide.
Fig. 165. Mediandurchschnitt der gleichen, aber weiter ent-
wickelten T heile, Bezeichnung wie in Fig. 164. m. ventraler Deckknochen
der Schädelbasis.
Goette, Entwickeluugsgeschichte. 59
930 Erklärung der Abbildungen.
Fig. 166. Die gleichen Theile nach der Larvenmetamorphose,
Bezeichnung wie in Fig. 165. 166. a'. vertebrale Chordareste theilweise ver-
knorpelnd, e. Stelle, wo die Wirbelsaite vor ihrem Schwunde an der Oberseite der
Schädelbasis hervortrat.
Fig. 167 — 170. Querdurchschnitte der hinteren Schädelbasis.
a. Wirbelsaite, b. knorpelige Theile der äusseren Chordascheide, b'. häutige
Theile derselben, c. Seitenplatten der Schädelbasis. — Fig. 167. Vorderende
der Wirbelsaite, d. Ganglion des Facialis, e. Basis der Ohrkapsel. — Fig. 168.
Mitte der Schädelbasis, d. Kanal des Acusticus, e. wie in Fig. 167. —
Fig. 169. Hintere Hälfte der Schädelbasis, mit der Innenwand der
Ohrkapsel und i h rer Basis (e) kontinuir lieh verbunden. — Fig. 170.
Hinterende der Schädelbasis, d. freie Vorderseite des ersten Rumpfwirbel -
bogens, e. Gefässlichtung in der harten Hirnhaut.
Fig. 171. Querdurchschnitt einer Rumpfwirbelanlage desselben
Embryo, a. b. b'. e. wie in Fig. 170, c. Wirbelbogen, d. Rippenfortsatz, h. Fort-
setzung des Periosts, zwischen den dorsalen Theilen der Wirbelbögen ausge-
spannt, i. Centralkanal des Rückenmarks, k. Rückenmark, 1. Dura mater,
n. Pia mater.
Fig. 172. Querdurchschnitt durch einen intervertebrale n
Theil derselben Wirbelsäule aus der vorderen Rumpfhälfte.
a. Wirbelsaite, b. Intervertebralwulst, b'. untere häutige Theile der äusseren
Chordascheide, c. queres Schlussstück des vorangehenden Wirbelbogens, e. Gefäss-
lichtung, f. Rückenast des Spinalnerven, g. Ganglion desselben, g'. hintere Wurzel
dess., g". Stamm dess., h. vordere Wurzel dess., i. Centralkanal des Rückenmarks,
k. hinteres Hörn der grauen Rückenmarksmasse, 1. Dura mater, n. Pia mater,
r. N. sympathicus, s. Aortenwurzel, t. Speiseröhre.
Fig. 173 — 176. Querdurchschnitte der hinteren Schädelbasis
aus einer älteren Larve als in Fig. 167 — 172. a. Wirbelsaite, a'. innere
Chordascheide, b. knorpelige Theile der äusseren Chordascheide, b'. häutige
Theile derselben, c. Seitenplatten der Schädelbasis. — Fig. 173. 174. Vordere
Hälfte der hinteren Schädelbasis, d. Ohrkapsel, e. Basis derselben. —
Fig. 175. Hintere Hälfte derselben Schädelbasis. — Fig. 176. Hinter-
rand derselben, d. freie Vorderseite des 1. Rumpfwirbelbogens, e. Gefäss-
lichtung , f. Durchschnitt des schräg aufsteigenden hinteren Schädelwirbelbogens,
g. Knochenrinde.
Fig. 177. Vertebraler Querdurchschnitt derselben Wirbelsäule,
a. a'. b. b'. wie in Fig. 173 — 176, c. Wirbelbogen, d. Rippenfortsatz, e. Gefäss-
Erklärung der Abbildungen. 931
lichtung, g. Knochenrinde, h. häutige Fortsetzung derselben, ausgespannt zwischen
den dorsalen Theilen des Wirbelbogens, 1. Dura mater.
Fig. 178. Intervertebraler Durchschnitt derselben Wirbel-
säule, a. a'. b'. wie vorher, b. Intervertebralwulst, g. Spinalnervenstamm, 1. Dura
mater, n. Pia mater, r. N. sympathicus.
Fig. 179. Vertebraler Querdurchschnitt derselben Wirbel-
säule hinter dem 9. Wirbel, a. Wirbelsaite, a'. innere Chordascheide,
b. epichordaler Knorpel der äusseren Chordascheide, b'. häutige Seitentheile der-
selben, c. Wirbelbogenbasis , c'. Schlussstück des Wirbelbogens, f. hypochordaler
Knorpel.
Fig. 180. Querdurchschnitt der hinteren Hälfte des Steissbeins
während der Larvenmetamorphose, a. atrophische Wirbelsaite, b. ihre
äussere Scheide, übergehend in den Periostalknochen des hypochordalen Knorpel-
stabs f, o. Schwanzaorta, p. Mündungsstück der Harnleiter, s. Kloake.
Tafel X.
Fig. 181. Aus einem Frontaldurchschnitt des Kopfes (Fig. 314).
a. Wirbelsaite, a'. innere Chordascheide, b. äussere Chordasciieide im Durch-
schnitt, b'. äussere Chordascheide von der Fläche, c. erster Wirbelbogen des
Kopfes, d. interstitielles Bildungsgewebe, e. verdünnte Vorderhirnbasis, f. graue
Masse des Vorderhirns, g. Höhle des Basaltheils desselben, h. hinterer Theil der
weissen Masse zwischen dem Basaltheil und dem Mitteltheil des Vorderhirns (vgl.
Fig. 314 — 316), i. Gefässanlage, k. fertiges Gefäss , 1. R. communicans posterior
art. carotidis, m. Ursprung der Mm. recti des Auges.
Fig. 182. Mediandurchschnitt der Chordaanlage a, b. anliegendes
Darmblatt.
Fig. 183. Gleicher Durchschnitt einer älteren Chordaanlage,
a. b. wie in Fig. 182, a'. Lakunen der Chordazellen, b'. Axenstrang des Darm-
blattes.
Fig. 184. Noch ältere Chordaanlage mit den vergrösserten und
vermehrten Lakunen a'.
Fig. 185. Beinahe fertige Wirbelsaite im Durchschnitt, a. ein
Fach des Gallertkörpers, b. Verbindung dreier Scheidewände, c. protoplasmatische
Rindenschicht, nach aussen von der inneren Chordasciieide umschlossen, d. äussere
Chordascheide.
Fig. 186. Vollständig entwickelte Wirbelsaite, Bezeichnung wie
in Fig. 185.
59*
932 Erklärung der Abbildungen.
Fig. 187. Anlage der äusseren Chordascheide a von der Fläche
gesehen, b. Anlage eines Spinalnervenstammes.
Fig. 188. Wirbelbogenanlage des Rumpfes b auf der äusseren
Chordascheide a aufsitzend, von oben gesehen; der Gallertkörper
scheint in netzförmiger Zeichnung durch.
Fig. 189. Eine grössere Wirbelbogenanlage mit beginnender
Knorpelzellenbildung, Bezeichnung wie in Fig. 188.
Fig. 190. Knorpelzellenbildung in der vorderen Schädelbasis,
a. freie , vielfach in Theilung begriffene Kerne , b. neugebildete Zellen gleich nach
der Entstellung, c. fertige Knorpelzellen.
Fig. 191. Sagittaldurchschnitt eines Intervertebralwulstes.
a. Wirbelbogenbasis, b. Perichondrium, c. äussere Chordascheide, c'. Höhe des
Intervertebralwulstes.
Fig. 192. Querdurchschnitt des 3. Wirbels, a. Wirbelsaite, b. Wirbel-
körperkern (äussere Chordascheide) , c. Wirbelbogen , mit der Basis c' und dem
oberen Theil c", d. Querfortsatz, e. Anlage des Rippengelenks, f. Rippe mit dem
knorpelig bleibenden Ende g und der verdickten Basis h, i. (h. irrthümlich zum
zweiten Mal angegeben) verknöcherte Fortsetzung des Periosts am dorsalen Theile
des Wirbelbogens (vgl. Fig. 171. 177).
Fig. 193. Unteres Mittelstück desselben Durchschnitts stärker
vergrösser t. a. Wirbelsaite in der Verknorpelung begriffen, a'. innere Chorda-
scheide, b. Knorpel des Wirbelkörperkerns (äussere Chordascheide), b'. b". ver-
knöchernde Theile dieses Knorpels, c. Knorpel der Wirbelbogenbasis, links mit
einigen leeren Knorpelzellenkapseln, g. Periostalknochen, bei g' im Uebergange
in den Knorpel , h. ventraler Theil der äusseren Chordascheide , seitlich in das
Periost des Wirbelbogens übergehend.
Fig. 194. Frontaldurchschnitt der Wirbelsäule einer Triton-
larve, dicht über der Oberseite eines Wirbelkörpers, a. vertebraler
Abschnitt der knöchernen äusseren Chordascheide, a'. Intervertebralwulst,
b. Wirbelbogenbasis, c. Perichondrium und Periost.
Fig. 195. Ein tieferer Frontalschnitt derselben Wirbelsäule,
a. Durchschnitt der vertebralen Knochenhülse (äussere Chordascheide), über-
gehend in den weichen Intervertebralwulst a', b. Wirbelbogenbasis, c. interstitielles
Bildungsgewebe, e. innere Chordascheide, e'. protoplasmatische Rindenschicht der
Wirbelsaite, f. Muskeln, g. Gallertkörper der Wirbelsaite.
Erklärung der Abbildungen. 933
Tafel XI.
Fig. 196. Mediandurchschnitt des hinteren Theils der Wirbel-
säule zu Ende der Larvenmetamorphose, a. Umriss des' Rückenmarks-
endes, b. b'. vertebrale Chordareste des 8. und 9. Wirbels, b". Wirbelsaite des
künftigen Steissbeins, theilweise verknorpelnd, c. — e'". vertebrale Körpertheile
des 8. — 11. Wirbels, dahinter noch die Anlage eines 12. Wirbelkörpers, d. — d'".
8. — 11. Intervertebral wulst, dahinter noch die Andeutung eines zwölften, e. hypo-
chordaler Knorpelstab, e'. Periostalknochen desselben, g. Durchschnitte des
8.— 11. Wirbelbogens , h. häutig-knöcherne dorsale Verbindungen der Wirbel-
bögen als Fortsetzungen ihres Periostalknochens , h'. dasselbe im Bereiche des
rudimentären 12. Wirbelbogens.
Fig. 197. Querdurchschnitt durch die Mitte des Rumpfes einer
Larve aus der 1. Periode (vgl. Taf. XV). a. graue Masse des Rückenmarks,
b. weisse Masse desselben, c. longitudinale Verbindungen derselben mit der
äusseren Cuticula, d. Centralkanal des Rückenmarks, dessen oberer Theil bereits
zusammengefallen ist, e. dorsales Blutgefäss, f. Wirbelbogenanlage, g. Muskel-
platte, h. Gallertkörper der Wirbelsaite, i. protoplasmatische Rindenschicht
derselben mit der inneren Chordascheide, k. Anlage der äusseren Chordascheide,
1. Axenstrang des Darmblattes, m. Aorta, n. Visceralblatt, n\ Parietalblatt,
o. Nierenanlage, p. Urnierengang , s. Stammvene, t. interstitielles Bildungsgewebe
des Retroperitonealraums, v. Darmblatt.
Fig. 198. Aehnlicher Durchschnitt einer etwas älteren Larve,
der obere Theil aus zwei Durchschnitten, einem vertebralen rechts
und einem intervertebralen links zusammengesetzt, a. b. g. h. i. k. 1.
m. n. n'. o. p. s. v. wie in der Fig. 197, e. Anlage der Dura mater, e'. interstitielles
Bildungsgewebe zwischen jener und den Muskeln, f. Wirbelbogenanlage, f. Spinal-
ganglion, x. y. z. verschiedene Lagen der Fibrillenmasse in den Muskelfasern.
Fig. 199. Sagittaldurehschnitt eines Segments b mit noch
indifferenten Embryonalzellen, a. Darmblatt vom Segment eingedrückt,
daher an den Segmentgrenzen a' in queren Kanten hervortretend.
Fig. 200. Aehnlicher Durchschnitt nach der Streckung der
Zellen des Segmentkerns.
Fig. 201. Stück aus dem Sagittaldurchschnitte eines etwas
älteren Segments, b. Muskelzellen, c. Bildungszellen an den Segmentgrenzen
(Sehnenanlagen).
Fig. 202. Muskelzellen, a. im Zusammenhange des Segments, b. isolirt
(aus Durchschnitten gehärteter Objekte).
934 Erklärung der Abbildungen.
Fig. 203. Seg mentale Muskelzellen (Muskelfaseranlage), a. aus einer
gehärteten Larve isolirt, b. frisch isolirte einkernige Muskelfaser.
Fig. 204. Muskelfasern des Schwanzes, a. eine etwas längere
Faser mit der Sehnenanlage a' , b. ganz kurze Muskelfasern mit ihren Sehnen-
anlagen b'.
Fig. 205. Querdurchschnitt von segmentalen Muskelfasern
nach der Th eilung des Kerns, a. Fibrillenmasse, ungetheilt oder mehrfach
in longitudinale Stränge zerklüftet , b. Sarcolemma , c. Kerne, zum Theil zwischen
die Fibrillenstränge verschoben.
Fig. 206. Aus einem Segmentstreifen der inneren Segment-
schicht oder der Anlage des mittleren Bauchmuskels, a. theilweise
isolirte Muskelzellen, a'. mehre zu einer Muskelfaseranlage verschmolzene Zellen,
b. intersegmentale Sehnenanlagen, c. Pigmentzellennetz.
Fig. 207. Muskelfaserbildung im M. ileo-lumbaris. a. in der
Verschmelzung zu kontinuirlichen Zellensträngen (b) begriffene Bildungszellen,
b'. kortikale Fibrillenmasse der sich umbildenden Muskelfaser.
Fig. 208. Stück eines Querdurchschnittes der Ohrgegend einer
sehr jungen Larve (vgl. Taf. VII). a. Darmblatt der Schlundhöhle, b. Epithel
des Ohrbläschens, c. Oberhaut, d. kompakte Seitenplatte des ersten Kiemenbogens,
e. erste Entstehung des interstitiellen Bildungsgewebes.
Fig. 209. Interstitielles Bildungsgewebe an der Aussenfläche
des Hirns.
Tafel XII.
Fig. 210. Mediandurchschnitt der Aortenanlage, sodass man die
konkave Innenfläche e i n e r H ä 1 f t e übersieht, a. medianer Durchschnitt
der netzförmigen Gefässwand b.
Fig. 211. Intercelluläre Gefässanlagen des interstitiellen
Bildungsgewebes (Membrana reuniens superior). a. Halbvaskularisirte
Zellenstränge, a'. deren spitze, scheinbar freie Enden, b. Fadennetze, c. d. farblose
und pigmentirte Zellen des übrigen Bildungsgewebes.
Fig. 21 2. Kapillarbildung an der Hirnbasis, a. Art. basilaris, b. mit
ihr verbundenes Kapillarnetz , b'. ein in dasselbe eingedrungenes Blutkörperchen,
c. noch nicht vaskularisirtes Zellennetz.
Fig. 213. Das Schwanzende einer Larve aus dem Anfang der 2.
Periode nach Entfernung der Oberhaut, a. Wirbelsaite, b. Rückenmark,
c. Schwanzaorta, d. d'. untere Schwanzvene, e. bogenförmige Uebergänge der
Erklärung der Abbildungen. 935
Aorta in die Venen, f. obere Schwanzvene, mit dem Ast f scheinbar blind aus-
laufend, g. beginnendes Extravasat, h. mit den Gefässen verbundene Zellennetze,
i. die Gefässe direkt verbindende Zellenstränge, 1. untere Lymphgefässstämme,
1'. oberer Lymphgefässstamm, m. mit demselben verbundene Zellennetze, n. schein-
bar freie Enden der Lymphgefässe , o. Anlagen von bogenförmigen Seitenbahnen
derselben, p. Anlagen von Nervenverzweigungen, r. scheinbar freie verzweigte
Zellen des interstitiellen Bildungsgewebes (Sternzellen).
