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Full text of "Die Funktionen des zentralen Nervensystems"

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DIE FUNKTIONEN 



DES 



ZENTRALEN NERVENSYSTEMS 



EIN LEHRBUCH 



D» M. LEWANDOWSKY, 



MIT 1 TAFEL UNI) Hl AimiLnUKGE^'lM'TRXT' 



JENA 

TEELAG VON GUSTAV FISCHER 

1907 



Uebersetzungsrecht vorbehalten, 





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Inhaltsverzeichnis. 



S€tte 

Vorwort IV 

L Kapitel. Einleitung. Uebenicht und Abgrenzung der Aufgabe ... 1 

II. Kapitel. Struktur und Funktion. Die Neuronenlehre 11 

III. Kapitel. Der Reflex 31 

IV. Kapitel. Das Bückenmark als Zentralorgan 49 

V. Kapitel. Die Gliederung des Rückenmarks .....* 64 

VI. Kapitel. Das sympathische System 73 

VII. Kapitel. Trophische Funktionen des Nervensystems 106 

VIII. KapiteL Der Hirnstamm (Reflexe, Atemzentrum) 117 

IX. Kapitel. Allgemeine Bedeutung des Hirnstammes. Mensch und Tier 

ohne Großhirn 142 

X. Kapitel. Einfluß der Sensibilität auf die Bewegung. Ataxie . . . 153 

XL Kapitel. Das Kleinhirn 164 

XII. Kapitel. Die Leitungsbahnen der Sensibilität zum Großhirn .... 197 

XII I. KapiteL Einleitende Bemerkungen über die Funktionen des Großhirns 

und ihre Lokalisation 216 

XIV. Kapitel. Die Reizung der Großhirnrinde. Der epileptische Krampf . 235 
XV. Kapitel. Experimentelle Erfahrungen über die Lokalisation im Großhirn 261 

XVI. Kapitel. Cerebrale Lähmungen und Bewegungsstörungen des Menschen 293 

XVII. KapiteL Die motorischen Leitungsbahuen 312 

XVIII. Kapitel. Die Sprache und die Aphasie 320 

XIX. Kapitel. Die corticale Vertretung der Sensibilität und der Sinne beim 

Menschen 359 

XX. KapiteL Die Apraxie 372 

XXI. Kapitel (Anhang). Die Gerebrospinalflüssigkeit . 381 

Tafelerklänmg 392 

literatur 393 

Sachregiater 412 



Uebersetzungsrecht vorbehalten. 



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Inhaltsverzeichnis . 



S€tte 

Vorwort IV 

L KapiteL Einleitung. Uebenicht und Abgrenzung der Aufgabe ... 1 

II. Kapitel. Struktur und Funktion. Die Neuronenlehre 11 

in. Kapitel. Der Reflex 31 

IV. Kapitel. Das Bückenmark als Zentralorgan 49 

V. Kapitel. Die Gliederung des Rückenmarks .....' 64 

VI. Kapitel. Das sympathische System 73 

VII. Kapitel. Trophische Funktionen des Nervensystems 106 

VIII. KapiteL Der Hirnstamm (Reflexe, Atemzentrum) 117 

IX. Kapitel. Allgemeine Bedeutung des Hirnstammes. Mensch und Tier 

ohne Großhirn 142 

X. Kapitel. Einfluß der Sensibilität auf die Bewegung. Ataxie . . . 153 

XI. K^Htel. Das Kleinhirn 164 

XII. Kapitel. Die Leitungsbahnen der Sensibilität zum Großhirn .... 197 

XIII. KapiteL Einleitende Bemerkungen über die Funktionen des Großhirns 

und ihre Lokalisation 216 

XIV. Kapitel. Die Reizung der Großhirnrinde. Der epileptische Krampf . 235 
XV. Kapitel. Experimentelle Erfahrungen über die Lokalisation im Großhirn 261 

XVI. Kapitel. Cerebrale Lähmungen und Bewegungsstörungen des Menschen 293 

XVII. KapiteL Die motorischen Leitungsbahnen 312 

XVIII. Kapitel. Die Sprache und die Aphasie 320 

XIX. Kapitel. Die corticale Vertretung der Sensibilität und der Sinne beim 

Menschen 359 

XX. Kapitel. Die Apraxie 372 

XXI. Kapitel (Anhang). Die Gerebrospinalflüssigkeit . 381 

Tafelerklarung 392 

literatur 393 

Sachregister 412 



Vorwort. 



In dem vorliegeDden Buche habe ich mir die Aufgabe gestellt, die 
Lehre von den Funktionen des zentralen Nervensystems von Anfang 
an und von den einfachsten Voraussetzungen beginnend bis dahin zu 
entwickeln, wo — einem stillschweigenden Uebereinkommen gemäß — 
ihre Fortführung von der Psychologie übernommen wird. 

Die einfache Aufzählung und Ausbreitung der auf diesem Gebiete 
vorliegenden Erfahrungen und Meinungen hätte dem Plan dieser Auf- 
gabe nicht genügt. Wenn ein jedes Lehrbuch in der Auswahl der 
zur Darstellung gebrachten Tatsachen einen gewissen Subjektivismus 
bekunden muß, war gerade auf dem hier behandelten Gebiet fast 
überall noch eine kritisch den Gegenstand begleitende Diskussion 
notwendig, schon um durch die Herausarbeitung und Verfolgung der 
das ganze Gebiet beherrschenden Gesetze die Einheitlichkeit des 
Stoffes herzustellen. An vielen Punkten habe ich mich dabei auf 
eigene Erfahrungen stützen können, die zu einem Teil bisher nicht 
publiziert waren. 

Ganz besonders habe ich mich bemüht, überall die Ergebnisse 
der Klinik mit denen des Experimentes zu verschmelzen. Muß doch, 
in weit größerem Umfange als irgendwo sonst, auf dem Gebiete des 
zentralen Nervensystems aus den Ergebnissen der Beobachtung am 
Krankenbett die normale Funktion abgeleitet werden. 

Ich darf daher auch die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, 
den leitenden Aerzten des Krankenhauses Friedrichshain, den Herren 
Dr. Braun, Prof. Krönig, Dr. Neümann, Prof. Stadelmann, zu 
danken für die große Liebenswürdigkeit, mit welcher sie mir seit 
längerer Zeit Gelegenheit geben, das umfangreiche neurologische 
Material des Krankenhauses klinisch zu beobachten. 

Herrn Dr. G. F. Nicolai danke ich für seine Hilfe bei der 
Herstellung der beigegebenen Tafel, Herrn Dr. Seidel für die An- 
fertigung zweier Photographien- 

Berlin, Oktober 1906. 

M. Lewandowsky. 



I. Kapitel. 

Einleitung. Uebersicht und Abgrenzung der Aufgabe. 

Die Physiologie des- zentralen Nervensystems kann nach ver- 
schiedenen Richtungen orientiert werden. Wir werden vorzüglich das 
Ziel verfolgen , die Funktionen des zentralen Nervensystems des 
Menschen aus denen des Tieres herzuleiten und im Zusammenhange 
mit diesen zu betrachten. Eine solche Betonung der menschlichen 
Physiologie wäre nicht vonnöten, wenn wir hier die Verrichtungen 
etwa der Leber, der Niere oder des Blutes abhandeln wollten. 
Mindestens in der Reihe der Säugetiere differiert die Funktion dieser 
Organe so wenig untereinander, daß zwar auch hier die am Menschen 
gewonnenen Ergebnisse berücksichtigt, aber eben doch nur in gleicher 
Linie mit dem an den anderen Säugetieren Behandelten mitgeteilt 
werden müßten. Anders beim Zentralnervensystem. Seine Leistungen 
erreichen beim Menschen eine Stufe, die eine neue Wissenschaft und 
eine neue Terminologie erzeugt hat, die Wissenschaft und die Termino- 
logie der Psychologie. Von Rechts wegen gehört in der Tat die ganze 
experimentelle Psychologie, die Psychologie als Erfahrungs- und Natur- 
wissenschaft, in die Physiologie des zentralen Nervensystems. Nun 
setzen wir uns nicht vor, dieses ganze Gebiet zu behandeln, aber 
ohne eine den psychologischen Problemen angepaßte Ausdrucksweise, 
und ohne einen Blick in dieses Gebiet werden wir die Lehre von den 
Funktionen der Großhirnrinde, und die Lehre von ihrer Lokalisation, 
nicht behandeln können. 

So sehr wir also auch die besondere Bedeutung betonen, die bei 
der Betrachtung des zentralen Nervensystems dem Menschen zukommt, 
noch mehr muß hervorgehoben werden, daß der Unterschied, der hier 
waltet zwischen dem Tiere und dem Menschen, doch kein fundamen- 
taler ist, daß er nur bezeichnet wird durch eine besonders hohe Stufe, 
welche die Leistungen des menschlichen von denen des tierischen 
Zentralnervensystems trennt. Auch der populären Betrachtung er- 
scheint diese Stufe bereits verwischt, wenn es sich nicht mehr um 
die Vergleichung eines normalen Menschen auch mit einem sehr hoch- 
stehenden Tiere, sondern um die Beurteilung eines tiefstehenden 
Idioten, eines Menschen mit mangelhaft entwickeltem Zentralnerven- 
system handelt. Ganz unwillkürlich spricht man da von einem tierischen 
Gebahren, einem tierischen Zustande. Andererseits aber ist wohl die 
Zeit nun endgültig vorbei, wo die menschliche Majestät in der Annahme 
einer Tierseele und einer Tierpsychologie eine Beleidigung sah. Dazu 

Lcwandowskv, Funktionen d. z»"ntralen Nervensystem'*. 1 



I. Einleitung und Uebersicht. 



haben in neuerer Zeit nicht zum wenigsten die Arbeiten von Forel u. A. 
über das psychische Leben der Bienen und Ameisen beigetragen. Es 
sind die psychischen Funktionen, es ist die Seele dem Menschen von 
nirgendwoher und von niemandem eingehaucht worden. Sie hat sich 
im Laufe der Phylogenese allmählich entwickelt. Es bezeichnet der 
Ausdruck des Psychischen mit all seinen Abwandlungen nach der Seite 
des Bewußtseins, des Empfindens, des Begehrens, des Wollens immer 
nur einen — man darf sagen: konventionell — abgegrenzten Kreis 
besonders hochstehender physischer, physiologischer Funktionen. Ist 
diese prinzipielle Erkenntnis erst einmal gewonnen, so ergibt sich von 
selbst, daß es überflüssig und unfruchtbar, weil auf einer falschen Frage- 
stellung beruhend, ist, nun immer nach der Grenze von physiologischer 
und psychologischer Funktion zu fragen. Mit dieser Frage ist viel 
Scharfsinn nutzlos vertan worden. So gibt sich auch der neueste 
Bearbeiter der Psychologie der niedersten Tiere, F. Lukas, die größte 
Mühe, festzustellen, auf welcher Stufe des Tierreichs „das erste Mal'* 
Bewußtsein auftritt und welcher Art dieses Bewußtsein ist. Er findet 
die erste Spur von „Begehren** schon bei den Hydroidpolypen, während 
er die Empfindung hier noch ausschließt. Man sieht schon daraus, 
zu welchen Merkwürdigkeiten ein solches Streben führt, denn ein 
Begehren ohne Empfinden zeigt sofort den Stempel künstlicher 
Definition. Nicht darum entzieht sich die Grenzbestimmung des 
Psychischen in dem Tierreiche unserer sicheren Erkenntnis, weil wir 
nur das Psychische in uns selbst erkennen und sich das Psychische 
in den Tieren unserer Erfahrung entzieht, sondern weil das sogenannte 
Psychische in der Biologie nur immer als eine besonders hohe Stufe 
des sogenannten Physischen gedacht werden darf. 

Es ist denn auch ein metaphysischer Streit, ob ein „psychophysi- 
scher Parallelismus** oder eine „psychophysische Wechselwirkung"^ an- 
zunehmen sei. Für uns darf nur bestehen die psychophysische 
Identität. Die psychischen Vorgänge sind die materiellen Vorgänge 
in den Molekülen des zentralen Nervensystems selbst. So allein kann, 
so allein muß die Einheit des biologischen Problems gewahrt werden. 
Die psychischen Reaktionen sind genau so der Kausalität und dem 
Zwange der Gesetze unterworfen, als die physischen, und wenn darum 
die „Seele** etwas räumlich Ausgedehntes, die psychischen Vorgänge 
Bewegungsvorgänge werden. 

Freilich darf diese Erkenntnis die Biologie nicht dazu verführen, 
Uebergriffe in den Kreis anderer Probleme zu wagen, wie sie gerade 
jetzt ein bekannter Monismus unternimmt, der glaubt, mit der An- 
erkennung der Kausalität, auch für das psychische Geschehen, die 
Probleme der Ethik, wie z. B. die Willensfreiheit, erledigt zu haben. 
Dieser sehr verbreitete naturwissenschaftliche Größenwahn fußt auf 
einer gänzlichen Verkennung der erkenntnistheoretischen Voraus- 
setzungen aller Wissenschaft und aller Wissenschaften. Vom Wesen 
der Dinge wissen wir überhaupt nichts, nur vom Wesen der Wissen- 
schaft. Diese hebt von der Erfahrung an, daran ist gar kein Zweifel 
(Kant), aber sie legt der Erfahrung und den Dingen (inindlagen. 
Prinzipien im Sinne Newtons, Hypothesen in dem ehrwürdigen 
und wörtlichen Sinne Platos, die entstehen fernab von aller psycho- 
logischen Betrachtung, im reinen Denken, im Denken der Wissenschaft. 
So sind die Gesetze der Dinge nur die Gesetze des reinen Denkens, 
des Denkens der Wissenschaft, und ein Prinzip des Denkens ist dies, 



Vorauesetzungen. 3 



daß Verschiedenheiten anerkannt werden müssen in den Voraus- 
setzungen der einzehien Wissenschaften. Niemals dürfen zwar die 
Voraussetzungen einer Wissenschaft durch die angenommenen einer 
anderen ungültig gemacht werden. Aber wohl dürfen wir zugeben, 
daß in der aufsteigenden Reihe der Erkenntniskreise neue Frage- 
stellungen, neue Probleme notwendig werden, welche auf dem Funda- 
ment der alten erbaut werden müssen. So geht es schon, wenn 
wir von den Dingen der anorganischen Naturwissenschaft zu den 
Problemen der Biologie kommen. Das Prinzip der physikalischen 
Naturwissenschaften ist das Gesetz, das mathematisch formulierbare 
Gesetz. Gewiß hören diese Gesetze nicht auf, in der belebten Natur 
zu wirken, und wir nehmen auch nicht einmal an, daß neue Gesetze, 
wie das Prinzip einer Lebenskraft, in der biologischen Naturwissen- 
schaft nötig wären. Denn das Organische hat sich aus dem An- 
organischen entwickelt, wie das Psychische aus dem Physischen. Durch 
die Erfahrung zu beweisen ist weder das eine noch das andere, das 
Entwicklungsprinzip aber macht diese Folgerung notwendig, und das 
Entwicklungsprinzip ist wie alle wissenschaftlichen Prinzipien ein 
Prinzip des reinen Denkens, d. h. desjenigen Denkens, welches die 
Wissenschaft verkörpert, und welches, von allen Zufallsbanden des 
einzelnen psychologischen Denkvorganges frei gemacht, die Parme- 
nidische Identität des Denkens mit dem Sein herstellt. 

Wenn das reine Denken allein fähig ist, die Verbindung der an- 
organischen mit der biologischen Welt zu vollziehen, so muß es doch 
aufrichtig genug sein, die Verwicklung des Problems, welche mit dem 
Eintreten des biologischen Unteilbaren, des Individuums, für das 
physikalische Unteilbare, das Atom, entsteht, ausdrücklich anzu- 
erkennen. Die immer wieder aufflackernden Ansprüche einer „Lebens- 
kraft" sind daher allerdings einerseits das Zeichen einer methodischen 
Unklarheit, weisen aber andererseits doch auf die Notwendigkeit be- 
sonderer Grundlagen für das biologische Problem hin. Die Erkenntnis- 
kritik, die „Logik der reinen Erkenntnis'' (H. Cohen), gibt der Biologie 
diese besondere Grundlage eines besonderen Problems in dem Begriffe 
des Zweckes, und dieser Zweck ist zu verstehen nicht als eine Zweck- 
ursache, die von außen stößt und schafft, sondern als eine Ahnung 
eines gesetzmäßigen Zusammenhanges, den wir eben nicht anders als 
unter dem Zeichen der Zweckmäßigkeit zu verstehen vermögen. So 
werden auch wir in unseren Betrachtungen dem Begriffe des Zweckes 
begegnen. Er verkörpert uns dasjenige besondere Zusammenwirken 
der Naturgesetze, das in dem biologischen Individuum zur Erscheinung 
kommt. Er ist uns somit ein Mittel wissenschaftlicher Betrachtung 
schlechthin, zugleich mit der Anerkennung eines besonderen Problems. 

Würden wir in den Kreis unserer Betrachtung nicht nur das 
biologische Individuum, sondern den sittlichen Zusammenhang der 
Menschheit aufnehmen wollen, wie es jener Monismus zu tun wagt, 
so würden wir auch hier wieder jener neuen Kombination von Gesetzen, 
jenem neuen Problem, die hier zur Erscheinung kommen, eine neue, 
wenn auch auf der Grundlage der alten aufgebaute Hypothese zur 
Seite stellen müssen. Denn es ist methodisch unmöglich, es ist im 
tiefsten Sinne eine Unwahrheit, wenn man die ethischen Probleme 
mit den Begriffen der biologischen Naturwissenschaft auflösen will. 
An solchem unwahren und unklaren Beginnen können nur die Dunkel- 
männer ihre Freude haben, denen damit die besten Waffen in die 

1* 



I. Einleitung und Ucbersicht. 



Hand gegeben werden. Die ethischen Probleme gehören der Philo- 
sophie. Es ist bezeichnend für jenen Monismus und seine Verkennung 
der Grundlagen und der Grenzen der Erkenntnisgebiete, daß er 
andererseits in die anorganische Naturwissenschaft das Gefühl der Lust 
und Unlust hineinträgt, welches er dem Aetheratom verleiht. 

Dies vorausgeschickt, darf also betont werden, daß in unserem 
Zusammenhange Tier und Mensch nur als biologische Individuen, 
unter der Herrschaft der Naturgesetze, die sich in die Form der 
Zweckmäßigkeit kleiden, betrachtet werden. 

Die besondere Bedeutung, welche für uns die Funktionen des 
menschlichen Zentralnervensystems gewinnen, verändern in ent- 
sprechendem Umfang auch unsere Methodik. Insoweit wir den Menschen 
betrachten, legen wir das Messer des Vivisektors aus der Hand und 
lassen die Natur für uns experimentieren: Denn nur verhältnismäßig 
selten kommt es vor, daß das zentrale Nervensystem des Menschen 
durch äußere Gewalt, durch Unfall, durch kriminelle oder selbst- 
mörderische Absicht verletzt wird, niemals sollte die Würde des 
Menschen zulassen, daß, sei es auch ein noch so kleiner Eingriff, 
anders als in therapeutischer oder diagnostischer Absicht an einem 
anderen Menschen gemacht wird. Die überwiegende Menge des 
Materials, aus dem wir für den Menschen Schlüsse ziehen, wird ge- 
bildet durch jene Fälle, wo aus inneren Ursachen Zerstörungen des 
zentralen Nervensystems eingeleitet werden, in denen entweder eine 
Blutung oder die Verstopfung eines Gefäßes Teile des Nervensystems 
außer Funktion setzt, oder, etwa unter dem Einflüsse von, uns noch 
oft unbekannten. Giften gewisse funktionelle Einheiten, gewisse 
Systeme, allmählich zu Grunde gehen. Entsprechende Zerstörungen 
vorausgesetzt, ist der Vorsprung, den die Untersuchung des kranken 
Menschen vor der des Tieres hat, selbst für einfachere Probleme ganz 
augenscheinlich. Ob ein Tier unter gewissen Umständen etwa warm 
und kalt wahrnimmt, das ist meist gar nicht zu bestimmen. Der 
Mensch sagt es uns mit zwei Worten. Die Physiologie kann keinen 
größeren Fehler begehen, wie das leider ihre Vertreter nur allzu oft 
getan haben, als die menschliche Pathologie nicht zu berücksichtigen. 
Zwar hat sie keine Krankheitsbilder zu zeichnen, aber den einzelnen 
Symptomen hat sie nachzugehen und sie physiologisch verständlich 
zu machen und zu verwerten. Die Physiologie des Nervensystems 
muß zu gleicher Zeit Pathologie sein, und in der Tat hat die eigent- 
liche Physiologie der Pathologie und der Klinik viel mehr an Stoff 
und an Anregung zu verdanken, als sie jenen gegeben hat. Charles 
Bell, den man — wir kommen darauf noch zurück — als den Be- 
gründer der modernen Physiologie des zentralen Nervensystems be- 
zeichnen kann, war Arzt, und aus seinen Schriften geht der innige 
Zusammenhang seiner Experimente am Tier mit den Erfahrungen am 
Krankenbett deutlich hervor. Dasselbe gilt für Hitzig, dessen mit 
Fritsch unternommene Versuche eine Epoche in unserem Gebiet be- 
deuten. Broca und Wernicke, denen die Physiologie des Gehirns 
einen guten Teil ihrer Grundlagen verdankt, waren Kliniker und haben 
sich niemals mit Tierexperimenten beschäftigt, und andererseits hätten 
so hervorragende Physiologen , wie etwa Floürens und Goltz , so 
manchen Irrtum vermeiden können, wenn sie von den Ergebnissen 
der menschlichen Pathologie Kenntnis zu nehmen der Mühe für wert 



Methodeo. 5 



gehalten hätten. Auch die experimentelle Methode und auch ihre 
Fachvertreter — ich nenne hier nur noch einmal Floürens, dann 
Cl. Bernard und Magendie, Panizza, Lussana und Luciani, 
Fr. Goltz, Eckhard, H. Munk und Exner, Sherrington und 
Langley — haben ihr Teil geleistet und man darf wohl sagen, daß wir 
uns einem gewissen Abschlüsse genähert haben. Herrscht auch noch 
viel Streit über Einzeldinge, so sind doch die Grundlinien festgelegt 
und gerade in den experimentell, d. h. am Tier überhaupt zu be- 
arbeitenden Fragen sehen wir fast überall schon das Ende der Ent- 
wickelung, haben nur noch die Wahl zwischen bestimmten und bereits 
übersehbaren Möglichkeiten. Neuland sieht nur noch die Physiologie 
des Menschen , indem sie die psychologischen Probleme zu erreichen 
sucht. Es ist zu hoffen, daß sie dabei durch die bisher kaum in 
Angriff genommene experimentelle Erforschung der Tierpsychologie 
Unterstützung findet. 

Die Lehre von den Funktionen des Zentralnervensystems sowohl 
der Tiere als des Menschen ruht auf dem Fundament der Ana- 
tomie, und dieses Fundament bezeichnet zugleich ein Hauptproblem 
unseres Gebietes , das der Lokalisation. In anderen Organen sehen 
wir ja auch bereits eine Andeutung einer Differenzierung, einer Ver- 
teilung der Arbeitsleistung. So wissen wir, daß in der Niere den 
Glomerulis eine ändere Funktion zukommt, als den Harnkanälchen, 
aber nirgends ist diese Differenzierung so weit getrieben, als im zen- 
tralen Nervensystem , nirgends auch ist die Funktion der einzelnen 
Teile so scharf zu trennen, als gerade hier. Wissen wir doch, daß 
nicht einmal die beiden Seiten des Zentralnervensystems mehr die 
gleichen Funktionen haben , sondern daß eine Funktion wie die der 
Sprache ganz an die linke Großhirnhemisphäre des Menschen geknüpft 
ist. Entsprechend der Tatsache, daß das Prinzip der Lokalisation zunächst 
hauptsächlich von der Klinik gefördert wurde, entsprechend ferner der 
Notwendigkeit, nach dem Tode die Ursache der beobachteten Symptome 
aufzusuchen , ist die anatomische Kontrolle des physiologischen Tat- 
bestandes von der Klinik viel ausgiebiger geleistet worden als von der 
Fachphysiologie. Aber auch der Vivisektor kennt nur die Grenzen, die 
er der Verletzung hat setzen wollen, nicht die er wirklich gesetzt hat. 
Die anatomische Untersuchung ist für eine große Reihe von Problemen 
ein Teil des physiologischen Experimentes und wir werden uns daher 
überall die anatomischen Verhältnisse gegenwärtig zu halten haben. 

Entsprechend der Richtung, die wir auf die Physiologie des zen- 
tralen Nervensystems, insbesondere des Menschen, nehmen wollen, soll 
von der Tierphysiologie hier wesentlich nur die der Wirbeltiere, und 
zwar insbesondere der Säugetiere, berücksichtigt werden. Wird doch 
die Physiologie der Wirbellosen ganz nur von einigen wenigen 
Forschern übersehen, die ihre Studien meist in den am Meere ge- 
legenen Stationen betreiben. 

Immerhin trägt es doch zum Verständnis der Funktionen der 
höheren Tiere bei, wenn wir kurz die Bedingungen betrachten, unter 
denen sich das Nervensystem in der phylogenetischen Reihe ent- 
wickelt hat. 



Q I. Einleitung und Uebcrsicht. 



Wir haben auszugehen von der Grundeigenschaft aller organischen 
Individuen, der Reizbarkeit. Wenn wir auf ein einfachstes, e i n z e 11 i ji; e s 
Lebewesen, eine Amöbe, die nur besteht aus einem den Kern um- 
schließenden hüllenlosen Protoplasma, einen Reiz wirken lassen, so reagiert 
sie. Sie reagiert z. B. damit, daß sie den vom Reiz getroffenen Teil ihrer 
Körperoberiläche einzieht. Der Reiz trifft unmittelbar das Protoplasma, 
er wird im Protoplasma weitergeleitet, und er bewirkt eine Reaktion, 
molekulare Verschiebungen in diesem Protoplasma selbst. Es gibt 
nur ein Körpergewebe, das Protoplasma, das demnach in gleicher 
Weise der Leitung der Erregung und der Ausführung der Reaktion 
selbst dienen muß. Die Bewegung, die wir die Amöbe ausführen 
sahen, ist nichtsdestoweniger das einfachste Schema eines Reflexes, 
einer zwangsmäßig erfolgenden Reaktion auf einen Reiz, und wir können 
daher sagen, daß die einfachsten Reflexe nicht geknüpft sind an das 
Bestehen eines Nervensystems. Wenn Bethe, Beer und UexkOll 
vorgeschlagen haben, diejenigen Reaktionen, welche ohne V^ermitteluug 
eines differenzierten Nervensystems zu stände kommen, also auch die 
Reaktionen aller Pflanzen, als „Antitypien'' zu bezeichnen, so scheint 
mir das doch nicht ganz zweckmäßig, und die Anwendung des Wortes 
Reflex auf Erscheinungen wie die besprochene jedenfalls durchaus 
keine Verwässerung des Begriffes zu sein. Es wird ganz unnötiger- 
w^eise eine anatomische Bedingung in eine physiologische Erscheinung 
hineingetragen, und dadurch werden jedesmal Nebenfragen angeregt, 
die mit der physiologischen Sache nichts zu tun haben. Gibt es doch 
auch eine Reihe von Reaktionen, von denen wir gar nicht wissen, ob 
sie Reflexe in dem strengen Sinne oder „Antitypien'' sind, vielleicht 
sogar solche, die das eine Mal als Reflex, das andere Mal als Anti- 
typie (im Sinne von Bethe) verlaufen können. 

Schon die Flagellaten und die Ciliaten zeigen eine Diffe- 
renzierung des Protoplasma derart, daß seine Hauptmasse bei der 
motorischen Reaktion wenigstens passiv bleibt, und sich nur durch 
besondere Organe, die Cilien und die Geißeln, bewegen läßt. Es ist 
also insofern eine Differenzierung eingetreten, als das Protoplasma 
für gewisse Reaktionen nur noch die Rolle eines Leiters spielt, während 
die Wimperorgane allerdings noch zugleich der Leitung des Reizes, 
aber der Vermittelung der Bewegung ausschließlich, dienen. Von 
einem nervösen Gewebe kann auch hier noch keine Rede sein. 

Das gilt auch von den Schwämmen. 

Bei den Hydroidpolypen finden wir zunächst einzelne Zellen, 
die in sich eine weitgehende Differenzierung der Reizleitung und der 
motorischen Leistung darstellen. Das Ektoderm besteht hier zum 
großen Teil aus Epithelzellen, die nach außen hin ihre cuticularisierte 
Oberfläche fest aneinanderschließen, nach innen aber auseinandertreten 
und in kontraktile Fortsätze übergehen, die an der Stützlamelle recht- 
winklig umbiegend hier eine einfache Lage von zarten Fasern bilden. 
Mit der äußeren Seite nehmen diese Zellen Reize auf, die in dem nach 
innen gerichteten Teile Bewegung, Kontraktion auslösen. Sie bilden 
also in sich Reflexapparate, in denen der „rezeptorische^ und der 
„eft'ektorische'' Teil des Protoplasma räumlich getrennt ist. Trotzdem 
ist der ihnen von Kleinenberg gegebene Name Neuromuskelzellen 
irreführend, und auch schon von den Gebrüdern Hertwig durch den 
der Epithelmuskelzelle ersetzt worden, weil eben von einem den Reflex 
leitenden nervösen Ai)parat noch keine Rede ist. Dasselbe gilt von 



Phylogenese des Nervensystems. 



den Nesselzellen derselben Tierklasse, die in sich nicht nur einen 
Reflex auf motorische, sondern auch auf sekretorische Vorgänge ver- 
mitteln. 

Trotzdem kommen schon bei den Hydroidpolypen auch bereits 
echte Nervenzellen oder solchen wenigstens sehr ähnliche vor, die mit 
langen Ausläufern sich netzförmig verbindend dicht auf der Muskel- 
schicht aufliegen, die Oberfläche nirgends erreichen, direkt also keine 
Reize mehr aufnehmen können. Diese Reize aufzunehmen sind viel- 
mehr besondere Sinneszellen da, die an die Oberfläche des Epithels 
treten und zur Aufnahme des Reizes gewöhnlich mit langen feinen 
Härchen versehen sind. Von vornherein also wird hier die eine Grund- 
leistung des Nervensystems klar, nämlich, der Leitung der Erregung 
zu dienen. Von vornherein sehen wir daher auch die natürliche Be- 
dingtheit, in der das Nerven- 
gewebe schon bei seiner ersten 
Anlage von der Schaff'ung 
besonderer reizaufnehmender 
Elemente in der Peripherie 
steht. 

Bei den Hydroidpolypen 
ist das Nervengewebe zu diffus 
verteilt, als daß wir durch das 
Experiment seine Bedeutung 
abgrenzen könnten. Aber schon 
bei den Medusen (Craspe- 
doten) bildet wenigstens ein 
Teil des Nervensystems an der 
Stelle des Schirmrandes, wo 
das Velum entspringt, einen 
doppelten Ring, einen ober- 
halb und einen unterhalb des 
Velums, so daß man durch 
Operationen am Schirmrand 
hier, wie es zuerst Roman es 
getan hat, bereits experimen- 
telle Aufschlüsse über die 
Funktionen des Nervensystems Fig. l. Schematische Abbildung einer 

erlangen kann. Es zeigt sich f.^''Z^9,''^S^''^''''\'^''^^^^^ 

, ° r j- • j -. r Umbrella, 3/ Magenstiel, r Ten takeln (r, und 

schon auf dieser niedersten t, in halber Kontraktion), .V der dunkel ge- 
Stufe, daß das Nervensystem zeichnete Nervenring, i? Randkörper, r Venen. 

nicht nur der Leitung dient, 

sondern daß gewisse Formen der Bewegung, so die rhythmische, wahr- 
scheinlich nur durch Freiwerden von Spannkräften im zentralen Nerven- 
system ausgelöst werden können. 

Wie bei den Medusen kann man auch bei den Echinodermen 
nur in einem gewissen Sinne von einem „zentralen Nervensystem'' 
sprechen. Im physiologischen Sinne zwar ist auch der ausgedehnte 
Nervenplexus, der zwischen dem Körperepithel und der Schale oder 
der Lederhaut sich befindet, als zentrales Nervengewebe zu be- 
zeichnen. Zu einem geschlossenen Organ kommt es aber dann in Gestalt 
eines aus Nervenfasern und Ganglienzellen bestehenden Ringes, der 
in der Körperhöhle um den Anfangsdarm herum gelegen ist, und von 
dem aus Nerven bei den Asteroiden in die Arme, bei den Echiniden 




EiDleitung und Uebersicbt. 



und Holothurien zum anderen Pol verlaufen. Aeußerer Plexus und 
zentraler Nervenring stehen miteinander in Verbindung. Besondere 
Anhäufungen nervösen Gewebes finden sich noch in den die Haut 
in großer Zahl bedeckenden Pedicellarien. Die Physiologie der 
Echinodermeu hat eine Reihe von Arbeiten, insbesondere Uexkülls 
aufzuweisen. 

Ein wirkliches zentrales Nervensystem — wir folgen hier genau 
der Darstellung Bethes — findet sich erst bei den höheren Wflrniern, 
den Anneliden und Hirudineen. Es wird repräsentiert durch das Banch- 
mark, das sich auf der ventralen Seite durch das ganze Tier hinzieht, 
und nach vorn hin durch zwei den Schlund umfassende Faserbündel, 
die Schlundkommissuren, mit dem dorsal gelegenen Oberschlundganglion, 
dem sogen. Gehirn, in Verbindung steht. Das Bauchniark selbst setzt 
sich aus paarigen Ganglien zusammen, die untereinander durch Kom- 
missuren verbunden sind. In diesen Ganglien finden wir eine An- 
häufung zentraler Xervensubstanz, besonders echter .Ganglienzellen", 




Fig. 2. ScheinatiBche Darstellung; dee Nervensfiiiteais: A von einer] Planarie, 
B von einem Articulaten (höhere Wurmer, Arthropoden), C von einem Mollunk. 
Nervenetämme , Kommissuren und Neuropile sind grau gezeichnet; die Lage der 
OangUen Zellen ist durch schwarze Punkte angedeutet. Og Obn^cblundganglion, 
BO Bauchganglion, B'j Buccalganglion, fg Cerebralganglion, Plij Pleuralgan glion, 
Pg Pedalgangbon, Vg Visceralganglion. INach Bethe. 

während die Nerven ganglienzellfrei sind. Auch periphere Anhäufun- 
gen zentraler Nervensubstanz fehlen meist. Die Zusammensetzung 
der zentralen Substanz wird im folgenden Kapitel besprochen werden. 
Die Selbständigkeit der Peripherie ist entsprechend dieser Zentrali- 
sierung der umsetzenden nervösen Substanz geringer. Auch die Ver- 
bindung der einzelnen Segmente der Peripherie geht Aber die Ganglien 
des Bauchstranges. Das sind Verhältnisse, wie sie der Bedeutung des 
zentralen Nervensystems bei den Wirbeltiere» nicht unähnlich sind. 

Bei den Arthropoden zeigt sich der gleiche einfache Bauplan, 
und das ist um so merkwürdiger, als die Forschungen von Wasmann, 
FoREL u. A. gerade für die Insekten eine so hochentwickelte An- 
passungsfähigkeit — von einigen sogenannte psychische Qualitäten — 
ergeben haben. Unserem Plane entsprechend, gehen wir auf diese 
Dinge, die ein Spezialstudium verdienen und ein Spezial Studium sind. 
nicht ein. 



Allgemeine Bedeutung des Nervensystems. \) 



Sowohl bei den Mollusken wie bei den Tunicaten hat die 
Peripherie wieder eine größere funktionelle Selbständigkeit. Bei den 
Mollusken unterscheidet man ein Cerebral-, Pedal- und Visceral- 
ganglion. Die Tunicaten haben ein einziges großes Ganglion. 
Hier ist mit Rücksicht auf spätere Ausführungen zu erwähnen, daß 
LoEB nach Entfernung dieses Ganglion (bei Ciona intestinalis) doch 
noch recht komplizierte und sich über das ganze Tier verbreitende 
Bewegungserscheinungen, Zusammenziehungen des ganzen Tieres bei 
Reizung der Körperöffnungen, beobachtet hat. Es sollen sich hier 
und bei den Mollusken auch wieder mehr Nervenzellen in der Peripherie 
finden. 

Bei den Wirbeltieren unterscheiden wir das cerebrospinale 
Nervensystem von dem sympathischen oder, wie man es neuer- 
dings zu nennen vorgeschlagen hat, dem autonomen Nervensystem. 
Das cerebrospinale Nervensystem, aus Gehirn und Rückenmark 
bestehend, hat sich hinter die knöchernen Wände der Schädel- und 
der Rückgratshöhle zurückgezogen, das sympathische liegt in einzelnen 
Knoten, Ganglien, verteilt oder sich an einzelnen Stellen, wie im 
Darm, noch zu Netzen ausbreitend, mitten zwischen und in den Organen, 
deren Leistungen es vorgesetzt ist, und die man im allgemeinen als 
die unwillkürlichen bezeichnet. Das sind insbesondere die organischen 
glatten Muskeln des Auges, der Gefäße und der Körperhöhlen, das 
sind ferner die Drüsen, und endlich auch das Herz. Wir haben hier 
noch nicht nötig, darauf einzugehen, und begnügen uns vorläufig 
daraufhinzuweisen, daß die „Unwillkürlich keif' der Bewegung 
nach keiner Seite ein scharfes Unterscheidungsmittel zwischen sym- 
pathischen und cerebrospinalen Funktionen an die Hand gibt. Hier 
ist vor allem zu betonen, daß auch das sympathische zentrale Nerven- 
system, das sind die sympathischen Ganglien, überall in Verbindung 
stehen mit dem cerebrospinalen Nervensystem. Dadurch kommen die 
sympathischen Organe unter eine doppelte zentrale Abhängigkeit, 
während die willkürlichen Bewegungsapparate, die quergestreiften Mus- 
keln, nur unter der unmittelbaren Leitung des cerebrospinalen Systems 
stehen. Im cerebrospinalen System laufen jedenfalls alle Fäden für 
die Reaktionen aller Organe zusammen. Das cerebrospinale Nerven- 
system wird so der Repräsentant des ganzen Organismus, der die 
Organe zu zweckmäßigem Wirken zusammenlaßt und beherrscht, und 
so die Einheit des Organismus gegenüber der Außenwelt sichert 
durch die Reaktionen, mit welchen er deren Einflüssen antwortet. So 
etwa läßt sich der Inbegriff aller jener Leistungen geben, die man als 
zentrale bezeichnet, und die zu verfolgen die Aufgabe dieser Arbeit 
ist. Zuvörderst darf jedoch bemerkt werden, daß diese Aufgabe, die 
Organe des Körpers zu einheitlichem Wirken zu verbinden, nicht ganz 
allein dem Nervensystem zukommt. Denn auch das Blut ist der 
Träger einer Reihe von Reizen, von Stoffen, die, sei es von allen 
Organen ausgeschieden, wie die Kohlensäure, sei es als spezifische 
Produkte einzelner Organe, wie der Schilddrüse, durch den Stoffwechsel 
auf dem Wege der inneren Sekretion abgesondert, entweder den ge- 
samten Organismus oder auch nur einzelne Teile desselben, darunter 
auch das Nervensystem, zweckmäßig beeinflussen. 

Beim Säugetier wenigstens ist jedoch die Herrschaft des zentralen 
Nervensystems über den Körper eine so mächtige, daß seine Zer- 
störung dem Leben des Organismus in wenigen Sekunden ein Ende 



10 ^* Einleitung und Uebersicht. 



macht. Denn der Atemapparat wird allein vom zentralen Nerven- 
system aus geleitet, und dessen Arbeitseinstellung bedeutet das baldige 
Erlöschen der Zirkulation und dann den Tod aller Orgaue. 

Ist so die Herrschaft des zentralen Nervensystems über den 
Organismus eine absolute, so erstreckt sich diese Herrschaft doch 
nicht auf das einzelne Organ. Wir können ja ein jedes Organ vom 
zentralen Nervensystem abschneiden, indem wir seine Nerven durch- 
schneiden, es aber in der Zirkulation belassen, d. h. seine Gefäße er- 
halten. Unter diesen Umständen geht kein einziges Organ unmittel- 
bar zu Grunde, die Zirkulation genügt, um ein jedes Organ am Leben 
zu erhalten — allerdings eine Gruppe von Organen nur für einige 
Zeit, nicht für immer. Wenn wir einen quergestreiften Muskel durch 
Durchschneidung seines Nerven des Zusammenhanges mit dem Nerven- 
system berauben, so geht er trotz erhaltener Zirkulation allmählich 
zu Grunde. Es erlischt nicht nur seine Funktion, sondern auch sein 
Bestand. Es ist dies das Kapitel der trophischen Funktionen des 
zentralen Nervensystems, das an seiner Stelle ausführlich abgehandelt 
werden soll. Die vegetativen Organe des Körpers jedoch gehen nicht 
zu Grunde ohne Nerven, sie fahren sogar fort, zu funktionieren, und 
auch, soweit die Zirkulation und das Blut als verbindendes Organ 
genügt, auch zweckmäßig zu funktionieren. Auch der normale Einfluß 
des Nervensystems auf diese Organe, insbesondere die Drüsen, kann 
ein sehr geringer sein. In einzelnen Fällen, wie z. B. bei der Niere 
oder der Schilddrüse, ist er uns überhaupt noch nicht bekannt Daß 
auch auf Drüsen dieser funktionsbestimmende Einfluß ein sehr großer 
sein kann, zeigt jene Beeinflussung der Leber durch Operationen am 
Zentralnervensystem, welche zur Hyperglykämie und zur Ausscheidung 
des Zuckers, zum Diabetes, führt. 

Unabhängig vom zentralen Nervensystem, weil nervenlos, ist das 
faserige Bindegewebe, dem eine aktive Funktion im Organismus ja 
nicht zukommt, unabhängig sind auch die Körperflüssigkeiten, wie 
insbesondere das Gewebe und die Zellen des Blutes und der Lymphe. 



IL Kapitel. 

Struktur und Funktion. Die Neuronenlehre. 

Wir haben uns naturgemäß zuerst zuzuwenden der ersten Frage 
der allgemeinen Physiologie des zentralen Nerven- 
systems, der Frage nach dem Zusammenhang seiner elementaren 
histologischen Struktur mit seiner Funktion. Wir sahen, daß wenig- 
stens die eine, und sicherlich die erste Funktion des Nervensystems 
besteht in der Leitung der Erregung von der Peripherie und zur 
Peripherie. Diese Leitung geschieht durch die peripheren Nerven und 
wir müssen daher von der Frage ausgehen, in welchen Elementen der 
peripheren Nerven diese Leitung statthat, um dann diese Elemente in 
und durch das zentrale Nervensystem zu verfolgen. 

Daß das grobe Bindegewebe, welches die Nervenfasern bündel- 
weise umhüllt und abteilt, mit der Funktion der Nerven nichts zu tun 
hat, daß diese Funktion vielmehr den Nervenfasern selbst zukommt, 
darf wohl als bekannt vorausgesetzt werden. Diese Nervenfasern 
stellen sich jedoch unter verschiedenen Formen dar. Derjenige 
Bestandteil, der allen Nervenfasern ohne Unterschied zukommt und 
der daher für ihre Funktion als wesentlich anzusehen ist, ist der 
Achsency linder, der im Jahre 1837 von Remak entdeckt wurde. 

Sogenannte „nackte Achsencylinder" — die Bezeichnung ist freilich 
sprachlich eine contradictio in adjecto — finden sich insbesondere im 
N. olfactorius. In der Tat wissen wir durch die Untersuchungen 
Gartens u. A., daß die Leitung der Erregung in diesen Achsencylindern 
wesentlich nach denselben Gesetzen von statten geht, wie in dem mark- 
haltigen Nerven, an welchem die allgemeine Nervenphysiologie in der 
Hauptsache experimentiert hat; die quantitativen Unterschiede, die 
bestehen, dürfen nicht auf das Fehlen des Marks, sondern müssen 
eben auf feinere DitTerenzen im Bau des Achsencylinders selbst be- 
zogen werden. 

Das Nervenmark, die Mark- oder Myelinscheide begleitet den 
Achsencylinder niemals auf seinem ganzen Wege. Sie hört da auf, 
wo die Nervenfaser ihrer Endigung in der Peripherie, z. B. im Muskel, 
zustrebt. Der Leitung der Erregung kann sie auch um dessentwillen 
nicht dienen, weil sie auch im Verlauf des peripheren Nerven in regel- 
mäßigen Abständen an der Stelle der IlANViERschen Schnürringe 
gänzlich unterbrochen ist. An den markhaltigen Fasern des Zentral- 
nervensystems fehlen diese Schnürringe, aber auch die intrazentralen 
Endigungen sind markfrei. Die Markscheide wird sicherlich im 



12 Struktur und Funktion. Neuron enlehre. 



peripheren und im zentralen Teil des Nervensystems der gleichen 
Funktion dienen, die Art dieser Funktion ist jedoch im einzelnen un- 
bekannt. Man hat sie als eine Isolierung für die im Achsencylinder 
verlaufende Erregung, als die Umhüllung für einen Kabeldraht, an- 
sehen wollen. Dagegen spricht aber ihre Diskontinuität. Auch ist 
nicht einzusehen, warum sie denn bei den Wirbellosen, und auch von 
den Wirbeltieren noch bei Amphioxus und den Cyclostomen fehlen 
dürfte, wie auch die sympathischen Fasern auch der höchsten Wirbel- 
tiere noch meist marklos sind. Sollte hier keine Isolierung der 
Leitung nötig sein? Bemerkenswert ist jedenfalls, daß die Mark- 
scheide sich erst bei den Wirbeltieren allmählich entwickelt. Am 
wahrscheinlichsten ist es uns noch, daß wir in ihr ein Schutz- und 
vielleicht auch ein nutritives Organ für den Achsencylinder zu sehen 
haben. Eine fettähnliche, lecithinhaltige Substanz, dürfte sie zunächst 
ein schlechter Wärmeleiter sein, der den Achsencylinder vielleicht vor 
schnellen Temperaturschwankungen schützt. Aber es ist ja durch die 
Untersuchungen Baeyers vor nicht langer Zeit klargestellt, daß der 
Nerv durchaus nicht, wie man das lange anzunehmen geneigt war, 
die Rolle eines fast anorganischen Leiters der Erregung spielt, sondern 
daß die Behinderung der Sauerstoffzufuhr die Funktion auch des 
peripheren Nerven vernichtet. Wenn also sicherlich hier ein lebhafter 
Stoffwechsel stattfindet, so ist es wohl möglich, daß die Markscheide 
an dessen Vermittlung ihr Teil hat. In diesem Sinne ist auch anzu- 
merken, daß nach den Untersuchungen von Lapinski die marklosen 
Nervenfasern besonders zäh sind und nach gewissen Eingriffen später 
zu Grunde gehen, als die markhaltigen. 

Die peripheren Nervenfasern werden umgeben noch von der 
ScHWANNschen Scheide oder dem Neurilemm, die sich also entweder 
dem Achsencylinder oder der Markscheide außen anlegt. Sie fehlt im 
Zentralnervensystem und auch an denjenigen Nerven, die nur als in 
die Peripherie vorgeschobene Leitungsbahnen des zentralen Nerven- 
systems zu betrachten sind, wie am Opticus. (Teile der Nervenschicht 
der Retina liegen bei manchen Tierklassen noch im Zentralnerven- 
system selbst.) An den RANViERschen Schnürringen ist auch sie 
unterbrochen. In der Peripherie scheint sie unmittelbar in das Sarko- 
lemm des Muskels überzugehen. Sie besitzt Kerne, die von wenig 
Protoplasma umgeben sind. Bei den meisten W^irbeltieren liegt ein 
Kern zwischen zwei RANViERSchen Schnürringen. Man hat daraus 
geschlossen, daß dieser Raum einem Zellgebiet entspräche. Diese 
Kerne, vielmehr Zellen, sind wohl zweifellos als die Reste der embryo- 
nalen Bildungszellen der Nervenfaser aufzufassen, wie sie denn auch 
bei der Regeneration eines verletzten Nerven eine große Rolle spielen. 

