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herausgegeben t)on ber
iöierter S3anb:
Ptc ^ottfdjritte bet Pt)iromafiß feit ^aßtffon
voxne^md^ in Peuffd^fanb-^^ienetd^.
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tUlüttdiett unb 2txpiin*
!3)vurf unb SSerlag uon 'di Olbenbüurg.
1897.
5ie ^oxtfd^xitte
ber pipfomafiß feit ^aßiffon
»Ott
3lli($ard <2(ofenmttn5.
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9!mttfi^en unb L'eitijio«
2)ru(f unb SScrIag öon SR. Dlbcnbourg.
1897.
D
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€fitvi^ov K* \fon Biiktl
in öanfbarftem (Seöcnfen 5ugeet9nct.
238716
I^xrrltrxrrt
S)er 3:itel biefer ©c^rift becft, fo öermeine id^, i^ren
Sn^alt. Unb bodti fönnte er bei manchem Sefer ©martunßen
erroeden, toelc^e bie ©d^rift, i^rem S^tU nQd^, nid^t erfüllen
toiH. S)a]^er fc^eint eö angebracht, mit furjen SBorten ha^
nod^ ju betonen, bafe biefer SBeitrog jur (Sefd^id^te ber S)ipIo*
matif nic^t berid^ten foQ, maS btefe SBiffenf^aft auf i^ren ein*
jelnen gorfd^ung^gebieten ^eute bereite aU feften SBiffenöfd^afe
befifet , f onbern barsufteöen Derfuc^t , tnie bie Se^re üon ben
Urfunben ftd^ ate eine befonbere SBiffenfd^aft ju ber §5^e
enttnidtelt ^at, tnel^e fie feit nunmehr balb jmei Sal^rje^nten
einnimmt. Sei SerüdEfid^tigung biefer SBejd^ränhjng ber getnol)Iten
Slufgabe mirb ber Sefer tjon ben nadtjftel^enben 2lu^fu^rungen fieser
ni^t me^r erwarten, afö fie bieten !önnen, er wirb bann aber
auc^ um fü einbringli^ejc ju beurteilen t^ermögen , ob fie
bringen, tnaig fie bieten moHen.
?ßo))t)cUborf*S5onn, ben 3. 3uli 1897.
Äixfiatbr Ä^rjenmunli.
MlialWiftvititiini^.
Seite
1. ^Q\>\Ul S)om 3can gKabillon 1—21
SRaBiUonS menfd^üd^e unb tDtffenfc^aftlic^e $et«
fÖKli(J^feit @. 1. $Q))ebro4 ©. 9. ^abiaond de
re diplomatica libri VI. (5. 15—21.
2. Äat)it«I. S)ic 2)iJ)lomatif in grantteic^ Jcit ^Kabitton bt§ gut
aJlitte bcS 19. Sal^rl^unbertS 21—30
S>er nouveau trait^ diplomatique ©. 23. 3)aS
Cabinet des chartes @. 28. ^ie l^cole des
chartes @. 29.
3. ^a))ttel. ^ie ^i))tomattf in 2)eutfc4(anb {eit a^abillon bis
gu il^rcm «erfaß im Srnfang be« 19. gal^rl^unbcrtÄ 30-43
§crtiu« (S. 31. ecfarb; goac^im @. 31. 3)a§
Chronicon Gotwiceose @. 32. §euniann @. 33.
dJatterer @. 35. @d)önemann @. 39. 3)cr SScrfaQ
ber S>tplomatif (S. 40.
4. Äapitcl. Sol^ann griebttc^ »ö^mer 43-48
5. ^QpM. Äarl gricbricft ©tumjjf 48-57
6 StopM. St^cobor ©idel 57—72
SSilbungägang. ©icfel unb bic i^cole des chartes
@. 57. Sc^rcr am SSiencr 3nftitut für öfterreicftifcöe
®cf#(i^t§forfc^ung @. 59. 3)ip(omatlfd)c Slcfultatc
in ben erften l^iftorifcften SBer[u(^en: 5Biforiat ber
SJi^fonti. — fiejifon S^eroniauum ber ©öttroeiger
©tiftöbibliotl^et @. 60. @rftc ^Beiträge gur ^\pio^
motif @. 60. S)ic Acta regum et imperatorum
Karolinorum @. 61. 3)ie 9'ieuerftel^ung ber 2)ipIo*
matif ©. 69-72.
7. Äa^)itel. gortfegung 72—79
^ie Monumenta Germaniae historica unb bie
©erauSgobe ber beutfd^en Äaiferurfunben @. 72.
©idelS Programm @. 76. ©IdelS weitere SBewr
träge jur ©iplomatif @. 77.
X 3n]^alt8t)eraet4ni$.
©eite.
8. ÄapltcL Suliu» fjldcr 79-96
SBejie^ungen iu^ö^mer @.81. 9(ed)tSgiftoTif(^
Untetfuc^ungen mit aVefuItoten für bie ^it)Io«
matif. Sein Additamentam tertium gu $ö^
mer« 9lcöcften (1313—1357) @. 82. ©rflc ein»
fd)neibenbe SlefuUate für bie ^tplomatif @. 85.
3)ie SBeitrögf jur Urfunbenle^re ©. 86—89.
Sidel unb ^xdtt @. 92. ©idel unb t)on S^bef,
^aifentrfitnben in ^Ibbilbungen @. 93. griderd
Sleflcften be8 Äaiferreic^« (1198-1272).
9. ÄQpitel. ©einri* SBrunner 96—118
©ejie^ungen jtt ©tdel @. 97. S)ie SlB^anblung:
3cugen unb ÖnquifttionSbcmeiS im beutftftcn ®e*
ridjtÄOerfoljrfn terolingifdjer 3f^t. ©rgebniffe für
bie S)ipIomatif S. 99. SBeitere re(^t«^iftorif(^
5lrbfiten unb ibre Slefultote för bie Urfunbenwiffen»
fdjoft : SBort unb gorm im altfranjöfifc^cn ^ro^eft.
— (gntfle^nng ber ©(fimurgerit^te. — 2)o8 ®erid)t«*
jeugnid unb bie fränlifc^e ftönigSurfunbe. — S3ei«
tröge 5ur ©efc^icbte unb 2)ogmQtit ber 9S$ert))Q)>iere.
— Oarta unb Notitia @. 101—110. — S)ic
Slecbt^gefc^idbte ber rdmif^en unb germanifclbcn Ur«
funbe 6. 111 — 114. (S^efamtergebnid für bie
2)i))Iomatif @. 115—118.
10. S^Q3pM. mdhüd unb «tt«blid 118-125
3m Sa^rc 1664 bt^ah ^iäj Sodann SWabiDon, Scnebifttncr*
raörtd^ bon ber Kongregation bcig ^eiligen 3Kauru§, toon bcm
Älofter ©t. S)cnte nad^ ber Drbcn^abtct ©t. ©ermQm^bcö'^rcj^
in $ßart§. ©eine Oberen Ratten t^n gerufen, bafe er bem
altemben unb immer fc^on fränflid^en Sibltot^efar be^ Äloftcr«,
bem gelehrten Sufog b'Slc^er^ in feinem SImt unb in feinem
roiffenfc^aftlid^en ©c^affen jur ©eite trete. 5)'9[c^er^ aber lebte
unb toebte in großen toiffenfd^aftlici^en Unternehmungen, ©eit
e8 toor nunmehr balb ämanjig Sauren ben äRaurin^rn jur
innerften Überjeugung getnorben toar, bafe nic^t bie ftrengfte
Dbfertjanj ber ftrengften Siegel allein ben Drbenögenoffen bie
bauernbe innere @rt)ebung unb Sefriebigung fc^affen fönne, bte
fie befäl^igten in religiöfer Übung unb fittlic^em SBanbel ber
Sufeentoelt, toie fie in iftren Sagen toar, SSorbilb unb gfil^rer
ju fein, fonbem bafe für fol^ ^o^en 3^^^ ^i^ ^^^ Sebcn
nad^ ber reformierten Siegel eine reiche, ec^te toiffenfd^aftlic^e
©efd^äftigung in ben Ä(öftern öerbunben fein muffe, ba toar
3)'5lci^er^ unermfiblic!^ für biefe Drganifation be^ miffenfd^aft*
liefen Sebenö in ben äRaurinerftöftern t^ätig gemefen. (£r
t)erftanb eben ganj unb unterftügte tooQ bie $ßläne beS in
^ingebenber grömmigleit, toie an SBiffen unb SEßeiöl^eit glcid^
grofeen ®eneraloberen ber Kongregation ®regor ^iartffe, afö
ber in ben einselnen Orbem^proüinjen Unterrid^tSfurfe in ber
$^üofopI)ie unb S^eologie einrid^tete, Se^rbüc^er für ben
Unterrid^t terfaffen liefe unb überall bie ©tubien in ben
Älöflern beS Orbcn^ inS Seben rief, S)'?lc^er^ f^atU bamafö
iic 95i6Iiot^c! öon ©t. ®crmam*bci8^?ßrc8, bic er feit 1637
t)eriüaltete, fd)on gcorbnct, unb er ^ottc i^rcn ©cfi^ftanb
fccrcitö fo üerme^rt, bafe fic an §anbfd^rtftenfd^ä^cn alle anbcm
ÖiHtot^efen beö Drbcnö übertraf. 3)ann l^atte er ba« ^ßrogramm
bafür enttoorfen, toeld^e n)iffenfd^aftltc^en Slrbeiten öon bcn
CrbenSgenoffen gemeinfam in angriff ju nehmen feien. Unb
ate ba§ Drben§!apitel feinen gangen 5ßlan gebilligt ^atte, ber
itid^tg ©eringereg bejtoedtte, ote jugleic^ eine ©efc^id^te beö
S5enebifttnerorben§ unb eine fold^e ber engeren Kongregation
ber ü)?äuriner in großem Stil mit ben CueUenbelegen unb
^olumenten felbft ^erauiSjugeben, bie Seben ber DrbeniS^eiligen
in öeröffentlid^en unb bie t^eologifc^en n)ie bie profanen SBerle
ier bebeutenbften älteren Drbenögenoffen in hitifd^em Xejt ju
irudten, mar er mit einem feine Äräfte überanftrengenben (£ifer
on beffen aSermirHidjung herangegangen. @r toöl^Ite bie DrbcniS^
fcrfiber auö, bie fid^ biefen Slrbeitcn n)ibmen foHten, unb er
^eioann bai^ Sntereffe unb ben ^at ber gelel^rteften ^erfönlic^*
leiten granlreid^iS oufeerfialb be§ Drben^, etneö 3)u Sauge,
SJaluje, ber ©ebrüber be SBaloii^, eineö ^agi, Se Sointe,
IBignon, bann ?ßierre SWicole'ö öon ^ort Sio^al u. 31. für bie
'<Sad^e. 3)anad^ öeranlaßte er ein fpftematif^eö ©ud^en nad^
^anbfd^riftenfd^ägen in ben Drbenöflöftern inner* unb aufeerl^atb
i^ranfreid^g für jene S^^edEe. (£in mäd^tig antoad^fenber ^anb^*
jd^riftenlatalog über alle gunbe tourbe in ©t. ©ermaimbeS^^ßreiS
•angelegt, unb öiele toertüoUe ^anbfd^riften n)urben fogleic^
l)ier^in gebracht. Unb n)aö öon fold^en §anbfd^riftenfc^ä^en
tiid£|t in ben get)tonten S33er!en SBertoenbung finben fonnte,
-batjon gab b'2lc^er^, fot)ieI er öermo^te, burcft fein feit 1658
•crfd^einenbeg Spicilegium ber gelehrten SBelt fofort im S)rud£
^unbe. S)iefeg ®elef|rten ©el^ülfe lourbe alfo Sodann SDiabillou,
Unb feiten too^I fam ber paffenberc 3Kann an bie paffenbe
©teUe. 5)enn Sodann äKabiHon befafe alle ®aben be§ (Seifte«
itnb aDe ©igenfd^aften beö S^arafterö, um bie ©teile, ju ber
i^n 3)*2l(^er5 erioä^It ^atte, ganj auöjufüHen, unb öor 2lIIem
fcefä^igten i^n feine rein menfc^Iid^en ©igenfd^aften, bie gä^igfeit,
fic^ in bie Sbeen anberer einjuleben, feine natürlid^e greunbli^feit
3)om Scan «Äabillon. 3
tinb btc Suöcrififfigicit in bcr ©rfüHung übernommener 5ßfltd^ten
für tiefe Slrbcit mit 3)'?lcl)er^. —
Sodann SDJabiUon, ein JBauernfo^n au^ ber (S^ampagne,
fcamate (1664) jtoeiunbbreifeifl Saläre alt, toar öon Sugenb auf
t)Ott fd^tDäd&Iid^em Äörper unb t)on jartem ®emüt, ^rü^ aber
^atte er gelernt, ben ®eift über ben Äörper, ben 3BiUen über
bie unmittelbaren Srregungen eineö empfinblid^en ©emüteS
^errfd^en ju (offen. S)ie innerfte Steigung l^atte il^n ben
HKourinem jugefü^rt. Su ber ftrengften Befolgung ber ftrengen
Orbenöregelu l^atte er bie innere ©ottergebenl^eit gefunben, bie
•er fu(!^te, aber aud^ feine SBillenöfraft geftd^It, fo ba§ er bem
Körper 3trbeitgleiftungen abgewann, für bie er faum gefc^affen
jc^ien, unb fid^ in ben Siegungen feineig (Semütöleben^ ju einer
IRu^e ber (Smpfinbung unb einem ®Ieid^mafe ber ®efü^Ie er^ob,
bie feinem SSefen n)ie feinen SBorten in Siebe unb ©d^rift ben
^ugbrudE ^erjgeloinnenber greunblic^feit öerlie^en. 3Kan fü^It
f ^ feinen ©efpröd^en, bem Xon feiner ©riefe, ber S^ffung feiner
gelehrten ©d^riften unb ber Haltung feiner ©trettfd^riften
na^, bafe bie S)eöife feiner fiongregation : Pax für if)n ber
^ern feiner gefamten S)enfunggart geworben toar. Unb fein
lateinifc^er ©til offenbart überall bie Snmut eineig im freien
©piel feiner geiftigen Jhäfte bag emfte ?ßrobIem unb ben
^eftigften angriff mit Weiterer SRul^e löfenben ober abtoel^renben
HKanneig. Unb biefe ?ßerfönlid^feit toar !enntniöreic§ , eminent
fritifc^ beanlagt, eine burd^ unb burc^ loal^r^afte SRatur unb
jugleid^ loieber fetbftloö in ber Eingabe an feine Kongregation
unb für beten unb be^ DrbenS ©ebeifjen. @r tt)or in frommer
unb bemütiger O^finnung ganj ein 3Kpnd^ nad^ feiner Drbenö»
reget, unb bd feftem ©elbftbetoufetfein toieberum öon jener
IBefd^eiben^eit , bie ja l^eute nod^ bog (Srbteil ber loa^r^aft
flro&en ©ele^rten ift, toel^e i^re Seiftungen im ßi^fömmen^ange
it)rer SBiffenfc^aft betrad^ten, ermeffen, toa^ fie il^ren SSorgängern
t)erbanfen, überfd^auen, loag il^nen an ber erftrebten SBoCU
fommen^eit fel^It, unb in i^ren eignen ©rfolgen immer nur bog
IRefuItat ber ©efamtleiftung ber beften SSertreter i^rer Sii^siplin
^rbliden.
1»
4 <ihrfted BQpiUl
Utib bic befonberen flelc^rtcn Sletflüttgcn unb btc ticfftm
totffenfd^aftltd^en Sntcreffen biefcr cigcnotttflcn 5ßcrfönfid^feit nutt
toarcn ^iftorifd^ * antiquartfciöc , eben folc^c tote ©'Slc^cr^ fic
toünfc^en tnugte. Unb fte toaren eiS otö bie ganj unmittelbaren
äufeerunflen >er ctgentltc^n Segabung Wlabiüon^, Smmer
fd^on t)on jenen 3;agen an, too ÜÄabiUon fid^ für ben getftlic^eii
Beruf Vorbereitete, fjaiien bie natürlichen 9legungen feiner
befonberen SBegobung i^n öon ben rein t^eologifd^en ©tubien
für fromme ©rbauung, bogmatifc^e Sk\)xt unb übcrftnnlic^e
©|)e!uIation auf eine ^iftorifc^e Söetrad^tung unb äluffaffung.
beffen ^ingelenft, toaö in ben Ärei« feiner (Srfenntnti^ fam. Stuf
bem ÄoHegium unb ouf bcm ©eminar in Sielm^ Ratten boi^
Sllter ber ©tabt unb bie ©rinnerungen, toeld^e biefe ©tabt mit
ben erften Anfängen be§ frfinfif^en ©^riftentumö unb b©^
fränfifd&en Äönigtumö in SSerbinbung brachten, feinen ©inn
gefangen genommen. Unb toenn baö i^n mit SSere^rung öor
bem e^rtoürbigen älter beg 9leimfer Äirc^enft|e^ unb mit
Söetounberung für ba^ fo alte unb in feinen Ziagen fo erhabene
franjöfifd^e Königtum erfüllte, fo toedtte ei^ auc^ jugteid^ bie
Steigung, fid^ über biefe fo el)rtoürbige SSergangenl^eit ju belehren.
3luf einfamen ©pojiergängen im (Sic^entoalbe bei feinem ^eimat^-
borfe 5ßierremont, toot)in i^n jä^rlid^ bie gerienjeit führte, ba
maren e§ ©ebanfen religtöfer SJertiefung ober fpelulatiüer
®rl)ebung, toa^ i^n betoegte, aber toenn er bann bie Älöfter
ber Umgegenb befud^te, fa^ er fic^ mit ®ifer in ben §anb*^
fd)riften== unb SBüd^erfd^ä^en um. S)iefer ©inn unb biefe-
Steigungen enttoidEelten fi^ bei i^m meiter, aU er Sloöije tu
ber Slbtei beiS ^eiligen 9iemigiui8 getoorben; ber atte SBaui
belebte mit mächtigem ©inbrudE feine ^iftorifd^en Sntereffen^
3u 9?ogent bei ©oiffon^, too er in ber ©tiHe beö ab*'
gelegenen Sanbllofterö Teilung t)Dn einem unauf^örlic^ea
heftigen Äopfi'djmer} fud^en foKte, mürbe er au^ Sntereffe an.
ber aJergangen^eit biefeö uralten, nun verfallenen äKön^^fifeeö
Slltertümler, ber mit ©paten unb ^adt nad) 3e«gniffen ber
SSergangen^eit forfd^te. Unb in bem fo alten unb burc^ feine
®ef^ic^te toie burd^ feine 3ietiquien fo berühmten ßorbie, too-
2)om 3fan ^RabiUon. 6
fr bonad^ ciniflc 3al)rc ^inbur^ bte Ämter eine« ^förtnerg unb
^Imofenfpenbcr^ unb toeitcr be§ SBirtfc^aft^ unb ^an&\>tx^
toattcr« öerfo^, cr{)o6 fic§ fein liebeDoII in ber SSerflangentieit
toeilcnber ®eift fc^on ju ätoei ^^mnen auf bie ©tiftcrin be^
Älofter«, bte ^(. Königin SBat^ilbiö unb auf ben ^I. «balar,
ben ©tifier öon 9?eu^Sorbie in ©ac^fen.
3n ©t. 5Jeniö aber, lüo er bann al^ Äatecl)et, ^ßrebigcr
unb ©d^o^pter tf)&tx% toax, Ratten btefe ^iftorifdjcn Steigungen
ttoc^ n)eitere 3ni)>ulfe befontmen. $ier im' S^ational^eiligtum
t)er Äirc^e granlrei^i^ unb an ber SeflräbniSftätte feiner Äönige
erfüllte ftc^ fein @eift ganj mit SRudbliden auf bie Slircfte unb ba«
Königtum, bie beibe granfreic^ grofe gemacht, unb eine fd^on
längere SBefc^äftigung mit bem Seben unb ben Saaten beS ^eit.
Sern^arb, ber bie SÄad^t be§ franjöfifd^en Königtum^ mit
ben er^abenften Sbeen ber firc^Iic^en irbifc^en SBirffamfeit in
engfte SSerbinbung gebracht l^atte, öerbid^tete fic^ il^m ju bem
iptan einer Sfteu^erau^gabe feiner ©d^riften. SDZabiQon toar
alfo nac^ feiner pcrfö"nücl)en Snbiöibualität, wie nad^ feinen
tniffenfc^aftlic^en ®aben unb Sntereffen ganj ber ))affcnbe ®enoffe
für S)'?(c^er5§ 2;^dtigfeit. Unb anbererfeitS freilid^, fo werben
tüir aud^ fagen bürfen, luar biefe i^otig!eit afö ©'STd^er^ö
^e^ülfe l^ier in ©t. ®ermoin*beg*^reig, an biefem ÜKittelpunfte
ber gelehrten ©tubien ber äKauriner unb für biefe beftimmten
ißläne baö gelb, too äBabillon fo red^t eigentlid) l)inge^5rte,
um ber ju werben, ber er werben tonnte unb würbe. <^ier
fanb ÜWabidon SlUeö, toa^ er für feine eigenen gelef)rten SBünfc^e
fic^ an görberung nur erfe^nen fonnte. $ier ^oben fic§ nun
Dor i^m in fflarl^eit, aber au^ in i^rer anfpornenben äRöc^tigfeit
bie aufgaben t)erau§, bie ber ^ingebenben Arbeit feine« ganjen
iD?enfd)en würbig waren, ^ier war ba« SDiaterial öor^anben
ober t)on I)ier ai\^ war e« ju finben unb ju befi^affen, auf
bem fid^ SBerfe wie bie Acta Sanctorum ordinis Sancti
Benedict!, Annales ordinis Sancti Benedict!, Opera Sancti
Bemardi etc. wirf(id) aufbauen liefen, ^ier ftanb i^m in
'^'9ld)er5 ber ©c^öpfcr ber 5?IofterbibIiotl^eI , ber Renner i^rer
©d^äfee unb ber bereit« t)iet bewäl)rte Herausgeber al« Söerater,
6 @rM ^a))tte(.
I^ier traten t^m ^od^begabtc ©cnoffcn afe feine ©e^itfen jur
©ette. $ter empfinfl er btc enflfte, anbauembe, 6ele^renbe unl>
belebenbe SBerfl^rung mit ben größten ©elel^rten beiS bamaltgeti
5ßarii8 unb gronfreic^g. §ier an biefer §au<)tftätte bcr üWauriner^
fongregation, bie, toie fte eine ©ammelfteße ber ©ele^rten t)on
$arii^ tbar, fo aud^ t)on ber ©unft ber ©rogen beehrt unb-
öon ber ©onnc ber löniglid^en ®nabc befd^ienen n)urbe^
fanb fein eigenem ©d^affen bie öejte^ung ju ben gelehrten
Seftrcbungen feiten^ ßeitalterg fiberl^anpt. Unb jugleic^ crtoud^^
il^m öier baö 83en)u6tfein ber inneren ©n^eit jtoifd^en ber
SJcrgangen^eit, bie er erforfd^te, unb ber (Segentoart in Sirene
unb ©taat, toie er fie erlebte, unb bafe oud^ feine Arbeiten
bem 9iu^m beiS Äönigtumi^ toie bem Slnfel^en ber Äirc^e
bienten.
3)ie Senbenjen aber, toelc^e äRabiUon unb feine Orbeni^
genoffen bei i^ren toiffenfd^aftlidEien SSeftrebungen leiteten, bit
Slnfid^ten, bie ^ier über 2lufgabe, 3^^/ Slrt unb ®renjen i^rer
gorf^ungen galten unb üorerft äKabiUömS ganje $ßerfönlid^feit
felbft öer^inberten toieberum, bafe nid^t ber ®Ianj beä fiönig^
tumä bem gorfd^er bie Singen blenbete ober ber ^$om<) ber
Äird^e il)m bie ©inne trübte.
©0 aber entfaltete fid) benn SDJabiHong ®eniu8 l^ier ber
biefer arbeit in ©t. ®ermain*be«^5ßreg in feiner ganjen ©röfee
unb bie« erftaunlic^ fc^neD. S)oö 3a^r 1667 fa^ bereit« bie
neue ausgäbe ber SBerfe be« ^l Sern^arb öon ©lairöauj, ba«
3a^r 1668 ben erften ®anb ber Acta Sanctorum Ordini»
S. Benedicti, ouf bie ©efd^ic^te be« fed^ften Sa^rl^unbert« bejüg«^
lid^, bem bi« 1675 noc^ ein jtoelter unb britter ©anb, bie
Seb'en ber Drben8f|eitigen be« fiebenten unb achten Sa^r^unbert«
ent^altenb, folgten. 3m Sa^re 1675 erfd^ien auc^ fi^on ber
erfte 3;ei{ t)6n SKabiDon«: Vetera Analecta. — Unb mit
biefen SBerlen trat äKabidon al« ber ©rften einer unter bie
©elel^rten feiner Qtxt, unb feine ®enoffen in ©t. ®ermain»be«*
?ßre« erfannteu i^m fofort bie 3Keifterfd^aft unter i^nen ju.
Unb fie Ratten 9ie^t, i^n ju feiern. 3)enn äKabiöon jeigte
fid^ aUen in ber f)anb^abung ber ^iftorifc^en Äritif überlegen-
3)om Scan SO^JaBiflon. J
Unb kott arbeiten ja ^eute noc^ mit feiner ttu^gobe ber Opera.
S. Bernardi, unb toir fbnnen nod^ ^eute feine Acta Sanctorui»
ordinis S. Benedict! unb befonber^^ bie erften ©änbe mit iftrew
uicien Slufflärungen jur ffiird^en^ 5ßrofan^ unb Äulturflefd^td^te
bc8 fec^ften bi§ achten Sal^rl^unbert^ ni^t entbehren. äKabiüoni^
frittfd^er ®eift n)anbelte eben überall auf ben rid^tigen ffiegen,.
oh er nun bie ©d^riften bei^ 1^1. SBern^arb fti^tete ober t)on
ben 80 ^eiligen, bie im Drben, ate t^m fc^on im fed^ften 3a^r^
^unbert angel^örig, öeref)rt lüurben, 55 alö 9?ic^tbenebiftiner
nad^toieg, ober ob er bie älteften Urtunben jur ©efd^id^te öom
©t. S)eniö, toeld^e ber inadEere S)oubIet üeröffentttc^t l)atte, ate-
ed^te Dertoertete-
©eine Drben^genoffen freilid^ feierten i^n au^ nod^ an^
einem anbern ®runbe. ©ie rühmten i§n me^r noc^ ate toegem
ber SIrt feiner gorfc^ung toegen ber ®rgebniffe berfelben. ©ie
füllten ftc^ in biefer, nun fo n)iffenfd^aftn^ gefi^erten ©efc^i^te
i^reg Drbeni^ felbft geehrt ; fie tourben ftolg auf baö l^o^e Sllter
unb auf bie öon ?lnbeginn große SBirffamfeit i^reö OrbeniJ;:
unb fie erhoben fid^ baran ju bem SBetüufetfein bon feiner
©ebeutung für bie (Sefd^i^te be§ SlbenblanbeiS unb granfreid^d-
im SBefonbem. Unb toenn fie mit ben ©elel^rten in ?ßarii5 unt>
granfreic^ 9KabiQon ate ben großen fritif^en gorfd^er rühmten
unb in biefem feinem 9lul^m fic^ mitgee^rt füllten, fo erfüllten
fie fic^ uoä) mit ber befonberen SSerelirung für il^n ate ben
®cfc^id&tfc^reiber ber ©röfee unb beö 9iu^me§ i^re« Drben«.
greilid^ fehlte ei^ aud^ ni^t an ©egnern öon äKabiUon^
toiffenfc^aftli^en Seiftungen unb fotoo^I innerhalb beö Drbenö toit
aufeer^alb berfelben. gromme Siferer, bie ni^t« Don ber Äritif
oertoorfen toiffen »ollten, n)aö i^nenan berDrbenötrabition einmal
lieb geworben toar, tabelten fein fritifdEieö SSerfa^ren ate über*
trieben. Unb jenen ^^perfritifd^en gorfd^ern, bie aUe^ öertoarfen^
toai i^nen aud irgenb einem ganj beliebigen ®runbe irgenbn)ie Der«
bftc^tig erfd^ien, genügte n^ieberum feine n)iffenfc^aftlid^e firitif
nod^ lange nid^t. S3eiben ©ruppen Don ©egnern gegenüber toal^rte
ÜRabiüon aber fe^r gelaffen feine ©tellung. ®egen bie Änllagea
feiner übereifrigen Drbenögenoffen, toie etioa ^^ilipp ®aftibe^
S (irfted ttapiitl
t^ertetbigte 9RQ6tQon fein frittfc^ed SBerfa^ren tooi^l einntot mit
tintm, boitn berfi^mt flemorbencn fflricfc, 26. S)cj. 1668, in
lodd^cm er ftc§ bereit erflörte, ben SBormurf ber SSertoeflen^cit
Don einem Ungebtibcten im Sntercffe ber SBo^r^eit auf fid^ ffi
nehmen. 5)te fritifd^cn ©iferer aber, bte in einem fe^tenben
fünfte, in einem querliegenben ©iegel SBcrbac^töflrünbe gegen
eine Urfunbe fonben, bie baS 6ar6arifd)e Satein in ben alten
UWeron^ingcrurfunben in beö el)rlic^en S)oublet ©efc^ic^te wn
<Bt 3)eni«(1625) aU ein 3ci^^« fd)Iec^ter Kopien, bie er benagt,
ober gar qU öon S)oubIet, um feinen Urfunben ein fo l^o^eö
?nter ju öerlei^en, felbft erfunben erttärten, aDen biefen, bie
folc^e unb ät)nlic^e Ungel^euerlid^feiten au^fprac^en tote etnw
auc^ bie Unmöglid^feit behaupteten, bag fid^ fold^e angeblid^
Aber 1000 Sa^re alte Rapiere Ratten erl^alten fönnen, bie
tniberlegte SWabillon ftittfdiroeigenb burc^ feine Senugung ber
angefeinbeten ©tüdc. Senn er gebac^te ru^tg feinen fritifc^en
SBeg n)eiter ju ge^en unb war fern öon jeber Steigung jur
^olemif. Unb bod^ foHte er für feine Äritif ber Urfunben be«
fec^ften, fiebenten unb achten Sat)rl)unbert^ , toie fie bie brei
erften SSänbe ber Acta Sanctorum ordinis St. Benedicti
brarf)ten, ju einer ©treitfd^rift aU 3?erteibigung feiner ®runb*
fä|e unb feiner SRet^obe genötigt werben. @r f)at benn
freilid^ auc^ biefe ganj in feiner Slrt unb fo, loie nur eben er
fie öerfaffen fonnte, abgefaßt, t)erföf)nlicben ©innö, rein fad^üd^,
auf einem aufeerorbentlic^en gelet)rten SBiffen aufgebaut, nic^t
polemifc^ negierenb, nein, pofitio fc^5pferifd& in ber Sel^anblung
jcbei^ ©treitpunfteg, fo ta^ fie jugleid^ einen eminenten gort*
fd^ritt ber Äritit unb ber t)tftorifc^en SBiffenfc^aft überhaupt in
fid^ fc^Iofe.
3m Sa^re 1675 erfd&ien nömlid^ aU ber ®ipfel ber
fritifdien 3^^^f^f ^Me^ fritifc^en gelet)rten Qtitaltn^ inbetreff
ber alten Urfunben ber üKerominger* unb JJaroIingerjeit ein
"SBcrf, baö fic^ aU ein SJerfucfi ber Urfunbenfritif auf
f^ftematifdier ©runblage gab, unb beffen SRefuItate bireft
tKabiUonö bieljerige Ijiftorijc^en Seiftungen in it)rem innerften
Äern, eben in feinen fritif^en ©runbfägen angriffen.
^om Sean WlüUUon. 9
S)antcl 5ßapc6roci^, ber flcle^rtc Sefuit, bcr feit 1665 bic
Acta Sanctorum ^erauggab, bcr fc^ärffte unb unbcfanflenftc
Ärittfcr unter bcn Settern bc8 1643 öon Sodann ®oQanb
bcflrfinbetcn großen ©ammetmerfe« oder Heiligenleben unb Don
aSabiHon \)od)t)txef)xt , mar t^, ber 1675 in feiner ©c^rift:
Propylaeum antiquarium circa veri et falsi discrimen in
Testutis membranis baS Urteil au^fproc^: Stile Urlunbcn bt§
fed^ften Sa^rl^unbcrtä finb gefälfd^t; je älter eine Urfunbe ift,
bcfto öerbäd^tiger ift fie, im ganjen ®ebtet beö alten granfen^
xt\6)^ f)abe x6) nic^t eine einzige unöerbSd^tige Urfunbe t)or
Dagobert I. gefunben! ^ßapebrod^ toax au^ rein tüiffentc^oft*
lid^en 3^cdEen an biefe Unterfud^ung herangetreten. 3m gort^
(aufe feiner Iritifd^en Slrbeiten für bie Acta Sanctorum, beren
Herausgabe eben feit 1665 wefentüd^ in feinen ^änben lag,
l^atte er fid^ immer n^ieber in bie SRottoenbigleit üerfefet gefe^en,
über bie ©loubtoürbigleit alter Urfunben fd^Iüfftg ju toerbcn.
MU ein äKeifter formaler unb fad^Ii^er Shttif gegenüber ber
Überlieferung ber 95üc^erf|anbfc^riften empfanb er um fo me^r,
toie unft^er feine Sritif ber urfunblic^en Überlieferung h)ar.
Slic^t bofe bie Si^^age über ©c^t^eit unb Unedjt^eit t)on Urfunben
tjon ifjm juerft aufgeworfen n)äre, ober bafe eö feine Siteratur
über ben ©egenftanb gegeben. Sm ©egenteil, feit einem Sal^r*
^unbert Dertoertete man Urfunben ^iftorifd^, unb feit fünfjig
Salären ftritt man, namentlid^ im beutfd^en SReic^, in einer
überreich anfcötocUenben Sitteratur um bie (Slaubroürbigfeit ein*
jelner alter Urfunben für forenfifc^e Qmdt, Unb ber ©treit
tourbe mit jenem lauten ©ifer unb jener §artnäcfigfcit geführt,
ben SJoreingenommen^eit unb perfönlicf)e unb 5ßarteigegenfä§e
JU biftieren pflegen, unb bie Urteile mürben mit einer Unbefangen*
^ett unb Unfe^Ibarfeit vorgetragen, mie eö immer ift, menn ber
9ÄangeI toiffenfd&aftli^er SBorfcnntniffe bem freien ©piel ber
©pefutatiort unb 5)ialeftit t)ofle S^ei^eit löfet. Slber $ßopebroc§
erfannte nur ju beutlic^, mie menig miffenfc^aftlid^ bie ganje
Siteratur über biejen ®egenftanb angelegt toar, 'mie bie ©rünbc,
au8 benen bie einjelnen Urfunben öerteibigt ober öertoorfen
mürben, o^ne SRegel, o^ne ®efe^, auö ganj toiHfütlid^en
10 ^rfteS J(at)ttel.
IBetra^tungeit unb Einfällen getoonnen lourben, mie toett ab
man alfo nod^ öon einem filteren SEBege jur SBal^rl^cit toar.
3)arum fuc^te er für feine Urlunbenfritif ftc!^ felbft bic gcft^erte
(Srunblage ju fc^affen. ®r Derfud^te, ben Urfnnben bie i^ncn
eigentümlichen SKerlmate abjugelDinnen, bilbete fid^ aui5 biefen
aWerfmoIen {Regeln unb übte bann, mit biefen Stritif. S)iefe
aWet^obe toax allerbingiJ aud^ für bie Urfunbenfritil ni^t me^r
ganj neu. 3n bem ©treit ber {Reid^^ftabt fiinbau mit bem
©tift ber Äuguftinerinnen bafelbft über bie SRed^te be« ©tifte^
^atte fid^ fc^Iiefelic^ bie grage um bie @d^tt)eit einer farolingifd^en
Äaiferurfunbe gebrel^t, unb 06 biefeö S)ipIom Don Subtoig bem
frommen ober öon Submig bem ©eutfc^en gegeben fei. Sri
ber Sofung biefer grage ^atte unter anbern aud^ ber grofee
§elmftäbter Surift unb ^ol^^iftor ^ermann Eonring ba§ 3Bort
genommen (1672)^). Unb er ^atte biefen SBeg ber gorfc^ung
eingef dalagen , bafe er bie fragli^e Urfunbe mit anberen afe
eä^i geltenben Urfnnben ber beiben ^errfd^er öerglid^, fi^ über
©^rift* unb Sanjiemamen orientierte, Slnl^altöpunfte für SBe^anb*
lung be^ StinerarS fammelte unb barauf feine ©d^Iüffe auf*
baute. 3)iefen 3Beg alfo befd^ritt aud^ $apcbrod£|, aber er joj
ein gröfeere^ äRaterial ^eran, ai^tete auf Diel me^r SKerlmale
unb ftedtte fid^ feine Slufgabe toeiter. SlHerbingi^ fefete auc^ er
t)on einer Sinjelfrage a\x&, berjenigen nSmlid^, ob eine angeb»
Ii(^e Urfunbe S)agobertö I. (646) für ba« Älofter feren bei
Srier ecl)t fei. 9l6er bie 9(rt, n)ie er jum Qidt eine§ objeftiö'
gefiedertem Urteifö barüber ju fommen fud^te, toax nun biefe.
@r ftellte ben S^ejt einer öon i^m für unbeftreitbar ed^t
angefe^enen Urfunbe S)agobertö L für ©. 3J?ajimin nebft
angefügten gaffimile Doran unb begann juerft einen SSergleid^
biefer unb ber fraglid^en Urfunbe in ©til unb gormein, er
be^nte feine SBetrai^tungen alfo gleich auf ein toeitcreö ®ebiet
aujJ. S)a6ei fui^te er für jebe ber öerfd^iebenen gormein bed
S)ipIom§ für Dren bie ©po^e, b. i. baö etfte äuffommen feft*
') Herrn. Conringii censura diplomatis quod, a Ludovico Impe-
ratore fert acceptum coenobium Lindaviense etc.
a)om Seat! SWaBiHon. 1 1
juftcQen, unb fteUtc bic ctnärfnc ber öon t^m aU falfd^
crfanittcn gormcin btefcr Urfunbc bcn cntfprcd^citbcn rtd^tigcn
gormein, tote er fic in bem i^m für ed^t geltenben 5)ipIome-
fanb, gegenüber. — 3)ann be^anbelte er bie ©eftalt ber Sud^*
ftaben, boS ©iegel unb bag 5D?onogramm, unb hierbei benufete-
er beutf^e unb franjöfifd^e Äontgi^urfunben btö ju bch ©dteru.
unb ju ^^iltpp I. unb aucti ^ßopftbuHen, unb er öerfolgte
Sinjelfragen 6i8 xn^ 14. Sa^r^unbert hinein. — Unb toenn
er nun bort unb ^ier für gormein ober ©ud^ftoben ober ©ieget
ober SWonogramme ber Ur!unbe in Ören ben SRac^tociö brac^te,.
bafe fte nid^t jeitgemäfe feien, fo ftcDte er bem bann auc^ gfeic^.
gegenüber, toelc^er fpäteren Qtit bie§ 3)?er!mQt in biefer gorm
ober biefer ©c^rtft angehöre. — Unb öon ha ging er bann ju.
einer furjge^altenen, aber in ^infid^t ber SKerfmale bod^ toieber
ertociterten, fc^arfen ^tif einer Slnja^I Urfunbengruppen über,
bie ongcblidEi oui8 SRerooinger* unb Saroltngerjeit ftammten.
Unb biefe Prüfung bradjte i^m bog i^n felbft fiberrafc^enbe-
©rgebni^, bafe er überall, too er l^infa^, gälfd)ungen fanb, fo-
in Sobbe^, in Eambrat), in ©. äWajimin, in ©t. ©ermain^beig*
^xt^, unb befonber^ t)iele in ©t. S)eni§. Über bie burd^
©oublet (1625) au^ bem Slrc^iö biefer «tbtei öeröffentlic^ten
Urfunbenfammlung, etma§ me^r alö 600 ©tüdt, glaubte ^ape»^
broc^ beifpietetoeife bag Urteil fäQen ju muffen: S)ie alten ba
abgebrudften ^apftbuHen finb falfc^, bie 17 atö Urfunben
5)agoberti^ I., bie 7 aU Urfunben feiner Siad^fotger l^erauÄ*
gegebenen S)ipIome, bie angeblid^en 8 Urfunben ^ippinö, bie
17 Urfunben, bie Sari ber ®ro&e angeblich öerlie^en, unb fo-
toeiter, äße finb ^jtoeifel^after ©d^t^eit.
Unb ha^ ©efamtrefultat feiner Urf unbenfritif im ^^Jrop^Iaeum
überhaupt, toeld)eö mir oben fd^on furj öormegna^men, lautete
ba^in: Sm ganjcn Umfreiö beg (ilten granfenreirf)^ ift nic^t
eine unjtocifelliaft ei^te ßönigSurtunbe unter benen, bie angeb«^
lic^ oor S)agobertö I. Qdt entftonben finb, unb auS feiner Qtit
unb nad^ feiner Q^xt big ^erab ju ben Äarolingeräeiten finb-
un^ aud) nur fe^r toenig e^te Urfunben in Original ober iu
treuer Jtopie überliefert. Unb toad oon ben Sbnigdurfunben:
12 Grftc« StapM.
^tlt, gilt anä) boit ben SuQen ber ^apfte. 2)te 3Rönd^e ^abett
in frommem 83ctrug in fc^toeren Qeittn, ttjic ^ttoa ba^ 11. Sat|T>
I)unbert für fte toar, gcfälfc^t, um fid^ gegen bic gemalttt)atigen
Alien ju fd^ü^en, fie ^aben aU ^dbmtffer bie ®filtigfeit unb
IBcrftänblic^fett alter 5ßrit)ilegien öerbeffcm moHen u. f. to- Unb
■allc§, tpag in bcn Älöftern aU alte Urfunben gejeigt toirb, ift
uerbäd^tig, unb je älter, um fo öerbäd^tiger. — S)ie ©ac^e
toar Don ?ßapebrod^, toie tpir f^on öermerften, aug toiffenfi^aft*
litfien Qto^dtn in Singriff genommen unb noc^ feinem bcften
Jfönnen miffenfci^aftlic^ burc^gefül)rt unb Vorgetragen n)orben.
^ber bie Senebiftiner unb öor allem bie SÄauriner fa^en in
leiner ©d^rift einen 3lngriff auf i^re @^re, it)r ainfe^en, i^re
Oefd^ic^te unb auf tl)re miffenic^aftlic^en öeftrebungen unb
bereu ©runblagen. 3n ©t. S)ent§ bema^rte man merotoingifc^e
JfönigSurfunben öon 6^lotar§ IL Seiten (625) ab, bie 2;rabition
in ©t. (Sermaitt mufete t)on ©c^enfungen ß^lobmigö an ben
l^eil. @ermanu§, unb i^re ß^artulare unb Sopialbu^er bargen
fiberall folc^e SJofumente, bie ^apebroc^ nun in 93aufd^ unb
Sogen öerroarf. . S)ie 3D?auriner verlangten benn aud^ t)on bem
IBerfaffer ber fritifd&en ?lnmerfungen unb ber ©rläuterungen jU ben
in ben Acta Sanctorum ordinis S. Benedict! gebrudtten ^eiligen*'
leben eine fofortige SBiberlegung von ^apebroc^^ Singriff. Unb
toenn toir ben 3nl)alt von äWabißonö Slrbeit an ben bereite
«rfc^ienenen brei 93änben ber Heiligenleben feineö DrbeniS über*=
bilden, fo bürfen mir fagen , \)a% eine folc^e ©treitfi^rift gegen
Ißapebroc^ fofort ju fct)reiben SKabiHon mit feinem äWaterial
iinb feiner Urfunbentenntniö atlerbing^ im ©taube mar. S)enn
fotd^e ungel^euerlic^en Se^rfäge $ßapebro(^ö roie ettoa, bafe
1ßapt|ru^ im äKeroroingerjcitalter nic^t in ©ebraud^ gemefen,
bafe bie verlängerte ©c^rift ju Slnfang unb ©d^lufe ber Urfunben
^rft in ber Siarolingerjeit aufgetommcn, bafe bie 3af)re8ääl)lung
von ber ®eburt beö §eilanbia an in ^apftbuHen erft feit 1445
<Sebrau(^ gemorben, ia'ß für cinfa^e ©djenfungen in ölterer
^eit bie f^riftlicl)e SSergabung nid^t üblich njar , bafe ^^apft^
fcuBen beö fed^ften unb fiebenten 3at)rt)unbert^ , mcldje bie
<Sjemption einc§ Älofterö von ber 3uri§biftion beS 93ifd^ofö
S)om 3ean mabiUon. 1 J
an^\px^m, fatfc^ feien, biefc Sc^rfäfee ate ganj unl^attbar
itad^äutoeifen , baS toäre aWabiUon fofort gelungen. 2l6er er
fafete mit ber Reitern 9iu^e, bie toir an i^m fennen, bie ©a^
anberö ate feine Drbeni^genoffen , er na^m fie, toie ^aptbxodi
fie be^anbelte, eben aud^ ate eine toiffenfd&aftlic^e Äontroöerfe
auf, bie er aud^ ate folc^e jum Slu^trag bringen tooHte. ©o-
fd^reibt er benn noc^ öier Sa^re fpSter, am 25. SKai 1679 an
feinen jungen Sanb^mann ©ietrtc^ Sfiuinart, ber balb fein
eifrigfter ©e^Ife unb fein an^nglid^fter greunb toerben foHtet
Je travaille ä une dissertation touchant les chartes pour
distinguer les veritables d'avec les fausses. Le P^re
Papebrogue qui en a donnö connexture m'a donn^ sujet.
de r^futer les r^gles qu'il avance, que je trouve fausses ^).
Unb er liefe nod^ jtoei weitere Sa^re, alfo im ganjen fed^^
Sa^re öergefien, el^e er 5ßapebrod) antwortete, unb nun aller«
bingig nid^t mit JBiberlegung üon (Sinjel^eiten in ftreitenber
gorm, fonbern mit einem SBerfe, in toeld^em bie ganje t)on
^apebroc^ aufgeworfene iJrage auö ben tiefften wiffenfc^aftli^en
©rünben rein fad^lid^ entfd^ieben tourbe. Sei feiner Sßad^toeifung.
über bie öon 5ßapebroc^ t)orgebrad)ten Se^ren t)on ben Urfunben
^atte aWabißon juerft feine big^crigen Slnfic^ten über ben SBert
ber öon t^m benugten Urfunben nod£| einmal nachgeprüft. 3)a-
fc^ien il^m ©rtoeiterung be§ SRateriate für bie S^^f^w^fl "ot^^
menbig. ©iefeö ^atte er bann f^ftematifc^ üeröollftänbigt,
geförbert öon feinen greunben unb ®önnern innerhalb unb-
aufeerl^atb bei3 Drben«. aRit §ülfe beö ftreitbaren, ^einblütigen
^icarben SDKd^ael ©ermain ^atte üRabillon nod^mate ben ganjen
^anbfd^riftenfc^ag öon ©t. S)eniö unterfuc^t. S)cr geleierte
glaube ®ftiennot, ebenfalls ein äKauriner, burd^forfc^tc ©üb*
franfreid^. ©emeinfame SReifen mad^ten fie nad^ ber ©Kampagne,
Sot^ringen unb ben benad^barten ^roDinjen. S)ie Senebiftiner
öon ber Kongregation t)on ©t. SSanne^ öffneten it)nen alle t^re
*) SBroglic, Mabillon et la soci^tö de l'abbaye de S. Germain
des Pr^s 1, 108 auS 9ÄabiIIon , Correspondance. Bibl. nat. fond»-
£ran9ai8 19049 fol. 416.
14 ©rftcS ^QpM.
<SatnmIunflcn. Unb bann boten bic ®5nncr unb grennbc auger«
f)ali bci^ Drbcn«, ein SSion b'^eronüal, öaluje, ber SBtbliot^cfar
'^oibttt^, Slnton SRaflßabecc^i, ber 93i6Iiot]^e!ar in glorenj, unb
Diele Änbere bem üon t^nen bereitf ^oi^gef eierten ^eraui^flebet
ber Opera St. Bemardi unb ber Acta Sanctorum ordinis
St. Benedicti bie ^anbfd^riften, S^artulare u. fi. bar, worüber
fte oerffigen lonnten. ©o !am ein erftaunlid^eg SWaterial
jufammen. 3)iefeg floatete unb barau« folgerte äRobiUon. Unb
ate ein SWonn ber ^öci^ften SSorftc^t im toiffenfc^aftlic^en Urteil
unterbreitete er bann, n^ai^ er aU ©c^lugfolgerung gen)ann,
feinen flele^rten ®en offen unb aud^ anberen ®ele^rten toie
einem 93aluge, einem S>u Sänge gur 9ta(^prufung. @o famen
geftd^erte 9lefultate, fo famen auc^ neue ©eftd^tspunfte , aber
ouc^ neue 5ßrobleme unb bamitt tt)ieber neue Aufgaben für bie
l^orfc^ung ^erüor. Unb jebe Aufgabe fagte ^abiOon bann
toieber gonj an, um fie ju löfen. ©o fd^uf er beifpietötoeife,
um bie ©d^rift ber Urfunben im ©anjen unb im Sinjelnen
ba^in beurteilen ju !6nnen, ob, fie äeitgcmöfe fei, ftc^ einen
n)iffenfc^aftli(^en Überblidf über bie ®ntn)idEIung ber lateinifd^en
©d^rift im äRittelalter, b. t|. er fd^uf fid^ fo ate SBorarbeit für
feine S^^^^ ^^^ SEBiffenfd^aft ber ?ßaIäograp]^ie. ©o toud^ö i^m
aber biefe ?lrbeit ju einem ganj anberen SBerl ^eran, atö er e8
erft gebadet. 3)ie güDe ber pofitiöen ©rgebniffe über Urfunben*
merfmale, etloa toufenb Urfunben abgen^onnen, toax balb fo
grofe, bafe bie ©injelpunlte barin, bie fid^ gegen ?ßapebrod^i8
Se^rfä^e n)anbten, faft öerfd&toanben. Unb bie ©rgebniffe felbft
ertoiefen fid^ toeiter toieber fo juöerläffig für bie Urfunbeniritif,
ba§ SWabillon ben unmittelbaren unb pIö^Kd^en ©nbrudt
geioonn, eine neue Sßiffenfd^aft entftelie unter feinen ^änben.