Fig. 214. Anlage eines Spinalganglions auf einem Sagit tal-
durchschnitt gesehen, a. Innenseite der Muskelplatte, b. Spinalganglion
mit dem oberen Ende (hintere Nervenwurzel), b'. unteres Ende desselben
(Nervenstamm).
Fig. 215. Ganglion des Vagus aus dem Anfange der 2. Larven-
periode, a. das Ganglion, b. zwei Aeste desselben, c. Ganglienzellen, d. freie
Kerne, e. Zwischensubstanz mit Nervenfasern und Umbildungskugeln.
Fig. 216. Stück aus dem N. nasalis einer etwas älteren Larve,
a. Nervenstamm, b. Zweige desselben, c. eingelagerte Ganglienzellen, d. den
Zellen angefügte und mit ihnen theilweise schon verschmolzene Kerne mit langen
Fortsätzen.
Fig. 217. Sagittaler Anschnitt eines schräg gelagerten Spinal-
ganglions während der Metamorphose, a. a'. grössere und kleinere freie
Ganglienzellen, b. bereits mit Fortsätzen versehene Ganglienzellen, c. markhaltige
Nervenfaser, d. Zwischensubstanz mit feinen Nervenfäden.
Fig. 218. Ganglienzellen desN. sympathicus aus derselben Zeit,
a. Ganglienzelle, a'. Fortsätze einer solchen, b. Verbindungen des Zellproto-
plasmas mit der Membran, c. Zwischensubstanz.
Fig. 219. Endzweige des N. nasalis aus der 1. Larvenperiode,
aus einigen gestreckten Embryonalzellen bestehend.
Fig. 220. Nervengeflecht des Schwanzes einer älteren Larve,
a. Nervenstämmchen, b. freie Nervenzweige, mit Zellennetzen verbunden.
Fig. 221. Etwas zerfaserter Ast des N. maxillaris superior
einer jungen Larve, a. Nervenstamm, b. abgelöste Fasern mit eingelagerten
Kernen, c. Nervenscheide.
Fig. 222. Einzelne Nervenfasern verschiedener Larven, a. mit
beginnender, b. c. mit vorgeschrittener Markbildimg, b'. homogene Fortsetzung
einer markhaltigen Nervenfaser.
936 Erklärung der Abbildungen.
Tafel XIII.
Fig. 223 — 226. Querdurchschnitte eines Larvenkopfs, im An-
schlüsse an Fig. 127 u. flg. — Fig. 223. Nasengegend, vh. Vorderhirn,
gp. Geruchsplatte, is. erstes Stammsegment. — Fig. 224. Augengegend,
vh. Vorderhirn, mh. Mittelhirn, a. Augenblase, is. as. erstes inneres und äusseres
Segment, i. mediane Scheidewand des Kiefertheils , 1. Anlage des Hirnanhangs,
m. Mundbucht. — Fig. 225. Ohrgegend, hh. Hinterhirn, gb. Ohrbläschen,
sh. Schlundhöhle, e. Darmblatt, is. 2. Stammsegment des Kopfes, m. Muskel-
anlage desselben, w. Wirbelsaite, p. Parietalblatt, p'. Perikardialhöhle, v. Visceral-
blatt, v'. Endocardium. — Fig. 226. Gegend des 3. Kopfsegments (as).
e. m. p. p'. v. v'. w. wie in Fig. 225, 1. Axenstrang des Darmblattes, h. Herzhöhle.
Fig. 227 — 245. Querdurchschnitte einer etwas älteren Larve der
1. Periode. — Fig. 227. 228. Nasengegend, vh. Vorderhirn, a. Zirbel,
gp. Geruchsplatte, m. Mundbucht, is. as. erstes inneres und äusseres Kopfsegment.
— Fig. 220. Durchschnitt durch den vordersten Theil der Augen-
blase a. i. Scheidewand des Kiefertheils, 1. Anlage des Hirnanhangs, m. is. as.
wie vorher. — Fig. 230. Augengegend, a. Augenblase, a'. Linsenanlage,
e. innere Mundhöhle, 1. is. as. wie vorher, m. Muskelanlage des Unterkiefers. —
Fig. 231. Durchschnitt des ganzen Unterkieferbogens. vh. Vorderhirn,
mh. Mittelhirn, a. Anlage der Netzhaut, a' der Linse, b". des Pigmentepithels,
f. innere Mundhöhle, h. Haftorgan, is. 1. Stammsegment, as. Unterkieferbogen,
m. m'. m". Anlagen des M. pterygoideus, M. temporalis, M. submentalis. —
Fig. 232. Durchschnitt der 1. Schlundfalte, h. vh. mh. wie in Fig. 231,
is. Ganglion des N. nasalis, as. Ganglion der Kiefernerven, s'. vorgerücktes
ventrales Bildungsgewebe (Seitenplatte) des Zungenbeinbogens, sh. Schlundhöhle,
b. 1. Schlundfalte, t. hinterster Zipfel der Schilddrüsenanlage. - - Fig. 233. Zungen-
beinbogen, hh. Hinterhirn, as. oberes Ende der Kiefernervenanlage, nl. Anlage
des vorderen Seitennerven, w. Wirbelsaite, is'. 2. Stammsegment, as'. Zungen-
beinbogen mit der Nervenanlage n (N. facialis) und der Muskelanlage m, v. Vorder-
ende des Perikardialsacks. — Fig. 234. 1. Kiemenbogen kb. hh. Hinterhirn,
gb. Ohrbläschen, na. N. acusticus, m. Muskeln des 3. Stammsegments, as". .">.
laterales Kopfsegment, p. Parietalblatt, p'. Perikardialhöhle, v. Visceralblatt,
h. Herzhöhle, a. 1. Aortenbogen, a'. Umbiegung desselben zur Aortenwurzel, ab. A.
basilaris. — Fig. 235. 2. Kiemenbogen kb. as". oberes Nervenende (N. glosso-
pbaryngeus) des 3. lateralen Kopfsegments, as'". erster Strang des 4. lateralen
Kopfsegments, h. Herzhöhle, a. primitive Aortenwurzel, e. Axenstrang des Darm-
blattes. — Fig. 236. 3. Kiemenbogen kb. rar. Membrana reuniens superior
Erklärung der Abbildungen. 937
as"y. zweiter Strang des 4. lateralen Kopfsegments, a. Aortenwurzel, p. Parietal-
blatt, v. Visceralblatt (Venenende des Herzschlauchs) auf die Vorderfläche der
Leberanlage übergebend v'. — Fig. 237. Hintere Kopf grenze, as'". dorsale
Enden der hinteren Stränge des 4. lateralen Kopfsegments, s. Vorderrand der
Segmentschichten, p. p'. v. wie in Fig. 234, dv. Dottervene, 1. Leberanlage,
av. primitive Wirbelarterie. — Fig. 238. 239. Gegend des Vordarms vd.
1. Anlage der Leber (Fig. 238) und des primitiven Leberstiels (Fig. 239), mr.
Membrana reuniens superior, nl. N. lateralis , is. Stammsegment des Rumpfes mit
der Muskelplatte m und weiter abwärts innere Segmentschicht, as. laterales
Segment abwärts in die äussere Segmentschicht auswachsend, p und v wie in
Fig. 237, s" ungesonderter ventraler Theil der Seitenplatte, gf. primitive Gekröse-
falte als Uro-Genitalfalte, u. Urnierenanlage, vj. V. jugularis communis, de. Ductus
Cuvieki, dv. Dottervene. — Fig. 240. Uebergang des Vordarms in den
Mitteid arm. vj. u. de. wie in Fig. 239, gb. Anlage der Gallenblase, v. v'. innere
Schichten des Visceralblattes (Faserschicht des Darms und Dottergefässschicht),
gk. Anlage des Gefässknäuels der Urniere. — Fig. 241. Mitte des Rumpfes,
mr. (statt m) obere Verbindungshaut (Rückenflosse), is. Anlage des Spinal-
ganglions, is'. unterer Theil des inneren Segmentblattes, m. Muskelplatte, as.
laterales Segment, ias. untere Verbindungsfalte der beiderlei Segmente, gf. Gekröse-
falte, u. Urnierengang, d. Dotterzellenmasse, vd. Uebergang des Mitteldarms in
den Hinterdarm. — Fig. 242. 243. Durchschnitte des Afterdarms,
hd. Hinterdarm dicht vor der Theilung in den Schwanzdarm sd und den Afterdarm
ad, s'. Seitenplatte, m. stark gebogene Segmente, sodass mehre Durchschnitte
derselben in einen Körperdurchschnitt fallen. — Fig. 244. After ad. sd. Schwanz-
darm, 1. Axenstrang des Darmblattes, s. Seitenplatte, f. dorsale Schwanzflosse. —
Fig. 245. Durch schnitt des Schwanzes, f. f'. dorsale und ventrale Schwanz-
flosse; die übrigen Theile, Rückenmark, Wirbelsaite, Axenstrang des Darmblattes,
Schwanzdarm und Segmente sind aus den vorangehenden Durchschnittsbildern
erkennbar.
Tafel XIV.
Fig. 246 — 250. Frontaldurchschnitte des Vorderkörpers. —
Fig. 246. In der Höhe des Rückenmarks, vh. Vorderhirn, a. Anlage der
Zirbel, hb. Hinterhirn, gb. Gehörbläschen, is. as. Nervenanlagen des 1. inneren und
äusseren Kopfsegments, b. interstitielles Bildungsgewebe des ersteren, as'. as". as'".
2. — 1. laterales Kopfsegment, is*. as*. innere und äussere Segmente des Rumpfes.
— Fig. 247. 248. In der Höhe des oberen Theils der Schlundhöhle
sh. vh. Vorderhirn mit dem Basaltheil a und Gewölbetheil b, c. Augenblase,
938 Erklärung der Abbildungen.
c'. Linsenanlage, gp. Geruchsplatte, 1. Hirnanhang, is. 1. Stammsegment, as — as'".
laterale Kopfsegmente, m. Muskelanlagen , n. Nervenanlagen derselben, s" — s"".
Seitenplatte der Kiemenbögen , an der hinteren Kopfgrenze in das Parietal- und
Visceralblatt des Rumpfes p. v. übergehend, ias. hinabwachsende Segmentschichten,
u. Urniere , u'. Urnierengang , e. Darmblatt , mh. Mundhöhle , sf — sf". die vier
ersten Schlundfalten, vd. Vordarm. — Fig. 249. In der Höhe der Grenz falte
des Schlundhöhlenbodens, deren theilweise Abtragung die Herz-
höhle h eröffnet, v. Visceralblatt (Herzwand), p. Parietalblatt , p-. Perikardial-
höhle, s'. vorderer Zusammenfluss jener beiden Blätter, as. Unterkieferbogen,
as'. Zungenbeinbogen, m. deren Muskelanlagen, mh. Mundhöhle, mb. Mundbucht,
1. Leberanlage, d. Dotterzellenmasse, dv. Dottervene. — Fig. 250. In der Höhe
des Herz sc hl au chs h. as. as'. p. p'. v. 1 d. wie in Fig. 249, s'. ventrale Seiten-
platte des Zungenbeinbogens, sd. Scheidewand des Unterkieferbogens , rückwärts
in Verbindung mit der Schilddrüsenanlage, e. Darmblatt, ec. Endocardium, g.
Grenzeiuschnürung zwischen der Leberanlage und der Dotterzellenmasse.
Fig. 251 — 253. Aehnliche Frontaldurchschnitte einer wenig
älteren Larve. — Fig. 251. vh. a. b. c. c'. gp. sh. wie in Fig. 247. 248, is — is*.
as — as*, gb. wie in Fig. 246, nl. N. lateralis, ax. Axenstrang des Darmblattes. —
Fig. 252. sd. as. as'. s'. p. p'. v. h. 1. d. wie in Fig. 250, g. Haftorgan. — Fig. 253.
g. g'. schräger Durchschnitt des Haftorgans und der darunterliegenden Grund-
schicht, as. Bildungsgewebe des Zungenbeinbogens, s'. äussere Bildungszellen
des Parietalblattes p, k. Falte desselben auf den Visceralblattüberzug der Leber
vorgeschoben, dv. Dottervene, die übrigen Bezeichnungen wie in Fig. 252.
Fig. 254 — 256. Frontaldurchschnitte einer noch älteren Larve.
— Fig. 254. mb. Mundbucht, mh. Mundhöhle, sh. Schlundhöhle, sf— sf"". die
fünf Schlundfalten, vd. Vordertheil des Vordarms (Lungendarm) mit der An-
deutung der Lungenanlagen, bd. Anlage der Bauchspeicheldrüse, d. Dotterzellen-
masse, as. Unterkieferbogen, as'. Zungenbeinbogen, m. n. Muskel- und Nerven-
anlagen derselben, k — k". die drei ersten Kiemenbögen mit den Gefässen innerhalb
der Seitenplatte s", as'". letzter Strang des 4. lateralen Kopfsegments, links
schwächer und noch unmittelbar übergehend in die äussere Segmentschicht des
Rumpfes as*, is*. die innere Segmentschicht, u. Urniere, p. Parietalblatt,
v. Visceralblatt, dv. Dotterdarmgefässanlage. — Fig. 255. sd. Schilddrüsenanlage,
as. tiefste Muskclanlage des Unterkieferbogens, as'. dasselbe vom Zungenbein-
bogen (M. subhyoideus), s'. ventrale Seitenplatte des letzteren (Anlage der grossen
Zungenbeinhörner), sf. 2. Schlundfalte, k. erste Aussenkieme, p. Parietalblatt,
v. Visceralblatt, h. Venensack und Anfang des Vorhofs, h'. Herzkammer, de. Ductus
( Yvieri, dv. Dotterdarmgefässe , vj. V. jugularis inferior, 1. primitiver Leberstiel,
Erklärung der Abbildungen. 939
e. Darmblatt, d. Dotterzellenmasse. — Fig. 256. g. Haftorgan, as. lockeres
Bildungsgewebe des Unterkiefer- und Zungenbeinbogens, h. Uebergang der Herz-
kammer in den Vorhof, p. Perikardialhöhle , p. v. d. wie in Fig. 255, 1. Leber-
anlage, lv. ihre peripherischen Gefässanlagen.
Fig. 257 — 265. Querdurchschnitte des Vorderkörpers. — Fig. 257.
mh. Mittelhirn , gm. wm. graue und weisse Hirnmasse , vh. Basaltheil des Vorder-
hirns, a. eingestülpte Augenblase, a'. Linse, a". Gefäss am Eingange in den
Glaskörperraum, 1. Hirnanhang, g. Haftorgan, is. Stammsegment mit der Augen-
muskelanlage, as. Unterkieferbogen mit seinen Muskeln m. m'. m". (M. ptery-
goideus, temporalis, submentalis), mh. Mundhöhle. — . Fig. 258. hh. Hinterhirn,
ab. A. basilaris, ac. A. carotis, is. Ganglion des N. nasalis, as. Ganglion der Kiefer-
nerven, mh. Mundhöhle, sf. unteres Ende der 1. Schlundfalte, sd. Schilddrüsenanlage.