Für die Leitung der Erregung im Nerven kommt jedoch nur der 
Achsencyhnder in Betracht. Aber auch dieser ist kein einheitlicher 
Körper, sondern zwei Substanzen streiten sich in ihm um den Vorrang. 
Die eine Lehre bezeichnet nämlich eine plasmatische Substanz des 
Achsencylinders, das „Hyaloplasma** Leydigs und Nansens, als den 
Träger der Funktion und insbesondere der Leitung. Das Hyaloplasma 
entspricht einer Substanz, die mit der Markscheide eine gewisse Aehn- 
lichkeit hat, die man auch als Axostroma bezeichnet hat, und mit be- 
sonderen Färbungen, z. B. der Kaplans, sehr schön zur Anschauung 
bringen kann. Nach Nansen soll diese Substanz in feinen Röhrchen, 
den Primitivröhrchen, liegen, als deren Ausdruck eine gewisse Längs- 



leitendes Element des peripheren Nerver 



13 



streifung des Aclisencjlinders zu betrachten ist. Es unterliegt jedoch 
heute keinem Zweifel mehr, daß diese Läßgsstreifung nicht durch eine 
röhrenförmige Anordnung des Hyaloplasma bedingt, sondern der Ausr 
druck ist echter und im Achsencylinder, im Axostroma kontinuierUch 
verlaufeuder Fibrillen, wie das zuerst Max Schultze an Osmium- 
präparaten deutlich gesehen und beschrieben hat. Dali diese Fibrillen 
nur eine architektonische Bedeutung hätten, eine Ansicht, welche 
neuerdings von M. Wolfp ausgesprochen wurde, ist denn doch äußerst 
unwahrscheinlich. Insbesondere hat Bethe darauf hingewiesen, daß 
die plasmatisclie Substanz des Achsencylinders an der Stelle der 




FiK. 3. a Längsschnitt einer niarkhaltigeo Nervenfaser mit gefärbten Fibrillea 
(F Fibmienscheide, S ScHWAMNsche Scheide), b Quen^nitt durch markhaltige 
Nervonfasem. il Platte einer RASviERsehen Eiiischulirung, mit Silber i;eBehwärEt. 
Man sieht die Jcleinen Poren, durch welche die Fibrillen hindurch treten (n, b und d 
vom FroHch). r osmierte Nervenfasern von Torpedo. Lioka in ^eewaeser, rechts 
nach dem Uebcrtragen iu destilliertes Wasser. Bei der recbtCD Faiei ist die Zirischen- 

Slatte (reqnollen. e geailberle Faser vom Frosch. Der Fibrillenetran); i«t außer an 
er RASViERscheii Einschnürung zu9«niraenKe«i.'hrumpft. / geschrumpfte Faser aus 
einem Älkoholpraparat (Frosch). Die Znjgchenplatte ist beim Zupfen aus der Ra>'- 
YiBBBcheu Einschiiürung herauegerissen. Nach tlETUf. 

RANViERschen Schnürringe eine vöUige oder mindestens eine fast völlige 
Unterbrechung erfährt, da die Fibrillen hier eine aus festerer Substanz 
bestehende Platte passieren. Durch einen Druck auf die Nervenfaser 
kann man das Hyaloplasma an dieser Platte zur Stauung bringen. 
Die Kontinuität wird allein hergestellt durch die Fibrillen, welche von 
dem Hyaloplasma oder Axostronia umspfilt werden. Sie sind das 
leitende Element der Nerven, Die Achsenfibrillen verlaufen kontinuier- 
lich und isoliert durch die ganze Länge des Achsencylinders. Inwie- 
weit sie in der Peripherie, da, wo der Achsencylinder sich als solcher 
auflöst, sich etwa zu Netzen verflechten, inwieweit sie auch hier als 



14 II- Struktur und Funktion. Neuronenlehre. 



isolierte Drähte bestehen bleiben, ist, für die Wirbeltiere wenigstens, 
noch nicht ausgemacht. Die mannigfachen Formen der Nervenendigung, 
die man beschrieben hat, Hirschgeweihe u. dergl., dürfen allerdings 
heute nicht mehr als der wahre anatomische Ausdruck der letzten 
Endigung der Nerven und der Achsenfibrillen betrachtet werden. 

Welche Prozesse es sind, die also in den leitenden Fibrillen ver- 
laufen, das ist eine Frage, welche durch die allgemeine Nervenphysio- 
logie beantwortet wird, und die nicht zu unserem Gebiet gehört. Nur 
einige neuere Versuche von Bethe dürfen hier erwähnt werden, weil 
Bethe die Funktion der Nervenfibrillen mit ihrer chemischen Kon- 
stitution in Beziehung bringt. Bethe konstatiert in den Fibrillen 
eine Säure, die „Fibrillensäure", welche die primäre Färbbarkeit der 
Fibrillen mit basischen Farbstoffen ermöglicht. Er fand nun mit 
Hülfe einer mikrochemisch diese Säure anzeigenden Färbemethode, daß 
wenn man einen Nerven mit dem konstanten Strom durchströmt, schon 
nach kurzer Zeit diese Fibrillensäure sich an der Kathode ansammelt 
und an der Anode verschwindet. Da also, wo nach den Gesetzen des 
Elektrotonus die Erregbarkeit vermindert ist, schwindet die Fibrillen- 
säure, und Bethe findet nun weiter, daß alle Prozesse, welche den 
Nerven, wenn auch nur vorübergehend, funktionsunfähig machen, wie 
z. B. eine Narkose mit Chloroformdämpfen, die Wanderung der 
Fibrillensäure auflieben. Diese wäre dann also ein Lebensvorgang und 
Bethe ist geneigt, die Fortpflanzung der Erregung im Nerven wesentlich 
durch die Fortpflanzung eines chemischen Vorganges, einer Aenderung 
der Affinität zu erklären, wenngleich er physikalische Zustands- 
änderungen nicht gänzlich ausschließt. Auch dieser chemische Prozeß 
ist jedenfalls wieder an den Achsenfibrillen , dem leitenden Element 
der Nervenfaser, zu konstatieren. 

Demnach würde sich jetzt die Aufgabe ergeben, diese leitenden 
Strukturen in und durch das zentrale Nervensystem zu verfolgen. 

Wir unterscheiden im zentralen Nervensystem die graue Sub- 
stanz von der weißen. Man hat lange Zeit hindurch die graue 
Substanz insbesondere im Gehirn nur als ein Schutzorgan der weißen 
angesehen. Gall war einer der ersten, der die Bedeutung der 
grauen Rinde und die des Graus als Stätte der zentralen Vorgänge 
hervorhob. Die Färbung der weißen Substanz wird bedingt durch die 
Markscheiden der in ihr verlaufenden Nervenfasern. Die graue Sub- 
stanz darf jedoch nicht, wie wir gleich sehen werden, ohne weiteres 
identifiziert werden mit den Stätten, in welchen Nervenzellen in größerer 
Menge auftreten. 

Ehe wir auf ihre Zusammensetzung eingehen, muß noch kurz eines 
Bestandteiles des zentralen Nervensystems, sowohl der grauen, als der 
weißen Substanz, Erwähnung getan werden, der Neuroglia. Die 
Neuroglia ist gleichen, ektodermalen Ursprungs wie das eigentliche 
nervöse Gewebe, sie entsteht mit diesem aus der Medullarplatte, aus 
gemeinsamen Ursprungszellen, den von His so genannten Ncuroblasten. 
Trotzdem scheint sie eine aktive Funktion nicht mehr zu erfüllen. 
Sie besteht aus Zellen verschiedener Größe und oft bizarrer Form 
(Spinnenzellen), sowie aus Fasern. Sie soll nach den neuen Forschungen 
von Held ein zusammenhängendes Syncytium, also eine Protoplasma- 
masse ohne scharfe Zellgrenzen bilden. Sie wuchert überall da, wo 
das eigentliche nervöse Gewebe zu Grunde geht, und auch ihre An- 
ordnung schon deutet an vielen Stellen auf eine mechanische Funktion, 



Ganglienzellen. Achsencylinder- und Protoplasmaforteätze. 15 

die einer eigentümlichen Stützsubstanz, hin, als welche sie denn auch 
fast allgemein aufgefaßt wird. Jedenfalls liegt gar kein plausibler 
Grund vor, der Neuroglia, die im übrigen auch nur bei den Wirbel- 
tieren sich findet, einen Einfluß auf die nervöse Leitung zuzuerkennen. 

Wir kehren zur grauen Substanz zurück. Mindestens ihr einer 
wesentlicher Bestandteil sind die Nerven- oder Ganglienzellen. 
Das Problem, das noch immer nicht ganz gelöst ist, ist das nach dem 
Zusammenhang dieser Zellen mit den Fasern der grauen und der 
weißen Substanz. ^ ' 

Kaum irgendwo anders ist die Bedeutung neuer Methoden für 
den Fortschritt und auch für den Rückschritt unserer Erkenntnis so 
deutlich zu beobachten, wie in dieser Frage, und wir glauben daher 
auch, daß es am einfachsten und klarsten ist, diese Frage historisch 
darzustellen. 

Die Ganglienzellen wurden 1833 durch Ehrenberg im Nerven- 
system der Wirbellosen entdeckt, durch Zerzupfen dargestellt und 
richtig beschrieben. Bei Wirbeltieren wurden sie zuerst von Valentin 
(1836) gefunden und ihre weite Verbreitung im Rückenmark, Gehirn, 
in sympathischen und spinalen Ganglien festgestellt. Die Bezeichnung 
^Belegkörper", die Valentin wählte, beweist schon, daß er sich von 
ihrer Bedeutung und Funktion keine Vorstellung zu machen vermochte. 
Johannes Müller, Purkinje, Remak gaben bald darauf voll- 
kommenere Beschreibungen dieser Körper bei Wirbellosen und Wirbel- 
tieren. Der Name Purkinjes ist einer eigenen Art von Ganglien- 
zellen in der Rinde des Kleinhirns geblieben. Was alle diese Autoren 
hervorhoben, waren die eigentümlichen Fortsätze dieser Gebilde, die 
ja damals, vor Aufstellung der Zellenlehre durch Schleiden unjd 
Schwann, noch nicht als Zellen bezeichnet wurden und werden konnten. 
In der Tat ist der Begriff einer fortsatzlosen ^apolaren^^ Ganglienzelle, 
um den man sich eine Zeitlang gestritten hat, im physiologischen Sinne 
wenigstens ein Unding. Unipolare Ganglienzellen gibt es besonders 
bei Wirbellosen. Hier jedoch teilt sich dieser eine Fortsatz bald weiter. 
Bei den Säugern hat man insbesondere eine Zellart für unipolar 
gehalten, die bläschenförmigen Zellen der mesencephalen Trigeminus- 
wurzel. Wir können uns dieser Ansicht jedoch nicht anschließen. 
Bipolar — - die Bipolarität wird bei den Säugern verdeckt durch eine 
T-Form — sind die Spinalganglienzellen der Wirbeltiere. Alle anderen 
Ganglienzellen sind multipolar. 

Die entscheidende Entdeckung, die wir noch immer verfolgen, der 
Nachweis des Ueberganges von Nervenfasern in(janglien- 
z eilen, ist zuerst Remak 1888 an den sympathischen Ganglien ge- 
lungen. Es handelte sich also um marklose Nervenfasern. An anderen 
Objekten ist dann mit mehr oder weniger großer Sicherheit diese Ent- 
deckung von Hannover, Helmholtz, Harless bestätigt worden. 
Der Ursprung markhaltiger Fasern aus Ganglienzellen ist zuerst von 
Koelliker (1844), dann von Rudolf Wagner und Robin, von diesen 
an dem gleichen Objekt, den bipolaren Spinalganglienzellen von 
Torpedo, gesehen worden (1847). 

Remak formulierte auch das Gesetz, daß immer nur ein Achsen- 
cylinder aus einer Ganglienzelle entspringe und Deiters unterschied 
ganz allgemein Achsencylin derfortsätz e von den Fortsätzen, 
aus denen Nervenfasern nicht hervorgingen, und die er als Proto- 
plasmafortsätze bezeichnete. 



16 Struktur und FunktioD. Xeuronenlehre. 



Die DEiTERSsche Fassung ließ zwei Fragen offen , ob nämlich 
erstens eine jede Zelle auch einem Achsencylinder den Ursprung gebe, 
oder ob auch Zellen ohne Achsencylinder, nur mit Protoplasmatort- 
sätzen, vorkämen, eine Frage, die auch heute noch nicht beantwortet 
ist. Auf der anderen Seite wissen wir jedoch, daß einzelne Zellen 
mehr als einen Achsencylinder entspringen lassen, das sind erstens 
die bipolaren Spinalganglienzellen der Wirbeltiere und dann gewisse 
Zellen der Wirbellosen, welche Retziüs zuerst beschrieb. 

Die zweite Frage, die durch das DEiTERSsche Schema nicht ent- 
schieden wurde, ist die, ob denn jeder Achsencylinder aus einer Zelle 
entspringe. Dies war lange Zeit hindurch durchaus nicht die land- 
läufige Annahme. Bis zu der Aufstellung der Neuronenlehre nahm 
man vielmehr allgemein einen doppelten Ursprung des Achsencylinders 
an, die einen sollten aus den Zellfortsätzen direkt, die anderen aber 
aus einem unentwirrbaren Netz von marklosen Nervenfasern und 
Protoplasmafortsätzen hervorgehen. Das war das GERLACHsche 
Fasernetz, aus dem so die Fasern der hinteren Wurzeln abgeleitet 
wurden, während der Ursprung der vorderen Wurzeln aus den Vorder- 
hornzellen unbestritten blieb. An den Namen Gerlachs knüpft sich 
auch eine technische Verbesserung der Untersuchung, die erste Färbung 
des zentralen Nervensystems (mittels Karmin). Die bezeichnete Frage 
scheint uns allerdings für die Wirbeltiere nun heute im entgegengesetzten 
Sinne, in dem des ausschließlichen Zellursprunges des Achsen- 
cv linders, entschieden. Zwar hat noch vor kurzem Nissl wieder 
die Möglichkeit erwogen, daß auch beim Wirbeltier, insbesondere in 
der Großhirnrinde, Achsencylinder aus dem „Grau^, aber nicht aus 
Zellen entspringen. Er schloß das aus dem Mißverhältnis in der Zahl 
der Zellen und dej Markfasern unter der Voraussetzung, daß diese 
sich nicht teilten. Indessen wurde von uns solche Teilung von Mark- 
fasern doch als wahrscheinlich nachgewiesen und dadurch die Voraus- 
setzung der NissLschen Hypothese hinfällig gemacht. Bei den Wirbel- 
losen allerdings liegen, wie wir sehen werden, die Dinge sehr viel 
komplizierter. 

Der große Umschwung in der Auffassung von der elementaren Zu- 
sammensetzung der grauen Substanz ist geknüpft an die Deutung der 
mit der GoLGischen Methode gewonnenen Bilder. Die GoLGische 
Methode beruht auf der Herstellung von metallischen Niederschlägen, 
welche die Zelle und ihre Ausläufer mit einem dicken Mantel um- 
kleiden. Dadurch kommen jene bekannten Figuren zu stände, welche 
zwar die äußere Form der Zelle gut wiederzugeben scheinen, von der 
inneren Struktur aber keine Spur erkennen lassen. Diese Methode 
hat aber ganz naturgemäß noch zwei weitere Uebelstände. Der schwarze 
Niederschlag bildet sich nicht nur um die Ganglienzellen und ihre 
Ausläufer, sondern auch in anderen Spalten des Gewebes, so daß 
Verbindungen zwischen nicht zusammengehörigen Teilen so künstlich 
hervorgebracht werden können. Treibt man die Imprägnation anderer- 
seits nur bis zu einer gewissen (Jrenze, so ist man wieder nicht sicher, 
alle bestehenden Verbindungen wirklich dargestellt zu haben. Auch 
stellt die Methode überhaupt niemals alle Elemente dar, sondern sie 
sucht sich in launischer Weise die eine oder die andere Zelle heraus, 
während die meisten ungefärbt bleiben. 

In der Tat ist dann auch die Deutung der mit dieser Methode 
gewonnenen Bilder erheblicher Willkür unterworfen und ihr Erfinder 



GoLOische Methode. 17 



selbst hat dann auch keineswegs aus den von ihm gesehenen Bildern 
diejenigen Schlösse gezogen, welche eine radikale Aenderung unserer 
Anschauung vom elementaren Bau des Zentralnervensystems be- 
gründeten. 

Auch GoLGi nämlich nahm noch an, daß ein Teil der Achsen- 
cylinder entspringe nicht unmittelbar aus der Zelle, sondern aus einem 
Netzwerk von Nervenfasern, das er aber im Gegensatz zu Gerlagh 
sich nicht bilden ließ aus den Protoplasmafortsätzen, sondern durch 
die Teilung der Achsencylinder selber. 

Die Teilung der Achsencylinder nachgewiesen zu haben 
ist in der Tat eins der objektiven Verdienste Golgis und seiner 
Methode. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die einzelnen Zweige des 
Achsencylinders, die Kollateralen, entsprechen je einer Achsen- 
fibrille, welch letztere ja, wie wir sahen, den Achsencylinder an ver- 
schiedenen Stellen seines Verlaufes verlassen können. 

Die Zellen mit kurzen Achsencylindern, die sich schon in geringer 
Entfernung von der Zelle verästeln, Golgis Zellen 2. Ordnung, sollten 
nun eben so ein Netzwerk bilden, aus dem die sensiblen Fasern hervor- 
gingen, das im übrigen jedoch auch mit motorischen Achsencylindern 
(aus den Zellen 1. Ordnung mit langem Achsencylinderfortsatz) in 
einiger Verbindung stand. 

Man sieht sofort, daß somit die Protoplasmafortsätze aus dem 
nervösen Zusammenhang ganz ausgeschaltet bleiben und in der Tat 
hielt sie Golgi nur für nutritive Hilfsorgaue der Zelle. Diese An- 
sicht ist zweifellos unhaltbar. Die Protoplasmafortsätze haben un- 
zweifelhaft mit der nervösen Leitung etwas zu tun, wenngleich wir 
nur als Kuriosität jener phantastischen Theorien gedenken wollen, 
welche sie mit amöboider Beweglichkeit begaben und dann das 
Funktionieren des Nervensystems von diesen amöboiden Bewegungen 
abhängig machen, also etwa den Schlaf als die Folge der Isolierung 
der Zellen durch die Zurückziehung der Fortsätze ansehen wollten ^). 
Das Verhalten der Protoplasmafortsätze aber blieb ein Nebenpunkt, 
solange eben Golgi selbst ein nervöses Netzwerk , wenn auch aus 
Achsen cylinderfortsätzen, annahm. 

Dieses Netzwerk beseitigte Ramön y Cajal, und dadurch wurde 
eine totale Veränderung der Sachlage herbeigeführt. Mit einer Modi- 
fikation der GoLGischen Methode nämlich kam Ramön y Cajal zu 
dem Ergebnis, daß sowohl die Achsencylinder- wie die Protoplasma- 
fortsätze frei endigten, nirgends miteinander verschmelzen,' sondern 
sich nur berühren. Demgemäß war nun das ganze Nervensystem und 
insbesondere das zentrale Grau aufgelöst in eine Summe von 
Zelleinheiten. Eine jede Zelleinheit bestand aus dem Zellleib mit 
den Protoplasmafortsätzen einerseits, und dem Achsencylinder und 
dessen Endbäumchen andererseits. Diese Zelleinheit erhielt von 
Waldeyer den Namen Neuron. 

Durch die Neuronenlehre war also das cellulare Prinzip 
durchgeführt für das Nervensystem. Nur diese Erfüllung des cellularen 
Prinzips für das Nervensystem, welche die Neuronenlehre ausspricht, 

1) Wenn auch die Beobachtung von Wiedeksueim richtie wäre, der an den 
CTEDglienzeUen von Leptodora hyalina amöboide Bewegungen gesäen zu haben glaubt, 
so könnte von einer Verallgemeinerung diese« Befunde« gar keine Rede sein. In- 
dessen hat Bamassa überhaupt bestritten, daß die von Wiedebshedi in Bewegung 
geseheoen Zeilen nervöse Elemente gewesen seien. 

Lewandowsky, Fanktionen d. zentralen Nervensystems. 2 



18 



IL Strahtar und FnoktioD. NearoneD lehre. 



läßt danD auch ganz den beispiellosen Erfolg verstehen, weichen diese 
auf einer einseitigen Methode beruhende Lehre davontrug, läßt es ver- 
stehen , daß Htstologen vom Rang& 
eines KoELLiKER in so ausschUeß- 
_ . ^j- licher Weise die Resultate dieser so- 

l^«r- ^_ W^^fl^^ eminent unhistologischen Methode be- 

■^ > Den- tonten. Es ist freilich zu erwähnen, 
dritan jjß jjm.}] jjg Resultate einer anderen, 
aber gleichfalls sehr launischen Me- 
thode, der EHRLiCHschen vitalen 
Methjlenblaufärbung, der Neuronen- 
lehre nicht zu widersprechen schienen- 
Vor allem aber war allerdings das. 
Cellnkrprinzip auch auf anderer Grund- 
lage schon für das Nervensystem aus- 
gesprochen worden. Hi6 hatte die 
histogenetis che Einheit der Zelle 
und ihrer Austäufer ausgesprochen. 
Die Nerven sollten bis in ihre feinsten 
Ausläufer in der Peripherie und eben- 
so im Zentralorgan selbst aus ihren 
Ganglienzellen , ein jeder Achsen- 
cylinder aus seiner Ganglienzelle aus- 




■Mark scheide 



—Achsency linder 





r der 

Achseney linder nnett, h von Neurilemiu, c voa 
Marbocheide, c' von Mnrksrhdde und Neuri- 
lemm überzogen \%l. Die Schci<len «ind aber 
nur ncceesoriHi'he IlcsUndteilc de« NeuroDS. 

Fig. 5. PyTamidciizelle aiiH dnem »enk- 
rcchteo Schnitte der (jroßhimrinde &» er- 
nachfieDen MenschcD. (iOLOi^hc Methode. 
Fig. 4. 120mal vergr. Mach Stöhr. 

wachsen. Im Mikroskop war das DatQrlich nicht zu beweisen. Nicht 
recht zu vereinbaren sind mit dieser Lehre auch Fälle von aogeborenem^ 



Das Neuron histogeDetische und trophische Einheit 19 

Fehlen des Rückenmarkes, in welchen trotzdem die peripheren Nerven 
zur Entwickelung gekommen waren. Insbesondere Hensen hat dann 
auch die der Hisschen entgegengesetzte Lehre vertreten, daß proximaler 
und distaler Endapparat vom Beginn ihrer Sonderung an bis zur ab- 
schließenden Festlegung der Nervenbahnen in Zusammenhang bleiben. 
KuPFFER hat eine Entstehung dieses Zusammenhanges durch eine 
kettenartige Zusammenfügung von Teilgliedern vertreten. In der Tat 
ist, wie insbesondere Nissl betont hat, dieses Auswachsen einer Rücken- 
marksyorderhornzelle — auf deren Verhalten stützte sich His besonders 
— nur bis zur Peripherie des Rückenmarkes, nicht darüber hinaus zu 
verfolgen, ein unmittelbarer Beweis für die Neuronenlehre aus histo- 
logischer Beobachtung also nicht herzuleiten. 

Wenn nicht zum wenigsten die Kliniker und die Pathologen an 
der Neuronenlehre festgehalten haben, so waren es für diese wieder 
andere Momente, welche ihnen diese Theorie nicht nur als plausibel, 
sondern als notwendig erscheinen ließen, und das waren die Erschei- 
nungen der Degeneration, die wir daher schon hier nicht un- 
beachtet lassen können. 

Seit Waller wissen wir, daß die peripheren Nerven ihre sogenannten 
trophischen Zentren haben, daß insbesondere die trophischen Zentren 
der vorderen Wurzeln und der motorischen Nerven im Rückenmark, 
die der sensiblen Nerven sowohl wie die der hinteren Wurzeln in den 
Spinalganglien liegen. Diese WALLERschen Degenerationen waren ins- 
besondere von GuDDEN nun auch im zentralen Nervensystem selbst 
verfolgt worden und er hatte ganz bestimmte gesetzmäßige Degene- 
rationen gewisser Bahnen nach Zerstörung gewisser Herde grauer 
Substanz gesehen. Aber er hatte weiter auch eine umgekehrte Be- 
ziehung zwischen weißer und grauer Substanz nachgewiesen. Nach 
Durchschneidung der weißen Bahnen gingen die grauen Herde, aus 
denen sie entsprangen, allmählich zu Grunde, oder sie wurden, wenn 
man die Operation an sehr jungen Tieren vornahm, in ihrer Entwick- 
lung gehemmt, kamen gar nicht zur vollen Ausbildung. Man sieht 
ohne weiteres, daß die Neuronenlehre nunmehr diesen Zusammenhang 
zu erhärten schien, indem sie erstens die zirkumskripten Degenerations- 
felder GüDDENs auflöste in ihre Elemente, die einzelne Faser unter 
allen Umständen abhängig machte von der einzelnen Zelle, und indem 
sie zweitens Zelle und Faser, insbesondere Zelle und Achsencylinder^ 
als ein unteilbares Ganzes zu betrachten vorschlug, das nur im 
Zusammenhang miteinander bestehen könne. In der Tat war es denn 
auch ein Schüler Güddens, A. Forel, welcher noch vor Waldeyer, 
wenn auch nach His, die Neuronenlehre in ihren wesentlichen Zügen 
aufgestellt hatte. Die Sache hatte aber auch in diesem Zusammenhang 
von vornherein einen Haken. Man nahm an, daß, wenn die Zelle, 
vielmehr der kernhaltige Teil der Zelle zu Grunde ging, alle ihre Fort- 
sätze, Achsencylinder und Protoplasmafortsätze der Degeneration ver- 
fallen waren. Das ist wohl richtig. Die umgekehrte Abhängigkeit 
der Zelle von dem Fortsatz hatte man nur für den Achsencylinder- 
fortsatz bewiesen, und auch wohl eigentlich nur für diesen, nicht für 
die Protoplasmafortsätze angenommen. Nissl hat denn auch durch 
pathologische Erfahrungen bewiesen, daß einzelne Protoplasmafortsätze 
zu Grunde gehen können, ohne daß die ganze Zelle darum zum Tode 
verurteilt ist. Das entspricht auch durchaus den Erfahrungen der all- 
gemeinen Physiologie an anderen Zellen. Eine Zelle ist im allgemeinen 



20 n. Struktur und Funktion. Neoronealehrc. 

nur dann dem sicheren Untergänge verfallen, wenn ilir Kern entfernt wird. 
Einzelne Protoplasmastficke kann die Zelle entbehren, ohne daß ihr 
Bestand darum gefährdet ist. Nun bleibt aber der kernhaltige Teil der 
Zelle ebensogut bestehen, wenn ihr Achsencvlinder als wenn ein Prolo- 
plasmafortsatz abgeschnitten ist. Der Achsencylinder also steht, da 
die kernhaltige Zelle von ihm abhängig ist, in einer ganz besonderen 
und nach dem Cellularprinzip durchaus unerklärlichen, ualien Be- 
ziehung zur Zelte. Es muß also eingesehen werden, daß die Tat- 
sachen der WALLERSfheu und der retrograden Degeneration durch i 
die Neuronenlehre ebensowenig wie durch eine andere Theorie za 
erklären, wenngleich sie von jeder Theorie zu berücksichtigen sind. 

Allerdings ist selbst die Tatsache der Abhängigkeit der Fuser von 
der Ganglienzelle neuerdings in Frage gestellt worden, und zwar durch 
die Untersuchungen Bethes über die Regeneration peripherer Nerven. 
Wir wissen seit Cruikshank (1776), daß durchschnittene Nerven wieder 
„heilen" und wieder leitungsfähig werden können. Daß dabei keine 
„prima reunio nervoruin" eintritt, daß die beiden Stümpfe nicht einfach 
miteinander wieder verwachsen und damit die Leitung wieder hergestellt 
ist, darüber ist man sich jetzt einig. Vielmehr nahm man an. daß 
die Regeneration vom zentralen Stumpf ausgeht und daß dessen Fasern 
den vorgezeiebneten Weg der peripheren bis zur Endigung verfolgen. 
Dabei soll nach Forshanm durch diese Fasern des peripheren Stumpfes 
eine Art chemischer Reiz auf die Wachstumsrichtung des zentralen 
Stumpfes, ein „Neurotropismus", zur Geltung kommen. Nun ist jedoch 
eine Tatsache dabei von vornherein sehr merkwürdig und erwähnenswert, 
daß nämlich die Fasern der zentralen Bahnen, sowie der Opticus, 
der einer zentralen Bahn gleichzusetzen ist, wenigstens beim Säugetier 
sich nicht regenerieren. Das kann unserer Ansicht nach nur an einem 
Umstand liegen, daß nämlich die Fasern der zentralen Bahnen keine 
SoHWAMNschen Scheiden besitzen. Dafür spricht auch der Versuch, 
den wir angestellt haben, die Fasern des N. facialis am Knie, da wo 
sie noch keine ScHWANNschen Scheiden besitzen, zu durchschneiden, 
mit dem Erfolge, daß sich diese p'asern jetzt auch nicht mehr regene- 
rierten. Jedenfalls ist einerseits sicher, daß die zentrale Oanglienzelle 
gar nicht die Eigenschaften besitzt, die Regeneration ihrer Fasern voll- 
ständig zu besorgen und dann, daß in dem peripheren Nerven ein 
besonderes Moment wirksam sein muß, um die Regeneration zu ver- 
mitteln. Wenn wir das Substrat hierfür in den Zellen der Schwann- 
schen Scheide suchen, so entspricht dem die seit Hjelt (1861) häufig 
wiederholte Erfahrung, dali die Regeneration von lebhaften Wucherungs- 
vorgängen dieser Zellen eingeleitet wird. 

Sehr überraschend ist aber die Behauptung Bethes. daß eine peri- 
phere Regeneration ohne Mitwirkung des Zentral organ es, eine autogene 
oder autochthone Regeneration, möglich sei. Bethe beobachtete, daß 
unter gewissen Umständen, insbesondere bei jungen Tieren, auch dann, 
wenn er eine Wiederherstellung der Verbindung mit dem zentralen 
Stumpf ausschließen zu können vermeinte, eine Regeneration des Achsen- 
cylinders und auch der Markscheide eintreten könne. Wenngleich diese 
Regeneration nicht zur Bildung an Form und Kaliber ganz normaler 
Fasern führe, so könne doch ein solcher autogen regenerierter Nerv 
wieder leitungsfähig und erregbar — selbstverständlich nur für künst- 
liche Reize, da die Verbindung mit dem Zentralorgan fehlt — werden. 
1 hat die Resultate Bethes vielfach angegriffen, insbesondere habeo 



I 





AutogOM Begeneration. Nenron and Physiologie. 21 

Lanolet und Anderson sie durch Auswachsen zentraler Nervenfasern 
in den peripheren Stumpf erklären wollen ^). Es ist in der Tat nicht 
zu übersehen, daß — soweit wir blicken können — Bbthe den 
stringenten physiologischen Beweis fQr das Fehlen zentraler Ver- 
bindungen durch Reizung des Zentralorgans — vielleicht unter Ver- 
wendung des später zu besprechenden Strychnins — nicht geführt 
hat, und daß vor allen Dingen ein von ihm erhobener Befund alle 
unsere Anschauungen über die trophische Funktion des Zentralorgans 
auf den Kopf zu stellen scheint, der nämlich, daß der autogen regene- 
rierte Nerv zum zweiten Male und zwar nur peripherwärts degeneriert, 
wenn er in seinem Verlaufe durchschnitten wird. Gerade dieser Um- 
stand spricht natürlich sehr zugunsten der Annahme einer Anasto- 
mosenbildnng zwischen zentralem und peripherem Stumpf. Immerhin 
ist doch die Tatsache der histologischen Regeneration, wenn auch nicht 
bis zu dem von Bethe beobachteten Grade neuerdings wieder von 
Lapinski bestätigt worden, freilich immer noch bestritten. Daß mit 
einer autogenen Regeneration ein zwingender Beweis gegen die aus 
den Erfahrungen der Degenerationslehre sowohl, wie aus der Histo- 
genese genommenen Gründe für die Neuronenlehre gegeben wäre, ist 
ohne weiteres klar. 

Welche Konsequenzen hat nun die Neuronenlehre für die Physio- 
logie? Zunächst war sie natürlich die völlige Befriedigung derjenigen, 
die sich den Organismus nur als eine Summe von Elementarorganismen 
vorstellen können. Denn einerseits waren nach der neuen Lehre nun 
alle zentralen Leistungen gebunden an einzelne Zellindividuen. Das 
zentrale Grau existierte nicht mehr, es war ja nur noch eine Summe 
von Zellen. Die Hypothese R. Wagners von den Ganglienzellen als 
den nervösen Zentralorganen schien endlich bewiesen. Diese moralische 
Befriedigung einzelner Physiologen und Pathologen war aber eigentlich 
alles, was die Neuronenlehre der Physiologie geleistet hat. In der 
Tat ist nicht eine einzige Tatsache ans der Lehre von den Funktionen 
des Nervensystems durch sie dem Verständnis näher geführt worden. 
Man bezog eben einfach alle Tatsachen, die für eine — unbestrittene 
— besondere Organisation der grauen Substanz sprachen, wie ihre 
Empfindlichkeit gegen Anämie, gegen gewisse Gifte, auf die Ganglien- 
zellen, man konnte sie auf nichts anderes mehr beziehen. Alle diese 
Tatsachen aber beweisen nur, daß die physiologischen Verhältnisse der 
grauen Substanz von denen der weißen verschieden sind, daß die Um- 
setzung der Erregung hier besonderen Modifikationen unterliegt, was 
niemals jemand bestritten hatte. Inwieweit diese Modifikation an die 
Einschaltung der Zellleiber gebunden sei, ob nicht vielmehr Aende- 
rungen in der Beschaifenheit der leitenden Substanz sie erklärten, das 
ist eine Frage, welche beim Wirbeltier fast außerhalb des Bereiches 
experimenteller Beweisführung liegt. Ein Experiment Steinachs ließe 
sich vielleicht noch gegen die Bedeutung der Zelle als solcher ver- 
werten. Dieser Forscher anämisierte die Spinalganglienzellen beim 
Frosch, und fand, daß trotz der weitgehenden Degeneration, die natur- 
gemäß nach 14 Tagen im Protoplasma der Zelle eingetreten war, eine 
Leitung durch diese Zellen noch stattfand. Also mindestens in der 

1) Schon Philipeaux und Vülpian hatten 1859 eine autogene Nervenreffene- 
ration beobachten zu können geglaubt; Vulpian ^elb^t hat jedoch später diesee 
Resultat durch die Herstellung mit bloßem Auge nicht sichtbarer Anastomosen zum 
zentralen Stumpf erklart. 



IL Strtiktnr und Fanlrtion. Neuronen lehre. 



SpinalgangUenzelle scheint das leitende Element von der Zelle selbst 
unabhängig zu sein. 

Wie dem aber auch sei, wir warten noch immer auf den Beweis, 
daß uns in der Physiologie die Annahme einer cellularen Einheit, 
auch wenn sie unbewiesen wäre, nur irgendwie weiter bringen könnte, 
und daß sie uns bisher etwas anderes gebracht hat, als eine Reihe 
schöner schwarzöeckiger Schemata, welche nach der Neuroneniehre 
gewisse physiologische Prozesse, wie etwa den der Koordination oder 
den der Association verdeutlichen sollten, welche aber genau so viel 
und so wenig Aufklärung brächten, wenn das cellulare Prinzip in 
ihnen nicht zum Ausdruck gebracht worden wäre. 

Und das Rätsel der Neuronenbegeisterung löst sich in der ganz 
allgemeinen Ueberschätzung des Cellularprinzips für die Lehre von 
den Funktionen des Organismus. Die Lehre von den Zellen als Ele- 
mentarorganismen hall die Physiologie Überall noch in einem fast 
hypnotisch zu nennenden Bann. Da die Organe sich aus Zellen zu- 
sammensetzen, so muß - so fordert man — die ganze Physiologie 
in eine Cellnlarphysiologie aufgelöst werden, Schon anatomisch ist 
die Grundlage des Cellularprinzips durch die Aufstellung syncytialer 
Organe, wie des Herzens, und durch den vieliachen Nachweis von 
Intercellularbrücken mannigfach erschüttert. Wo im hyalinen Knorpel 
die. von Virchow auch hier postulierten Zellgrenzen zu ziehen seien, 
hat auch noch niemand zu sagen gewußt. Freilich ist die Zelle als 
ein kernhaltiges Stück Protoplasma eine notritive Einheit, ohne Kern 
kann kein Protoplasma dauernd bestehen, daher kann auch ohne Zellen 
der Aufbau des Organismus nicht verstanden werden. Die Zelle ist die 
nutritive Einheit, und nur insofern auch die vitale, nicht noch in anderer 
Beziehung, als die Einheit der Funktion. Daß die Funktion der Leber 
eine Summe der Funktion ihrer Zellen sei, ist freilich wahr, aber 
auch trivial. Würde sich an der Lehre von der Funktion der Leber 
etwas ändern, wenn man von ihrer cellularen Zusammensetzung ab- 
sähe? Hat die Auffassung der Leber als Summe cellularer Einheiten 
die Lehre von ihrer Funktion irgendwie gefördert? Und wer sagt 
uns denn überhaupt, daß die Zelle, so sicher sie die letzte nutritive 
Einheit ist, auch die letzte funktionelle Einheit sei, wer sagt uns, daü 
nicht der kleinste Teil der Leberzelle bereits die Funktion des Organs 
repräsentiert, ja, ist solches nicht eigentlich sehr wahrscheinlich? Daß 
die amöboide Bewegung des Protoplasmas und die Kontraktion der 
Muskel Substanz nicht an den Bestand der Zelle gebunden ist, können 
wir doch unter dem Mikroskop beweisen. Der Organismus ist nicht 
die ViRCHOWsche „Summe der Zellen als vitaler Einheiten". Die 
cellulare Einheit fällt mit der des Organismus zufällig zusammen fQr 
die einzelligen Wesen. Aber die Einheit des Organismus bestand 
schon, als dieser, sich aus dem Anorganischen entwickelnd, vielleicht 
die Stufe der Zelle noch gar nicht erreicht halle, und wo er sie als 
„Metazoon'" überschreitet, da haftet sie nicht an der Zelle, sondern 
geht mit dem Organismus. Die Einheit der allgemeinen Physiologie 
bleibt somit der Organismus, und die legitime Einheit der speziellen 
das Organ, Wenngleich die Zusammensetzung des Organismus aus 
Zellen gewiß nicht zu übersehen, für das Verständnis des Wachstums 
grundlegend ist, so gilt für die Funktion des tierischen Organismus, was 
DK Baby schon wörtlich für die Pflanze ausgesprodien hat : der 
Organismus bildet Zellen, nicht die Zellen den Organismus. Ehen- 



■ 
I 



I 
1 



Ueberschätzang des Gellularprinzips. 23 

sowenig wie sonst irgendwo hat uns die Auffassung des Nervensystems 
als die Summe cellularer funktioneller Einheiten einen ersichtlichen 
Nutzen für das Verständnis der physiologischen Funktion gebracht. 

Soviel über die besondere und die allgemeine Bedeutungslosigkeit 
der Neuronenlehre für die Auffassung von den Leistungen des Nerven- 
systems. Für die Leitung im Nervensystem bedeutete die Neuronen- 
lehre die Aufgabe der Kontinuität des leitenden Substrats, denn diese 
Lehre beruhte ja auf der Darstellung der leitenden nervösen Elemente 
als in sich abgeschlossener, nicht miteinander kommunizierender, son- 
dern sich nur berührender Einheiten. 

Man mußte also annehmen, daß die Uebertragung der Erregung 
Ton einem Zellindividuum auf das andere nicht durch Kontinuität, 
sondern nur durch Kontakt erfolge. Wenn man annehmen mußte, daß 
sich der Fortpflanzung der Erregung in der grauen Substanz besondere 
Widerstände entgegensetzten, so wollte man sogar den Ort dieses 
Widerstandes an der Stelle des Kontaktes, also zwischen die einzelnen 
Neurone, lokalisieren. Auch über die Richtung der Leitung machte 
man willkürliche Hypothesen: van Gehuckten stellte eine Theorie 
der dynamischen Polarisation des Neurons auf, nach welcher die Er- 
regung in^den Protoplasmafortsätzen immer cellulipetal, die im Achsen- 
«ylinderfortsatze immer cellulifugal geleitet würde und somit immer 
den kernhaltigen Leib der Ganglienzelle zu passieren hätte. Ramön 
Y Cajal nahm wenigstens auch die Möglichkeit einer direkten Ueber- 
tragung der Erregung vom Dendriten auf den Neuriten an, aber immer 
unter Wahrung der verschiedenen Leitungsrichtung. Inwieweit der 
Achsencylinder immer cellulifugal leite, ist eine Frage, die uns noch 
beschäftigen wird; eine oifenbare Ausnahme bilden hier bekanntlich 
die sensiblen Nerven, welche zum Spinalganglion hin leiten, dessen 
'einen Achsencylinderfortsatz sie doch bilden. Die Lehre von der rein 
cellulipetalen Leitung in den Dendriten, welche ja jede Beziehung der 
'einzelnen Dendriten zueinander ausschließt, ist, wie sich bald zeigen 
wird, durchaus hinfällig. 

Wir gehen zunächst in der historischen Betrachtung der anatomi- 
schen Methoden weiter. Der schwarze Schleier, mit welchem die 
GoLGische Methode die Ganglienzellen umkleidet hatte, wurde zuerst 
wieder durch Nissl gelüftet. Nissl entdeckte die nahe Affinität, 
welche gewisse Portionen des Zellleibes zu basischen Anilinfarben be- 
sitzen, und welche es also gestattet, diese Portionen in einer beliebig 
gewählten Anilinfarbe — Magentarot, Methylenblau, Thionin u. s. w. -— 
darzustellen. Je nach der Anordnung der färbbaren Substanzen — 
der Tigroid- oder NissL-Schollen — unterschied Nissl verschiedene 
Klassen von Nervenzellen, welche dann auch verschiedenen Funktionen 
dienen sollten. Am bekanntesten ist der sogenannte motorische Typus 
mit seinen in Reihen angeordneten groben Schollen, welche allerdings 
zum Teil durch weniger gefärbte Substanz miteinander in Verbindung 
stehen, aber Teile der Zelle, die sogenannten, für uns besonders 
wichtigen, ungefärbten Bahnen zwischen sich freilassen. Wohl Tausende 
von Arbeiten sind mit dieser NissLschen Methode ausgeführt worden, 
um den Einfluß der verschiedensten Faktoren auf die NissL-Struktur 
zu studieren. Nissl selbst hatte einen spezifischen Einfluß gewisser 
Gifte schon festgestellt. Ganz besonders hat man sich bemüht, Ver- 
änderungen der NissL-Struktur bei der Tätigkeit der Nervenzelle zu 
finden. Mann hat eine Abnahme der färbbaren Substanz an den 



24 



IL Struktur und Fimktliiii. NeoroiMnlciiiie. 



RfickeDmarkszellen durch Treppenkafen ermQdeter Hunde gefunden, 
G. M. Holheb an den RttckenmarkBzellen durch StrTchQiokr&nipfe 
ermädeter FrfiBche. Ob man die bistologischen Bilder, die bo erhalten 
wurden, nun aber auf den Verbrauch der NissL-Substanz durch die 
Arbeit der Zelle beziehen kann, ist doch noch ftußerst zweifelhaft. 
Es ist hier za erwähnen, daS Goldschbides und Plataü nach Ver- 
giftung mit Tetanusgift zwar Veränderungen in den Ganglienzellen 




fanden , die aber nach und gerade während der tetanischen Krämpfe, 
während der stärksten Arbeiti^Ieistung der Zellen also, zurückgingen. 
So ist es denn möglich, daß es sich bei all den Zell Veränderungen, 
die mau auf Arbeitsleistung bezogen hat, um primäre Giftwirkungen 
oder um Absterbeerscheinuugeu gehandelt hat. Der Leitung allerdings 
dürften die Nisbl- Schollen sicherlich nicht dienen. 

Die Neuronenlehre konnte die NtssLsche Methode zunächst nicht 



BaM>pliile Bobolleo. FfbrOlen der WirbelloMo. 25 

gefihrden. Vielmehr schien die mit ihr schon nach wenigen Tagen 
zu beobachtende Reaktion der ZeUe nach Durchschneidnng des Achsen- 
cylinders die Einheitlichkeit des Neurons nur noch deutlicher zu 
demonstrieren. 

Der Umschwung gegen die Neuronenlehre wurde erst herbei- 
geführt durch die Wiederauftiahme der Erforschung des Fi b rillen- 
verlaufe s im zentralen Grau, womit denn der Faden wieder auf- 
genommen wird, den wir aus der Hand ließen, als wir von der 
Feststellung, daß die Achsenfibrillen des peripheren Nerven das leitende 
Element in ihm darstellten, zur Schilderung der Ganglienzellen über- 
gingen. Zwar hatte bereits Max Sohultze eine fibrilläre Struktur 
des Protoplasmas der Ganglienzellen behauptet. Hatte er in der 
Ganglienzelle auch die Fibrillen selbst als distinkte histologische In- 
dividuen sicherlich nicht gesehen, so wäre doch wohl der von ihm 
gezeigte Weg weiterer Verfolgung wert gewesen. Aber unter den 
schwarzen Schollen der GoLOi-Methode wurde er für lange Zeit ver- 
schüttet 

Apätht war es, der ihn wieder auffand und durch seine mit 
einer Goldimprägnation an Wirbellosen angestellten Untersuchungen 
unsere Anschauungen über den elementaren Bau des Nervensystems 
in neue Bahnen lenkte. Alle, die die ApÄTHTschen Präparate gesehen 
haben, stimmen darin überein , daß sie auf der höchsten Stufe tech- 
nischer Vollkommenheit stehen, und daß die davon gegebenen Ab- 
bildungen nichts übertreiben. Wenn man mit Recht die Frage erwägt^ 
inwieweit man die an Wirbellosen gewonnenen Ergebnisse auf die 
Wirbeltiere übertragen darf, so ändert das doch an ihrer prinzipiellen 
Bedeutung nichts. Hatte man doch vor Apäthy auch in dem Nerven- 
system der Wirbellosen nichts anderes gesehen und dargestellt, als 
Neurone. 

Die grandlegende Feststellung Apäthys ist die, daß er eine 
und dieselbe Fibrille durch zwei oder noch mehr Nervenzellen hin- 
durch verfolgen konnte. Gegen diese Beobachtung ist kein Mißtrauen 
mehr möglich. Damit ist erstens die Kontinuität der Leitung wieder- 
hergestellt und zweitens der Beweis der Neuronenlehre unmöglich 
gemacht. Es ist ja sicherlich die Neuronenlehre prinzipiell unab- 
hängig von der Frage: Kontakt oder Kontinuität? Auch wenn eine 
Kontinuität besteht, kann sich in ihr ja der Einflußbereich der einzelnen 
Zelle linear abgrenzen, aber zu beweisen ist die Unabhängigkeit 
der einzelnen Zellindividuen nur dann, wenn ein Kontakt und keine 
Kontinuität histologisch angenommen werden muß. 

An dieser Stelle ist daran zu erinnern, daß auch schon früher 
von einzelnen Forschern schmälere und breitere Anastomosen zwischen 
Ganglienzellen beobachtet worden waren. So hatte Fritsch bei 
Malopterurus einen regelmäßigen Fundort solcher aufs leichteste nach- 
weisbaren breiten Anastomosen zwischen Ganglienzellen beschrieben. 

Apäthy nun verfolgte aber seine Fibrillen noch weiter. Zunächst 
wies er nach, daß sie in den Ganglienzellen Gitter bilden, die Neuro- 
fibrillen gitter. Zu weiteren wichtigen Ergebnissen aber führten ihn 
seine Untersuchungen an dem zellfreien Teile der grauen Substanz 
der Wirbellosen, der LEYDioschen Punktsubstanz oder dem NeuropiL 
Die Neuronenlehre hatte hier nur eine Ansammlung von Dendriten 
sehen wollen. Apäthy konnte an besonders gut gelungenen Präpa- 
raten nachweisen, daß sich hier im Neuropil Fibrillen, die von der 



26 



II. Struktar nnd Funktion. Nenronenlehre. 



Peripherie kommen, und Fibrillen, die aas den Ganglienzellen stammen, 
teilen in feinere Fäden, die Elementarfibrillen , und daß sich diese 
letzteren zu einem zweiten, also außerhalb der Zelle gelegenen 
„Eiementarfibrillengitter" zusammenordnen. In diesem Gitter also 
können sich Impulse von der Peripherie zur Peripherie amsetzen, 
ohne eine Ganglienzelle zu berühren, wenngleich ein anderer Teil der 
Fibrillen die Ganglienzellen direkt mit der Peripherie verbindet. 

