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Full text of "Die Fortschritte der diplomatik seit Mabillon, vornehmlich in Deutschland-Österreich"

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herausgegeben t)on ber 



iöierter S3anb: 

Ptc ^ottfdjritte bet Pt)iromafiß feit ^aßtffon 
voxne^md^ in Peuffd^fanb-^^ienetd^. 

5Son 




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tUlüttdiett unb 2txpiin* 

!3)vurf unb SSerlag uon 'di Olbenbüurg. 
1897. 



5ie ^oxtfd^xitte 
ber pipfomafiß feit ^aßiffon 



»Ott 



3lli($ard <2(ofenmttn5. 




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9!mttfi^en unb L'eitijio« 

2)ru(f unb SScrIag öon SR. Dlbcnbourg. 

1897. 



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€fitvi^ov K* \fon Biiktl 



in öanfbarftem (Seöcnfen 5ugeet9nct. 



238716 



I^xrrltrxrrt 



S)er 3:itel biefer ©c^rift becft, fo öermeine id^, i^ren 
Sn^alt. Unb bodti fönnte er bei manchem Sefer ©martunßen 
erroeden, toelc^e bie ©d^rift, i^rem S^tU nQd^, nid^t erfüllen 
toiH. S)a]^er fc^eint eö angebracht, mit furjen SBorten ha^ 
nod^ ju betonen, bafe biefer SBeitrog jur (Sefd^id^te ber S)ipIo* 
matif nic^t berid^ten foQ, maS btefe SBiffenf^aft auf i^ren ein* 
jelnen gorfd^ung^gebieten ^eute bereite aU feften SBiffenöfd^afe 
befifet , f onbern barsufteöen Derfuc^t , tnie bie Se^re üon ben 
Urfunben ftd^ ate eine befonbere SBiffenfd^aft ju ber §5^e 
enttnidtelt ^at, tnel^e fie feit nunmehr balb jmei Sal^rje^nten 
einnimmt. Sei SerüdEfid^tigung biefer SBejd^ränhjng ber getnol)Iten 
Slufgabe mirb ber Sefer tjon ben nadtjftel^enben 2lu^fu^rungen fieser 
ni^t me^r erwarten, afö fie bieten !önnen, er wirb bann aber 
auc^ um fü einbringli^ejc ju beurteilen t^ermögen , ob fie 
bringen, tnaig fie bieten moHen. 

?ßo))t)cUborf*S5onn, ben 3. 3uli 1897. 

Äixfiatbr Ä^rjenmunli. 



MlialWiftvititiini^. 



Seite 

1. ^Q\>\Ul S)om 3can gKabillon 1—21 

SRaBiUonS menfd^üd^e unb tDtffenfc^aftlic^e $et« 
fÖKli(J^feit @. 1. $Q))ebro4 ©. 9. ^abiaond de 
re diplomatica libri VI. (5. 15—21. 

2. Äat)it«I. S)ic 2)iJ)lomatif in grantteic^ Jcit ^Kabitton bt§ gut 

aJlitte bcS 19. Sal^rl^unbertS 21—30 

S>er nouveau trait^ diplomatique ©. 23. 3)aS 
Cabinet des chartes @. 28. ^ie l^cole des 
chartes @. 29. 

3. ^a))ttel. ^ie ^i))tomattf in 2)eutfc4(anb {eit a^abillon bis 

gu il^rcm «erfaß im Srnfang be« 19. gal^rl^unbcrtÄ 30-43 

§crtiu« (S. 31. ecfarb; goac^im @. 31. 3)a§ 
Chronicon Gotwiceose @. 32. §euniann @. 33. 
dJatterer @. 35. @d)önemann @. 39. 3)cr SScrfaQ 
ber S>tplomatif (S. 40. 

4. Äapitcl. Sol^ann griebttc^ »ö^mer 43-48 

5. ^QpM. Äarl gricbricft ©tumjjf 48-57 

6 StopM. St^cobor ©idel 57—72 

SSilbungägang. ©icfel unb bic i^cole des chartes 
@. 57. Sc^rcr am SSiencr 3nftitut für öfterreicftifcöe 
®cf#(i^t§forfc^ung @. 59. 3)ip(omatlfd)c Slcfultatc 
in ben erften l^iftorifcften SBer[u(^en: 5Biforiat ber 
SJi^fonti. — fiejifon S^eroniauum ber ©öttroeiger 
©tiftöbibliotl^et @. 60. @rftc ^Beiträge gur ^\pio^ 
motif @. 60. S)ic Acta regum et imperatorum 
Karolinorum @. 61. 3)ie 9'ieuerftel^ung ber 2)ipIo* 
matif ©. 69-72. 
7. Äa^)itel. gortfegung 72—79 

^ie Monumenta Germaniae historica unb bie 
©erauSgobe ber beutfd^en Äaiferurfunben @. 72. 
©idelS Programm @. 76. ©IdelS weitere SBewr 
träge jur ©iplomatif @. 77. 



X 3n]^alt8t)eraet4ni$. 

©eite. 

8. ÄapltcL Suliu» fjldcr 79-96 

SBejie^ungen iu^ö^mer @.81. 9(ed)tSgiftoTif(^ 
Untetfuc^ungen mit aVefuItoten für bie ^it)Io« 
matif. Sein Additamentam tertium gu $ö^ 
mer« 9lcöcften (1313—1357) @. 82. ©rflc ein» 
fd)neibenbe SlefuUate für bie ^tplomatif @. 85. 
3)ie SBeitrögf jur Urfunbenle^re ©. 86—89. 
Sidel unb ^xdtt @. 92. ©idel unb t)on S^bef, 
^aifentrfitnben in ^Ibbilbungen @. 93. griderd 
Sleflcften be8 Äaiferreic^« (1198-1272). 

9. ÄQpitel. ©einri* SBrunner 96—118 

©ejie^ungen jtt ©tdel @. 97. S)ie SlB^anblung: 
3cugen unb ÖnquifttionSbcmeiS im beutftftcn ®e* 
ridjtÄOerfoljrfn terolingifdjer 3f^t. ©rgebniffe für 
bie S)ipIomatif S. 99. SBeitere re(^t«^iftorif(^ 
5lrbfiten unb ibre Slefultote för bie Urfunbenwiffen» 
fdjoft : SBort unb gorm im altfranjöfifc^cn ^ro^eft. 

— (gntfle^nng ber ©(fimurgerit^te. — 2)o8 ®erid)t«* 
jeugnid unb bie fränlifc^e ftönigSurfunbe. — S3ei« 
tröge 5ur ©efc^icbte unb 2)ogmQtit ber 9S$ert))Q)>iere. 

— Oarta unb Notitia @. 101—110. — S)ic 
Slecbt^gefc^idbte ber rdmif^en unb germanifclbcn Ur« 
funbe 6. 111 — 114. (S^efamtergebnid für bie 
2)i))Iomatif @. 115—118. 

10. S^Q3pM. mdhüd unb «tt«blid 118-125 



3m Sa^rc 1664 bt^ah ^iäj Sodann SWabiDon, Scnebifttncr* 
raörtd^ bon ber Kongregation bcig ^eiligen 3Kauru§, toon bcm 
Älofter ©t. S)cnte nad^ ber Drbcn^abtct ©t. ©ermQm^bcö'^rcj^ 
in $ßart§. ©eine Oberen Ratten t^n gerufen, bafe er bem 
altemben unb immer fc^on fränflid^en Sibltot^efar be^ Äloftcr«, 
bem gelehrten Sufog b'Slc^er^ in feinem SImt unb in feinem 
roiffenfc^aftlid^en ©c^affen jur ©eite trete. 5)'9[c^er^ aber lebte 
unb toebte in großen toiffenfd^aftlici^en Unternehmungen, ©eit 
e8 toor nunmehr balb ämanjig Sauren ben äRaurin^rn jur 
innerften Überjeugung getnorben toar, bafe nic^t bie ftrengfte 
Dbfertjanj ber ftrengften Siegel allein ben Drbenögenoffen bie 
bauernbe innere @rt)ebung unb Sefriebigung fc^affen fönne, bte 
fie befäl^igten in religiöfer Übung unb fittlic^em SBanbel ber 
Sufeentoelt, toie fie in iftren Sagen toar, SSorbilb unb gfil^rer 
ju fein, fonbem bafe für fol^ ^o^en 3^^^ ^i^ ^^^ Sebcn 
nad^ ber reformierten Siegel eine reiche, ec^te toiffenfd^aftlic^e 
©efd^äftigung in ben Ä(öftern öerbunben fein muffe, ba toar 
3)'5lci^er^ unermfiblic!^ für biefe Drganifation be^ miffenfd^aft* 
liefen Sebenö in ben äRaurinerftöftern t^ätig gemefen. (£r 
t)erftanb eben ganj unb unterftügte tooQ bie $ßläne beS in 
^ingebenber grömmigleit, toie an SBiffen unb SEßeiöl^eit glcid^ 
grofeen ®eneraloberen ber Kongregation ®regor ^iartffe, afö 
ber in ben einselnen Orbem^proüinjen Unterrid^tSfurfe in ber 
$^üofopI)ie unb S^eologie einrid^tete, Se^rbüc^er für ben 
Unterrid^t terfaffen liefe unb überall bie ©tubien in ben 
Älöflern beS Orbcn^ inS Seben rief, S)'?lc^er^ f^atU bamafö 



iic 95i6Iiot^c! öon ©t. ®crmam*bci8^?ßrc8, bic er feit 1637 
t)eriüaltete, fd)on gcorbnct, unb er ^ottc i^rcn ©cfi^ftanb 
fccrcitö fo üerme^rt, bafe fic an §anbfd^rtftenfd^ä^cn alle anbcm 
ÖiHtot^efen beö Drbcnö übertraf. 3)ann l^atte er ba« ^ßrogramm 
bafür enttoorfen, toeld^e n)iffenfd^aftltc^en Slrbeiten öon bcn 
CrbenSgenoffen gemeinfam in angriff ju nehmen feien. Unb 
ate ba§ Drben§!apitel feinen gangen 5ßlan gebilligt ^atte, ber 
itid^tg ©eringereg bejtoedtte, ote jugleic^ eine ©efc^id^te beö 
S5enebifttnerorben§ unb eine fold^e ber engeren Kongregation 
ber ü)?äuriner in großem Stil mit ben CueUenbelegen unb 
^olumenten felbft ^erauiSjugeben, bie Seben ber DrbeniS^eiligen 
in öeröffentlid^en unb bie t^eologifc^en n)ie bie profanen SBerle 
ier bebeutenbften älteren Drbenögenoffen in hitifd^em Xejt ju 
irudten, mar er mit einem feine Äräfte überanftrengenben (£ifer 
on beffen aSermirHidjung herangegangen. @r toöl^Ite bie DrbcniS^ 
fcrfiber auö, bie fid^ biefen Slrbeitcn n)ibmen foHten, unb er 
^eioann bai^ Sntereffe unb ben ^at ber gelel^rteften ^erfönlic^* 
leiten granlreid^iS oufeerfialb be§ Drben^, etneö 3)u Sauge, 
SJaluje, ber ©ebrüber be SBaloii^, eineö ^agi, Se Sointe, 
IBignon, bann ?ßierre SWicole'ö öon ^ort Sio^al u. 31. für bie 
'<Sad^e. 3)anad^ öeranlaßte er ein fpftematif^eö ©ud^en nad^ 
^anbfd^riftenfd^ägen in ben Drbenöflöftern inner* unb aufeerl^atb 
i^ranfreid^g für jene S^^edEe. (£in mäd^tig antoad^fenber ^anb^* 
jd^riftenlatalog über alle gunbe tourbe in ©t. ©ermaimbeS^^ßreiS 
•angelegt, unb öiele toertüoUe ^anbfd^riften n)urben fogleic^ 
l)ier^in gebracht. Unb n)aö öon fold^en §anbfd^riftenfc^ä^en 
tiid£|t in ben get)tonten S33er!en SBertoenbung finben fonnte, 
-batjon gab b'2lc^er^, fot)ieI er öermo^te, burcft fein feit 1658 
•crfd^einenbeg Spicilegium ber gelehrten SBelt fofort im S)rud£ 
^unbe. S)iefeg ®elef|rten ©el^ülfe lourbe alfo Sodann SDiabillou, 
Unb feiten too^I fam ber paffenberc 3Kann an bie paffenbe 
©teUe. 5)enn Sodann äKabiHon befafe alle ®aben be§ (Seifte« 
itnb aDe ©igenfd^aften beö S^arafterö, um bie ©teile, ju ber 
i^n 3)*2l(^er5 erioä^It ^atte, ganj auöjufüHen, unb öor 2lIIem 
fcefä^igten i^n feine rein menfc^Iid^en ©igenfd^aften, bie gä^igfeit, 
fic^ in bie Sbeen anberer einjuleben, feine natürlid^e greunbli^feit 



3)om Scan «Äabillon. 3 

tinb btc Suöcrififfigicit in bcr ©rfüHung übernommener 5ßfltd^ten 
für tiefe Slrbcit mit 3)'?lcl)er^. — 

Sodann SDJabiUon, ein JBauernfo^n au^ ber (S^ampagne, 
fcamate (1664) jtoeiunbbreifeifl Saläre alt, toar öon Sugenb auf 
t)Ott fd^tDäd&Iid^em Äörper unb t)on jartem ®emüt, ^rü^ aber 
^atte er gelernt, ben ®eift über ben Äörper, ben 3BiUen über 
bie unmittelbaren Srregungen eineö empfinblid^en ©emüteS 
^errfd^en ju (offen. S)ie innerfte Steigung l^atte il^n ben 
HKourinem jugefü^rt. Su ber ftrengften Befolgung ber ftrengen 
Orbenöregelu l^atte er bie innere ©ottergebenl^eit gefunben, bie 
•er fu(!^te, aber aud^ feine SBillenöfraft geftd^It, fo ba§ er bem 
Körper 3trbeitgleiftungen abgewann, für bie er faum gefc^affen 
jc^ien, unb fid^ in ben Siegungen feineig (Semütöleben^ ju einer 
IRu^e ber (Smpfinbung unb einem ®Ieid^mafe ber ®efü^Ie er^ob, 
bie feinem SSefen n)ie feinen SBorten in Siebe unb ©d^rift ben 
^ugbrudE ^erjgeloinnenber greunblic^feit öerlie^en. 3Kan fü^It 
f ^ feinen ©efpröd^en, bem Xon feiner ©riefe, ber S^ffung feiner 
gelehrten ©d^riften unb ber Haltung feiner ©trettfd^riften 
na^, bafe bie S)eöife feiner fiongregation : Pax für if)n ber 
^ern feiner gefamten S)enfunggart geworben toar. Unb fein 
lateinifc^er ©til offenbart überall bie Snmut eineig im freien 
©piel feiner geiftigen Jhäfte bag emfte ?ßrobIem unb ben 
^eftigften angriff mit Weiterer SRul^e löfenben ober abtoel^renben 
HKanneig. Unb biefe ?ßerfönlid^feit toar !enntniöreic§ , eminent 
fritifc^ beanlagt, eine burd^ unb burc^ loal^r^afte SRatur unb 
jugleid^ loieber fetbftloö in ber Eingabe an feine Kongregation 
unb für beten unb be^ DrbenS ©ebeifjen. @r tt)or in frommer 
unb bemütiger O^finnung ganj ein 3Kpnd^ nad^ feiner Drbenö» 
reget, unb bd feftem ©elbftbetoufetfein toieberum öon jener 
IBefd^eiben^eit , bie ja l^eute nod^ bog (Srbteil ber loa^r^aft 
flro&en ©ele^rten ift, toel^e i^re Seiftungen im ßi^fömmen^ange 
it)rer SBiffenfc^aft betrad^ten, ermeffen, toa^ fie il^ren SSorgängern 
t)erbanfen, überfd^auen, loag il^nen an ber erftrebten SBoCU 
fommen^eit fel^It, unb in i^ren eignen ©rfolgen immer nur bog 
IRefuItat ber ©efamtleiftung ber beften SSertreter i^rer Sii^siplin 
^rbliden. 

1» 



4 <ihrfted BQpiUl 

Utib bic befonberen flelc^rtcn Sletflüttgcn unb btc ticfftm 
totffenfd^aftltd^en Sntcreffen biefcr cigcnotttflcn 5ßcrfönfid^feit nutt 
toarcn ^iftorifd^ * antiquartfciöc , eben folc^c tote ©'Slc^cr^ fic 
toünfc^en tnugte. Unb fte toaren eiS otö bie ganj unmittelbaren 
äufeerunflen >er ctgentltc^n Segabung Wlabiüon^, Smmer 
fd^on t)on jenen 3;agen an, too ÜÄabiUon fid^ für ben getftlic^eii 
Beruf Vorbereitete, fjaiien bie natürlichen 9legungen feiner 
befonberen SBegobung i^n öon ben rein t^eologifd^en ©tubien 
für fromme ©rbauung, bogmatifc^e Sk\)xt unb übcrftnnlic^e 
©|)e!uIation auf eine ^iftorifc^e Söetrad^tung unb äluffaffung. 
beffen ^ingelenft, toaö in ben Ärei« feiner (Srfenntnti^ fam. Stuf 
bem ÄoHegium unb ouf bcm ©eminar in Sielm^ Ratten boi^ 
Sllter ber ©tabt unb bie ©rinnerungen, toeld^e biefe ©tabt mit 
ben erften Anfängen be§ frfinfif^en ©^riftentumö unb b©^ 
fränfifd&en Äönigtumö in SSerbinbung brachten, feinen ©inn 
gefangen genommen. Unb toenn baö i^n mit SSere^rung öor 
bem e^rtoürbigen älter beg 9leimfer Äirc^enft|e^ unb mit 
Söetounberung für ba^ fo alte unb in feinen Ziagen fo erhabene 
franjöfifd^e Königtum erfüllte, fo toedtte ei^ auc^ jugteid^ bie 
Steigung, fid^ über biefe fo el)rtoürbige SSergangenl^eit ju belehren. 
3luf einfamen ©pojiergängen im (Sic^entoalbe bei feinem ^eimat^- 
borfe 5ßierremont, toot)in i^n jä^rlid^ bie gerienjeit führte, ba 
maren e§ ©ebanfen religtöfer SJertiefung ober fpelulatiüer 
®rl)ebung, toa^ i^n betoegte, aber toenn er bann bie Älöfter 
ber Umgegenb befud^te, fa^ er fic^ mit ®ifer in ben §anb*^ 
fd)riften== unb SBüd^erfd^ä^en um. S)iefer ©inn unb biefe- 
Steigungen enttoidEelten fi^ bei i^m meiter, aU er Sloöije tu 
ber Slbtei beiS ^eiligen 9iemigiui8 getoorben; ber atte SBaui 
belebte mit mächtigem ©inbrudE feine ^iftorifd^en Sntereffen^ 
3u 9?ogent bei ©oiffon^, too er in ber ©tiHe beö ab*' 
gelegenen Sanbllofterö Teilung t)Dn einem unauf^örlic^ea 
heftigen Äopfi'djmer} fud^en foKte, mürbe er au^ Sntereffe an. 
ber aJergangen^eit biefeö uralten, nun verfallenen äKön^^fifeeö 
Slltertümler, ber mit ©paten unb ^adt nad) 3e«gniffen ber 
SSergangen^eit forfd^te. Unb in bem fo alten unb burc^ feine 
®ef^ic^te toie burd^ feine 3ietiquien fo berühmten ßorbie, too- 



2)om 3fan ^RabiUon. 6 

fr bonad^ ciniflc 3al)rc ^inbur^ bte Ämter eine« ^förtnerg unb 
^Imofenfpenbcr^ unb toeitcr be§ SBirtfc^aft^ unb ^an&\>tx^ 
toattcr« öerfo^, cr{)o6 fic§ fein liebeDoII in ber SSerflangentieit 
toeilcnber ®eift fc^on ju ätoei ^^mnen auf bie ©tiftcrin be^ 
Älofter«, bte ^(. Königin SBat^ilbiö unb auf ben ^I. «balar, 
ben ©tifier öon 9?eu^Sorbie in ©ac^fen. 

3n ©t. 5Jeniö aber, lüo er bann al^ Äatecl)et, ^ßrebigcr 
unb ©d^o^pter tf)&tx% toax, Ratten btefe ^iftorifdjcn Steigungen 
ttoc^ n)eitere 3ni)>ulfe befontmen. $ier im' S^ational^eiligtum 
t)er Äirc^e granlrei^i^ unb an ber SeflräbniSftätte feiner Äönige 
erfüllte ftc^ fein @eift ganj mit SRudbliden auf bie Slircfte unb ba« 
Königtum, bie beibe granfreic^ grofe gemacht, unb eine fd^on 
längere SBefc^äftigung mit bem Seben unb ben Saaten beS ^eit. 
Sern^arb, ber bie SÄad^t be§ franjöfifd^en Königtum^ mit 
ben er^abenften Sbeen ber firc^Iic^en irbifc^en SBirffamfeit in 
engfte SSerbinbung gebracht l^atte, öerbid^tete fic^ il^m ju bem 
iptan einer Sfteu^erau^gabe feiner ©d^riften. SDZabiQon toar 
alfo nac^ feiner pcrfö"nücl)en Snbiöibualität, wie nad^ feinen 
tniffenfc^aftlic^en ®aben unb Sntereffen ganj ber ))affcnbe ®enoffe 
für S)'?(c^er5§ 2;^dtigfeit. Unb anbererfeitS freilid^, fo werben 
tüir aud^ fagen bürfen, luar biefe i^otig!eit afö ©'STd^er^ö 
^e^ülfe l^ier in ©t. ®ermoin*beg*^reig, an biefem ÜKittelpunfte 
ber gelehrten ©tubien ber äKauriner unb für biefe beftimmten 
ißläne baö gelb, too äBabillon fo red^t eigentlid) l)inge^5rte, 
um ber ju werben, ber er werben tonnte unb würbe. <^ier 
fanb ÜWabidon SlUeö, toa^ er für feine eigenen gelef)rten SBünfc^e 
fic^ an görberung nur erfe^nen fonnte. $ier ^oben fic§ nun 
Dor i^m in fflarl^eit, aber au^ in i^rer anfpornenben äRöc^tigfeit 
bie aufgaben t)erau§, bie ber ^ingebenben Arbeit feine« ganjen 
iD?enfd)en würbig waren, ^ier war ba« SDiaterial öor^anben 
ober t)on I)ier ai\^ war e« ju finben unb ju befi^affen, auf 
bem fid^ SBerfe wie bie Acta Sanctorum ordinis Sancti 
Benedict!, Annales ordinis Sancti Benedict!, Opera Sancti 
Bemardi etc. wirf(id) aufbauen liefen, ^ier ftanb i^m in 
'^'9ld)er5 ber ©c^öpfcr ber 5?IofterbibIiotl^eI , ber Renner i^rer 
©d^äfee unb ber bereit« t)iet bewäl)rte Herausgeber al« Söerater, 



6 @rM ^a))tte(. 

I^ier traten t^m ^od^begabtc ©cnoffcn afe feine ©e^itfen jur 
©ette. $ter empfinfl er btc enflfte, anbauembe, 6ele^renbe unl> 
belebenbe SBerfl^rung mit ben größten ©elel^rten beiS bamaltgeti 
5ßarii8 unb gronfreic^g. §ier an biefer §au<)tftätte bcr üWauriner^ 
fongregation, bie, toie fte eine ©ammelfteße ber ©ele^rten t)on 
$arii^ tbar, fo aud^ t)on ber ©unft ber ©rogen beehrt unb- 
öon ber ©onnc ber löniglid^en ®nabc befd^ienen n)urbe^ 
fanb fein eigenem ©d^affen bie öejte^ung ju ben gelehrten 
Seftrcbungen feiten^ ßeitalterg fiberl^anpt. Unb jugleic^ crtoud^^ 
il^m öier baö 83en)u6tfein ber inneren ©n^eit jtoifd^en ber 
SJcrgangen^eit, bie er erforfd^te, unb ber (Segentoart in Sirene 
unb ©taat, toie er fie erlebte, unb bafe oud^ feine Arbeiten 
bem 9iu^m beiS Äönigtumi^ toie bem Slnfel^en ber Äirc^e 
bienten. 

3)ie Senbenjen aber, toelc^e äRabiUon unb feine Orbeni^ 
genoffen bei i^ren toiffenfd^aftlidEien SSeftrebungen leiteten, bit 
Slnfid^ten, bie ^ier über 2lufgabe, 3^^/ Slrt unb ®renjen i^rer 
gorf^ungen galten unb üorerft äKabiUömS ganje $ßerfönlid^feit 
felbft öer^inberten toieberum, bafe nid^t ber ®Ianj beä fiönig^ 
tumä bem gorfd^er bie Singen blenbete ober ber ^$om<) ber 
Äird^e il)m bie ©inne trübte. 

©0 aber entfaltete fid) benn SDJabiHong ®eniu8 l^ier ber 
biefer arbeit in ©t. ®ermain*be«^5ßreg in feiner ganjen ©röfee 
unb bie« erftaunlic^ fc^neD. S)oö 3a^r 1667 fa^ bereit« bie 
neue ausgäbe ber SBerfe be« ^l Sern^arb öon ©lairöauj, ba« 
3a^r 1668 ben erften ®anb ber Acta Sanctorum Ordini» 
S. Benedicti, ouf bie ©efd^ic^te be« fed^ften Sa^rl^unbert« bejüg«^ 
lid^, bem bi« 1675 noc^ ein jtoelter unb britter ©anb, bie 
Seb'en ber Drben8f|eitigen be« fiebenten unb achten Sa^r^unbert« 
ent^altenb, folgten. 3m Sa^re 1675 erfd^ien auc^ fi^on ber 
erfte 3;ei{ t)6n SKabiDon«: Vetera Analecta. — Unb mit 
biefen SBerlen trat äKabidon al« ber ©rften einer unter bie 
©elel^rten feiner Qtxt, unb feine ®enoffen in ©t. ®ermain»be«* 
?ßre« erfannteu i^m fofort bie 3Keifterfd^aft unter i^nen ju. 
Unb fie Ratten 9ie^t, i^n ju feiern. 3)enn äKabiöon jeigte 
fid^ aUen in ber f)anb^abung ber ^iftorifc^en Äritif überlegen- 



3)om Scan SO^JaBiflon. J 

Unb kott arbeiten ja ^eute noc^ mit feiner ttu^gobe ber Opera. 
S. Bernardi, unb toir fbnnen nod^ ^eute feine Acta Sanctorui» 
ordinis S. Benedict! unb befonber^^ bie erften ©änbe mit iftrew 
uicien Slufflärungen jur ffiird^en^ 5ßrofan^ unb Äulturflefd^td^te 
bc8 fec^ften bi§ achten Sal^rl^unbert^ ni^t entbehren. äKabiüoni^ 
frittfd^er ®eift n)anbelte eben überall auf ben rid^tigen ffiegen,. 
oh er nun bie ©d^riften bei^ 1^1. SBern^arb fti^tete ober t)on 
ben 80 ^eiligen, bie im Drben, ate t^m fc^on im fed^ften 3a^r^ 
^unbert angel^örig, öeref)rt lüurben, 55 alö 9?ic^tbenebiftiner 
nad^toieg, ober ob er bie älteften Urtunben jur ©efd^id^te öom 
©t. S)eniö, toeld^e ber inadEere S)oubIet üeröffentttc^t l)atte, ate- 
ed^te Dertoertete- 

©eine Drben^genoffen freilid^ feierten i^n au^ nod^ an^ 
einem anbern ®runbe. ©ie rühmten i§n me^r noc^ ate toegem 
ber SIrt feiner gorfc^ung toegen ber ®rgebniffe berfelben. ©ie 
füllten ftc^ in biefer, nun fo n)iffenfd^aftn^ gefi^erten ©efc^i^te 
i^reg Drbeni^ felbft geehrt ; fie tourben ftolg auf baö l^o^e Sllter 
unb auf bie öon ?lnbeginn große SBirffamfeit i^reö OrbeniJ;: 
unb fie erhoben fid^ baran ju bem SBetüufetfein bon feiner 
©ebeutung für bie (Sefd^i^te be§ SlbenblanbeiS unb granfreid^d- 
im SBefonbem. Unb toenn fie mit ben ©elel^rten in ?ßarii5 unt> 
granfreic^ 9KabiQon ate ben großen fritif^en gorfd^er rühmten 
unb in biefem feinem 9lul^m fic^ mitgee^rt füllten, fo erfüllten 
fie fic^ uoä) mit ber befonberen SSerelirung für il^n ate ben 
®cfc^id&tfc^reiber ber ©röfee unb beö 9iu^me§ i^re« Drben«. 

greilid^ fehlte ei^ aud^ ni^t an ©egnern öon äKabiUon^ 
toiffenfc^aftli^en Seiftungen unb fotoo^I innerhalb beö Drbenö toit 
aufeer^alb berfelben. gromme Siferer, bie ni^t« Don ber Äritif 
oertoorfen toiffen »ollten, n)aö i^nenan berDrbenötrabition einmal 
lieb geworben toar, tabelten fein fritifdEieö SSerfa^ren ate über* 
trieben. Unb jenen ^^perfritifd^en gorfd^ern, bie aUe^ öertoarfen^ 
toai i^nen aud irgenb einem ganj beliebigen ®runbe irgenbn)ie Der« 
bftc^tig erfd^ien, genügte n^ieberum feine n)iffenfc^aftlid^e firitif 
nod^ lange nid^t. S3eiben ©ruppen Don ©egnern gegenüber toal^rte 
ÜRabiüon aber fe^r gelaffen feine ©tellung. ®egen bie Änllagea 
feiner übereifrigen Drbenögenoffen, toie etioa ^^ilipp ®aftibe^ 



S (irfted ttapiitl 

t^ertetbigte 9RQ6tQon fein frittfc^ed SBerfa^ren tooi^l einntot mit 
tintm, boitn berfi^mt flemorbencn fflricfc, 26. S)cj. 1668, in 
lodd^cm er ftc§ bereit erflörte, ben SBormurf ber SSertoeflen^cit 
Don einem Ungebtibcten im Sntercffe ber SBo^r^eit auf fid^ ffi 
nehmen. 5)te fritifd^cn ©iferer aber, bte in einem fe^tenben 
fünfte, in einem querliegenben ©iegel SBcrbac^töflrünbe gegen 
eine Urfunbe fonben, bie baS 6ar6arifd)e Satein in ben alten 
UWeron^ingcrurfunben in beö el)rlic^en S)oublet ©efc^ic^te wn 
<Bt 3)eni«(1625) aU ein 3ci^^« fd)Iec^ter Kopien, bie er benagt, 
ober gar qU öon S)oubIet, um feinen Urfunben ein fo l^o^eö 
?nter ju öerlei^en, felbft erfunben erttärten, aDen biefen, bie 
folc^e unb ät)nlic^e Ungel^euerlid^feiten au^fprac^en tote etnw 
auc^ bie Unmöglid^feit behaupteten, bag fid^ fold^e angeblid^ 
Aber 1000 Sa^re alte Rapiere Ratten erl^alten fönnen, bie 
tniberlegte SWabillon ftittfdiroeigenb burc^ feine Senugung ber 
angefeinbeten ©tüdc. Senn er gebac^te ru^tg feinen fritifc^en 
SBeg n)eiter ju ge^en unb war fern öon jeber Steigung jur 
^olemif. Unb bod^ foHte er für feine Äritif ber Urfunben be« 
fec^ften, fiebenten unb achten Sat)rl)unbert^ , toie fie bie brei 
erften SSänbe ber Acta Sanctorum ordinis St. Benedicti 
brarf)ten, ju einer ©treitfd^rift aU 3?erteibigung feiner ®runb* 
fä|e unb feiner SRet^obe genötigt werben. @r f)at benn 
freilid^ auc^ biefe ganj in feiner Slrt unb fo, loie nur eben er 
fie öerfaffen fonnte, abgefaßt, t)erföf)nlicben ©innö, rein fad^üd^, 
auf einem aufeerorbentlic^en gelet)rten SBiffen aufgebaut, nic^t 
polemifc^ negierenb, nein, pofitio fc^5pferifd& in ber Sel^anblung 
jcbei^ ©treitpunfteg, fo ta^ fie jugleid^ einen eminenten gort* 
fd^ritt ber Äritit unb ber t)tftorifc^en SBiffenfc^aft überhaupt in 
fid^ fc^Iofe. 

3m Sa^re 1675 erfd&ien nömlid^ aU ber ®ipfel ber 
fritifdien 3^^^f^f ^Me^ fritifc^en gelet)rten Qtitaltn^ inbetreff 
ber alten Urfunben ber üKerominger* unb JJaroIingerjeit ein 
"SBcrf, baö fic^ aU ein SJerfucfi ber Urfunbenfritif auf 
f^ftematifdier ©runblage gab, unb beffen SRefuItate bireft 
tKabiUonö bieljerige Ijiftorijc^en Seiftungen in it)rem innerften 
Äern, eben in feinen fritif^en ©runbfägen angriffen. 



^om Sean WlüUUon. 9 

S)antcl 5ßapc6roci^, ber flcle^rtc Sefuit, bcr feit 1665 bic 
Acta Sanctorum ^erauggab, bcr fc^ärffte unb unbcfanflenftc 
Ärittfcr unter bcn Settern bc8 1643 öon Sodann ®oQanb 
bcflrfinbetcn großen ©ammetmerfe« oder Heiligenleben unb Don 
aSabiHon \)od)t)txef)xt , mar t^, ber 1675 in feiner ©c^rift: 
Propylaeum antiquarium circa veri et falsi discrimen in 
Testutis membranis baS Urteil au^fproc^: Stile Urlunbcn bt§ 
fed^ften Sa^rl^unbcrtä finb gefälfd^t; je älter eine Urfunbe ift, 
bcfto öerbäd^tiger ift fie, im ganjen ®ebtet beö alten granfen^ 
xt\6)^ f)abe x6) nic^t eine einzige unöerbSd^tige Urfunbe t)or 
Dagobert I. gefunben! ^ßapebrod^ toax au^ rein tüiffentc^oft* 
lid^en 3^cdEen an biefe Unterfud^ung herangetreten. 3m gort^ 
(aufe feiner Iritifd^en Slrbeiten für bie Acta Sanctorum, beren 
Herausgabe eben feit 1665 wefentüd^ in feinen ^änben lag, 
l^atte er fid^ immer n^ieber in bie SRottoenbigleit üerfefet gefe^en, 
über bie ©loubtoürbigleit alter Urfunben fd^Iüfftg ju toerbcn. 
MU ein äKeifter formaler unb fad^Ii^er Shttif gegenüber ber 
Überlieferung ber 95üc^erf|anbfc^riften empfanb er um fo me^r, 
toie unft^er feine Sritif ber urfunblic^en Überlieferung h)ar. 
Slic^t bofe bie Si^^age über ©c^t^eit unb Unedjt^eit t)on Urfunben 
tjon ifjm juerft aufgeworfen n)äre, ober bafe eö feine Siteratur 
über ben ©egenftanb gegeben. Sm ©egenteil, feit einem Sal^r* 
^unbert Dertoertete man Urfunben ^iftorifd^, unb feit fünfjig 
Salären ftritt man, namentlid^ im beutfd^en SReic^, in einer 
überreich anfcötocUenben Sitteratur um bie (Slaubroürbigfeit ein* 
jelner alter Urfunben für forenfifc^e Qmdt, Unb ber ©treit 
tourbe mit jenem lauten ©ifer unb jener §artnäcfigfcit geführt, 
ben SJoreingenommen^eit unb perfönlicf)e unb 5ßarteigegenfä§e 
JU biftieren pflegen, unb bie Urteile mürben mit einer Unbefangen* 
^ett unb Unfe^Ibarfeit vorgetragen, mie eö immer ift, menn ber 
9ÄangeI toiffenfd&aftli^er SBorfcnntniffe bem freien ©piel ber 
©pefutatiort unb 5)ialeftit t)ofle S^ei^eit löfet. Slber $ßopebroc§ 
erfannte nur ju beutlic^, mie menig miffenfc^aftlid^ bie ganje 
Siteratur über biejen ®egenftanb angelegt toar, 'mie bie ©rünbc, 
au8 benen bie einjelnen Urfunben öerteibigt ober öertoorfen 
mürben, o^ne SRegel, o^ne ®efe^, auö ganj toiHfütlid^en 



10 ^rfteS J(at)ttel. 

IBetra^tungeit unb Einfällen getoonnen lourben, mie toett ab 
man alfo nod^ öon einem filteren SEBege jur SBal^rl^cit toar. 
3)arum fuc^te er für feine Urlunbenfritif ftc!^ felbft bic gcft^erte 
(Srunblage ju fc^affen. ®r Derfud^te, ben Urfnnben bie i^ncn 
eigentümlichen SKerlmate abjugelDinnen, bilbete fid^ aui5 biefen 
aWerfmoIen {Regeln unb übte bann, mit biefen Stritif. S)iefe 
aWet^obe toax allerbingiJ aud^ für bie Urfunbenfritil ni^t me^r 
ganj neu. 3n bem ©treit ber {Reid^^ftabt fiinbau mit bem 
©tift ber Äuguftinerinnen bafelbft über bie SRed^te be« ©tifte^ 
^atte fid^ fc^Iiefelic^ bie grage um bie @d^tt)eit einer farolingifd^en 
Äaiferurfunbe gebrel^t, unb 06 biefeö S)ipIom Don Subtoig bem 
frommen ober öon Submig bem ©eutfc^en gegeben fei. Sri 
ber Sofung biefer grage ^atte unter anbern aud^ ber grofee 
§elmftäbter Surift unb ^ol^^iftor ^ermann Eonring ba§ 3Bort 
genommen (1672)^). Unb er ^atte biefen SBeg ber gorfc^ung 
eingef dalagen , bafe er bie fragli^e Urfunbe mit anberen afe 
eä^i geltenben Urfnnben ber beiben ^errfd^er öerglid^, fi^ über 
©^rift* unb Sanjiemamen orientierte, Slnl^altöpunfte für SBe^anb* 
lung be^ StinerarS fammelte unb barauf feine ©d^Iüffe auf* 
baute. 3)iefen 3Beg alfo befd^ritt aud^ $apcbrod£|, aber er joj 
ein gröfeere^ äRaterial ^eran, ai^tete auf Diel me^r SKerlmale 
unb ftedtte fid^ feine Slufgabe toeiter. SlHerbingi^ fefete auc^ er 
t)on einer Sinjelfrage a\x&, berjenigen nSmlid^, ob eine angeb» 
Ii(^e Urfunbe S)agobertö I. (646) für ba« Älofter feren bei 
Srier ecl)t fei. 9l6er bie 9(rt, n)ie er jum Qidt eine§ objeftiö' 
gefiedertem Urteifö barüber ju fommen fud^te, toax nun biefe. 
@r ftellte ben S^ejt einer öon i^m für unbeftreitbar ed^t 
angefe^enen Urfunbe S)agobertö L für ©. 3J?ajimin nebft 
angefügten gaffimile Doran unb begann juerft einen SSergleid^ 
biefer unb ber fraglid^en Urfunbe in ©til unb gormein, er 
be^nte feine SBetrai^tungen alfo gleich auf ein toeitcreö ®ebiet 
aujJ. S)a6ei fui^te er für jebe ber öerfd^iebenen gormein bed 
S)ipIom§ für Dren bie ©po^e, b. i. baö etfte äuffommen feft* 



') Herrn. Conringii censura diplomatis quod, a Ludovico Impe- 
ratore fert acceptum coenobium Lindaviense etc. 



a)om Seat! SWaBiHon. 1 1 

juftcQen, unb fteUtc bic ctnärfnc ber öon t^m aU falfd^ 
crfanittcn gormcin btefcr Urfunbc bcn cntfprcd^citbcn rtd^tigcn 
gormein, tote er fic in bem i^m für ed^t geltenben 5)ipIome- 
fanb, gegenüber. — 3)ann be^anbelte er bie ©eftalt ber Sud^* 
ftaben, boS ©iegel unb bag 5D?onogramm, unb hierbei benufete- 
er beutf^e unb franjöfifd^e Äontgi^urfunben btö ju bch ©dteru. 
unb ju ^^iltpp I. unb aucti ^ßopftbuHen, unb er öerfolgte 
Sinjelfragen 6i8 xn^ 14. Sa^r^unbert hinein. — Unb toenn 
er nun bort unb ^ier für gormein ober ©ud^ftoben ober ©ieget 
ober SWonogramme ber Ur!unbe in Ören ben SRac^tociö brac^te,. 
bafe fte nid^t jeitgemäfe feien, fo ftcDte er bem bann auc^ gfeic^. 
gegenüber, toelc^er fpäteren Qtit bie§ 3)?er!mQt in biefer gorm 
ober biefer ©c^rtft angehöre. — Unb öon ha ging er bann ju. 
einer furjge^altenen, aber in ^infid^t ber SKerfmale bod^ toieber 
ertociterten, fc^arfen ^tif einer Slnja^I Urfunbengruppen über, 
bie ongcblidEi oui8 SRerooinger* unb Saroltngerjeit ftammten. 
Unb biefe Prüfung bradjte i^m bog i^n felbft fiberrafc^enbe- 
©rgebni^, bafe er überall, too er l^infa^, gälfd)ungen fanb, fo- 
in Sobbe^, in Eambrat), in ©. äWajimin, in ©t. ©ermain^beig* 
^xt^, unb befonber^ t)iele in ©t. S)eni§. Über bie burd^ 
©oublet (1625) au^ bem Slrc^iö biefer «tbtei öeröffentlic^ten 
Urfunbenfammlung, etma§ me^r alö 600 ©tüdt, glaubte ^ape»^ 
broc^ beifpietetoeife bag Urteil fäQen ju muffen: S)ie alten ba 
abgebrudften ^apftbuHen finb falfc^, bie 17 atö Urfunben 
5)agoberti^ I., bie 7 aU Urfunben feiner Siad^fotger l^erauÄ* 
gegebenen S)ipIome, bie angeblid^en 8 Urfunben ^ippinö, bie 
17 Urfunben, bie Sari ber ®ro&e angeblich öerlie^en, unb fo- 
toeiter, äße finb ^jtoeifel^after ©d^t^eit. 

Unb ha^ ©efamtrefultat feiner Urf unbenfritif im ^^Jrop^Iaeum 
überhaupt, toeld)eö mir oben fd^on furj öormegna^men, lautete 
ba^in: Sm ganjcn Umfreiö beg (ilten granfenreirf)^ ift nic^t 
eine unjtocifelliaft ei^te ßönigSurtunbe unter benen, bie angeb«^ 
lic^ oor S)agobertö I. Qdt entftonben finb, unb auS feiner Qtit 
unb nad^ feiner Q^xt big ^erab ju ben Äarolingeräeiten finb- 
un^ aud) nur fe^r toenig e^te Urfunben in Original ober iu 
treuer Jtopie überliefert. Unb toad oon ben Sbnigdurfunben: 



12 Grftc« StapM. 

^tlt, gilt anä) boit ben SuQen ber ^apfte. 2)te 3Rönd^e ^abett 
in frommem 83ctrug in fc^toeren Qeittn, ttjic ^ttoa ba^ 11. Sat|T> 
I)unbert für fte toar, gcfälfc^t, um fid^ gegen bic gemalttt)atigen 
Alien ju fd^ü^en, fie ^aben aU ^dbmtffer bie ®filtigfeit unb 
IBcrftänblic^fett alter 5ßrit)ilegien öerbeffcm moHen u. f. to- Unb 
■allc§, tpag in bcn Älöftern aU alte Urfunben gejeigt toirb, ift 
uerbäd^tig, unb je älter, um fo öerbäd^tiger. — S)ie ©ac^e 
toar Don ?ßapebrod^, toie tpir f^on öermerften, aug toiffenfi^aft* 
litfien Qto^dtn in Singriff genommen unb noc^ feinem bcften 
Jfönnen miffenfci^aftlic^ burc^gefül)rt unb Vorgetragen n)orben. 
^ber bie Senebiftiner unb öor allem bie SÄauriner fa^en in 
leiner ©d^rift einen 3lngriff auf i^re @^re, it)r ainfe^en, i^re 
Oefd^ic^te unb auf tl)re miffenic^aftlic^en öeftrebungen unb 
bereu ©runblagen. 3n ©t. S)ent§ bema^rte man merotoingifc^e 
JfönigSurfunben öon 6^lotar§ IL Seiten (625) ab, bie 2;rabition 
in ©t. (Sermaitt mufete t)on ©c^enfungen ß^lobmigö an ben 
l^eil. @ermanu§, unb i^re ß^artulare unb Sopialbu^er bargen 
fiberall folc^e SJofumente, bie ^apebroc^ nun in 93aufd^ unb 
Sogen öerroarf. . S)ie 3D?auriner verlangten benn aud^ t)on bem 
IBerfaffer ber fritifd&en ?lnmerfungen unb ber ©rläuterungen jU ben 
in ben Acta Sanctorum ordinis S. Benedict! gebrudtten ^eiligen*' 
leben eine fofortige SBiberlegung von ^apebroc^^ Singriff. Unb 
toenn toir ben 3nl)alt von äWabißonö Slrbeit an ben bereite 
«rfc^ienenen brei 93änben ber Heiligenleben feineö DrbeniS über*= 
bilden, fo bürfen mir fagen , \)a% eine folc^e ©treitfi^rift gegen 
Ißapebroc^ fofort ju fct)reiben SKabiHon mit feinem äWaterial 
iinb feiner Urfunbentenntniö atlerbing^ im ©taube mar. S)enn 
fotd^e ungel^euerlic^en Se^rfäge $ßapebro(^ö roie ettoa, bafe 
1ßapt|ru^ im äKeroroingerjcitalter nic^t in ©ebraud^ gemefen, 
bafe bie verlängerte ©c^rift ju Slnfang unb ©d^lufe ber Urfunben 
^rft in ber Siarolingerjeit aufgetommcn, bafe bie 3af)re8ääl)lung 
von ber ®eburt beö §eilanbia an in ^apftbuHen erft feit 1445 
<Sebrau(^ gemorben, ia'ß für cinfa^e ©djenfungen in ölterer 
^eit bie f^riftlicl)e SSergabung nid^t üblich njar , bafe ^^apft^ 
fcuBen beö fed^ften unb fiebenten 3at)rt)unbert^ , mcldje bie 
<Sjemption einc§ Älofterö von ber 3uri§biftion beS 93ifd^ofö 



S)om 3ean mabiUon. 1 J 

an^\px^m, fatfc^ feien, biefc Sc^rfäfee ate ganj unl^attbar 
itad^äutoeifen , baS toäre aWabiUon fofort gelungen. 2l6er er 
fafete mit ber Reitern 9iu^e, bie toir an i^m fennen, bie ©a^ 
anberö ate feine Drbeni^genoffen , er na^m fie, toie ^aptbxodi 
fie be^anbelte, eben aud^ ate eine toiffenfd&aftlic^e Äontroöerfe 
auf, bie er aud^ ate folc^e jum Slu^trag bringen tooHte. ©o- 
fd^reibt er benn noc^ öier Sa^re fpSter, am 25. SKai 1679 an 
feinen jungen Sanb^mann ©ietrtc^ Sfiuinart, ber balb fein 
eifrigfter ©e^Ife unb fein an^nglid^fter greunb toerben foHtet 
Je travaille ä une dissertation touchant les chartes pour 
distinguer les veritables d'avec les fausses. Le P^re 
Papebrogue qui en a donnö connexture m'a donn^ sujet. 
de r^futer les r^gles qu'il avance, que je trouve fausses ^). 
Unb er liefe nod^ jtoei weitere Sa^re, alfo im ganjen fed^^ 
Sa^re öergefien, el^e er 5ßapebrod) antwortete, unb nun aller« 
bingig nid^t mit JBiberlegung üon (Sinjel^eiten in ftreitenber 
gorm, fonbern mit einem SBerfe, in toeld^em bie ganje t)on 
^apebroc^ aufgeworfene iJrage auö ben tiefften wiffenfc^aftli^en 
©rünben rein fad^lid^ entfd^ieben tourbe. Sei feiner Sßad^toeifung. 
über bie öon 5ßapebroc^ t)orgebrad)ten Se^ren t)on ben Urfunben 
^atte aWabißon juerft feine big^crigen Slnfic^ten über ben SBert 
ber öon t^m benugten Urfunben nod£| einmal nachgeprüft. 3)a- 
fc^ien il^m ©rtoeiterung be§ SRateriate für bie S^^f^w^fl "ot^^ 
menbig. ©iefeö ^atte er bann f^ftematifc^ üeröollftänbigt, 
geförbert öon feinen greunben unb ®önnern innerhalb unb- 
aufeerl^atb bei3 Drben«. aRit §ülfe beö ftreitbaren, ^einblütigen 
^icarben SDKd^ael ©ermain ^atte üRabillon nod^mate ben ganjen 
^anbfd^riftenfc^ag öon ©t. S)eniö unterfuc^t. S)cr geleierte 
glaube ®ftiennot, ebenfalls ein äKauriner, burd^forfc^tc ©üb* 
franfreid^. ©emeinfame SReifen mad^ten fie nad^ ber ©Kampagne, 
Sot^ringen unb ben benad^barten ^roDinjen. S)ie Senebiftiner 
öon ber Kongregation t)on ©t. SSanne^ öffneten it)nen alle t^re 



*) SBroglic, Mabillon et la soci^tö de l'abbaye de S. Germain 
des Pr^s 1, 108 auS 9ÄabiIIon , Correspondance. Bibl. nat. fond»- 
£ran9ai8 19049 fol. 416. 



14 ©rftcS ^QpM. 

<SatnmIunflcn. Unb bann boten bic ®5nncr unb grennbc auger« 
f)ali bci^ Drbcn«, ein SSion b'^eronüal, öaluje, ber SBtbliot^cfar 
'^oibttt^, Slnton SRaflßabecc^i, ber 93i6Iiot]^e!ar in glorenj, unb 
Diele Änbere bem üon t^nen bereitf ^oi^gef eierten ^eraui^flebet 
ber Opera St. Bemardi unb ber Acta Sanctorum ordinis 
St. Benedicti bie ^anbfd^riften, S^artulare u. fi. bar, worüber 
fte oerffigen lonnten. ©o !am ein erftaunlid^eg SWaterial 
jufammen. 3)iefeg floatete unb barau« folgerte äRobiUon. Unb 
ate ein SWonn ber ^öci^ften SSorftc^t im toiffenfc^aftlic^en Urteil 
unterbreitete er bann, n^ai^ er aU ©c^lugfolgerung gen)ann, 
feinen flele^rten ®en offen unb aud^ anberen ®ele^rten toie 
einem 93aluge, einem S>u Sänge gur 9ta(^prufung. @o famen 
geftd^erte 9lefultate, fo famen auc^ neue ©eftd^tspunfte , aber 
ouc^ neue 5ßrobleme unb bamitt tt)ieber neue Aufgaben für bie 
l^orfc^ung ^erüor. Unb jebe Aufgabe fagte ^abiOon bann 
toieber gonj an, um fie ju löfen. ©o fd^uf er beifpietötoeife, 
um bie ©d^rift ber Urfunben im ©anjen unb im Sinjelnen 
ba^in beurteilen ju !6nnen, ob, fie äeitgcmöfe fei, ftc^ einen 
n)iffenfc^aftli(^en Überblidf über bie ®ntn)idEIung ber lateinifd^en 
©d^rift im äRittelalter, b. t|. er fd^uf fid^ fo ate SBorarbeit für 
feine S^^^^ ^^^ SEBiffenfd^aft ber ?ßaIäograp]^ie. ©o toud^ö i^m 
aber biefe ?lrbeit ju einem ganj anberen SBerl ^eran, atö er e8 
erft gebadet. 3)ie güDe ber pofitiöen ©rgebniffe über Urfunben* 
merfmale, etloa toufenb Urfunben abgen^onnen, toax balb fo 
grofe, bafe bie ©injelpunlte barin, bie fid^ gegen ?ßapebrod^i8 
Se^rfä^e n)anbten, faft öerfd&toanben. Unb bie ©rgebniffe felbft 
ertoiefen fid^ toeiter toieber fo juöerläffig für bie Urfunbeniritif, 
ba§ SWabillon ben unmittelbaren unb pIö^Kd^en ©nbrudt 
geioonn, eine neue Sßiffenfd^aft entftelie unter feinen ^änben. 
Unb biefe barjuftcllen unb jugleid^ bem Sefer bie äWittel an 
bie ^anb ju geben, ben Umfreiig unb bie ä^^^Iöffisf^it ^^^ 
neuen S)ijiplin ju beurteilen, baö »urbe bann baö leitcnbe Sxd 
ber n^eiteren 2lrbeiten, bie er 1681 jum SI6fc^Iu| bradite. ©o 
ift äRabilloni^ 83ud^: De re diplomatica (1681) entftanben, 
jene« SBerl, toelc^eö bie neue SBiffenfc^aft ber Urfunbenle^re 
fc^uf. ©in aSerf, bemunbernön^ert megen ber erftaunlic^en 



S)om 3«att ^WaBttton. 15 

©dc^rfamlctt unb ^ol^cn SB^iSl^cit, bic fein Slutor ba offenbart, 
uttb toegen ber leidsten, Haren.- mtb freien SeJ^errf^ung bci8 
flctoalttgen nnb fo fpröben äKateriate, feffelnb nid^t btofe burd^ 
bie unenblid^e SBelefirungr bie toir empfangen, fonbern ebenfo 
bttrd^ bie $£(ar^eit bei^ ^ix% nnb ni(^t jnle^t trog it^ trodEenen 
unb ablicgenben ©toffe^ unfern ®ifer au^ barum an fid^ jiel^enb, 
toeil eiS überall t)on bem SBetoufetfein feinei^ Slutor^ getragen 
totrb, bafe er mit feinem SBerfe ber ®efd^itf|tc grofeen SRugen 
ertoeife, unb bafe er mit bem öeröffentlid^ten unb nun gefid^erten 
©d^aft einer ftellentoeife me^r beim taufenb Sa^re alten Über* 
lieferung ben SRu^m ber Äirc^e toie ben beö franjöftfd^en 
Äönigtumö meiere. Unb mit SRed^t ^at SRanfe in einem 
berül^mten ftopitel feiner franjöfifc^en ®efcf)t(^te, ,,?lnftd^t ber 
Siteratur*" jur ßdt öon ßubtoig« XIV, ©mporfteigen unb 
^öl^e, aud^ SKabiQonö SBerf: De re diplomatica gebadet. — 
greitid^ nic^t bicfen 3^föinmenöang beö SSud^eiS mit ben au^ 
in ©t. ©ermain^'be^^^^ßreg toaltenben, bte Siteratur unb Äunft 
toie bie ©efellfc^aft be^errfcfienben 3been, bie in ber SJere^rung 
bt§ ÄönigtumS unb feineS perfönlic^en 8Sertreter§ gipfelten unb 
feiner SSer^errlic^ung bienten, l^aben n)ir l^ier aufjufuc^en. SBir 
l^aben l^ier nur bie 3tnttt)ort barauf ju geben, maö ber Snl^alt 
ber neuen SBiffenfd^aft toar, bie in SröabiQonö großem SBerf fo 
plöglic^ JU Sage trat. 