— Fig. 259. ias. oberes Ende des Gl. Gasseei, as'. Zungenbeinbogen mit
seinen Muskeln m', ab. Gefässbogen desselben, ac. A. carotis, sh. Schlundhöhle. —
Fig. 260. mr. Membrana reuniens superior, gb. Ohrbläschen, na. N. acusticus,
ax. Axenstrang des Darmblattes, sf". 3. Schlundfalte, k. 1. Kiemenbogen, s'. unter
die Schlundhöhle auswachsende Seitenplatte desselben, is*. am Perikardialsack
vorwachsende innere Segmentschicht des Rumpfes (Mm. sterno-, genio-hyoideus),
p'. Perikardialhöhle, h. Herz, ab. A. basilaris, ab'. 1. Aortenbogen, ac. A. carotis
dicht vor ihrer Abzweigung, ab". 2. Aortenbogen. — Fig. 261. as'". Nervenanlage
des 4. lateralen Kopfsegments, ab', ab". 1. und 2. Aortenbogen, sf". sf"". die
beiden letzten Schlundfalten, vd. Uebergang der Schlundhöhle in den Vordarm,
p. Parietalblatt, v. Visceralblatt, p'. is*. wie in Fig. 260, sv. Venensack, va. Bauch-
vene, 1. Leber. — Fig. 262. as'". p. v. is*. 1. sv. wie in Fig. 261, nl. nl'. oberer
und unterer Seitennerv, a. Aorta, gf. Gekrösefalte, vd. Vordarm (Lungendarm),
vp. Verbindung des Parietal- und Visceralblattes, de. Ductus Cuvieki, lv. Leber-
gefässe. — Fig. 263 — 265. as*. is*. äusssere und innere Segmentschicht,
s'. ventraler noch ungesonderter Theil der Seitenplatte, u. Urniere, gk. deren Gefäss-
knäuel, vj. V. jugularis , vc. Stammvene, dv. Dottervene, d. Dotterzellenmasse,
bd. Anlage der Bauchspeicheldrüse, g. Blutinseln, ph. Bauchhöhle, nl. a. v. p. vd. 1.
wie in Fig. 262.
Tafel XV.
Fig. 266 — 281. Querdurchschnitte des Vorderkörpers einer
älteren Larve der ersten Periode. — Fig. 266. vh. Vorderhirn, a. Zirbel,
ng. Nasengrube, is. Stammsegment (medialer Gesichtsfortsatz). — Fig. 267. vh. is.
ng. wie in Fig. 266, gm. wm. graue und weisse Hirnmasse, wb. 1. Wirbelbogen,
mb. Mundbucht. — Fig. 268. ng. wb. mb. is. wie in Fig. 267, as. äusseres Segment
940 Erklärung der Abbildungen.
(lateraler Gesichtsfortsatz), nn. N. nasalis. — Fig. 269. vh. mh. Vorder-, Mittel-
hirn, a. Augenblase, 1. Linse, a'. Augenspalte, no. N. opticus, is. Stammsegment,
as. Unterkieferbogen mit dem M. pterygoideus m und M. temporalis m', um, unterer
Kiefernerv, mi. Bildungsgewebe des Unterkiefers, mh. Mundhöhle. Fig. 27<>.
vh. mh. a. 1. is. as. m. in', am. mh. wie in Fig. 269, ism. Augenmuskeln, h. Hirn-
anhang, m". M. submentalis, daneben Ursprung des Lippenmuskels, mi. Anlage
des Unterkieferknorpels. — Fig. 271. isn. Ganglion des N. nasalis, asn. Ganglion
der Kiefernerven, hb. Anlage der hinteren Schädelbasis, asc. Anlage des Kiefer-
suspensoriums, sf. 1. Schlundfalte, sd. Schilddrüsenanläge, h. Haftorgan, v. V.
jugularis inferior, am.A. temporo-maxillaris, ac. A. carotis. — Fig. 272. hh. Hinter-
hirn, ias. Wurzel des Gl. Gasseri, as'n. Ganglion des N. facialis, nl. Seitennerv,
ac. A. carotis, sh. Schlundhöhle, as'. Zungenbeinbogen, s'. Anlage der Zungenbein-
hörner, m. M. depressor mandibulae, m'. M. depressor ossis hyoidei, m". M. sub-
hyoideus, m'". M. levator ossis hyoidei, is*. M. genio-hyoideus, sd. Schilddrüse. —
Fig. 273. gb. Ohrbläschen, na. N. acusticus, as'. N. facialis und der Hinterrand
des zugehörigen Zungenbeinbogens, welcher sich in den Kiemendeckel kd
fortsetzt, k. 1. Kiemenbogen mit dem Kiemenknorpel kk und dem N. glosso-
pharyngeus as", s'. seine Fortsetzung unter die Schlundhöhle (Zungenbein),
km. unterer Kiemenmuskel, vj. V. jugularis externa, ac. A. carotis, ab'. 1. Aorten-
bogen, vj'. V. jugularis inferior, is*. M. genio-hyoideus, sf. 3. Schlundfalte, p'.
Perikardialhöhle, h. Herz. — Fig. 274. vj. vj'. is*. p'. s'. wie in Fig. 273, k'. 2.
Kiemenbogen, ks. ks'. 1. und 2. Kiemenspalte, ab". 2. Aortenbogen, aw. Aorten-
wurzel, av. primitive Wirbelarterie, a. A. basilaris, as'". Vagusast, sh. Schlundhöhle.
- Fig. 275. as'". dreifach gespaltener Vagusstamm, k- — k'". 2. — 4. Kiemen-
bogen, sf"". letzte Schlundfalte (3. Kiemenspalte), is*. M. sterno-hyoideus, ab"'.
;;. Aortenbogen, a, Aorta, av. vj. p'. wie in Fig. 274. — Fig. 276. as'". Vagus-
wurzel, nl. nl'. oberer und unterer Seitennerv, der letztere mit dem Vagusstanime
dicht an der Abzweigung des 3. Astes (N. laryngeus anterior) verbunden, ab'".
Ductus Botalli, ap. A. pulmonalis, 1. Kehlkopfanlage, sv. Venensack, vj. vj'. is*.
!>'. wie vorher. — Fig. 277. vj. vj'. p'. is*. id. wie vorher, as*. äussere Segment-
schicht des Rumpfes (M. scapulo-mastoideus), p. v. Parietal-, Visceralblatt,
o. Speiseröhre, 1. Lungenwurzel, p". Bauchhöhle, h. Leber, vh. Lebervenen, de.
Ductus CuviERi, va. Bauchvene. — Fig. 278. nl. p". v. h. vh. wie vorher, yjc.
V. jugularis communis, vor der Urniere u' hinabsteigend zur Vereinigung mit der
Stammvene vc, c. V. cava, vp. Pfortader, g. Gallenblase, vd. Vordarm, zwischen
demselben und der Leber rechts der Durchschnitt der Anlage des sekundären
Pankreasganges , 1. Lungenanlage. — Fig. 279. as*. is*. die beiden Segment-
schichten, gk. Gefässknäuel der Urniere, bd. sekundäre Pankreasanlage, dv. Dotter-
Erklärung der Abbildungen. 941
vene, g. v. p. p". c. vc. wie vorher. — Fig. 280. Bezeichnungen wie vorher. —
Fig. 281. bd. primäre Pankreasanlage , u. Urnierengang, vd. Vordarm,
vc. Stammvene.
Fig. 282. Mediandurchschnitt der Anlage des Hirnanhangs
(vgl. Fig. 298). mb. Mundbucht, oh. Deckschicht der Oberhaut, oh'. Grundschicht
derselben, h. h'. Stiel und verzweigtes Ende des Hirnanhangs, d. Darmblatt.
Fig. 283. Mediandurchschnitt des Kopfes einer Larve im Be-
ginn der 2. Periode, a. Zirbel, b. erste Anlage des Adergeflechtknotens,
c. mittlerer Schädelbalken Rathke's, d. Zapfen an der Mundhöhlendecke (vgl. Fig.
329), e. Anlage der Stammplatte, g. mediale Fläche des hervorwachsenden Gross-
hirnlappeus, h. Hirnanhang, k. k'. Hornlippen, vh. mh. hh. Vorder-, Mittel-, Hinter-
liirn, sp. Sehnerveuplatte, t. Basaltheil des Vorderhirns, mh. Mundhöhle, z. Zunge,
gh. M. genio-hyoideus, w. Wirbelsaite.
Fig. 284. Mediandurchschnitt des Hirns einer älteren Larve.
s. Dura mater, die übrigen Bezeichnungen wie in Fig. 283.
Fig. 285. Theil eines ähnlichen Mediandurchschnittes aus der
ZeitderMetamorphose. a. Zirbelbläschen, a'. Wurzeides Zirbelstiels, welcher
die Schädeldecke s. durchbohrt, b. Adergeflechtknoten, g. Grosshirnlappen.
Tafel XVI.
Fig. 286. 287. Sagittaldurchschnitte des Kopfes von aussen
nach innen folgend, a. Augenblase, sh. Schlundhöhle, sf. 1. Schlundfalte,
e. Darmblatt, d. Dotterzellenmasse, is. is'. 1. und 2. Stammsegment des Kopfes,
as — as'". 1. — 4. laterales Kopfsegment, s. Rumpfsegmente, s'. Seitenplatte des
Rumpfes.
Fig. 288. 289. Aehnliche Durchschnitte einer älteren Larve,
a. Augenblase, vh. Vorderhirn, hh. Hinterhirn. gp. Geruchsplatte, gb. Gehör-
bläschen, is. Grundlage des medialen Gesichtsfortsatzes vom 1. Stammsegment,
ish. Anlage des N. nasalis, ism. Anlage der Augenmuskeln, asn. Anlage der Kiefer-
nerven, asm. Anlage der Kaumuskeln, asb. Bildungsgewebe des Unterkieferbogens,
vor- und aufwärts in den lateralen Gesichtsfortsatz auswachsend, sf. 2. Schlund-
falte, sh. sf. d. e. s. s'. as'— as'". wie in Fig. 286. 287.
Fig. 290. Sagittaldurchschnitt eines Larvenkopfes mit hinab-
ge wachs en en Aussensegmenten. a. hh. gp. gb. is. isn. asn. asm. as' — as'".
d. wie in Fig. 286—289, sf. sf". sf". 1.— 3. Schlundfalte, die Anlage der 4. hat
das 4. Aussensegment gespalten, s'. Seitenplatte, u. Urniere (vgl. Fig. 381),
m. Muskelplatten der Rumpfsegmente.
942 Erklärung der Abbildungen.
Fig. 291. Aehnlicher Durchschnitt einer älteren Larve, a. gp.
gb. vh. is. isn. asn. asm. asb. d. e. wie in Fig. 288. 289, asc. Anlage des Kiefer-
suspensoriums (vgl. Fig. 295), asn'. N. facialis, as". N. glosso-pharyngeus, as'".
N. vagus, nl. nl'. Seitennerven, s'. Anlage des Zungenbeinhorns, asm'. M. levator
ossis hyoidei, s". Seitenplatte des 1. Kiemenbogens, sf — sf". 1. — 4. Schlundfalte,
as*. Anlage des M. scapulo-mastoideus hinter der von der dunklen Oberhaut aus-
gekleideten Grenzeinschnürung zwischen Kopf und Rumpf, u. Urniere, p'. Peri-
kardialhöhle, h. Haftorgan.
Fig. 292. Mediandurchschnitt desselben Kopfes, vh. mh. hh.
Vorder-, Mittel-, Hinterhirn, a. Zirbel, b. Basaltbeil des Vorderhirns, k. Hirnan-
hang, e. Darmblatt, sh. Schlundhöhle, mh. Mundhöhle, sd. Schilddrüsenanlage,
1. Leberanlage, w. Wirbelsaite, p. Parietalblatt , p'. Perikardialhöhle, v. Visceral-
blatt, s. ventrale noch ungesonderte Seitenplatte, h. Herzkammer, ba. Bulbus
arteriosus, sv. Venensack.
Fig. 293. Medianer Kopfdurchschnitt einer etwas älteren
Larve, o. Sehnervenplatte, sonst dieselben Bezeichnungen wie in Fig. 292.
Fig. 294 — 297. Sagittaldurchschnitte des Kopfes einer noch
älteren Larve, a. Auge mit der Augenspalte a', ng. Nasengrube, gb. Gehör-
bläschen, vh. vh'. mh. hh. Vorder-, Mittel-, Hinterhirn, b. Basaltheil des Vorder-
hirns, o. N. opticus, is. medialer Gesichtsfortsatz des Stammsegments, isn. Ganglion
des N. nasalis, asn. Ganglion der Kiefernerven nm und nm', asm. Kaumuskeln,
asc. Kiefersuspensorium und Unterkieferknorpel , g. Flügel - Gaumenplatte , as'n.
Ganglion des N. facialis, in Fig. 296 rückwärts sich an den Acusticus anschmiegend,
s'. Zungenbeinhorn, as'm.M. subhyoideus, as". N. glosso-pharyngeus, as'". N. vagus,
nl. Seitennerven, sh. Schlundhöhle, sf — sf". 1. — 3. Schlundfalte, k — k". 1. — 3.
Kiemenbogen, u. Urniere, h. Herz, p'. Perikardialhöhle. — Fig. 294. vj. V. jugu-
laris externa, ab. Gefässbogen des Zungenbeinbogens, ab'. 1. Aortenbogen,
m. Zungenbeinsenker, den Unterkiefersenker theilweise verdeckend, m'. Zungen-
beinheber. — Fig. 295. ac. A. carotis , ab. Zusammenfluss der Aortenbögen zur
Aortenwurzel. — Fig. 296. m. Lippenmuskel, ab"'. 3. Aortenbogen, de. Ductus
Cuviebi, va. Bauchvene. — Fig. 297. ac. A. carotis, wb. 1. Wirbelbogen, wb'.
Wurzel desselben, w. Wirbelsaite.
Fig. 298. Mediandurchschnitt desselben Kopfes, vh. vh'. vorderes
und hinteres Gewölbe des Vorderhirns, k. k'. Stiel und drüsiges Ende des Hirn-
anhangs, asc. Unterkieferknorpel, gh. M. genio-hyoideus , lg. Lungenwurzel,
g. Gallenblase, c. Anlage des kleinen Netzes. Die übrigen Bezeichnungen wie in
Fig. 292. 293.
Erklärung der Abbildungen. 943
Fig. 299 — 303. Sagittaldurchschnitte des Kopfes von einer
Larve am Schlüsse der 1. Periode, a. a'. ng. gb. vh. vh'. mh. hb. b. o. is.
isu. asn. nm. g. s'. as'n. as". as'". nl. sf — sf". k — k". u. p'. wie in Fig. 294 — 297,
kd. Kiemendeckel, is*. mittlerer Bauchmuskel mit dem M. sterno-hyoideus, d. Darm,
h. Haftorgan, asc. Kiefersuspensorium, asc'. Unterkieferknorpel. — Fig. 299. as.
lateraler Gesichtsfortsatz, asm. Kaumuskeln, m. Zungenbeinsenker, m'. Zungenbein-
heber, m". Unterkiefersenker, as"m. as'"m. obere Kiemenöffner, as*. Anlage der
vorderen Extremität. — Fig. 300. asm. Kaumuskeln, m". M. submentalis, m'".
M. subhyoideus, as*. M. scapulo-mastoideus, de. Ductus Cuvieri. — Fig. 301.
ism. Augenmuskeln, im. Endzweige des N. nasalis, asm. M. pterygoideus, asm'. M.
temporalis, f. Schläfenflügelknorpel , as*. M. scapulo-mastoideus. — Fig. 302.
ism. Augenmuskeln, nn. N. nasalis, asm. M. temporalis, wb. 1. Wirbelbogen (Ober-
kieferknorpel), z. Zungenbeinbogen, de. Ductus Cuvieri, vj. V. jugularis inferior,
va. Bauchvene. — Fig. 303. wb. wb'. 1. Wirbelbogen, kl. kl'. Hornlippen,
sd. Schilddrüsenanlage, gh. M. genio-hyoideus, lg. Lunge, h. Vorhof des Herzens,
h'. Herzkammer, sv. Venensack, 1. Leber, m. Muskelplatten, mh. Mundhöhle nur
durch eine dünne Scheidewand von der Mundbucht getrennt.