Da bei den Ganglien der Wirbellosen die Ganglienzellen dem 
JNeuropit nur wie eine Kappe aufsitzen, konnte Bethe an dem Ganglion 




Fig- T- Schematische Abbildung de« OehiroB von Carcinus mit dem Verlauf 
-«niger Nerven elemente nach Methflcnblaupri paraten. Die Lage der OanKlieDsell- 
polster auf «ner Seite angedeutet. Die punktierte Linie {links) deutet die sdinitte 
an , welche bei der Isolierung des Neuropila der zweiten Antenne geführt werden. 
(Natürlicher Durchmeseer dee ganzen Gebirna 'i—'i mm.) Nach Bethe. 

der zweiten Antenne von Carcinus maenas, dem Taschenkrebs, den Ver- 
such unternehmen, diese Ganglienzellen von dem Neuropil abzuschaben 
und das Ganglion auch von seinen übrigen Verbindungen außer von 
denen mit eben der einen Antenne zu trennen, derart, daß die Mög- 
lichkeit einer Leitung von Peripherie zur Peripherie des Körpers nur 
noch durch das Neuropil bezw. das Eiementarfibrillengitter Apäthts 
möglich war (Fig. 7). Der Versuch, durch die anatomische Nachunter- 
suchung bestätigt, ergab, daß typische, koordinierte Rettexe der Antenne 
noch tagelang nach Entfernung aller Ganglienzellen auszulösen waren, 
■dann allerdings allmählich erloschen. Nur für die dauernde Erhaltung 



Bethes Versuch. Fibrillen der Vertebraten. 27 



des Nervengewebes waren also die Ganglienzellen notwendig, weder für 
die Leitung, noch auch für die eigentümliche zentrale Leistung eines 
Reflexes, Daß dieser nicht etwa in peripheren Nervennetzen zustande 
gekommen war, erwies die Durchschneidung der peripheren Nerven 
jenseits vom Neuropil, welche allen Reflexen sofort ein Ende machte. 

Durch die histologischen Untersuchungen Apäthys und den Ver- 
such Bethes ist der Neuronenlehre für die Wirbellosen der Boden 
entzogen worden. Der Versuch, das BETHEsche Experiment durch eine 
auch nach Untergang des kernhaltigen Stückes der Ganglienzelle sich 
erhaltende Funktion der im Neuropil supponierten Dendriten zu er- 
klären, und also durch eine Uebertragung der Erregung direkt von 
den Dendriten auf den Neurit, verdient keinerlei Beachtung. Die 
Fibrillen sind freilich diesen Neuronisten so unbequem, daß sie sie 
einfach nicht als vorhanden betrachten. Die Fibrillen aber sind das 
leitende Element und nur ihre Verfolgung kann uns noch dem Ziele 
der Erforschung der zentralen Histologie näherführen. Auch für die 
Wirbellosen freilich bleibt es die Aufgabe, die P'unktion der aus der 
Ganglienzelle direkt unter Umgehung des Neuropils zur Peripherie 
ziehenden Fibrillen zu bestimmen. Denn sicherlich haben die Ganglien- 
zellen, wenn auch vielleicht nicht alle, nicht nur eine nutritive, sondern 
auch eine funktionelle Bedeutung. Aber — - das kann nicht genug 
betont werden — der Nachweis, daß in ihnen nicht alle zentralen 
Funktionen des Nervensystems lokalisiert und verkörpert sind, der 
Nachweis femer, daß die Leitung nicht nur von Zellindividuum zu 
Zellindividnum geht, ist für die Wirbellosen und damit prinzipiell 
geliefert. 

Wie steht es nun mit den Vertebraten? Folgen wir auch 
hier wieder unseren Wegweisern, den Fibrillen, so ist die Tatsache 
als feststehend zu betrachten, daß bei den Vertebraten alle Achsen- 
fibrillen aus Ganglienzellen entspringen und aus der Ganglienzelle in 
den Achsencylinder zu verfolgen sind. Der direkte Beweis, daß der 
Achsencylinder sich außerhalb der Zellen formiert, ist bisher nicht 
geführt worden, und den indirekten, von Nissl vorgeschlagenen, 
mußten wir bereits ablehnen. Ein Analogon zu dem Neuropil der 
Wirbellosen als Ursprungsstätte von Achsenfibrilleu gibt es bei den 
Vertebraten nicht. Da nun jede Erregung, die von der Peripherie 
zur Peripherie geht, mindestens zwei Achsencylinder, die also aus 
Zellen entspringen, passieren muß, so ist es ganz unmöglich, wie bei 
Carcinus, so für ein Wirbeltier, den Weg des Reflexes von Ganglien- 
zellen zu säubern. Steinach hat, wie bereits erwähnt, versucht, 
durch Anämisierung das Protoplasma wenigstens der einen in Betracht 
kommenden Zelle, der des Spinalganglion, auszuschalten, und hat so 
in der Tat wahrscheinlich gemacht, daß die Leitung durch die Zelle 
von dem Zellprotoplasma unabhängig ist. Aber die Spinalganglien- 
zelle hat erstens keine Dendriten, sondern ermöglicht durch ihren 
T-förmigen Achsenfortsatz eine Art der Leitung, wie wir sie sonst 
nirgends finden, andererseits hat sie vielleicht auch gar keine im 
eigentlichen Sinne zentrale Leistung, sondern erschöpft ihre Rolle in 
der Fortleitung der Erregung. Das Grau des Rückenmarks, von dem 
die Impulse zur Peripherie ausgehen, ist aber so empfindlich, daß jede 
Schädigung sofort auch die Einstellung der Leitung nach sich zieht, 
und wo diese Schädigung angreift, ist gar nicht zu sagen. Da die 
von diesem Grau zur Peripherie ziehende Erregung zuletzt schließlich 



^ II. B tn At uT twd Funktion. Neanrnmlehn. 

in einem AchaencyliDder verläuft und somit ans einer Zelle stammt, 
80 ist der Beweis, daß es nicht die Zelle ist, deren Arbeitseinstellung 
den Ausfall des Erfolges bedingt, natürlich gar nicht zu fllhren. 




Fig. 8. Ganglien Kellet) , welche mit der BETHEHchen Molybdän methode ftaf 
Fibrillea gefärbt sind. A VorderhorDzelle vom MeDscheii, B Zelle aus dein FacialiB- 
kem vom Kaninchen mit gleichzeitiger Darstellung der NlSSL-8i'iiollen (in den .un- 
gefärbten Bfthnen' li^en die Fibrillen), C ProtoplasinafortBatz einer VorderhorDwIle 
vom Menachen, D zwd PyrAmideDzellen vom Menschen. Nach Betue. 

Wenn also jede Erregung, die das zentrale Nervensystem verläßt, 
schließlich aus einer Zelle hervorgeht, so bleibt doch die Frage, wie 
sie auf diese Zelle, und wie sie endlich auf die Fibrillen des Achsen- 
fortsatzes Obertragen wird. Die Histologie hat uns auf keine dieser 
beiden. Unterfragen bisher eine ganz befriedigende Antwort gegeben. 



Vcrbiadnng iwisduo den Hbrilleo. 



29 



Mar das eine wissen vir noch sicher, daß es außer den Achsenfibrillen 
aoch Dendritenfibrtllen gibt, nnd daß diese Deodritenfibrillen kreuz 
und quer die Zelle dnrchzieheo, insbesondere auch nicht nur dem 
Zentram der Zelle zustrahlen, sondern auch vpn einem Dendriten in 
einen anderen gelangen können. Betrachten wir überhaupt die Fibrille 
als das leitende Element, so kann die letztere Tatsache natürlich nur 
den Sinn haben, daß eine Erregung die Zelle passieren kann, ohne 
daß der Achsenc^linder von ihr berührt wird, und daß die Dendriten 
cellulipital und cellulifugal leiten können. Nun aber sollen beim 
Wirbeltier nach Bsthe — abweichend von dem Verhalten der Wirbel- 
losen — die Fibrillen in der Zelle im allgemeinen kein Netz bilden. 
Es entsteht also die Frage, wie denn Oberhaupt von einer Dendriten- 
fibrille, wie es doch sehr häufig geschehen muß, eine Erregung auf 




Elg, 9. Ä Vorderhorazelle vom Eftlb. Durch Zufall ist der Bchnitt so geführt, 
d^fl bei KiwAer Einet^llung unten Nerven faserhoee, in der Milte Goi.al-Netz und 
obeo in der Zelle verlaufentle Fibrillen zu, sehen sind. '' sich verzweigende Achsen- 
cjlinder. Dem Anschein nach gehen Nerveofasern und Fibrillen ins GoLOi-NeW 
iiDer. B ProtoplBamBfortBatz aus der Medulla des Kaninchen». Gleichzeitige FSrbung 
dar Fibrillen und dee umgebenden OoLOi-Netze«. An der Stelle de« FfeiU geht eine 
Fibrille in einen Knotenpunkt des GoLOi-NetxeB über. Nach Betue. 

die Achsenfibrillen übergehen kann. Soll hier auch wieder ein Kontakt 
genügen? Für einige Zellen ist jedoch ein Netz zugegeben, wie für 
die FuRKiNJEschen Zellen der Kleinhirnrinde, und wir selbst müssen 
gestehen, daß in gut geübten und nicht sehr differenzierten Präpa- 
raten auch von anderen Zellen das Bild ein derartiges ist, daß wir 
uns oft nicht getrauen würden, die Existenz eines Netzes mit Sicher- 
heit abzulehnen. Für eine Anzahl von Fällen besteht jedenfalls die 
erwähnte Schwierigkeit nicht. 

Einigermaßen ratlos aber stehen wir der anderen Frage gegen- 
über, wie denn eine Erregung die Zelle, vielmehr die Zellfibrillen, er- 
reichen kann. Wie verhält sich der Achsencylinder und seine Fibrillen 
nach ihrer Aufsplitterung V Denn daß der Achsencylinder sich im 



30 ^^' Struktur und Funktion. Neuronenlehre. 



Grau noch in seine Fibrillen aufsplittert, das kann man noch an 
manchen Orten feststellen, wie z. B. an den Glomerulis olfactoriis. 
Aber treten diese Fibrillen als solche in andere Zellen ein und wie 
treten sie in Beziehung zu den intracellulären , insbesondere den 
Dendritenfibrillen , welche bisher über die Zellgrenzen hinaus noch 
nicht verfolgt werden konnten? Und wie verhalten sie sich vor 
allem gegenüber jenen die Ganglienzellen einhüllenden Apparaten, 
die wir als GoLOische Netze bezeichnen? Held will «'einen 
Achsencylinder direkt durch den eigentümlichen Korb einer Trapez- 
kernzelle in diese Zelle haben eintreten sehen, eine Angabe, die leb- 
hafte Anzweiflung gefunden hat. Bethe läßt zwischen die Maschen 
des GoLGischen Netzes die Fibrillen eintreten und hier ein Netz 
bilden, das also dem Neuropil der Wirbellosen entsprechen würde. 
Aehnlich haben sich Bielschowsky und M. Wolff ausgesprochen. 
Die Schwierigkeit liegt in dieser Frage jedoch vor allem darin, gliöse 
Strukturen von echt nervösen histologisch zu unterscheiden, und da- 
her sind die Ansichten über eine nervöse intercellulare Netzstruktur 
mit großer Vorsicht aufzunehmen. Nissl hat besonders hervor- 
gehoben, daß die Zwischenräume zwischen den Zellen der Großhirn- 
rinde in dem aufsteigenden Tierreiche bis zum Menschen hinauf be- 
deutend zunehmen. Es ist also die Zunahme dieses nervösen intra- 
cellulären Zwischengewebes, seines „nervösen Graus", für ihn ein 
Zeichen der fortschreitenden Entwicklung und Differenzierung. Seine 
histologische Struktur läßt er noch unaufgeklärt. Die Möglichkeit, daß 
hier ein Elementarfibrillengitter in der Art desjenigen im Neuropil 
der Wirbellosen liegt, ist vorhanden, aber keineswegs erwiesen. Eine 
Leitung hier hindurch muß jedenfalls stattfinden, wenn die Erregung 
von den Achsenfibrillen einer Zelle auf die der anderen übergehen 
oder auch nur von den Dendritenfibrillen der einen zu denen der 
anderen gelangen oder sich endlich — eine dritte Möglichkeit — im 
Grau selbst unter Umgehung von Ganglienzellen fortpflanzen will, 
wenn also überhaupt eine nervöse Funktion zu stände kommen soll. 
Begrenzt sich nun der trophische Einflußbereich der einzelnen Zelle 
scharf in diesem nervösen Grau ? Das ist eine Frage, die hier ebenso- 
wenig zu entscheiden ist, wie für die Intercellularsubstanz des Knorpels, 
und die wirklich nach unserer ganzen Bewertung der Cellularlehre 
kein überwiegendes Interesse beanspruchen kann. Ohne Zellen über- 
haupt kann kein Gewebe dauernd bestehen, und insofern wäre es auch 
durchaus oberflächlich, von einer Fibrillenhypothese im Gegensatz zu 
einer Ganglienzellenhypothese zu sprechen. Auch wäre es weit übers 
Ziel geschossen, wenn man den nicht fibrillären Substanzen im zentralen 
Grau wie den NissLschen Schollen in den Ganglienzellen jede Be- 
ziehung zur Funktion absprechen wollte. Man darf keine Fragen 
stellen, die prinzipiell unbeantwortbar sind. Aber der Zelle als In- 
dividuum kommt im Zentralnervensystem ebensowenig wie sonst 
irgendwo die Bedeutung einer funktionellen Einheit zu. Die Leitung 
durch das zentrale Nervensystem der Wirbeltiere muß sicherlich Zellen 
passieren, aber auch für die Leitung ist nicht die Zelle Einheit, sondern 
die Fibrille. 



III. Kapitel. 

Der Reflex. 

Wir sind bisher der Frage nachgegangen, welche Beziehungen 
sich herausfinden lassen zwischen der elementaren Struktur des Zentral- 
nervensystems und seiner Funktion. Eine einigermaßen befriedigende 
Antwort haben wir nun für die Leitung der Erregung durch die Ver- 
folgung der Fibrillenstruktur erhalten. Auch das Problem, ob wir 
etwa auf histologischem Wege im Zentralnervensystem Spuren oder 
einen Ausdruck der Tätigkeit finden können, haben wir gestreift. Die 
Art dieser Tätigkeit aber zu definieren, das ist die ganz eigentümliche 
Aufgabe der Physiologie, bei der ihr keine Histologie helfen kann. Nur 
wenn es sich darum handelt, die Funktionen zu lokalisieren, wird die 
Physiologie von der Anatomie unterstützt, die ihr eine Anzahl von 
Lokalitäten zur Verfügung stellt und sie auf gewisse Leitungswege 
hinweist. Aber selbst die Lokalisation einer schon definierten Funktion 
kann die Anatomie nur durch die Hilfe der Physiologie und der Patho- 
logie leisten, wenngleich die Ambitionen ihrer Vertreter sich nicht 
immer mit dieser Aufgabe haben zufrieden geben wollen. 

Als die erste jener eigentümlichen Leistungen des Zentralnerven- 
systems betrachten wir nunmehr den Reflex. Der Reflex ist so sehr 
die Grundlage aller Verrichtungen des Nervensystems, daß man von 
einem gewissen Standpunkte durchaus mit Recht das ganze Getriebe 
des zentralen Apparates in das Walten von Reflexapparaten hat auf- 
lösen wollen* Ein solches Bestreben stimmt ja vortreiflich zu dem 
von uns gleich eingangs zu Grunde gelegten Prinzip der festen Natur- 
gesetzlichkeit für alle biologischen Vorgänge, und zu der Einordnung 
auch insbesondere der psychischen Erscheinungen in diese biologische 
Gesetzlichkeit. Praktisch aber kommen wir so nicht weiter, praktisch 
vielmehr ist gerade der eigentümliche BegrilT des Reflexes gegeben 
und entstanden im Unterschied zu den ])sychischen und willkürlichen 
Vorgängen. 

Der Reflex bedeutet eine auch der unbefangenen Prüfung sofort 
als gesetz- und zwangs mäßig erscheinende Reaktion auf einen Reiz. 
So ist auch der Begriff" des Reflexes , der bis dahin als eine Art der 
Sympathie gegolten hatte, von Descartes (1649) uns der Erfahrung 
abgeleitet worden, daß bei Annäherung eines Gegenstandes an das 
Auge Lidschluß auftritt ohne Zutun des Willens und sogar mit einem 
dem Willen überlegenen Zwange. 

Von hier an bis auf den heutigen Tag sind und werden noch 
immer neue solche Reflexe aufgefunden und untersucht. Husten und 



Niesen sind schon von ästruc (1743) als Reflexe bezeichnet worden. 
Die Reflexe von Schlafenden auf Hautreize waren Swamherdahh 
bekannt. Eine besondere Erwähnung gebührt wohl äuch hier schon 
der Entdeckung der „tiefen", durch die Reizung der sensiblen Nerven 
der Muskeln ausgelösten Reflexe durch Erb und Westphal. 

Daß eine Leitung von der Peripherie zur Peripherie für die Ver- 
mittlung eines Reflexes nötig sei, das unterlag ja von vornherein 
keinem Zweifel. Daß diese Leitung aber nicht durch periphere Nerven- 
anastoniosen hergestellt werden könne, sondern daß zentrale Nerven- 
substanz dazu nötig sei, hat zuerst Stephan Hales bewiesen, indem 
er zeigte, daü nach Vernichtung des Rückenmarks die Extremitäten- 
reflexe ausblieben. 

Seitdem st*ht es fest, daß zur Vermittlung eines Reflexes der 
Reflexbogen nötig ist, weicher besteht aus 1) dem reizaufnehmen- 
den {rezeptorischen) Organ, 2) dem aff'erenten. den Reiz dem Zentral- 
organ zuführenden Nerv, 3) dem zentralen Reflexapparat selbst, 4) dem 
abführenden (etferenten) Nerv, und endlich ö) dem reagierenden (effek- 
torischen) Organ. 

Was zunächst den reizaufnehmenden Apparat betrifft, so kOnnen 
wohl von jeder sensiblen und von jeder sensorischen Fläche des 
Körpers Reflexe ausgelöst werden. Daß dabei nicht ein jeder Reiz 
einen Reflex auslöst , ist selbstverständlich. Eine Menge von Reizen 
kommen uns zum Bewußtsein, ohne daß sie doch zu einem unmittel- 
baren reflektorischen Eff'ekt führten. Die Reizschwelle eines peripheren 
Apparates kann sehr weit unterhalb der Reflexschwelle liegen. Daß 
andererseits die meisten Reize, welche zu einem Reflex führen, dem 
Menschen wenigstens, auch zum Bewußtsein kommen, ist sicher; der 
reflektorische Lidschluß ist dafür ein bekanntes Beispiel. Der reHek- 
torische Effekt jedoch ist vom Bewußtsein unabhängig. Der reflex- 
auslösende Reiz wird und kann gewöhnlich nicht wahrgenommen 
werden bei einer Reihe von Vorgängen des sympathischen Systems, 
und zwar auch dann, wenn der Retlex die Cerebroapinalachse passiert. 
Wir erinnern hier z. B. an Einflüsse auf den Herzvagus, welche etwa 
von den Baucheingeweiden ausgehen können. Auch von reflektorischer 
Beeinflussung der zwar unwillkürlichen , aber doch quergestreiften 
Atemmuskulatur durch liie Erregung der Vagusendigungen in der 
Lunge haben wir durchaus keine Wahrnehmung. Daß Reflexreize, 
welche zu einer Bewegung der eigentüch willkürlichen Muskulatur 
führten, nicht auch zum Bewußtsein, wenigstens dem wachen und 
normalen, kommen, dürfte selten vorkommen. Freilich kennen wir im 
Schlaf, in der Narkose, und in der Abschneidung von Teilen des 
Zentralorgans vom Großhirn Bedingungen genug, welche die grund- 
sätzliche Unabhängigkeit des Reflexes von dem, was wir Bewußtsein 
nennen, deutlich macheu. 

Der Erfolg des Reflexreizes ist natürlich von dem Zustand des 
rezeptorischen Organs abhängig, der bekanntlich wechseln kann. Es 
ist die Aufgabe der Sinnesphysiologie, festzustellen, warum ein Licht- 
eindruck von einem Auge, das lange im Dunkeln gewesen ist, viel 
lebhafter empfunden wird, als von einem lichtgewohnten. Es ist die 
gleiche Veränderung des rezeptorischen Organs, der Retina, welche 
den Lidschluß des dunkeladaptiorten Auges schon bei einer weniger 
starken Beleuchtung reflektorisch eintreten läßt, als den des hell- 
gewöhuten. Das Beispiel ist angeführt, um zu zeigen, daß die 



I 

I 



J 



Beflexbogen. 33 



„maschinenartige'^ Regelmäßigkeit und Sicherheit des Reflexaktes gilt 
nur unter Voraussetzung eines gegebenen Zustandes der reflexauf- 
nehmenden Apparate; kann man doch auch durch Mittel, welche die 
sensiblen Nervenendigungen lähmen, wie z. B. das Cocain, nicht nur 
den Schmerz, sondern auch die unwillkürlichen reflektorischen Be- 
wegungen beseitigen, welche letzteren in Gestalt von Spannen und 
Kneifen (letzteres beim Auge) dem Operateur seine Aufgabe* objektiv 
geradezu unmöglich machen können. 

Die Erregung des rezeptorischen Organs kann durch adäquate 
oder inadäquate Reize geschehen. Wir können etwa die Retina nicht 
nur durch Lichtstrahlen, sondern auch durch einen Stoß gegen das 
Auge reizen, wir können den Vestibularapparat des Ohres — denn 
auch dieser vermittelt Reflexe — nicht nur durch die Schwankungen 
des Inhalts der Bogengänge, sondern auch durch den galvanischen 
Strom erregen, der Reflexerfolg ist qualitativ der gleiche. Das Gesetz 
der spezifischen Sinnesenergie Johannes MiJllers gilt so auch für 
den Reflex. Nur erweist sich die „adäquate Reizung des Endapparates" 
wie für die Erzeugung von Wahrnehmungen, so auch für die Erzielung 
von Reflexen im allgemeinen als viel geeigneter, denn die inadäquate. 

Die afferente Bahn des peripheren Nerven hat nichts anderes zu 
tun, als die ihr vom rezeptorischen Organ übergebenen Erregungen 
in den Neurofibrillen ihrer Achsencylinder zum Zentralorgan hinzu- 
befördern. Zur experimentellen Prüfung der Reflexbedingungen ist 
es vielfach förderlich befunden worden , den reizzuführenden Nerven 
direkt unter Umgehung und eventuell Beseitigung des rezeptorischen 
Organs zu reizen. Man kann hierzu den elektrischen Strom in seinen 
verschiedenen Anwendungsformen ebenso wie chemische, thermische 
und mechanische Reize verwenden. Gestattet die künstliche Reizung 
des Nerven auch eine exaktere Dosierung des Reizes, so ist doch 
immer am wirksamsten die adä(|uate Reizung des Endorgans. Selbst- 
verständlich kann man auch durch Schädigung der atferenten Bahn 
den Erfolg des Reflexreizes aufheben, und es ist bekannt, daß bei 
gewissen, sicherlich peripher angreifenden Erkrankungen, wie z. B. 
bei der Neuritis des chronischen Alkoholiston , die Vernichtung ge- 
wisser Reflexe — der Sehnenreflexe — schon zu einer Zeit die Diagnose 
gestattet, wo von anderen Störungen kaum etwas zu bemerken ist. 

Ebenso wie alle sensiblen Flächen des Körpers Reize aufnehmen 
können, sind alle Arbeit leistenden Massen des Körpers zur Leistung 
von so reflektorisch ausgelösten Etfekten befähigt Das sind in erster 
Linie die willkürlichen (luergestreiften Muskeln, in zweiter die Organe 
des sympathischen Systems, die glatten Muskeln, das Herz und die 
Drüsen, und das sind endlich die elektrischen Organe einiger Fische 
(Torpedo, Gymnotus, Malopterurus), welche bekanntlich auf eine jede 
Berührung ihrer Körperoberfläche mit der Aussendung starker elek- 
trischer Schläge antworten ^). Was den quergestreiften Muskel betrifl't, 
so hat man häufig von einer Reflexzuckung gesprochen, es ist jedoch 



1) Hierzu kommen noch gewisse Gruppen von Pigmentzellen bei einer Reihe 
von Tieren, die unter dem Einflüsse des Nervensystems ihre Gestalt und also auch 
die Färbung des Individuums verändern. Da wir hierauf nicht mehr zurückzukommen 
bedenken, sei bemerkt, daß ISteiner den Thalamus opticus des Frosches als ein 
Keflexzentrum für die Piementierung ansieht, nach dessen Zerstörung er ein Dunkel- 
werden der Frösche beschreibt (vgl. auch Biedermann). Nach 8chrader ist jedoch 
die Veränderung der Hautfarbe nach dieser Operation keine dauernde. 

Lewandowsky, Funktionen d. zentralen Nervensystems. 3 



zu betonen, daß darunter nicht eine Einzelzucknng im Sinne der all- 
gemeinen Musketphjsiologie verstanden werden darf. Es handelt sieb 
bei der reflektorischen Erregung eiues Muskels immer um wenn anch 
Hoch so kurze Tetani, ä. h. also um eine Summationserscbeinung 
{Kronecker und Stirlino). Die Prüfung des Mulsketones hat er- 
geben, daß zu ihrer Erzeugung etwa 10 — 20 Einzelreize vom Zentral- 
nervensystem der Peripherie zugesandt werden müssen. An Stelle des 
Erfolgsorgaues kann man auch im Experiment einen Galvanometer 
arbeilen lassen, zu dem mau den Strom des efferenten Nerven ab- 
leitet, ehe er das Erfolgsorgan erreicht. Der Ausschlag des Galvano- 
meters gibt dann das Maß der Leistung des zentralen Nervensystems. 

Es gibt Reflexe, welche in gleicher Weise von allen oder fast von 
allen Stellen der Körperoberfläche ausgelöst werden können ; das sind 
z. B. gewisse Schmerzäußerungen. Im allgemeinen aber setzt der Reflex 
eine bestimmte oder wenigstens in ihrer Ausdehnung beschränkte Stelle 
der Peripherie mit einem bestimmten Erfolgsorgan in Verbindung. So 
wird in dem später zu besprechenden ., Quak versuche"* das reflek- 
torische Quaken des Frosches nur ausgelöst durch das Streichen einer 
ganz beschränkten Hautregion, nämlich der Rttckenhaut. Reizungen 
der Extremitätenhaut sind wirkungslos und die geeignete Reizung der 
Rückenhaut ruft auch keinen anderen Reflex hervor als eben das. 
Quaken. Es ist jedoch ganz gewöhnlich, daß der gleiche, reizauf- 
nehmende Apparat zwei oder mehrere Erfolgsorgane in Tätigkeit setzt, 
oder auch , daß ein Erfolgsorgan unter der Einwirkung mehrerer 
Rezeptionsorgane steht. So hat grelle Beleuchtung der Retina zur 
Folge eine Kontraktion der Papille neben einem Schluß des Lides, 
und der Lidscbluß kann nicht nur von der Retina aus durch Lichtreiz, 
sondern auch durch mechanischen Reiz der Cornea bewirkt werden. 

Im allgemeinen pflegt der Ort des Reflexerfolges von dem des 
Reizes nicht weit entfernt zu sein. Eine Reizung der Fußsohle bewirkt 
zun&cbst eine Kontraktion der Zehonniuskeln. In solchem Falle spricht 
man von einer Spitze des Retlexbogens als demjenigen Ort, an 
welchem im Zentralnervensystem die Erregung zum Orte des Reizes, 
wieder umkehrt, jenseits von welchem also eine Zerstörung des Zentral- 
nervensystems auf das Zustaudekommen des Reflexes keinen EinfluK 
mehr hat. 

Schon darin liegt eingeschlossen, daß nicht das ganze Zentral- 
nervensystem, sondern daß es Teile von ihm sind, welche zur Ueber- 
mittluog des Reflexes tätig sind. Denjenigen Teil des Zentralorgans, 
in welchem sich die zentrale Reflexleitnng und Auslösung abspielt, 
nennen wir ein Reflexzentrum. Zum ersten Male stoßen wir hier 
auf den Terminus des „Zentrums", der in der Lehre von den 
Funktionen des Nervensystems eine so große uud manchmal ver- 
wirrende Rolle gespielt hat. Seine Bedeutung reicht weit über die 
Lehre vom Reflex hinaus bis zu den höchsten Leistungen des Nerven- 
systems überhaupt. Aber die Bedeutung des Wortes „Zentrum" bleibt 
überall die gleiche, und zwar muß aufs schärfste festgehalten werden, 
daß, insoweit sie überhaupt etwas anatomisch Faßbares bezeichnen und 
nicht als ein reines Schema betrachtet werden soll, sie überall eine 
rein topographische ist, die mit der systematischen Anatomie 
nichts zu tun hat. Zentrum einer Funktion heißt nie etwas anderes als 
die experimentell oder durch pathologische Tatsachen gefundene Stelle 
oder Räumlichkeit im zentralen Nervensystem — sie sei so groß oder 



I 
I 

I 





Beflexzentnim. 35 



SO klein wie sie wolle — an deren Integrität das Zustandekommen 
irgend einer Reaktion oder Tätigkeit gebunden ist. Es ist ganz falsch^ 
die Vorstellung einer besonderen, etwa punktförmigen, Kleinheit mit 
dem Begriffe des Zentrums zu verbinden. So ein Zentrum kann viel- 
mehr sehr groß sein. Wenn irgend eine Funktion an die Integrität 
des ganzen Rückenmarks gebunden ist, so ist das ganze Rückenmark 
für diese Funktion das Zentrum. Andererseits gibt es andere Funk- 
tionen, für welche nur einzelne Teile des Rückenmarks erforderlich 
sind. Dann schließt also das Zentrum für die eine Funktion eine 
Reihe von Zentren für andere Funktionen ein. Nur also in der topo- 
graphischen Feststellung bestimmter physiologischer Funktionen liegt 
die Bedeutung des Zentrums, nicht etwa in der Auffindung besonderer 
anatomischer Strukturen. Die Einheit der systematischen Anatomie 
ist der Kern, in der Großhirnrinde die Schicht, vielleicht auch ein 
in einer gewissen Weise strukturiertes Grau. Nun dürfen wir ohne 
weiteres annehmen, daß gleichartige anatomische Gebilde auch eine 
gleichartige Funktion haben. Der Ausdruck, welcher diese Tatsache 
bezeichnen würde, wäre der des Typus. Alle Zellen, welche moto- 
rischen Fasern den Ursprung geben, haben einen gemeinsamen Typus. 
Besondere Anhäufungen von Individuen des gleichen Typus nennt die 
Anatomie eben Kern oder Schicht u. s. w. Der Ausdruck des Zentrums 
aber ist erfunden aus einem Bedürfnis der Lokalisierung der Funktion^ 
und schon der einfachste Reflex ist auf der einen Seite gebunden 
immer an eine Mehrheit von Typen, und andererseits kaum jemals an 
die Gesamtheit der Vertreter eines Typus, ja nicht einmal an die 
Gesamtheit eines Kernes. Der Facialis entspringt aus einem Kern 
und doch werden verschiedene Zellen desselben für die Reflexe auf 
dem oberen und dem unteren Faciahs in Anspruch genommen. Wollte 
man physiologisch genau definieren, so würde man wohl sagen müssen, 
das Reflexzentrum ist die Summe der grauen Substanz, welche von 
dem Reflexreize passiert wird. Man sieht jedoch schon aus dem 
Beispiel von dem oberen und unteren Facialis, daß es meist unmög- 
lich ist, diesen Weg in allen Einzelheiten zu verfolgen. In der Tat 
handelt es sich gewöhnlich nur um eine topographische Annäherung 
an dieses Ziel, wenn wir etwa von einem Reflex behaupten, die Medulla 
oblongata wäre sein Zentrum. Nur die topographische Annäherung 
ist jedoch der Sinn des Terminus, niemals die Feststellung einer ana- 
tomischen Struktur. Für den Reflex hat zum ersten Mal Mayo durch 
die Abschneidung desjenigen Teiles des Hirnstammes, in welchem 
Opticus endigt und Oculomotorius entspringt, einen begrenzten Ab- 
schnitt des Nervensystems, wie wir es also jetzt nennen, ein Zentrum 
ermittelt, in welchem ein Reflex, der der Pupillen Verengerung auf 
Lichteinfall, umgesetzt wird. 

Ein jeder Teil des Zentralnervensystems, in welchem ein sensibler 
Reiz Gelegenheit hat, auf motorische Apparate zu wirken, kann als 
Reflexzentrum fungieren. Wo das nicht der Fall ist, wie z. B. in 
großen Bezirken des Thalamus opticus, da kann natürlich auch kein 
Reflex zu stände kommen, und daher kann der Thalamus opticus nur 
zusammen mit anderen Hirnteilen als Reflexzentrum fungieren. 

Es leuchtet ein, von welcher Bedeutung für die Ermittlung des 
Reflexzentrums die Verfolgung der extra- und der intrazentralen 
Bahnen sein muß, und ihren Gesetzen haben wir uns jetzt zuzuwenden. 
Sie wird beherrscht von dem BELLSchen Gesetz, von dem aus man 



8« 



tn. Per Vumtx. 



geradezu die moderne Entwicklung der Nervenpfaysiologie daueren 
kann. In seiner allgemeinen Form besagt es nichts weitar, als daß 
die Wege der zentriiietalen und der zentrifugalen Leitung getrennt 
sind. Es bßsagt, daß das Nervens}'stem kein Scliwanim ist, in dessen 
Poren das Nerventluidum eingesaugt, aus denen es wieder ausgestoUen 
wird, sondern daß die afferenten und die efferenten Wege kraft ihrer 
zentralen Verbindungen spezifisch verschieden sind. Schon 1811 sprach 
es Bell aus, daß „jeder Nerv, der eine doppelte VerricJitung hat, 
diese nur vermftge einer doppelten Wurzel hat". So begann das 
Problem der Lokalisation der Funktionen an der Eintrittsstelle des 
Nerven in das Zenträlorgan und wir sind heute noch nicht fertig damit, 
die Leitung dieser Funktionen im Zentralnervensystem zu verfolgen. 
Der Grund aber zu der ganzen exakten Behandlung des Lokalisatious- 
problems liegt schon in den experimentellen Ergebnissen Bells, daß er 
nämlich „die hintere Reihe der Rückenmarkswurzeln durchschneiden 
konnte, ohne Konvulsionen der Rückenmuskeln zu veranlassen, daß 
hingegen bei der Berührung der vorderen Wurzeln mit der Messer- 
spitze unmittelbar Zuckungen der Rflckeninuskeln erfolgten". Daß 
die vorderen und hinteren Rückenmarks wurzeln verschiedenen Funk- 
tionen dienten, dieser Gedanke war seit der Entdeckung der Spinal- 
ganglien durch MoNRO wohl manchem schon nahegelegt, denn warum 
wohl hatten die hinteren Wurzeln ein solches Ganglion, die vorderen 
aber nichtV Der Gedanke an eine Trennung der motorischen und 
sensiblen Leitung lag in der Luft, Auf Grund theoretischer Spinti- 
sierereien erklärte der Engländer Walker 1809 — 2 Jahre vor Bell 
— die vorderen Wurzeln für sensibel, die hinteren für motorisch. 
Bell legte die experimentelle und darum unerschütterliche Grundlage 
für die Richtigkeit der allgemeinen und der besonderen Trennung der 
Funktion. Man hat viel darüber gestritten, bis zu welchem (irade er 
diese Erkenntnis ausgebaut habe und insbesondere, ob man nicht dem 
Franzosen Maoendie, der im Jahre ]i^23 mit ähnlichen Untersuchungen 
hervortrat, ein gleiches Maß von Verdienst zuerkennen solle. Es ist 
der Wissenschaft sicherlich gleichgültig, ob man von einem BELLSchen 
oder von einem BELL-MAQENDiEschen Lehrsatz spricht, wie es auch 
Engländer neidlos tun. Aber wir kJinnen uns nach einer sorgfältigen 
Prüfung der geBChichllichen Daten und bei unbefangener Würdigung 
der Persönlichkeit der beiden großen Physiologen doch nicht des Ein- 
druckes erwehren, daß nicht nur die Priorität des wesentlichen Ex- 
periments, sondern auch die bedeutendere Erfassung des Problems auf 
Seiten Bells lag, wenngleich Magendies Experimente die BsLLSchen 
noch stützen und ergänzen mußten, aber Bell war es dann wieder, 
der das Gesetz der spezitischen Leitung aus der beschränkten Sphäre des 
Rflckenmarks heraushob und auf die Hirnnerven anwandte. Die anato- 
mische Aelmlichkeit insbesondere des Trigeminus durch das Verhalten 
seiner Wurzeln zu dem Ganglion war zwar bereits Prochaska und 
SiSmuerino aufgefallen. Auch hier hat Bell durch Versuche und ins- 
besondere durch eine Reihe noch heute lesenswerter Kranken beobach- 
tungen die Analogie durchgeführt und sensible und motorische Wurzeln 
unterschieden. Hat er auch durch die Annahme einer dritten Art 
von Nerven, der „respiratorischen oder vitalen", einer Abart der moto- 
rischen, sich nicht zu der vollen Klarheit und Einfachheit durchringen 
können, ihm bleibt das Verdienst, die Lehre von den Funktionen des 
Nervensystems aus der niehrtausendj ährigen Umschlingung durch uu- 



I 
I 

I 





BELLsches Gesetz. 37 



fruchtbare Spekulation gelöst und auf ihre eigenen soliden Beine ge- 
stellt zu haben. 

Das BELLsche Gesetz also besagt: Die Wege der sensiblen 
(afferenten, rezeptorischen) und der motorischen (eflFerenten, eflfektori- 
schen) Impulse sind getrennt. Im Rückenmark ist der Weg der ersteren 
die hintere, der der letzteren die vordere Wurzel. Wir wissen weiter, 
daß von den Hirnnerven der erste (Olfactorius), zweite (Opticus), die 
große Wurzel des fünften (Trigeminus), der achte (Acusticus), ein Teil 
der neunten und zehnten (Vagoglossopharyngeus) sensibel, der dritte 
(Oculomotorius) , vierte (Trochlearis) , die kleine Wurzel des fünften, 
der siebente (Facialis), der Rest des Vagoglossopharyngeus, der elfte 
(Accessorius) und der zwölfte (Hypoglossus) motorisch sind. Das gilt 
natürlich in gleicher Weise für die üebertragung reflektorischer oder 
bewußter Impulse. 

Auch Maoendie kam übrigens nicht zu ganz bindenden Resul- 
taten, insbesondere verschuldete es die noch unentwickelte Kenntnis 
in der Anwendung des galvanischen Stromes, daß er auch von den 
hinteren Wurzeln noch motorische Effekte bekam. 

Diejenige Form des Beweises für das BELLsche Gesetz, die wir 
noch heute zu demonstrieren pflegen, stammt von Johannes Müller, 
der zuerst auf den glücklichen Gedanken kam, die Versuche nicht wie 
Bell und Magendie am Warmblüter, sondern am Frosch anzustellen. 
Er durchschnitt an diesem Tiere auf der einen Seite die drei hinteren, 
auf der anderen die drei motorischen Wurzeln des Hinterbeines und fand 
nun, daß der Frosch das eine Bein, an dem er jeden Schmerz fühlte, 
doch nicht im geringsten bewegen konnte, sondern nur allgemeine 
Fluchtbewegungen mit den drei anderen Beinen machte, während man 
an dem gegenüberliegenden Hinterbein, das doch bewegt werden 
konnte, den Fuß abschneiden konnte, ohne daß das Tier einen Abwehr- 
oder Fluchtversuch machte. 

Experimentiert man am Frosch, so entgeht man auch bei der 
Reizung der beiden Wurzelreihen einer Fehlerquelle, welche Maoendie 
bei seinen Versuchen am Säugetier sehr lange beschäftigt hat, bis es 
ihm endlich gelang, sie aufzuklären und in das Gesetz einzufügen. 
Er sah, daß auch die Reizung der vorderen Wurzel Schmerz ver- 
ursachte, aber diese Empfindlichkeit hörte auf, wenn die hinteren 
Wurzeln durchschnitten wurden, sie wurde also zum Rückenmark nicht 
auf dem Wege der vorderen, sondern der hinteren Wurzeln geleitet. 
Diese Fasern, die also einen Bogen von den vorderen zu den hinteren 
Wurzeln machen , vermitteln die Sensibilität eines Teiles der binde- 
gewebigen Hüllen des Rückenmarks, insbesondere der Dura mater. 
Die Tatsache hat einen dauernden Platz in der Physiologie unter dem 
Namen der „Sensibilit6 röcurrente'* gefunden. Die Sensibilität 
macht also einen Umweg, um dem Gesetz genügen zu können. 

Dann aber gibt es Ausnahmen, welche die Regel bestätigen. Es 
ist charakteristisch, daß es sich dabei immer um motorische Fasern 
handelt, welche durch die hinteren Wurzeln gehen, nie um sensible, 
welche die vorderen passieren. Denn die sensible Faser braucht das 
Spinalganglion, das nur an der hinteren Wurzel liegt, die motorische 
kann auf jedem Wege die Peripherie erreichen. Steinach und Wiener 
haben durch Reizung des peripheren Stumpfes hinterer Wurzeln moto- 
rische Wirkungen auf die Eingeweide des Frosches bekommen, also 
Wirkungen auf das sympathische System. Derselben Art sind vaso- 



38 



Ttr. Der Reflex. 



dilatatorische Effekte, welche zuerst Stbicker. in neuerer Zeit be- 
sonders Baylibs durch Reizung hinterer Wurzeln bei Säugetieren 
erhalten hat, und die konstant zu sein scheinen. In seltenen Fällen 
verirrt eich wohl auch eine motorische Faser für die quergestreifte 
Skelettmuskulatur in die hintere Wurzel (Wana). Auch an den Hirn- 
nerven kommt wohl Analoges vor. Alle diese Ausnahmen berühren 
aber als solche noch nicht das Prinzip, nach dem die sensible Er- 
regung andere Bahnen braucht, als die motorische. Denn dieses 
Prinzip bezieht sich auf die einzelne Faser. Es besagt nur, daß die 
einzelne Faser niemals von zentripetalen und zugleich von zentri- 
fugalen Erregungen durcheilt wird, ob beiderlei Fasern auch anato- 
misch noch so gemischt miteinander verlaufen. Dieses Prinzip wird uns 
auch in dem Labyrinth der intrazentralen Bahnen weiter führen. Die 
Angriife, welche freilich auch gegen das Prinzip gerichtet sind und 
welche ein und dieselbe Faser der zentripetalen und der zentrifugalen 
Leitung eröffnen wollen , werden uns noch an anderer Stelle be- 
schäftigen. 

Wir wissen aus der allgemeinen Nervenphysiologie, daß die Nerven- 
faser ein doppelsinniges Leitungs vermögen besitzt, und selbstverständ- 
lich wird eine jede Faser — ganz gleich, ob motorisch oder sensorisch 
— wenn der Nervenstamm entweder im Experiment, oder wie der 
Ulnaris bei einem zufälligen Stoß gegen das Olecranon gereizt wird — 
die Erregung zentral und peripherwärts weiterleiten. Aber einen 
Erfolg hat nur die zentripetale Leitung in den sensiblen und die 
zentrifugale in den motorischen Fasern, Wie wollte ein sensibles 
Endorgan auf eine ihm in zentrifugaler Richtung übermittelte Er- 
regung antworten y In der Tal sorgt schon die Spezifität des moto- 
rischen und sensiblen Endorgans dafür, daß eine Erregung unnormaler 
Richtung gar nicht zum Ausdruck kommen kann. Das motorische 
Endorgan wird von zentripetalen Impulsen ja gar nicht getroffen und 
wtlrde sie auch wohl nicht aufnehmen. 

Es hat sich jedoch gezeigt, daß nicht allein die Untaugtichkeit 
des Endapparates die Erfolglosigkeit un physiologisch gerichteter Reize 
bedingt, sondern — und damit gehen wir über zu der Besprechung 
der eigentümlichen Rolle des Zentralorgans — daß die Doppelsinnig- 
keit der Leitung im Zentralorgan aufhört. Wir erwähnten bereits, 
daß es bei Reizung hinterer Wurzeln gelingt, an den vorderen durch 
die Ableitung des Nervenstromes den Reflexerfolg aufzufangen. Wenn 
es nur an der Untaugliclikeit des Endorgans liegt, wenn es nur so 
wäre, daß eine zentrifugale Leitung in sensiblen Fasern keine 
Wirkungen hervorbringen könne, müßte man doch wenigstens die die 
Nervenfasern passierende Erregung auch umgekehrt bei Reizung der 
vorderen Wurzel von der hinteren ableiten können. Bernstein hat 
nachgewiesen . was allerdings von der Mehrzahl der Autoren seit 
JoiiAHNES MÜLLER schou lange angenommen worden war, daß dem 
nicht so ist. Der Nervenstrora der hinteren Wurzel zeigt bei Reizung 
der vorderen keine Veränderung. Die Leitung durch das Rückenmark 
ist nur in der einen Richtung offen, in der anderen versperrt (Fig. 10). 
Bildlich gesprochen, es besteht eine Art Vontiiverschlnß. Wo die 
Stelle dieses Verschlusses liegt, ist natürlich unklar. Es ist auch durch- 
aus nicht so, daß jede Ganglienzelle nur in einer Richtung von 
Erregung durchflössen werden kann. Von den Zellen der 
ganglien, die allerdings auch histologisch einen ganz besonderen 




I 

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I 



on der ^H 
Spinal- ^^M 
I TypuB ^H 



EiDr^innigkeit der Leitung. Reflexzeit. 39 

zeigen, ist vielmehr durch Exner nachgewiesen, daß die Erregung sie 
auch in der nach dem BELLschen Gesetz unphysiologischen Richtung 
durchsetzen kann. Aber schon für das Rückenmark gilt das Gesetz 
von der Einsinnigkeit der Leitung, eine Erweiterung und die 
Erfüllung des BELLschen Prinzips. 

Auch in physiologischer Richtung geschieht die Leitung der Er- 
regung, wenn die graue Substanz des zentralen Nervensystems ins 
Spiel kommt, jedoch nicht mit der gleichen Geschwindigkeit, wie im 
peripheren Nerven. Die ^Reflex zeit" ist selbst im günstigsten 
Falle um ein Vielfaches größer, als man es nach der Länge des Weges 
und dem Gesetz von der Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung 
in der peripheren Nervenfaser berechnen müßte. Helmholtz, der 
•die Fortpflanzungsgeschwindigkeit im peripheren Nerven entdeckt hat, 
war auch der erste, der die Reflexzeit gemessen hat, und zwar die 
'des Blinzelreflexes. Der Blinzelreflex ist denn auch bis heute eines 
der bevorzugten Objekte für die Reflexzeit geblieben, als Reiz kann 



unwirksam 



wirksam 




Fig. 10. Die Einsinnigkeit der zentralen Leitung. Nur in der Richtung der 
Pfeile kann die Erregung das Rückenmark durchsetzen. 

man entweder einen optischen Eindruck (elektrischen Funken) oder 
eine mechanische Erregung der Conjunctiva wirken lassen. Die Be- 
wegung des Augenlides kann man entweder mit einem leichten Hebel 
graphisch verzeichnen oder, wie das Garten zuerst getan hat, photo- 
graphieren. Für den Blinzelreflex hat man eine Minimalzeit von 
0,04 Sek. gefunden. Besonders klein soll die Reflexzeit der Sehnen- 
reflexe sein. ScHEVEN fand dafür 0,01 Sek. Diejenige Zeit, die nach 
Abzug der auf einen peripheren Weg berechneten Leitungszeit, also als 
die eigentümliche, für das zentrale Nervensystem geltende Bedingung 
übrig bleibt, hat man der „rohen'' Reflexzeit als die reduzierte gegen- 
übergestellt. 

Diese Reflexzeit ist ganz außerordentlich abhängig von der Stärke 
des Reizes. Während starke und schwache Reize in der peripheren 
Nervenfaser mit gleicher Geschwindigkeit geleitet werden, tritt der 
Reflexerfolg bei schwachen Reizen um das Vielfache später ein , als 
bei starken. Das klassische Beispiel für diese Feststellung ist der 



40 III« !>«• Reflex. 



sogenannte „Reflexfrosch*', der nur noch das Rückenmark besitzt^ und 
die klassische Methode die TORCKsche der Reizung der Haut mit ver- 
schieden konzentrierten Säurelösungen, in welche die Extremität ge- 
taucht wird und aus welchen dann nach einem Intervall, eben der 
Reflexzeit, der Frosch das Bein herauszieht. Die Unterschiede in der 
Reflexzeit sind bei diesem Verfahren so gewaltig, daß man sie bequem 
mit der Sekundenuhr beobachten kann. Auch beim Säugetier kann man 
z. B. mit Temperaturreizen sehr hohe Reflexzeiten erzielen. 