95ei bem SSerfuc^ biefer ^Inttoort fei aber t)orgemer!t, baß 
^abillong: De re diplomatica feineötoegiS ein f^ftematifd^e^, 
auf einem erften ^ßrinjip aufgebautei^ Se^rbuc^ ift. SRabinon 
l^at im SlÜgemeinen too^I eine 3)iiSpofition, er ge^t t)on außen 
noc^ innen, aber er fprid^t feine Se^rfäge nur gelegentlid^ im 
f[nfc^Iuß an bie lonfreten ^äQe auS, benen er fie abgeioann. 
Unb bie«, fo bitten toir, möge unfer Sefer feft^alten: er toirb 
bann, fo hoffen toir, ebenfo toie er einer falfd^en SSorftellung 
über änabiQond 3Ber{ entgeht, aud^ gegen bie 9KfingeI ber nad^« 
folgenben SluSfü^rung 9?ac^fi^t üben. — 3m fed^ften Sa^r- 
l^unbert, fo führte SKabiÖon nac^ ©d^riftfteUerangaben au«, l^at 
«« fd^on päpftlid^e unb föniglid^e 5ßrit)ilegien für Älöfter gegeben, 
ja föniglid^e fann man fd^on für ba« fünfte Sal^r^unbert nad^* 



16 <Srße9 ^apiUt 

koetfen. Unb 6td in gleicb alte 3^it ivxäd fdnnen koir ben 
®cbrauc^ ju urfunben für 5ßrit)at))crfonen, weltliche unb ßrif^ 
U^e, fonftatiercn. älfo ba« ^o^c alter bcr Urfunben an flc!^ 
tft fem 8Scrbodö«monient gegen biefelben. Ällerbinfl« tft tnel 
gefSIfd^t ju allen Briten unb öon ben öerfd^iebenften ©täuben. 
Slud^ ftnb öielerlei Urfunben auiS anbem ©rünben üerberbt, aber 
ntan barf barum nid^t alle alten 5ßrit)tteflien anjtoetfeln. Seboc^ 
toie ftnb bie eckten öon ben falfd^en Urfunben ju unterfc^eiDen? 
SRun, bie Urfunben bieten un« felbft bie ffienuici^en, auf 
bie tt)ir für bicfen Qtotd ju achten ^aben, toie ba§ ja aud^ fd^oa 
^apebroc^ felbft erfannt ^at. ^apebroc^ ^at aber nic^t erfannt^ 
bafe toir juöerläffiße Kriterien nur fletoinnen toerben, toenu toir 
eine möglic^ft flrofee 3öt)t rtaä) 2lrt, 3^^^, ®rup<)e, Sanbfc^aft 
äufammeufle^örifler Urfunben Dergleichen, ©o lehrte äWabillon. 
Unb er mad^te nun biefen SBergleic^. Unb ba lernte er ben 
©toff, auf bem qe^d)xxeber\ tt)urbe, bie ©eftalt (gormat) ber 
Urfunben, bann bie ÜÄittel, womit man fc^rieb, bie ©d^rift felbft^ 
Snterpunftion, tironifc^e 9?oten ju bead^ten, 3)ann batte er 
bem ©ti^ fic^ jujutoenben, i^n ebenfalls an^ ben Urfunbeu 
felbft fennen ju lernen. S)ann jeigten ibm bie Urfunben ju 
Anfang unb jum ©d^Iufe je nad^ Art unb 3«it ganj beftimmt 
gefaßte gormein, in toelc^e ber Su^alt gefteibet tourbe. S)a 
fanb er am Slnfang g^tmeln toie: Invocatio, titulus, promul- 
gatio, ober inscriptio (in 5ßapfturfunben), unb salutatio. Unb^ 
gegen ©c^lufe fanb er ©trafanbrol^ungen, gluc^formeln unb ant 
eigentlichen ©d^lufe gormein, n^eld^e bie Snfünbigung ber Unter*- 
fc^rift unb ber Sefieglung entl^atten, bie gormein ber Äönigg*^ 
unterfd^rift, ber Äanslerunterfd^rift unb ^^ntid^e^. — »ud^ biefe 
eiujelnen gormein oerglicf) SRabillon. Unb tt)eiter jeigte t^m 
ber %eT^ ber Urfunben aud^ ganj beftimmte ®gentümlic6feiten, 
unb er lernte auf ben ®ebrauc^ bei^ Pluralis majestatis, bie 
gormen ber (Sefamttitel, auf bie Sntoenbung ber Familiennamen,. 
Beinamen, auf S^^^^^^t^S^^^n ^- ^* ^<^ten. Unb fc^lieglic^ 
forberten SWonogramme, ©iegel, 3^W9^ttunterfc^rift unb Dor^ 
ne^mlid^ bie ©atierungi^angaben bie forgffiltigfte Seobad^tung. — 
^ad toaren bie äJ^erfmale, auf loelc^e äRabiQon nun aufmerffam. 



a)om 3eatt SRabiUon. 17 

ma^tc unb üon bercn ^ßrüfung üuS er bcn »»eiteren SBcg jum 
®etoinn öon Kriterien für bie ©c^t^eit ober Uned^tl^eit ber \b> 
!unben untento^m. @ö gilt nun feftjufteöen , fo le^rt er, 
toel^e^ in einer beftimmten 3^^^ fö^ ^i"^ befttmmte Urfunbenort 
bie geltenbe gorm ber SRerfmale getoefen tft. 

Unb hierbei, — fo jeigt eö bonn bie Art, toit er btefen 
SSerfud^ unternahm — tft feiner 3Retnung nad^ jtorierlet ju 
(elften. äWan mufe erft ju einer fiebern ?luffaffung über S^arat 
ter unb gorm ber SKerfmale, toie ©toff, ©d^rift, ©icgel, 
Urfunbenformeln ju gelangen fachen, et)e man für ben gegebenen 
%aVi baö ©njelmerfmal beurteilt. Unb anbrerfetfcg tft ni^t aui^ 
ber ©d^rift alletn unb überhaupt nic^t aui^ einem etuieluen 
9Wcrfmat allein, fonbern nur auö ber ©efamt^eit aller 3RerfmaIe 
einer Urfunbe über biefe ju urteilen. Unb SRabiDon Derfu^r 
banad^. ©o fd^uf er fid^, toaö toir ja fd^on oben anmerften, 
äum ©c^rifturteil im ©nielfall erft bie große SSorarbeit einer 
©arftellung ber lateinifdien ^aIäograpt)ie bc§ 3RitteIaIter«, fo 
für bie Beurteilung einjelner ©iegel eine Überfielt über bai^ 
gonje ®ebiet ber Sefieglung, fo für bie Kriterien ber S)atierung 
erft eine abfd^Iicfeenbe Unterfud^ung über boö SBefen unb bie 
Arten beö SatierenS überl^aupt. Unb inbem er nun öon folc^en 
©runblagen auS an bie Prüfung ber (Sinielmer!ma(e ber ein« 
jelnen Urfunben l^eranging, l^ierbei aber immer alle SKerfmoIe 
berfelben Urfunbe äufammen beurteilte, !am er ju ganj gefid)er* 
ten SRefuItaten unb ju einer toirflicft toiffenfc^aftli^en (Srunbfage 
ber Urfunbenfrttif. @r ma^te bamit bann an^ gleid^ bie fid^ 
glänjenb bctt)at)renbe ?ßrobe feiner neuen SBiffenfd^aft, inbem er 
nun bie oon ^apebro^ atö aut^entifc^ benufeten Urlunben ate 
anormal ober falfd^ nac^toieiS unb überl^oupt ^apebrodji^ Hnfic^ten 
unb Siegeln fo fd^Iagenb in il^rer ^altlofigfeit tttoit^, bafe biefer 
felbft fid^ aU tJOÜftfinbig toiberlegt befannte. Postquam tarnen 
utcumque evolvi opus vestrum de re diplomatica, non pos- 
sum celare fructum, quem inde retuli. Fructus autem 
hie est, quod mihi in mea de eodem argumento oeto 
foliorum hicubratiuneula nihil amplius jam placeat, nisi 
hoc unum, quod tam praeclaro operi et omnibus numeris 

eiftori1*c «ibliot^el. «b. IV. 2 



18 ©rftc« fiapitel. 

absolute, occasionem dedit. — Initio quidem lectionis, 
fateor, patiebar humanuni aliquid, sed mox ita me rapuit 
ex utilissimo solidissimeque tractato argumento proveniens 
oblectatio, et gratus emicantis ubique veritatis fulgor cum 
admiratione tot rerum hactenus mihi ignotarum, ut con- 
tinere me non potuerim, quin reperti boni participem 
statim facerem socium meum patrem Baertium. Tu porro, 
quoties res tulerit, audacter testare, quam totus in tuam 
sententiam iverim, meque ut facis, perge diligere, qui 
quod doctus non sum, doceri saltem cupio. Antwerpiae 
10. Juli 1683.^) — ©0 fc^rieb 5ßapebro^ an aKabiaon. Unb 
btcfcS Urteil beg avai) tu biefem SBrief toiebcr felbftloS unb nur 
ber SBiffenf^aft gebenfcnbcn ^opeprod^ über SKabiUonö SBcrf 
ift btiS l^eute baö geltenbc geblieben. Sft t)on ben ba öorgetrogc*' 
ncn SRefuItaten Dieleig trofe fortfd^reitenber ©ac^lenntniS jefet 
nod^ tJoUgülttg, unb finb bie S3cmerfungcn über btc nterotoingt^ 
fd^en 3)ipIome nod^ immer öon ni^t ju entbe^renbem Snl^alt, 
fo fte^t ba§ SBer! ate SBorbtIb einer i^re SKet^obc ftd^ erft felbft 
fd)Qffenben unb biefe bann in gebiegenfter SBcife antoenbenben 
Unterfuc^ung in ber ©iplomatif au^ ^cute nod^ unübertroffen 
ba. — ©0 toax alfo bie Urfunbentt)iffen|(^aft gefc^affen. 3t|r 
©c^öpfer aber erntete ^öd^ften SRu^m. Subwig XIV. liefe fid^ 
ben berühmten Wlbnä) bnxä) Se %tükx unb öoffuet jufü^ren, 
unb jener fteöte il^n bem Söntgc afö ben gelel^rteften SKann 
feineö Königreiche« Dor. Sie 3öt|I ber ^o^en ^erfonen, 
SBürbenträgcr in ©taat unb Stirere, ber ©ele^rten im 3n* unb 
?lu«Ianbc, bie münbli^ ober brieflii^ mit bem Sßerfaffer be§ 
öud^eS: De re diplomatica SSerle^r fucfjten, fd^UJoU mäd^tig 
an. (Sine gorfd^ung^reife SÄabittonig nad^ Stallen tourbe ein 
S^riump^jug, unb er tourbe eine Slutorität für ba« gefamtc 
mittelaltcrlid^e ©tubiengebiet , ba« feine Sci^Ö^^off^n pflegten. 
S)od^ er ging feinen füllen SBeg in ber gelehrten Arbeit unb 
tro^ feine« Icibenben g^^ftöube« mit emfigen ©d^ritten »eiter. 



*) Ouvrages posthumes de D. Jean Mabillon et de D. Thierry 
Ruinart, 1, 459. ^ariS, 1714. 



^om Seati aRablKotu 19 

?l6cr nun ad^tctc er bei feinen l^tftorifc^en, liturgtid^en, bogma^ 
tifc^en, fpefulottüen unb anbeten ©tnbien au^ immer, too er 
feiner Urfunbentoiffenfc^aft neue« JWaterial jufü^ren !onnte. 
Unb in ben SRn^epaufen jtoifcfjen feinen anbeten Arbeiten 
fammelte, ficfttete nnb prüfte er bieg. @r fanb bann feine 
iig^erißen biplomatifcfjen Slnfid^ten unb Seiten immet nut 
beftätigt, aUetbingig aud^ beftätft unb öftetig flatet geftettt. 
Unb fo foüte, toa^ et üon SKaterial unb Seobad^tungen 
^efammelt, in bie jtoeite ^ui^gabe, bie et balb plante, l^inein^ 
gearbeitet toerben. Slbet bag ©tfc^einen betfelben Detjögettc 
ftc^, ba bie aUgemetnen SSelt^nbel eine 2)tucl(egung in gtanf« 
teic^ nid^t fo leidet etmöglid^ten , unb ba SKabiUon Don bem 
^Inetbieten eineg ^oüanbifc^en Setleget^ in bem ©elbftgefü^I 
beg gtanjofen, bet auc^ bie jweitc Slu^gabc in gtanlreid^ ju 
t)etöffentlicf)en »ünfd^te, feinen ®cbtauc^ mad^te. SDfabiüoni^ 
IJreunbe toünfc^ten abet bringenb Äenntniögabe beg neuen 
SKatetiate. SRun etfcfjien bamafö (1703) aud^ ein neuet ^eftiget 
Eingriff gegen 9KabiIIon, bieömal feiten^ bei^ Sefuiten ®ermon ^). 
©ermon bel^ayptete »ieber in ber hergebrachten Slrt bie 
Unmöglid^feit einer 8lufbett)a^rung fo alter Urlunben tt)ie bie 
iingebUc^ aud ber aßeromingerjeit ftammenben big auf feine 
^eit unb toarf jugleid^ unter Slnbetem bie gtagc auf, toie man 
ben 3ta6)m\ii bringen fönne, bafe eineUtfunbe toitfüc^ ec^t fei, 
unb fptad^, ba et baiS füt unmdglid^ etflätte, au^ ber Siplo^ 
Tuatif jebe« Anredet ab, fic^ eine SBiffenf^aft ju nennen. 
SSieHeic^t wirfte bann bei SRabiflon neben jenem Slnbrängen 
ber greunbe aud^ bie Sbfic^t mit, biefem Slngriff ®ermon8 bie 
Opi^e abjubrec^en; genug er entjc^Iofe fid^, baö neue 9Kateria( 
unb bie neuen ©rgebniffe fetner biptomatifc^en ©tubien afö 
<Srgänjung )U feinem $aupttt)er{ für fid^ ju publizieren atö: 
Supplementum librorum de re diplomatica. 1704. Siefe^ 
©upplement brachte aufeer einer Steige fac^Iic^et neuet öelege 
füt bie 3iid^tig!eit feinet Seiten aud^ eine t^eoretifc^ fe^t le^t* 



*) Germon, Barth. S. J.: De veteribus regum Francoram diplo- 
matibus etc. dissertatio. Paris 1703. 

2» 



20 ®tftee itctpM, 

Tcici^c ÄuScInanberfc^ung barübcr, njo bcr 3)ipIomat!ter feine 
Äriterien ßctoinnt , unb njo unb toic er boruntcr bic Jhrttcrien 
für bie (Sc^t^cit finbct. ©d^arffinn aQein, fo Icfen tott ha^ 
genügt für ben Sto^d, autl^entifd^e unb falfc^c Urfunben ju 
unterfc^eibcn ntd^t ; ba tft ©rfa^rung nötig , mt fie nur in 
langjähriger, unauägefe^ter Sefd^äftigung mit ben Originalen 
unb Äopicn felbft gewonnen toirb. SBenn man bie Urfunben 
jeben «Itcrö unb jeber 3cit mit einanbcr öerglcic^t, lernt man 
bie SRerfmale, auf bie eg anfommt, man lernt bic Sllterg* 
fieftimmung ber ©^rift unb f^fiefeli^ bic ed)t^eit ber ©d^rift 
fclbft erfennen. 9Kan fommt jur Überjeugung, ba§ ©d^rift. 
©ttl unb anbere aRerfmalc jeitgemfig finb, unb man ^at bann 
au8 biefer langen unb anbauernben Beobachtung aller Umftänbe 
unb (Sinicl^eiten, mitist jur Erlangung bcr SBa^r^eit beitragen 
!5nnen, bie moralifc^e Übergeugung, bafe man eg l^ier mit einer 
ecfiten Urlunbe ju t^un I)abe. S)amit aber unb in ^^Inberm bot 
SRabillon in feinem ©upplement alfo eine toirflic^e ©rganjung 
feineiS ^auptujerte^ nad^ ber t^eoretifd^en Seite l^in. Unb e^ 
fügt fic^ nun, toaS SRabiUon in feinem aßerf: De re diplo- 
matica, in ben urfunblic^en gorfd^ungen in ben Acta Sancto- 
rum ordinis S. Benedicti unb in ben Annales ordini» 
S. Benedicti unb in feinem : Supplementum für bie Urfunben* 
lel^re bietet, afe 9?euf^5pfung ber Urfunbennjiffenfc^aft ju einer 
©efamtfeiftung jufammen, bie toir etroa fo umfc^reiben bürfen: 
ÄUiS bem njeiteren ®efid^t§frei^, ben ein fe^r breitet 3Ra* 
terial if(m bot, l^atte SWabiUon bie ©nfic^t in bie ÜWerfmate 
gefunben , bie ben Urfunben dQein angehören , unb fid^ bie 
©rfenntniiS beö SBefenö berfclben erfc^Ioffen. S)amit toar er jn 
ber, bann aüerbing« je nad^ bem 2)faterial üerfd^ieben aM^ 
gefallenen, aber in einjelnen Oebieten faft abfc^liefecnben ?ßrüfung. 
ber aWerfmale in beftimmten Urfunbenarten , getrennt nac^ 
beftimmten ßeitabfc^nitten , gefdfiritten. Auf biefer 5ßrüfung 
brang er ju aiegeln für ben fpejiellen gaU üor unb machte 
^ogleic^ bic SRu^anroenbung an ^u beurteilenben Urfunben felbft. 
iCenn bie ed^ten unb falfd^en Urfunben öon einanbcr mit 
töüiger ©id^erfieit unb ftreng auö toiffenfd^aftlid^en ©rünben 



3)om Sean SKabiUon. 2t 

idjcibcn ju fönnen, ba§ foUtc bic neue üon '\i)m flefd^affene 
^ig5i)}Iin lehren, unb bafe fic ba^ leiftcn fonntc, ba§ flanb nun 
-feft. ©0 fc^uf a)?abilIon ein S)oppeIteö, einmal jog er bte qII= 
flcmeinen Umriffe ber S)ipIomQti! alö SBiffenfc^aft im ©toff, 
^icl, SRet^obe, bann löfte er für bcftimmte ©njefgruppen unb 
^rten Don Urfunben gleid^ alle bie gragen, bie er im Sntereffe 
ier Sritif nad^ feinen allgemeinen ©runbfä^en auffteUen mufete. 
Unb fo würbe feine, eine neue SBiffenfd^aft f^offenbe Seiftung 
für alle Qtittn jugleic^ ©runblage nad^ ber ©eite ber all* 
gemeinen toie ber befonberen S)iptomatit Slber aßerbing^ nur 
bie ©runblage t)at er gefc^affen. S)enn »ir tooUen nid^t aöein 
me^r üon ben Urfunben ber öerfc^iebenen Qdicn unb ßanber 
tüiffen, afö er berid^ten fonnte, unb toir tt)iffen auc^ bcreitö 
je^r öiel me^r; ouc^ in ^infid^t ber SRerfmale, auf toeld^e bic 
Urfunbennjiffenfd^aft ju ad^ten unb in ber SWet^obe, bie fie 
babei anttjenbet, bie SDIerfmale ju uertoerten, finb wir fort* 
flefcfjritten. S)ie geitgenoffcn aWabittonö ^aben bo« SBerf freiließ 
no^ ^ö^er gefd^ägt, fie ^abcn Dermeint betonen ju muffen, 
bafe biefeig grofee S33erf oud^ gleich in STnlage unb ©Aftern mie 
in ber SRet^obe bie für äße Seiten abfc^liefeenbe le^te, befte 
gorm gcbrad^t ^at. 3n biefem ©inne ^aben benn aud^ bie 
jpäteren SWauriner SKabiUon« SiBerl bearbeitet , unb biefe Äuf^ 
faffung ^at fic^ in bie ifecole des chartes hinüber fortgepftanjt. 



2. 

äWabiöonö ©pod^e mad^enbei^ SBer! brachte toeitgreifenbe, 
fi äftige unb nad^^altige Smputfe für bie SBiffenfc^aft. Sit @ng* 
lanb, ©c^ottlanb, ©panien, Stauen, üorne^mlid^ aber in S)eutfc^* 
lanb unb granfreid^, ben alten fiampfftätten ber ^eftigften 
biplomatifd^en gelben, toanbten fid^ gelehrte 8lntiquare unb 
^iftorifer öerfd^iebener S)i^jiplinen ber neuen SBiffenfd^aft ju. 

S)er SBcrt ber Urfunben aU ^iftorifc^e Quelle ftieg, bie 
3a^I ber Urfunbenfammlung wud^ö, bie 3lrt ber ©bition würbe 
im allgemeinen bcffer. SKan na^m fid^ äWabiÜon jum SSorbitb, 
man ging auf bie Originale ober boc^ auf bie älteftc Sejt* 



22 äwcitcä StopM. 

Überlieferung jurüdf, unb man brudftc in äWabillon^ 2lrt, forreft 
nad^ bcm SBortlaut unb mit SBiebergabc einiger für bie Äritif 
mid^tiger äWerfmale. ?l6cr and) bie eigentlichen biplomatifd^en 
Strbciten gebieten überaß, t^ tourbcn Urfunben ganjcr Sänber 
toie einjelner 3)^naftien be^anbelt. Über einjetne Urlunben* 
merfmale toie ©icget, SKonogramme u. a. entftanb eine reid^e 
Sitteratur. S^an machte aud^, toa^ man nod^ lange nac^ 
SKabilloniS SBorbilb ate toefentlid^e Steile ber allgemeinen S)i)3lo^ 
matif anfa^, über <Spxad)c, ©c^rift unb 3cttred^nnng ©tubicn. 
SKan na^m ferner — unb aud^ ^ier tt)ieber an SKabiUon unb 
5um Seil an noc^ ältere Arbeiten anfnüpfenb — ba^ ffianjier* 
amt unb SanjIerDerjeii^niffe jum ©egenftanb toiffenfc^aftlid^er 
Slrbciten. — S)ie eigentlicfje gortarbeit an ber Urfunbentoiffen* 
fc^aft aU fold^e unb ate ein ©anjei^ gebockt ^oUjog fid^ aber^ 
njie ja aud^ nic^t anbcrS ju ertoarten, bei ben 9J?aurinern. 
®rft fochten fie noc^ eine ge^be anö. SKabiUon^ langjähriger 
unb vertrauter SRitarbciter S)ietric^ SRuinart l^atte in ber SSor* 
rebe jur jtociten ?lu§gabe von WabiUonä :^De re diplomatica« 
(1709), bie alfo crft jttjei Sa^re nad^ SWabiCon« %ob 
(f 27. ©ejember 1707) erfd^ien, bie SSerteibigung ber Angriffe 
übernommen, njeld^e ber Djf orber ®elet)rte ^idEeö in feinem: 
Linguarum veterum septentrionalium thesaurus criticu» 
et archaeologicus (1705) gegen SKabiUonö SBerf unter ^inblicf 
auf bie bafelbft im fec^ften ffiapitel beö britten 99ud^e§ auf* 
gefteHten Siegeln für bie SKet^obe ber S)ipIomatif auögefproc^en 
^atte. ^idEe^ ^atte aber auc^ äJ^abiQon b5^n)illig bat)in 
Derbäc^tigt, bafe er feine Siegeln nur aufgeftellt I)abe, bamit bie 
9K6nd^e erft red^t gefd^idEt fälfc^ett fönnten. SWabiUon ^atte 
feinet l^ol^en SllterS unb feiner Äränttid^Ieit tt)egen barauf nid^t 
me^r antworten fönnen unb mögen. Unb fo tourbe c^ für 
Siuinart eine ©^renpflic^t für 3RabiQon einjutreten. Unb er 
unterjog fid^ ber Slbme^r mit ©efd^idE unb ©rfolg. 3)ie 9Ser^ 
bäd^tigung bÄ ©eite fc^icbenb ging er ju ben fad^Iic^en fragen 
unb tt)at bar, bafe §idEeS meift auö SKifeüerftänbni^ ober au^ 
glü^tigfeit ju feinem %aM gelangt toar, unb toibcriegte i^n 
in biefen ?ßunften. Unb anbererfeit^ fuc^te Siuinart in ben 



3)ic 3)ipIotnQtif in JJranfvcicft feit aWobinon. 23 

fünften, tpo $tcfei^ 9ied^ ^atte, bog nfimltc^ tnattc^ei^ in 
SKabillong aicgeln bod^ ju bel^nbar unb unteftimmt gehalten 
fei, Slb^ilfc ju fc^affen, inbcm er bie SRegeln präjifer fafetc unb 
erläuterte unb babei einige nod) l^eute fe^r beac^tenStt^erte 
93emerfungen über toefentlt(|c unb unnjefentlic^e SKerfmale au8^ 
fprac^. 

S)ann aber gingen bie SWaurincr aller njeiteren ?ßoIemif 
über bie ®fite ber t)on SWabiUon gefd^affencn SBiffenfcbaft aui^ 
bem SBege unb faxten ben ?ß(an, bie in i^rer SReinung 
uncrfc^ütterlid^e SRid^tigfeit ber SRefultate 9KabilIonö, bie Unan* 
taftbQrfeit feiner Urlunbenletire unb bie S3orjüglid)!eit fetner 
aWet^obe mit reid^erem 9)?ateria(, in Sluöbe^nung auf ein n^eitcrcS 
®ebiet unb in ineit größerem 3)etail ber ?luÄfü^rung burc§ 
eine SReubearbeitung feinet 8S3er!eö barjut^un. Unauögefegt 
fammelten einige 9)?aterial, anbere betrachteten bie Sitteratur^ 
anbere ißräften unb fid^teten, unb 40 Sa^re nac^ 9RabiQond 
Xob lonntcn fie §anb an ba« SBerf felbft legen, ba« fie ate: 
Nouveau traitö de diplomatique (1750 — 1765, 6 93änbe) 
erfd^cinen ließen. S)iefe geleierte neue ^Bearbeitung t)on 3Ka* 
biHon« SBerf fd^Iofe in fic^ bie ganje SKaffe biplcmatifcfjer 
Äenntniffe, toeldjc man in ber erften §alfte beö 18. 3al)r^ 
l^unbertg befafe. Sn 3^^^ ^^^ SRet^obe klonte fic^ ha^ SBer! 
genau an baä öu(^ : De re diplomatica an , aber e^ t)at 
SWabiUonö SBerf an SBert nic^t erreid^t, gefd^tocige benn, bafe 
c« eine fortf^reitenbe ©ntinidClung ber Urtunbeniniffenfc^aft 
repröfentierte. @ö l|at ber Nouveau traitö freiließ me^r 
9?oti}en über aUgeraein biplomatifdöe gragen unb me^r SRaterial 
für fpejieQe 5)il)Iomatif atö baö SBerf i^rcig großen Se^rmeifter«. 
Unb bie SSerbienfle um bie ©d^riftfunbe finb trofe ber nic^t 
gefd^idEten Slaffifijierung ber lateinifd^en ©c^rift anjuerfennen. 
SBir S)eutfd^e fe^en aQerbingö mit SSerwunberung, baß ein SBerf, 
welc^eg mala^ifc^e unb mejifanifd^e Schriftarten d^arafterifiert, 
für bie beutfd^e ©d^rtft nic^t eine QcHt ber ©rmä^nung l)ot. 
Auf bem fpejieHen ®ebiet ber päpftlid^en S)ipIomatif fobann 
finb bie SSerfaffer bicfeS SBerfei^ gleid^fam fd^öpferif^; fie finb 
bem SBenigen gegenüber, ttja« SRabiUon über pöpftlid^e Urfunbeii 



24 Sroeite« Äapitcl. 

bciöringen fonntc, reicher belcfcn unb l^aben öiclfcitigcrc 93e=^ 
trad^tungen angcftellt. Unb einen ®fanäJ)unft beö SSSerfeö bilben 
onc^ bie im oHgemeineu Xeil üorgeful^rten ©rörterungcn über 
©eglaubigungS* unb Unterfc^riftömcfen. Unb SlHeS in Slllem 
ift ba§ grofee SBerf eine unerf^öpftic^e Duelle für bie S)ipIo* 
matif nod^ l^eutjutage. Slber e§ t)at fe^r üiele SKängel, unb 
ein erfter ift biefer, bafe ber gorfd^er, too er für eine beftimmte 
^ragc beS Urfunbentoefen^ eine beftimmte §lnttoort verlangt 
für feine grage niemals öoQe 9Intmort erhalt. 

Sin öeifpiel mag baiS erläutern. 

aSir njoHen un§ über bie Urfunben beutfc^er Sönige unb 
Äaifer im je^nten 3al^r^unbert orientieren. 3m fe^ftcn S3uc^c 
§ 582—614 njirb biefeö Satjr^unbert be^anbelt. § 590 !)anbelt 
öon Slnrufungen unb Überfc^riften in ben S)iplpmen ber ffiaifer 
unb Äönige ©eutfdölanbö , alfo öon S^riömon, ber SSerbal* 
iniiocütion unb bem Sttel, unb berüdfic^tigt bobei aud^ gleid^== 
jeitig etttjaö bie Äanslei be§ ßönigS. Stiö Dtto'ö I. (£rj!aplan 
ober ©rofefanjler »erben ba gricbrid^ unb 5ßoppo, unb afe 
anbcre SHotarc SBruno unb SRoftcr genannt. S)aö ift nun in 
biefer SBeife nid^t ganj falf^, aber bod^ audt) ttjeber richtig 
uod^ öoUftönbig, nod^ ift bamit ettoaö für bie Urfunbentritif 
gemonnen. S)enn H)aS foHen toir auS biefen uniureid^enbcn 
unb f)alb falfc^en eingaben für feitifd^e Sln^altSpunfte gewinnen? 

S)antt fagen bie SSerfaffer toeiter an anberen ©teilen, wo 
fie tjon ber Untergeid^nung ber S)iplome fpred^en, § 596: S)ic 
©rofefanjrer unb i^re Untergebenen üerri^ten bie Unterjeid^» 
ttungen ber Könige unb Äaifer in S)eutfd^Ianb wie in granfreic^^ 
^ann bringen bie SSerfaffcr für Otto'« I. Urfunben audö bret 
Schemata für bie ÄönigS^ refp. Äaiferuntcrf^rift unb ein ©(^ema 
ber Äanjlerunterfd^rift. Unb ganj fo, nid^t gerabe falfc^, aber 
unjureid^enb, finb bann bie Stu^fü^rungen über bie Datierung 
in biefen beutfc^en Äaiferurlunben, über bie SBefiegcIung u. f. to. 
— Unb babet fte^t, toaö wir gebraud^en, !eine§weg§ jufammen. 
Über bie ©iegel felbft j. S5. muffen Wir uuö im ^weiten Sud^, 
fünftes ^auptftücf auS öerf^iebenen 5ßaragrap^en (§ 466. 513. 
527. 664) bie etwaigen bele^renben ©teilen jufammenfuc^cn. 



2)te ^i))Iomatif in ^ranfreic^ feit 9]labiaon. 25 

9?un tragen loir bei bcm ©tubium bicfcr Urfunbcn natürlich 
iaö toeitere SSerlangen, unö in SBetreff bcr ©c^rift ju orientieren, 
ob bie in ben und ettoa t^orliegenben Originalen jeitgemäg in 
^orm unb auSftattung ift. 3)aju muffen »ir bo8 jtoeite ©ud^, 
t)ierteö ^ouptftfidf, breijel^nter äibfc^nitt auffc^Iagen. 5)a aber 
bcfinben tt)ir unS fc^neC in einem SBirrttjar üon ?(bteilungen, 
A'Iaffen, ©attungen, ber und eine ri^tige Slnfd^auung gerabeju 
unmöglid^ mad^te. — Unb toie biefer SBerfud^, in ber ©pejiafc 
bip(omatt! eined fär und n^id^tigen ©ebieted audreid^enb und 
^u unterrichten mißlungen ift, fo ge^t ed au^, njenn toir nad^ 
ber allgemeinen äWetl^obe unb nac^ ben ©runbfägen ber bi|)Io*» 
matifd^cn Äritif l^in Srfe^rung fuc^en. 

^a^ ac^tc f8nä) bed Nouveau trait^ bejeic^net fic^ ald 
^ortrog ber ©iplomati! ober ber allgemeinen unb befonberen 
IRegeln jur Unterfd^eibung ber toat)ren unb falfd^en Urfunben. 
S)er Sefer fdilägt ed enoartungdDoII auf, ober er njirb ed 
fd^neö erfennen, aud^ ba ift cigentlid^ jebed öemütjen um 
löele^rung üergcblid^. 3)er erfte §lbfd^nitt biefed 95ud)ed betitelt 
fid^: ^on ben ©rKärungen, ^auptgrunbfägen , @runblel)ren 
unb ^eifc^efägen , toeld^e jum ®runbe ber Siegeln ber ®iplo^ 
mati! bienen. Qu bem Unterabfd^nitt ber ©rHärung lefen wir : 
^rflärungen ber öerfc^iebenen Slrten ber ®ett)i6^eit, bed SSer* 
bad^ted, ber Vermutung, bcr SBcmeife, ber galfd^^eit, Sennjeic^en 
ber SBa^r^cit unb ber galfd^^eit. 

Unb biefe ®rf(ärung jierfäHt: 

a) in bie ber pl^^fitalifd^en (Se^ife^eit, 

b) ber moralifd^en ©emife^eit, 

c) ber äWutmafeung — mit «nmerfungen über SBatjr*^ 
fd^einlic^Ieit, SKeinung, fd^Ied)te Sßermutung, 

d) (grflärung bed SBerbac^td ubert)au^)t, 

e) bed fc^Iec^ten SSerbad^ted, 

f) bed rechtmäßigen SSerbad^ted, 

g) bed gett)altfamett SSerbad^ted. 

S)ann fteßten bie SSerfaffer ffinfunbjtoanjig allgemeine 
Siegeln ber SSa^r^eit, ac^tjet)n ber galfd^tjeit, einunbjinjanjig 
bed SBerbad^td, Dierje^n aDgemein falfd^e unb unjulönglid^e 



26 gtöcitcÄ ^apiUl 

Siegeln, je^n Siegeln für Slrd^iüe unb beren ©r^altung, ac^tje^n 
SRegeln für bte Drigtnate unb beren Anfeilen, je^n SRegeln jur 
Unterf^eibung bon Driginaten unb ?lbfd^riften, üierunbätoänjig 
Siegeln jur öeurtettung ber Originale au^ ben Slbfc^riften u. f. ttj. 
auf, im ®anjen runb fieben^unbert allgemeine unb befonbere 
Siegeln, gürtoa^r ein unge^euerli^eö ®erippe ber btplomatifd^en 
SWet^obc unb SBiffenf^aft , ba^ bod^ nur für bie SSerfaffer 
gteif(^ unb ölut l^atte. gür ben biplomatifdien ©tubien 
jugenjanbten 3^it8^"off^"# ^^^ ^^^^ Äenntniffe nic^t befafe unt 
nid^t in glei^er Sßetfe bur^ unauiSgefe^te unb lange S3efcl^äftigung 
mit ben Urlunben fid^ i^r S)enfen ganj ju eigen gemalt ^atte^ 
ttjaren biefe Siegeln ein in^altlofeS unb üertt)irrenbe§ ©c^ema- 
Unb für jeben fefbftänbigen Sopf inaren jugleid^ Diele ber 
Siegeln fo piatt unb nid^tSfagenb , baß er fteHentoeife fe^r mit 
Siedet an ber SBiffenfc^aftlic^Ieit beö SSorgetragenen ?tmeifeln 
burfte. aSenn beifpietöujeife unter ben ac^tjet)n Siegeln ber 
galfd^^ett bie bierje^nte lautet: „SRan barf S)tplome nic^t bloi^ 
beöinegen üermerfen, tocU fie SBegebenl^eiten melben, bie bie 
einjigen in «i^rer Slrt unb aufeerorbentti^ finb", fo ift bie^ 
Sluäfpred^en einer fold^en Sieget an biefer ©teile allenfalls für 
ben erüärlid^, ber bie Urfunbenfritif bei^ fiebje^nten unb 
beginnenben ac^tjefinten Sa^rl^unbert« unb luie au« bem ®egenfa| 
gegen biefe ber >Nouveau traitö« entftanb, fennt, jebem Slnbern 
erfcfjeint fie aU platt, ate überflüffig. Unb njenn nun gar bie 
fec^fte Siegel bafelbft lautet: „S)ie falfc^en ©tüdte finb gemeintglid^ 
leidet JU erfennen'S fo fte^t man fidler öor ber grage, roa^ fott 
baig ? Unb mancher bürfte toeiter folgern, toenn eö f old^er ^latt^ 
Ijeiten bebarf, um eine SRet^obe biplomatifc^er Äritif ju fon* 
ftruieren, bann ift bie neue ©iöjiplin n)oI)I fc^ioerlid^ eine 
aSiffenfi^aft. — SBenn man fid^ bann aber fragt, toarum biefe 
fo gelehrte unb in if)ren arbeiten fo innig fic^ jufammen* 
fc^Iiefeenbe ©enoffcnfc^aft bei i^rer Sleubearbeitung t)on 
3JlabiQon« großem SBerf fo gefd^eitert ift, fo toirb man fagen 
bürfen, eö !am ba^er, toeil fie ben jufäQigen Sl^arafter ber 
Einlage üon 9KabiIIon§ SBerf öerlannten, tt)ie i^n ber ©tanb 
ber Urfunben^Äenntni« unb *Kritif bamal« unb ^ßapebrod^« 



a)ie a)ipIomatif in grranfreidi feit SRabiUon. 27 

Eingriff beftimmtcn, ©ic fibcrfaften, bafe SÄabiUon feine oH* 
gemeinen, toeiter auiggreifenben Betrachtungen nic^t um t^rer 
fetbft, fonbern immer eine^ ganj beftimmten ©injeljwede« toegen 
unternommen ^at, nämtic^ um bic toirtticfje SBebeutung ber 
äWerfmale ju fixieren, bie er für eine beftimmtc engere ®ruppe 
uon UrEunben atö t)ort)anben fonftatiert l^otte. Unb fie t)erfannten 
femer ben S^orafter i^rer SBiffenfd^aft atö einer auf (Empirie 
unb ^iftorifd^er Ärttif berul^enben S)igjiplin. ©ie meinten eben 
burd^ eine in$ Snbtofe ge^enbe Urfunbenbe^anblung ouf aOe 
bem 5orf(^er aufftofeenben S^agen foglei^ 2lnttoort geben ju 
fonnen, ol^ne t^m bie äßfi^e eignen ^iftorifd^^fritifc^en 2>enfeni^ 
aufjuerlegen, unb überfallen, bafe fie nid^t einmal foüiel (&mpxm 
befafeen, um ibirtlic^en gorfd^ern bie rechten Sfnijattöpunfte für 
eine tt)iffenfd^afttidöe tjiftortfc^ *fritifcfie Seljanblung beftimmter 
bi|)lomdttfd^er gragen ju geben. — 

©0 ^at ber »Nouveau trait^ de diplomatique« bcnn 
andi in ber fp&teren biplomatifc^en fiitteratur nur baju bei» 
getragen, aSermirrung anjuric^ten, wenn S)ipromatifer ben 
aSerfuc^ machten, nad^ feinem SSorbilb ein Se^rgebäube i^rer 
SBiffenfd^aft ju errid^ten. S)aö ift in S)eutfcf)Ianb gefc^e^en, 
toie ttjir eiS gleich erjä^Ien toerben. 3n 5^an!reid^ aber ift bie 
einjige Arbeit, bie an ben Nouveau traitö Inüpfte, beSBaiH^ö: 
Elements de pal^ographie (1838), ein Äu^jug aui^ jenem 
äBerfe, mit einigen felbftänbigen 3"^^^*^^^ ^^ f^^"^ Aufgabe 
feine^weg^ in einer gortbilbung ber biplomatif^en SBiffenfc^aft 
unb überhaupt nic^t nad| ber miffenfc^aftlid^en ©eite ^in fuc^t, 
fonbern nur ben 3^^^ ^i"^^ praftifd^en Swfömmenfteüung be^ 
für bie franjöfif^en Ärd^iüare SBiffen^ioerten in ?ßoläograp^ie, 
S^ronologie unb S)ipIomatif erftrebt unb fein SSerbienft in ber 
gefc^idten Surd^fütjrung biefeö ^taneö f^at — 

Unb eg mfire Dftllig fatfd^ geurteilt, tooHte man bic SBeiter* 
entn)ide(ung ber 2)ip(omatif in ^ranfreic^ an bad SSerf ber 
äRauriner anfnüpfen. S)ie l^o^c (SnttoidEelung ber Urlunben* 
ttnffenfd^aft bort l|at i^re (Srunblage !eineötoeg§ in bem, toa^ 
bie 3Rauriner im Nouveau traite aU SDipIomatif üortrugen, 
fonbern barin , toag fie ate S)ipIomatifer Icifteten. S)ie 



28 3n>eiteS StapxUl 

^rabition in bcr ?lr6eit felbft, bte Don itjncn ausging, ba§ ift 
bic ©runblage ber tociteren Snttoicfdung ber 3)tptomatif in 
granfrcic^ gciporben. S)lc SWaurincr l^Qttcn, noä) beüor fie an 
bic Slu^arbeitung bcS Nouveau traitö gingen , f^on bcn 
»Recueil des historiens des Gaules et de la France« in 
Eingriff genommen (1734). Sluc^ bie Urtunben fanben bafelbft, 
noc^ einjcinen 9Uegentcn unb innerhalb il^rer 3^it d^ronologifc^ 
gcorbnct, i^ren 5ßlag. Unb afö bie 9)?auriner fid^ an bic ?tui8* 
orbeitung beö Nouveau traite machten, tooren fie bereite 
berufen, bie Slegtcrung in i^rcn großen planen für ^craui^gabe 
l)iftorifdjer SBerfe unb befonberS bon Urlunbenwerfcn ju unter* 
f tilgen. S)ie baju SBerufenen öon i^nen tourbcn eben bie erftcn 
SKitarbeiter für baö Don öertin unter 3»oreou'i§ Seitung in« 
Seben gerufene Cabinet des chartes (1762). 

§ier würben ©taati^beamtc unb anbcrc Saien i^rc ©enoffen 
in ber Slrbeit, bie fi^ barouf crftrecfte, bie Ärd^iöe unb 
iBibliotl^elen beS Sanbed mä) einem beftimmten $(an ju burc^« 
fu^en unb bie Urfunben ju öerjeii^nen unb abäufd^reiben. 

S)iefe Äopien, St)QrtutarIiften, Urfunbenöeräcid^niffe, Slrc^ib» 
Dcräci^niffc u. o. luurben bann in biefem Cabinet des chartes 
gcfammelt, fo bafe bic ©ele^rten, Suriften unb ©taat^mdnner 
für .i^re Qrocdt fd^nell äufammenbringen fonntcn, loa« in bcn 
jatjUofen ?Irc^iDen jerftreut loar. Unterftüfet bon bcn ebenfalls 
ticrangcjogenen DrbenSgcnoffen öon ber Kongregation bon 
©t. SSanneö unb im ©nocrne^men mit einigen anberen 
©ele^rten loeltlic^en unb geiftlid^en ©tanbeö lieferten bie 
9)?auriner bie Hauptarbeit für biefe ^Ird^ioforfc^ung unb 
Urfunbcnfammlung. SSon 1764—1789 fanbten fie an SÄoreau 
30—40000 ftopicn, bie An c^ronologifc^cr Drbnung ^eutc 
284 S3änbe füHen, eine crftaunlic^e Seiftung, aber juglcic^ ein 
3eugnig beö toiffenfc^aftlic^en ©fer«, ber auögejeid^neten 
Drganifation ber l)i[torifd^en ©tubien unb ber l^o^cn miffen* 
fc^aftlic^cn öilbung bicfcr Senebütiner. Unb mit S)anf6arfeit 
lieft man nun bei S^opolb S)eli§te bie nad^ ^unberten jä^Ienbcn 
9iamen biefer aßen Sanbfc^aften granfreid^S anget|origen , fo 
geletjrten SKönc^e. — 1790 tt)urbc aUerbingö ba« Cabinet des 



3)ic 3)tt)IoTnQtif in granfrcicf) {eit ^Kobiflon. 2& 

cLartes aufgelöft, aber iöre Slrbctt rul^te nic^t unb and) it>re 
S:rabition nte^t. Unb btc leitete lebte aud^ fort, aU ber 
©türm ber 3iet)oIution bie Slrbctt ganj geftört unb bic fromme 
Kongregation aufgelöft l^attc. ®§ blieb lebcnbig in ber ©rinne* 
rung, tt)a8 biefc öcnebiftiner geleiftet unb tt)ie fte gearbeitet 
Ratten. Unb aU 1807 JRapofeon • ben 5ßlan faßte, auf« S«eue 
bie §(rbeiten für bie 9tationaIgefc^ic^te aufjund^men, unb baju 
eine ©c^ule begrfinben tooQte. in njeld^er junge Seute, bie 
Steigung ju ^iftortfc^en ©lubieu t)atten, unter ber Seitung 
erfahrener SKönner Urtunben unb ^anbfc^riften beö SKittelalteri^ 
cntj^iffern lernen follten, ba gebrauchte er in feinem ©rtafe bie 
benItDÜrbigcn. unb bcjeic^nenben, tt)enn auc^ nic^t ganj lorreften 
SB orte: »k creer des b^n^dictins civils röunis dans une 
esp^ce de Port -Royal laic«. — 2lu« JWapoteonS ^lan 
tourbc nun freiließ nid^t«, unb 1821 crft, unter bem SRinifter 
SBl. ©imeon, trat bie »6coIe royal des eliartes« tnö Öeben, bie 
frei(id) 1823 fdjon auö allerlei ®rünben, namentUd^ benen einer 
unpra{tifd)en Drganifation, toieber aufgelöft tourbe. 1829 lebte 
fte aber fräftig auf unb bot nun anä) ber S)iplomatit in i^ren 
Se^rföc^ern eine ©tätte, an metc^er fie, aU eine l^iftorifc^e 
SBiffenfc^aft betrieben, fd^neß toicber ju Ijo^en »iffenfc^afttic^en 
Seiftungen fid^ er^ob, bereu §öt)epunft bie biplomatifc^en 9trbeiten 
t)bn S^opolb S)eli«te bejeicbnen, 

(£ö ift aber ©iplomati! in ber 9lrt unb S^rabition ber 
SRauriner, toag S)eli«le unb feine (Senoffen unö bieten. S)arum 
l^ielten [benn auc^ bie franjöfifc^en Diplomatiter bic öon 
ben STOaurinern übernommene unb gleic^fam al« ftercott)|> 
betradjtetc 9lrt, toit SWabtDon Urfunben ebierte, mit einer §art* 
nüdigfeit feft, bie, man möi^te fagen, fid^ gegen bie beffere 
einfielt fträubte. (£rft neuerbingö finb in ben üon ber Äcole 
des chartes auigge^enben 5ßublifationen einige Steuerungen in 
bem Urlunbenbrud angebracht, toelc^e beutfd^e Oele^rte mit 
üoUcm SRec^t fc^on feit langem angemanbt l^aben. Unb uber^^ 
t)aupt jeigt eben ber ganje ß^aralter ber Seiftungen , bie bem 
Äreig ber :6cole des chartes entftammen , b. i. aller fran^^ 
jöfifc^er S)iplomatifer biefe GiittDidelung aii§ ber 3;rabition. 



30 dritte« ^apxUl 

^tc SSorjüflc bicfer Slr6eitcn finb eben toenigcr ein gortfc^ritt 
in bcm Sluffud^cn neuer SKerfmofe an ben Urfunben für bic 
Äritif unb neuer SKet^oben, biefe Seoba^tungen ju üerwcrten, 
ober ein ©treben nad) einem f^ftemotifc^en Stuöbau ber Urfunben- 
toiffenfc^aft felbft, afö öietme^r g^^^f^ri^^^ ^^ ^^^ Slnmenbung 
beö oon aWabiUon gegebenen Seifpiete unb feiner Se^rfäge 
bei ber Söefc^äftigung mit fonfreten Urfunbenfragen. aWöglidöft 
jJoUftanbigeig äWatcrial, forgfättigfte Sichtung unb fauberfte 
Bearbeitung beffetben, bann befonnenfte Betrachtung unb bor«» 
fic^tige ©c^lufefolgerungen, barin liegt ber fiern i^rer Seiftungen, 
aug bem fic^ bann njieber bie ]&cole des chartes i^re 
Srabition für bie S)iptomatif felbft gef^affen ^at. Unb in ber 
©efamtl^eit biefer (Sntnjicfetung ju biefer neueren Srabition ber 
jfecole des chartes, barin lag ber gortfd^ritt ber 2)iplomatif 
in granlreie^ bi^ in bie fünfsiger Sa^re unfere^ Sa^r^unbert^. 



3. 

Stt S)eutfc^lanb ift eö mit bem ©ntiüicfelungSgang ber 
^iplomatif feit äßabiUon anberS a\& in ^^i^anfreic^ gemefen. 
Unb anberö ift e§ ba aud^ mit ben gortfc^ritten ber S)iplo^ 
matif ali^ SSiffenfd^aft unb i^rer heutigen ©cftaltung geworben. 

Qu jener Qtxt, ba SKabiUong SBerf: De re diplomatica 
frfdiien, fammette Seibnij Urlunben für feinen Codex juris 
gentium (1693). @r ^at mit bem geletjrten SKauriner for* 
refponbiert, er !ennt feine SBerfe, nennt i^n in feiner ffiorrefpon* 
benj fonft, »ie in ber SBorrebe ju feinem ßobej beig SSölfer* 
rec^t^ unb öerc^rte i^n ate einen ber gete^rteften SRänner ber 
SSelt auf bcm ©ebiete ber Urlunbenforfd^ung. Sber eö lag 
feinen Qtotd^n, bie geltenben ©taatöoertrSge für bie ©taatg= 
männer unb ©ele^rten ju fammeln, ganj fern, fic^ mit Ur^ 
funbenfritif unb gragen ber S)iplomatif ju bcfaffen, unb man 
fann auc^ nic^t einmal be()aupten, bag Seibnij äßabillond äSerf 
ftubiert ^abe. 