Tafel XVII.
Fig. 304 — 313. Frontaldurchschnitte des Vorderkörpers. Fig. 304.
vh. Vorderhirn, b. Basaltheil desselben, ng. Nasengrube, a. Auge mit der Augen-
spalte a', ism. Augenmuskeln, asn. Ganglion der Kiefernerven, nl. Seitennerv,
as'n. N. facialis, na. N. acusticus, gb. Ohrbläschen, as'". N. vagus, m. Muskelplatte
des 1. Rumpfsegments, w. Wirbelsaite , vj. V. jugularis externa, vj'. V. jugularis
interna. — Fig. 305. 306. vh. ng. vj. as'". wie in Fig. 304, o. Sehnervenplatte,
h. Hirnanhang, is. Aussentheil des medialen Gesichtsfortsatzes, wb. 1. Wirbel-
bogen, asm. Kaumuskeln, asc. Kiefersuspensorium, as'n. Ganglion des N. facialis,
mit dem sich der Gaumennerv bereits verbunden hat, as". N. glosso-pharyngeus,
nl. Seitennerv, ax. Axenstrang des Darmblattes, sh. Schlundhöhle, mh. Mundhöhle,
sf. 1. Schlundfalte, vj'. Zusammenfluss der Jugularvenen , aw. Aortenwurzeln, vor
ihrer Vereinigung zur Aorta a. durch eine quere Anastomose verbunden , ac. A.
carotis, ab. Mündung des Gefässbogens vom Zungenbeinbogen, am. A. temporo-
maxillaris. — Fig. 307. 308. is. medialer Gesichtsfortsatz, as. Unterkieferbogen,
asc. Kiefersuspensorium (Fig. 307) und Unterkieferknorpel (Fig. 308), asm. Kau-
muskeln, as'. Zungenbeinbogen, as'n. N. facialis, as'm. und m Muskeln dieses
Bogens, k — k". 1. — 3. Kiemenbogen, ab' — ab"'. 1. — 3. Aortenbogen, as*. is*. die
beiden Segmentschichten des Rumpfes, sh. Schlundhöhle, mh. Mundhöhle, mb.Mund-
944 Erklärung der Abbildungen.
bucht, sf. 1. Schlundfalte, o. Speiseröhre, lg. Kehlkopfanlage zwischen den 4.
rudimentären Kiemenbögen, lg'. Lungenanlagen, p". Bauchhöhle, u. Urniere mit
ihren Mündungen u', gk. ihr Gefässknäuel. — Fig. 309. as. Unterkiefer,
sd. Schilddrüse, s'. Zungenbeinhörner, kd. Kiemendeckel, k. 1. Kiemenbögen mit
Aussenkiemen, k'. 2. Kiemenbögen, ab'. 1. Aortenbogen, h. Herz, lg'. Lungen-
wurzel, v. verdicktes Visceralblatt, bd. Pankreasanlage, u. Urniere. — Fig. 310.
as. sd. u. wie in Fig. 309, as'm. M. subhyoideus, is*. innere Segmentschicht
(M. sterno-, genio-hyoideus), as*. äussere Segmentschicht des Rumpfes, vj. V. jugu-
laris inferior, vc. V. cardinalis, h. Bulbus arteriosus, h'. h". Vorhof im oberen
Abschnitte bereits getheilt, p'. Perikardialhöhle, p". Bauchhöhle. — Fig. 311. 312.
as'm. p'. vj. wie in Fig. 310, h. Herzkammer, h'. Vorhof des Herzens, sv. Venen-
sack, de. Ductus Cuvieri, vd. Vordarm (Magen), 1. Leber, p". Bauchhöhle, zwischen
den letztgenannten Eingeweiden, welche durch die Anlage des kleinen Netzes
zusammenhängen, zum Netzbeutel verengt, bd. Anlage der Bauchspeicheldrüse,
md. Mitteidann, is. M. sterno-hyoideus. — Fig. 313. h. 1. p'. wie in Fig. 312,
p. v. Parietal- und Visceralblatt, im Umfange der Leber verwaebsend (c), 1. primi-
tiver Leberstiel, bd. Anlage des sekundären Pankreasganges, d. Dotterzellenmasse,
va. Bauchvene.
Fig. 314 — 319. Aehnliche Frontaldurchschnitte einer Larve
am Schlüsse der 1. Periode. Fig. 314. 315. is. Mundbuchtdach, ng. Nasen-
grube, vh. Gewölbe und Mitteltheil des Vorderhirns, b. sein Basaltheil, a. Auge,
a'. Augenspalte, o. Sehnerv, ism. Augenmuskeln, wb. Orbitalwand des 1. Wirbel-
bogens, wb'. Wurzel desselben, asc. Schläfenfiügelknorpel, isn. Ganglion des N.
nasalis nn, asn. Ganglion der Kiefernerven, as'n. Ganglion des N. facialis, na. N.
acusticus, np. N- palatinus, gb. Gehörbläschen, as". N. glosso-pharyngeus, as'".
N. vagus, w. Wirbelsaite, vj. V. jugularis externa. — - Fig. 316. ng. as". as'". vj.
wie in Fig. 307, vh. vh'. b. die drei Abschnitte des Vorderhirns (3. Hirnkammer,
Sehnervenplatte, Hirntrichter,, wb. 1. Wirbelbogen, g. Flügel-Gaumenplatte, asc.
Quadratbeinknorpel, pt. M. pterygoideus, t. M. temporalis, m. Zungenbeinsenker,
m'. Unterkiefersenker, c. Unterlage des Ohrbläschens, ab. Gefässbogen des Zungen-
beinbogens, ac. A. carotis. — Fig. 317. ng. wb. g. asc. pt, t. m. m'. ab. ac. wie in Fig. 31<>,
as". N. glosso-pharyngeus, links mit der Anastomose zum Facialis, as"'. N. vagus,
mb. mh. vereinigte Mundbucht und Mundhöhle, sh. Schlundhöhle, sf — sf". 1. — 4.
Schlundfalte, ab', ab". 1. und 2. Aortenbogen, aw. Aortenwurzeln mit querer
Anastomose, ax. Axenstrang des Darmblattes, vj. V. jugularis communis, u. Urniere,
u'. Mündung derselben, p". Bauchhöhle. — Fig. 318. 319. mb. mh. Mundbucht
und Mundhöhle, wb. Oberkieferknorpel, Im. Lippenmuskel, asc. Quadratbein,
asc'. Unterkieferknorpel, t. M. temporalis, t'. M. retrahens maxillae superioris,
Erklärung der Abbildungen. 945
s'. Zungenbeinhorn, m. Zungenbeinsenker, m'. Zungenbeinheber, m". Unterkiefer-
senker, gh. M. genio-kyoideus, sd. Schilddrüse, z. Zunge, as". N. glosso-pharyngeus,
sf — sf"". 2.-5. Schlundfalte, k — k'". 1.— 4. Kiemenbogen mit Knorpeln und
Kiemen, ks. Kiemensack, ab', ab". 1. und 2. Aortenbogen, der erstere mit der
Lingualis, de. Ductus Cuvieei, u. Urniere , as*. Anlage der vorderen Extremität,
p'. Perikardialhöhle, p". Bauchhöhle, h'. h". linker und rechter Vorhof des
Herzens, sv. Venensack, vj. V. jugularis inferior, lg. Lungenwurzel, o. Speiseröhre.
Tafel XVIII.
Fig. 320 — 322. Querdurchschnitte der Nasengegend einer
Larve aus der 1. Periode, vh. Vorderhirn, a. Zirbel, ng. Naseugrube,
nn. N. nasalis, wb. 1. Wirbelbogen, wb'. Oberkieferknorpel, as. lateraler Gesichts-
fortsatz, mb. Mundbucht, mh. Mundhöhle.
Fig. 323. Quer durchschnitt der Nasengegend einer Larve aus
der 2. Periode, vh. wb. wb'. mh. wie in Fig. 322. nrg. Nasenrachengang,
gl. Gaumenleiste," v. medianer Auswuchs der Mundhöhlendecke, hl. laterales Ende
der oberen Hornlippe, hl', untere Hornlippe.
Fig. 324. Kopfskelet einer Larve aus der 2. Periode, mit
gestrecktem Vordertheil . wb. 1. Wirbelbogen; wb'. Stammplatte, wb".
Zwischenkieferknorpel, wb'". Oberkieferknorpel, sb. vordere Schädelbasis, sb'.
hintere Schädelbasis, gb. Ohrkapsel, gf. Schläfenflügelknorpel , q. Quadratbein-
knorpel, g. Flügelgaumenplatte, a. Augenhöhlenboden, b. Unterkiefergelenk, c.
Zungenbeingelenk, op. Jochfortsatz.
Fig. 325. Larve der 2. Periode nach Entfernung der Haut, des
subkutanen Bindegewebes mit der unscheinbaren Anlage des
äusseren Bauchmuskels und des Kiemendeckels; in Folge der
Behandlung mit Weingeist erscheinen alle mehr oder weniger
durchsichtigen Theile (Linse, Muskeln, Nerven u. s. w.) weiss.
Bezeichnung auf Taf. XXII. a. Auge, a'. Grenze der Bindehaut, 1. Linse, gk. Ohr-
kapsel, ng. Nasenloch, hl. Oberlippe, z. Zirbelknopf, k. k'. 1. und 2. Kiemenbogen,
hd. Halsdrüse, h. Perikardialsack, is. I— XII. Stammsegmente des Rumpfes und
der Schwanzwurzel, is. I — IX. Segmente des mittleren Bauchmuskels, is'". hinteres
Ende desselben, af. After, hex. hintere Extremität, mg. M. glutaeus, vex. vordere
Extremität, isp. M. infraspinatus, Id. M. latissimus dorsi, sm. M. scapulo-mastoideus
(M. sterno-cleido-mastoideus) , kl. Athemröhre, km. obere Kiemenöffner, km',
unterer Kiemenöffner , m. M. depressor ossis hyoidei , m'. M. levator ossis hyoidei,
m". M. depressor mandibulae, Im. oberer Lippenmuskel, nn. nn'. medialer und
Gof.tte, Entwickeluugsgeschichtc. CO
946 Erklärung der Abbildungen.
lateraler Endzweig des N. nasalis, nm. oberer Kiefernerv, nl. Seitennerv des
Kopfes, as". N. glosso-pharyngeus, as"'. erster Kiemenast des Vagus, nl'. dorsaler
Seitennerv des Rumpfes, nl". ventraler Seitennerv desselben, n. II — n. VII. 2.-7.
Spinalnerv.
Fig. 326. Dieselbe Larve nach Entfernung der Rücken-
muskulatur, der Gliedmassen, des Kiemenapparats, des Zungen-
beinsenkers und der bindegewebigen Tbeile des Kopfes. Bezeichnung
auf Taf. XXII. a. z. hl. Im. nl. nl'. nl". m'. m". h. kl. af. wie in Fig. 325, vh.
mh. hh. Vorder-, Mittel-, Hinterhirn, ng. ng'. oberer und unterer Theil der seitwärts
eröffneten Nasenhöhle, ng". vordere Ausbuchtung derselben (jACOBSON'sches
Organ), wb". wb'". Zwischen- und Oberkieferknorpel, op. Jochfortsatz des
Quadratbeinknorpels, asc'. Unterkieferknorpel, s'. Zungenbeinhorn , mm. M.
masseter, t. M. temporalis, nm. nm'. oberer und unterer Kiefernerv mit ihrem
Ganglion asn, asn'. Wurzel des N. facialis mit der Abzweigung des Gaumennerven
und der Anastomose zum Glosso-pharyngeus, nf. ventraler Seitenzweig des
Gesichtsnerven, asn". N. glosso-pharyngeus (1. Kiemennerv), asn'". Ganglion des
Vagus aussen an der Basis des occipitalen Wirbelbogens, mit dem 2. Kiemennerv
kn und dem Stamm kn' der übrigen Zweige r (3. Kiemennerv) und In (N. laryngeus
anterior), 1. Kehlkopf (Stimmritze), w. I — w. X. 1. — 10. Wirbelbogen, I — XL der
segmentirte mittlere Bauchmuskel, vorn bei der Ablösung des Kiemenapparats von
seinem Vorderende (M. genio-hyoideus) getrennt, n. I — n. X. 1. — 10. Spinalnerv,
der 1. = N. hypoglossus, der 2. und 3. mit dem Armgeflecht verbunden.
Fig. 327. Skelet und Nerven derselben Larve, sh. vordere Schädel-
höhle, wb'. Stammplatte, wb". wb'". Zwischen-, Oberkieferknorpel, gf. Schläfen-
flügelknorpel , op. Jochfortsatz des Quadratbeinknorpels, g. Flügelgaumenplatte,
asc'. Unterkieferknorpel, s'. Zungenbeinhorn, sb. hintere Schädelbasis, hwb.
occipitaler Wirbelbogen, w. Wirbelsaite, w. I — w. XI. 1. — 11. Wirbelbogen,
sc. cl. Scapula, Clavicula, h. br. Ober-, Unterarm, iL p. Darm-, Schambein, f. Ober-
schenkel, nn. N. nasalis, no. N. oculomotorius, na. N. abducens, asn. Ganglion der
Kiefernerven, nl. Seitennerv des Kopfes, asn". N. glosso-pharyngeus, asn"'.
Ganglion des Vagus mit dem 2. Kiemennerv kn, dem Stamm des 3. Kiemennerven
r und des vorderen Kehlkopfastes In, dem ventralen Seitennerven nl", p'. Einge-
weideast des Vagus, s. N. sympathicus, n. VII— n X. 7. — 10. Spinalnerv, in etwas
anderem Verhalten als in Fig. 326 dargestellt, indem der 8. und 9. Nerv voll-
ständig, der 7. und 10. mit je einem Aste zum Plexus ischiadicus b verbunden sind,
b'. N. perinealis.
Fig. 328. Untere Ansicht des Vorderkörpers einer ähnlichen
Larve nach Entfernung der Haut, die Unterlippe vorgezogen.
Erklärung der Abbildungen. 947
Bezeichnung auf Taf. XXII. hl. hl'. Ober-, Unterlippe, Im. Im', unterer und oberer
Lippenmuskel, asc'. Unterkieferknorpel, s'. Zungenbeinhorn, sm. M. submentalis,
smx. M. submaxillaris , sh. M. subhyoideus, is". mittlerer Bauchmuskel, is'". M.
sterno-hyoideus , is*. M. genio-hyoideus, m. Zungenbeinsenker, m'. Zungenbein-
lieber, m". Unterkiefersenker, h. Herz im geöffneten Perikardialsack, k. k". 1. und
2. Kiemenbogen, ks. 1. Kiemenspalte, ks'. die an der Bauchseite zusammen-
fliessenden Athemröhren, kl. gemeinsame Oeffnung derselben, vex. vordere
Extremität, auf der einen Seite mit den Aussenkiemen in den äusseren Kiemen-
sack eingeschlossen, auf der anderen durch Entfernung des Kiemendeckels frei
gelegt, asn". N. glosso-pharyngeus, km', unterer Kiemenmuskel , asn'. ventraler
Seitenzweig des Gesichtsnerven, nra'. unterer Kiefernerv.