Wenn schwache Reize einen Reflex erst nach so sehr viel längerer 
Zeit zur Folge haben, als starke, so kann das nur so erklärt werden, 
daß diese schwachen Reize sich allmählich im Zentralorgan summieren. 
Die Fähigkeit der Summation, der Aufspeicherung von Reizen ist 
denn in der Tat auch wieder eine der Grundeigenschaften der zen- 
tralen grauen Substanz, welche dem peripheren Nerven oder der 
Leitungsbahn nicht zukommt. Einzelne sehr kurzdauernde Reize 
können häufig auch bei sehr großer Stärke einen Reflex nicht be- 
wirken. Einzelne Induktionsschläge sind, auf die Haut oder den 
Nervenstamm des Reflexfrosches appliziert, sehr häufig überhaupt nicht 
im Stande, einen Reflexerfolg herbeizuführen, während das mit wieder- 
holten Reizen schon sehr viel geringerer Stärke ohne, weiteres gelingt. 
Eine Summation ist es auch, wenn auf größere Oberflächenteile des 
Körpers angebrachte Reize schneller wirksam werden , als die Er- 
regung kleinerer Reizflächen, eine Erscheinung, die wir auch bei der 
TüRCKschen Anordnung sehr gut beobachten können. Der Frosch 
zieht sein Bein schneller aus der Säurelösung, wenn es weit unter- 
getaucht wird, als wenn es nur mit den Zehenspitzen die Säure berührt. 

Die Wirkung der Summation kann sich auch in der Weise zeigen, 
daß bei gleichstarken Reizen der Erfolg bei der Wiederholung stärker 
wird (treppenartig), falls das Intervall eine gewisse Größe nicht über- 
schreitet. 

Sowohl die Erscheinung der längeren Reflexzeit bei schwachen 
Reizen als die Summation kann man auch — und das bietet für ge- 
wisse Fragestellungen einige Bequemlichkeit — durch einen Wider- 
stand erklären, der der Leitung im zentralen Grau entgegensteht, und 
der erst durch wiederholte Reize überwunden werden kann. Steter 
Tropfen höhlt den Stein. 

In das Kapitel der Summation gehört auch die von Exner so 
genannte Bahnung. Auch sie bezeichnet die Tatsache, daß zwei 
— einzeln unwirksame — Reize, in einem gewissen Intervall aufein- 
ander folgend, eine Wirkung zur Folge haben können. Der Unter- 
schied gegenüber der gewöhnlichen Summation ist nur der, daß die 
beiden Reize von verschiedenen Stellen ausgehen und nur der eine 
ein eigentlicher Reflexreiz ist. Denn das ExNERsche Experiment be- 
steht darin, daß die Wirkung von Reflexreizen an der Kaninchenpfote 
geprüft wird, nachdem vorher dem motorischen Apparat des Rücken- 
marks von der Großhirnrinde aus Erregungen zugeleitet worden sind. 
Exner stellte fest, daß eine an und für sich unwirksame Reizung der 
Pfote nach einer an und für sich ebenso unwirksamen Reizung der 
Großhirnrinde einen deutlichen Reflexerfolg haben kann. Die „bah- 
nende^ W'irkung der Großhirnreizung dauert etwa 1 Sekunde. In 
dem ExNERschen Experiment ist das neue nur das, daß ein Reflexreiz, 
und ein auf die Großhirnrinde angebrachter Reiz sich summieren 
können. Daß Reize, die an verschiedenen Stellen der Körperober- 



ßummation. Bahnung. 41 



fläche nacheinander angreifen, sich summieren können, ist ganz be- 
kannt. Man braucht nur an die Reflexerscheinungen zu erinnern^ 
welche ein leises Streicheln über die Fußsohle hervorruft, während 
eine leise Berührung an einer Stelle nichts dergleichen bewirkt. Merz- 
bacher hat auch gezeigt, daß beim Frosch ein optischer und ein 
taktiler Reiz, die schnell aufeinander folgen, einen Erfolg haben können, 
den einzeln keiner von den beiden Reizen erzielt Auch hier könnte 
man sagen, daß die eine Erregung durch die andere gebahnt wird. 
Der Ausdruck „Bahnung'' hat darum zu Mißverständnissen Anlaß ge- 
geben, weil er an den Begriff der Leitungsbahn anzuknüpfen scheint. 
Der Vorgang, um den es sich handelt, findet aber ausschließlich in 
der grauen Substanz statt und hat mit der weißen Leitungsbahn nichts 
zu tun. Auch hat man sich nicht immer an die ExNERsche Definition 
der Bahnung gehalten, die eben die Bahnung einer Erregung durch 
eine andere verlangt. So finden wir häufig den sogenannten Porter- 
schen Versuch als Beweis einer Bahnung genannt. Porter zeigte, daß, 
wenn man die eine Hälfte des Cervikalmarks durchschneidet, die 
Atmung auf der einen Seite stillsteht, weil die vom Atemzentrum 
kommenden Impulse nicht mehr zu den Ursprungszellen des Phrenicus 
gelangen. Durchschneidet man nun aber den Phrenicus der zweiten 
Seite, so fängt die erste wieder an zu atmen. Es ist das nicht anders 
möglich, als daß die vom Atemzentrum kommende Erregung im 
Rückenmark jetzt die Mittellinie überschreitet; durch welchen physio- 
logischen Mechanismus das geschieht, ist im einzelnen unklar. Um 
eine Summation wie bei dem ExNERschen Experiment handelt es sich 
jedenfalls nicht. Die Dyspnoe ist der Grund auch nicht allein. Es 
handelt sich eben um eine Ersatzerscheinung. Aehnliche Dinge haben 
die Kliniker im Auge, wenn sie von einer „bahnenden Uebungstherapie** 
sprechen, wodurch der Anschein erweckt wird, als wenn wir über den 
anatomischen Mechanismus der Uebung irgend etwas wüßten. Hat 
man doch, indem man wirklich annahm, daß durch wiederholte Er- 
regung die zentrifugale Bahn durchgängiger würde, den kuriosen Vor- 
schlag gemacht, bei Hemiplegikern die Rinde freizulegen, und von 
hier aus durch Reizung mit elektrischen Strömen den Weg zur 
Peripherie zu „bahnen". Jedenfalls sind Vorgänge des Ersatzes und 
der Uebung nicht mit der ExNERschen Bahnung zu verwechseln. 

Der Bahnung eines Reflexes wird gewöhnlich dieHemm ung gegen- 
übergestellt — mit Unrecht; denn die Hemmung steht gegenüber der 
Summation schlechthin, von der die ExNERsche Bahnung nur ein Spezial- 
fall ist. Während die Summation darin besteht, daß durch einen 
zweiten Reiz die Wirkung eines ersten verstärkt wird, kann nun der 
umgekehrte Fall eintreten: Die Wirkung eines Reizes wird durch einen 
anderen aufgehoben oder vermindert. Diese paradoxe Erscheinung 
nennen wir Hemmung und definieren sie also als die Verminderung 
oder Vernichtung einer Erregung durch einen Reiz. Auch hier haben 
wir es wieder mit einer Grundeigenschaft des zentralen Gewebes zu 
tun, die ihre Bedeutung weit über die Lehre vom Reflex erstreckt. 
Zwar ist es durch die allgemeine Nervenphysiologie festgestellt, daß auch 
im peripheren Nerven sehr schnell einander folgende Erregungen sich 
gegenseitig stören, hemmen können, aber bei denjenigen Vorgängen, 
die uns hier beschäftigen, kommen diese Vorgänge an der peripheren 
Nervenfaser gar nicht in Frage. Allerdings hat man auch einmal be- 
hauptet, daß die vom zentralen Nervensystem ausgehende Hemmung 



4Sf 



tu. r>er Hefles. 



sich auch auf den peripheren Nerven erstreckt derart, daß unter ihrem 
Einfluß die Erretibarkeil des peripheren Nerven sich vermindere. Mau 
hat diesen hypothetischen Vorgang als „aktive Hemmung" bezeichnet. 
Aber diese Behauptung beruhte auf offeubareo Versuchsfehlern. Mit 
dem peripheren Nerven haben wir auch hier nur als einem Leiter zu 
rechnen, der die ihm vom zentralen Nervensystem aus übertragenen 
Erregungen getreulicli weitergibt und nichts daran ändert'). Die 
Hemmung entsteht also bei Interferenz mehrerer Erregungen im 
zentralen Grau. Der einfachste Fall ist der. daß der Erfolg einer 
reflektorischen Erregung durch eine andere gleichfalls auf dem Reflex - 
weg einwirkende Erregung gehemmt wird. Ein Frosch zum Beispiel 
zieht sein Hinterbein nicht aus der Säuremischung, wenn etwa ein 
zweites Bein sehr stark gedrückt wird, oder wetm auf den anderen 
Ischiadicus sehr starke Ströme appliziert werden. Es ist in der Tat 
Jie übermäßig starke Erregung der Körperoherfläche eines der sichersten 
Mittel, um eine Retlexhemniung zu erzielen. Nach Verworn ge- 
schieht die Bändigung der giftigen Naja haja, einer afrikanischen 
Schlange, durch die Hemmung, welcher das ganze Tier verfällt, wenn 
der Schlangenbeschwörer mit geschicktem und kräftigem Griff' den 
Schwanz des Tieres zusammenpreßt. Auch scheinen Dauerreize, wie 
4ie chemische Reizung und insbesondere der aufsteigende konstante 
Strom besonders geeignet, um Hemmungen zu erzeugen. Die Be- 
dingungen, unter deuen bei Interferenz zweier Reize das eine Mal 
Verstärkung, das andere Mal Hemmung des Etfektes eintritt, sind 
kaum in eine allgemein gültige Formel zu fassen, sind im Einzel- 
fall vielmehr sehr verschieden. Ausftihrliche Studien über einen 
solchen Einzelfall, den noch später zu erwähnenden KratzreÜes des 
Hundes, sind neuerdings von Sherrinqton angestellt worden. Im 
allgemeinen dürfte soviel sicher sein, daU wir keineswegs für alle 
hemmenden Erfolge einer Reizung immer besondere hemmende Nerven 
verantwortlich zu machen brauchen, sondern daß eine Reiznngsform 
ein und desselben Nerven Erregung bezw. Summation, eine andere 
Hemmung machen kann. Eine andere Frage ist es, ob überhaupt, 
wenn auch nur für einzelne Fälle, centripetale Nervenfasern bestehen, 
Jie — natürlich kraft ihrer zentralen Verknüpfung — nur Hemmung 
und keine Erregung machen können. Das ist eine P'rage, die für die 
eigentlichen Reflexe kaum in Betracht kommt, und deren Erörterung 
wir auf die Lehre von der Atmung und auf den Abschnitt von dem 
sympathischen System verschieben. Sie hängt eng zusammen mit 
der Lehre von den H e m ni u n g s z e n t r e n. Es war insbesondere 
Setschenow, welcher die Existenz solcher Hemmungszeutren der 
Reflexe behauptet hat auf Grund von zwei Gruppen von Tatsachen. 
Erstens gelingt es, durch Reizung gewisser Zentralorgane, z. B. durch 
chemische Reizung des Lobus opticus vom Frosch, eine Hemmung 
und Verzögerung der Rückenmarksreflexe zu erzielen. Aber in diesen 
Fällen ist er möglich, daß einfach die Bahnen oder Wurzeln der Gehirn- 
nerven gereizt werden, deren Reizung ja eine Hemmung machen 

1( Uogt^n ist e« wohl möglich, dnQ peripheren Organen, welche ein Nerveo- 
fjalem oder wenig«tea< eine Erregbarkeit in nich äelbsL, also zentrale Eigenschaften, 
lieaitxen. durch periphere Nerven heniniende ImpulMC überiracen weraen. Die»« 
Mdglichkeit botumt allerdinga wohl nur bei Wirbelliuen ern«Llicu io Betracht. Uer 
einüiee bewiesene FaJI dieeer Art ist die von Biedermann ^fuiidene UemmuDg des 
Schiiflflmtulcels der KrelM^ere durch Beisung der peripheren Nerven. 



I 

I 
I 



Hemmung. 43 



kann. Zweitens werden nach Abtrennung einzelner Teile des Zentral- 
organes von anderen, z. B. nach Isolierung des Rückenmarkes vom 
Gehirn, im Rückenmark die Reflexe lebhafter. Das ist aber eine 
Erscheinung, welche, wie wir bei der Besprechung der Rückenmarks- 
physiologie sehen werden, noch eine andere Erklärung zuläßt. Drittens 
aber werden nach der gleichen Operation Reflexe ganz regelmäßig 
erhalten, die in der Norm einer gewissen Willkür unterworfen sind. 
Das beste Beispiel dafür ist der GoLTZsche Quakfrosch. Ein normaler 
Frosch quakt ab und zu. Er quakt willkürlich, vielleicht wenn er 
sich wohl fühlt, er quakt auch reflektorisch, wenn man ihm mit dem 
Finger über den Rücken fährt, das letztere aber nicht immer. Nehmen 
wir aber einem Frosch das Großhirn, so beantwortet er mit maschinen- 
artiger Regelmäßigkeit jede Reizung seiner Rückenhaut mit einem 
<2uaken. Hier ist die Folgerung unausweichlich, daß das Großhirn 
des Frosches den regelmäßigen Ablauf des Reflexes gehemmt hat, 
und infolgedessen ist das Großhirn des Frosches ein Reflexhemmungs- 
zentrum, üeber die Abgrenzung des Wortes Zentrum brauchen wir uns 
nicht mehr den Kopf zu zerbrechen. Daß wir willkürlich den Ablauf 
von Reflexen hemmen können, dafür sei nur an die Unterdrückung 
des Niesens und des Hustens erinnert. Selbstverständlich aber unter- 
liegen nur eine beschränkte Anzahl von Reflexen solcher willkürlichen 
Hemmung. Vor allem darf auch die Hemmung, welche in einer Aus- 
löschung der Erregung besteht, nicht mit der Ausgleichung des mo- 
torischen Reflexerfolges durch antagonistische Muskeln zusammen- 
geworfen werden. Die reflektorische Zusammenziehung des Quadriceps 
femoris hat natürlich keinen motorischen Effekt, wenn wir den Biceps 
•dagegen in Spannung versetzen, aber das ist keine Hemmung. Dies 
muß betont werden, weil versucht worden ist, alle Hemmung in einen 
solchen aktiven Antagonismus aufzulösen. 

Man hat in der Hemmung einen assimilatorischen Vorgang im 
Sinne E. Herings sehen wollen, während der Reflex und die reflex- 
fördernden Prozesse als dissimilatorisch anzusprechen wären. Wir 
kommen damit nicht viel weiter. Aber nach einer anderen Seite hin 
könnte man vielleicht noch etwas weiter fragen. Wenn der Erfolg eines 
Reflexreizes durch Hemmung beseitigt wird, wird die Erregbarkeit 
■des Zentrums vermindert, oder wird nur der Abfluß der Erregung 
zur Peripherie gehindert? Eine Tatsache spricht dafür, daß der 
Äweite Vorgang wenigstens mit im Spiele ist, das ist die verkehrte 
Nachwirkung. Wir beobachten nämlich sehr häufig, daß der Lösung 
«iner Hemmung ein Stadium ungewöhnlicher Erregung und auch ge- 
steigerter Erregbarkeit folgt. Der Gedanke einer Anstauung der Er- 
regung während der Hemmung wird dadurch recht nahegelegt. 

Die verkehrte Nachwirkung ist nur ein Beispiel für die allge- 
meine Tatsache, daß die Wirkung, die ein Reiz im zentralen Nerven- 
system verursacht, die Dauer des Reizes bei weitem übertrifft, und 
daß der Reizerfolg in keinem festen Verhältnis steht zu der Stärke 
des auf die Peripherie einwirkenden Reizes. Ein Induktionsschlag, 
auf einen motorischen Nerven wirkend, macht eine Zuckung des 
Muskels. Ein Induktionsschlag aber, der auf reflektorischem Wege 
«rst dem Muskel zugeleitet wird, macht niemals eine Zuckung, sondern 
einen Tetanus. Ein Tetanus kann nur zu stände kommen durch die 
Summation mehrerer Einzelreize und somit folgt, daß der eine Einzel- 
reiz die Entladung mehrerer Erregungen im zentralen Grau ausgelöst 



44 



III. Der Reflex. 



hat. Im zentralen Grau müsseD also Energiemengen bereit liegen, 
welche rlurch verhältnismäßig kleinen Anstoß schon in die wirksame 
Form übergeführt werden, wie ein Sprengstoff, der durch eine Er- 
schütterung zur Explosion gebracht wird. Gibt es doch auch Reflexe, 
bei denen der Erfulg den Reiz um Stunden überdauert, sogenannte 
„tonische Reflexe", wie sie z, B, von Verwohn beschrieben worden 
sind. Äuslösungsprozesee finden wir ja nicht nur im zentralen Nerven- 
system, sondern auch in anderem Arbeit leistenden Protoplasma, wie 
im Muskel, aber sie unterschei<len wieder die Vorgänge in der zen- 
tralen grauen Substanz wesentlich von denen in der peripheren oder 
zentralen Nervenfaser. 

Demgemäß sind wir auch im stände, Einfluß zu gewinnen auf die 
zentralen Vorgänge, insbesondere die uns hier beschäftigenden Reflexe 
durch Mittel, welche die Eigenschaften der Nervenfasern nicht oder 
nur ganz unwesentlich vermindern, welche vielmehr nur eine Aenderung 
des Grades der zentralen Erregbarkeit verursachen, und zwar in zweierlei 
Richtung: im Sinne ihrer Steigerung oder ihrer Verminderung. Man 
sieht leicht, daß man schon die Erscheinungen der Summation und 
der Hemmung als eine solche Veränderung der zentralen Erregbarkeit 
ansehen kann. Was wir aber jetzt erörtern wollen, sind nicht mehr 
die Wirkungen von Nervenreizen aufeinander, sondern der Einfluß 
der den Nervenzentren — insbesondere den Reflexzentren — auf dem 
Blut- oder Lymphwege zngefflhrten Substanzen. Die normale Rellex- 
erregbarkeit i.'^t geknüpft an die Zuführung eines normalen, d. h. ins- 
besondere mit Sauerstoff in normalem Maße gesättigten Blutes. Das gilt 
ja für die Tätigkeit jedes Orgaues, aber keines ist so emptindlich gegen 
die Aufliobuug der Blulzufuhr als das zentrale Grau. Einem Stadium 
der Unerregbarkeif, das aber noch durch Wiederdurchblutung aufgehoben 
werden kann, folgt selir bald der definitive Tod durch nekrotischen 
Zerfall der lebenden Substanz, während die peripheren Nervenfasern 
und auch die weißen Leitungsbahnen noch erregbar sind. Stekson 
hat gezeigt, daß man durch Kompression der Aorta und dadurch be- 
dingte Anämisierung des Rückenmarkes sofortigen (in weniger als einer 
Minute eintretenden) Verlust der Erregbarkeit und baldige Nekrose 
der grauen Substanz erzielen kann. Freilich bestehen hier Differenzen 
zwischen Warm- und Kaltbldter. Das KQckenmark des letzteren ist 
noch stundenlang nach Absperrung der Blutzufuhr erregbar. Auch 
der neugeborene Warmblüter zeigt noch eine ganz auffallende Re- 
sistenz gegen die Anämie, wovon man sich leicht an geköpften neu- 
geborenen Kätzchen überzeugen kaun. Die Anämisierung ist insofern 
ein sehr komplizierter Vorgang, als mindestens zwei Prozesse dabei 
ins Spiel kommen, nämlich erstens die Entziehung des Nährmaterials, 
insbesondere des Sauerstoffs, zweitens aber auch die Vergiftung der 
Zellen und des Graus durch die in der grauen Substanz gebildeten 
Stoffwechselprodukte, insbesondere die Kohlensäure, deren Weg- 
schaffung auf dem Wege des Blutkreislaufes unterbunden wird. 

Wenn unter Erhaltung der Lehensfähigkeit der grauen Substanz 
durch Einwirkung chemischer Substanzen eine Verminderung und 
Aufhebung der Erregbarkeit, für uns hier noch insbesondere der 
Retlexerregbarkeit herbeigeführt wird, so nennen wir diesen Zustand 
Narkose. Man hat demnach aucli mit Recht das dem Tode 
gehende Stadium der Anämie oder Erstickung als asphyktische 
bezeichnet Zum populären Begriff der Narkose gehört freilich 



voran- ^H 
Narkose ^H 
lieh vor ^H 



BedingnngeD der R^flexerregbarkeit Narkose. 45 

allem die Eiuschläferung des wachen Bewußtseins, und diese Wirkung 
hat die Narkose zur größten medizinischen Wohltat gemacht» welche 
von dem Menschen für den Menschen noch erfunden wurde. Sie ist 
es auch, welche bei der Einführung der narkotischen Substanzen in 
den Körper zuerst zum Ausdruck kommt. Aber dann verschwinden 
unter der weiteren Einwirkung des Narkotikunfs auch die Reflexe. Das 
Stadium der Toleranz, in welchem ohne bewußte oder reflektorische 
Abwehrbewegungen chirurgische Eingriff'e in den menschlichen oder 
tierischen Körper vorgenommen werden können, ist erreicht. Nur 
Atmung und Herz arbeiten noch, würden wir die Narkose noch weiter- 
treiben, so würden auch sie und damit das Leben ausgelöscht werden. 
Wir können die Narkotika auf alle W^eise in den Blutkreislauf ein- 
führen ^), wir können sie unter die Haut spritzen, wir können sie vom 
Magendarmkanal aufnehmen lassen, oder wir können sie, wenn ihr 
Siedepunkt niedrig genug liegt, mit der Luft atmen lassen. Eine 
ungeheure Anzahl chemischer Substanzen wirken narkotisch. Die 
Schlafmittel, wie das Chloral, sind nur milde Narkotika, nichts anderes 
ist das schmerzstillende Morphium und die übrigen aus dem Mohn 
gewonnenen Alkaloide, nichts anderes auch der berauschende Alkohol. 
Von den eigentlichen Inhalationsnarkoticis sind Chloroform und Aether 
die bekanntesten. Nicht alle diese Substanzen wirken absolut gleich, 
die eine beeinflußt diesen, die andere jenen Teil des Nervensystems 
mehr, ja einzelne, wie das Morphium, wirken nicht einmal bei allen Tier- 
arten gleich. Das Morphium kann unter Umständen sogar der Narkose 
entgegengesetzte Wirkungen entfalten. Es hieße wirklich, ein Lehr- 
buch der Pharmakologie schreiben, wenn wir darauf eingehen wollten. 
Hier gilt es nur, festzustellen, daß die Wirkung aller dieser Mittel 
im allgemeinen eine erregbarkeitsherabsetzende ist. Diese gemein- 
same Wirkung ist von Hans Meyer, dann von Overton, aus einem 
sehr merkwürdigen Prinzip erklärt worden. Sie fanden, daß die nar- 
kotische Wirkung irgend eines Stoff'es abhängt von seinem Löslichkeits- 
koetfizienten zwischen Wasser und Oel. Wenn man eine Substanz 
mit einem Teil Wasser und einem Teil Oel schüttelt, so verteilt sie 
sich ungleich zwischen die beiden. Dieser Löslichkeitskoeffizient ist 
für jede Substanz konstant. Meyer und Overton fanden nun, daß 
je mehr von einer Substanz im Oel, je weniger im Wasser verbleibt, 
sie um so narkotischer wirkt, so daß man aus diesem Löslichkeits- 
koefflzienten den Grad der narkotischen Wirkung eines Mittels voraus- 
sagen kann. Nun finden wir auch im zentralen Nervensystem eine 
große Menge von solchen öligen Substanzen, wie z. B. das Lecithin, 
die man zusammenfassend als Lipoide bezeichnet hat. Der Schluß 
ist einfach: die Narkose beruht im wesentlichen darauf, daß jene Sub- 
stanzen, dem erwähnten physikalisch-chemischen Gesetze folgend, auch 
im zentralen Nervensystem sich so verteilen, daß sie im wesentlichen 
sich mit diesen Lii)oiden verbinden. Damit wäre dann zu gleicher 
Zeit gesagt, daß jenen Lipoiden eine enorme Wichtigkeit für die Auf- 
rechterhaltung der Erregbarkeit und der Arbeitsfähigkeit des zentralen 
Nervensystems zukommt. 

Die ganz entgegengesetzte W^irkung als die Narkotika, eine erreg- 
barkeitssteigernde, aber haben nun eine Gruppe von Mitteln, die 

1) Im Experiment kann man auch einzelne Teile des Nervensystems durch 
lokale Einwirkung in Narkose versetzen. 



46 



m. Der Reflex. 



K ramp f gifte, als deren vornehmster Repräsentant von altersber das 
aus der Nux vomica gewonnene Strychnin gilt. Daa Strychnin 
wirkt jedoch spezifischer gerade auf die Reflexe als die Narkotika. 
Führt man einem Tier oder dem Menschen Strychnin in den Körper- 
kreislauf ein, so zeigt die Reflexsphäre die auffallendsten Verände- 
* rungen, während das Bewußtsein von der 
erregbarkeitssteigernden Wirkung direkt so 
gut wie gar nicht ergriffen ist. Die Steige- 
rung der Erregbarkeit zeigt sich zunächst 
in einer Herabsetzung der Reflexschwelle 
und einer Ausbreitung des Retlexerfolges, 
bis endlich ein Stadium des allgemeinen 
„Reflexkrampfes" folgt. Viu« eines Milli- 
gramms . in den Eückenlymphsack eines 
Frosches gespritzt, genügt, um die typischen 
Reflexkrämpfe mit Beugung der vorderen. 
Streckung der hinteren Extremitäten, und 
Opisthotonus der Wirbelsäule schon bei 
der geringsten Berührung oder nur Er- 
schütterung des Tieres zur Erscheinung 
kommen zu lassen. Die Stellung der Glied- 
maßen im ausgebildeten Krampf ist eben 
die Resultante aus der Wirkung aller 
überhaupt vorhandenen Muskeln, die also 
alle durch einen geringen Reiz in den stärk- 
sten Tetanus versetzt werden. Aber diese 
Krämpfe sind gebunden an die Erhaltung 
des zentripetalen Reizweges ; wenn man 
einem Frosch das RQckenmark durchschnei- 
det und dann noch die hinteren Wurzeln 
durcbtrennt, so treten iu dem von diesem 
Rückenmarksabschnitt abhängigen Tier nach 
Hering keine Krämpfe mehr auf. Also 
ein Reiz ist nötig, aber schon der kleinste 
entfesselt infolge der gesteigerten Erregbar- 
keit ungeheure Wirkungen. Eine Reihe von 
Kranipfgiften, wie das Brucin, das Tbebain 
u. a., haben im einzelnen abweichende, im 
Prinzip aber durchaus mit dem Strychnin 
übereinstimmende Wirkungen. Wie bei den 
Narkoticis ist es im Experiment auch beim 
Strychnin möglich . durch Bestreichen ge- 
wisser Teile des Zentralnervensystems, wie 
z. ß. eines Rücken marksqu ersehn ittes, die 
Wirkung auf eine umgrenzte Stelle zu lokali- 
sieren. 

Nicht unerwähnt darf an dieser Stelle 
Fift. n. Blo-chninkrampt. noch bleiben das Gift des Wundstarrkrampfes, 
des Tetanus, welches die Tetanusbacillen 
von einer verunreinigten Wunde aus produzieren. Seine Wirkung ist fast 
genau die des Strychnins. Sehr merkwürdig ist jedoch, daß sie erst 
einige (bis 12) Tage nach der Einbringung des Toxins in den 
eintritt. In irgend einer Weise muß also eine Umsetzi 




I 
I 



sie erst ^h 
I Körper ^H 
:s Giftes ^H 



B«flexknmpf. Teropentnr. Gnaadnng. 



4T 



mit Kßrperbestandteilen seiner Wirkung vorausgehen. Nicht vorüber- 
gehen können wir auch an einer anderen Eigentümlichkeit des Tetanus- 
toxins, welche sich auf seine Zufflhrung und Verteilung im Nerven- 
system bezieht. Wir sind ja sonst — und mit Recht — gewohnt, an- 
zunehmen, daß ein in das Körperpewebe aufgenommener oder einge- 
führter Stoff in die allgemeine Zirkulation flbergeführt wird und sich 
dann im Körper nach dem Maße der Affinität der einzelnen Organe 
zu ihm verteilt. Vom Tetanustoxin wissen wir durch die Unter- 
suchungen insbesondere von Hans Metrb. daß die Nervenslärame 
derjenigen Körperregion, in welche das Toxin eingeführt wurde, es. 
anrnehmen und daß das Gift sich in den Nervenstämmen selbst, und 
zwar wahrscheinlich ohne Vermittlung der Lymphzirkulation. viel- 
mehr durch die Fasern selbst, zum Zentralorgau fortpflanzt. So er- 
erklSrt sich denn 
auch, daß beim Tier 
der Starrkrampf zu- 
erst immer in den 
Muskeln der Ex- 
tremität ausbricht, 
in welche das Gift 
gebracht wurde. So 
erklärt sich der beim 
Menschen zuweilen 
vorkommend eKopf- 
letanus (Rose) bei 

Kopfverletzungen. 
Ein Teil freilich des 
Giftes wird sicher- 
lich auch durch die 
Zirkulation aufge- 
nommen , und bei 
gleichmäßiger Ver- 
teilung des Giftes 
im Körper sind es 
dann häutig beson- 
dere Teile des 

Zentralapparates, 
welche eine ganz be- 
sondere spezifische 
Empfindlichkeit für 
das Gift haben. Für das Starrkrampfgift sind das die Kaumuskeln 
bezw. ihr zentraler Reflexapparat, welcher die unter dem Namen 
Trismus bekannten und gefürchteten Kaumuskelkräinpfe auslöst. 

Auch die Temperatur ist ein Mittel, um die Erregbarkeit des 
zentralen Nervensystems zu beeinflussen. Unter dem Einlluli der Er- 
wärmung wird die Refleserregbarkeit zuerst gesteigert , dann ver- 
mindert und vernichtet. Beim Poikilothernien wird, wie Biedermank 
besonders betont hat, auch unter dem Einflüsse der Abkühlung die 
Erregbarkeit sehr erheblich verstärkt, und zwar oft in einer ganz 
besonderen Weise, welche nicht zu ungeordneten Reflexkränipfen, wie 
die Strychninwirkung. führt, sondern zu den schon erwähnten tonischen 
ReSexen, in welchen reflektorisch, z. B. durch Drücken der Haut, 
erzeugte eigentümliche Haltungen stundenlang festgehalten werden. 




FiR. 12. Kopftelnntis (recht«) nach Seifficr. 



48 in. Der Rfeflex. 



Ein Reflex bedingt, wie wir feststellten, die Auslösung von im 
Zentrum aufgespeicherter Energie. Das Maß der dem Zentrum auf 
dem Wege der zentripetalen Nerven zugeführten Energie ist viel 
kleiner als die von dem Zentrum an die Peripherie abgegebene. Wenn 
also ein Reflex erfolgt, findet eine entsprechende Abnahme des zen- 
tralen Energievorrates statt, der durch den Stoffwechsel ersetzt werden 
muß. Geschähe das nicht, so müßte ein zweiter Reiz ein weniger 
leistungsfähiges Zentralorgan treffen , und der Erfolg geringer aus- 
fallen. Es würde das eintreten, was wir Ermüdung des zentralen 
Reflexapparates nennen. Bei normaler Zirkulation ist jedoch für den 
Ersatz so vortrefflich gesorgt, daß wir am intakten Tier nur sehr 
selten etwas von Ermüdung von Reflexen sehen. Fano hat Schild- 
kröten mehrere Tage lang auf periodische Reize mit reflektorischen 
Bewegungen der Extremitäten antworten lassen, ohne von Ermüdung 
etwas wahrnehmen zu können. Beim Menschen sehen wir es jedoch 
nicht allzu selten, wenn unter pathologischen Einflüssen die Reflex- 
erregbarkeit abnorm niedrig ist, daß nach einigen Reizen ein Reflex 
versagt, während er nach einer Ruhepause wieder auszulösen ist. Das- 
selbe sehen wir sehr häufig bei den Reflexkrämpfen des Strychnin- 
frosches. Das Strychnin schädigt freilich auch die Zirkulation und 
diese Ermüdungserscheinung tritt vornehmlich bei ungenügender 
Zirkulation auf. Aber die prinzipielle Auffassung der Ermüdungs- 
erscheinungen, als bedingt durch den Verbrauch von zentraler Energie, 
wird dadurch nicht berührt, daß man die Folgen dieses Verbrauches 
durch rasche Zuführung neuer Energie oder Wegschaffung schäd- 
licher Stoflfwechselprodukte hintanhalten kann. Auch die Erscheinung 
der refraktären Phase kann als Ermüdungserscheinung aufgefaßt 
werden. Zwaardemaker und Lans fanden, daß nach einem 
reflektorischen Lidschluß ein Stadium relativer Unempfindlichkeit des 
Reflexapparates besteht, von 0,5 — 1 Sekunde Dauer. Von einem 
Verbrauch der gesamten vorhandenen Energie kann hier freilich 
keine Rede sein, aber immerhin sind, um einen gleichen Erfolg 
zu erzielen, stärkere Reize nötig, als nach Ablauf der Refraktär- 
periode. Freilich könnte man hier auch von einer umgekehrten 
(hemmenden) Nachwirkung des Reflexes sprechen, wie wir sie um- 
gekehrt als Folge einer Hemmung schon kennen gelernt haben. An 
der prinzipiellen Möglichkeit der Ermüdung aber in der besprochenen 
Weise kann kein Zweifel sein. Auch wird man leicht ersehen, in wie 
engem Zusammenhang alle diejenigen Vorgänge stehen, welche die 
Erregbarkeit des Zentralapparates nach einer oder der anderen Rich- 
tung beeinflussen. Immerhin würde es doch sehr einseitig sein, etwa 
die Hemmung, die Narkose und die Ermüdung ganz unter einen Hut 
bringen und aus einem Prinzip erklären zu wollen. 



IV. Kapitel. 

Das Rückenmark als Zentralorgan. 

Das zentrale Nervensystem der Wirbeltiere zerfällt in das cerebro- 
spinale und das sympathische Nervensystem. Das cerebrospinale Nerven- 
system, umschlossen von der knöchernen Hülle der Wirbel und des 
Schädels, teilt sich bei allen Wirbeltieren in ein Gehirn und ein Rücken- 
mark. Während das Gehirn bei den einzelnen Wirbeltierklassen die größten 
Unterschiede in seiner Gestalt aufweist, zeigt das Rückenmark eine weit- 
gehende Uebereinstimmung und eine gewisse Einförmigkeit seines Baues 
durch die ganze phylogenetische Reihe der Wirbeltiere hindurch. Auch 
seine Funktionen sind — wenngleich sie bei den einzelnen Wirbel- 
tierklassen sehr erhebliche Unterschiede aufweisen — doch immerhin 
einheitlicher aufzufassen und zu schildern, als die des Gehirns. 

Wenn wir nun hier zunächst die Aufgabe stellen, die Funktionen 
des Rückenmarkes, also eines Teiles des zentralen Nervensystems, zu 
umgrenzen, so stehen wir zum erstenmal vor dem Problem, zu loka- 
lisieren, d. h. ganz allgemein : die Verrichtungen eines Teiles des zen- 
tralen Nervensystems von denen eines anderen zu trennen. Welche 
Methoden haben wir, unter welchen Kautelen sind sie anzuwenden, um 
dieser Aufgabe zu genügen? Diese Frage ist zunächst allgemein zu 
beantworten. 

Wie überall in der Physiologie, haben wir zwei gegensätzliche 
Gruppen von Methoden — die der Reizung und die des Ausfalls. 
Bei der Anwendung beider haben wir nun zunächst eins zu berück- 
sichtigen, daß ein jeder Teil des zentralen Nervensystems nicht nur 
aus zentralem Grau besteht, sondern auch Leitungsbahnen enthält, die 
ihn mit den anderen Teilen verbinden. Reizen wir also eine Stelle 
des Rückenmarkes, so kann der Erfolg der Reizung einmal abhängen 
von der Reizung zentraler Substanz, und dann der Erfolg der Reizung 
uns bis zu einem gewissen Grade Aufschluß geben über deren Funktion, 
oder aber der Erfolg ist bedingt durch die Reizung von Leitungsbahnen, 
welche von höheren Zentralteilen zum und durch das Rückenmark 
führen. Dann ahmen wir durch unsere Reizung im günstigsten Falle 
nur einen Vorgang nach, der dem Rückenmark erst von jenen anderen 
Teilen übermittelt wird, wir bringen künstlich deren Funktion zur An- 
schauung. Aber selbst wenn wir diese Doppelnatur in Rechnung stellen 
oder — in noch zu schildernder Weise — ausschalten, haben wir 
durch eine Reizung immer nur gezeigt, welche Wirkungen ein Zentral- 
organ entfalten kann, aber mit großer Vorsicht ist zu prüfen, ob es 

Lewandowsky, Funktionen d. zentralen Nervensystems. 4 



fJO 



IV. Dne Rückenmark als Zentralorgan. 



diese Wirkungen normalerweise entfaltet, d. h. ob die von uns ge- 
wählte Form der kUnstlicheu Reizung überhaupt und wann sie unter 
natürlichen Bedingungen vorkommt. Man hat Galle auf das Gehirn 
geträufelt, um die nervösen Folgen der Cholämie zu studieren, aber 
man hat vergessen, danach zu fragen, ob, wenn die Galle mit dem 
Blutstrom an das Gehirn kommt, sie überhaupt nnd dann in jener 
Konzentration an diejenigen Stellen kommt, auf die wir sie künstlich, 
nach einer Tre])anation. aulbringen und wirken lassen können. 

Die erwähnte Doppeluatur des Zentralorgans muß natfirlich auch 
bei den Versuchen mit Vernichtung eines seiner Teile und die Be- 
obachtung der dadurch gesetzten Ausfallserscheinungen in Rücksicht 
gezogen werden. Immerhin gelingt es uns, und Shnhche Experimente 
macht die Natur selbst, an einigen Stellen, wie z. B. im Großhirn, 
die graue Substanz, an anderen Stellen die verbindenden Leitungs- 
bahnen zu tretfen, ohne die graue Substanz wesentlich zu verletzen. 
Wir können also so Teile grauer Substanz in Verbindung mit der 
Peripherie isolieren, so daß man annehmen könnte, indem wir z. ß. 
einen Schnitt durch das Rückenmark derart legen, daß ein Teil der 
Körperperipherie nur noch mit dem abgetrennten Teil des Rücken- 
markes zusammenhängt, wir hätten nichts anderes getan, als den 
Einfluß der höheren Zentralorgane ausgeschaltet und es kiinie jetzt die 
Rolle des Rückenmarkes isoliert zum Ausdruck. 

Dem kann jedoch nicht so sein. Denn nach der Operation bleiben 
die Erscheinungen nicht konstant, obwohl wir keinen weiteren Eingriff 
unternehmen. Diese Erscheinung hat nicht nur für das Rückenmark, 
sondern auch für andere Teile des Zentralorgans zu den ernstesten 
Differenzen über die Wertung der Funktion geführt. Zunächst darf 
nicht bezweifelt werden, daß die Operation als solche, auch wenn sie 
noch so schonend ausgeführt wird, und wenn sie auch nur in einem 
einfachen Schnitt besteht, weithin die Funktionen des verletzten Teiles 
schädlich beeinflussen kann — die Tatsache des operativen Shocks. 
Der Shock ist ein schlecht zu definierendes, aber viel und sichtlich 
nicht immer in demselben Sinne gebrauchtes Wort. Ein Shock ist es 
2. B., wenn jemand durch einen Stoß gegen den Bauch ohnmächtig 
wird. In diesem Fall würde sich der Shock wohl in eine nervöse 
Hemmung durch Reizung der sensiblen Nervenfasern der Bauch- 
eingeweide und auch durch vasomotorische Reflexe, welche zu einer 
Blutleere des Gehirns führen, auflösen lassen. Die Wirkung des 
Shock bei Operationen am Zentralorgan kann weder in dem einen 
noch dem anderen gesucht werden. Es muß sich vielmehr um eine 
Herabsetzung der Erregbarkeit unter dem Einflüsse von der Schnitt- 
stelle ausgehender molekularer Veränderungen handeln, ähnlich viel- 
leicht dem. was wir ohne direkte Verletzung als Gehirn- oder ROcken- 
markserschütterung bezeichnen. Wann können wir nun den Shock 
— der (ibrigens bei Kaltblutern im allgemeinen weniger hervortritt 
als beim Warmblüter — als abgeklungen bezeichnen? Anscheinend 
dann, wenn keine Aenderung im Zustande des Tieres mehr eintritt. 
Aber dann müßten wir seine Dauer häufig nach Monaten iierechnen. 
und in der Tat sind einzelne Autoren so weit gegangen, nnd für eine 
Anzahl von Fällen stimmen wir ihnen auch bei. 

In sehr viel Fällen wird nun die Erregbarkeit des abgetrennten 
Zentralteiles eine anormal große. So wird die Reflexerregbarkeit des 
isolierten Rückenmarkes eine abnorme. Die Anhänger des reinen Shock 



I 
1 




Shock. IsolierungsverändeniDg. 



51 



müssen dann annehmen, daß eine solclie Erhöhung der Erregbarkeit 
durch den Fortfall einer Hemmung bedingt sei. Ist diese Möglichkeit 
auch immer im Ange zu behalten, so scheint es doch sicher, daß ein- 
fach unter dem Einfluß der Isolierung Veränderungen der abge- 
schnittenen Zentralorgane sich einstellen, daß ihre inneren Eigenschaften 
sich ändern. So wird ein Pferd, das immer an der vollen Krippe ge- 
standen hat, auch wenn es nicht durch Sattel und ZQgel „gehemmt" 
wurde, in die Wildnis gesetzt andere Eigenschaften annehmen, es wird 
seine Gewandtheit entwickeln, um sich Nahrung zu verschafTen und seinen 




Fig. 13. QimschDitt des Bückeniiiarka (HaleanachwellnnK dee MenscheD) nach 
ZiEHEX. Ce Zentralkimal, Cv vordere Kommieeur, VW Voraerwurzel, Dha Dhep 
Hinterhom, SR Substentia Rolandi, & Stratum zonale, Ap Äp«ix, Pr Proc«eaUB 
reticuUria, dm, vm, dl, vi doreomediale, ventromediale, donolaterale, ventrolatenite 
Ganglicniellwgnippn de« Vorderhorns, Sd. Spd SeptB. 

Feinden zu entgehen. Solche Veränderungen werden wir mit H. Ucnk 
als Isoliernngsveränderungen bezeichnen. 

Zu ihnen kann man auch diejenigen Tatsachen rechnen, welche 
uns beweisen, daß unter gewissen Umständen nach gewissen Verletzungen 
ein Zentralorgan für ein anderes eintreten kann, wenn es sich dabei aber 
nicht um einfache Erregbarkeitssteigerung, sondern um komplizierlere 
Leistungen handelt, wählen wir gewöhnlich dann die Bezeichnung Er- 
satzleistung. Mit allen diesen Komplikationen haben wir nicht nur 



52 ^^* ^^ Rückenmark als Zentralorgan. 



beim Rückenmark, sondern überall, wo wir auch eine Verletzung im 
zentralen Nervensystem setzen, zu rechnen. 

Von der Anatomie des Rückenmarkes brauchen wir zunächst nur 
soviel, wie ein jeder weiß. Den Wirbeltieren eigentümlich, wird es 
vom Wirbelkanal ganz eingeschlossen, kaudalwärts füllt es ihn jedoch 
nicht ganz aus, insbesondere beim Menschen steigt schon während 
des Embryonal- und der ersten Zeit des Postembryonallebens das Rücken- 
mark derart empor, daß es bereits in der Höhe des zweiten Lenden* 
wirbeis sein Ende findet, und der Raum darunter nur noch von den 
Wurzeln der Cauda equina (und dem Filum terminale) ausgefüllt wird. 
Die graue Substanz mit den Ganglienzellen liegt eingeschlossen von 
den weißen Strängen als eine das ganze Organ durchziehende Säule, 
die auf dem Querschnitt in Form eines H erscheint. Die Massen- 
entwickelung dieser grauen Säule ist in verschiedenen Höhen verschieden 
und abhängig von der Entwickelung der Muskulatur, so daß beim 
Säugetier die den Extremitäten entsprechenden Stellen als Anschwel- 
lungen (cervikale und lumbale) hervortreten. Sind etwa die vorderen 
Extremitäten den hinteren gegenüber sehr schwach entwickelt, wie 
beim Känguruh, so tritt die Cervikalanschwellung entsprechend wenig 
hervor. Bei den Reptilien fällt sie natürlich ganz weg. Die Ab- 
grenzung des Rückenmarkes oralwärts ist keine scharfe, es geht ohne 
feste Grenze in die Medulla oblongata über. Beim Säugetier pflegt 
man die Pyramidenkreuzung oder den kaudalen Rand der unteren Olive 
als konventionelle Grenze anzunehmen. 

Die ideale Operation, die sich auf Grund dieser Grenzbestimmung 
zur Prüfung der Gesamtfunktion des Rückenmarkes ergibt, ist natür- 
lich die Abtrennung des Rückenmarkes durch einen queren Schnitt 
unterhalb der Medulla oblongata. Beim Warmblüter kann man die 
Folgen einer solchen Operation jedoch nur wenige Stunden, solange 
man mit künstlicher Atmung das Tier am Leben halten kann, be- 
obachten. Denn die Bahnen, die vom Atemzentrum in der Medulla 
oblongata kommen, passieren das Gervikalmark, und somit sind 
beim Menschen wie beim Säugetier volle Querschnittstrennungen des 
oberen Cervikalmarkes ohne weiteres tödlich. 

Niedere Wirbeltiere lassen sich jedoch nach dieser Operation 
genügend lange am Leben halten. Beim niedersten, dem Amphioxus 
lanceolatus ^), hat Danilewski den Versuch ausgeführt und schon 
hier finden wir zwei Hauptfolgen des Versuchs, 1) eine Aufliebung 
aller spontanen Bewegungen und 2) eine Verstärkung der Reflexe 
des „Rückenmarkstieres'' (spinal animal der Engländer). 

Das, was wir Spontaneität nennen, scheint in der Tat durch die 
ganze Tierreihe hindurch an die Verbindung des Rückenmarkes mit 
höheren Hirnteilen gebunden, keine Eigenschaft der grauen Rücken- 
markssubstanz selbst zu sein. Nur beim Aal hat Bickel spontane Be- 
wegungen des Rückenmarkstieres nach längerem Ueberleben der Ope- 
ration gesehen. Wir haben sie jedoch auch bei solchen Tieren vermißt. 
Aber auch w^enn man solche scheinbaren spontanen Bewegungen be- 
obachtet, müßte man, immer noch mit Sicherheit ihr Entstehen durch 
Reflex ausschließen können, was von Bickel nicht geschehen ist. Denn 



1) Nach Gegexbaur kommen zwar als Grund für die geringe AusbUdung 
des Gehirns bei Amphioxus schon regressive Vorgänge durch mangelhafte Aus- 
bildung der Sinnesorgane in Betracht. 



Spontaneität. Reizbarkeit des Rückenmarks. 53 



auch bei Säugetieren (Hunden mit isoliertem Lendenmark) beschreibt 
Goltz anscheinend spontane Bewegungen, Wedeln des Schwanzes, 
Bewegungen der FQße, die er aber als Reflexe erkannte, ausgelöst 
durch die Füllung oder die Bewegungen der Eingeweide, insbesondere 
des Mastdarmes und der Blase. 