©0 finben mir benn in Seutfc^lanb ba^ erfte ©tubium 
öon aWabiUong SBerf bei Sodann Slifolauö ^ertiuig, SReci^t«^' 



a)tc S)i:pIomatif in S)etttfcftlanb feit SJlabillon jc. 31 

Icl^rcr 3iu ©iefeen, in feiner „Dissertatio de fide diplomatmn 
Oermaniae imperatorum et regum" (1699). ®r bringt nati) 
Wlabxüon eine SBetroe^tung ber Urfunbcn uad^ i^ren SÄcrtmalen, 
bie er in äußere unb innere t^eilt; unter jenen öerftel^t er bie 
<Sprad^e, bie ©d^rtft, S^t^kn, §anbmale, ©iegel; bei biefen 
trennt er bie 9Äitte be^ 5:ejte^, wie er eö nennt, üpm ©d^Iufe 
ainb berücfftd^tigt tjier bie Äönig^unterfd^rif t , bie Äanjlerunter- 
fc^rift, Ort, Qütan^abt unb Scftegtung. Über bie gormein 
be^ Sontegte^ läfet er fid^ nur wenig an^, unb er ftilft ftc^ 
über bie ©d^wierigfeiten, ipelcfje t^m ba entfte^en, mit ber öctonung 
fort, inic breit ba^ gelb einer Unterfucf|ung fiber ben Siec^tj^* 
tn^att ber Urlunben fei, unb bafe er borüber l^inwegge^en muffe, 
toeil bie Äenntniö ber früheren aSerfaffung^juftänbe noc^ ju 
unt)oUftanbig ift. (£r ift überhaupt in ber ganjen Arbeit un^ 
jelbftänbig unb oberfläd^lid^, aber er ift anregen b unb er toar 
i)er erfte, ber in S)eutfcl^lanb jum Slui^bau ber S)ipIomatif ate 
SBiffenfc^aft aufforberte. * 

Unb öon ^ertiuig ging eben ber nad^^altige Slntrieb auö, 
iie S)iptomatif jum ®egenftanb atabemifd^er SSorlefungcn ju 
ma^cn. Unb au§ ben Sebürfniffen bicfer Sorlefungen ent* 
toidEelte fid^ bann eine Sitteratur bon ftompenbien, tote bie 
Arbeit (SdC^arbtö ju Sena: Introduetio in rem diplomaticam 
praecigue Germanicam (1742) unb jene Soacfjim^ ju §alle, 
„Einleitung jur beutfc^en ©iptomatif'' (1748). 

©cfl^arb unb Soadjim l^ielten fic^ ftreng im Stammen i^re^ 
^roedeö. S)er ©tubierenbe foH angeleitet toerben, toa^re faifer« 
Uc^e fc^riftli^e Urfunben, toie Soac^im fagt, öon ben falfc^en ju 
iinterfd^eiben. ©ie bringen allgemeine unb fpejicDe Belehrungen 
oinb jeigen bereu Slntoenbung auf bie^ßrüfung ber Urlunben. 3)ie 
3)iplomatif felbft aber toirb toeber im Snbalt uod^ Umfang 
bereichert. SDian lann bei Soad^im too^l rü^menb bemerlen, 
bafe er juerft in beutfd^er ©prai^e bie Urfunbenle^re be^anbelt 
i^at, bafe er für baö „diploma'V ^abillon« „Urfunbe" gefegt; 
md) f)at er in bem ^auptftudE über bie 3c"ÖC" ^'« Kapitel 
me^r afö SdE^arb, aber t)on einem gortfd^ritt ber S)iptomatif 
barf aud) bei Soac^im nic^t bie Siebe fein. 



32 3) ritte« Kapitel. 

S)ieö toar bic eine Sintoirtung SRabiDonö auf bic bcutfc^e 
aSiffenfc^aft. ®ine anbete jeigen unS Oottfrieb ©effetö unb 
3ofep^ Don §a^n§: Chronicon Gotwicence. Tomus pro- 
dromus (1732) unb Sodann ^eumannö: Commentarii de re 
diplomatica imperatoruin ac regum Germanorum inde a 
Garoli Magni temporibus adomati (1745 ff.) unb Com- 
mentarii de re diplomatica imperatricum ac reginarum 
Germaniae (1749). 

35er ©enebiftinerabt ®ottfricb S3effel ju ®btmH) in 
Stieberöfterreid^ ^attc ben 5ßfan gefafet, Slnnalen feinet Sloftcr^ 
ju f einreiben. (Jr unb fein ®enoffe Sofep^ Don ^a^n, ber 
f<)ätere SBeitibifd^of ju Samberg, nahmen fid^ für biefen Qtotd 
SRobißonö Annales ordinis S. Benedicti jum SSorbilb. Sine 
Sffdjäftigung mit ben Urlunben ber älteren beutf^en Äönige 
unb fiaifer erfc^ien balb aU eine nottoenbige SSorarbeit, unb 
für biefe nannten fte ft^ SRabiDonö De re diplomatica jum 
SWufter. 1732 erfd^ien if)re §Irbeitt t)ie i^rem 3nf)altc nac^ eine 
S)i))IomatiI ber beutfc^en Stönige Don Äonrab I. bi& grlebric^ II. 
ift. S)ie äufeere Slnlage fd|on, bafe bag erftc 93uc^ Don Sucher* 
^anbfdirtften ^anbelt, bafe bag brttte SBuc^ ein SSerjeic^niö ber 
löniglic^en SBiüen unb 5ßfat5en enthält, bejeugt bie unmittelbare 
?lnte^nung an äWabinoniS SBerf. Unb ia^ gefd^iel^t ebenfo- 
aud^ im älueiten SBud^, too ba^ Chronicon Gotwicepse Doa 
ben S)ipIomen ^anbelt. SKobillon toirb gegen (Sermon Der* 
teibigt, unb bie SKetfmate, auf tDeld^e gead^tet toirb, finb bie 
Don SRabilloR beobad^teten. Unb nur barin jeigt ftc^ eine ?lb* 
toeid^ung, bafe bie Urfunben ber einjelnen dürften je für fic^ 
gteid^ jufammen be^anbelt luerben. S)a§ Dterte JBuc^ bringt 
bann nod^ in einer 3"fömmenfteIIung ber beutfc^en ®oue im 
Mittelalter eine erfte fe^r banfenStoerte Sel^anbrung unferer 
mittelalterlid^en ©eogrnp^ie. — SBetrac^ten toir nun ober bic 
eigentUd^e pofitiDe ßeiftung ber SSerfaffer beö Chronicon Got- 
wicense für bie Äritil ber Urfunben, fo jeigt e§ fic^, bafe fte 
tro^ ber ^öc^ften ©orgfalt unb öerüdEfic^tigung aller SRerfmale, 
ouf bie fte nad^ SDJabiUon ad^teten , ntd^t erreichten , toa^ fte^ 
aud^ im Qkl mit SDJabillon einig, erftrebten, nämlid^ fotoeit ia 



S)ie ^tptotnatte in ^eutfc^Iattb feit aJSabiaon ac. 33 

boiS UrfimbenhJcfen bcr einjefncn Äöntge cinäubringcn , bafe bic 
bcn einjelnen Slcgcnten toirfüd^ gugefiörigen S)ipIome t)on falfc^cn 
untcrf^iebcn tocrben fonntcn. 2)ag SRaterial, baö fic bcfafecn, 
unb namentltd^ baiS an Originalen n^ar c6en t)iel ju geringe 
nm tro| einer richtigen S3c^anbtung ttjiffenfd^aftüci^c SRcfuItatc 
baran jettigen ju fönnen. ©otoeit natürli^ trifft fte aber fein 
SSortourf, im ©egenteil fte t)erbienen nur ßob, unb biefer erfte 
?lnlauf ju einer oDgemeinen S)ipIomotif ber beutfd^cn Äatferjeit 
toirb immer rü^menb ju nennen fein. 9iun üerfannten aber bic 
SSerfaffer biefeS ©d^eitem i^rer 5ßläne, unb inbem fie ftd^ it)rer 
falben unb fd^iefen ©rgebniffe erfreuten, fd^ufen fie im ©roßcn 
unb (Sanjen für bcn benfenben Scfer eine ttunberü^e JRotiäcn^ 
fammlung, bic, gleic^fam il^rer felbft Tillen angelegt, biefen bie 
grage ablodEen mufete, tooju foll ba«? unb bie, toenn biefer 
Scfer nid^t bic biplomatif^c ßitteratur im (Sanjen fanntc, fogar 
bcn ©nbrudE machte, baß folc^e Unterfud^ungen überhaupt ju 
toiffenfd^aftlid^er S3elel)rung über bie betreffenben Urfunben 
toertloig feien. Unb ?)ß^merg able^nenbeig Sßer^alten gegenüber 
ber S)i^)Iomatif ift, toenn aud^ nid^t au8 wiffenfc^aftli^er @in* 
ftc^t entfprungen, benn baju toax SBö^mer im Slnfange fetner 
aScgcftenarbeiten boc^ aDjufc^r Saie in I)iftorifd^en SJingen, 
burd^auig erflärlid^, toenn er eben nur biefc eine umfangrcid^fte 
unb gelel^rteftc SSorarbeit über bic beutfd^en ffioiferurfunben, bie 
bai8 Chronicon Gotwicense enthält, fannte. 

©inen anberen SBeg nun aU SBeffel unb ^af^n f)at 
So^anneö ^eumann ju 2Htborf eingcfd^lagen , un8 feine 
Seiftungen ^aben au(§ einen anberen 833ert erlangt. @r griff 
im 2;^emo toeiter jurüd afö bic SSerfaffer ber Chronicon 
Gotwicense unb faßte ba^ beutfd^e Urlunbennjcfen. t)or fiart 
bem (Srofeen ab inö Sluge. 

©eine Commentarii de re diplomatica Imperatorum etc. 
(1745) unb Commentarii de re diplomatica Imperaticum 
(1749) bel^anbeln bie Urfunben ber ffiaifer unb ftbntge öon 
ffiarl bem ©rofeen big auf Subttjig bcn jüngeren unb ber 
Äaiferinnen unb Königinnen öon Äartö bei3 ©rofeen Qnt biiS 

^iftotifd^e »ibliot^c!. »b. IV. 3 



34 ^ritted ^itel. 

auf fiarl VI. ^cumann l^atte gor feine Originale cingcfe^eu, 
er bcbauerte baö, aber er tröftete fic^; man fönne ja für 
gragen nac^ bcr Driginalttät Quf einen üKabtDon, einen SBalujie, 
SDiuratori, 3Wart^ne u. a. fic^ t)erlaffen. Unb bann, fo um* 
fc^reibt er eine anbere, i^n tröftenbe ©rmögung: Membrana 
proba , recta scriptura , monogramma verum , sigillum 
haud suspectum, et tota tabula ficta. S)er ©a^j bctoeift 
aüerbing«, bafe er feinen ÜKabiüon boc^ nic^t gan^ genau 
ftubiert tjatte, unb ift grunbfalfd^. SBirflidie @cl^tl)eit ber 
fingeren Äennjeic^en fc^Iiefet jebe SSerbäc^tigung be^ Snl^altcg 
ouö. 9l6er §eumann tröftete fid^ bod^ bamit unb braci^te barum 
auc^ feine öefpred^ung ber äußeren SWerfmale bcr Äarolinger^ 
urfunben im SBefenttic^en auf SWabiHon unb ftü^te fic^ für 
bie fpfiteren S)ipIome auf baö Chronicon Gottwicense u. a. 
®an} felbftänbig aber ift er in bcr Se^anblung bcr inneren 
äRerfmale, unb toai^ er ^icr für bie Äarolingerurfunben Iciftet, 
bebeutet einen entf^icbenen gortfc^ritt ber S)iplomatit ©r 
fammelte ein Diel gröfeereö äRoterial, ate feine SSorgängcr 
befeffen l^atten, benugte eö in forgfältigfter 9lrt unb fam mit 
feinem Sc^arffinn bann ju neuen ©eobad^tungen unb ju mc\)X 
gefiederten 9Refultaten. Unb nod^ ein SSSeiterc^ führte i^n über 
SRabiQon {)inauS. @r beamtete ftets fe^r forgfältig ben @ac^^ 
tn^alt, tourbe fo auf eine SSe^anblung ber in ben S)ipIomen 
berührten Siec^töjuftänbe geführt, unb feine forgffiltigen 
SBeobad^tungen üer^alfen i^m ju bcr ©rlenntnii^, bafe er in bcr 
Se^re t)on biefen SRcc^tiSjuftänben ein toeitere^ 9J?itteI jum 
SSerftSnbniö unb auc^ jur Äritif ber Urfunben beftfec. S)eö^alb 
fc^Iofe er in feine Kommentare über bie Urfunben üon Äart bcm 
©rofeen bi^ ßubtoig augfü^rlicfi ©rörtcrungcn über bie faro* 
lingifc^e ©taatöüerfaffung ein. Unb biefe Arbeit ertoccftc in i^m 
aufö lebenbigftc bie ©nfid^t, toelc^c toirflici^c ^Bereicherung bie 
SRec^ti^^iftorie aui3 bem ©tubium bcr alten Urfunben fc^öpfc 
unb wie auc^ bie öerfd^iebenften SBiffenfd^aften bon ba au« 
bie größte ^Bereicherung erfahren fönnten. Unb barum begeiftert 
er fic^ toicber für einen toeitcren großartigen Slu^bou ber 
Diplomat« aK SBiffenfc^aft. 



^ie ^iplotnatif in 3)eutf4(anb feit aJlabiUoit ac. 35 

©0 jetgtctt i&eumannS biplomotifc^c 9lrbcttcn aDc einen 
entfd^iebcnen gortfd^ritt, obluo^l er o^ne Driginafe gearbeitet 
l&Qt. Unb ^ätte man auf i^neu »ettcr aufgebaut unb in feiner ?lrt 
unter i^eranjte^en Don Originalen gearbeitet, fo ^atte bie Don 
SKabtllon auögelienbe neue SBiffenfd^aft in 3)eutfd^Ianb fid^ \o^ 
flleic^ Vö^er enttoicfetn lönnen. Seiber verliefe man feine SBegc 
unb bieö beöl^alb, toeil injtoifc^en ber Nouveau traitö de diplo- 
matique erfc^ienen mar. Unb gerabe ein ©d^üter |)eumann8, 
ber (Söttinger 5ßrofeffor ß^riftop^ ®atterer, ber in Slltborf brei 
Sa^re in i^eumann^ ^Qufe gelebt unb i^n bei ber 3lrbeit ber 
Urfunbenforfd^ung beobachtet I)atte, foHte nun bieäBege einfc^Iagen, 
bie Don einem gortfd^ritt jum 9iü(ffc^ritt unb SSerfaö führten. 

®attcrer mar bur^ i^eumannS Sintoirfungen Don bem ®e^ 
banfen ber SRottoenbigfeit ber Ur!unbenforfd^ung für bie (Se^ 
fc^ic^tfc^reibung fe^r lebhaft unb nac^^altenb erfuQt morben. (£r 
trug fid^ benn auc^ fogar mit bem ^lane einer „Germania 
Sacra'* ^erum. S)ann Ratten fic^ feine miffenfc^aftlic^en 5ß(äne 
unb Steigungen ju einer ^iftorifd^en SIrbeit auf urfunblic^er 
Orunblage Derbic^tet. 1755 erfc^ien feine (Sefc^id)te ber Ferren 
Don |)oIäfd^uI)er, bie im Sln^ang Diele Urfunben brad^te, unb 
in meld^er er ben fSmd^ erfolgreidjer Sefd^äftigung mit Ur^ 
!unben lieferte, ©nige anberc Heine ©d^riften fc^on me^r 
biplomatifd^en 3n^alt§ folgten. 1759 tourbe er 5ßrofeffor ber 
©ef^ic^te in ©öttingen. ^ier begränbete er eine ^iftorifc^e 
afabemifc^e ©efeUfcftaft unb ^ielt mit ben ®enoffen Übungen 
in ber S)iplomattf, unb jugleid^ begrfinbete er für feine Untere 
ric^töämede ein „Museum diplomaticum", eine Sammlung 
Don Ur!unben im Original, 3^^^«MWgen Don S)ruden Don 
aücrtei ©c^riftproben, Don. SRad^jeic^nungen Don ß^rii^men unb 
SJionogrammen unb Don ©iegetn, bie er erftaunlid^ f^neH Der* 
mehrte. S)ann aber ftellte ftc^ ba§ ©ebürfnilt für ein Sel)rbud^ 
f)Qxan^. S)ie Dor^anbenen genügten i^m nic^t, jumat nun jeber 
neue SBanb beS feit 1750 erfc^einenben Nouveau trait^ de diplo- 
matique bie biplomotif cften 6in jelfenntniff e f o erftaunlic^ Derme^rte. 

9?un teuren in einjelnen 5ßunften feine llrfunbenfenntniffe 
über bod) reicher afö bie ber geleierten 9iad)eiferer SWabiüon«. 



36 3)rittc8 ^apM. 

Unb fo faßte er unter bem Sinbnid ber im Nouveau traitö 
ju 2;afle tretenben ©^ftemati! ben 5ßtan, bie bi^l^ertgen bipto:» 
motifd^en SBerle unb Se^rf^ftcme burc^ ein neues ju erfe^en. 
©0 entftanben feine „Elementa artis diplomaticae univer- 
salis'' (1765), benen nad^ langen Satiren erft ber: Slbrife ber 
S)t^)Iomattf (1798), ein Slugjug auö bem erften 833erfe unb nur 
in einem Keinen ?lbfc^nitt „gormellunbe" eine ®rflan5un9 ba5U, 
unb: ^raftifc^e 2)ijptomotif (1799) folgten, le^tereg ein SBud^ 
mit biptomatifd^en Übungsaufgaben unb ben §intueifen für i^re 
Söfung. ©attererS Elementa beginnen mit einer öerftftnbigen 
SSorrebe öoH neuer ©ebanfen unb felbftönbtger Urteile. ®r öer^ 
breitet fic^ über ben (Sl^aralter ber S)ipIomatif ate SBiffenfd^aft, 
über bie SBebeutung ber Urfunben unb entmidfelt feine ®ebanfen, 
toelc^e SKerhnole man für bie Urfunbenirttif ju bea^ten, unb 
toie man fie für eine rid^tige SSead^tung jufammcnäufaffen, n)ie 
man fie alfo einjuteiten ^at. 6r fommt babet ju ber ßc^re, 
man mufe fold^e äWerfmoIe unterf^eiben, bie nur ben Originalen 
eigentl)ümlic^ , unb fold^e, bie ben Driginaten unb Slbfcftriften 
gemeinfam finb. S)ie Originale, fo le^rt er, toeifen ate bt^ 
fonbere SWerfmale auf: ©d^reibftoff, ©c^reibmittel, ©c^rift, baS 
finb bie „grap^ifc^en" SKerfmale, unb ©ieget, Sonogramme unb 
ß^riSmen, 9iotariat§^Äanäletäeid6en unb ö^nli^eS, baS ftnb bie 
„femiotifc^en" SRerfmale. S)aS ben Originalen unb Sbfd^riften 
©emetnfame finb fold^e SKerhnale, bie man gormein nennen 
fann. ©o ^at benn alfo bie ©iplomatif über ®rap^i!, ©emio^ 
tif unb gormeKunbe ju ^anbeln. Unb auf biefer S)retteilung 
baut bann ©atterer fein ©^ftem auf, furj, tro| SSertoenbung 
beS Sn^altS beS ganjen „Nouveau trait^", fonfcquent unb 
fidler. Unb obgtei^ feine Elementa mit ber „©emiotif" ab^ 
fd^Ioffen, baS ®ebiet ber gormellunbe alfo noc^ gar nic^t be» 
Baubeiten, ertoarb baS SBu^ fid^ bei ben ßeitgenoffen ein grofeeö 
?lnfe^en. Unb ba ®atterer, toie feine „5ßra!tifd^e S)ipIomatif" 
bereift, ganj unjtoeifel^aft ein fe^r tüchtiger afabemifc^er Se^rer 
biefer ©iSjipIin toar, fo fanb fein SRu^m alS S)tpIomatiter 
immer neue 9Serfünber> unb eS läßt fid^ erftären, bafe fein 
©^ftem für breifeig Sa^re in ©eutfd^Ianb baiS ^errfc^enbe tourbe. 



3)ic 2)ipIomati( in S)eutfcölanb feit Wabillott 2C. 37 

§Iber fdjtoere gelter in ber Slnlogc bcg ÜBud^eg finb nic^t ju 
t)ertcnnen. Unb obenan, um t)on ben Strtümern in feinen 
biplomatifc^cn Äenntniffen abjufe^en, ftcf)t bie im jtoeiten Sud(c 
öoflfü^rte ©c^öpfung eineö neuen ®ebietö ber Urfunbenlel^rc, 
eben berjenigen ber ©emiotil. S)ie in fid^ burd^auö üerfd^iebencn 
SKerfmale beö S^riömonö, beS TOonoßrammö, be^ SRetoflnitioni^ 
jeic^en^ unb be^ ©iegetg toerben ^ier jufammengetoorfen, unb 
bie fo toid&tigen Äa<)itel öon ber Übergabe unb ber SSoHjie^ung 
ber Urfunben tnerben babei an falfc^e ©teile gebracht unb falfd^ 
bezaubert. S)iefer grobe gel^Ier fonnte [ic^ ber SBiffenfc^aft ouf 
bie S)auer niefit verbergen, unb einmal entbedt mufete er ben äBcrt 
beö Suc^ei^ in ben S[ugen ber gorfd^cr, bie tiefer in bie S)iplo* 
matif eingebrungen toaren, bod^ fefir minbern. Unb öcr^äng* 
niot)oDer unb nic^t blofe für ®attererö SRufim, fonbern ffit ba^ 
Slnfe^en ber S)ipIomatiI in S)cutfcf)tanb überhaupt tourbc bie 
ganje ©igenart feiner fi^ ini8 detail berlierenben ©^ftematif, 
bie er in ben Elementa unb fpäter ebenfo in bem Slbrife ber 
2)ip(omatif burc^fü^rt. JRacfi elf fe^r lefenötoerten unb in 
iljrer Äür5e unb 5ßräjifion Dortrefflic^en Äapiteln ber 5ßrote* 
gomena fommt ber fiefer mit bem jtoölften Äapitel an eine 
Lobelie ber öerfd^iebenen Slrten Urfunben. S)iefelben jerfaHen 
aüerbing« nur in. jwei große ©ruppeu, aber toa^ ha an Unter* 
abteilungen, ©pejialunterabteilungen geboten tuirb, fommt fc^on 
mit römifc^en unb arabifdjcn 3'ff^^"' ^^t lateinifd^en unb 
gried^ifd^en Suc^ftaben nid^t mebr an^. Unb ber ßefer befommt 
einen erften SSorgefd^mad üon (Satteren^ Steigung jum ©c^ema* 
tifieren unb 9iubrijieren, bie bann in ber weiteren ?lrbeit nod^ 
ganj oufeerorbcntlic^ ^erüortritt. 3m fünften Äapitel ber ©d^rift*' 
lunbe finben toir bie Älaffifijierung aller ©c^riftarten in 156 
Paragraphen abge^anbelt; e« ift ba^ ®attereri3 üielbefannter 
unb ftetö mit 9led^t getabelter »Linnaeismus graphicus«. 
Unb mag er ba in ber Sefianblung ber öier 9ieid^e ber Schrift, 
ber Snfc^riften, §anbfdE)riften, Urfunbenfd^riften, Äurrentfc^riften 
an Slufjäl^Iung öon ßlaffen, Drbnungen, ©erien, Steilen, 
®efd^Ied^tern, unb namentlid^ in betreff ber Snfc^riften^ leiftet, 
ift nur öertoirrenb, unb bie beigefügten S^abeHen bienen nur 



38 dritte« ^apM. 

boju, biefen äBirttQarr aufd SBefte gu beranfc^oulic^en. SBon 
einer toirflt^en ©elc^rung ober über bte ©nttotcfelung ber 
©c^rtft, ifiren Bwfömmcn^Qnfl, bad SScr^fiftniS üoit Urfunben« 
fd^rift }U ^anbfc^riften ber Qtit, t)Ott präjifer Umgrenjung ber 
5ßertoben ber Snttotdefung , d^arofteriftifd^en Äennjeic^en ber 
etnjelnen ©nttDicfelungöp^afen u. f. tp. pnben wir fo gut tute 
nid^tö. Unb überhaupt, ido toir ung in bem ®ebtet ber ©c^rift* 
fuwbe unb ber Qtiäjtntmht in ©atterejS SBud) nmfe^en, fiberall 
ftofeen totr auf eine gfllle ber ©^jejialifierung inS ffiletnfte 
hinein, unb überall toerben totr im ©tic^e gelaffen, roo toir 
über ben ©d^riftd^arafter einer beftintmten Qext, bie Sefieglung 
getoiffer Urfunben u. a. eine Hnttoort öerlangen, furj, too toir 
nac^ ben 95elel)rungen fuc^en, bie wir für bie toiffenfc^aftlic^e 
Äritif einer Urfunbe uni8 ^oten muffen. — Unb ate ®atterer 
bann ben ?lbfd^nitt öon ber gormelfunbe Veröffentlichte, aDer^ 
bingiS in feinem einunbfiebenjigften Sebenöja^re, ba fe|te er ben 
geilem ber ?(nIoge unb biefer ?lrt ©^ftematif bie ftronc auf. 
©anj unpaff enb »irb in bie gormelfunbe, toelc^e in bie aH* 
gemeine unb in bie fpcgieDe gormelfunbe jertegt »irb, atö erftei^ 
^auptftüd bie ,,bipIomatif^e ©prad^enfunbe'' ^ineingebracl)t, 
beffen ©ac^intiatt toieber nac^ bem »Nouveau traitö« gearbeitet 
ift. S)ann bringt ba8 gleite §au))tftüdE unter bem (Sefic^tö* 
punfte ber S)reiteifung in Slnfangi^tejt unb ©d^Iufeformeln eine 
allgemeine Überfielt aller Arten gormein. SWun toirb ber 
Sefer ja, toenn er unter ben 2lnfanggformeln ba aufgejäfilt 
finbet: ?lnrufung^formeI, SRame unb 3;itel, Slnfunbigungigformel, 
©nganggformel, baö öeftimmte barauö entnel^men, bafe ber 
2lnfang Don Urfunben gen^ö^nfic^ in biefer Art na^ gormefn 
eingerid^tct ift, er toirb bei ßeftüre üon Urlunben barauf achten, 
unb bei tiefem ©tubium auc^ 5lKerfmaIe für ftriterien barauf 
geminnen. 2)ann beginnt aber eine Überfid^t ber S^ejtformeln. 
Unb e« toirb ba gelehrt, ba§ eiS tI)eo(ogifc^e , juriftifc^e, pi)\\o» 
fop^ifc^e, öfonomifc^e, matt)ematifc^e, p^^fifd)e, ^iftorifc^c gormefn 
giebt. 5)iefe l^iftorifc^en gormein »erben bann in bie eigentlid)en 
l^iftorifd^en gormein , afe ba finb : TOenfc^l^eit^gefc^ic^tlicöe 
gormein, :poUtif^gefc^i^tIic^e gormein u. f. w. unb baneben 



3)ie 3)ipIomatif in S)eutfd)(anb feit Wtabiilon :c. 39 

in d^ronologijci^c, ßcograp^ifd^c u. a. gormeln Haffifiäiert- 
Unb ö^nti^ tote ^icr gc^t t^ bann in bem Jfapitcl t)on ben 
©^fufeformcln. Unb in bem Äbfd^nitt bcr ©pcäialformcIEunbc 
finbct bcr toipcflierigc fiefer au^ toicbcr nur einen großen 
S^otijenfram , o^ne bafe biefer ouiSrei^tc, »irflici^e Draftif^e 
3)etai(fragen für ben Urlunbenforf^er ju ertebigen, unb ofine 
bafe über ba^ SBefen ber etnjelneu gormein, t^r d)arafteriftifd^e« 
2luftreten in befltmmten Urfunbcnarten unb ®ruppen u. ä. aud^ 
nur ber ?Infa| einer SufHärung gcmod^t wäre. — ©o ftanb 
bei tieferem einbringen in bie ©aci^c ber fiefer biefem ©Aftern 
ratlofiJ gegenüber. S3ele^rung irgenbtoelc^er Wct fanb er nid)t, 
einen gtoecf lonntc er in ber ©ac^c auc^ nid^t finbeu, noc^ 
tocniger einen Sinken. Unb gerabe, toeil ein berühmter SBer* 
treter ber S)iplomatif biefe Sudler gef^rieben, mußte bem 
benfenben ®ele^rten ber 3^cif^t an i>^^ SBiffenfc^aftlic^Ieit einer 
^i^jiplin !ommen, bie in einem auf SBiUfür aufgebauten ©Aftern 
)iä) repräfentierte. Unb ba§ ber fiefer nun t)on biplomatifdjen 
©tubten e^er abgefc^redt al^ angejogen tonxbt, ift ganj erflärltc^. 
©0 wirfte bie gortfc^ung unb Verarbeitung ber im Nouveau 
traitö eingefd^tagenen SBe^anblung ber biplomatifd^en SBiffen^ 
f^aft in S)eutfd^Ionb alfo fc^äbigenb auf i^re an ben Uniöer^^ 
fitäten fd^on rü^mtid^ fortfc^reitenbe SBe^anblung. Unb eö ift 
ber betoufete ®egenfa| gegen bie SSertrrung ®attcreri8, toaS 
feinen bebcutenbften ©c^üIer Äarl S^raugott ©ottfieb ©c^öne^ 
mann (f 1802) in ©öttingen oeronlafetc, aud^ feinerfeitö bie 
SBiffenfc^aft ber ©iplomatif im ©^ftem bariufteDen. ©r t)at 
feine toiffenfd^aftlid^en Slnfic^ten un^ in jtoei ©c^riften hinter* 
faffen: SSerfud^ eineö t)onftänbigen ©Jjftemg ber aUgemeinen, 
befonberö älteren S)ipIomattf (1801-1802) unb: ?ßra!tifc^e 
Diplomat« (1800-1803). — Slber e« ift ni^t feine, gegen 
©atterer« allerbingö aufeerorbentli^ vereinfachte ©^ftematif, 
toaö feinem 3Berfe no^ ^eute Slnerfennung üerfd^afft. S)enn 
fein ©^ftem, jtoar nic^t ööllig auögeffi^rt, toeil er fein aSer! 
nic^t ^at ))oIIenben fönnen, aber im Umrig üoU erfennbar, ift 
boc^ auc^ nid^t frei öom ©d^ematifieren unb öon SBiHfür unb 
bringt mand^eig an unred^tem Orte. SSenn er bie S)ip(omati£ 



40 3)rittc8 Äa|)itcl. 

in einen tlieorctifd^cn %di unb einen ^jraftifc^cn Sieil jcrlcgt, 
bei ber t^eoretifd^en 3)ipIomatiI äufecre unb innere unterfd^eibet, 
bei ber inneren toieber bi))Iomatif^e 9iecl^töle^rc unb Äenntni^ 
ber ÄQnjIeipraji^ trennt, bei ber proftifc^en S)ipIomatif fobann 
t)on einer allgemeinen unb befonberen ^anbelt, unter jener bic 
Se^re, wie man Urlunben anh^enbet, üerfte^t, babei aber aud^ 
Die £el)re üon ber ?tr^iötoiffenf(^af t , bie nac^ feiner S)efinition 
bic Stntoeifung, toie man Urlunben betoa^ren unb in Drbnung 
l^alten foU, einbegreift, unter ber befonberen S)ipIomatiI bann 
fd^Iießlic^ bie ^ßrüfung ber ©c^t^eit einjelner S)ipIomc öcrfte^t 
— fo fann man bod^ eben feinem ©^ftem toeber ©nfac^^eit 
nod^ redete Drbnung juer!ennen. Slber ganj au^gejeic^net finb 
bie ^Betrachtungen , auf benen er fi^ bie Umgrenjung feinet 
%f)emcS einer Siiplomatif Don älteren Urlunben fud^t, unb 
ebcnfo bie, auf benen er baju gelangt, ju erfennen, toorauf ber 
Urfunbenforfd^er ju achten, unb in toclc^er ^Reihenfolge er bei 
feiner Sritif öorgc^en foll. 

3n le^teren (Srmägungen ift er aber auf TOabiKon jurüdE* 
gegangen, unb toenn er bann in feinen toeiteren SBetrad^tungen 
wieber üon äJJabillon abgebt, eö fd^arf erfaßt, bafe beffcn Äapitel 
über bie 5ßaIäograp^ie, bafe baö SBud^ feinet SBerfeö über bie 
5ßfa(jen' ber granfenfönige u. a. nur 5ufäB[ige Seftanbteilc 
feinet SBerfe^, nic^t toefentlic^e S^eite ber Urfunbentoiffenfd^aft 
finb, unb toenn er fomit aUe biefe S)i§ii!|)Iincn, mt $ßaIäo^ 
grap^ie, ß^ronologie unb Drtöfunbe afö ^ilfötoiffenfc^aften, 
ote befonbere S)iöäiplinen neben ber Urfunbentoiffenfd^aft 
bet)anbelt n^iffen »oÖte, fo ^aben wir bag, wa^ feine ©c^riften 
afö einen gortfc^ritt in ber Urfunbentoiffenfd^aft fennjeid^net. 
Unb hierin, in biefer Söegrenjung ber 3)ipIomatif auf i^r eigent* 
lic^eg (Sebiet unb bann in feiner S)arfteDung ber ßitteratur ber 
3)it)Iomatif liegt ber bfeibenbe SBert feiner SSScrfe. 

üWan ^at in feiner 3^it f^i^ SBirfen alö ©c^riftfteHer unb 
Se^rer auf bem ®ebiet ber S)ipIomatif aber aui8 anberen 
®rünben gerühmt. 3n feiner ße^rt^ätigfeit toie in feinen 
©c^riften jeigt ©c^öncmann ftd^ Diel weniger für bie Slufgaben 
ber S)ipIomatiI, ate ber Se^re üon ber Sdftt^eit unb galfc^Iieit 



^te ^t))lomati( in ^eutf(^Iaitb feit mah'xilon 2C. 41 

ber Urfunbcn , intcreffiert afe üielmc^r t)on bem , wie er c8 
nennt, pra!tifc^en 3tt)edE geleitet, bte Urfunben mit ©tc^cr^eit 
unb Seic^tiflleit gebrauchen ju fönnen. 3)te ^iftorifd^e unb 
juriftifdie Slnmenbung ber Urfunben ju lehren, bad foHte xf)m 
öor allem bie ©tplomatil leiften. Unb nad^ biefer ©eite l^in 
l^at man feine SSerbienfte ate S)i<)lomatifer gefud^t. 3)amtt 
^ängt ei8 benn aber »ieber sufammen, bafe ©c^önemann^ SBerf, 
ia^ befte biplomatifc^e SBerf im Saufe eine« Sa^r^unbert^, 
bann bod^ aud^ gleid^ bai^ legte in !^eutf erlaub für lange Qtit 
blieb, unb jmar blieb, obmo^I e^ unüoQenbet toat, für einen 
feiner jal^Ireic^en §örer alfo ber Sünlafe ju einer Fortführung 
feineiS ©^ftemg bodj rec^t nat)e tag, toa^ auc^ nic^t ju fi^toierig 
hjar, ba ©c^önemann fein ganje^ ©^ftem ja im Umrife fertig 
gejcid^net ^atte. 2lber »eil eben ©c^önemann bie forenfifd^en 
3roecfe ber ©iptomatif fo fe^r in ben SSorbergrunb gerüdt ^atte 
unb hierin ber um i^n erftanbene toiffenfd^aftlic^e Äreiö bie 
legten ^tufgaben biefer 3Biffenfd^aft fa^, fo mußte bei ber über 
S)eutfc^Ianb bann ^ereinbrec^enben ftaatörec^tli^en SJeuolution 
cö nun gleidöfam afe öerloren gelten, toaö ber trefflid^e ®e* 
Ief)tte erftrebte unb geleiftet l^atte. 9Zeue SSerträge erfegen bie 
frut)eren, neue SRec^t^juftänbe üerbrängten bie alten. S)ie 
älteren Ur!unben fanfen in ifirem SBert afe Quellen unb QenQ^ 
niffe beg geltenben 9lec^tö» Unb über bie neueren Ur!unben 
urteilten nur Suriften unb aug juriftifc^en nic^t au^ biplo* 
matifc^en ©rünben. SBaö foHte ba noc^ eine aSiffenfc^aft ber 
Urtunbenbertoertung ? 

Unb toie ©c^önemanni^ Slrbeiten, fo öerloren nun alle jene 
©^fteme ber S)iplomatif unb biplomatifc^e Jfontpenbien für ben 
afabemifc^en (Sebrauc^ unb für forenfifc^e 3roede ben praftif^en 
Sffiert für bie SRe^ti^roiffenfc^aft unb Siec^töübung. 9Sor ber 
jegt, in biefen 3^^^^« ^^^ ftaatlid^en Umtoätjung, ber Jfriege 
unb ber politifc^en Sieubilbungen in 3)eutf(^lanb neu crfte^enben 
fritifd^en ®efc^id^tfd^reibung aber üerlor mit biefen ©^ftemen 
ber Siiplomati! au^ bie S)iplomatif felbft aUe^ Stnfe^en. 9lfe 
bie neue I)iftorifd^e ©c^ule iljren Sifer ber alten beutfc^en 
SBergangenl^eit jumanbte, um ben innerften 3wfQWi^"^"^öng be^ 



42 ^rittei» Kapitel. 

neuen nationalen beutf^cn fiebernd mit bcn älteftcn S^^^^^ 
beutfc^er (Sef^id^te aufjufinben, galten natürlich auä) i^r 
bie Urfunben afe xoextooUt ^iftorifd^e ä^^ß^^ff^- ^^^ f^^^ 
ganj feft in bem ©mnbfag, bie fritifdie gcftfteHung beg %l)aU 
fa^Iic^en als 3^^^ feftiul^alten, toar it)re Urlunben6et)anblung 
nur Urfunbeniritif. Unb ^iefür öerfagtcn felbft bie biplomati* 
fd^en 3Berfe, »ie bie ©nffi^rung pm Chronicon Gottwicense 
unb ber Nouveau traitö de diplomatique unb natürlich crft 
rcd|t QU bie Se^rbfici^er unb ©^fteme. 5)ie ungeheuere gfiüe 
beS ©etaife fetbft in jenen groBen SBerlen reid^tc boc^ nic^t 
an^ , um für bie lonfreten hritifc^cn fragen pofitiöe legte 
?lnttoort ju geben. Unb bafe bei folci^em 3wftönbe beö toitU 
lid^en SBiffeniS bie SSertreter ber ©iplomatif fid^ überl^aupt in 
©^ftemen i^rer SBiffenfc^aft ate Oanjei^ ergingen , f^on ba^ 
na^m in ben Äugen ber frtttfc^en ^iftorie, bie allem Äon^ 
ftruftit)en in ber ©efd^ic^te abgetoanbt, in ber fritifd&en geffc^ 
ftcDung beS S^atfäc^lic^en i^re oberfte unb bereits mit ©ic^er«* 
^eit unb refultatöoH verfolgte Slufgabe fa^, ber 3)iplomatif toon 
öom^erein ben ß^arafter als SBiffenfc^aft. Unb SBer!e toit 
©attererS Elementa mufeten t)or bcn firitifern ber neuen 
I)iftorifd^en ©c^ule ber S)iplomatif öoIlenbS jebeS Anfeilen als 
biplomatifc^e SBiffenfc^aft rauben. 

3)arum aber ift benn in ben erften Sal^rjefinten unfereS 
Sa^r^unbertS bie ©e^anblung ber biptomatifc^en SBiffenfdjaft 
unb alle S)ipIomatif felbft in 3)eutfc^(anb ööHig in SKifefrebit 
geraten. Unb fo ^at au^ ein an biefe ältere biplomatifc^e 
Sitteratur anfnüpfenber SSerfud^, bie Aufgaben ber S)iplomatif 
unter SSerji^t auf ben SuSbou einer allgemeinen Urfunbenlctjre 
unb na^ ®rfenntniS ber gel^ler ber frul)eren 2;^eoretifer in 
fc^örferem unb richtigerem Umriß boc^ in einem ©Aftern ber 
Duellenfunbe unterjubringen, »ie it)n ber toerbienftüoDe ©r^arb 
(1836) unternahm, bie S)iplomatif nid^t ju neuem Seben in 
SJeutfd^lanb ertt^edft. — 

3)ann freiließ ift bie Urlunbenwiffenfc^aft bocf) au(§ in 
S)eutfc^lanb ju neuem Seben ertoadit, unb fie t)at ^ier fogar 
ben ^ö^epunft i^rer Entfaltung errei^t. 



So^onn gticbrid) 35ö^mer. 43 

2l6cr baö gefc^al^, toic mir gefe^cn f)abtn, nid^t im ßn^ 
fatnmenl^Qng mit i^rer frä^eren @ntn)ic!clung bei uniS. 3a 
bag neue unb fo öollc Scben ber biplomatifc^cn 833iffcnfd)Qft 
in 5)eutfc^Ianb ift eine 'obüxQt SRcuerfte^ung unb bieg fogar 
auö ber tciffcnfc^aftlic^en Sebchöarbeit cinc^ 9J?anneg ^crauö, 
bcr jucrft DöDtg abtoieö, toaö biig^er bic ©iplomoti! gcteiftet ^atte. 



4. 

©ic Slnfange bcr bip(omattfd)en ©tubien in S)eutfc^Ianb 
fnüpfen an bic ^iftorifd^en arbeiten t)on Sodann griebric^ 
SBß^mer an. 

«m 11. üKörj 1823 toar ©ö^mer bur^ 5ßerfe bei bem 
fjrcil^crrn t)on ©tein cingefütirt Sorben. S)ie tt)iffenfcl)aftlic^e 
SetDcgung, toelc^er ber grofee 5ßatriot ben Smpulö gegeben, toax 
bereit« ju praftifc^cr S3etptigung i^rer Qkk gelangt; bic ®e« 
fcDf^aft für aftere bcutfii^e ©efc^ic^täfunbe toar feit 1819 be* 
grunbet, bie Verausgabe ber ©efc^ic^tfc^reiber ber beutfdjcn 
SScrgangcnfieit toar in Eingriff genommen. S)cr befinitiDc ^lan 
beö Unternehmen« toax too^I nod^ in ber ©c^toebe, aber man 
beabfic^tigte fd^on bamate, njic cö bann in bem 1824 Deröffent* 
tickten ^lan auSgefprod^en tourbe, neben ben ©efc^ic^tf^reibem, 
©efegen, ©riefen unb ?lntiquitäten , aud^ al« befonbere ^b^ 
teilung ber Monumenta Germaniae historica bie Äoifer« 
urfunben ^erauösugeben. 3)er ^rei^crr Don ©tein »ar öon ber 
^o^en 93ebeutung ber Urfunben aU ©ef^id^t^quellcn burd^au« 
übcrjeugt, er t^at bamal« ju Sommer bie c^araftcriftifc^eÄufeerung: 
man lernt bie (Sefd^i^te be« inneren beutf^en ßeben« au« ben Ur* 
funben beffer ate au« ben 6^roniIen. 3Wit biefer Slnfic^t buvd^* 
brang fic^ auc^ Sß^mer. Unb menn er feit biefer Unterrcbiing 
bie Srforfc^ung be« beutfd)en äKittelattcr« at« feinen ßeben«* 
beruf ertüä^tte, fo faßte er feit biefer tufeerung ©tein« al« 
gorfdöung«gebiet ba« be« Urlunbenftubium« in« Sluge. @« galt 
nun aber, bie Urfunben erft aufjufuc^en unb ju fammeln, unb 
fo na^m Sd^mer« Urfunbenforfc^ung ben S^araftcr öon 55e* 
arbeitung t)on SRcgcften, b. i. Urtunbcnt)eräeic^niffen an. Unb 



44 53icrtc« Stopxttl 

er m\)n\ feine Arbeit im auö9ef:proc^cnen ©egenfafe gegen bic 
älteren 9iegeften6earbeiter toic Sünau unb ©eorgifc^ qIö ein 
rcf^teö S)tploniQtartum in Singriff, ©c^on 1825 legte er $anb 
an granffurter SRegeften; feit 1827 fammette er für ein Re- 
gistrum imperii, feit 1829 unternahm er bie SJcgeften ber 
beutfc^en Sfaifer unb Röntge öon 911—1313. Unb mit raft* 
lüfem Sifer ging er an biefe ?(r6eit. SSon gebruar biö SRärj 
b. 3. Ijiittc er fc^on 48 S33erfe für feine Qtv^dt ejtral^iert unb 
bi^ jum 1. 3Wai 1830 5180 Ur!unben gefammelt. 3)ann be« 
gann er mit bem Drud unb 1831 erfc^ienen bie Regesta 
chronologico-diplomatica regum atque imperatorum Roma- 
no^um inde a Conrado I usque ad Heinricum VII, ate 
ein treugemeinter SSerfud^, eine grunblegenbe ?lrbeit für bie ®r* 
lenntni^ ber beutfc^en SSergangen^eit in i^rem tieferen SBefcn 
aui8 ben Ur!unben ju liefern. S)enn bafe bie Urfunben biefe 6in» 
fid^t bieten, mit fold^ Rotier SKeinung t)on bem SBert biefer DueDen 
für bie ®efc^tc^te l^atte SBö^mer fic^ bei feinen Slrbeiten immer 
mef)r erfüllt. Sluf^ forgfältigfte mit ber 3^it unb bem Ort ber 
SluöfteHung Derfe^en, fo urteilte er bamate, geroä^ren bie Ur* 
!unben für bie Slufeinanberfolgc ber Gegebenheiten unb für bic 
räumliche ©emegung einen unfehlbaren ßeitfoben. gaft auö« 
fd)lie6lic^ t)on folc^en abgefaßt, »etd^e bie SBa^r^eit tonnten 
unb fie fagen tooDten, ift i^re ©laubujürbigfeit nid^t leicht einem 
3tueifel unterroorfen. Slfe ftetö gleid^jeitige Siac^rid^ten jeigen 
fie bie ©adjen, mie man fie bamate fal) unb fannte, nic^t mie 
man fie fpäter fic^ backte, ©ie berühren olle Sßer^ältniffe, fie 
öerloffen nn^ andj an jenen Drten unb ju jenen Qtiten md)t, 
tt)o fein ©efd^ic^tfc^reiber bog S)unfel ber SSorjeit erhellt. ®ie 
fiub uni8 meift in auttientifc^er gorm erhalten, fie fc^miegen 
fic^ ber Abteilung beö ©toff^ in allgemeine unb befonbere 
©efc^ic^te oufig glüdlic^fte on. 

Die ß^roniften befd^oftigen fid^ am Snbe boc^ met)r mit 
bem äußeren Seben ber SBBHer, bog Snnere erfennt fic^ beffcr 
in SSerfoffung unb Jtunft. Snbefonbere ober finb nun olle 93e* 
jie^ungen auf öffentliche« unb ^ßriöotrecöt t)on ^od^fter SBid^tig* 
feit, ujeil bog Äleinob beg germanifdjen SBolfeg, bie grei^eit, 



Sodann JJviebri(^ ©ö^mcr. 4& 

tt)ie fte Xadin^ fd)ilbert, fpätcr in ben SRed^Wjuftanb ftc^ um* 
bilbet, fo ba%, toaö früher grei^cit toar, nun Siecht toirb, unb 
tDQ^ jcgt SRcd^t i[t, friil^cr grei^ctt toor. S)tcfc urfprünglic^c 
grci^eit unb biciS SRcd^t le^rt un^ bag ©tubium ber Urlunbcn 
crfenncn. Unb bicfcn Urfunbcn mü baxnm Sommer toibmcn^ 
toQö an Äraft unb 3J?ut i^m ju ®ebotc fte^t, unb Siebe jum 
Urlunbenftubium toiD er emeden unb bamit Siebe jum SBater* 
lanbe. SBir öermögen, fo fagt er toettcr, an ben Urfunben 
unfer eigenfteö ©elbft toieberäufinbcn. Unb tocnn eö toQi)x ift, 
bafe baö SelbftbetDufetfein ber Station in il^rer ®^\ä)\6)te ru^t^ 
unb wenn niemonb feiner felbft uergeffen, fonbem üielme^r 
fi^ fennen foll, fo toerben 3^^* unb Äraft^ier nid^t öergeubet 
fein, biene un§ baS au^ ben Urquellen ^eröortretenbe treue 
JBilb bcffen, toa^ unfer Sßaterlanb getoefen ift, nun jur ©e* 
letirung ober nur jum 9lnbentcn. 

©0 \)odi alfo urteilte ©ö^mer öom SBert ber Urfunben 
für bie beutfcfie ®efcl^ic^t§funbe. TOan glaubt einen toett- 
fc^auenben Setbni| ju ^oren unb empfinbct jugleid^ bie 3Bärme 
taterlänbif^en ©efü^te, bag ben SBerfaffer bzUbU. ?l6er fo 
l^odö 95i5^mer bie SBebeutung ber Urfunbenforfd^ung ftellt, fi> 
niebrig fci^lägt er an, toa^ bie S)i))Iomati! baffir geleiftet unb 
leiften fann. 6^ fel)It ^ier noc^ ber Kare SBlidE, fo fagt er 
einicitenb ju feinen 9legeften (1831), welcher ben gefamten Um«« 
fang ber Aufgabe überfielt. @S fef)tt feinei^tüegg an biploma* 
tifc^er SBe^anblung beS ©toffeiS, fo fagt er toeiter, aber bie 
S)iptomatifer »ufeten fid^ Don bem jufäHigen Urfprung tt)rcr 
SBiffenfc^aft nic^t ju befreien; fie toerfaUen barum unter bem 
einjigen ®efic^t^))untt, ein Urteil über ©c^t^eit unb Uned^ttjeit 
gewinnen ju Wollen, unwiflfürlic^ in baö ^ttail mifrologifc^er 
Unterfud^ungen, t)ereinjetnen bie Urfunben, öerlieren bamit baö- 
SBerftönbnig t)on beren Sebeutung, bie nur im 3"fönimen^ang. 
erfannt toerben fann, unb öcrffiumen, inbetreff ber 9leic^ö* 
gefd^ic^tc unb ber 9ie^t§altertflmer beu inneren ®e^alt mit 
gleichem ©djarffinn ju tofirbigen. 

Sin biefem Urteil erfc^eint unö, bie toir nun bie beutfc^e 
bi))Iomatifd^e Sittcratur bcö 18. Sa^r^unbert^ fennen, manc^e^ 



46 ^ierted ^a^ttel. 

richtig, manc^c^ aber cntfd)icben falfc^. Unb njcnrt öö^mcr bic 
crften Slufgaben bcr S)ipIomati( ganj öerlanntc , tocnn er bic 
frittfc^e ©cite btejer SBiffcnfc^aft fo Icid^t^in fibcrging, t^r bafür 
Aufgaben iumutcte, bie i^r in crftcr 9leit)c ft^crtic^ nid^t ju* 
!ommen, unb n)enn er im ganzen bo^ mel^r bie bi^^erige 
biplomattfc^e SRetl^obe afe unnüft für feine Stoerfe ber Urlunben* 
forf^ung bejeic^nete, ofö baß er ha^ Unjurei^enbe ber 
bidtjerigen 2eiftungen afö SSorarbcit für bie unmtttclbore eigene 
§tufgabe getennjetc^net ^ätte, fo ^arafterifiert ba^ So^merd 
l)iftorifc^cg S33iffen felbft. „3c^ ging an bie Arbeit ber Äaifer^ 
regeften", fo ungefähr fagt er einmal, ^o§ne no^ bie 9iei^enfotge 
ber Äaifcr ju fennen.'' Unb mit ber ganjen Unbefangenheit 
eines t)on leinen S^^^M" ^^ ©ntfte^ung unb Überlieferung 
bcr aufgefunbenen Urfunben bclaftctcn ®emütö ^atte er bic 
Slrbeit begonnen, aber toaö auf ben erften SBIicf afe ein 
fc^rocrer SÄangcI bi))Iomatifd^er SSorbilbung für einen 9icgeften* 
bcarbeiter erfc^eint, jeigte fid^ ttjeitcr^in alö ein SBorteit für bie 
S)ip[omatif felbft. SRur bei biefer oble^nenbcn Stellung jur 
S)i))lomatif ift SBß^mcr toie für bic ^iftorifc^c 3Biffenf^aft 
überhaupt fo aud^ für bic Urlunbcntoiffenfd&aft ber gcmorben, 
ber er mürbe. 5Rur bei biefer Unbefangenheit in ber Urfunben* 
fritil unb i^rer liiftorifd^en aScrtocrtung ift biefe fc^affcnefrcubigc 
ununterbrochene 3:^ättgfcit S3ö()merö im Sammeln unb Sic» 
giftrieren ber Urlunbcn benfbar. 9iie ^ätte er fo taufenbc 
Ur!unben anö Sic^t gejogcn unb nie fo fc^ncH fie ber SBiffen* 
fc^aft jugänglic^ gemad^t, menn er unter bie S)tplomatifcr 
gegangen märe, mo er eben, mie eS ftc^ afe notürlid^ ergeben 
l^ätte, bei ber 5ßrüfung eincö Ileincn Urfunbcnöorrateg fielen 
geblieben märe. Unb nur burc^ bieö SBcfanntgcben üon fo« 
t)iel taufenb Urfunben l)at Sommer ber neuen biplomatif^en 
gorfc^ung bie Smpulfc gegeben, bie fie i^m unjmcifcl^aft 
toerbantt. 