Unb biefe barjuftcllen unb jugleid^ bem Sefer bie äWittel an
bie ^anb ju geben, ben Umfreiig unb bie ä^^^Iöffisf^it ^^^
neuen S)ijiplin ju beurteilen, baö »urbe bann baö leitcnbe Sxd
ber n^eiteren 2lrbeiten, bie er 1681 jum SI6fc^Iu| bradite. ©o
ift äRabilloni^ 83ud^: De re diplomatica (1681) entftanben,
jene« SBerl, toelc^eö bie neue SBiffenfc^aft ber Urfunbenle^re
fc^uf. ©in aSerf, bemunbernön^ert megen ber erftaunlic^en
S)om 3«att ^WaBttton. 15
©dc^rfamlctt unb ^ol^cn SB^iSl^cit, bic fein Slutor ba offenbart,
uttb toegen ber leidsten, Haren.- mtb freien SeJ^errf^ung bci8
flctoalttgen nnb fo fpröben äKateriate, feffelnb nid^t btofe burd^
bie unenblid^e SBelefirungr bie toir empfangen, fonbern ebenfo
bttrd^ bie $£(ar^eit bei^ ^ix% nnb ni(^t jnle^t trog it^ trodEenen
unb ablicgenben ©toffe^ unfern ®ifer au^ barum an fid^ jiel^enb,
toeil eiS überall t)on bem SBetoufetfein feinei^ Slutor^ getragen
totrb, bafe er mit feinem SBerfe ber ®efd^itf|tc grofeen SRugen
ertoeife, unb bafe er mit bem öeröffentlid^ten unb nun gefid^erten
©d^aft einer ftellentoeife me^r beim taufenb Sa^re alten Über*
lieferung ben SRu^m ber Äirc^e toie ben beö franjöftfd^en
Äönigtumö meiere. Unb mit SRed^t ^at SRanfe in einem
berül^mten ftopitel feiner franjöfifc^en ®efcf)t(^te, ,,?lnftd^t ber
Siteratur*" jur ßdt öon ßubtoig« XIV, ©mporfteigen unb
^öl^e, aud^ SKabiQonö SBerf: De re diplomatica gebadet. —
greitid^ nic^t bicfen 3^föinmenöang beö SSud^eiS mit ben au^
in ©t. ©ermain^'be^^^^ßreg toaltenben, bte Siteratur unb Äunft
toie bie ©efellfc^aft be^errfcfienben 3been, bie in ber SJere^rung
bt§ ÄönigtumS unb feineS perfönlic^en 8Sertreter§ gipfelten unb
feiner SSer^errlic^ung bienten, l^aben n)ir l^ier aufjufuc^en. SBir
l^aben l^ier nur bie 3tnttt)ort barauf ju geben, maö ber Snl^alt
ber neuen SBiffenfd^aft toar, bie in SröabiQonö großem SBerf fo
plöglic^ JU Sage trat.
95ei bem SSerfuc^ biefer ^Inttoort fei aber t)orgemer!t, baß
^abillong: De re diplomatica feineötoegiS ein f^ftematifd^e^,
auf einem erften ^ßrinjip aufgebautei^ Se^rbuc^ ift. SRabinon
l^at im SlÜgemeinen too^I eine 3)iiSpofition, er ge^t t)on außen
noc^ innen, aber er fprid^t feine Se^rfäge nur gelegentlid^ im
f[nfc^Iuß an bie lonfreten ^äQe auS, benen er fie abgeioann.
Unb bie«, fo bitten toir, möge unfer Sefer feft^alten: er toirb
bann, fo hoffen toir, ebenfo toie er einer falfd^en SSorftellung
über änabiQond 3Ber{ entgeht, aud^ gegen bie 9KfingeI ber nad^«
folgenben SluSfü^rung 9?ac^fi^t üben. — 3m fed^ften Sa^r-
l^unbert, fo führte SKabiÖon nac^ ©d^riftfteUerangaben au«, l^at
«« fd^on päpftlid^e unb föniglid^e 5ßrit)ilegien für Älöfter gegeben,
ja föniglid^e fann man fd^on für ba« fünfte Sal^r^unbert nad^*
16 <Srße9 ^apiUt
koetfen. Unb 6td in gleicb alte 3^it ivxäd fdnnen koir ben
®cbrauc^ ju urfunben für 5ßrit)at))crfonen, weltliche unb ßrif^
U^e, fonftatiercn. älfo ba« ^o^c alter bcr Urfunben an flc!^
tft fem 8Scrbodö«monient gegen biefelben. Ällerbinfl« tft tnel
gefSIfd^t ju allen Briten unb öon ben öerfd^iebenften ©täuben.
Slud^ ftnb öielerlei Urfunben auiS anbem ©rünben üerberbt, aber
ntan barf barum nid^t alle alten 5ßrit)tteflien anjtoetfeln. Seboc^
toie ftnb bie eckten öon ben falfd^en Urfunben ju unterfc^eiDen?
SRun, bie Urfunben bieten un« felbft bie ffienuici^en, auf
bie tt)ir für bicfen Qtotd ju achten ^aben, toie ba§ ja aud^ fd^oa
^apebroc^ felbft erfannt ^at. ^apebroc^ ^at aber nic^t erfannt^
bafe toir juöerläffiße Kriterien nur fletoinnen toerben, toenu toir
eine möglic^ft flrofee 3öt)t rtaä) 2lrt, 3^^^, ®rup<)e, Sanbfc^aft
äufammeufle^örifler Urfunben Dergleichen, ©o lehrte äWabillon.
Unb er mad^te nun biefen SBergleic^. Unb ba lernte er ben
©toff, auf bem qe^d)xxeber\ tt)urbe, bie ©eftalt (gormat) ber
Urfunben, bann bie ÜÄittel, womit man fc^rieb, bie ©d^rift felbft^
Snterpunftion, tironifc^e 9?oten ju bead^ten, 3)ann batte er
bem ©ti^ fic^ jujutoenben, i^n ebenfalls an^ ben Urfunbeu
felbft fennen ju lernen. S)ann jeigten ibm bie Urfunben ju
Anfang unb jum ©d^Iufe je nad^ Art unb 3«it ganj beftimmt
gefaßte gormein, in toelc^e ber Su^alt gefteibet tourbe. S)a
fanb er am Slnfang g^tmeln toie: Invocatio, titulus, promul-
gatio, ober inscriptio (in 5ßapfturfunben), unb salutatio. Unb^
gegen ©c^lufe fanb er ©trafanbrol^ungen, gluc^formeln unb ant
eigentlichen ©d^lufe gormein, n^eld^e bie Snfünbigung ber Unter*-
fc^rift unb ber Sefieglung entl^atten, bie gormein ber Äönigg*^
unterfd^rift, ber Äanslerunterfd^rift unb ^^ntid^e^. — »ud^ biefe
eiujelnen gormein oerglicf) SRabillon. Unb tt)eiter jeigte t^m
ber %eT^ ber Urfunben aud^ ganj beftimmte ®gentümlic6feiten,
unb er lernte auf ben ®ebrauc^ bei^ Pluralis majestatis, bie
gormen ber (Sefamttitel, auf bie Sntoenbung ber Familiennamen,.
Beinamen, auf S^^^^^^t^S^^^n ^- ^* ^<^ten. Unb fc^lieglic^
forberten SWonogramme, ©iegel, 3^W9^ttunterfc^rift unb Dor^
ne^mlid^ bie ©atierungi^angaben bie forgffiltigfte Seobad^tung. —
^ad toaren bie äJ^erfmale, auf loelc^e äRabiQon nun aufmerffam.
a)om 3eatt SRabiUon. 17
ma^tc unb üon bercn ^ßrüfung üuS er bcn »»eiteren SBcg jum
®etoinn öon Kriterien für bie ©c^t^eit ober Uned^tl^eit ber \b>
!unben untento^m. @ö gilt nun feftjufteöen , fo le^rt er,
toel^e^ in einer beftimmten 3^^^ fö^ ^i"^ befttmmte Urfunbenort
bie geltenbe gorm ber SRerfmale getoefen tft.
Unb hierbei, — fo jeigt eö bonn bie Art, toit er btefen
SSerfud^ unternahm — tft feiner 3Retnung nad^ jtorierlet ju
(elften. äWan mufe erft ju einer fiebern ?luffaffung über S^arat
ter unb gorm ber SKerfmale, toie ©toff, ©d^rift, ©icgel,
Urfunbenformeln ju gelangen fachen, et)e man für ben gegebenen
%aVi baö ©njelmerfmal beurteilt. Unb anbrerfetfcg tft ni^t aui^
ber ©d^rift alletn unb überhaupt nic^t aui^ einem etuieluen
9Wcrfmat allein, fonbern nur auö ber ©efamt^eit aller 3RerfmaIe
einer Urfunbe über biefe ju urteilen. Unb SRabiDon Derfu^r
banad^. ©o fd^uf er fid^, toaö toir ja fd^on oben anmerften,
äum ©c^rifturteil im ©nielfall erft bie große SSorarbeit einer
©arftellung ber lateinifdien ^aIäograpt)ie bc§ 3RitteIaIter«, fo
für bie Beurteilung einjelner ©iegel eine Überfielt über bai^
gonje ®ebiet ber Sefieglung, fo für bie Kriterien ber S)atierung
erft eine abfd^Iicfeenbe Unterfud^ung über boö SBefen unb bie
Arten beö SatierenS überl^aupt. Unb inbem er nun öon folc^en
©runblagen auS an bie Prüfung ber (Sinielmer!ma(e ber ein«
jelnen Urfunben l^eranging, l^ierbei aber immer alle SKerfmoIe
berfelben Urfunbe äufammen beurteilte, !am er ju ganj gefid)er*
ten SRefuItaten unb ju einer toirflicft toiffenfc^aftli^en (Srunbfage
ber Urfunbenfrttif. @r ma^te bamit bann an^ gleid^ bie fid^
glänjenb bctt)at)renbe ?ßrobe feiner neuen SBiffenfd^aft, inbem er
nun bie oon ^apebro^ atö aut^entifc^ benufeten Urlunben ate
anormal ober falfd^ nac^toieiS unb überl^oupt ^apebrodji^ Hnfic^ten
unb Siegeln fo fd^Iagenb in il^rer ^altlofigfeit tttoit^, bafe biefer
felbft fid^ aU tJOÜftfinbig toiberlegt befannte. Postquam tarnen
utcumque evolvi opus vestrum de re diplomatica, non pos-
sum celare fructum, quem inde retuli. Fructus autem
hie est, quod mihi in mea de eodem argumento oeto
foliorum hicubratiuneula nihil amplius jam placeat, nisi
hoc unum, quod tam praeclaro operi et omnibus numeris
eiftori1*c «ibliot^el. «b. IV. 2
18 ©rftc« fiapitel.
absolute, occasionem dedit. — Initio quidem lectionis,
fateor, patiebar humanuni aliquid, sed mox ita me rapuit
ex utilissimo solidissimeque tractato argumento proveniens
oblectatio, et gratus emicantis ubique veritatis fulgor cum
admiratione tot rerum hactenus mihi ignotarum, ut con-
tinere me non potuerim, quin reperti boni participem
statim facerem socium meum patrem Baertium. Tu porro,
quoties res tulerit, audacter testare, quam totus in tuam
sententiam iverim, meque ut facis, perge diligere, qui
quod doctus non sum, doceri saltem cupio. Antwerpiae
10. Juli 1683.^) — ©0 fc^rieb 5ßapebro^ an aKabiaon. Unb
btcfcS Urteil beg avai) tu biefem SBrief toiebcr felbftloS unb nur
ber SBiffenf^aft gebenfcnbcn ^opeprod^ über SKabiUonö SBcrf
ift btiS l^eute baö geltenbc geblieben. Sft t)on ben ba öorgetrogc*'
ncn SRefuItaten Dieleig trofe fortfd^reitenber ©ac^lenntniS jefet
nod^ tJoUgülttg, unb finb bie S3cmerfungcn über btc nterotoingt^
fd^en 3)ipIome nod^ immer öon ni^t ju entbe^renbem Snl^alt,
fo fte^t ba§ SBer! ate SBorbtIb einer i^re SKet^obc ftd^ erft felbft
fd)Qffenben unb biefe bann in gebiegenfter SBcife antoenbenben
Unterfuc^ung in ber ©iplomatif au^ ^cute nod^ unübertroffen
ba. — ©0 toax alfo bie Urfunbentt)iffen|(^aft gefc^affen. 3t|r
©c^öpfer aber erntete ^öd^ften SRu^m. Subwig XIV. liefe fid^
ben berühmten Wlbnä) bnxä) Se %tükx unb öoffuet jufü^ren,
unb jener fteöte il^n bem Söntgc afö ben gelel^rteften SKann
feineö Königreiche« Dor. Sie 3öt|I ber ^o^en ^erfonen,
SBürbenträgcr in ©taat unb Stirere, ber ©ele^rten im 3n* unb
?lu«Ianbc, bie münbli^ ober brieflii^ mit bem Sßerfaffer be§
öud^eS: De re diplomatica SSerle^r fucfjten, fd^UJoU mäd^tig
an. (Sine gorfd^ung^reife SÄabittonig nad^ Stallen tourbe ein
S^riump^jug, unb er tourbe eine Slutorität für ba« gefamtc
mittelaltcrlid^e ©tubiengebiet , ba« feine Sci^Ö^^off^n pflegten.
S)od^ er ging feinen füllen SBeg in ber gelehrten Arbeit unb
tro^ feine« Icibenben g^^ftöube« mit emfigen ©d^ritten »eiter.
*) Ouvrages posthumes de D. Jean Mabillon et de D. Thierry
Ruinart, 1, 459. ^ariS, 1714.
^om Seati aRablKotu 19
?l6cr nun ad^tctc er bei feinen l^tftorifc^en, liturgtid^en, bogma^
tifc^en, fpefulottüen unb anbeten ©tnbien au^ immer, too er
feiner Urfunbentoiffenfc^aft neue« JWaterial jufü^ren !onnte.
Unb in ben SRn^epaufen jtoifcfjen feinen anbeten Arbeiten
fammelte, ficfttete nnb prüfte er bieg. @r fanb bann feine
iig^erißen biplomatifcfjen Slnfid^ten unb Seiten immet nut
beftätigt, aUetbingig aud^ beftätft unb öftetig flatet geftettt.
Unb fo foüte, toa^ et üon SKaterial unb Seobad^tungen
^efammelt, in bie jtoeite ^ui^gabe, bie et balb plante, l^inein^
gearbeitet toerben. Slbet bag ©tfc^einen betfelben Detjögettc
ftc^, ba bie aUgemetnen SSelt^nbel eine 2)tucl(egung in gtanf«
teic^ nid^t fo leidet etmöglid^ten , unb ba SKabiUon Don bem
^Inetbieten eineg ^oüanbifc^en Setleget^ in bem ©elbftgefü^I
beg gtanjofen, bet auc^ bie jweitc Slu^gabc in gtanlreid^ ju
t)etöffentlicf)en »ünfd^te, feinen ®cbtauc^ mad^te. SDfabiüoni^
IJreunbe toünfc^ten abet bringenb Äenntniögabe beg neuen
SKatetiate. SRun etfcfjien bamafö (1703) aud^ ein neuet ^eftiget
Eingriff gegen 9KabiIIon, bieömal feiten^ bei^ Sefuiten ®ermon ^).
©ermon bel^ayptete »ieber in ber hergebrachten Slrt bie
Unmöglid^feit einer 8lufbett)a^rung fo alter Urlunben tt)ie bie
iingebUc^ aud ber aßeromingerjeit ftammenben big auf feine
^eit unb toarf jugleid^ unter Slnbetem bie gtagc auf, toie man
ben 3ta6)m\ii bringen fönne, bafe eineUtfunbe toitfüc^ ec^t fei,
unb fptad^, ba et baiS füt unmdglid^ etflätte, au^ ber Siplo^
Tuatif jebe« Anredet ab, fic^ eine SBiffenf^aft ju nennen.
SSieHeic^t wirfte bann bei SRabiflon neben jenem Slnbrängen
ber greunbe aud^ bie Sbfic^t mit, biefem Slngriff ®ermon8 bie
Opi^e abjubrec^en; genug er entjc^Iofe fid^, baö neue 9Kateria(
unb bie neuen ©rgebniffe fetner biptomatifc^en ©tubien afö
<Srgänjung )U feinem $aupttt)er{ für fid^ ju publizieren atö:
Supplementum librorum de re diplomatica. 1704. Siefe^
©upplement brachte aufeer einer Steige fac^Iic^et neuet öelege
füt bie 3iid^tig!eit feinet Seiten aud^ eine t^eoretifc^ fe^t le^t*
*) Germon, Barth. S. J.: De veteribus regum Francoram diplo-
matibus etc. dissertatio. Paris 1703.
2»
20 ®tftee itctpM,
Tcici^c ÄuScInanberfc^ung barübcr, njo bcr 3)ipIomat!ter feine
Äriterien ßctoinnt , unb njo unb toic er boruntcr bic Jhrttcrien
für bie (Sc^t^cit finbct. ©d^arffinn aQein, fo Icfen tott ha^
genügt für ben Sto^d, autl^entifd^e unb falfc^c Urfunben ju
unterfc^eibcn ntd^t ; ba tft ©rfa^rung nötig , mt fie nur in
langjähriger, unauägefe^ter Sefd^äftigung mit ben Originalen
unb Äopicn felbft gewonnen toirb. SBenn man bie Urfunben
jeben «Itcrö unb jeber 3cit mit einanbcr öerglcic^t, lernt man
bie SRerfmale, auf bie eg anfommt, man lernt bic Sllterg*
fieftimmung ber ©^rift unb f^fiefeli^ bic ed)t^eit ber ©d^rift
fclbft erfennen. 9Kan fommt jur Überjeugung, ba§ ©d^rift.
©ttl unb anbere aRerfmalc jeitgemfig finb, unb man ^at bann
au8 biefer langen unb anbauernben Beobachtung aller Umftänbe
unb (Sinicl^eiten, mitist jur Erlangung bcr SBa^r^eit beitragen
!5nnen, bie moralifc^e Übergeugung, bafe man eg l^ier mit einer
ecfiten Urlunbe ju t^un I)abe. S)amit aber unb in ^^Inberm bot
SRabillon in feinem ©upplement alfo eine toirflic^e ©rganjung
feineiS ^auptujerte^ nad^ ber t^eoretifd^en Seite l^in. Unb e^
fügt fic^ nun, toaS SRabiUon in feinem aßerf: De re diplo-
matica, in ben urfunblic^en gorfd^ungen in ben Acta Sancto-
rum ordinis S. Benedicti unb in ben Annales ordini»
S. Benedicti unb in feinem : Supplementum für bie Urfunben*
lel^re bietet, afe 9?euf^5pfung ber Urfunbennjiffenfc^aft ju einer
©efamtfeiftung jufammen, bie toir etroa fo umfc^reiben bürfen:
ÄUiS bem njeiteren ®efid^t§frei^, ben ein fe^r breitet 3Ra*
terial if(m bot, l^atte SWabiUon bie ©nfic^t in bie ÜWerfmate
gefunben , bie ben Urfunben dQein angehören , unb fid^ bie
©rfenntniiS beö SBefenö berfclben erfc^Ioffen. S)amit toar er jn
ber, bann aüerbing« je nad^ bem 2)faterial üerfd^ieben aM^
gefallenen, aber in einjelnen Oebieten faft abfc^liefecnben ?ßrüfung.
ber aWerfmale in beftimmten Urfunbenarten , getrennt nac^
beftimmten ßeitabfc^nitten , gefdfiritten. Auf biefer 5ßrüfung
brang er ju aiegeln für ben fpejiellen gaU üor unb machte
^ogleic^ bic SRu^anroenbung an ^u beurteilenben Urfunben felbft.
iCenn bie ed^ten unb falfd^en Urfunben öon einanbcr mit
töüiger ©id^erfieit unb ftreng auö toiffenfd^aftlid^en ©rünben
3)om Sean SKabiUon. 2t
idjcibcn ju fönnen, ba§ foUtc bic neue üon '\i)m flefd^affene
^ig5i)}Iin lehren, unb bafe fic ba^ leiftcn fonntc, ba§ flanb nun
-feft. ©0 fc^uf a)?abilIon ein S)oppeIteö, einmal jog er bte qII=
flcmeinen Umriffe ber S)ipIomQti! alö SBiffenfc^aft im ©toff,
^icl, SRet^obe, bann löfte er für bcftimmte ©njefgruppen unb
^rten Don Urfunben gleid^ alle bie gragen, bie er im Sntereffe
ier Sritif nad^ feinen allgemeinen ©runbfä^en auffteUen mufete.
Unb fo würbe feine, eine neue SBiffenfd^aft f^offenbe Seiftung
für alle Qtittn jugleic^ ©runblage nad^ ber ©eite ber all*
gemeinen toie ber befonberen S)iptomatit Slber aßerbing^ nur
bie ©runblage t)at er gefc^affen. S)enn »ir tooUen nid^t aöein
me^r üon ben Urfunben ber öerfc^iebenen Qdicn unb ßanber
tüiffen, afö er berid^ten fonnte, unb toir tt)iffen auc^ bcreitö
je^r öiel me^r; ouc^ in ^infid^t ber SRerfmale, auf toeld^e bic
Urfunbennjiffenfd^aft ju ad^ten unb in ber SWet^obe, bie fie
babei anttjenbet, bie SDIerfmale ju uertoerten, finb wir fort*
flefcfjritten. S)ie geitgenoffcn aWabittonö ^aben bo« SBerf freiließ
no^ ^ö^er gefd^ägt, fie ^abcn Dermeint betonen ju muffen,
bafe biefeig grofee S33erf oud^ gleich in STnlage unb ©Aftern mie
in ber SRet^obe bie für äße Seiten abfc^liefeenbe le^te, befte
gorm gcbrad^t ^at. 3n biefem ©inne ^aben benn aud^ bie
jpäteren SWauriner SKabiUon« SiBerl bearbeitet , unb biefe Äuf^
faffung ^at fic^ in bie ifecole des chartes hinüber fortgepftanjt.
2.
äWabiöonö ©pod^e mad^enbei^ SBer! brachte toeitgreifenbe,
fi äftige unb nad^^altige Smputfe für bie SBiffenfc^aft. Sit @ng*
lanb, ©c^ottlanb, ©panien, Stauen, üorne^mlid^ aber in S)eutfc^*
lanb unb granfreid^, ben alten fiampfftätten ber ^eftigften
biplomatifd^en gelben, toanbten fid^ gelehrte 8lntiquare unb
^iftorifer öerfd^iebener S)i^jiplinen ber neuen SBiffenfd^aft ju.
S)er SBcrt ber Urfunben aU ^iftorifc^e Quelle ftieg, bie
3a^I ber Urfunbenfammlung wud^ö, bie 3lrt ber ©bition würbe
im allgemeinen bcffer. SKan na^m fid^ äWabiÜon jum SSorbitb,
man ging auf bie Originale ober boc^ auf bie älteftc Sejt*
22 äwcitcä StopM.
Überlieferung jurüdf, unb man brudftc in äWabillon^ 2lrt, forreft
nad^ bcm SBortlaut unb mit SBiebergabc einiger für bie Äritif
mid^tiger äWerfmale. ?l6cr and) bie eigentlichen biplomatifd^en
Strbciten gebieten überaß, t^ tourbcn Urfunben ganjcr Sänber
toie einjelner 3)^naftien be^anbelt. Über einjetne Urlunben*
merfmale toie ©icget, SKonogramme u. a. entftanb eine reid^e
Sitteratur. S^an machte aud^, toa^ man nod^ lange nac^
SKabilloniS SBorbilb ate toefentlid^e Steile ber allgemeinen S)i)3lo^
matif anfa^, über <Spxad)c, ©c^rift unb 3cttred^nnng ©tubicn.
SKan na^m ferner — unb aud^ ^ier tt)ieber an SKabiUon unb
5um Seil an noc^ ältere Arbeiten anfnüpfenb — ba^ ffianjier*
amt unb SanjIerDerjeii^niffe jum ©egenftanb toiffenfc^aftlid^er
Slrbciten. — S)ie eigentlicfje gortarbeit an ber Urfunbentoiffen*
fc^aft aU fold^e unb ate ein ©anjei^ gebockt ^oUjog fid^ aber^
njie ja aud^ nic^t anbcrS ju ertoarten, bei ben 9J?aurinern.
®rft fochten fie noc^ eine ge^be anö. SKabiUon^ langjähriger
unb vertrauter SRitarbciter S)ietric^ SRuinart l^atte in ber SSor*
rebe jur jtociten ?lu§gabe von WabiUonä :^De re diplomatica«
(1709), bie alfo crft jttjei Sa^re nad^ SWabiCon« %ob
(f 27. ©ejember 1707) erfd^ien, bie SSerteibigung ber Angriffe
übernommen, njeld^e ber Djf orber ®elet)rte ^idEeö in feinem:
Linguarum veterum septentrionalium thesaurus criticu»
et archaeologicus (1705) gegen SKabiUonö SBerf unter ^inblicf
auf bie bafelbft im fec^ften ffiapitel beö britten 99ud^e§ auf*
gefteHten Siegeln für bie SKet^obe ber S)ipIomatif auögefproc^en
^atte. ^idEe^ ^atte aber auc^ äJ^abiQon b5^n)illig bat)in
Derbäc^tigt, bafe er feine Siegeln nur aufgeftellt I)abe, bamit bie
9K6nd^e erft red^t gefd^idEt fälfc^ett fönnten. SWabiUon ^atte
feinet l^ol^en SllterS unb feiner Äränttid^Ieit tt)egen barauf nid^t
me^r antworten fönnen unb mögen. Unb fo tourbe c^ für
Siuinart eine ©^renpflic^t für 3RabiQon einjutreten. Unb er
unterjog fid^ ber Slbme^r mit ©efd^idE unb ©rfolg. 3)ie 9Ser^
bäd^tigung bÄ ©eite fc^icbenb ging er ju ben fad^Iic^en fragen
unb tt)at bar, bafe §idEeS meift auö SKifeüerftänbni^ ober au^
glü^tigfeit ju feinem %aM gelangt toar, unb toibcriegte i^n
in biefen ?ßunften. Unb anbererfeit^ fuc^te Siuinart in ben
3)ic 3)ipIotnQtif in JJranfvcicft feit aWobinon. 23
fünften, tpo $tcfei^ 9ied^ ^atte, bog nfimltc^ tnattc^ei^ in
SKabillong aicgeln bod^ ju bel^nbar unb unteftimmt gehalten
fei, Slb^ilfc ju fc^affen, inbcm er bie SRegeln präjifer fafetc unb
erläuterte unb babei einige nod) l^eute fe^r beac^tenStt^erte
93emerfungen über toefentlt(|c unb unnjefentlic^e SKerfmale au8^
fprac^.
S)ann aber gingen bie SWaurincr aller njeiteren ?ßoIemif
über bie ®fite ber t)on SWabiUon gefd^affencn SBiffenfcbaft aui^
bem SBege unb faxten ben ?ß(an, bie in i^rer SReinung
uncrfc^ütterlid^e SRid^tigfeit ber SRefultate 9KabilIonö, bie Unan*
taftbQrfeit feiner Urlunbenletire unb bie S3orjüglid)!eit fetner
aWet^obe mit reid^erem 9)?ateria(, in Sluöbe^nung auf ein n^eitcrcS
®ebiet unb in ineit größerem 3)etail ber ?luÄfü^rung burc§
eine SReubearbeitung feinet 8S3er!eö barjut^un. Unauögefegt
fammelten einige 9)?aterial, anbere betrachteten bie Sitteratur^
anbere ißräften unb fid^teten, unb 40 Sa^re nac^ 9RabiQond
Xob lonntcn fie §anb an ba« SBerf felbft legen, ba« fie ate:
Nouveau traitö de diplomatique (1750 — 1765, 6 93änbe)
erfd^cinen ließen. S)iefe geleierte neue ^Bearbeitung t)on 3Ka*
biHon« SBerf fd^Iofe in fic^ bie ganje SKaffe biplcmatifcfjer
Äenntniffe, toeldjc man in ber erften §alfte beö 18. 3al)r^
l^unbertg befafe. Sn 3^^^ ^^^ SRet^obe klonte fic^ ha^ SBer!
genau an baä öu(^ : De re diplomatica an , aber e^ t)at
SWabiUonö SBerf an SBert nic^t erreid^t, gefd^tocige benn, bafe
c« eine fortf^reitenbe ©ntinidClung ber Urtunbeniniffenfc^aft
repröfentierte. @ö l|at ber Nouveau traitö freiließ me^r
9?oti}en über aUgeraein biplomatifdöe gragen unb me^r SRaterial
für fpejieQe 5)il)Iomatif atö baö SBerf i^rcig großen Se^rmeifter«.
Unb bie SSerbienfle um bie ©d^riftfunbe finb trofe ber nic^t
gefd^idEten Slaffifijierung ber lateinifd^en ©c^rift anjuerfennen.
SBir S)eutfd^e fe^en aQerbingö mit SSerwunberung, baß ein SBerf,
welc^eg mala^ifc^e unb mejifanifd^e Schriftarten d^arafterifiert,
für bie beutfd^e ©d^rtft nic^t eine QcHt ber ©rmä^nung l)ot.
Auf bem fpejieHen ®ebiet ber päpftlid^en S)ipIomatif fobann
finb bie SSerfaffer bicfeS SBerfei^ gleid^fam fd^öpferif^; fie finb
bem SBenigen gegenüber, ttja« SRabiUon über pöpftlid^e Urfunbeii
24 Sroeite« Äapitcl.
bciöringen fonntc, reicher belcfcn unb l^aben öiclfcitigcrc 93e=^
trad^tungen angcftellt. Unb einen ®fanäJ)unft beö SSSerfeö bilben
onc^ bie im oHgemeineu Xeil üorgeful^rten ©rörterungcn über
©eglaubigungS* unb Unterfc^riftömcfen. Unb SlHeS in Slllem
ift ba§ grofee SBerf eine unerf^öpftic^e Duelle für bie S)ipIo*
matif nod^ l^eutjutage. Slber e§ t)at fe^r üiele SKängel, unb
ein erfter ift biefer, bafe ber gorfd^er, too er für eine beftimmte
^ragc beS Urfunbentoefen^ eine beftimmte §lnttoort verlangt
für feine grage niemals öoQe 9Intmort erhalt.
Sin öeifpiel mag baiS erläutern.
aSir njoHen un§ über bie Urfunben beutfc^er Sönige unb
Äaifer im je^nten 3al^r^unbert orientieren. 3m fe^ftcn S3uc^c
§ 582—614 njirb biefeö Satjr^unbert be^anbelt. § 590 !)anbelt
öon Slnrufungen unb Überfc^riften in ben S)iplpmen ber ffiaifer
unb Äönige ©eutfdölanbö , alfo öon S^riömon, ber SSerbal*
iniiocütion unb bem Sttel, unb berüdfic^tigt bobei aud^ gleid^==
jeitig etttjaö bie Äanslei be§ ßönigS. Stiö Dtto'ö I. (£rj!aplan
ober ©rofefanjler »erben ba gricbrid^ unb 5ßoppo, unb afe
anbcre SHotarc SBruno unb SRoftcr genannt. S)aö ift nun in
biefer SBeife nid^t ganj falf^, aber bod^ audt) ttjeber richtig
uod^ öoUftönbig, nod^ ift bamit ettoaö für bie Urfunbentritif
gemonnen. S)enn H)aS foHen toir auS biefen uniureid^enbcn
unb f)alb falfc^en eingaben für feitifd^e Sln^altSpunfte gewinnen?
S)antt fagen bie SSerfaffer toeiter an anberen ©teilen, wo
fie tjon ber Untergeid^nung ber S)iplome fpred^en, § 596: S)ic
©rofefanjrer unb i^re Untergebenen üerri^ten bie Unterjeid^»
ttungen ber Könige unb Äaifer in S)eutfd^Ianb wie in granfreic^^
^ann bringen bie SSerfaffcr für Otto'« I. Urfunben audö bret
Schemata für bie ÄönigS^ refp. Äaiferuntcrf^rift unb ein ©(^ema
ber Äanjlerunterfd^rift. Unb ganj fo, nid^t gerabe falfc^, aber
unjureid^enb, finb bann bie Stu^fü^rungen über bie Datierung
in biefen beutfc^en Äaiferurlunben, über bie SBefiegcIung u. f. to.
— Unb babet fte^t, toaö wir gebraud^en, !eine§weg§ jufammen.
Über bie ©iegel felbft j. S5. muffen Wir uuö im ^weiten Sud^,
fünftes ^auptftücf auS öerf^iebenen 5ßaragrap^en (§ 466. 513.
527. 664) bie etwaigen bele^renben ©teilen jufammenfuc^cn.
2)te ^i))Iomatif in ^ranfreic^ feit 9]labiaon. 25
9?un tragen loir bei bcm ©tubium bicfcr Urfunbcn natürlich
iaö toeitere SSerlangen, unö in SBetreff bcr ©c^rift ju orientieren,
ob bie in ben und ettoa t^orliegenben Originalen jeitgemäg in
^orm unb auSftattung ift. 3)aju muffen »ir bo8 jtoeite ©ud^,
t)ierteö ^ouptftfidf, breijel^nter äibfc^nitt auffc^Iagen. 5)a aber
bcfinben tt)ir unS fc^neC in einem SBirrttjar üon ?(bteilungen,
A'Iaffen, ©attungen, ber und eine ri^tige Slnfd^auung gerabeju
unmöglid^ mad^te. — Unb toie biefer SBerfud^, in ber ©pejiafc
bip(omatt! eined fär und n^id^tigen ©ebieted audreid^enb und
^u unterrichten mißlungen ift, fo ge^t ed au^, njenn toir nad^
ber allgemeinen äWetl^obe unb nac^ ben ©runbfägen ber bi|)Io*»
matifd^cn Äritif l^in Srfe^rung fuc^en.
^a^ ac^tc f8nä) bed Nouveau trait^ bejeic^net fic^ ald
^ortrog ber ©iplomati! ober ber allgemeinen unb befonberen
IRegeln jur Unterfd^eibung ber toat)ren unb falfd^en Urfunben.
S)er Sefer fdilägt ed enoartungdDoII auf, ober er njirb ed
fd^neö erfennen, aud^ ba ift cigentlid^ jebed öemütjen um
löele^rung üergcblid^. 3)er erfte §lbfd^nitt biefed 95ud)ed betitelt
fid^: ^on ben ©rKärungen, ^auptgrunbfägen , @runblel)ren
unb ^eifc^efägen , toeld^e jum ®runbe ber Siegeln ber ®iplo^
mati! bienen. Qu bem Unterabfd^nitt ber ©rHärung lefen wir :
^rflärungen ber öerfc^iebenen Slrten ber ®ett)i6^eit, bed SSer*
bad^ted, ber Vermutung, bcr SBcmeife, ber galfd^^eit, Sennjeic^en
ber SBa^r^cit unb ber galfd^^eit.
Unb biefe ®rf(ärung jierfäHt:
a) in bie ber pl^^fitalifd^en (Se^ife^eit,
b) ber moralifd^en ©emife^eit,
c) ber äWutmafeung — mit «nmerfungen über SBatjr*^
fd^einlic^Ieit, SKeinung, fd^Ied)te Sßermutung,
d) (grflärung bed SBerbac^td ubert)au^)t,
e) bed fc^Iec^ten SSerbad^ted,
f) bed rechtmäßigen SSerbad^ted,
g) bed gett)altfamett SSerbad^ted.
S)ann fteßten bie SSerfaffer ffinfunbjtoanjig allgemeine
Siegeln ber SSa^r^eit, ac^tjet)n ber galfd^tjeit, einunbjinjanjig
bed SBerbad^td, Dierje^n aDgemein falfd^e unb unjulönglid^e
26 gtöcitcÄ ^apiUl
Siegeln, je^n Siegeln für Slrd^iüe unb beren ©r^altung, ac^tje^n
SRegeln für bte Drigtnate unb beren Anfeilen, je^n SRegeln jur
Unterf^eibung bon Driginaten unb ?lbfd^riften, üierunbätoänjig
Siegeln jur öeurtettung ber Originale au^ ben Slbfc^riften u. f. ttj.
auf, im ®anjen runb fieben^unbert allgemeine unb befonbere
Siegeln, gürtoa^r ein unge^euerli^eö ®erippe ber btplomatifd^en
SWet^obc unb SBiffenf^aft , ba^ bod^ nur für bie SSerfaffer
gteif(^ unb ölut l^atte. gür ben biplomatifdien ©tubien
jugenjanbten 3^it8^"off^"# ^^^ ^^^^ Äenntniffe nic^t befafe unt
nid^t in glei^er Sßetfe bur^ unauiSgefe^te unb lange S3efcl^äftigung
mit ben Urlunben fid^ i^r S)enfen ganj ju eigen gemalt ^atte^
ttjaren biefe Siegeln ein in^altlofeS unb üertt)irrenbe§ ©c^ema-
Unb für jeben fefbftänbigen Sopf inaren jugleid^ Diele ber
Siegeln fo piatt unb nid^tSfagenb , baß er fteHentoeife fe^r mit
Siedet an ber SBiffenfc^aftlic^Ieit beö SSorgetragenen ?tmeifeln
burfte. aSenn beifpietöujeife unter ben ac^tjet)n Siegeln ber
galfd^^ett bie bierje^nte lautet: „SRan barf S)tplome nic^t bloi^
beöinegen üermerfen, tocU fie SBegebenl^eiten melben, bie bie
einjigen in «i^rer Slrt unb aufeerorbentti^ finb", fo ift bie^
Sluäfpred^en einer fold^en Sieget an biefer ©teile allenfalls für
ben erüärlid^, ber bie Urfunbenfritif bei^ fiebje^nten unb
beginnenben ac^tjefinten Sa^rl^unbert« unb luie au« bem ®egenfa|
gegen biefe ber >Nouveau traitö« entftanb, fennt, jebem Slnbern
erfcfjeint fie aU platt, ate überflüffig. Unb njenn nun gar bie
fec^fte Siegel bafelbft lautet: „S)ie falfc^en ©tüdte finb gemeintglid^
leidet JU erfennen'S fo fte^t man fidler öor ber grage, roa^ fott
baig ? Unb mancher bürfte toeiter folgern, toenn eö f old^er ^latt^
Ijeiten bebarf, um eine SRet^obe biplomatifc^er Äritif ju fon*
ftruieren, bann ift bie neue ©iöjiplin n)oI)I fc^ioerlid^ eine
aSiffenfi^aft. — SBenn man fid^ bann aber fragt, toarum biefe
fo gelehrte unb in if)ren arbeiten fo innig fic^ jufammen*
fc^Iiefeenbe ©enoffcnfc^aft bei i^rer Sleubearbeitung t)on
3JlabiQon« großem SBerf fo gefd^eitert ift, fo toirb man fagen
bürfen, eö !am ba^er, toeil fie ben jufäQigen Sl^arafter ber
Einlage üon 9KabiIIon§ SBerf öerlannten, tt)ie i^n ber ©tanb
ber Urfunben^Äenntni« unb *Kritif bamal« unb ^ßapebrod^«
a)ie a)ipIomatif in grranfreidi feit SRabiUon. 27
Eingriff beftimmtcn, ©ic fibcrfaften, bafe SÄabiUon feine oH*
gemeinen, toeiter auiggreifenben Betrachtungen nic^t um t^rer
fetbft, fonbern immer eine^ ganj beftimmten ©injeljwede« toegen
unternommen ^at, nämtic^ um bic toirtticfje SBebeutung ber
äWerfmale ju fixieren, bie er für eine beftimmtc engere ®ruppe
uon UrEunben atö t)ort)anben fonftatiert l^otte. Unb fie t)erfannten
femer ben S^orafter i^rer SBiffenfd^aft atö einer auf (Empirie
unb ^iftorifd^er Ärttif berul^enben S)igjiplin. ©ie meinten eben
burd^ eine in$ Snbtofe ge^enbe Urfunbenbe^anblung ouf aOe
bem 5orf(^er aufftofeenben S^agen foglei^ 2lnttoort geben ju
fonnen, ol^ne t^m bie äßfi^e eignen ^iftorifd^^fritifc^en 2>enfeni^
aufjuerlegen, unb überfallen, bafe fie nid^t einmal foüiel (&mpxm
befafeen, um ibirtlic^en gorfd^ern bie rechten Sfnijattöpunfte für
eine tt)iffenfd^afttidöe tjiftortfc^ *fritifcfie Seljanblung beftimmter
bi|)lomdttfd^er gragen ju geben. —
©0 ^at ber »Nouveau trait^ de diplomatique« bcnn
andi in ber fp&teren biplomatifc^en fiitteratur nur baju bei»
getragen, aSermirrung anjuric^ten, wenn S)ipromatifer ben
aSerfuc^ machten, nad^ feinem SSorbilb ein Se^rgebäube i^rer
SBiffenfd^aft ju errid^ten. S)aö ift in S)eutfcf)Ianb gefc^e^en,
toie ttjir eiS gleich erjä^Ien toerben. 3n 5^an!reid^ aber ift bie
einjige Arbeit, bie an ben Nouveau traitö Inüpfte, beSBaiH^ö:
Elements de pal^ographie (1838), ein Äu^jug aui^ jenem
äBerfe, mit einigen felbftänbigen 3"^^^*^^^ ^^ f^^"^ Aufgabe
feine^weg^ in einer gortbilbung ber biplomatif^en SBiffenfc^aft
unb überhaupt nic^t nad| ber miffenfc^aftlid^en ©eite ^in fuc^t,
fonbern nur ben 3^^^ ^i"^^ praftifd^en Swfömmenfteüung be^
für bie franjöfif^en Ärd^iüare SBiffen^ioerten in ?ßoläograp^ie,
S^ronologie unb S)ipIomatif erftrebt unb fein SSerbienft in ber
gefc^idten Surd^fütjrung biefeö ^taneö f^at —
Unb eg mfire Dftllig fatfd^ geurteilt, tooHte man bic SBeiter*
entn)ide(ung ber 2)ip(omatif in ^ranfreic^ an bad SSerf ber
äRauriner anfnüpfen. S)ie l^o^c (SnttoidEelung ber Urlunben*
ttnffenfd^aft bort l|at i^re (Srunblage !eineötoeg§ in bem, toa^
bie 3Rauriner im Nouveau traite aU SDipIomatif üortrugen,
fonbern barin , toag fie ate S)ipIomatifer Icifteten. S)ie
28 3n>eiteS StapxUl
^rabition in bcr ?lr6eit felbft, bte Don itjncn ausging, ba§ ift
bic ©runblage ber tociteren Snttoicfdung ber 3)tptomatif in
granfrcic^ gciporben. S)lc SWaurincr l^Qttcn, noä) beüor fie an
bic Slu^arbeitung bcS Nouveau traitö gingen , f^on bcn
»Recueil des historiens des Gaules et de la France« in
Eingriff genommen (1734). Sluc^ bie Urtunben fanben bafelbft,
noc^ einjcinen 9Uegentcn unb innerhalb il^rer 3^it d^ronologifc^
gcorbnct, i^ren 5ßlag. Unb afö bie 9)?auriner fid^ an bic ?tui8*
orbeitung beö Nouveau traite machten, tooren fie bereite
berufen, bie Slegtcrung in i^rcn großen planen für ^craui^gabe
l)iftorifdjer SBerfe unb befonberS bon Urlunbenwerfcn ju unter*
f tilgen. S)ie baju SBerufenen öon i^nen tourbcn eben bie erftcn
SKitarbeiter für baö Don öertin unter 3»oreou'i§ Seitung in«
Seben gerufene Cabinet des chartes (1762).
§ier würben ©taati^beamtc unb anbcrc Saien i^rc ©enoffen
in ber Slrbeit, bie fi^ barouf crftrecfte, bie Ärd^iöe unb
iBibliotl^elen beS Sanbed mä) einem beftimmten $(an ju burc^«
fu^en unb bie Urfunben ju öerjeii^nen unb abäufd^reiben.
S)iefe Äopien, St)QrtutarIiften, Urfunbenöeräcid^niffe, Slrc^ib»
Dcräci^niffc u. o. luurben bann in biefem Cabinet des chartes
gcfammelt, fo bafe bic ©ele^rten, Suriften unb ©taat^mdnner
für .i^re Qrocdt fd^nell äufammenbringen fonntcn, loa« in bcn
jatjUofen ?Irc^iDen jerftreut loar. Unterftüfet bon bcn ebenfalls
ticrangcjogenen DrbenSgcnoffen öon ber Kongregation bon
©t. SSanneö unb im ©nocrne^men mit einigen anberen
©ele^rten loeltlic^en unb geiftlid^en ©tanbeö lieferten bie
9)?auriner bie Hauptarbeit für biefe ^Ird^ioforfc^ung unb
Urfunbcnfammlung. SSon 1764—1789 fanbten fie an SÄoreau
30—40000 ftopicn, bie An c^ronologifc^cr Drbnung ^eutc
284 S3änbe füHen, eine crftaunlic^e Seiftung, aber juglcic^ ein
3eugnig beö toiffenfc^aftlic^en ©fer«, ber auögejeid^neten
Drganifation ber l)i[torifd^en ©tubien unb ber l^o^cn miffen*
fc^aftlic^cn öilbung bicfcr Senebütiner. Unb mit S)anf6arfeit
lieft man nun bei S^opolb S)eli§te bie nad^ ^unberten jä^Ienbcn
9iamen biefer aßen Sanbfc^aften granfreid^S anget|origen , fo
geletjrten SKönc^e. — 1790 tt)urbc aUerbingö ba« Cabinet des
3)ic 3)tt)IoTnQtif in granfrcicf) {eit ^Kobiflon. 2&
cLartes aufgelöft, aber iöre Slrbctt rul^te nic^t unb and) it>re
S:rabition nte^t. Unb btc leitete lebte aud^ fort, aU ber
©türm ber 3iet)oIution bie Slrbctt ganj geftört unb bic fromme
Kongregation aufgelöft l^attc. ®§ blieb lebcnbig in ber ©rinne*
rung, tt)a8 biefc öcnebiftiner geleiftet unb tt)ie fte gearbeitet
Ratten. Unb aU 1807 JRapofeon • ben 5ßlan faßte, auf« S«eue
bie §(rbeiten für bie 9tationaIgefc^ic^te aufjund^men, unb baju
eine ©c^ule begrfinben tooQte. in njeld^er junge Seute, bie
Steigung ju ^iftortfc^en ©lubieu t)atten, unter ber Seitung
erfahrener SKönner Urtunben unb ^anbfc^riften beö SKittelalteri^
cntj^iffern lernen follten, ba gebrauchte er in feinem ©rtafe bie
benItDÜrbigcn. unb bcjeic^nenben, tt)enn auc^ nic^t ganj lorreften
SB orte: »k creer des b^n^dictins civils röunis dans une
esp^ce de Port -Royal laic«. — 2lu« JWapoteonS ^lan
tourbc nun freiließ nid^t«, unb 1821 crft, unter bem SRinifter
SBl. ©imeon, trat bie »6coIe royal des eliartes« tnö Öeben, bie
frei(id) 1823 fdjon auö allerlei ®rünben, namentUd^ benen einer
unpra{tifd)en Drganifation, toieber aufgelöft tourbe. 1829 lebte
fte aber fräftig auf unb bot nun anä) ber S)iplomatit in i^ren
Se^rföc^ern eine ©tätte, an metc^er fie, aU eine l^iftorifc^e
SBiffenfc^aft betrieben, fd^neß toicber ju Ijo^en »iffenfc^afttic^en
Seiftungen fid^ er^ob, bereu §öt)epunft bie biplomatifc^en 9trbeiten
t)bn S^opolb S)eli«te bejeicbnen,
(£ö ift aber ©iplomati! in ber 9lrt unb S^rabition ber
SRauriner, toag S)eli«le unb feine (Senoffen unö bieten. S)arum
l^ielten [benn auc^ bie franjöfifc^en Diplomatiter bic öon
ben STOaurinern übernommene unb gleic^fam al« ftercott)|>
betradjtetc 9lrt, toit SWabtDon Urfunben ebierte, mit einer §art*
nüdigfeit feft, bie, man möi^te fagen, fid^ gegen bie beffere
einfielt fträubte. (£rft neuerbingö finb in ben üon ber Äcole
des chartes auigge^enben 5ßublifationen einige Steuerungen in
bem Urlunbenbrud angebracht, toelc^e beutfd^e Oele^rte mit
üoUcm SRec^t fc^on feit langem angemanbt l^aben. Unb uber^^
t)aupt jeigt eben ber ganje ß^aralter ber Seiftungen , bie bem
Äreig ber :6cole des chartes entftammen , b. i. aller fran^^
jöfifc^er S)iplomatifer biefe GiittDidelung aii§ ber 3;rabition.
30 dritte« ^apxUl
^tc SSorjüflc bicfer Slr6eitcn finb eben toenigcr ein gortfc^ritt
in bcm Sluffud^cn neuer SKerfmofe an ben Urfunben für bic
Äritif unb neuer SKet^oben, biefe Seoba^tungen ju üerwcrten,
ober ein ©treben nad) einem f^ftemotifc^en Stuöbau ber Urfunben-
toiffenfc^aft felbft, afö öietme^r g^^^f^ri^^^ ^^ ^^^ Slnmenbung
beö oon aWabiUon gegebenen Seifpiete unb feiner Se^rfäge
bei ber Söefc^äftigung mit fonfreten Urfunbenfragen. aWöglidöft
jJoUftanbigeig äWatcrial, forgfättigfte Sichtung unb fauberfte
Bearbeitung beffetben, bann befonnenfte Betrachtung unb bor«»
fic^tige ©c^lufefolgerungen, barin liegt ber fiern i^rer Seiftungen,
aug bem fic^ bann njieber bie ]&cole des chartes i^re
Srabition für bie S)iptomatif felbft gef^affen ^at. Unb in ber
©efamtl^eit biefer (Sntnjicfetung ju biefer neueren Srabition ber
jfecole des chartes, barin lag ber gortfd^ritt ber 2)iplomatif
in granlreie^ bi^ in bie fünfsiger Sa^re unfere^ Sa^r^unbert^.
3.
Stt S)eutfc^lanb ift eö mit bem ©ntiüicfelungSgang ber
^iplomatif feit äßabiUon anberS a\& in ^^i^anfreic^ gemefen.
Unb anberö ift e§ ba aud^ mit ben gortfc^ritten ber S)iplo^
matif ali^ SSiffenfd^aft unb i^rer heutigen ©cftaltung geworben.
Qu jener Qtxt, ba SKabiUong SBerf: De re diplomatica
frfdiien, fammette Seibnij Urlunben für feinen Codex juris
gentium (1693). @r ^at mit bem geletjrten SKauriner for*
refponbiert, er !ennt feine SBerfe, nennt i^n in feiner ffiorrefpon*
benj fonft, »ie in ber SBorrebe ju feinem ßobej beig SSölfer*
rec^t^ unb öerc^rte i^n ate einen ber gete^rteften SRänner ber
SSelt auf bcm ©ebiete ber Urlunbenforfd^ung. Sber eö lag
feinen Qtotd^n, bie geltenben ©taatöoertrSge für bie ©taatg=
männer unb ©ele^rten ju fammeln, ganj fern, fic^ mit Ur^
funbenfritif unb gragen ber S)iplomatif ju bcfaffen, unb man
fann auc^ nic^t einmal be()aupten, bag Seibnij äßabillond äSerf
ftubiert ^abe.