Lange Zeit hat man die Frage erörtert, ob das Rückenmark für 
künstliche Reize erregbar wäre. Das ist heute eine res acta. Aber 
lange Zeit neigte man der Ansicht van Deens und Schiffs zu, 
welche zwar eine Leitung der natürlichen Erregung in der grauen 
und weißen Substanz des Rückenmarkes nicht leugneten, und dafür 
eine kinesodische und ästhesodische Substanz annahmen. Aber nur 
die direkten Fortsetzungen der vorderen und hinteren Wurzeln sollten 
unseren künstlichen Reizen zugänglich sein. Was die weiße Substanz 
betrifft, so haben Fick und Enoelken, dann Biedermann die Erreg- 
barkeit der Vorderstränge des Frosches gegenüber elektrischen Reizen 
festgestellt, Biedermann auch die Tatsache verwandt, daß nach 
einem Querschnitt der ventralen Bahnen hier die gleichen Verände- 
rungen der Erregbarkeit auftreten, wie im peripheren Nerven. Gad 
und Flataü haben in den Seitensträngen des Hundes durch elektrische 
Reizung recht fein zu lokalisieren vermocht, indem sie fanden, daß 
die langen Bahnen mehr exzentrisch liegen als die kurzen. Daß auch 
die graue Substanz des Rückenmarkes durch elektrische Ströme zu 
erregen sei, läßt sich wohl annehmen, aber nicht streng beweisen, 
weil sie sich von der weißen nicht scharf isolieren läßt. Auch durch 
direkte Applikation chemischer Substanzen läßt sich das Rückenmark 
reizen. Wenn man Ferrocyannatrium, das auf den peripheren Nerven 
und die Wurzeln kaum einen Einfluß hat, direkt an das Rückenmark 
bringt, so entstehen sehr heftige Zuckungen, die wahrscheinlieh auf 
eine Reizung der motorischen Zellen zu beziehen sind. Ferner hat 
Lüchsinger an der Katze gezeigt, daß die Erstickung ein mächtiger 
Reiz für die graue Substanz des Rückenmarkes ist, und zwar auch 
dann, wenn die hinteren Wurzeln des Rückenmarkstieres durchschnitten 
sind, also jede reflektorische Beeinflussung unmöglich ist. Unter 
diesen Umständen wirkt das Strychnin nicht mehr (Hering), ein 
Zeichen dafür, daß dieses das Rückenmark nicht direkt reizt, sondern 
nur die Erregbarkeit der Reflexmechanismen erhöht. Auch die spon- 
tanen Bewegungen, die wir durch Druck von Tumoren beim Menschen 
hervorgebracht sehen, sind ein Zeichen der künstlichen, hier der 
mechanischen , Reizbarkeit des Rückenmarks. Mancherlei Einzel- 
fragen zwar mögen hier noch zu lösen sein, aber daran, daß weiße 
und graue Substanz des Rückenmarkes künstlichen Reizen zugäng- 
lich sind, kann kein Zweifel bestehen. Wenn das Rückenmarkstier 
also keine spontanen Bewegungen mehr macht, so ist das der Aus- 
druck dafür, daß in der grauen Substanz des Rückenmarkes normaler- 
weise keine Erregungen angreifen, sondern solche nur von der Peri- 
' pherie übertragen werden. Das Rückenmark als Zentralorgan ist nur 
ein Reflexapparat. 

Erregungen werden ihm zugeleitet von der Haut, von den 
Schleimhäuten, von dem Peritoneum und der Pleura, den Meningen ^), 

1) Die Reizung der Meningen führt auf dem Wege der MAGENDiEschen 
Sensibilit^ r6currente zu sehr heftigen Muskelspannungen, am bekanntesten von 
diesen ist die ominöse Nackensteifigkeit der Meningitis. 



sowie von den sensiblen Apparaten der Muskeln und Gelenke {tiefe 
Sensibilität). Die Erregungen der Haut und der Schleimhäute können 
chemische und mechanische, auch Temperaturreize sein. Als erregende 
Einäiisse der tiefen Sensibilität kommen nur mechanische in Betracht 
Die effektorischen Wirkung des Rückenmarkes erstreckt sich auf die 
quergestreifte Muskulatur, sowie die glatte Muskulatur und die DrDsen 
eines Teiles des sympathtsclien Systems. Die Verbindung mit der 
Eörperniuskulatur ist eine direkte, während der Weg zu den Organen 
des sympathischen Systems über die sympathischen Ganglien geht, die 
also dem Rückenmark untergeordnet sind. 

Die Reflexe auf die Skelettmnskulatur würden sich allgemein ein- 
teilen lassen in Angrüfsreflexe einerseits und Flucht- und Abwehr- 
reflexe andererseits. Von den Angriffsreflexen wissen wir schon 
darum sehr wenig, weil wir beim Warmblüter ja das Rückenmark ira 
allgemeinen nur unterhalb des Abgangs der motorischen Nerven für 
die vorderen Extremitäten durchschneiden können und die hinteren 
Extremitäten beim Angritf kaum in Betracht kommen. Ein typischer 
Angriffsretiex ist der Uniklammerungsreflex der vorderen Extremitäten 
beim Frosch, mit dem insbesondere während der Brunst das Männchen 
das Weibchen festhält, und von dem schon Swamherdamm bekannt 
war, daß er noch von einem Tierbruchstück, das nur mit dem oberen 
Teil des Rückenmarkes noch in Zusammenhang steht, geleistet werden 
könne. 

Häufig kann man beobachten, daß der Schwanz eines geköpften 
Aales sich einem Reize zuwendet. Bei der Schlange ist das nach 
Tiegel und Osawa die Regel. Als Abwehrbewegung betrachtet, 
muß man diese Bewegung unzweckmäßig finden, aber vielleicht ist 
es eine Angriffsbewegung, die geeignet wäre, durch einen Schlag 
einen Gegner zu verscheuchen. In dasselbe Kapitel gehört die kunst- 
gerechte Unistrickung eines Tieres durch die geköpfte Schlange, 

Die den Angriffsrefie.xen entgegengesetzte Gruppe von Reaktionen 
könnte man als Sicheruugsreflexe zusammenfassen, Ihre ein- 
fachste Abart ist die, daß das Rückenmarkstier versucht, ein von 
einem Reiz getroffenes Glied dem Reizbereich zu entziehen. Diese 
Reaktion finden wir ganz allgemein nicht nur beim Frosch, der sein 
Bein aus der Säurelösung emporhebt, bei der Katze, die die von 
einem Hautreiz getroffene Hinterpforte an den Leib heranzieht, 
sondern auch heim Menschen. Gerade nach mehr oder weniger voll- 
ständigen QuerschnittserkrankuDgen des Rückenmarks beim Menschen 
kann man regelmäßig beobachten, daß schon leichte Reize der Fuß- 
sohle, welche beim normalen Menschen nur lokale Reflexe zur Folge 
haben, eine sehr energische Beugebewegung im Knie- und im Höft- 
gelenk auslösen, welche die Ejitreinität ganz aus dem Bereich des 
Reizes bringen. Wir sehen also hier eine Steigerung des Sicherungs- 
reflexes durch die Isolierung des Rückenmarkes. 

Gelingt es dem Tier nicht, das getrofTeue Glied aus dem Bereich- 
des Reizes zu entfernen, so gibt es zwei andere Arten der Sicherunga- 
reflexe, welche jetzt in Tätigkeit treten können, erstens die Abwehr- 
bewegungen und zweitens die Flucht. 

Die Ab wehr bewegungen haben den Zweck, den Reiz von dem 
Körper zu entfernen. Hält man das Bein eines RQckenmarksfrosches 
mit der Pinzette fest, so versucht er, sich mit dem anderen Bein zu 
befreien. Legt man ihm ein säu regetränktes Stück Papier auf die 



I 
I 



Arten der Beflexe. Bückenmarksseele. 55 

Bauchhaut, so nimmt er wohl allmählich alle vier Extremitäten, um 
es zu entfernen, zu Hilfe. Es sind insbesondere diese Wisch- 
bewegungen des Rückenmarksfrosches, welche zu interessanten Er- 
örterungen Anlaß gegeben haben. 

Nicht zu bestreiten ist zunächst eine wichtige Tatsache, daß näm- 
lich das Rückenmarkstier mit großer Sicherheit den Ort der Reizung 
trifft. Ja wird an zwei Orten gleichzeitig gereizt, so wendet es sich 
dem Orte des stärkeren Reizes zu. Der Ort der Reizung wird auf 
dem kürzesten Wege erreicht. Das Rückenmarkstier weiß also, wie 
man sich ausdrücken könnte, wo ihn der Schuh drückt. Sherring- 
TON hat mit Recht dem Rückenmark das Vermögen zugesprochen 
Lokalzeichen im Sinne Lotzes aufzubewahren. 

Unleugbar ist die fernere Tatsache, daß der Rückenmarksfrosch, 
um den Ort des Reizes zu erreichen, seine Bewegungen den je- 
weiligen äußeren Umständen anpaßt. Hält man ihm ein Bein fest 
oder schneidet es ihm ab, so nimmt er das andere ; könnte das noch als 
Folge des dann länger wirkenden Reizes, als Wirkung der Summation 
gedeutet werden, so ist das nicht mehr möglich, wenn der Frosch, 
dessen proximale Gliedabschnitte gefesselt sind, nun durch eine zweck- 
mäßig verstärkte und veränderte Innervation der distalen Glied- 
abschnitte sein Ziel zu erreichen sucht. Zu bemerken ist auch dies, 
daß der Frosch sich dem chemischen Reiz der Säure, die er ab- 
zuwischen versucht, gegenüber anders verhält, als der ihn festhalten- 
den Pinzette, gegen die er sich anstemmt. Beobachtungen dieser Art 
sind es, welche den unseligen Streit um die Rückenmarksseele 
heraufbeschworen haben. Insbesondere Pflijger war es, der dem 
Rückenmark Bewußtsein zuerkannte, während Goltz noch glaubte, 
alle Leistungen des Rückenmarksfrosches als maschinelle erklären zu 
können. Denn Goltz hatte in seiner ersten Zeit noch das Streben 
danach zu sehen, ob man sich eine Maschine denken könnte, welche 
etwa gewisse tierische Bewegungen nachahmen könne; hielt er eine 
solche Maschine für konstruierbar, so nannte er die Erscheinung 
einen Reflex. Spät erst ist Goltz zu der Erkenntnis gekommen, 
daß es nicht der Mühe wert wäre, zu suchen, wo die willkürliche 
Bewegung anfängt und der Reflex aufliört. Jede Definition, die nur 
subjektivistischer Tüftelei die Türe öffnen würde, ist hier vom Uebel ; 
nicht als wenn die Erforschung des Psychischen kein Gegenstand der 
Naturwissenschaft wäre. Aber weil wir das Entwickelungsprinzip 
auch für alles Psychische voraussetzen, dürfen wir uns mit der ob- 
jektiven Feststellung begnügen, daß das Rückenmark niederer Wirbel- 
tiere zweckmäßiger und jeweils zweckmäßig veränderter Abwehr- 
bewegungen fähig ist. 

Bei den Säugern scheint das Rückenmark so verwickelter Leistung 
nicht mehr fähig zu sein. Es kommt nicht vor, daß der Hund, dem 
man das Rückenmark im Dorsalteil durchschnitten hat, etwa versucht, 
einen Reiz, der die eine Pfote trifft, mit der anderen zu entfernen. 
Durch ein Streichen der Bauchwand kann man ihn noch zu Kratz- 
bewegungen anregen (Goltz), eine Abwehrbewegung, deren Zweck 
beim normalen Tiere ja bekannt ist. Nicht immer aber trifft dieser 
Kratzreflex genau die Reizstelle. Es fehlt die exakte Lokalisierung und 
auch die zweckmäßige Anpassung läßt zu wünschen. Die Bedeutung 
des Rückenmarks als Zentralorgan nimmt in der aufsteigenden Tier- 
reihe ab. 



m 



IV. Du BSctenmwk tin ZentnüergMi. 



Den Sicherungsbewegungea zum Schutze des einzelnen Gliedes 
znr Seite steht die Flucttbewegung, welche das ganze Tier einem 
Angriff entzieht Der Rftckenmarksfrosch sucht sich durch ziemlich 
geschicktes Schwimmen dem Reiz eines wannen Bades zu entziehen. 
Auf dem Lande sind seine Bewegungen zwar viel weniger vollkommen. 
aber immerhin gelingt ihm eine Art Sjirung. Auch die Ente boII 
nach hoher Rückenmarksdurch schneidung nach Tabchanoff noch 
schwimmen. 

Auch beim Säugetier kommen im RQckenmark noch Bewegungen 
zu Stande, die nicht anders, als der Versuch einer Fortbewegung z« 
deuten sind. Freitsberg hat gefunden, daß ein Hund, dem das 
Rückenmark im Dorsalteil durchschnitten ist, wenn man seine unteren 
Extremitäten herunterhängen laßt, anföngt, mit ihnen rhythmische 
Bewegungen zu machen, derart, daß ganz regelmäßig eiii Hinter- 
bein im Knie und Hüftgelenk gebeugt und dadurch gehoben, während 
das andere gestreckt wird. Man erkennt sofort die Beziehung zu 
der normalen Trabbewegung des Hundes. Der Reiz, der zu dem 
FREüSBEROschen Phänomen fflhrt, ist im wesentlichen die Erregung 
der sensiblen Nervenendigungen im Muskel, der tiefen Sensibilität, 
bewirkt bei der Dehnung durch das Gewicht der hernn (erhängenden 
Extremitäten selbst. Spontan kommt diese Bewegung nicht zu stände. 
Wohl aber kann man sie manchmal andeutungsweise auch zu sehen 
bekommen, wenn der Hund spontan seinen Vorderkßrper bewegt, 
dann werden durch das Nachschleifen des HinterkOrpers auf dem 
Boden ähnliche Bewegungen in den hinteren Extremitäten ausgelöst. 
Etwas ähnliches mögen auch die beim enthaupteten Salamander zu 
beobachtenden Schreitbewegungen sein, wenn man sie nicht mit 
PflCoer einfach auf direkte Reizung des Rückenmarks zurückfahren 
will. Beim Menschen ist nach Quertrennung des Rückenmarks keine 
Andeutung von Fortbewegung auch bei noch so starken Reizen mehr 
zu beobachten. 

In dem beschriebenen FnEUSBEROschen Phänomen wird eine 
Erscheinung besonders aufPJllig, die wir bisher nicht ausdrücklich be- 
achtet haben, die Rhythmizität des Reizerfolges, die periodische Unter- 
brechung der Bewegung bei konstantem Reiz. Es ist das eine sehr 
verbreitete Sache. Schon der Frosch macht ja nicht eine Wisch- 
bewegung, und bleibt dann auf der gereizten Stelle haften, sondern er 
wischt hin und her, bei der Katze haben wir sehr häufig nach ther- 
mischer Reizung des Rückenmarkstieres einige Male wiederholte starke 
Beugung und Streckung gesehen. Auch der Kratzretlex des Hundes 
ist rhythmisch. Beim Menschen beobachten wir unter pathologischen 
Bedingungen bei gesteigerter Erregbarkeit „klonische" Reflexe, z. B. 
den Fußklonus, durch die bei passiver Dorsalflexion des Fußes er- 
folgende Dehnung der Achillessehne. Indem wir hier nur auf dieses 
Problem der Periodizität, dem wir zum ersten Male begegnen, auf- 
merksam machen, behalten wir uns seine genauere Behandlung für 
später vor. 

Nun leistet das Rückenmarkstier alle die Reflexe, die wir be- 
schrieben haben, nicht aus einem Zustande völliger Schlaffheit heraus, 
sondern es bewahrt auch in der Ruhe eine gewisse Haltung. Der 
ROckenmarksfrosch ist zum Sprunge bereit, hält insbesondere die 
hinteren Extremitäten in der charakteristischen Stellung an den Lrab 
angezogen, vorbereitet, sich zum Sprunge abzustoßen. Schon Volk- 



TonuB. 



67 



KANN hat gezeigt, daß, wenn es z. B. im Stadium des Shocks auch 
gelingt, das Bein des Frosches auszustrecken , man dasselbe nach 
einiger Zeit ohne besonderen nachweisbaren Anlaß wieder angezogen 
findet. Daß dieses Phänomen aber trotzdem eine Refiexerscheinang 
ist, beweist die Tatsache, daß es nach Durchschneidung aller hinteren 
Wurzeln verschwindet. Aber nicht sind die hinteren Wurzeln dea 
einen Beines allein diejenigen, welche dem Rückenmark die zur Ein- 
nahme der sprungbereiten Haltung führenden Impulse Qbermitteln. 
Denn auch bei dem Frosch , dessen hintere 
Wurzeln für das eine Hinterbein durchschnitten 
worden, finden wir, wenn auch meist erst nach 
viel längerer Zeit, das Bein wieder angezogen. 
Es haben also die von dem einen Bein anlangenden 
Erregungen einen Einfluß auch auf die Motilität 
des gekreuzten Beines. Wir sehen also, daß das 
Rückenmark des Frosches einen bis zu einem 
hohen Grade einheitlichen, verwickelter Leistung 
fähigen ReSexapparat darstellt. 

Mit der Einnahme einer bestimmten Haltung 
hängt zusammen die Frage des sogenannten 
Tonus, und zwar so eng, daß man unserer 
später zu begründenden Anpassung nach den 
Tonus nur als eine Art der Haltung ansprechen 
darf. Aber ausgegangen ist man in der Lehre 
vom Tonus von der Frage, ob der Muskel auch 
„in der Ruhe'* eine gewisse Innervation zeigt 
oder nicht; man war geneigt, anzunehmen, daß 
der Muskel immer vom Zentrum aus in einer 
gewissen Kontraktion erhalten würde. Nun 
zeigten Donders und Brondoeest, daß, wenn 
die hinteren Wurzeln durchschnitten sind, dieser 
Tonus ausfällt, daß, wenn mau einen Rficken- 
marksfroscb senkrecht aufhängt und, bei Integrität 
der motorischen Wege beiderseits, auf der einen 
Seite durch Durchschneidung der hinteren Wurzein 
die Sensibilität ausschaltet, das Bein dieser Seite 
schlaffer wird, als das intakte. Damit war der 
Tonus im alten motorischen Sinne eigentlich wider- 
legt. Trotzdem hat man den Namen weitergeführt 
in dem unglücklichen Wort Refiextonus. Reflex- 
tonus heißt aber weiter nichts, als daß eben durch 
bestimmte Haltungen der Glieder reflektorisch 
eine Innervation ausgelöst wird. In dem Brond- 
GEESTSchen Versuch wirkte die Schwere der 
Extremitäten, die den Muskel dehnt, als Reiz für 
eine geringe Kontraktion, Würden — auch bei 
erhaltener Sensibilität — die Ansatzpunkte des Mnskets einander 
genähert werden, so daß der Dehnungsreiz, der von seinen sensiblen 
Nerven aufgenommen wird, aufliörte, so würde der Muskel auch ohne 
Tonus, d. i. völlig schlafl', sein. 

Wenn der Tonus also weiter nichts ist, als ein Reflex der tiefen 
Sensibilität, so steht er in engem Zusammenhang mit den Sehnen- 
reflexen, welche besonders in der menschlichen Pathologie eine große 




Fig. 14. Verlust dea 
„Tonus" nach Durch- 
achneiduDg der hiotereD 
Wurzeln auf der eineu 
Seite. 



m 



IV. Du Rückenmark als Zentratorftan. 



Rolle spielen. Von Erb und Westphal wurde gleichzeitig entdeckt 
daß ein Schlag auf die Sehne eines Muskels eine Zuckung in ihm 
bedinge. Es war der Quadriceps femoris, an dem hauptsächlich dieses 
Phänomen zunächst erforscht wurde; durch einen Schlag auf die 
Patellarsehne wird eine nach sehr kurzer Latenz einsetzende Streckung 
des Unterschenkels hervorgerul'en. Es sind dann eine Unzahl solcher 
Reflexe hinzugekommen, der Achillessehnenreflex, der Triceps-. der 
Supinator-, der Bicepsrefiex u. a. m. Auch die Periost- oder die so- 
genannten Knochenreflexe sind nichts anderes als „Sehnenreflexe", 
d. h. ausgelöst durch die Reizung der in den Endausbreitungen des 
Muskels am Knochen enthaltenen Nervenendigungeu. Freilich hat 
Westphal selbst die Sehnenphänouene als die Folge direkter me- 
chanischer Reizung des Muskels angesehen, und auch heute gibt es 
noch einige Autoren, die dieser Anschauung das Wort reden. Erstens 
dünkt ihnen die Latenzzeit zu kurz — nach Jendrassik kommen 
auf den eigentlichen zentralen Vorgang nur 0,0034 Sekunden, andere 
Autoren rechnen aber fast das Zehnfache heraus — und zweitens 
wird von ihnen eine Beziehung der Sehnenphänomene zum Tonus 
behauptet, derart, daß nur der Muskel, der einen Tonus hat, auf den 
mechanischen Reiz reagieren könne. Richtig daran ist nur soviel, daß 
gewöhnlich mit einer Steigerung des Tonus, als welche die sogenannte 
Kontraktur gedeutet wird, eine Steigerung der Sehnenreflexe einher- 
geht. Es gibt aber Zustände, wo trotz verminderten Tonus doch 
eine Steigerung der Sehnen phänomene zu beobachten ist. Bei den 
höheren Vertebraten ist nämlich der Tonus nicht mehr allein vom 
Rückenmark, sondern noch von höheren Hirnteilen, insbesondere vom 
Kleinhirn, abhängig. Nach Zerstörung des Kleinhirns kommt es zu 
einem Zustande abnormer Schlatlheit der Glieder, in welchem trotzdem 
die Sehnenreflexe erheblich gesteigert sind. Bei der Chorea minor 
des Menschen, dem Veitst,anz, ist dasselbe beobachtet worden. Durch 
Sternbebo ist auch die reflektorische Natur der Sehnenphänomene, 
die Erb von vornherein vertreten hat, auf das strengste nachge- 
wiesen worden, und die Tabes dorsalis des Menschen bietet uns tag- 
täglich Beispiele dafür, daß die Sehnenreflexe vernichtet werden durch 
die Degeneration des sensiblen Weges zum Rückenmark bei voller 
Integrität des motorischen. Freilich ist auch der Tonus bei der Tabes 
vermindert, aber auch durch die Zerstörung des sensiblen Schenkels, 
Der Tonus ist also eigentlich nichts weiter als ein Sehnenreflex. Wer 
daher die Wirksamkeil des mechanischen, auf die Muskel einwirkenden 
Reizes von dem Tonus als etwas besonderem abhängig machen möchte, 
der muß logischerweise den Tonus im alten Sinne als eine autochtbon 
motorische Innervation auffassen. Als solche aber ist er widerlegt. 

Sachhch endlich ist das Vorkommen gekreuzter Sehnenreflexe 
(P. Maries kontralateraler Adduktorenreflex bei Reizung der einen 
Patellarsehne) unter pathologischen Verhältnissen und bei Kindern 
geeignet, auch Hartnäckige zu überzeugen. 

Die Reflexe, die wir durch einen Schlag mit dem Hammer gegCD 
die Sehne oder durch eine rasche Zerrung des Muskels auslösen, 
haben als solche keine erkennbare Zweckmäßigkeit. Daß aber den 
durch eine mehr oder minder starke Dehnung der Muskeln im 
Rückenmark ausgelösten reflektorischen Vorgängen doch eine erheb- 
liche Bedeutung zukommt, insbesondere bei den Tieren, dürfte aas 
dem Gesagten schon zur Genüge hervorgehen. 



I 



Sehnenreflexe. Die PFLÜGERschen Reflexgesetze. 59 



In der Tat haben fast alle Reflexe, die wir kennen gelernt haben, 
einen auf einen schon erkennbaren Zweck gerichteten Charakter und 
das ist viel wichtiger, als die jetzt zu erwähnenden, auch tatsächlich 
durchaus zweifelhaften PFLÜGERschen Gesetze der Fortpflanzung der 
Reflexe im Rückenmark. Nach dem ersten soll der Reflexerfolg 
immer auf der gereizten Seite eintreten. Schon der Aalschwanz, der 
sich durch Kontraktion der kontralateralen Muskeln von dem Reiz 
zweckmäßig entfernt, ist ein Beweis dagegen. Ferner hat Lüchsinger 
einer Reihe gekreuzter Reflexe bei Trabgängern (Molch, Hund, Ziege) 
beschrieben. Auf Reizung einer Extremität tritt zunächst ein Reflex 
in dem diagonal gegenüberliegenden Bein ein, wie das der Trab- 
gangart entspricht. Dieser Versuch spricht auch bereits gegen das 
zweite PPLÜGERsche Gesetz der Reflexionssymmetrie, nach dem 
doppelseitige Reflexe nie in kreuzender Richtung erzeugt, nur solche 
Muskeln auf der gekreuzten Seite innerviert werden, welche auf der 
gereizten schon in Tätigkeit sind. Das nicht seltene Vorkommen ge- 
kreuzter Reflexe untergräbt auch das dritte PPLÜGERsche Gesetz, 
nach dem auf der gereizten Seite die Bewegung immer stärker sein 
müsse, als auf der gekreuzten. 

Das vierte PPLtJGERsche Gesetz der Reflexirradiation ist durch- 
aus unhaltbar. Nach ihm soll die reflektorische Erregung im Hirn- 
stamm und dem Rückenmark immer nach der Medulla oblongata zu, 
also in dem letzteren von unten nach oben, fortschreiten. Schon bei 
der Schlange schreiten die Reflexe, wie Tiegel angiebt, von der 
Reizstelle schwanzwärts fort, und auch sonst finden sich viele Aus- 
nahmen. Nach dem fünften Gesetz (des dreiörtlichen Auftretens der 
Reflexe), sollen diese nur an 3 Orten auftreten können, entweder in 
Muskeln des Reizniveaus oder in solchen, die aus der Medulla ob- 
longata entspringen oder in sämtlichen Muskeln des Körpers. Der 
Schematismus der PFLiJGERschen Gesetze kommt daher, daß dieser 
Forscher, der die komplizierten Reaktionen des Froschmarkes aus 
Bewußtsein ableitete und also nicht als reine Reflexe anerkannte, 
sich fast ausschließlich auf menschliche Krankengeschichten verließ, 
und dabei ist er dann hauptsächlich auf Fälle von Starrkrampf ge- 
stoßen, wo wirklich eine Ausbreitung des Giftes im Rückenmark (vergl. 
S. 47) und insbesondere auch eine besondere Empfindlichkeit der Medulla 
oblongata besteht. Die Ausbreitung der Reflexe erfolgt aber nicht 
mechanisch, sondern beruht auf der Inbetriebsetzung einer Reihe 
von zweckmäßigen und geordnet arbeitenden Mechanismen. Für eine 
große Reihe von Fällen stimmen die PFLÜGERschen Gesetze. Aber 
darin entsprechen sie gewöhnlich auch der zweckmäßigen Verstärkung 
einer Abwehrbewegung, und dies ist das allgemeinere beherrschende 
Prinzip, auch wenn wir in vielen Fällen die Zweckmäßigkeit noch 
nicht ganz durchschauen können. Daß durch eine Reihe von Giften, 
deren Prototyp das Strychnin ist, die Ordnung und Zweckmäßigkeit 
der Reflexbewegung verloren geht, indem sich ungeordnete allgemeine 
Krämpfe einstellen, ist bereits erwähnt worden. 

Man könnte fragen, welches die einfachste und räumlich be- 
grenzteste Reflexbewegung ist. Darauf ist zu sagen, daß nicht nur 
einzelne Muskeln, sondern auch Teile von Muskeln reflektorisch er- 
regt werden können. Ein Schlag auf eine umschriebene Stelle des 
Sternum bringt nur einzelne Bündel des M. pectoralis major zur 
Kontraktion. Auch durch Streichen der Bauchhaut an verschiedenen 



60 



XV. Du Recknomuk k1« Zentnlotgan. 



Stellen sind wir im stände, einzelne Teile der Bauchmuskeln zur 
Kontraktion zu bringen, wobei allerdings zu bemerken ist. daß ein 
Bo einfacher Reflex, wie der Bauchdeckenreflex, beim Menschen 
wenigstens, nicht im Rückenmark zu stände kommt. Bei den meisten 
Reflexen kommen aber mehrere, bei sehr vielen, wie den Flucht- 
reflexen fast die ganze Muskulatur des Körpers in zweckmäßiger Ver- 
teilung zur Wirkung. 

Diese zweckmäßige Verteilung bedingt sicherlich nun auch in 
vielen Fßllen das Eintreten eines früher erwähnten Faktors, nämlich 
der Hemmung von in Kontraktion befindlichen Muskeln, dumit deren 
Antagonisten Spielraum erhalten. Insbesondere Sherrington hat 
dieser reciprokeu Innervation der Antagonisten große Bedeutung bei- 
gelegt, und sie an einem anscheinend so einfachen Keflex, wie dem 
Patellarreäex wiedergefunden. Er fand, daß der Schlag auf die 
Patellarsehne nicht nur eine Kontraktion des Quadriceps, sondern 
gleichzeitig damit eine Erschlaffung, d. i. eine Hemmung der Beuger 
des Kniegelenkes auslöst'). Es scheint also, daß die Kontraktion 
eines Muskels einen Reiz setzt für die in ihm enthaltenen sensiblen 
Nervenendigungen, welcher reflektorisch zu einer Hemmang des 
Antagonisten führt. Ueber diese antagonistische Innervation, die also 
schon beim RQckenmarksreüex sich einführt, werden wir noch an 
anderen Orten zu sprechen haben. 

Indem wir die Besprechung der das sympathische System be- 
treuenden Rdckenmarksreflexe für ein späteres Kapitel verschieben, 
kommen wir nun noch zu der Frage, inwieweit die am isolierten 
Rückenmark zur Beobachtung kommenden Vorgänge einen ROckscbluft 
zulassen anf die Funktionen des Rückenmarks im Zusammenhang mit 
dem übrigen Zentralnervensystem ? Wir haben unseren bisherigen 
Ausführungen über das Rückenmark zu Grunde gelegt den de- 
finitiven Zustand, der sieh nach der Operation, nach der Durch- 
schneidung, in dem isolierten Teile des Organes, nusbildeL Damit 
wurde die Shockwirkung ausgeschlossen. Wir haben aber bisher eine 
Tatsache noch nicht erwälint, daß nämlich all das, was wir tlber die 
Reflexe des Rückeumarkstieres sagten, nicht für den Menschen gilt. 
Zwar zeigt auch der Mensch mit Querschnittserkrankungon, wie wir 
erwähnten, diese Reflexe, aber nur solange diese Erkrankung das 
Rückenmark nicht völlig getrennt hat. Bei totaler Durchtrennuug 
des Rückenmarks erlöschen beim Menschen alle Reflexe. Weder ist 
ein Sehnenretiex, noch ein Fußsohlen refl ex auszulösen, die Muskulatur 
ist völlig schlaff, und nur durch direkten Reiz oder Erregung des 
des motorischen Nerven noch zu erregen, und zwai- auch dann, wenn 
die Trennung des Rückenmarkes so hoch oben erfolgt ist, daß von 
einer Schädigung der Zentren für die erwähnten Reflexe keine Rede 
sein kann. Diese Tatsache ist von Bastian hervorgehoben worden, 
und ein jeder Neurologe hat sie wohl bestätigen müssen. Nur wenige 
Fälle sind bekannt, bei denen diese BASTiANsche Regel nicht zutraf. 
So hat Kaüsch einen Fall, in dem nach völliger Zerreißung des 



I 
I 

I 




II B. DU Bois-Reymond hat die Bpezifiecbe Natur dieBer Hemmung bft- , 
stritt«!! und b«luiupl«t. man könne durch einen beliebi^ien Rein dieselbe Uemmung 
erreichen. Sicherlich *ber kann man nicht durch einen beliebigen Rmt EoatraktiMi 
den Quadriceps Kucleii;!! mit Hemmung des Antagonisten erzeugen, und nir bönnea 
daher auch angeeiehtii der fortgeaetzlen Forschungen !:~herrixctTONs diesem Einwand 
■" ' Überieugende Kraft i 




Verhalten der Beflexe bei Querschnitteläsiooen. ßl 



Rückenmarks die Reflexe noch eine Zeit erhalten blieben. Daß die Re- 
flexe nach totaler Quertrennung des Rückenmarks dauernd erhalten 
geblieben wären, ist aber beim Menschen wohl nicht beobachtet 
worden. Aber das kommt häufiger vor, daß die Reflexe so lange 
gesteigert sind, wie noch eine Spur, wenn auch nur von sensibler 
Leitung, bei totaler willkürlicher Lähmung, durch die erkrankte Stelle, 
da war. Mit der totalen Unterbrechung erlöschen die Reflexe (manch- 
mal jedoch auch schon vorher). Die Tatsache ist unzweifelhaft, ihre 
Deutung kaum möglich. Man hat für den Menschen die Notwendig- 
keit einer bahnenden Wirkung des Großhirns statuieren wollen — eine 
sehr zweifelhafte Hypothese. Es ist auch behauptet worden, daß nach 
Faradisierung der Muskeln die Reflexe wieder aufleben, so daß also 
der Grund der Areflexie in peripheren eigentümlichen Zuständen des 
Muskels zu suchen wäre. Zweifellos tritt in einer Anzahl von Fällen, 
wie wir selbst beobachteten, eine sehr erhebliche Verminderung der elek- 
trischen Erregbarkeit der peripheren Muskeln und Nerven ein. Aber 
diese genügt nicht, um die absolute Reflexlosigkeit des Menschen nach 
Quertrennung des Rückenmarks zu erklären. Jedenfalls dürfen wir 
aber die Reflexzentren für die genannten Reflexe nicht in höhere 
Hirnteile verlegen, das zeigt ja schon die Steigerung der Reflexe bei 
partiellen Erkrankungen. Wir müssen uns begnügen, die Tatsache 
festzuhalten, daß die Reflexzentren der quergestreiften Muskulatur im 
Rückenmark beim Menschen eines Zusammenhanges mit den höheren 
Gehirnteilen zu ihrer Funktion bedürfen. 

Im Gegensatz zu dieser Ausnahme der totalen Quertrennung des 
Rückenmarks beim Menschen finden wir für eine Reihe von Reflexen 
nach partieller Querschnittserkrankung auch beim Menschen, wie 
nach totaler beim Tier, eine Steigerung. Dazu gehören vor allem die 
Sehnenreflexe. Wenn wir eine einseitige Zerstörung des Rücken- 
marks haben, so finden wir auf der kranken Seite als dauerndes 
Symptom immer eine Steigerung der Sehnenreflexe, häufig bis zum 
Clonus. Als Grund für diese Steigerung ist man im allgemeinen ge- 
neigt, den Fortfall einer Hemmung, die vom Großhirn ausgeht, an- 
zunehmen. Nun sind wir aber willkürlich durchaus nicht im stände, 
etwa den Patellarreflex zu hemmen, wir können nur „spannen", den 
Bewegungseffekt mechanisch verhindern. Es müßte sich also schon 
um unbewußte und doch dauernd wirkende Hemmungen handeln. 
Wir sind daher mehr geneigt, die Steigerung der Sehnenreflexe mit 
H. MuNK als Isolierungsveränderung, bedingt durch eine aus un- 
bekannten Gründen in dem isolierten Rückenmark eintretende Erreg- 
barkeitssteigerung, aufzufassen. 

Als einfache Erregbarkeitssteigerung können wir es nicht mehr 
betrachten, wenn in dem Rückenmarkstier so komplizierte Reflexe 
auftreten, wie das beschriebene FREUSBERGsche Phänomen, von denen 
am normalen Tier nichts zu sehen ist. * Das FREUSBERGsche Phänomen, 
das Taktschlagen der Hinterbeine nach Bückenmarksdurchschneidung, 
steht sicherlich mit der Fortbewegung des Hundes in Zusammenhang. 
Aber diese Fortbewegung ist beim intakten Hund von höheren Zentren 
aus geleitet. Wir möchten annehmen, daß der reflektorisch arbeitende 
Mechanismus des Rückenmarks auch beim intakten Tier im Dienste 
der spontanen Bewegung schon zweckmäßig verwendet wird. Eine 
Selbständigkeit käme diesem Apparat eben im Zusammenhange des 
Ganzen noch nicht zu, sondern scheint sich erst zu entwickeln, wenn 



IV. Du Bückeunurk ab Zentralorgan. 



das Rflckenmark der Herrschaft der höheren Zentralorgane entzogen 
wird. Bei niederen Vertebraten scheint das Rückenmark und seine 
Reflexe viel selbständiger zu sein. Das Rückenmark selbst hat aber 
anch hier keine Spontaneität und wir möchten die allgemeine Bedeutung 
des Rückenmarks auffassen als die eines bis zu einem gewissen Grade 
zweckmäßigen Reflexmechanismus, dessen Leistungen aber von hOhereu 
Zentralorganen beherrscht, angeregt, modifiziert, gehemmt werden. 
Nur in diesem Sinne also sind die Leistungen des Rflckenmarkstieres 
als Maß der Bedeutung des Rückenmarks in der Gesamtheit des zen- 
tralen Nervensystems aufzufossen. 




Ueber den Weg des Reflexes im Rückenmark noch einige 
kurze Worte. Wir wissen bisher nur, daß die sensible Erregung das 
Rückenmark auf dem Wege der hinteren Wurzeln erreicht, und auf 
dem der vorderen wieder verläßt, und daß die graue Substanz des 
Rückenmarkes das Zentralorgan des Reflexes ist. Diese graue Sub- 
stanz nun teilt sich in ein Hinterhorn, eine Mittel- oder Zwischenzone 
und ein Vorderhorn. Es ist sicher, daß die großen Zellen des Vorder- 
horns den motorischen Fasern der vorderen Wurzeln den Ursprung 
geben, die reflektorische Erregung muß also diese Zellen passieren. 



Eeflexweg im Rückenmark. ()3 



Die Frage, wie sie dahin gelangt, hängt mit der nach der Endigung 
der hinteren Wurzeln zusammen. Die einfachste Annahme ist die, 
daß die hinteren Wurzeln Kollateralen zu den Vorderhörnern ent- 
senden. Diese Annahme ist unserer Anschauung nach irrtümlich. 
Solche Reflexkollateralen gibt es nicht. Die Fasern der hinteren 
Wurzeln mit den CoUateralen enden vielmehr zunächst im Hinter- 
horn. Ein Teil ihrer Fasern endet freilich an den Zellen der Clarke- 
schen Säulen und ein anderer sogar überschreitet die Grenzen des 
Rückenmarkes und endet in den Hinterstrangskernen der Medulla 
oblongata. Diese beiden Bahnen kommen also nur als Leitungs- 
bahnen der Sensibilität, die erste zum Kleinhirn (über die Kleinhirn- 
seitenstran gbahnen), die zweite zum Großhirn (über die Schleife) in 
Betracht, mit den Reflexen dürften sie nichts zu schaifen haben. Vom 
Hinterhorn nun muß ein oder vielmehr mindestens ein Zwischen- 
axon zum Vorderhorn führen, und zwar auch für diejenigen Reflexe, 
die das Rückenmark in der Längsausdehnung nicht auf langen Strecken 
durchsetzen oder auf die andere Seite übergehen. Für die letzteren war 
die Annahme eines solchen Zwischenaxons von jeher selbstverständlich. 
Denn die hinteren Wurzeln enden im Hinterhorn nur der zugehörigen 
Seite. Will die Erregung auf die andere Seite übergehen, so muß sie 
durch die Kommissuren (wahrscheinlich vornehmlich die hintere), 
die ihre Ursprungszellen in der grauen Substanz haben, passieren. 
Weiter ist es zwar richtig, daß die hinteren Wurzeln nicht nur im 
Eintrittsniveau endigen, sondern sich nach oben und unten im 
Rückenmark mehr oder weniger verbreiten, ehe sie eine Endigung 
finden. Aber diese Verbreitung der hinteren Wurzelfasern selbst ge- 
nügt für die Erklärung der Ausbreitung der Reflexe nicht, auch hier- 
für müssen noch im Rückenmark selbst aus den Strangzellen ent- 
springende und sich zum Teil in der grauen Substanz, zum Teil aber 
auch durch die weißen Stränge sich mehr oder weniger weit ver- 
breitende Zwischenfasern in Anspruch genommen werden. Im ein- 
zelnen sind diese intermediären kurzen Bahnen nicht bekannt. Aber 
durch sie dürfte der anatomische Weg auch recht einfacher Reflexe, 
der Weg also auf dem die durch die hintere Wurzel zugeleitete Er- 
regung zum Vorderhorn gelangt, ein außerordentlich komplizierter 
werden. Diese Strangfasern, die die Verbindung zwischen den ver- 
schiedenen Höhen des Rückenmarkes aufsteigend und absteigend her- 
stellen, finden ihren Weg wohl auch bis zu den Kernen der Gehirn - 
nerven im Hirnstamm, ebenso wie von diesen analoge Fasern in das 
Rückenmark hinabsteigen, um hierher Reflexe zu vermitteln. 



V. Kapitel. 

Die Gliederung des Rückenmarks. 

Indem wir im vorangehenden Kapitel bemüht waren, zunächst 
allgemein die Eigenschaften des Rückenmarks zu erfassen, haben wir 
bisher der Lokalisation im Rückenmark nur gelegentlich gedacht. Ihr 
haben wir uns jetzt des näheren zuzuwenden. Die Lokalisation der 
zentralen Funktionen des Rückenmarkes wird in allererster Linie durch 
die Zuordnung gewisser Körperabschnitte zu gewissen Teilen des 
Rückenmarks durch die vorderen und die hinteren Wurzeln bedingt. 
Da die Rückenmarkswurzeln nicht nur als die einzige Zu- und Ab- 
leitung zum Rückenmark selbst, sondern auch zu den höheren Zentral- 
teilen dienen, so hat die Feststellung dieser Wurzellokalisation zugleich 
eine etwas allgemeinere Bedeutung. 

Eine jede Rückenmarkswurzel setzt sich zusammen aus einer An- 
zahl von kleineren Bündeln, welche gegen ein Intervertebralloch kon- 
vergieren, um, zu einem äußerlich einheitlichen Gebilde zusammen- 
geschlossen, den Rückgratskanal zu verlassen. Daß diese Einheitlichkeit 
in der Tat nur äußerlich ist, geht schon aus der Beobachtung Sher- 
RiNGTONs hervor, daß nämlich Wurzelfasern, die einen bestimmten 
Teil der Körperperipherie innervieren, bei verschiedenen Individuen 
der gleichen Species nicht immer genau derselben Wurzel angehören, 
sondern auch einmal der nächst höheren oder nächst tieferen Wurzel 
zugeteilt werden können. Nur mit großer Vorsicht darf daher auch 
die Theorie der Metamerie des Rückenmarks, welche sich auf die nach 
Gegenbaür höchst zweifelhafte Analogie mit der Metamerie des 
Bauchstranges der Wirbellosen zu stützen pflegt, behandelt werden. 
Daß das Rückenmark phylogenetisch gewissermaßen zusammenge- 
wachsen ist aus einer gewissen Anzahl von Metameren, deren jedes 
ein ihm zugehöriges Gebiet von gewisser Ausdehnung versorgt, ist 
eine unerwiesene Vorstellung. Wenn wir es also praktisch zweck- 
mäßig finden, von Rückenmarkssegmenten zu sprechen, so ver- 
stehen wir unter einem solchen eben nur topograj)hisch denjenigen 
Abschnitt des Rückenmarks, aus dem die Masse der sich zu einer 
W^urzel formierenden Nervenfasern entspringt, und zwar ist dieser 
Ursprung nicht nur äußerlich topographisch zu nehmen, sondern 
für die vorderen Wurzelfasern ist es festgestellt, daß auch ihre 
Ursprungszellen in den Vorderhörnern ausschließlich oder fast aus- 
schließlich in der Höhe ihres Austrittes aus dem Rückenmark liegen. 
Auch hier ist der individuellen Variation einiger Spielraum gelassen. 



Die Wurzel keine funktionelle Einheit 65 

Ferrier und Yeo haben zuerst die Ansicht ausgesprochen, daß 
die vorderen Wurzeln funktionelle Einheiten repräsentieren. Wissen 
wir doch, daß weder der Muskel noch der Nerv solche darstellen. 
Für den motorischen Nerven ist ja von vornherein eine solche Be- 
deutung ausgeschlossen, daß aber auch die Bewegung sich nicht in 
die Zwangsjacke der durch die systematische Anatomie gegebenen 
Muskelindividuen, sei es, daß sie als Synergisten, Antagonisten, Haupt- 
und Nebens}mergisten aufgefaßt wurden, stecken läßt, ist das wesent- 
lichste Ergebnis der modernen Entwickelung der speziellen Muskel- 
physiologie. Die Verteilung der motorischen Wurzeln nun richtet 
sich weder nach Nerven noch nach Muskeln. Ein und dieselbe mo- 
torische Wurzel versorgt mehrere Muskeln. Das ergibt sich ja schon 
als Notwendigkeit, wenn man die Zahl der Muskeln der der Wurzeln 
gegenüberhält Aber andererseits wieder beteiligen sich auch an der 
Innervation eines Muskels sehr häufig eine Reihe von Wurzeln, und 
•dementsprechend wollte man nun, was dem Muskel und dem Nerv 
versagt ist, die Einheitlichkeit der Funktion, der Wurzel geben. 
Ferrier und Yeo sahen so bei Reizung der 5. Cervikalwurzel des 
Affen eine Bewegung, wie wenn das Tier etwas in den Mund führen 
wollte. Es ist sehr schwer für jemanden, der solche Bewegungen 
durch Wurzelreizungen in ihrer starren Un Veränderlichkeit gesehen 
hat, zu begreifen, wie man ihnen den Charakter von Zweckbewegungen 
zuschreiben kann. Auch wird sich ein AfiFe niemals wirklich etwas 
in den Mund stecken, wenn man ihm die 5. Cervikalwurzel feizt. 
Auch kann man einzelne Wurzeln durchschneiden, ihre Funktion 
wird in der natürlichen Innervation allsobald von anderen ersetzt. 
Auch mag man aus der beigegebeuen Tabelle ersehen, wie viele 
Wurzeln sich oft an der Ausführung einer Bewegung beteiligen. 
Wenn man eine Wurzel reizt, so geraten natürlich alle von ihr 
versorgten Muskelfasern in Kontraktion und es stellt sich dem- 
nach eine Stellung der Glieder her, welche die Resultante aller 
•der durch die Wurzelreizung ausgelösten Muskelkräfte ist. Diesen 
Kontraktionen aber bestimmte in den Wurzeln repräsentierte ein- 
heitliche Funktionen unterzulegen, ist ein ganz willkürliches Be- 
ginnen, und die FERRiER-YEOsche Hypothese ist denn auch mit 
wenigen Ausnahmen von allen, insbesondere denen, die sich der 
größten experimentellen Erfahrung erfreuen, wie Sh errington, ver- 
worfen worden. Ihre Anhänger kann man schon durch die Frage, 
wieviele Bewegungen es gebe und wieviele W^urzeln, in Verlegenheit 
versetzen, und wenn man etwa die Verantwortung der ganzen Wurzel 
auf die Wurzelbündel oder die Wurzelfasern abwälzen will, so wäre 
prinzipiell nichts geholfen, und der Boden der Tatsachen ganz ver- 
lassen. Die Bedeutung der Wurzeln ist als eine rein morphologische 
anzusprechen, insofern eine jede einen Muskelstreifen versorgt, dessen 
Längsachse ursprünglich wohl senkrecht zur Längsachse des Rücken- 
marks stand, so daß die Längsachsen der Muskelsegmente untereinander 
parallel waren. An der Rückenmuskulatur sehen wir ja diese An- 
ordnung noch deutlich. Wie sich dann diese Muskelstreifen, an den 
Extremitäten insbesondere, durch einander geschoben haben, so daß 
die primitive Anordnung kaum noch zu erkennen ist, ist ein Problem, 
das uns hier nichts weiter angeht. Wir geben hier nur noch die 
üebersicht über die Verteilung der einzelnen Wurzeln auf die Musku- 
latur, wie sie sich für den Menschen aus den Erfahrungen einer 

Lewandowsky, Funktionen d. zentralen Nervensystems. 5 



66 



V. Die Gliederung des Rückenmarks. 



Extremitäten 



Kampf 



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Verteilung der motorischen Wurzeln. 67 



Die motorisclieii Erfolge der elektriselieii Reizung der Torderen 

Wurzeln beim Affen (nach Sherrington). 

Cervicalls I. Seitwärtsbiegung des Halses ohne Kopfrotation. 

II. Seitwärtsbiegung und Zurückziehen des Halses, ganz leichte 
Rotation des Kopfes. 

III. Seitwärtsbi^ung mit Drehung und Zurückziehen des Halses, 
so daß das Kinn entsprechena nach der entgegengesetzten Seite 
gerichtet wird. 

IV. Hebung und Adduktion der Schulter. Rückwärts- und leichte 
Seitwärt^biegun^ des Halses, durch die der Kopf, insbesondere 
bei fixierter S<äulter, nach der gegenüberliegenden Seite ge- 
zogen wird. 

V. Hebung, Abduktion und leichte Außenrotation der Schulter. 
Flexion des Ellenbogens, dabei leichte Supination und dazu 
Radialflexion der Hand. Nur leichte Seit- und Rückwärts- 
biegung des Halses. 

VI. M&ige Adduktion der Schulter. Starke Flexion des EUbojrens. 
Leichte Extension der Finger und der Hand, bei einzdnen 
Individuen aber Flexion. Etwas Supination. Hals und Kopf 
wie V. 
VII. Retraktion und starke Adduktion der Schulter und Innenrotation 
des Oberarms. Streckung de» Vorderarms. Leichte Beugung 
und Pronation der Hand. Leichte Beugung der Finger. Die 
Schulter wird heruntergezogen. Hals wie V. 
VIII. Die Schulter wird heruntergezogen (Latissimus dorsi). Die 
Adduktion der Schulter ist nicht so stark wie bei VII. Innen- 
rotation der Arme. Flexion und Pronation der Hand. Flexion 
der Finder und des Daumens mit Opposition des letzteren. 
Thoracica I. Zurückziehen der Schulter. Leichte Seitwärts- und Zurück- 

bie^ng des Halses. Leichte Streckung des Arms. Flexion 
und Pronation der Hand. Flexion der Finger und des Daumens 
mit Opposition des letzteren. Gewöhnlich auch leichte Ulnar- 
flexion der Hand. 