Sö^merö 9iegeften füf)rten bie ^iftorifer ju einer immer 
ausgiebiger fid^ geftaltenben Urfunbenbenu^ung unb bie fritifc^cn 
3;alente unter il^ncn jur Urfunbenfritif. 3)ie 9lanfefc^en Sö^t* 
bü^cr unb i^rc gortfe^ungen, mel^e bic c^ronologifd^e Slnorb* 



Sodann ^rtebric^ SBö^tner. 47 

tiunfl ber 3:^atfQcl^cn tocfcntlidö auf ba^ iirlunblic^c Stincrar 
flutten, meifen bereite bte SlnfSngc fold^cr SRürffic^tna^mc auf 
bie Urfunbcn unb iftrc Äritif auf. ?lnbcre J^iftorifd^e arbeiten 
f^loffen fid^ an. SBai| baute feine SSerfaffunfl^gefc^id^te über* 
toiegenb auf ben Urlunben auf. Urfunbenfammlunflen in großer 
^Injal^I tDurben ^ertjorgcrufen. Über bie ?lrt, toie man Urlunben 
l^erauggeben follte, erftanb eine Sitteratur; ^erfönlid^feiten mie 
^er^, 2Bai^ refumierten barüber eingel^enb unb grünblic^. Unb 
Sommer felbft mar im Saufe ber Qtit, je metjr er feine roman«» 
iifd^e Sluffaffung t)om SBert ber Urlunben burcb eine miffcn« 
fc^aftlid^e erfegte*, toie toir eö in ber neuen unb immer t)oII* 
fommeneren ®eftattung feiner einjelnen 9iegeftenarbeiten unb 
iRcubearbeitungen erlennen fönnen, unb je mef)r er bie ?lngaben 
ber ©efc^ic^tfd^reiber neben ben Urlunben l^eranjog, in ber S8er* 
toertung ber Urlunben für ba« Stinerar fritifd^er getoorben. 
Unb er fprac^ ^ie unb ba feine fritifc^en Steifet über biefe unb 
jene Urfunbe an^ unb gab bamit biStDeilcn Slnlafe ju felbft* 
ftänbigcn biplomatifd^en gorfc^ungen, fo j. 93. ju ber Sitteratur 
über bie öfterreic^ifc^en greil^citöbriefe. S)en ttjid^tigften Stnftofe 
jum ^{euentfte^en ber S)i))(omatif aber gab er bann bamit, bag 
feine SRegeften SSorbilb für eine reid^e SRegeftenlitteratur ber öer* 
fcftiebenen gürftenl^öufer, Sanbfd^aften, ©täbte, Siöt^ümer, ber 
fßäpfte u. f. tt). mürben. Unb je größer ber ücröffcntlic^te 
Urfunbenfc^al tourbe, um fo mel^r gewann bie Sluffaffung 
fflö^merö t)om SBcrt ber Urfunben ate ©efc^i^t^queHen öoben 
unb um fo me^r toieber tourbe bie SSel^anblung ber Urfunben 
©egenftanb ber f)iftorifd^en gorfd^ung unb Äritif. S)iefc Sritif 
ift lange 3^^* ^inburc^ auöfd^Iiefelid^ eine l^iftorifd^e, aHenfallS 
eine Ijiftorifd^^pl^ilologifc^e. 3:extüberlieferung unb ^iftorifd^er 
3n^alt ber Urfunben geben bie Äritericn ab, auf eigentlid^c 
Urfunbenmerfmale ad^tete man noc^ faum; man blieb ba im 
tocfentlic^en babei ftel^en, ju prüfen, ob fic^ bie Stngaben ber 
Datierungi^äeile in baiS Stinerar einfügen laffen. Sann aber 
begann in einjelnen SReubearbeitungen unb Srgönjungen bon 
S3ö^mer« SRegeften aud) biplomatifd^e Äritif einzubringen, unb 
bie brei ^ertjorragcnbften SWeubearbeiter t)on Sö^mcriS SRegeften* 



4Ö günfteS Stapxitl 

iDcrfen mürben in ber fritifc^en ^rlcbtgung i^rer Änfgoben ju* 
glcid^ Sieufcftöpfcr ber ©iplomatif in 3)eutfc^Ianb. ©ö finlv 
baö belanntlid^ Äarl griebr. ©tumpf, S^cobor ©idd unb 3u^ 
liuö gider. 



Sie Seiflungen üon ©tumpf, ©itfel unb gider für bie 
^iplomattf laufen ^um ^^eil nebeneinanber unb jetgen Dtelfac^ 
gcgenfeitige Sejie^ungen unb görberungen. fflodj me^r aber 
fällt in bie Singen, bafe jeber fofort feine eigenen SBege toanbelt 
unb barum anä) ganj ©genorttgeö für ben Slu^bau ber S)ipIo=^ 
matif alö SBiffenf^aft geleiftet ^ot. ?Im Snbe natürlich fteUt ficfy 
un^ QÜe^ bied toieber ol^ eine gemeinfame gbrberung ber S)iplO' 
matif bor. gür bie ©rlenntniig biefer görberung aber ift e^ 
beffer, bie ©efamtleiftung be^ ©njelnen für fid^ unb jum 9Kin* 
bcften biö ju einem getoiffen TOoment, mo bie beS Slnberen ficfy 
energifd^ bajmifd^en fc^iebt, allein ju berfotgen. 

S33ir beginnen mit Sari griebric^ ©tumpf. 

©tumpf ^atte ju Dlmü§ unb SBien ftubiert unb fic^ ber 
©cfc^ic^t^toiffenfc^aft jugeroanbt. Sabei l)otte er ba^ erfte Stuf* 
blüt)en »irflic^ ttjiffenfd^aftlic^en Sebeng in Öfterreid^ fid^ nod^ 
nußbor macf)en lönnen, 1851 unb 1852 l^otte er on ben l)iftori* 
fc^en Übungen bei ®rauert unb Soger teilgenommen. 9?oc^ furjer 
Se^rt^ätigfeit in DImüß ^otte er fid^ bann nod^ SBerlin begeben 
(1854—1856) unb ^ier mit SRonle, ?ßer|, Söffe, Söpfe u. o. 
onregenben Umgong gepflogen unb bauernbe SSeäie^ungcn on^ 
gefnüpft. So moren nun öorne^mlii^ Sö^meriS SRegeftenorbeiten, 
bie i£|n für bie ©efc^id^te ber beutfc^en Äoiferjeit begeiftert unb 
jum ©tubium berfelben ouö ben Urfunben ongeregt Rotten. 
9?odö bor feinem berliner Slufent^olte fi^on l^otte i^n ber 5ßtott 
noc^^oltenb befc^oftigt, eine fiifte ber beutfc^en SReid^iSfanjter 
aus ben Urfunben oufjufteHen. Unb mit Srtoeiterung feinet 
^iftorifc^en ©efid^tiSfreife« in ben berliner Satiren roax bei i^m 
bie SBorftellung öon ber JRotmenbigfeit unb bem Sinken einer 
folc^en Slrbeit immer fefter gemorben. Sm ©ommer 185& 



Staxl gticbric^ ©tumjjf. 49 

fuci^tc er 93ö^mer in granffurt a. SD?, felbft auf, unterbreitete il^m 
feine Päne über bie Sieici^gfan jlerltfte für bog 10. big 12. Sa^r* 
l^unbert, berid^tete über feine ©tubien bafür unb fanb ba^ 
bereittoiHtflfte Sntgegenfommen mit SRat unb %f)at je^t unb 
bei einem jtoeiten ?lufent^alt in Sommer« §aufe 1858—1860. 
®iS galt fein ®ifer bor allem ber ard^ibatifd^en gorfc^ung 
nad^ unbcfannten Urfunben unb fein ©tubtum i^rcr SSertDenbung 
für bte ffianilerlifte. Unb babei erfannte ©tumpf, ber ba^ neue 
äRaterial, tüeld^eiS er fanb atö einen SRac^trag ju Söl^merg 
SRegeften bringen rnoHte, ba% eine geftd^erte ©runblage für fein 
SBerf fic^ nur burci^ eine 9?eubearbeitung bon öö^merg SRegeften 
in biefem Seit, b. i. ben SRegeften bc« 10. bis 12. 3a^rt)unbcrtg 
getoinnen laffe. 3)aö SWateriat l^iefür ^atte er mit erftaunlidiem 
^leifee fd^neU aufeerorbentlic^ bermetirt, er ging aber nid^t 
fogleid^ an bie Sluöarbeitung. ®r tooDte bei 93öl^merö Seb^ 
jeiten nic^t bte ©i^trad^en Don beffen Seiftung aufbedEen. S)afür 
toanbte er fid^ injtoifd^en aud) bem ©tubtum ber 2)?erobinger«» 
unb ffiarolingerurfunben ju, um fid^ bie ©runbtage für bie 
Beurteilung ber ®ebräuc^e ber fäd^fifc^en Äanjiei ju fc^affen. 
Hm 22. DItober 1863 ftarb bann öötimer, unb ei^ toar für 
©tumpf !ein ®runb me^r bor^anben, bie tnjtotfc^en noc^ meiter 
berboUftonbigte SReubearbeitung ber SRegeften be« 10. bii^ 
12. 3a]^rl^unbertö jurüdEjufiaften. ©o erfd^ien benn im SRoDember 
1864 t)on feinem SBerf e ,,bie 9ieid)i8!anjler borne^mltd^ be^ 
10., 11. unb 12. 3al^r^unbertö , nebft einem Seitrage ju ben 
?Regeften unb jur Äritil ber Äaiferurfunben biefer 3^^^'' ^^ 
erften SSanbe« erfteS |)eft, bie allgemeine ©nieitung unb eine 
Fragment gebliebene Slbl)anblung über bte SKerobtnger* unb 
Äarolingerurfunben ent^altenb. 9lm SJejembcr erfc^ien beS 
jtoeiten S8anbei8 erfte ?Ibteitung, bie Äan jlerlifte unb bie SRegeften 
ber fäc^fifd^en Äaiferjeit ent^altenb, benen bann 1865 bie ber 
fränfiid^en Qdt, 1868 eine SReubearbcitung ber 8iegeften 
^cinrid^ö IV. Don 1087 an unb bie ^einric^iS V., fotoie bte 
SRegeften Sot^ariS HI. , Äonrab-g in. , griebtic^ö I. unb 
Jpeinrid)^ VI. folgten, ©n ©c^Iufel^ft biefe« 93anbe« mit 
©nieitung unb Sn^aft^Derieid^niffen, für toenige SBod^en fpfiter 

^iftorifc^e Oil^Uot^el. Ob. IV. 4 



50 gfünfteg Kapitel. 

aiiflcfünbigt, tft crft mä) ©tumpf« lobe (t 12. Sonuar 1882) 
t)on gidEer in ^öc^ft müt)et)oüer Slrbcit ou^ bcffen Siod^Iafe 
l^ergcftent (1883) iporbcn. 

Sieben biefen ^JReic^efanjIern" unb ate ein Seil biejci^ 
SBerfeö bejeic^net, gingen nebenher ©tumpfö: Acta imperii 
inde ab Heinrico I. ad Heinricum VI. usque adhuc 
inedita (1865 — 1881), itjorin er ungefähr Dierljunbert 6i^ 
ba^in unbcfQnnte Urfunben jum erften 9ÄaI Deröffentlidöte. 
gerner erfc^ienen ate SSertcibigung einer in ben Acta im- 
perii über eine Urfunbc ouiSgefproc^enen Äriti! jtoei Slb^anb^ 
langen über: 2)ic SBirjburger 3mmunität*Ur!nnben be^ 10. unb 
11. Sol^r^unbertö (1874 — 76). Unb toenn toir nun noc^ feine: 
Acta Moguntina saeculi Xu. (1863) ^eranjie^en, fo l^aben 
tt)ir aUee SlBic^tige Don ©tuntpfiS toiffenfc^aftlic^en Slrbeiten für 
unjerc 3"^^^^ oerjeic^net. 

©e^en loir un^ nun il^ren Snl^alt an. ^a^ erfte ^eft 
feiner „JReid^iSlanäler" l)attc im SRürfblidE auf bie äKerottinger« 
unb »^arolingerurfunben einen Umrife über bie ©pochen ber 
Urfunben biefer 3cit geboten unb eine eingel^enbe, aber tote mir 
fc^on fagten, nid^t öoHenbete Se^anblung ber c^arafteriftifc^en 
SKerfmote in biefen Urfunben, ate ber äußeren ©eftalt ber 
S)ofumente, ber 3nt)o!ation, bei8 3!itefe, ber ©iegetanfünbigung, 
beig SÄonogramm^, ber SBcftegelung , ber ©trafformeln unb ber 
Datierung begonnen. Sic S'anjleigefc^id^te unb Äritif ber 
Urlunbcn btefer ßeit foHten folgen. ?lber ba« SBerf ift grag*= 
ntent geblieben, mitten in einem ©a^e über bie Datierung 
bricht bie Unterfuc^ung ab. Eingefügt ift ein SBerseid^ni^ t)on 
gacfimileig Don äReroDinger* unb Äarolingerurlunben. — 3)er 
jtoeite SBanb feiner SReid^gfanäler ift in erftcr 9iei^e aU eine 
Äanjlerlifte gebadet, für tocl^e bie urfunblid^cn SRegeften bie 
©runblage bilben. ?Iber jugleic^ foß e« eine 9?eubearbeitung 
Don S3ö^mer$ älegeften fein unb nid^t b(og eine DerDoQftänbigte 
ßifte be^ UrfunbenDorratiS , fonbern jugfeid^ ein reDibierteö 
Stinerar ber ^errfc^er. Sieben ben Äaiferur!unben toiH ba^ 
aSäerf barum aÖc bireften urfunblic^en 3^"fl"iff^ o'^ ^ßtacila, 



jtarl f^riebric^ @tum))f. 51 

SSuUen , $rit)Qturfuiib€n u. a. berudfic^ttgen, iDenn bartn bte 
'^tcgenmart bed 9{egeiiten bejeugt ift. ^är ben StinerariiDetf 
iefttmmt @tumpf bte Ortsangaben ber Urfunben, rebuiiert er 
bie d^ronologifd^en eingaben auf unfere 9{ecl^nung unb orbnet er 
banad^ bie Urfunben ein. 3)er SSeriDertung ber einjelnen 
llrlunben ift aber eine fritifd^e 5ßrfifung vorausgegangen. Sine 
f urje 9?otij über bie SSerteilung ber (Sefd^äfte ber aSeic^Sfanjlei 
an bie einjehien Sfanjleiabteilungen für S)eutfd^Ianb, Stalten 
«nb Surgunb in ber fäd^fifd^en unb frfinfifd^en unb bann in 
ber flaufifc^en ßeit leitet bie SRegeften ein. S)iefen öorangefteöt 
finben mir bie (Spoc^entoge ber föniglic^en unb faiferlic^en 
tRegierung ber einjelnen iperrfd^er, bann folgt für bie ßeit eine« 
jeben ^Regenten eine Sifte ber (Srjfanjier unb SJanjIer mit 
tlngabe ber 3^'* ^fy^^^ Slmt^tl^ätigfeit , unb bann lommen bie 
^egeften felbft. — 9lud^ ben in ben Acta Moguntina unb in 
ben Acta imperii veröffentlichten 550 Urfunben t)at ©tumpf 
«gleic^fade nic^t 6(og bie §lufmer{fani!eit beiS ©ammlerS, fonbern 
«benfo bie beS ^itiferS jugen^anbt. 

Unb in benSIb^anblungen über bie „SBirjburger Smmunitätg»^ 
urfunben'' fud^t er ben Siad^mei« über bie fünf g&Ifc^ungen für 
IBürjburg in met^obifc^er SBeife fo ju getoinnen, bafe er etwa 
jec^S^unbert Originalen bie äußeren unb inneren 9JierfmaIe ju 
-einer Äritif abgewinnt, fid) erft mit bem Sn^alt Ottonif^er 
Immunitäten überl^aupt Vertraut mad^t, einen Slbrife beS Jfanjlei- 
ttjcfenig biefcr 3^^* giebt unb babei rüdwärtS in bie Karolinger* 
icit unb oorwärtiS in baö Urfunbcntoefen ber ©alier einbringt. 
— ©d finb alfo ©tumpfö litterarifc^e Seiftungen gorfc^ungen 
^um Urfunbentocfcn ber beutfc^en Staiferjeit vom biplomatifc^en 
©tanbpunft. Unb fe^en wir genauer ^in, fo finben wir, \>a% 
©tumpf mit SBewufetfein an bie ältere SDiplomatif unb vor*' 
ue^mlic^ an äWabillon antnüpft, ben er öfter« unb beffen ^aupt^^ 
regeln er wieberl^olt citiert. @r bat i^n genau ftubiert unb ift 
fic^ bewußt, ba^ er il)n fennt. ®i benußt aber aixä) bie neuere 
unb Verfolgt genau, bie gleich jeitige biplomatifc^e Sitteratur, 
unb er gewinnt au^ i^r görberiing im SBiffen unb in ber 
lOiet^obe ab. Unb fo war er fd^on 1860 fi^ flar, bafe f|iftorifc^e 



52 günfte» ^opxUl 

ftrttif allein ben Urlunben gegenüber nid^t jn fidlerem Srgebni^ 
führen fönne, ba% man mit SKobiUon bie Urlunben al^ 
©efc^ic^töqueHen befonberer 3Irt aud) mit befonberem ÜKafee 
meffen muffe, unb bafe biefe SWafee allein bie ben Urfunben 
eigentümlid^en ÜKerlmale bieten fßnnen. Unb toir fe^en oud), 
toic er in ber öe^anblung ber äWeroöinger *= unb JSaroIinger*^ 
urlunben berciti^ mit biefen äWafeen mißt (1861). S)omate ift 
er aber auc^ fc^on unter bem Sinftu^ bon ©icfefö erfter Slrbeit 
jur ©iplomatif ber Äarolinger, bie toir f»)äter fcnncn lerne» 
tocrben , in ber Änfid^t beftärft, ba^ nur bie Originale für 
Sammlung ber $D?erfmaIe bie ©runblage bilben Knnen. ®r 
l^at bonn in ber Bearbeitung ber Äaiferurtunben fid^erlic^ btibt 
(Srunbföge angetnanbt, unb genau fönnen »ir babei erlennen^ 
toie er (1865 — 1876) unter bem ©influfe ber toeiteren Slrbeiteit 
©idelö jur SDipIomatif ju bem ©runbfag ber SRegelbitbung. 
pro ratione temporum nad^ äWabiUonS Sc^re fid^ mit öe^ujgt* 
fein befennt. Smmer flarer loirb i^m aud^, bafe bie S)iptomatit 
auigfc^liefefic^ Iritifd^e 3toedEe ju erfüllen t)at unb bafe biefe nur 
in einer ©pejialbi))lomatiI erfüüt toerben fönnen. Unb er folgt 
©idEel aud^ in ben Slnftd^ten, bafe baneben aUerbing^ bie aQ«= 
gemeine Siplomatil bie ®eftd^t«pun!te, bie ©runbfä^e unb bie 
aWetl^obe üorjufc^reiben l^abe. Unb ha<i, toa^ ©tumpf fo jur 
9Kett)obe beibringt, ift unferer uneingefd^ränften 3wft^"^"^w"8- 
fidjer. Unb auc^ nad^ einer anbern ©eite ^in »erlangen feine 
»nfic^ten unferen Seifall. SSBaiS er nämlic^ über 2;ejtüber* 
lieferung, Siejt^erfteHung unb Sejtlritif toieber^olentlic^ mit 
fteigenber ©rfenntniiS ber barin eingefd^loffenen aufgaben äußert, 
bemeift, bafe er bie Slnforberungen ber pt|ilologifd& * l^iftorifc^en 
aWet^obe !ennt, unb toenn er biefelbe ftreng aud^ auf bie 
UrlunbenteEtc angctüanbt toiffen toiH, fo »irb er aud^ barin 
feinem SBiberfpruc^ begegnen. 

Siic^t gleid^en SBert toie biefe t^eoretifc^e ©tellungnalime 
fann aber beanfpruc^en , toqtg ©tumpf in feinen biplomatifd^en 
?lrbeiten praftifc^ geleiftet l^at. 

©tumpfig Urteile über ©d^tl^eit unb Uned^tl^eit biefer unb- 
jener Urfunben, über bie c^ronologifc^e ®inrei^ung anbrer,. 



Äarl griebrid) 8tutnpf. 53 

iiefc Urteile, bic er olfo in biplomatifd^er SKet^obe getoonnen, 
fet)tpanfen toie bic afe ©rgebniffc ^iftorifd^cr SDJetl^obc öon 
<inbereTi gurfci^crn Dorgcfü^rten SSefuItatc ju benfelben 
©tudEen. SDic in bcn Acta imperii gebotenen Urlunbcntegte 
fobann loffen fel)r tJiel ju tüünfc^en übrig in S^ejtforfd^ung 
oinb Sicjt^erfteüung. 2)ie gonje bipIomatifcf)C (Sefamtleiftung 
©tunipfg f)at eltoQig §aI6eiS, 9?ic^tbefriebigenbe^ in fid^. Unb 
lüir erfennen ja auc^ beutlic^, too^er bo^ fo gcfommen tft. 
<Stumpf, ber fd^on 1860 mit ©nergte an bie älteren S)ipIoma« 
titer onlnüpfte unb bte Slnregungcn ber Serlinex ^iftortfd^en 
©c^ule lebl^aft in ftc^ aufgenommen l)atte, ftanb bamalö unb 
filicb fein ganje^ Seben I)inburc^ unter ben bon 93ö^mer em* 
^jfangenen unb burc^ bic geftedtc 9lufga6e befräftigten 3m* 
^pnlfen, bie il)n baljin leiteten, öor allem eine SBcrgröfecrung 
be^ UrlunbcnöorrateiS ju erftreben unb baS neue Urlunben» 
material fo f(^nell ate möglich ber SBiffenfd^aft bcfannt ju 
geben. 3)ane6en aber tooDte er oud^ biplomatifd^c Sritif üben. 
SeneiS aber fd^Iofe boc^ biefciS auö. 2Bo toar j. S8. babei nur 
bic SÄögtic^f eit , bie S^ejtübcrliefcrung fo ju Verfölgen, toie er 
e^ felbft ate ®runbfa^ aufgefteüt ^atte. Unb bann »ar bai^ 
^^ema, ba^ bie Urlunben breicr Sa^r^unberte unb ate SSor« 
arbeit baju, bic Urfunben tociterer t)ter Sal^rl^unbertc umfaßte, 
boc^ an unb für fid^ fct)on t)tct ju groß , aU bafe .er ba über* 
fiaupt »irflid^ 2)ip(omatif mit gefiederter ®runblage l^ätte 
treiben fönnen. SSei^l^alb »irb man felbft bei fo auöfü^rlic^en 
Unterfuc^ungen roie bic über bic SBürjburgcr Smmunitäten finb, 
immer toicber ju ber Sinfi(^t geführt, baß fie für ben einjclncn 
^medC an öielcn ©teilen tjict ju öiel, unb bod^ für eine gc* 
fieberte Urfunbcnlc^rc ber Qüt, toic fie in cinäctncn Slbfc^nittcn 
tjorgctragcn mirb, tro^ reic^ftem 5)etaife ju toenig bringen. JRun 
!am fiinju, bafe ©tumpf bei ber Scl^anbtung ber SRerotjingcr* unb 
Äarolingerurlunben , ba er fid^ ju eng ,an SKabiUon an* 
fc^Iofe, bie SScI^anblung bc^ ßontcstciS bcrnac^Iäffigtc unb barum, 
unb tocil er aud^ ju toenig Originale fannte, ju pofitit) ge* 
fid)erten ©rgebniffen nic^t fommen lonntc. 3)ann ift ferner bei 
©tumpf ein gemiffer äRangcl an ©tc^crl^cit in 2)cutung ber 

'\. 

"'s 

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54 Srüitfte<S Kapitel. 

©(^rift unb Scrcd^nung t)on 3ci^ö"fl<i6^" wci^^ jw öctfenncn^ 
tDcfd^e S^^ter tiod^ boburd^ toud^fcn, bafe ©tumpf in bcr 
Überjeugunfl ciitciJ unmittcttaren äbfd^Iuffc^ bci^ ergriffenen 
%t)€ma^ fic^ oft mit gaitj ftfic^ttflen Sflotigen ftott mit grünb* 
lieber ^opie an^ ben Urfunben begnügte. ^a§ %üt^ mußte 
fd^on ben gefiederten Srfofg ber fo nötigen allgemeinen 3We* 
t^obe beeinträ^tigen. 3(ber niid^tiger nod^ unb noc^ me^r 
f^fibigenb tourbe folgenber Umftanb: ©tumpf ^atte fid^ eine 
falfd^e Stnfid^t über ben (S^arafter bei^ S^anjleramte^ gebilbet^ 
bie er fc^on im erften |)eft feiner Sieic^^IanjIer (1860) um* 
fd^rieben l^at, unb an ber er, mte ei8 noc^ bie Slrbeit über bte 
SBürjburger 3mmunitation bemeift (1876), unDeränbert feftftielt. 
SDie SReid^^fanjIer, fo ungefol^r äufeert er fid^, finb bie Sßerfön* 
Iid|!eiten, toel^e in ber 93Iüteüeit beö SSeutfc^en SReid^e« berufen 
toaren, burd^ i^re ©tellung in unmittelbarer 9?a^e ber Könige 
unb Äaifer auf bie ©d^irffale beö JBaterlanbe« einen beftimmenben 
®nflu6 au^juüben. 211^8 Sräger be^ föniglid^en ©iegefe finb 
fie mit bem JBoIIjuge aller öefel^te beauftragt, ©ie finb bie 
Vermittler be§ foniglid^en SBiUen^ unb aU SSorftel^er ber Sleic^i^* 
fanjtei finb fie bie ?ßerfönlid^Ieiten, in bereu $änbe alle gäben 
ber toeitüerjmeigten ^Regierung jufammentiefen. S)ie ^txd^^^ 
fanjlei ift baiS etgentli^fte gelb itjrer 2!^ätigfeit, unb bie SReic^ig* 
urfunben finb jebeSmal bieunmittelbarften3^wgniffc unb gleid^fam* 
bie ?lutograp^en be« Äanjler^. ®r ift bußfertiger ber Äaifer* 
urfunben, eine jebe fie^t er burc^ unb muftert er burd^. Sebe 
(Sigentümlid^feit, bie üerfc^iebenartigen Äennjeid^en unb mannig^ 
fachen 3J?erfmale, toeldje mir an ben Äaiferurfunben beubac^ten,. 
getien auf ben ftanjler jurüdt, Sie Äanjier finb SKänner Don 
^ertjorragenben ®aben beö ®eifteö, finb im öefi|e ber beften 
Silbung i^rer Qtxt, unter xf)xcx Seitung legen bie fieiftungen 
ber Äanjleien überall Don Orbnung unb SRegelmäfeigfeit 
3cugnig ab, unb in Urfunben be^ 10. 3a^r{)unbertß unb fpe* 
jiell im ^rotofoHroefen fann Don SBiflfür ober SuffiQigfeit im 
großen unb ganjen nid^t me^r bie JRebe fein. Unb toenn 
toir in ben S)atierungigangaben einer Urfunbe biefei^ geitraume^ 
SSinfür finben, fo ift biefe legtere enttoeber nur fc^einbar unb 



tarl gricbric^ ©tumjjf. 55 

lägt ftd^ mit Hnnal^me etneS ©(i^retbfe^Ier^ erflfiren ober bie 
Ürfuttbc ift falfc^. 

3n bicfcn Slu^fü^rungcn öcrffiHt ©tumpf, tt)ic leicht er* 
fennt(i(^, olfo in ben fd^lDeren ^l^ler, bog er bie politifc^e 
©teüunfl einjetner ÄanjCer öon beut ©efd^äfti^freig beö JtanjIeriJ 
atö fönigtic^en Beamten nid^t trennt, unb bag er Don einer 
ganj unhaltbaren Slnna^me inbetreff be^ le^teren au^gel^t. 2)enn 
eine SRotis ©regord t)on Sourö unb eine anbere in einer Ur* 
funbe |>einrid^ö IV., bog einmal ber eine unb ber anbere Äanjler 
fic^ eine Urfunbe jur Prüfung l^at t)orIegen laffen, fann boc^ nid^t 
im entfernteften ben SBetoci^ liefern, ba§ bie ßanjier be^ 10. bid 
12. Saf)r^unbertd oQe unb immer bie Ausfertigungen brr £ani(et 
bis ins Heinfte 2)etail übcrtoad^t hätten. S)a nun aber ©tumvf 
biefe feine ^^potl^efe bon ber S^eilnal^me ber Äanjler an ber 
UrlunbenauSfcrtigung jur ©runbtage feiner Urfunbenfritif machte, 
fo ^atte baS für feine Äriti! bie Derber blic^ften golgen. — 8fuS 
bem SSergteic^ ber Äanjlerunterfc^rift unb ber 3>atierungSangabc 
ein Äriterium für ©c^t^eit ber ganjen Urfunbe unb ber SRid^tigfeit 
ber Zeitangaben fid^ ju bilben, baS ^atte f(fton SWabiHon geübt, 
ber fic^ für frittfd^e 3roerfe aud^ eine Äanjtetüfte aufgefteQt ^atte, 
unb baS toar feit bor geit toiebcr^olt Don SJiptomatifern unb 
^iftorifcm burc^geffi^rt. S(uf bie ^anjler aber aQe Eigenarten 
emjelner gormeln unb namentlich ben ganjen ?lnfa§ ber ßeit* 
bere^nung jurüdfjufü^ren unb babei ben Sinjefnen immer bie 
t)5d^fte $f(id^ttrcue unb jugleid^ bie Dorjüglid^fte Kenntnis in 
3citberedönungcn jujutrauen, ba^ »ar neu. Sene SSermertung 
ber Sfngoben über ben Äaujler t|ot eine getoiffe Berechtigung, 
biefe neue aber leiber nic^t. Unb bie golge toar junäd^ft jene 
Unfid^er^eit im 3eitönfa| unb in bem Urteil über einjelne Ur* 
funben, bie allgemein in ©tumpfS SRegeften beobad^tet tourbe. 
— S)ie ^tftorüer, toeld^e biefe Seiten beS 12.— 15. Sa^r^unbertS 
bel^anbelten unb bie ja unauSgefe^t unb mit aufric^tigftem 5)ant 
gefü^l mit feinen 9iegeften fic^ befc^äftigten , übernahmen aber 
bie aiuffaffung ©tumpfS Dom Äanjieramt im 10. — 12. 3a^r* 
l)unbert unb fpejieH Don ber leilna^me beS ÄanjIerS an ben 
SluSfertigungen ber Äanjtei. SWan toeife ja, »ie Don ©tumpf 



56 gfünfteS Stapittl 

ou^ in bic gebiegenften ©arftcHungen ber beutfc^en ©cf^ic^tc 
beiS }e^nten Sa^r^unbert^ bte ©c^Kberung beS ^etDorragen^ 
ben ©nfluffeS überging, tuelc^en beifptel^meife bcr ^od^ge(e^rte 
©rjlanjler Sruno, ©ribifc^of t)on Äoln, auf bic bcffcre 
Orbnung ber ^Qnjlei feinet faifetltc^cn SBruberg ausgeübt ^abe. 
Unb mit btefer @teQung ber ^iftorüer ju Stumpfi^ Se^re t)oni 
ßanjleramt ergab fid^ bann t)on felbft, ba% i^nen nun auc^ 
. bte Folgerungen ©tumpfS für bte biplomatifd^e 5hiti{ auS feiner 
?lnna^me afe rid^tig erfc^ienen, fotoo^I fotoeit er t^eoretifc^ unb 
aDgemetn t)on ber Drbnung im Stan^Ieimefen, namentlich in ber 
Dttonenjeit fprati^, ate auc^ too er im SBefonbercn für bic 
Se^anblung bcr 2)atietung feine ?lnna^me ju ®runbe legte. 
Unb man fanb e§ ganj bcgrünbet, toenn ©tumpf bic Untere 
fdjriftSjcilc bciS ÄanjterS in ben Urfunben ate f)ert)orragenbften 
?ln^altSpunft für bic JBeurteitung benu|te unb Don ber Stanjlcri* 
liftc au^ bic tocitere d^ronologifc^c ©inrei^ung ber Urfunben 
in ia^ Stinerar unternal^m. Slber feineötoegS fügten biefelben 
trcfflii^en gorfcfier pc^ auc^ gleich ftetö ben auf biefem SBcge 
t)on ©tumpf gemonnenctt ©injelergebniffcn über bie Uncc^t^eit 
btefer, über bie Sinrei^ung jener Urfunbe, roenn baS, toaS fie 
mit i^ren SRitteln ber Äritil erfannten, Don ©tumpfö @rgcb^ 
niffen abtoic^. Unb um fo toeniger fügten fie fid^, ate ©tutnpf 
fclbft in ieber 9ieu6earbeitung, in jeber neuen Sufeerung über 
bie Slegeften be^S 10. — 12. Sa^rl^unbertS, in jcber ©rgänjung 
ju feinen Acta imperii mit SWobififationen feiner früheren 
Slnfic^tcn über biefe unb jene Urfunbe auftrat unb fie bcr 
fritifd^cn 9?ad^prüfung ber gorfc^er Dorlegtc. 2)araui8 aber 
toicberum mufete eine weitere gotge für bie ©tettung ber 
biptomatifd^en gegenüber ber l^iftorifd^cn SSBiffenfc^aft fic^ er* 
geben. SDcnn ba bie |)iftoriIcr bei bicfen anfangen ber neueren 
©iplomatif in S)eutfd^tanb boc^ nid^t fo ganj ju unterfc^eiben 
loufetcn, toa^ auf 9?ed)nung ber biplomatifc^en SWet^obe über^ 
l^aupt unb toa§ auf 9led^nung Don ©tumpfS jpanbl^abung ber« 
felbcn JU fegen fei, fo übertrugen fie bie Slnfi(^t Don bem ^t)po* 
t^etifd^en ß^arafter ber ®rgebniffc ber biplomatifc^en gorfd^* 
iingcn ©tumpfS auf bic 3)ipIomatiI überl^oupt, unb tocit fid^ 



£arl griebrit^ @tum))f. 57 

bte mit bt))Iomatifd^er 9Ret^obe geioonnenen 9lefu(tate ©turnpf^ 
fo toentg me^r juöctiäfftfl crtoicfcn, ate bte t)on i^ncn mit 
l^iftorifc^er Äritif ben Urlunbcit abfletooniteiten ffitflcbniffc, fo 
fcf)rie6 man biefeS ber biplomatifc^en SRet^obe äberl^aupt ju 
unb folflcrte, bafe bic 3wöcrläf[tflleit berfelbcn ntc^t größer ate 
bie ber rein l^iftorifc^en Äritil an ben Urfunben fei. ©o aber 
tourbe biefer (Srunbfe^Ier ber Urfunbenforfd^ung ©tumpfiS Vix^ 
foi^e, bofe feine ©c^riften, mit benen er juerft an bie ältere 
biplomatifd^e fiitteratur anfnfipfte nnb mit benen er juerft bie 
3)ipIomatif ber beutfc^en ffiaijerjeit in Singriff na^m, auc^ gleid^ 
toieber 3^^iM ön ber ^w^c^töffiß'fcit ber biplomatifc^en 5)iö* 
j^iplin ermedCte. Unb bag eS fo fam, baiS (ag im innerften 
©runbe an ©tumpfä miffenjc^aftlid^er ^erfönlicftfeit felbft. 
€§ mar ©tumpf toeber genögcnb ftiftorifc^ gefc^ult, noc^ 
ein fritifd^er ®eift ober gar ein fc^öpferifd^c« Sialent. @r 
fonnte borum meber bie ©orgfalt ber fritifd^en Slrbeiten eine^ 
aSaife, 3)ümmler, ©iefebred^t, Äöp!e, nod^ bic ©elbftänbigfeit 
ber Seobai^tung eineiS SKabiUon errei(^en. S)iefe SBorbilbung 
nnb biefe gät)igteiten unb ®aben befa^ aber ein jmeitcr 93e* 
tounberer ton So^merö SebenSmerl, ber gleic^jeitig mit ©tumpf 
ber Urfunbenforfd^ung fic^ jumanbte, unb ber ^at bann toirt* 
lic^ fc^öpferifd^ bie ©iplomatif oufö 9ieue jur SBiffenfdiaft 
ert)oben. 

6. 
St^eobor ©idEel, ein S^üringer, ©ol^n eineö betoäl^rten 
fßäbagogen unb auf ©c^ulen üon guter Srabition für bie Uni* 
terfttät Dorbercitct, !am nad& in |)afle unb 93crlin DoÜenbeten 
afabemifd^en ©tubien im Slnfang ber fünfjiger 3a^re nac^ 5ßari^, 
um an ber 9^ationaIbibIiotl)ef für bie franjöfif(^*burgunbifdöe 
unb bie franjöfifc^ntalienifc^e ®ef(^id^te am Sluj^gang beg SRittet 
alteriJ unb im S3eginn ber neuen 3cit S^rfc^ungen anjuftellen. 
^abet fam er in öejie^ungen ju ben Äreifen ber ificole des 
Chartas, bereu Seftrebungen unb Seiftungen il^n auf ig ^öc^ftc 
ju intereffteren begannen. 2)ie eigentlichen Äurfe an biefem 
Snftitut toaren il^m afö SRic^tfranjofen freiließ öerfd^loffeu/ 



58 6cd)ftc8 StopiUl 

unb ber ©cfudö bcr SSorlefunflcn , bcr i^m frciftanb, toor 
mit SBefc^ränfunöcn t)er!nöpft, tocle^e bcn Erfolg in grage 
fteUten. ^t^f^alb na\)m er auc^ Don bem Sefud) ber 3$or^ 
lefungen Slbftonb unb begnägte ftc^ bamit , auf priüatent 
SBege in regem SScrfe^r mit einigen Se^rcrn unb ©c^ülern 
ber Sfnftolt bie ©nrid^tung berfelben, Programm unb 3)lt^ 
t^obe bei^ bafelbft gebotenen gelehrten Unterrichte fennen ju 
lernen. 3)ie Snftalt toor, bem ßroecfe gemibmet, alle bie 
Unterrid^tefäc^cr ben aRitgliebem jugänglici^ ju machen, tDdd)t 
für ©rforfc^ung ber franjöfifc^en filteren ©efc^ic^te nottoenbig. 
ttJären. Slfle Sßorfenntniffe für biefe Slufgabe, ^ßaläograp^ie, 
S^ronologie, 2)i))IomQtif, planmfigiged unb ftiftematifd^ed ^ex^ 
uferten ber 9(r(i^it){c^fi{ie, Iritifc^e Se^anblung ^anbfc^riftlic^er 
Sexte, unb toa^ ou« SBelt^ Äirc^en^ unb 9ied^tögefc^ic^te für 
biefe Qto^dt nottoenbig mar, tnurbe an ber Jficole gelehrt. 3n 
oDem aber, in ber 2lrt ber arbeit, in bcr Art bcr JBe^anblung. 
ber f)anbfcl^riftenfd)fi^e loie in gonj beftimmtcn ©runbffigen 
ber getjanb^abten SWet^obe lebte äRabillon^ ©cift gemiffermoleu 
fort; e^ toar, toie toir ba^ oben auögefütirt ^aben, feine 
Urt ju forfc^en unb ju arbeiten burc^ bie Srabition ber 9Äau*^ 
riner auf biefe ,,bürgcrlid&cn SBcnebiftiner'' übertragen, äuc^ 
biefe Srabition »urbc Sicfel alfo befannt, afö er bie Äennt^ 
niffe, meiere in bcn Sßorlefungen unb Übungen bcr lEcole ge* 
lel^rt tourben, fid^ auf privatem SSSege anjueignen fucf)te. hierbei 
aber l^ielt ©idcl feine allgemeinen ^iftorif^en Sntereffen unb 
feine befonberen l^iftorifc^en aufgaben feft im Äuge. Sr nat)m, 
toaig ba^ bortrefflid^e 3nftitut an ge(cl)rter 3;rabition unb Untcr^^ 
ineifung in gelehrten Äenntniffen unb ttjiffcnfd^aftlid^er SRct^oDe 
i^m barbot, fo in t)oIIer Unab^ängigfeit in fid^ auf, toal^rte fic^ 
bie inbiüibueQe t$reil)cit miffenfc^aftlid^er Steigungen unb baburc^ 
beftimmtcr Slrbcitcn unb entging bcr ®cfa^r, bie ber Unterrid^t 
an fold^en Änftalten nur ju leicht mit fic^ bringt, bei ber langen^ 
ftrengen, f^ftematifc^en ©c^ulung für ganj beftimmte Sroedt auf 
ganj beftimmtcn ©ebicten einer allgemeineren SBiffcnfc^aft bie 
^öc^fte Jfcnntni« auf biefcn ©cbieten für bie SlBiffcnfc^aft fclbft 
JU ncl^mcn unb bamit ben ßufammenl^ang mit biefer ju 



Derliercn. ©o legte ©idEel in ^arte ben ®runb boju, fpfiter ate 
ein SWeifter an bem SBeitcrbau ber in ber jfecole des chartes 
geletirten S)i^jtplinen felbft mit ju fdjaffen. — ®r befc^äftigte 
fi(^, lote mx fc^on fügten, bamald üorne^mlic^ mit ber fran^ 
55ftf(^«6urgunbtf(j^en unb ber fran}5fifd)«ttQlienifc^en ©efd^ic^te 
am Ausgange beiS äJJittelalterd unb in ber beginnenben neueren 
3eit. ©eine arc^ioalifc^en ©tubien l^iefür führten i^n bann 
(iVi<S) nad) SSien. f)ier tarn er in Sejie^ungen }u htm ber 
ifecole des chartes nad^gebilbeten Snftitut für öfterretcftifc^e 
©efd^ic^töforfc^ung. Salb burfte er ben äRitgliebern be^ 3n* 
ftitutg t)on feinem SBiffcn in ber ^aläograp^ie in geregeltem 
Unterrid^t fienntniiS geben unb barauS ergab fic^ feine @r^ 
nennung jum ße^rcr ber ^iftorifd^en ^Ufi^miffenfcöoften an 
bem Snftitut (1856) unb bann für bie gleichen gäc^er eine 
?ßrofeffur für bie Uniöerfität (1857). Unb nun erft »anbte 
fic^ ©idel fpejieflen arbeiten über bie ^iftorifd^en f)tlfötoiffen« 
fci^aften unb barunter auc^ ber 2)ipIomati{ }U. 3(ud ber 
SBec^feltoirfung feinet Se^ramteg unb feiner gelehrten ©tubien 
entftanben bie Monumenta graphica (1858 ff.) unb bie Stuf« 
fä§e: „3)ag Sejifon 2;ironianum ber ®öttn)eiger ©tiftöbiblio* 
t^ef (1861) unb: „^ic Sunarbuc^ftaben in ben Äalenbarien 
be« SRittetalteri^" (1861), unb ebenfo ^aben toir bie ©ntfte^ung 
ber nun einanber fc^nell folgenben arbeiten auf bem ®ebiet 
ber S!arolingerbip(omati{ im SBefentlidien auf bie ^nforberungen 
feineig Se^ramte^ jurücfiufü^ren. 

§U§ Se^rer ber jufünftigcu öfterreic^ifd^en Ärt^iöare unb 
SBibliot^efbeamten, eventuell t)on ange^enben Unitjerfitftt^lel^rem, 
ergab fic^ i^m für ben biplomatifc^en Unterricht aU Wcbtxt^ 
felb ba§ Urfunbentoefen ber beutfd^en Äaiferjeit, unb feine 
toiffenfd^aftlic^e ©nfid^t füt)rte it)n baju, für biefe 3^^*^ ^^^ 
bem ©tubium ber Urfunben ber Äarolingeräeit ju beginnen, 
ba ^ier fic^, toie er fanb, befinitiö geftaltet, wag jal^r^unberte* 
lang bann im Urlunbenmefen fic^ ermatten ^at. Unb biefe 
Arbeiten jur Äarolingerbiplomatif finb folgenbe : SDie Urfunben 
Subtoigg beig 5)eutfc^en big jiim Sa^re 869; erfter ^Beitrag 
jur S)ipIomatif (1861). — S)ie Urfunben Subtoig« beg S)eutfcf)en 



60 eed^ftc« Kapitel. 

659—876; jiDeiter öeitrag (1862). S)tc SKunbbriefe, Smmu* 
«itäten unb ^ribilcßten ber erften Äaroltnger 6tö 840; brittcr 
SBcttvag (1864). — Sic ^ßriDitegien bcr erften Karolinger bti^ 
840; merter ©ettrag (1864). ©t. ©QÜen unter bcn Äaro* 
fingern (1864). — S)te SmmunitatiSrecötc nac^ bcn Urfuuben 
ber erften Karolinger; fünfter Seitrag (1865). — Acta regum 
et imperatorum Karolinorum digesta et enarrata, 751 bi^ 
840 (1867). — 9Kan mufe ju btefen Xiteln aber noc^ crläu* 
ternb ^injufegen, bafe Sidet glei^ mäl^renb bt^ erften ©tu* 
bium^ ber Urfunben ber Karolinger jeit, tt)al)renb be^ borbereis^ 
tcnben ©ammelnö ber Urfunben bie S^otmenbigfeit einer SRcu* 
bearbeitung berKarolingerregeften ©öl^merö erlannte unb auc^ eine 
fo(cf)e tnö ?luge faßte. Unb fo ftnb feine biplomatifd^en ©tubien 
alfo aud) für eine neue Bearbeitung Don SBö^mer^ JRegcften 
unternommen. — 3(tö ©idCcI fic^ fo bem Slrbeitöfelbe ber 
S)iptomatif ganj au^fc^Iiefelic^ jumanbte, ^atte er freiließ fdjon in 
onbercn toiffenfc^aftlic^en fieiftungen eö gejeigt, baß er afe ein 
f4)opferifc^er ®eift bie übertommene biplomatifd^c SSSiffenfd^aft 
met^obifc^ fortjubilben im ftanbe fein loürbc. ©c^on in 
feinem Jluffa^c: S)a^ SSüartat bcr SJiiSconti (1859) lam ©icfel 
im aSergleid^ öon Urfunben ^einrid^S VII., Submig beg Sägern 
unb Karte IV. ju bem fcl)arf finnig getoonnenen ©runbfa^, bafe 
bcr ©ad^int)alt Don Urfunben nic^t ot)ne meitcre^ l^iftorifc^ ju 
jjcrtocrten ift, bcDor nid^t unter öerüdEfic^tigung t)cr gorm unb 
bcr betreffenben Urfunbcnart Die formcUe Sntfte^ung bcr ein* 
jjctncn Urfunben aufgeflärt ift. Unb cbenfo n^ar er in bem 
Sluffaß; 3)aiSScjifon 3;ironianum ber ©otttoeiger ©tiftöbibliot^ef 
(1861) ju einem iocitcrcn mct^obifi^cn ®runbfa§ für ©iDtomatif 
fd)on gelangt, bem nomlic^, ba^ man cinjclne Urfunbcnmcrfmale 
tiic^t c^er für bie Beurteilung ber Urfunben Dcrroerten barf, 
qte bi« man bie Sntftc^ung unb Sebeutung beö betreffenben 
SOierfmafö fo genau afö möglid^ gcfd^ic^tlic^ erfannt I)at. ®^ 
trat ^ier alfo feine gä^igfeit bereite ju Sage, fclbftänbig bie 
SKct^obe JU finbcn, unb bicfe gd^igfeit bcmät)rte ©idet bann 
auc^ bei 93et)anblung bcr Karolingerurtunbcn. ©o finben toir 
glcii^ im erften Beitrag eine folc^e Slu^laffung über bie 



X^cobot ©Icfcl. 61 

!D(ctf|obc. ©idtel fofet crft prfijifc jufammcn, toa« SKabiUon unb 
feine SRad^foIger bereite über bie eigenartige öufeere gorm bei^ 
UrtunbcntejteiS in fränfif^er Qtxt erfannt ^aben, ol^ne bafe fie 
^§ oQerbing^ fo flor au^brfidt Ratten, ©c^on in ben ötteftett 
Urfunbcn, fo fd^reibt er, erlennt man eine fteti^ toteberfe^renbe 
35iöpofition berfelben, toetd^e fic^ aHmfi^üd^ meiter enttoidelt 
unb in ber Äanjlei Äarfe beö ©rofeen in einer für Sa^rl^unberte 
mafeflebenben SlBeife feftgefteHt toirb. ©ie befte^t junäd^ft barin, 
baß eine genjiffe ?lnjot)I gomieln bem eigentlichen Sn^alt b^ 
S)ipIomö in beftimmter 9fleit)enfotge t)or* nnb nat^gefe^t 
toerben. ©nige biefer gormein finb nnbebingte« (Srforberntö für 
jebe auö ber föniglidien Sanjtet ^crDorgegongenen Urfunbe. 
3)arum ober, fo fötjrt ©idEet fort, unb hiermit bilbet er toieber 
bie bipfomatifc^e SWet^obc tt)eiter, ift c§ ntc^t genug, ju toiffen,. 
bafe eine beftimmte gormel ju irgenb einer beftimmten Qtit in 
®ebraud^ getoefen ift, baf^ fie in einer fpateren Qe\t burc^ eine 
onbere abgetbft mirb, fonbern man mufe miffen, marum fie ab^ 
gelöft ift unb »arum fie biefe ©eftalt angenommen ^at. Unb 
barum mujg bie 3)ipIomatiI, n^enn fie gormein fammelt, um 
baran SWerfmale für bie Sritif ju geminnen, auf alle bie Um» 
ftänbe ad^ten, meldte bie gaffung ber gormel beeinflußt ^aben 
fönnen, alfo auf Sßorlage, Urfunbengruppe, Äanjieiperiobe unb 
afiegierung^periobe. @rft nacft ©rtoägung aller biefer Umftänbe 
barf ia^ einjelne äRertmoI für fritifc^e Smdt öertoertet toerben. 
Unb in ftrenger SRu^antoenbung biefc!^ oon i^m fo umfd^rie^ 
benen ©runbfa^ej^ ber äWetljobe finb bann n)ie bie Seiträge fo 
auc^ feine Se{)re öon ben Urfunben ber Karolinger entftonben. 
S)ie Acta regum et imperatorum Karolinorum digesta et 
enarrata, im erften Seil Urfunbenle^re, im smeiten 2;eil 9ie* 
geften ber Urfunben ber erften ÄaroUnger, äcigen aber audj ein 
anbereö ^'ßtinjip in tJoUfter Äonfequenj burdtigefü^rt, baö fd)on 
ben ^Beiträgen ju ®runbe Hegt. 5)er SRegeftenarbeiter, fo l^atte 
©idEel t)on oorn^erein bie Slnfic^t feftge^alten, muß auä) immer 
jugteic^ Äritifer fein, feine Äriti! an ben Urfunben aber, bie 
ben ^iftorifer befriebigen miH, fann nur biplomatifc^e, b. i. bon 
ber gorm ber $ßubIifation felbft auiSge^enbe ^itif fein. Unb 



62 eec^fiei» StapittL 

bicfc, fo toax eö il|m nun, ate er bic Überlieferung ber ffiaro* 
lingerurfunben fid^tete unb prfifte, jum unumftögli^en ®runb» 
fa^ geworben, f)at aU ©runblage auf bie Originale] fclbft 
^urfldEjuge^en. 92ur ben Originalen fann bie biplomatifc^e 
Se^anblung bie;9J2erfmaIe entnehmen, mit benen fie fidler toeiter^ 
operieren barf. Unb inbem ©tdel nun biefen ®runbfa§ feft^ielt 
unb mit bem l^6d^ften ©d^arffinn üermertete, fam er unter 
ftetiger freier gortbilbung unb ®rtt»eiterung ber biplomatifd^en 
iDJet^obe }u jenen 9lefultatcn, burd^ toeld^e mit biefem 93ud^e 
aber bie Urfunben ber Sl^arolinger bie ^iplomatif aU SBiffen^ 
fd^aft toteber t)ergefteQt unb ald gleic^bered^tigt unter bie an« 
bereu ^iftorifd^en ^i^iiplinen eingereiht mürbe. 