©0 finben mir benn in Seutfc^lanb ba^ erfte ©tubium
öon aWabiUong SBerf bei Sodann Slifolauö ^ertiuig, SReci^t«^'
a)tc S)i:pIomatif in S)etttfcftlanb feit SJlabillon jc. 31
Icl^rcr 3iu ©iefeen, in feiner „Dissertatio de fide diplomatmn
Oermaniae imperatorum et regum" (1699). ®r bringt nati)
Wlabxüon eine SBetroe^tung ber Urfunbcn uad^ i^ren SÄcrtmalen,
bie er in äußere unb innere t^eilt; unter jenen öerftel^t er bie
<Sprad^e, bie ©d^rtft, S^t^kn, §anbmale, ©iegel; bei biefen
trennt er bie 9Äitte be^ 5:ejte^, wie er eö nennt, üpm ©d^Iufe
ainb berücfftd^tigt tjier bie Äönig^unterfd^rif t , bie Äanjlerunter-
fc^rift, Ort, Qütan^abt unb Scftegtung. Über bie gormein
be^ Sontegte^ läfet er fid^ nur wenig an^, unb er ftilft ftc^
über bie ©d^wierigfeiten, ipelcfje t^m ba entfte^en, mit ber öctonung
fort, inic breit ba^ gelb einer Unterfucf|ung fiber ben Siec^tj^*
tn^att ber Urlunben fei, unb bafe er borüber l^inwegge^en muffe,
toeil bie Äenntniö ber früheren aSerfaffung^juftänbe noc^ ju
unt)oUftanbig ift. (£r ift überhaupt in ber ganjen Arbeit un^
jelbftänbig unb oberfläd^lid^, aber er ift anregen b unb er toar
i)er erfte, ber in S)eutfcl^lanb jum Slui^bau ber S)ipIomatif ate
SBiffenfc^aft aufforberte. *
Unb öon ^ertiuig ging eben ber nad^^altige Slntrieb auö,
iie S)iptomatif jum ®egenftanb atabemifd^er SSorlefungcn ju
ma^cn. Unb au§ ben Sebürfniffen bicfer Sorlefungen ent*
toidEelte fid^ bann eine Sitteratur bon ftompenbien, tote bie
Arbeit (SdC^arbtö ju Sena: Introduetio in rem diplomaticam
praecigue Germanicam (1742) unb jene Soacfjim^ ju §alle,
„Einleitung jur beutfc^en ©iptomatif'' (1748).
©cfl^arb unb Soadjim l^ielten fic^ ftreng im Stammen i^re^
^roedeö. S)er ©tubierenbe foH angeleitet toerben, toa^re faifer«
Uc^e fc^riftli^e Urfunben, toie Soac^im fagt, öon ben falfc^en ju
iinterfd^eiben. ©ie bringen allgemeine unb fpejicDe Belehrungen
oinb jeigen bereu Slntoenbung auf bie^ßrüfung ber Urlunben. 3)ie
3)iplomatif felbft aber toirb toeber im Snbalt uod^ Umfang
bereichert. SDian lann bei Soad^im too^l rü^menb bemerlen,
bafe er juerft in beutfd^er ©prai^e bie Urfunbenle^re be^anbelt
i^at, bafe er für baö „diploma'V ^abillon« „Urfunbe" gefegt;
md) f)at er in bem ^auptftudE über bie 3c"ÖC" ^'« Kapitel
me^r afö SdE^arb, aber t)on einem gortfd^ritt ber S)iptomatif
barf aud) bei Soac^im nic^t bie Siebe fein.
32 3) ritte« Kapitel.
S)ieö toar bic eine Sintoirtung SRabiDonö auf bic bcutfc^e
aSiffenfc^aft. ®ine anbete jeigen unS Oottfrieb ©effetö unb
3ofep^ Don §a^n§: Chronicon Gotwicence. Tomus pro-
dromus (1732) unb Sodann ^eumannö: Commentarii de re
diplomatica imperatoruin ac regum Germanorum inde a
Garoli Magni temporibus adomati (1745 ff.) unb Com-
mentarii de re diplomatica imperatricum ac reginarum
Germaniae (1749).
35er ©enebiftinerabt ®ottfricb S3effel ju ®btmH) in
Stieberöfterreid^ ^attc ben 5ßfan gefafet, Slnnalen feinet Sloftcr^
ju f einreiben. (Jr unb fein ®enoffe Sofep^ Don ^a^n, ber
f<)ätere SBeitibifd^of ju Samberg, nahmen fid^ für biefen Qtotd
SRobißonö Annales ordinis S. Benedicti jum SSorbilb. Sine
Sffdjäftigung mit ben Urlunben ber älteren beutf^en Äönige
unb fiaifer erfc^ien balb aU eine nottoenbige SSorarbeit, unb
für biefe nannten fte ft^ SRabiDonö De re diplomatica jum
SWufter. 1732 erfd^ien if)re §Irbeitt t)ie i^rem 3nf)altc nac^ eine
S)i))IomatiI ber beutfc^en Stönige Don Äonrab I. bi& grlebric^ II.
ift. S)ie äufeere Slnlage fd|on, bafe bag erftc 93uc^ Don Sucher*
^anbfdirtften ^anbelt, bafe bag brttte SBuc^ ein SSerjeic^niö ber
löniglic^en SBiüen unb 5ßfat5en enthält, bejeugt bie unmittelbare
?lnte^nung an äWabinoniS SBerf. Unb ia^ gefd^iel^t ebenfo-
aud^ im älueiten SBud^, too ba^ Chronicon Gotwicepse Doa
ben S)ipIomen ^anbelt. SKobillon toirb gegen (Sermon Der*
teibigt, unb bie SKetfmate, auf tDeld^e gead^tet toirb, finb bie
Don SRabilloR beobad^teten. Unb nur barin jeigt ftc^ eine ?lb*
toeid^ung, bafe bie Urfunben ber einjelnen dürften je für fic^
gteid^ jufammen be^anbelt luerben. S)a§ Dterte JBuc^ bringt
bann nod^ in einer 3"fömmenfteIIung ber beutfc^en ®oue im
Mittelalter eine erfte fe^r banfenStoerte Sel^anbrung unferer
mittelalterlid^en ©eogrnp^ie. — SBetrac^ten toir nun ober bic
eigentUd^e pofitiDe ßeiftung ber SSerfaffer beö Chronicon Got-
wicense für bie Äritil ber Urfunben, fo jeigt e§ fic^, bafe fte
tro^ ber ^öc^ften ©orgfalt unb öerüdEfic^tigung aller SRerfmale,
ouf bie fte nad^ SDJabiUon ad^teten , ntd^t erreichten , toa^ fte^
aud^ im Qkl mit SDJabillon einig, erftrebten, nämlid^ fotoeit ia
S)ie ^tptotnatte in ^eutfc^Iattb feit aJSabiaon ac. 33
boiS UrfimbenhJcfen bcr einjefncn Äöntge cinäubringcn , bafe bic
bcn einjelnen Slcgcnten toirfüd^ gugefiörigen S)ipIome t)on falfc^cn
untcrf^iebcn tocrben fonntcn. 2)ag SRaterial, baö fic bcfafecn,
unb namentltd^ baiS an Originalen n^ar c6en t)iel ju geringe
nm tro| einer richtigen S3c^anbtung ttjiffenfd^aftüci^c SRcfuItatc
baran jettigen ju fönnen. ©otoeit natürli^ trifft fte aber fein
SSortourf, im ©egenteil fte t)erbienen nur ßob, unb biefer erfte
?lnlauf ju einer oDgemeinen S)ipIomotif ber beutfd^cn Äatferjeit
toirb immer rü^menb ju nennen fein. 9iun üerfannten aber bic
SSerfaffer biefeS ©d^eitem i^rer 5ßläne, unb inbem fie ftd^ it)rer
falben unb fd^iefen ©rgebniffe erfreuten, fd^ufen fie im ©roßcn
unb (Sanjen für bcn benfenben Scfer eine ttunberü^e JRotiäcn^
fammlung, bic, gleic^fam il^rer felbft Tillen angelegt, biefen bie
grage ablodEen mufete, tooju foll ba«? unb bie, toenn biefer
Scfer nid^t bic biplomatif^c ßitteratur im (Sanjen fanntc, fogar
bcn ©nbrudE machte, baß folc^e Unterfud^ungen überhaupt ju
toiffenfd^aftlid^er S3elel)rung über bie betreffenben Urfunben
toertloig feien. Unb ?)ß^merg able^nenbeig Sßer^alten gegenüber
ber S)i^)Iomatif ift, toenn aud^ nid^t au8 wiffenfc^aftli^er @in*
ftc^t entfprungen, benn baju toax SBö^mer im Slnfange fetner
aScgcftenarbeiten boc^ aDjufc^r Saie in I)iftorifd^en SJingen,
burd^auig erflärlid^, toenn er eben nur biefc eine umfangrcid^fte
unb gelel^rteftc SSorarbeit über bic beutfd^en ffioiferurfunben, bie
bai8 Chronicon Gotwicense enthält, fannte.
©inen anberen SBeg nun aU SBeffel unb ^af^n f)at
So^anneö ^eumann ju 2Htborf eingcfd^lagen , un8 feine
Seiftungen ^aben au(§ einen anberen 833ert erlangt. @r griff
im 2;^emo toeiter jurüd afö bic SSerfaffer ber Chronicon
Gotwicense unb faßte ba^ beutfd^e Urlunbennjcfen. t)or fiart
bem (Srofeen ab inö Sluge.
©eine Commentarii de re diplomatica Imperatorum etc.
(1745) unb Commentarii de re diplomatica Imperaticum
(1749) bel^anbeln bie Urfunben ber ffiaifer unb ftbntge öon
ffiarl bem ©rofeen big auf Subttjig bcn jüngeren unb ber
Äaiferinnen unb Königinnen öon Äartö bei3 ©rofeen Qnt biiS
^iftotifd^e »ibliot^c!. »b. IV. 3
34 ^ritted ^itel.
auf fiarl VI. ^cumann l^atte gor feine Originale cingcfe^eu,
er bcbauerte baö, aber er tröftete fic^; man fönne ja für
gragen nac^ bcr Driginalttät Quf einen üKabtDon, einen SBalujie,
SDiuratori, 3Wart^ne u. a. fic^ t)erlaffen. Unb bann, fo um*
fc^reibt er eine anbere, i^n tröftenbe ©rmögung: Membrana
proba , recta scriptura , monogramma verum , sigillum
haud suspectum, et tota tabula ficta. S)er ©a^j bctoeift
aüerbing«, bafe er feinen ÜKabiüon boc^ nic^t gan^ genau
ftubiert tjatte, unb ift grunbfalfd^. SBirflidie @cl^tl)eit ber
fingeren Äennjeic^en fc^Iiefet jebe SSerbäc^tigung be^ Snl^altcg
ouö. 9l6er §eumann tröftete fid^ bod^ bamit unb braci^te barum
auc^ feine öefpred^ung ber äußeren SWerfmale bcr Äarolinger^
urfunben im SBefenttic^en auf SWabiHon unb ftü^te fic^ für
bie fpfiteren S)ipIome auf baö Chronicon Gottwicense u. a.
®an} felbftänbig aber ift er in bcr Se^anblung bcr inneren
äRerfmale, unb toai^ er ^icr für bie Äarolingerurfunben Iciftet,
bebeutet einen entf^icbenen gortfc^ritt ber S)iplomatit ©r
fammelte ein Diel gröfeereö äRoterial, ate feine SSorgängcr
befeffen l^atten, benugte eö in forgfältigfter 9lrt unb fam mit
feinem Sc^arffinn bann ju neuen ©eobad^tungen unb ju mc\)X
gefiederten 9Refultaten. Unb nod^ ein SSSeiterc^ führte i^n über
SRabiQon {)inauS. @r beamtete ftets fe^r forgfältig ben @ac^^
tn^alt, tourbe fo auf eine SSe^anblung ber in ben S)ipIomen
berührten Siec^töjuftänbe geführt, unb feine forgffiltigen
SBeobad^tungen üer^alfen i^m ju bcr ©rlenntnii^, bafe er in bcr
Se^re t)on biefen SRcc^tiSjuftänben ein toeitere^ 9J?itteI jum
SSerftSnbniö unb auc^ jur Äritif ber Urfunben beftfec. S)eö^alb
fc^Iofe er in feine Kommentare über bie Urfunben üon Äart bcm
©rofeen bi^ ßubtoig augfü^rlicfi ©rörtcrungcn über bie faro*
lingifc^e ©taatöüerfaffung ein. Unb biefe Arbeit ertoccftc in i^m
aufö lebenbigftc bie ©nfid^t, toelc^c toirflici^c ^Bereicherung bie
SRec^ti^^iftorie aui3 bem ©tubium bcr alten Urfunben fc^öpfc
unb wie auc^ bie öerfd^iebenften SBiffenfd^aften bon ba au«
bie größte ^Bereicherung erfahren fönnten. Unb barum begeiftert
er fic^ toicber für einen toeitcren großartigen Slu^bou ber
Diplomat« aK SBiffenfc^aft.
^ie ^iplotnatif in 3)eutf4(anb feit aJlabiUoit ac. 35
©0 jetgtctt i&eumannS biplomotifc^c 9lrbcttcn aDc einen
entfd^iebcnen gortfd^ritt, obluo^l er o^ne Driginafe gearbeitet
l&Qt. Unb ^ätte man auf i^neu »ettcr aufgebaut unb in feiner ?lrt
unter i^eranjte^en Don Originalen gearbeitet, fo ^atte bie Don
SKabtllon auögelienbe neue SBiffenfd^aft in 3)eutfd^Ianb fid^ \o^
flleic^ Vö^er enttoicfetn lönnen. Seiber verliefe man feine SBegc
unb bieö beöl^alb, toeil injtoifc^en ber Nouveau traitö de diplo-
matique erfc^ienen mar. Unb gerabe ein ©d^üter |)eumann8,
ber (Söttinger 5ßrofeffor ß^riftop^ ®atterer, ber in Slltborf brei
Sa^re in i^eumann^ ^Qufe gelebt unb i^n bei ber 3lrbeit ber
Urfunbenforfd^ung beobachtet I)atte, foHte nun bieäBege einfc^Iagen,
bie Don einem gortfd^ritt jum 9iü(ffc^ritt unb SSerfaö führten.
®attcrer mar bur^ i^eumannS Sintoirfungen Don bem ®e^
banfen ber SRottoenbigfeit ber Ur!unbenforfd^ung für bie (Se^
fc^ic^tfc^reibung fe^r lebhaft unb nac^^altenb erfuQt morben. (£r
trug fid^ benn auc^ fogar mit bem ^lane einer „Germania
Sacra'* ^erum. S)ann Ratten fic^ feine miffenfc^aftlic^en 5ß(äne
unb Steigungen ju einer ^iftorifd^en SIrbeit auf urfunblic^er
Orunblage Derbic^tet. 1755 erfc^ien feine (Sefc^id)te ber Ferren
Don |)oIäfd^uI)er, bie im Sln^ang Diele Urfunben brad^te, unb
in meld^er er ben fSmd^ erfolgreidjer Sefd^äftigung mit Ur^
!unben lieferte, ©nige anberc Heine ©d^riften fc^on me^r
biplomatifd^en 3n^alt§ folgten. 1759 tourbe er 5ßrofeffor ber
©ef^ic^te in ©öttingen. ^ier begränbete er eine ^iftorifc^e
afabemifc^e ©efeUfcftaft unb ^ielt mit ben ®enoffen Übungen
in ber S)iplomattf, unb jugleid^ begrfinbete er für feine Untere
ric^töämede ein „Museum diplomaticum", eine Sammlung
Don Ur!unben im Original, 3^^^«MWgen Don S)ruden Don
aücrtei ©c^riftproben, Don. SRad^jeic^nungen Don ß^rii^men unb
SJionogrammen unb Don ©iegetn, bie er erftaunlid^ f^neH Der*
mehrte. S)ann aber ftellte ftc^ ba§ ©ebürfnilt für ein Sel)rbud^
f)Qxan^. S)ie Dor^anbenen genügten i^m nic^t, jumat nun jeber
neue SBanb beS feit 1750 erfc^einenben Nouveau trait^ de diplo-
matique bie biplomotif cften 6in jelfenntniff e f o erftaunlic^ Derme^rte.
9?un teuren in einjelnen 5ßunften feine llrfunbenfenntniffe
über bod) reicher afö bie ber geleierten 9iad)eiferer SWabiüon«.
36 3)rittc8 ^apM.
Unb fo faßte er unter bem Sinbnid ber im Nouveau traitö
ju 2;afle tretenben ©^ftemati! ben 5ßtan, bie bi^l^ertgen bipto:»
motifd^en SBerle unb Se^rf^ftcme burc^ ein neues ju erfe^en.
©0 entftanben feine „Elementa artis diplomaticae univer-
salis'' (1765), benen nad^ langen Satiren erft ber: Slbrife ber
S)t^)Iomattf (1798), ein Slugjug auö bem erften 833erfe unb nur
in einem Keinen ?lbfc^nitt „gormellunbe" eine ®rflan5un9 ba5U,
unb: ^raftifc^e 2)ijptomotif (1799) folgten, le^tereg ein SBud^
mit biptomatifd^en Übungsaufgaben unb ben §intueifen für i^re
Söfung. ©attererS Elementa beginnen mit einer öerftftnbigen
SSorrebe öoH neuer ©ebanfen unb felbftönbtger Urteile. ®r öer^
breitet fic^ über ben (Sl^aralter ber S)ipIomatif ate SBiffenfd^aft,
über bie SBebeutung ber Urfunben unb entmidfelt feine ®ebanfen,
toelc^e SKerhnole man für bie Urfunbenirttif ju bea^ten, unb
toie man fie für eine rid^tige SSead^tung jufammcnäufaffen, n)ie
man fie alfo einjuteiten ^at. 6r fommt babet ju ber ßc^re,
man mufe fold^e äWerfmoIe unterf^eiben, bie nur ben Originalen
eigentl)ümlic^ , unb fold^e, bie ben Driginaten unb Slbfcftriften
gemeinfam finb. S)ie Originale, fo le^rt er, toeifen ate bt^
fonbere SWerfmale auf: ©d^reibftoff, ©c^reibmittel, ©c^rift, baS
finb bie „grap^ifc^en" SKerfmale, unb ©ieget, Sonogramme unb
ß^riSmen, 9iotariat§^Äanäletäeid6en unb ö^nli^eS, baS ftnb bie
„femiotifc^en" SRerfmale. S)aS ben Originalen unb Sbfd^riften
©emetnfame finb fold^e SKerhnale, bie man gormein nennen
fann. ©o ^at benn alfo bie ©iplomatif über ®rap^i!, ©emio^
tif unb gormeKunbe ju ^anbeln. Unb auf biefer S)retteilung
baut bann ©atterer fein ©^ftem auf, furj, tro| SSertoenbung
beS Sn^altS beS ganjen „Nouveau trait^", fonfcquent unb
fidler. Unb obgtei^ feine Elementa mit ber „©emiotif" ab^
fd^Ioffen, baS ®ebiet ber gormellunbe alfo noc^ gar nic^t be»
Baubeiten, ertoarb baS SBu^ fid^ bei ben ßeitgenoffen ein grofeeö
?lnfe^en. Unb ba ®atterer, toie feine „5ßra!tifd^e S)ipIomatif"
bereift, ganj unjtoeifel^aft ein fe^r tüchtiger afabemifc^er Se^rer
biefer ©iSjipIin toar, fo fanb fein SRu^m alS S)tpIomatiter
immer neue 9Serfünber> unb eS läßt fid^ erftären, bafe fein
©^ftem für breifeig Sa^re in ©eutfd^Ianb baiS ^errfc^enbe tourbe.
3)ic 2)ipIomati( in S)eutfcölanb feit Wabillott 2C. 37
§Iber fdjtoere gelter in ber Slnlogc bcg ÜBud^eg finb nic^t ju
t)ertcnnen. Unb obenan, um t)on ben Strtümern in feinen
biplomatifc^cn Äenntniffen abjufe^en, ftcf)t bie im jtoeiten Sud(c
öoflfü^rte ©c^öpfung eineö neuen ®ebietö ber Urfunbenlel^rc,
eben berjenigen ber ©emiotil. S)ie in fid^ burd^auö üerfd^iebencn
SKerfmale beö S^riömonö, beS TOonoßrammö, be^ SRetoflnitioni^
jeic^en^ unb be^ ©iegetg toerben ^ier jufammengetoorfen, unb
bie fo toid&tigen Äa<)itel öon ber Übergabe unb ber SSoHjie^ung
ber Urfunben tnerben babei an falfc^e ©teile gebracht unb falfd^
bezaubert. S)iefer grobe gel^Ier fonnte [ic^ ber SBiffenfc^aft ouf
bie S)auer niefit verbergen, unb einmal entbedt mufete er ben äBcrt
beö Suc^ei^ in ben S[ugen ber gorfd^cr, bie tiefer in bie S)iplo*
matif eingebrungen toaren, bod^ fefir minbern. Unb öcr^äng*
niot)oDer unb nic^t blofe für ®attererö SRufim, fonbern ffit ba^
Slnfe^en ber S)ipIomatiI in S)cutfcf)tanb überhaupt tourbc bie
ganje ©igenart feiner fi^ ini8 detail berlierenben ©^ftematif,
bie er in ben Elementa unb fpäter ebenfo in bem Slbrife ber
2)ip(omatif burc^fü^rt. JRacfi elf fe^r lefenötoerten unb in
iljrer Äür5e unb 5ßräjifion Dortrefflic^en Äapiteln ber 5ßrote*
gomena fommt ber fiefer mit bem jtoölften Äapitel an eine
Lobelie ber öerfd^iebenen Slrten Urfunben. S)iefelben jerfaHen
aüerbing« nur in. jwei große ©ruppeu, aber toa^ ha an Unter*
abteilungen, ©pejialunterabteilungen geboten tuirb, fommt fc^on
mit römifc^en unb arabifdjcn 3'ff^^"' ^^t lateinifd^en unb
gried^ifd^en Suc^ftaben nid^t mebr an^. Unb ber ßefer befommt
einen erften SSorgefd^mad üon (Satteren^ Steigung jum ©c^ema*
tifieren unb 9iubrijieren, bie bann in ber weiteren ?lrbeit nod^
ganj oufeerorbcntlic^ ^erüortritt. 3m fünften Äapitel ber ©d^rift*'
lunbe finben toir bie Älaffifijierung aller ©c^riftarten in 156
Paragraphen abge^anbelt; e« ift ba^ ®attereri3 üielbefannter
unb ftetö mit 9led^t getabelter »Linnaeismus graphicus«.
Unb mag er ba in ber Sefianblung ber öier 9ieid^e ber Schrift,
ber Snfc^riften, §anbfdE)riften, Urfunbenfd^riften, Äurrentfc^riften
an Slufjäl^Iung öon ßlaffen, Drbnungen, ©erien, Steilen,
®efd^Ied^tern, unb namentlid^ in betreff ber Snfc^riften^ leiftet,
ift nur öertoirrenb, unb bie beigefügten S^abeHen bienen nur
38 dritte« ^apM.
boju, biefen äBirttQarr aufd SBefte gu beranfc^oulic^en. SBon
einer toirflt^en ©elc^rung ober über bte ©nttotcfelung ber
©c^rtft, ifiren Bwfömmcn^Qnfl, bad SScr^fiftniS üoit Urfunben«
fd^rift }U ^anbfc^riften ber Qtit, t)Ott präjifer Umgrenjung ber
5ßertoben ber Snttotdefung , d^arofteriftifd^en Äennjeic^en ber
etnjelnen ©nttDicfelungöp^afen u. f. tp. pnben wir fo gut tute
nid^tö. Unb überhaupt, ido toir ung in bem ®ebtet ber ©c^rift*
fuwbe unb ber Qtiäjtntmht in ©atterejS SBud) nmfe^en, fiberall
ftofeen totr auf eine gfllle ber ©^jejialifierung inS ffiletnfte
hinein, unb überall toerben totr im ©tic^e gelaffen, roo toir
über ben ©d^riftd^arafter einer beftintmten Qext, bie Sefieglung
getoiffer Urfunben u. a. eine Hnttoort öerlangen, furj, too toir
nac^ ben 95elel)rungen fuc^en, bie wir für bie toiffenfc^aftlic^e
Äritif einer Urfunbe uni8 ^oten muffen. — Unb ate ®atterer
bann ben ?lbfd^nitt öon ber gormelfunbe Veröffentlichte, aDer^
bingiS in feinem einunbfiebenjigften Sebenöja^re, ba fe|te er ben
geilem ber ?(nIoge unb biefer ?lrt ©^ftematif bie ftronc auf.
©anj unpaff enb »irb in bie gormelfunbe, toelc^e in bie aH*
gemeine unb in bie fpcgieDe gormelfunbe jertegt »irb, atö erftei^
^auptftüd bie ,,bipIomatif^e ©prad^enfunbe'' ^ineingebracl)t,
beffen ©ac^intiatt toieber nac^ bem »Nouveau traitö« gearbeitet
ift. S)ann bringt ba8 gleite §au))tftüdE unter bem (Sefic^tö*
punfte ber S)reiteifung in Slnfangi^tejt unb ©d^Iufeformeln eine
allgemeine Überfielt aller Arten gormein. SWun toirb ber
Sefer ja, toenn er unter ben 2lnfanggformeln ba aufgejäfilt
finbet: ?lnrufung^formeI, SRame unb 3;itel, Slnfunbigungigformel,
©nganggformel, baö öeftimmte barauö entnel^men, bafe ber
2lnfang Don Urfunben gen^ö^nfic^ in biefer Art na^ gormefn
eingerid^tct ift, er toirb bei ßeftüre üon Urlunben barauf achten,
unb bei tiefem ©tubium auc^ 5lKerfmaIe für ftriterien barauf
geminnen. 2)ann beginnt aber eine Überfid^t ber S^ejtformeln.
Unb e« toirb ba gelehrt, ba§ eiS tI)eo(ogifc^e , juriftifc^e, pi)\\o»
fop^ifc^e, öfonomifc^e, matt)ematifc^e, p^^fifd)e, ^iftorifc^c gormefn
giebt. 5)iefe l^iftorifc^en gormein »erben bann in bie eigentlid)en
l^iftorifd^en gormein , afe ba finb : TOenfc^l^eit^gefc^ic^tlicöe
gormein, :poUtif^gefc^i^tIic^e gormein u. f. w. unb baneben
3)ie 3)ipIomatif in S)eutfd)(anb feit Wtabiilon :c. 39
in d^ronologijci^c, ßcograp^ifd^c u. a. gormeln Haffifiäiert-
Unb ö^nti^ tote ^icr gc^t t^ bann in bem Jfapitcl t)on ben
©^fufeformcln. Unb in bem Äbfd^nitt bcr ©pcäialformcIEunbc
finbct bcr toipcflierigc fiefer au^ toicbcr nur einen großen
S^otijenfram , o^ne bafe biefer ouiSrei^tc, »irflici^e Draftif^e
3)etai(fragen für ben Urlunbenforf^er ju ertebigen, unb ofine
bafe über ba^ SBefen ber etnjelneu gormein, t^r d)arafteriftifd^e«
2luftreten in befltmmten Urfunbcnarten unb ®ruppen u. ä. aud^
nur ber ?Infa| einer SufHärung gcmod^t wäre. — ©o ftanb
bei tieferem einbringen in bie ©aci^c ber fiefer biefem ©Aftern
ratlofiJ gegenüber. S3ele^rung irgenbtoelc^er Wct fanb er nid)t,
einen gtoecf lonntc er in ber ©ac^c auc^ nid^t finbeu, noc^
tocniger einen Sinken. Unb gerabe, toeil ein berühmter SBer*
treter ber S)iplomatif biefe Sudler gef^rieben, mußte bem
benfenben ®ele^rten ber 3^cif^t an i>^^ SBiffenfc^aftlic^Ieit einer
^i^jiplin !ommen, bie in einem auf SBiUfür aufgebauten ©Aftern
)iä) repräfentierte. Unb ba§ ber fiefer nun t)on biplomatifdjen
©tubten e^er abgefc^redt al^ angejogen tonxbt, ift ganj erflärltc^.
©0 wirfte bie gortfc^ung unb Verarbeitung ber im Nouveau
traitö eingefd^tagenen SBe^anblung ber biplomatifd^en SBiffen^
f^aft in S)eutfd^Ionb alfo fc^äbigenb auf i^re an ben Uniöer^^
fitäten fd^on rü^mtid^ fortfc^reitenbe SBe^anblung. Unb eö ift
ber betoufete ®egenfa| gegen bie SSertrrung ®attcreri8, toaS
feinen bebcutenbften ©c^üIer Äarl S^raugott ©ottfieb ©c^öne^
mann (f 1802) in ©öttingen oeronlafetc, aud^ feinerfeitö bie
SBiffenfc^aft ber ©iplomatif im ©^ftem bariufteDen. ©r t)at
feine toiffenfd^aftlid^en Slnfic^ten un^ in jtoei ©c^riften hinter*
faffen: SSerfud^ eineö t)onftänbigen ©Jjftemg ber aUgemeinen,
befonberö älteren S)ipIomattf (1801-1802) unb: ?ßra!tifc^e
Diplomat« (1800-1803). — Slber e« ift ni^t feine, gegen
©atterer« allerbingö aufeerorbentli^ vereinfachte ©^ftematif,
toaö feinem 3Berfe no^ ^eute Slnerfennung üerfd^afft. S)enn
fein ©^ftem, jtoar nic^t ööllig auögeffi^rt, toeil er fein aSer!
nic^t ^at ))oIIenben fönnen, aber im Umrig üoU erfennbar, ift
boc^ auc^ nid^t frei öom ©d^ematifieren unb öon SBiHfür unb
bringt mand^eig an unred^tem Orte. SSenn er bie S)ip(omati£
40 3)rittc8 Äa|)itcl.
in einen tlieorctifd^cn %di unb einen ^jraftifc^cn Sieil jcrlcgt,
bei ber t^eoretifd^en 3)ipIomatiI äufecre unb innere unterfd^eibet,
bei ber inneren toieber bi))Iomatif^e 9iecl^töle^rc unb Äenntni^
ber ÄQnjIeipraji^ trennt, bei ber proftifc^en S)ipIomatif fobann
t)on einer allgemeinen unb befonberen ^anbelt, unter jener bic
Se^re, wie man Urlunben anh^enbet, üerfte^t, babei aber aud^
Die £el)re üon ber ?tr^iötoiffenf(^af t , bie nac^ feiner S)efinition
bic Stntoeifung, toie man Urlunben betoa^ren unb in Drbnung
l^alten foU, einbegreift, unter ber befonberen S)ipIomatiI bann
fd^Iießlic^ bie ^ßrüfung ber ©c^t^eit einjelner S)ipIomc öcrfte^t
— fo fann man bod^ eben feinem ©^ftem toeber ©nfac^^eit
nod^ redete Drbnung juer!ennen. Slber ganj au^gejeic^net finb
bie ^Betrachtungen , auf benen er fi^ bie Umgrenjung feinet
%f)emcS einer Siiplomatif Don älteren Urlunben fud^t, unb
ebcnfo bie, auf benen er baju gelangt, ju erfennen, toorauf ber
Urfunbenforfd^er ju achten, unb in toclc^er ^Reihenfolge er bei
feiner Sritif öorgc^en foll.
3n le^teren (Srmägungen ift er aber auf TOabiKon jurüdE*
gegangen, unb toenn er bann in feinen toeiteren SBetrad^tungen
wieber üon äJJabillon abgebt, eö fd^arf erfaßt, bafe beffcn Äapitel
über bie 5ßaIäograp^ie, bafe baö SBud^ feinet SBerfeö über bie
5ßfa(jen' ber granfenfönige u. a. nur 5ufäB[ige Seftanbteilc
feinet SBerfe^, nic^t toefentlic^e S^eite ber Urfunbentoiffenfd^aft
finb, unb toenn er fomit aUe biefe S)i§ii!|)Iincn, mt $ßaIäo^
grap^ie, ß^ronologie unb Drtöfunbe afö ^ilfötoiffenfc^aften,
ote befonbere S)iöäiplinen neben ber Urfunbentoiffenfd^aft
bet)anbelt n^iffen »oÖte, fo ^aben wir bag, wa^ feine ©c^riften
afö einen gortfc^ritt in ber Urfunbentoiffenfd^aft fennjeid^net.
Unb hierin, in biefer Söegrenjung ber 3)ipIomatif auf i^r eigent*
lic^eg (Sebiet unb bann in feiner S)arfteDung ber ßitteratur ber
3)it)Iomatif liegt ber bfeibenbe SBert feiner SSScrfe.
üWan ^at in feiner 3^it f^i^ SBirfen alö ©c^riftfteHer unb
Se^rer auf bem ®ebiet ber S)ipIomatif aber aui8 anberen
®rünben gerühmt. 3n feiner ße^rt^ätigfeit toie in feinen
©c^riften jeigt ©c^öncmann ftd^ Diel weniger für bie Slufgaben
ber S)ipIomatiI, ate ber Se^re üon ber Sdftt^eit unb galfc^Iieit
^te ^t))lomati( in ^eutf(^Iaitb feit mah'xilon 2C. 41
ber Urfunbcn , intcreffiert afe üielmc^r t)on bem , wie er c8
nennt, pra!tifc^en 3tt)edE geleitet, bte Urfunben mit ©tc^cr^eit
unb Seic^tiflleit gebrauchen ju fönnen. 3)te ^iftorifd^e unb
juriftifdie Slnmenbung ber Urfunben ju lehren, bad foHte xf)m
öor allem bie ©tplomatil leiften. Unb nad^ biefer ©eite l^in
l^at man feine SSerbienfte ate S)i<)lomatifer gefud^t. 3)amtt
^ängt ei8 benn aber »ieber sufammen, bafe ©c^önemann^ SBerf,
ia^ befte biplomatifc^e SBerf im Saufe eine« Sa^r^unbert^,
bann bod^ aud^ gleid^ bai^ legte in !^eutf erlaub für lange Qtit
blieb, unb jmar blieb, obmo^I e^ unüoQenbet toat, für einen
feiner jal^Ireic^en §örer alfo ber Sünlafe ju einer Fortführung
feineiS ©^ftemg bodj rec^t nat)e tag, toa^ auc^ nic^t ju fi^toierig
hjar, ba ©c^önemann fein ganje^ ©^ftem ja im Umrife fertig
gejcid^net ^atte. 2lber »eil eben ©c^önemann bie forenfifd^en
3roecfe ber ©iptomatif fo fe^r in ben SSorbergrunb gerüdt ^atte
unb hierin ber um i^n erftanbene toiffenfd^aftlic^e Äreiö bie
legten ^tufgaben biefer 3Biffenfd^aft fa^, fo mußte bei ber über
S)eutfc^Ianb bann ^ereinbrec^enben ftaatörec^tli^en SJeuolution
cö nun gleidöfam afe öerloren gelten, toaö ber trefflid^e ®e*
Ief)tte erftrebte unb geleiftet l^atte. 9Zeue SSerträge erfegen bie
frut)eren, neue SRec^t^juftänbe üerbrängten bie alten. S)ie
älteren Ur!unben fanfen in ifirem SBert afe Quellen unb QenQ^
niffe beg geltenben 9lec^tö» Unb über bie neueren Ur!unben
urteilten nur Suriften unb aug juriftifc^en nic^t au^ biplo*
matifc^en ©rünben. SBaö foHte ba noc^ eine aSiffenfc^aft ber
Urtunbenbertoertung ?
Unb toie ©c^önemanni^ Slrbeiten, fo öerloren nun alle jene
©^fteme ber S)iplomatif unb biplomatifc^e Jfontpenbien für ben
afabemifc^en (Sebrauc^ unb für forenfifc^e 3roede ben praftif^en
Sffiert für bie SRe^ti^roiffenfc^aft unb Siec^töübung. 9Sor ber
jegt, in biefen 3^^^^« ^^^ ftaatlid^en Umtoätjung, ber Jfriege
unb ber politifc^en Sieubilbungen in 3)eutf(^lanb neu crfte^enben
fritifd^en ®efc^id^tfd^reibung aber üerlor mit biefen ©^ftemen
ber Siiplomati! au^ bie S)iplomatif felbft aUe^ Stnfe^en. 9lfe
bie neue I)iftorifd^e ©c^ule iljren Sifer ber alten beutfc^en
SBergangenl^eit jumanbte, um ben innerften 3wfQWi^"^"^öng be^
42 ^rittei» Kapitel.
neuen nationalen beutf^cn fiebernd mit bcn älteftcn S^^^^^
beutfc^er (Sef^id^te aufjufinben, galten natürlich auä) i^r
bie Urfunben afe xoextooUt ^iftorifd^e ä^^ß^^ff^- ^^^ f^^^
ganj feft in bem ©mnbfag, bie fritifdie gcftfteHung beg %l)aU
fa^Iic^en als 3^^^ feftiul^alten, toar it)re Urlunben6et)anblung
nur Urfunbeniritif. Unb ^iefür öerfagtcn felbft bie biplomati*
fd^en 3Berfe, »ie bie ©nffi^rung pm Chronicon Gottwicense
unb ber Nouveau traitö de diplomatique unb natürlich crft
rcd|t QU bie Se^rbfici^er unb ©^fteme. 5)ie ungeheuere gfiüe
beS ©etaife fetbft in jenen groBen SBerlen reid^tc boc^ nic^t
an^ , um für bie lonfreten hritifc^cn fragen pofitiöe legte
?lnttoort ju geben. Unb bafe bei folci^em 3wftönbe beö toitU
lid^en SBiffeniS bie SSertreter ber ©iplomatif fid^ überl^aupt in
©^ftemen i^rer SBiffenfc^aft ate Oanjei^ ergingen , f^on ba^
na^m in ben Äugen ber frtttfc^en ^iftorie, bie allem Äon^
ftruftit)en in ber ©efd^ic^te abgetoanbt, in ber fritifd&en geffc^
ftcDung beS S^atfäc^lic^en i^re oberfte unb bereits mit ©ic^er«*
^eit unb refultatöoH verfolgte Slufgabe fa^, ber 3)iplomatif toon
öom^erein ben ß^arafter als SBiffenfc^aft. Unb SBer!e toit
©attererS Elementa mufeten t)or bcn firitifern ber neuen
I)iftorifd^en ©c^ule ber S)iplomatif öoIlenbS jebeS Anfeilen als
biplomatifc^e SBiffenfc^aft rauben.
3)arum aber ift benn in ben erften Sal^rjefinten unfereS
Sa^r^unbertS bie ©e^anblung ber biptomatifc^en SBiffenfdjaft
unb alle S)ipIomatif felbft in 3)eutfc^(anb ööHig in SKifefrebit
geraten. Unb fo ^at au^ ein an biefe ältere biplomatifc^e
Sitteratur anfnüpfenber SSerfud^, bie Aufgaben ber S)iplomatif
unter SSerji^t auf ben SuSbou einer allgemeinen Urfunbenlctjre
unb na^ ®rfenntniS ber gel^ler ber frul)eren 2;^eoretifer in
fc^örferem unb richtigerem Umriß boc^ in einem ©Aftern ber
Duellenfunbe unterjubringen, »ie it)n ber toerbienftüoDe ©r^arb
(1836) unternahm, bie S)iplomatif nid^t ju neuem Seben in
SJeutfd^lanb ertt^edft. —
3)ann freiließ ift bie Urlunbenwiffenfc^aft bocf) au(§ in
S)eutfc^lanb ju neuem Seben ertoadit, unb fie t)at ^ier fogar
ben ^ö^epunft i^rer Entfaltung errei^t.
So^onn gticbrid) 35ö^mer. 43
2l6cr baö gefc^al^, toic mir gefe^cn f)abtn, nid^t im ßn^
fatnmenl^Qng mit i^rer frä^eren @ntn)ic!clung bei uniS. 3a
bag neue unb fo öollc Scben ber biplomatifc^cn 833iffcnfd)Qft
in 5)eutfc^Ianb ift eine 'obüxQt SRcuerfte^ung unb bieg fogar
auö ber tciffcnfc^aftlic^en Sebchöarbeit cinc^ 9J?anneg ^crauö,
bcr jucrft DöDtg abtoieö, toaö biig^er bic ©iplomoti! gcteiftet ^atte.
4.
©ic Slnfange bcr bip(omattfd)en ©tubien in S)eutfc^Ianb
fnüpfen an bic ^iftorifd^en arbeiten t)on Sodann griebric^
SBß^mer an.
«m 11. üKörj 1823 toar ©ö^mer bur^ 5ßerfe bei bem
fjrcil^crrn t)on ©tein cingefütirt Sorben. S)ie tt)iffenfcl)aftlic^e
SetDcgung, toelc^er ber grofee 5ßatriot ben Smpulö gegeben, toax
bereit« ju praftifc^cr S3etptigung i^rer Qkk gelangt; bic ®e«
fcDf^aft für aftere bcutfii^e ©efc^ic^täfunbe toar feit 1819 be*
grunbet, bie Verausgabe ber ©efc^ic^tfc^reiber ber beutfdjcn
SScrgangcnfieit toar in Eingriff genommen. S)cr befinitiDc ^lan
beö Unternehmen« toax too^I nod^ in ber ©c^toebe, aber man
beabfic^tigte fd^on bamate, njic cö bann in bem 1824 Deröffent*
tickten ^lan auSgefprod^en tourbe, neben ben ©efc^ic^tf^reibem,
©efegen, ©riefen unb ?lntiquitäten , aud^ al« befonbere ^b^
teilung ber Monumenta Germaniae historica bie Äoifer«
urfunben ^erauösugeben. 3)er ^rei^crr Don ©tein »ar öon ber
^o^en 93ebeutung ber Urfunben aU ©ef^id^t^quellcn burd^au«
übcrjeugt, er t^at bamal« ju Sommer bie c^araftcriftifc^eÄufeerung:
man lernt bie (Sefd^i^te be« inneren beutf^en ßeben« au« ben Ur*
funben beffer ate au« ben 6^roniIen. 3Wit biefer Slnfic^t buvd^*
brang fic^ auc^ Sß^mer. Unb menn er feit biefer Unterrcbiing
bie Srforfc^ung be« beutfd)en äKittelattcr« at« feinen ßeben«*
beruf ertüä^tte, fo faßte er feit biefer tufeerung ©tein« al«
gorfdöung«gebiet ba« be« Urlunbenftubium« in« Sluge. @« galt
nun aber, bie Urfunben erft aufjufuc^en unb ju fammeln, unb
fo na^m Sd^mer« Urfunbenforfc^ung ben S^araftcr öon 55e*
arbeitung t)on SRcgcften, b. i. Urtunbcnt)eräeic^niffen an. Unb
44 53icrtc« Stopxttl
er m\)n\ feine Arbeit im auö9ef:proc^cnen ©egenfafe gegen bic
älteren 9iegeften6earbeiter toic Sünau unb ©eorgifc^ qIö ein
rcf^teö S)tploniQtartum in Singriff, ©c^on 1825 legte er $anb
an granffurter SRegeften; feit 1827 fammette er für ein Re-
gistrum imperii, feit 1829 unternahm er bie SJcgeften ber
beutfc^en Sfaifer unb Röntge öon 911—1313. Unb mit raft*
lüfem Sifer ging er an biefe ?(r6eit. SSon gebruar biö SRärj
b. 3. Ijiittc er fc^on 48 S33erfe für feine Qtv^dt ejtral^iert unb
bi^ jum 1. 3Wai 1830 5180 Ur!unben gefammelt. 3)ann be«
gann er mit bem Drud unb 1831 erfc^ienen bie Regesta
chronologico-diplomatica regum atque imperatorum Roma-
no^um inde a Conrado I usque ad Heinricum VII, ate
ein treugemeinter SSerfud^, eine grunblegenbe ?lrbeit für bie ®r*
lenntni^ ber beutfc^en SSergangen^eit in i^rem tieferen SBefcn
aui8 ben Ur!unben ju liefern. S)enn bafe bie Urfunben biefe 6in»
fid^t bieten, mit fold^ Rotier SKeinung t)on bem SBert biefer DueDen
für bie ®efc^tc^te l^atte SBö^mer fic^ bei feinen Slrbeiten immer
mef)r erfüllt. Sluf^ forgfältigfte mit ber 3^it unb bem Ort ber
SluöfteHung Derfe^en, fo urteilte er bamate, geroä^ren bie Ur*
!unben für bie Slufeinanberfolgc ber Gegebenheiten unb für bic
räumliche ©emegung einen unfehlbaren ßeitfoben. gaft auö«
fd)lie6lic^ t)on folc^en abgefaßt, »etd^e bie SBa^r^eit tonnten
unb fie fagen tooDten, ift i^re ©laubujürbigfeit nid^t leicht einem
3tueifel unterroorfen. Slfe ftetö gleid^jeitige Siac^rid^ten jeigen
fie bie ©adjen, mie man fie bamate fal) unb fannte, nic^t mie
man fie fpäter fic^ backte, ©ie berühren olle Sßer^ältniffe, fie
öerloffen nn^ andj an jenen Drten unb ju jenen Qtiten md)t,
tt)o fein ©efd^ic^tfc^reiber bog S)unfel ber SSorjeit erhellt. ®ie
fiub uni8 meift in auttientifc^er gorm erhalten, fie fc^miegen
fic^ ber Abteilung beö ©toff^ in allgemeine unb befonbere
©efc^ic^te oufig glüdlic^fte on.
Die ß^roniften befd^oftigen fid^ am Snbe boc^ met)r mit
bem äußeren Seben ber SBBHer, bog Snnere erfennt fic^ beffcr
in SSerfoffung unb Jtunft. Snbefonbere ober finb nun olle 93e*
jie^ungen auf öffentliche« unb ^ßriöotrecöt t)on ^od^fter SBid^tig*
feit, ujeil bog Äleinob beg germanifdjen SBolfeg, bie grei^eit,
Sodann JJviebri(^ ©ö^mcr. 4&
tt)ie fte Xadin^ fd)ilbert, fpätcr in ben SRed^Wjuftanb ftc^ um*
bilbet, fo ba%, toaö früher grei^cit toar, nun Siecht toirb, unb
tDQ^ jcgt SRcd^t i[t, friil^cr grei^ctt toor. S)tcfc urfprünglic^c
grci^eit unb biciS SRcd^t le^rt un^ bag ©tubium ber Urlunbcn
crfenncn. Unb bicfcn Urfunbcn mü baxnm Sommer toibmcn^
toQö an Äraft unb 3J?ut i^m ju ®ebotc fte^t, unb Siebe jum
Urlunbenftubium toiD er emeden unb bamit Siebe jum SBater*
lanbe. SBir öermögen, fo fagt er toettcr, an ben Urfunben
unfer eigenfteö ©elbft toieberäufinbcn. Unb tocnn eö toQi)x ift,
bafe baö SelbftbetDufetfein ber Station in il^rer ®^\ä)\6)te ru^t^
unb wenn niemonb feiner felbft uergeffen, fonbem üielme^r
fi^ fennen foll, fo toerben 3^^* unb Äraft^ier nid^t öergeubet
fein, biene un§ baS au^ ben Urquellen ^eröortretenbe treue
JBilb bcffen, toa^ unfer Sßaterlanb getoefen ift, nun jur ©e*
letirung ober nur jum 9lnbentcn.
©0 \)odi alfo urteilte ©ö^mer öom SBert ber Urfunben
für bie beutfcfie ®efcl^ic^t§funbe. TOan glaubt einen toett-
fc^auenben Setbni| ju ^oren unb empfinbct jugleid^ bie 3Bärme
taterlänbif^en ©efü^te, bag ben SBerfaffer bzUbU. ?l6er fo
l^odö 95i5^mer bie SBebeutung ber Urfunbenforfd^ung ftellt, fi>
niebrig fci^lägt er an, toa^ bie S)i))Iomati! baffir geleiftet unb
leiften fann. 6^ fel)It ^ier noc^ ber Kare SBlidE, fo fagt er
einicitenb ju feinen 9legeften (1831), welcher ben gefamten Um««
fang ber Aufgabe überfielt. @S fef)tt feinei^tüegg an biploma*
tifc^er SBe^anblung beS ©toffeiS, fo fagt er toeiter, aber bie
S)iptomatifer »ufeten fid^ Don bem jufäHigen Urfprung tt)rcr
SBiffenfc^aft nic^t ju befreien; fie toerfaUen barum unter bem
einjigen ®efic^t^))untt, ein Urteil über ©c^t^eit unb Uned^ttjeit
gewinnen ju Wollen, unwiflfürlic^ in baö ^ttail mifrologifc^er
Unterfud^ungen, t)ereinjetnen bie Urfunben, öerlieren bamit baö-
SBerftönbnig t)on beren Sebeutung, bie nur im 3"fönimen^ang.
erfannt toerben fann, unb öcrffiumen, inbetreff ber 9leic^ö*
gefd^ic^tc unb ber 9ie^t§altertflmer beu inneren ®e^alt mit
gleichem ©djarffinn ju tofirbigen.
Sin biefem Urteil erfc^eint unö, bie toir nun bie beutfc^e
bi))Iomatifd^e Sittcratur bcö 18. Sa^r^unbert^ fennen, manc^e^
46 ^ierted ^a^ttel.
richtig, manc^c^ aber cntfd)icben falfc^. Unb njcnrt öö^mcr bic
crften Slufgaben bcr S)ipIomati( ganj öerlanntc , tocnn er bic
frittfc^e ©cite btejer SBiffcnfc^aft fo Icid^t^in fibcrging, t^r bafür
Aufgaben iumutcte, bie i^r in crftcr 9leit)c ft^crtic^ nid^t ju*
!ommen, unb n)enn er im ganzen bo^ mel^r bie bi^^erige
biplomattfc^e SRetl^obe afe unnüft für feine Stoerfe ber Urlunben*
forf^ung bejeic^nete, ofö baß er ha^ Unjurei^enbe ber
bidtjerigen 2eiftungen afö SSorarbcit für bie unmtttclbore eigene
§tufgabe getennjetc^net ^ätte, fo ^arafterifiert ba^ So^merd
l)iftorifc^cg S33iffen felbft. „3c^ ging an bie Arbeit ber Äaifer^
regeften", fo ungefähr fagt er einmal, ^o§ne no^ bie 9iei^enfotge
ber Äaifcr ju fennen.'' Unb mit ber ganjen Unbefangenheit
eines t)on leinen S^^^M" ^^ ©ntfte^ung unb Überlieferung
bcr aufgefunbenen Urfunben bclaftctcn ®emütö ^atte er bic
Slrbeit begonnen, aber toaö auf ben erften SBIicf afe ein
fc^rocrer SÄangcI bi))Iomatifd^er SSorbilbung für einen 9icgeften*
bcarbeiter erfc^eint, jeigte fid^ ttjeitcr^in alö ein SBorteit für bie
S)ip[omatif felbft. SRur bei biefer oble^nenbcn Stellung jur
S)i))lomatif ift SBß^mcr toie für bic ^iftorifc^c 3Biffenf^aft
überhaupt fo aud^ für bic Urlunbcntoiffenfd&aft ber gcmorben,
ber er mürbe. 5Rur bei biefer Unbefangenheit in ber Urfunben*
fritil unb i^rer liiftorifd^en aScrtocrtung ift biefe fc^affcnefrcubigc
ununterbrochene 3:^ättgfcit S3ö()merö im Sammeln unb Sic»
giftrieren ber Urlunbcn benfbar. 9iie ^ätte er fo taufenbc
Ur!unben anö Sic^t gejogcn unb nie fo fc^ncH fie ber SBiffen*
fc^aft jugänglic^ gemad^t, menn er unter bie S)tplomatifcr
gegangen märe, mo er eben, mie eS ftc^ afe notürlid^ ergeben
l^ätte, bei ber 5ßrüfung eincö Ileincn Urfunbcnöorrateg fielen
geblieben märe. Unb nur burc^ bieö SBcfanntgcben üon fo«
t)iel taufenb Urfunben l)at Sommer ber neuen biplomatif^en
gorfc^ung bie Smpulfc gegeben, bie fie i^m unjmcifcl^aft
toerbantt.