IL Retraktion der Schulter. Leichte Flexion der Hand. Flexion 
der Finger und des Daumens mit Opposition des letzteren. In 
einigen Fällen leichte Pronation der Hand. Seitwärtsbiegung 
der Wirbelsäule. 
Postthoradca I. Einziehung des Bauches, 
(lumbalis) II. Dasselbe mit leichter Flexion der Hüfte. 

UI. Einziehung der unteren Teile des Bauches. Flexion der Hüfte. 

IV. Einziehung des unteren Teiles des Bauches. Flexion und 
Adduktion der Hüfte. Ebctension des Knies. 

V. Adduktion der Hüfte. Extension des Knies. Leichte Flexion 
des Fußes; leichte Extension der großen Zehe. 

VI. Extension der Hüfte. Adduktion des Oberschenkels. Starke 
Flexion des Knies. Dorsalflexion des Fußes. Extension der 
Zehen. Adduktion des Hallux. 
VII. Extension der Hüfte. Flexion im Knie. Extension des Fußes. 
Drehung der Sohle. Starke Flexion und Adduktion des Hallux. 
Abwärtsbewegung des Schwanzes. 
VIII. Seitwärtsbewegung des Schwanzes. Leichte Außenrotetion der 
Hüfte und Flexion im £jiie, mit Extension in Hüfte und Fuß. 
Starke Flexion der Zehen mit Flexion und Adduktion des 
Hallux. 

IX. Seitwärtsbeweeung des Schwanzes. Manchmal leichte Aus- 
wärtsrotation des Oberschenkels und Adduktion mit Flexion 
der Zehen. 
X. Seitwärtsbewegung des Schwanzes (zur Seite der Reizung). 



R 



grolien Reihe von Beobachtern am Krankenbett erReben hat, und wie 
sie ja fflr die Diagnose krankhafter Zustände beim Menschen so außer- 
ordentlich wichtig ist. Wir geben ferner im Anschluß an Sherringtos 
die Bewegungselfekte, welche durch Reizung M einzelner motorischer 
Wurzeln beim Affen (Macacus) erhalten werden können, deren Be- 
deutung nun aber nicht mehr mißverstanden und theoretisch nicht 
mehr falsch beurteilt werden kann. Die rein morpholo^sche Be- 
deutung der Wurzelgliederung wird neuerdings noch weiter bestätigt 
und vertieft durch die Untersuchungen von Bikeles, denen die von 
Marinesco, Parhon u. A. vorhergingen, Aber den Ursprung der 
einzelnen Fasern auf dem Querschnitt des Rückenmarkes. Die Wurzel- 
zellen, als welche nur Zellen des Vorderhorns in Betracht kommen, 
lassen sich nämlich, wie das insbesondere Waldeyer für den Gorilla 
durchgeführt hat, iji einzelne Gruppen trennen. Keineswegs aber 
haben diese Gruppen die Bedeutung von Kernen einzelner Muskeln 
oder Nerven, sondern sie sind nach einem morphologischen Prinzip 
angeordnet derart, daß aus der veutromedialen Gruppe die Fasern für 
die durch den Ramus posterior versorgte Wirbelmuskulatur entspringen, 
und dann am vorderen Vorderbornrand entlang nach hinten und lateral 
zunächst die Zellen für die proximalen, dann für die distalen Muskeln 
des „Myotoms". des Muskelstreifens folgen. Es liegen weiter die Ur- 
sprungszellen des Radialis auf dem Querschnitt lateral von denen des 
Mediauus und des Ulnaris. Für die Lendenanschwellung ist das Ge- 
biet des Peronaeus ähnlich gelegen wie das des Radialis, lateral vom 
Zellgebiet des Tibialis. Nun sind Radialis und Peronaeus phylogene- 
tisch als dorsale Nerven anzusprechen. Wir erblicken somit in der 
Lage ilirer Ursprungszellen bemerkenswerte Hinweise zur Lehre von 
der Homologie der Extremitäten, aber immer bleibt die Bedeutung 
dieser Feststellungen eine morphologische. Funktionelle oder physio- 
logische Einheiten gibt es auf dem Querschnitt des Rückenmarks 
unter den Vorderhorn Zeilen nicht. Es gibt ferner vor allem auch keine 
Metaraerie im Sinne Brissadds, der annahm, daß in der Cervikal- 
ansch wellung der Längsachse des Rückenmarks parallele Säulen 
grauer Substanz sich linden, zugeordnet den verschiedenen Teilen der 
Extremität, indem die lateralen den distalen Teilen der Extremität, 
also etwa der Hand, die zentraleren den proximalen Gliedabschnitten 
entsprächen. 

Auch auf die Feststellung der Zuordnung der hinteren Wurzeln .. 
zur Peripherie, insbesondere zur Haut, ist in den letzten Jahren sehr ' 
viel Arbeit verwandt worden. Insbesondere hat auch hier wieder 
Sherrington durch mühsame Untersuchungen am Affen, in denen 
er teils einzelne Wurzeln durchschnitt, teils auch einzelne Wurzeln 
inmitten durchschnittener intakt ließ, zur Feststellung der Projektion 
der Peripherie auf die Wurzeln viel beigetragen. Er stellte vor allem 
fest, das durch Durchschneidung einer einzelnen Wurzel niemals eioe 
volle Anästhesie einer Zone erreicht wird, sondern daß sich die Ge- 
biete der Wurzeln derart überdecken, daß ein jedes Hautgebiet min- 
destens von 3 Wurzeln, außer der Hauptwnrzel noch von der nächst ( 
oberen und nächst unteren, Fasern erhält. Insbesondere hat sich j 

1) Beim Tier sind zuerst voa Eokhabd elektrische Reizungen einzelan* MuBkeln I 

am Frosch angeüCellt worden, für den Ailen Megea eben die umfangreicheo Untet^ 
euchungeo von Suerkinütok vor. 




Verteiinng der BensibleD Wurzeln. 



ferner dann auch die Klinik bemflht, die Wurzelgrenzen fQr die Sen- 
sibilitfit beim Menschen festzulegen. Es leuchtet ja ein und ist nun 
schon durch eine große Reihe von Fällen bewiesen, von welcher 
Wichtigkeit die Kenntnis dieser Grenzen für die Lokalisation krank- 
hafter Prozesse im ROckenmark ist, inabesondere solcher, auf welche 
man, wie auf die das Rückenmark komprimierenden Tumoren, das 
Messer des Chirurgen lenken will. Das Prinzip dieser praktischen 
Lokalisation ist natQrlich das, den Herd oberhalb des Segmentes, d. h. 
des Wurzelgebietes festzusetzen, in dem noch eine Störung der Sen- 




Fig. Itt. Radikuläre Innerrstion der Haut nach Beiffer. 

sibilitSt nachzuweisen ist. Ist also das 6. Cervikalsegment noch be- 
troffen, so muß der Tumor mindestens im 5. Cervikalsegment seinen 
Sitz haben. 

Die anatomische Anordnung der sensiblen Wurzelgebiete ist aus 
den wiedergegebenen Schematen zu ersehen. Es ist leicht zu merken, 
daB die Rumpfbeingrenze zugleich die Scheidung zwischen Thorakal- 



70 



V. Die GliecleniQg des Bückenmarts, 



und Lnmbalmark bedeutet, und daß das RQckeiimarksgebiet am Kopf 
sich durch die Scheitei-Ohr-Kinnlinie begrenzt, während dessen übriges 
Gebiet durch den Trigeminus versorgt wird'). Die sensiblen Uaut- 
segmente umgeben im allgemeinen zirkulär den Rumpf. Da die 
Wurzeln aber innerhalb des 
Wirbelkanals noch mehr oder 
weniger herabsteigen, so liegt 
das Segment nicht etwa in der 
Hohe des gleichnumerierten 
Wirbels, sondern tiefer, eine 
theoretisch gleichgültige, aber 
praktisch sehr wichtige Tat- 
sache. An den Extremitäten *) 
verlaufeu die Wurzelgebiete im 
allgemeinen parallel deren 
Längsachse. Auch hier haben 
jedoch mannigfache Umlage- 
ruugen stattgefunden, so daß 
nicht einmal immer mehr eine 
durch Wurzelläsion bedingte 
Sensibilitätsstörung kontinu- 
ierlich bis an die Mittellinie 
reicht. So fanden wir bei Er- 
krankungen der untersteo 
(Sacral - iRückenmarkswurzeln 
die sattelförmige Anästhesie 
in der Genital- und Analgegend 
und davon ganz getrennt Sen- 
sibilitätsstörungen an der Fuß- 
sohle, Die sensible Wurzel 
als solche aber ist auch keine 
Einheit , sondern zusammen- 
gesetzt aus Fasern, die auch 
einzeln von pathologischen 
Fasern getroffen werden 
können. So werden z. B. bei 
der Syringoniyelie, einer 
Höhlenbildung im Rücken- 
mark, die vom Zentralkanal 
sich ausbreitet, die Fasern der 
hinteren Wurzeln da getroffen, 
wo sie einzeln in die graue 
Substanz eintreten. Der Typ 
wohl im allgemeinen dem Verlauf 

1) Wie FROHSBund Zander gezeigt haben, beitteben jedoch auch Verbindun^ea 
der obersteu Cervikal nerven leum Gesicht, dem entspricht es, weiin auch nach völbger 
Ausrottung des TrieemiiiUR ini allgemeinen (äne vollständige Anästhesie des Geeicfits 
nicht Befunden wird (F. Kradse). 

2) WttB die Höhen lokal isation der Nerven acilangt, bo entaprincen beim Äffen 
nach BiKELEs u, Franke der N, ulnaria aus dem 1. Doraal- -f- VlII. Cervikal- 
Begment, der N. mcdianuB aue dem I. Doreal- + VIfl,, VlI. Cen-ikalH,. der N, ra- 
dialis aus dam I. Dorsal- -1- VIII,, VII.. VI. Cervikala, Der N. cruralis enWpringt 1 
aus dem V. — HI. Lumbais., der N. peronaeus aus dem VII, — V. Liunbals,, ' 
guiKe N. iscbiadicue nicht tiefer ale bis zum I. Sacralaegment. 




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Fig. 17. RadJkuli 
SensibilitäCsstörung bei 



dieser Sensibilitätsstörung folgt a 




LokalisatioD der Beflexe. 71 



der Wurzeln, aber es brauchen nicht notwendig die Gebiete ganzer 
Wurzeln, sondern nur Teile von solchen ergriffen sein. Es ist ferner 
auch hier schon zu betonen, daß, wenn der Ursprung der einzelnen 
motorischen Wurzel sich auf ihr Segment zu beschränken schien, 
die Endigung der hinteren Wurzel die Grenzen dieses Segmentes weit 
überschreitet. Ganz abgesehen davon, daß in den langen Bahnen 
der Hinterstränge eine besondere und direkte Verbindung der hinteren 
Wurzelfasern mit der Medulla oblongata gegeben ist, endet auch 
der Rückenmarksanteil der hinteren Wurzel nicht nur, wenn auch 
wohl immerhin zum größten Teil, in dem entsprechenden Segment, 
sondern ihr Endigungsgebiet erstreckt sich über weite Strecken nicht 
nur oralwärts, sondern auch kaudalwärts. Mehrere Segmente können 
die Wurzelfasern abwärts und aufwärts durchlaufen, ehe sie in die 
graue Masse des Hinterhorns einmünden. 

Auch das Zentrum war uns nur ein topographischer BegriflF, aber er 
bedeutete wenigstens die Lokalisation einer bestimmten Funktion, das 
Segment aber hat als solches keine Beziehung zur Funktion, sondern 
wird nur anatomisch bestimmt durch die ganz äußerliche Zusammen- 
fassung von Wurzelfasern und Wurzelbtindeln zu einer Wurzel. Freilich 
kann wohl auch einmal ein Segment ein Reflexzentrum sein, insbesondere, 
da eine besonders innige Beziehung zwischen den an gleicher Stelle 
eintretenden sensiblen und ebenda austretenden motorischen Fasern 
zu bestehen scheint. Aber ebenso kann nur ein Bruchteil eines 
Segmentes Reflexzentrum sein, wenn die üebertragung nur von we- 
nigen Wurzelfasern auf ebensowenige erfolgen braucht. So einfache 
Reflexe wie der Kniesehnenreflex nehmen jedoch schon mehrere 
Segmente in Anspruch und sie halten sich gewiß nicht genau an unsere 
Segmentgrenzen, die nur äußerliche und somit künstliche sind. Wenn 
wir uns also diese rein praktisch topographische Bedeutung der 
Segmentierung des Rückenmarks immer vor Augen halten, so dürfen 
wir es doch nicht verabsäumen, uns über die Lokalisierung der zen- 
tralen Funktionen des Rückenmarks nach den Segmenten etwas zu 
orientieren. 

Zu diesem Zwecke wird allgemein das menschliche Rückenmark in 
eine der Wurzelzahl entsprechende Anzahl von Segmenten, 8 Cervikal-, 
12 Dorsal-, 5 Lumbal- und 5 Sakralsegmente, und 1 Coccygealsegment 
zerlegt. 

Wenn wir von den Reflexen, die eine Fortbewegung des ganzen 
Körpers bewirken, deren Zentrum also ein sehr ausgedehntes ist, ab- 
sehen, und uns auf die lokalen Reflexe beschränken, so scheinen die der 
Körpermuskulatur sich im wesentlichen im Niveau ihrer Wurzeln ab- 
zuspielen. So sind die Plantarreflexe, die Bewegungen des Fußes und 
der Zehen bei Streichen der Fußsohle in die Sakralsegmente zu ver- 
legen. Im selben Niveau befindet sich der schon erwähnte Achilles- 
sehnenreflex. In den untersten Lumbaisegmenten wäre der Glutäal- 
reflex, in den oberen der Patellarreflex zu lokalisieren. Nach Sher- 
RiNGTON allerdings würde er durch 5 Wurzeln von der 3. Lumbalis 
bis zur 2. Sacralis geleitet werden. 

Auch beim Hund spielen sich alle wichtigen Reflexe des Hinter- 
tieres, der GoLTZsche Kratzreflex, die Abwehrreflexe, die Sehnenreflexe, 
im Lumbaimark ab. 

Sehnenreflexe, die durch das Dorsalmark vermittelt würden, sind 
beim Menschen wohl nicht ausdrücklich bekannt. Wir haben in einem 



72 



V. Die Oliedernng des ROckenmfttl». 



- Fall von Röckenmarksverletzung eine Einziehung der einen Thorax- 
hälfle mit Kontraktton der Bauchmuskeln und leichter Ausbiegung 
der Wirbelsäule nach der gereizten Seite Inn, bei Streichen der Brust- 
und Bauchhaut gesehen. Beim Hund hat Goltz Krümmungen der 
Wirbelsäule bei Streichen der Rurapfhaut beobachtet. 

Die beim Menschen für die Höhendiagnose recht wichtigen eigent- 
lichen Bauchdecken reflexe, die bei Streichen des Bauches in einer Kon- 
traktion der entsprechenden Partien der Bauchmuskeln bestehen, und 
von denen wir einen oberen, mittleren und unteren unterscheiden, 
sind natürlich an die Integrität der entsprechenden (7, — 12.) Dorsal- 
wurzeln gebunden. Sie sind jedoch nicht als reine Rücken marksreti exe 
aufzufassen, sondern haben einen weiteren Weg bis zur Großhirnrinde 
zurückzulegen. 

Dieses Bedenken, daß auch die Vernichtung der Refleice, die wir 
bei lokalen Erkrankungen des Rückenmarkes sehen, nicht eigentlich 
beruht auf der Zerstörung des Reäexzentrums, sondern auf der Unter- 
brechung der zu- und abführenden Wurzelfasern bez. der motorischen 
Vorderhornzellen, ist auch für die reinen Rücken marksrefiexe nicht 
ganz zu unterdrücken. Beim Frosch hat Gad jedenfalls gezeigt, daß 
Reflexe, welche nur die hintere Extremität betreffen, beeinflußt werden 
durch die lokale Strychnisierung (Erregbarkeitssteigerung) hoher — 
weit über dem als Wurzelgebiet der hinteren Extremität in Betracht 
kommenden Gebiet liegender — Rüekenmarkssegmente, 

Wie die Lumbal- ist auch die Cervikal an Schwellung wieder ein 
wichtiges Reflexzentrum. Durch Beklopfen der Sehnen des Schuller- 
gürtels sind eine Reihe im einzelnen unwichtiger Reflexe zu er- 
zielen, die man sich in den entsprechenden mittleren Segmenten des 
Cervikalmarkes lokalisiert denkt. Biceps-, Triceps-, Supinatorreflex 
werden als an die Integrität ihrer Ursprungssegmente gebunden be- 
trachtet, ebenso Radius- und Ulnaperiostreliex an die der hier inse- 
rierenden Muskeln, die etwa dem 6. und 7. Cervikal segment zuzu- 
teilen sind. Die Reflexe auf die kleinen Hand- und Fingermuskeln 
sind bis zum 1. Dorsalsegment hinab zu verlegen. 

Die Lokalisation der nicht der quergestreiften Körperm uskulatur 
zugehörigen arbeitleistenden Apparate führt uns nun hinein in die 
Physiologie des sympathischen Systems. 



VI. Kapitel. 

Das sympathische System. 

Das sympathische System umfaßt die glatten Muskeln, den quer- 
gestreiften Herzmuskel und die Drüsen. Der Name kommt von 
dem Grenzstrang des Sympathicus her, aber wir wissen heute, daß 
die Innervation der genannten Gebilde durch eine Reihe anderer 
Nerven noch besorgt wird, welche systematisch - anatomisch dem 
Sympathicus gleichstehen. Man hat den Namen des sympathischen 
Nervensystems, daher auch durch andere bestimmtere ersetzen wollen. 
Aus der Tatsache, daß eine besondere Eigentümlichkeit des sym- 
pathischen Systems die in die Peripherie eingestreuten Ganglien sind, 
hat Gaskell den Namen des ganglionären Nervensystems abgeleitet. 
Der Namen besagt nicht viel, ist vielleicht nicht einmal unbedingt 
zutreffend und entbehrt der Bildkraft. Der von Langley vorgeschlagene 
des ^autonomen^ Systems knüpft an die alte Meinung an, daß wir es 
hier mit den unwillkürlichen Organen zu tun hätten. Das ist jedoch 
nur für die Mehrzahl der Fälle richtig. Die Entleerung der Blase 
geschieht sicherlich willkürlich; inwieweit das Spiel der Pupille bei 
der Accommodation des Auges noch unwillkürlich genannt werden darf, 
ist mindestens eine sehr schwierig zu entscheidende Streitfrage. Es 
sind auch seltene Fälle bekannt gegeben, wo Personen eine willkür- 
liche Herrschaft über sonst ganz dem Willen entzogene Teile des 
sympathischen Systems, das Herz und die glatten Muskeln der Haare, 
hatten. Daß ferner psychische, der Willkür sehr nahestehende 
Vorgänge, wie Vorstellungen und Affekte, einen enormen Einfluß 
auf die Vorgänge im sympathischen System haben, ist bekannt. 
Der Einfluß psychischer Vorgänge auf Herz und Gefäße bildet eins 
der am meisten bearbeiteten Gebiete der experimentellen Psychologie. 
Inwieweit vor allem auch die Drüsen des Verdauungskanals 
psychischen Einflüssen unterstehen, hat Pawlow in seinen bekannten 
Arbeiten gezeigt Die Magendrüsen secernieren einen Saft, auch 
wenn die Speise gar nicht in den Magen gelangt, sondern durch 
eine Oesophagusfistel vor dem Magen wieder herausgeleitet wird. 
Schon das Begehren nach Speise, der Appetit genügt, um die Sekre- 
tion dieses Saftes anzuregen. Das gilt, wie sich gezeigt hat, nicht 
nur für das Tier, sondern auch für den Menschen, an welchem 
Sommerfeld den PAWLOWschen entsprechende Untersuchungen nach 
einer Oesophagotomie hat vornehmen können. Daß einem das Wasser 
im Munde zusammenläuft, ist ja eine populäre Redensart. Pawlow 



74 



VI. Das syrapattuBche Sjstem. 



hat gezeigt, daß es sich hier in der Tat um von der Psyche aus an- 
geregte Sekretion der Speicheldrüsen handelt, und wie fein diese 
psychische Regulation spielt, mäge man daraus ersehen, daß der An- 
blick einer trockenen Speise einen außerordentlich dünnflflssigen, 
wasserreichen Speichel, der eines Getränks, wie Milch, einen sehr 
dicken Speichel hervortreten läßt, Pawlow hat sogar gezeigt, daß 
Eindi'ücke, welche mit dem Genuß von Speisen associativ verbunden 
waren, z. B. das Sehen von gewissen Farben, später für sich allein 
die Speichelabsonderung bewirken können (Fig. 18). So geben viel- 
leicht gerade diese Leistungen des sympathischen Systems Hilfsmittel 
ab zur Erforschung der Tierpsychologie. Eine Autonomie in dem 
Sinne, daß nun das sympathische System in der Norm von der Cerebro- 
spinalachse unabhängig wäre und für sich allein arbeitete, besteht also 
keineswegs, vielmehr steht es in innigster Wechselwirkung mit Gehirn 
und Rückenmark , und gerade die Frage , inwieweit es überhaupt 
selbständig arbeiten kann, wird uns noch beschäftigen. 




Fig. 18. Die psychische Speichclsekretion (graphische Ee^i^trieriKig nach ilcr 
Methode und Versuchen von (i. F. Nicolai). Ea bezeichnei jedeMuiai; iu d«i 
obereien Linie: jede Zacke den Aiiafluß eines (Speiche Itropfens |Ü,1 c|; in der Kweitan 
Linie: die dicke Linie die Einwirkung des Beizos; in der dritl«D Linie: jede Zacke 
= 3 tiek. In A wird der Hund gefüttert, in B wird dem Hund das ti'reaaen gezei^, 
in C wird dem Huud rotes Licht gezdgl, das er während 4 Wochen jedesmal beun 
Fressen gesehen hat. 

AVeun wir hier zunächst, an die.Lokalisation der Skelettmuskeli 
im Rückenmark anschließend, die Wege, auf welchen das cerebro- 
spinale Nervensystem mit den Organen des sympathischen Systems 
in Verbindung tritt, feststellen, so liegt es im Interesse der Einheit- 
lichkeit der Betrachtung, uns dabei nicht auf das Rückenmark zu 
beschränken, sondern sogleich die beiden anderen Teile der Cerebro- 
spinalachse, aus denen sympathische Fasern noch entspringen, näm- 
lich das Mittelhirn und das verlängerte Mark, mitzuherücksichtigen. 
Wir möchten sogar mit dem Mittelhirnanteil des sympathischen 
Systems heginnen, weil sich hier ganz besonders einfache und 
typische Verhältnisse finden. Aus dem Mittelhirn entspringen näm- 
lich die Fasern, welche nur zwei Muskeln und zwar des inneren 
Auges innervieren, den Sphincter pupillae, der, ringförmig in die Iris 
eingelagert, durch seine Kontraktion die Pupille verengert, und den 
Ciliarmuskel, der durch seine Kontraktion die Zonula Zinnii entspannt, 



i 




Einfloß psychischer Vorgänge auf das sympathische System. 



75 



SO daß die Linse eine stärkere Wölbung erhält und das Auge sich 
dadurch für das Sehen in der Nähe accoromodiert. Dieser Accom- 
modationsYorgang ist übrigens wieder ein gutes Beispiel für die Will- 



Sphincter iridis 
Cuiarmuskel 

Düatator iridis. MüLLEBsche Muskeln. 

Herz. Blutgefäße der Schleimhäute 

des Kopfes. 
Eingeweiaekanal Tom Mund bis zum 

Colon deecendens. 
Ausstülpungen dieser Region (Muskeln 

der Trachea und der Lungen, Magen- 

drüsen, Leber, Pancreas). 



Arterien, Muskeln, Drüsen der Haut. 

Blutgefäße der Eingeweide zwischen 
Mund und Rectum, Blutgefäße der 
Langen und der Baucheingeweidc. 

Arterien der Skelettmuskehi. 

Muskeln der MUz, des Ureters und der 
inneren Greschlechtsorgane. 



Gefäße des Anus, des Rectum und der 

äußeren Geschlechtsorgane. 
Wände des Colon descendens bis zum 

Anus. 
Blase und Urethra. 
Muskeln der äußeren Geschlechtsorgane. 



} 




Mittelhirnanteü 



Bulbäranteil 






IL 



r 



Hauptanteil 
(beim Menschen vom 1. 
Thorac. bis 2. oder 3. 
Lumbaisegment) 



II 



Sacra! teil 
(beim Menschen ungefähr 
vom 2. — 4. Sacralsegment) 



Fig. 19. Diagramm des Ursprunees des sympathischen Systems (nach Lang- 
ley). (Einzelne Angaben, z. B. tioer den Ursprung der Fasern für die Lungen- 
gefäße, sind kontrovers.) 



kürlichkeit einer Kontraktion eines glatten Muskels. Der Accom- 
modationsmuskel verhält sich nicht um ein Haar anders als der Biceps 
brachii, nur daß er sich, wie alle glatten Muskeln im Unterschied von 
den quergestreiften, langsamer kontrahiert. Von der Existenz des Ciliar- 



muskels weiß der Wille genau so wenig, wie von der des Biceps, und 
für den Vogel, deu einen quergestreiften Äccommodationsmuskel be- 
sitzt, ist, psychologisch genommeu, der AccoramodatioDsvorgang gewiß 
kein anderer als für den Säuger. Wir wollen hier jedoch die will- 
kQrliche Bahn, die vom Großhirn ausgeht, noch ganz außer acht lassen 
und uns nur mit den Fasern beschäftigen, welche aus dem Vierhügel- 
dach, d. h. aus dem Kern des dritten Hirnnerven '), analog also einer 
vorderen Wurzel des Rückenmarkes entspringen. In der Tat ver- 
laufen die sympathischen Fasern mit denen für die quergestreiften 
äußeren Augenmuskeln zusammen, sie sind auch markhaltig, wie diese. 
Während aber die letzteren sich unmittelbar ihren quergestreiften 
Muskeln znwenden, um in ihnen zu enden, ist der Lauf der sym- 
pathischen Fasern durch ein Gan glion unterbrochen. Das ist für den 
Oculomotorius das Ganglion ciliare, aber die Einschaltung von 
Ganglien, also auch von Nervenzellen, in die Bahn eines sympathischen 
Nerven ist eine sehr allgemeine, nach Lanoley sogar ausuahiuslose 
Erscheinung. Im sympathischen Ganglion endet der Achsencylinder der 
Wurzelfaser mitsamt der Markscheide *), das eine Neuron der Neuronen- 
lehre. Aus seinen Zellen entspringt ein neuer Achsencylinder, der 
nun kontinuierlich ohne Zwischenschaltung anderer ZeÜen bis 
Peripherie, also in unserem Fall bis zum Sphincter pupillae und dei 
Ciliarmuskei zieht, 

Die Physiologie dieser sympathischen Ganglien hat die Forschung 
viel beschäftigt. Wozu dienen diese Knoten zentraler Nervensubslanz, 
die mit solcher Regelmäßigkeit in den Lauf nur der sympathischen 
Nerven eingeschaltet sind? Warum wird die Strecke, die doch nicht 
länger ist als die der Nerven für die Körpenuuskulatur. durch diese 
Ganglien in zwei in ihrem Bestände nun voneinander unabhängige 
Teile geteilt? Sollten die sympathischen Ganglien vielleicht nur 
phylogenetisch zu verstehen sein, sollten sie vielleicht das Analogon 
des Bauchstranges der Wirbellosen darstellen, dem die Cerebrospinal- 
achse als etwas Neues, als Ausdruck cänogenetischer Entwicklung gegen- 
überzustellen wäre? 

Werfen wir jedoch, um auf die Funktion dieser Ganglien zu 
kommen, zunächst einen Blick auf ihren anatomischen Bau, so besteht 
jedes sympathische Ganglion aus einer Menge von Zellen, die nicht 
alle ganz gleich, aber doch von besonderem Bau sind, insofern als sie 
sich sowohl von denen der spinalen Ganglien als den motorischen Zellen 
der Cerebrospinalachse ganz typisch unterscheiden. Insbesondere zeigen 
sie nicht die großen NrssL-Schollen der letzteren. 

Die sympathischen Ganglien zeigen eine Reihe von Eigenschaften, 
die der grauen Substanz im allgemeinen zukommen. Vor allem be- 
sitzen sie, wie Lanqendorff gezeigt hat, eine große Empfindlichkeit 
gegen die Absperrung des sie ernährenden Blutes. Schon kurze Zeit 
nach einer solchen sieht man Reize, welche auf die „präganglionären" 
Fasern einwirken, unwirksam werden, während solche jenseits des 



1er j 




1) Von Bernheimer Ut auch im OculomatoriiiskerD für den Sphincter ein be- 
sonderes Zellgebict, der sogenannte kleinzellige Mediankern, abg^renzt worden, 
dieser Ursprang wird jedodi noch uicht allgemein anerkannt, eondern int ' " 
bestritten (Bacb). 

2) Daß die Markseheide der syrapatliiBchen Oculomotoriusfasem i 
das Ganglion eiliare binsuEgeht, ist durch DcgeDeratioiisverAuche i 
nachgewiesen worden. 



ern int lebhaft 

ra nicht BbdH 
von ÄPOLAtf^H 



Ursprung der sympathidchen Nerven. Ganglien. Nikotin. 77 

Ganglions auf die „postganglionären '^ Fasern angewandte noch wirk- 
sam sind. Das beweist, daß hier im Ganglion eine Modifikation der 
Leitungsform gegenüber der im sympathischen Nerven statthat, und 
man hat gerade die berichtete Tatsache als Beweis für die von der 
Neuronenlehre behauptete Zeileibfunktion hervorgehoben. Darauf ant- 
worten aber deren Gegner natürlich, daß sie gar nicht bestreiten, 
weder daß die Erregung durch die Zellen gehe, noch daß die leiten- 
den Elemente im Verlauf durch die Zellen ganz besonders empfind- 
lich seien, aber immer bleibe das leitende Element die Fibrille, 
sowohl in der Zelle wie in der zu- und der ableitenden Nervenfaser. 

Vielleicht setzen auch die Zellen der sympathischen Ganglien der Er- 
regung einen gewissen Widerstand entgegen, denn es ist auffallend, wie 
starke Ströme man von den präganglionären Fasern aus braucht, um 
eine Erregung der Endorgane auszulösen. Daß es jedoch mit den 
zentralen Eigenschaften der Ganglien nicht sehr weit her ist, geht 
schon daraus hervor, daß noch nicht einmal eine Summation von Er- 
regungen — wie wir sie im Rückenmark erwähnt haben — in ihnen 
nachgewiesen ist. Wir haben festgestellt, daß einzelne Induktions- 
schläge von den postganglionären Fasern keine andere Wirkung, viel- 
mehr genau dieselbe Form der Kontraktion des glatten Muskels zur 
Folge haben, wie von den präganglionären. 

Teilten die sympathischen Ganglien die Empfindlichkeit gegen 
die Anämie mit allen anderen zentralen grauen Massen, so gibt es 
eine Substanz, die eine ganz spezifische Affinität zu der grauen Sub- 
stanz gerade dieser Ganglien hat, das Nikotin. Schon Hirsch- 
mann war 1863 bekannt, daß Nikotin die Reiz Wirkungen des Hals- 
sympathicus aufhebt. Langley mit seinen Mitarbeitern Dickinson, 
Anderson u. a. haben dann in unermüdlicher Arbeit, von dieser Be- 
obachtung ausgehend, erstens festgestellt^ daß das Nikotin die gleiche 
Wirkung auf alle Teile des sympathischen Systems hat, so daß das 
Nikotin geradezu ein Reagens auf sympathisches System darstellt, und 
zweitens haben sie die Art dieser Wirkung als eine solche festgestellt, 
die in den Ganglien lokalisiert ist. Unter dem Einfluß des Nikotins 
wird die Leitung durch die sympathischen Ganglien unterbrochen. 
Nach einem kurzen Stadium der Reizung tritt ein Zustand ein, in 
dem jede Reizung der präganglionären Fasern unwirksam, die Reizung 
der postganglionären aber unverändert wirksam ist. In unserem Falle 
des Sphincter pupillae also würde nach Nikotinisierung die Reizung 
des Oculomotoriusstammes vor dem Ganglion ciliare ohne jeden Ein- 
fluß sein, die Reizung der vom Ganglion entspringenden Nn. ciliares 
breves in unveränderter Weise eine Verengerung der Pupille herbei- 
führen. Diese Wirkung kann man erzielen sowohl durch intravenöse 
Injektion wie durch lokale ßetupfung eines Ganglions liiit Nikotin- 
lösung. Die Wirkung ist individuell etwas verschieden, insofern ein- 
zelne Tierarten, wie der Hund, refraktärer sind als andere, wie ins- 
besondere die Katze, die sich zu Untersuchungen über das sympathische 
System überhaupt hervorragend eignet. Bei einzelnen Tierindividuen 
soll die Wirkung auch ganz versagen, und wenn in einem Ganglion 
Fasern für verschiedene Organe zusammenliegen, so wird im all- 
gemeinen eine gewisse Reihenfolge in deren Schädigung eingehalten. 
Die Wirkung des Nikotins ist keine dauernde, sondern verschwindet 
mit der Resorption und der Ausscheidung des Giftes. 

Mit Hilfe dieser Nikotinmethode und insbesondere durch die 



78 



VL Daa eympsthüche täystem. 




lokale NikotiniäieruDg hat nun Lakqley zunächt im einzelnen dei|.| 
Lauf der sympathischen Fasern bestinimt, wie wir das nachher zq 
schildern haben. Ganz allgemoin aber ist er zu dem wichtigen Sat«' 
gekommen, daß zwischen Cerebrospinalachse und peripherem Organ 
eine jede Faser immer nur einmal in einem Ganglion eine Unter- 
brechung finde. Nur das gibt er zu, daß eine Faser sich teilen und 
daß somit ein Teil ihrer Fibrillen in die Zellen des einen, der zweite 
Teil in die eines anderen Ganglion einmünden könue. Im Falle des 
Ocnlomotorius und des Ganglion ciliare kommt diese Möglichkeit 
jedoch noch nicht in Betracht. 

Dagegen finden wir schon hier ein Problem, das eine große Rolle 
in der Physiologie des sympathischen Systems spielt, das des Tonus 
der glatten Muskeln. Der Sphincter pupillae ist in der Tat dauernd 
tonisch innerviert. Es ist ja bekannt, daß im Schlaf die Pupillen eng 
sind, und daß sie auch erst in den letzten Stadien der Narkose weit 
werden. Diese dauernde Kontraktion eines glatten Muskels ist doch 
etwas wesentlich anderes als die tonische Haltung des quergestreiften 
Skelettniuskels. Ob sie allerdings absolut und prinzipiell etwas 
anderes darstelle, ist doch noch zweifelhaft. Der Tonus der Körper- 
muskulatur war ei» Reflextonus. Daß auch der Tonus der glatten 
Muskulatur mindestens zum Teil ein reflektorischer ist, ist ganz 
sicher. Die Weite der Pupille wird vor allem bestimmt durch die 
reflektorische Wirkung des Lichtes, das die Netzhaut erregt. Wir 
brauchen nur beim Tier die Optici zu durchschneiden, um die 
Pupille weit werden, den Tonus des Sphincter schwinden zu sehen. 
Freilich ist es nötig, beide Optici zu durchschneiden, weil bekannt- 
lich die beiden Pupillen konsensuell reagieren, die des einen Auges 
auch von der Netzhaut des gegenüberliegenden reflektorisch zur Kon- 
traktion angeregt werden kann. Wir hatten auch beim Menschen 
Gelegenheit, den Fall zu beobachten, daß bei Zerstörung beider Optici 
durch eine Blutung der eine Oculomotorius noch völlig funktions- 
tüchtig blieb, auch in diesem Falle wurde die Pupille weit, der Tonus 
des Sphincter erlosch. Demgegenüber ist die Tatsache, daß bei der 
Tabes trotz völliger Blindheit doch sehr häufig Miosis, hochgradige 
Enge der Pupillen beobachtet wird, nicht ausschlaggebend, weil bei 
solchen eminent chronischen Erkrankungen erstens vielleicht noch 
andere reflektorische Reize wirksam werden, die normal kaum in Be- 
tracht kommen, weil zweitens gerade die Pupillenweite von dem 
Gegen ein and erspielen zweier Antagonisten, des Sphincter und des 
DOatator, abhängt, und weil drittens endlich auch wir im Experiment 
Bedingungen herstellen können, unter welchen eine von allen reflek- 
torischen Einwirkungen sicherlich ganz unabhängige Dauerkontraktion 
glatter Muskeln auftritt. Beim normalen Tier ist der Tonus jeden- 
falls ein Reflextonus, und zwar befindet sich das Reflexzentrnm nicht 
im sympathischen Ganglion ciliare, sondern in der Cerebrospinalachae, 
im vorderen Vierhügel des Mittelhirns, Dieses Reflexzentrum unter- 
scheidet sich in seinen physiologischen Eigenschaften nicht von denen, 
die wir im Rückenmark fanden. Vor allem kann es, kann der Tonus 
reflektorisch gehemmt werden. In der Tat wirken fast alle Einflüsse, 
welche die Pupille weit werden lassen, wie insbesondere auch der 
Schmerz, nach Braunsteins Versuchen durch eine Hemmung des 
Sphinctertonus. 

Daß das Ganglion cihare keinen Einfluß auf den Tonus 



I 



1 



mmnng des ■ 
US hat, daa.^l 



Tonus glatter Muskeln. 79 



beweist die Tatsache, daß die Pupille nicht weiter wird, ob man die 
Sphincterfasern diesseits oder jenseits des Ganglion durchschneidet. 
Man könnte ja daran denken, daß das Ganglion einen gewissen Tonus 
übernehmen könne, wenn es eine Zeitlang vom Cerebrospinalsystem 
getrennt wäre. Aber auch davon haben wir uns in üebereinstim- 
mung mit P. Schultz nirgends überzeugen können. Daß die Er- 
haltung des Ganglion für den peripherischen Muskel andererseits in 
gewisser Hinsicht nicht gleichgültig ist, davon wird bei Besprechung 
des Halssympathicus die Rede sein. 

Der Tonus ist nirgends etwas anderes als eine dauernde Ver- 
kürzung eines Muskels. Von üexküll ist nach Versuchen an Wirbel- 
losen die Theorie aufgestellt worden, daß es neben dem Verkürzungs- 
prozeß noch einen anderen Prozeß am Muskel gäbe, den Sperrprozeß, 
welch letzterer dem Tonus besonders nahestände (Sperrtonus). Dieser 
Ausdruck des Sperrens betont eine Analogie mit der Maschine, deren 
Sperrrad sich ausschaltet, wenn der Strick unbelastet in die Höhe ge- 
zogen wird, aber in Tätigkeit tritt, wenn eine Last gehoben wird. 
So sollen auch im Muskel Verkürzungsapparat und Sperrapparat zwar 
gemeinsam und doch unabhängig voneinander arbeiten. Die Sperrung 
wäre immer der Last angepaßt, aber von der Verkürzung unabhängig. 
Als Beweis dafür führt Uexküll an, daß eine Last, welche von einem 
Muskel zuerst anstandslos gehoben wurde, ihn zur völligen Er- 
schlaffung dehnt, sobald sie eine Zeitlang durch einen äußeren Eingriff 
unterstützt und dann losgelassen wird. Die Verkürzung war aufrecht 
erhalten, aber die Sperrung durch die Unterstützung aufgehoben worden. 

Diese Tatsache läßt sich aber wohl ohne die Annahme eines be- 
sonderen Sperrapparates, allerdings nur unter und durch eine Vor- 
aussetzung erklären, daß nämlich nicht alle Fasern eines Muskels 
gleichzeitig in Tätigkeit und Verkürzung sein müssen, sondern daß 
•die Fasern eines Muskels in ihrer Verkürzung abwechseln. Man 
stelle sich folgendes vor. Ein Gegenstand sei an vier parallelen 
Gummischnüren aufgehängt und werde durch die Spannung von 
zweien dieser vier eine bestimmte Strecke gehoben, die beiden 
anderen bleiben schlaff. Nun vermehre man die Last, dann werden 
die beiden allein gespannten Schnüre natürlich gedehnt. Jetzt spanne 
man die beiden bisher schlaffen Schnüre, so wie die beiden ersten, 
so wird eine weitere Hebung der Last nicht herbeigeführt werden, 
aber der Widerstand des Systems, die Sperrung um das Doppelte 
vermehrt sein. Man kann ÜEXKtJLL durchaus recht geben darin, 
daß die allgemeine Muskelphysiologie die von ihm hervorgehobenen 
Tatsachen etwas vernachlässigt hat, aber man kann die Schwierigkeit, 
die in ihnen liegt, dadurch beseitigen, daß man die oft stillschweigend 
gemachte, jedoch von vornherein unberechtigte Annahme, der Muskel 
sei ein einheitlicher Apparat, mindestens für eine Anzahl von Fällen, 
verläßt, und ihn in seine Bestandteile, die Muskelfasern, auflöst. 
Dann kann man sieht leicht in Analogie mit dem oben gegebenen 
mechanischen Beispiel vorstellen, daß bei gleicher Verkürzung der 
Muskel einer Last einen verschiedenen Widerstand entgegensetzen 
kann, und weiter, daß eine tonische (wie überhaupt jede) Verkürzung 
des Muskels durch eine gut regulierte abwechselnde Verkürzung ver- 
schiedener Muskelfasern unterhalten werden kann. Diese Betrach- 
tungsweise wird sich uns auch bei der quergestreiften Muskulatur 
noch förderlich erweisen. 



gO Vr. Du flympathiaohe Sftl«ni. 

Wenn wir nunmehr in der Beschreibung des sympathiscbeöü 
Systems neitergelien, so ist nacli dem Mittelbirn der nächste ür- 
sprungsort sympathischer Nerven die Medulla otjlongata. Zuerst muß 
ein Teil des N. glossopharyngeovagus als sympathischer Natur betrachtet 
werden, und zwar vor allem derjenige, der die bekannten, von den 
BrQdern Weber entdeckten Hemmungswirkungen auf das Herz ver- 
mittelt, welche den Herzschlag langsamer und kräftiger machen. Fflr 
diesen Teil des Vagus können es nur die intracardialen Ganglien selber 
sein, welche in seine Bahn zum Herzmuskel eingeschattet sind, und 
in der Tat ist es ja lange bekannt, daß die Wirkung der Vagusreizung 
durch Nikotin aufgehoben wird. 

Der Vagus enthält ferner motorische und hemmende Fasern für 
Trachea und Lunge, sowie fttr den Magen darmkana! vom Oesophagus 
herab bis wahrscheinlich zum Colon desceudens. Es ist uns nicht 
bekannt , daß der Ort der sympathischen Ganglienzellen , welche 
• zwischen Vagusstamra und den Muskeln der Trachea und der 
Bronchien zu supponieren sind, besonders festgestellt worden wäre. 
Sie sollen an den Aesten des Vagus verstreut sein, Aehnliches 
nimmt man für die Beziehungen des Vagus zu den Baucheinge weiden 
an. ohne daß die Frage unseres Wissens zweifellos entschieden wäre. 
Zwischen den Magendarmkanal und den Vagus sind Zellen der 
großen Bauchganglien eingesclialtet. Es ist aber zu bemerken, daß. 
da diesen supponierten Ganglien ein Tonus nicht zugeschrieben werden 
darf, in jedem P'alle auch die hemmende Einwirkung der Vagusreizung 
weder beim Darm noch übrigens beim Herzen einer Beeinflussung 
einer Dauererregung dieser großen Ganglien zugeschrieben werden 
kann. Sie beruht entweder auf einer Beeinflussung der Muskulatur 
selbst oder der in der Darmwand gelegenen Nervenplexus. Der Vagus 
führt auch nach Pawlow vielleicht noch Fasern für die Magendrüsen, 
die Leber und das Pankreas. Alle sympathischen Vagusfasern scheinen* 
in dem dreieckigen dorsalen Vaguskern ihren Ursprung zu nehmen 
(vergl. auch die Schemata der Hirnnervenkerne in Kap. VIII). 

Schon oberhalb des Vagus hat die Chorda tympani, welche gleich- 
falls sympathische Fasern für die Speicheldrüse funterVirochen im 
Ganglion submaxillare) und die Tränendrüse führt, die Medulla ob- 
longata verlassen. Erst in der Peripherie schließen sich die für die 
Tränendrüse bestimmten Fasern dem Trigeminus an, dem man sie 
früher ganz zugeteilt hat. Ganglion oticum und sphcnopalatinum 
sollen in den Lauf sympathischer Fasern, die zur Ohrspeicheldrüse 
und den Drüsen der Mund-, Nasen- und Rachenhöhle führen, ein- 
gefügt sein. Indessen sind die rein histologischen Verhältnisse der 
Kopfganglien noch so wenig erforscht, daß die sympathische Natur 
dieser Ganglien nicht einmal ganz sichergestellt zu sein scheint. 

Was nun das Rückenmark anlangt, so ist es zuerst durch die 
Forschungen Gaskells, dann vor allem durch die Arbeiten Langleys, 
denen wir fast alles verdanken, was wir über die Beziehungen des 
Rückenmarkes zum sympathischen System genaueres wissen, klar- 
gestellt worden, daß das Rückenmark keineswegs in allen seinen 
Segmenten, sondern nur in begrenzten Abschnitten sympathischen 
Fasern Ursprung gibt. Aus dem ganzen Cervikalmark entspringen 
keine sympathischen Fasern, vielmehr erstreckt sich der UrsprunjT" 
des Grenzstranges des Sympathicus vom LThorakalnerven bis höchstein 
zum 5. Lumbalnerven, und es folgen dann weiter kaudalwärts, voH 




Topographie des sympathischen Systems. Vertebrale Ganglien. gX 



1. bis höchstens zum 3. Sacralseginent noch die sympathischen 
(autonomen nach Langley) Nerven für die Beckeneingeweide. Sowohl 
zwischen Lumbaiende des Sympathien? und Sacralmark, wie kaudal 
vom 3. Sacralsegment, entspringen wiederum keine sympathischen 
Nervenfasern. Deren Verteilung unterliegt übrigens bei den ver- 
schiedenen Tierspecies und auch individuell kleinen Schwankungen 
um nicht mehr als ein Segment, so daß Langley danach einen 
anterioren, medialen und posterioren Typus unterscheidet. So 
soll insbesondere beim Menschen der Sympathicus oft noch einen 
kleinen Zuzug aus dem letzten Cervikalnerven bekommen ^). Nun ist 
bereits von Gaskell behauptet worden, daß die Verbreitung der 
sympathischen Rückenmarksfasern identisch wäre mit der Verbreitung 
der weißen Rami vom Rückenmark zum Grenzstrang, und durch 
Langley ist es dann durch die Reizung der Rückenmarkswurzeln 
über allen Zweifel erhoben worden, daß die Bahn vom Rückenmark 
zum sympathischen Ganglion von der vorderen Wurzel durch den 
Ramus communicans albus geht. Wo ein solcher fehlt, da ist auch 
keine Wirkung auf das sympathische System zu erzielen. Man darf 
auch annehmen, daß die Ursprungszellen dieser weißen Rami sich 
annähernd innerhalb des Segments befinden, aus welchem sie aus- 
treten, und zwar scheint es nach den Forschungen von Gaskell, 
Sherrington, Herring u. A. kaum mehr einem Zweifel zu unter- 
liegen, daß eine Gruppe von Zellen im Seitenhorn die Ursprungs- 
zellen der präganglionären sympathischen Fasern darstellt. 