SBir toertoeilen junäc^ft bei bem 3n^oIte biefeS au^gejeid^^ 
ncten SBerfe«. ®^ finb brei grofee äbfc^nitte, in benen ©idEel 
feinen ©toff in ben Acta be^anbelt. 5)er erfte lautet: $of unb 
Äanjlei. S)arin enttoirft er ein genaue« JBilb ber ftanjlei* 
organifation im allgemeinen unb bringt für ben be^anbelten 
Zeitraum eine genaue fiifte ber Äanjler unb merft für einen jeben 
ütt, toeld^e Xeilna^me an ben ®efc^äften ber Äanslei fid^ für 
i{)tt pofitit) erfennen lofet. hierbei ^ält er aber ftreng au8* 
cinanber, toa^ man atö politifc^e Xl^fitigfeit ber JSanjIer unb 
üU bie Seitung beiS S^anileibureauiS ju bejei^nen f)at Unb 
nur bic legtere X^ätigfeit ift feiner Slnfic^t nac^ ©egenftanb 
ber biplomatijc^cn Unterfuc^ung, aber fie verlangt eine fe^r ge« 
Ttaue öe^anblung, benn o^ne ÄenntniiS berfelben vermögen 
toir nidbt, fo Icl)rt er weiter, bie ©nttoidfelung beS Urlunben- 
ipefen« ju Verfolgen unb bie jen^eiligen ^iterien ber S^iplomc 
feftjuftcäen. 5ßofitiü ergab fid^ in ber grage für bie Seteili^ 
gung ber ^anjler an ber UrfunbenauiSfertigung nun fe^r 
^iele«, toaS ben un« befannten Sluffaffungen Stumpf« barüber 
burd^au« toiberfprac^. ©o fonb ©idEel tbm au« ben ©c^rift» 
äugen ber Originale l^erau«, bafj mand^e Urfunben üon ein« 
feinen ^anjlern ganj gefdjrieben finb, bag anbere JSanjIer 
nid)t felbft fd^rieben, aber ^äufig felbft unterfertigten, anbere 
toieber nid^t« mt\)x fc^rieben, auc^ ui(^t bie Unterfd^rif t , unb 
bafe man al« ®efe^ erlennen fann, bafe bie eigentli(^e Schreib- 



<ir6cit immer njenigcr Don bcn Äanjlcrn au^gefü^rt tourbc. 
^cm entfprcdjenb legte bann ©idtcl in bem jtoeiten ätbfd^nitte: 
^aSon bcn inneren SRerf malen" ^auptgewid^t barauf, ju er^ 
kennen, toelc^en ©nftufe ba« gange ffianäleipcrfonal ber Siotarc 
4inb ©(^reiber ouf bie Umbilbung be« UrfunbentoefenS gehabt 
l^obe. S)abei gliebert er feine Setrad^tung in jttjei Unter* 
<ibteilungcn , in bie bcö Urtunbentejteö „unb in bie, ber biefem 
^cjt üorangel^enben nnb nac^folgenbcn gormein, für njeld^c 
flemeinfom er ben Stamen ^rotofott einführt. $^ie 85eac^tung 
ieö eigentlichen Urfunbentexteö unter Seifeitefc^iebung beö für 
bie S)ip(omattE nebenfäd^Iic^cn l)iftorifd^en Sn^alt^, a(fo ber: 
Inscriptio, arenga, promulgatio , narratio, dispositio unb 
<;orroboratio mod^en ben Sn^alt ber erften Abteilung biefe« 
^bfd)nitte^ au^. Unb ba ffi^rt nun ®icfe( au^, tok e^ für 
jebe Kategorie beiS SRe^töinfialte« eine ober mehrere Raffungen 
flob unb ttjie in jebem SBieber^oIungöfaHe bie gleichen gormdn 
<ingemanbt n)urben. 2>ag fam fo oon 9iom nac^ ©allien, too 
bie gormein r^etorifc^ aufgepu^t n^urben, unb bann tarnen 
iiefe gormein ju bcn granfen, bie auö leicht begreif lid^cn 
^rfinben fic^ fflaoifd^ an bie SKufter ber 2)iftote hielten, ©o 
finb bie Urfunbcntextc fo jicmlid^ alle boö, alö ttjaS fic üon 
ben 3ci^9^"off^tt bcäcid^net tt»urben, angemanbtc Urfunbenfor^ 
mein. S)arum aber ging bann ©idtcl genau ben SWöglid^Icitcn 
ier ©ntftc^ung ber Uriunbentejte im aÖgemeinen unb ber Art 
ber SRac^bilbung unb ben SKöglid^Ieitcn bc« ©influffeig auf bie 
^ortbilbung ber gormelu nad^. Unb er be^anbelt im cinjelnen 
bie Slrt ber SRac^bilDung biö 814 unb bie Slrt ber 5Rüc^biIbung 
nac^ 814 unb bel^anbelt barin nad^ 9tui$fät)rung über bie 
'©prac^e ber 3)ipIome bie cinjelnen 3;eile bc^ Urfunbcntextc^ in 
i^ren SBanblungcn njä^renb beö befprod^enen Qtittanm^ unb 
^ic^t barauö bie golgerungen. Überaß, fo toeift er nad^, gcf)cn 
in bcn 2)ipIomen bie ganjcn 3)iltate fomo^I toie au^ cinjclnc 
©ä^e auf ein beftimmtc^^ gormelloefen unb einen feftftef)enben 
-©prad^gebraud^ ber SRcid^öfanjIci jurfidt. 2)iefcg gormelmefcn 
i^at fid^ einl)citlic^ cntmidtelt unb l|at feine ^t)afen, unb bie 
mu^ man fennen. Unb ebenfo muß man für bie oerfd^iebcnen 



64 Sec^ftc« Äüt)itcl. 

Seiten genau njiffcn, n)te bie Urlunben bcn jetueiltgen S)iftatcn 
natfigcbilbet finb. ®rft bann roirb man bte t^xQQt löfen 
fönnen, tuie weit beifpielötneife bei beftimmten Smmunitatö* 
«rlunben bie tor^anbencn Siiffercnjen ate rein ftiliflifcl)e, roie 
toeit afö fadjlid^e ju bejetd)nen finb, unb bann erft toirb fic^ 
bie 3rage bcanttt)orten laffcn, ob baö 9luf^örcn einer gönnet 
immer erlaubt, auf SSerfc^toinben beö 9ied)t«9ebrauc^§ ju 
fc^Iiefeen, unb ob gortfü^ren einer gormel immer Settjeiö be^g- 
SBeiterbefte^eng beg SRec^tögebrauc^eg ift. ©§ mirb unter SBe* 
rüdfi^ttgung biefer Slrt ber ®ntfte^ung beS Urfunbenteftc^ ber 
^iftorifer erft bie rici^tige Stellung in Sietreff ber SJermertung. 
ber Arenga finben. @ö wirb berfelbe, menn er bie @nt* 
fte^ungöart ber t^^ffwitg wnb bie Snfonfequenj ber ©iftatoren 
nid^t außer ad^t löfet, aud) ?ln^alt finben, ob er auf bie 3^i^^ 
grenjen im ©ebrauc^ getoiffer 5;itel ©etoid^t legen barf ober 
nic^t. Unb bie Narratio unb Dispositio Taffcn fic^ überhaupt 
nid^t int)altlic^ Don bem ^iftorüer öermerten, toenn nid^t eine 
genaue SBerglei^ung beS Urfunbentejte§ mit gormein unb Si* 
plomen gleidien Sn^altö öorange^t. Unb mit biefer SBe^anb« 
lung be^ Urfunbentejteö getoinnt tt)ieberum aud^ bie praftifd)e 
2)ipIomatif felbft nac^ anbern ©eiten feften gufe. 

S)ie aWoglid^Ieit, golfd^ungen ober Snterpolationen ju er^ 
!ennen, ergibt fid£) nun mit einer getoiffen ©id^cr^eit. 3)ie 
jiemlid^ häufige Slnticipation einer ju jungen gormein ttjie bie 
feltener üorlommenbe SInmenbung einer ju alten gormel in ge* 
fälf^ten ©tüdEen fönnen \xä) nun nic^t me^r Verbergen. Süden*^ 
^afte ober bi^ jur Unüerftänblid^feit oerunftaltete Urfunben^ 
tejte laffen fid£) »icber ^erfteDen, tjerftümmelt überlieferte Ur^ 
funben laffen fid) üerüoKftonbigen , unb oft toirb man fold^e 
®tM^, »eld^e in i^rer gegenwärtigen Oeftalt berböd^tig finb, 
in berbefferter Oeftalt al8 ed^te verwerten fbnnen. — ©anj. 
gleid^ fd^öpferifd^ für feine Slufgabe toie für feine SBiffenfd^aft 
ift ©idel bann in ber jtoeiten Slbtcilung biefeö Äbj^nitteS in 
ber Se^re üom 5ßrotofoII, atfo üon ber: 3nt)ofation, bem 
SRamen unb Xitel, ber föniglid^en Unterfd^rift, ber ßanjler* 
unterfc^rift, ber Datierung unb ber Äpprefation. Äud^ l^ierbet 



%f^tohox ©irfel. 65 

^onbclt ©tcfel toicbcr crft üon btcfcn ^ßrotofontctlett im 
?ingcmcincn unb betjonbelt bann btc gormcn, tüdc^c fie im 
©njcinctt in bcn üerfd^iebencn SRcgtcrnngigpcrioben ber betreff* 
enben ^crrf^er annehmen. ®o jeiflt er, bafe baö ^rotofoQ, 
entfpre^enb ber mannigfod^en Entfaltung unb fd^neQen @nt^ 
toicfelung im UrfunbenttJefen, ^fiufig unb in toerfc^iebener SBcifc 
mobifijiert toirb. S)cr SBec^fel tritt ein bei Seginn bet SRegie» 
rung eineiS gürften unb bei JBeginn neuer SRegierungigperioben. 
@r tritt auc^ ein, ttjenn bte Seitung ber Jtanjiei in anbrc 
§änbe übergebt unb Heinere SWobififationen erlauben fid^ auc^ 
bie einjelnen mit* ber ?(ugfertigung betrauten SRotare ober 
©d^reiber. Äud^ l^ier faßt ©idel bie 9lufgabc, ben Slbtt»anb* 
lungen beiJ ^ßrotofoHig in ^ronologifc^er SReilienfoIge nadjju* 
gelten, unb unternimmt ben SJerfuc^, ben ©nfluß ber einjelnen 
in ber Äonjiei t^ätigen ^erfonen an ber äbtoanblung unb 
bereu t^^ffung fennen ju lernen. Unb ba§ gilt befonberS für 
bie 3)atierung. SSSenn bie S)iplomatif für jebe ®ruppe üon 
Urfunben baiB ®efe| ber S)atierung ergrünben mufe, fo Iietfet 
baS in bem öorüegenben gaQe für S)ipIome iebcd. Äßnii]«, 
eücntuell für bie jeber SRegierunggperiobe baiB tjon ber Äanjiei 
aufgeftettte ®efe§ ju erforfd&en. SKan muß babei aber, fo 
l^eifet ei8 ba weiter, aüe bie Umftänbe berüdfid^tigen, toelc^e ein 
einfad^e^ Slbleiten ber SRegel au8 ben S)ipIomen felbft erfd^toeren. 
S)ie 83ered^nung ber Siegentenjofire ^at i^ren @pO(^entag, ber 
in ber SRegel bem Sog beiJ tt)irftid)en SRegierungöantritteö ober 
bem 2;age an toel^em ein ben ^Beginn ber neuen ^errfd^aft 
bejeic^nenber ?(ft tjorgefommcn , entfpric^t. 9?un gefd^ie^t ei8 
unter Umftfinben, bafe bie Sluffaffung ber ©reigniffe unb mit 
ibr bann aud^ bie ©ajjung be^ @pod^entage$ ober felbft beiS 
Spod^enja^reö eine Änberung erfal^ren \)at, fo baß für bie 
jpfitere Qeit ber ^Regierung ber Sered^nung ein anberer 9Infa§ 
ju ©runDe liegt, aU für eine frühere ^eriobe. Unb bie S)i:» 
ptomatif ^at ba ju lehren, biiS ju tuelc^em 3^itpunft bie alten, 
unb Don tuelc^em 3^i^pwnft an bie neuen ©efe^e ber S)atic» 
rung gegolten ^aben. ?lber fie muß jugleic^ auc^ bie gragc 
JU beantworten f neben, tt)ai5 ben Übergang t)on ben einen ju 

Worifc^e »ttliot^e!. »b. IV 5 



66 ©ec^fted ^apxttl. 

bcn anberen veranlagt ^aben mag. 6^ fonn ein bebcutfame^ 
polttifd^cg ercifltttö ober ein SBec^fel in ber Seitung ber Äanjlei 
ober anä) betbe^ suglcici^ ju ber ^banberung geführt ^aben. 
SSon biefer 3)atierungöüeränberung , fo fagt bic toeiterc Se^^ 
trac^tung, ift aber tooI|I ju unterfd^etben jebe SKobififation 
ber S)atierung, meiere burd^ falfc^e ober nad^Iäffige 9lnmen* 
bung ber ®c)e^e berfclben cntftanben finb. @o fommt ci^ üor, 
ba& in ^otge einer anberen Sluffaffung einei^ ber ©poc^e ju 
®runbe liegenben ©reigniffeö ober in golge eineö aritf)metifci^en 
ge^Icrö eine t)om urfprüngtid^en ®efc§e abmeid^enbe SBered)^ 
nung angeftellt unb eine ^^itlong lonffequent feftge^alten 
toorben ift. ?lu(^ finb tt)0^l in toereinjelten gätten bie ß^^feit 
fatfd^ bered^net ober bo^ bie Sift^^w öcrfd^rieben ttjorben. 
Sinn ISfet eS fid^ aber bei ber 3Ret)rja^I ber S)ipIome gar 
nic^t erfennen, tuer bic Slbtocid^ungen an ber einen ober an* 
beren Art üeranlafet ober ücr)(^ulbet ^abe. SRan mirb frei* 
lic^, tDO j. SB. mit bem Eintritt eineg neuen Äanjleri^ ein 
neuer Spo^entag für ba^ 9iegentenjaf)r angcfefet toirb, üon ben 
2)atierungSregeIn biefciS ober jene^ Äanjteri^ reben bürfen. 
SKan toirb bei ben ©atierungömobififationen ber anberen ?lrt 
inbctreff ber Äanjfer aUenfaÖ^ behaupten lönnen, ber eine 
l^abe me^r afe ber anbere lebtiaften perfönlic^en 9lntei( an ben 
©efc^fiften ber hänslet bejeugt unb ^abe barum too^I auc^ 
@influg auf bie S)atierung audgefibt. ^ber mit bem Jionfta* 
tieren biefer 3;^atfad^e ift menig gewonnen. Unb ge^t man 
für S^i^ftt ^i^ ^t^o bie 3^^^ Subttjigö beS grommen feit 819, 
IDO bie Äanjier fo gut toie gar feinen Anteil an ben ©efd^äften 
ber ^anjlei naiimen, fonbern biefelben ganj bem untergeorb* 
neten ^erfonal überliefen, auf bie SReiognoi^jenten ber SDipIome 
iurüd, fo fü^rt aud^ ba^ nid^t ju einem fixeren ^orreftio bei 
3eitangaben, bic fic^ nid^t in bie afe aQgemein gültig ernannten 
Wanjieiregeln fügen. 2)enu bic Prüfung ber Urfunben burd^ 
bie unterfertigenben Stotarc toar eine fe^r oberftSc^Iid^e. — Unb 
wie mit biefen fo Iel)rreid^en unb falfi^e änfd&auungen unb 
beren t$o(g^n befeitigenben 3(uSfü^rungen, fo seigte @idte( bann 
nuc^ in ber fi^ anfc^Iiefeenben Unterfud^ung über Actum unb 



Xtttohox ©idel. 67 

Data Quf^eQenbe ®e[tci^töt)unfte. @d galt f)itx bte t$i^age/ ob 
bie äSoraui^fe^ung richtig ift, bog ber 3<^^t nac^ baiS in einem 
S)ip(om Derjeii^nete Saturn mit bem 9(ufent^Qlte an bem burd^ 
Actum eingeleiteten Orte jufammenfaQe. 2)ie \tf)X treffenben 
unb biefe Slnna^me einfd^rftnfenbcn Semerfungen be« fleißigen 
branbenburgifi^en Slrc^iDar« auf ber 5ßIoffenburg, 5ßf|iltpp ©ruft 
©<)ic6: «rc^iöifd^e Sßebenarbeiten (1783 ©• 108 ff.) unb: «u^ 
ßärungen in ber ©efd^id^te unb ©iplomatif (1791 ©. 74 ff.) 
toaren üergeffen. 

©ö^mer loar ber SWeinung gettjefen, mon bürfe 3^^^!^ 
an ber ®Ieid6jeitigfeit biefer beiben SKomente gar nic^t auf^ 
fommcn laffeUr unb aud^ ©tumpf betrai^tete Datum unb 
Actum aU burc^tueg jufammenfaHenb, e8 müfete fidö benn tuie 
in einjelnen feltenen gätten eine bot)peIte DrtiJangabe finben, 
bie eine ju Actum, bie anbere ju Datum get)5rig. ^uiHarb* 
SSre^oHe^ unb SuliuiJ gicfer Ratten bann aber fd^on für Ur* 
fiinben be^ 13. unb 14. Salir^unbertiS Unterfui^ungen über 
bie jeitlic^e SSerfc^ieben^eit öon Actum unb Datum angefteüt 
unb ben 9}ad^n)eid erbrad^t, bag in manchen S)ip(omen mit 
Xctum ein Ort angegeben toirb, an njelc^em ftc^ ber StuöfteHer 
an bem im S)atum enthaltenen Xage nid^t befunben I|at. Unb 
unter JBerüdEfic^tigung biefer Unterfuc^ungen ge^t ©idfel ^ier 
ber grage t)on Actum unb Data bann tiefer nac^. SBir ^aben, 
fo fü^rt er babei auö, aß bie SWomente ju ertoägen, ttjeld^e 
bei ber ©ntfte^ung ber einjefnen 3)iplome ju unterfdijeiben 
finb. SBir muffen unij tergegenmärtigen , baß eine Sitte, ein 
®efud^ aui^gefproc^en tt)irb, eine SBorüerlianblung eintritt, bie jur 
Urfunbenauöfertigung erfolgt, unb nun bie Urlunbe in ber 
Äanjlei üerfd^iebene ©tabien burd^Iäuft unb bann bie Sluö* 
l^änbigung ftattfinbet. Auf toeld^en biefer SKomente bejie^en 
fic^ nun Actimi unb Data? hierüber bringt feine Unter* 
fuc^ung nun bie JBele^rung: Actum ift auf ben SiefcH ju 
begießen, ba^ 3)ipIom anjufertigen, Data aber bejic^t fi^ ate 
legier 2:^eil ,ber SluSfcrtigung auf bie SSoQenbung beiS 3)i* 
plom^ unb bie ©jpebition an bie Partei. ©iefeS ®rgebniig 

5* 



68 @e4fieS Kapitel 

führte it|n bann ju bem ©c^Iufe, ba§ aud^ für bic ffiarofinger* 
urfunbcn bic Äoinjibcnj tjon Actum unb Data nid^t immer 
anjune^men ift, unb bag in n^eherer ^onfequenj bem Sttnerar, 
toelci^eö aus ben DrtS^^ unb g^'tangoben ber ©iplome l^erüor* 
Qef)t, nur ann&bembe SRici^ttgteit jufommt. 99ici^tSbefton)eniger 
aber ift biefe« Stinerar immer no^ flenflßenb für ben gorfc^er 
unb juücriäffiger ate bie analogen Angaben anberer Duellen. 
— Unb toie über Actum unb Data, fo ift bie nun folgenbc 
Unterfuc^ung über bie 3nbiftion üon aufflärenbftem ©rgebniS 
für bie Urlunbcnfritif unb «SSertüertung. S)enn für ©eibeö 
tourbc eS bod^ befreienb, tuenn ©irfel ben Jiad^toeiS lieferte, 
bafe leine^toegiS bie Äanjler bie Änorbnung getroffen l^aben, 
nad^ inelc^er bie Snbiftion gered^net toerben foQ, bag bie S^otare 
au^ l^ier ben (Anflug oui^geübt f)abtn, unb ba^ bie Snbittion 
aud^ nic^t immer richtig bered^nei, unb bag man auc^ nicbt 
behaupten barf, mit ber Snbiftion fei immer baS rid^tigc Srcn» 
ja^r gegeben. — S)arauf !ommt bann ©idfel jum britten ^oupt* 
abfd^nitt feiner Urfunbenlel^re , ju ben äufeeren ÜRerfmalen ber 
2)ipIome. (Sr Iianbelt ba tjom ©d^reibmaterial, t)on ber Gut* 
ttJirfelung ber ©(^rift bi§ ind 8. Salir^unbert, bom ß^riSmon 
unb ber üertSngerten ©d^rift ber erften SeiU, t)on ber 5fon^ 
tejtfd^rift, üon ber ÄönigiSunterfd^rift, t)on ber Unterfc^rift bei^ 
Äanjierö ober ^otarA, toon ber 2)aticrungi5jeile, ber 85eficgelung, 
tironifc^en 9^oten, ©d^rcibfe^Iern , ffiorrefturen unb SJorfual* 
bemerfungen. Unb in biefem ?lbfd^nitt lefen tt)ir bie treffenbften 
Semerfungen über ben ©^riftoerglcic^. — Siner ftdft an* 
fügenben Unterfud^ung über bic Placita (©erid^tSurfunben) folgen 
eine 9iei^e 85etra^tungen über Äritif ber SJipIome, bann öc*^ 
merfungen über ^Briefe unb Kapitularien unb fd^Iieglid^ Sr« 
läuterungen für bic Äegeften. Unb überaQ begegnen »ir 
ba njiebcr einem gortfd^ritt in ber Umfd^reibung ber Aufgabe, 
in ber @rn)eiterung ber SKittel für i^re fiöfung unb in ber 
^Jermcl^rung unb ©ic^erficit ber SRcfuItate. S)ann folgen bie 
9iegeftcn felbft, aU ein möglic^ft üollftänbigeö unb fefteg ®e» 
ruft für alle gefc^id^tlid^en SSorgänge oon 751 bi^ 840 geplant 
unb au^gefü^rt unb mit ÄüdEfic^t auf ben benu^enben ^ifto* 



riter cbcnfo forgfältig in bcr ^ronologifc^ctt ?lnorbttunfl geat> 
fccitct toie mit crfd^öpfcnbcr Sn^altöangabc ücrfc^cn. 2)a« ift 
bcr Sn^alt üon ©idtete 2)ipIomatif ber älteren Äarolinger. S)em 
©Qnjen biefer ©pe5iaIbipIomatif unb bicfer SRegeften ge^t aber 
eine Anleitung üoraui^. Unb biefe afe ©infü^rung für ben 
gorf(^er in bie nac^folgenbcn fpejieQen biplomatifc^en Unter* 
fudjungcn unb Urinnbenfritifen geplant, ift eine im fnappen 
Umrife, aber Kar unb au^reid^enb vorgetragene Umfc^reibung 
beö e^arofter^ unb ber ?lnfgabc ber oHgemeinen 2)ipIomatif. 
Unb jeigten bie einjetnen ffiapitel ber ©pcäialbiplomatif unb 
bie 3iegeftenbeor6eitung fc^on überaQ bie Qn^e eineg außer* 
orbentiic^en gortfd^ritteö ber 2)ipIomatif, fo er^ob fid^ in biefer 
(Sinteitung, bie boä) mein erft auf ben ©rgebniffen feiner 
©pejialunterfuc^ung aufgebaut tüurbe, Sicfel ju einem neuen 
„©^ftcm" bcr S)iptomatif. SBSir laffen ben Äern biefer fiel^rc 
folgen. S)ie 3)iplomatit, fo fütirtc ©icfel au^, beftimmt ben 
SBert ber Urfunben afe 3^"9"iff^- Urfunben finb fc^riftlid^e, 
in entfprec^enbc gorm geffeibcte Sufeerungen über ©egenftänbc 
red)tli^er 9?atur. ©te finb a(fo eine bcfonbere Srt ^iftorifd^cr 
3eugniffe. 5)er ^iftorifer fpric^t bei 83et|anblung einer Urfunbc 
t)on gorm unb 3n^alt, ber S)ipIomatifer oon ben befonbercn 
it|r innetoo^nenben ©igenfd^aften, ben SKerfmalen. 2)iefe SKerfc 
male finb fiufeere, aU beifpicfenjcife ber ©toff, auf tocld^em, bie 
©c^rift, in toeldjer gef einrieben rourbe. ©old&e SRerfmale finb 
aber nur ben Originalen eigentümlid^ , biefe teilen bicfelben 
mit feiner Äopie, mit feinem 2)rudEe. Unb SKertmale biefer 
Slrt l^aben einen fe^r f|0^en SBert für bie Urfunbenfritif. 2)enn 
eine auf rcid^er SSergleic^ung jufammenge^öriger Urfunben in 
Urfd^rift gettjonncne ©rfcnntni^ über biefe dufeercn ÜKerfmalc 
füt)rt jum ®eipinn oon Kriterien, toelc^e itn ^öd^ftmöglid^en 
@rab t)on (Scmife^eit in l^iftorifc^en Singen geftattet. 2)entt 
mnn bie ^Betrachtung aller ©d^riftc^araftere bie ©emife^cit giebt, 
bag ein ©tüd einer beftimmten Qdt angehört unb DoQftänbig 
ben Äan5teigebräuc^cn biefer $ßeriobe entfprid^t, fo bietet bie 
eigen^änbige unb burd^ inbitiibuellen (S^arafter awSgcicii^nete 
3lefognition in biefcn Diplomen ba^ SÄerfmal, an toeld^en toir 



70 ©cdftfte» ^QpM. 

ein fiebere«, auf ftnnßd^cr SBa^rnc^mung beru^cnbcS Kriterium 
bcr Driginalttät gctüinnett. 

SOIc btc SKcrfmale, fo gct|t feine Setire bann tueiter, 
tpelc^e Originale unb Stopien gemeinfam ^aben unb beten 
einjcine ftc^ aud^ in Urfunbenfragmenten , Überarbeitungen, in 
3)rudten erfennen (äffen , ate 5;itel , S)atietungen , ftiliftifd)e 
gaffungen, Äeci^t^inlialt, Unterfd^riften, machen bie inneren 
SKerhnare au8. ?luc^ ^ier ift bie SKögfid^teit gegeben, ju 
erfennen, njeld^e gormeln bie einjelnen SRerfmale ju einer 
beftimmten 3^^* gehabt , unb bamit ber Änfialt geboten , t)on 
biefer ©nfici^t in ba^ formelle an^ Äritif ju üben, mit njelc^er 
bie 3)ipIomatif aud^ im (Sa^inlialt bem ^iftorifer unb ffieä)t^^ 
^iftorifer vorarbeitet. S)er SRec^t^Iiiftorifer tt)ill beifpietettjeife 
ben SmmunitfitSbegriff in 3Rerott)ingerur!unben feftfteüen. ®r 
ftü^t fid^ babei natürlid^ auf bie Urifunben felbft. SRun finbet 
er ba in beren Snl^alt ®Ieic^^eiten unb SBerfd^iebentieiten, fürjere 
unb längere Äec^töbeftimmungen unb SBiberfprüd^e. SKaS foll 
er nun ate ben ju einer beftimmten 3«it gültigen Smmunitötöbegriff 
baraug abftra^iercn? S)er 3)ipIomatifer toirb t^m ba ju §i(fe 
fommen fönnen. 2)er S)ipIomatifer urteilt einmal über ©c^t^eit 
unb Une^t^eit unb alle bajtoifc^en liegenben äbftufungen be^ 
SBalirfc^einlic^en mit feinen Kriterien, er gewinnt mit feinen 
Äriterien über bie 2;ejtentfte^ung ben rid^tigen urfprünglid^cn 
3;eEt aud^ in ber öerberbten ®eftalt. ©eine Äenntni^ ber Mrt 
ber ?lrbeit in einjelnen J?anäleit)erioben ermöglid^t bie ©nftc^t 
barin, ob bie erweiterte tJ^ffwng ber üerlielienen Smmunitöt 
bIo6 eine ftiliftifd^e ober aud^ eine fad^lid^e Steuerung ift; unb 
unter Serüdtfid^tigung beö SBerfiältniffeiS, toeld^e« stoifc^cn ben 
einjelnen gormein unb bem ©a^in^alt in einer beftimmten 
3cit beftanben l^at, t|ilft ber 3)ipIomatifer auc^ ben ^ad&in^alt 
ftflären. ©o fann bie S)ip(omatif pofitiöen Sln^alt für bie 
Äritif fd^affen, too bie f|iftorifd^e Äritif ol|nc Anwalt märe! 
Unb überhaupt, toenn bie S)ipIomatiI i^re Slufgabe fo faßt, 
ben aBert ber Urlunben ate ^iftorifd^e S^wfltt^ffc feftjufteHen, fo 
fann fie nid^t mit bem ®enjinn eine§ Urteite über Originalität 
unb Sftid^toriginalität, über Sd^t^eit unb Uned^tl|cit fc^Ied^t^in 



2:^cobor (Bxdtl 71 

i^re ?(r6ctt ate becnbct anfel)cn, fic barf fi(^ mit bcr alten i^r 
gegebenen S)efinttton ote »ars diplomata vera et falsa dis- 
cemendi« nic^t begnügen, fie fann unb mu§ ben 9Ka6fta6 
finben unb barbieten, bic getrfibtc SBalir^eit, bie größere ober 
geringere SBatirfc^einltd^feit, ben größeren ober geringeren SBert 
ber einjelnen Urfunbe ju beurteilen unb ju befttntmen. ©ie 
fann ba^ aber nur afö ©pcjtolbiplomatil unb Ijier ouc^ nur, 
njenn fie biejenigen SRegeln SKabiQoniS verfolgt, bie für alle 
3eiten befolgt toerben ntüffen , toic jenen ©o^ , baß nid^t au» 
ber ©^rift aQein, aud^ nid^t au^ einem SWerfmal allein, fonbern 
auö allen SWerfmalen jugleid^ ffiritif an ben Urfunben ju üben ift, 
unb tuenn fie auöfc^Iießlid^ an Originalen Äenntni^ ber toefcnt* 
lid^en SWerfmale ber Urfunben einer bcftimmtcn Qeit ju getoinnen 
fud^t. ©ot)ieI au8 ©idfel^ r,©^ftcm ber S)it)Iomatif!'' — 

Unb nehmen mir nun baö ®anje biefcr Acta Karolinoruin, 
bie allgemeine Einleitung, bie fpe^ieÜe biplomatifc^e Unterfuc^ung 
unb bie SRegeften , fo erf offen mir eö , baß ^ier üor un^ fic^ 
bie SBiffenf^aft ber Diplomatif mieber neu unb meit ^ö^er al§ 
je juüor erl^ebt unb fog(eid^ auc^ bie ^robc auf i^re Qmcx^ 
läffigfeit gtänjenb befielt. 5Run mar menigftem^ für bie 3^^* 
ber Karolinger ber JBemeiig erbra^t, baß bie Urfunben befonbcre 
Dbjefte ^Iftorifc^er gorf(^Ung finb, baß fie barum eine befonbere 
©e^anblung beanfpru^en unb baß mit biefer , mit ber biplo^ 
matifc^en SWet^obe ben Urfunben für Sfritif unb SSertoertung 
Siefultate abgetoonnen merben fönnen, meiere bie rein l)iftori)c^c 
^Bearbeitung au^ i^nen nid^t jeitigen fann, unb jmar meber im 
©rgebniö fclbft, noc^ in ber ©ic^er^eit beffelben. SRun mar 
ferner ber Semeiö geliefert, baß bie S)i))lomatif nic^t eine anti* 
quarifc^e, baß fie üielme^r eine ^iftorifc^e SBiffenfc^aft ift. S)urd^ 
all ba§ minutiöfe SSieterlei ber bip(omatif(^en gorfcftung in ben 
»Acta« mie fd^on t)orf)in in ben „Seitrogen" ge^t immer al8 
oerbinbenber goben bie f)iftorifd^e Sluffoffung, bie legten 
Srgebniffe finb immer mit l^iftorifc^er SSritif getoonncn, unb bie 
unou^gefcgt fortgebitbete 9JJet^obe ber biplomatifd^en 83ef)anb* 
lung empfängt ^ier oon ber ^iftorifd^en ?lnf(^auung i^re 2;riebe- 



72 Siebentes Äapitcl. 

Sin bicSrabition bcr3Kaurincr,aIfo, loic fic in bcr Äcole des 
chartes fortlebte, fnüpftcSicfcI an, aU er bic crften biplomatifc^en 
©tubicn machte. @r ging bann jurürf ju bem ©d^öpfcr ber SSSiffcn* 
f(^aft, JU aRabiUon felbft, unb er befd^äftigte fic^ unaudgejegt 
mit ber Res diplomatica beS großen 3Reiflerö, big er ganj §err 
beg vorgetragenen ©toffeö unb Äenner ber gebotenen Se^ren 
tourbe. Slber fd^on bei ber erften Urlunbenbetrac^tung nad^ 
biplomatif^en ^runbfägen jeigte ©idel fic^ fc^öpferifc^ in ber 
gortbilbung ber SKet^obe. Unb fo blieb er eg toeiter ©c^ritt 
für ©d^ritt bei jeber biplomatifc^en Unterfuc^ung mit fteigenber 
©ic^er^eit unb fd^neQ getoonnener äKeifterfc^aft. Unb ba$ 
gefd^a^, toeil er ju SRabiQon unb ber Srabition ber ;ßcole 
des chartes bie ©rfa^rungen unb bie gorberungen ber beut)(^en 
fritif(^n (Sefc^id^tSmiffenfc^aft ^eranjog. Siic^t im ©elbftjmedE 
alö 2)iplomatifer alfo, nein afö ^iftorifer ^at ©idEel bie Ur* 
fuubenle^re ber Karolinger gefd^affen, unb nimmer foQte man 
üergeffen, bafe ber geiftooQfte Siograp^ ber ^eonne b'Slrc bcr 
9ieufc^öpfer ber ©ipfomotif getoorben ift. . 



S)er ©influfe ber neu erftonbenen biplomatifd^en SBiffen^ 
fd^aft auf bie Ijtftorifd^e Sitteratur toar ein ftarler unb nad^^ 
faltiger. ÜberaQ in 3)eutfc^lanb entmicfelten fic^ in gorfd^ung 
unb Seigre biplomatif(^e ©tubien unb namentlid^ auf bem 
©ebiet ber Urtunben ber beutfd^en ffaiferjeit. 2lber aud^ päpft^ 
li(^e Urfunben unb ^rioaturfunben tourben feitbem ©egenftanb 
eifriger unb erfolgreicher biplomatifc^er gorfd^ung. Unb überaQ 
ift baö Stiema ein fpejieQeg unb bie SBel^anblung nac^ bem 
aSorbilb ber Acta Karolinorum eingerichtet. S)ie folgenreic^fte 
SBirfung auf bie beutfc^e mittelalterliche ®ef(^id^tgforfc^ung l^at 
©ic!efö SSSerf aber barin ausgeübt, bafe nun enblid^ bie 
^erau^gabe ber beutfc^en Äaiferurfunben unb in ber für bie 
beutfd^e ^iftorifc^e SBiffenfc^aft mürbigften Slrt in giu& fam. 
©eit nun balb fünfjig Sauren toar e^ befd^loffen, Die Äaifer* 
urfunben in ben Monumenta Germaniae Historica l)erau8* 



S^fobor ©idel. 73 

^uflcben. gaft cbcnfo laitße S^it ^otte ^cr^j für biefcn Qmd 
baö 9KaterioI gcfammclt. Slbcr üergeben^ brängten S35^mcr 
unb anberc ©dc^rte mtb julcgt no^ cinbringlid^ ©tumpf, bafe 
bic ©ac^e in ttjirfüd^en angriff genommen tt)erbc. ^erg blieb 
üble^ncttb unb im legten ®runbe, »ie man ttjeiß, au^ SScrfteifung 
auf bie SJorjfige t)on ®ro6*golio gegen Silein^golio. 3)ann 
tpar enbli(^ in golio erfc^ienen : Diplomata imperii I, bie Ur* 
lunben ber SKerotpinger cnt^altenb. S)ie fid^ baran fnüpfenbc 
littcrorifd^e Debatte, in njeld^er ©idtel unb ©tumpf bie gü^rung 
nat)men, raubte ab^t bem fc^on lange unhaltbaren B^ft^^b 
i)er ®efellf(^aft für ältere beutfc^e ©efc^ic^tötunbe ben legten 
§alt. S)ie ©efeUfd^aft löfte fic^ auf, ju i^rer 9?euerrid^tung 
tpurben ©icfel unb ©tumpf l)erangejogen, unb ©idet übernahm 
bie Seitung ber Abteilung ber Diplomata ber Mon. Genn. 
Hist. (1875). Sie miffenf(^aftlic^en ^läne ©ictelö nacö »oQ^ 
fnbung ber Acta Karolinorum lagen urfprünglid^ anber^, er 
plonte eine Fortführung feiner Sarolingerregeften. Segt burd^ 
ben atigemeinen ®ang ber Ijiftorifc^cn Strbeit an bem beutfc^en 
IWationaltocrf ber Monumenta auf ein anbered SCrbeitiSfelb l^in* 
gebogen, fegte er glei(^ lieber mit ooUer ftraft feine biplo^ 
matifc^e ®elet|rfamfeit für ein gutc^ ©elingen ein. S)ie erfte 
grage war nun, ob man mit ben Urfunben ber älteren Jtaro* 
linger ober mit beuen ber beutfc^en ffaifer unb Könige bie 
Slrbeit beginnen folle. ©icfel füljrte im ^inblirf auf bie in 
granfreic^ in Singriff genommene unb an SBorbier unb S)eliöle 
übertragene Sluögabe ber Äarolingerurfunben ben @ntf(^eib ber 
(Sentralbireftion l)erbei, bie ^erauiggabe ber beutfd^en fiaifer* 
urfunben in Singriff ju nehmen. S)anac^ fam in S^^age, ob 
man mit ben Urfunben JtonrabS I. beginnen unb bann weiter 
öorge^cn foQe ober ob nic^t mit ber ^erau^gabe oon Urfunben 
octfc^iebener 5ßerioben jugleic^ angefangen werben foHtc. S)ic 
an ber ^erau^gabe ber Äaiferurfunben intereffierten ®elef|rten 
in ber (Sentralbireftion unb in 2)eutfc^tanb überhaupt toünfcl^ten, 
wie eS fe^r erflfirlic^, eine möglic^ft fc^nelle unb allen jugäng* 
lt(^e ©ammlung ber alten beutfd^en ftaijerfunben. "SSlan wugte, 
bafe in ben Sammlungen ber Monumenta fid^ feit fünfjig 



74 ©icbcnte« StapM. 

Satiren ja^Ircid^c abfd^riftcn üon alten Urfunben befanben, 
nnb man empfanb ed barum um fo f d^merjltci^er , bag man 
für jebc auf ©enu^ung üon Äatferurfunben angetolefene l^ifto* 
rifd^e Unterfud^ung ftd^ baö 9KateriaI immer erft auS ja^t 
ret(^eu, i{|rem totffenf^aftltd^en 9Bert nac^ oft ganj Derf^iebenen 
S)rurftt)erfen jufammen ^olen mußte. 3n bcn einjelnen Sanb* 
fd^aften 2)eutfd^Ianb$ toaren augerbem mjn^ifd^en unter 
Seitung gelelirter ffiörperfd^aften ober aud ber Snitlatiüe 
©injelner bereiti^ in öerJ^ältniömäßig fci^neQer Qeh entfc^ieben 
brauchbare Urfunbentt)er!e entftanben, t)on bereu Snl^aft ®e== 
fc^icfite, Äed^tögefd^id^te u. f. tt). aud^ bereit« mit erfid^tlid^ent 
(Srfolg ©ebraud^ gemacht l^atten. SSJarum foQte nun nid^t, toa^ 
ba ®uteS geleiftet tuorben, aud^ ebenfo unb öieÜetd^t nod^ 
fc^neüer unb noc^ beffer üon ben Monum. Germ. Hist. ge*» 
leiftet toerben? Unb bie fttlle SSorau^feftung biefer Slnftd^ten 
unb 8Bfinfd^e mar bie, ba§ bei ber Verausgabe ber filteren 
beutfd^en Sl^aiferurfunben eiS fic^ bod^ mefentlic^ um eine t)te( 
cinfad^ere ©ad^e ate bei berjenigen ber SKerominger* unb Saro* 
lingerurfunben ^anble. SBenn e« fid^ l^ier um ©d^affung bei^ 
5;ejte« in p]^iIoIogif^*I|iftori}ct)er SD?ctf)obe toie bei ber 2lb* 
teitung ber Scriptores ^anble, fo würbe bort bei ben Äaijer* 
urfunben ein einfache« 9lbjd^reiben ber überaQ t)orI|anbenen 
Originale ober filteften Äopien unb bereu S)rucflegung unb 
eventuell ein öerbefferter ÄbbrudE ber filteften 3)rudEe genügen. 
S)iefe ftiQe SSorauSfetjung mar aber grunbfalfc^, fobalb 
man bie Slnfid&t acceptierte, bafe auc^ bei ben Äaiferurfunben 
nur biplomatifd^e Äritif jum gefid^erten ©rgebniffe füf)ren 
mürbe. S)ann fonnte fd^on leine ber Slbfc^riften ber ^er^j'*^ 
fc^en ©ammlungen genfigen. S)enn bei aller ©orgfalt unb 
©auberfeit ber 2;ejttpiebergabe fehlte ba bod^ bie SSiebergabe 
mand^er für ben S)ipIomatifer mid^tigen SWerftnale, bie toicber 
}um 5;eil für bie meitere frttifc^e 0?a^prüfung burc^ ben §ifto* 
riler in bem 3)rudt fenntlic^ gemad^t toerben mußten. @i3 toar 
ferner in biefer ©ammlung, toie fie Don üerfc^iebenen ©elel^rten 
ju öerfd^iebener 3^^* gemad£)t toar, tro^ jatilreid^cr ^affimiliS 
lange nid)t genug SWateriat jum auöreic^enben ©c^riftüerglcid^ 



2:^eobor ©icfcl. 75 

üorl^anbcii. 3)ann aber war anä) fcincötuegS betoiefen, baft 
eine ))on @tumpf audgefproc^ene unb üon ^Bieten bomalS ge^ 
tctfte Slnfid^t, man fcnne fo jtemlid^ aQe noc§ üor^anbcncn 
Saiferurfunbcn bciS 10. bi« 12. 3a]^rl|unbertg, baiS SRid^tige traf. 
Unb njcnn cö nod^ nac^ Urfunben ju fud^cn ga{t, fo mußte 
ba$ / l^ftematifc^ unternommen merben, unb in ben Sd^ä^en 
t)ott Originalen, Kopien, alten S)rudEen mu|te eine f^ftematifc^e 
^Hiation unternommen Werben. Unb- überhaupt, worauf man 
weiter bei Sel^anMung ber alten Äaiferurhinben für bie ®bition 
nod^ }u a^ten ^abe, ba^ mußte boc§ erft auö ber einge^enben 
5ßrüfung ber Urfunben felbft erfannt werben. Unb foweit 
fiberf(^aute ©idCel bod^ fd^on bie ganje Überlieferung unb ben 
ßtiarafter ber Äaif erurfunben , bafe für ilire ^erau^gabe fic^ 
baSfetbe wiffenfd^aftlid^e ?ßrinjip afö gorberung ergab, wie e^ 
bie biplomatif^e Äritif unter ber 3"ft'i"^""9 ^^^ ^iftorifer 
foeben für bie SKerowingerurfunben gegenüber ber öerfe^Iten 
arbeit be^ crften S9anbeö ber Diplomata au8gefprod&en I)atte. 
S)ie S)ipIomatif , fo ift ein ©ebanfe ©idfefe in feiner anjetge 
ber „Diplomata Imperii tom I**, ift in nod^ üiel p^ercm 
®rabe als fonftige Dueßenfritil abf)fingig baöon, wie i^r bie 
Überlieferung geboten wirb. 3)ie Sejrt^erftellung nad^ Drigi^ 
naien, Stopien u. f. w. auf bem SBege ber gillation t)on 
^anbfd^riften unb S)ruden ift nur eine Slufgabe unter öielen 
für ben Herausgeber eineS Urfunbenwerfö , unb wenn aud^ bie 
am erfic^tlic^ften erfennbare unb am meiften fontrofierbare, 
feineöwegS immer bie müt)ieligfte unb fc^wierigfte. 3lo6) wid^* 
tiger nfimlid^, weit eS bie Sßorarbeit für bie eben gefennseid^nete 
?lufgabe wirb, ift bie S^^fitigfeit beS ^erauSgeberS, überaQ ber 
Überlieferung nad^juge^en, um ein möglid^ft üottftänbigeS 2Wa* 
terial ju fu^en unb l^erbeijufdjaffen. 3werft muß bie 35urc^* 
forfd^ung ber Slrd^iüe unb Sibliot^efen nac^ einem beftimmten unb 
bie SBoHftänbigfeit üerbürgenben 5ßlan erfolgen, beüor man 
an Sammlung, Drbnung, ©id^tung, 'Sestfierfteöung unb Äritif 
ber fo gefunbenen Überlieferung f)erange^en fann. 9?un mar 
bie Qa\)i ber Urfunben ber beutfdEien Äaifer unb Äönige aKer* 
bingS groß unb jebe Urfunbe gleic^fam ein ©bitionSobjeft für 



7G Siebented ^a^ttel. 

ftc^; t)ie Uttunbenfc^ä^e marett jerftädelt unb auf ein metteiS 
®cbict i^rcm Slufbetoa^rungöortc na6) üerttilt, bic aSororbeitcn 
für bic nad) jenem 5ßrinjip ju öeranftoltcnbe Sbition tt»aren alfo 
borauiSfic^tlid^ fe^r jeitroubenb, unb bie @bitton mujste fid^ fieser 
ucrsögern. Slber afe ©irfct ade jene ©rtoägungen tjom ©tanb* 
punfte ber ^iplomatif Dor ber ß^n^i^^^i^i^^t^i^n geltenb machte, 
entfc^(oB fic^ bicfe, boc^ lieber bie ^iftorijdje SBiffenfc^aft m 
bem aSunf^c einer [d^ieunigen Urfunbenpublifation ju ent» 
iQufc^en, ate ha^ fic i^r eine ber Mon. Germ. Hist. nicfet 
toürbige Urlunbenebition geboten ^ätte. 9Kan entfc^ieb fid^ 
barum aber auc^ meiter, nur eine 5ßartie ber Äaiferurfunben 
in Eingriff ju nehmen unb jmar mit ben Urfunben beiS je^nten 
Sa^r^unbertö ju beginnen. ©idEcI übernahm bann fogleid^ felbft 
bie fieitung ber §erau^gabe ber Urfunben ber Ottonifd^en 3^^*- 
Unb ein 3al|r barauf erfc^ien fd^on atö ^^ßrogramm unb 3n* 
ftruftion ber S)ipIomata*9(btei(ung ber Mon. Germ. Hist." 
(1876) eine umfangreid^e Einleitung für bie äßitarbeiter an ber 
^erau^gabc ber Äaiferurfunben. 3)arin läfet fid^ ©idel im 
allgemeinen über bie 3lufgaben be» Urtunbent}erau^gebcrö unb 
bie 5Witte(, fie ju löjen in l^öc^ft einleucfttenber SßSeife auiJ. 
S)ann ober trägt er aud^, roa§ nun fpejiell für bie Urfunben 
ber Ottonen üon bem Herausgeber ju leiften fei, in ©eftalt 
einer erftcn Unterfudjung über Ottonifc^e $ßriüi(egien üor. ©o 
ift biefeig 5ßrogramm jugleic^ ein erfter Seitrag jur ÄenntniS 
ber Urfunben ber Dttonen. Unb biefer 83eitrag jcigt [icö nid^t 
blofe atö eine ©rmeiteruug beö^ SBiffenS üon biefen Urfunben, 
er ift jugleic^ eine fc^öpferifc^e SBeiterbilbung ber 3)ipIomatif 
aU SBiffettfd)aft , infofern ©idtel ben UmfreiS ber äWerfmafc, 
auf tvt{ä)c bei biefen Urfunben ju aäjtm, unb bann tpteber 
and^ gleid^ ben Umfang ber 93etra(^tungen jur äSermertung 
biefer neuen SDierfmale für bie ^Bearbeitung ber Urfunben in 
Xejt unb Sfritif erroeiterte. 

Unb biefen ß^arafter tragen benn auc^ alle folgenben 
Seiträge jur ße^re üon ben Urfunben ber Dttonen, bie iftm 
aus feiner SSorarbeit für ü)xc Verausgabe ertoud^fen. SS er* 
fc^ienen 1877: „Über üier bie (£t|urer Äiri^e betreffenbe 



St^eobor (gtcfel. 77 

3)ipIomc*' ; 1879 : „Äanjier unb SRcIogncÄjcntcn bx^ jum 3o^re 
953; bann 1882: ^S)ic S)atterun8cn ber Dttonifdöen ^ßräjclJte.'' 
S)anc6cn 1877: „Äatfcrurlunbcn in bcr ©(^ipeij", unb bann 
fortloufenb größere unb Heinere Erläuterungen über Ottonifc^e 
S)ij)Iome in ber üon if)m begrünbeten ^tftorifd^en g^itf^'^if^^ 
SWitteitungen be« SnftttutS für öftcrreid^ifd^e ©efc^id^ti^forfc^unft 
(1880 ff.). 

3n feinem ^^ßrogramm" finb eö bie Äonfequenj, mit 
toeld^er er ben Se^rfag burc^fül^rt, bofe bie btplomotifc^e gor* 
fd^ung ergrfinben foö, wer bie Urlunbe gefd^rieben ^at, unb 
bie ^ier^i gebotenen Se^ren unb SBorbilber über bie Art ber 
©d^rifttjergleid^ung, toorin toir eine SBeiterenttoidflung ber SKe* 
tftobe ber S)it)Iomatif ju erbliden ^abcn. 

3)ie ?(b{|anb(ung über bie ©f|urer ©tplome offenbart einen 
gortfc^ritt ber bi^jlomatifc^en SBiffenfc^aft in if)rer ganjcn 8(n* 
läge unb SluiSfu^rung, bie näm(id) ba^in jielen, t)or}ufü()ren, mie 
tief ber 3)il)Iomatifer irnS 55etait ba get)en mufe, wo ber 9tec^t^» 
in^alt ber Urfuuben }u ©ebenlen feinen änlafe gibt, bie ©ci^rift 
jeboc^ auffällige (Sigentümlic^feiten jeigt unb bie inneren 9)2er{< 
male fel)r bebenlli^ erfc^einen, um ben öeweiS ber (Sci^t^eit 
unb Driginolitöt ber Urlunbe ju erbringen. 3)ie ?lb^anblung: 
,,Staiferurfunben in ber ©ci^toeiä" umfc^reibt einen gortfd^ritt 
in ber SBe^anblung ber groge nadj bem UmfreiiS ber 5;eilnal)me 
be^ Äonjier« am Urfunbengefd^öft. 3n bem ©eitrog: ,,Über 
ftanjlei unb SRefogneöjenten bis 953" fj)innt ©idel jene 
Unterfud^ung ju einer tjöc^ft refuItatüoQen unb ouc^ in i^ren 
biplomatifd^en ÜKitteln oielfad^ neuen gorfcftung über bie 
©efc^SftiSfü^rung ber; Äanjiei auS, um bie ffianiler, bereu 
%f)&t\QU\t fic^ ben äugen ber 3<^i*9^ttoffen entjcg, in xljxtt 
eigentlid)en ©eruföarbeit ju betrachten unb barauiS bie ©influfe* 
nol^me einzelner $er{ön{ic^feiten auf bie Sntwidfelung beiB Ur^ 
lunbentoefeniS , feine gortbilbung unb äWannigfaltigfcit erlennen 
ju fbnnen. 

Unb auf fold^cr ÄenntniiS. fonnte er bann in bem näd^ftm 
Seitrog: S)ie 2)otierungen ber Dttonifd^en ^ßräjepte, eine Söfung 
ber öermirrten 3^i*ongaben in biefen Urfunben unb i^re 



78 ©iebcnte» StapiUl 

Siid^tigfteBung bringen, bie in ber SRct^obe, nomfid^ ber Unter» 
fud^ung über bie Slrbeitdleiftung beS cinjetnen ^otaxß an ber 
3)atierung§jctle, feine Art ju red^nen, feinen Änfafe be« Spotten' 
tage«, feine Sled^enfe^ter u. a., roieber ein wichtiger gortfd^ritt 
ber SJipIomattf tourbe. 

liefern ,,?ßrogrammc'' unb bicfen ,,8eiträgen'' entfprac^ 
bann aber aud^ bie ^u^gobe ber Urfunben ber beutfc^en Stb^ 
nige unb Äaifer. 1879: S)ie Urfunben Äonrabg I. nnb ^m^ 
xid)^ I. 1884: S)te Urfunben Dttoö I. 

Sebe Sluögabe erhielt eine SSorrebe. Unb jebe Sßorrebe 
ift toieber für fid^ ein gortfd^ritt ber S)ipIomQtif fotoo^t in 
tl^ren ©eftc^tigpunften tpie in i^rem SBiffen. 