Sö^merö 9iegeften füf)rten bie ^iftorifer ju einer immer
ausgiebiger fid^ geftaltenben Urfunbenbenu^ung unb bie fritifc^cn
3;alente unter il^ncn jur Urfunbenfritif. 3)ie 9lanfefc^en Sö^t*
bü^cr unb i^rc gortfe^ungen, mel^e bic c^ronologifd^e Slnorb*
Sodann ^rtebric^ SBö^tner. 47
tiunfl ber 3:^atfQcl^cn tocfcntlidö auf ba^ iirlunblic^c Stincrar
flutten, meifen bereite bte SlnfSngc fold^cr SRürffic^tna^mc auf
bie Urfunbcn unb iftrc Äritif auf. ?lnbcre J^iftorifd^e arbeiten
f^loffen fid^ an. SBai| baute feine SSerfaffunfl^gefc^id^te über*
toiegenb auf ben Urlunben auf. Urfunbenfammlunflen in großer
^Injal^I tDurben ^ertjorgcrufen. Über bie ?lrt, toie man Urlunben
l^erauggeben follte, erftanb eine Sitteratur; ^erfönlid^feiten mie
^er^, 2Bai^ refumierten barüber eingel^enb unb grünblic^. Unb
Sommer felbft mar im Saufe ber Qtit, je metjr er feine roman«»
iifd^e Sluffaffung t)om SBert ber Urlunben burcb eine miffcn«
fc^aftlid^e erfegte*, toie toir eö in ber neuen unb immer t)oII*
fommeneren ®eftattung feiner einjelnen 9iegeftenarbeiten unb
iRcubearbeitungen erlennen fönnen, unb je mef)r er bie ?lngaben
ber ©efc^ic^tfd^reiber neben ben Urlunben l^eranjog, in ber S8er*
toertung ber Urlunben für ba« Stinerar fritifd^er getoorben.
Unb er fprac^ ^ie unb ba feine fritifc^en Steifet über biefe unb
jene Urfunbe an^ unb gab bamit biStDeilcn Slnlafe ju felbft*
ftänbigcn biplomatifd^en gorfc^ungen, fo j. 93. ju ber Sitteratur
über bie öfterreic^ifc^en greil^citöbriefe. S)en ttjid^tigften Stnftofe
jum ^{euentfte^en ber S)i))(omatif aber gab er bann bamit, bag
feine SRegeften SSorbilb für eine reid^e SRegeftenlitteratur ber öer*
fcftiebenen gürftenl^öufer, Sanbfd^aften, ©täbte, Siöt^ümer, ber
fßäpfte u. f. tt). mürben. Unb je größer ber ücröffcntlic^te
Urfunbenfc^al tourbe, um fo mel^r gewann bie Sluffaffung
fflö^merö t)om SBcrt ber Urfunben ate ©efc^i^t^queHen öoben
unb um fo me^r toieber tourbe bie SSel^anblung ber Urfunben
©egenftanb ber f)iftorifd^en gorfd^ung unb Äritif. S)iefc Sritif
ift lange 3^^* ^inburc^ auöfd^Iiefelid^ eine l^iftorifd^e, aHenfallS
eine Ijiftorifd^^pl^ilologifc^e. 3:extüberlieferung unb ^iftorifd^er
3n^alt ber Urfunben geben bie Äritericn ab, auf eigentlid^c
Urfunbenmerfmale ad^tete man noc^ faum; man blieb ba im
tocfentlic^en babei ftel^en, ju prüfen, ob fic^ bie Stngaben ber
Datierungi^äeile in baiS Stinerar einfügen laffen. Sann aber
begann in einjelnen SReubearbeitungen unb Srgönjungen bon
S3ö^mer« SRegeften aud) biplomatifd^e Äritif einzubringen, unb
bie brei ^ertjorragcnbften SWeubearbeiter t)on Sö^mcriS SRegeften*
4Ö günfteS Stapxitl
iDcrfen mürben in ber fritifc^en ^rlcbtgung i^rer Änfgoben ju*
glcid^ Sieufcftöpfcr ber ©iplomatif in 3)eutfc^Ianb. ©ö finlv
baö belanntlid^ Äarl griebr. ©tumpf, S^cobor ©idd unb 3u^
liuö gider.
Sie Seiflungen üon ©tumpf, ©itfel unb gider für bie
^iplomattf laufen ^um ^^eil nebeneinanber unb jetgen Dtelfac^
gcgenfeitige Sejie^ungen unb görberungen. fflodj me^r aber
fällt in bie Singen, bafe jeber fofort feine eigenen SBege toanbelt
unb barum anä) ganj ©genorttgeö für ben Slu^bau ber S)ipIo=^
matif alö SBiffenf^aft geleiftet ^ot. ?Im Snbe natürlich fteUt ficfy
un^ QÜe^ bied toieber ol^ eine gemeinfame gbrberung ber S)iplO'
matif bor. gür bie ©rlenntniig biefer görberung aber ift e^
beffer, bie ©efamtleiftung be^ ©njelnen für fid^ unb jum 9Kin*
bcften biö ju einem getoiffen TOoment, mo bie beS Slnberen ficfy
energifd^ bajmifd^en fc^iebt, allein ju berfotgen.
S33ir beginnen mit Sari griebric^ ©tumpf.
©tumpf ^atte ju Dlmü§ unb SBien ftubiert unb fic^ ber
©cfc^ic^t^toiffenfc^aft jugeroanbt. Sabei l)otte er ba^ erfte Stuf*
blüt)en »irflic^ ttjiffenfd^aftlic^en Sebeng in Öfterreid^ fid^ nod^
nußbor macf)en lönnen, 1851 unb 1852 l^otte er on ben l)iftori*
fc^en Übungen bei ®rauert unb Soger teilgenommen. 9?oc^ furjer
Se^rt^ätigfeit in DImüß ^otte er fid^ bann nod^ SBerlin begeben
(1854—1856) unb ^ier mit SRonle, ?ßer|, Söffe, Söpfe u. o.
onregenben Umgong gepflogen unb bauernbe SSeäie^ungcn on^
gefnüpft. So moren nun öorne^mlii^ Sö^meriS SRegeftenorbeiten,
bie i£|n für bie ©efc^id^te ber beutfc^en Äoiferjeit begeiftert unb
jum ©tubium berfelben ouö ben Urfunben ongeregt Rotten.
9?odö bor feinem berliner Slufent^olte fi^on l^otte i^n ber 5ßtott
noc^^oltenb befc^oftigt, eine fiifte ber beutfc^en SReid^iSfanjter
aus ben Urfunben oufjufteHen. Unb mit Srtoeiterung feinet
^iftorifc^en ©efid^tiSfreife« in ben berliner Satiren roax bei i^m
bie SBorftellung öon ber JRotmenbigfeit unb bem Sinken einer
folc^en Slrbeit immer fefter gemorben. Sm ©ommer 185&
Staxl gticbric^ ©tumjjf. 49
fuci^tc er 93ö^mer in granffurt a. SD?, felbft auf, unterbreitete il^m
feine Päne über bie Sieici^gfan jlerltfte für bog 10. big 12. Sa^r*
l^unbert, berid^tete über feine ©tubien bafür unb fanb ba^
bereittoiHtflfte Sntgegenfommen mit SRat unb %f)at je^t unb
bei einem jtoeiten ?lufent^alt in Sommer« §aufe 1858—1860.
®iS galt fein ®ifer bor allem ber ard^ibatifd^en gorfc^ung
nad^ unbcfannten Urfunben unb fein ©tubtum i^rcr SSertDenbung
für bte ffianilerlifte. Unb babei erfannte ©tumpf, ber ba^ neue
äRaterial, tüeld^eiS er fanb atö einen SRac^trag ju Söl^merg
SRegeften bringen rnoHte, ba% eine geftd^erte ©runblage für fein
SBerf fic^ nur burci^ eine 9?eubearbeitung bon öö^merg SRegeften
in biefem Seit, b. i. ben SRegeften bc« 10. bis 12. 3a^rt)unbcrtg
getoinnen laffe. 3)aö SWateriat l^iefür ^atte er mit erftaunlidiem
^leifee fd^neU aufeerorbentlic^ bermetirt, er ging aber nid^t
fogleid^ an bie Sluöarbeitung. ®r tooDte bei 93öl^merö Seb^
jeiten nic^t bte ©i^trad^en Don beffen Seiftung aufbedEen. S)afür
toanbte er fid^ injtoifd^en aud) bem ©tubtum ber 2)?erobinger«»
unb ffiarolingerurfunben ju, um fid^ bie ©runbtage für bie
Beurteilung ber ®ebräuc^e ber fäd^fifc^en Äanjiei ju fc^affen.
Hm 22. DItober 1863 ftarb bann öötimer, unb ei^ toar für
©tumpf !ein ®runb me^r bor^anben, bie tnjtotfc^en noc^ meiter
berboUftonbigte SReubearbeitung ber SRegeften be« 10. bii^
12. 3a]^rl^unbertö jurüdEjufiaften. ©o erfd^ien benn im SRoDember
1864 t)on feinem SBerf e ,,bie 9ieid)i8!anjler borne^mltd^ be^
10., 11. unb 12. 3al^r^unbertö , nebft einem Seitrage ju ben
?Regeften unb jur Äritil ber Äaiferurfunben biefer 3^^^'' ^^
erften SSanbe« erfteS |)eft, bie allgemeine ©nieitung unb eine
Fragment gebliebene Slbl)anblung über bte SKerobtnger* unb
Äarolingerurfunben ent^altenb. 9lm SJejembcr erfc^ien beS
jtoeiten S8anbei8 erfte ?Ibteitung, bie Äan jlerlifte unb bie SRegeften
ber fäc^fifd^en Äaiferjeit ent^altenb, benen bann 1865 bie ber
fränfiid^en Qdt, 1868 eine SReubearbcitung ber 8iegeften
^cinrid^ö IV. Don 1087 an unb bie ^einric^iS V., fotoie bte
SRegeften Sot^ariS HI. , Äonrab-g in. , griebtic^ö I. unb
Jpeinrid)^ VI. folgten, ©n ©c^Iufel^ft biefe« 93anbe« mit
©nieitung unb Sn^aft^Derieid^niffen, für toenige SBod^en fpfiter
^iftorifc^e Oil^Uot^el. Ob. IV. 4
50 gfünfteg Kapitel.
aiiflcfünbigt, tft crft mä) ©tumpf« lobe (t 12. Sonuar 1882)
t)on gidEer in ^öc^ft müt)et)oüer Slrbcit ou^ bcffen Siod^Iafe
l^ergcftent (1883) iporbcn.
Sieben biefen ^JReic^efanjIern" unb ate ein Seil biejci^
SBerfeö bejeic^net, gingen nebenher ©tumpfö: Acta imperii
inde ab Heinrico I. ad Heinricum VI. usque adhuc
inedita (1865 — 1881), itjorin er ungefähr Dierljunbert 6i^
ba^in unbcfQnnte Urfunben jum erften 9ÄaI Deröffentlidöte.
gerner erfc^ienen ate SSertcibigung einer in ben Acta im-
perii über eine Urfunbc ouiSgefproc^enen Äriti! jtoei Slb^anb^
langen über: 2)ic SBirjburger 3mmunität*Ur!nnben be^ 10. unb
11. Sol^r^unbertö (1874 — 76). Unb toenn toir nun noc^ feine:
Acta Moguntina saeculi Xu. (1863) ^eranjie^en, fo l^aben
tt)ir aUee SlBic^tige Don ©tuntpfiS toiffenfc^aftlic^en Slrbeiten für
unjerc 3"^^^^ oerjeic^net.
©e^en loir un^ nun il^ren Snl^alt an. ^a^ erfte ^eft
feiner „JReid^iSlanäler" l)attc im SRürfblidE auf bie äKerottinger«
unb »^arolingerurfunben einen Umrife über bie ©pochen ber
Urfunben biefer 3cit geboten unb eine eingel^enbe, aber tote mir
fc^on fagten, nid^t öoHenbete Se^anblung ber c^arafteriftifc^en
SKerfmote in biefen Urfunben, ate ber äußeren ©eftalt ber
S)ofumente, ber 3nt)o!ation, bei8 3!itefe, ber ©iegetanfünbigung,
beig SÄonogramm^, ber SBcftegelung , ber ©trafformeln unb ber
Datierung begonnen. Sic S'anjleigefc^id^te unb Äritif ber
Urlunbcn btefer ßeit foHten folgen. ?lber ba« SBerf ift grag*=
ntent geblieben, mitten in einem ©a^e über bie Datierung
bricht bie Unterfuc^ung ab. Eingefügt ift ein SBerseid^ni^ t)on
gacfimileig Don äReroDinger* unb Äarolingerurlunben. — 3)er
jtoeite SBanb feiner SReid^gfanäler ift in erftcr 9iei^e aU eine
Äanjlerlifte gebadet, für tocl^e bie urfunblid^cn SRegeften bie
©runblage bilben. ?Iber jugleic^ foß e« eine 9?eubearbeitung
Don S3ö^mer$ älegeften fein unb nid^t b(og eine DerDoQftänbigte
ßifte be^ UrfunbenDorratiS , fonbern jugfeid^ ein reDibierteö
Stinerar ber ^errfc^er. Sieben ben Äaiferur!unben toiH ba^
aSäerf barum aÖc bireften urfunblic^en 3^"fl"iff^ o'^ ^ßtacila,
jtarl f^riebric^ @tum))f. 51
SSuUen , $rit)Qturfuiib€n u. a. berudfic^ttgen, iDenn bartn bte
'^tcgenmart bed 9{egeiiten bejeugt ift. ^är ben StinerariiDetf
iefttmmt @tumpf bte Ortsangaben ber Urfunben, rebuiiert er
bie d^ronologifd^en eingaben auf unfere 9{ecl^nung unb orbnet er
banad^ bie Urfunben ein. 3)er SSeriDertung ber einjelnen
llrlunben ift aber eine fritifd^e 5ßrfifung vorausgegangen. Sine
f urje 9?otij über bie SSerteilung ber (Sefd^äfte ber aSeic^Sfanjlei
an bie einjehien Sfanjleiabteilungen für S)eutfd^Ianb, Stalten
«nb Surgunb in ber fäd^fifd^en unb frfinfifd^en unb bann in
ber flaufifc^en ßeit leitet bie SRegeften ein. S)iefen öorangefteöt
finben mir bie (Spoc^entoge ber föniglic^en unb faiferlic^en
tRegierung ber einjelnen iperrfd^er, bann folgt für bie ßeit eine«
jeben ^Regenten eine Sifte ber (Srjfanjier unb SJanjIer mit
tlngabe ber 3^'* ^fy^^^ Slmt^tl^ätigfeit , unb bann lommen bie
^egeften felbft. — 9lud^ ben in ben Acta Moguntina unb in
ben Acta imperii veröffentlichten 550 Urfunben t)at ©tumpf
«gleic^fade nic^t 6(og bie §lufmer{fani!eit beiS ©ammlerS, fonbern
«benfo bie beS ^itiferS jugen^anbt.
Unb in benSIb^anblungen über bie „SBirjburger Smmunitätg»^
urfunben'' fud^t er ben Siad^mei« über bie fünf g&Ifc^ungen für
IBürjburg in met^obifc^er SBeife fo ju getoinnen, bafe er etwa
jec^S^unbert Originalen bie äußeren unb inneren 9JierfmaIe ju
-einer Äritif abgewinnt, fid) erft mit bem Sn^alt Ottonif^er
Immunitäten überl^aupt Vertraut mad^t, einen Slbrife beS Jfanjlei-
ttjcfenig biefcr 3^^* giebt unb babei rüdwärtS in bie Karolinger*
icit unb oorwärtiS in baö Urfunbcntoefen ber ©alier einbringt.
— ©d finb alfo ©tumpfö litterarifc^e Seiftungen gorfc^ungen
^um Urfunbentocfcn ber beutfc^en Staiferjeit vom biplomatifc^en
©tanbpunft. Unb fe^en wir genauer ^in, fo finben wir, \>a%
©tumpf mit SBewufetfein an bie ältere SDiplomatif unb vor*'
ue^mlic^ an äWabillon antnüpft, ben er öfter« unb beffen ^aupt^^
regeln er wieberl^olt citiert. @r bat i^n genau ftubiert unb ift
fic^ bewußt, ba^ er il)n fennt. ®i benußt aber aixä) bie neuere
unb Verfolgt genau, bie gleich jeitige biplomatifc^e Sitteratur,
unb er gewinnt au^ i^r görberiing im SBiffen unb in ber
lOiet^obe ab. Unb fo war er fd^on 1860 fi^ flar, bafe f|iftorifc^e
52 günfte» ^opxUl
ftrttif allein ben Urlunben gegenüber nid^t jn fidlerem Srgebni^
führen fönne, ba% man mit SKobiUon bie Urlunben al^
©efc^ic^töqueHen befonberer 3Irt aud) mit befonberem ÜKafee
meffen muffe, unb bafe biefe SWafee allein bie ben Urfunben
eigentümlid^en ÜKerlmale bieten fßnnen. Unb toir fe^en oud),
toic er in ber öe^anblung ber äWeroöinger *= unb JSaroIinger*^
urlunben berciti^ mit biefen äWafeen mißt (1861). S)omate ift
er aber auc^ fc^on unter bem Sinftu^ bon ©icfefö erfter Slrbeit
jur ©iplomatif ber Äarolinger, bie toir f»)äter fcnncn lerne»
tocrben , in ber Änfid^t beftärft, ba^ nur bie Originale für
Sammlung ber $D?erfmaIe bie ©runblage bilben Knnen. ®r
l^at bonn in ber Bearbeitung ber Äaiferurtunben fid^erlic^ btibt
(Srunbföge angetnanbt, unb genau fönnen »ir babei erlennen^
toie er (1865 — 1876) unter bem ©influfe ber toeiteren Slrbeiteit
©idelö jur SDipIomatif ju bem ©runbfag ber SRegelbitbung.
pro ratione temporum nad^ äWabiUonS Sc^re fid^ mit öe^ujgt*
fein befennt. Smmer flarer loirb i^m aud^, bafe bie S)iptomatit
auigfc^liefefic^ Iritifd^e 3toedEe ju erfüllen t)at unb bafe biefe nur
in einer ©pejialbi))lomatiI erfüüt toerben fönnen. Unb er folgt
©idEel aud^ in ben Slnftd^ten, bafe baneben aUerbing^ bie aQ«=
gemeine Siplomatil bie ®eftd^t«pun!te, bie ©runbfä^e unb bie
aWetl^obe üorjufc^reiben l^abe. Unb ha<i, toa^ ©tumpf fo jur
9Kett)obe beibringt, ift unferer uneingefd^ränften 3wft^"^"^w"8-
fidjer. Unb auc^ nad^ einer anbern ©eite ^in »erlangen feine
»nfic^ten unferen Seifall. SSBaiS er nämlic^ über 2;ejtüber*
lieferung, Siejt^erfteHung unb Sejtlritif toieber^olentlic^ mit
fteigenber ©rfenntniiS ber barin eingefd^loffenen aufgaben äußert,
bemeift, bafe er bie Slnforberungen ber pt|ilologifd& * l^iftorifc^en
aWet^obe !ennt, unb toenn er biefelbe ftreng aud^ auf bie
UrlunbenteEtc angctüanbt toiffen toiH, fo »irb er aud^ barin
feinem SBiberfpruc^ begegnen.
Siic^t gleid^en SBert toie biefe t^eoretifc^e ©tellungnalime
fann aber beanfpruc^en , toqtg ©tumpf in feinen biplomatifd^en
?lrbeiten praftifc^ geleiftet l^at.
©tumpfig Urteile über ©d^tl^eit unb Uned^tl^eit biefer unb-
jener Urfunben, über bie c^ronologifc^e ®inrei^ung anbrer,.
Äarl griebrid) 8tutnpf. 53
iiefc Urteile, bic er olfo in biplomatifd^er SKet^obe getoonnen,
fet)tpanfen toie bic afe ©rgebniffc ^iftorifd^cr SDJetl^obc öon
<inbereTi gurfci^crn Dorgcfü^rten SSefuItatc ju benfelben
©tudEen. SDic in bcn Acta imperii gebotenen Urlunbcntegte
fobann loffen fel)r tJiel ju tüünfc^en übrig in S^ejtforfd^ung
oinb Sicjt^erfteüung. 2)ie gonje bipIomatifcf)C (Sefamtleiftung
©tunipfg f)at eltoQig §aI6eiS, 9?ic^tbefriebigenbe^ in fid^. Unb
lüir erfennen ja auc^ beutlic^, too^er bo^ fo gcfommen tft.
<Stumpf, ber fd^on 1860 mit ©nergte an bie älteren S)ipIoma«
titer onlnüpfte unb bte Slnregungcn ber Serlinex ^iftortfd^en
©c^ule lebl^aft in ftc^ aufgenommen l)atte, ftanb bamalö unb
filicb fein ganje^ Seben I)inburc^ unter ben bon 93ö^mer em*
^jfangenen unb burc^ bic geftedtc 9lufga6e befräftigten 3m*
^pnlfen, bie il)n baljin leiteten, öor allem eine SBcrgröfecrung
be^ UrlunbcnöorrateiS ju erftreben unb baS neue Urlunben»
material fo f(^nell ate möglich ber SBiffenfd^aft bcfannt ju
geben. 3)ane6en aber tooDte er oud^ biplomatifd^c Sritif üben.
SeneiS aber fd^Iofe boc^ biefciS auö. 2Bo toar j. S8. babei nur
bic SÄögtic^f eit , bie S^ejtübcrliefcrung fo ju Verfölgen, toie er
e^ felbft ate ®runbfa^ aufgefteüt ^atte. Unb bann »ar bai^
^^ema, ba^ bie Urlunben breicr Sa^r^unberte unb ate SSor«
arbeit baju, bic Urfunben tociterer t)ter Sal^rl^unbertc umfaßte,
boc^ an unb für fid^ fct)on t)tct ju groß , aU bafe .er ba über*
fiaupt »irflid^ 2)ip(omatif mit gefiederter ®runblage l^ätte
treiben fönnen. SSei^l^alb »irb man felbft bei fo auöfü^rlic^en
Unterfuc^ungen roie bic über bic SBürjburgcr Smmunitäten finb,
immer toicber ju ber Sinfi(^t geführt, baß fie für ben einjclncn
^medC an öielcn ©teilen tjict ju öiel, unb bod^ für eine gc*
fieberte Urfunbcnlc^rc ber Qüt, toic fie in cinäctncn Slbfc^nittcn
tjorgctragcn mirb, tro^ reic^ftem 5)etaife ju toenig bringen. JRun
!am fiinju, bafe ©tumpf bei ber Scl^anbtung ber SRerotjingcr* unb
Äarolingerurlunben , ba er fid^ ju eng ,an SKabiUon an*
fc^Iofe, bie SScI^anblung bc^ ßontcstciS bcrnac^Iäffigtc unb barum,
unb tocil er aud^ ju toenig Originale fannte, ju pofitit) ge*
fid)erten ©rgebniffen nic^t fommen lonntc. 3)ann ift ferner bei
©tumpf ein gemiffer äRangcl an ©tc^crl^cit in 2)cutung ber
'\.
"'s
\
\
54 Srüitfte<S Kapitel.
©(^rift unb Scrcd^nung t)on 3ci^ö"fl<i6^" wci^^ jw öctfenncn^
tDcfd^e S^^ter tiod^ boburd^ toud^fcn, bafe ©tumpf in bcr
Überjeugunfl ciitciJ unmittcttaren äbfd^Iuffc^ bci^ ergriffenen
%t)€ma^ fic^ oft mit gaitj ftfic^ttflen Sflotigen ftott mit grünb*
lieber ^opie an^ ben Urfunben begnügte. ^a§ %üt^ mußte
fd^on ben gefiederten Srfofg ber fo nötigen allgemeinen 3We*
t^obe beeinträ^tigen. 3(ber niid^tiger nod^ unb noc^ me^r
f^fibigenb tourbe folgenber Umftanb: ©tumpf ^atte fid^ eine
falfd^e Stnfid^t über ben (S^arafter bei^ S^anjleramte^ gebilbet^
bie er fc^on im erften |)eft feiner Sieic^^IanjIer (1860) um*
fd^rieben l^at, unb an ber er, mte ei8 noc^ bie Slrbeit über bte
SBürjburger 3mmunitation bemeift (1876), unDeränbert feftftielt.
SDie SReid^^fanjIer, fo ungefol^r äufeert er fid^, finb bie Sßerfön*
Iid|!eiten, toel^e in ber 93Iüteüeit beö SSeutfc^en SReid^e« berufen
toaren, burd^ i^re ©tellung in unmittelbarer 9?a^e ber Könige
unb Äaifer auf bie ©d^irffale beö JBaterlanbe« einen beftimmenben
®nflu6 au^juüben. 211^8 Sräger be^ föniglid^en ©iegefe finb
fie mit bem JBoIIjuge aller öefel^te beauftragt, ©ie finb bie
Vermittler be§ foniglid^en SBiUen^ unb aU SSorftel^er ber Sleic^i^*
fanjtei finb fie bie ?ßerfönlid^Ieiten, in bereu $änbe alle gäben
ber toeitüerjmeigten ^Regierung jufammentiefen. S)ie ^txd^^^
fanjlei ift baiS etgentli^fte gelb itjrer 2!^ätigfeit, unb bie SReic^ig*
urfunben finb jebeSmal bieunmittelbarften3^wgniffc unb gleid^fam*
bie ?lutograp^en be« Äanjler^. ®r ift bußfertiger ber Äaifer*
urfunben, eine jebe fie^t er burc^ unb muftert er burd^. Sebe
(Sigentümlid^feit, bie üerfc^iebenartigen Äennjeid^en unb mannig^
fachen 3J?erfmale, toeldje mir an ben Äaiferurfunben beubac^ten,.
getien auf ben ftanjler jurüdt, Sie Äanjier finb SKänner Don
^ertjorragenben ®aben beö ®eifteö, finb im öefi|e ber beften
Silbung i^rer Qtxt, unter xf)xcx Seitung legen bie fieiftungen
ber Äanjleien überall Don Orbnung unb SRegelmäfeigfeit
3cugnig ab, unb in Urfunben be^ 10. 3a^r{)unbertß unb fpe*
jiell im ^rotofoHroefen fann Don SBiflfür ober SuffiQigfeit im
großen unb ganjen nid^t me^r bie JRebe fein. Unb toenn
toir in ben S)atierungigangaben einer Urfunbe biefei^ geitraume^
SSinfür finben, fo ift biefe legtere enttoeber nur fc^einbar unb
tarl gricbric^ ©tumjjf. 55
lägt ftd^ mit Hnnal^me etneS ©(i^retbfe^Ier^ erflfiren ober bie
Ürfuttbc ift falfc^.
3n bicfcn Slu^fü^rungcn öcrffiHt ©tumpf, tt)ic leicht er*
fennt(i(^, olfo in ben fd^lDeren ^l^ler, bog er bie politifc^e
©teüunfl einjetner ÄanjCer öon beut ©efd^äfti^freig beö JtanjIeriJ
atö fönigtic^en Beamten nid^t trennt, unb bag er Don einer
ganj unhaltbaren Slnna^me inbetreff be^ le^teren au^gel^t. 2)enn
eine SRotis ©regord t)on Sourö unb eine anbere in einer Ur*
funbe |>einrid^ö IV., bog einmal ber eine unb ber anbere Äanjler
fic^ eine Urfunbe jur Prüfung l^at t)orIegen laffen, fann boc^ nid^t
im entfernteften ben SBetoci^ liefern, ba§ bie ßanjier be^ 10. bid
12. Saf)r^unbertd oQe unb immer bie Ausfertigungen brr £ani(et
bis ins Heinfte 2)etail übcrtoad^t hätten. S)a nun aber ©tumvf
biefe feine ^^potl^efe bon ber S^eilnal^me ber Äanjler an ber
UrlunbenauSfcrtigung jur ©runbtage feiner Urfunbenfritif machte,
fo ^atte baS für feine Äriti! bie Derber blic^ften golgen. — 8fuS
bem SSergteic^ ber Äanjlerunterfc^rift unb ber 3>atierungSangabc
ein Äriterium für ©c^t^eit ber ganjen Urfunbe unb ber SRid^tigfeit
ber Zeitangaben fid^ ju bilben, baS ^atte f(fton SWabiHon geübt,
ber fic^ für frittfd^e 3roerfe aud^ eine Äanjtetüfte aufgefteQt ^atte,
unb baS toar feit bor geit toiebcr^olt Don SJiptomatifern unb
^iftorifcm burc^geffi^rt. S(uf bie ^anjler aber aQe Eigenarten
emjelner gormeln unb namentlich ben ganjen ?lnfa§ ber ßeit*
bere^nung jurüdfjufü^ren unb babei ben Sinjefnen immer bie
t)5d^fte $f(id^ttrcue unb jugleid^ bie Dorjüglid^fte Kenntnis in
3citberedönungcn jujutrauen, ba^ »ar neu. Sene SSermertung
ber Sfngoben über ben Äaujler t|ot eine getoiffe Berechtigung,
biefe neue aber leiber nic^t. Unb bie golge toar junäd^ft jene
Unfid^er^eit im 3eitönfa| unb in bem Urteil über einjelne Ur*
funben, bie allgemein in ©tumpfS SRegeften beobad^tet tourbe.
— S)ie ^tftorüer, toeld^e biefe Seiten beS 12.— 15. Sa^r^unbertS
bel^anbelten unb bie ja unauSgefe^t unb mit aufric^tigftem 5)ant
gefü^l mit feinen 9iegeften fic^ befc^äftigten , übernahmen aber
bie aiuffaffung ©tumpfS Dom Äanjieramt im 10. — 12. 3a^r*
l)unbert unb fpejieH Don ber leilna^me beS ÄanjIerS an ben
SluSfertigungen ber Äanjtei. SWan toeife ja, »ie Don ©tumpf
56 gfünfteS Stapittl
ou^ in bic gebiegenften ©arftcHungen ber beutfc^en ©cf^ic^tc
beiS }e^nten Sa^r^unbert^ bte ©c^Kberung beS ^etDorragen^
ben ©nfluffeS überging, tuelc^en beifptel^meife bcr ^od^ge(e^rte
©rjlanjler Sruno, ©ribifc^of t)on Äoln, auf bic bcffcre
Orbnung ber ^Qnjlei feinet faifetltc^cn SBruberg ausgeübt ^abe.
Unb mit btefer @teQung ber ^iftorüer ju Stumpfi^ Se^re t)oni
ßanjleramt ergab fid^ bann t)on felbft, ba% i^nen nun auc^
. bte Folgerungen ©tumpfS für bte biplomatifd^e 5hiti{ auS feiner
?lnna^me afe rid^tig erfc^ienen, fotoo^I fotoeit er t^eoretifc^ unb
aDgemetn t)on ber Drbnung im Stan^Ieimefen, namentlich in ber
Dttonenjeit fprati^, ate auc^ too er im SBefonbercn für bic
Se^anblung bcr 2)atietung feine ?lnna^me ju ®runbe legte.
Unb man fanb e§ ganj bcgrünbet, toenn ©tumpf bic Untere
fdjriftSjcilc bciS ÄanjterS in ben Urfunben ate f)ert)orragenbften
?ln^altSpunft für bic JBeurteitung benu|te unb Don ber Stanjlcri*
liftc au^ bic tocitere d^ronologifc^c ©inrei^ung ber Urfunben
in ia^ Stinerar unternal^m. Slber feineötoegS fügten biefelben
trcfflii^en gorfcfier pc^ auc^ gleich ftetö ben auf biefem SBcge
t)on ©tumpf gemonnenctt ©injelergebniffcn über bie Uncc^t^eit
btefer, über bie Sinrei^ung jener Urfunbe, roenn baS, toaS fie
mit i^ren SRitteln ber Äritil erfannten, Don ©tumpfö @rgcb^
niffen abtoic^. Unb um fo toeniger fügten fie fid^, ate ©tutnpf
fclbft in ieber 9ieu6earbeitung, in jeber neuen Sufeerung über
bie Slegeften be^S 10. — 12. Sa^rl^unbertS, in jcber ©rgänjung
ju feinen Acta imperii mit SWobififationen feiner früheren
Slnfic^tcn über biefe unb jene Urfunbe auftrat unb fie bcr
fritifd^cn 9?ad^prüfung ber gorfc^er Dorlegtc. 2)araui8 aber
toicberum mufete eine weitere gotge für bie ©tettung ber
biptomatifd^en gegenüber ber l^iftorifd^cn SSBiffenfc^aft fic^ er*
geben. SDcnn ba bie |)iftoriIcr bei bicfen anfangen ber neueren
©iplomatif in S)eutfd^tanb boc^ nid^t fo ganj ju unterfc^eiben
loufetcn, toa^ auf 9?ed)nung ber biplomatifc^en SWet^obe über^
l^aupt unb toa§ auf 9led^nung Don ©tumpfS jpanbl^abung ber«
felbcn JU fegen fei, fo übertrugen fie bie Slnfi(^t Don bem ^t)po*
t^etifd^en ß^arafter ber ®rgebniffc ber biplomatifc^en gorfd^*
iingcn ©tumpfS auf bic 3)ipIomatiI überl^oupt, unb tocit fid^
£arl griebrit^ @tum))f. 57
bte mit bt))Iomatifd^er 9Ret^obe geioonnenen 9lefu(tate ©turnpf^
fo toentg me^r juöctiäfftfl crtoicfcn, ate bte t)on i^ncn mit
l^iftorifc^er Äritif ben Urlunbcit abfletooniteiten ffitflcbniffc, fo
fcf)rie6 man biefeS ber biplomatifc^en SRet^obe äberl^aupt ju
unb folflcrte, bafe bic 3wöcrläf[tflleit berfelbcn ntc^t größer ate
bie ber rein l^iftorifc^en Äritil an ben Urfunben fei. ©o aber
tourbe biefer (Srunbfe^Ier ber Urfunbenforfd^ung ©tumpfiS Vix^
foi^e, bofe feine ©c^riften, mit benen er juerft an bie ältere
biplomatifd^e fiitteratur anfnfipfte nnb mit benen er juerft bie
3)ipIomatif ber beutfc^en ffiaijerjeit in Singriff na^m, auc^ gleid^
toieber 3^^iM ön ber ^w^c^töffiß'fcit ber biplomatifc^en 5)iö*
j^iplin ermedCte. Unb bag eS fo fam, baiS (ag im innerften
©runbe an ©tumpfä miffenjc^aftlid^er ^erfönlicftfeit felbft.
€§ mar ©tumpf toeber genögcnb ftiftorifc^ gefc^ult, noc^
ein fritifd^er ®eift ober gar ein fc^öpferifd^c« Sialent. @r
fonnte borum meber bie ©orgfalt ber fritifd^en Slrbeiten eine^
aSaife, 3)ümmler, ©iefebred^t, Äöp!e, nod^ bic ©elbftänbigfeit
ber Seobai^tung eineiS SKabiUon errei(^en. S)iefe SBorbilbung
nnb biefe gät)igteiten unb ®aben befa^ aber ein jmeitcr 93e*
tounberer ton So^merö SebenSmerl, ber gleic^jeitig mit ©tumpf
ber Urfunbenforfd^ung fic^ jumanbte, unb ber ^at bann toirt*
lic^ fc^öpferifd^ bie ©iplomatif oufö 9ieue jur SBiffenfdiaft
ert)oben.
6.
St^eobor ©idEel, ein S^üringer, ©ol^n eineö betoäl^rten
fßäbagogen unb auf ©c^ulen üon guter Srabition für bie Uni*
terfttät Dorbercitct, !am nad& in |)afle unb 93crlin DoÜenbeten
afabemifd^en ©tubien im Slnfang ber fünfjiger 3a^re nac^ 5ßari^,
um an ber 9^ationaIbibIiotl)ef für bie franjöfif(^*burgunbifdöe
unb bie franjöfifc^ntalienifc^e ®ef(^id^te am Sluj^gang beg SRittet
alteriJ unb im S3eginn ber neuen 3cit S^rfc^ungen anjuftellen.
^abet fam er in öejie^ungen ju ben Äreifen ber ificole des
Chartas, bereu Seftrebungen unb Seiftungen il^n auf ig ^öc^ftc
ju intereffteren begannen. 2)ie eigentlichen Äurfe an biefem
Snftitut toaren il^m afö SRic^tfranjofen freiließ öerfd^loffeu/
58 6cd)ftc8 StopiUl
unb ber ©cfudö bcr SSorlefunflcn , bcr i^m frciftanb, toor
mit SBefc^ränfunöcn t)er!nöpft, tocle^e bcn Erfolg in grage
fteUten. ^t^f^alb na\)m er auc^ Don bem Sefud) ber 3$or^
lefungen Slbftonb unb begnägte ftc^ bamit , auf priüatent
SBege in regem SScrfe^r mit einigen Se^rcrn unb ©c^ülern
ber Sfnftolt bie ©nrid^tung berfelben, Programm unb 3)lt^
t^obe bei^ bafelbft gebotenen gelehrten Unterrichte fennen ju
lernen. 3)ie Snftalt toor, bem ßroecfe gemibmet, alle bie
Unterrid^tefäc^cr ben aRitgliebem jugänglici^ ju machen, tDdd)t
für ©rforfc^ung ber franjöfifc^en filteren ©efc^ic^te nottoenbig.
ttJären. Slfle Sßorfenntniffe für biefe Slufgabe, ^ßaläograp^ie,
S^ronologie, 2)i))IomQtif, planmfigiged unb ftiftematifd^ed ^ex^
uferten ber 9(r(i^it){c^fi{ie, Iritifc^e Se^anblung ^anbfc^riftlic^er
Sexte, unb toa^ ou« SBelt^ Äirc^en^ unb 9ied^tögefc^ic^te für
biefe Qto^dt nottoenbig mar, tnurbe an ber Jficole gelehrt. 3n
oDem aber, in ber 2lrt ber arbeit, in bcr Art bcr JBe^anblung.
ber f)anbfcl^riftenfd)fi^e loie in gonj beftimmtcn ©runbffigen
ber getjanb^abten SWet^obe lebte äRabillon^ ©cift gemiffermoleu
fort; e^ toar, toie toir ba^ oben auögefütirt ^aben, feine
Urt ju forfc^en unb ju arbeiten burc^ bie Srabition ber 9Äau*^
riner auf biefe ,,bürgcrlid&cn SBcnebiftiner'' übertragen, äuc^
biefe Srabition »urbc Sicfel alfo befannt, afö er bie Äennt^
niffe, meiere in bcn Sßorlefungen unb Übungen bcr lEcole ge*
lel^rt tourben, fid^ auf privatem SSSege anjueignen fucf)te. hierbei
aber l^ielt ©idcl feine allgemeinen ^iftorif^en Sntereffen unb
feine befonberen l^iftorifc^en aufgaben feft im Äuge. Sr nat)m,
toaig ba^ bortrefflid^e 3nftitut an ge(cl)rter 3;rabition unb Untcr^^
ineifung in gelehrten Äenntniffen unb ttjiffcnfd^aftlid^er SRct^oDe
i^m barbot, fo in t)oIIer Unab^ängigfeit in fid^ auf, toal^rte fic^
bie inbiüibueQe t$reil)cit miffenfc^aftlid^er Steigungen unb baburc^
beftimmtcr Slrbcitcn unb entging bcr ®cfa^r, bie ber Unterrid^t
an fold^en Änftalten nur ju leicht mit fic^ bringt, bei ber langen^
ftrengen, f^ftematifc^en ©c^ulung für ganj beftimmte Sroedt auf
ganj beftimmtcn ©ebicten einer allgemeineren SBiffcnfc^aft bie
^öc^fte Jfcnntni« auf biefcn ©cbieten für bie SlBiffcnfc^aft fclbft
JU ncl^mcn unb bamit ben ßufammenl^ang mit biefer ju
Derliercn. ©o legte ©idEel in ^arte ben ®runb boju, fpfiter ate
ein SWeifter an bem SBeitcrbau ber in ber jfecole des chartes
geletirten S)i^jtplinen felbft mit ju fdjaffen. — ®r befc^äftigte
fi(^, lote mx fc^on fügten, bamald üorne^mlic^ mit ber fran^
55ftf(^«6urgunbtf(j^en unb ber fran}5fifd)«ttQlienifc^en ©efd^ic^te
am Ausgange beiS äJJittelalterd unb in ber beginnenben neueren
3eit. ©eine arc^ioalifc^en ©tubien l^iefür führten i^n bann
(iVi<S) nad) SSien. f)ier tarn er in Sejie^ungen }u htm ber
ifecole des chartes nad^gebilbeten Snftitut für öfterretcftifc^e
©efd^ic^töforfc^ung. Salb burfte er ben äRitgliebern be^ 3n*
ftitutg t)on feinem SBiffcn in ber ^aläograp^ie in geregeltem
Unterrid^t fienntniiS geben unb barauS ergab fic^ feine @r^
nennung jum ße^rcr ber ^iftorifd^en ^Ufi^miffenfcöoften an
bem Snftitut (1856) unb bann für bie gleichen gäc^er eine
?ßrofeffur für bie Uniöerfität (1857). Unb nun erft »anbte
fic^ ©idel fpejieflen arbeiten über bie ^iftorifd^en f)tlfötoiffen«
fci^aften unb barunter auc^ ber 2)ipIomati{ }U. 3(ud ber
SBec^feltoirfung feinet Se^ramteg unb feiner gelehrten ©tubien
entftanben bie Monumenta graphica (1858 ff.) unb bie Stuf«
fä§e: „3)ag Sejifon 2;ironianum ber ®öttn)eiger ©tiftöbiblio*
t^ef (1861) unb: „^ic Sunarbuc^ftaben in ben Äalenbarien
be« SRittetalteri^" (1861), unb ebenfo ^aben toir bie ©ntfte^ung
ber nun einanber fc^nell folgenben arbeiten auf bem ®ebiet
ber S!arolingerbip(omati{ im SBefentlidien auf bie ^nforberungen
feineig Se^ramte^ jurücfiufü^ren.
§U§ Se^rer ber jufünftigcu öfterreic^ifd^en Ärt^iöare unb
SBibliot^efbeamten, eventuell t)on ange^enben Unitjerfitftt^lel^rem,
ergab fic^ i^m für ben biplomatifc^en Unterricht aU Wcbtxt^
felb ba§ Urfunbentoefen ber beutfd^en Äaiferjeit, unb feine
toiffenfd^aftlic^e ©nfid^t füt)rte it)n baju, für biefe 3^^*^ ^^^
bem ©tubium ber Urfunben ber Äarolingeräeit ju beginnen,
ba ^ier fic^, toie er fanb, befinitiö geftaltet, wag jal^r^unberte*
lang bann im Urlunbenmefen fic^ ermatten ^at. Unb biefe
Arbeiten jur Äarolingerbiplomatif finb folgenbe : SDie Urfunben
Subtoigg beig 5)eutfc^en big jiim Sa^re 869; erfter ^Beitrag
jur S)ipIomatif (1861). — S)ie Urfunben Subtoig« beg S)eutfcf)en
60 eed^ftc« Kapitel.
659—876; jiDeiter öeitrag (1862). S)tc SKunbbriefe, Smmu*
«itäten unb ^ribilcßten ber erften Äaroltnger 6tö 840; brittcr
SBcttvag (1864). — Sic ^ßriDitegien bcr erften Karolinger bti^
840; merter ©ettrag (1864). ©t. ©QÜen unter bcn Äaro*
fingern (1864). — S)te SmmunitatiSrecötc nac^ bcn Urfuuben
ber erften Karolinger; fünfter Seitrag (1865). — Acta regum
et imperatorum Karolinorum digesta et enarrata, 751 bi^
840 (1867). — 9Kan mufe ju btefen Xiteln aber noc^ crläu*
ternb ^injufegen, bafe Sidet glei^ mäl^renb bt^ erften ©tu*
bium^ ber Urfunben ber Karolinger jeit, tt)al)renb be^ borbereis^
tcnben ©ammelnö ber Urfunben bie S^otmenbigfeit einer SRcu*
bearbeitung berKarolingerregeften ©öl^merö erlannte unb auc^ eine
fo(cf)e tnö ?luge faßte. Unb fo ftnb feine biplomatifd^en ©tubien
alfo aud) für eine neue Bearbeitung Don SBö^mer^ JRegcften
unternommen. — 3(tö ©idCcI fic^ fo bem Slrbeitöfelbe ber
S)iptomatif ganj au^fc^Iiefelic^ jumanbte, ^atte er freiließ fdjon in
onbercn toiffenfc^aftlic^en fieiftungen eö gejeigt, baß er afe ein
f4)opferifc^er ®eift bie übertommene biplomatifd^c SSSiffenfd^aft
met^obifc^ fortjubilben im ftanbe fein loürbc. ©c^on in
feinem Jluffa^c: S)a^ SSüartat bcr SJiiSconti (1859) lam ©icfel
im aSergleid^ öon Urfunben ^einrid^S VII., Submig beg Sägern
unb Karte IV. ju bem fcl)arf finnig getoonnenen ©runbfa^, bafe
bcr ©ad^int)alt Don Urfunben nic^t ot)ne meitcre^ l^iftorifc^ ju
jjcrtocrten ift, bcDor nid^t unter öerüdEfic^tigung t)cr gorm unb
bcr betreffenben Urfunbcnart Die formcUe Sntfte^ung bcr ein*
jjctncn Urfunben aufgeflärt ift. Unb cbenfo n^ar er in bem
Sluffaß; 3)aiSScjifon 3;ironianum ber ©otttoeiger ©tiftöbibliot^ef
(1861) ju einem iocitcrcn mct^obifi^cn ®runbfa§ für ©iDtomatif
fd)on gelangt, bem nomlic^, ba^ man cinjclne Urfunbcnmcrfmale
tiic^t c^er für bie Beurteilung ber Urfunben Dcrroerten barf,
qte bi« man bie Sntftc^ung unb Sebeutung beö betreffenben
SOierfmafö fo genau afö möglid^ gcfd^ic^tlic^ erfannt I)at. ®^
trat ^ier alfo feine gä^igfeit bereite ju Sage, fclbftänbig bie
SKct^obe JU finbcn, unb bicfe gd^igfeit bcmät)rte ©idet bann
auc^ bei 93et)anblung bcr Karolingerurtunbcn. ©o finben toir
glcii^ im erften Beitrag eine folc^e Slu^laffung über bie
X^cobot ©Icfcl. 61
!D(ctf|obc. ©idtel fofet crft prfijifc jufammcn, toa« SKabiUon unb
feine SRad^foIger bereite über bie eigenartige öufeere gorm bei^
UrtunbcntejteiS in fränfif^er Qtxt erfannt ^aben, ol^ne bafe fie
^§ oQerbing^ fo flor au^brfidt Ratten, ©c^on in ben ötteftett
Urfunbcn, fo fd^reibt er, erlennt man eine fteti^ toteberfe^renbe
35iöpofition berfelben, toetd^e fic^ aHmfi^üd^ meiter enttoidelt
unb in ber Äanjlei Äarfe beö ©rofeen in einer für Sa^rl^unberte
mafeflebenben SlBeife feftgefteHt toirb. ©ie befte^t junäd^ft barin,
baß eine genjiffe ?lnjot)I gomieln bem eigentlichen Sn^alt b^
S)ipIomö in beftimmter 9fleit)enfotge t)or* nnb nat^gefe^t
toerben. ©nige biefer gormein finb nnbebingte« (Srforberntö für
jebe auö ber föniglidien Sanjtet ^crDorgegongenen Urfunbe.
3)arum ober, fo fötjrt ©idEet fort, unb hiermit bilbet er toieber
bie bipfomatifc^e SWet^obc tt)eiter, ift c§ ntc^t genug, ju toiffen,.
bafe eine beftimmte gormel ju irgenb einer beftimmten Qtit in
®ebraud^ getoefen ift, baf^ fie in einer fpateren Qe\t burc^ eine
onbere abgetbft mirb, fonbern man mufe miffen, marum fie ab^
gelöft ift unb »arum fie biefe ©eftalt angenommen ^at. Unb
barum mujg bie 3)ipIomatiI, n^enn fie gormein fammelt, um
baran SWerfmale für bie Sritif ju geminnen, auf alle bie Um»
ftänbe ad^ten, meldte bie gaffung ber gormel beeinflußt ^aben
fönnen, alfo auf Sßorlage, Urfunbengruppe, Äanjieiperiobe unb
afiegierung^periobe. @rft nacft ©rtoägung aller biefer Umftänbe
barf ia^ einjelne äRertmoI für fritifc^e Smdt öertoertet toerben.
Unb in ftrenger SRu^antoenbung biefc!^ oon i^m fo umfd^rie^
benen ©runbfa^ej^ ber äWetljobe finb bann n)ie bie Seiträge fo
auc^ feine Se{)re öon ben Urfunben ber Karolinger entftonben.
S)ie Acta regum et imperatorum Karolinorum digesta et
enarrata, im erften Seil Urfunbenle^re, im smeiten 2;eil 9ie*
geften ber Urfunben ber erften ÄaroUnger, äcigen aber audj ein
anbereö ^'ßtinjip in tJoUfter Äonfequenj burdtigefü^rt, baö fd)on
ben ^Beiträgen ju ®runbe Hegt. 5)er SRegeftenarbeiter, fo l^atte
©idEel t)on oorn^erein bie Slnfic^t feftge^alten, muß auä) immer
jugteic^ Äritifer fein, feine Äriti! an ben Urfunben aber, bie
ben ^iftorifer befriebigen miH, fann nur biplomatifc^e, b. i. bon
ber gorm ber $ßubIifation felbft auiSge^enbe ^itif fein. Unb
62 eec^fiei» StapittL
bicfc, fo toax eö il|m nun, ate er bic Überlieferung ber ffiaro*
lingerurfunben fid^tete unb prfifte, jum unumftögli^en ®runb»
fa^ geworben, f)at aU ©runblage auf bie Originale] fclbft
^urfldEjuge^en. 92ur ben Originalen fann bie biplomatifc^e
Se^anblung bie;9J2erfmaIe entnehmen, mit benen fie fidler toeiter^
operieren barf. Unb inbem ©tdel nun biefen ®runbfa§ feft^ielt
unb mit bem l^6d^ften ©d^arffinn üermertete, fam er unter
ftetiger freier gortbilbung unb ®rtt»eiterung ber biplomatifd^en
iDJet^obe }u jenen 9lefultatcn, burd^ toeld^e mit biefem 93ud^e
aber bie Urfunben ber Sl^arolinger bie ^iplomatif aU SBiffen^
fd^aft toteber t)ergefteQt unb ald gleic^bered^tigt unter bie an«
bereu ^iftorifd^en ^i^iiplinen eingereiht mürbe.