Fig. 329. Die Mund- und Schlundhöhlendecke nach Abtragung
des Unterkiefers, Zungenbein- und Kiemenapparats von unten
gesehen; die Schleimhaut und die Kaumuskeln nebst einigen
anderen Theilen sind auf einer Seite ebenfalls entfernt, auf der
anderen Seite ist der dorsale Grenzwulst der inneren Kiemen-
höhlen erhalten, hl. Theil der Oberlippe (Innenfläche), asc'. Gelenkende des
Unterkieferknorpels, wb'". Oberkieferknorpel, m. Bündel des Schläfenmuskels,
gb. Gaumenbogen, ng. innere Nasenöffnung, rückwärts verdeckt von der Gaumen
leiste gl, wb. 1. Wirbelbogen (Seitenrand der vorderen Schädelbasis), nk. Ohr-
kapsel, gf. Schläfenflügelknorpel , c. Gelenkpfanne für das Zungenbeinhorn,
op. Jochfortsatz, b. Gelenkpfanne für den Unterkiefer, w. Wirbelsaite, asn'. N.
facialis, np. Gaumennerv, as". N. glosso-pharyngeus, as'". N. vagus,"nl. oberer
Seitennerv desselben, n — n". die drei ersten Spinalnerven, s. N. sympathicus.
Fig. 330. Der Mund- und Schlundhöhlenboden nach Entfernung
des ganzen Hirn- und Gesichtstheils von oben gesehen, asc'. Unter-
kieferknorpel, z. Zunge, s'. Zungenbeinhorn, in der Mitte durch die Schleimhaut
durchscheinend, k — k". 1. — 3. Kiemenbogen, sf". sf". 1. und 2. Kiemenspalte,
ks. Kiemenscheidewand, ks'. mediale Grenzleiste des inneren Kiemenapparats,
kh. kh'. 1. und 2. innere Kiemenhöhle, nach Abtragung der Decke, lg. Kehlkopf
mit der Stimmritze, zwischen den hintersten inneren Kiemenhöhlen, lg'. Lungen,
p". Bauchhöhle, b. Bauchwand.
Fig. 331. Kopf einer älteren Larve, nach Entfernung der Haut,
der Schädeldecke und des Hirns von oben gesehen. Bezeichnung auf
, Taf. XXII. hl. Im. wb". wb'". op. asc'. mm. t. nm. nm'. asn. asn". asn'". nl'. wie
in Fig. 326, nk. nk'. Nasenknorpel, g. Flügelgaumenplatte, b. Unterkiefergelenk,
q. Quadratbeinknorpel, gf. Schläfenflügelknorpel, pt. M. pterygoideus, isn. N.
nasalis, kf. Orbitalflügelknorpel, rechts abgetragen, vsh. hsh. vordere und hintere
60*
948 Erklärung der Abbildungen.
Schädelbasis, f. Foramen opticum, f. Foramen caroticum, st. Sattelgrube, gk. Ohr-
kapsel, rechts bis auf die Basis abgetragen, hwb. oecipitaler Wirbelring, k. Kiemen-
bögen, km. obere Kiemenmuskeln, w. II. w. III. 2. und 3. Wirbelbogen, mi. Mm.
intertransversarii, isp. M. infraspinatus, Id. M. latissimus dorsi, mc. M. cucullaris.
Fig. 332. Frei präparirtes Zungenbein- und Kiemenskelet
nach Entfernung des Unterkiefers von unten gesehen, aus dem
Anfange der Larvenmetamorphose, ng. gb. gl. b. wie in Fig. 329.
k — k"'. 1. — 4. Kiemenbogenknorpel, an der Bauchseite durch den Zungenbein-
körper getrennt, s'. s". vordere und hintere Zungenbeinhörner.
Fig. 333. Zungenbein einer nur noch mit einem Schwanzstummel
versehenen Larve. sd. Schilddrüse, die übrigen Bezeichnungen wie in
Fig. 332.
Fig. 334. Zungenbein einer vollständig metamorphosirten
jungen Unke. Bezeichnung wie in Fig. 333.
Tafel XIX.
Fig. 335. Kopf einer Larve aus dem Anfange derMetamorphose
n ach Entfernung der Haut und des M. depressorossishyoidei, Wein-
geistprä parat, a. Auge, b. Vorderwand der Augenhöhle, nn. lateraler Ast des
N. nasalis, nm. oberer Kiefernerv, hl. Oberlippe, c. bandförmige Anlage des
unteren Jochbogens, in den Oberkieferbogen übergehend. Wegen der Bezeichnung
der übrigen Theile siehe Fig. 336.
Fig. 336. Derselbe Kopf nach Entfernung des Auges und
einiger oberflächlichen Bindegewebsschichten des Gesichts, ok.
Ohrkapsel, wb. Orbitalwand, wb". Zwischenkieferknorpel, wb'". Oberkieferknorpel,
x. tiefe Schichten des Oberkieferbogens , hl. Umriss der Oberlippe , ng. äussere
Oeffnung der seitlich eröffneten Nasenhöhle, sodass man auch deren innere
Oeffnung sieht, nk. Orbitalfortsatz des Nasenknorpels, an die leistenförmige Fort-
setzung des Gaumenbeinknorpels g oder die vordere Orbitalwand angefügt, nk'.
vorderer Nasenknorpel, asc'. Unterkieferknorpel, op. Jochfortsatz des Quadrat-
beins, s'. Zungenbeinhorn, k. 1. Kiemenbogen, hd. Halsdrüse, ab. 1. Aortenbogen,
as*. vordere Extremität aus einer ärmelförmigen Hautöffnung hervorkommend,
t. M. temporalis, mm. M. masseter, m'. M. levator ossis hyoidei, m". M.
depressor mandibulae, nm'. N. maxillaris inferior, as'n. Seitenzweig des Facialis,
as". N. glosso-pharyngeus.
Fig. 337. Das Kopfskelet einer gleichen Larve von oben ge-
sehen. Die Nasendachknorpcl und der rechte Oberkieferbogen
Erklärung der Abbildungen. 949
sind entfernt, ebenso das Schädeldach abgetragen; die Schläfen-
flügelknorpel sind mit den Ohrkapseln bereits verwachsen, die
Quadratbeinknorpel zurückgezogen, t. mm. wb". wb'". asc'. g. op. k. wie
in Fig. 336, nb. Nasenhöhlenboden, ns. Nasenscheidewand, b. Unterkiefergelenk,
hw. occipitaler Wirbelring, s. Schulterblatt.
Fig. 338. Querdurchschnitt durch den Rücken während der
Fnt Wickelung der Wirbelsäule. Theilung und Umlage rung der
Rückenmuskeln, w. Wirbel, is. obere Hälfte der Stammuskeln, is'. untere
Hälfte derselben, as. äusserer Bauchmuskel, vp. Bauchfell, n. Nieren.
Fig. 339. Querdurchschnitt der Leibeswand einer älteren Larve
während der Metamorphose, w. w'. seitlicher und oberer Theil des Wirbel
bogens, w". Rippenfortsatz, n. Nieren, g. Gekrösewurzel, vp. Bauchfell , is. is'.
obere und untere Hälfte der Stammuskeln , is'1. mittlerer Bauchmuskel (M. rectus
abdominis), as. äusserer (schiefer) Bauchmuskel, as'. M. ilco-lumbaris, as". Portio
abdominalis M. pectoralis , p. p'. seitlicher und dorsaler Theil des inneren Bauch-
muskels (M. transversus abdominis).
Fig. 340. Querdurchschnitt der Leib es wand einer jungen
Tritonlarve, nl. Organ der Seitenlinie. Die übrigen Bezeichnungen wie in
Fig. 339.
Fig. 341. Ei neTritonlarve mit der Darstellung der verschiedenen
Muskelschichten des Rumpfes, k. Kiemen, nl. nl'. nl". die drei Seiten-
nerven , w". w'". die doppelten Rippenenden , Id. M. latissimus dorsi , is. Stamm-
muskeln. An den vier letzten segmentalen Abtbeilungen ist der äussere Bauch-
muskel as entfernt, wocturch der mittlere Bauchmuskel is" zu Tage tritt, durch
dessen Abtragung der innere Bauchmuskel p mit den Spinalnerven isn bloss-
gelegt wird.
Fig. 342. Eine junge Unke am Schlüsse der Metamorphose nach
Entfernung der Haut; Weingeistpräparat. Bezeichnung auf Taf. XXII.
a. Auge, ng. Nasengegend, c. c'. unterer und oberer bindegewebiger Jochbogen,
z. Zunge , asc'. Unterkiefer , m. M. depressor ossis hyoidei , m'. M. levator ossis
hyoidei, m". M. depressor mandibulae, diese drei Muskeln bereits in der Atrophie
begriffen, daher dünn, durchscheinend, m*. M. masseter, t. M. temporalis, smx. M.
submaxillaris, sh. M. subhyoideus, ph. Schlundmuskeln als Reste der oberen Kieinen-
muskeln, die Halsdrüse theilweise verdeckend, sm. M. scapulo-mastoideus (M.
sterno-cleidomastoideus), oh. M. omo-hyoideus, mc. M. cucullaris, isp. M. infraspi-
natus, Id. ld'. M. latissimus dorsi, d. M. deltoideus, tr. M. trieeps brachii, sr. M.
sterno-radialis, p. M. pectoralis, is. VI — VIII. Abtheilungen des M. rectus abdominis,
is. Stammuskeln des Schwanzes, is'". M. sterno-hyoideus, asm*. M. obliquus
950 Erklärung der Abbildungen.
externus abdominis, lässt die Spinalnerven durchscheinen, iL Darmbein, mg. M.
glutaeus, ve. M. vastus externus, ra. M. rectus femoris anterior, ad. Mm.
adductores femoris, g. M. gastrocnemius, p. M. peroneus, ta. M. tibialis anticus,
nn. N. nasalis, nm. nm'. N. maxillaris superior, inferior, asn'". Ganglion des
Vagus, nl'. nl". dorsaler und ventraler Seitennerv desselben.
Fig. 343. Dasselbe Objekt nach Abtragung der Glied massen
unddes äusserenBauchmuskels, der Stammuskeln des Schwanzes
und der meisten Weichtheile des Kopfes. Bezeichnung auf Taf. XXII.
gk. Ohrkapsel, fo. Foramen ovale, f. Foramen opticum, g. Flügelgaumenplatte,
wb'. Stammplatte mit der Nasenscheidewand, wb". wb.'". Zwischen- und Ober-
kieferknorpel, nb. Nasenhöhlenboden, asc'. Unterkiefer, c. unteres Jochbogen-
band , op. Jochfortsatz des Quadratbeins, s'. Zungenbeinhorn, sh. Umriss der Mm.
subhyoideus, submaxillaris, br. Bauchrippe, is'". M. sterno-hyoideus , V — VIII. M.
rectus abdominis, is*. M. ischio-coccygeus, af. After, iL pb. ois. Darm-, Scham-
und Sitzbein, ac. Gelenkpfanne für den Oberschenkel, oc. Steissbein, w. atrophische
Wirbelsaite des Schwanzes, w. IX. Rippenfortsatz des 9. Wirbels, p. innerer Bauch-
muskel (M. transversus abdominisj, p'. M. ileo-lumbaris (M. quadratus lumborum),
mi. mi'. M. intertrans versarius capitis superior, inferior, asn'. N. facialis, asn". N.
glosso-pharyngeus, asn'". Ganglion des Vagus mit den früheren Kiemennerven kn
und den Seiten nerven nl'. nl", n I. N. hypoglossus, n II — n VII, 2. — 7. Spinal-
nerv, n. X. 10. Spinalnerv, dessen hinterer Ast b' (N. perinealis) in Folge
successiver Verschmelzung des vorderen Astes mit dem Plexus ischiadicus b
endlich aus dem letzteren entspringt (vgl. Fig. 327), n. XL N. coccygeus.
Fig. 344. Die Stammnerven des Vorderkopfs einer jungen
Larve (vgl. S. 628 Anm.). isn. innere Portion des GASSEß'schen Nervenknotens,
asn. äussere Portion desselben (Kiefernerven), nn. N. nasalis, nn'. nn". äusserer
und innerer Endast desselben, na. N. abducens, no. N. trochlearis, nt. Seitennerv
des Kopfes, no'. N. oculomotorius, mr. mr'. mr". oberer, innerer und unterer
gerader Augenmuskel, mo. mo'. oberer und unterer schiefer Augenmuskel.
Fig. 345. Anlage des ventralen Seitennerven (vgl. Fig. 276).
oh. Deckschicht der Oberhaut , oh'. Grundschicht derselben , von welcher sich der
Seitennerv nl ablöst.
Fig. 346. Wirbelsäule einer beinahe ausgewachsenen Unke
(4/5 der vollen Länge); durch Kupferlösung sind die in der
Verknöcherung begriffenen inneren Wirbeltheile hell undurch-
sichtig geworden und bezeichnen daher den Verlauf der
ursprünglichen Knorpelanlagen, wb. Wirbelbögen mit den acces-
sorischen periostalen Theilen wb', w. Querfortsätze, w'. Rippen und Rippen-
Erklärung der Abbildungen. 951
homologa, s. Steissbein , r. hinterer Ausgang des Rückenmarkskanals , IX— XII.
9.— 12. Wirbel, n10. n11. 10, und 11. Spinalnerv.
Fig. 347. Das in der Verknöcherung begriffene Schädeldach
einer jungen Unke, isolirt und bei durchfallendem Lichte gesehen,
sodass die unterliegenden, seitlich vorragenden Knorpeltheile k
dunkel durchscheinen, ihre vordere grosse und die hinteren
paarigen Lücken a. a'. als helle Flecke erscheinen. Der darüber-
liegende dünne Faserknocben Hess die Näthe des fertigen Schädel-
dachs nicht erkennen, b. die occipitalen Verknöcherungen des Knorpels.
Tafel XX.
Fig. 348. Bauchseite des Vorderkörpers nach Entfernung der
Haut und auf einer Seite auch der oberflächlichen Muskeln, von
einer Larve nach beinahe beendeter Metamorphose (vgl. Fig. 342).
a. Auge, cl. Clavicula, c. Coracoideum, br. Bauchrippe, sm. M. submentalis, smx.
M. submaxillaris , sh. M. subhyoideus , durch Abtragung der linken Hälften dieser
beiden Muskeln sind die longitudinalen Zungenbeinmuskeln (is"'. is*) und das
linke Zungenbeinhorn bloßgelegt, m. M. depressor ossis hyoidei, m". M. depressor
mandibulae, smt. M. scapulo-mastoideus , is". M. rectus abdominis, is'". M. sterno-
hyoideus, is*. M. genio-hyoideus, oh. M. omo-hyoideus, d. M. deltoideus, sr. M.
sterno-radialis , p. p'. p". M. pectoralis, asn. N. maxillaris inferior, as'n. Ende des
Facialisstammes, as"n. N. glosso-pharyngeus, is*n. N. bypoglossus.
Fig. 349. Das Schultergürtelskelet und seine Verbindung mit
der Bauchrippe während der Larvenmetamorphose, in querer
Richtung eben ausgespannt, sc. Schulterblatt mit dem ganz knöchernen
medialen Stücke a, dem von Faserknochen überzogenen b und dem rein
knorpeligen Theile c, g. Gelenkgrube für den Oberarmknochen, cl. Clavicula,
c. Coracoideum, c'. Sternalplatte, ep. episternales Ende derselben, h. Bandmasse
zwischen den Sternalplatten und der Bauchrippe, b/. Knorpelscheiben in dieser
Bandmasse, br. Bauchrippe, is". M. rectus abdominis.
Fig. 350. Die Bandmasse mit einer Knorpelscheibe vergrössert
dargestellt, h. h'. wie in Fig. 349:
Fig. 351. Die Sternalplatten und ihre Verbindung mit der
Bauchrippe auf einer weiteren Entwickelungsstufe , Bezeichnung wie in
Fig. 349.
Fig. 352 — 355. Die Umbildung des Darms zu Ende der 1. Larven-
periode, dargestellt an Larven, denen die ventrale Leibeswand
952 Erklärung der Abbildungen.
ausgeschnitten ist. ng. äussere Nasenöffnung, m. Mund, h. Haftorgan,
k. Aussenkiemen , 1. Leber, g. Gallenblase, vd. Vordarm, bd. linke Hälfte der
primären Pankrcasanlagc , md. Mitteldarm mit der Dotterzellenmasse , bh. Hinter-
darm, a. After.