S)ai8 ^auptaugenmerf ber fönigtid^en Äanjiet, fo burftc 
©idEet nun lehren, loar barauf gerietet, für bo^ 3ied^töteben 
gültige B^ufl^^ffc ö^^^ beftimmte 9tec^tiSf)anbIungcn ju fd^affen, 
unb nid^t barauf, ^iftorifd^eS 3^"9W^^ f*^ ötte bie begleitenben 
SJcbenumftänbe abjulegen. Sie Sluffaffung ber leftteren unb 
bie ©infleibung berfelben in bie gorm einer ©rjäfitung, ju 
wetd^er loir au^ bie Slngaben über bie SRefognition unb fonftige 
Beglaubigungen über Ort unb3^it-i)er ^anblungen ju rechnen 
^aben, finb oft fe^r mangelhaft. S)iefe Sluffaffung fonnte 
eben burc^auö t)on ben tnbiüibuetten 2ln* unb Slbfic^ten ber 
S)iftatoren getrübt toerben. SSon biefem (Scfic^t^punfte übt 
ber S)tptomatifer feine Stritif. 3lber bie Stext^erftcQung in ber 
Urfunbenebition ift nid^t für bie biplomatifc^e Untcrfuc^ung, 
fonbern für ^iftorifd^e ©enugung ju geftalten. S)arum ^at 
ber S)iptomatifer in Stejjt unb Slnmerfungen SlUeiS ju bieten, 
toaö er irgenb fd^affen fann, um jenen bie ©enu^ung ju er* 
leichtern. SBo^I loirb, loer ©iplomatifer ift, fid^ ia^ grapl)ifd^c 
JBilb ber ©inielurfunbe mit allen ©igenarten üeranfc^autid^en 
fbnnen, aber aü bie ©injel^eiten ber auö bem Se^t unb feinen 
?lnmerfungen erfennbaren 3Rcrfmate finb nur biplomatifd^ ge* 
tnonnene ^Beobachtungen , toetc^e bem §iftorifer l^elfen follen, 
bie Urfunbe richtig ju üermerten. Sllfo bie Eingabe beö @d^rei= 
ber^, beö ©iftatorö, bie Scmerfungen über Slb^ängigfeit ber 
Urfunbe öon äJorlagen, bie ?(nmerfungen über SRafur, Äorref« 



lur, SRoc^tragungcn , bic JÜenntlid^moc^uiTö bcr ücriängertctt 
©d^rift unb ©efd^rcibunfl bei8 ©icgcte ^tenen ber ^iftorifc^cn 
firitif, cbcnfo wie bic ©rgänjunfl öon Süden, bic äüd^tigftcüunfl 
terftfimmdter 9?amcn u. a. Unb nac^ bicfen ©efi^töpunften 
ift bie ©bition eingcrid^tet. 

©0 toox benn alfo aud^ \xa bie Urfunben bcr brci erftcn 
bcut|d6cn Äönigc eine tJoUftänbige Urlunbcnlel^rc üor^anben 
unb iuflieidj ouc^ eine biefer Sc^rc unb bcr fonftigcn ^iftorifc^cn 
SBtffenfc^aft entfpred^enbe Stuöcjabc biefer Urfunben gcfc^affen. 
Unb bic ©ültißfcit unb guucrläffigfcit ber biplomotifc^cn 
SBiffenfc^aft ^attc unter ©idefö §anb teie für bie Urfunben 
ber alteren Äarolingcr, fonjic auc^ für bie Urfunben Äonrobö I., 
^cinric^S L, Dttoi^ L, fid) glänäcnb bctoötjrt. aJion ^atte^ 
nun feinen fc^toonfenben Söoben mc^r unter feinen güfeen, toie 
cS bis^^cr tDor, n^enn man biefe Urfunben ^iftorifc^ au^nugcn 
tooHte, fei ci§, bafe eö \\6) um tJragcn ber (Sc^tl^cit unb Un* 
ci^t^eit ober um @inrec^nung in baS Stincrar tjanbeltc. SD^an 
gcmann in öicien gäHen jene pofitiöe ©icöer^eit, bie ©idcl 
einmal in feinen Acta ate ben ^öd^ftcn erreichbaren ®rab bcr 
©ewifefieit in bicfen SJingen bcjcic^nct, man fügte fic^ in an. 
bereu bem f)ier gebrad^ten ©utfc^cib ber f)5^eren SSa^rfc^ein* 
lic^feit. Unb man ^anbclte fo, ttjcit man bic SSortreffltd^feit 
ber angcloanbten ÜRet^obe erfannte. 

Unb ^atte SBaift fd^on ben SBerfaffer ber Acta Karolinorum 
afe einen ^eröorragenben ©cfc^id^ti^forfc^cr begrüfet, fo beftftrften 
er unb feine ©enoffen fid^ nac^ jebem Scitrag ©idetö jur 
Se^re öon ben Dttonifd^en Urfunben in biefer Sluffqffung ber 
©iplomatif alö einer toirflic^en ^iftorifd^cn SBiffenfd^aft immer 
me^r. 



8. 

©in bcgrenjtcö ®cbiet baS S^ema il^rer Seiftung, bic 
Originale bic ©runblagc, ber inbiöibuellc ©c^riftöcrglcic^ bcr 
Sluiggang^punft, bic forgfättigftc Seac^tung aller SKerfmalc unter 



80 ^*tc§ Kapitel. 

©crücffiditigung if)rer ©ntfte^ung unb t^rcr ?(btoanblun8 iet 
SBeg ber gorfd^ung unb bic ©efamt^eit bicfer Scobac^tungcn 
baö Ärtterium: fo alfo umfc^ricb bie neue SBiffcnfdioft Der 
SJipIomotif fid^ 3*^^ wnb SRet^obe. Unb mit bcn ^öc^ften 5fn* 
fbrberungen an bie S(rbeitll(etftung, ober ni6glid)fter (Sinfd^ran^ 
fung ber §lufgabe ^otte fie i^rc SRefuftatc erreicht. 

S)er gefiederte 3i^9fl"9 h^^ ?lrbcit§felbe unb bie ©etoä^r 
fieberen erfolget für bie fortfd^rcitenbe biplomattjc^e ?frbcit toat 
bamit gegeben, ttjenn fie nun öon ba lociter ging, mo^in fie 
biiS jegt tjorgebrungen war. aber boS SBorttjärtgfdjreiten fonnte 
bei fo l^o^en Änforberungen an bie Strbeitgleiftung freilid^ nur 
fe^r langfam t)on ftotten gefien. Unb bie beutfd^e §iftorie 
erwartete boc^ ungebulbig biplomatifc^e Söelel^rung aud^ für bie 
fatifd^e, ftaufifd^e unb fpätere 3^'*» unb fie forberte für baS 
©eriplJe i^er SJarfteßung, für bie SRegeften t)on Äoifem unb 
Äönigen, ^äpften unb Sifd^öfen, fürftlic^cn unb grfiflid^en ga* 
milicn u. 5. auc^ allgemeinere ?fntt)eifungen t)on ber 3)ipIomatif, 
wie fie bie 6^rono(ogie ber Urtunben beftimmen, toie fie ba^ 
Stinerar feftfteücn unb bie SRegeften anlegen foüte. 

Unb t)on foId)en ®ebanten tourbe Suliui^ gicfcr au^ 5ßober^ 
born, bamalö 9iect)telef)rer in Snn^brudE unb gteid^ ^eröop» 
ragenb aU Äenner ber Sieid^ö* loie ber Sied^tögcfd^id^te ber 
beutfi^en Jfaiferjeit, betoegt, aU er ©ö^merd Siadjtafe orbnete 
unb $anb an bie §erau^gabe ber „Acta imperii selecta" 
unb an bie SReubearbeitung ber SRegeften bed Äaiferreid^ö t)on 
1198 — 1272 legte. Die ftrengen gorberungen, toeld^e jefet on 
biptomatifc^e arbeiten gefteHt werben, fo erwog er, finb ja nur 
ju billigen; aber ed wSre boc^ ju bebauern, wenn fie uoq folc^en 
Slrbeiten über Urfunben abtialten foUten, bei welchen auf i^re 
Srfüßung uon öorn^crein ju öerjic^ten ift. Xa^ ^iefee ja ju* 
näd^ft ein ©tiüftanb ber l^iftorifd^en gorfd^ung für bie 3a^r* 
^unberte nac^ Otto bem ©rofeen überhaupt. Unb foUten fidij 
nii^t einige unabweii^boren Urfunbenfragen aQgem einer «rt oud^- 
annä^ernb richtig löfen loffen, wenn man, ol^nc im ©taube ju 
fein, ben gorberungen ber Siplomati! ganj ju genügen, nur 



3ulm§ fjider. 81 

rcd)t nuötiu^t, toa^ fic je|t fc^on öon i^rem SBiffcn quo mtt=' 
teilt, unb boncbcn auiS einem großen Urfunbenfc^oft ju neuen/ 
Stcnntniffcn über bic Urfunben öorsubrinöcn f uc^t ? S)ie Stinerar*' 
froge bebarf eineig fofd^en SSerfucbeS unumgongltd^, fo refleftiertC' 
er. Unb er mad^te ben SSerfuc^ unb bereite in bem Setoufet'* 
fein bafür, ^ßofitiüeiS ju erreid^en; benn er fjotte boc^ an ben 
Urfunben, bie er fennen gelernt, fc^on monc^e ©eobac^tung ge« 
mad^t, bie i^n SRefuItote gerabe nac^ biefer ©eite ju ertoarten' 
berechtigten. Sud^ gidter ging olfo t)on ber Stinerarfrage aui§, aber 
er ging g(eid^ ju ber ^Jrage über baö jeittid^e 3"f^wimenfallen 
aQer ©od^angaben ber Urfunben unter fic^ unb mit ben aus- 
gaben ber S)atierunggjeile t)or. Stlpa 1500 Urfunben — in' 
i^rer SKaffe Sönigigurfunben unb ^ßriöaturfunben ber Äaiferjeit/ 
aber auc^ folc^e big ffiarl ben ©rofeen rüdEmärti^ unb ©igi«^ 
munb öorioftrtiS — boten ba^ SWaterial. Unb barau« geftaltete 
^icfer au$ ja^Uofen Sinjelbeobad^tungen unter allgemeinen 
(SrttJägungen l)iftorifd^er unb juriftifc^er SRatur feine „©eiträgc 
jur Urtunbenle^re'' (2 öänbe, 1877, 1878), ein SBerf tiöcöften- 
©d^arffinng unb ^od)bebeutfam für ben gortgang ber tjiftori* 
fd^en gorfc^ung, oor allem aber ooü nac^fialtigften @inf(uffeö' 
auf bie SBeitergcftaltung ber Utfunbentoiffenfc^aft. 2Bir loürbigen 
im SRatimen unfercr Slufgabe bie^ SBerf om beften im Qn- 
famment)ang mit gicferö früheren ßeiftungen im Urfunben^ 
ftubium unb berichten erft barüber. 

%nä) SuUuö gider ^at bie Slnrcgungen für feine fo rcfultat^i 
tjoüen Urfunbenftubien t)on Sommer empfangen. 1849 finben mir 
i^n in SBo^merö §au^, 1850 erfc^ien bie 3lrbeit über JRainalb t)on 
3)affel, unb ein befonberer Stbfc^nitt barin tjanbelt öon ber ©rs« 
fanjierloürbe ber fölnifc^en (£räbifd)5fe in 3tatien. (£r tooflte 
fic^ bann überf)aupt ipesieH mit ben SReic^äfauätern befd^äftigen,- 
unb er f)at für biefe SIrbeit gefammelt. Aber er ^at bann an* 
gefic^tig ber Arbeiten ©tumpfig biefen $Ian beifeite gefd)oben, 
bem 2(mt ber Ä'anjler jeboc^ immer feine 2(ufmerffamfeit ju* 
gemanbt. ,Unb immer ^at gidEer in feinen größeren mie in, 
feinen fieineren SBerfen unb in feinen Sluffä^en üorne^mlicft' 
urfunblic^eö äKateriat, oft fet|r reid^^oltig unb 3af)r^unbertc 

^xftotiSdie »iblioW. «b. IV. 6 



82 ^4ted Stapiitl 

umfponncnb, jur ©runblagc bcr Untcrfud^ung gemacht ^). ^Jidfer 
floatete ate fd^arffinnigcr ^Jorfc^cr natürlich btcfcig SRaterid, 
6et)or er eS üemcrtete, unb jtDar, o^ne oIiS S)i))IomQtt{er 
flciten ju tpoßen, in aui^gcfproc^en ftrcng l^iftorifdöcr Jtrttif. 
Suc^ ftügte er ftd^ gonj übertutegenb auf gebrucfted aKoteriol. 
aber er verfolgte bie biplomatifc^e Sitteratur, bie feit änfong 
bcr fe^jiger Sa^re fo ploßlic^ unb erfolgrcidö crftanb, unb 
lernte auf bie ÜRerfmale in ber gebrudten Überlieferung ai^ten, 
auf h)eld^e bie S)ipIomatifer aufmerffam matten. Unb inbem 
er fritif^ feinerfciti^ bie SKerfmale, bie er fanb, in feiner ?Irt 
öertoenbete, fc^uf er fteüentocife, o^ne S)ipIomatifer gu fein, 
SRefultate für bie S)il)Iomatif. Unö intercffiert in ber ipinfici^t 
juerft bie SBorrebe jum Additamentum tertium ad regesta 
imperii inde ab anno MCCCXIII usque ad annum 
MCCCLVII, toelc^e§ er 1865 au« Sommer« SRadilafe ^erauö* 
gob. Um fi(^ nömlii^ über bie 3?egeften Subtoig« beö "i&^x^^txxi 
nebft ben ©rgänjungen ju orientieren, fertigte gicfer 3tinerare 
an. SBir Ratten oben bereite ©elegcn^eit ju erjat)tcn, toie man 
bamafe, Anfang ber fec^jiger Sa^re, noc^ ganj an JBöt)mer« 
Äuffüffung öon \izxi SBcjiel^ungen jmifd^en ®atum unb Ort^ 
angäbe, b. i. an ber ©teic^jeitigfeit ber bciben ÜÄomente be« 



*) hierüber an ©in^el^eiten me^r 5U referieren, ald ic^ ed o6en im 
2^ejte get^an, Wien mir — ber ©efamtonlage meiner ^b^anblung wegen 

— nic^t angebracht, ^er ^i|)(omatifer aber mug auger f^icferd befannten 
Urfunben« unb IRegeftenmerfen öor 1877 unb feinen größeren SBerfen jur 
9lei(^»*, 9ie(^t8* unb SScrfaffungSgefcfticftte, wie: 9Som aieic^fürftanbe ; öom 
^eerfc^ilbe, t^orf (jungen jur Sleic^d- unb SRecbtSgefc^ic^te ^taliend, auc^ faft 
aUe feine älteren fleineren ^b^anbfungen beachten. @ie berufen alle auf 
Urfunbenfritit unb sSScrwertung unb erl^eüen mit bem ©inblid in \>qA 
SBerben unb SSefen t)on gicfer« Urtunbenforfd)ung pgleic^ bie ßJefcftic^te 
ber a)lp(omatif. 3c^ merfe folgenbe Slb^anblungen befonbcrS an: 8ur 
©cfc^icftte beS Äuröereinä ju [Renfe (1854). — 3)ie Überrefte bc« beutfcben 
9ieid)8ard6it)8 ju ^ifa (1854). — %\t ©cftt^eit ber «einen öfterreic^ifcöen 
grreiicitSbriefe (1857). %\t 9ffei(^§]^ofbeamten ber ftaufifcften ^eriobe (1862). 

— Urfunben jur Oefc^l^te beS IRömerjugeS 5faifer SubroigS beS SBaiem 
unb ber italienifcften SSer^ältniffe feiner 3eit (1865). — gur «efc^id^te be« 
fiombarbenbunbe« (1868). — Über ba« Seftament Äaifer ^einricäft« VI. 
(1871). — Über bie 3)atierung einiger Urfunben griebricft« n. (1871). 



SuIiuS gito. 83 

3citpuittte3 unb ber Drtganttjefcnl^cit feft^idt. Slud^ gidter^ 
Stineraranlage ging t)on fotd^cm ®efid^t3punftc qu8, ipenngteic^ 
i^m ber S^^'f^^ ^n bem unbebingtcn 3>^f<^"^"^c"*^^ffctt öon 
5)otum unb Ort^oitgabc, ben §uiIIarb^95rcf|oIIcg bereite au^* 
gefprod^en, tüo^t belannt toax. Sßun gaben t^m einige Ur* 
funben ?lnla6 ju cinge^enberer Betrachtung ber ßci^^ngaben, 
lüeil er ätt)eifdf)aft tüurbe, tvit er fie d^ronolo^ifd^ beuten foßte, 
unb er fanb anbcrerfeitS, bafe in Urfunbcn, beren c^ronoIogifd[je 
S)eutung änjeifelloS toax, bte Slnna^me, ba% ber SluöfteUcr am 
Sluöfteöungötage aud^ am SluöfteQungöorte anloefenb gemefen, 
fet)r fd^tüer mit ben Angaben über Ort unb Sag unb mit ben 
fonftigen ®rgebniffen beö Stinerarig vereinbar fei. (£r fafete 
^al)er ba§ ganje Stincrar Subtt)ig§ beö Sägern unter einer ®e* 
famtbetrad^tung in8 9luge unb fonftatierte einmal ein oft plan* 
lofeig ^in« unb §errcifen im allgemeinen, bann aber aud^. 
nocft folgenbe§. SBir ftofeen, fo fdireibt er, überaus l^aufig auf 
löeifpiele, bei benen bie auö ber S)atierung ber Urfunben ftcft 
trgebenbe Setüegung wn einem Ort jum anbern jtoar ber 
allgemeinen SRid^tung bes Stinerar^ entfpric^t unb auc^ ju ben 
fonftigen Umftönben poßt, bei benen aber, toenn mir ik (£nt* 
fernung in§ 9luge faffen , eö faum benfbar erfdieint , ba^ ber 
Äaifer an biefen Orten au ein unb bcmfelben 3^age ober an 
furj auf einanber folgenben Sagen foHte geurfunbet tjaben. 
®egen biefe Ortsangaben aber märe oft fein Sebenfen, menn 
bie Urfunben einen Sag fpäter auiggefteHt mären. Unb ber 
3Köglicf)feiten , bafe ba^ ber gaU gemefen, finb mel^rere. ©ie 
Äanjlei tann im Ort jurüdfgeblicben fein, menn j. 8. bei gelb- 
^iigen ber Saifer fcbnell meggcreift mar, unb bann ^at bie 
Äanjlei einen 2luiSftellungi§ort angefe^t, in meld^em ber 5taifer 
gar nid^t me^r anmefenb mar. ßu unterfd^eiben ^aben mir 
ferner in ber @ntftef)ung ber Urfunben ben 2lbfc6lu§ be§ 3lcd^t§» 
flefd^äfti^, refp. bte 3Bittem§äugerung beS Äönigö unb bie "äu^» 
fcrtigung ber Söeurfunbung. 3enc§ mirb red^t eigentlich mit 
bem „Actum", biefeö mit bem „Datum" ber S)atierung§äeile 
bejeid^net. 9?un bejielien fid^ aber bie eingaben biefer 3^^'^ in 
«injelnen Urfunben beutlid^ erfennbar einheitlich auf „Actum", 



84 %^te3 J(Q|>iteI. 

in anbern auf „Datum". Unb trenn nun bcr unter Actum 
inbegriffenc SSorgang in ber Dotierung bescid^nct loerben foHte, 
unb bann bie Sluöfertigung fclbft erft fpätcr gefd^a^, fo mar 
aud) ein 3trtum in ber Qdt fd)on möglid). 

Äonje^jte ferner, fo ernjog er toeitcr, finb nid^t fo genau 
batiert, h)ie bie Urfunbe fclbft; SBiÜebriefe finb öftere früher 
batiert alg bie bctreffenben faiferlid)cn Urfunben. §aben jene 
biefen minbeftenS im fionjicpt vorgelegen, fo fann ein 3rrtum 
in bie S)atierung fid^ leidet einfd)fei^en. — ©id^er ift nun 
aber aud^, fo burfte er loeiter au^fü^ren, ba% unter Subloig 
bem SBa^ern Urfunben für fpötercn ®c6raud^ üorauägefertigt 
finb unb babei gteid) eine ganj loiHfürlic^e Ortsangabe empfangen 
^aben. Unter 3of)ann üon 95ö^men, fo fanb er bann, loirb 
manchmal oud^ in feinem 9?amen geurfunbet, ttienn er gar nid)t 
ann^efenb ift. S)ie innere (£inf)eit ber fac^Iid^en Slngaben unb 
ber Datierung ift alfo boc^ fteHentpeife nid)t üorl^anben. Unb 
baö ift übtx\)aupt fidler, ha^ bie Äanstei inbetreff ber S)atierung 
läffig toar. (£§ fiel für bie red^ttidje Söebeutung ber Urfunbe 
genaue Ort- unb 3^i*fl"9^^^ i^ öud) nic^t img ®ett)id)t. 
SJeö^alb aber ift bei SBiberfprudi jtoifi^en ben Ort* unb 3^*** 
angaben ber Urfunben unb gut unterrid^teten ©c^riftftcßcrn 
nic^t immer jenen ber SBorgug ju geben. 

gidfer fam alfo ^infic^tlid^ ber S)atierung ber Urfunben ju 
fel)r eigenartigen Sflefultaten für bie Urfunbenfritif über^auj)t. 
Unb biefe Sflcfultate oeranlafeten i^n im gortgang feiner ge^ 
teerten ?lrbeiten bei ber Urfunbenbetjanblung auf aUeö jU adbten^ 
toa^ fid^ für Sntfte^ung ber einjelnen Urfunben erfennen liefe. 
2)a fam er bann, toie für bie QeiUn ßubnjigö beö öa^ern^ 
auc^ für bie früheren So^rl^unberte ju merfroürbigen Srgeb- 
niffen. ©o f)atte er, ate er bie „Acta imperii** ^erauiggab^ 
fd^on für eine Urfunbe griebrid^g I. anerfennen muffen, ba^ 
ia jn)ifd}eu §anblung, refp. SBiUeäufeerung bcS SönigS unb 
Seurfunbung ein 3^it^öum von jttjei Sauren liegt. 3n ber* 
felben Qnt l^atte er für Dttoö IV. Urfunben fc^on erfannt» 
bafe bie mit bem Stinerar nic^t ftimmenben S^i^öngaben fefjt 
Pufig finb, unb bafe fic vielfach nur in Ungenauigfeitcn ber 



SuHuS 3'ider. 85 

flanjlei it)re ©rflorung finben föiuicn. Unb tüa§ bie:Urfanbcn 
griebrid^ig II. betraf, tüo loegen fiäufig mangeinbcr Xagegangobe 
bic Ortsangabe ficft leici^tet in bie allgemeine 3li(f)tung beS 
Stinerari^ einfügen läfet, ein SBiberfpruc^ jtüifd^en Sag unb 
Ort, toic i^n §uiIIarb«örc^oIIeS bod^ in einigen gällen an* 
merfte, alfo auc^ weniger ju erfennen ift, ba fanb gicfer in 
^infid^t ber Urfunbenentftef)ung unb ber bamit bebingten SBibcr* 
f))rücbe t)on ©c^ein unb aBirfüd)!eit fogar einige fo eftatantcn 
gotte, bafe er barüber in bem 3(uffa^ berid^tete: Über bie S)a* 
tierung einiger Urfunben griebrid^ö II. (1871). — ©in ju fiöln 
aufgcfunbeneS Original griebridiS IL iftbatiert: 1241, 11. Slo^ 
t)ember, SBien. 2lIIe fonftigen 3^"9^iff^' ®efd^id^täfcl)reiber, 
Briefe, Urfunben betoeifen aber, bafe griebric^ IL bamaB ju 
goggia njar; mie ift nun ber SBiberfprud^ ju erflären? gicfer 
iog nod^ einige Urfunben ^eran, bie ätinlid^e SBiberfprüd^e 
jeigen unb jugteic^ bem 3nf)att nad^ auf eine fpätere Qeit 
toeifen, al§ fie in ben Urfunben angegeben. Unb aße biefe 
Urfunben toiberfprac^en ber allgemeinen Sieget, bafe ber SluS^ 
fteller jur angegebenen Qtit am angegebenen Orte toax, uoH« 
ftänbig; fie finb aber feine^toegS faljc^. Sa! biefe Urfunben 
finb gar nid^t auä griebric^i^ IL 5tanätei tieruorgegangen unb 
toä) ed^t. 3)enn h)ie gidfer eg in fdE)arffiniger Unterfuc^ung 
mafirfc^einlic^ macl)te, finb jene Urfunben in griebrid^S SRamen 
unter mißfürtid^cn Drtigangaben unb teitmeifer ßw^ö^^otierung 
«rft in ber Slanjtei Sönig ÄonrabS auiggefertigt. 

Snjtüifc^en ^atte gidfer aber bei ber Urfunbenoermertung 
in feinen reic^g* unb üerfaffungSgefdöic^ttid^en Unterfud^ungen 
m\b feinen Slegeftenarbeitcn aud^ nod) anbere S^agen aufroerfcn 
unb beantworten muffen. SBenn Snterüenienten in ben Ur*= 
funbcn genannt werben, f)aben wir itjre 2lnmefen^eit bei ber 
^^Qnbtung ober bei ber Seurfunbung onjunc^men? Unb wenn 
bie 3nteroenienten , wie eig fic^ ergibt, jur ^anbtung gef)ören, 
wie fann nun bie Slngabe ber Datierung für jene jutreffen? 
^JBie ift t^ ferner mit ben Qm^en? finb fie §anblung§jeugen? 
finb fie Seurfunbungöjeugen? — S)ie Datierung bejie^t fic^ 
fciöweilen auf bie §anbtung, biiSweiten auf bie Seurfunbung, 



86 ^c^teS ^QpiUl 

unb wenn Ie|tcrci^ ber goö , tüiewcit ift bann bie geit bcr 
öcurfunbung jugleic^ afö mafegebenb für bie 3^^^ bcr §anb^ 
lung anjufc^en ? Unb gicfer fanb häufigere unb ftärferc W)» 
tt)ettf)ungen ätoifd^en bcr ßcit ber ffleurfunbung unb bcr 3^^* 
bcr ^anblung, ate er ciS irgenb ertoortet ^attc. Unb bad gat 
benn bo6) ju beulen. S)enn, toenn baö eben ber gaß, }o toat 
ftd^erlid^ bie Slnna^mc J^infäßig, bofe aBe angaben ber S)a* 
tierungöjcilc unter fid^ unb aÜc fonftigen fad^ltd^eti Angaben 
ber Urfunbe über Äöntg, gürbitter, 3^"9^"' amtierenben 
Sanjier mit jenen ctnfieitlic^ auf einen beftimmten 3^^*^""^^ 
unb einen beftimmten Ort ju bejicfien feien. Unb bie 2Ke* 
t^obe, Urfunben ju uerbäc^tigen , toetc^e fid^ in bag Stincroc 
nic^t einfügen liefecn, ioelc^cig bie überloiegcnbe 3Äef)vja^l ber 
Urfunben unb fonftige DueBen umfd^rieben, mußte ^)ann in 
ifircr ©üttigfeit eingefd^ränft toerben. — Unb e^ ttjiberfprac^cn 
biefe Srgebniffe giderö bonn aber fcl^r cnergifc^ auc^ ber in 
einjelnen ^tflorifc^en Unterfuc^ungen fc^on leifc angejlDcifetten, 
aber in ber Urfunbeniritif noc^ immer fierangejogencn Slnfid^t 
t)Ott ber ffiorjüglic^feit ber San jfeiarbeit , bcr SRcgefmäfeigfeit 
i^rcr ©ebräud^c unb bcr Sorgfalt in i^rer Stntocnbung. gider 
mufetc ate t^atfäd^Ud^e unregelmäßige .©rf^einungen in ed^ten 
Urfunben j. S. feftftcBen, bafe 3<^wfl^wwwtc^*f^rif*^" öon SSer* 
ftorbencn öor^anben, bafe in ber S)atierung beutfd^c Orte ge» 
nannt tourben, loo ber 2lui8fteBer unätoeifel^aft in Stauen , ja 
ouf bem fireujjuge ift, ober bafe im 3lnfang einer Urfunbe ein 
Sifd^of ate lebenb ertt)äf)nt loirb, am @nbc aber fein SRad^» 
folger genannt mirb. Unb gider burfte weiter jeigen, ba§ 
eine Urfunbe im 5ßrotofoö unb im $auj)tteil be§ ÄontcEtc^ 
ft^ ate eine Urfunbe Dttoö I., im ©d)tu6 beg Äontejte^ ate 
Urfunbe Dttoö II. gibt. ®r fanb, ba^ in ein unb berfelben 
Urfunbe ber Äaifer balb in erfter $erf on , batb in britter 
?ßerfon eingeführt ttJirb u. f. to. 

SBo aber blieb nun bie Se^re ©tumpfiS oon ber Drbnung^ 
Sorgfalt, 3w^crtäffigfeit ber Stanäteiarbeit? 

Unb gider toarf fid^ nun fofort bie weitere S^age auf^ 
too ift für biefe Unrcgclmäfeigfeitcn bie ©renjünic ju fui^cn, 



SuIiuÄ §ri(fcr. 87 

tnncrl^atb bcren bic Urfunbe nod^ cci^t, aufeerfiaft beten fie 
cntfdiiebcn fatfd^ ift? S)te ?lnttt)ort barauf !onnte er freilid^ 
nic^t finbcn, aber er fam nun ju einem onbern ^orfjbebeut* 
amen ®runbfa| für feine Urfunbenbe^anblung. gider fagte 
ftc^ nun: SBenn fotd^e UnregelmSftigfeiten in ungmeifelfiaft 
eckten Urfunben auftreten, fo barf i^r SBorfommen in Urlunben> 
beren ®c^tt)eit ber S)iptomatifcr nic^t fo fieser au^ aufeercrt 
SKerfmalen ^at ertoeifen tonnen, für fid^ allein noc^ feinen 
®runb abgeben, biefe Urfunben ju öerböditigen. Unb toxi 
fiaben ^ier wie bort erft ben 58erfuc^ ju ma^en, bad Um 
reflclmäfeige onber^ ju erflSren. Unb loeiter: ?luc^ folci^e Un^ 
reßelmäfeiflfeiten , bic üieöeic^t in ben unS ate unätoeifel^aft 
edit öotliegenben Urfunben fic^ nid^t finben foöten, bie aber 
in anberen weniger fidler aU t6)t }u erweifenben Urfunben 
üor^anben finb, bürfen nic^t einfad^ @runb jur iBerbäc^tigung 
biefer Urfunben fein, auc^ l^ier muffen tuir erft ben SSerfuc^ 
motten, ob tt)ir, toaö gegen bie 9tegel öerftöfet, nic^t fonft erflärert 
fönnen. Unb gidter üerfu^r nac^ feinen Se^rfäfeen. ®r fuc^te 
für jebe Unregelmäfeigfeit erft nad^ ber SRögli^feit einer onberen 
©rflärung, e^e er jur SSerböc^tigung ber Urfunbe fd^ritt Unb 
babei fam er toieber ju ©injelbetrad^tungen , bie if)n loeiter 
JU neuen grunblegenben allgemeinen Srtoägungcn führten. — 
®g erfannte gidEer,, ialß SBiberfprud^e in ben Urfunben in 
beftimmter 9?id^tung fid^ immer toieberf)otten , fo bafe ^erfoneii 
nid^t mefir leben, bie aU lebenb erh)äf)nt toorben^ unb bog bot 
Äönig ben Ort an bem angegebenen 2;age fd)on öertaffen ^at. 
@r beobarfjtete ferner, bafe Unregelmfi^igfeiten in Urfunben für 
öerfd^iebene Smpfänger übereinftimmen. Unb feine fc^arffinnigeit 
^Betrachtungen lehrten i^n ttjciter, bafe loir in öieten gäflen, toö 
toir loegen einer ajegellofigteit t)on gölfd^ung fpred^en, für bie 
öorfommenben Unregetmäfeigfeiten eine ed)te SBorlage an* 
june^men genötigt finb. Unb au^ Allem fam er ju bem 
bie ganje Urfunbenfritif im Sinne ber 83öf)mer* Stumpf um* 
fe^renben ©ebanfen: bie 2lnnaf)me öon gätfd^ung reicht feineig^ 
»egd auö, um aUe S[Siberfprfid[}e in ber Urfunbenlel)re ju 
crflSren. Unb ebenfo, fo lehrten i^n anbere ©rmägungen, 



83 ^4ted ^a\>iUl 

ift bic fo fcdicbte Slnno^me t)on ©c^reiBfel^lern jur ©rilärung 
.ber SBiberfprüd^c oft unsulänglid^. — S)a8 Slttcig beftärfte aber 
^täer nun in bem ©ebonfen, überl^aupt einmal im ganjen ber 
^rtoägung nad^juge^cn, toetd^e ©rflärungen für bic SBiber* 
fprüc^e jtoifc^en ben (Sinjelongabeu ber Urfunben in . ^errfc^cr^ 
namen, %\td, 3^"9^"r Äanjler, Xag, Ort, Sa^r u. f. to. 
jirgenb möglich feien. Unb er tijat bieg mit ber fidleren Über^ 
Beugung, l^iemit reid^e 9tefultate jur Urfunbenfritif unb UrfunDen* 
pertüertung ju erjteten. S)ie ©runblage biefer allgemeinen 
©etrad^tung njurbe aber folgenbe tbeoretifc^e ©rtoägung. ®ie 
Datierung, fo refleftiertc er, fagt bocb eigentlid^ nur au§, mann 
bie Urfunbe gegeben fei, fie fprid^t ni^t t)om 3^i^PM"Jt ber 
SRefognition, ber 3<^wgcnantt)efenf)eit u. f. rt). S)ann aber bfirfen 
mir boc^ einmal für bie ©rttärung ber SSiberfprüc^c in biefen 
,?lngüben bie Slnna^me f)eranjiet)cn, bafe bie fic^ miberfj)red^enben 
,8lngaben fic^ überhaupt auf öerfc^iebene ß^i^P^n^^^ bejie^en. 
83on ^ier au§ mar e§ bann aber eben nur ein meitcrer ©d^ritt, 
ba% gicfer fic^ baö ganje ©efc^äft ber Seurfunbung ju oer^ 
gegenmärtigen fucfjte, um Überfi^t über alle bie ß^itpunfte ju 
geminnen , bie für biefe unb jene Eingabe möglic^erroeife 
bcftimmenb fein tonnten. S)iefe Söetrad^tung be^nte er nun 
über eine crftaunlic^ grofee 3^^^ ^^^ Urfunben au§, ^aifer- 
wrfunben beö 10. big 13. Sal^r^unbertg u^nb an^ f paterer unb 
frütierer 3^^^» $apfturf unben , ^rioaturfunben. ©c^arffinnig 
fd^ieb er bann ^anblung unb Seurtunbung, ging bem ©influfe 
öon aSorurfunoen noc^, ermog aud^, meldjen ©influfe Slfte b. i. 
unmittelbar gleid^geitige SRotijen über ipergang, 3^W9C"/ ^^ 
unb Q^xt ber §anbtung auf bie 83eurfunbung auggeübt ^abcn 
fönnten. @r burc^manbelte bann alle ©tabien ber SBeurfunbung 
üom Seurfunbunggbefe^l big jur Slugt)änbigung an ben @m« 
pfanger unb bctrad^tete bie ®ntftet)ung unb SBebeutung ber 
S)atierung öon allen ©eiten. Unb t)on biefen unb einer gfillc 
fonftiger Betrachtungen gab er in feinen „Beiträge jur Ur* 
!unbenlef)re'' ber SBiffenfc^aft im 3i^ffln^'"^J^^öng Sunbe. Unb 
er ift ba auc^ jn ben ermarteten 9tefultaten gefommen. S)ag 
3ufammentreffen aller eingaben auf einen 3^itpunft, fo burfte 



Suliu« gidcr. 89 

er nun bcljaupten, mar nic^t immer beabfic^tigt, unb wo e§ 
beabfic^tigt mar, führte oft ber ®ang ber Seurfunbung baju, 
bafe biefe Slbfic^t nid)t jur (Seltung gelangte. — S)arau^ aber 
(äffen ftd^ SBiberfprüc^c unb Unregelmöfeigfeitcn , mie [fie im 
SSerbältniä jur Siagcöangabe erfc^einen, inbetrcff ber gormein, 
be^ Sluöftetterö , ^infidjtlicft ber Slnorbnung, gaffung unb bc§ 
Sn^alt^ be« Sejte^ erftären, Sluc^ SBiberfpruc^e im Zc^t unter 
fic^ finben nun i^re Söfung, Stbmeid^ungen im ^ejt bei Ur* 
funben ä^nlic^en 3nl^att§ für gleichen ©mpfänger unb t)om 
gleidjen S^age, gleic^Iauteuber Stejt in Uriunbcn für gteid)en 
Smpfönger t)on öerfd^iebenen SEagen finb nun erflärlic^. ©benfo 
Vermögen mir nun SBiberfprüc^e in betreff ber gürbitter- unb 
ber 3^W9^" i«^ 9SerI)öItniö ^^um ©atum aufjuHaren. Unb t§ 
fönnen nun geiler im ©c^lufeprotofoH, im fönigüd^en 9?amen^ 
»eichen, in ber 9ief ognition^jeile , in ber Datierung felbft unb 
in ^infid^t ber Sefiegetung, ja ©iberfprüc^e ämifc^en Drt unb 
Sag fogar, erflärt merben. ©oDiel öom Urfprung unb oom 
3n^att üon gider^ „©eiträgen ijur Urfunbente^re''. — ®er 
©nbrud biefeö SBcrfeö auf bie mittclülterlid)e fritifc^e ®cfd)ic^t§* 
forfd^ung mar ein mäd^tiger unb aUerbing^ unb auö ganj 
natürlid^en Orünben bie^ juerft negatioer Slic^tung. S)ie gorm, 
in melc^er gider fein geniale^ SBerl ben Seferu bot, biefe 
Söiebergabe feiner an SSerfc^tungen^eit nic^t ju überbietenben 
Unterfud^ungen in it)rer ganjen fraufen Urfprünglid^feit führte 
ei^ nämtic^ f)erbei, bafe bie Sefer mef)r bie §auptrefu(tate für 
fic^ allein in i^rem 3nl)alt als; im ßufümmen^ang mit i^rer 
©cgrünbung ober mit bcn fie einfc^ränfcnbcn jerftreuten SReben* 
bemerfungen in fic^ aufnat)men. Unb bann aUerbing^ fam für 
bie Urfunbenfritif, metd)e biefe mittctaltertid)e ®efd^id^tgforfc^ung 
trieb, alleä in§ SBanfen. Actum unb datum gehören alfo 
ganj unb gar nid^t jufammen ; baö Stincrargecippe nidjt me^r 
ber §alt, um barauf eine ergebnieöotte Urfunbenlritif ju ftügen; 
bie größten Unregelmäfeigfeiten in ächten S)ip(omen; bon ^ra^ 
bition, ©orgfalt, 5iorreft^eit in ber Sanjlcipraji^ feine SRebe 
me{)r; baig SRegellofe bie SRegel — ja momit foH man benn 
iJritif an ben Siplomen üben? mie fott man überf)aupt nod) 



90 ^c^ted Kapitel. 

ein foIfd^cS ©iplom crfennen? unb too bleibt nun bie foebea 
mit foöict ©cifaH begrüfete ncucrftanbcne Urlunbentoiffenfd^aft? 
3)ag maren bie erften ©rmägungen in ben Sheifen berer, bie 
unter bem eintrieb öon ©tumpfö „SReic^efanjter'' unb nod^ bem 
SBorbilb t)on ©icfelä Acta Karolinorum nun fc^on ein S)e* 
jennium unb it)rer Slnfid^t nod^ auc^ nid^t refuItatloS bie 
Urfunben in ben 5txei8 i^rer gorfc^erarbeit ^incingejogen l^atten. 

Slber biefe ©rtoägungen tüaren grunbfot)d^ unb n)eber in 
JJiderö auiggefprod^enen 3^^^^"* "^^ ^^ feinen Unterfudöungen, 
nod^ in feiner ganj Kar erfic^tlic^en ©teßungna^me jur 3)iplo^ 
motif begrünbet. gicfer wei^, — fo jietjt e§ ficft burd^ feine 
Slu^fü^rungcn überall ^inburd^ — bafe nur bie Siplomatit 
i^m bie ©id^erfjeit bieten fann, auf aße bie t)on i^m auf* 
gefteüten ^fragen bie richtige Slntnjort ju finben. SSBir toiffeii 
noc^ ju toenig öon ber Siplomotit ber Äaiferurfunben , fo ift 
feine Änfid^t, unb barum gilt i^m, toaö er jur ®rHärung biefer 
unb jener Unregetmäfeigfeit einer beftimmten Urfunbe beibringt;, 
unb ttjenn er bafür bann bie Sluffliärung in jenem unb biefem 
®runbe finbet, fo pofitio er e« au^fpric^t, bod^ immer nur 
bebingt. S)e§^alb fafete gidfer feine Slufgabe aud^ me^r fo, an* 
gefic^tg ber Unregetmafeigfeiten in fo oieten Urfunben grageu 
äu fteUcn, aU fie ju beanttoorten ; aUerbingö aber toiU er auc^,. 
fooief i^m feine ^orfc^ung eö nur ermöglid^t, antworten. — 

Unb gidEerä Urfunbenle^re ift gegenüber ber oon ben 
§iftorifern bamatö allgemein beliebten 9Irt ber Urfunben^ 
benugung fogar feineömegö fo abfel^nenb ate cö nac^ feinen 
§auptrefuftaten erfd^eint. SBo^l ift, fo fagt er, toa^ ©tumpf 
über ben Slnteil ber Äanjtei an ber Seurfunbung le^rt, für bxt 
Äaiferjeit ebenfo abjumeifen, tt)ie eiS ©idCel für bie älteren Äa^ 
rolinger bereitig jurüdfgemiefen f)at. Slucft ift für bie Äaiferjeit 
ber ©ag oon ber ^ufammenge^brigfeit oon Actum unb Da- 
tum nod^ me^r einjufdEiränfen , aU ©idEel eö fd^on für bie 
Urfunben ber Karolinger gelehrt ^at. Slber Äanjlerrei^e unb 
3tinerar bleiben bod^ immer ein SKittel ber firitif. Unb 
tt)ir l)aben boc^ al^ Siegel anjufelien, baf; man mit ber Ort^^^, 
angäbe öm Drt bejeidE)nen njoDte, an bem fid^ ber Sluöfteöer am 



SuUuS gider. 91 

awgcflebenen Siage auffielt, unb tüir i)abm m ber Slnno^me, ba& 
ber ?lugftcfler am bcm beicic^netcn S^age am genannten Drtc n)ar> 
fo lange feftjul^alten, bt^ mx ju einer anbeten Slnna^me genötigt 
»erben. S)arum aber bleibt Übereinftimmung einer Urfunbe mit 
bem Stinerar immer auc^ ein fttiterium ber @d)t^eit. Unb e^ 
bleibt eine SReil^e üon S)iptomen, in i^rem jeitlid^en 3wfcimmen*^ 
^ange betrad^tet, immer baö mic^tigfte ÜÄittet ber J^iftorifd^en 
5orfcI)ung. Aber eö »irb eö, fo lautet loeitcr gicferig Stnfid)t, 
erft bann, toexm bie 2)ipIomatif bie ©d^t^eit ber S)iptome ober 
bcn eckten Sern in i^nen beftimmt unb jene in biplomatifd^cr 
Ireue bem i^ox^äin jugänglici^ gemad^t ^at. 

Site gortbilbung alfo , nid6t ate ©infc^ränfung ber fd^on 
geübten ^ifto,ri)c^en firitif fc^uf gicfer feine Urfunbente^re, unb 
.neben unb nid^t gegen bie Seljren ber toieber erftanbenen 
SSäiffenfc^aft ber Diptomatif l)at bie ^Betrachtung fein SBerl ju 
fteHen. Unb fo ^at ©icfcl gidterö geniale Seiftung auc^ gleid^ 
öerftanben. S)iefe ^Beiträge nötigen nn§, fo metfte er in fci^ 
nem 9ieif eberi^t : „Sfaiferurfunben in ber ©c^njeij" bereite an^ 
ben bidt)er üblid^en SSorgang bei Beurteilung unb Benu^ung be^ 
Urfunbeninl^attö ju reftifijieren. Unb er fc^enfte fortan bei 
feinen arbeiten gidEcriS ®ebanfen bie ooQfte ©ead^tung. @r 
ging, ate ber erfte Sanb uon gidEeri^ SSBerf öorlag, gerabe an 
bie SRieberfc^rift feiner Unterfud^ung über bie 6f)urer ^riotlc» 
gien. SBä^renb ber Slrbeit famen i^m öon gicfer aud§ bie 
crften Slue^ängebogen beö jloeiten Söanbeö ju. S)em toa^ 
\)kxm oorgetragen tourbe, j. 33. über baö SBer^altniS üon Son* 
jejjt unb SReinfc^rift , gab Sidfel noc^ feine golge, toeil biefe 
grage \>a noc^ nicftt jum Slbfc^lufe gebrad^t loar, ben Sluigffi^* 
rungen beö erften 93anbe^ aber fd^entte er fogleid^ SBerüct* 
fid^tigung. Sr öerbertete gleich gidEerg SBemerfungen über 
aSorurfunben unb Slfte, über bie SBerjögerung ber Urfunben- 
auSfertigung in ber Sanjtei, über bie ^Beglaubigung oon 
^rit)aturfunben burc^ faiferlic^eö ©ieget u. a. m. Unb fo 
blieb eö auc^ in ©idfete fpäteren Slrbeiten, überall fel)en mir 
einge^enbfte^ ©tubium oon gidfer^ SBerf im ©acftin^alt mie 
ein bemufete^ Singe^en auf bie ganje 2lnlagc unb ^enbenj 



92 ^Ic^tcS Kapitel. 

beS aSßerfeö, unb überall jetgt ©icfd forgfältige iöerüdfic^ti* 
gung unb begrünbete ©teHungnal^me , juftimmenber ober ab* 
let)nenber 9(rt, ju feinen Se^ren. dagegen ()ielt ©ic!cl auc^ 
nac^ gidterö Untcrfucf)ungen weiter immer ftreng an feiner 
SRetljobe ber biplomatifc^en gorfcfjung feft- Unb tf)n beftimmten 
t)ierbei folgenbe ©rmogungen. S5ie 5{u§fü^rungen gider^ 
gingen ja/ ttjenn man fo xd\ü, üon einem gemiffen ^rinjip au§, 
bem nämtic^, bafe man refultatnoüe Urfunbenforfc^ung treiben 
fönne, ot)ne bafe man in ?lllem ben t|o^en Slnforberungen ber 
neuen biplpmatifc^en SBiffenfdjaft ju genügen im Stanbc njäre. 

Sicfel fud^te aber feine ©tellung ju girfer rein realiftifrf) 
facfjtic^ JU finben. (£r ertpog alfo. nid)t fomol)t, ttja^ er ju 
beffen ^ringipien ju oufeern \)abe, er ging öielme^r gleic^ an 
bie Prüfung, ob bie Slnwenbung ber bort vorgetragenen fietir^ 
fä^e auf bie (Sinjelfäße Ottonift^er ©ipfome rid^tig unb not« 
n^enbig, ob man/ \m^ bem gorfdjer an fo öieten biefer Ur* 
funben auffoUig erfc^eint, in girfer^ Slrt erffären barf unb 
muß, ober ob anbere ^Betrachtungen unb ©rflörungeu fid) boc^ 
no(^ auö bem Urfunbenmatcrial, toenn man in erfter äici^e 
bie erhaltenen Originale tieranjie^t, felbft finben laffen. 

@r t)atte l)ier bei feiner Unterfudjung über bie ß^urer 
^riuilegien eben mieber bie (Srfa^rung gemad)t, meldje fitfieren 
JRefuttate er mit feiner äWet^obe be^ inbioibueHen ©c^riftüer«^ 
gleid)ö unb mit feinem ®runbfa§: 5Der ©toff mujs un§ bie 
3)?ertmate unb bamit bie 3Bege ber Äritif meifen, jeitigen 
fonnte. Gr blieb barum junäd^ft feft bei feiner Slrt ber ^or^ 
fc^ung unb machte ben SSerfuc^, ob er mit feinen fii^ern Wit^ 
teln nic^t auc^ ot)ne bie geiftooHen , aber öfteres I)^pot^etifc^en 
©rmägungen giderö in ber Söfung ber üon biefem unb i^m 
gteidjmäßig ertannten ©d)mierig!eiten an ben Ottonifc^en Ur* 
funben üormörtä fommen tonne. Unb er !am Dormärtö. ®r 
gemann mit bem tiefften (Sinblid in ben Sanäleigcbraud^ unb 
mit Srfenntniö beffen, fagen toir einmal, toaö in Dttoö beg 
(^rofeen fianjlei Siegel toar, bod^ aud) gleich ba§ SGßiffen, bafe 
^r viele Unregelmäfeigfeiten biefer ©iplome auS inbioibuetten 
geilem unb ©eloo^n^eiten ganj beflimmter Äanjleibeamten ju 



3uliu8 gicfcr. 93 

crfldrcn im ©tanbc tpcir. Unb wa^ ©idel in bcr ^infic^t 
bann in bem öeitrag: Äanjier unb SRcfognoi^jenten btö jum 
3a^re 953 (1879) ^attc erörtern bürfen, ba« gewann einen 
burc^fdjlagcnben ©rfolg in bem SBeitrag: Über S)otiernn8cn ber 
Dttoni|d)en ^rä^epte (1882),. ben toir fc^on ttjibcr^olt ermähnt 
l^aben. 9tun mürbe ber fc^ier unentmirrbare Änäuet ber Un^ 
ridjtigfeiten , ©unfel^eiten , SBiberfprüd)e in bcn SJatierungen 
ber Dttonifc^en S)iptome ciufflemidelt , ganj pofitit) ber irrcnbc 
©eamte, feine ©d^mfic^e in ^ronofogif^en fingen ober feine 
Siac^Idffigfeit im üied^nen aufgebedt nnb ia^ Süchtige ein ©teile 
beig galfd)en in bie ©atierung^äeile eingcfe^t. Unb injmifdjen 
^atte ©idel no^ eine anbere ?ßro6e auf bie ^^^^rföffifl^^it 
feiner aWet^obe gemacht. @r f)atte ^einrii^ üon ©^6el baffir 
gemonnen, im SBerein mit i^m mit ben SKitteln ber preufeif^en 
Slrc^it)t)ermaltung bie p^otograptjifdien galfimileö üon einigen 
^uttbert Urlauben ber Äönigc unb Äaifer t)on ^ippin bx^ 
TOojimitian I. mit erlöutembem Äommcntar l^eraui^jugeben. 
S)ie paffenben SIKitarbeiter, menigftenö für einige §auptperioben 
ber 3^'* ^on ^ippin biö Äarl IV. mürben gefunben. ©idel 
übernaf)m bie SJarofinger* unb föc^fifd^en Urfunben bid 1002, 
SBrefelau bie ber ©alier, ?ß^ilippi bie griebric^ö IL, Sinbncr 
bie Sarl§ IV. u. f. m. Seber biefer gorfd^er bearbeitete fein 
Urfunbengebiet felbftänbig, aber für ben öon ©idel aufge«= 
fteHten $Ian, ju erfennen, maö mit bem ?ßrinjip üom inbit)i= 
bueßen ©(^riftüergteid^ aU ?luögang^punft ber biplomatifdjen 
gorfc^ung ju erreichen fei. ©d^neÖ erfc^ienen feit 1880 bie 
einjelnen Urfunbengruppen in Slbbilbungen mit Sfommentar. 
Unb biefe ^ublHation beftätigte nun glänjenb, bafe bie öon 
©idel üorgejeidjnetc 3J?ett)obe für bie Urfunben ber ganjcn 
beutf^en Äaiferjeit ebenfo toie für bie ber Karolinger gültig 
unb burc^fd^Iagenb angemanbt merben fann unb, ber ©i^er^eit 
unb SSielfeitigfeit if)rer SRefuItate megen , angemanbt merben 
mufe. SJiefer SemeiiS fag nun für jeben, ber fe^en moHte, 
offen ba. 