SBir toertoeilen junäc^ft bei bem 3n^oIte biefeS au^gejeid^^
ncten SBerfe«. ®^ finb brei grofee äbfc^nitte, in benen ©idEel
feinen ©toff in ben Acta be^anbelt. 5)er erfte lautet: $of unb
Äanjlei. S)arin enttoirft er ein genaue« JBilb ber ftanjlei*
organifation im allgemeinen unb bringt für ben be^anbelten
Zeitraum eine genaue fiifte ber Äanjler unb merft für einen jeben
ütt, toeld^e Xeilna^me an ben ®efc^äften ber Äanslei fid^ für
i{)tt pofitit) erfennen lofet. hierbei ^ält er aber ftreng au8*
cinanber, toa^ man atö politifc^e Xl^fitigfeit ber JSanjIer unb
üU bie Seitung beiS S^anileibureauiS ju bejei^nen f)at Unb
nur bic legtere X^ätigfeit ift feiner Slnfic^t nac^ ©egenftanb
ber biplomatijc^cn Unterfuc^ung, aber fie verlangt eine fe^r ge«
Ttaue öe^anblung, benn o^ne ÄenntniiS berfelben vermögen
toir nidbt, fo Icl)rt er weiter, bie ©nttoidfelung beS Urlunben-
ipefen« ju Verfolgen unb bie jen^eiligen ^iterien ber S^iplomc
feftjuftcäen. 5ßofitiü ergab fid^ in ber grage für bie Seteili^
gung ber ^anjler an ber UrfunbenauiSfertigung nun fe^r
^iele«, toaS ben un« befannten Sluffaffungen Stumpf« barüber
burd^au« toiberfprac^. ©o fonb ©idEel tbm au« ben ©c^rift»
äugen ber Originale l^erau«, bafj mand^e Urfunben üon ein«
feinen ^anjlern ganj gefdjrieben finb, bag anbere JSanjIer
nid)t felbft fd^rieben, aber ^äufig felbft unterfertigten, anbere
toieber nid^t« mt\)x fc^rieben, auc^ ui(^t bie Unterfd^rif t , unb
bafe man al« ®efe^ erlennen fann, bafe bie eigentli(^e Schreib-
<ir6cit immer njenigcr Don bcn Äanjlcrn au^gefü^rt tourbc.
^cm entfprcdjenb legte bann ©idtcl in bem jtoeiten ätbfd^nitte:
^aSon bcn inneren SRerf malen" ^auptgewid^t barauf, ju er^
kennen, toelc^en ©nftufe ba« gange ffianäleipcrfonal ber Siotarc
4inb ©(^reiber ouf bie Umbilbung be« UrfunbentoefenS gehabt
l^obe. S)abei gliebert er feine Setrad^tung in jttjei Unter*
<ibteilungcn , in bie bcö Urtunbentejteö „unb in bie, ber biefem
^cjt üorangel^enben nnb nac^folgenbcn gormein, für njeld^c
flemeinfom er ben Stamen ^rotofott einführt. $^ie 85eac^tung
ieö eigentlichen Urfunbentexteö unter Seifeitefc^iebung beö für
bie S)ip(omattE nebenfäd^Iic^cn l)iftorifd^en Sn^alt^, a(fo ber:
Inscriptio, arenga, promulgatio , narratio, dispositio unb
<;orroboratio mod^en ben Sn^alt ber erften Abteilung biefe«
^bfd)nitte^ au^. Unb ba ffi^rt nun ®icfe( au^, tok e^ für
jebe Kategorie beiS SRe^töinfialte« eine ober mehrere Raffungen
flob unb ttjie in jebem SBieber^oIungöfaHe bie gleichen gormdn
<ingemanbt n)urben. 2>ag fam fo oon 9iom nac^ ©allien, too
bie gormein r^etorifc^ aufgepu^t n^urben, unb bann tarnen
iiefe gormein ju bcn granfen, bie auö leicht begreif lid^cn
^rfinben fic^ fflaoifd^ an bie SKufter ber 2)iftote hielten, ©o
finb bie Urfunbcntextc fo jicmlid^ alle boö, alö ttjaS fic üon
ben 3ci^9^"off^tt bcäcid^net tt»urben, angemanbtc Urfunbenfor^
mein. S)arum aber ging bann ©idtcl genau ben SWöglid^Icitcn
ier ©ntftc^ung ber Uriunbentejte im aÖgemeinen unb ber Art
ber SRac^bilbung unb ben SKöglid^Ieitcn bc« ©influffeig auf bie
^ortbilbung ber gormelu nad^. Unb er be^anbelt im cinjelnen
bie Slrt ber SRac^bilDung biö 814 unb bie Slrt ber 5Rüc^biIbung
nac^ 814 unb bel^anbelt barin nad^ 9tui$fät)rung über bie
'©prac^e ber 3)ipIome bie cinjelnen 3;eile bc^ Urfunbcntextc^ in
i^ren SBanblungcn njä^renb beö befprod^enen Qtittanm^ unb
^ic^t barauö bie golgerungen. Überaß, fo toeift er nad^, gcf)cn
in bcn 2)ipIomen bie ganjcn 3)iltate fomo^I toie au^ cinjclnc
©ä^e auf ein beftimmtc^^ gormelloefen unb einen feftftef)enben
-©prad^gebraud^ ber SRcid^öfanjIci jurfidt. 2)iefcg gormelmefcn
i^at fid^ einl)citlic^ cntmidtelt unb l|at feine ^t)afen, unb bie
mu^ man fennen. Unb ebenfo muß man für bie oerfd^iebcnen
64 Sec^ftc« Äüt)itcl.
Seiten genau njiffcn, n)te bie Urlunben bcn jetueiltgen S)iftatcn
natfigcbilbet finb. ®rft bann roirb man bte t^xQQt löfen
fönnen, tuie weit beifpielötneife bei beftimmten Smmunitatö*
«rlunben bie tor^anbencn Siiffercnjen ate rein ftiliflifcl)e, roie
toeit afö fadjlid^e ju bejetd)nen finb, unb bann erft toirb fic^
bie 3rage bcanttt)orten laffcn, ob baö 9luf^örcn einer gönnet
immer erlaubt, auf SSerfc^toinben beö 9ied)t«9ebrauc^§ ju
fc^Iiefeen, unb ob gortfü^ren einer gormel immer Settjeiö be^g-
SBeiterbefte^eng beg SRec^tögebrauc^eg ift. ©§ mirb unter SBe*
rüdfi^ttgung biefer Slrt ber ®ntfte^ung beS Urfunbenteftc^ ber
^iftorifer erft bie rici^tige Stellung in Sietreff ber SJermertung.
ber Arenga finben. @ö wirb berfelbe, menn er bie @nt*
fte^ungöart ber t^^ffwitg wnb bie Snfonfequenj ber ©iftatoren
nid^t außer ad^t löfet, aud) ?ln^alt finben, ob er auf bie 3^i^^
grenjen im ©ebrauc^ getoiffer 5;itel ©etoid^t legen barf ober
nic^t. Unb bie Narratio unb Dispositio Taffcn fic^ überhaupt
nid^t int)altlic^ Don bem ^iftorüer öermerten, toenn nid^t eine
genaue SBerglei^ung beS Urfunbentejte§ mit gormein unb Si*
plomen gleidien Sn^altö öorange^t. Unb mit biefer SBe^anb«
lung be^ Urfunbentejteö getoinnt tt)ieberum aud^ bie praftifd)e
2)ipIomatif felbft nac^ anbern ©eiten feften gufe.
S)ie aWoglid^Ieit, golfd^ungen ober Snterpolationen ju er^
!ennen, ergibt fid£) nun mit einer getoiffen ©id^cr^eit. 3)ie
jiemlid^ häufige Slnticipation einer ju jungen gormein ttjie bie
feltener üorlommenbe SInmenbung einer ju alten gormel in ge*
fälf^ten ©tüdEen fönnen \xä) nun nic^t me^r Verbergen. Süden*^
^afte ober bi^ jur Unüerftänblid^feit oerunftaltete Urfunben^
tejte laffen fid£) »icber ^erfteDen, tjerftümmelt überlieferte Ur^
funben laffen fid) üerüoKftonbigen , unb oft toirb man fold^e
®tM^, »eld^e in i^rer gegenwärtigen Oeftalt berböd^tig finb,
in berbefferter Oeftalt al8 ed^te verwerten fbnnen. — ©anj.
gleid^ fd^öpferifd^ für feine Slufgabe toie für feine SBiffenfd^aft
ift ©idel bann in ber jtoeiten Slbtcilung biefeö Äbj^nitteS in
ber Se^re üom 5ßrotofoII, atfo üon ber: 3nt)ofation, bem
SRamen unb Xitel, ber föniglid^en Unterfd^rift, ber ßanjler*
unterfc^rift, ber Datierung unb ber Äpprefation. Äud^ l^ierbet
%f^tohox ©irfel. 65
^onbclt ©tcfel toicbcr crft üon btcfcn ^ßrotofontctlett im
?ingcmcincn unb betjonbelt bann btc gormcn, tüdc^c fie im
©njcinctt in bcn üerfd^iebencn SRcgtcrnngigpcrioben ber betreff*
enben ^crrf^er annehmen. ®o jeiflt er, bafe baö ^rotofoQ,
entfpre^enb ber mannigfod^en Entfaltung unb fd^neQen @nt^
toicfelung im UrfunbenttJefen, ^fiufig unb in toerfc^iebener SBcifc
mobifijiert toirb. S)cr SBec^fel tritt ein bei Seginn bet SRegie»
rung eineiS gürften unb bei JBeginn neuer SRegierungigperioben.
@r tritt auc^ ein, ttjenn bte Seitung ber Jtanjiei in anbrc
§änbe übergebt unb Heinere SWobififationen erlauben fid^ auc^
bie einjelnen mit* ber ?(ugfertigung betrauten SRotare ober
©d^reiber. Äud^ l^ier faßt ©idel bie 9lufgabc, ben Slbtt»anb*
lungen beiJ ^ßrotofoHig in ^ronologifc^er SReilienfoIge nadjju*
gelten, unb unternimmt ben SJerfuc^, ben ©nfluß ber einjelnen
in ber Äonjiei t^ätigen ^erfonen an ber äbtoanblung unb
bereu t^^ffung fennen ju lernen. Unb ba§ gilt befonberS für
bie 3)atierung. SSSenn bie S)iplomatif für jebe ®ruppe üon
Urfunben baiB ®efe| ber S)atierung ergrünben mufe, fo Iietfet
baS in bem öorüegenben gaQe für S)ipIome iebcd. Äßnii]«,
eücntuell für bie jeber SRegierunggperiobe baiB tjon ber Äanjiei
aufgeftettte ®efe§ ju erforfd&en. SKan muß babei aber, fo
l^eifet ei8 ba weiter, aüe bie Umftänbe berüdfid^tigen, toelc^e ein
einfad^e^ Slbleiten ber SRegel au8 ben S)ipIomen felbft erfd^toeren.
S)ie 83ered^nung ber Siegentenjofire ^at i^ren @pO(^entag, ber
in ber SRegel bem Sog beiJ tt)irftid)en SRegierungöantritteö ober
bem 2;age an toel^em ein ben ^Beginn ber neuen ^errfd^aft
bejeic^nenber ?(ft tjorgefommcn , entfpric^t. 9?un gefd^ie^t ei8
unter Umftfinben, bafe bie Sluffaffung ber ©reigniffe unb mit
ibr bann aud^ bie ©ajjung be^ @pod^entage$ ober felbft beiS
Spod^enja^reö eine Änberung erfal^ren \)at, fo baß für bie
jpfitere Qeit ber ^Regierung ber Sered^nung ein anberer 9Infa§
ju ©runDe liegt, aU für eine frühere ^eriobe. Unb bie S)i:»
ptomatif ^at ba ju lehren, biiS ju tuelc^em 3^itpunft bie alten,
unb Don tuelc^em 3^i^pwnft an bie neuen ©efe^e ber S)atic»
rung gegolten ^aben. ?lber fie muß jugleic^ auc^ bie gragc
JU beantworten f neben, tt)ai5 ben Übergang t)on ben einen ju
Worifc^e »ttliot^e!. »b. IV 5
66 ©ec^fted ^apxttl.
bcn anberen veranlagt ^aben mag. 6^ fonn ein bebcutfame^
polttifd^cg ercifltttö ober ein SBec^fel in ber Seitung ber Äanjlei
ober anä) betbe^ suglcici^ ju ber ^banberung geführt ^aben.
SSon biefer 3)atierungöüeränberung , fo fagt bic toeiterc Se^^
trac^tung, ift aber tooI|I ju unterfd^etben jebe SKobififation
ber S)atierung, meiere burd^ falfc^e ober nad^Iäffige 9lnmen*
bung ber ®c)e^e berfclben cntftanben finb. @o fommt ci^ üor,
ba& in ^otge einer anberen Sluffaffung einei^ ber ©poc^e ju
®runbe liegenben ©reigniffeö ober in golge eineö aritf)metifci^en
ge^Icrö eine t)om urfprüngtid^en ®efc§e abmeid^enbe SBered)^
nung angeftellt unb eine ^^itlong lonffequent feftge^alten
toorben ift. ?lu(^ finb tt)0^l in toereinjelten gätten bie ß^^feit
fatfd^ bered^net ober bo^ bie Sift^^w öcrfd^rieben ttjorben.
Sinn ISfet eS fid^ aber bei ber 3Ret)rja^I ber S)ipIome gar
nic^t erfennen, tuer bic Slbtocid^ungen an ber einen ober an*
beren Art üeranlafet ober ücr)(^ulbet ^abe. SRan mirb frei*
lic^, tDO j. SB. mit bem Eintritt eineg neuen Äanjleri^ ein
neuer Spo^entag für ba^ 9iegentenjaf)r angcfefet toirb, üon ben
2)atierungSregeIn biefciS ober jene^ Äanjteri^ reben bürfen.
SKan toirb bei ben ©atierungömobififationen ber anberen ?lrt
inbctreff ber Äanjfer aUenfaÖ^ behaupten lönnen, ber eine
l^abe me^r afe ber anbere lebtiaften perfönlic^en 9lntei( an ben
©efc^fiften ber hänslet bejeugt unb ^abe barum too^I auc^
@influg auf bie S)atierung audgefibt. ^ber mit bem Jionfta*
tieren biefer 3;^atfad^e ift menig gewonnen. Unb ge^t man
für S^i^ftt ^i^ ^t^o bie 3^^^ Subttjigö beS grommen feit 819,
IDO bie Äanjier fo gut toie gar feinen Anteil an ben ©efd^äften
ber ^anjlei naiimen, fonbern biefelben ganj bem untergeorb*
neten ^erfonal überliefen, auf bie SReiognoi^jenten ber SDipIome
iurüd, fo fü^rt aud^ ba^ nid^t ju einem fixeren ^orreftio bei
3eitangaben, bic fic^ nid^t in bie afe aQgemein gültig ernannten
Wanjieiregeln fügen. 2)enu bic Prüfung ber Urfunben burd^
bie unterfertigenben Stotarc toar eine fe^r oberftSc^Iid^e. — Unb
wie mit biefen fo Iel)rreid^en unb falfi^e änfd&auungen unb
beren t$o(g^n befeitigenben 3(uSfü^rungen, fo seigte @idte( bann
nuc^ in ber fi^ anfc^Iiefeenben Unterfud^ung über Actum unb
Xtttohox ©idel. 67
Data Quf^eQenbe ®e[tci^töt)unfte. @d galt f)itx bte t$i^age/ ob
bie äSoraui^fe^ung richtig ift, bog ber 3<^^t nac^ baiS in einem
S)ip(om Derjeii^nete Saturn mit bem 9(ufent^Qlte an bem burd^
Actum eingeleiteten Orte jufammenfaQe. 2)ie \tf)X treffenben
unb biefe Slnna^me einfd^rftnfenbcn Semerfungen be« fleißigen
branbenburgifi^en Slrc^iDar« auf ber 5ßIoffenburg, 5ßf|iltpp ©ruft
©<)ic6: «rc^iöifd^e Sßebenarbeiten (1783 ©• 108 ff.) unb: «u^
ßärungen in ber ©efd^id^te unb ©iplomatif (1791 ©. 74 ff.)
toaren üergeffen.
©ö^mer loar ber SWeinung gettjefen, mon bürfe 3^^^!^
an ber ®Ieid6jeitigfeit biefer beiben SKomente gar nic^t auf^
fommcn laffeUr unb aud^ ©tumpf betrai^tete Datum unb
Actum aU burc^tueg jufammenfaHenb, e8 müfete fidö benn tuie
in einjelnen feltenen gätten eine bot)peIte DrtiJangabe finben,
bie eine ju Actum, bie anbere ju Datum get)5rig. ^uiHarb*
SSre^oHe^ unb SuliuiJ gicfer Ratten bann aber fd^on für Ur*
fiinben be^ 13. unb 14. Salir^unbertiS Unterfui^ungen über
bie jeitlic^e SSerfc^ieben^eit öon Actum unb Datum angefteüt
unb ben 9}ad^n)eid erbrad^t, bag in manchen S)ip(omen mit
Xctum ein Ort angegeben toirb, an njelc^em ftc^ ber StuöfteHer
an bem im S)atum enthaltenen Xage nid^t befunben I|at. Unb
unter JBerüdEfic^tigung biefer Unterfuc^ungen ge^t ©idfel ^ier
ber grage t)on Actum unb Data bann tiefer nac^. SBir ^aben,
fo fü^rt er babei auö, aß bie SWomente ju ertoägen, ttjeld^e
bei ber ©ntfte^ung ber einjefnen 3)iplome ju unterfdijeiben
finb. SBir muffen unij tergegenmärtigen , baß eine Sitte, ein
®efud^ aui^gefproc^en tt)irb, eine SBorüerlianblung eintritt, bie jur
Urfunbenauöfertigung erfolgt, unb nun bie Urlunbe in ber
Äanjlei üerfd^iebene ©tabien burd^Iäuft unb bann bie Sluö*
l^änbigung ftattfinbet. Auf toeld^en biefer SKomente bejie^en
fic^ nun Actimi unb Data? hierüber bringt feine Unter*
fuc^ung nun bie JBele^rung: Actum ift auf ben SiefcH ju
begießen, ba^ 3)ipIom anjufertigen, Data aber bejic^t fi^ ate
legier 2:^eil ,ber SluSfcrtigung auf bie SSoQenbung beiS 3)i*
plom^ unb bie ©jpebition an bie Partei. ©iefeS ®rgebniig
5*
68 @e4fieS Kapitel
führte it|n bann ju bem ©c^Iufe, ba§ aud^ für bic ffiarofinger*
urfunbcn bic Äoinjibcnj tjon Actum unb Data nid^t immer
anjune^men ift, unb bag in n^eherer ^onfequenj bem Sttnerar,
toelci^eö aus ben DrtS^^ unb g^'tangoben ber ©iplome l^erüor*
Qef)t, nur ann&bembe SRici^ttgteit jufommt. 99ici^tSbefton)eniger
aber ift biefe« Stinerar immer no^ flenflßenb für ben gorfc^er
unb juücriäffiger ate bie analogen Angaben anberer Duellen.
— Unb toie über Actum unb Data, fo ift bie nun folgenbc
Unterfuc^ung über bie 3nbiftion üon aufflärenbftem ©rgebniS
für bie Urlunbcnfritif unb «SSertüertung. S)enn für ©eibeö
tourbc eS bod^ befreienb, tuenn ©irfel ben Jiad^toeiS lieferte,
bafe leine^toegiS bie Äanjler bie Änorbnung getroffen l^aben,
nad^ inelc^er bie Snbiftion gered^net toerben foQ, bag bie S^otare
au^ l^ier ben (Anflug oui^geübt f)abtn, unb ba^ bie Snbittion
aud^ nic^t immer richtig bered^nei, unb bag man auc^ nicbt
behaupten barf, mit ber Snbiftion fei immer baS rid^tigc Srcn»
ja^r gegeben. — S)arauf !ommt bann ©idfel jum britten ^oupt*
abfd^nitt feiner Urfunbenlel^re , ju ben äufeeren ÜRerfmalen ber
2)ipIome. (Sr Iianbelt ba tjom ©d^reibmaterial, t)on ber Gut*
ttJirfelung ber ©(^rift bi§ ind 8. Salir^unbert, bom ß^riSmon
unb ber üertSngerten ©d^rift ber erften SeiU, t)on ber 5fon^
tejtfd^rift, üon ber ÄönigiSunterfd^rift, t)on ber Unterfc^rift bei^
Äanjierö ober ^otarA, toon ber 2)aticrungi5jeile, ber 85eficgelung,
tironifc^en 9^oten, ©d^rcibfe^Iern , ffiorrefturen unb SJorfual*
bemerfungen. Unb in biefem ?lbfd^nitt lefen tt)ir bie treffenbften
Semerfungen über ben ©^riftoerglcic^. — Siner ftdft an*
fügenben Unterfud^ung über bic Placita (©erid^tSurfunben) folgen
eine 9iei^e 85etra^tungen über Äritif ber SJipIome, bann öc*^
merfungen über ^Briefe unb Kapitularien unb fd^Iieglid^ Sr«
läuterungen für bic Äegeften. Unb überaQ begegnen »ir
ba njiebcr einem gortfd^ritt in ber Umfd^reibung ber Aufgabe,
in ber @rn)eiterung ber SKittel für i^re fiöfung unb in ber
^Jermcl^rung unb ©ic^erficit ber SRcfuItate. S)ann folgen bie
9iegeftcn felbft, aU ein möglic^ft üollftänbigeö unb fefteg ®e»
ruft für alle gefc^id^tlid^en SSorgänge oon 751 bi^ 840 geplant
unb au^gefü^rt unb mit ÄüdEfic^t auf ben benu^enben ^ifto*
riter cbcnfo forgfältig in bcr ^ronologifc^ctt ?lnorbttunfl geat>
fccitct toie mit crfd^öpfcnbcr Sn^altöangabc ücrfc^cn. 2)a« ift
bcr Sn^alt üon ©idtete 2)ipIomatif ber älteren Äarolinger. S)em
©Qnjen biefer ©pe5iaIbipIomatif unb bicfer SRegeften ge^t aber
eine Anleitung üoraui^. Unb biefe afe ©infü^rung für ben
gorf(^er in bie nac^folgenbcn fpejieQen biplomatifc^en Unter*
fudjungcn unb Urinnbenfritifen geplant, ift eine im fnappen
Umrife, aber Kar unb au^reid^enb vorgetragene Umfc^reibung
beö e^arofter^ unb ber ?lnfgabc ber oHgemeinen 2)ipIomatif.
Unb jeigten bie einjetnen ffiapitel ber ©pcäialbiplomatif unb
bie 3iegeftenbeor6eitung fc^on überaQ bie Qn^e eineg außer*
orbentiic^en gortfd^ritteö ber 2)ipIomatif, fo er^ob fid^ in biefer
(Sinteitung, bie boä) mein erft auf ben ©rgebniffen feiner
©pejialunterfuc^ung aufgebaut tüurbe, Sicfel ju einem neuen
„©^ftcm" bcr S)iptomatif. SBSir laffen ben Äern biefer fiel^rc
folgen. S)ie 3)iplomatit, fo fütirtc ©icfel au^, beftimmt ben
SBert ber Urfunben afe 3^"9"iff^- Urfunben finb fc^riftlid^e,
in entfprec^enbc gorm geffeibcte Sufeerungen über ©egenftänbc
red)tli^er 9?atur. ©te finb a(fo eine bcfonbere Srt ^iftorifd^cr
3eugniffe. 5)er ^iftorifer fpric^t bei 83et|anblung einer Urfunbc
t)on gorm unb 3n^alt, ber S)ipIomatifer oon ben befonbercn
it|r innetoo^nenben ©igenfd^aften, ben SKerfmalen. 2)iefe SKerfc
male finb fiufeere, aU beifpicfenjcife ber ©toff, auf tocld^em, bie
©c^rift, in toeldjer gef einrieben rourbe. ©old&e SRerfmale finb
aber nur ben Originalen eigentümlid^ , biefe teilen bicfelben
mit feiner Äopie, mit feinem 2)rudEe. Unb SKertmale biefer
Slrt l^aben einen fe^r f|0^en SBert für bie Urfunbenfritif. 2)enn
eine auf rcid^er SSergleic^ung jufammenge^öriger Urfunben in
Urfd^rift gettjonncne ©rfcnntni^ über biefe dufeercn ÜKerfmalc
füt)rt jum ®eipinn oon Kriterien, toelc^e itn ^öd^ftmöglid^en
@rab t)on (Scmife^eit in l^iftorifc^en Singen geftattet. 2)entt
mnn bie ^Betrachtung aller ©d^riftc^araftere bie ©emife^cit giebt,
bag ein ©tüd einer beftimmten Qdt angehört unb DoQftänbig
ben Äan5teigebräuc^cn biefer $ßeriobe entfprid^t, fo bietet bie
eigen^änbige unb burd^ inbitiibuellen (S^arafter awSgcicii^nete
3lefognition in biefcn Diplomen ba^ SÄerfmal, an toeld^en toir
70 ©cdftfte» ^QpM.
ein fiebere«, auf ftnnßd^cr SBa^rnc^mung beru^cnbcS Kriterium
bcr Driginalttät gctüinnett.
SOIc btc SKcrfmale, fo gct|t feine Setire bann tueiter,
tpelc^e Originale unb Stopien gemeinfam ^aben unb beten
einjcine ftc^ aud^ in Urfunbenfragmenten , Überarbeitungen, in
3)rudten erfennen (äffen , ate 5;itel , S)atietungen , ftiliftifd)e
gaffungen, Äeci^t^inlialt, Unterfd^riften, machen bie inneren
SKerhnare au8. ?luc^ ^ier ift bie SKögfid^teit gegeben, ju
erfennen, njeld^e gormeln bie einjelnen SRerfmale ju einer
beftimmten 3^^* gehabt , unb bamit ber Änfialt geboten , t)on
biefer ©nfici^t in ba^ formelle an^ Äritif ju üben, mit njelc^er
bie 3)ipIomatif aud^ im (Sa^inlialt bem ^iftorifer unb ffieä)t^^
^iftorifer vorarbeitet. S)er SRec^t^Iiiftorifer tt)ill beifpietettjeife
ben SmmunitfitSbegriff in 3Rerott)ingerur!unben feftfteüen. ®r
ftü^t fid^ babei natürlid^ auf bie Urifunben felbft. SRun finbet
er ba in beren Snl^alt ®Ieic^^eiten unb SBerfd^iebentieiten, fürjere
unb längere Äec^töbeftimmungen unb SBiberfprüd^e. SKaS foll
er nun ate ben ju einer beftimmten 3«it gültigen Smmunitötöbegriff
baraug abftra^iercn? S)er 3)ipIomatifer toirb t^m ba ju §i(fe
fommen fönnen. 2)er S)ipIomatifer urteilt einmal über ©c^t^eit
unb Une^t^eit unb alle bajtoifc^en liegenben äbftufungen be^
SBalirfc^einlic^en mit feinen Kriterien, er gewinnt mit feinen
Äriterien über bie 2;ejtentfte^ung ben rid^tigen urfprünglid^cn
3;eEt aud^ in ber öerberbten ®eftalt. ©eine Äenntni^ ber Mrt
ber ?lrbeit in einjelnen J?anäleit)erioben ermöglid^t bie ©nftc^t
barin, ob bie erweiterte tJ^ffwng ber üerlielienen Smmunitöt
bIo6 eine ftiliftifd^e ober aud^ eine fad^lid^e Steuerung ift; unb
unter Serüdtfid^tigung beö SBerfiältniffeiS, toeld^e« stoifc^cn ben
einjelnen gormein unb bem ©a^in^alt in einer beftimmten
3cit beftanben l^at, t|ilft ber 3)ipIomatifer auc^ ben ^ad&in^alt
ftflären. ©o fann bie S)ip(omatif pofitiöen Sln^alt für bie
Äritif fd^affen, too bie f|iftorifd^e Äritif ol|nc Anwalt märe!
Unb überhaupt, toenn bie S)ipIomatiI i^re Slufgabe fo faßt,
ben aBert ber Urlunben ate ^iftorifd^e S^wfltt^ffc feftjufteHen, fo
fann fie nid^t mit bem ®enjinn eine§ Urteite über Originalität
unb Sftid^toriginalität, über Sd^t^eit unb Uned^tl|cit fc^Ied^t^in
2:^cobor (Bxdtl 71
i^re ?(r6ctt ate becnbct anfel)cn, fic barf fi(^ mit bcr alten i^r
gegebenen S)efinttton ote »ars diplomata vera et falsa dis-
cemendi« nic^t begnügen, fie fann unb mu§ ben 9Ka6fta6
finben unb barbieten, bic getrfibtc SBalir^eit, bie größere ober
geringere SBatirfc^einltd^feit, ben größeren ober geringeren SBert
ber einjelnen Urfunbe ju beurteilen unb ju befttntmen. ©ie
fann ba^ aber nur afö ©pcjtolbiplomatil unb Ijier ouc^ nur,
njenn fie biejenigen SRegeln SKabiQoniS verfolgt, bie für alle
3eiten befolgt toerben ntüffen , toic jenen ©o^ , baß nid^t au»
ber ©^rift aQein, aud^ nid^t au^ einem SWerfmal allein, fonbern
auö allen SWerfmalen jugleid^ ffiritif an ben Urfunben ju üben ift,
unb tuenn fie auöfc^Iießlid^ an Originalen Äenntni^ ber toefcnt*
lid^en SWerfmale ber Urfunben einer bcftimmtcn Qeit ju getoinnen
fud^t. ©ot)ieI au8 ©idfel^ r,©^ftcm ber S)it)Iomatif!'' —
Unb nehmen mir nun baö ®anje biefcr Acta Karolinoruin,
bie allgemeine Einleitung, bie fpe^ieÜe biplomatifc^e Unterfuc^ung
unb bie SRegeften , fo erf offen mir eö , baß ^ier üor un^ fic^
bie SBiffenf^aft ber Diplomatif mieber neu unb meit ^ö^er al§
je juüor erl^ebt unb fog(eid^ auc^ bie ^robc auf i^re Qmcx^
läffigfeit gtänjenb befielt. 5Run mar menigftem^ für bie 3^^*
ber Karolinger ber JBemeiig erbra^t, baß bie Urfunben befonbcre
Dbjefte ^Iftorifc^er gorf(^Ung finb, baß fie barum eine befonbere
©e^anblung beanfpru^en unb baß mit biefer , mit ber biplo^
matifc^en SWet^obe ben Urfunben für Sfritif unb SSertoertung
Siefultate abgetoonnen merben fönnen, meiere bie rein l)iftori)c^c
^Bearbeitung au^ i^nen nid^t jeitigen fann, unb jmar meber im
©rgebniö fclbft, noc^ in ber ©ic^er^eit beffelben. SRun mar
ferner ber Semeiö geliefert, baß bie S)i))lomatif nic^t eine anti*
quarifc^e, baß fie üielme^r eine ^iftorifc^e SBiffenfc^aft ift. S)urd^
all ba§ minutiöfe SSieterlei ber bip(omatif(^en gorfcftung in ben
»Acta« mie fd^on t)orf)in in ben „Seitrogen" ge^t immer al8
oerbinbenber goben bie f)iftorifd^e Sluffoffung, bie legten
Srgebniffe finb immer mit l^iftorifc^er SSritif getoonncn, unb bie
unou^gefcgt fortgebitbete 9JJet^obe ber biplomatifd^en 83ef)anb*
lung empfängt ^ier oon ber ^iftorifd^en ?lnf(^auung i^re 2;riebe-
72 Siebentes Äapitcl.
Sin bicSrabition bcr3Kaurincr,aIfo, loic fic in bcr Äcole des
chartes fortlebte, fnüpftcSicfcI an, aU er bic crften biplomatifc^en
©tubicn machte. @r ging bann jurürf ju bem ©d^öpfcr ber SSSiffcn*
f(^aft, JU aRabiUon felbft, unb er befd^äftigte fic^ unaudgejegt
mit ber Res diplomatica beS großen 3Reiflerö, big er ganj §err
beg vorgetragenen ©toffeö unb Äenner ber gebotenen Se^ren
tourbe. Slber fd^on bei ber erften Urlunbenbetrac^tung nad^
biplomatif^en ^runbfägen jeigte ©idel fic^ fc^öpferifc^ in ber
gortbilbung ber SKet^obe. Unb fo blieb er eg toeiter ©c^ritt
für ©d^ritt bei jeber biplomatifc^en Unterfuc^ung mit fteigenber
©ic^er^eit unb fd^neQ getoonnener äKeifterfc^aft. Unb ba$
gefd^a^, toeil er ju SRabiQon unb ber Srabition ber ;ßcole
des chartes bie ©rfa^rungen unb bie gorberungen ber beut)(^en
fritif(^n (Sefc^id^tSmiffenfc^aft ^eranjog. Siic^t im ©elbftjmedE
alö 2)iplomatifer alfo, nein afö ^iftorifer ^at ©idEel bie Ur*
fuubenle^re ber Karolinger gefd^affen, unb nimmer foQte man
üergeffen, bafe ber geiftooQfte Siograp^ ber ^eonne b'Slrc bcr
9ieufc^öpfer ber ©ipfomotif getoorben ift. .
S)er ©influfe ber neu erftonbenen biplomatifd^en SBiffen^
fd^aft auf bie Ijtftorifd^e Sitteratur toar ein ftarler unb nad^^
faltiger. ÜberaQ in 3)eutfc^lanb entmicfelten fic^ in gorfd^ung
unb Seigre biplomatif(^e ©tubien unb namentlid^ auf bem
©ebiet ber Urtunben ber beutfd^en ffaiferjeit. 2lber aud^ päpft^
li(^e Urfunben unb ^rioaturfunben tourben feitbem ©egenftanb
eifriger unb erfolgreicher biplomatifc^er gorfd^ung. Unb überaQ
ift baö Stiema ein fpejieQeg unb bie SBel^anblung nac^ bem
aSorbilb ber Acta Karolinorum eingerichtet. S)ie folgenreic^fte
SBirfung auf bie beutfc^e mittelalterliche ®ef(^id^tgforfc^ung l^at
©ic!efö SSSerf aber barin ausgeübt, bafe nun enblid^ bie
^erau^gabe ber beutfc^en Äaiferurfunben unb in ber für bie
beutfd^e ^iftorifc^e SBiffenfc^aft mürbigften Slrt in giu& fam.
©eit nun balb fünfjig Sauren toar e^ befd^loffen, Die Äaifer*
urfunben in ben Monumenta Germaniae Historica l)erau8*
S^fobor ©idel. 73
^uflcben. gaft cbcnfo laitße S^it ^otte ^cr^j für biefcn Qmd
baö 9KaterioI gcfammclt. Slbcr üergeben^ brängten S35^mcr
unb anberc ©dc^rte mtb julcgt no^ cinbringlid^ ©tumpf, bafe
bic ©ac^e in ttjirfüd^en angriff genommen tt)erbc. ^erg blieb
üble^ncttb unb im legten ®runbe, »ie man ttjeiß, au^ SScrfteifung
auf bie SJorjfige t)on ®ro6*golio gegen Silein^golio. 3)ann
tpar enbli(^ in golio erfc^ienen : Diplomata imperii I, bie Ur*
lunben ber SKerotpinger cnt^altenb. S)ie fid^ baran fnüpfenbc
littcrorifd^e Debatte, in njeld^er ©idtel unb ©tumpf bie gü^rung
nat)men, raubte ab^t bem fc^on lange unhaltbaren B^ft^^b
i)er ®efellf(^aft für ältere beutfc^e ©efc^ic^tötunbe ben legten
§alt. S)ie ©efeUfd^aft löfte fic^ auf, ju i^rer 9?euerrid^tung
tpurben ©icfel unb ©tumpf l)erangejogen, unb ©idet übernahm
bie Seitung ber Abteilung ber Diplomata ber Mon. Genn.
Hist. (1875). Sie miffenf(^aftlic^en ^läne ©ictelö nacö »oQ^
fnbung ber Acta Karolinorum lagen urfprünglid^ anber^, er
plonte eine Fortführung feiner Sarolingerregeften. Segt burd^
ben atigemeinen ®ang ber Ijiftorifc^cn Strbeit an bem beutfc^en
IWationaltocrf ber Monumenta auf ein anbered SCrbeitiSfelb l^in*
gebogen, fegte er glei(^ lieber mit ooUer ftraft feine biplo^
matifc^e ®elet|rfamfeit für ein gutc^ ©elingen ein. S)ie erfte
grage war nun, ob man mit ben Urfunben ber älteren Jtaro*
linger ober mit beuen ber beutfc^en ffaifer unb Könige bie
Slrbeit beginnen folle. ©icfel füljrte im ^inblirf auf bie in
granfreic^ in Singriff genommene unb an SBorbier unb S)eliöle
übertragene Sluögabe ber Äarolingerurfunben ben @ntf(^eib ber
(Sentralbireftion l)erbei, bie ^erauiggabe ber beutfd^en fiaifer*
urfunben in Singriff ju nehmen. S)anac^ fam in S^^age, ob
man mit ben Urfunben JtonrabS I. beginnen unb bann weiter
öorge^cn foQe ober ob nic^t mit ber ^erau^gabe oon Urfunben
octfc^iebener 5ßerioben jugleic^ angefangen werben foHtc. S)ic
an ber ^erau^gabe ber Äaiferurfunben intereffierten ®elef|rten
in ber (Sentralbireftion unb in 2)eutfc^tanb überhaupt toünfcl^ten,
wie eS fe^r erflfirlic^, eine möglic^ft fc^nelle unb allen jugäng*
lt(^e ©ammlung ber alten beutfd^en ftaijerfunben. "SSlan wugte,
bafe in ben Sammlungen ber Monumenta fid^ feit fünfjig
74 ©icbcnte« StapM.
Satiren ja^Ircid^c abfd^riftcn üon alten Urfunben befanben,
nnb man empfanb ed barum um fo f d^merjltci^er , bag man
für jebc auf ©enu^ung üon Äatferurfunben angetolefene l^ifto*
rifd^e Unterfud^ung ftd^ baö 9KateriaI immer erft auS ja^t
ret(^eu, i{|rem totffenf^aftltd^en 9Bert nac^ oft ganj Derf^iebenen
S)rurftt)erfen jufammen ^olen mußte. 3n bcn einjelnen Sanb*
fd^aften 2)eutfd^Ianb$ toaren augerbem mjn^ifd^en unter
Seitung gelelirter ffiörperfd^aften ober aud ber Snitlatiüe
©injelner bereiti^ in öerJ^ältniömäßig fci^neQer Qeh entfc^ieben
brauchbare Urfunbentt)er!e entftanben, t)on bereu Snl^aft ®e==
fc^icfite, Äed^tögefd^id^te u. f. tt). aud^ bereit« mit erfid^tlid^ent
(Srfolg ©ebraud^ gemacht l^atten. SSJarum foQte nun nid^t, toa^
ba ®uteS geleiftet tuorben, aud^ ebenfo unb öieÜetd^t nod^
fc^neüer unb noc^ beffer üon ben Monum. Germ. Hist. ge*»
leiftet toerben? Unb bie fttlle SSorau^feftung biefer Slnftd^ten
unb 8Bfinfd^e mar bie, ba§ bei ber Verausgabe ber filteren
beutfd^en Sl^aiferurfunben eiS fic^ bod^ mefentlic^ um eine t)te(
cinfad^ere ©ad^e ate bei berjenigen ber SKerominger* unb Saro*
lingerurfunben ^anble. SBenn e« fid^ l^ier um ©d^affung bei^
5;ejte« in p]^iIoIogif^*I|iftori}ct)er SD?ctf)obe toie bei ber 2lb*
teitung ber Scriptores ^anble, fo würbe bort bei ben Äaijer*
urfunben ein einfache« 9lbjd^reiben ber überaQ t)orI|anbenen
Originale ober filteften Äopien unb bereu S)rucflegung unb
eventuell ein öerbefferter ÄbbrudE ber filteften 3)rudEe genügen.
S)iefe ftiQe SSorauSfetjung mar aber grunbfalfc^, fobalb
man bie Slnfid&t acceptierte, bafe auc^ bei ben Äaiferurfunben
nur biplomatifd^e Äritif jum gefid^erten ©rgebniffe füf)ren
mürbe. S)ann fonnte fd^on leine ber Slbfc^riften ber ^er^j'*^
fc^en ©ammlungen genfigen. S)enn bei aller ©orgfalt unb
©auberfeit ber 2;ejttpiebergabe fehlte ba bod^ bie SSiebergabe
mand^er für ben S)ipIomatifer mid^tigen SWerftnale, bie toicber
}um 5;eil für bie meitere frttifc^e 0?a^prüfung burc^ ben §ifto*
riler in bem 3)rudt fenntlic^ gemad^t toerben mußten. @i3 toar
ferner in biefer ©ammlung, toie fie Don üerfc^iebenen ©elel^rten
ju öerfd^iebener 3^^* gemad£)t toar, tro^ jatilreid^cr ^affimiliS
lange nid)t genug SWateriat jum auöreic^enben ©c^riftüerglcid^
2:^eobor ©icfcl. 75
üorl^anbcii. 3)ann aber war anä) fcincötuegS betoiefen, baft
eine ))on @tumpf audgefproc^ene unb üon ^Bieten bomalS ge^
tctfte Slnfid^t, man fcnne fo jtemlid^ aQe noc§ üor^anbcncn
Saiferurfunbcn bciS 10. bi« 12. 3a]^rl|unbertg, baiS SRid^tige traf.
Unb njcnn cö nod^ nac^ Urfunben ju fud^cn ga{t, fo mußte
ba$ / l^ftematifc^ unternommen merben, unb in ben Sd^ä^en
t)ott Originalen, Kopien, alten S)rudEen mu|te eine f^ftematifc^e
^Hiation unternommen Werben. Unb- überhaupt, worauf man
weiter bei Sel^anMung ber alten Äaiferurhinben für bie ®bition
nod^ }u a^ten ^abe, ba^ mußte boc§ erft auö ber einge^enben
5ßrüfung ber Urfunben felbft erfannt werben. Unb foweit
fiberf(^aute ©idCel bod^ fd^on bie ganje Überlieferung unb ben
ßtiarafter ber Äaif erurfunben , bafe für ilire ^erau^gabe fic^
baSfetbe wiffenfd^aftlid^e ?ßrinjip afö gorberung ergab, wie e^
bie biplomatif^e Äritif unter ber 3"ft'i"^""9 ^^^ ^iftorifer
foeben für bie SKerowingerurfunben gegenüber ber öerfe^Iten
arbeit be^ crften S9anbeö ber Diplomata au8gefprod&en I)atte.
S)ie S)ipIomatif , fo ift ein ©ebanfe ©idfefe in feiner anjetge
ber „Diplomata Imperii tom I**, ift in nod^ üiel p^ercm
®rabe als fonftige Dueßenfritil abf)fingig baöon, wie i^r bie
Überlieferung geboten wirb. 3)ie Sejrt^erftellung nad^ Drigi^
naien, Stopien u. f. w. auf bem SBege ber gillation t)on
^anbfd^riften unb S)ruden ift nur eine Slufgabe unter öielen
für ben Herausgeber eineS Urfunbenwerfö , unb wenn aud^ bie
am erfic^tlic^ften erfennbare unb am meiften fontrofierbare,
feineöwegS immer bie müt)ieligfte unb fc^wierigfte. 3lo6) wid^*
tiger nfimlid^, weit eS bie Sßorarbeit für bie eben gefennseid^nete
?lufgabe wirb, ift bie S^^fitigfeit beS ^erauSgeberS, überaQ ber
Überlieferung nad^juge^en, um ein möglid^ft üottftänbigeS 2Wa*
terial ju fu^en unb l^erbeijufdjaffen. 3werft muß bie 35urc^*
forfd^ung ber Slrd^iüe unb Sibliot^efen nac^ einem beftimmten unb
bie SBoHftänbigfeit üerbürgenben 5ßlan erfolgen, beüor man
an Sammlung, Drbnung, ©id^tung, 'Sestfierfteöung unb Äritif
ber fo gefunbenen Überlieferung f)erange^en fann. 9?un mar
bie Qa\)i ber Urfunben ber beutfdEien Äaifer unb Äönige aKer*
bingS groß unb jebe Urfunbe gleic^fam ein ©bitionSobjeft für
7G Siebented ^a^ttel.
ftc^; t)ie Uttunbenfc^ä^e marett jerftädelt unb auf ein metteiS
®cbict i^rcm Slufbetoa^rungöortc na6) üerttilt, bic aSororbeitcn
für bic nad) jenem 5ßrinjip ju öeranftoltcnbe Sbition tt»aren alfo
borauiSfic^tlid^ fe^r jeitroubenb, unb bie @bitton mujste fid^ fieser
ucrsögern. Slber afe ©irfct ade jene ©rtoägungen tjom ©tanb*
punfte ber ^iplomatif Dor ber ß^n^i^^^i^i^^t^i^n geltenb machte,
entfc^(oB fic^ bicfe, boc^ lieber bie ^iftorijdje SBiffenfc^aft m
bem aSunf^c einer [d^ieunigen Urfunbenpublifation ju ent»
iQufc^en, ate ha^ fic i^r eine ber Mon. Germ. Hist. nicfet
toürbige Urlunbenebition geboten ^ätte. 9Kan entfc^ieb fid^
barum aber auc^ meiter, nur eine 5ßartie ber Äaiferurfunben
in Eingriff ju nehmen unb jmar mit ben Urfunben beiS je^nten
Sa^r^unbertö ju beginnen. ©idEcI übernahm bann fogleid^ felbft
bie fieitung ber §erau^gabe ber Urfunben ber Ottonifd^en 3^^*-
Unb ein 3al|r barauf erfc^ien fd^on atö ^^ßrogramm unb 3n*
ftruftion ber S)ipIomata*9(btei(ung ber Mon. Germ. Hist."
(1876) eine umfangreid^e Einleitung für bie äßitarbeiter an ber
^erau^gabc ber Äaiferurfunben. 3)arin läfet fid^ ©idel im
allgemeinen über bie 3lufgaben be» Urtunbent}erau^gebcrö unb
bie 5Witte(, fie ju löjen in l^öc^ft einleucfttenber SßSeife auiJ.
S)ann ober trägt er aud^, roa§ nun fpejiell für bie Urfunben
ber Ottonen üon bem Herausgeber ju leiften fei, in ©eftalt
einer erftcn Unterfudjung über Ottonifc^e $ßriüi(egien üor. ©o
ift biefeig 5ßrogramm jugleic^ ein erfter Seitrag jur ÄenntniS
ber Urfunben ber Dttonen. Unb biefer 83eitrag jcigt [icö nid^t
blofe atö eine ©rmeiteruug beö^ SBiffenS üon biefen Urfunben,
er ift jugleic^ eine fc^öpferifc^e SBeiterbilbung ber 3)ipIomatif
aU SBiffettfd)aft , infofern ©idtel ben UmfreiS ber äWerfmafc,
auf tvt{ä)c bei biefen Urfunben ju aäjtm, unb bann tpteber
and^ gleid^ ben Umfang ber 93etra(^tungen jur äSermertung
biefer neuen SDierfmale für bie ^Bearbeitung ber Urfunben in
Xejt unb Sfritif erroeiterte.
Unb biefen ß^arafter tragen benn auc^ alle folgenben
Seiträge jur ße^re üon ben Urfunben ber Dttonen, bie iftm
aus feiner SSorarbeit für ü)xc Verausgabe ertoud^fen. SS er*
fc^ienen 1877: „Über üier bie (£t|urer Äiri^e betreffenbe
St^eobor (gtcfel. 77
3)ipIomc*' ; 1879 : „Äanjier unb SRcIogncÄjcntcn bx^ jum 3o^re
953; bann 1882: ^S)ic S)atterun8cn ber Dttonifdöen ^ßräjclJte.''
S)anc6cn 1877: „Äatfcrurlunbcn in bcr ©(^ipeij", unb bann
fortloufenb größere unb Heinere Erläuterungen über Ottonifc^e
S)ij)Iome in ber üon if)m begrünbeten ^tftorifd^en g^itf^'^if^^
SWitteitungen be« SnftttutS für öftcrreid^ifd^e ©efc^id^ti^forfc^unft
(1880 ff.).
3n feinem ^^ßrogramm" finb eö bie Äonfequenj, mit
toeld^er er ben Se^rfag burc^fül^rt, bofe bie btplomotifc^e gor*
fd^ung ergrfinben foö, wer bie Urlunbe gefd^rieben ^at, unb
bie ^ier^i gebotenen Se^ren unb SBorbilber über bie Art ber
©d^rifttjergleid^ung, toorin toir eine SBeiterenttoidflung ber SKe*
tftobe ber S)it)Iomatif ju erbliden ^abcn.
3)ie ?(b{|anb(ung über bie ©f|urer ©tplome offenbart einen
gortfc^ritt ber bi^jlomatifc^en SBiffenfc^aft in if)rer ganjcn 8(n*
läge unb SluiSfu^rung, bie näm(id) ba^in jielen, t)or}ufü()ren, mie
tief ber 3)il)Iomatifer irnS 55etait ba get)en mufe, wo ber 9tec^t^»
in^alt ber Urfuuben }u ©ebenlen feinen änlafe gibt, bie ©ci^rift
jeboc^ auffällige (Sigentümlic^feiten jeigt unb bie inneren 9)2er{<
male fel)r bebenlli^ erfc^einen, um ben öeweiS ber (Sci^t^eit
unb Driginolitöt ber Urlunbe ju erbringen. 3)ie ?lb^anblung:
,,Staiferurfunben in ber ©ci^toeiä" umfc^reibt einen gortfd^ritt
in ber SBe^anblung ber groge nadj bem UmfreiiS ber 5;eilnal)me
be^ Äonjier« am Urfunbengefd^öft. 3n bem ©eitrog: ,,Über
ftanjlei unb SRefogneöjenten bis 953" fj)innt ©idel jene
Unterfud^ung ju einer tjöc^ft refuItatüoQen unb ouc^ in i^ren
biplomatifd^en ÜKitteln oielfad^ neuen gorfcftung über bie
©efc^SftiSfü^rung ber; Äanjiei auS, um bie ffianiler, bereu
%f)&t\QU\t fic^ ben äugen ber 3<^i*9^ttoffen entjcg, in xljxtt
eigentlid)en ©eruföarbeit ju betrachten unb barauiS bie ©influfe*
nol^me einzelner $er{ön{ic^feiten auf bie Sntwidfelung beiB Ur^
lunbentoefeniS , feine gortbilbung unb äWannigfaltigfcit erlennen
ju fbnnen.
Unb auf fold^cr ÄenntniiS. fonnte er bann in bem näd^ftm
Seitrog: S)ie 2)otierungen ber Dttonifd^en ^ßräjepte, eine Söfung
ber öermirrten 3^i*ongaben in biefen Urfunben unb i^re
78 ©iebcnte» StapiUl
Siid^tigfteBung bringen, bie in ber SRct^obe, nomfid^ ber Unter»
fud^ung über bie Slrbeitdleiftung beS cinjetnen ^otaxß an ber
3)atierung§jctle, feine Art ju red^nen, feinen Änfafe be« Spotten'
tage«, feine Sled^enfe^ter u. a., roieber ein wichtiger gortfd^ritt
ber SJipIomattf tourbe.
liefern ,,?ßrogrammc'' unb bicfen ,,8eiträgen'' entfprac^
bann aber aud^ bie ^u^gobe ber Urfunben ber beutfc^en Stb^
nige unb Äaifer. 1879: S)ie Urfunben Äonrabg I. nnb ^m^
xid)^ I. 1884: S)te Urfunben Dttoö I.
Sebe Sluögabe erhielt eine SSorrebe. Unb jebe Sßorrebe
ift toieber für fid^ ein gortfd^ritt ber S)ipIomQtif fotoo^t in
tl^ren ©eftc^tigpunften tpie in i^rem SBiffen.