Fig. 356. Folgende Entwiekelungsstufe mit beginnender Auf-
windung der Mitteldarmschlinge, nach Entfernung der gesammten
Haut, aber mit Erhaltung des mittleren Bauchmuskels, hl. hl'. Horn-
lippen, k. Kiemenapparat, h. Herz im geöffneten Perikardialsacke , m. m'. M.
depressor , M. levator ossis hyoidei , is". mittlerer Bauchmuskel , fortgesetzt durch
die Mm. sterno-, genio-hyoideus is'", deren Kontinuität nach Durchschneidung des
M. subhyoideus kenntlich wird.
Fig. 357. Larve mit. einmal gewundenem Mitteldarm, nach
Eröffnung der Bauchhöhle, k. Athemröhre der Kiemen, vd. bd. md. wie in
Fig. 352.
Fig. 358. Aehnliche Larve mit etwas anderer Lagerung der
Baucheingeweide. Das kleine Netz ist fortgelassen und dadurch
der Netzbeutelraum völlig offen dargestellt. 1. Leber, g. Gallen-
blase, bd. linke Hälfte der Pankreasanlage, lg. Lunge, o. Speiseröhre.
Fig. 359 — 362. Querdurchschnitte des vorderen Rumpfes einer
Larve vom Alter der in Fig. 352. 353 dargestellten. — Fig. 359. lg. Lunge,
u. Urniere, p". Bauchhöhle, zwischen Leber (1) und Vordarm (vd) als Theil des
Netzbeutels, worunter ein Stück des kleinen Netzes zu sehen ist; der Aus-
führungsgang der Leber 1 hängt abwärts mit der Anlage der Gallenblase g,
nach links mit der Anlage des sekundären Pankreasganges zusammen; dv.
Dottervenen , c. Anlage des absteigenden Stückes der Hohlvene. — Fig. 360.
u. Urniere, gk. ihr Gefässknäuel, p". Netzbeutel, c. Anlage der absteigenden
Hohlvene, 1. Leber, bd. sekundäre rechtsseitige Paukreasanlage , vd. Vordarm
(Magendarm), g. Gallenblase. — Fig. 361. u. gk. p". c. wie in Fig. 360,
lg. Lunge, vd. Vordarm im Uebergange in den Mitteldarm md, cl. Dotter-
zellenmasse, bd. primäre Pankreasanlage. — ■ Fig. 362. u. Urnierengang , yc.
Stammvene, vv. Wirbelvenenast derselben, dv. Dottervenen, p". Bauchhöhle, d. bd.
md. c. wie in Fig. 361.
Fig. 363. Larve aus dem Anfange der 2. Periode, nach
Entfernung der Haut, der Bauchwand, der meisten Baucheinge-
weide, des Zungenbein- und Kiemenapparats einer Seite mit Erhal-
tung der Ge fasse. Die Arterien sind roth, die Venen blau bezeichnet,
ab' — ah'". 1. — 3. Aortenbogen (Pulmonalis mit Ductus Botalli), ab"". 2. Pulmo-
nalast, al. A. lingualis, ac. A. carotis, aw. Aortenwurzel, am. A. mesenterica,
Erklärung der Abbildungen. 953
a. Aorta, de. Ductus Cuvieri , vj. V. jugularis communis , vj'. V. jugularis inferior,
vc. Stammvene , entspringt aus der unteren Kaudalvene vc"' , welche sich an der
Schwanzdarmwurzel in zwei Stämme theilt vc" , welche darauf eng aneinanderge-
schlossen (vc') zwischen den Nieren das Blut dieser Organe und der Wirheivenen
sammeln und dann die Urnieren u durchströmen , c. das absteigende Vorderstück
der Hohlvene, aus der rechten Stammvene entspringend, as'. Anlage der Vorder-
extremität.
>
Tafel XXI.
Fig. 364. Subepidermoidales Bildungsgewebe des Kopfes aus
der ersten Larvenperiode im Durchschnitt, ob. Oberhaut noch aus zwei
gesonderten Schichten bestehend , g. Blutgefäss , d. embryonale Blut- oder Dotter-
bildungszellen.
Fig. 365. Derselbe Theil aus dem Anfange der 2. Larvenperiode
im Durchschnitt, oh. Oberhaut zu einer einzigen Zellenschicht verschmolzen,
lr. Lymphräume , b. Balken und Scheidewände derselben , p. Pigmentzellen des
subepidermoidalen Pigmentzellennetzes, p'. zu einer kontinuirlichen Membran
verschmelzende Pigmentzellen.
Fig. 366. Durchlöcherte Bindegewebsmembran aus der Gegend
eines Zwischenwirbellochs von einer älteren Larve.
Fig. 367. Bindegewebsstränge des Kopfes einer jüngeren Larve.
Fig. 368. Bindege webs platten im queren Durchschnitt aus
der Mundhöhlendecke einer in der Metamorphose begriffenen
Larve.- a. quere Verbindungsplatte mit der ganzen Fläche in den Schnitt
fallend , b. Durchschnitte der parallelen Platten und ihrer Kerne , d. Lymphzellen
in den Zwischenräumen.
Fig. 369 — 371. Querdurchschnittte einer etwas älteren Larve
als die in Fig. 359— 362 dargestellte. — Fig. 369. hh. Hinterhirn, gb.
Gehörbläschen, sh. Schlundhöhle, sf. die vom Darmblatt abgelöste 1. Schlundfalte,
sf. 2. Schlundfalte, s'. Anlage des Zungenbeinkörpers, p'. Perikardialhöhle,
h. Herz, vj. V. jugularis externa, vj'. V. jugularis inferior, ac. A. carotis. —
Fig. 370. sh. sf'. vj. ac. p'. s'. wie in Fig. 369, sf". 1. innere Kiemenhöhle,
b. ihre mediale Grenzleiste, k. 1. Kiemenbogen mit dem N. glosso-pharyngeus as"
und dem 1. Aortenbogen ab', ks. äusserer Kiemensack, kd. Kiemendeckel, h. Herz-
kammer, h'. h". linker und rechter Vorhof des Herzens. — Fig. 371. o. Speise-
röhre, lg. Kehlkopf, k — k". 1. — 3. Kiemenbogen, as'". Ganglion und Wurzel des
Vagus , woraus der 2. und 3. Kiemennerv kn und der vordere Kehlkopfast In
954 Erklärung der Abbildungen.
hervorgehen, m. Muskel des 4. Kiemenbogens (später zum Theil Kehlkopfmuskel),
av. Aortenwurzel mit der sekundären Wirbelarterie, ab. A. pulmonalis, sv. Venen-
sack, vp. V. pulmonalis, vj'. V. jugularis inferior, va. V. abdominalis, g. Gallen-
blase unter die Lebermasse vorgeschoben, p". Bauchhöhle.
Fig. 372. Sagittaler, links dicht neben der Medianebene
gelegener Durchschnitt einer Larve der 1. Periode, nur in der
Bauchhälfte ausgeführt, vh. Vorderhirn mit der Selmervenplatte o und
dem Basaltheile b , w. Wirbelsaite , mh. Mundhöhle , sh. Schlundhöhle , sd. Schild-
drüsenanlage, lg. Lungenwurzel, bd. primäre Pankreasanlage , vd. Vordarm,
x. Stelle, von wo er sich nach rechts zum Uebergange in den Mitteldarm wendet,
1. Leber, g. Gallenblase, md. Mitteldarm, hd. Hinterdarm, af. Afterdarm, shd.
Schwanzdarm, gh. M. genio - hyoideus , s'. Zungenbein, h. Herzkammer mit
Andeutungen einer Theilung (die eine Scheidewand ist irrthümlich als nach aussen
offene Falte, statt ebenso wie die gegenüberstehende solide Leiste wiedergegeben),
ba. Bulbus arteriosus, sv. Venensack mit einem Theil des Vorhofs, d. Anlage des
Zwerchfells zwischen der Perikardialhöhle p' und der erst spaltförmigen Bauch-
höhle, ax. Axenstrang des Darmblattes mit seinen Fortsätzen, ms. Gekröse, am.
A. mesenterica, a. Aorta, n. Nierenanlagen, gd. Anlagen der Genitaldrüsen,
ds. Blutbildungsheerde.
Fig. 373. Frontaldurchschnitt der Vordarm gegend einer
etwas älteren Larve, h. Herz, p'. Perikardialhöhle, p". Bauchhöhle,
d. Zwerchfell, 1. Leber, 1'. Lebergang, bd. primäre Pankreasanlage, bd'. sekundärer
Pankreasgang, vd. Vordarm (Duodenum, dessen Lichtung in dem vorliegenden
Präparate durch eine quere Darmblattwand getheilt erscheint), vp. Pfortader
(Dotterdarmvene), md. primäre Mitteldarmlichtung, md'. durch die Auflösung des
Nahrungsdotters entstehende Räume, welche in der Folge jene Lichtung ver-
grössern.
Fig. 374. Lebernetz mit den Leberbalken lb und den Gallen-
gängen gg, v. seröser Ueberzug der Leber (Visceralblatt) , vv. Anlagen der
Lebergefässe.
Fig. 375. Theil des hinteren Endes einer Nierenanlage aus dem
Anfange der 2. Larvenperiode, u. Urnierengang, n. gewundener Nieren-
schlauch, n'. primitive Harnkanalkapsel, g. Anlage eines Gefässknäuels, gl. Anlage
einer Geschlechtsdrüse.
Fig. 376. Querdurchschnitt einer Larve aus dem Anfange der
2. Periode, vd. Vordarm (Magen), md. Mitteldarm (das Gekröse der einzelnen
Schlingen war im Durchschnitte nicht erhalten), 1. Leber , gb. Bauchspeicheldrüse,
vc. linke Stammvene , vc'. die rechte Stammvene , welche in das Gekröse jener
Erklärung der Abbildungen. 955
Drüsen den absteigenden Hohlvenenabschnitt entsendet, a. Aorta, entsendet in das
Darmgekröse die A. mesenterica am, lg. Lunge, am Gekröse befestigt, e. Anlage
der Milz, u. Urnierengang, n. Nierenanlagen.
Fig. 377. Eingeweide, Skelet und Gefässstämme einer Larve
am Schlüsse der 1. Periode, aus den aufeinander folgenden Sagittal-
durchschnitten zusammengesetzt. Bezeichnung auf Taf. XXII. vh. vh'.
Vorderhirn mit der Zirbel z , mh. hh. Mittel-, Hinterhirn , m. Rückenmark , ng. ng'.
Nasenhöhle, a. Auge, gb. Ohrbläschen, isn. asn. innere und äussere Portion des
GAssERSchen Nervenknotens (1. Kopfsegment), asn'. N. facialis (2. Kopfsegment),
asn". N. glosso-pharyngeus (3. Kopfsegment) , asn'". der 3 theilige Vagus (4. Kopf-
segment), w. Wirbelsaite, wb. 1. Wirbelbogen, gf. Schläfenflügelknorpel, op. Joch-
fortsatz des Quadratbeins, asc'. Unterkieferknorpel, s'. grosses Zungenbeinhorn, lg.
linke Lunge, abgeschnitten, lg', rechte Lunge, o. Speiseröhre, vd. Duodenum; der
zwischen diesen beiden Darmtheilen an der linken Seite hinabziehende Magen wurde
fortgelassen, daher jene Darmstücke durchschnitten dargestellt sind, 1. Leber, c'.
Lebergang, gl. Gallenblase, bd. Pankreas mit dem primären hinteren und dem sekun-
dären Ausführungsgange bd', ms. rechtes Lebergekröse, nur theilweise dargestellt,
ms'. Darmgekröse ebenso dargestellt, p'. Perikardialhöhle, p". Bauchhöhle, d. Zwerch-
fell , md. Mitteldarm mit der Dotterzellenmasse , hd. Hinterdarm , af. Afterdarm,
sd. Schwanzdarm , u. Urnierengänge (abgeschnitten) , gd. Anlage der Genitaldrüse,
h. Herzkammer, h. Vorhof des Herzens, ba. Bulbus arteriosus, ab. Gefässbogen des
Zungenbeinbogens, al. A. lingualis, ab', ab". 1. und 2. Aortenbogen, ab'". 3.
Aortenbogen, eigentlich Wurzel der Pulmonalarterie ap mit Ductus Botalli,
ab"". 2. Pulmonalast, ac. A. carotis, am. A. temporo-maxillaris , rc. Verbindung
der Carotis zur Basilararterie abs , av. A. vertebralis , aw. Aortenwurzel , a. Aorta,
ams. A. mesenterica, sv. Venensack, de. Ductus Cüvieei, vc. linke Stammvene (abge-
schnitten), vc'. rechte Stammvene, beide stossen weiter rückwärts zusammen
(vc, irrthümlich statt vc"), c. absteigendes Stück der Hohlvene, lv. Lungenvene,
vhp. Lebervenen, vp. Pfortader mit ihren Wurzeln, vj. V. jugularis communis, vj'.
V. jugularis inferior, hinter dem Vagusstamm aus der inneren und äusseren
Drosselvene zusammenfiiessend, dv. Dottergefässnetz (schematisch).
Fig. 378. Definitive Umbildung der Aortenbögen, a. gemeinsame
Wurzel am Bulbus arteriosus, ab'. 1. Aortenbogen oder Wurzel der Carotis ac,
ab. Wurzel der A. lingualis, cd. Karotidendrüse, c. obliterirter Uebergang des
1. Aortenbogens in die Aortenwurzel, ab". 2. Aortenbogen oder Anfang der
Aortenwurzel aw, ab'". 3. Aortenbogen oder Wurzel der Pulmonalis ap, ax. A. cutanea.
Fig. 379. Herz und Leber einer jungen Unke mit ihren Gefässen
von vorn und unten gesehen. 1. Leber, gb. Gallenblase, h. Herzkammer,
956 Erklärung der Abbildungen.
h'. k". Herzogen, ba. Bulbus arteriosus, ab. Arterienstämme, c. V. cava, de.
Ductus Cuvieri der rechten Seite, vj'. V. jugularis inferior, v. Herzvene, va. Bauch-
vene, vp. linker Pfortaderast.
Fig. 380. Die Nieren mit ihrem Pfortadersystem von einer ein-
jährigen Unke. n. Nieren, u. Urnierengang, u'. Zusammenfluss beider Urnieren-
gänge, aw. Aortenwurzel, am. A. mesenterica, a. Aorta, ai. A. iliaca, acr. A. cruralis,
ah. A. hypogastrica , ae. A. epigastrica , vc. Urnierentheil der linken Stammvene,
vc'. derselbe Theil der rechten Stammvene, c. Hohlvene, vc". hinterste Abschnitte
der Stammvenen, vc"'. Schwanzvene, vi. V. iliaca, vcr. V. cruralis, vh. V. hypo-
gastrica, ve. V. epigastrica, vu. Harnblasenvene, va. Bauchvene, vJ. JACOBSON'sche
Vene, vv. vv'. hintere Wirbelvenen.
Tafel XXII.
Fig. 381. Vier Seitenansichten (a. b. c. d.) der sich entwickelnden
Ur niere. u. Urniere, ug. Urnierengang, sp. Bauchhöhlenmündung der Urniere,
alsbald dreigetheilt (sp. sp'. sp").
Fig. 382. 383. Querdurchschnitte von Forellenembryonen, die
Entwickelung der Kopfniere betreffend, r. Rückenmark, w. Wirbelsaite,
is. Muskelplatte, is'. inneres Segmentblatt, as. äussere Segmentschicht, ug. Urnieren-
gang, gk. Anlage des Gefässknäuels, v. Visceralblatt, g. Gekrösefalte, d. Darmblatt,
a. Aorta, ax. Axenstrang des Darmblattes.