Betrachten wir nun die topographische Ausbreitung der sym- 
pathischen Ganglien, welche mit den aus dem Rückenmark austretenden 
sympathischen Nervenfasern in Verbindung stehen, so ist diese eine 
mannigfache und weit größere als die der Rami albi. So finden wir 
das Ganglion supremum fast am Schädelgrunde tief in den Muskeln 
des Halses, es bezieht seine Fasern aus der 1.— 7. Thorakalwurzel, 
und wir finden vom Thorakalmark ab abwärts ununterbrochen eine 
Kette segmental angeordneter vertebraler Ganglien bis zum Steiß- 
bein hin. Die ersten 2—3 Brustganglien sind meist in dem 
Ganglion stellatum vereinigt, die letzten in dem meist unpaaren 
Ganglion coccygeum. Diese Ganglien liegen jedoch nicht an den ent- 
sprechend hohen Wurzeln, sondern an den Spinalnerven, zu denen 
sie — und zwar hauptsächlich nun durch die grauen Rami — ihre 
Fasern entsenden. So bekommt etwa das 4. Lumbaiganglion der 
Katze Fasern von 5 oder 6 weißen Rami, sendet aber seine Fasern haupt- 
sächlich zum 4. Lumbalnerven. Nur der nächsthöhere und der 
nächstniedere Nerv kommen — und zwar variabel bei den einzelnen 
Ganglien und auch nach individuellen Eigentümlichkeiten — als Ver- 
teilungsgebiet in Betracht. Die Fasern dieser Ganglien, welche sich 
den Spinalnerven anschließen, versorgen nach Langley im wesent- 
lichen die Gefäße der Haut mit vasokonstriktorischen Fasern, sie 
innervieren ferner die glatten Muskeln der Haare als Pilomotoren, 
und es sind im wesentlichen die Forschungen über diese pilomoto- 
rischen Wirkungen (bei der Katze), welche Langley zu den Ergeb- 



1) In welcher Weise diese Tatsachen auch für die praktische Diagnostik 
wichtig sind, beweist der Fall der KLUMPKEschen Plexuslähmung, bei welcher aus 
dem Vorhandensein oculopupillärer Symptome neben der Armlähmung auf ein Er- 
griffensein mindestens der 8. Cervikalwurzel, oder auch der 1. und 2. Dorsal wurzel 
geschlossen werden kann. 

Lewandowsky, Funktionen d. zentralen Nervensystems. 6 



82 



VI. Das sympathische System. 



nissen über die periphere Verteilung der sympathischen Nerven ge- 
führt haben. Sie innervieren ferner die Drüsen der Haut, d. h. die 
Schweißdrüsen. Die Gebiete der einzelnen sympathischen Ganglien 
greifen am Rumpfe sehr wenig, an den Extremitäten mehr auf- 
einander über. 

Zu erwähnen ist noch, daß der Beckenteil des Sympathicus außer 
den entsprechenden Hautterritorien noch die glatten Muskeln und 
Blutgefäße der Haut der Anogenitalgegend , des Penis und der 
Vagina beherrscht, und zwar durch Vermittlung von dem Plexus 
pudendus an gehörigen Nerven. Die Einzelheiten hätten nur ana- 
tomisches Interesse^). 

Den vertebralen Ganglien, welche also zum Grenzstrang ge- 
hören, und die ihre Fasern an spinale Nerven abgeben, hat Langlet 
die prävertebralen (kollateralen) Ganglien gegenübergestellt, welche 

letzteren für dieEin- 
geweide bestimmt 
seien. Es sind das 
in erster Linie der 
Plexus solaris der 
Bauchhöhle, zu dem 
die Splanchnici hin- 
führen, und der den 
größten Teil der 
Baucheingeweide 
versorgt. 

Es ist das fer- 
ner das Ganglion 
mesentericum, wel- 
ches, an der Wurzel 
der Art mesent. inf. 
gelegen, seine prä- 
ganglionären 
Fasern vom 1.— 4. 
Lumbalnerven er- 
hält und seine post- 
ganglionären zum 
Colon, und in Ge- 
stalt der Nn. hypo- 
gastrici zur Blase, 
insbesondere deren 
Sphincter, ferner zum Uterus und den Tuben sendet. Die Wirkung 
der Reizung der präganglionären Fasern ist eine ausgesprochen 
doppelseitige, so daß also die Spinalwurzeln einer Seite, einen, wenn 
auch kleineren Teil ihrer Fasern zu dem Ganglion der anderen Seite 
entsenden. Nach Langley durchziehen jedoch auch einige wenige 
Fasern das Gangl. mesent. inf., um erst im Plexus hypogastricus zu 
Ganglienzellen in Beziehung zu treten. 

Zu den prävertebralen Ganglien der Bauchhöhle gehört ferner 
der Plexus hypogastricus, oder vielmehr die in ihm gelegenen Zellen, 

1) Es muß in Bezug auf die genaueren anatomischen Daten hier auf die 
LANGLEYschen Arbeiten und Zusammenstellungen verwiesen werden, deren Wieder- 
gabe den Eahmen der vorliegenden Arbeit weit überschreiten würde. 




Fig. 20. Schema des Faserverlaufes im sympathischen 

ertebrale sympathische 
vordere Wurzel, p hin- 
amus fi 
griseus, Sy Grenzstrang des Sympathicus. 



System, (r, vertebrale, O^ prävertebrale sympathische 

iglien, H Haut, E Eingeweide, a vordere Wurzel, » I 
tere Wurzel, s sensibler ><erv, /?a Ramus albus, Rg Rai 



Gani 



im US 



Prävertebrale GaDglien. 83 



denn der topographisch-anatomisch so genannte Plexus hypogastricus ist 
ein sehr kompliziertes Gebilde, durch das vor allem auch die Fasern der 
Nn. hypogastrici einfach hindurchtreten, ohne sich zu Zellen in Beziehung 
zu setzen. Die präganglionären Fasern des Plexus h}T)ogastricus ent- 
springen aus dem 2. und 3. Sacralnerv und bilden dann den von 
Eckhard, der seine Wirkung entdeckte, so genannten N. erigens. 
Deissen Reizung bewirkt durch Vermittlung der postganglionären Fasern 
des Plexus hypogastricus starke Kontraktion der Blase, ferner der 
glatten Muskeln, insbesondere der Längsmuskulatur des Colon de- 
scendens, des Rectum und des Anus, Erweiterung der Gefäße in der 
Schleimhaut des Rectum, des Anus und der äußeren Geschlechts- 
organe und vielleicht Hemmung der glatten Muskeln der äußeren 
Geschlechtsorgane. 

Das Ganglion der Brusteingeweide ist hauptsächlich das Ganglion 
stellatum, sowie zum Teil das Gangl. cervicale inferius. Von diesen 
beiden aus entspringen insbesondere die Nn. accelerantes zum Herzen, 
die von dem 1.— 5. Brustnerv herstammen und im Gegensatz also zu 
den Nn. vagi im Herzen keine Unterbrechung mehr erfahren. In 
diesen Ganglien sind auch nach Bradford und Dean die vaso- 
konstriktorischen Fasern der Lungengefäße (aus dem 3.-7. Thorakal- 
nerven) unterbrochen. Freilich ist die Frage nach der Innervation 
der Lungengefäße noch strittig, da auch der Vagus und Sympathicus 
von einigen Autoren für sie in Anspruch genommen werden. Daß die 
Lungengefäße, wie einige wollen, gar keine Vasomotoren erhalten 
sollten, ist sicherlich nicht richtig. 

Die von Langley eingeführte Unterscheidung in vertebrale und 
prävertebrale Ganglien hat durchaus keinen tieferen Sinn, sondern ist 
eine mehr äußerliche. Die Ganglien sind eben derart topographisch 
verteilt, daß sie einigermaßen in der Nähe ihres Ausbreitungsgebiets 
liegen, und einen irgendwie funktionell zu fassenden Unterschied 
zwischen Eingeweiden und Hautgefäßen oder Hautmuskeln gibt es 
nicht. So ist denn auch das Ganglion supremum, das wegen seiner 
leicht erreichbaren Lage die Physiologen schon lange beschäftigt hat, 
zum Teil für die Eingeweide des Kopfes, insbesondere für die glatten 
Augenmuskeln, zum anderen Teil für die Blutgefäße des Ohres, des 
Kopfes, für die Haare des Halses und Kopfes und für die Sub- 
maxillardrüse bestimmt. Zu erwähnen ist noch, daß zu den Blut- 
gefäßen des Kopfes, welche vom Sympathicus innerviert werden, auch 
die Blutgefäße des Gehirns gehören. Nach den Untersuchungen von 
HüRTHLE und WiECHOwsKi leidet es keinen Zweifel mehr, daß durch 
eine Sympathicusreizung eine Vermehrung des Widerstandes in der 
Blutbahn des Gehirns, also eine Vasokonstriktion der Hirngefäße 
eintritt. 

Wir haben bisher fast nur die Verteilung der Fasern des sym- 
pathischen Systems dargestellt, wie sie in allen Einzelheiten nur durch 
die physiologische Methodik ermittelt werden konnten, da die ana- 
tomische Präparation bald versagt, und insoweit sie für das Verständ- 
nis der Physiologie unumgänglich notwendig sind. Nunmehr haben 
wir einige Punkte der Physiologie des sympathischen Systems her- 
vorzuheben, die von allgemeiner Wichtigkeit sind. Die Einzelheiten 
fallen ebensowenig in den Bereich dieses Buches, wie es etwa unsere 
Aufgabe war, die Wirkung eines jeden Nerven auf die Gliedmuskulatur 
darzustellen. 



g4 VI. Da* Kympathiscbe System. 

Wir werden uns nunmehr an die Organe, nicht mehr an die 
Verteilung der Nerven lialten. Zunächst haben wir, im Anschluß &a 
das Aber den Oculomotorius und den Sphincter pupillae Gesagte, vom 
Auge zu sprechen. Der Halssympathicus führt dem Auge Fasern zu 
für diejenigen glatten Muskeln, welche vom Oculomotorius nicht ver- 
sorgt werden, das sind der Düatator pupillae, dessen Existenz, lange 
bestritten, nuninelir unumstößlich feststeht, und für die glatten, von 
Heinrich Müller entdeckten Muskeln der Lider und der Orbita. 
Bei vielen Tieren gehört zu diesen Lidmuskeln noch der Retractor 
menibranae tertiae, der sieh wegen seiner exponierten Lage sehr gut 
auch zu graphischen Versuchen eignet. Es scheint, als wenn Sym- 
pathicusfasern, um zum Auge zu gelangen, im Schädel zum Teil dem 
Weg des Trlgeminus sich anschließen (Waller und Budge), aber es 
ist daran festzuhalten, daß der eigentliche Ursprung der sympathi- 
schen Fasern des Auges nur im Oculomotorius und SjTiipathicus liegt. 
Das Spie! der Pupille beruht nur auf der Innervation dieser beiden 
Nerven. Die Theorie, nach welcher der Sympathicus daneben noch 
hemmende, vielmehr peripher Erschlaffung bewirkende Fasern für den 
Sphincter, der Oculomotorius solche für den Diktator führen sollte, 
ist durch Lanoley und Anderbon völlig widerlegt worden. Die 
Durchschneidung des Sympathicus bewirkt denn auch nur eine Läh- 
mung der von ihm versorgten Muskeln, die sich in einer Verengerung 
der Pupille (Petit \122) und in einer Verengerung der Lidspatte mit 
leichtem Zurücksinken des Bulbus in die Orbita äußert, ein Komplex 
von Erscheinungen übrigens, der niclit nur experimentell, sondern auch 
durch pathologische Prozesse (z, B. Aneurysmen, Mediastinaltnmoren) 
nicht allzuselten bervoigerufen wird. Von ganz unklaren Voraus- 
setzungen ausgebend, bat man vielfach auch operativ in Fällen von 
Epilepsie den Halssympathicus durchschnitten oder sogar das Ganglion 
supremum exstirpicrt. Genützt hat das wohl niemals etwas, aber 
AnlalS zu physiologisch interessanten Beobachtungen gegeben. ] 

Vor allem hat man gesehen, daß nach Exstirpation des obersteol 
Halsganglions noch nach Jahren die Verengerung der Pupille nach- 
zuweisen ist. Das stimmt mit dem durch das Experiment ge- 
wonnenen Ergebnis überein. daß präcelluläre Fasern nicht zur Peripherie 
auswacbsen, sondern daß ihre Regeneration nur bis zum Ganglion 
geht, und durchschnittene postganghonäre Fasern sieh ihrerseits nach 
einiger Zeit nur vom Ganglion aus wiederherstellen. 

Daß dem Ganghon supremum kein Tonus zukommt, daß die 
Pupille vielmehr nach Durchschneidung der postgangHonären Fasern 
zunächst nicht enger wird, als nach der der präganglionären, sei am 
' drücklich noch einmal als Bestätigung einer anscheinend für 
Ganglien geltenden Regel angeführt. 

Wenn auch nach Durchschneidung des Halssympathicus oder 
Resektion des Ganglion die Lätimungserscheinungen bestehen bleiben, 
so gehen sie doch wesentlich zurück, auch wenn eine Wiederherstellung 
der Leitung im Sympathicus nicht eintritt, .la, es tritt die paradoxe 
Erscheinung auf, daß, wenn auf einer Seite nur der Sympathicas- 
stamni durchschnitten, auf der anderen das Ganglion herausgenommen 
war, die letztere Seite allmählich deutlich weiter wird, als die erste. 
Die.se schon Budge bekannte Tatsache hat zu für die Auffassung der 
Innervation der sympathischen Organe nicht unwichtigen Erörterungen 
geführt. Der eine Teil der Autoren (wie Budge selbst und Tdwin) 



iem ^^_ 
alloH 



Sympathische Innerval 



e Auges, Paradoxe Papillenerirdtcning. 85 



nahm an, daß hier ein Nachlassen des antagonistischen Sphincter- 
tonas vorliege. Aber diese Theorie wird dadurch wiederlegt, daß man 
ganz analoge Erscheinungen, wie an der Pupille, auch an deo glatten, 
von allen Antagonisten befreiten, Muskeln der Augenlider ^ nach- 
weisen kann. Die unbegrenzte Dauer dieser paradoxen Erweiterung, 
wie die Tatsache, daß eine geringe Wiedererweiterung der Pupille 
auch bei Integrität des Ganglion auftritt, widerlegt eine andere Theorie, 
nach welcher der Grund in einem hypothetischen Reiz durch die 
Degeneration der Fasern zu suchen wäre. Vielmehr hat sich ergeben, 
daß dieser allmählichen Wiederherstellung eines Tonus der vom 
Sjrapathicus versorgten Muskeln eine ebenso allmähliche Aenderung 
der Erregbarkeit eben dieser Muskeln, also peripherer Gebilde, ent- 
spricht: Wenn man das Blut eines Tieres durch Absperrung der 
Atemtuft dyspnoiech macht, so wirkt die sich ansammelnde Kohlen- 




Fig. 21. Paradoxe Pupil leiier weitem II g nach Exslirpai 
cervicale supremmn (nach Lasöendorff), 



V rechten Gangliou 



säure als Reiz auf eiue große Anzahl nervöser Mechanismen, so auch 
auf den Sympathicus, die Pupille wird weit, die Lider öffnen sich 
u. s. w. Dieser Reiz greift beim intakleu Tier in der Cerebrospinal- 
aehse an. Beweis: Nach Durchschneidung des Sympathicus fällt jede 
Wirkung fort; aber nur vorübergehend. Untersucht man den Erfolg 
des Versuchs nach einigen Tagen und Wocheu. so bekommt man 
wieder eine Wirkung, die sogar den normalen Grad übertreffen kann, 
und ganz regelmäßig findet sich nun, daß die Erregbarkeit nach Resek- 
tion des Ganglion sich schneller und in höherem Grade wieder aus- 

I) Diese Muslieln, welche die Lidspalte erweitem und das Auge vortreiben, 
haben nämlich nur quergestreift« Antagonisten (vor allem den nur bei Tieren cnt- 
wicketten Ketractor bulhi). Durch einfache Ournrit-ierting Icann man dicde also aue- 
srlialten, nährend (ler glatte Sphincter pnpilltie solcher isolierter Ausschaltung nicht 
ZDgin glich i^C. 



bildet, als nach eiafacher Synipathieusdurclischneidung bei Erhaltung, 
des Ganglion. Genau das gleiche zeigt sich nicht nur dem Kohlen- 
säurereiz, sondern allen Beizen gegenüber, welche eiue Kontraktion 
der vom Sympatliicus innervierten Muskeln bewirken, wie z. B. bei 
intravenöser Injektion des wirksamen Bestandteils der Nebenniere, 
des Adrenalins. Um die Wiederherstellung der Pupillenweite und 
die paradoxe Pupillenerweiterung zu erklären, brauchen wir also nur 
anzunehmen, dali solche Beize auch normalerweise schon im Blute 
kreisen und wirksam werden nach Maßgabe der sich allmählich aus- 
bildenden peripheren Erregbarkeit. Als solcher Beiz dürfte in erster 
Beihe die CO, in Betracht kommen. 

Daraus ersehen wir vor allem, daß ein glatter Muskel, der 
soweit bisher nachgewiesen — keine Ganglienzellen enthält, unter 
dem Eintluße normaler, dauernd im Körper wirksamer Beize in Tätig- 
keit geraten kann. Das ist ein sehr wesentlicher Unterschied gegen- 
über der Skelettmuskulatur')- 

Ferner ist hervorzuheben der eigentümliche Einfluß des sym- 
pathischen Ganghons. das die Entwicklung der peripheren Ueber- 
erregbarkeit hintanhält. Dabei darf man nicht etwa an hemmende 
Fasern denken, welche etwa zur Peripherie laufen würden. Die sind 
im Sympathicus sicher nicht vorhanden. Am ehesten, und nicht ohne 
Berechtigung , könnte man die Erscheinung noch als Isolierungs- 
veränderung in einem früher bezeichneten Sinne auffassen, nur dall 
man eben dem glatten Muskel selbst , zentrale" Eigenschaften zu- 
erkennen muß, eiue Beminiszeuz also aus jener Zeit, in der Er- 
regungsleitung und Bewegungsausführung noch nicht getrennt waren. 
Ist doch das sympathische System und die glatte Muskulatur anch 
phylof>enetisch sehr alten Ursprunges. 

Diese hiudernde Wirkung des Ganglion auf die Entwicklung der 
peripherischen Erregbarkeit ist nun nicht auf das oberste Halsganglion 
beschränkt. Von Andehbon ist sie auch am Ganglion ciliare auf- 
gefunden worden (als die , .paradoxe Pupillen Verengerung"), und viel- 
leicht ist sie eine ganz allgemeine. Auch einige Ganglien niederer 
Tiere scheinen dieselbe Beziehung zu zeigen. Bei Ajdysia limacina 
hat Jordan gefunden, daß die Exstirpation des Cerebral ganglions. 
dessen Beizung rhythmische Bewegungen auslöst, doch auch unauf- 
hörliche rhythmische Bewegungen zur Folge hat, und daß die Durch- 
Echneidung des vom Fußganglion ausgehenden Nerven, dessen Beizung 
eine tonische Kontraktion der Muskulatur bewirkt, doch wieder zu 
einer dauernden tonischen Kontraktur der Muskulatur führt. Fflr 
den Forlfall hemmender Fasern sind auch in diesem Fall keine An- 
zeichen. 

Kehren wir zur Innervation des Auges zurück, so ist festzuhalten, 
daß die Entwicklung der peripheren Erregarkeit als eine gewisser- 
maßen pathologische, nur nach Sympatbicusoperationen auftretende, 
zu betrachten, dali sie nicht auf den Ausfall einer normalen Funktion 
zu beziehen ist, daß vielmehr normalerweise der Dilatator pupillae 
ganz unter dem Einfluß der Cerebrospinalachse steht. Wie Andebsok 
gezeigt hat, kann im Bückeumark selbst durch schmerzhafte Beize 

li Htk'hstens das fibriliäre Wogen der Zungcnmusbulalur DavbLlurclischneidaitf J 
des Hypoglossus und analo^tc KrächiHnungen nach DurchiMrbneiduJig anderer per^ I 
pherer Nerven, die bisher noch keineswegs befriedigend erlslärt sind, kämen für er — 
aORloge Deutung i» Betracht. 



I 
I 

I 





Innervation des Herzens. g7 



der Haut auch eine reflektorische Erweiterung der Pupille durch 
Kontraktion des Dilatator pupillae ausgelöst werden (vergl. über die 
Hemmung des Sphinctertonus S. 78). 

Trotzdem nun aber der Dilatator pupillae und die glatten Augen- 
muskeln aus dem Thorakalmark innerviert werden, hat auch das ver- 
längerte Mark einen Einfluß auf den Halssympathicus , der schon 
BuDGE bekannt war (dessen Centrum ciliospinale superius). Ein- 
seitige Verletzungen der Medulla oblongata haben eine deutliche 
Parese des Sympathicus, insbesondere Miosis zur Folge. Daraus ist 
sicher zu schließen, daß der spinale Ursprung des Sympathicus durch 
Nervenbahnen mit der Medulla oblongata verbunden sein muß. Ob 
es sich hier im eigentlichen Sinne wirklich um ein übergeordnetes 
Zentrum handelt, ist zweifelhaft. Man könnte sich erstens denken, 
daß durch die Medulla oblongata Bahnen passieren, welche vom 
Sphincterzentrum im Mittelhirn aus eine Regelung des Dilatatortonus 
bewirken, oder es könnte sich auch nur um das anatomische Sub- 
strat einer Verbindung des spinalen Sympathicusursprunges mit den 
Nerven des Kopfmarkes, insbesondere dem sensiblen Teile des Trige- 
minus, handeln. 

Hierbei sei gleich bemerkt, daß die von einigen (Rieger, Bach) 
behauptete Abhängigkeit des Lichtreflexes der Pupille, der ja durch 
den Oculomotorius geht, vom Halsmark und der Medulla oblongata 
sich uns nicht bestätigt hat. 

Wir möchten nunmehr zunächst zu den sympathischen Organen 
der Brusthöhle übergehen. Was zuerst das Herz betrifft, so wird 
dessen Schlagfolge von der Cerebrospinalachse aus durch Vagus und 
Accelerans, deren Ursprung bereits angeführt wurde, in antagonistischer 
Weise beeinflußt. Durch eine Reihe von Reflexen wird das Herz- 
hemmungszentrum in der Medulla oblongata, d. h. schließlich der 
dorsale Vaguskern, in Erregung versetzt. Schmerzhafte Reizung der 
Körperoberfläche führt meist zu einer reflektorischen Verlangsamung 
des Herzschlages. Das klassische Experiment hierfür ist der Goltz- 
sche Klopfversuch, in welchem durch einen Schlag auf den Bauch ein 
völliger Stillstand des Herzens beim Frosch hervorgerufen wird. Auch 
von den Schleimhäuten aus läßt sich dieser Reflex erzielen, insbeson- 
dere von der vom Trigerainus aus versorgten Nasenschleimhaut. Von 
hier aus kann man durch Ein blasen reizender Dämpfe in die Nase ge- 
waltige Verlangsamung des Herzschlages bekommen. Man hat sogar 
versucht, den Tod, der zuweilen im Anfang der Chloroformnarkose 
auftritt, auf einen solchen Reflex von der Nasenschleimhaut aus 
zurückführen. Das ist wohl nicht richtig, wenngleich die reflektorische 
Wirkung der Chloroform dämpfe auf das Herz besteht. Auch Blut- 
druckerhöhung führt zu einer reflektorisch bedingten Verlangsamung 
des Herzschlages. Dieser Reflex soll nach Pagano durch die Dehnung 
der Wand der Carotis bedingt sein. Auch der Herzvagus besitzt 
einen Tonus, Durchschneidung der beiden Vagi führt zu einer deut- 
lichen Beschleunigung des Herzschlages, die im übrigen bei manchen 
Tierarten, wie dem Kaninchen, außerordentlich gering ist. Die höchst 
unangenehmen Zustände mit enormer Pulsbeschleunigung, die beim 
Menschen infolge einer Schädigung des Vagus durch eine Neuritis, 
z. B. nach Diphtherie, eintreten können, scheinen zu beweisen, daß 
die Bedeutung des Vagustonus hier eine nicht unerhebliche ist. Wenn 
dieser Vagustonus auch zum Teil unter reflektorischer Leitung steht, 



80 wird er jedoch sicherlich nicht allein durch solche, sondern auch 
durch die BIutziisamnienBetzung geregelt, insbesondere durch den Ge- 
halt des Blutes an CO^ gesteigert. Das Vaguszentrum steht ferner 
noch unter dem Einfluß des in der Schädelhöhle stehenden Druckes. 
Ein erheblicher (bis auf 40 und weniger) Schläge in der Minute ver- 
langsamter Puls ist sehr häufig das Zeichen eines gesteigerten Hirn- 
drucks bei raumbeschränkenden Prozessen der Schädelhöhle, insbe- 
sondere Tumoren. 

Eine Beschleunigung des Herzschlages kann sowohl auf einer 
Hemmung des Vagustonus, wie auf einer Reizung des Accelerans be- 
ruhen. 

Von der Cerebrospinalachse aus wird die Schlagfolge des Herzens 
nur in etwas reguliert Ihr Antrieb liegt, wie lange bekannt, im Herzen 
selber. Daß nicht nur das Froschherz. sondern auch das des Warm- 
blöters außerhalb des Körpers bei geeigneter Blutzufuhr lange lebens- 
fähig und schlagfähig bleibt, ist besonders durch die Untersuchangen 
von Langendorff bewiesen worden. Daß das auch für das mensch- 
liche Herz gilt, ist von Küliabko gezeigt worden. Nachdem frfiher 
allgemein in die Ganglienzellen des Herzens der Ursprung der Herz- 
bewegungen gelegt worden war, ist bekanntlich durch Gaskell und 
Enqelmann die Lehre von der Automatie des Herzmuskels be- 
gründet worden, welche die Entstehung wie die Fortieitung der Herz- 
kontraktionen in die Muskelfasern selbst verlegt. Das gewichtigsta 
Faktum für diese Theorie ist in ihrer Einfachheit noch immer die 
Tatsache, daß das Herz des Hühnerembrjo schon am 2. Tage zu 
schlagen beginnt, während Ganglienzellen in ihm erst am 6. Tage 
nachweisbar sind. Aber wir können auf diese Fragen liier leider nicht 
näher eingehen, da sie uns zu weit in Details führen würden '). 
Uns würde allerdings die Frage interessieren, welche Rolle denn die 
Ganglienzellen im Herze« spielen würden, wenn die Lehre von der 
Automatie des Herzmuskels zu Recht besteht. Darüber aber ist nichts 
bekannt. Es wäre von Wichtigkeit , zu erfahren , welche Zellen 
oder Ganglien im Herzen zu den Vagusfasern in dem Verhältnis 
eines sympathischen Ganglions stehen. Denn für diese würden wir 
eine zentrale Funktion nach Analogie der anderen sympathischen 
Ganglien überhaupt nicht zu fordern brauchen. Die Anatomie hat 
das bisher noch nicht bestimmt. Die größten Schwierigkeiten be- 
reitet aber der Histologie die Frage von der Herzinnervation in- 
sofern, als sie durchaus noch nicht sicher ist. welche Zellen dos 
Herzens denn als Ganglienzellen anzusehen seien. So behauptet 
insbesondere Bethe neuerdings die Ganglienzellennatur von Gebilden, 
deren Zugehörigkeit zum Nervensystem andere doch wenigstens in 
keiner Weise als bewiesen ansehen können. Zu erwähnen ist uoch, 
daß Ref1e.\e, die im Herzen selbst ablaufen, nicht nachgewiesen sind, 
und auch daraus eine Tätigkeit von nervösen zentralen Mechanismen 

1) Zur Orientierung diene die ausführliche, klare und objekti™ Darstellung ] 
Ton HoFMAKS in Naoeu Handbuch, I, 1905. I 

Zu bemerken ist, daß durch die Untersuchungen von CARLSOXnra Herzen vuo 1 
LimuluR, wo das Nerven fjatem leicht vom Herzmuskel abzutrennen bt, neuerdiDgl 
bevdeaeo wurde, daß ee unter den Wirbetloseu Tiere gibt, welche eine Automatie dei i 
Herzrauskela nicht besitzen, VVenn dadurch auch die Frage für die Wirbeltieaw j 
nicht entschieden ist, no erscheint Rie doch annesichtB der CARLsONfchen Veraachs 1 
wieder in einem anderen Lichte. 



I 




Innervation des Verdauungskanals. 89 

im Herzen selbst nicht erschlossen werden kann. Zwar sind Reflexe 
vom Herzen zum Herzen zurück beschrieben worden, die insbesondere 
vom Pericard ausgehen sollen, aber sie gehen durch die Cerebrospinal- 
achse. 

Von der Versorgung der glatten Muskeln der Bronchien durch 
den Vagus ist wenig mehr als die Tatsache bekannt. In der Patho- 
logie hat man das Asthma nervosum auf einen Krampf dieser kleinen 
Bronchialmuskeln zurückgeführt. Ob ein solcher wirklich das primäre 
Moment des Bronchialasthmas bildet, ist freilich unsicher und be- 
stritten. 

Wenn wir den Verdauungskanal durchgehen, so begegnen wir 
glatter Muskulatur, zuerst im Oesophagus, in dessen oberem Teile 
sie noch mit quergestreifter Musk-ulatur vermischt ist. Dann wird der 
Bissen der Peristaltik überantwortet, welche ihn, verändert freilich durch 
die chemischen Einflüsse des Verdauungskanals, durch dessen ganze 
Länge hindurchbefördert. Als Peristaltik bezeichnet man diejenigen Be- 
wegungen an Hohlorganen, welche in aufeinanderfolgenden und fort- 
schreitenden Verengerungen des Lumens bestehen, und die so eine 
Bewegung des Hohlrauminhaltes zur Folge haben müssen. Keines- 
wegs nun ist die Peristaltik durch den ganzen Magendarmkanal hin- 
durch eine einfache und gleichförmige Fortpflanzung einer irgendwo, 
etwa im Oesophagus, eingeleiteten Bewegung. Die einzelnen Teile 
sind bis zu einem gewissen Grade selbständig, stehen aber zueinander 
in recht verwickelten Beziehungen. Am Oesophagus zwar scheint 
nach der Schluckbewegung nur eine einfache peristaltische Welle zum 
Magen hin abzulaufen. Es ist von Mosso gezeigt worden, daß hier 
am Oesophagus die Auslösung dieser peristaltischen Welle wenigstens 
nicht allein in der Wand des Oesophagus vor sich geht. Denn die 
peristaltische Welle lief auch dann ab, wenn mehrere Zentimeter aus 
dem Oesophagus ausgeschnitten waren. Auch kann der Ablauf dieser 
Welle durch vom Schlünde ausgehende, auf dem Wege des Glosso- 
pharyngeus zum Kopfmark geleitete Reize gehemmt werden. Dieser 
Mechanismus wird nach Kronecker und Meltzer insbesondere 
dann in Tätigkeit gesetzt, wenn zwei Schlucke sehr schnell auf- 
einanderfolgen, reflektorisch wird dann vom Pharynx aus der Oeso- 
phagus schlaft' erhalten, um erst durch die dem letzten Schluck folgende 
Kontraktion den Rest des Inhaltes aktiv in den Magen zu befördern. 

Hier im Magen finden sich nun schon besondere Verhältnisse, da 
die Peristaltik ihn nicht ungestört durchsetzt, sondern er als Reservoir 
für die eingenommene Nahrung zu dienen hat. Er ist dementsprechend 
durch zwei tonisch kontrahierte Ringmuskeln, den Sphincter cardiae 
und pylori, nach beiden Seiten abgeschlossen. Zunächst ist anzu- 
nehmen, daß mit dem Ablauf jeder peristaltischen Welle im Oeso- 
phagus der Sphincter cardiae geöffnet wird. Die Füllung bildet dann 
den Reiz für die Bewegungen der muskulösen Magenwände. Cannon 
wie Roüx und Balthasar haben diese mit Hilfe der Röntgenstrahlen 
an mit Wismutgemischen gefütterten Hunden untersucht. Sie fanden, 
daß die Magenbewegungen wenige Minuten nach der Nahrungs- 
aufnahme beginnen und in Kontraktionen bestehen, welche etwa in 
der Mitte des Magens beginnen und gegen den Pylorus in Inter- 
vallen von etwa 10 Sekunden ablaufen. Daß die Oeff'nung des Pylorus 
jedoch von diesen Wellen unabhängig ist, wußte man längst. Sie 
wird einerseits durch Menge und Art des Mageninhaltes, andererseits 



VI. Das sjmpathisclie System. 



aber aucb vom Darm aus beeinflußt. Einige Zeit nach der NahrungB- 
aufnahme, am schnellsten nach der Aufnahme von Flüssigkeiten, be- 
ginnen rhythmische Eröffnungen des Pylorus, welche dem Sjieisebrei 
den Durchtritt gestatten. Harte Bissen sollen die OefFnung des 
Sphincters hemmen, was sicherlieh nicht allgemein richtig ist, da 
recht harte verschluckte Dinge, wie etwa Obststeine. Geldstücke, den 
Magen anstandslos zu passieren pflegen. Andererseits hat v. MERlNß 
gezeigt, daß eine Regulation der Magenbewegung durch die Darm- 
flillung besteht. Durch die AnfUltung einer Dünn dann schlinge mit 
Flüssigkeit vermochte er die Eröffnung des Pylorus zu hemmen. 
Durch den Brechakt, der übrigens nicht bei allen Tieren besteht, 
vermag sich der Magen nun auch wieder rückwärts zu entleeren, indem 
durch die weitgeöffuete Cardia , zum Teil mittels Kontraktion der 
unteren Magenhälfte, zum Teil auch durch die ßauchpresse, der Magen- 
inhalt ausgetrieben wird. Der Brechakt ist einerseits ein Mittel, um 
einen übermäßig gefüllten Magen schnell zu entleeren. Geradezu 
physiologisch findet er sich ja als solcher Regulator beim neuge- 
borenen Kinde. Auch das Aufstoßen von Gasen dürfte dieser Form 
des Brechens mindestens nahestehen. Der Brechakt ist so ein 
Reflex, der von den sensiblen Nerven des Magens auf dessen moto- 
rische durch die Medulla oblongata vermittelt werden kann. Noch 
wichtiger aber ist es, daß er auch ohne diese sensible Vermittlung 
durch Erregung dieses Zentrums durch vom Blute aus zugefQhrte 
Stotfe in Tätigkeit tritt. So wirken ein großer Teil aller Vergiftungen, 
und von Arzneimitteln insbesondere das Apomorjihin. Während wir 
vom Brechakt ganz genau wissen, daß er nur von der Cerebrospinal- 
achse aus eingeleitet werden kann, sind wir über die Bedingungen 
der anderen Magenbewegungen sehr viel weniger unterrichtet. Daß 
sich peristaltische Bewegungen auch noch am ausgeschnittenen Organ 
beobachten lassen, also als solche nicht an die Cerebrospinalachse ge- 
bunden sind, ist sicher, inwieweit aber die zweckmäßige Regulation 
der Magenbewegung unter Vermittlung des cerebrospinalen Nerven- 
systems geleistet oder beeinflußt wird, ist im einzelnen unbekannt. 
Ueber die Wege einer solchen Beeinflussung wissen wir nur, daß es 
die Vagi und Splanchnici sind, die beide erregender und hemmender 
Wirkungen auf die Magenmuskulatur fähig sind. Die Zentralteile für 
diese Magenbewegungen dürften demnach von der Medulla oblongata 
aus abwärts gelegen sein. Wenn auch Openchowski durch Reizung 
der Vierhügel Magen bcwegun gen bekommen hat. ist damit die Be- 
deutung dieses Hirnteiles als ,.Zentrum" der Magen bewegungen noch 
nicht nachgewiesen, vielmehr kann es sich, wie bei allen Reiz versuchen, 
auch um die Reizung intrazentraler Bahnen gehandelt haben. 

Auch die Peristaltik des Dünn- und Dickdarms ist ein 
sehr viel verwickelterer Vorgang, als man anzunehmen geneigt sein 
möchte. Keineswegs etwa besteht sie aus über den ganzen Darm hin- 
laufenden perisfaltischen Wellen, wie man sie etwa am herausgeschnit- 
tenen Organ erzeugen kann. Vielmehr hat jedes Darmslück eine gewisse 
Selbständigkeit und in mannigfacher Weise mögen sich die Darmteile 
gegenseitig beeinflu.ssen, anregen uud hemmen. Das gilt nicht nur 
für funktionell so scharf geschiedene Abschnitte, wie den Dünndarm 
gegenüber dem Dickdarm, gondern wohl auch für jeden Teil des 
Dünndarms. Der bewegungsauslösende Reiz ist für den Darm, wia | 
der Magen, die Nahrung. Der Darm des nüchternen Tieres ist be- J 





Peristaltik. Regulierung der DünDdarmbewcguDg. 91 



wegungslos, aber selbst in diesem Zustand behalten seine Muskeln 
eine tonische Kontraktion, welche durch die Verdauung erheblich ver- 
mehrt wird, und auf die sich dann die peristaltischen Bewegungen 
aufsetzen. Diese sind zweierlei Art: Die LüDwiGschen Pendel be- 
wegungen bestehen aus rhythmischen Kontraktionen sowohl der 
Längs- wie der Ringmuskulatur, welche an beliebiger Stelle des Darmes 
entstehen und hauptsächlich nach dem Colon fortgepflanzt werden. Diese 
Pendelbewegungen haben ihren Ursprung sicherlich im Darm selbst, 
da sie auch am ausgeschnittenen Organ noch gut zu beobachten sind. 
Aber auch hier ist nun, wie beim Herzen, die Frage aufgetaucht, ob 
sie muskulösen oder nervösen Ursprunges seien. Es handelt sich 
hierbei um die Bedeutung der nervösen Plexus, die sich ja nicht auf 
den Darm beschränken, sondern die auch auf Magen und Oesophagus 
übergreifen. Es sind das der MEissNERsche Plexus in der Submucösa 
und der AuERBACHSche zwischen Längs- und Ringmuskelschicht. 
Beide bestehen aus einem Gewirr von Ganglienzellen und Nerven- 
fasern. Ihre Bedeutung steht in Frage in zweierlei Richtung. 
Welche Beziehung haben sie zu den sympathischen Nerven und den 
Ganglien der Bauchhöhle einerseits und welche zu den Organen des 
Darmrohrs andererseits. Es ist sehr wahrscheinlich, daß der Meissner- 
sche Plexus allein der Innervation der Schleimhaut dient, so daß wir 
also es vorläufig nur mit dem AuERBACHschen Plexus zu tun hätten. 
Zunächst kann die Frage gestellt werden, ob die großen Ganglien der 
Bauchhöhle, wie das Ganglion coeliacum mit den Ganglien des Plexus 
in Verbindung stehen. Das leugnet Langley, der ja überhaupt die 
Verbindung von Ganglienzellen des sympathischen Systems unter- 
einander bestreitet. Nach Langley würden die postganglionären Fasern 
der Bauchganglien unmittelbar in der glatten Muskulatur endigen. 
Eine zweite Ansicht ist die, daß wir es in diesen Plexus nur mit 
gleichsam weit ausgebreiteten sympathischen Ganglien und zwar im 
wesentlichen für den Vagus, zu tun haben. Diese Anschauung kann 
in der Tat durchaus noch nicht als widerlegt gelten. Denn wenn 
nach Langley jede Faser des sympathischen Systems eine Zelle 
zwischen Cerebrospinalachse und Peripherie haben soll, so wissen 
wir eigentlich bisher nicht, wo diese Zellen für den Vagus liegen 
sollen. Die dritte Anschauung, die wohl die verbreitetste ist, sieht 
in den Zellen des Darmplexus ein besonderes Zentralorgan für die 
Darmbewegungen und faßt dabei die Möglichkeit ins Auge, daß er 
von den an der Cerebrospinalachse und den Ganglien der Bauchhöhle 
kommenden Nerven beeinflußt werden könne. Wenn wir nun zu der 
Frage zurückkehren, inwieweit die Pendelbewegun^en des Darmes, 
die ja sicherlich in der Darmwand ihren Ursprung haben, von diesen 
Plexus abhängen, inwieweit sie Ausdruck einer muskulären Automatie 
nach dem Muster der für das Herz angenommenen seien, so haben 
Bayliss und Starlinq ihre myogene Natur verfochten, auf Grund 
der Beobachtung, daß sie weder durch Bepinselung der Darmwand 
mit Cocain noch Nikotin zu beseitigen sind. Diese Frage ist in 
ein neues Stadium getreten durch die Untersuchungen von Magnus 
am überlebenden, in RiNGERscher Flüssigkeit suspendierten Darm, 
wenngleich auch diese Untersuchungen noch keineswegs klar sehen 
lassen. Magnus fand jedenfalls, daß, wenn man die Darmwand spaltet, 
es gelingt, die Ringmuskulatur von der Längsmuskulatur zu trennen, 
und zwar derart, daß der AuERBACHsche Plexus immer mit der 



92 Vr. Dos sympathische Sjetem, 

Längsmusknlatur geht. So verfügt man dann über zwei Präparate, 
die ganglienfreie Ring- und die ganglienhaltige Längsniuskelschicht. 
Nun fand Magnus, daß das ganglienhaltige Stück seine rliyth mischen, 
spontanen Bewegungen fortsetzt, wfihrend das zellfreie ohne spontane 
Bewegung bleibt. Dagegen ist es noch im stände, auf Reize zu ant- 
worten, und auch noch Erregungen zu leiten. Magnus schließt aus 
diesem Verhalten, daß der Ursprung der spontanen Bewegungen in 
dem AuERBACHSchen Plexus zu suchen sei. Absolut beweisend ist 
dieser Versuch jedoch nicht, da Magnus selbst spSter fand, daß unter 
dem Einfluß des Physostigmins auch ein ganglienzellfreies Stück 
rhythmische spontane Bewegungen wieder aufnehmen kann, und 
schließlich auch für die Ringmuskulatur die gewaltsame Trennung von 
der LSngsmuskulatur und die Herausreißung der Nervenenden nicht 
gleichgültig sein wird. Außer diesen Pendelbewegungeu treten nun 
auf lokalen Reiz des Darmes — auch des ausgeschnittenen — noch 
andere Kontraktionen auf, welche colonwärts vorwärts- 
schreiten und denen eine ErschlafTung vorausgebt. Diese Erscheinung, 
die nach Reizung mit Kochsalzkristallen schon Nothnagel gesehen hat, 
ist in ihrer allgemeinen Bedeutung für die Fortschaffung des Darminhalies 
colonwärts von Bayliss und Starlikg durch die Einführung künst- 
licher Boli untersucht und gewürdigt worden. Nach ihnen beruht die 
Fortschaffung eines Bolus immer auf diesen zwei Vorgängen. Verenge- 
rung oberhalb und Erschlaffung unterhalb des Bolus. Diese lokalen 
Kontraktionen werden im Gegensatz zu den Pendelbewegungen durch 
Cocain und Nikotin aufgehoben, so daß ihnen jedenfalls ein anderes 
anatomisches Substrat entspricht, als jenen. .ledenfalls handelt es 
sich hier um eine Art Reflex, von dem wir aber nur augeben können, 
dalt er irgendwie in der Darniwand zu stände kommt; welche leitenden 
Elemente dabei mitwirken, ist gänzlich unbekannt. Man sieht, daß 
die in der Darmwand selbst ausgelösten Bewegungen eine so voll», 
kommene Regulation der Darmbewegungen ermöglichen, daß den sym-' 
pathischen BanchgangUen und der Cerebrospinalachse zu tun fast nichts'' 
mehr übrig bleibt. In der Tal hat Friedenthal durch Exstirpation 
des Rückenmarks vom 5. Brustwirbel an zugleich mit Durchschneidung 
beider Splanchnici und Vagi den Darnikanal von der Cerebrospinal- 
achse völlig isoliert, ohne wesentliche Störungen im Altlauf der Ver- 
dauung beobachten zu können. Nach den Versuchen von Gol' 
und Ewald, die Hunden das ganze Rückenmark vom untersti 
Cervikalmark an exstirpierten, hätte man immer noch an einen Ersal 
der Splanchnicusfunktion durch die Vagi denken können. Daß nach 
doppelseitiger Splanchnicusdurchschneidung allein Tiere ain Leben 
bleiben können, ist auch von Vogt angegeben. Nach Exstirpation 
des Plexus coeliacus hat Popielski jedoch, trotzdem die Hunde auch 
diesen Eingriff zum Teil länger als ein Jahr überlebten, flüssige, an- 
fangs sanguinolente Faeces, Desquamierung des Darmepithels, Bildung 
von Darmgeschwüren, Unregelmäßigkeiten in der Kotentleerung und 
der Absonderung der Galle durch Störungen der Innervation des 
Ductus choledochus gesehen : Popielski möchte demnach in den 
großen Ganglien der Bauchhöhle selbständige Zentren der Darmbewe- 
gungen sehen. Das will uns darum doch zweifelhaft erscheinen, weil 
erstens ähnliehe Zustände, wie die von Popielski beschriebenen, auch 
nach Splanchnicusdurchschneidung vorkommen, und zweitens wir vom 
Auge her wissen, daß die Erhaltung des Ganglion einen Einfluß auf 








Kotentleening. 93 



die Peripherie hat, ohne daß wir ihm die nervöse Beherrschung der 
Bewegung zuschreiben dürften. Es bleibt ja völlig sicher, daß nach 
Pflügers Entdeckung Hemmungen für die Darmbewegung durch den 
Splanchnicus geleitet werden können, und daß ferner der Vagus be- 
wegungsanregende, wahrscheinlich daneben gleichfalls noch hemmende 
Fasern führt. Wann und durch welche Einflüsse aber diese Wirkungen 
vom Zentralnervensystem ins Spiel gesetzt werden, ist nach den oben 
berichteten Versuchen unklar und jedenfalls noch nicht erforscht. In 
dieser Richtung kennen wir eigentlich nur die eine Beobachtung von 
Jacobj, der fand, daß beim hungernden Tier die Vagusreizung wir- 
kungslos ist, aber durch Durchschneidung der Splanchnici wirkungs- 
voll gemacht werden kann. Danach möchte man annehmen, daß der 
Mangel eines Inhaltes die Ruhe des Darmes durch eine Hemmung 
des Splanchnicus herbeiführt. 

Auch beim Menschen wissen wir von einer Beeinflussung der 
Dünndarmbewegungen durch Erkrankung der Zentralorgaue nichts. 
Die sehr heftigen Durchfälle, die bei AoDisoNscher Krankheit auftreten, 
werden von einigen auf die Miterkrankung des Plexus coeliacus be- 
zogen. Im allgemeinen ist aber unsere Kenntnis des nervösen Me- 
chanismus selbst häufig vorkommender Abnormitäten der Darm- 
bewegung, wie des spastischen Ileus, oder der manchmal schon nach 
geringen Eingrifl'en oder lokalen Erkrankungen am Magendarmkanal 
auftretenden allgemeinen Atonie sehr gering, in einer Reihe von Fällen 
gerade der letzteren Art dürften jedenfalls Reflexe, welche die Cerebro- 
spinalachse passieren, eine Rolle spielen. 

Sehr viel mehr wie über die Peristaltik wissen wir über den Anteil 
des Nervensystems an dem letzten Akt des Verdauungsgeschäftes, der 
Kotentleerung. Sie ist ja im allgemeinen beim erwachsenen Menschen 
und auch bis zu einem gewissen Grade bei einigen Tieren ein willkür- 
licher Vorgang, der also vom Großhirn beherrscht wird. Freilich weiß 
auch ein jeder, daß diese Willkürlichkeit nur eine beschränkte ist, und 
daß sich unter gewissen Umständen die Kotentleerung mit einem reflek- 
torisch ausgelösten Zwange vollzieht. In der Tat handelt es sich um 
einen Reflex, dessen Zentrum sich beim Menschen in den Sacralsegmenten, 
beim Tier im Lumbosacralmark befindet. Diesem Defäkationsreflex steht 
ein anderer gegenüber, der reflektorische Tonus des glatten Sphincter 
ani internus und des quergestreiften externus. Beim Rückenmarkstier 
wird einige Zeit nach der Rückenmarksdurchschneidung dieser Reflex 
erhöht, so daß durch einen Reiz von der Schleimhaut des Anus aus 
rhythmische Kontraktionen des Afterschließers erhalten werden können. 
Dementsprechend wird auch der Tonus des Afterschließers durch 
Durchschneidung der sensiblen Sacralwurzeln nach Merzbacher sehr 
vermindert. Es dürfte wahrscheinlich sein, daß bei der Defäkation 
— der willkürlichen, sowie der reflektorischen — dieser Tonus der 
Sphinkteren nicht einfach durch die durch die Peristaltik beförderten 
Massen gesprengt wird, sondern daß die Sphinkteren durch eine im 
Rückenmark angreifende Hemmung erschlafft werden. Die bei der 
Innervation des Rektum beteiligten Nerven sind die Hypogastrici und 
die Erigentes. Zu bemerken ist jedoch, daß bei der Kotentleerung 
auch quergestreifte Körpermuskulatur, nämlich die Bauchpresse, 
ganz reflektorisch in Kontraktion gesetzt wird, und merkwürdig ist, 
daß Tiere, denen die Erigentes und die Hypogastrici durchschnitten 
wurden, deren glatte Muskulatur also gelähmt ist, nach von uns mit 



VI. Du syinpathlBche S7Bt«ni. 



P. Schultz angestellten Versuchen, auch bei leerem Darm infolge 
eines dauernden Kotdratiges ihre Bauchpresse unablässig in Tätigkeit 
setzen. 