S)ai8 ^auptaugenmerf ber fönigtid^en Äanjiet, fo burftc
©idEet nun lehren, loar barauf gerietet, für bo^ 3ied^töteben
gültige B^ufl^^ffc ö^^^ beftimmte 9tec^tiSf)anbIungcn ju fd^affen,
unb nid^t barauf, ^iftorifd^eS 3^"9W^^ f*^ ötte bie begleitenben
SJcbenumftänbe abjulegen. Sie Sluffaffung ber leftteren unb
bie ©infleibung berfelben in bie gorm einer ©rjäfitung, ju
wetd^er loir au^ bie Slngaben über bie SRefognition unb fonftige
Beglaubigungen über Ort unb3^it-i)er ^anblungen ju rechnen
^aben, finb oft fe^r mangelhaft. S)iefe Sluffaffung fonnte
eben burc^auö t)on ben tnbiüibuetten 2ln* unb Slbfic^ten ber
S)iftatoren getrübt toerben. SSon biefem (Scfic^t^punfte übt
ber S)tptomatifer feine Stritif. 3lber bie Stext^erftcQung in ber
Urfunbenebition ift nid^t für bie biplomatifc^e Untcrfuc^ung,
fonbern für ^iftorifd^e ©enugung ju geftalten. S)arum ^at
ber S)iptomatifer in Stejjt unb Slnmerfungen SlUeiS ju bieten,
toaö er irgenb fd^affen fann, um jenen bie ©enu^ung ju er*
leichtern. SBo^I loirb, loer ©iplomatifer ift, fid^ ia^ grapl)ifd^c
JBilb ber ©inielurfunbe mit allen ©igenarten üeranfc^autid^en
fbnnen, aber aü bie ©injel^eiten ber auö bem Se^t unb feinen
?lnmerfungen erfennbaren 3Rcrfmate finb nur biplomatifd^ ge*
tnonnene ^Beobachtungen , toetc^e bem §iftorifer l^elfen follen,
bie Urfunbe richtig ju üermerten. Sllfo bie Eingabe beö @d^rei=
ber^, beö ©iftatorö, bie Scmerfungen über Slb^ängigfeit ber
Urfunbe öon äJorlagen, bie ?(nmerfungen über SRafur, Äorref«
lur, SRoc^tragungcn , bic JÜenntlid^moc^uiTö bcr ücriängertctt
©d^rift unb ©efd^rcibunfl bei8 ©icgcte ^tenen ber ^iftorifc^cn
firitif, cbcnfo wie bic ©rgänjunfl öon Süden, bic äüd^tigftcüunfl
terftfimmdter 9?amcn u. a. Unb nac^ bicfen ©efi^töpunften
ift bie ©bition eingcrid^tet.
©0 toox benn alfo aud^ \xa bie Urfunben bcr brci erftcn
bcut|d6cn Äönigc eine tJoUftänbige Urlunbcnlel^rc üor^anben
unb iuflieidj ouc^ eine biefer Sc^rc unb bcr fonftigcn ^iftorifc^cn
SBtffenfc^aft entfpred^enbe Stuöcjabc biefer Urfunben gcfc^affen.
Unb bic ©ültißfcit unb guucrläffigfcit ber biplomotifc^cn
SBiffenfc^aft ^attc unter ©idefö §anb teie für bie Urfunben
ber alteren Äarolingcr, fonjic auc^ für bie Urfunben Äonrobö I.,
^cinric^S L, Dttoi^ L, fid) glänäcnb bctoötjrt. aJion ^atte^
nun feinen fc^toonfenben Söoben mc^r unter feinen güfeen, toie
cS bis^^cr tDor, n^enn man biefe Urfunben ^iftorifc^ au^nugcn
tooHte, fei ci§, bafe eö \\6) um tJragcn ber (Sc^tl^cit unb Un*
ci^t^eit ober um @inrec^nung in baS Stincrar tjanbeltc. SD^an
gcmann in öicien gäHen jene pofitiöe ©icöer^eit, bie ©idcl
einmal in feinen Acta ate ben ^öd^ftcn erreichbaren ®rab bcr
©ewifefieit in bicfen SJingen bcjcic^nct, man fügte fic^ in an.
bereu bem f)ier gebrad^ten ©utfc^cib ber f)5^eren SSa^rfc^ein*
lic^feit. Unb man ^anbclte fo, ttjcit man bic SSortreffltd^feit
ber angcloanbten ÜRet^obe erfannte.
Unb ^atte SBaift fd^on ben SBerfaffer ber Acta Karolinorum
afe einen ^eröorragenben ©cfc^id^ti^forfc^cr begrüfet, fo beftftrften
er unb feine ©enoffen fid^ nac^ jebem Scitrag ©idetö jur
Se^re öon ben Dttonifd^en Urfunben in biefer Sluffqffung ber
©iplomatif alö einer toirflic^en ^iftorifd^cn SBiffenfd^aft immer
me^r.
8.
©in bcgrenjtcö ®cbiet baS S^ema il^rer Seiftung, bic
Originale bic ©runblagc, ber inbiöibuellc ©c^riftöcrglcic^ bcr
Sluiggang^punft, bic forgfättigftc Seac^tung aller SKerfmalc unter
80 ^*tc§ Kapitel.
©crücffiditigung if)rer ©ntfte^ung unb t^rcr ?(btoanblun8 iet
SBeg ber gorfd^ung unb bic ©efamt^eit bicfer Scobac^tungcn
baö Ärtterium: fo alfo umfc^ricb bie neue SBiffcnfdioft Der
SJipIomotif fid^ 3*^^ wnb SRet^obe. Unb mit bcn ^öc^ften 5fn*
fbrberungen an bie S(rbeitll(etftung, ober ni6glid)fter (Sinfd^ran^
fung ber §lufgabe ^otte fie i^rc SRefuftatc erreicht.
S)er gefiederte 3i^9fl"9 h^^ ?lrbcit§felbe unb bie ©etoä^r
fieberen erfolget für bie fortfd^rcitenbe biplomattjc^e ?frbcit toat
bamit gegeben, ttjenn fie nun öon ba lociter ging, mo^in fie
biiS jegt tjorgebrungen war. aber boS SBorttjärtgfdjreiten fonnte
bei fo l^o^en Änforberungen an bie Strbeitgleiftung freilid^ nur
fe^r langfam t)on ftotten gefien. Unb bie beutfd^e §iftorie
erwartete boc^ ungebulbig biplomatifc^e Söelel^rung aud^ für bie
fatifd^e, ftaufifd^e unb fpätere 3^'*» unb fie forberte für baS
©eriplJe i^er SJarfteßung, für bie SRegeften t)on Äoifem unb
Äönigen, ^äpften unb Sifd^öfen, fürftlic^cn unb grfiflid^en ga*
milicn u. 5. auc^ allgemeinere ?fntt)eifungen t)on ber 3)ipIomatif,
wie fie bie 6^rono(ogie ber Urtunben beftimmen, toie fie ba^
Stinerar feftfteücn unb bie SRegeften anlegen foüte.
Unb t)on foId)en ®ebanten tourbe Suliui^ gicfcr au^ 5ßober^
born, bamalö 9iect)telef)rer in Snn^brudE unb gteid^ ^eröop»
ragenb aU Äenner ber Sieid^ö* loie ber Sied^tögcfd^id^te ber
beutfi^en Jfaiferjeit, betoegt, aU er ©ö^merd Siadjtafe orbnete
unb $anb an bie §erau^gabe ber „Acta imperii selecta"
unb an bie SReubearbeitung ber SRegeften bed Äaiferreid^ö t)on
1198 — 1272 legte. Die ftrengen gorberungen, toeld^e jefet on
biptomatifc^e arbeiten gefteHt werben, fo erwog er, finb ja nur
ju billigen; aber ed wSre boc^ ju bebauern, wenn fie uoq folc^en
Slrbeiten über Urfunben abtialten foUten, bei welchen auf i^re
Srfüßung uon öorn^crein ju öerjic^ten ift. Xa^ ^iefee ja ju*
näd^ft ein ©tiüftanb ber l^iftorifd^en gorfd^ung für bie 3a^r*
^unberte nac^ Otto bem ©rofeen überhaupt. Unb foUten fidij
nii^t einige unabweii^boren Urfunbenfragen aQgem einer «rt oud^-
annä^ernb richtig löfen loffen, wenn man, ol^nc im ©taube ju
fein, ben gorberungen ber Siplomati! ganj ju genügen, nur
3ulm§ fjider. 81
rcd)t nuötiu^t, toa^ fic je|t fc^on öon i^rem SBiffcn quo mtt='
teilt, unb boncbcn auiS einem großen Urfunbenfc^oft ju neuen/
Stcnntniffcn über bic Urfunben öorsubrinöcn f uc^t ? S)ie Stinerar*'
froge bebarf eineig fofd^en SSerfucbeS unumgongltd^, fo refleftiertC'
er. Unb er mad^te ben SSerfuc^ unb bereite in bem Setoufet'*
fein bafür, ^ßofitiüeiS ju erreid^en; benn er fjotte boc^ an ben
Urfunben, bie er fennen gelernt, fc^on monc^e ©eobac^tung ge«
mad^t, bie i^n SRefuItote gerabe nac^ biefer ©eite ju ertoarten'
berechtigten. Sud^ gidter ging olfo t)on ber Stinerarfrage aui§, aber
er ging g(eid^ ju ber ^Jrage über baö jeittid^e 3"f^wimenfallen
aQer ©od^angaben ber Urfunben unter fic^ unb mit ben aus-
gaben ber S)atierunggjeile t)or. Stlpa 1500 Urfunben — in'
i^rer SKaffe Sönigigurfunben unb ^ßriöaturfunben ber Äaiferjeit/
aber auc^ folc^e big ffiarl ben ©rofeen rüdEmärti^ unb ©igi«^
munb öorioftrtiS — boten ba^ SWaterial. Unb barau« geftaltete
^icfer au$ ja^Uofen Sinjelbeobad^tungen unter allgemeinen
(SrttJägungen l)iftorifd^er unb juriftifc^er SRatur feine „©eiträgc
jur Urtunbenle^re'' (2 öänbe, 1877, 1878), ein SBerf tiöcöften-
©d^arffinng unb ^od)bebeutfam für ben gortgang ber tjiftori*
fd^en gorfc^ung, oor allem aber ooü nac^fialtigften @inf(uffeö'
auf bie SBeitergcftaltung ber Utfunbentoiffenfc^aft. 2Bir loürbigen
im SRatimen unfercr Slufgabe bie^ SBerf om beften im Qn-
famment)ang mit gicferö früheren ßeiftungen im Urfunben^
ftubium unb berichten erft barüber.
%nä) SuUuö gider ^at bie Slnrcgungen für feine fo rcfultat^i
tjoüen Urfunbenftubien t)on Sommer empfangen. 1849 finben mir
i^n in SBo^merö §au^, 1850 erfc^ien bie 3lrbeit über JRainalb t)on
3)affel, unb ein befonberer Stbfc^nitt barin tjanbelt öon ber ©rs«
fanjierloürbe ber fölnifc^en (£räbifd)5fe in 3tatien. (£r tooflte
fic^ bann überf)aupt ipesieH mit ben SReic^äfauätern befd^äftigen,-
unb er f)at für biefe SIrbeit gefammelt. Aber er ^at bann an*
gefic^tig ber Arbeiten ©tumpfig biefen $Ian beifeite gefd)oben,
bem 2(mt ber Ä'anjler jeboc^ immer feine 2(ufmerffamfeit ju*
gemanbt. ,Unb immer ^at gidEer in feinen größeren mie in,
feinen fieineren SBerfen unb in feinen Sluffä^en üorne^mlicft'
urfunblic^eö äKateriat, oft fet|r reid^^oltig unb 3af)r^unbertc
^xftotiSdie »iblioW. «b. IV. 6
82 ^4ted Stapiitl
umfponncnb, jur ©runblagc bcr Untcrfud^ung gemacht ^). ^Jidfer
floatete ate fd^arffinnigcr ^Jorfc^cr natürlich btcfcig SRaterid,
6et)or er eS üemcrtete, unb jtDar, o^ne oIiS S)i))IomQtt{er
flciten ju tpoßen, in aui^gcfproc^en ftrcng l^iftorifdöcr Jtrttif.
Suc^ ftügte er ftd^ gonj übertutegenb auf gebrucfted aKoteriol.
aber er verfolgte bie biplomatifc^e Sitteratur, bie feit änfong
bcr fe^jiger Sa^re fo ploßlic^ unb erfolgrcidö crftanb, unb
lernte auf bie ÜRerfmale in ber gebrudten Überlieferung ai^ten,
auf h)eld^e bie S)ipIomatifer aufmerffam matten. Unb inbem
er fritif^ feinerfciti^ bie SKerfmale, bie er fanb, in feiner ?Irt
öertoenbete, fc^uf er fteüentocife, o^ne S)ipIomatifer gu fein,
SRefultate für bie S)il)Iomatif. Unö intercffiert in ber ipinfici^t
juerft bie SBorrebe jum Additamentum tertium ad regesta
imperii inde ab anno MCCCXIII usque ad annum
MCCCLVII, toelc^e§ er 1865 au« Sommer« SRadilafe ^erauö*
gob. Um fi(^ nömlii^ über bie 3?egeften Subtoig« beö "i&^x^^txxi
nebft ben ©rgänjungen ju orientieren, fertigte gicfer 3tinerare
an. SBir Ratten oben bereite ©elegcn^eit ju erjat)tcn, toie man
bamafe, Anfang ber fec^jiger Sa^re, noc^ ganj an JBöt)mer«
Äuffüffung öon \izxi SBcjiel^ungen jmifd^en ®atum unb Ort^
angäbe, b. i. an ber ©teic^jeitigfeit ber bciben ÜÄomente be«
*) hierüber an ©in^el^eiten me^r 5U referieren, ald ic^ ed o6en im
2^ejte get^an, Wien mir — ber ©efamtonlage meiner ^b^anblung wegen
— nic^t angebracht, ^er ^i|)(omatifer aber mug auger f^icferd befannten
Urfunben« unb IRegeftenmerfen öor 1877 unb feinen größeren SBerfen jur
9lei(^»*, 9ie(^t8* unb SScrfaffungSgefcfticftte, wie: 9Som aieic^fürftanbe ; öom
^eerfc^ilbe, t^orf (jungen jur Sleic^d- unb SRecbtSgefc^ic^te ^taliend, auc^ faft
aUe feine älteren fleineren ^b^anbfungen beachten. @ie berufen alle auf
Urfunbenfritit unb sSScrwertung unb erl^eüen mit bem ©inblid in \>qA
SBerben unb SSefen t)on gicfer« Urtunbenforfd)ung pgleic^ bie ßJefcftic^te
ber a)lp(omatif. 3c^ merfe folgenbe Slb^anblungen befonbcrS an: 8ur
©cfc^icftte beS Äuröereinä ju [Renfe (1854). — 3)ie Überrefte bc« beutfcben
9ieid)8ard6it)8 ju ^ifa (1854). — %\t ©cftt^eit ber «einen öfterreic^ifcöen
grreiicitSbriefe (1857). %\t 9ffei(^§]^ofbeamten ber ftaufifcften ^eriobe (1862).
— Urfunben jur Oefc^l^te beS IRömerjugeS 5faifer SubroigS beS SBaiem
unb ber italienifcften SSer^ältniffe feiner 3eit (1865). — gur «efc^id^te be«
fiombarbenbunbe« (1868). — Über ba« Seftament Äaifer ^einricäft« VI.
(1871). — Über bie 3)atierung einiger Urfunben griebricft« n. (1871).
SuIiuS gito. 83
3citpuittte3 unb ber Drtganttjefcnl^cit feft^idt. Slud^ gidter^
Stineraranlage ging t)on fotd^cm ®efid^t3punftc qu8, ipenngteic^
i^m ber S^^'f^^ ^n bem unbebingtcn 3>^f<^"^"^c"*^^ffctt öon
5)otum unb Ort^oitgabc, ben §uiIIarb^95rcf|oIIcg bereite au^*
gefprod^en, tüo^t belannt toax. Sßun gaben t^m einige Ur*
funben ?lnla6 ju cinge^enberer Betrachtung ber ßci^^ngaben,
lüeil er ätt)eifdf)aft tüurbe, tvit er fie d^ronolo^ifd^ beuten foßte,
unb er fanb anbcrerfeitS, bafe in Urfunbcn, beren c^ronoIogifd[je
S)eutung änjeifelloS toax, bte Slnna^me, ba% ber SluöfteUcr am
Sluöfteöungötage aud^ am SluöfteQungöorte anloefenb gemefen,
fet)r fd^tüer mit ben Angaben über Ort unb Sag unb mit ben
fonftigen ®rgebniffen beö Stinerarig vereinbar fei. (£r fafete
^al)er ba§ ganje Stincrar Subtt)ig§ beö Sägern unter einer ®e*
famtbetrad^tung in8 9luge unb fonftatierte einmal ein oft plan*
lofeig ^in« unb §errcifen im allgemeinen, bann aber aud^.
nocft folgenbe§. SBir ftofeen, fo fdireibt er, überaus l^aufig auf
löeifpiele, bei benen bie auö ber S)atierung ber Urfunben ftcft
trgebenbe Setüegung wn einem Ort jum anbern jtoar ber
allgemeinen SRid^tung bes Stinerar^ entfpric^t unb auc^ ju ben
fonftigen Umftönben poßt, bei benen aber, toenn mir ik (£nt*
fernung in§ 9luge faffen , eö faum benfbar erfdieint , ba^ ber
Äaifer an biefen Orten au ein unb bcmfelben 3^age ober an
furj auf einanber folgenben Sagen foHte geurfunbet tjaben.
®egen biefe Ortsangaben aber märe oft fein Sebenfen, menn
bie Urfunben einen Sag fpäter auiggefteHt mären. Unb ber
3Köglicf)feiten , bafe ba^ ber gaU gemefen, finb mel^rere. ©ie
Äanjlei tann im Ort jurüdfgeblicben fein, menn j. 8. bei gelb-
^iigen ber Saifer fcbnell meggcreift mar, unb bann ^at bie
Äanjlei einen 2luiSftellungi§ort angefe^t, in meld^em ber 5taifer
gar nid^t me^r anmefenb mar. ßu unterfd^eiben ^aben mir
ferner in ber @ntftef)ung ber Urfunben ben 2lbfc6lu§ be§ 3lcd^t§»
flefd^äfti^, refp. bte 3Bittem§äugerung beS Äönigö unb bie "äu^»
fcrtigung ber Söeurfunbung. 3enc§ mirb red^t eigentlich mit
bem „Actum", biefeö mit bem „Datum" ber S)atierung§äeile
bejeid^net. 9?un bejielien fid^ aber bie eingaben biefer 3^^'^ in
«injelnen Urfunben beutlid^ erfennbar einheitlich auf „Actum",
84 %^te3 J(Q|>iteI.
in anbern auf „Datum". Unb trenn nun bcr unter Actum
inbegriffenc SSorgang in ber Dotierung bescid^nct loerben foHte,
unb bann bie Sluöfertigung fclbft erft fpätcr gefd^a^, fo mar
aud) ein 3trtum in ber Qdt fd)on möglid).
Äonje^jte ferner, fo ernjog er toeitcr, finb nid^t fo genau
batiert, h)ie bie Urfunbe fclbft; SBiÜebriefe finb öftere früher
batiert alg bie bctreffenben faiferlid)cn Urfunben. §aben jene
biefen minbeftenS im fionjicpt vorgelegen, fo fann ein 3rrtum
in bie S)atierung fid^ leidet einfd)fei^en. — ©id^er ift nun
aber aud^, fo burfte er loeiter au^fü^ren, ba% unter Subloig
bem SBa^ern Urfunben für fpötercn ®c6raud^ üorauägefertigt
finb unb babei gteid) eine ganj loiHfürlic^e Ortsangabe empfangen
^aben. Unter 3of)ann üon 95ö^men, fo fanb er bann, loirb
manchmal oud^ in feinem 9?amen geurfunbet, ttienn er gar nid)t
ann^efenb ift. S)ie innere (£inf)eit ber fac^Iid^en Slngaben unb
ber Datierung ift alfo boc^ fteHentpeife nid)t üorl^anben. Unb
baö ift übtx\)aupt fidler, ha^ bie Äanstei inbetreff ber S)atierung
läffig toar. (£§ fiel für bie red^ttidje Söebeutung ber Urfunbe
genaue Ort- unb 3^i*fl"9^^^ i^ öud) nic^t img ®ett)id)t.
SJeö^alb aber ift bei SBiberfprudi jtoifi^en ben Ort* unb 3^***
angaben ber Urfunben unb gut unterrid^teten ©c^riftftcßcrn
nic^t immer jenen ber SBorgug ju geben.
gidfer fam alfo ^infic^tlid^ ber S)atierung ber Urfunben ju
fel)r eigenartigen Sflefultaten für bie Urfunbenfritif über^auj)t.
Unb biefe Sflcfultate oeranlafeten i^n im gortgang feiner ge^
teerten ?lrbeiten bei ber Urfunbenbetjanblung auf aUeö jU adbten^
toa^ fid^ für Sntfte^ung ber einjelnen Urfunben erfennen liefe.
2)a fam er bann, toie für bie QeiUn ßubnjigö beö öa^ern^
auc^ für bie früheren So^rl^unberte ju merfroürbigen Srgeb-
niffen. ©o f)atte er, ate er bie „Acta imperii** ^erauiggab^
fd^on für eine Urfunbe griebrid^g I. anerfennen muffen, ba^
ia jn)ifd}eu §anblung, refp. SBiUeäufeerung bcS SönigS unb
Seurfunbung ein 3^it^öum von jttjei Sauren liegt. 3n ber*
felben Qnt l^atte er für Dttoö IV. Urfunben fc^on erfannt»
bafe bie mit bem Stinerar nic^t ftimmenben S^i^öngaben fefjt
Pufig finb, unb bafe fic vielfach nur in Ungenauigfeitcn ber
SuHuS 3'ider. 85
flanjlei it)re ©rflorung finben föiuicn. Unb tüa§ bie:Urfanbcn
griebrid^ig II. betraf, tüo loegen fiäufig mangeinbcr Xagegangobe
bic Ortsangabe ficft leici^tet in bie allgemeine 3li(f)tung beS
Stinerari^ einfügen läfet, ein SBiberfpruc^ jtüifd^en Sag unb
Ort, toic i^n §uiIIarb«örc^oIIeS bod^ in einigen gällen an*
merfte, alfo auc^ weniger ju erfennen ift, ba fanb gicfer in
^infid^t ber Urfunbenentftef)ung unb ber bamit bebingten SBibcr*
f))rücbe t)on ©c^ein unb aBirfüd)!eit fogar einige fo eftatantcn
gotte, bafe er barüber in bem 3(uffa^ berid^tete: Über bie S)a*
tierung einiger Urfunben griebrid^ö II. (1871). — ©in ju fiöln
aufgcfunbeneS Original griebridiS IL iftbatiert: 1241, 11. Slo^
t)ember, SBien. 2lIIe fonftigen 3^"9^iff^' ®efd^id^täfcl)reiber,
Briefe, Urfunben betoeifen aber, bafe griebric^ IL bamaB ju
goggia njar; mie ift nun ber SBiberfprud^ ju erflären? gicfer
iog nod^ einige Urfunben ^eran, bie ätinlid^e SBiberfprüd^e
jeigen unb jugteic^ bem 3nf)att nad^ auf eine fpätere Qeit
toeifen, al§ fie in ben Urfunben angegeben. Unb aße biefe
Urfunben toiberfprac^en ber allgemeinen Sieget, bafe ber SluS^
fteller jur angegebenen Qtit am angegebenen Orte toax, uoH«
ftänbig; fie finb aber feine^toegS faljc^. Sa! biefe Urfunben
finb gar nid^t auä griebric^i^ IL 5tanätei tieruorgegangen unb
toä) ed^t. 3)enn h)ie gidfer eg in fdE)arffiniger Unterfuc^ung
mafirfc^einlic^ macl)te, finb jene Urfunben in griebrid^S SRamen
unter mißfürtid^cn Drtigangaben unb teitmeifer ßw^ö^^otierung
«rft in ber Slanjtei Sönig ÄonrabS auiggefertigt.
Snjtüifc^en ^atte gidfer aber bei ber Urfunbenoermertung
in feinen reic^g* unb üerfaffungSgefdöic^ttid^en Unterfud^ungen
m\b feinen Slegeftenarbeitcn aud^ nod) anbere S^agen aufroerfcn
unb beantworten muffen. SBenn Snterüenienten in ben Ur*=
funbcn genannt werben, f)aben wir itjre 2lnmefen^eit bei ber
^^Qnbtung ober bei ber Seurfunbung onjunc^men? Unb wenn
bie 3nteroenienten , wie eig fic^ ergibt, jur ^anbtung gef)ören,
wie fann nun bie Slngabe ber Datierung für jene jutreffen?
^JBie ift t^ ferner mit ben Qm^en? finb fie §anblung§jeugen?
finb fie Seurfunbungöjeugen? — S)ie Datierung bejie^t fic^
fciöweilen auf bie §anbtung, biiSweiten auf bie Seurfunbung,
86 ^c^teS ^QpiUl
unb wenn Ie|tcrci^ ber goö , tüiewcit ift bann bie geit bcr
öcurfunbung jugleic^ afö mafegebenb für bie 3^^^ bcr §anb^
lung anjufc^en ? Unb gicfer fanb häufigere unb ftärferc W)»
tt)ettf)ungen ätoifd^en bcr ßcit ber ffleurfunbung unb bcr 3^^*
bcr ^anblung, ate er ciS irgenb ertoortet ^attc. Unb bad gat
benn bo6) ju beulen. S)enn, toenn baö eben ber gaß, }o toat
ftd^erlid^ bie Slnna^mc J^infäßig, bofe aBe angaben ber S)a*
tierungöjcilc unter fid^ unb aÜc fonftigen fad^ltd^eti Angaben
ber Urfunbe über Äöntg, gürbitter, 3^"9^"' amtierenben
Sanjier mit jenen ctnfieitlic^ auf einen beftimmten 3^^*^""^^
unb einen beftimmten Ort ju bejicfien feien. Unb bie 2Ke*
t^obe, Urfunben ju uerbäc^tigen , toetc^e fid^ in bag Stincroc
nic^t einfügen liefecn, ioelc^cig bie überloiegcnbe 3Äef)vja^l ber
Urfunben unb fonftige DueBen umfd^rieben, mußte ^)ann in
ifircr ©üttigfeit eingefd^ränft toerben. — Unb e^ ttjiberfprac^cn
biefe Srgebniffe giderö bonn aber fcl^r cnergifc^ auc^ ber in
einjelnen ^tflorifc^en Unterfuc^ungen fc^on leifc angejlDcifetten,
aber in ber Urfunbeniritif noc^ immer fierangejogencn Slnfid^t
t)Ott ber ffiorjüglic^feit ber San jfeiarbeit , bcr SRcgefmäfeigfeit
i^rcr ©ebräud^c unb bcr Sorgfalt in i^rer Stntocnbung. gider
mufetc ate t^atfäd^Ud^e unregelmäßige .©rf^einungen in ed^ten
Urfunben j. S. feftftcBen, bafe 3<^wfl^wwwtc^*f^rif*^" öon SSer*
ftorbencn öor^anben, bafe in ber S)atierung beutfd^c Orte ge»
nannt tourben, loo ber 2lui8fteBer unätoeifel^aft in Stauen , ja
ouf bem fireujjuge ift, ober bafe im 3lnfang einer Urfunbe ein
Sifd^of ate lebenb ertt)äf)nt loirb, am @nbc aber fein SRad^»
folger genannt mirb. Unb gider burfte weiter jeigen, ba§
eine Urfunbe im 5ßrotofoö unb im $auj)tteil be§ ÄontcEtc^
ft^ ate eine Urfunbe Dttoö I., im ©d)tu6 beg Äontejte^ ate
Urfunbe Dttoö II. gibt. ®r fanb, ba^ in ein unb berfelben
Urfunbe ber Äaifer balb in erfter $erf on , batb in britter
?ßerfon eingeführt ttJirb u. f. to.
SBo aber blieb nun bie Se^re ©tumpfiS oon ber Drbnung^
Sorgfalt, 3w^crtäffigfeit ber Stanäteiarbeit?
Unb gider toarf fid^ nun fofort bie weitere S^age auf^
too ift für biefe Unrcgclmäfeigfeitcn bie ©renjünic ju fui^cn,
SuIiuÄ §ri(fcr. 87
tnncrl^atb bcren bic Urfunbe nod^ cci^t, aufeerfiaft beten fie
cntfdiiebcn fatfd^ ift? S)te ?lnttt)ort barauf !onnte er freilid^
nic^t finbcn, aber er fam nun ju einem onbern ^orfjbebeut*
amen ®runbfa| für feine Urfunbenbe^anblung. gider fagte
ftc^ nun: SBenn fotd^e UnregelmSftigfeiten in ungmeifelfiaft
eckten Urfunben auftreten, fo barf i^r SBorfommen in Urlunben>
beren ®c^tt)eit ber S)iptomatifcr nic^t fo fieser au^ aufeercrt
SKerfmalen ^at ertoeifen tonnen, für fid^ allein noc^ feinen
®runb abgeben, biefe Urfunben ju öerböditigen. Unb toxi
fiaben ^ier wie bort erft ben 58erfuc^ ju ma^en, bad Um
reflclmäfeige onber^ ju erflSren. Unb loeiter: ?luc^ folci^e Un^
reßelmäfeiflfeiten , bic üieöeic^t in ben unS ate unätoeifel^aft
edit öotliegenben Urfunben fic^ nid^t finben foöten, bie aber
in anberen weniger fidler aU t6)t }u erweifenben Urfunben
üor^anben finb, bürfen nic^t einfad^ @runb jur iBerbäc^tigung
biefer Urfunben fein, auc^ l^ier muffen tuir erft ben SSerfuc^
motten, ob tt)ir, toaö gegen bie 9tegel öerftöfet, nic^t fonft erflärert
fönnen. Unb gidter üerfu^r nac^ feinen Se^rfäfeen. ®r fuc^te
für jebe Unregelmäfeigfeit erft nad^ ber SRögli^feit einer onberen
©rflärung, e^e er jur SSerböc^tigung ber Urfunbe fd^ritt Unb
babei fam er toieber ju ©injelbetrad^tungen , bie if)n loeiter
JU neuen grunblegenben allgemeinen Srtoägungcn führten. —
®g erfannte gidEer,, ialß SBiberfprud^e in ben Urfunben in
beftimmter 9?id^tung fid^ immer toieberf)otten , fo bafe ^erfoneii
nid^t mefir leben, bie aU lebenb erh)äf)nt toorben^ unb bog bot
Äönig ben Ort an bem angegebenen 2;age fd)on öertaffen ^at.
@r beobarfjtete ferner, bafe Unregelmfi^igfeiten in Urfunben für
öerfd^iebene Smpfänger übereinftimmen. Unb feine fc^arffinnigeit
^Betrachtungen lehrten i^n ttjciter, bafe loir in öieten gäflen, toö
toir loegen einer ajegellofigteit t)on gölfd^ung fpred^en, für bie
öorfommenben Unregetmäfeigfeiten eine ed)te SBorlage an*
june^men genötigt finb. Unb au^ Allem fam er ju bem
bie ganje Urfunbenfritif im Sinne ber 83öf)mer* Stumpf um*
fe^renben ©ebanfen: bie 2lnnaf)me öon gätfd^ung reicht feineig^
»egd auö, um aUe S[Siberfprfid[}e in ber Urfunbenlel)re ju
crflSren. Unb ebenfo, fo lehrten i^n anbere ©rmägungen,
83 ^4ted ^a\>iUl
ift bic fo fcdicbte Slnno^me t)on ©c^reiBfel^lern jur ©rilärung
.ber SBiberfprüd^c oft unsulänglid^. — S)a8 Slttcig beftärfte aber
^täer nun in bem ©ebonfen, überl^aupt einmal im ganjen ber
^rtoägung nad^juge^cn, toetd^e ©rflärungen für bic SBiber*
fprüc^e jtoifc^en ben (Sinjelongabeu ber Urfunben in . ^errfc^cr^
namen, %\td, 3^"9^"r Äanjler, Xag, Ort, Sa^r u. f. to.
jirgenb möglich feien. Unb er tijat bieg mit ber fidleren Über^
Beugung, l^iemit reid^e 9tefultate jur Urfunbenfritif unb UrfunDen*
pertüertung ju erjteten. S)ie ©runblage biefer allgemeinen
©etrad^tung njurbe aber folgenbe tbeoretifc^e ©rtoägung. ®ie
Datierung, fo refleftiertc er, fagt bocb eigentlid^ nur au§, mann
bie Urfunbe gegeben fei, fie fprid^t ni^t t)om 3^i^PM"Jt ber
SRefognition, ber 3<^wgcnantt)efenf)eit u. f. rt). S)ann aber bfirfen
mir boc^ einmal für bie ©rttärung ber SSiberfprüc^c in biefen
,?lngüben bie Slnna^me f)eranjiet)cn, bafe bie fic^ miberfj)red^enben
,8lngaben fic^ überhaupt auf öerfc^iebene ß^i^P^n^^^ bejie^en.
83on ^ier au§ mar e§ bann aber eben nur ein meitcrer ©d^ritt,
ba% gicfer fic^ baö ganje ©efc^äft ber Seurfunbung ju oer^
gegenmärtigen fucfjte, um Überfi^t über alle bie ß^itpunfte ju
geminnen , bie für biefe unb jene Eingabe möglic^erroeife
bcftimmenb fein tonnten. S)iefe Söetrad^tung be^nte er nun
über eine crftaunlic^ grofee 3^^^ ^^^ Urfunben au§, ^aifer-
wrfunben beö 10. big 13. Sal^r^unbertg u^nb an^ f paterer unb
frütierer 3^^^» $apfturf unben , ^rioaturfunben. ©c^arffinnig
fd^ieb er bann ^anblung unb Seurtunbung, ging bem ©influfe
öon aSorurfunoen noc^, ermog aud^, meldjen ©influfe Slfte b. i.
unmittelbar gleid^geitige SRotijen über ipergang, 3^W9C"/ ^^
unb Q^xt ber §anbtung auf bie 83eurfunbung auggeübt ^abcn
fönnten. @r burc^manbelte bann alle ©tabien ber SBeurfunbung
üom Seurfunbunggbefe^l big jur Slugt)änbigung an ben @m«
pfanger unb bctrad^tete bie ®ntftet)ung unb SBebeutung ber
S)atierung öon allen ©eiten. Unb t)on biefen unb einer gfillc
fonftiger Betrachtungen gab er in feinen „Beiträge jur Ur*
!unbenlef)re'' ber SBiffenfc^aft im 3i^ffln^'"^J^^öng Sunbe. Unb
er ift ba auc^ jn ben ermarteten 9tefultaten gefommen. S)ag
3ufammentreffen aller eingaben auf einen 3^itpunft, fo burfte
Suliu« gidcr. 89
er nun bcljaupten, mar nic^t immer beabfic^tigt, unb wo e§
beabfic^tigt mar, führte oft ber ®ang ber Seurfunbung baju,
bafe biefe Slbfic^t nid)t jur (Seltung gelangte. — S)arau^ aber
(äffen ftd^ SBiberfprüc^c unb Unregelmöfeigfeitcn , mie [fie im
SSerbältniä jur Siagcöangabe erfc^einen, inbetrcff ber gormein,
be^ Sluöftetterö , ^infidjtlicft ber Slnorbnung, gaffung unb bc§
Sn^alt^ be« Sejte^ erftären, Sluc^ SBiberfpruc^e im Zc^t unter
fic^ finben nun i^re Söfung, Stbmeid^ungen im ^ejt bei Ur*
funben ä^nlic^en 3nl^att§ für gleichen ©mpfänger unb t)om
gleidjen S^age, gleic^Iauteuber Stejt in Uriunbcn für gteid)en
Smpfönger t)on öerfd^iebenen SEagen finb nun erflärlic^. ©benfo
Vermögen mir nun SBiberfprüc^e in betreff ber gürbitter- unb
ber 3^W9^" i«^ 9SerI)öItniö ^^um ©atum aufjuHaren. Unb t§
fönnen nun geiler im ©c^lufeprotofoH, im fönigüd^en 9?amen^
»eichen, in ber 9ief ognition^jeile , in ber Datierung felbft unb
in ^infid^t ber Sefiegetung, ja ©iberfprüc^e ämifc^en Drt unb
Sag fogar, erflärt merben. ©oDiel öom Urfprung unb oom
3n^att üon gider^ „©eiträgen ijur Urfunbente^re''. — ®er
©nbrud biefeö SBcrfeö auf bie mittclülterlid)e fritifc^e ®cfd)ic^t§*
forfd^ung mar ein mäd^tiger unb aUerbing^ unb auö ganj
natürlid^en Orünben bie^ juerft negatioer Slic^tung. S)ie gorm,
in melc^er gider fein geniale^ SBerl ben Seferu bot, biefe
Söiebergabe feiner an SSerfc^tungen^eit nic^t ju überbietenben
Unterfud^ungen in it)rer ganjen fraufen Urfprünglid^feit führte
ei^ nämtic^ f)erbei, bafe bie Sefer mef)r bie §auptrefu(tate für
fic^ allein in i^rem 3nl)alt als; im ßufümmen^ang mit i^rer
©cgrünbung ober mit bcn fie einfc^ränfcnbcn jerftreuten SReben*
bemerfungen in fic^ aufnat)men. Unb bann aUerbing^ fam für
bie Urfunbenfritif, metd)e biefe mittctaltertid)e ®efd^id^tgforfc^ung
trieb, alleä in§ SBanfen. Actum unb datum gehören alfo
ganj unb gar nid^t jufammen ; baö Stincrargecippe nidjt me^r
ber §alt, um barauf eine ergebnieöotte Urfunbenlritif ju ftügen;
bie größten Unregelmäfeigfeiten in ächten S)ip(omen; bon ^ra^
bition, ©orgfalt, 5iorreft^eit in ber Sanjlcipraji^ feine SRebe
me{)r; baig SRegellofe bie SRegel — ja momit foH man benn
iJritif an ben Siplomen üben? mie fott man überf)aupt nod)
90 ^c^ted Kapitel.
ein foIfd^cS ©iplom crfennen? unb too bleibt nun bie foebea
mit foöict ©cifaH begrüfete ncucrftanbcne Urlunbentoiffenfd^aft?
3)ag maren bie erften ©rmägungen in ben Sheifen berer, bie
unter bem eintrieb öon ©tumpfö „SReic^efanjter'' unb nod^ bem
SBorbilb t)on ©icfelä Acta Karolinorum nun fc^on ein S)e*
jennium unb it)rer Slnfid^t nod^ auc^ nid^t refuItatloS bie
Urfunben in ben 5txei8 i^rer gorfc^erarbeit ^incingejogen l^atten.
Slber biefe ©rtoägungen tüaren grunbfot)d^ unb n)eber in
JJiderö auiggefprod^enen 3^^^^"* "^^ ^^ feinen Unterfudöungen,
nod^ in feiner ganj Kar erfic^tlic^en ©teßungna^me jur 3)iplo^
motif begrünbet. gicfer wei^, — fo jietjt e§ ficft burd^ feine
Slu^fü^rungcn überall ^inburd^ — bafe nur bie Siplomatit
i^m bie ©id^erfjeit bieten fann, auf aße bie t)on i^m auf*
gefteüten ^fragen bie richtige Slntnjort ju finben. SSBir toiffeii
noc^ ju toenig öon ber Siplomotit ber Äaiferurfunben , fo ift
feine Änfid^t, unb barum gilt i^m, toaö er jur ®rHärung biefer
unb jener Unregetmäfeigfeit einer beftimmten Urfunbe beibringt;,
unb ttjenn er bafür bann bie Sluffliärung in jenem unb biefem
®runbe finbet, fo pofitio er e« au^fpric^t, bod^ immer nur
bebingt. S)e§^alb fafete gidfer feine Slufgabe aud^ me^r fo, an*
gefic^tg ber Unregetmafeigfeiten in fo oieten Urfunben grageu
äu fteUcn, aU fie ju beanttoorten ; aUerbingö aber toiU er auc^,.
fooief i^m feine ^orfc^ung eö nur ermöglid^t, antworten. —
Unb gidEerä Urfunbenle^re ift gegenüber ber oon ben
§iftorifern bamatö allgemein beliebten 9Irt ber Urfunben^
benugung fogar feineömegö fo abfel^nenb ate cö nac^ feinen
§auptrefuftaten erfd^eint. SBo^l ift, fo fagt er, toa^ ©tumpf
über ben Slnteil ber Äanjtei an ber Seurfunbung le^rt, für bxt
Äaiferjeit ebenfo abjumeifen, tt)ie eiS ©idCel für bie älteren Äa^
rolinger bereitig jurüdfgemiefen f)at. Slucft ift für bie Äaiferjeit
ber ©ag oon ber ^ufammenge^brigfeit oon Actum unb Da-
tum nod^ me^r einjufdEiränfen , aU ©idEel eö fd^on für bie
Urfunben ber Karolinger gelehrt ^at. Slber Äanjlerrei^e unb
3tinerar bleiben bod^ immer ein SKittel ber firitif. Unb
tt)ir l)aben boc^ al^ Siegel anjufelien, baf; man mit ber Ort^^^,
angäbe öm Drt bejeidE)nen njoDte, an bem fid^ ber Sluöfteöer am
SuUuS gider. 91
awgcflebenen Siage auffielt, unb tüir i)abm m ber Slnno^me, ba&
ber ?lugftcfler am bcm beicic^netcn S^age am genannten Drtc n)ar>
fo lange feftjul^alten, bt^ mx ju einer anbeten Slnna^me genötigt
»erben. S)arum aber bleibt Übereinftimmung einer Urfunbe mit
bem Stinerar immer auc^ ein fttiterium ber @d)t^eit. Unb e^
bleibt eine SReil^e üon S)iptomen, in i^rem jeitlid^en 3wfcimmen*^
^ange betrad^tet, immer baö mic^tigfte ÜÄittet ber J^iftorifd^en
5orfcI)ung. Aber eö »irb eö, fo lautet loeitcr gicferig Stnfid)t,
erft bann, toexm bie 2)ipIomatif bie ©d^t^eit ber S)iptome ober
bcn eckten Sern in i^nen beftimmt unb jene in biplomatifd^cr
Ireue bem i^ox^äin jugänglici^ gemad^t ^at.
Site gortbilbung alfo , nid6t ate ©infc^ränfung ber fd^on
geübten ^ifto,ri)c^en firitif fc^uf gicfer feine Urfunbente^re, unb
.neben unb nid^t gegen bie Seljren ber toieber erftanbenen
SSäiffenfc^aft ber Diptomatif l)at bie ^Betrachtung fein SBerl ju
fteHen. Unb fo ^at ©icfcl gidterö geniale Seiftung auc^ gleid^
öerftanben. S)iefe ^Beiträge nötigen nn§, fo metfte er in fci^
nem 9ieif eberi^t : „Sfaiferurfunben in ber ©c^njeij" bereite an^
ben bidt)er üblid^en SSorgang bei Beurteilung unb Benu^ung be^
Urfunbeninl^attö ju reftifijieren. Unb er fc^enfte fortan bei
feinen arbeiten gidEcriS ®ebanfen bie ooQfte ©ead^tung. @r
ging, ate ber erfte Sanb uon gidEeri^ SSBerf öorlag, gerabe an
bie SRieberfc^rift feiner Unterfud^ung über bie 6f)urer ^riotlc»
gien. SBä^renb ber Slrbeit famen i^m öon gicfer aud§ bie
crften Slue^ängebogen beö jloeiten Söanbeö ju. S)em toa^
\)kxm oorgetragen tourbe, j. 33. über baö SBer^altniS üon Son*
jejjt unb SReinfc^rift , gab Sidfel noc^ feine golge, toeil biefe
grage \>a noc^ nicftt jum Slbfc^lufe gebrad^t loar, ben Sluigffi^*
rungen beö erften 93anbe^ aber fd^entte er fogleid^ SBerüct*
fid^tigung. Sr öerbertete gleich gidEerg SBemerfungen über
aSorurfunben unb Slfte, über bie SBerjögerung ber Urfunben-
auSfertigung in ber Sanjtei, über bie ^Beglaubigung oon
^rit)aturfunben burc^ faiferlic^eö ©ieget u. a. m. Unb fo
blieb eö auc^ in ©idfete fpäteren Slrbeiten, überall fel)en mir
einge^enbfte^ ©tubium oon gidfer^ SBerf im ©acftin^alt mie
ein bemufete^ Singe^en auf bie ganje 2lnlagc unb ^enbenj
92 ^Ic^tcS Kapitel.
beS aSßerfeö, unb überall jetgt ©icfd forgfältige iöerüdfic^ti*
gung unb begrünbete ©teHungnal^me , juftimmenber ober ab*
let)nenber 9(rt, ju feinen Se^ren. dagegen ()ielt ©ic!cl auc^
nac^ gidterö Untcrfucf)ungen weiter immer ftreng an feiner
SRetljobe ber biplomatifc^en gorfcfjung feft- Unb tf)n beftimmten
t)ierbei folgenbe ©rmogungen. S5ie 5{u§fü^rungen gider^
gingen ja/ ttjenn man fo xd\ü, üon einem gemiffen ^rinjip au§,
bem nämtic^, bafe man refultatnoüe Urfunbenforfc^ung treiben
fönne, ot)ne bafe man in ?lllem ben t|o^en Slnforberungen ber
neuen biplpmatifc^en SBiffenfdjaft ju genügen im Stanbc njäre.
Sicfel fud^te aber feine ©tellung ju girfer rein realiftifrf)
facfjtic^ JU finben. (£r ertpog alfo. nid)t fomol)t, ttja^ er ju
beffen ^ringipien ju oufeern \)abe, er ging öielme^r gleic^ an
bie Prüfung, ob bie Slnwenbung ber bort vorgetragenen fietir^
fä^e auf bie (Sinjelfäße Ottonift^er ©ipfome rid^tig unb not«
n^enbig, ob man/ \m^ bem gorfdjer an fo öieten biefer Ur*
funben auffoUig erfc^eint, in girfer^ Slrt erffären barf unb
muß, ober ob anbere ^Betrachtungen unb ©rflörungeu fid) boc^
no(^ auö bem Urfunbenmatcrial, toenn man in erfter äici^e
bie erhaltenen Originale tieranjie^t, felbft finben laffen.
@r t)atte l)ier bei feiner Unterfudjung über bie ß^urer
^riuilegien eben mieber bie (Srfa^rung gemad)t, meldje fitfieren
JRefuttate er mit feiner äWet^obe be^ inbioibueHen ©c^riftüer«^
gleid)ö unb mit feinem ®runbfa§: 5Der ©toff mujs un§ bie
3)?ertmate unb bamit bie 3Bege ber Äritif meifen, jeitigen
fonnte. Gr blieb barum junäd^ft feft bei feiner Slrt ber ^or^
fc^ung unb machte ben SSerfuc^, ob er mit feinen fii^ern Wit^
teln nic^t auc^ ot)ne bie geiftooHen , aber öfteres I)^pot^etifc^en
©rmägungen giderö in ber Söfung ber üon biefem unb i^m
gteidjmäßig ertannten ©d)mierig!eiten an ben Ottonifc^en Ur*
funben üormörtä fommen tonne. Unb er !am Dormärtö. ®r
gemann mit bem tiefften (Sinblid in ben Sanäleigcbraud^ unb
mit Srfenntniö beffen, fagen toir einmal, toaö in Dttoö beg
(^rofeen fianjlei Siegel toar, bod^ aud) gleich ba§ SGßiffen, bafe
^r viele Unregelmäfeigfeiten biefer ©iplome auS inbioibuetten
geilem unb ©eloo^n^eiten ganj beflimmter Äanjleibeamten ju
3uliu8 gicfcr. 93
crfldrcn im ©tanbc tpcir. Unb wa^ ©idel in bcr ^infic^t
bann in bem öeitrag: Äanjier unb SRcfognoi^jenten btö jum
3a^re 953 (1879) ^attc erörtern bürfen, ba« gewann einen
burc^fdjlagcnben ©rfolg in bem SBeitrag: Über S)otiernn8cn ber
Dttoni|d)en ^rä^epte (1882),. ben toir fc^on ttjibcr^olt ermähnt
l^aben. 9tun mürbe ber fc^ier unentmirrbare Änäuet ber Un^
ridjtigfeiten , ©unfel^eiten , SBiberfprüd)e in bcn SJatierungen
ber Dttonifc^en S)iptome ciufflemidelt , ganj pofitit) ber irrcnbc
©eamte, feine ©d^mfic^e in ^ronofogif^en fingen ober feine
Siac^Idffigfeit im üied^nen aufgebedt nnb ia^ Süchtige ein ©teile
beig galfd)en in bie ©atierung^äeile eingcfe^t. Unb injmifdjen
^atte ©idel no^ eine anbere ?ßro6e auf bie ^^^^rföffifl^^it
feiner aWet^obe gemacht. @r f)atte ^einrii^ üon ©^6el baffir
gemonnen, im SBerein mit i^m mit ben SKitteln ber preufeif^en
Slrc^it)t)ermaltung bie p^otograptjifdien galfimileö üon einigen
^uttbert Urlauben ber Äönigc unb Äaifer t)on ^ippin bx^
TOojimitian I. mit erlöutembem Äommcntar l^eraui^jugeben.
S)ie paffenben SIKitarbeiter, menigftenö für einige §auptperioben
ber 3^'* ^on ^ippin biö Äarl IV. mürben gefunben. ©idel
übernaf)m bie SJarofinger* unb föc^fifd^en Urfunben bid 1002,
SBrefelau bie ber ©alier, ?ß^ilippi bie griebric^ö IL, Sinbncr
bie Sarl§ IV. u. f. m. Seber biefer gorfd^er bearbeitete fein
Urfunbengebiet felbftänbig, aber für ben öon ©idel aufge«=
fteHten $Ian, ju erfennen, maö mit bem ?ßrinjip üom inbit)i=
bueßen ©(^riftüergteid^ aU ?luögang^punft ber biplomatifdjen
gorfc^ung ju erreichen fei. ©d^neÖ erfc^ienen feit 1880 bie
einjelnen Urfunbengruppen in Slbbilbungen mit Sfommentar.
Unb biefe ^ublHation beftätigte nun glänjenb, bafe bie öon
©idel üorgejeidjnetc 3J?ett)obe für bie Urfunben ber ganjcn
beutf^en Äaiferjeit ebenfo toie für bie ber Karolinger gültig
unb burc^fd^Iagenb angemanbt merben fann unb, ber ©i^er^eit
unb SSielfeitigfeit if)rer SRefuItate megen , angemanbt merben
mufe. SJiefer SemeiiS fag nun für jeben, ber fe^en moHte,
offen ba.
SBir fönnen biefen Kaiferurfunben in Slbbilbungen j. 8.
entnehmen, bafe biefe Urfunbe in einer ununterbroi^enen
•94 ^^M Stap'Mtl
^rbettiglciftung , bafe jene in mehreren ©tabien ausgefertigt ift,
bafe eine anbere eine Sleuauöferttgung ift. SBir erfahren a\i^
i)cn Slbbilbungen bann au^ allerlei über bie ©c^reiber fetbft.
©ie fommen, fo fe^en mir, auS öerfc^iebenen ©c^ulen; ber
lernt bann in ber ßanjlei »eiter, jener fümmert fic^ nic^t um
bie Äanjieitrabition. @in ©djreiber ift ein 5)eutfc^er, ein an*^
oberer ein Staliener; aber ber Staliener bient auc^ in ber
ieutfc^en Äanjiei. ©in beutf^er ©djreiber mac^t ©djule.