Die übrigen Abbildungen dieser Tafel sind Umrisszeichnungen der mit den-
selben Zahlen bezeichneten Figuren auf den Taf. XVIII, XIX, XXI.
Alphabetisches Inhaltsverzeichniss,
Die römischen Zahlen bezeichnen die Kapitel, die anderen die Seiten.
Abschnürung des Embryo 245. G95.
— des Darmkanals 777. 778.
Adergeflecht 294. 296.
After 677.
Afterdarm 264. 810.
Anpassung 657. 892. 893. 895.
Aorta 499. 539. 540. 755. 758. 775. 826. 827.
Aortenbögen 499. 679. 752—758, der Fische
und Amnioten 783—785.
Aortenwurzel 753. 755. 758.
Arteria basilaris 753. 756.
— carotis 631. 753. 755. 757. 758. 784.
— cutanea 758.
— iliaca 758. 761.
— lingualis 757.
— mesenterica 758.
— ophthalmica 755.
— pulmonalis 754. 758. 784.
— spinalis inferior 756.
— subclavia 758.
— temporo-maxillaris 757.
— vertebralis 753. 756. 758.
Athmung 754. 755.
Auge 323—328. 332.
Augenblase 172. 323. 324, der Teleostier
187. 188.
Augenmuskeln 463. 625-627. 630. 631.
Augenmuskelkanal 728.
Augenmuskelnerven im allgem. 718. 721.
Augenspalte 324.
Axenplatte 156—176, der übrigen Wirbel-
thiere 177-188. 796. 797.
Axenstrang des Darmblattes 269. 270. 775.
— des mittleren Keimblattes 156. 198.
Axenstreif (Primitivstreif) 176. 181—184.
Basispheuoid der Teleostier 728.
Bauchfell 811. 828.
Bauchhöhle s. Pleuroperitonealhöhle.
Bauchmuskel, äusserer s. Musculus oblicpjus
externus.
— mittlerer 464—468. 476. 477. 609, der
Fische und Amnioten 606—608. 610—612.
— innerer s. Musculus transversus.
Bauchrippe 467. 471. 618.
Bauchspeicheldrüse s. Pankreas.
Beckengürtel 473. 474. 478.
Befruchtung 49. 82. 83. 845. 852.
Bildungsgewebe, interstitielles 359. 372.
490—528. 535-537. 542. 555. 872. 874.
Bindegewebe 518—526. 530. 546-550.
Bindesubstanz 517. 527. 547. 548.
Blut 495. £00—503. 507. 538. 770. 812, der
übrigen Wirbelthiere 536. 538. 539. 541.
773. 787. 788, s. ferner Blutzellen, Kreis-
lauf.
Blutgefässe 498 — 516. 536. 537-545. 781.
958
Alphabetisches Inhaltsverzeichiiiss.
782, primäre 498—504. 539. 541 , sekundäre
505—511. 542-545.
Blutzellen 497. 498. 500. 511. 550. 770. 812.
Brustbein 471—473. 617-619.
Brustregion 797. 817.
Bulbus arteriosus 748. 751.
Centralnervensystem 177. 178. V , der
Knochentische 184 — 187 ; Histiogenese
dess. 275—280; Hüllen dess. 298. 374. 375.
403. 533. 534 ; Gefässe dess. 527 ; s. ferner
Hirn, Rückenmark.
Chordaknopf 696. 697.
Chordascheide s. Wirbelsaite.
Cutis s. Unterhaut.
Dammuskeln 609. 610. 612.
Darmblatt 131. 247. 260—270. 552. 560. 561.
564. 565. 683. 766. 789. 797. 811. 813.
Darmdottergang s. Darmnabel.
Darmhöhle, Darmkanal 129. 218-221.
260—270. 494. XI, der Teleostier und
Amnioten 777. 816 — 818; Histiogenese
dess. 789. 790. 811. 815; s. ferner Kopf-,
Vor-, Vorder-, Mittel-, Hinter-, After-,
Schwanzdarm.
Darmnabel 779. 796. 808. 816.
Darmrinne 264.
Darmschlussfalten 777—779. 816.
Darmvenen 766. 767.
Darwinismus 890—897.
Deckschicht d. primärenKeimschicht 124.155.
Descendenztheorie 888—890.
Domfortsätze, obere 421, untere 431.
Dotterbildungszellen 497. 498. 505.
Dotterdarmvenen 500. 538. 539. 747. 766. 781.
Dottergefässe 536. 538—541. 746. 766. 781.
Dotterpfropf 126. 132.
Dottersack 245. 808. 816.
Dottertheilung II, bei Fischen 106—108, bei
Amnioten 108—110, bei niederen Thieren
850-854. 862; Theorie ders. 78 u. flg. 842.
Dottervenen s. Dotterdarmvenen.
Dotterzellen 64. 71. 103. 123. 249.
Dotterzellenmasse 144. 260. 264. 265. 789. 808.
811.
Ductus Botalli 754. 758. 784.
Ductus choledochus 805. 806.
— Cuvieri 765. 768. 786.
— cysticus 805. 806.
— hepaticus 798. 805. 806.
— venosus Arantii 787.
Dünndarm 810.
Duodenum 798.
Ei, Bildung dess. 10—31. 35—37. 555. 571.
832—834 , holo- und meroblastische Eier
108. 143—145, Ei der Protozoen 845-851,
der Metazoen 851—855, Bedeutung dess.
30-35. 75. 77. 842. 861.
Eierstock 10-18. 20. 22. 26. 27. 32. 831—
834. 838-840.
Eingeweidenervensystem s. Nervus sympa-
thicus.
Ektoderm 809. 864.
Embryonalzellen 64. 71. 103. 123. 126 u. flg.
241. 249. 492. 557.
Endocardium 747. 752. 776. 779. 780.
Endothel 521. 550.
Entoderm 809. 864.
Entwickelung, allgemeine 97 — 105. 139 — 145.
239 — 257. 260—262. 267. 494. 495. 503.
551-575. 593 — 597. 703. 723-725. 740.
742. 797. 813. 814. 842—845. 856 — 858.
862—887; Bedeutung ders. 574. 588. 603.
604. 843. 845.
— der ersten Organismen 899. ,,
Episternum 472. 474. 618. 619.
Epithel 550. 560. 561. 564.
Extremitäten s. Gliedmassen.
Fettkörper 831.
Flügelbeinknorpel 655. 660. 661.
Flügelgaumenbogen 733. 736. 737.
Flügelgaumenplatte 640. 641. 650.
Formgesetz 249—252. 570. 573. 574. 586—
591. 596—598. 602—604. 773. 782. 843.
844. 849-851. 862. 886.
Gallenblase 806.
Gallenkanäle 805.
Ganglienzellen s. Nervenzellen.
Ganglion Gasseri 623. 625. 635.
Gastrula 144. 145. 809. 858—861. 864—870.
Gastroduodenalbogen 799. 809. 810.
Alphabetisches Inhaltsverzeichniss.
959
Gaumen, harter 659. 697. 701.
Gaunienbeinknorpel 655, s. Flügelgaumen-
bogen.
Gaumenbogen 655. 658. 659.
Gaumenleiste 568. 655. 658. 659. 701.
Gaumenspalte 655.
Gefässbogen, cerebraler 756. 783. 784.
— des Zungenbeinbogens 756. 757. 783.
784.
Gelasse s. Blut-, Lymphgefässe.
Gefässwand 504. 505. 512. 519. 543.
Gehörknöchelchen der Reptilien 737.
Gehörorgan 172. 328. 329. b66. 633, der
Teleostier 188. 333.
Gekröse 799. 801. 803. 810. 826.
Gekrösefalte 213. 799. 824.
Geruchsorgan 172. 329—331, der Teleostier
188, der Cyklostomen 318. 319. 335, s.
ferner Nasenhöhle.
Geruchsplatte 172. 329.
Geschlecht, Entstehung dess. 832.
Geschlechtsorgane I. 828. 831 — 834. 839.
840.
Gesichtsfortsatz, lateraler 635. 641. 643 —
648. 650. 691. 692, der Säuger 700. 701.
— medialer 644—648. 691, der Säuger
700. 701.
Gesichtstheil des Vorderkopfs 641 — 656.
658-660. 727—732.
Gewebe, Formwerth ders. 597—605.
Glaskörper 324. 328. 525. 549.
Gliedmassen 215. 231. 236. 468-474. 615—
619.
Gräten der Teleostier 435.
Grenzfalte des Vorderdarms 220. 745.
Grundschicht der primären Keimschicht
124. 154.
Haftorgane 204. 642. 657.
Hals 797.
Halsdrüse 669. 678. 682.
Halsmuskeln 608. 611. 612.
Harnblase 811.
Harnkanälchen 829.
Hermaphroditismus 838—840.
Herz 501. 746—752. 776—783.
Herzkammer 751.
Herzraum 220. 224. 745 — 749, s. ferner
Perikardialsack.
Herzthätigkeit 770—774.
Herzvene 769.
Hinterdarm 263. 810. 822.
Hinterhirn 282. 296.
Hinterkopf 216—225. 662-683. 705.
Hirn 166—172. 179. 280—319 , kleines Hirn
296. 304. 313, gross. H. 293. 308. 313, H. d.
Fische 305. 308 , der Säuger 730; Histio-
genese desH. 297. 298, Architektonik dess.
299 — 313, Einfluss dess. auf andere Theile
692. 695. 700. 703. 728. 730. 740. 742. 797.
884. 885.
Hirnanhang 288. 289. 317-319. 641.696.
Hirnbalken 314.
Hirnbläschen, primitive 299. 300. 303. 306.
307. 684.
Hirnhäute 298. 507.
Hirnplatte 166 u. flg.
Histiogenese, allgemeine s. Entwickelung.
Hoden 831-834. 837-840.
Hohlvene s. Vena cava.
Homologie 610. 611. 706. 732. 795. 858-861.
Hornhaut 328. 525.
Hornlippen 651—653. 658.
Hyomandibulare 712. 733-736.
Hyposternum 472. 474. 618. 619.
Jacobsonsches Organ 654.
Individualität 575. 595—597. 604. 878. 889.
Intercellularsubstanz 548. 549.
Interkostalmuskeln 460. 608. 610-612.
Interorbitalwand 728. 729. 731.
Interstitialflüssigkeit 493 — 495. 500. 503.
773. 787.
Intervertebralwulst 383-386. 390. 394. 395.
407. 408. 411. 412. 414. 416.
Jochbogen, oberer 641. 660, unterer 659.
Jochfortsatz 640. 641. 660.
Kapillaren s. sekundäre Blutgefässe.
Kehlkopf 672.^80. 682. 793. 794.
Kehlsäcke 682. 793.
Keilbeinflügel 709. 710. 713—715.
Keim 108. 130. 132, der Wirbelthiere über-
960
Alphabetisches InhaltsverzeichniBS.
haupt 143—145, der Amnioten 554 — 557,
der Säuger 866.
Keimblase 145. 809. 863.
Keimblätter III, oberes K. 132. 140-142.
147-188. 551-553, mittleres K. 132. 142.
188—229. 683, mediane Lücke dess. 207.
693. 697. 698. 745, unteres K. s. Darm-
blatt.
Keimblättertheorie 133—142. 188-192. 229
—257. 551—566. 858—861. 864-874.
Keimhöhle 122. 129. 130. 269. 493.
Keimschicht, primäre 123 u. flg., sekundäre
127.
Kern der Zellen 63. 64. 68-71. 99—103.
594. 600, der Protozoen 846. 850. 851, s.
ferner Kernkeime, Dottertheilung.
Kernkeime 61 u. flg. 99. 853.
Kieferapparat 662. 686. 690-692. 703. 742. 790.
Kieferdrüse 654.
Kiefersuspensorium 637. 639. 660-662. 691.
732—738.
Kiefertheil des Vorderkopfs 226. 228. 641.
642. 690—692. 742.
Kiemen 567. 568, äussere K. 675-677. 681,
der Fische 738. 741; innere K. 677-682.
738. 742. 790, der Cyklostomen und des
Amphioxus 739. 743.
Kiemenapparat 669 — 672. 674—682, der
Fische 738-744.
Kiemenbögen 224. 669-672. 674-683.
725-727.
Kiemendeckel 676. 687. 688 , der Amnioten
696, der Fische 735. 738.
Kiemenknorpel 674. 679. 726. 741. 752. 790.
Kiemenmuskeln 670—672.
Kiemensack, äusserer 676. 677. 689.
Kloake 811.
Knochenbilduug 379. 380. 385. 388. 395. 471.
518. 547.
Knorpelbildung 361. 367-371. 377. 436.
437. 517.
Kopf 203. 208. 216— 229. 262.Lt,d. Amphibien
überhaupt 684-692. 703. 704, der Cyklo-
stomen 692. 704. 705, der Teleostier 693—
695. 703. 705, der Amnioten 695—703, des
Amphioxus 739. 741—744, im allgemeinen
620-622, 683. 703—711. 739-744.
Kopfbeuge 169. 204. 625. 683. 684. 697.
731. 740.
Kopfdarm 221. 262. 690. 789. 790, der
Teleostier 694, der Amnioten 698—704.
Kopfnerven, Bedeutung ders. 718—723. 739.
Kreislauf des Blutes 513 — 516. 753-757.
770-774.
Kreuzbein 618.
Larvenmetamorphose im allgemeinen 656.
657. 689.
Leben, Begriff, Entstehung, Ursachen dess.
33. 34. 574. 581-604. 842. 843.
Lebenskeime 51 u. flg. 82. 87. 92. 98.
Leber 746-750. 767—770 792. 796-798.
800-806.814. 815, der Teleostier 817, der
Amnioten 818.
Lebergekröse 802. 803. 818.
Lebernetz 804. 805. 815.
Leberstiel, primitiver 798. 805. 806. 807.
Leibeshöhle 873.
Ligamentum hepato - gastro - duodenale s.
kleines Netz.
— Suspensorium hepatis 768. 769. 801.
Linse 327. 332-334.
Lippenknorpel 725. 727. 731. 739.
Lobi olfactorii 313. 314.
Lungen 744.748. 749. 754. 793—796.802.815.
Luugendarm 792. 793.
Lymphgefässe 513-516. 524. 525. 546. 774.
775. 812.
Lymphherzen 762. 775.
Magen 798. 803.
Magenleberdarm 799. 809. 810.
Mastdarm 811.
Meckelscher Knorpel 736.
Medullarfurche 161 u. flg. 169.
Medullarplatte 158—163. 173.
Membrana reuniens superior 211.373. 374.
491. 644, inferior 492.
Mesenterium 810.
Metameren s. Segmente -
Metamerenbildung (Segmentirung) 246. 723.
—725. 739.
Alphabetisches Inhaltsverzeichniss.
901
Milz 812. 813.
Mitteldarm 261. 263-2G7. 808-810.
Mittelhirn 282. 284-280.
Mittelplatte 819.
Mundbucht 227. 637. 642. 647. 648. 651. 691.
692.
Mundhöhle 221. 227. 228. 636. 651. 653. 666.
669. 691. 790.
Mundöffnung 651-653. 661. 687. 691, der
Cyklostomen 662. 691, der Teleostier 694.
Muskeln, Histiogenese ders.419 — 454. 462—
464. 473. 528—530.
Musculi constrictores labiorum 650 — 653.
658. 687, der Säuger 701.
Musculus depressor mandibulae 640. 652.
661. 665. 680. 687.
— depressor ossis hyoidei 640. 653. 665.
680. 687.
— genio-glossus 669.
— genio-hyoideus 465 — 468. 609. 610.
612. 613. 638. 652. 661 682. 723.
— hyo-glossus 669. 682.
— ileo-lumbaris(M.quadratus lumborum)
473. 611. 612.
— ischio-coccygeus 467. 609. 610.
— levator ossis hyoidei 640. 653. 666.
680. 687.
masseter 636. 638. 640. 653. 660.