SBir fönnen biefen Kaiferurfunben in Slbbilbungen j. 8. 
entnehmen, bafe biefe Urfunbe in einer ununterbroi^enen 



•94 ^^M Stap'Mtl 

^rbettiglciftung , bafe jene in mehreren ©tabien ausgefertigt ift, 
bafe eine anbere eine Sleuauöferttgung ift. SBir erfahren a\i^ 
i)cn Slbbilbungen bann au^ allerlei über bie ©c^reiber fetbft. 
©ie fommen, fo fe^en mir, auS öerfc^iebenen ©c^ulen; ber 
lernt bann in ber ßanjlei »eiter, jener fümmert fic^ nic^t um 
bie Äanjieitrabition. @in ©djreiber ift ein 5)eutfc^er, ein an*^ 
oberer ein Staliener; aber ber Staliener bient auc^ in ber 
ieutfc^en Äanjiei. ©in beutf^er ©djreiber mac^t ©djule. 
Irin ©(^reiber l^at inbiüibueHe ®ettJo^n^eiten. §ier tritt ein 
©d^reiber mit bem abgct)enben Stanjler ab, bort bient ein 
©c^reiber unter t)erfct)iebetten ffianälern »eiter. ®d gibt aud) 
gelegentliche ©c^reiber; man jie^t ^rioatfc^rciber ^eran ober 
man überlädt ben ©d)reibern ber (Smpfanger bie 9Ju§füt)rung. 
S)ie ©c^reiber fd^reiben bei 93eginn einer Sansleiperiobe ben 
IRamen beS neuen SanjferS fölfcö, fegen baö Sat)r ber Drbi* 
nation falfc^ an u. f. m. S)aö alfo unb nocö üielcS Slnbere 
^rjä^Ien bie gaffimileö felbft üon ben ©Treibern. Unb toie 
Don ben ©d^reibern erjagten fie e« im ©dE)riftt)ergIeif^ auc^ 
Don ben ^anjlern, oon il)rem etmaigen Slnteit an ben ®e* 
fc^äften, ob fie felbft eitoa^ gefd&riebcn, ob fie fonft ©influfe 
auf bie Sanjiei geübt ^aben u. a. Unb fo ge^t bie Se-- 
iel^rung auö ben Slbbilbungen ttjeiter. Über Originale, 9?ac^* 
Zeichnungen, Kopien unb gälfctiungen , über Äorretturen unb 
3eic^en, üerlöngerte ©c^rift unb SBoUjiel^ungSftriil}, über 9lu§* 
jtattung oon ^ßriöaturfunben u. f. tt). erfahren mir auö bem 
©c£)riftt)ergleid). Unb überhaupt ift bie gütte ber Sele^rung 
xiVi^ biefen Äaiferurtunbcn in Slbbilbungen eine fo reiche, 
iafe in feinem 3wfö"^i"<^"^Q^9^ ^öS SBer! auc^ eine Urfun* 
benle^re unb jmar tjon ben beutfd^en Sönigö* unb Saifer* 
urtunben ift unb jugleid^ bie benfbar anfc^aulic^fte, njeil fie Slßeö 
mit bem ©c^riftoergleic^ belegt, üRan mirb barum in ber 
Urfunbentoiffenfd^aft eö fidler aud^ nie oergeffen, bafe ©^bel 
biefeö SBerf ermöglicht t)at, unb man tnirb eS umfomeniger 
öergeffen, alö bei feiner befannten, fe^r referoierten Stellung 
iVL ber Bearbeitung ber 9fteid)«taggatten burd) SBeijffider unb 
ier Äaiferurfunben für bie Mon. Germ. Hist. burd^ ©irfel 



3ttliu« gicfer. 95 

itnb ber red^töl^iftorifc^en Urfimbenforfc^unfl gicferS biefe ^u* 
blifatton eö jeigt, tüic ttjeit ©^6et eigene Sietgungen, ja Sln^ 
fiäjtm im Sntereffe ber allgemeinen tüiffenf^aftlic^cn Seftre* 
bungen, für bie er feine SSermattung bienftbar ju mad^en fid^ 
cntfdjloffen l^atte, gurücfäuftellen im ©tanbe mar. gür ©idfel 
•ober unb feine 3J?itar6eiter beftimmte biefc neue Seftotigung ber 
^ültigfeit ber nun feit ben Acta Karolinorum unb bem ^ro* 
•gramm üon 1876 üorgejeictineten SRet^obe ber ©iptomatif i^rc 
©teUungna^me ju girfer^ Urfunbenle^re ganj Ilar. S)ie ©runb- 
lao^t ber biplomatifd&en Strbeit blieb aud^ tneiter bie nun geltenbe 
SRet^obe, i^re l^o^en ?tnforberungen an ben gorfc^er blieben 
®efe^, aber fie üerfc^Ioffen fid^ ben Seljren t>on gidterö eigen* 
<trtiger Unterfud^ung nid^t unb no^ ttjeniger feinen Slnregungen. 
Unb inbem fie »eiter i^ren SBeg ber, für it)re ®efe§e unb 
i^re ü)?et^obe, allein gangbaren ®pejiat3)ipIomatif gingen, er= 
fonnten fie bod) unbebingt bie ©erec^tigung öon gidEerö gor^ 
jd^ung in Q\d, Slrt unb in öielen Srgebniffen neben ber iljrigen 
<in. ©ie acceptierten fein grofeeg JRefuItat ber SJotmenbigfeit 
ber ertt)eitcrten UrfunbenbetradEjtung nad^ ber Seite i^reö äße» 
jenö unb i^rer (£ntftel)ung ^in. Sie begrüßten bie ^wftintmung, 
bafe er angefic^t^ feiner ©rgebniffe neue Aufgaben für bie 9te* 
geftenarbeit fteöte, unb fie folgten banfbar feinen 9ftatf(^Iägen 
unb ße^ren, tüie nun 9iegeften anzulegen finb. §ier mar 
fben ja aud| girfer überall rein pofitit) fd^öpferifc^. 2)aö 
ftanb nomli^ gidter felbft tüie allen Siplomatifern aU un=^ 
^tDeifel^aftcö ©rgebnig feiner gorfc^ungen nun feft, bafe für 
bie eingaben ber Urfunben bie üRögIid£|!eit ber Sesiel^ung 
ouf V)erfd£)iebene 3^^*^"^^*^ üor^anben ift. 3Kit biefer SKög^ 
li^feit, fo urteilte gidEer in üoßer Übereinftimmung mit 
©irfel tt?eiter, mu6 ber Stegeftenarbeiter fortan für baö Slegeft 
red^nen, unb feine Stufgabe ift eig, bie ©c^mierigteiten , bie 
fi^ baraug ergeben fönnen, fo au§ bem 3Bege ju räumen, baß 
ber njeitere öenuger fic^ nur noc^ in ben toenigften göüen 
bur^ jene^ SSer^ältnig get|inbert fü^It. 5)abei ift feftju^ 
Ratten, bafe bie 9ftegeften nidjt mit bem SWafeftab ber Äenntniffe 
bei^ öearbeiterö , fonbern mit bem be§ S5enu|er§ anjutegen 



96 Sficuntc» StapM. 

ftnb. Unb bann füt)rte gidEer in einer 9?eif)e toon SRatfc^Iägcn 
auig, n)ie ber Sftegeftenarbeiter bei Sejie^ung üon 3a^r, 2;ag, 
Ort, 3^W9^" "• f- ^- fl"f öerf^iebene 3^itpun!te mit ber ®in» 
rciliung ber Urfunbe in ha^ Stinerar jju üerfal^rcn {)Qbc. 
Sebe biefer Se^ren f)alt unbebingt üor ber Äriti! tt)ie bei ber 
Slnmenbung ftanb ; nnb biefe ?lntt)enbung mad^te gicfer bann 
aucf) glei^ in feinen SRegeften beg Äaifcrrei^ö öon 1198 biö 
1272 in muftergiltiger Surc^füfirung nnb mit überjeugenbem 
Seifpiel felbft. — S)ie S)ipIomatifer ^aben barin aber bann 
nur neuen Slnlafe gefunben, ^icfcr^ ,,93eiträge'' alö ^o^e ^ör- 
berung it)rer SBiffenfd^aft anjuerfennen. Unb gleic^ ben S)i^ 
ptomatüern urteilten nun and) bie §iftori!er unb fie toürbtgten 
nun aud^ ganj , toa^ gidEerö Urfunbenle^rc für bie tritifc^e 
®efd)id^tfd^rei6ung an SSert befi^e. 5)ie Urfunbenbenu^nng, 
and) für bie fpäteren 3af)rt)unberte ber Äaiferjeit, befam nun 
freie SBal^n unb gefidjerte (Srunblagen unb bie Oef^ic^tö*' 
forfcöung bie freie ©etüegung, n)el(^e einen 3J?oment gerabe burc^ 
bie auögejeid^netcn SRefuItate ber i^rer SRct^obe nad^ ju be* 
^utfamem ^ortf c^reiten , ©c^ritt für ©c^ritt, gejtüungenen S)i* 
plomati! gefcffelt ju tüerben fc^icn. . Unb n)ir get)en tüo^l 
nic^t fet)I, wenn tüir fogar jeneö t)on ©idfel mit t)on ©^bel 
inö Seben gerufene, für bie Slnerfennung ber ®üte ber neuge* 
fd^affenen Urfunbenmiffenfc^aft fo burd^f^Iagenb ujirfenbe 
Unternehmen ber „Staiferurfunben in Slbbilbungen" aud) auf 
bie SInregungen jurüdEfüt)ren , »el^e üon gicterS Urfunben« 
Iel)re ausgingen. 

9. 
Qu berfelben 3^^*/ i>ö gidfer in feinen üerfaffungö- unb 
red^tögef(f)id)tlic^en Urfunbenforfd^ungen , t)on ber Stincrarfrage 
au^ge^enb, ju jenen, für bie SJipIomatif fo einfdjneibenben Sie* 
fultaten über baö jcitlic^e SlJer^altniö ber ^injellieiten beS ©a(^* 
intialtö ber Urfunben unb ber eingaben ber S)atierungöieUe 
untereinanber gelangte, empfing bie 5)ipIomatif aud) üon 
anbercr ©eite l^er eine bebeutfame ^Jörberung burc^ Urfunben* 
ftubien, bie t)on biplomatifc^en ^orberungen über redjtS^iftorifc^e 



4>etnric^ 93ntttncr. 97 

Sclc^rung angeregt, mit bieten für bic SRcdjt^gefc^ti^tc gerabcju 
epoc^emoc^enben 9icfultoten au6) fotdje für bie ©iplomatif ^o^* 
bebcutfaute unb jnjar nac^ ber ©eitc t^rer ticffteit ©runblagen 
t|tn gewannen. ®8 finb §ctnrtc^ S5runneri^ Seiftungen für bie 
3)iplomatit bie tüir meinen, unb hit ju njürbigen toir nun bie 
Slufgabc l^aben. 

§einri^ SBrunner, a\i^ Dber^Dfterreid^, abfolmerte ben 
Äurfuig am öftenei^if^en Snftitut für ®ef(^id^t«forfd)ung 1861 
bii^ 1863. ®d toaren bog bie Saläre, in benen ©idel, toie tüir fa^en, 
feine ganje Sfraft ber SJiptomatif jujutoenben begann, in fc^ncHer 
golge feine erften ©eitröge jur S)ipIomati! erfc^einen liefe unb 
no^ ©rfenntni^ ber toSHigen Unäulänglid^feit ber in ber SBicber- 
gäbe bei^ Urfunbentn^attö meift unöoüftänbigen unb öftere 
falfd^en ÄaroIinger*SRegeften SSö^merS alg ®runbIogc biploma* 
tifd^er unb ^iftorifdjer ^Jorfd^ung ben ^lan faßte, biefe SRegeften: 
neu JU bearbeiten. Unb auc^ bie t)orbereitenben ©dritte ^ierju,. 
bie ©ammlung beö Urfunbenfd^ageg , teilg burd^ eigene W)^ 
fc^rift ber noc^ t)orl^anbenen Originale ober Kopien, teitö in ju* 
T)erlä|figer Slbfd^rift burd^ ?lnbere, bie ©i^tung ber Überlieferung 
unb bie gitiation ber ^anbfd^riften unb 5)rudEe, oUeö baig fflUt 
fc^on in biefe 3a^re. Unb toie ©idfet fid^ eben immer afe 
Seigrer gab, toie er impulfit) öon bem, teorin er lebte unb toebte, 
feinen ipörem Mitteilung madjte, fo tourben biefe, unter i^nen 
SBrunner, benn aud) aufö lebtiaftefte für biefe biplomatifd^en gragen 
intereffiert. ©cl|on nahmen aber ©idfelö SSorarbeiten für feine 
ÄaroIinger»9legefien anä) eine SBenbung auf ein Qk\ {)in, toeldöeig 
ben Suriften SBrunner für biefe biplomatifd^en ©tubien no^ be« 
fonberö mit Sufmerlfamleit erfüllte. ©idEel mufete e^ fc^nell 
erfennen, toie fc^teer bod^ im SlUgemeinen baö 9iegeft einer älteren 
Äarolingerurlunbe ^er^ufteHen toar. 3^r 3nt)alt ift weniger 
l)iftorifc^er ate meift redjtlid^er 3lrt, unb biefen SRed^tgin^alt fo 
fd^arf JU erfennen, bafe er i^n in furjem SRegeft !orreft lieber* 
geben fonnte, bafür tiefe bag biö^erige SBiffen ber SRecötiS^iftorie 
i^n boc^ öfters ganj im ©tid^. greitid), fo ertoog ©idtel tDeiter, 
liegt bie ©c^ulb baran ja eigentlid^ nid^t am 9ftec^ti^^iftprifer 
allein, ber S)ipIomati!er felbft ^at ©(^ulb; ber f)at jenem nod^ 

mt>riW »ibliot^et. »b. lY. 7 



98 ; S^cutttc« ^apxitl 

ju njcnig vorgearbeitet, afö bafe er fc^on immer ju einem fieberen 
9icfultat gelangen !ann. 2)tefe biptomatifd^e Vorarbeit unter« 
na^m ©idel bann feI6ft, unb barum toerfud^te er benn anä) 
gleich felbftänbig jnr Söfung red^t^tiiftorifd^cr fragen t)or* 
anbringen. S)abei freiließ mufete er bann bod) and) h)ieber biig* 
tt?cifen t)or einem Non liquet ftet)en bleiben, liefen gangen 
©a^t)erl|alt über ben gortgang feiner gorfd^ungen legte ©idtel 
banad^ in feiner Slb^anblung bar: bie 3Runbbricfe, Smmuni* 
täten unb ^Privilegien ber erften Karolinger big jum Sa^rc 840 
(1864). 

5)ie SRunbbriefe, fo fül^rte ©idtel ba unter Stnberm an^, 
l^aben eine ©^lufeformel, bie befagt, bafe bem ©d^u^Iing ge^ 
ftattet toirb, feine Sied^t^fa^en vor ben Äönig ju bringen. 2)ie 
aSed^tö^iftorifer ^aben oon biefer gormel, fo fu^r ©idet fort, 
fo gut toie feine 9?oti} genommen, unb SBai^ fpti^t jur (£r* 
läuterung t)on „getoiffen SSorjügen im gertc^tlit^en SSerpItniö", 
unb 3fiot^ bat)on, bafe „3ie^töfa^en erforberlid^en gallo" vor 
bem Äönigegeri^t üertianbelt »erben lonnen. 5)ag lel^rt unS 
aber boc^, fo meinte ©idfel toeiter unb mit üoQem [Red^t, gar 
nid^tS barüber, toorin benn hiermit ein SSorjug üor analogen 
aSer^dltmffen lag, toie fie bod^ bei ©ekelte beö im ©aubing 
gefunbenen Urteifö eintreten fonnten. Unb barum berfud^te 
©idfel felbft jur ©rfcnntniö biefer SBorrcc^te t)on ©eiten feiner 
juriftifd^cn SKerfmale ju fommen. Sfber er brang ju einer 
Karen SSorftetlung nid^t burc^, toie er fagte, unb er brang beig* 
l^atb nic^t burd), toeil er ben SHed^tö^iftorifern nod^ bie fatfc^e 
Stuftet entnel^men mufete, bafe ba« SSerfafiren im KftnigSgeric^t 
ftd^ ni^t t)on bem im ©aubing unterfd^ieb, unb toeil er über 
bai^ Jus inquisitionis, mit bem jeneiJ in ben 9Wunbbricfen üer« 
Helene Jus reclamationis ad regis definitivam sententiam, 
toie er erlannte, jufommentiing , bei ben SÜed^tS^iftorifern nid^t 
bie befriebigenbc Slufflärung gefunben fiatte. 

Sn biefcn beiben ?ßunften fe^te nun, oon ©tdel angeregt, 
örunner mit einer juriftifc^en Untcrfu^ung ein, bie ebenfo 
toie bie Anregung, fo aud^ bie 323ege oon ^id^i übttnoifym, in« 
bem fie n&mlid^ an bie t)on ber 2)ipIomatt{ geleiftete Vorarbeit 



^cinric^ örunner. gcf 

on!nflpftc unb mit t)oIIfter ©d)ärfe mä) ben ©a^ ©tcfel« auf* 
na^nt, bafe bte Urfunben neben ben Äapitulartcn unb gormcin, 
nid)t bic Kapitularien unb gormein allein bie Sintttjort geben 
müßten. Unb inbem SBrunner bann fo in umfaffenbfter SBeife 
für feine gorfd^ung bie Urfunben tieranjog, fi^uf er feine ?lb* 
l^anblung: Qm^tn unb Snquifitionöbettjei^ im bcutfd^en ®e* 
rid^t^öerfa^ren larolingif^er Qdt (1865), eine Slb^anblung, bic 
für ben ®ang ber red^tiS^iftorifdjen gorfd^ung in SBegen unb 
SÄittetn eine Umtüäljung anbatinte, aber aud^ ©ebeutfameS 
für bie SJiplomatil leiftete. ©runner fanb aU SrHarung für 
bai^ Jus inquisitionis biefe, bafe beftimmte ^erfonen unb ?ln* 
ftalten bag SRec^t befafeen, in i^ren ^ßrojeffen öorfornmenben 
gall^ auf i^r SBerlangen bai^ inquifitorifi^e 83emei^bcrfa^ren ju 
tjeranlaffen , b. I|. bie SInttjenbunfl eine^ grogcöerfaliren^ in 
^it)ilfa(^en t)on ©eiten be^ SRidöteri^ tjerbeijufü^ren , bur^ 
toel^eö für Seurteilung eineiS ©treitfallS burc^ bie Sluigfagen 
t)on Q^n^^n, bie bei ffönigöbann gejnjungen unb mit promiffo* 
Tifc^em @ibe üerpflid^tet tourben, ein ©ubftrat gefunben toerben 
fonnte, toeti^ei^ gegenüber bem mit ben SKittetn be^^ orbentlid^en 
SSerfa^ren^ im ®aubing ju fdjaffenben ©ubftrat fid^ ate SReuei^ 
ergeben foHte. Unb fol^ ein ©ubftrat mar nötig, mo ftd^ ba* 
Königtum bie definitiva sententia für baiS König^gerid^t bor- 
6et|alten l^atte, fei ei^ baß biei^ unmittelbar, fei eig baß bieg 
mittelbor burd^ aSerlei^ung beg9JeHamationiSred^t8 auiggefpro^en 
toar. S)enn nidjt auf bie Urteifef^elte im gemeinen JRe^tiS« 
flang, fonbern auf ©ufpenbirung ber im ®augerid^t begonnenen 
aSer^anblung unb i^re SSeenbigung im ffiönigögerii^t lautete ba§ 
9le!tamationSre(^t, unb barin liegt bai^ juriftifc^e äKerfmal be^ 
bem ©d^ü^Iing in bem äKunbbriefe mit ber SReflamationöformel 
t)erfie^enen Sorrec^tig. 

S)iefe Änttoorten getoann alfo SBrunner ben Urfunben ab; 
juglei^ aber entnahm er ben Urfunben eine erftaunlid^e gülle 
toeiterer re^töljiftorifd^er Srfenntnii^. ®r entnal^m ben Urfunben 
ben SRac^toeiS üon bem freieren ©etoeii^uerfa^ren im Könige* 
flerid^t gegenüber bem im ©aubing. @r cntioidfette na^ ben 
Urfunben bie gorm ber SnquifitionSmanbate unb i^re jtoci 

7* 



100 9?euntc8 Äapitel. 

?lrtcn. ®r cnttoidcltc ferner, burd^ btc Urfunben belehrt, bie 
@ntftel)un8 ber 3nqutfttton§prit)iteflien an^ ben Snquifttionä»^ 
meinbaten, unb er jeigte fo alö ba§ ®ebtet be§ Snquifttion^*^ 
betoeife^J bog ©emeinbejeugnt« unb lennäeid^nete ben 3nquifition§- 
betoetig ate einen befonberen SBewei^ gegenüber ben SBeiucfe^ 
mitteln be^ germantfc^en ©erid^töüerfa^ren^. Unb er getoaitn. 
ben Urtuttben an6) bie Unterfc^iebe jtoif^en ber langobcirbifd^en; 
3eugenbannung unb bem tarolingifd^en Q^vi%tnitoatiQ beim 3n* 
quifitionöbetoeiS ab. S)ie ©teßung bor Missi jobann über bem 
orbentlid^en SRic^ter, um ha^ Jus aequum gegenüber bem Jus 
strictum jur ®ettung ju bringen, bie missi im ©efig ber 
aOgemeinen SnquifitonSDoQmad^t, unb bie missi al§ Präger ber 
löntglidjen ^anblung beg SnquifitionSöerfo^renS fiberall ^in: 
auc^ aHeg biefe^ getoann örunner auö bem Urlunbenftubium. Unb 
er erfidrte t)on ben Urfunben auö bunfle ©tcQen in ben ^api^ 
tutarien, unb er fanb mit §ilfe ber Urfunben ben juriftifctien 
Äem mand^er Kapitularien gerabe in ben Slbfc^nitten ermahnen* 
ben Sn^alt«. Unb nid^t genug biefer SRefuItate für bie Sled^t^^^ 
gef^ic^te überhaupt, nein, ©runnerö Unterfud^ung bxadjte ixt 
3nfammenfaffung älterer Söeobad^tungen unb eigener neuer ®e* 
ftc^töpunfte aud^ ©rgebniffe für bie SRed^tSgefc^id^te ber Urlunbe 
fclbft. S)ie gefd^riebene Urfunbe afe neueö SBetüeii^mittel in 
fränßfd^er Qeit, itire ©eltung im ©erid^t^öerfatiren unb ber 
Unterfd^ieb ber Äönig^urfunbe unb 5ßrit)aturfunbe in ber 95e* 
jiet)ung, bie re^tlic^e Söebeutung ber Sönigi^urfunbe bei ber int 
ÄönigSgeri^t T)orgenommenen commendatio unb bei Über^ 
tragung t)on Äönigi^gut, i^reSRoIIe im gii^falprojefe: auc^ aüe^ 
biefeö tourbe in biefer ?lbt)anblung über ,,3fugen unb Snqui^ 
fitionöberoeiö" fdjarf beleuchtet. 

9?un aber faffen toir einmal alleg bieö au(^ anberö nocfy 
ins Äuge. S)ie Anregung ju biefer gorf^ung Don ©eiten ber 
S)iplomatif; il)re SRefuttate über bie ©d^t^eit biefer ober bie 
3ut)erläffigfeit beö erjo^lenben 2i{)eite einer anberen, offenbar 
uned)ten Urfunbe bie ©runblage; i^r SBeg ber forgfättigften 
^cjtüerglei^ung aller einjelnen Urfunbenformeln aud^ ^ier be^ 
fd^ritten; Urfunbenmerfmale, loelc^e bie 2)iplomatif für il)re 



4>cmrid) lB?ujMtft. , : f ',- :\ :'»]: /V-. 101 

5trittf, Urfunbenin^alt, toelc^en ftc für i^re SRegeflenarbeit brin- 
flcnb flebraud^tc, l^ter en blieb crttärt; bie ®infi^t in ba«SBefen 
ber Urfunbe in ^iftorifd^er unb rcd^ttid^cr ©ebeutunfl in bicfer 
Untcrfuc^ung öcrticft: bie bebeutfame görbcrung ber S^iptomatif 
bur^ bicfe Arbeit ©runner« jeigt fid^ überaß. Unb fo flefd^al^ 
eö a\x6i tt)citer burcö eine SRei^e anberer rec^ti^^iftorifci^er Arbeit 
IBrunnerS unb bag nod^ in Derftärttem SWafee. 

3Wan ttjeife, tüet^en l^o^en Sol)n biefe f^arffinnige Unter= 
fu^ung über ben „3^^9^"* ^^^ SnquifitionöbemeiÄ" i^rent SSer^ 
faffer fofort einbrad^te, afe er beim Äbfd^Iufe ber ?lrbeit ju feiner 
eigenen freubigften Überrafd^ung auf bie (Sntberfung fam, bofe 
biefer 3nqui[itionSbetüeiö im ®eric^t§t)erfci^ren ber Jtarolinger in 
ber Enqueste be^ Grand Coustumier ber 9?ormanbie toeiter 
fortgelebt t)Qt, unb al§ er fi^ bann fagen burfte, bafe er ben 
t)on ber SRe^tögefd^id^te no^ immer nid^t entbedtten Urfprung 
ber ©ditüurgertd^te gefunben ^abe. 3Ran lennt aud^, bafe ©runner 
biefe ©ntbedtung verfolgte unb i^r abf^tiefeenb bie ?lnerfennung 
ber SBiffenfc^aft bur^ fein Su^: Die @ntftet)ung ber ©d^wup 
fleric^te (1872) öerfc^affte. Unb ei^ ift njeiter befonnt, bafe biefe 
fpodiemac^enbe Sntbedfung t)on ber uniüerfalgefc^i^tlic^en Se* 
beutung bed Snquifition^beineifejg bie einfi^neibenbftc SBirfung 
üuf ben ®ang ber allgemeinen redjtö^iftorifd^en gorf^ung f|otte. 
Die Snglänbcr mufeten gegenüber biefem SRo^mei« t)om Qu^ 
jammeut)ang be« fränftfc^en, normannifc^en unb anglonorman» 
nifd^en SRed^t« bie fo gern gepflegte Slnnatime üon ber Urfprüng* 
lic^Ieit aÜer englif^en SRec^t^inftitutionen faöen laffen. S)ie 
granjofen mußten e^ aufgeben, an bem normannifd^en SRe^t 
<ite einem. fremben mit SRi^tadljtung üorbeijugelien. Unb bie 
beutfi^en SJe^t^^iftorifer lernten, baö altfranjöfifd&e unb nor^^ 
mannifc^e unb anglonormannifc^e Sted^t jum ©erftänbnti^ bed 
fränfift^en SRe^tö unb tt?eiter ber germanifd^en Sterte überl^aupt 
^eran^ujie^en. Unter ben beutfd^en 3uriften aber toar ei^ toieber 
©runner felbft, ber biefe t)on i^m entbedtten SBege ber rec^t«- 
^iftorifc^cn ^orfc^ung mit ber größten Energie unb ben größten 
Erfolgen befd^ritt. Unb bie ©rgebniffe biefer gorf^ung »ie t^re 
?Irt tourben lieber eine ©erei^erung beig SBiffeni^ ber 35ipIo* 



102/. : • .•: •-:• :'::': ': i »Vi«nie» »oSfM. 

mattf in ©njet^eiten unb eine SSerttefung t^rcr (Srunblagcn^ 
jugleid^ aber eine neue t^efttgitng t^rer äRetl^obe unb tl)re^ 
8lnfcl)eng. 

Wt bicfc ?lrbettcn ©runner^^) toarcn nämlid^ and) in erftcr 
9teil|e auf met^obifd^er Urfunbenforfd^ung aufgebaut. Smmer n)ie» 
ber erfannte er bie Urfunben afe bie ergiebigsten unb oft einjigen 
Sled^tigquellen, ob er fid) germanifd^en ober romanif^en SRec^tö* 
gebieten jutoanbte. Unb immer toieber fud^te feine tjorfc^ung 
i^ren ©tü^punft in ber frdnfif^en Urfunbe ate ber Urfunbe 
bei^ 9iec^td, bem ha^ normannifd^e unb anglonormannif^e, ia^ 
altfranjöfifd^e unb beutfc^e 9iec^t afe 3;oc^terre^te entflammten^ 
unb n^eld^eS feinen @inf(ug \a auc^ auf bad langobarbifi^e 9ied^t 
unb auf bie 9ied)te ber übrigen im frdnlif^en SReid^e oereinigten 
gcrmonif^en ©tämme ausgeübt ^atte. 

Stun l^atte bie ^5nig$ur!unbe ber Karolinger fd^on burd^ 
©idel eine flaffifd^e biplomatifd^e öel^anbtung erfahren, unb c^ 
.toar bamit juglei^ au^ für bie merotoingif^e Jlönig^urfunbe 
unb für bie meron^ingifd^e unb farolingifd^e frSnlifdje $rit)at^ 
urtunbe mand^crlei an biplomatifc^er ©rfenntni^ gef^affen. 
Aber bie cigentli^c bi^jlomatifc^c JBe^anbtung ber frflnlifd^en 
^ribaturfunbe fel)ltc nod^. Unb e8 ftanb mit i^rer red^tö» 
gefd^i^tlid^en SSern^ertung afe 9fled^tSqueIIe nid^t anberiS. ^a 
mar eben auc^ nod^ fo gut mie ^QeS ju (eiften. 97od^ fehlte 
alfo, fomeit ni^t Srunner in feiner Unterfuc^ung über ben 
Snquifitioni^betoeig f^on einiges Sic^t ouc^ nac^ biefer Seite 
^in verbreitet ^atte, für bie fränüfd^e ^rioaturfunbe ber ®in* 
MidE in il^rc §erfunft, i^re SBebeutung, i^re prioatrec^tlic^c SSer* 
toenbung, i^ren projeffnolifd^en SBert unb i^re 83el^anblung im 



») S)q8 «Berf: 3)tc ©niftel^uitg ber ©c^wurfleriditc , öerlin 1872 
X^eobor @idcl getoibmct, ertoäl^nte i(^ ]ä)on oben. — 3)ic tociteren Sc* 
merfungcn im 3:cj;te bcrul^cn auf folgcnben Slb^nnblungcn SrunncrS: 
^?Bort unb gorm im oltfronaöftWen ^roicfe." (©itung«6erid)tc ber 
tBicncr Slfobcmie 1867, ob. 57, 655 ff.); bo« ©crit^tgaeugni« unb bie 
fr&nfifc^e ÄönigSurfunbe. (gcftgobcn für ^offter 1873 @. 133 ff.) — »ei* 
träge jur ®efd)id)te unb S)ogmQtif ber SBert^jo^jiere. (Settfc^rift für bo* 
gefomte ^onbetSredjt XXII. 1 ff. 59 ff.; 1877). — Oarta unb Notitia 
(»cftgabcn für aJJommfen 1877 @. 570 ff.). - 



^cinricft örunncr. 103 

Oert^töücrfa^rcn. Unb cbenfo mangelte ito^ bie Äenntnte 
öon ber äußeren ©ntfte^unfl ber 5ßrtt)aturfunben , t)on t^ren 
Slrtcn, t^ren formellen SKerfmalen, bie ©nfic^t in bie etnjetnen 
SRomcntc ber fd^riftlid^en Seurfunbung unb bojg SBiffen üon ben 
formellen ©rforberniffen für bie ®filtig!eit ber ^ritoaturfunbe. 
Unb JBrunner griff nun mit feinen Urfunbenforfi^ungen nac^ 
betben ©eiten unb lieber I)öd^ft erfolgrei^ ein. 

2)ie Urtunbe, fo le^rt 93runner, toar belannttii^ bem alten 
beutfd^en 9iecl|tögange oottftonbig fremb. 3n ber fränüfd^en 
3eit lam mit ben ^Reformen im Sied^tögang aud^ bie gefc^rie^ 
bene Urfunbe als ein neucö SetoetSmittel auf, unb jtoar fo* 
tt)O^I bie, loeld^e über rec^tlid^e Slfte im ÄöntgS* ober aSoßj^* 
geriefte ofö bie, loeld^e über außergerichtliche 9ieci^t§gefc^äfte aU 
3eugni« aufgenommen tonrbe. 

S)ie Urfunbe über red^tlid^c Slfte im SSoIfögeric^t lonnte 
nun nadö falifc^em SRec^t Don irgenb einem be§ ©c^reibenS 
Äunbigen ausgefertigt »erben, nad^ ribuarif^em SRei^t mußte 
ber ©Treiber im ®eric£)te antoefenb, mußte rei^töfunbig fein, 
unb er voax für bie formelle SRic^tigfeit tote für bte SRit^tigfeit 
be« SntialtS ber Urfnnbe t)eranttt)ortIic^. S)er (Seri^ti^fd^reiber 
be« ribuarifc^en SRec^tS tpar fomit ein organif^eö ®Iieb be$ 
®eri^tg, ber be§ falifd^en SRe^teö ni^t. Unb biefer Unter* 
f^ieb fatifc^en nnb ribuarifc^en ©ebrauc^ö jeigt fi(^ aud^ ^in* 
ftc^tli^ ber Urfunben über rec^tlic^e ?Hte im fränfifd^en 
ÄönigSgerid^t, alfo fiinfid^tlic^ ber ^lacita ber SWerotoinger 
unb Karolinger. 

Urfprünglicf) fal) ia^ fränlifc^e Äönigögerid^t bie äuöfer* 
ttgung beig 5ßlacitum§ ebenfalls noc^ leineöioeg« afö feine 
©aclie an. SSiefmel^r beri^tete in merotoingif^er 3^'* ^^^ 
?ßfal}graf bem föniglid^en SReferenbar unb biefer ließ burd^ bie 
Äanjtei ba& ^facitum ausfertigen, toeld^eS er refognoSsierte 
unb unterfiegelte. 

Die Karolinger aber fat)en, loie fie eS t)on i^rem ®e* 
burtSrec^t t|er lannten, bie SluSfertigung ber Urfunben über 
2Hte beS föniglicfien ®eric^tS üon^ üorn^erein aud^ aU Singe* 
tegen^eit beS Äönigögerid^tö felber an. Unb eö lourbe nun 



104 iÄcunt«« Stapiitl 

ba^ ^tacitum burc^ einen ©erid^t^f^reiber ausgefertigt, loel^er 
bem ^ßfaljgrafcn unterfteüt toav, unb ber ^ßfaljgraf unterfte^ 
gelte boö ^ßlacitum mit bem föniglid^en Siegel, toetc^eg er 
führte. ©0 in i^rer formalen 5ßroöenienj oerfd^ieben finb 
bie ^{acita ber 3Kerott)inger unb Äarolinger bod^ atö öetoetg* 
mittel t)or @eric^t ganj gleiti^mertig t)on Anbeginn an unb 
fte^en barin ben Urfunben über rec^tlt^e Slfte im SBolfgge* 
ric^t genau fo gegenüber toie bie ÄönigSurfunbe ber ^ßriüat* 
urfunbc überhaupt. S)ie ÄönigSurfunbe unter fönigfid^cm 
SZamen unb mit bem föniglic^en ©ieget auögeftettt, toaS, toie 
bie 2)ipIomati{ le^rt, einer perfönüd^ vorgenommenen SBeglau- 
tigung gleid) geachtet lourbe, tüar unanfed^tbar. Unb bie 
föniglid^e ©erid^tSutfunbe; gleid^faUd mit bem {önigUd^en ©iegel 
öerfel^en, unter ben üRerottjingern mit bem Äanjierfiegel, unter 
ben Karolingern, toie toir oon ben S)iplomatifern erfahren, 
mit bem ©iegel, meld^eö ber ^ßfaljgraf führte, ift ebenfaHS ber 
©ekelte ni^t ausgefegt. Sebe ßönig§ur!unbe ift eben wa^re 
öeroeiöurfunbe. 

S)ie $ßrioaturfunbe aber ift fd^eübar, unb ebenfo aud^ bie 
einfache ®erid^tdur{unbe , bie überhaupt bei ben ^raufen unb 
anbern beutfc^en ©tdmmen in ben SRa^men ber ^ßrioat*' 
urfunben ()ineinge^ört. 

Unb tt)irb fie angefochten, fo tritt nic^t ettoa ein SeteeiS* 
Verfahren über bie formelle S^tl^eit ber Urlunbe ein, fonbem 
^ toirb bag beurlunbete 3iec^t3gefd^äft ©egcnftanb cincö fBt^ 
toeisoerfa^renö, toel^eS im SBefentlid^en mit ben formalen unb 
tooltere^tlic^en ©etoeiSmitteln burc^gefü^rt loirb. Der öetoeiig 
mufe im SSegc bei^ orbentlic^en QenQ^nbtmi^ei erbracht toerben. 
Der SuquifitionSbetoeiö für ®r^ärtung ber angefochtenen Ur* 
funbe tritt nur unter ben SSorauöfeßungen an ©teile be« 
t)oltere^tli^en 3^wgent)erfal)reni?, unter benen er überhaupt ju* 
gelaffen toirb, b. ^. loo alfo eine gartet 3nquifttionörec^t be* 
fi|t unb eö geltcnb mac^t, ober wo ber mit Snquifitioni^geioalt 
betraute SHic^ter bie Slntoenbung ber Snquifition für ange* 
meffen f|ält. Unb ©c^riftüergleid^ung tritt nur aU ganj 
fubftbiäreg Slu^funftmtttel ein , um einen Settjeiö über bie 



©einrieb ©rutiticr. lOö 

tffia^r^ett [ber Urfunbe ju ergöiiien, bte^^inter ben gefe^Ud^eit 
erforbcmiffcn jurücfßfeibt , toeil il^rc ©r^fluitfl unmöflltc^ 
flctoorben , fo j. ©. im ribuarifd^en fRcc^t, wenn bcr can- 
ijellarius, bcr bic Urtunbe flcfd^rtcßcn , injttJifc^cn flcftorbcn 
ift. Unb tocil ber Sniialt bcr ^rtöaturtnnbe , bic wo^l ju 
S3ctt)ei«ätt)cdcn aufgefegt ift, nid^t aber aU ein fctbftdnbtgc^ 
JBcnjci^mittcI gilt, im allgemeinen burd^ ben 3^Mgcn6etoeiS be^ 
orbentti^en SRc^tögangeg gegen änfcdötung ju öcrteibigen toüx, 
barum beburftc fie bie S^wfl^ttw^wttung, bic »ir bei i^r immer 
finben. 5)ie SfönigSurfunbe aber, bic nac^ ben Sc^ren ber 
3)iptomattf fd^on t)on ben SRcrowingerjciten an bi^ tjinunter in« 
jroölfte 3at)r]^unbert 3fwgcnaufffit)rung nic^t fennt, bebarf eben 
ber Stn%m nic^t, meif fie für fid^ allein bollgältigei^ Sctoei«* 
mittel ift. 

Die S^wflC" i" ^^^ 5ßriüaturfunbe finb immer Qtn^en ber 
beur!unbeten §anblung, nic^t bcr öcurlunbung. S)enn bie 
fränfifd^e Urfunbe ift i^rem rec^tliclien ß^arafter nac^ ein 
3cugniö fiber eine red^tli^e ^anblung, weld^e burc^ mfinblic^e 
Srlldrungcn \>ox ftc^ gc^t. Unb biefc ßc^re öon ben Stn^m 
gilt für beibe Arten t)on ?ßriüaturlunben , welche bie fränfifc^e 
unb langobarbif^e Siedet«* unb Urfunbenfpracöe fennt, für bie 
carta fotoo^t ate für bie notitia. 

S)ie carta mar bie bigpofitiüe Urfunbe, b. f). fotoo^l ein 
SBcmeii^mittcI für ba« üoQjogene SRc^tSgefd^äft n)ie ein @nt* 
ftet|ungömitte( beö SRedötögefi^äfteö. 

Siber bie $ßcrfe!tion beS JRe^tSgefc^äftS burd^ bie carta 
toax nic^t ein ©fripturaft, fonbern ein ©egcbungöaft ; nitfjt bag 
©^reiben, baS Stuöftcllcn bcr carta, fonbern ba§ tradere, 
dare cartam, bie re^tSförmli^e Urfunbenbegebung t)on ©citen 
bcö SluÄftcIIcrö an ben S)eftinatar n)ar priüatred^tlid^ baö auiS^ 
fc^Iaggebenbe SWoment für ben Slbi^Iufe beS 9icd^t§ge)c^äft§. 
S)aö altere beutfc^e SRed^t ftellte bie Urfunbe, atö eö fie fenneu 
lernte, in bie SRcil^c bcr SSertraggf^mboIc, fie empfing aber aud^ 
•eben, toie bie festuca fetbft, mit ber gunftion be§ ©^mbofe 
iugteid^ aud^ bie gunftion beS SBcroci^mittete. ©o finben njir 
i. SB. bei ber gerid^tlic^en ?lufIoffung bie rcc^töförmlid^c 



106 92eunte$ ^xUl 

Se{je6unfl ber SBerÄufecrung^urtunbc afö f^mbolifcftc Snöcftitur. 
Unb bcr SSorgang, loic bic carta ba ?ßcrfc!ttottiSmtttcI bei^ 
JRec^Wflefc^äftcg unb juflictcft S^WÖ"^'^ "1^^^ ^M^^ tt)trb, nö^m 
im allgcineinen fibcrl^aupt folgcnbcn Serlauf, tpcnn totr eine 
Übereignung öon ©runbeigentum unö ofe Seifpiel tpd^ten. 

3)ie aSertragSparteien geben bei ber Stuflaffunggl^anblunft 
münblid^e ©röärung ab, toelc^e bie SSeräufeerungöurfunbc mit 
größerer ober geringerer Su^fül^rlic^feit in ftdft aufnimmt. 
S)iefe ©rfWrungen finb formeller SRatur unb gebrauchen \)ex^ 
gebraute Muöbrüde. ®er ©erföufcr ücrfpric^t eine SSeräufeerung^ 
urfunbe trabieren ju wollen, ^ebt ein mit S^intenfafe unb ben 
2;rabition«|^mboten ©tob unb SKeffer, 2;orf unb 3^«ft 
befd^toerte« Pergament oon ber @rbc auf unb rei^t biefe^ famt 
ben ©Embolen bem Smpfänger bar, toobei er ben antoefenben 
SRotar aufforbert, bic Urfunbe ju fd^reiben. S)anac^ toerben 
bie antoefenben Stuitn jur ^anbfeftung aufgerufen, teobei 
nic^t gerabe ©njeic^nung i^rer ^anbjeic^en ober gar Unter*^ 
f^rift il^re^ Kamenö, too^I aber SBerü^rung be« ^ßergament^ 
burc^ ^anbauftegung oerlangt ipurbe. Unb bann f^rieb unb 
ooUjog ber 9?otar bie Urfunbe, ba^ Schreiben freilid^ in 
juriftif^em @inne genommen, eö tonnte bie Urfunbe bi^ auf 
bie aSoUjiel^ung fd^on t)or^er fertig gefteßt fein. — 3Wan erfennt 
alfo, bafe tote mit ber aSoIIjiet)ung ber carta bie Urfunbe im 
Sle^tgfinne fertig mar, fo mit ber traditio cartae bie red^t* 
lic^e ©ültigfeit ber SSeräufeerung gefc^affen toar. Unb biefe 
Sebcutung ber traditio cartae für ben Slbfd^Iufe be^ Siec^ti^ 
gefc^dftig toirb nod^ meiter barauiS erfic^ttic^, baß man nid^t 
feiten eine bauernbe SSerbinbung ber festuca mit ber Urfunbe 
^erfteUte, inbem bie festuca an bie Urfunbe angelangt ober 
angeheftet lourbe, ober inbem man bie Urfunbe, n)ie ba« mit* 
unter bei ber festuca üorfam, einanber juloarf. Uub toie für 
baö JBeräufeerungögefd^äft trat biefer ©ebrauc^ be« Slbfd^Iuffe« 
t)on SRcc^ti^gef^aften burd^ Urfunbenbegebung in ffonfurrenj 
mit ben alt^ergebrad^ten t)oIf«red^tIic^en SBertrag«formen für bic 
oerfc^iebenften 9ftec^tggefc^äftc in au^gebetittter Slnnjcnbung ein. 
gür ben gatt j. 93. bafe ein Saie ein SRußungi^* ober fiei^crec^t 



^cinrl^ SSrutincr. 107 

an fiirc^engütern crtocrben toiH, wirb nac^ bcr Lex Ala- 
mannoruin Dlothariana bic carta mit Slbfc^Iufe jcbeS an* 
bcren Srtocrb^ntobu^ nottocnbtgei^. ©rforbcrniö bcig SScrtragcö. 
SBenn aber bic traditio cartae fo ein toefcntlic^cÄ ®Iicb in 
bcr bag SRedit^gcfd^äft giltig ntoc^enbcn ^anblung toar, fo finb 
bic Saugen, todd^c unmittelbar nac^ bcr traditio jur roboratio, 
manufirmatio , jur §anbfeftung ^crangejogen merbcn, 3^i^9^^ 
bcr ^anblung, nid^t foldjc bcr ^eurfunbung. 3^^<S"i^ ^^^ 
Sßeurfunbung mirb bic carta burd^ bie ©olljie^ung beig SRotar!^, 
toobei ja frcilid^, tocil biefc erft nad^ bcr Übergabe bcr untooQ* 
5ogenen carta unb nad^ bcr §anbfcftung gefdial^, aud^ glcic^ 
bic §anbfcftung unb bic Übergabe bcr carta unb fomit bit 
f^mbolifd^e Snöcftitur unb bamit bic 5ßerfcftion bcg SRcc^tig* 
gcfd^äftcd bejeugt, nlc^t aber umgefe^rt burd^ bic ^anbauf*» 
legung bcr testes auf baö untooHjogcnc ©d^riftftücf bie 
SSoUjicfjung, b. i). bic Seurfunbung bejeugt unb beriefen toirb. 

Unb bamit ftimmt SlUcö übercin, toaS toir über bie Slrt 
bcr ?lnfed^tung unb über baö Setoeigücrfa^ren , ba^ ©ctDciä* 
tl^cma unb ben 2;cnor bcig Q^n^meib^S bei Sr^ärtung ber 
carta erfahren. 6S gilt immer bem 3n^alt ber mit bcr carta 
bcjcugten §anblung. ©aöfclbe gilt erft red^t öon ber notitia. 
SlIS fd|lic^tc SBctociöurfunbc unb nur ju SSctociÄätocdfen auf* 
gefegt, fei ei^ alö ein 3c"fl"i^ "^^^ gcrid^tlid^c §anblungen, 
fei es; aud^ über fold^c au^crgcrid^tlic^c ^anblungcn, toelc^e 
nic^t burd^ ^Begebung einer carta abgcfd^Ioffen tonrben unb 
bcnnod^ bic SBcurfunbung afö toünfc^cnigtocrt erfd^einen liefecn, 
öerjeidönct [ie bic 3^"9^" ^^^^ ^^^ ""^ öIö praesentes bei 
bcr ^anblung. — ©o fte^t t^ alfo ^infid^tlidi ber 3^"9C^ *« 
ben fränfifcftcn ^ßriüaturf unben , tt)ic t^, natf) ben gorfc^ungen 
ber S)i^)Iomatif , für bie nad^fränlifd^en beutfdE)en ^riüaturlun* 
ben ber gaU ift. 

Unb baig lonntc aud^ nid|t anber« fein, benn bie fränfifd^e 
ift bie ©runblagc ber beutfd^en ^ßriöaturlunbc getoefen. 

greilid^ mufe man ba gleid^ anmerfen , bafe bie "ißriöat* 
. urfunbc ber bcutfd^en Äaiferjeit fid^ nid^t fotool}! an^ ber 
carta, afö toielmc^r auö ber notitia cntttjidtelt f)at 



108 !»euttte« Äapitel. 

2)ie carta in i^rcr formellen Sh)mpltjtertf)eit al§ ^er* 
feftion«mitteI be^ aJe^t^gefc^dfteg unb otö SSetoei^mittel für 
feine ®t(tigfett unb in i^rer Soppetbebeutung afö SSertragd- 
f^mbol unb ate 3^W9"i^ ö^er bte Übergabe biefe^ ©^mbofe 
(b. f). ber carta felbft) toax bei ben ©ermanen in Stoßen unb 
©adien, bei Sangoborben, 9Beftgoten, SBurgunber bod^ eben 
nur unter ben fräftigen ©intoirfungen be^ römifd^en 9iec^töleben§ 
in aufnähme gefommen. Unb bei ben beutfd^en ©tämmen ber 
SBoiern, SHamannen unb gtanlen finb ei^ bie über bai^ neue 
^Imtöxeä^t, n)elc^ed ben hergebrachten SRec^tSgang ber $oIfö« 
rechte umbilbete, ^inauöge^enben ejjeptionellen red^tlid^en ©in- 
toirfungen ber ftarfen Jtönigögenjalt, toeld^e bie Slntoenbung ber 
carta jum @rfa|j ber wadia herbeiführen, ja fogar für einjelne 
JRec^ti^efc^äfte erstoingen. 

2)ttt bem SSerfaH beö fronfifd^en Äonigtum^ trat barum 
ganj notürlid^ ein SRücfgang in ber Slntoenbung ber carta ein, 
man griff ba toieber mefjr ju ben alten öolföred^tlid^en SSep 
traggformen , mit benen bie carta unter bem bireften 3mpufö 
t)on ©eiten ber fönigtid^en ®efefegcbung fonlurriert Iiatte. 

Unb ein jtoeited trat ^inju, um bie Urfunbenbegebung, 
b. f). bie Slntoenbung ber carta im 9fted)t8gebrauc^ in SSerfaH 
JU bringen. S)ie projeffuale 93et)anblung jur @rl)ärtung einer 
angefod^tenen carta toar eine fe^r umftonblic^e. 3Benn bie im 
©eric^t probujierte carta t)om ®egner gefcftolten toarb, ^attc 
beifpiefötoeife nad^ ribuarifd^em SRed^t ber ©d^reiber ber Ur* 
lunbe ben Urfunbf^jeugen bie 9Ba^rt)eit bed Sn^alteiS ju 
beftätigen. ©rflärt ber ®egner gar in feierlid^er ©dielte 
unter Sfutoenbung ber perforatio, ba6 bie Urfunbenfd^reiber 
unb bie 3^"9^" gelogen l^aben , fo toirb ber 3n^alt biefer 
©d^eltungöflage bann ©egenftanb be« Seroeigoerfal^ren«. Unb 
nun befc^toören bie Urfunbjeugen unb ber cancellarius, ber 
Urfunbenfd^reiber, mit ebenfooiel ßibe^^elfern, ate Urlunbj^eugen 
öermerft finb, bie SBa^r^eit ber fo gefd^oltenen Urfunbe. S)er 
ftläger aber toermag bem cancellarius ben ®ib burd^ ^eraug* 
forberuttg jum 3^^ifömpf ju Verlegen. Unb je nac^bem burd^ 
@ib ober 3^citömpf ber Setoeiö ber SBa^r^eit für bie carta 



^eintici Sörunncr. 109 

crbrad^t ober mlfelungcn ift, fo tritt bann Sufecja^Iunfl t)on 
©eitcn beS Älägerö an S^UQ^n unb ©d)tei6cr ober umgcfc^rt 
ein. Sin ©teile biefeö SScrfa^renö fonnte in getoiffen gäOen, 
tt)ie ttJtr fc^on fogten, ein Snquifitionööerfa^ren eintreten, toobei 
bann aüerbingö bie ?ßrot)ofation auf 3^^öömpf ougflefdötoffen 
»ar , aber eö ttjaren bie§ nur flenjiffe gäDe , in befd^ränfter 
Qai)l unb aud^ bieö SSerfa^ren nic^t frei öon Umftänblic^Iett. 
äSieber ettooö anbereö ift bni^ ©erfahren , toenn bec cancel- 
larius, ber bie Urfunbe gefd&rieben , injmifd^en öerftorben ift. 
S)a ntufe fid^ ber ?ßrobujent ber ongefod^tenen carta brei 
anberen Urfunben, bie berfelbe ©c^reiber gefi^rieben, befd^affen, 
unb fann er biefc bem ®eridE)t üorlegen, fo tt)irb er jum @ib 
für ben SBa^r^eitöbemeiS jugelaffcn, ntu§ aber mit ebenfooiel 
©ibeö^elfern befc^toören, atö ber cancellarius nötig gehabt 
t)ätte. Unb neben if)m befd^ttjören bie S^"9^^- ®^ if* ^^f^ 
immer bie^ ©rprtunfl^oerfa^ren bei Slnfed^tung einer carta ein 
umftänblidEie^, oermidelteS unb fd^ioierige^. — 

0iun fonnte freiließ bie notitia aud^ angefochten toerben, 
unb fie fonnte ebenfalls einfache unb feierlidie ©ekelte erleiben. 
Unb eö ift bann aud^ baigfelbe ober bo(^ ein äfjnlid^ei^ um* 
ftänblic^eS SSerfa^ren für bie ©r^örtung eingetreten. ?lber 
baneben mactjte fid^ jtoiftf)en ber projeffualifc^en SBefjanblung 
ber carta unb berjenigen ber notitia in einer ®eäie^ung ein 
gettjid^tiger Unterfc^ieb geltenb. ®ei ber carta toar bie Über* 
gäbe ba^ toefentlitf)e ©rforberniö für i^re redE)tIic^e SBBirfung, 
bei ber notitia bilbet bie ^Begebung fein 3Werfmal ifirer 
©iftigfeit. 