Irin ©(^reiber l^at inbiüibueHe ®ettJo^n^eiten. §ier tritt ein
©d^reiber mit bem abgct)enben Stanjler ab, bort bient ein
©c^reiber unter t)erfct)iebetten ffianälern »eiter. ®d gibt aud)
gelegentliche ©c^reiber; man jie^t ^rioatfc^rciber ^eran ober
man überlädt ben ©d)reibern ber (Smpfanger bie 9Ju§füt)rung.
S)ie ©c^reiber fd^reiben bei 93eginn einer Sansleiperiobe ben
IRamen beS neuen SanjferS fölfcö, fegen baö Sat)r ber Drbi*
nation falfc^ an u. f. m. S)aö alfo unb nocö üielcS Slnbere
^rjä^Ien bie gaffimileö felbft üon ben ©Treibern. Unb toie
Don ben ©d^reibern erjagten fie e« im ©dE)riftt)ergIeif^ auc^
Don ben ^anjlern, oon il)rem etmaigen Slnteit an ben ®e*
fc^äften, ob fie felbft eitoa^ gefd&riebcn, ob fie fonft ©influfe
auf bie Sanjiei geübt ^aben u. a. Unb fo ge^t bie Se--
iel^rung auö ben Slbbilbungen ttjeiter. Über Originale, 9?ac^*
Zeichnungen, Kopien unb gälfctiungen , über Äorretturen unb
3eic^en, üerlöngerte ©c^rift unb SBoUjiel^ungSftriil}, über 9lu§*
jtattung oon ^ßriöaturfunben u. f. tt). erfahren mir auö bem
©c£)riftt)ergleid). Unb überhaupt ift bie gütte ber Sele^rung
xiVi^ biefen Äaiferurtunbcn in Slbbilbungen eine fo reiche,
iafe in feinem 3wfö"^i"<^"^Q^9^ ^öS SBer! auc^ eine Urfun*
benle^re unb jmar tjon ben beutfd^en Sönigö* unb Saifer*
urtunben ift unb jugleid^ bie benfbar anfc^aulic^fte, njeil fie Slßeö
mit bem ©c^riftoergleic^ belegt, üRan mirb barum in ber
Urfunbentoiffenfd^aft eö fidler aud^ nie oergeffen, bafe ©^bel
biefeö SBerf ermöglicht t)at, unb man tnirb eS umfomeniger
öergeffen, alö bei feiner befannten, fe^r referoierten Stellung
iVL ber Bearbeitung ber 9fteid)«taggatten burd) SBeijffider unb
ier Äaiferurfunben für bie Mon. Germ. Hist. burd^ ©irfel
3ttliu« gicfer. 95
itnb ber red^töl^iftorifc^en Urfimbenforfc^unfl gicferS biefe ^u*
blifatton eö jeigt, tüic ttjeit ©^6et eigene Sietgungen, ja Sln^
fiäjtm im Sntereffe ber allgemeinen tüiffenf^aftlic^cn Seftre*
bungen, für bie er feine SSermattung bienftbar ju mad^en fid^
cntfdjloffen l^atte, gurücfäuftellen im ©tanbe mar. gür ©idfel
•ober unb feine 3J?itar6eiter beftimmte biefc neue Seftotigung ber
^ültigfeit ber nun feit ben Acta Karolinorum unb bem ^ro*
•gramm üon 1876 üorgejeictineten SRet^obe ber ©iptomatif i^rc
©teUungna^me ju girfer^ Urfunbenle^re ganj Ilar. S)ie ©runb-
lao^t ber biplomatifd&en Strbeit blieb aud^ tneiter bie nun geltenbe
SRet^obe, i^re l^o^en ?tnforberungen an ben gorfc^er blieben
®efe^, aber fie üerfc^Ioffen fid^ ben Seljren t>on gidterö eigen*
<trtiger Unterfud^ung nid^t unb no^ ttjeniger feinen Slnregungen.
Unb inbem fie »eiter i^ren SBeg ber, für it)re ®efe§e unb
i^re ü)?et^obe, allein gangbaren ®pejiat3)ipIomatif gingen, er=
fonnten fie bod) unbebingt bie ©erec^tigung öon gidEerö gor^
jd^ung in Q\d, Slrt unb in öielen Srgebniffen neben ber iljrigen
<in. ©ie acceptierten fein grofeeg JRefuItat ber SJotmenbigfeit
ber ertt)eitcrten UrfunbenbetradEjtung nad^ ber Seite i^reö äße»
jenö unb i^rer (£ntftel)ung ^in. Sie begrüßten bie ^wftintmung,
bafe er angefic^t^ feiner ©rgebniffe neue Aufgaben für bie 9te*
geftenarbeit fteöte, unb fie folgten banfbar feinen 9ftatf(^Iägen
unb ße^ren, tüie nun 9iegeften anzulegen finb. §ier mar
fben ja aud| girfer überall rein pofitit) fd^öpferifc^. 2)aö
ftanb nomli^ gidter felbft tüie allen Siplomatifern aU un=^
^tDeifel^aftcö ©rgebnig feiner gorfc^ungen nun feft, bafe für
bie eingaben ber Urfunben bie üRögIid£|!eit ber Sesiel^ung
ouf V)erfd£)iebene 3^^*^"^^*^ üor^anben ift. 3Kit biefer SKög^
li^feit, fo urteilte gidEer in üoßer Übereinftimmung mit
©irfel tt?eiter, mu6 ber Stegeftenarbeiter fortan für baö Slegeft
red^nen, unb feine Stufgabe ift eig, bie ©c^mierigteiten , bie
fi^ baraug ergeben fönnen, fo au§ bem 3Bege ju räumen, baß
ber njeitere öenuger fic^ nur noc^ in ben toenigften göüen
bur^ jene^ SSer^ältnig get|inbert fü^It. 5)abei ift feftju^
Ratten, bafe bie 9ftegeften nidjt mit bem SWafeftab ber Äenntniffe
bei^ öearbeiterö , fonbern mit bem be§ S5enu|er§ anjutegen
96 Sficuntc» StapM.
ftnb. Unb bann füt)rte gidEer in einer 9?eif)e toon SRatfc^Iägcn
auig, n)ie ber Sftegeftenarbeiter bei Sejie^ung üon 3a^r, 2;ag,
Ort, 3^W9^" "• f- ^- fl"f öerf^iebene 3^itpun!te mit ber ®in»
rciliung ber Urfunbe in ha^ Stinerar jju üerfal^rcn {)Qbc.
Sebe biefer Se^ren f)alt unbebingt üor ber Äriti! tt)ie bei ber
Slnmenbung ftanb ; nnb biefe ?lntt)enbung mad^te gicfer bann
aucf) glei^ in feinen SRegeften beg Äaifcrrei^ö öon 1198 biö
1272 in muftergiltiger Surc^füfirung nnb mit überjeugenbem
Seifpiel felbft. — S)ie S)ipIomatifer ^aben barin aber bann
nur neuen Slnlafe gefunben, ^icfcr^ ,,93eiträge'' alö ^o^e ^ör-
berung it)rer SBiffenfd^aft anjuerfennen. Unb gleic^ ben S)i^
ptomatüern urteilten nun and) bie §iftori!er unb fie toürbtgten
nun aud^ ganj , toa^ gidEerö Urfunbenle^rc für bie tritifc^e
®efd)id^tfd^rei6ung an SSert befi^e. 5)ie Urfunbenbenu^nng,
and) für bie fpäteren 3af)rt)unberte ber Äaiferjeit, befam nun
freie SBal^n unb gefidjerte (Srunblagen unb bie Oef^ic^tö*'
forfcöung bie freie ©etüegung, n)el(^e einen 3J?oment gerabe burc^
bie auögejeid^netcn SRefuItate ber i^rer SRct^obe nad^ ju be*
^utfamem ^ortf c^reiten , ©c^ritt für ©c^ritt, gejtüungenen S)i*
plomati! gefcffelt ju tüerben fc^icn. . Unb n)ir get)en tüo^l
nic^t fet)I, wenn tüir fogar jeneö t)on ©idfel mit t)on ©^bel
inö Seben gerufene, für bie Slnerfennung ber ®üte ber neuge*
fd^affenen Urfunbenmiffenfc^aft fo burd^f^Iagenb ujirfenbe
Unternehmen ber „Staiferurfunben in Slbbilbungen" aud) auf
bie SInregungen jurüdEfüt)ren , »el^e üon gicterS Urfunben«
Iel)re ausgingen.
9.
Qu berfelben 3^^*/ i>ö gidfer in feinen üerfaffungö- unb
red^tögef(f)id)tlic^en Urfunbenforfd^ungen , t)on ber Stincrarfrage
au^ge^enb, ju jenen, für bie SJipIomatif fo einfdjneibenben Sie*
fultaten über baö jcitlic^e SlJer^altniö ber ^injellieiten beS ©a(^*
intialtö ber Urfunben unb ber eingaben ber S)atierungöieUe
untereinanber gelangte, empfing bie 5)ipIomatif aud) üon
anbercr ©eite l^er eine bebeutfame ^Jörberung burc^ Urfunben*
ftubien, bie t)on biplomatifc^en ^orberungen über redjtS^iftorifc^e
4>etnric^ 93ntttncr. 97
Sclc^rung angeregt, mit bieten für bic SRcdjt^gefc^ti^tc gerabcju
epoc^emoc^enben 9icfultoten au6) fotdje für bie ©iplomatif ^o^*
bebcutfaute unb jnjar nac^ ber ©eitc t^rer ticffteit ©runblagen
t|tn gewannen. ®8 finb §ctnrtc^ S5runneri^ Seiftungen für bie
3)iplomatit bie tüir meinen, unb hit ju njürbigen toir nun bie
Slufgabc l^aben.
§einri^ SBrunner, a\i^ Dber^Dfterreid^, abfolmerte ben
Äurfuig am öftenei^if^en Snftitut für ®ef(^id^t«forfd)ung 1861
bii^ 1863. ®d toaren bog bie Saläre, in benen ©idel, toie tüir fa^en,
feine ganje Sfraft ber SJiptomatif jujutoenben begann, in fc^ncHer
golge feine erften ©eitröge jur S)ipIomati! erfc^einen liefe unb
no^ ©rfenntni^ ber toSHigen Unäulänglid^feit ber in ber SBicber-
gäbe bei^ Urfunbentn^attö meift unöoüftänbigen unb öftere
falfd^en ÄaroIinger*SRegeften SSö^merS alg ®runbIogc biploma*
tifd^er unb ^iftorifdjer ^Jorfd^ung ben ^lan faßte, biefe SRegeften:
neu JU bearbeiten. Unb auc^ bie t)orbereitenben ©dritte ^ierju,.
bie ©ammlung beö Urfunbenfd^ageg , teilg burd^ eigene W)^
fc^rift ber noc^ t)orl^anbenen Originale ober Kopien, teitö in ju*
T)erlä|figer Slbfd^rift burd^ ?lnbere, bie ©i^tung ber Überlieferung
unb bie gitiation ber ^anbfd^riften unb 5)rudEe, oUeö baig fflUt
fc^on in biefe 3a^re. Unb toie ©idfet fid^ eben immer afe
Seigrer gab, toie er impulfit) öon bem, teorin er lebte unb toebte,
feinen ipörem Mitteilung madjte, fo tourben biefe, unter i^nen
SBrunner, benn aud) aufö lebtiaftefte für biefe biplomatifd^en gragen
intereffiert. ©cl|on nahmen aber ©idfelö SSorarbeiten für feine
ÄaroIinger»9legefien anä) eine SBenbung auf ein Qk\ {)in, toeldöeig
ben Suriften SBrunner für biefe biplomatifd^en ©tubien no^ be«
fonberö mit Sufmerlfamleit erfüllte. ©idEel mufete e^ fc^nell
erfennen, toie fc^teer bod^ im SlUgemeinen baö 9iegeft einer älteren
Äarolingerurlunbe ^er^ufteHen toar. 3^r 3nt)alt ift weniger
l)iftorifc^er ate meift redjtlid^er 3lrt, unb biefen SRed^tgin^alt fo
fd^arf JU erfennen, bafe er i^n in furjem SRegeft !orreft lieber*
geben fonnte, bafür tiefe bag biö^erige SBiffen ber SRecötiS^iftorie
i^n boc^ öfters ganj im ©tid^. greitid), fo ertoog ©idtel tDeiter,
liegt bie ©c^ulb baran ja eigentlid^ nid^t am 9ftec^ti^^iftprifer
allein, ber S)ipIomati!er felbft ^at ©(^ulb; ber f)at jenem nod^
mt>riW »ibliot^et. »b. lY. 7
98 ; S^cutttc« ^apxitl
ju njcnig vorgearbeitet, afö bafe er fc^on immer ju einem fieberen
9icfultat gelangen !ann. 2)tefe biptomatifd^e Vorarbeit unter«
na^m ©idel bann feI6ft, unb barum toerfud^te er benn anä)
gleich felbftänbig jnr Söfung red^t^tiiftorifd^cr fragen t)or*
anbringen. S)abei freiließ mufete er bann bod) and) h)ieber biig*
tt?cifen t)or einem Non liquet ftet)en bleiben, liefen gangen
©a^t)erl|alt über ben gortgang feiner gorfd^ungen legte ©idtel
banad^ in feiner Slb^anblung bar: bie 3Runbbricfe, Smmuni*
täten unb ^Privilegien ber erften Karolinger big jum Sa^rc 840
(1864).
5)ie SRunbbriefe, fo fül^rte ©idtel ba unter Stnberm an^,
l^aben eine ©^lufeformel, bie befagt, bafe bem ©d^u^Iing ge^
ftattet toirb, feine Sied^t^fa^en vor ben Äönig ju bringen. 2)ie
aSed^tö^iftorifer ^aben oon biefer gormel, fo fu^r ©idet fort,
fo gut toie feine 9?oti} genommen, unb SBai^ fpti^t jur (£r*
läuterung t)on „getoiffen SSorjügen im gertc^tlit^en SSerpItniö",
unb 3fiot^ bat)on, bafe „3ie^töfa^en erforberlid^en gallo" vor
bem Äönigegeri^t üertianbelt »erben lonnen. 5)ag lel^rt unS
aber boc^, fo meinte ©idfel toeiter unb mit üoQem [Red^t, gar
nid^tS barüber, toorin benn hiermit ein SSorjug üor analogen
aSer^dltmffen lag, toie fie bod^ bei ©ekelte beö im ©aubing
gefunbenen Urteifö eintreten fonnten. Unb barum berfud^te
©idfel felbft jur ©rfcnntniö biefer SBorrcc^te t)on ©eiten feiner
juriftifd^cn SKerfmale ju fommen. Sfber er brang ju einer
Karen SSorftetlung nid^t burc^, toie er fagte, unb er brang beig*
l^atb nic^t burd), toeil er ben SHed^tö^iftorifern nod^ bie fatfc^e
Stuftet entnel^men mufete, bafe ba« SSerfafiren im KftnigSgeric^t
ftd^ ni^t t)on bem im ©aubing unterfd^ieb, unb toeil er über
bai^ Jus inquisitionis, mit bem jeneiJ in ben 9Wunbbricfen üer«
Helene Jus reclamationis ad regis definitivam sententiam,
toie er erlannte, jufommentiing , bei ben SÜed^tS^iftorifern nid^t
bie befriebigenbc Slufflärung gefunben fiatte.
Sn biefcn beiben ?ßunften fe^te nun, oon ©tdel angeregt,
örunner mit einer juriftifc^en Untcrfu^ung ein, bie ebenfo
toie bie Anregung, fo aud^ bie 323ege oon ^id^i übttnoifym, in«
bem fie n&mlid^ an bie t)on ber 2)ipIomatt{ geleiftete Vorarbeit
^cinric^ örunner. gcf
on!nflpftc unb mit t)oIIfter ©d)ärfe mä) ben ©a^ ©tcfel« auf*
na^nt, bafe bte Urfunben neben ben Äapitulartcn unb gormcin,
nid)t bic Kapitularien unb gormein allein bie Sintttjort geben
müßten. Unb inbem SBrunner bann fo in umfaffenbfter SBeife
für feine gorfd^ung bie Urfunben tieranjog, fi^uf er feine ?lb*
l^anblung: Qm^tn unb Snquifitionöbettjei^ im bcutfd^en ®e*
rid^t^öerfa^ren larolingif^er Qdt (1865), eine Slb^anblung, bic
für ben ®ang ber red^tiS^iftorifdjen gorfd^ung in SBegen unb
SÄittetn eine Umtüäljung anbatinte, aber aud^ ©ebeutfameS
für bie SJiplomatil leiftete. ©runner fanb aU SrHarung für
bai^ Jus inquisitionis biefe, bafe beftimmte ^erfonen unb ?ln*
ftalten bag SRec^t befafeen, in i^ren ^ßrojeffen öorfornmenben
gall^ auf i^r SBerlangen bai^ inquifitorifi^e 83emei^bcrfa^ren ju
tjeranlaffen , b. I|. bie SInttjenbunfl eine^ grogcöerfaliren^ in
^it)ilfa(^en t)on ©eiten be^ SRidöteri^ tjerbeijufü^ren , bur^
toel^eö für Seurteilung eineiS ©treitfallS burc^ bie Sluigfagen
t)on Q^n^^n, bie bei ffönigöbann gejnjungen unb mit promiffo*
Tifc^em @ibe üerpflid^tet tourben, ein ©ubftrat gefunben toerben
fonnte, toeti^ei^ gegenüber bem mit ben SKittetn be^^ orbentlid^en
SSerfa^ren^ im ®aubing ju fdjaffenben ©ubftrat fid^ ate SReuei^
ergeben foHte. Unb fol^ ein ©ubftrat mar nötig, mo ftd^ ba*
Königtum bie definitiva sententia für baiS König^gerid^t bor-
6et|alten l^atte, fei ei^ baß biei^ unmittelbar, fei eig baß bieg
mittelbor burd^ aSerlei^ung beg9JeHamationiSred^t8 auiggefpro^en
toar. S)enn nidjt auf bie Urteifef^elte im gemeinen JRe^tiS«
flang, fonbern auf ©ufpenbirung ber im ®augerid^t begonnenen
aSer^anblung unb i^re SSeenbigung im ffiönigögerii^t lautete ba§
9le!tamationSre(^t, unb barin liegt bai^ juriftifc^e äKerfmal be^
bem ©d^ü^Iing in bem äKunbbriefe mit ber SReflamationöformel
t)erfie^enen Sorrec^tig.
S)iefe Änttoorten getoann alfo SBrunner ben Urfunben ab;
juglei^ aber entnahm er ben Urfunben eine erftaunlid^e gülle
toeiterer re^töljiftorifd^er Srfenntnii^. ®r entnal^m ben Urfunben
ben SRac^toeiS üon bem freieren ©etoeii^uerfa^ren im Könige*
flerid^t gegenüber bem im ©aubing. @r cntioidfette na^ ben
Urfunben bie gorm ber SnquifitionSmanbate unb i^re jtoci
7*
100 9?euntc8 Äapitel.
?lrtcn. ®r cnttoidcltc ferner, burd^ btc Urfunben belehrt, bie
@ntftel)un8 ber 3nqutfttton§prit)iteflien an^ ben Snquifttionä»^
meinbaten, unb er jeigte fo alö ba§ ®ebtet be§ Snquifttion^*^
betoeife^J bog ©emeinbejeugnt« unb lennäeid^nete ben 3nquifition§-
betoetig ate einen befonberen SBewei^ gegenüber ben SBeiucfe^
mitteln be^ germantfc^en ©erid^töüerfa^ren^. Unb er getoaitn.
ben Urtuttben an6) bie Unterfc^iebe jtoif^en ber langobcirbifd^en;
3eugenbannung unb bem tarolingifd^en Q^vi%tnitoatiQ beim 3n*
quifitionöbetoeiS ab. S)ie ©teßung bor Missi jobann über bem
orbentlid^en SRic^ter, um ha^ Jus aequum gegenüber bem Jus
strictum jur ®ettung ju bringen, bie missi im ©efig ber
aOgemeinen SnquifitonSDoQmad^t, unb bie missi al§ Präger ber
löntglidjen ^anblung beg SnquifitionSöerfo^renS fiberall ^in:
auc^ aHeg biefe^ getoann örunner auö bem Urlunbenftubium. Unb
er erfidrte t)on ben Urfunben auö bunfle ©tcQen in ben ^api^
tutarien, unb er fanb mit §ilfe ber Urfunben ben juriftifctien
Äem mand^er Kapitularien gerabe in ben Slbfc^nitten ermahnen*
ben Sn^alt«. Unb nid^t genug biefer SRefuItate für bie Sled^t^^^
gef^ic^te überhaupt, nein, ©runnerö Unterfud^ung bxadjte ixt
3nfammenfaffung älterer Söeobad^tungen unb eigener neuer ®e*
ftc^töpunfte aud^ ©rgebniffe für bie SRed^tSgefc^id^te ber Urlunbe
fclbft. S)ie gefd^riebene Urfunbe afe neueö SBetüeii^mittel in
fränßfd^er Qeit, itire ©eltung im ©erid^t^öerfatiren unb ber
Unterfd^ieb ber Äönig^urfunbe unb 5ßrit)aturfunbe in ber 95e*
jiet)ung, bie re^tlic^e Söebeutung ber Sönigi^urfunbe bei ber int
ÄönigSgeri^t T)orgenommenen commendatio unb bei Über^
tragung t)on Äönigi^gut, i^reSRoIIe im gii^falprojefe: auc^ aüe^
biefeö tourbe in biefer ?lbt)anblung über ,,3fugen unb Snqui^
fitionöberoeiö" fdjarf beleuchtet.
9?un aber faffen toir einmal alleg bieö au(^ anberö nocfy
ins Äuge. S)ie Anregung ju biefer gorf^ung Don ©eiten ber
S)iplomatif; il)re SRefuttate über bie ©d^t^eit biefer ober bie
3ut)erläffigfeit beö erjo^lenben 2i{)eite einer anberen, offenbar
uned)ten Urfunbe bie ©runblage; i^r SBeg ber forgfättigften
^cjtüerglei^ung aller einjelnen Urfunbenformeln aud^ ^ier be^
fd^ritten; Urfunbenmerfmale, loelc^e bie 2)iplomatif für il)re
4>cmrid) lB?ujMtft. , : f ',- :\ :'»]: /V-. 101
5trittf, Urfunbenin^alt, toelc^en ftc für i^re SRegeflenarbeit brin-
flcnb flebraud^tc, l^ter en blieb crttärt; bie ®infi^t in ba«SBefen
ber Urfunbe in ^iftorifd^er unb rcd^ttid^cr ©ebeutunfl in bicfer
Untcrfuc^ung öcrticft: bie bebeutfame görbcrung ber S^iptomatif
bur^ bicfe Arbeit ©runner« jeigt fid^ überaß. Unb fo flefd^al^
eö a\x6i tt)citer burcö eine SRei^e anberer rec^ti^^iftorifci^er Arbeit
IBrunnerS unb bag nod^ in Derftärttem SWafee.
3Wan ttjeife, tüet^en l^o^en Sol)n biefe f^arffinnige Unter=
fu^ung über ben „3^^9^"* ^^^ SnquifitionöbemeiÄ" i^rent SSer^
faffer fofort einbrad^te, afe er beim Äbfd^Iufe ber ?lrbeit ju feiner
eigenen freubigften Überrafd^ung auf bie (Sntberfung fam, bofe
biefer 3nqui[itionSbetüeiö im ®eric^t§t)erfci^ren ber Jtarolinger in
ber Enqueste be^ Grand Coustumier ber 9?ormanbie toeiter
fortgelebt t)Qt, unb al§ er fi^ bann fagen burfte, bafe er ben
t)on ber SRe^tögefd^id^te no^ immer nid^t entbedtten Urfprung
ber ©ditüurgertd^te gefunben ^abe. 3Ran lennt aud^, bafe ©runner
biefe ©ntbedtung verfolgte unb i^r abf^tiefeenb bie ?lnerfennung
ber SBiffenfc^aft bur^ fein Su^: Die @ntftet)ung ber ©d^wup
fleric^te (1872) öerfc^affte. Unb ei^ ift njeiter befonnt, bafe biefe
fpodiemac^enbe Sntbedfung t)on ber uniüerfalgefc^i^tlic^en Se*
beutung bed Snquifition^beineifejg bie einfi^neibenbftc SBirfung
üuf ben ®ang ber allgemeinen redjtö^iftorifd^en gorf^ung f|otte.
Die Snglänbcr mufeten gegenüber biefem SRo^mei« t)om Qu^
jammeut)ang be« fränftfc^en, normannifc^en unb anglonorman»
nifd^en SRed^t« bie fo gern gepflegte Slnnatime üon ber Urfprüng*
lic^Ieit aÜer englif^en SRec^t^inftitutionen faöen laffen. S)ie
granjofen mußten e^ aufgeben, an bem normannifd^en SRe^t
<ite einem. fremben mit SRi^tadljtung üorbeijugelien. Unb bie
beutfi^en SJe^t^^iftorifer lernten, baö altfranjöfifd&e unb nor^^
mannifc^e unb anglonormannifc^e Sted^t jum ©erftänbnti^ bed
fränfift^en SRe^tö unb tt?eiter ber germanifd^en Sterte überl^aupt
^eran^ujie^en. Unter ben beutfd^en 3uriften aber toar ei^ toieber
©runner felbft, ber biefe t)on i^m entbedtten SBege ber rec^t«-
^iftorifc^cn ^orfc^ung mit ber größten Energie unb ben größten
Erfolgen befd^ritt. Unb bie ©rgebniffe biefer gorf^ung »ie t^re
?Irt tourben lieber eine ©erei^erung beig SBiffeni^ ber 35ipIo*
102/. : • .•: •-:• :'::': ': i »Vi«nie» »oSfM.
mattf in ©njet^eiten unb eine SSerttefung t^rcr (Srunblagcn^
jugleid^ aber eine neue t^efttgitng t^rer äRetl^obe unb tl)re^
8lnfcl)eng.
Wt bicfc ?lrbettcn ©runner^^) toarcn nämlid^ and) in erftcr
9teil|e auf met^obifd^er Urfunbenforfd^ung aufgebaut. Smmer n)ie»
ber erfannte er bie Urfunben afe bie ergiebigsten unb oft einjigen
Sled^tigquellen, ob er fid) germanifd^en ober romanif^en SRec^tö*
gebieten jutoanbte. Unb immer toieber fud^te feine tjorfc^ung
i^ren ©tü^punft in ber frdnfif^en Urfunbe ate ber Urfunbe
bei^ 9iec^td, bem ha^ normannifd^e unb anglonormannif^e, ia^
altfranjöfifd^e unb beutfc^e 9iec^t afe 3;oc^terre^te entflammten^
unb n^eld^eS feinen @inf(ug \a auc^ auf bad langobarbifi^e 9ied^t
unb auf bie 9ied)te ber übrigen im frdnlif^en SReid^e oereinigten
gcrmonif^en ©tämme ausgeübt ^atte.
Stun l^atte bie ^5nig$ur!unbe ber Karolinger fd^on burd^
©idel eine flaffifd^e biplomatifd^e öel^anbtung erfahren, unb c^
.toar bamit juglei^ au^ für bie merotoingif^e Jlönig^urfunbe
unb für bie meron^ingifd^e unb farolingifd^e frSnlifdje $rit)at^
urtunbe mand^crlei an biplomatifc^er ©rfenntni^ gef^affen.
Aber bie cigentli^c bi^jlomatifc^c JBe^anbtung ber frflnlifd^en
^ribaturfunbe fel)ltc nod^. Unb e8 ftanb mit i^rer red^tö»
gefd^i^tlid^en SSern^ertung afe 9fled^tSqueIIe nid^t anberiS. ^a
mar eben auc^ nod^ fo gut mie ^QeS ju (eiften. 97od^ fehlte
alfo, fomeit ni^t Srunner in feiner Unterfuc^ung über ben
Snquifitioni^betoeig f^on einiges Sic^t ouc^ nac^ biefer Seite
^in verbreitet ^atte, für bie fränüfd^e ^rioaturfunbe ber ®in*
MidE in il^rc §erfunft, i^re SBebeutung, i^re prioatrec^tlic^c SSer*
toenbung, i^ren projeffnolifd^en SBert unb i^re 83el^anblung im
») S)q8 «Berf: 3)tc ©niftel^uitg ber ©c^wurfleriditc , öerlin 1872
X^eobor @idcl getoibmct, ertoäl^nte i(^ ]ä)on oben. — 3)ic tociteren Sc*
merfungcn im 3:cj;te bcrul^cn auf folgcnben Slb^nnblungcn SrunncrS:
^?Bort unb gorm im oltfronaöftWen ^roicfe." (©itung«6erid)tc ber
tBicncr Slfobcmie 1867, ob. 57, 655 ff.); bo« ©crit^tgaeugni« unb bie
fr&nfifc^e ÄönigSurfunbe. (gcftgobcn für ^offter 1873 @. 133 ff.) — »ei*
träge jur ®efd)id)te unb S)ogmQtif ber SBert^jo^jiere. (Settfc^rift für bo*
gefomte ^onbetSredjt XXII. 1 ff. 59 ff.; 1877). — Oarta unb Notitia
(»cftgabcn für aJJommfen 1877 @. 570 ff.). -
^cinricft örunncr. 103
Oert^töücrfa^rcn. Unb cbenfo mangelte ito^ bie Äenntnte
öon ber äußeren ©ntfte^unfl ber 5ßrtt)aturfunben , t)on t^ren
Slrtcn, t^ren formellen SKerfmalen, bie ©nfic^t in bie etnjetnen
SRomcntc ber fd^riftlid^en Seurfunbung unb bojg SBiffen üon ben
formellen ©rforberniffen für bie ®filtig!eit ber ^ritoaturfunbe.
Unb JBrunner griff nun mit feinen Urfunbenforfi^ungen nac^
betben ©eiten unb lieber I)öd^ft erfolgrei^ ein.
2)ie Urtunbe, fo le^rt 93runner, toar belannttii^ bem alten
beutfd^en 9iecl|tögange oottftonbig fremb. 3n ber fränüfd^en
3eit lam mit ben ^Reformen im Sied^tögang aud^ bie gefc^rie^
bene Urfunbe als ein neucö SetoetSmittel auf, unb jtoar fo*
tt)O^I bie, loeld^e über rec^tlid^e Slfte im ÄöntgS* ober aSoßj^*
geriefte ofö bie, loeld^e über außergerichtliche 9ieci^t§gefc^äfte aU
3eugni« aufgenommen tonrbe.
S)ie Urfunbe über red^tlid^c Slfte im SSoIfögeric^t lonnte
nun nadö falifc^em SRec^t Don irgenb einem be§ ©c^reibenS
Äunbigen ausgefertigt »erben, nad^ ribuarif^em SRei^t mußte
ber ©Treiber im ®eric£)te antoefenb, mußte rei^töfunbig fein,
unb er voax für bie formelle SRic^tigfeit tote für bte SRit^tigfeit
be« SntialtS ber Urfnnbe t)eranttt)ortIic^. S)er (Seri^ti^fd^reiber
be« ribuarifc^en SRec^tS tpar fomit ein organif^eö ®Iieb be$
®eri^tg, ber be§ falifd^en SRe^teö ni^t. Unb biefer Unter*
f^ieb fatifc^en nnb ribuarifc^en ©ebrauc^ö jeigt fi(^ aud^ ^in*
ftc^tli^ ber Urfunben über rec^tlic^e ?Hte im fränfifd^en
ÄönigSgerid^t, alfo fiinfid^tlic^ ber ^lacita ber SWerotoinger
unb Karolinger.
Urfprünglicf) fal) ia^ fränlifc^e Äönigögerid^t bie äuöfer*
ttgung beig 5ßlacitum§ ebenfalls noc^ leineöioeg« afö feine
©aclie an. SSiefmel^r beri^tete in merotoingif^er 3^'* ^^^
?ßfal}graf bem föniglid^en SReferenbar unb biefer ließ burd^ bie
Äanjtei ba& ^facitum ausfertigen, toeld^eS er refognoSsierte
unb unterfiegelte.
Die Karolinger aber fat)en, loie fie eS t)on i^rem ®e*
burtSrec^t t|er lannten, bie SluSfertigung ber Urfunben über
2Hte beS föniglicfien ®eric^tS üon^ üorn^erein aud^ aU Singe*
tegen^eit beS Äönigögerid^tö felber an. Unb eö lourbe nun
104 iÄcunt«« Stapiitl
ba^ ^tacitum burc^ einen ©erid^t^f^reiber ausgefertigt, loel^er
bem ^ßfaljgrafcn unterfteüt toav, unb ber ^ßfaljgraf unterfte^
gelte boö ^ßlacitum mit bem föniglid^en Siegel, toetc^eg er
führte. ©0 in i^rer formalen 5ßroöenienj oerfd^ieben finb
bie ^{acita ber 3Kerott)inger unb Äarolinger bod^ atö öetoetg*
mittel t)or @eric^t ganj gleiti^mertig t)on Anbeginn an unb
fte^en barin ben Urfunben über rec^tlt^e Slfte im SBolfgge*
ric^t genau fo gegenüber toie bie ÄönigSurfunbe ber ^ßriüat*
urfunbc überhaupt. S)ie ÄönigSurfunbe unter fönigfid^cm
SZamen unb mit bem föniglic^en ©ieget auögeftettt, toaS, toie
bie 2)ipIomati{ le^rt, einer perfönüd^ vorgenommenen SBeglau-
tigung gleid) geachtet lourbe, tüar unanfed^tbar. Unb bie
föniglid^e ©erid^tSutfunbe; gleid^faUd mit bem {önigUd^en ©iegel
öerfel^en, unter ben üRerottjingern mit bem Äanjierfiegel, unter
ben Karolingern, toie toir oon ben S)iplomatifern erfahren,
mit bem ©iegel, meld^eö ber ^ßfaljgraf führte, ift ebenfaHS ber
©ekelte ni^t ausgefegt. Sebe ßönig§ur!unbe ift eben wa^re
öeroeiöurfunbe.
S)ie $ßrioaturfunbe aber ift fd^eübar, unb ebenfo aud^ bie
einfache ®erid^tdur{unbe , bie überhaupt bei ben ^raufen unb
anbern beutfc^en ©tdmmen in ben SRa^men ber ^ßrioat*'
urfunben ()ineinge^ört.
Unb tt)irb fie angefochten, fo tritt nic^t ettoa ein SeteeiS*
Verfahren über bie formelle S^tl^eit ber Urlunbe ein, fonbem
^ toirb bag beurlunbete 3iec^t3gefd^äft ©egcnftanb cincö fBt^
toeisoerfa^renö, toel^eS im SBefentlid^en mit ben formalen unb
tooltere^tlic^en ©etoeiSmitteln burc^gefü^rt loirb. Der öetoeiig
mufe im SSegc bei^ orbentlic^en QenQ^nbtmi^ei erbracht toerben.
Der SuquifitionSbetoeiö für ®r^ärtung ber angefochtenen Ur*
funbe tritt nur unter ben SSorauöfeßungen an ©teile be«
t)oltere^tli^en 3^wgent)erfal)reni?, unter benen er überhaupt ju*
gelaffen toirb, b. ^. loo alfo eine gartet 3nquifttionörec^t be*
fi|t unb eö geltcnb mac^t, ober wo ber mit Snquifitioni^geioalt
betraute SHic^ter bie Slntoenbung ber Snquifition für ange*
meffen f|ält. Unb ©c^riftüergleid^ung tritt nur aU ganj
fubftbiäreg Slu^funftmtttel ein , um einen Settjeiö über bie
©einrieb ©rutiticr. lOö
tffia^r^ett [ber Urfunbe ju ergöiiien, bte^^inter ben gefe^Ud^eit
erforbcmiffcn jurücfßfeibt , toeil il^rc ©r^fluitfl unmöflltc^
flctoorben , fo j. ©. im ribuarifd^en fRcc^t, wenn bcr can-
ijellarius, bcr bic Urtunbe flcfd^rtcßcn , injttJifc^cn flcftorbcn
ift. Unb tocil ber Sniialt bcr ^rtöaturtnnbe , bic wo^l ju
S3ctt)ei«ätt)cdcn aufgefegt ift, nid^t aber aU ein fctbftdnbtgc^
JBcnjci^mittcI gilt, im allgemeinen burd^ ben 3^Mgcn6etoeiS be^
orbentti^en SRc^tögangeg gegen änfcdötung ju öcrteibigen toüx,
barum beburftc fie bie S^wfl^ttw^wttung, bic »ir bei i^r immer
finben. 5)ie SfönigSurfunbe aber, bic nac^ ben Sc^ren ber
3)iptomattf fd^on t)on ben SRcrowingerjciten an bi^ tjinunter in«
jroölfte 3at)r]^unbert 3fwgcnaufffit)rung nic^t fennt, bebarf eben
ber Stn%m nic^t, meif fie für fid^ allein bollgältigei^ Sctoei«*
mittel ift.
Die S^wflC" i" ^^^ 5ßriüaturfunbe finb immer Qtn^en ber
beur!unbeten §anblung, nic^t bcr öcurlunbung. S)enn bie
fränfifd^e Urfunbe ift i^rem rec^tliclien ß^arafter nac^ ein
3cugniö fiber eine red^tli^e ^anblung, weld^e burc^ mfinblic^e
Srlldrungcn \>ox ftc^ gc^t. Unb biefc ßc^re öon ben Stn^m
gilt für beibe Arten t)on ?ßriüaturlunben , welche bie fränfifc^e
unb langobarbif^e Siedet«* unb Urfunbenfpracöe fennt, für bie
carta fotoo^t ate für bie notitia.
S)ie carta mar bie bigpofitiüe Urfunbe, b. f). fotoo^l ein
SBcmeii^mittcI für ba« üoQjogene SRc^tSgefd^äft n)ie ein @nt*
ftet|ungömitte( beö SRedötögefi^äfteö.
Siber bie $ßcrfe!tion beS JRe^tSgefc^äftS burd^ bie carta
toax nic^t ein ©fripturaft, fonbern ein ©egcbungöaft ; nitfjt bag
©^reiben, baS Stuöftcllcn bcr carta, fonbern ba§ tradere,
dare cartam, bie re^tSförmli^e Urfunbenbegebung t)on ©citen
bcö SluÄftcIIcrö an ben S)eftinatar n)ar priüatred^tlid^ baö auiS^
fc^Iaggebenbe SWoment für ben Slbi^Iufe beS 9icd^t§ge)c^äft§.
S)aö altere beutfc^e SRed^t ftellte bie Urfunbe, atö eö fie fenneu
lernte, in bie SRcil^c bcr SSertraggf^mboIc, fie empfing aber aud^
•eben, toie bie festuca fetbft, mit ber gunftion be§ ©^mbofe
iugteid^ aud^ bie gunftion beS SBcroci^mittete. ©o finben njir
i. SB. bei ber gerid^tlic^en ?lufIoffung bie rcc^töförmlid^c
106 92eunte$ ^xUl
Se{je6unfl ber SBerÄufecrung^urtunbc afö f^mbolifcftc Snöcftitur.
Unb bcr SSorgang, loic bic carta ba ?ßcrfc!ttottiSmtttcI bei^
JRec^Wflefc^äftcg unb juflictcft S^WÖ"^'^ "1^^^ ^M^^ tt)trb, nö^m
im allgcineinen fibcrl^aupt folgcnbcn Serlauf, tpcnn totr eine
Übereignung öon ©runbeigentum unö ofe Seifpiel tpd^ten.
3)ie aSertragSparteien geben bei ber Stuflaffunggl^anblunft
münblid^e ©röärung ab, toelc^e bie SSeräufeerungöurfunbc mit
größerer ober geringerer Su^fül^rlic^feit in ftdft aufnimmt.
S)iefe ©rfWrungen finb formeller SRatur unb gebrauchen \)ex^
gebraute Muöbrüde. ®er ©erföufcr ücrfpric^t eine SSeräufeerung^
urfunbe trabieren ju wollen, ^ebt ein mit S^intenfafe unb ben
2;rabition«|^mboten ©tob unb SKeffer, 2;orf unb 3^«ft
befd^toerte« Pergament oon ber @rbc auf unb rei^t biefe^ famt
ben ©Embolen bem Smpfänger bar, toobei er ben antoefenben
SRotar aufforbert, bic Urfunbe ju fd^reiben. S)anac^ toerben
bie antoefenben Stuitn jur ^anbfeftung aufgerufen, teobei
nic^t gerabe ©njeic^nung i^rer ^anbjeic^en ober gar Unter*^
f^rift il^re^ Kamenö, too^I aber SBerü^rung be« ^ßergament^
burc^ ^anbauftegung oerlangt ipurbe. Unb bann f^rieb unb
ooUjog ber 9?otar bie Urfunbe, ba^ Schreiben freilid^ in
juriftif^em @inne genommen, eö tonnte bie Urfunbe bi^ auf
bie aSoUjiel^ung fd^on t)or^er fertig gefteßt fein. — 3Wan erfennt
alfo, bafe tote mit ber aSoIIjiet)ung ber carta bie Urfunbe im
Sle^tgfinne fertig mar, fo mit ber traditio cartae bie red^t*
lic^e ©ültigfeit ber SSeräufeerung gefc^affen toar. Unb biefe
Sebcutung ber traditio cartae für ben Slbfd^Iufe be^ Siec^ti^
gefc^dftig toirb nod^ meiter barauiS erfic^ttic^, baß man nid^t
feiten eine bauernbe SSerbinbung ber festuca mit ber Urfunbe
^erfteUte, inbem bie festuca an bie Urfunbe angelangt ober
angeheftet lourbe, ober inbem man bie Urfunbe, n)ie ba« mit*
unter bei ber festuca üorfam, einanber juloarf. Uub toie für
baö JBeräufeerungögefd^äft trat biefer ©ebrauc^ be« Slbfd^Iuffe«
t)on SRcc^ti^gef^aften burd^ Urfunbenbegebung in ffonfurrenj
mit ben alt^ergebrad^ten t)oIf«red^tIic^en SBertrag«formen für bic
oerfc^iebenften 9ftec^tggefc^äftc in au^gebetittter Slnnjcnbung ein.
gür ben gatt j. 93. bafe ein Saie ein SRußungi^* ober fiei^crec^t
^cinrl^ SSrutincr. 107
an fiirc^engütern crtocrben toiH, wirb nac^ bcr Lex Ala-
mannoruin Dlothariana bic carta mit Slbfc^Iufe jcbeS an*
bcren Srtocrb^ntobu^ nottocnbtgei^. ©rforbcrniö bcig SScrtragcö.
SBenn aber bic traditio cartae fo ein toefcntlic^cÄ ®Iicb in
bcr bag SRedit^gcfd^äft giltig ntoc^enbcn ^anblung toar, fo finb
bic Saugen, todd^c unmittelbar nac^ bcr traditio jur roboratio,
manufirmatio , jur §anbfeftung ^crangejogen merbcn, 3^i^9^^
bcr ^anblung, nid^t foldjc bcr ^eurfunbung. 3^^<S"i^ ^^^
Sßeurfunbung mirb bic carta burd^ bie ©olljie^ung beig SRotar!^,
toobei ja frcilid^, tocil biefc erft nad^ bcr Übergabe bcr untooQ*
5ogenen carta unb nad^ bcr §anbfcftung gefdial^, aud^ glcic^
bic §anbfcftung unb bic Übergabe bcr carta unb fomit bit
f^mbolifd^e Snöcftitur unb bamit bic 5ßerfcftion bcg SRcc^tig*
gcfd^äftcd bejeugt, nlc^t aber umgefe^rt burd^ bic ^anbauf*»
legung bcr testes auf baö untooHjogcnc ©d^riftftücf bie
SSoUjicfjung, b. i). bic Seurfunbung bejeugt unb beriefen toirb.
Unb bamit ftimmt SlUcö übercin, toaS toir über bie Slrt
bcr ?lnfed^tung unb über baö Setoeigücrfa^ren , ba^ ©ctDciä*
tl^cma unb ben 2;cnor bcig Q^n^meib^S bei Sr^ärtung ber
carta erfahren. 6S gilt immer bem 3n^alt ber mit bcr carta
bcjcugten §anblung. ©aöfclbe gilt erft red^t öon ber notitia.
SlIS fd|lic^tc SBctociöurfunbc unb nur ju SSctociÄätocdfen auf*
gefegt, fei ei^ alö ein 3c"fl"i^ "^^^ gcrid^tlid^c §anblungen,
fei es; aud^ über fold^c au^crgcrid^tlic^c ^anblungcn, toelc^e
nic^t burd^ ^Begebung einer carta abgcfd^Ioffen tonrben unb
bcnnod^ bic SBcurfunbung afö toünfc^cnigtocrt erfd^einen liefecn,
öerjeidönct [ie bic 3^"9^" ^^^^ ^^^ ""^ öIö praesentes bei
bcr ^anblung. — ©o fte^t t^ alfo ^infid^tlidi ber 3^"9C^ *«
ben fränfifcftcn ^ßriüaturf unben , tt)ic t^, natf) ben gorfc^ungen
ber S)i^)Iomatif , für bie nad^fränlifd^en beutfdE)en ^riüaturlun*
ben ber gaU ift.
Unb baig lonntc aud^ nid|t anber« fein, benn bie fränfifd^e
ift bie ©runblagc ber beutfd^en ^ßriöaturlunbc getoefen.
greilid^ mufe man ba gleid^ anmerfen , bafe bie "ißriöat*
. urfunbc ber bcutfd^en Äaiferjeit fid^ nid^t fotool}! an^ ber
carta, afö toielmc^r auö ber notitia cntttjidtelt f)at
108 !»euttte« Äapitel.
2)ie carta in i^rcr formellen Sh)mpltjtertf)eit al§ ^er*
feftion«mitteI be^ aJe^t^gefc^dfteg unb otö SSetoei^mittel für
feine ®t(tigfett unb in i^rer Soppetbebeutung afö SSertragd-
f^mbol unb ate 3^W9"i^ ö^er bte Übergabe biefe^ ©^mbofe
(b. f). ber carta felbft) toax bei ben ©ermanen in Stoßen unb
©adien, bei Sangoborben, 9Beftgoten, SBurgunber bod^ eben
nur unter ben fräftigen ©intoirfungen be^ römifd^en 9iec^töleben§
in aufnähme gefommen. Unb bei ben beutfd^en ©tämmen ber
SBoiern, SHamannen unb gtanlen finb ei^ bie über bai^ neue
^Imtöxeä^t, n)elc^ed ben hergebrachten SRec^tSgang ber $oIfö«
rechte umbilbete, ^inauöge^enben ejjeptionellen red^tlid^en ©in-
toirfungen ber ftarfen Jtönigögenjalt, toeld^e bie Slntoenbung ber
carta jum @rfa|j ber wadia herbeiführen, ja fogar für einjelne
JRec^ti^efc^äfte erstoingen.
2)ttt bem SSerfaH beö fronfifd^en Äonigtum^ trat barum
ganj notürlid^ ein SRücfgang in ber Slntoenbung ber carta ein,
man griff ba toieber mefjr ju ben alten öolföred^tlid^en SSep
traggformen , mit benen bie carta unter bem bireften 3mpufö
t)on ©eiten ber fönigtid^en ®efefegcbung fonlurriert Iiatte.
Unb ein jtoeited trat ^inju, um bie Urfunbenbegebung,
b. f). bie Slntoenbung ber carta im 9fted)t8gebrauc^ in SSerfaH
JU bringen. S)ie projeffuale 93et)anblung jur @rl)ärtung einer
angefod^tenen carta toar eine fe^r umftonblic^e. 3Benn bie im
©eric^t probujierte carta t)om ®egner gefcftolten toarb, ^attc
beifpiefötoeife nad^ ribuarifd^em SRed^t ber ©d^reiber ber Ur*
lunbe ben Urfunbf^jeugen bie 9Ba^rt)eit bed Sn^alteiS ju
beftätigen. ©rflärt ber ®egner gar in feierlid^er ©dielte
unter Sfutoenbung ber perforatio, ba6 bie Urfunbenfd^reiber
unb bie 3^"9^" gelogen l^aben , fo toirb ber 3n^alt biefer
©d^eltungöflage bann ©egenftanb be« Seroeigoerfal^ren«. Unb
nun befc^toören bie Urfunbjeugen unb ber cancellarius, ber
Urfunbenfd^reiber, mit ebenfooiel ßibe^^elfern, ate Urlunbj^eugen
öermerft finb, bie SBa^r^eit ber fo gefd^oltenen Urfunbe. S)er
ftläger aber toermag bem cancellarius ben ®ib burd^ ^eraug*
forberuttg jum 3^^ifömpf ju Verlegen. Unb je nac^bem burd^
@ib ober 3^citömpf ber Setoeiö ber SBa^r^eit für bie carta
^eintici Sörunncr. 109
crbrad^t ober mlfelungcn ift, fo tritt bann Sufecja^Iunfl t)on
©eitcn beS Älägerö an S^UQ^n unb ©d)tei6cr ober umgcfc^rt
ein. Sin ©teile biefeö SScrfa^renö fonnte in getoiffen gäOen,
tt)ie ttJtr fc^on fogten, ein Snquifitionööerfa^ren eintreten, toobei
bann aüerbingö bie ?ßrot)ofation auf 3^^öömpf ougflefdötoffen
»ar , aber eö ttjaren bie§ nur flenjiffe gäDe , in befd^ränfter
Qai)l unb aud^ bieö SSerfa^ren nic^t frei öon Umftänblic^Iett.
äSieber ettooö anbereö ift bni^ ©erfahren , toenn bec cancel-
larius, ber bie Urfunbe gefd&rieben , injmifd^en öerftorben ift.
S)a ntufe fid^ ber ?ßrobujent ber ongefod^tenen carta brei
anberen Urfunben, bie berfelbe ©c^reiber gefi^rieben, befd^affen,
unb fann er biefc bem ®eridE)t üorlegen, fo tt)irb er jum @ib
für ben SBa^r^eitöbemeiS jugelaffcn, ntu§ aber mit ebenfooiel
©ibeö^elfern befc^toören, atö ber cancellarius nötig gehabt
t)ätte. Unb neben if)m befd^ttjören bie S^"9^^- ®^ if* ^^f^
immer bie^ ©rprtunfl^oerfa^ren bei Slnfed^tung einer carta ein
umftänblidEie^, oermidelteS unb fd^ioierige^. —
0iun fonnte freiließ bie notitia aud^ angefochten toerben,
unb fie fonnte ebenfalls einfache unb feierlidie ©ekelte erleiben.
Unb eö ift bann aud^ baigfelbe ober bo(^ ein äfjnlid^ei^ um*
ftänblic^eS SSerfa^ren für bie ©r^örtung eingetreten. ?lber
baneben mactjte fid^ jtoiftf)en ber projeffualifc^en SBefjanblung
ber carta unb berjenigen ber notitia in einer ®eäie^ung ein
gettjid^tiger Unterfc^ieb geltenb. ®ei ber carta toar bie Über*
gäbe ba^ toefentlitf)e ©rforberniö für i^re redE)tIic^e SBBirfung,
bei ber notitia bilbet bie ^Begebung fein 3Werfmal ifirer
©iftigfeit.