— obliqüus abdominis externus 474. 478.
606. 610—613.
— obliqüus abdominis internus 476. 478.
610. 612. 613.
— omo-hyoideus 468. 474.
— pterygoideus636. 638.640. 653. 661.687.
— quadratus lumborum s. M. ileo-lum-
baris.
— rectus abdominis 467. 477. 478. 609—
612.
— retrahens maxillae superioris 649.
653. 658.
scapulo-mastoideus s. M. sterno-cleido-
mastoideus 470.471.474. 478.609.6*10. 612.
— sterno-hyoideus 465—468. 609—611.
613. 723.
subhyoideus 666. 667. 682. 687.
Goette , Entwickelungsges'chichte.
Musculus submaxillaris 667. 668. 682. 687.
— submentalis 637. 638. 652. 687.
— temporalis 633. 636. 638. 639. 648.
653. 658. 661. 687.
— transversus abdominis 475. 476. 610.
612. 613.
Nahrungsdotter 108. 143. 144. 778, der übri-
gen Wirbelthiere 788. 808 809.
Nasenbeine 660.
Nasengrube, Nasenhöhle 330. 642. 646. 647.
654. 655. 658. 659.
Nasenknorpel 654. 688.
Nasenplatte, seitliche 330. 646.
Nasenscheidewand 649. 654. 688. 696. 728.
729. 731.
Nerven der Extremitäten 487—488.
Nervenfasern 482-485. 516. 530—532.
Nervenscheide 519.
Nervenzellen 480. 481.
Nervus abducens 628. 632.
— acusticus 664. 720—722.
— coccygeus 488.
facialis 632. 633. 664. 665. 718. 721,
der Fische 735.
— glosso-pharyngeus 670. 682. 718. 722.
— hypoglossus 486. 682. 722. -723.
— lateralis des Bauches 672. 673, des
Kückens 457. 672. 673. 718. 719, des Vor-
derkopfs 628. 672. 719. 721.
— maxillaris inferior, superior 632. 633.
635-637. 718.721.
nasalis 627-629. 632.641.655.718. 721.
— oculomotorius 628. 629.
— olfactorius 295. 331. 630. 719. 720.
— ophthalmicus s. Nervus nasalis.
— opticus 287. 323. 622. 719. 720.
palatinus 632. 664. 665. 718. 721.
— sympathicus 489.
— trochlearis 628.
— vagus 460. 671-673. 682. 718. 722.
Netz, kleines 800. 801.
Netzbeutel 801. 818.
Netzhaut 298. 325—328.
Niere 761. 763. S28-831. 834-837, der
Teleostier und Amnioten 836—837.
Gl
962
Alphabetisches Inhaltsverzeichniss.
Oberhaut 158. 246.
Oberkiefer 652. 653. 658. 659.
Oberkieferfortsatz 643. 696. 697, der Amnio-
ten 701. 702.
Oberkieferknorpel, -knochen 649. 658. 659.
68S, der Teleostier 731.
Oberkieferwillst 227. 228. 642. 643. 645.
Occipitalgelenk 390. 391.
Ohr, Ohrbläschen s. Gehörorgan.
Operkularkieme 735. 741.
Orbitalflügelknorpel 633. 634. 711 713. 715,
s. ferner Keilbeinflügel.
Os intermaxillare , maxillare s. Zwischen-,
Oberkieferknochen.
Palatinum 733, s. Gaumenbeinknorpel.
Pankreas 798. 799. 801. 806-808. 815.
Pankreasdarm 799. 809.
Pankreasgänge 798. 801. 805-807.
Parasphenoid 365. 728.
Parietalblatt 215, vgl. Perikardial sack , Ur-
niere, Bauchfell u. s. w.
Paukenhöhle 678. 689. 743.
Pericardium 752.
Perikardialhöhle,-sack 746. 748-751. 776.
791. 792. 796 797. 816, der Teleostier 777.
778. 786. 817.
Perioden der Entwickelung 147.
Phylogenese 739-744. 782. 856-858. 861.
887 und flg.
Pigmentzellen des Bindegewebes 521—523.
Pleurahöhle 792. 795. 796. 802. 803.
Pleuroperitonealhöhle746.776. 792. 795. 816.
823.
Plexus brachialis 487. 619. 722.
— ischiadicus 4^7. 488. 619.
Praesphenoid 729. 730.
Primitivstreif s. Axenstreif.
Primordialkranium, häutiges 43 J. 685.699.
717, knorpeliges 716—717. 743.
Promorphologie 887.
Protoplasmatheorie 591—593.
Pterygoid 660. 661, der Fische und Reptilien
733—738, s. ferner Flügelbeinknorp^l,
Flügelgaumenbogen.
Quadratbeinknorpel, Quadratum 639. 660.
der Fische und Reptilien 733—738.
Querfortsätze der Wirbel 381. 397—399.
425-435.
Quergliederung s. Mctamerenbildung.
Retroperitonealraum 491. 822.
Riechnerv s. Nervus olfactorius.
Riechnervenhügel 295. 313.
Rippen,-fortsätze der Wirbel 381. 397—399.
425-435. 618.
Rückenmark 158-164. 246. 275—280, Zu-
sammenhang dess. mit der Darmhöble 174.
176.
Rückenmarkshäute s. Centralnervensystem.
Rückenmuskeln s. Stammuskeln.
Rückenrinne 159. 167. 173.
Rückenwulst 161. 167. 170. 177.
Rudimentäre Organe 567.
Rusconische Oeffnung 125. 132. 174.
Sattelgrube 292. 360. 728. 729.
Schädel 367. 371. 372. 630-634.707-719,
der Neunaugen 704. 709. 711. 727. 730, der
Selachier707. 709. 715. 729, der Teleostier
709. 712. 727-729, der Reptilien 709. 713.
727—729, der Vögel 715. 728. 729, der
Säuger 709. 710. 715. 729. 730.
Schädelbalken, mittlerer (Rathke) 624. 700.
708. 756, seitliche 707. 708. 727.
Schädelbasis, hintere 360. 362—366. 629.
728, vordere 365. 367. 629. 630. 727.
Schädeldach 633. 634. 644. 711. 713.
Schädelwirbeltheorie 235. 435. 684. 685. 707.
716—718. 739.
Schilddrüse 666. 667.
Schläfenflügelknorpel632. 711. 712. 714. 715.
736. 737.
Schlundfalten 222-225. 247. 262. 609. 677.
678, der Teleostier 694. 734, im allgemeinen
723—725.
Schlundhöhle 221. 653. 680.
Schlundmuskeln 682.
Schultergürtel, Muskeln und Skelet dess.
470-473. 478. 616-619.
Schwanz 174. 175. 210. 231. 458. 490. 492.
526. 542. 616.
Alphabetisches Inhaltsverzeichniss.
963
Schwänzdarm 210. 231. 263. 514. 7(31. 771.
Schwanzflosse 810.
Schwanzmuskeln 608. 610-612.
Schwimmblase 817.
Sclerotica 328. 366. 654.
Segmentblatt, inneres 212. 373. 491. 534.
536. 539.
Segmente 202. 244. 256. 566. 740, des Kopfes
203—208. 216-229. 232. 235-238. 262.
IX, der Teleostier 694, der Amnioten 699;
des Rumpfes und Schwanzes 209—215.
230. 231. 234. 236. VIII.
Segmentiruug s. Metamerenbildung.
Segmentkern 212. 534.
Segmentplatten 199 u. flg.
Segmentschichten 212. 215. 461. 610, äussere
468—475. 534. 536.
Sehnenbildung 454. 525.
Sehnerv s. Nervus opticus.
Seitennerv s. Nervus lateralis.
Seitenorgane 331. 605. 672. 673.
Seitenplatte 199. 256. 789, des Kopfes 221-
226. 232. 236. 674. 743. 745. 789, des Rum-
pfes und Schwanzes 210-215. 230. 231.
791.
Seitenrumpfmuskel 607. 610-612.
Selektionstheorie 890-892.
Sinnesblatt s. oberes Keimblatt.
Sinnesorgane 179. 333-335. 563. 565.
Sinnesplatte 166. 168. 172, der Teleostier
180. 187.
Sinus venosus s. Venensack.
Situs viscerum 750. 799. 885.
Skeletbildende Schicht 403. 415. 417. 428.
429. 707.
Speiseröhre 793. 803.
Spinalganglien 373. 374.479—482. 532—535.
Spinalnerven 392. 466. 479-489. 532—535.
619.
Spritzloch der Selachier 735.
Spritzlochkieme 740. 741.
Stammplatte des Gesichts 649. 688. 730.731.
Stammskelet s. Wirbel.
Stammuskeln 381. 407. 428. 449. 455—460.
477. 610. 613-615. 663. 664, der Fische
605-608. 610. 611, der Amnioten 608—
610.
Stammvene s. Vena cardinalis.
Steissbein 391-393. 726.
Sternzellen 496. 510. 516. 526. 546.
Stimmritze 793.
Stirnfortsatz 642—644. 685. 696. 702.
Symplecticum 733 -735.
Teleologie 407. 575- 580.
Trigeminus 718 — 721, s. ferner die einzelnen
Vord erkopfnerven .
Tuba Eustachii 678.
Typisch, sekundär-typ. Theile 405. 427. 491.
568. 741. 783.
Typus, Begriff dess. 252-255, 423, T. der
Protozoen 584. 587. 588. 851, derMetazoen
877. und flg.
Umhüllungshaut 140—142.
Unterhaut 522—524. 546.
Unterkiefer 637. 638. 651-653. 660-662.
Unterkieferbogen 227. 228. 635-641. 660—
662. 666. 690—692. 725—727, der Fische
691. 734-736. 739, der Säuger 701.
Urniere 760. 763. 819-828. 834-837, der
Teleostier 825—827, der Amnioten 836.
837; Gefässknäuel der U. 823. 828. 835.
Urnierengang 821-823. 829-831. 834 - 837.
839.
Urogenitalfalte 824. 826. 828. 835. 836.
Urwirbel s. Segmente.
Vena abdominalis 765. 766. 768. 769.
— anonyma s. V. cava anterior.
— azygos 786.
— cardinalis 760-765. 774. 785. 822.
— caudalis 761. 762. 764. 774. 785.
— cava anterior 765, posterior 762—764.
769. 770. 785. 786. 802. 803. 818.
— epigastrica 766.
— hemiazygos 786.
— iliaca 761. 785.
Jacobsonii 764. 786.
jugularis communis, externa, interna
759. 760. 765.
— portae 768. 769.
— pulmonalis 769.
61*
964
Alphabetisches Inhaltsverzeichniss.
Vena subclavia 765.
— umbilicalis 766. 786.
Venae hepaticae 768. 770.
— omphalo-mesentericae 766. 779.
renales 763. 764. 785. 786.
vertebrales 758. 759. 762—764.
Venensack 748—751. 765. 766. 769.
Vererbung 892 und flg.
Visceralblatt 215. 538, vgl. Herz, Harn- und
Geschlechtsorgaue, Zwerchfell u. s. w.
Visceralbögen684-68(i. 690. 697. 702. 723—
727. 741.
Vom er 660.
Vordarm 221. 262. 748-750. 791-808. 815.
816.
Vorderdam 219. 261.
Vorderhirn 282. 286—206. 698.
Vorderkopf 225-229. 620-662, der Wirbel-
thiere überhaupt 703 — 705.
Vorhof des Herzens 751.
Wanderzellen 526. 527. 561.
Wirbelbildung im allgemeinen: der Amphi-
bien 403—415. 429, der Knochenfische
415 417, der Selachier und Cyklostomen
420-423, der Amnioten 417-420, der
Wirbelthiere überhaupt 423-425. 427. 723,
epichordale W. 388. 413, perichordale W.
393—397. 413. 414.
Wirbelbögeu des Kopfes 360. 390. 391. 435.
436. 624. 629-634. 648. 649. 707—719,
untere 725. 739; W. des Rumpfes 374-
382. 390. 406. 409. 415 -425, untere 397.
425.
Wirbelkörper 383 -397. 406. 409. 413. 415—
123. 723, Bänder und Gelenke derselben
387. 390. 412.
Wirbelsaite 156. 198.201.205.216. 234. 349-
357.372.373. 386-391. 395.456,Kopftheil
d.W. 359. 362 -365. 436, innere Scheide der
W. 353, äussere 357. 373. 377. 391. 403.
408. 412. 518; W. der Teleostier 415. 693.
der Amnioten 417. Bedeutung d.W. 399 —
402. 408.
Wirbeltheilung 418.
Zähne 790.
Zelle, Bildung im Eie 71—75. 103-105, Be-
deutung ders. 76. 592. 598-602.
Zellenkern s. Kern.
Zellentheorie s. Zelle.
Zirbel 283. 284. 304. 315. 316.
Zunge 331. 332. 335. 668. 669. 682. 790.
Zungenbein 689. 667. 674. 675. 681. 688. 794,
der Fische 734. 735, der Reptilien 737.
Zungenbeinbogen 224. 664-669. 725-727,
der Fische 735. 7o6. 740.
Zwerchfell 765. 796. 803.
Zwerchfellmuskeln 610. 612.
Zwischenhirn 294. 308. 309.
Zwischenkiefer 619. 658. 659. 688, der Teleo-
stier 731.
Zwischenwirbelbänder 380. 387. 390. 458.
711.
Dmckfeklerverzeichniss,
iite
136
Zeil.
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unten
lies
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oben
ii
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11
oben
ii
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oben
ii
57
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11
unten
ii
77
422
77
12
11
oben
ii
77
434
lies
durchweg
Selachier
77
468
Zeil.
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oben
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35
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ii
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11
ii
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11
11
ii
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6
11
oben
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77
569
37
10
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11
71
77
592
77
17
11
unten
11
77
603
77
5
11
oben
11
77
612
37
5
11
unten
11
37
632
37
16
11
n
11
7?
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77
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ii
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5
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ii
11
77
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77
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ii
11
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752
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11
ii
11
77
752
77
7
11
ii
11
71
785
und
787
Seitentitel lies
gefässstämme.
77
816
Zeile
von
unten
lies
37
853
77
3
17
ii
ii
bezeichnet statt bezeiehet.
Rückenmark statt Rückemark,
symmetrisch .statt ym metrisch.
Jlomologon statt Analogem.
des lateralen Segments statt der lateralen Segmente,
stützte statt stütze,
von statt vo.
jener statt jenen.
Individuums statt Individiums.
Endstücke statt Entstücke.
dachförmig statt dachrfömig.
sie statt die.
Ilasaltheil statt Besaltheil.
neun statt neue,
der statt des.
statt Salachier.
N. hypoglossus statt M. hypoglossus.
entsteht statt steht.
Dottervenen statt Dotternerven,
der statt den.
Oberfläche statt Oberhaut,
förmig statt örmig.
Zellenkonglomerat statt Zellenkonglomoral.
Gefässe statt Gelasse.
Zusammenhange statt Zasammenhange.
Jlirn platte statt Stirnplatte.
Wirbelanlage statt Wirbeanlage.
ausgefällt statt ausgefüllt,
vollständige statt vollsändigc.
Schneider statt Schneieer
Wand der statt Wand oder.
M. levator statt M. lavator.
uns statt nur.
Anurenlarven statt Auurenlarven.
Selachier statt Salachier.
ihnen statt ihr.
Kiemengerüste statt Kiemgerüste.
Darmblattdeeke statt Darmblattdeke.
X. Das Herz und das Gefässsystem statt 4. die Lymph-
sich zusammenzieht statt zusammenzieht.
begriffenen statt begriffene.
Berichtigung zur Anmerkung auf Seite 724.
Die vermisste bildliche Darstellung ist, wie ich nachträglich bemerke, in der Fig. 199 kenntlich
angedeutet.
LEIPZIG,
DRUCK VON GIESECKE & DEVBIBNT.
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