Sei ber carta l^ing bie ©iltigfeit beö beurfunbeten SBer* 
traget oon ber carta felbft ab, bei ber notitia nic^t. Sei ber 
carta tt)ar bie burd^ fie bejeugte §anblung eben burd^ bie 
carta red|t^beftänbtg, bei ber notitia ift bie §anblung, bie fie 
bejeugt, felbftänbig giltig. — 

Unb batier fonnte bie ^Partei, meldte bie notitia probujierte, 
toenn biefe angef ödsten mürbe, ben Semei^ be^ SBertragö, beö 
3ted|tiggefc^äftö überhaupt unabl^ängig oon ber notitia burd^ 
bie Saugen, bie ba oerjeic^net toaren ober burdE) anbere 3^W9^" 



110 Sf^cuntc« Äapitcl. 

ober burd^ einen S^cil bcr bort genonntcn mit anbern Qtix^m 
erbringen. 2)ie ^Partei lonntc fofort bei ©d^eltung i^rer notitia 
ha^ öertoicfelte SSerfa^ren beö ©r^ärtungSbenjeifeö für i^re 
Urfunbc bei ©eite fc^ieben unb auf ben einfad^en S^^ugenbemei^ 
iurüdgreifen. 2Kotf)te bie notitia boc^ angefochten »erben, 
toenn ber S33a^rl)eitöberoeiö für ba^ ba beurfunbete 8ted)tö* 
gefdiäft auf bem 3Begc bcö 8e\xQ^r[\)ex^af)xtn§ beö SSoItere^tö 
erbrad|t ttjar, fo toar ber Qto^d ber notitia bod| erreicht. 
Slnberö loar bie ©ad^e bei ber Slnfed^tung ber carta. §ier 
liefeen fic^ SSertrog unb Urtunbc nic^t ifolieren, jener ftanb unb 
fiel mit biefer, immer mufete bie SBa^r^eit beg Sn^alt^ ber 
carta unb i^re Begebung ermicfen merben, immer alfo mufete 
im ^ßrojefe, loo fie eine SioQe fpieltc, bai§ umftänblid^e 
®r^ärtung§oerfa^ren eintreten. Unb biefer Umftanb ber 
©d^mierigteit beig projeffualifc^en SSerfo^renS bei ber carta unb 
bie Seic^tigteit ber Sßereinfad^ung ber projeffuatifd^en ©e^anb* 
lung ber notitia, bog i)at — neben bem Siücfgang ber fön ig* 
lid^en Ginmirfung ouf baö beutfd^e SRedjt^Ieben — öornc^müd^ 
bie carta üerbröngt unb bie notitia jur ®runb(age ber 
©nttoicfelung unb gerid^tlii^en S3ef)anblung ber beutfd^en 
^rioaturfunbe gemacht. SD?an ^at fid^ in nac^fräntiftf)er 3^^*/ 
toie bie S)iplomotif e^ ja erfannt f)atf meiftenö ouf einfad^en 
^eugenbemeiig be§ beurfunbeten SSertrageö befd&ränft unb man 
l)at, ttjie eg ebenfalls bie S^iplomatifer beöbad^ten, meiter bie 
^rioaturfunbe burd^ unbeglaubigte 2l!te erfegt. Unb beibe^ 
Inüpfte an bie öon ber notitia unabhängige 3iedE)t^beftänbigfeit 
bcö SSertrageg an. — 

©ooiel auö ben äJcfultateu ber Slrbeiten SBrunner^ öon 
1865 bi« 1877 über bie 9f{ec^tggcf^ic^te ber fränli[^en Urfunbe. 
ß^aratter unb Sebeutung ber fränfifd^en Urfunbe nac^ ber 
Tedjtlic^en ©eite Ijin maren alfo nun erfannt, unb 9?ed^tg= 
flefc^ic^te unb S)iplomatif begrüßten glctd^jeitig unb gleichmäßig 
banfbar biefe jba^nbred^enben (Srgebniffe. gidfer j. 55. fdE)rieb 
feine Urtunbenlet)re — toir loerben baöon noc^ auöfü^rlicf)er 
in fprec^en tiabcn — geftügt auf biefe gorfd^ungen SBrunnerig, 
beren legte SRitteitungen iljm freilid^ erft toälirenb ber 3)rudt* 



©einrieb Stwnitcr. 111 

leflutifl feinet SBerfc^ jugtnflen. — SRtc^t ganj fo bcfriebtgt 
t)ön bicfen gorfd^imgen loie SRed^tSmtffenfd^aft unb S)tpIoinatif 
im aHacmcincn toax aber Srunncr fclbfi. 6r fjattc immer 
jd^on toä^rcnb btefcr Slrbeiten ba^ öcioufetfein gehabt, mand^c 
grage ntc^t fo fc^arf obfc^liefecnb erörtern ju lönncn, wie es; i^m 
nötig crfc^ien. ©ne fc^arffinnige, t)on i^m gleich jeitig abgefd^Ioffene 
Unterfuc^ung über ein frembei^, ganj anbereö Urfunbengebiet, 
bad angelfäc^fifc^e namlii^, belend)tete mit i^ren [o auffodenbe 
^btoeid^ungen jeigenben ©rgebniffen me^r nod^, für feine ftn* 
fic^t, gerabe bie Siidfen feiner 9Jefu(tate, al§ bofe fie bie faft gonj 
erbeuten ?ßun!te feiner fränÜfc^en Urfunbenforfd^ung nocti me^r 
erbeut ^ätte. 6« fehlte eben noc^ ganj bie biptomatifc^c 
Setianbtung ber fränfifc^en ^ßriöaturfunbe. Unb eö fehlte an 
einer red^t^^iftorifc^en öergleic^enben öe^nMung ber germani* 
fc^en unb römiftf)en b. i. in biefem gaöe ber italifd^en Urfunbe. 

3u le^terer Slrbeit entfd^lofe fitf)^ bann ®runner felbft *), 
Mnb inbem er fie leiftete, fd^uf er au^ bie Söfung ber anbercn 
nod^ offenen g^age^ bie S)iplomati! ber fränfifc^en ?ßrit)aturfnnbe, 

Slud^ für bie SJed^tiSgefd^id^te ber römifdien Urfunbe loar 
notf) fo jiemlid^ aileg erft felbft ju erforfd^en. ?tber ber gludf* 
lic^e Urfunbenfunb in ?ßompeji t)on 1875, too man im §aufe 
be^ S. ©äciliuiS Sucunbuö 127 Duittung^tafeln gefunben, bie 
iann be^ßctra unb SWommfen fdEincü ber gorfd^ung jugänglid^ 
gemad^t Ratten, too atfo 127 römifd^e Urtunben, in i^rer SKaffe 
<iug ber 3^it SWeroö, eine unertoartete ^Bereicherung beö 9Ka* 
ieriafe folc^er gorfd^ung über baö römifdje Urfunbenioefen bar* 
ioten, gab Sluöfid^t auf refultatöoHe Slrbeit für bie ältere 
tömifd^e Urfunbe. Unb bie 1879 erfolgte SSeröffenttic^ung öon 
€atinoS Regesto di Farfa burd| ®eorgi unb ®aljani bot mit 
bem erftaunlic^ groj^en Urfunbenfc^ag biefe^ projefefütfitigen 
Älofterö in ber ©abina ein reid^eö neuei^ SKateriat für bie 
Äenntni§ ber italifc^en Urfunbe beg 8. big 12. 3a^r^unbertS. 
Unb t)on biefem 3Waterial auö ging SBrunner an bie SSertiefung 



*) ^einricft SBmnncr: 3ur Slcti^tÄgefti^ic^te ber 9lömifc6eti unb ®er» 
ananiWcn Urfunbe. 1. Seif. 1880. 



112 ^tunM ßapiteL 

itnb Srioetterung fetner bi^^ertgen @tubten aber bte Urfunbett 
ofe SJec^töquelle imb fcftrieb barauf feine SJed^tiSgefc^icI^te ber 
römifc^en unb flermanifc^en Urfunbe öon bem STnbeginn unferer 
ßciteed^nunfl big hinunter gum 12. Sa^r^unbert. Unb biefe 
©efd^id^te ber Urtunbe öon ber rßmtfcl^en fd^Iic^ten ä^i^flc^* 
urtunbe unb htm römtfd^en Stjtrograp^um jur fpätrbmifdjen 
epistola inter praesentes unb toeiier ju ber raüennotifd)« 
römifc^cn unb ju ber langobarbifd^^tuigfifc^en carta be« 6. unb 
ber fpätcren 3a^r^unberte unb banad^ bte ©arfteöunß i^rcr 
re^tlic^cn gunftionen — tote nämlic^ bic epistola inter prae- 
sentes bi^pofitiue Urfunbe tourbe, toie ber UrfunbungSaft ju 
einer neuen SSertragcform tourbe, wie bie Urlunbe bie formalen 
(Elemente ber übrigen obligatorifd^en unb binglic^en SSertrogiS'' 
formen in fid^ auffog, mic bic ©tipulatio in ben Urfunbungä* 
aft aufging, ttjic bic pcrfönlic^c Übergabe ber mit ber ©tipu« 
tationd!(aufeI t)erfe^encn Urfunbe ali^ Stipulation galt, mie bei 
ben ©ermanen fid^ ein ä^nlic^cr ^ßrojcfe bejüglid} ber wadia 
ergab unb bic Urfunbe afö (Srfagmittcl ber wadia galt, oor SHIem 
aber, bafe bei ber römifcf)*raoennatifc^en toie bei ber lango* 
barbifc^^tui^fifdien carta bie traditio cartae au§ ber ^anb be^ 
91u§fteIIerö in bic bci§ S)cftinatar§ bic ?ßerfeftion be^ SSer* 
trogeö bebingte — biefe ©cfd^ie^tc ber italifc^cn Urfunbe ate 
aic^t^quellc ergab bann aUerbing«; aud| für bic fränfifd^c Ur* 
funbe bic ©runblagc beö gefud^ten tieferen, beö abfd&Iiefecnben 
Sffiiffcnd. 

9iun fonntc ©runner ei8 lehren, toie bie ©ermanen jur 
3eit ber SSolf^red^tc aui8 bem römifd^cn 9Sulgarrecf|t , toclc^c« 
bie Urfunbe alö SRcpräfentantin bcÄ in if)r öerfcfiriebenen fRcä)i^ 
anfa^, auc^ ben ©ebrauc^ ber Urfunbcnbegcbung fennen lernten 
unb annafimen. @r üermodötc nun ben Unterfc^ieb öon carta 
unb notitia, ber im ted^nifd^en ©inne afö biöpofitiöc unb aU 
fc^lid^te ®etoetgurfunbc t)on it|m fc^on nae^ fränfifd^cn gormein 
ritf)tig erfannt toar, auc^ fai^lic^ nod| fe^ärfer ba^in ju um* 
fd^reiben, bal3 bic notitia immer einen gormalaft befunbet, ber 
an fie^ red^t^beftänbig ift unb nur ju 83etociöjtoecfen beurfunbet 
toirb, bafe bie carta mit berartigen gormalaften aber nic^tö ju 



I^einri* ©riinncr. 113 

tl^utt f^at unb l^öd^ften« accefforifc^e gormoKtätcn bcö Urfun^' 
bungi^aftcö beiirfunbet. @ig lonnte Srunner ferner nun na6)^ 
weifen, bafe ber SJuali^nrn^ ber carta unb notitia ntd|t auf 
ÜberetgnungSflefd&öfte üon Stegenfd^aften befd&ränit toar; jügletc^ 
aber getoann er jegt aud^ bie boQe ^lar^ett über ben iBorgang 
ber Übereignung t)on ©runbeigentum im frSnüfc^en Siecht in 
feiner gefct|icitlict|en ©nttoidlung öon ber realen unb f^mboli^ 
fd^en 3nt)eftttur jur SSerbinbung mit ber romifc^*t)uIgarred)tKc^ett 
traditio cartae unb toeiterl^in jur einfad^en Übergabe ber SSer^ 
äufeerungöurlunbe allein afö einjige ÜbereignungSförmlid^feit. 
Unb mit erujeitertem ®ett)ei8material erl^ärtete Srunner babei 
auf« SRcue feine Seigre t)on ber 3«Wff*9fctt ber Übereignung 
t>on ©ruttbftüdfen mittel« Urfunbe nad| fränfifd^em Siecht; unb 
er öerftärfte ebenfo mit neuen Sßeloeifen feine Se^auptung, bafe 
bie juriftifd^ mafegebenbe traditio cartae au« ber $anb be« 
9Iu«fteQer« al« traditio ber unüoUjogenen, üom SRotar gefd^rie* 
benen carta in bie §anb be« ©eftinatär« erfolgte. 

Srunner erlannte nun auc^ bie jtoei SIrten ber fränüfd^en 
notitia, bie t)om ©eftinatär felbft unb bie öon feinem SSertrag«« 
gegner au«gefteUte notitia in i^ren formellen Unterfc^ieben, 
unb er öermod^te e« fd^arf ju ertoeifen, bafe man t)on einer 
fränfifd^en ®eridöt«urfunbe im eigentlid^en ©inne barum ntd^t 
fpred^en barf, ttjeil e« feine t)on einem frflnfifd^en SSoffögerid^t, 
b. f). auf feinen Scfebl auögeftellte Urlunbe gibt. SBo^f gab 
e« cartae unb notitiae, bie t)or ©erid^t auögeftellt unb Dom 
®erid^t«fc^reiber gefd^rieben waren, nSmlitf^ cartae über Siecht«* 
gefd^fifte , toele^e t)or ®erid^t begeben mürben — biefc cartae 
fd^eiben atfo au« ber ?lrt ber ®eridE)t«urIunben t)on felbft au« 
— unb notitiae über gerid|tfid^e Urteile ober projeffuale §anb* 
lungen ; immer aber toar e« ©ad^e ber obfiegenben Partei, fic^ 
bie notitia ju befd^affen. Unb mie für bie fränfifd^e Urfunbe, 
fo t)ermo(^te Sßrunner ^ier auc^ für bie .rl)ätifd^e, bie alaman- 
nifd^e unb bie ba^erifd^e Urfunbe ia^ SBefentlitfie über formelle 
SWerfmale unb ben rechtlichen @t)arafter feftjufteüen. ©o aber 
tourbe Srunner« 3ied^t«gefd^icöte ber römifc^en unb germani* 
fd^en Urfunbe mirf lief} bie abfd^Iiefeenbe Srgänjung 5U jenen 

^iftini\^t Oiaiiot^el. »b. lY. 8 



114 92eunted Stopxitl 

feinen ©tubten über bie getmanifdie Urfunbe, beten Stefuhate 
tt)ir im ^em oben fc^on erjö^tt l^aben. 

Unb biefe feine Hauptarbeit über bie Urfunbe aU SRed^tö- 
queQe brad^te jugleic^ bie 2)i))Iomatif ber römifc^en unb Qtx^ 
manifc^en Urfunbe. ^uf ben formellen äJ2erfmaIen ber alt- unb 
neurömifc^en, ber beneoentanifi^en unb lombarbifc^ « tu^fifd^en, 
ber r^ötijctien, olamannifc^en , ba^erifd^en unb fränfifd^en Ur* 
tunbenarten fugt ^ier bie ®efct)id)te ber Urtunbe. 93on ben 
formellen SKerfmoIen au^ erfennt SBrunner bie Urfunbenarten. 
SSon ber ®efd&ic^te beig einjelnen SRerlmate, feinem ?luffommen, 
feiner Slbtoanblung unb feinem SSerfc^toinben ergrünbet er bie 
JBcbeutung ber einjelnen gormet unb beö einjelnen 3^^^^^^^- 
Unb t)on ber ©etrad&tung ber fo erforfc^ten SRerlmale in i^rer 
©efamt^eit ge^t S3runner ju feinen Folgerungen über ben 
rechtlichen ffi^aralter ber einjelnen, nadö i^rer territorialen 
®eltung unb if)rer gorm oerfc^iebenen Urfunbenarten über. 

Unb biefe bip(omatifc^e Soi^)d^ung SrunneriS loar eine oor^ 
jügßc^e biplomatifd^e Seiftung. üRan barf, o^ne fid^ in ©njel« 
leiten ju oerüeren, ben Äenner öon örunnerö SJuc^ ja nur 
an bie 93e^anblung ber SBoUjie^ungiSformeln ber neurömifd^en 
unb ber tombarbifd^en Urfunbe, an bie Erörterung über bad 
»post traditam« in benfelben Urfunbenarten unb an bie ®e* 
fc^id^te ber formet »stipulatione subnixa« erinnern, um auc^ 
gteid^ bie SSorjüglicöfeit biefer Unterfuc^ung nad^ i^rer biplo* 
matifd^en ©eite ^in ju belegen. (&^ gehören biefe biplomatifc^cn 
Erörterungen eben ju ben fd^arfftnnigften Beobachtungen, loetc^e 
bie junge Urfunbenwiffenfc^aft bisher aufjutoeifen ^at. ©o 
tt>urbe bann aud^ biefe 9ied^ti^gefd^td^te ber römifc^en unb 
germanifc^en Urfunbe gleid^ ein boppelter Beleg für bie 9Sor* 
trefflid^feit ber bipfomatifc^en ©igjiplin, eö befam bie Qan^v 
läffigfeit ifjrer SKet^obe einen neuen Beleg, unb e« tag jugletc^ 
ein glänjenber ©etoeiö oor, meiere SRefuttate folc^e SHet^oDe 
in ber richtigen ^anb jeitigen fonnten. S)ie eigentlictie göröerung 
ber neuen SBiffenfc^aft ber S)iplomatif burc^ Brunncr« Sdjrift 
lag aber me^r nod^ ate in i^rer Slnlage in i^ren (Srgebntffen. 
Unb ba nac^ ber ©eite ^in fic^ Brunnen^ SRec^tiggefc^id^tc ber 



©einriß örutttter. 115 

Urfunbe mit fernen früheren arbeiten ju cmcr eht^eitlic^ett 
Seiftuiifl jufammcnf erliefet, tooDcn »ir bicfe gragc nac^ her 
IBcbeutung biefer arbeiten für bie Siplomatif and) im Qu^ 
fammen^ange betroclten. 

e« [inb junäc^ft ©njel^eiten , burc^ toelc^c SBrunncr baß 
Biffen ber S)ipfomatif bereicherte. SSSir berid^teten fc^on oben, 
tpie Srunner t^ erflSrte, toarum bie Äarolinger in ber SBer* 
tet(ung ber JCanjIeigefc^äfte Don ben äReromingern abgetoic^en 
finb unb bie «uSfertigung ber 5ßtacita, ber löniglid^en ©eric^tö^ 
iirfunben, bem Äonjler genommen unb bem ^faljgrafen jugetoiefcn 
l^aben. Unb bamit mürbe nun enblic^ bie fo räifet^afte ©c^Iufe* 
formel ber meromingtfc^en ^lacita über baö testimonium 
<}omitis palatii erKärt unb jugleie^ i^r Sluf^ören in ben faro* 
lingifc^en ©eric^ti^urfunben oerftänbti^. 3>em meromingifc^en 
9ieferenbar gegenüber mufete ber ^faljgraf amtlich S^H^i^ ^^^ 
bie SSer^anblung abgeben, bamit jener ha^ ^lacitum ausfertigen 
fonnte, unb barum mürbe auc^ fein 3^us^i^ aui^brücEli^ in 
ben Äontegt ber bann in ber ffianglei audgeftellten Urfunbe 
aufgenommen. 3)ieS 3^wgniS fiel aber natürlid^ fort, al» bie 
Äaroßnger ifjre ©eric^töurfunben burd^ ben ^faljgrafen felbft 
ouSfertigen Hegen, unb bamit fdimanb auc^ bie bejügiic^e 
Urlunbenformel. gerner belam bai§ »datum« in ber Datierung 
fränftfcber Urfunben mit bem 9}ac^meid bed SBegebungSafte^ 
<xU beg red^tlic^ releoantcn 3<^itpwnfteS bei bem Slbfc^Iufe bc^ 
Sled^tj^gefc^äfti^ buri^ carta eine neue Sejie^ung, eben auf ben 
aWoment ber Übergabe ber carta oon bem äu^fteHer an ben 
3)eftinatär. Unb aud^ ber Urfprung ber red^tlic^en gunftion 
htx ^önigSurlunbe ali^ perfijierenbe Urfunbe empfing nun neue 
93eteuc^tung unb bamit erhielt ber bip(omatifc^ fo n^ic^tige 
Unterfd^ieb jmifc^en ^anblung unb Seurfunbung eine toeitere ^J3e^ 
leud^tung. 3BeiI aber bei ben granfen unb ben ?lfamannen unb 
SSoiern mie auc^ ben Sangobarben bie Investitura per cartam 
aOgemein gcbräud^Ucb mar, fo ^aben bie fränfifdjen mie bie 
beutfc^en Könige auc^ eine Investitura per praeceptum regis, 
due §luflaffung burd^ eigenhändige Übergabe ber Urfunbe in 
Äntoenbung gebradjt. Unb biefe Investitura per praeceptum 

8* 



116 dttnriM Stapiitl 

regis, bic fomtt ate eine fpcjicHc Slnwenbunfl bcr Investitura 
per cartam crfi^cmt, war bann alfo eben ein gomtalalt, beu 
bad praeceptum ntd^t nennt, ganj ttJie bie fränlifd^e carta 
ben irobition^aft an ben ©cftinatär nid^t befonber^ ^ert)or* 
^cbt. S)ie ftfiarfen Seobad^tungen gicferö über bie t)on ber 
Seurfunbung ju fc^eibenbe ^anblung gemannen bamit nun nod^ 
feftere JBegrünbung. — 

SBir l^oben ferner oben bereite berichten fonnen, wie 
Srunner eg erflärt, toarum bie fränfifd^e unb bie ältere beutfc^e 
fiönigÄurfunbe ber QtiXQtn entbel^rt, bie ^ßrioaturfunbe [ie aber 
aufweift. S)ie ÄönigÄurfunbe ift unfd^eltbar, fo jeigte eg Sßrunner^ ' 
barum bebarf fie leine Saugen, bie frfinfifc^e unb beutfd^e ^riöat* 
ur!unbe ift fe^eltbar unb il^r Sied^t^in^alt mufe bei Urhinbfc^ette 
im QtVLQtwex^ai^xtn beS orbentfic^en SRed|tggange§ erl^ärtet 
werben, barum gcbraud^t fie bie 3c«gcnnenuung. SBir fjaben 
ferner fcfton oben mitgeteilt, wie Srunner ben SRac^weiö liefert, 
baft unb warum bie fronltfc^e notitia bie ©runblqge ber 
beutfd^en ^ritoaturfunbe geworben ift. Unb 8eibe8 jufammen^ 
biefc S8[ugfü^rung ober bie ©efc^ic^te ber notitia unb jene über 
bic SBebcutung Der QevL^^n in bcr ^ßriöaturfunbc bilbetcn bonn 
mit bcm öcWciiS, bafe bic QtUQtn in ber carta wie in ber 
notitia immer nur ©anblungigjeugcn , nie Seurfunbung^jeugen 
gewefen, jufammcn eine Erweiterung ber S)ipIomati!, bie gerabeju 
eine Südfc in i^rem SBiffen auffüllte. @« ift jo eineig ber 
•fd^arffinnigften fiapitel bcr überall fo fd^ar ff innig aufgebauten 
Urfunbcnle^re giderö jeneö, wo er im Slnfd^Iufe unb für ba^ 
Sliema über §anbtung unb Scurfunbung oon ben Stu^tn 
t>anbclt. ©inb t^ ^anblunggjeugen ? ©inb eö Seurfunbung^* 
jeugen? ©inb fie beibe^ juglcid^? DDcr besiegen fic^ biefc auf 
bic ^anblung, jene auf bie öeurfunbung? SSic ift eg mit i^rcr 
SBcjic^ung jur Datierung? ©inb t^ mellcic^t 3"ft'"^w^wng^* 
jeugen? ©o tauten bie gragen, bie gidfer ba aufwirft. Unb 
um bie ?IntWort ju finben, öerfd^affte er fic^ erft eine Über* 
fid^t über ba^ SSorfommen ber 3^"9^J^ in mittelattcrlid^cn Ur-- 
funben überliaupt, merfte baö gefjlen ber Stn^m i» ben 
'älteren Äonigöurfunben , i^r SSorfommen in ben älteren Ur* 



^einrici SBrunitcr. 117 

funben uon ^ßrioatcn, JBifdjöfcn, ^crjogcn, bann toicbcr bai^ 
SSorfommcn öon S^wflC" ^^ ^^" fp&tercn Äönig^urfunbcn an unb 
erörterte, bofe in ber fpätercn 3^* Sifd^öfe t^re Urfunbcn 
o^ne 3^U9^" au^fteQen, unb bag bie ^ribaturfunbe im all> 
gemeinen jum unbeglau&igten 'ätt l^erabfinft. ©d^on biefed 
Äapitel ift nie^t frei öon cinjelnen Südfen. S)ann fud^te gider 
für biefe SBanbelung ber ^^wflc^öuffüfiruttg in ben Urfunben 
bie ©rflärung, unb er ftu^te fic^ babei fc^on auf Sörunnerd 
Strbeiten bi^ 1873 (©d^tourgeric^te unb ®erid^tgjeugnig). «ber 
cüe^, mad er baräber brad^te, blieb fc^Iieglic^ bod^ unbefriebigenb 
unb blieb c^ tro| einer gülle eigener SBeobactjtungen bed^alb, 
tüeil ber Unterschieb öon carta unb notitia no(^ ni^t erlannt 
unb bie Sejie^ung ber S^W^ ^" ^^^ ^^^^ öuf bie red^tlid^ 
releöante Begebung an ben ©mpfänger unb bie ber QtUQm in 
ber notitia auf ben barin beurfunbeten an fid^ red^tdbeftänbigen 
gormalaft noc^ nic^t nac^getoiefen loar. 9iun aber, mit bicfen 
€ntberfungen örunnerig über bie ?lrten ber frönfif^en ?ßriüat* 
urfunbe, il)re formellen aWcrfmale unb i^re red^tlic^en guuftionenr 
runben fid^ gidfer« 3lui^füt(rungen über bie 3^"fl^w ^^ ^^^ 
beutfc^en Urlunben ju einem lüdenlofen Äreii§ öoH bele^renbcr 
^injel^eiten in innerem 3ufammen]^ange ab. 

Überl^aupt aber gewann bie S)ipIomatif i^re gröfete 
görberung öon SBrunner§ arbeiten burc^ bie ©efamt^eit feiner 
iRefuItate über bie römifc^e unb germanifc^e Urfunbe, infofern 
itun erft baö SBefen biefer Urfunbe erfc^Ioffen lourbe. 

aWit biefer Äenntni« öom SBefen uub öon ber Sebeutung 
ier römifc^en unb germanifc^en Urfunbe empfing bie S)ipIomatiI 
eben bie eigentüc^ften ©runblagcn i^rer eigenen ?lrbett. — 

©0 aber toar benn in bem furjen S^i^raum bon jioei 
Sa^rje^nten bie SBiffenfd^aft ber S)iplomatif nid^t bloft neu 
tnd 2tbm gerufen unb auf einer ald üorjügtid^ fid^ betoä^renben, 
tefonberen üKet^obe öoübered^tigt neben bie anberen S)iigjiplinen 
ber fritifd^en ®efc^id^tgmiffenfdE)aft gefteHt, fonbern fie f)attt 
<iuc^ bereite Ijiftorifd^ uub juriftifc^ il^r ?lrbeitögebict in feinem 
innerften SBefen ergrünbet unb umgrenjt. S)ie SRcufc^ßpfung 



118 Scl&tite« Stopiitl 

ber Süplomotif afö SBiffcnfc^aft toax jcgt im So^tc 1880, jtoci«^ 
^uttbert So^rc md) bcm ©rfd^einen Don 9J?abiBoii8 »De re 
diplomatica libri VI«, fertig. 



10. 

S)ie S>ipIoniQtif ate SBiffenfc^oft, fo l^abcn ttjir eiS ic]tf)m^ 
toax alfo einft t)on SKabiUon in einem Qextaliex «niöerfaler toiffcn« 
ftf)Qftlid^er Siid^tungen, bie für i^re (Srgebniffe immer gleich 
§lflgemeingiltigfeit beanfprud^ten, gefd^affen. Unb bie Slllgemein^ 
giltigfeit ber t)on il^m gefunberten SRcgeln tonrbe barum aud^ 
Qte bie SBorbebingnng feiner ttjiffenfd^aftlid^en S)o!trin me^r 
noc^ t)on feinen S^^^fl^i^offen geforbert unb je naä) i^rem 
©tonbpunft 6e{)auptet unb befämpft, afö ha% fie gerabe toon 
il^m felbft im ganjen Umfange beanfpruc^t toäre. S)ann fam 
ba« Sal^rtjunbert ber njiffenfd^aftlid^en ©^fteme unb neben 
granlreic^ trat ^ier ©eutfd^Ianb in bie ©d^ranfen, unb eS fam 
im Aufbau bei^ ©^ftemö biplomatifd^er SSiffenfd^aft über bie 
Seiftungen ber SRauriner fjinauö, bie i^rerfeit« in unterbrochener 
?trbeit aüeö jufammentrugen , toag ba^ Qextalitx an biplo» 
matifd^en ftenntniffen befafe unb ermarb unb barauf il^r atö 
©Aftern berfel^Iteö, aber in ber güQe beö ©toffiS bettjunberungö* 
ttjürbigeö neueö» Se^rgebäube allgemeiner S)ipIomatif errid^tcten. 
S)ana(^ erfolgte bie grofee Umtoäljung ber europäifd^en 3^Jft5nl>^ 
bie ebenfo eine fold&e für baiS (Seifte^leben tourbe, toie fie e^ 
für bie pülitifd^e ©eftaltung ttjar. 3n S)eutfd^Ianb aber ttjurbe 
inmitten biefer unget)eueren SBirren unb (Srfd^ütterungen , bie 
ben Untergang beö alten ?Rei(^eig unb ben 3"fömmenfturj ber 
preufeifdien SWonard^ie begleiteten, bie Iritiftf)e ©efd^id^tfd^reibuna 
geboren. — 

©iefe neue totffenfd)aftlic^e Siid^tung nun ^atte für biplo* 
matifd^e ©^fteme fein SSerftänbniig , biefe unb bamit bie 
©iplomatif felbft gerieten in SSergeffen^eit. Unb afö bann 
bie neue fritifd&e 9iid^tung bor in 35eutftf)lanb neu erttjad^ten 
gorfd^ung über bie öaterlänbifd^e SBergangenf|cit bieSBege toie« unJ> 
fie auf biefen fo fe^r glüdEltct} leitete, unb aU biefe toaterlanbifc^e 



mdbüd unb ^ii«6licl. 119 

gorfd^unfl metter aud| bie alten 2)iptomc mit ^ingebenbftcm 
föifer in i^rcn verborgenen äJu^eftötten auffud)te, fie an^ %a%^» 
lid^t 30g nnb ftubierte, onc^ bo moQte man Don einer biplo^^ 
mattfd^en Se^anblung biefeS neu cntbedEten, immer erftaunlie^cr 
onmad^fenben , immer mertt)ofler erfd^einenben DueQenmateriate 
ber Urfunben nid&t^ mel^r miffen. Uiib fo blieb eö 3)ejennien 
long in 35eutfci^Ianb; ein ^albeS 3a^r^unbert t)inburc^ mar bie 
SBiffenfd^aft ber S)ipIomatif ^ier mie üerfd^oHen. Snjmifcfien 
t)atte biefe ©iöjiplin in granfrctc^ anbere 3Bege jurüdfgelegt. 
^Inä) l)ter ^atte bie SJeboIution bie gäben ruhiger unb Ion* 
ftanter SnttoidEelung jerriffen, unb muffelig mar eö erft aH« 
mät)Iid^ gelungen, ftc mieber jufommenju!nfipfen. ?lber bie 
©iplomoti! fegte benn bod^ nad^ ber 9iet)oIution bort ba ein, 
mo fie t)or berfelben ftel^en geblieben mar. ®^ mar alfo eine 
SSerbinbung ^ergeftellt, unb ed mürbe ber ©inn für biplo* 
matifd^e ©tubien mieber ermedft. Unb bamit mar bie 3)?öglid)feit 
einer (SntmidEelung gegeben, ja mel|r geboten, ate eö auf bcn 
erften SlnbtidE t)ieneid)t erfc^eint. 5)enn nid^t allein an bie 
öitteratur ber älteren S5iplomatif unb an bie alten 3^^^ ber 
biplomatifd^en ©tubien üor ber 9Jet3oIution !nüpfte man an, 
man fiber!am jugleirf) mit ben SBerlen unb ©ammlungen aud^ 
noc^ bie burd^ einjelne 5ßerfönlid^feite« fortgepffanjte S^rabitio.n 
ber biplomatifd^en Slrbeit unb 9)ict^)obc. Unb hierauf unb auf 
bem reichen Sn^alt beö »Nouveau traite«, freiließ nid)t 
auf bem bafelbft entmidfeltcn ©Aftern, baute man in %xanU 
xtidj meiter; benn für einen STu^bau btptomatifd)er SBiffenfd)aft 
jum ©^ftem I)atte aud| bie miffenfc^aftlid^e SRtd)tung be^ 
monarc^ifc^en granlreid) feinen ©inn me^r. Unb maren ejS 
aud^ nid)t, mie in ®eutfd)Ianb, bie miffenfd^aftlic^en 9iid)tungen 
ber fritifd^en ®efd|id)temiffenfc^aft , bie bieö oer^inberten, fo 
maren eö bie nüchternen Srmogungen ber praftifd)en ?Iufgaben, 
meldte bie ^cole des chartes fid^ fteHte, toag jene« aui^fd^Iofe. 
SWit biefer fo mieber IjergeftcHten Kontinuität ber gelehrten 
Slrbeit in gict unb 3Wetl)obe oon SRabiUon biö S)eli§lc erl^ielten 
bie auf bie franjöfifd^e mittelalterliche ®efcf|id^te gerid^teten 
©tubien bann aber eben alle jene SBorjüge, meldte bie lange 



120 3e6nted Sta\>iitL 

^ro^tö in feftfle^enber üRetl^obe geben fann, unb nic^t an 
legtet ©teöc profitierte batoon natürli^ bie Diplomatie fctbft. 
Sie SRororbeit f^ftematifd^er är^ioforfd^ung , ©orgfalt unb 
@auf>crfeit ber Sejtbe^anblung im feftftel^enben SRa^men, !orrc!te 
Söfung patSograp^ifd^er unb d^ronologifc^er tS^'^d^n^ '(ui^i ^D^ 
bie S)infle, meldEie ))k ?ßrajiS einer gelehrten 2;rabition oon 
einem (Sejc^Ied^t ouf b(a« anbere überliefert, toenn le^tereÄ nur 
eben lernen miH, ba§ übernahm bie ^cole des chartes oon ber 
Vergangenheit unb bo^ lehrte fie unb bilbete fie toeiter au^. 
Unb jugleid^ entroldEelte biefe franjöfifc^e ©elc^rtenfe^ule auc^ 
in t^eoretifc^er SBeife i^re Slnfic^ten über bie aufgaben ber 
Urlunbenbe^anblung mit einer ©idier^eit unb SSoöftänbigleit, 
ttjie fie ebenfaHiS nur in biefem inneren S^fontmen^ange ber 
Slrbeiten t)on SuIeiS Ouic^erat mit benen äRabiUond unb Souquetd 
i^re ©runblage finben fonnte. 

(gi§ toar alfo in granfeeid^ nid^t blofe fd^on mieber ein 
Slufleben biplomatifd^er ©tubien üor^anben, e^ ftanben biefe 
©tubien aud^ bereite in Slüte, al^ in 2)eutfd^(anb bie fritifd|e 
@efd^id^tötoiffenfcf)aft bie S)iptomatif ate ein befonbereö §ilfg* 
mittel für Urtunbenfritil unb Urfunbentoerioertung ju benuften 
nod^ !aum backte. 

aber injtoifc^en toar Söö^mer, ber fo berebt, fo einbringlid^ 
unb fo toirfungöooQ ben ^o^en SBert ber Urfunben ate ®efd^id^ti8^ 
quellen oerfünbet ^atte, oom Urfunbenfammler, man mdd^te faft 
fagcn, tt)iber feinen aSiUen Urfunbenfritifer geioorben. 3)ann 
begeifterten fid^ ju gleicher 3eit ©tumpf unb gicfer an JBdl^merig 
SBerlen unb feinem perfönlid^en SSäort für Ur!unbenforfd^ung. 
Unb jener fuc^te unb fanb ben Änfi^lufe an bie ältere biplo^ 
matifd^e Sittcratur in granlrcid^ unb S)eutfc^lanb , afe er afe 
2)iptomatifer bie Urfunben ber beutfd^en ^aiferjeit }u be^anbeln 
begann. Unb in berfelben 3^^^ vermittelte bann ©icfel ber 
bcutfdien biplomatifd^en gorfd^ung bie gelehrte 3:rabition ber 
fronjöfifd^en 3)iptomatifer , bie er in Sßaxii perfönlic^ fenften 
gelernt. 3"9tci^ Q^^^ oermanbte ©idtel für bie Söfung ber 
biplomatifc^cn S(ufgaben, bie er fid^ geftellt, alle SWittel ber 
bentfd^en ^iftorifd^en ^ritif unb er^ob it)re @runbfäge aud^ ju 



mndblidmh ^umid. 121 

^efe|ett ffir bie 2)i))Iotnati!. ttnb bomit btibete er bie 2)tf)(D» 
matil felftfc^ö))ferifci^ unb fo refultatooll loeiter, bo^ nun bie 
fritifc^e ©efc^ic^tött^tffenfc^aft in S)eutfc^Ianb biefe junge S)tdiit)ßn 
aU eine tt^iffenfd^aftlic^e SJeufd^öpfung ^iftortfd^en (S^arafiterd 
freubig begrüßte. ®eit (Snbe ber fec^djtger Sa^re toax bie 3)ipIo^ 
mattf aU unentbe^tlid^e ©el^ilfin üon ber fritifd^en ©efd^ic^t^ 
fd^reibung unbebingt onerfannt. @d n^ar nun bie ^iftorifc^e 
Shitif baüon überjeugt, ba^ einmal bie Urtunben eine ganj 
befonbere Slrt ^iftorifd^er OueQen finb, bag fie aL^ folc^e ouc^ 
eine befonbere ^e^anblung, eben bie, n^elc^e bie 2)i))Iomati{ 
i^ncp angebeil^en läfet, verlangen unb bafe femer biefe hiplo^ 
matifc^e ^e^anblung ju SRefuttaten loinmt, bie, fon^o^I toa^ 
baig ©rgebni« fefbft afe bie ©ic^er^eit beffelben anbelangt, t)on 
ber rein ^iftorifd^en Äritif ben Urfunben gegenüber nid^t erreid^t 
loaren — Sluc^ bie neue beutfd^e S)ipIomatiI ftrebtc nic^t nad^ 
einem ^u§ban i^red Sn^altö jum ©Qftem. @ie üergag }n)ar 
nid^t, inbem fie il^re 3lufgabe umgrenjte, i^ren ä^f^^^w^^n^^itg 
mit ben allgemeinen bi<)Iomatifc^en ®runbfägen, ja fie fd^uf in 
ber SScife, toie fie biefen 3"fönimen^ng umfd^rieb, in il^rer 
3lrt einen gortbau ber S)i|)Iomatif ate ©^ftem. aber fie ftellte 
fic^ auc^ t)or Slllem ))raftifd^e Stufgaben, ©ie erftrebte aui^ ben 
Urfunben einer bcftimmten Wct, Qtit, ®egenb felbft eine &^re 
t)on biefen Urfunben ju gewinnen, mit bereu ^ilfe fie bann an 
ben Urfunben Äritif üben unb in bereu ©efianblung — ©bitiou, 
8legeft, Kommentar — ber ©enufeung burd^ ben ^iftorifer t)or* 
arbeiten fönnte. 2)abei führte fie cS aber avi& unb betonte eig 
audbrüdEIic^, bajs fie nur aU ©))eiiaIbipIomatif (eiften fönne, 
toag ju leiften fie fid^ öorne^me. ©o bemegtc fic^ bie nun 
f^neQ aufblä^enbe beutfd^e 2)i^Iomatif benn auc^ aui^fd^Iteglid^ 
je auf jeitlic^ ober örtlid^ ober fad^tic^ umgrenzten engeren 
Urfunbengebieten. Unb burc^ bie in biefer Slid^tung unb ttm^ 
fe^reibung i^rer 3lrbeit eifrigft gepflegten ©tubien fam in SJeutfc^*^ 
lanbsjbftcrreieft bie neue ©e^ilfin ber ^iftorife^en gorfd^ung jur 
geftigung unb jum fidleren äudbau törer SRet^obe unb ju 
einem fortfd^reitenben Sugbau afö SBiffenfe^aft. S)ann aber 
bradöte gidEer aui^ fünfunbitoanjigjä^riger ^efc^äftigung mit 



122 Sehnte» ftapiteL 

mittelolterlir^en Urlunben ^eraud ben burd^fd^togenben SBetoetd^ 
ba% mä) fletoiffc aflgcmeinc ©rtoägungcn, auö ben Urfunben ücr* 
fc^icbcncr ©cbietc unb mehrerer ^erioben gewonnen, bie S)ipIo* 
matxt aber t^r biiSl^ertgeiS 5£önncn boc^ noc^ l^inau^fä^rten. <Sd 
fd^uf er beifptctötteifc für bte Äufflftrung bcr ©ntftel^ung ber 
einjelnen Urfunbe unb für bie ©rfenntnfe beS SBer^filtntffei^ 
unb bcr ©ejie^uuflen ber ctnjclnen Urfunbenteile unter fic^ unb 
ju ben S^atterung^ongoben burc^fc^(agenbe 9iefu(tQte. Unb bie 
biplomatiff^e äWet^obe erlangte bamit eine »eitere 8SeröoH*» 
fommnung. Unb toäl^renb ber SSerbinbung biefer neuen 
oBgcmeinen Selirfftge mit ben ©rgebniffen einer immer ftd^ Sott* 
fommener geftaltenben 3lrt, bem ©toffe bie SKet^obe abjugetoinnen,. 
toie e^ bie meiter fc^affenbe @^)ejiaIbipIomatif eben leiftete, 
em^jfing benn bie 3)i^)Iomatif mit SBrunnerä @rHarung ber 
^erfunft unb beö SBejen^ ber fränfifc^^romanifd^en Urfunbe bie 
aüereigenften ©runbfogen i^rer ©onberarbeit unb bamit ben 
eigentlichen Slbfd^lujs alö eine bejonbere SBiffenfc^aft. 

9iad^ fold^en Seiftungen ber 9?eufc^5pfer ber btploma* 
ttfd^en SBiffenfdiaft üermoc^te SWul^Ibad^er, ben ©idel in bie 
©iplomotif eingefül^rt, ber bann bie ©ntftel^ung Don fjidter^ 
Urfunbenlel^re afe erfter Sefer tJon Sogen ju Sogen ^atte öer^ 
folgen bürfen, unb ber an Srunnerö gorfc^ungen fic^ in ben 
®eift bcig fränlifc^en 3fJed^tg eingelebt ^atte, fein Haffifd^e^ 
SBerl: 3)ie SRegeften be^ Äaiferreic^^ unter ben Karolingern ju 
fc^affen (1880—1889). $Run burfte auc^ »refelau, ber erft nac^ 
©idfefö 8lrt fid^ in ber S)ipIomatif öerfud^t Ijatte unb bann 
erfolgreich barin öorgefc^ritten toar, ber borauf in ber Urfunben- 
öernjcrtung felbftänbige SBege eingefc^Iagen, ju gidfer^ Urfunben* 
le^re umfic^tig ©teüung genommen unb bann in ©runneri^ 
gorfc^ungen ben eintrieb ju eigenen, jene fortfü^renben Unter* 
fucftungen empfangen ^atte, ben fü^nen unb in bem biiSlier 
üorliegenben erften Xeil überall gelungetien 8Serfu^ eine§ fie^r* 
buc^iS ber allgemeinen unb befonberen 3)ipIomatif tt^agen, niie 
tl^n fein ,,§anbbud^ ber Urfunbenle^rc für ®eutf erlaub unb 
Stauen (1. »b*, 1889) aufweift. Unb geftüfet auf biefe 
beutfd^e SluSgeftaltungi ber S)ipIomatif jur SBiffenfd^aft fonnte 



mdUid uttb mimxd, 123 

% ®xtt) in ^axx8 fernen Manuel de Diplomatique (1894) 
^erftetten. @g ift btefeS neueftc franjöftfc^c ^anbbuä) bcr Ui> 
funbenle^re ja atterbing^ ein cd^t franjöfifc^eg SBctf, b. f). flanj 
int ®eleife jener franjöfifd^en toiffenfc^aftltc^en Srabitton in btefer 
S)i§äiplin geilten, toeld^e toir fc^on !ennen. ^er proftifd^e 
3tt)ed, aüen benen, bie fid^ mit Urfunben ju befc^äftigen l^aben, 
für aüe auftretenben gragen einen tlnl^alt jur 8lnttoort ju 
geben unb il^nen für bie Urhtnbenfriti! bie 9Begc ju toeifcn 
unb bie äWittcI ju fd^affen, fte^t im SSorbergrunb. Unb bafe 
ber SBerfaffer für bie 2)urd^fü^rung biefe^ 3^^^^ ^^^ ®^"' 
fiigung eineö befonberen Äapitete über bie tec^nifc^e S^rono* 
logie unb toiel anbereä, toie 6eif^)iel8tt)etfe in mand^en Unter* 
Qbteilungen ber großen Stbfd^nitte ein SKitteilen öon allerlei 
Siotijen beliebt, aud^ »enn fid^ barauS ein »iffenfd^aft* 
lid^ei^ JRefuItat nod^ nid^t sieljen läßt, baö ift ganj in ber alten 
Xrabition ber SBenebiftiner über 3^^* ^"^ Einlage biplo* 
matifc^er ©d^riften gehalten. Unb bod^ ift baS SBerf in feinem 
©ad^tnl^alt unb ebenfo in ber SBiffenf^aftlic^feit, bie t^r Autor 
neben ber unmittelbaren 9iüpd^feit erftrebt, eine enge ?lnle^nung 
an bie biplomatifd^en Slrbeiten ©idete, gidferö, ®runner§, Srefe* 
laug. ®tr^ folgt j. S. Srefelau nic^t nur in ben ?lbfc^nitten über 
Urfunbenfprac^e , Urfuitbenfc^reibftoffe, Xinte unb ©olbfc^rift, 
Sinierung, Seftegelung; er ftüfet fid^ erft red^t auf i^n ba, tt)o 
Srefelau afö erfter einen neuen ©egcnftanb teiffeufd^aftlidö im 
3ufammen^ange mit ber Urfunbenletire be^anbclt ^at, toie in 
ben ?lbfc^nitten über bie päpftlic^e Äanjiei unb über bie Set)re 
00m Urf unbenbett)eife ; unb er fd^Üefet fid^ eng Srefelau« ?tug* 
füljrungen an, tt)0 biefe, tt)ie in ben Sufeerungen über ben 
©d^riftoergleid) , burc§ i^re gebanfenreid^e Ä(arl)eit ben Sefer 
fcffcin. Unb ®ir^ öertoertet bie biplomatifc^en Siefultate ©tdfefe, 
giderö unb Srunnerö nid^t ollein in i^ren @injcll)eiten fonbern 
aud^ im ganjen. @g umfd^reibt ®irt) bie Slufgaben ber S)ipIo^ 
matif afö ©iffcnfd^aft , ben ©l^arafter unb baS SBefen ber 
Urfunben unb bie SSorgänge bei iljrer Sntfte^ung nad^ .ben 
fc^öpferifd^en SBerfen jener SWänner, ilinen entnimmt er aud^ 
bie Smpulfe für feine eigenen Serfuc^e, ben UmfreuS beiS biplo^^ 



124 3<^^nted Stapittl 

matifd^en SBiffen^ ju emeitcrn. ©o aber tft bicfer Manuel de 
diplomatique bt^ Scl^rerö bcr Urlunbcntoiffcnfc^aft an ber 
ificole des chartes and) erft ermöfllti^t burc^ btc beutfd^e 
Umgcftaltuiig bcr 3)tpIomatif ^u jener §ö^c afö SBiffenfd^aft, 
tDic toir ba^ in bicfen Slättern erjä^tt ^abcn. Unb über* 
l^aupt ^Qt bie franjoftfc^e ©iplomatif ber legten Sa^rje^nte ganj 
in fid^ aufflenommen unb atö fiel^re unb 9Sorbilb feftfle^alten 
nnb Verarbeitet, toa^ bie beutfd)c 3)ipIomatiI eben an Sn^alt 
nnb an äRet^obe gewann unb atö SSiffenfd^aft vortragen 
burfte. 3)te ßeiftungen cineg Sulien §aüet j. SB. für bie mero* 
toingifc^e ^iplontatif n^ie bie eine^ @Iiad SBerger für bie päpft« 
lid^e Urfunbenforfd^ung gepren burc^auö in ben Äreiö ber Von 
ber neuen beutfd)cn biplomatif^en SBiffenjd^aft getragenen 
Strbeiten. Unb tote mit biefer (Sinmirlung ber in SJeutfd^Ianb 
nun gefd^affenen Urfunbenn^iffenfc^aft auf ben ®ang unb bie 
?trt ber arbeiten ber franjöfifd^en ©iplomatifer ift ei8 feit^er 
mit bem Sinflufe ber beutjd^en SBiffenfc^aft in Stauen getoorben. 
3n 3)eutfd^Ianb*&fterreid^ aber gewann bie Dom Slnbeginn 
i^rer 9?eubelebung fo rege biplomatifd^e gorfd^ung nun jene 
innere ©in&eit bei aller SRannigfaltigfeit , bie i^ren gebiegenen 
Fortgang, n)ie n?ir t^n vor un$ fe^en, fieberte unb ein fic^ereS 
SSortoärt^fc^reiten i^rer (Sefamtarbeit aud^ toeiter verbürgt. 

greili^ für biefen gortfc^ritt iljrer (Sejamtleiftung mufe bie 
3)ipIomatif auc^ jegt, too pe ju einer VoQen SBiffenfd^aft au^ 
gemad^fen ift, fid^ immer il^rer ^erfunft betoufet bleiben. 
üRabiÖon toar ein l^iftorifd^eS ®enie, unb für bie Qtotdt 
^iftorifd^er ©rfenntniö fd^uf er einft bie 2)ipIomatif. ©idtel 
toar ein fritijd^er §iftorifer, ate er bie ©iplomatif ate SBiffem 
fd^aft ju neuem Seben rief ; gidter toar ^iftorifer — politifc^er 
unb SRec^tS^iftorifer — aK er bie @nttt)idEeIung ber SJipIomatif 
jU förbem begann. Unb JBrunner toar SRed^t^forfc^er, ate er 
für ben Stuöbau ber Urlunbentoiffenfd^aft feine crfte §ilfe 
leiftete. Unb ©idfel, gidfer unb Srunner blieben ^iftorifer unb 
Suriften, auc^ ate fie fd^on 3)ipIomatifer geworben, unb barum 
eben ^aben fie fo fd^öpferifd^ bie ©iplomatif immer toieber 
ttjeiter fort;;ubiIben vermocht, ©nen neuen treffßd^en Seleg für 



mdhWd unb «luSblid. 125 

bicfe S^atfac^e bcr SBec^fetoirfung toon fritifc^cr §iftortc unb 
3)tpIomotif bieten anä) bie foeben erfd^ienenen biplomatifc^en 
gorfc^ungen jur (Sefc^id)te be^ 12. unb 13. Sa^rl^unbertS öon 
$aul ©treffet* »oidi^orft (1897); bcr fc^arffinnige ^iftorifdie 
Äritifer gettjinnt aU fold^er ^ier nod^ über bie S)ipIomatifer 
^erauS ben Urfunben in biplomatifcöer Unterfuc^ung SRefuItote 
ab. — STug ©efc^ic^tgmiftenfd^aft unb Slec^tgroiffenfc^aft tiaben 
aljo fd^öpferifdie ©etfter bie S)tpIomatif gefc^affen unb ju i^rer 
Sierjüglic^feit aU ^i[torifc^e J)iöäiplin erlauben. 5ßon jenen 
SBiffenfc^aften fommen bem S)tpIomatifer ba^er an6) bie Äräfte, 
um für neue Sluf gaben feiner S^iös^plin fd^öpferifd) neueSRitleC 
äu bereu Söfung ju finben. 3lid)t bie Urfunbenforfc^ung auf 
engem unb weiterem ®ebiet in überliefertem ©cicife, aud^ tnenn 
fic auf bem feften Sefig un)ere§ gefamten biplomotifd^en SBiffen^ 
beruht, nein, fold^e Urfunbenforfd^ung getragen, getrieben unb 
gelenft Don toiffenfd^aftltdö erworbener ^tftorifc^er Äritif unb 
juriftifdöcr Sluffaffung, bie öerburgt ben gortfc^ritt ber 3)ipIo* 
matif ate SSäiffenfc^aft. 

Unb an biefen 3wfömmenl^ang berS)ipIomatif mit ®efc^ic^t§* 
wiffcnfci^aft unb SRec^tötoiffenfc^aft ju erinnern, ba^ mar mit 
ein Slnlafe jur Slieberfc^rift biefeS Seitragö jur ®efc^ic^tc ber 
©iplomatif. — 



fi ilfiMll 



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