Sei ber carta l^ing bie ©iltigfeit beö beurfunbeten SBer*
traget oon ber carta felbft ab, bei ber notitia nic^t. Sei ber
carta tt)ar bie burd^ fie bejeugte §anblung eben burd^ bie
carta red|t^beftänbtg, bei ber notitia ift bie §anblung, bie fie
bejeugt, felbftänbig giltig. —
Unb batier fonnte bie ^Partei, meldte bie notitia probujierte,
toenn biefe angef ödsten mürbe, ben Semei^ be^ SBertragö, beö
3ted|tiggefc^äftö überhaupt unabl^ängig oon ber notitia burd^
bie Saugen, bie ba oerjeic^net toaren ober burdE) anbere 3^W9^"
110 Sf^cuntc« Äapitcl.
ober burd^ einen S^cil bcr bort genonntcn mit anbern Qtix^m
erbringen. 2)ie ^Partei lonntc fofort bei ©d^eltung i^rer notitia
ha^ öertoicfelte SSerfa^ren beö ©r^ärtungSbenjeifeö für i^re
Urfunbc bei ©eite fc^ieben unb auf ben einfad^en S^^ugenbemei^
iurüdgreifen. 2Kotf)te bie notitia boc^ angefochten »erben,
toenn ber S33a^rl)eitöberoeiö für ba^ ba beurfunbete 8ted)tö*
gefdiäft auf bem 3Begc bcö 8e\xQ^r[\)ex^af)xtn§ beö SSoItere^tö
erbrad|t ttjar, fo toar ber Qto^d ber notitia bod| erreicht.
Slnberö loar bie ©ad^e bei ber Slnfed^tung ber carta. §ier
liefeen fic^ SSertrog unb Urtunbc nic^t ifolieren, jener ftanb unb
fiel mit biefer, immer mufete bie SBa^r^eit beg Sn^alt^ ber
carta unb i^re Begebung ermicfen merben, immer alfo mufete
im ^ßrojefe, loo fie eine SioQe fpieltc, bai§ umftänblid^e
®r^ärtung§oerfa^ren eintreten. Unb biefer Umftanb ber
©d^mierigteit beig projeffualifc^en SSerfo^renS bei ber carta unb
bie Seic^tigteit ber Sßereinfad^ung ber projeffuatifd^en ©e^anb*
lung ber notitia, bog i)at — neben bem Siücfgang ber fön ig*
lid^en Ginmirfung ouf baö beutfd^e SRedjt^Ieben — öornc^müd^
bie carta üerbröngt unb bie notitia jur ®runb(age ber
©nttoicfelung unb gerid^tlii^en S3ef)anblung ber beutfd^en
^rioaturfunbe gemacht. SD?an ^at fid^ in nac^fräntiftf)er 3^^*/
toie bie S)iplomotif e^ ja erfannt f)atf meiftenö ouf einfad^en
^eugenbemeiig be§ beurfunbeten SSertrageö befd&ränft unb man
l)at, ttjie eg ebenfalls bie S^iplomatifer beöbad^ten, meiter bie
^rioaturfunbe burd^ unbeglaubigte 2l!te erfegt. Unb beibe^
Inüpfte an bie öon ber notitia unabhängige 3iedE)t^beftänbigfeit
bcö SSertrageg an. —
©ooiel auö ben äJcfultateu ber Slrbeiten SBrunner^ öon
1865 bi« 1877 über bie 9f{ec^tggcf^ic^te ber fränli[^en Urfunbe.
ß^aratter unb Sebeutung ber fränfifd^en Urfunbe nac^ ber
Tedjtlic^en ©eite Ijin maren alfo nun erfannt, unb 9?ed^tg=
flefc^ic^te unb S)iplomatif begrüßten glctd^jeitig unb gleichmäßig
banfbar biefe jba^nbred^enben (Srgebniffe. gidfer j. 55. fdE)rieb
feine Urtunbenlet)re — toir loerben baöon noc^ auöfü^rlicf)er
in fprec^en tiabcn — geftügt auf biefe gorfd^ungen SBrunnerig,
beren legte SRitteitungen iljm freilid^ erft toälirenb ber 3)rudt*
©einrieb Stwnitcr. 111
leflutifl feinet SBerfc^ jugtnflen. — SRtc^t ganj fo bcfriebtgt
t)ön bicfen gorfd^imgen loie SRed^tSmtffenfd^aft unb S)tpIoinatif
im aHacmcincn toax aber Srunncr fclbfi. 6r fjattc immer
jd^on toä^rcnb btefcr Slrbeiten ba^ öcioufetfein gehabt, mand^c
grage ntc^t fo fc^arf obfc^liefecnb erörtern ju lönncn, wie es; i^m
nötig crfc^ien. ©ne fc^arffinnige, t)on i^m gleich jeitig abgefd^Ioffene
Unterfuc^ung über ein frembei^, ganj anbereö Urfunbengebiet,
bad angelfäc^fifc^e namlii^, belend)tete mit i^ren [o auffodenbe
^btoeid^ungen jeigenben ©rgebniffen me^r nod^, für feine ftn*
fic^t, gerabe bie Siidfen feiner 9Jefu(tate, al§ bofe fie bie faft gonj
erbeuten ?ßun!te feiner fränÜfc^en Urfunbenforfd^ung nocti me^r
erbeut ^ätte. 6« fehlte eben noc^ ganj bie biptomatifc^c
Setianbtung ber fränfifc^en ^ßriöaturfunbe. Unb eö fehlte an
einer red^t^^iftorifc^en öergleic^enben öe^nMung ber germani*
fc^en unb römiftf)en b. i. in biefem gaöe ber italifd^en Urfunbe.
3u le^terer Slrbeit entfd^lofe fitf)^ bann ®runner felbft *),
Mnb inbem er fie leiftete, fd^uf er au^ bie Söfung ber anbercn
nod^ offenen g^age^ bie S)iplomati! ber fränfifc^en ?ßrit)aturfnnbe,
Slud^ für bie SJed^tiSgefd^id^te ber römifdien Urfunbe loar
notf) fo jiemlid^ aileg erft felbft ju erforfd^en. ?tber ber gludf*
lic^e Urfunbenfunb in ?ßompeji t)on 1875, too man im §aufe
be^ S. ©äciliuiS Sucunbuö 127 Duittung^tafeln gefunben, bie
iann be^ßctra unb SWommfen fdEincü ber gorfd^ung jugänglid^
gemad^t Ratten, too atfo 127 römifd^e Urtunben, in i^rer SKaffe
<iug ber 3^it SWeroö, eine unertoartete ^Bereicherung beö 9Ka*
ieriafe folc^er gorfd^ung über baö römifdje Urfunbenioefen bar*
ioten, gab Sluöfid^t auf refultatöoHe Slrbeit für bie ältere
tömifd^e Urfunbe. Unb bie 1879 erfolgte SSeröffenttic^ung öon
€atinoS Regesto di Farfa burd| ®eorgi unb ®aljani bot mit
bem erftaunlic^ groj^en Urfunbenfc^ag biefe^ projefefütfitigen
Älofterö in ber ©abina ein reid^eö neuei^ SKateriat für bie
Äenntni§ ber italifc^en Urfunbe beg 8. big 12. 3a^r^unbertS.
Unb t)on biefem 3Waterial auö ging SBrunner an bie SSertiefung
*) ^einricft SBmnncr: 3ur Slcti^tÄgefti^ic^te ber 9lömifc6eti unb ®er»
ananiWcn Urfunbe. 1. Seif. 1880.
112 ^tunM ßapiteL
itnb Srioetterung fetner bi^^ertgen @tubten aber bte Urfunbett
ofe SJec^töquelle imb fcftrieb barauf feine SJed^tiSgefc^icI^te ber
römifc^en unb flermanifc^en Urfunbe öon bem STnbeginn unferer
ßciteed^nunfl big hinunter gum 12. Sa^r^unbert. Unb biefe
©efd^id^te ber Urtunbe öon ber rßmtfcl^en fd^Iic^ten ä^i^flc^*
urtunbe unb htm römtfd^en Stjtrograp^um jur fpätrbmifdjen
epistola inter praesentes unb toeiier ju ber raüennotifd)«
römifc^cn unb ju ber langobarbifd^^tuigfifc^en carta be« 6. unb
ber fpätcren 3a^r^unberte unb banad^ bte ©arfteöunß i^rcr
re^tlic^cn gunftionen — tote nämlic^ bic epistola inter prae-
sentes bi^pofitiue Urfunbe tourbe, toie ber UrfunbungSaft ju
einer neuen SSertragcform tourbe, wie bie Urlunbe bie formalen
(Elemente ber übrigen obligatorifd^en unb binglic^en SSertrogiS''
formen in fid^ auffog, mic bic ©tipulatio in ben Urfunbungä*
aft aufging, ttjic bic pcrfönlic^c Übergabe ber mit ber ©tipu«
tationd!(aufeI t)erfe^encn Urfunbe ali^ Stipulation galt, mie bei
ben ©ermanen fid^ ein ä^nlic^cr ^ßrojcfe bejüglid} ber wadia
ergab unb bic Urfunbe afö (Srfagmittcl ber wadia galt, oor SHIem
aber, bafe bei ber römifcf)*raoennatifc^en toie bei ber lango*
barbifc^^tui^fifdien carta bie traditio cartae au§ ber ^anb be^
91u§fteIIerö in bic bci§ S)cftinatar§ bic ?ßerfeftion be^ SSer*
trogeö bebingte — biefe ©cfd^ie^tc ber italifc^cn Urfunbe ate
aic^t^quellc ergab bann aUerbing«; aud| für bic fränfifd^c Ur*
funbe bic ©runblagc beö gefud^ten tieferen, beö abfd&Iiefecnben
Sffiiffcnd.
9iun fonntc ©runner ei8 lehren, toie bie ©ermanen jur
3eit ber SSolf^red^tc aui8 bem römifd^cn 9Sulgarrecf|t , toclc^c«
bie Urfunbe alö SRcpräfentantin bcÄ in if)r öerfcfiriebenen fRcä)i^
anfa^, auc^ ben ©ebrauc^ ber Urfunbcnbegcbung fennen lernten
unb annafimen. @r üermodötc nun ben Unterfc^ieb öon carta
unb notitia, ber im ted^nifd^en ©inne afö biöpofitiöc unb aU
fc^lid^te ®etoetgurfunbc t)on it|m fc^on nae^ fränfifd^cn gormein
ritf)tig erfannt toar, auc^ fai^lic^ nod| fe^ärfer ba^in ju um*
fd^reiben, bal3 bic notitia immer einen gormalaft befunbet, ber
an fie^ red^t^beftänbig ift unb nur ju 83etociöjtoecfen beurfunbet
toirb, bafe bie carta mit berartigen gormalaften aber nic^tö ju
I^einri* ©riinncr. 113
tl^utt f^at unb l^öd^ften« accefforifc^e gormoKtätcn bcö Urfun^'
bungi^aftcö beiirfunbet. @ig lonnte Srunner ferner nun na6)^
weifen, bafe ber SJuali^nrn^ ber carta unb notitia ntd|t auf
ÜberetgnungSflefd&öfte üon Stegenfd^aften befd&ränit toar; jügletc^
aber getoann er jegt aud^ bie boQe ^lar^ett über ben iBorgang
ber Übereignung t)on ©runbeigentum im frSnüfc^en Siecht in
feiner gefct|icitlict|en ©nttoidlung öon ber realen unb f^mboli^
fd^en 3nt)eftttur jur SSerbinbung mit ber romifc^*t)uIgarred)tKc^ett
traditio cartae unb toeiterl^in jur einfad^en Übergabe ber SSer^
äufeerungöurlunbe allein afö einjige ÜbereignungSförmlid^feit.
Unb mit erujeitertem ®ett)ei8material erl^ärtete Srunner babei
auf« SRcue feine Seigre t)on ber 3«Wff*9fctt ber Übereignung
t>on ©ruttbftüdfen mittel« Urfunbe nad| fränfifd^em Siecht; unb
er öerftärfte ebenfo mit neuen Sßeloeifen feine Se^auptung, bafe
bie juriftifd^ mafegebenbe traditio cartae au« ber $anb be«
9Iu«fteQer« al« traditio ber unüoUjogenen, üom SRotar gefd^rie*
benen carta in bie §anb be« ©eftinatär« erfolgte.
Srunner erlannte nun auc^ bie jtoei SIrten ber fränüfd^en
notitia, bie t)om ©eftinatär felbft unb bie öon feinem SSertrag««
gegner au«gefteUte notitia in i^ren formellen Unterfc^ieben,
unb er öermod^te e« fd^arf ju ertoeifen, bafe man t)on einer
fränfifd^en ®eridöt«urfunbe im eigentlid^en ©inne barum ntd^t
fpred^en barf, ttjeil e« feine t)on einem frflnfifd^en SSoffögerid^t,
b. f). auf feinen Scfebl auögeftellte Urlunbe gibt. SBo^f gab
e« cartae unb notitiae, bie t)or ©erid^t auögeftellt unb Dom
®erid^t«fc^reiber gefd^rieben waren, nSmlitf^ cartae über Siecht«*
gefd^fifte , toele^e t)or ®erid^t begeben mürben — biefc cartae
fd^eiben atfo au« ber ?lrt ber ®eridE)t«urIunben t)on felbft au«
— unb notitiae über gerid|tfid^e Urteile ober projeffuale §anb*
lungen ; immer aber toar e« ©ad^e ber obfiegenben Partei, fic^
bie notitia ju befd^affen. Unb mie für bie fränfifd^e Urfunbe,
fo t)ermo(^te Sßrunner ^ier auc^ für bie .rl)ätifd^e, bie alaman-
nifd^e unb bie ba^erifd^e Urfunbe ia^ SBefentlitfie über formelle
SWerfmale unb ben rechtlichen @t)arafter feftjufteüen. ©o aber
tourbe Srunner« 3ied^t«gefd^icöte ber römifc^en unb germani*
fd^en Urfunbe mirf lief} bie abfd^Iiefeenbe Srgänjung 5U jenen
^iftini\^t Oiaiiot^el. »b. lY. 8
114 92eunted Stopxitl
feinen ©tubten über bie getmanifdie Urfunbe, beten Stefuhate
tt)ir im ^em oben fc^on erjö^tt l^aben.
Unb biefe feine Hauptarbeit über bie Urfunbe aU SRed^tö-
queQe brad^te jugleic^ bie 2)i))Iomatif ber römifc^en unb Qtx^
manifc^en Urfunbe. ^uf ben formellen äJ2erfmaIen ber alt- unb
neurömifc^en, ber beneoentanifi^en unb lombarbifc^ « tu^fifd^en,
ber r^ötijctien, olamannifc^en , ba^erifd^en unb fränfifd^en Ur*
tunbenarten fugt ^ier bie ®efct)id)te ber Urtunbe. 93on ben
formellen SKerfmoIen au^ erfennt SBrunner bie Urfunbenarten.
SSon ber ®efd&ic^te beig einjelnen SRerlmate, feinem ?luffommen,
feiner Slbtoanblung unb feinem SSerfc^toinben ergrünbet er bie
JBcbeutung ber einjelnen gormet unb beö einjelnen 3^^^^^^^-
Unb t)on ber ©etrad&tung ber fo erforfc^ten SRerlmale in i^rer
©efamt^eit ge^t S3runner ju feinen Folgerungen über ben
rechtlichen ffi^aralter ber einjelnen, nadö i^rer territorialen
®eltung unb if)rer gorm oerfc^iebenen Urfunbenarten über.
Unb biefe bip(omatifc^e Soi^)d^ung SrunneriS loar eine oor^
jügßc^e biplomatifd^e Seiftung. üRan barf, o^ne fid^ in ©njel«
leiten ju oerüeren, ben Äenner öon örunnerö SJuc^ ja nur
an bie 93e^anblung ber SBoUjie^ungiSformeln ber neurömifd^en
unb ber tombarbifd^en Urfunbe, an bie Erörterung über bad
»post traditam« in benfelben Urfunbenarten unb an bie ®e*
fc^id^te ber formet »stipulatione subnixa« erinnern, um auc^
gteid^ bie SSorjüglicöfeit biefer Unterfuc^ung nad^ i^rer biplo*
matifd^en ©eite ^in ju belegen. (&^ gehören biefe biplomatifc^cn
Erörterungen eben ju ben fd^arfftnnigften Beobachtungen, loetc^e
bie junge Urfunbenwiffenfc^aft bisher aufjutoeifen ^at. ©o
tt>urbe bann aud^ biefe 9ied^ti^gefd^td^te ber römifc^en unb
germanifc^en Urfunbe gleid^ ein boppelter Beleg für bie 9Sor*
trefflid^feit ber bipfomatifc^en ©igjiplin, eö befam bie Qan^v
läffigfeit ifjrer SKet^obe einen neuen Beleg, unb e« tag jugletc^
ein glänjenber ©etoeiö oor, meiere SRefuttate folc^e SHet^oDe
in ber richtigen ^anb jeitigen fonnten. S)ie eigentlictie göröerung
ber neuen SBiffenfc^aft ber S)iplomatif burc^ Brunncr« Sdjrift
lag aber me^r nod^ ate in i^rer Slnlage in i^ren (Srgebntffen.
Unb ba nac^ ber ©eite ^in fic^ Brunnen^ SRec^tiggefc^id^tc ber
©einriß örutttter. 115
Urfunbe mit fernen früheren arbeiten ju cmcr eht^eitlic^ett
Seiftuiifl jufammcnf erliefet, tooDcn »ir bicfe gragc nac^ her
IBcbeutung biefer arbeiten für bie Siplomatif and) im Qu^
fammen^ange betroclten.
e« [inb junäc^ft ©njel^eiten , burc^ toelc^c SBrunncr baß
Biffen ber S)ipfomatif bereicherte. SSSir berid^teten fc^on oben,
tpie Srunner t^ erflSrte, toarum bie Äarolinger in ber SBer*
tet(ung ber JCanjIeigefc^äfte Don ben äReromingern abgetoic^en
finb unb bie «uSfertigung ber 5ßtacita, ber löniglid^en ©eric^tö^
iirfunben, bem Äonjler genommen unb bem ^faljgrafen jugetoiefcn
l^aben. Unb bamit mürbe nun enblic^ bie fo räifet^afte ©c^Iufe*
formel ber meromingtfc^en ^lacita über baö testimonium
<}omitis palatii erKärt unb jugleie^ i^r Sluf^ören in ben faro*
lingifc^en ©eric^ti^urfunben oerftänbti^. 3>em meromingifc^en
9ieferenbar gegenüber mufete ber ^faljgraf amtlich S^H^i^ ^^^
bie SSer^anblung abgeben, bamit jener ha^ ^lacitum ausfertigen
fonnte, unb barum mürbe auc^ fein 3^us^i^ aui^brücEli^ in
ben Äontegt ber bann in ber ffianglei audgeftellten Urfunbe
aufgenommen. 3)ieS 3^wgniS fiel aber natürlid^ fort, al» bie
Äaroßnger ifjre ©eric^töurfunben burd^ ben ^faljgrafen felbft
ouSfertigen Hegen, unb bamit fdimanb auc^ bie bejügiic^e
Urlunbenformel. gerner belam bai§ »datum« in ber Datierung
fränftfcber Urfunben mit bem 9}ac^meid bed SBegebungSafte^
<xU beg red^tlic^ releoantcn 3<^itpwnfteS bei bem Slbfc^Iufe bc^
Sled^tj^gefc^äfti^ buri^ carta eine neue Sejie^ung, eben auf ben
aWoment ber Übergabe ber carta oon bem äu^fteHer an ben
3)eftinatär. Unb aud^ ber Urfprung ber red^tlic^en gunftion
htx ^önigSurlunbe ali^ perfijierenbe Urfunbe empfing nun neue
93eteuc^tung unb bamit erhielt ber bip(omatifc^ fo n^ic^tige
Unterfd^ieb jmifc^en ^anblung unb Seurfunbung eine toeitere ^J3e^
leud^tung. 3BeiI aber bei ben granfen unb ben ?lfamannen unb
SSoiern mie auc^ ben Sangobarben bie Investitura per cartam
aOgemein gcbräud^Ucb mar, fo ^aben bie fränfifdjen mie bie
beutfc^en Könige auc^ eine Investitura per praeceptum regis,
due §luflaffung burd^ eigenhändige Übergabe ber Urfunbe in
Äntoenbung gebradjt. Unb biefe Investitura per praeceptum
8*
116 dttnriM Stapiitl
regis, bic fomtt ate eine fpcjicHc Slnwenbunfl bcr Investitura
per cartam crfi^cmt, war bann alfo eben ein gomtalalt, beu
bad praeceptum ntd^t nennt, ganj ttJie bie fränlifd^e carta
ben irobition^aft an ben ©cftinatär nid^t befonber^ ^ert)or*
^cbt. S)ie ftfiarfen Seobad^tungen gicferö über bie t)on ber
Seurfunbung ju fc^eibenbe ^anblung gemannen bamit nun nod^
feftere JBegrünbung. —
SBir l^oben ferner oben bereite berichten fonnen, wie
Srunner eg erflärt, toarum bie fränfifd^e unb bie ältere beutfc^e
fiönigÄurfunbe ber QtiXQtn entbel^rt, bie ^ßrioaturfunbe [ie aber
aufweift. S)ie ÄönigÄurfunbe ift unfd^eltbar, fo jeigte eg Sßrunner^ '
barum bebarf fie leine Saugen, bie frfinfifc^e unb beutfd^e ^riöat*
ur!unbe ift fe^eltbar unb il^r Sied^t^in^alt mufe bei Urhinbfc^ette
im QtVLQtwex^ai^xtn beS orbentfic^en SRed|tggange§ erl^ärtet
werben, barum gcbraud^t fie bie 3c«gcnnenuung. SBir fjaben
ferner fcfton oben mitgeteilt, wie Srunner ben SRac^weiö liefert,
baft unb warum bie fronltfc^e notitia bie ©runblqge ber
beutfd^en ^ritoaturfunbe geworben ift. Unb 8eibe8 jufammen^
biefc S8[ugfü^rung ober bie ©efc^ic^te ber notitia unb jene über
bic SBebcutung Der QevL^^n in bcr ^ßriöaturfunbc bilbetcn bonn
mit bcm öcWciiS, bafe bic QtUQtn in ber carta wie in ber
notitia immer nur ©anblungigjeugcn , nie Seurfunbung^jeugen
gewefen, jufammcn eine Erweiterung ber S)ipIomati!, bie gerabeju
eine Südfc in i^rem SBiffen auffüllte. @« ift jo eineig ber
•fd^arffinnigften fiapitel bcr überall fo fd^ar ff innig aufgebauten
Urfunbcnle^re giderö jeneö, wo er im Slnfd^Iufe unb für ba^
Sliema über §anbtung unb Scurfunbung oon ben Stu^tn
t>anbclt. ©inb t^ ^anblunggjeugen ? ©inb eö Seurfunbung^*
jeugen? ©inb fie beibe^ juglcid^? DDcr besiegen fic^ biefc auf
bic ^anblung, jene auf bie öeurfunbung? SSic ift eg mit i^rcr
SBcjic^ung jur Datierung? ©inb t^ mellcic^t 3"ft'"^w^wng^*
jeugen? ©o tauten bie gragen, bie gidfer ba aufwirft. Unb
um bie ?IntWort ju finben, öerfd^affte er fic^ erft eine Über*
fid^t über ba^ SSorfommen ber 3^"9^J^ in mittelattcrlid^cn Ur--
funben überliaupt, merfte baö gefjlen ber Stn^m i» ben
'älteren Äonigöurfunben , i^r SSorfommen in ben älteren Ur*
^einrici SBrunitcr. 117
funben uon ^ßrioatcn, JBifdjöfcn, ^crjogcn, bann toicbcr bai^
SSorfommcn öon S^wflC" ^^ ^^" fp&tercn Äönig^urfunbcn an unb
erörterte, bofe in ber fpätercn 3^* Sifd^öfe t^re Urfunbcn
o^ne 3^U9^" au^fteQen, unb bag bie ^ribaturfunbe im all>
gemeinen jum unbeglau&igten 'ätt l^erabfinft. ©d^on biefed
Äapitel ift nie^t frei öon cinjelnen Südfen. S)ann fud^te gider
für biefe SBanbelung ber ^^wflc^öuffüfiruttg in ben Urfunben
bie ©rflärung, unb er ftu^te fic^ babei fc^on auf Sörunnerd
Strbeiten bi^ 1873 (©d^tourgeric^te unb ®erid^tgjeugnig). «ber
cüe^, mad er baräber brad^te, blieb fc^Iieglic^ bod^ unbefriebigenb
unb blieb c^ tro| einer gülle eigener SBeobactjtungen bed^alb,
tüeil ber Unterschieb öon carta unb notitia no(^ ni^t erlannt
unb bie Sejie^ung ber S^W^ ^" ^^^ ^^^^ öuf bie red^tlid^
releöante Begebung an ben ©mpfänger unb bie ber QtUQm in
ber notitia auf ben barin beurfunbeten an fid^ red^tdbeftänbigen
gormalaft noc^ nic^t nac^getoiefen loar. 9iun aber, mit bicfen
€ntberfungen örunnerig über bie ?lrten ber frönfif^en ?ßriüat*
urfunbe, il)re formellen aWcrfmale unb i^re red^tlic^en guuftionenr
runben fid^ gidfer« 3lui^füt(rungen über bie 3^"fl^w ^^ ^^^
beutfc^en Urlunben ju einem lüdenlofen Äreii§ öoH bele^renbcr
^injel^eiten in innerem 3ufammen]^ange ab.
Überl^aupt aber gewann bie S)ipIomatif i^re gröfete
görberung öon SBrunner§ arbeiten burc^ bie ©efamt^eit feiner
iRefuItate über bie römifc^e unb germanifc^e Urfunbe, infofern
itun erft baö SBefen biefer Urfunbe erfc^Ioffen lourbe.
aWit biefer Äenntni« öom SBefen uub öon ber Sebeutung
ier römifc^en unb germanifc^en Urfunbe empfing bie S)ipIomatiI
eben bie eigentüc^ften ©runblagcn i^rer eigenen ?lrbett. —
©0 aber toar benn in bem furjen S^i^raum bon jioei
Sa^rje^nten bie SBiffenfd^aft ber S)iplomatif nid^t bloft neu
tnd 2tbm gerufen unb auf einer ald üorjügtid^ fid^ betoä^renben,
tefonberen üKet^obe öoübered^tigt neben bie anberen S)iigjiplinen
ber fritifd^en ®efc^id^tgmiffenfdE)aft gefteHt, fonbern fie f)attt
<iuc^ bereite Ijiftorifd^ uub juriftifc^ il^r ?lrbeitögebict in feinem
innerften SBefen ergrünbet unb umgrenjt. S)ie SRcufc^ßpfung
118 Scl&tite« Stopiitl
ber Süplomotif afö SBiffcnfc^aft toax jcgt im So^tc 1880, jtoci«^
^uttbert So^rc md) bcm ©rfd^einen Don 9J?abiBoii8 »De re
diplomatica libri VI«, fertig.
10.
S)ie S>ipIoniQtif ate SBiffenfc^oft, fo l^abcn ttjir eiS ic]tf)m^
toax alfo einft t)on SKabiUon in einem Qextaliex «niöerfaler toiffcn«
ftf)Qftlid^er Siid^tungen, bie für i^re (Srgebniffe immer gleich
§lflgemeingiltigfeit beanfprud^ten, gefd^affen. Unb bie Slllgemein^
giltigfeit ber t)on il^m gefunberten SRcgeln tonrbe barum aud^
Qte bie SBorbebingnng feiner ttjiffenfd^aftlid^en S)o!trin me^r
noc^ t)on feinen S^^^fl^i^offen geforbert unb je naä) i^rem
©tonbpunft 6e{)auptet unb befämpft, afö ha% fie gerabe toon
il^m felbft im ganjen Umfange beanfpruc^t toäre. S)ann fam
ba« Sal^rtjunbert ber njiffenfd^aftlid^en ©^fteme unb neben
granlreic^ trat ^ier ©eutfd^Ianb in bie ©d^ranfen, unb eS fam
im Aufbau bei^ ©^ftemö biplomatifd^er SSiffenfd^aft über bie
Seiftungen ber SRauriner fjinauö, bie i^rerfeit« in unterbrochener
?trbeit aüeö jufammentrugen , toag ba^ Qextalitx an biplo»
matifd^en ftenntniffen befafe unb ermarb unb barauf il^r atö
©Aftern berfel^Iteö, aber in ber güQe beö ©toffiS bettjunberungö*
ttjürbigeö neueö» Se^rgebäube allgemeiner S)ipIomatif errid^tcten.
S)ana(^ erfolgte bie grofee Umtoäljung ber europäifd^en 3^Jft5nl>^
bie ebenfo eine fold&e für baiS (Seifte^leben tourbe, toie fie e^
für bie pülitifd^e ©eftaltung ttjar. 3n S)eutfd^Ianb aber ttjurbe
inmitten biefer unget)eueren SBirren unb (Srfd^ütterungen , bie
ben Untergang beö alten ?Rei(^eig unb ben 3"fömmenfturj ber
preufeifdien SWonard^ie begleiteten, bie Iritiftf)e ©efd^id^tfd^reibuna
geboren. —
©iefe neue totffenfd)aftlic^e Siid^tung nun ^atte für biplo*
matifd^e ©^fteme fein SSerftänbniig , biefe unb bamit bie
©iplomatif felbft gerieten in SSergeffen^eit. Unb afö bann
bie neue fritifd&e 9iid^tung bor in 35eutftf)lanb neu erttjad^ten
gorfd^ung über bie öaterlänbifd^e SBergangenf|cit bieSBege toie« unJ>
fie auf biefen fo fe^r glüdEltct} leitete, unb aU biefe toaterlanbifc^e
mdbüd unb ^ii«6licl. 119
gorfd^unfl metter aud| bie alten 2)iptomc mit ^ingebenbftcm
föifer in i^rcn verborgenen äJu^eftötten auffud)te, fie an^ %a%^»
lid^t 30g nnb ftubierte, onc^ bo moQte man Don einer biplo^^
mattfd^en Se^anblung biefeS neu cntbedEten, immer erftaunlie^cr
onmad^fenben , immer mertt)ofler erfd^einenben DueQenmateriate
ber Urfunben nid&t^ mel^r miffen. Uiib fo blieb eö 3)ejennien
long in 35eutfci^Ianb; ein ^albeS 3a^r^unbert t)inburc^ mar bie
SBiffenfd^aft ber S)ipIomatif ^ier mie üerfd^oHen. Snjmifcfien
t)atte biefe ©iöjiplin in granfrctc^ anbere 3Bege jurüdfgelegt.
^Inä) l)ter ^atte bie SJeboIution bie gäben ruhiger unb Ion*
ftanter SnttoidEelung jerriffen, unb muffelig mar eö erft aH«
mät)Iid^ gelungen, ftc mieber jufommenju!nfipfen. ?lber bie
©iplomoti! fegte benn bod^ nad^ ber 9iet)oIution bort ba ein,
mo fie t)or berfelben ftel^en geblieben mar. ®^ mar alfo eine
SSerbinbung ^ergeftellt, unb ed mürbe ber ©inn für biplo*
matifd^e ©tubien mieber ermedft. Unb bamit mar bie 3)?öglid)feit
einer (SntmidEelung gegeben, ja mel|r geboten, ate eö auf bcn
erften SlnbtidE t)ieneid)t erfc^eint. 5)enn nid^t allein an bie
öitteratur ber älteren S5iplomatif unb an bie alten 3^^^ ber
biplomatifd^en ©tubien üor ber 9Jet3oIution !nüpfte man an,
man fiber!am jugleirf) mit ben SBerlen unb ©ammlungen aud^
noc^ bie burd^ einjelne 5ßerfönlid^feite« fortgepffanjte S^rabitio.n
ber biplomatifd^en Slrbeit unb 9)ict^)obc. Unb hierauf unb auf
bem reichen Sn^alt beö »Nouveau traite«, freiließ nid)t
auf bem bafelbft entmidfeltcn ©Aftern, baute man in %xanU
xtidj meiter; benn für einen STu^bau btptomatifd)er SBiffenfd)aft
jum ©^ftem I)atte aud| bie miffenfc^aftlid^e SRtd)tung be^
monarc^ifc^en granlreid) feinen ©inn me^r. Unb maren ejS
aud^ nid)t, mie in ®eutfd)Ianb, bie miffenfd^aftlic^en 9iid)tungen
ber fritifd^en ®efd|id)temiffenfc^aft , bie bieö oer^inberten, fo
maren eö bie nüchternen Srmogungen ber praftifd)en ?Iufgaben,
meldte bie ^cole des chartes fid^ fteHte, toag jene« aui^fd^Iofe.
SWit biefer fo mieber IjergeftcHten Kontinuität ber gelehrten
Slrbeit in gict unb 3Wetl)obe oon SRabiUon biö S)eli§lc erl^ielten
bie auf bie franjöfifd^e mittelalterliche ®efcf|id^te gerid^teten
©tubien bann aber eben alle jene SBorjüge, meldte bie lange
120 3e6nted Sta\>iitL
^ro^tö in feftfle^enber üRetl^obe geben fann, unb nic^t an
legtet ©teöc profitierte batoon natürli^ bie Diplomatie fctbft.
Sie SRororbeit f^ftematifd^er är^ioforfd^ung , ©orgfalt unb
@auf>crfeit ber Sejtbe^anblung im feftftel^enben SRa^men, !orrc!te
Söfung patSograp^ifd^er unb d^ronologifc^er tS^'^d^n^ '(ui^i ^D^
bie S)infle, meldEie ))k ?ßrajiS einer gelehrten 2;rabition oon
einem (Sejc^Ied^t ouf b(a« anbere überliefert, toenn le^tereÄ nur
eben lernen miH, ba§ übernahm bie ^cole des chartes oon ber
Vergangenheit unb bo^ lehrte fie unb bilbete fie toeiter au^.
Unb jugleid^ entroldEelte biefe franjöfifc^e ©elc^rtenfe^ule auc^
in t^eoretifc^er SBeife i^re Slnfic^ten über bie aufgaben ber
Urlunbenbe^anblung mit einer ©idier^eit unb SSoöftänbigleit,
ttjie fie ebenfaHiS nur in biefem inneren S^fontmen^ange ber
Slrbeiten t)on SuIeiS Ouic^erat mit benen äRabiUond unb Souquetd
i^re ©runblage finben fonnte.
(gi§ toar alfo in granfeeid^ nid^t blofe fd^on mieber ein
Slufleben biplomatifd^er ©tubien üor^anben, e^ ftanben biefe
©tubien aud^ bereite in Slüte, al^ in 2)eutfd^(anb bie fritifd|e
@efd^id^tötoiffenfcf)aft bie S)iptomatif ate ein befonbereö §ilfg*
mittel für Urtunbenfritil unb Urfunbentoerioertung ju benuften
nod^ !aum backte.
aber injtoifc^en toar Söö^mer, ber fo berebt, fo einbringlid^
unb fo toirfungöooQ ben ^o^en SBert ber Urfunben ate ®efd^id^ti8^
quellen oerfünbet ^atte, oom Urfunbenfammler, man mdd^te faft
fagcn, tt)iber feinen aSiUen Urfunbenfritifer geioorben. 3)ann
begeifterten fid^ ju gleicher 3eit ©tumpf unb gicfer an JBdl^merig
SBerlen unb feinem perfönlid^en SSäort für Ur!unbenforfd^ung.
Unb jener fuc^te unb fanb ben Änfi^lufe an bie ältere biplo^
matifd^e Sittcratur in granlrcid^ unb S)eutfc^lanb , afe er afe
2)iptomatifer bie Urfunben ber beutfd^en ^aiferjeit }u be^anbeln
begann. Unb in berfelben 3^^^ vermittelte bann ©icfel ber
bcutfdien biplomatifd^en gorfd^ung bie gelehrte 3:rabition ber
fronjöfifd^en 3)iptomatifer , bie er in Sßaxii perfönlic^ fenften
gelernt. 3"9tci^ Q^^^ oermanbte ©idtel für bie Söfung ber
biplomatifc^cn S(ufgaben, bie er fid^ geftellt, alle SWittel ber
bentfd^en ^iftorifd^en ^ritif unb er^ob it)re @runbfäge aud^ ju
mndblidmh ^umid. 121
^efe|ett ffir bie 2)i))Iotnati!. ttnb bomit btibete er bie 2)tf)(D»
matil felftfc^ö))ferifci^ unb fo refultatooll loeiter, bo^ nun bie
fritifc^e ©efc^ic^tött^tffenfc^aft in S)eutfc^Ianb biefe junge S)tdiit)ßn
aU eine tt^iffenfd^aftlic^e SJeufd^öpfung ^iftortfd^en (S^arafiterd
freubig begrüßte. ®eit (Snbe ber fec^djtger Sa^re toax bie 3)ipIo^
mattf aU unentbe^tlid^e ©el^ilfin üon ber fritifd^en ©efd^ic^t^
fd^reibung unbebingt onerfannt. @d n^ar nun bie ^iftorifc^e
Shitif baüon überjeugt, ba^ einmal bie Urtunben eine ganj
befonbere Slrt ^iftorifd^er OueQen finb, bag fie aL^ folc^e ouc^
eine befonbere ^e^anblung, eben bie, n^elc^e bie 2)i))Iomati{
i^ncp angebeil^en läfet, verlangen unb bafe femer biefe hiplo^
matifc^e ^e^anblung ju SRefuttaten loinmt, bie, fon^o^I toa^
baig ©rgebni« fefbft afe bie ©ic^er^eit beffelben anbelangt, t)on
ber rein ^iftorifd^en Äritif ben Urfunben gegenüber nid^t erreid^t
loaren — Sluc^ bie neue beutfd^e S)ipIomatiI ftrebtc nic^t nad^
einem ^u§ban i^red Sn^altö jum ©Qftem. @ie üergag }n)ar
nid^t, inbem fie il^re 3lufgabe umgrenjte, i^ren ä^f^^^w^^n^^itg
mit ben allgemeinen bi<)Iomatifc^en ®runbfägen, ja fie fd^uf in
ber SScife, toie fie biefen 3"fönimen^ng umfd^rieb, in il^rer
3lrt einen gortbau ber S)i|)Iomatif ate ©^ftem. aber fie ftellte
fic^ auc^ t)or Slllem ))raftifd^e Stufgaben, ©ie erftrebte aui^ ben
Urfunben einer bcftimmten Wct, Qtit, ®egenb felbft eine &^re
t)on biefen Urfunben ju gewinnen, mit bereu ^ilfe fie bann an
ben Urfunben Äritif üben unb in bereu ©efianblung — ©bitiou,
8legeft, Kommentar — ber ©enufeung burd^ ben ^iftorifer t)or*
arbeiten fönnte. 2)abei führte fie cS aber avi& unb betonte eig
audbrüdEIic^, bajs fie nur aU ©))eiiaIbipIomatif (eiften fönne,
toag ju leiften fie fid^ öorne^me. ©o bemegtc fic^ bie nun
f^neQ aufblä^enbe beutfd^e 2)i^Iomatif benn auc^ aui^fd^Iteglid^
je auf jeitlic^ ober örtlid^ ober fad^tic^ umgrenzten engeren
Urfunbengebieten. Unb burc^ bie in biefer Slid^tung unb ttm^
fe^reibung i^rer 3lrbeit eifrigft gepflegten ©tubien fam in SJeutfc^*^
lanbsjbftcrreieft bie neue ©e^ilfin ber ^iftorife^en gorfd^ung jur
geftigung unb jum fidleren äudbau törer SRet^obe unb ju
einem fortfd^reitenben Sugbau afö SBiffenfe^aft. S)ann aber
bradöte gidEer aui^ fünfunbitoanjigjä^riger ^efc^äftigung mit
122 Sehnte» ftapiteL
mittelolterlir^en Urlunben ^eraud ben burd^fd^togenben SBetoetd^
ba% mä) fletoiffc aflgcmeinc ©rtoägungcn, auö ben Urfunben ücr*
fc^icbcncr ©cbietc unb mehrerer ^erioben gewonnen, bie S)ipIo*
matxt aber t^r biiSl^ertgeiS 5£önncn boc^ noc^ l^inau^fä^rten. <Sd
fd^uf er beifptctötteifc für bte Äufflftrung bcr ©ntftel^ung ber
einjelnen Urfunbe unb für bie ©rfenntnfe beS SBer^filtntffei^
unb bcr ©ejie^uuflen ber ctnjclnen Urfunbenteile unter fic^ unb
ju ben S^atterung^ongoben burc^fc^(agenbe 9iefu(tQte. Unb bie
biplomatiff^e äWet^obe erlangte bamit eine »eitere 8SeröoH*»
fommnung. Unb toäl^renb ber SSerbinbung biefer neuen
oBgcmeinen Selirfftge mit ben ©rgebniffen einer immer ftd^ Sott*
fommener geftaltenben 3lrt, bem ©toffe bie SKet^obe abjugetoinnen,.
toie e^ bie meiter fc^affenbe @^)ejiaIbipIomatif eben leiftete,
em^jfing benn bie 3)i^)Iomatif mit SBrunnerä @rHarung ber
^erfunft unb beö SBejen^ ber fränfifc^^romanifd^en Urfunbe bie
aüereigenften ©runbfogen i^rer ©onberarbeit unb bamit ben
eigentlichen Slbfd^lujs alö eine bejonbere SBiffenfc^aft.
9iad^ fold^en Seiftungen ber 9?eufc^5pfer ber btploma*
ttfd^en SBiffenfdiaft üermoc^te SWul^Ibad^er, ben ©idel in bie
©iplomotif eingefül^rt, ber bann bie ©ntftel^ung Don fjidter^
Urfunbenlel^re afe erfter Sefer tJon Sogen ju Sogen ^atte öer^
folgen bürfen, unb ber an Srunnerö gorfc^ungen fic^ in ben
®eift bcig fränlifc^en 3fJed^tg eingelebt ^atte, fein Haffifd^e^
SBerl: 3)ie SRegeften be^ Äaiferreic^^ unter ben Karolingern ju
fc^affen (1880—1889). $Run burfte auc^ »refelau, ber erft nac^
©idfefö 8lrt fid^ in ber S)ipIomatif öerfud^t Ijatte unb bann
erfolgreich barin öorgefc^ritten toar, ber borauf in ber Urfunben-
öernjcrtung felbftänbige SBege eingefc^Iagen, ju gidfer^ Urfunben*
le^re umfic^tig ©teüung genommen unb bann in ©runneri^
gorfc^ungen ben eintrieb ju eigenen, jene fortfü^renben Unter*
fucftungen empfangen ^atte, ben fü^nen unb in bem biiSlier
üorliegenben erften Xeil überall gelungetien 8Serfu^ eine§ fie^r*
buc^iS ber allgemeinen unb befonberen 3)ipIomatif tt^agen, niie
tl^n fein ,,§anbbud^ ber Urfunbenle^rc für ®eutf erlaub unb
Stauen (1. »b*, 1889) aufweift. Unb geftüfet auf biefe
beutfd^e SluSgeftaltungi ber S)ipIomatif jur SBiffenfd^aft fonnte
mdUid uttb mimxd, 123
% ®xtt) in ^axx8 fernen Manuel de Diplomatique (1894)
^erftetten. @g ift btefeS neueftc franjöftfc^c ^anbbuä) bcr Ui>
funbenle^re ja atterbing^ ein cd^t franjöfifc^eg SBctf, b. f). flanj
int ®eleife jener franjöfifd^en toiffenfc^aftltc^en Srabitton in btefer
S)i§äiplin geilten, toeld^e toir fc^on !ennen. ^er proftifd^e
3tt)ed, aüen benen, bie fid^ mit Urfunben ju befc^äftigen l^aben,
für aüe auftretenben gragen einen tlnl^alt jur 8lnttoort ju
geben unb il^nen für bie Urhtnbenfriti! bie 9Begc ju toeifcn
unb bie äWittcI ju fd^affen, fte^t im SSorbergrunb. Unb bafe
ber SBerfaffer für bie 2)urd^fü^rung biefe^ 3^^^^ ^^^ ®^"'
fiigung eineö befonberen Äapitete über bie tec^nifc^e S^rono*
logie unb toiel anbereä, toie 6eif^)iel8tt)etfe in mand^en Unter*
Qbteilungen ber großen Stbfd^nitte ein SKitteilen öon allerlei
Siotijen beliebt, aud^ »enn fid^ barauS ein »iffenfd^aft*
lid^ei^ JRefuItat nod^ nid^t sieljen läßt, baö ift ganj in ber alten
Xrabition ber SBenebiftiner über 3^^* ^"^ Einlage biplo*
matifc^er ©d^riften gehalten. Unb bod^ ift baS SBerf in feinem
©ad^tnl^alt unb ebenfo in ber SBiffenf^aftlic^feit, bie t^r Autor
neben ber unmittelbaren 9iüpd^feit erftrebt, eine enge ?lnle^nung
an bie biplomatifd^en Slrbeiten ©idete, gidferö, ®runner§, Srefe*
laug. ®tr^ folgt j. S. Srefelau nic^t nur in ben ?lbfc^nitten über
Urfunbenfprac^e , Urfuitbenfc^reibftoffe, Xinte unb ©olbfc^rift,
Sinierung, Seftegelung; er ftüfet fid^ erft red^t auf i^n ba, tt)o
Srefelau afö erfter einen neuen ©egcnftanb teiffeufd^aftlidö im
3ufammen^ange mit ber Urfunbenletire be^anbclt ^at, toie in
ben ?lbfc^nitten über bie päpftlic^e Äanjiei unb über bie Set)re
00m Urf unbenbett)eife ; unb er fd^Üefet fid^ eng Srefelau« ?tug*
füljrungen an, tt)0 biefe, tt)ie in ben Sufeerungen über ben
©d^riftoergleid) , burc§ i^re gebanfenreid^e Ä(arl)eit ben Sefer
fcffcin. Unb ®ir^ öertoertet bie biplomatifc^en Siefultate ©tdfefe,
giderö unb Srunnerö nid^t ollein in i^ren @injcll)eiten fonbern
aud^ im ganjen. @g umfd^reibt ®irt) bie Slufgaben ber S)ipIo^
matif afö ©iffcnfd^aft , ben ©l^arafter unb baS SBefen ber
Urfunben unb bie SSorgänge bei iljrer Sntfte^ung nad^ .ben
fc^öpferifd^en SBerfen jener SWänner, ilinen entnimmt er aud^
bie Smpulfe für feine eigenen Serfuc^e, ben UmfreuS beiS biplo^^
124 3<^^nted Stapittl
matifd^en SBiffen^ ju emeitcrn. ©o aber tft bicfer Manuel de
diplomatique bt^ Scl^rerö bcr Urlunbcntoiffcnfc^aft an ber
ificole des chartes and) erft ermöfllti^t burc^ btc beutfd^e
Umgcftaltuiig bcr 3)tpIomatif ^u jener §ö^c afö SBiffenfd^aft,
tDic toir ba^ in bicfen Slättern erjä^tt ^abcn. Unb über*
l^aupt ^Qt bie franjoftfc^e ©iplomatif ber legten Sa^rje^nte ganj
in fid^ aufflenommen unb atö fiel^re unb 9Sorbilb feftfle^alten
nnb Verarbeitet, toa^ bie beutfd)c 3)ipIomatiI eben an Sn^alt
nnb an äRet^obe gewann unb atö SSiffenfd^aft vortragen
burfte. 3)te ßeiftungen cineg Sulien §aüet j. SB. für bie mero*
toingifc^e ^iplontatif n^ie bie eine^ @Iiad SBerger für bie päpft«
lid^e Urfunbenforfd^ung gepren burc^auö in ben Äreiö ber Von
ber neuen beutfd)cn biplomatif^en SBiffenjd^aft getragenen
Strbeiten. Unb tote mit biefer (Sinmirlung ber in SJeutfd^Ianb
nun gefd^affenen Urfunbenn^iffenfc^aft auf ben ®ang unb bie
?trt ber arbeiten ber franjöfifd^en ©iplomatifer ift ei8 feit^er
mit bem Sinflufe ber beutjd^en SBiffenfc^aft in Stauen getoorben.
3n 3)eutfd^Ianb*&fterreid^ aber gewann bie Dom Slnbeginn
i^rer 9?eubelebung fo rege biplomatifd^e gorfd^ung nun jene
innere ©in&eit bei aller SRannigfaltigfeit , bie i^ren gebiegenen
Fortgang, n)ie n?ir t^n vor un$ fe^en, fieberte unb ein fic^ereS
SSortoärt^fc^reiten i^rer (Sefamtarbeit aud^ toeiter verbürgt.
greili^ für biefen gortfc^ritt iljrer (Sejamtleiftung mufe bie
3)ipIomatif auc^ jegt, too pe ju einer VoQen SBiffenfd^aft au^
gemad^fen ift, fid^ immer il^rer ^erfunft betoufet bleiben.
üRabiÖon toar ein l^iftorifd^eS ®enie, unb für bie Qtotdt
^iftorifd^er ©rfenntniö fd^uf er einft bie 2)ipIomatif. ©idtel
toar ein fritijd^er §iftorifer, ate er bie ©iplomatif ate SBiffem
fd^aft ju neuem Seben rief ; gidter toar ^iftorifer — politifc^er
unb SRec^tS^iftorifer — aK er bie @nttt)idEeIung ber SJipIomatif
jU förbem begann. Unb JBrunner toar SRed^t^forfc^er, ate er
für ben Stuöbau ber Urlunbentoiffenfd^aft feine crfte §ilfe
leiftete. Unb ©idfel, gidfer unb Srunner blieben ^iftorifer unb
Suriften, auc^ ate fie fd^on 3)ipIomatifer geworben, unb barum
eben ^aben fie fo fd^öpferifd^ bie ©iplomatif immer toieber
ttjeiter fort;;ubiIben vermocht, ©nen neuen treffßd^en Seleg für
mdhWd unb «luSblid. 125
bicfe S^atfac^e bcr SBec^fetoirfung toon fritifc^cr §iftortc unb
3)tpIomotif bieten anä) bie foeben erfd^ienenen biplomatifc^en
gorfc^ungen jur (Sefc^id)te be^ 12. unb 13. Sa^rl^unbertS öon
$aul ©treffet* »oidi^orft (1897); bcr fc^arffinnige ^iftorifdie
Äritifer gettjinnt aU fold^er ^ier nod^ über bie S)ipIomatifer
^erauS ben Urfunben in biplomatifcöer Unterfuc^ung SRefuItote
ab. — STug ©efc^ic^tgmiftenfd^aft unb Slec^tgroiffenfc^aft tiaben
aljo fd^öpferifdie ©etfter bie S)tpIomatif gefc^affen unb ju i^rer
Sierjüglic^feit aU ^i[torifc^e J)iöäiplin erlauben. 5ßon jenen
SBiffenfc^aften fommen bem S)tpIomatifer ba^er an6) bie Äräfte,
um für neue Sluf gaben feiner S^iös^plin fd^öpferifd) neueSRitleC
äu bereu Söfung ju finben. 3lid)t bie Urfunbenforfc^ung auf
engem unb weiterem ®ebiet in überliefertem ©cicife, aud^ tnenn
fic auf bem feften Sefig un)ere§ gefamten biplomotifd^en SBiffen^
beruht, nein, fold^e Urfunbenforfd^ung getragen, getrieben unb
gelenft Don toiffenfd^aftltdö erworbener ^tftorifc^er Äritif unb
juriftifdöcr Sluffaffung, bie öerburgt ben gortfc^ritt ber 3)ipIo*
matif ate SSäiffenfc^aft.
Unb an biefen 3wfömmenl^ang berS)ipIomatif mit ®efc^ic^t§*
wiffcnfci^aft unb SRec^tötoiffenfc^aft ju erinnern, ba^ mar mit
ein Slnlafe jur Slieberfc^rift biefeS Seitragö jur ®efc^ic^tc ber
©iplomatif. —
fi ilfiMll
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