Goltz und Ewald haben aber gezeigt, daß zur Herausbeförde- 
ruDg des Kotes aus dem Darm das Rückenmark nicht erforderlich 
ist, sondern daß auch nach Resektion des Rückenmarkes noch eine 
ziemlich geregelte Entleerung des Mastdarms erfolgt. Da das, wie wir 
zeigten, auch nach Exslirpatton der in Frage kommenden Ganglien 
(Plexus hypogastricus und Ganglion mesentericuni inf.) noch der Fall 
ist, so folgt, daß. wie der übrige Darm, so auch das Rectum in seiner 
Wand Apparate trägt, welche auf eine gewisse Anftlllung hin eine 
Abwärtsbewegung des Inhaltes besorgen können. Auch der Sphincter 
ani externus bekommt nach Resektion des Rückenmarkes nach Goltz 
und Ewald wieder einen gewissen Tonus. Er reagiert sogar auf 
kalte Uebergießung der Afterschleim haut noch mit Kontraktion. Das 
ist um so auffallender, als es sich hier um einen quergestreiften 
Muskel handelt^). Goltz und Ewald sind zwar der Meinung, daß 
hier eine Tätigkeit lokaler Ganglienzellen vorliegt, allein bewiesen 
ist das keineswegs. Daß vielmehr auch der Muskel selbst auf ge- 
wisse Reize noch reagieren kann, haben wir am Auge gesehen. Das 
Verhalten des Sphincter externus stellt uns dann auch vor die Frage, 
ob es nicht möglich ist, daß auch quergestreifte Muskeln nach Art 
des sympathischen Systems und von dessen Nerven und Ganglien ver- 
sorgt werden. Sehr dafür spricht die Unwirksamkeit des Curare 
auf diesen Muskel. Beweisende Nikotin versuche nach Langleys Vor- 
schrift liegen noch nicht vor. So sehr merkwürdig wäre eine solche 
Tatsache durchaus nicht, da ja die quergestreiften Muskeln im Darm 
einiger Fische, wahrscheinlich wenigstens, auch vom sympathischen 
System innerviert werden. 

Einen sehr ähnlichen Mechanismus, wie das Reclum, besitzt die 
Blase für ihren Schluß und ihre Entleerung. Zunächst kann sie, wie 
das Rectum, willkürlich entleert werden, ebenso wie sie durch eine 
unwillkürliche tonische Kontraktion des Sphincter gewöhnlich ge- 
schlossen ist. Es ist sichergestellt, daß der eigentliche Blasenver- 
schluß nicht durch quergestreifte, sondern durch glatte Muskulatur 
geleistet wird, und weiter ist es durch Messung des Druckes, welcher 
nötig ist, um diesen Tonus des Sphincter zu überwinden, leicht 
zu beweisen, daß er vom Rückenmark aus erst dem Muskel Übertragen 
wird. Denn nach Durchschneidung der Blasennerven sinkt die GrÖSe 
lies zur Eröffnung erforderlichen manometiisch leicht meßbaren 
Druckes ganz außerordentlich. Dem sclieinen die Angaben jener 
Forscher zu widersprechen, weiche, wie Heidenhain und Colbero, 
auch für den Eröffnungsdruck der toten Blase ganz enorm hohe 
Zahlen angegeben haben. Diese Autoreu haben jedoch weder die 
reizende Wirkung, welche die Kälte, noch die, welche der mit dem 
Tode einsetzende SauerstotTmangel auf den glatten Muskel selbst 
ausübt, berücksichtigt. Untersucht man etwa eine halbe Stunde nach 
dem Tode bei einer Temperatur von 38", so kommt man zu viel ge- 
ringeren Zahlen , beim Hunde bis zu 2 mm Hg herunter. Der 
peripher erzeugte Tonus ist in der normalen, d. h. mit dem Cerebro- 



I 
I 



ea kSnnea. 

A 



BlaseDverschluß. Sphinctertonus. Inkontinenz. 95 



Spinalsystem noch in Verbindung stehenden Blase, wenn er überhaupt 
besteht, verschwindend klein gegenüber dem zentralen Anteil. Dieser 
Behauptung scheint allerdings entgegenzustehen die Tatsache, daß 
eine große Reihe von Blasenstörungen und darunter auch die, welche 
wir auf eine Schädigung des Ursprungs der motorischen Blasennerven 
beziehen müssen, mit einer Harnverhaltung einsetzen. Hier sind 
jedoch wohl immer der Ursprung der blasenverschließenden und -ent- 
leerenden Nerven gleichzeitig betroffen, es fehlt also auch die An- 
spannung des Detrusor, und es ist bekannt, daß, wenn diese vis a 
tergo nicht wirkt, die Blasenwand vielmehr schlaff ist, ein sehr ge- 
ringer Sphinctertonus genügt, um sehr große Mengen Harns (bei sehr 
geringem Innendruck) zurückzuhalten. Ueber die Störung der Blasen- 
funktion, welche eintritt, wenn die Blase von der Cerebrospinalachse 
ganz isoliert ist, ist man sich jedoch keineswegs einig. Früher nahm 
man ziemlich allgemein an, daß die natürliche Folge dessen die para- 
doxe Inkontinenz sei, das heißt, daß die Blase bis zu einem gewissen 
Grade — entsprechend der Höhe des Sphinctertonus — gefüllt würde und 
dann tropfenweise überlaufe. Demgegenüber stehen die Beobachtungen 
von Goltz und Ewald, welche beim rückenmarksverkürzten Hunde 
die Entleerung des Harns in größeren Portionen sahen. Auch für 
den Menschen hat nun L. R. MtJLLER behauptet, daß nach Zerstörung 
der für die Blaseninnervation in Betracht kommenden Rückenmarks- 
teile der Harn nicht tropfenweise, sondern in kleinen Portionen ent- 
leert würde. Das erstere Verhalten wäre durch eine Infektion der 
Harnblase, eine Cystitis, bedingt. Man weiß ja auch, daß durch die 
Stauungen, welche im Gefolge einer Cystitis eintreten, die kontrak- 
tilen Eigenschaften auch der nervös intakten Blasenmuskulatur erheb- 
liche Aenderungen erfahren können. Mit P. Schultz haben wir nun 
im Gegensatz zu den Erfahrungen von Goltz und Ewald nach 
Durchschneidung aller Blasennerven wirkliche Inkontinenz, tropfen- 
weises Ablaufen des Urins bei nur wenig gefüllter Blase, gesehen, 
allerdings auch hier bei einem Tier die in regellosen Zwischenräumen 
erfolgende Ausstoßung größerer Urinmengen neben dem Harnträufeln 
beobachtet ^). Auch beim Menschen findet mindestens nicht immer 
nach entsprechenden Rückenmarksverletzungen noch eine aktive Aus- 
stoßung des Urins aus der Blase statt. Wir haben einen Fall von 
Blasenlähmung durch Erkrankung der Cauda equina gesehen , wo 
auch noch nach Jahren Harnverhaltung bestand, welche zum Harn- 
träufeln führte, wenn der Kranke sich nicht katheterisierte. In einem 
anderen Fall von Hämatomyelie des Rückenmarks bestand ein halbes 
Jahr nach dem Unfall noch keine Spur einer Harnausstoßung durch 
die Blase. Wenn der Patient willkürlich sich bemühte, seine Baucli- 
presse außer Spiel zu lassen, so sammelten sich in der Blase bis 
700 ccm Urin an. Der Widerstand des Sphincter war dabei aber so 
schwach, daß ein Lachen des Patienten, oder schon eine ungeschickte 
Wendung des Kranken im Bett genügte, um kleine Portionen Harn 



1) Durch die unmittelbare Tätigkeit der in unseren Versuchen erhaltenen 
Bauchpresse ist die Differenz gegenüber den Resultaten von Goltz und Ewali» 
nicht ohne weiteres zu erklären. Im Anfang wird dieselbe allerdings, wie schon 
erwähnt, dauernd in Tätigkeit gesetzt, später aber tritt sie außer Wirkung. Mög- 
lich, daß durch die in den ersten Wochen dauernd passive Entleerung der Blase 
durch die Bauchpresse in unseren Versuchen auch für später ihre Tätigkeit ver- 
ändert worden war. 






aus der Blase auszudrücken, und der Patient hatte sich diese Erfahrung I 
zu nutze gemacht, um durch die Bauchpresse in zweckmäßig ge- / 
wählten Zeitabständen die Blase zu entleeren. Auch bei diesem | 
Kranken kam es jedoch vor, daß besonders im Schlafe der Harn un- 
willkürlich und im Strahl entleert wurde. Die Blusenwand selbst ist 
also — das scheint doch wohl sicher zu sein — wohl noch der Kon- 
traktion fähig, zu der der Detrusor in unregelmäßiger Weise wohl 
vor allem durch Steigerung des Innendruckes angeregt werden kann. 
Es scheint auch, als wenn der Sphinctertonus nach dem maximalen 
Abfall gleich nach Durchschneiduug der Blaseunerven eine geringe 
und jetzt periphere Erhöhung wieder erfahrt, wir haben auch fest- 
stellen können, daß dieser periphere Tonus unter dem Einflüsse der 
Dyspnoe — wie der der Augenmuskeln (vergl. S. 85) — gesteigert 
werden kauu. Eine geregelte Blasenentleerung wird jedenfalls nur 
unter Vermittlung des Rückenmarks reflektorisch besorgt. Die in 
Betracht kommenden sympathischen Ganglien leisten ohne Erhaltung 
des Kückenniarkes , wie überall, so auch hier, gar nichts für diel 
Funktion der Peripherie. 

Die geregelte Blase nentleerung besteht aus zwei in goregelteo i 
Intervallen sich wiederholenden Vorgängen, erstens der ErschlatTung des ] 
Spliincter, und zweitens der Kontraktion des Detrusor, mittels welcher I 
der Harn durch den geöffneten Sphiucterring hindurchgetrieben wird. 
Die Blase wird nun innerviert im wesentlichen von zwei Nerven, dem ! 
Erigens, der den Detrusor, und dem Hypogastricus, der den Sphiucter ] 
vesicae innervieren sollte^). Nach der von v. Zeissl aufgestellten j 
Lehre von der gekreuzten Innervation sollte sich der Antagonismus J 
der beiden Muskeln nun dadurch erklären, daß ein jeder Nerv zu ! 
gleicher Zeit den Antagonisten des von ihm innervierten Muskels ] 
beniuit. Der Erigens also sollte dem Sphincter eine in dessen Muskel- J 
Substanz, peripher angreifende Hemmung übermitteln. Es wäre das 1 
also ein Fall einer sogenannten aktiven, direkt auf periphere Organe J 
ausgeübten Hemmung, wie er bis jetzt nur au dem Schließmuskel der " 
Krebsschere mit Sicherheit nachgewiesen ist (vergl. S. 42); in unserem ' 
Falle haben sich die Schlüsse, die v. Zeissl aus seinen Versuchen zog. 
wie das besonders Rehfisoh betont hat, uicht halten lassen. Auch hat 
sich gezeigt, daß nicht einmal eine scharfe Trennung der Innervation 
der beiden Muskeln ^ die Voraussetzung der Beweisbarkeit dw 
V. ZEissLschen Axioms — besteht, sondern daß die Erhaltung eines ] 
Nervenpaares für die normale Regelung der Blasenfunktion genügt. la ■■ 
der Tat wird der Sphinctertonus gehemmt, aber entsprechend der Tat- 
sache, daß er im Rückenmark seinen Ursprung hat, auch durch hier in 
der Cerebrospinalachse angreifende Eindüsse. Derjenige Reiz, der so 
reflektorisch eine Erschlaffung des Sphincters bewirkt, dürfte der 
gleiche sein, welcher nach den Versuchen von DoBoia und Genoü- 
viLLE auch den subjektiv empfundenen Harudrang bedingt, nämlicb 
die Spannung des Detrusor. Die Muskelsubstanz des Detrusor selbst 
muß sensible Nervenendigungen enthalfen, welche durch seine Dehnung 
erregt werden, und nun reflektorisch eine Oeffuung des Sphincter und ■ 
dann Kontraktion des Detrusor veranlassen. Ob etwa 

1) Beim weiblichen Tier kommt noch ein dritter, vietieicht im Plex im pudendus I 

verlautender Nerv hinKU, wie dnraus eradUosBen werden muß. daß nach Durch- \ 

schneiduug 1>eider Erigeute^ und Hypiogastrici die Hüudin noch willkürlieh Ham \ 
Iflsaeii kniin. 




Sphincter und DetruRor. Männliche und weibliche Geschlechtsorgane. 97 

gekehrte Beziehung vom Sphincter zum Detrusor besteht, ist wohl 
noch nicht untersucht. Wie wichtig aber die Sensibilität der Blase 
auch für die willkürliche Entleerung des Harnes ist, zeigen die Blasen- 
storungen bei der Tabes, die ja auf einer Erkrankung der hinteren 
Wurzeln beruht. Ihre leichteste Form besteht darin, daß die Kranken 
im Stande sind, den Urin ganz besonders lange zu halten. Die Er- 
klärung ist leicht. Der normale Reiz führt eben nur zu einer sub- 
normalen Erregung des zentralen Nervensystems. Ob die Harn- 
verhaltung, die bei einer großen Reihe von Tabikern auftritt, direkt 
auf dem Ausfall einer sensiblen Regulierung, oder nur sekundär auf 
einer üeberdehnung der Blasenwand durch die Ansammlung über- 
mäßig reichlichen Inhalts beruht, ist wohl zweifelhaft. TriflFt das 
erstere zu, so würden wir einen sehr wertvollen Hinweis auf das 
Zusammenwirken reflektorischer und willkürlicher Innervation er- 
halten. Denn dann wäre eben der Beweis geliefert, daß ohne die 
Unterstützung durch den Reflex der Mensch gar nicht im- 
stande ist, einen Akt auszuführen, den wir sonst als rein willkürlich 
aufzufassen gewohnt sind. Die gleichfalls bei Tabikern vorkommende 
Inkontinenz, sowie das Nachträufeln von Urin läßt sich leicht durch ein 
Versagen der reflektorischen Regulierung des Sphinctertonus erklären. 
Daß durch Vermittlung der Sensibilität und auf rein reflektori- 
schem Wege das Rückenmark allein im stände ist, die vollkommene 
Entleerung der Blase in regelmäßigen Zwischenräumen zu besorgen, 
beweisen die Fälle von hoher Rückenmarkstrennung beim Tier und 
beim Menschen. Während die Reflexe auf die Körpermuskulatur beim 
Menschen nach diesem Eingrifi" versagten (S. 60), stellt sich die Blasen- 
entleerung immer wieder her, und zwar so, daß ohne jede Inkontinenz 
unwillkürlich große Mengen Harnes einige Mal am Tage im Strahle 
entleert werden. Die nächste Folge der hohen Quertrennung des 
Rückenmarkes ist zwar immer eine Harnverhaltung. In Bezug auf 
diese anfängliche Vernichtung und allmähliche Wiederherstellung stimmt 
der Harnentleerungsreflex mit anderen Reflexen, auch der Skelett- 
muskulatur, überein, und wir können daher hier auf früher Gesagtes 
(S. 50) verweisen. Sein Zentrum liegt beim Menschen im Conus 
terminalis (etwa vom 2. — 4. Sacralsegment). 

Auch die Zuleitung des Harnes zur Blase geschieht unter Mit- 
hilfe des sympathischen Systems, durch die rhythmische Kontraktion 
und Peristaltik der glatten Muskulatur des Ureters. Gerade für dieses 
Organ zuerst hat Engelmann den muskulösen Ursprung der Peri- 
staltik behauptet, während andere in den spärlichen, seither nachge- 
wiesenen Ganglienzellen des Ureters nervöse Zentren der Peristaltik 
sehen wollen. Ueberall sehen wir die gleichen Schwierigkeiten. 

Im Conus terminalis liegt auch das Zentrum für die Erektion 
des Penis, welche bekanntlich nicht nur durch die Dilatation der 
Gefäße der Corpora cavernosa zu stände kommt, sondern auch durch 
die Kontraktion von Muskeln, insbesondere des M. transversus perinaei, 
der den Rückfluß des venösen Blutes aus den beiden dorsalen Corpora 
cavernosa absperrt; etwa in gleicher Höhe befindet sich auch das 
Zentrum für die Ejaculatio seminis. Diese Vorgänge sind, wie 
Goltz gezeigt hat, als Reflexe beim Rückenmarkstier durch mecha- 
nische Reizung der Genitalgegend zu erhalten. Auch beim Menschen 
ist nach hoher Rückenmarkstrennung ähnliches beobachtet worden. 
Zerstörung des Zentrums selbst im Conus terminalis vernichtet natür- 

Lewandowsky, Funktionen d. zentralen Nervensystems. 7 



fe 



lieh diese Reflexe. Immerhin haben wir auch beim Tier nach Durch- ' 
schneiduiig aller zum Penis führenden Nerven noch Andeutungen von 
in unregelmäßigen Abständen eintretender Steifung der Rute gesehen. 
Auch hier also, wie aberall im sympathischen System, eine gewisse 
Selbständigkeit der Peripherie. 

Ganz überwiegend scheint diese auch wieder in den weiblichen 
Genitalien zu herrschen. Auch der Uterus zwar steht mit dem 
Rückenmark durch sympathische Nerven in Verbindung. Goltz hat 
jedoch festgestellt, daß die Geburt auch beim Tier nach RQckenmarks- 
verkürzung vor sich gehen kann. Inwieweit etwa der Mechanismus der 
Geburt sich dann ändert, ist freilich unbekannt. Daß das Rückenmark 
beim normalen Geburtsgescfiäft nicht untätig ist, wissen wir sicher in 
Bezug auf die Beteiligung der Skelettmuskulatur, nämlich der Bauch- 
presse, die auf einem bestimmten Punkte des Geburtaverlaufs ganz 
reflektorisch unter der Form der „Preßwehen" in die Erscheinung tritt. 
Daß eine solche reflektorische Verstärkung der Kontraktion der glatten 
Muskulatur des Uterus selbst statthätte, ist zwar möglich, aber nicht 
bewiesen. Der Uterus beherbergt auch in sich Ganglienzellen, das 
FRATfKENHXcsERSche Ganglion, dessen Zusammenhänge noch nicht 
klar sind. Wir selbst sind, wie überall, so besonders auch hier, von der 
selbständigen Bedeutung dieser Ganglienzellen durchaus nicht überzeugt, 
und geneigt, soweit überhaupt eine funktionelle Selbständigkeit der 
Peripherie, d. i. des sympathischen Orgaus, in Betracht kommt, der 
glatten Muskulatur sehr viel mehr zuzutrauen, als den Ganglienzellen, 
welche vielleicht nur als Schaltstationen für vom Rückenmark aus- 
gehende, mehr oder weniger entbehrliche Erregungen dienen. 

Zu einem ganz besonders schwierigen und nach vielen Richtungen 
hin noch ganz unklaren Gebiete kommen wir nun, wenn wir zur 
Innervation der Gefäße übergehen. Wir können hier natürlich 
diese Lehre weder in ihrer Bedeutung für den Kreislauf behandeln, nodl 
die lokale Verteilung der zu den Blutgefäßen ziehenden Nervenfasern 
darstellen, sondern nur einige für unsere Fragen prinzipiell wichtige 
Tatsachen hervorheben. Die Gefäße sind, wie die meisten Organe 
des sympathischen Bewegungssystems, Hohlorgane. Als solche können 
sie sich verengern und erweitern. Daß die Verengerung der Gefäße 
durch eine Kontraktion der Ringmuskulatur erfolgt, unterliegt keinem 
Zweifel. Ob dagegen die Erweiterung der Gefäße immer auf einer J 
Erschlaffung der Ringmuskulatur beruhe, inwieweit sie vielmehr vodI 
einer Kontraktion der Längsmuskulatur abhängig sei. wird meist garl 
nicht erörtert. Wäre die letztere Möglichkeit gegeben, so könnte 
freilieh auch die Erschlaffung der Längsmuskulatur eine Ursache der 
Verengerung der Gefäße sein. Wir wollen diese Frage nur andeuten 
und nur vom Erfolge der Vasokonstriktion und der der Vasodilatation 
sprechen- Aus physiologischen und klinischen Tatsachen zuerst den 
Schluß auf eine nervöse Regulierung der Gefäße gezogen zu haben, 
ist das Verdienst Benedict Stillings, wenngleich der ungleich 
größere Anteil positiver Arbeit von Gl. Bernard geleistet worden ■ 
ist. Insbesondere hat Cl, Bernard die schon von Stillino posta- J 
lierte Existenz von vasodilatatorischen Nervenfasern bewiesen. In derj 
Tat unterliegt es heute keinem Zweifel mehr, daß durch Nerven-l 
reiznng sowohl Vasokonstriktion als auch Vasodilatation bewirkt werden 
kann, ferner hat Goltz bewiesen, daß nicht nur die Arterien, sondern 
auch die Venen von Nervenfasern versorgt werden, und endlich ist 




Innervation der Gefäße. Medulla oblongata. Kückenmark. Peripherie. 99 



von Steinach und Kahn därgetan, was schon Stilling vermutete, 
daß auch die Kapillaren kontraktionsfähig und von Nerven versorgt 
sind. Es unterliegt auch gar keinem Zweifel, daß durch Reizung 
peripherer Nerven nicht nur Vasokonstriktion, sondern auch Vaso- 
dilatation bewirkt werden kann, daß es, wie Cl. Bernard fand, ferner 
einige Nerven gibt, deren Reizung nur Vasodilatation zur Folge hat, 
wenn auch in den meisten peripheren Nerven Vasokon strikteren und 
Diktatoren gemischt verlaufen. Wenn man nun der allgemeinen An- 
nahme folgt, daß Vasodilatation Erschlaifung der Ringmuskulatur der 
Gefäße sei, so ist klar, daß wir dann den Fall einer sogenannten 
aktiven Hemmung in dieser Beeinflussung der Gefäßmuskulatur ver- 
wirklicht hätten, einer Erschlaifung der Muskulatur durch Nervenreiz 
ohne Dazwischenschaltung der Nervenzellen, deren Vorkommen uns in 
gar keiner Weise in den peripheren Gefäßen erwiesen scheint. Die 
Gegner der muskulären Automatie zwar wollen überall Ganglienzellen 
sehen, aber diese Zellen sehen durchaus anders aus, als sonst irgendwo 
als Ganglienzellen nachgewiesene Zellformen sich darstellen, und niemand 
kann ihre nervöse Natur beweisen. Warum sollte denn auch ein 
Muskel nicht auch durch innere Reize zur Kontraktion gebracht werden 
können, zentrale Eigenschaften entwickeln, da doch auch am Anfang 
der phylogenetischen Reihe reizleitendes und reagierendes Organ noch 
eins waren (S. 6). Es möchte daher beinahe unphysiologisch 
gedacht erscheinen, eine so tiefe Kluft zwischen Nerven- und Muskel- 
zelle aufreißen zu wollen, wie es die Fanatiker der Alleinherrschaft 
des Nervensystems wollen. Wenn wir für gewisse Fälle (S. 86, 96) einen 
peripheren Muskeltonus annehmen mußten, so heißt das doch weiter 
nichts, als daß innere Reize vorhanden sind, welche in loco den Muskel 
zur Kontraktion anregen. Eine Kontraktion ohne Reiz wird niemand 
behaupten, die Reizbarkeit des Muskels durch einen künstlichen, z. B. 
elektrischen Reiz, wird von niemandem bezweifelt, warum also nicht 
den kleinen Schritt zu der Annahme, daß auch im Körper solche Reize 
entstehen und durch den Stoffwechsel im Muskel wirksam werden. 
Wird doch im Körper, von der allgemein wirkenden CO2 ganz ab- 
gesehen, ein Stoff in der Nebenniere bereitet, der eine sehr erhebliche 
Wirkung auf die periphere glatte Muskulatur der Gefäße besitzt. Dann 
aber, wenn wir einen peripheren muskulären Tonus annehmen, wenn 
eine Erregung überhaupt peripher entstehen kann, müssen wir auch 
die Möglichkeit zugeben, daß sie durch eine peripher ansetzende 
Hemmung beseitigt wird, und die Wirklichkeit eines solchen Vorganges 
scheint die Existenz von gefäßerweiternden Nerven zu beweisen. 

Nach Durchschneidung der zuführenden Nerven erschlaffen die 
Gefäße nicht ganz, sie sind auch dann noch erweiterungsfähig, also 
muß wohl schon normalerweise ein geringer peripherer Tonus der 
Gefäßmuskulatur vorhanden sein. Die Tatsache, daß aber allmählich 
die Gefäße wieder enger werden, spricht auch hier dafür, daß der 
Tonus nach der Trennung vom zentralen Nervensystem wieder eine 
Steigerung erfährt (etwa wie der der Augenmuskulatur). Wenn sogar 
berichtet wird, daß nach Sympathicusdurchschneidung das Ohr der 
operierten Seite kälter wird als das der normalen, so erscheinen auch 
paradoxe Erscheinungen, nach dem Muster der am Auge beobachteten, 
nicht ganz ausgeschlossen. Daß auch nach Nervendurchschneidung die 
peripheren Gefäße noch erregbar geblieben sind und auf gewisse Reize 
noch mit Verengerung und Erweiterung antworten, zeigen die lokalen 

7* 



]00 ^I- Dw sympftthieohe Syst^n, 



Veränderungen der Blutfillle unter dem EinHuK von Temperatur- uui 
mechanischen Reizen. Wenigstens nimmt man im allgemeinen an. daS 
diejenigen Veränderungen der Gefaßweite, die zuerst Goltz an ent- 
nervten Extremitäten beobachtete, und die man am Tier und am 
Menschen leicht bestätigen kann, ihre Ursache in direkter mechanischer 
Reizung der Gefäße haben. Aber vielleicht wäre der Gedanke doch 
nicht ganz absurd, daß zwischen der Oberfläche der Haut und den 
darunter liegenden Gefäßen reizleitende, reflexähnliche Erscheinungen 
vermittelnde Struktnren , welche noch nicht den Rang ausgebildeter 
Nervenfasern zu haben brauchen, ausgespannt sind. 

Soviel von der Regulierung in der Peripherie. Das nervosa 
Zentrum, das durch vasokonstriktorische und vasodilatatorische Ein- 
wirkungen beim normalen Tier die Weite der Gefäße beherrscht, liegt 
im verlängerten Mark, and zwar nach Dittmar in der Höhe des 
Facialisaustrittes, wahrscheinlich in der Formatio reticularis >). Der 
Ausdruck seiner Tätigkeit sind die allgemeinen Blutdruckschwan- 
kungen. Für die Differenzierung eines Vasodilatatorenzentrums von 
einem Vasokonstriktorenzentrum liegen keine Beweise vor. Die Tätig- 
keit dieses Vasoniotorenzentrums steht zum großen Teil unter der 
Herrschaft reflektorischer Einflüsse, die wir hier nicht aufzählen 
können. Kann man doch fast von jedem Punkte der Körperober- 
fläche Reflexe auf den Blutdruck vermitteln. Ein besonderes An- 
sehen genießt seit der Entdeckung von Ludwig und Cyon der N. 
depressor, der nach Tschermak und Köster durch Drucksteigerung 
in der Aorta erregt wird. Es ist übrigens behauptet worden, daß 
auch Drucksteigerung in anderen Gefäßen als der Aorta reflektorisch 
den allgemeinen Blutdruck heruntersetze, was ja recht zweckmäßig wäre. 
Nach Durchschneidung des Rückenmarkes sinkt der allgemeine 
Blutdruck außerordentlich, weil das Blut in den kaudal von der Schnitt- 
stelle gelegenen Körperabschnitt, dessen Gefäße erweitert sind, ab- 
strömt, um sich aber nach einiger Zeit wieder herzustellen. Wie 
Goltz gezeigt hat, beruht diese Wiederherstellung zunächst niclil 
auf dem oben besprochenen peripheren Tonus, sondern auf dem 
Inkrafttreten von im Rückenmark selbst gelegenen Zentren, da eini 
nunmehr vorgenommene periphere Nervendurchschneidung die Gef&f 
wiederum erweitert. Wie wir uns das Verhältnis dieser Rückenmarks- 
Zentren zu dem Zentrum in der Medulla oblongata zu denken haben, 
ist im ganzen recht unklar. Heidenhain hat den naheliegenden Ge- 
danken ausgesprochen, daß das Rückenmark lokalen, segmental be- 
grenzten Gefäßreflexen diene, während das Zentrum der allgemeinen 
Reflexe in der Medulla oblongata zu suchen sei. Cyon hat es als 
allgemeines Gesetz aufgestellt, daß bei Reizung eines sensiblen 
Nerven neben der allgemeinen Blutdrucksteigern ng eine lokale Er- 
weiterung in seinem Verbreitungsgebiet auftrete. Von wo aber diese 
lokale Vasodilatation ausgelöst wird, ist nicht für alle Fälle ausgemacht 
Immerhin gibt es solche, wie die Erektion des Penis, die sicher im 
Rückenmark ihr Zentrum haben. Auch ist bekanntlich das Splanchnicos- 
gebiet, die Eingeweide der Bauchhöhle, in hohem Maße unabhängig 
von dem Kontraktionszustand der Übrigen Gefäßbezirke. Bewiesen 
ist auch, wie aus den obigen Ausführungen hervorgeht, daß einzelne 
aus dem Zusammenliang des Ganzen gelöste Teile des Rückenmarkes 

j Vcntrikelgrau durch Reixhoij) isl 



»m ^_ 

m 




Frage der zentrifugalen (antidromen) Leitung in sensiblen Fasern. IQl 

noch eine Vasokonstriktion aufrecht erhalten können. Wie weit aber 
lokal begrenzte Rückenniarksreliexe, insbesondere solche vasokonstrik- 
torischer Art, in der Norm in Betracht kommen, ist eine noch nicht 
genügend erforschte Frage. 

Nach einigen Forschern scheint es, als wenn nur der Teil des 
Rückenmarkes einen Einfluß auf die Gefäß weite und den Blutdruck 
hat, welcher sympathischen Fasern Ursprung gibt 

Das würde mit der bisher allgemein gemachten Annahme stimmem, 
daß die Gefäßnerven sympathischen Ursprungs sind und in ihrem 
Verlauf sich des früher von uns beschriebenen Weges für die sym- 
pathischen Fasern bedienen. Der Ursprung in den vorderen Wurzeln, 
der Weg: Ramus albus, sympathisches Ganglion— Ramus griseus — 
Sympathicus — Spinalnerv ist denn auch für alle Vasokonstriktoren 
und für eine große Reihe von Vasodilatatoren, z. B. die des Penis, 
unzweifelhaft nachgewiesen. Schon früher hatten wir jedoch bemerkt, 
daß nach Stricker die Vasodilatatoren durch die hinteren W^urzeln 
verlaufen sollten. Niemand zweifelte bisher daran, daß, wenn diese 
Tatsache sich bestätigte, es sich in diesen vasodilatatorischen Fasern 
nur um sympathische, den sensiblen Fasern der hinteren Wurzeln 
nur beigemischte Fasern handeln könne. Aufsehen erregten daher 
die Arbeiten von Bayliss, in denen nachzuweisen versucht wird, daß 
die Vasodilatation zentrifugal geleitet wird durch dieselben Fasern, 
welche zentripetal die Empfindung leiten. Würde ja doch damit 
nicht nur eine scheinbare, sondern eine wirkliche Ausnahme vom 
BELLschen Gesetz statuiert sein, nach dem zentripetale und zentri- 
fugale Impulse immer auf verschiedenen Wegen geleitet würden. Der 
Umstand, daß Gotch und Horsley bei Reizung einer hinteren 
Wurzel an anderen hinteren Wurzeln eine negative Schwankung, also 
das Zeichen einer Nervenerregung sahen, könnte in beiderlei Sinn 
gedeutet werden, aber schon die objektive Tatsache findet in Ver- 
suchen Hermanns keine "Stütze und konnte auch von Herrn Nicolai, 
wie er mir mitteilte, nicht bestätigt werden. Nun hat Bayliss 
pletysmographisch die Volumschwankungen der Hinterpfote des Hundes 
untersucht, und hat nach Reizung der 6. und 7. Lumbal- und 
der 1. Sacralwurzel Erweiterung der Gefäße der Haut und des 
Muskels bekommen. Aus dem Umstände, daß er den gleichen Erfolg 
auch noch 10 Tage nach Durchschneidung der hinteren Wurzel be- 
kam, wenn also etwaige zentrifugale Fasern degeneriert sein mußten, 
schließt er, daß der vasodilatatorische Effekt der Reizung bedingt sei 
durch die zentrifugale Erregung der sensiblen Fasern, die im Ganglion 
spinale ihr trophisches Zentrum haben. Ob Fehlerquellen bei diesen 
Versuchen ganz ausgeschlossen sind, kann erst eine Nachprüfung der- 
selben lehren. Wir sind nicht ganz überzeugt, daß nicht doch eine 
Reizung des Ramus griseus sympathicus, der nach Langleys Ab- 
bildungen bis dicht an das Spinalganglion herankommt, sowohl bei 
der elektrischen als auch der von Bayliss besonders betonten 
mechanischen Reizung in Betracht kommt. Daß von den entsprechen- 
den vorderen Wurzeln kein vasodilatatorischer Effekt ausgelöst werden 
konnte, ist kein Beweis dagegen, weil die Art der durch solche 
Reizungen zu erhaltenden Gefäßreaktionen außerordentlich schwankt. 
Eins müßte jedenfalls gefordert werden, daß nämlich zunächst einmal 
das Faktum für alle sensiblen Wurzeln festgestellt würde. Dann 
würde die Frage entstehen, wie ist es möglich, daß die zentrifugale 



102 ^'I- l*»* Hj-mpatbische Syatem. 

Erregung sicherlich zentripetal leitender Fasern auf Endorgane moto- ' 
rischer Apparate wirkt. Daß eine Faser zwei Eudorgane hat, glauben 
wir nicht. Wenn aber, wie wir es schon oben als möglich ausführten, 
periphere Verbindungen zwischen sensiblem Apparat der Haut und 
den darunterliegenden Gefäßen bestehen, so wäre es sehr wobl mög- 
lich, daß von der hinleren Wurzel aus die Erregung die sensiblen 
Nervenendigungen erreicht. Denn das Ganglion spinale setzt ihr, wie 
wir wissen, in keiner Richtung eiuen Widerstand entgegen. Ist ein- 
mal die sensible Nervenendigung erregt, so würden sich dann aus 
ihrer Erregung die gleichen vasomotorischen Folgen ergeben . als 
wenn sie durch mechanische Erregung der Haut gereizt worden wäre. 
Liegt die Sache so, so ist natürlich der BAVLisssche Versuch sehr 
bemerkenswert, aber es müßte dann eben der Beweis erbracht werden, 
daß solche zentrifugalen (antidromen) Erregungen auch normalerweise 
passieren, nicht nur bei künstlicher Reizung nach Freilegung der 
hinteren Wurzeln veranlaßt werden können. Dieser Beweis ist. wenn 
man auch alles andere zugeben würde, von Bayliss nicht erbracht 
worden. Er könnte nur erbracht werden durch den Nachweis sicher 
lokaler und sicher reflektorisch bedingter Schwankungen der Gefäß- 
weite nach Durchschneidung aller zu einem bestimmten Körpergebiet 
führenden vorderen Wurzeln. Ist aber die BAYLisssche Deutung seiner 
Versuche auch nur als künstlicher antidromer Nervenerregung 
richtig, so wäre nichts dagegen einzuwenden, daß man einige Er- 
scheinungen der Herpes zoster, der Gürtelrose, die ja nach BXrek- 
SPRUNO, Head und Campbell auf einer Entzündung des Spinal- 
ganglion beruht, durch eine solche antidrome Erregung zu erklären 
versucht (vergl. aber Ö. 110). Die künstliche antidrome Erregung 
aber braucht, wie oben gezeigt, noch nicht als dem BELLSchen Gesetz 
widersprechend angesehen zu werden. Wir sind überzeugt , daß , 
physiologischerweise ein Nervenweg niemals für zwei entgegengesetzt-J 
verlaufende Erregungen benutzt wird. ' I 

Kurz nur hätten wir nun noch die Innervation der Drüsen* 
zu erwähnen, die ja auch dem sympathischen System angehören. Es 
war schon erwähnt worden, daß auch sie von der Cerebrospinalachse aus 
zu beeinflussen sind. Nach Lanoley ist. wie auf dem Wege zu den 
glatten Muskeln, auch hier ein Ganglion eingeschaltet. Die territoriale 
Versorgung der Hautdrüsen folgt der der Gefäße und glatten Muskeln 
der Haut. Dementsprechend ist der Scliweißnerv des Gesichtes der 
Sympathicus. Inwieweit lokale Schweißzentren, die etwa unter dem 
Einfluß von Temperaturreizen reflektorisch zu beeinflussen sind, im 
Rückenmark anzunehmen sind, ist wohl noch nicht genügend unter- 
sucht. Der Angstschweiß ist jedenfalls ein Beweis dafür, daß auch 
für die Schweißsekretton psychische Einwirkungen in Frage kommen. 
Inwieweit den Schweißdrüsen, wie den glatten Muskeln, eine funk- 
tionelle periphere Selbständigkeit zukomme, ist wohl noch nicht ganz 
klargestellt. Daß die Schweißdrüßen beim Tier auch nach Sym- 
pathien sdurchschneidung noch in Tätigkeit geraten können, ist schon 
von Dcpur gezeigt worden, und auch das Pilokarpin wirkt sicherlich 
auf die Peripherie. 

Von den Speicheldrüsen wissen wir seit den UntersuchungeD 
Cl, Bernards, daß sie auch nach Durchschneidung ihrer NerveaJ 
unaufhörlich fortfahren zu secerniereu (paralytische Sekretion), 
jedenfalls für die Entwicklung einer eigenen peripheren Erregbarkeit 




Innervation der Drüsen. Bedeutung der Ganglien. Axonreflexe. 103 

analog der der Muskeln ins Feld geführt werden kann. Die doppelte 
Versorgung der Speicheldrüsen mit Nervenfasern einerseits aus dem 
Sympaäicus, andererseits aus der Chorda tympani, führt zu einer Reihe 
von Problemen der Drüsenphysioiogie , die wir hier nicht verfolgen 
können. Die psychische Speichelsekretion war bereits erwähnt worden. 
Eine direkte reflektorische Speichelsekretion durch Einbringung ge- 
wisser chemischer Substanzen in die Mundhöhle läßt sich leicht nach- 
weisen. Ihr Zentrum dürfte in der Medulla oblongata gelegen sein. 

Von Pawlow rührt ferner die Vorstellung her, daß auch weiter- 
hin im Verdauungskanal die Absonderung der Säfte unter der Ein- 
wirkung chemischer Reflexe stände, daß z. B. Säure, welche in das 
Duodenum überträte, zur reichlichen Absonderung von Pankreassaft 
führe, und daß auch die Zusammensetzung der Verdauungssekrete in 
nicht geringem Maße reflektorisch beeinflußt würde durch den chemischen 
Reiz der Zusammensetzung der Nahrung. Gegen diese Auffassung ist 
jedoch eine andere geltend gemacht worden, nach der jene in jedem 
Einzelfall zweckmäßige Zusammensetzung der Verdauungssekrete durch 
die Aufnahme gewisser Stofl'e ins Blut, und dann durch deren direkte 
Wirkung auf die Drüsenzellen ins Werk gesetzt würde. Im all- 
gemeinen wissen wir über die nervöse Versorgung der Drüsen des 
Verdauungskanals und der Bauchhöhle recht wenig. Wir wissen 
vom MEissNERschen Plexus, der doch wohl mit der Sekretion der 
Darmdrüsen in irgend einem Zusammenhang steht, noch weniger, als 
von dem AuERBACHschen und dessen Beziehungen zur glatten 
Muskulatur. Im Falle der Niere sind bisher überhaupt noch keine 
eigentlichen sekretorischen Nerven nachgewiesen worden, d. h. Nerven, 
deren Wirkung sich nicht allein durch vasomotorische Einflüsse er- 
klären ließe, und so harrt hier noch ein weites Feld der Bearbeitung. 

Von der reflektorischen Beeinflussung der Organe des sym- 
pathischen Systems haben wir in den Einzelfällen bereits gesprochen. 
Soweit sie von der W^and dieser Organe, wie etwa der Blase, selbst 
ausgelöst wird, geschieht sie durch sensible Fasern, welche sich in 
der W^and der Organe verzweigen, und welche zur Cerebrospinalachse 
auf dem Wege der spinalen Nerven über die Spinalganglien verlaufen. 

Die sympathischen Ganglien scheinen keine Reflexzentren dar- 
zustellen. Zwar fand Sokownin, daß Reizung des zentralen Endes 
des Hypogastricus Kontraktion der Blase auf der entgegengesetzten 
Seite mache und Langley und Anderson haben eine Reihe moto- 
rischer Erscheinungen bei, der physiologischen Innervatiousrichtung 
entgegengesetzter , Reizung sympathischer postganglionärer Nerven 
auch nach völliger Isolierung der sympathischen Ganglien von der 
Cerebrospinalachse beschrieben ^). Aber sie fanden gleichzeitig, daß 
diese Reflexe ausbleiben, wenn den präganglionären Fasern nach 
ihrer Durchschneidung Zeit zur Degeneration gegeben wird. Es kann 
sich also kaum um etwas anderes handeln, als um ein Umkehren der 
künstlich gesetzten Erregung in der präganglionären Faser wieder 
zur Peripherie, und das läßt sich mit der LANOLEYschen Aufstellung 
in Zusammenhang bringen, nach der die präganglionären Fasern sich 
teilen, und ihre Teiläste zu mehreren Ganglien abgeben können. Auf 
dem einen Teil wandere nun die künstlich gesetzte Erregung cerebro- 

1) Die älteste der hierher gehörigen Erscheinungen ist die von Cl. Brrnard 
beechriebene Sekretion der Submaxillardrüse bei Reizung des Lingualis nach dessen 
Dnrchschneidung zentral vom Abgange der Chorda tynapani. 



epin&lwärts und kehre auf dem anderen wieder um , wie bei dem 
KCHNESchen Zweizipfelversuch am M. sartorius des Frosches. Lanoley 
nennt daher diese Erscheinungen: Präganglionäre Axonrefiexe. da sie 
sich in dem eft'erenten Axon abspielen. Daß solche aber unter natür- 
lichen Bedingungen vorkommen, ist wohl auszuschließen, Es sind 
„Pseudoreflexe". Demnach haben wir auch hier kein Substrat für', 
eine zentrale Funktion der sympathischen Ganglie 
gefunden. Bemerkenswert ist aber, daß wir aus diesem Versuch 
sehen, daß die Leitung in den Fibrillen der Nerven wenigstens fflr 
unsere groben künstlichen Reize keine absolut isolierte ist, denn sonst 
könnte die Erregung ja nicht in der Nervenfaser wieder umkehren. 

Schließlich haben wir noch kurz einen Blick zu werfen auf die 
Art, wie uns in den Grenzen des sympathischen Systems entstehende 
sensible Reize zum Bewußtsein kommen. Dabei können wir erstens 
nachweisen, daß der größte Teil der Schleimhäute und der Drüsen — 
mit Ausnahme einiger Strecken, die der äußeren Haut benachbart 
sind (Mund-, Anal-, Conjunctivalschleimhaut u. a.) vollständig un- 
empfindlich sind. Das Einstechen des Messers in die Leber oder die 
Berührung der Darnischleimhaut wird nicht gefühlt. Wir wissen 
ferner, daß uns der normale Ablauf der im sympathischen S3stein. 
sich abspielenden Bewegungsvorgänge nur in einzelnen Fällen, im all- 
gemeinen aber überhaupt keine Empfindungen vermittelt. Aber' 
andererseits wissen wir auch, daß fast von jedem Abschnitt des sym- 
pathischen motorischen Apparats uns unter gewissen Bedingungen 
eigenartige und unter Umständen schmerzhafte und vielleicht die un- 
angenehmsten Empfindungen übermittelt werden können , die wir 
überhaupt kennen. Wo entstehen diese Sensationen? Diese Frage 
ist zum Beispiel für die Bauchschmerzen, die doch sicher mit ab- 
normen Zuständen des Darms in Zusammenhang stehen, bisher nicht 
unzweifelhaft beantwortet worden. Den» nicht nur die Schleimhaut 
des Darmes, sondern auch das viscerale Blatt des Peritoneums ist, 
wie Lennänder sicher festgestellt hat, völlig ohne Empfindung, 
Unter diesen Umständen scheint uns am wahrscheinlichsten, und das 
ist eine Ansicht, sich auch bei Nothnagel angedeutet findet, den 
Sitz jener Schmerzen in die Muskulatur zu verlegen ')■ Von der 
Bedeutung, welche die Sensibilität der quergestreiften Skelett muskulatur 
hat, werden wir später noch zu sprechen haben. Auch dieser werden 
wir uns bewußt ja nur in pathologischen Zuständen, nach heftigen 
Anstrengungen durch eigentümliche Spannungsgefühle, und insbe' 
sondere bei KraTnpfzuständen, wie dem bekannten Wadenkrampt 
Nichts anderes scheint mir auch der gewöhnliche Bauchschmerz zu 
sein als die Empfindung eines solchen Krampfes in der glatten Darm- 

1) Leniiakdek tvill &lle vom Bauch auegehenden Schmerzen nur auf Bdzimg 
des parietalen Peritoneal blatte«, inebexondere auf deeeen VerKcliiebung auf seiner 
Unterlage zurückführen. Daß scheint une auch dadurch nicht erwiesen, daß er 
einige Male den freigelegten Dorm am wachen Kranken durch elektrische Btröme 
Jiur Kontraktion brachte, ohne daa dieser Schmerzen empfand. Nicht jede Kon- 
traktion der Darmmuekulatur braucht ja Schmerzen tu machen ebensowenig, wie 
jede Kontraktion eines quergestreiften Muskels. Ganz unhaltbar erscheint uns der 
von Lknkandek allgenido aus^prochene Satz, daß die vom iSvmpathicus ver- 
sorgten Organe eigener Seonibilitat entbehrten. Nur braucht nicht jede Kontraktion 
glatter Muskeln auch gleich ik^iiierzcn eu machen. So macht gctröhnlich der durch 
Eserin (PhyMMtygmin) bewirkte AccommodationHkranipf noch keine Schmerzen. Sehr 
lebhafte Suimerzen treten aber gewöhnlich ein, wenn man verüurJit, das eseriiiisierte 
Auge noch weiter zu accommotliercn. 



I 
I 
1 
I 





Sensibilität des glatten Muskels. 105 



muskulatur. Die Skala der Empfindlichkeit der glatten Muskulatur 
scheint uns nicht einmal viel geringer zu sein als die der quer- 
gestreiften. Klagen über unbehagliche Spannungsgefühle im Bauch 
sind etwas sehr Gewöhnliches. 

Es will uns scheinen, als ob diese Sensibilität des glatten 
Muskels eine ihm sehr allgemein zukommende Eigenschaft sei. Bei 
Besprechung der Blaseninnervation hatten wir auch bereits den Harn- 
drang auf eine Spannung oder eine Kontraktion des Detrusor zurück- 
geführt, dieselbe, die beim Rückenmarkstier reflektorisch die Entleerung 
des Harnes veranlaßte. Für die Kotentleerng ist wohl etwas ähnliches 
anzunehmen. Die Schmerzhaftigkeit der Wehen möchten wir nicht 
etwa aus Zerrungen des Peritoneum oder dergleichen, sondern aus der 
Sensibilität des Uterus selber erklären. W. A. Nagel hat den eigen- 
tümlichen Blendungsschmerz bei greller Beleuchtung auf die 
Kontraktion der glatten Augenmuskulatur zurückgeführt. Seiner 
Hypothese kommt zu gute, daß nach Trigeminusresektion F. Krause 
diesen Blendungsschmerz hat fehlen sehen. Es ist sehr viel wahr- 
scheinlicher, als eine Innervation der Retina durch den Trigeminus 
anzunehmen, den Sphincter iridis mit sensiblen Trigeminusfasern aus- 
zustatten. Wir wissen nicht, ob sich schon einmal jemand Gedanken 
darüber gemacht hat, woher das eigentümliche Gefühl der Gänsehaut 
komme. Vielleicht durch die Sensibilität der glatten Arrectores pilorum. 
Ob das unerträgliche beängstigende Gefühl beim Asthma bronchiale 
der Empfindung von der Kontraktion der kleinen Bronchialmuskeln 
zuzuschreiben sei, mag die Frage sein. Nicht aber kann es zweifel- 
haft sein, daß abnorme Zustände des Herzens und seiner Gefäße zu 
Beklemmungen und heftigen Schmerzen führen, welche keinen anderen 
Grund haben können, als die Kontraktion, insbesondere der Gefäße 
des Herzens, aber wahrscheinlich auch des Herzens selber. Aber 
auch die Sensibilität der anderen Körpergefäße soll man nicht unter- 
schätzen. Wir sind überzeugt, daß die eigentümlichen Empfindungen, die 
von Kranken, welche an — wahrscheinlich mit Unrecht^) — sogenannten 
vasomotorischen „Neurosen" leiden, angegeben werden, ihren Ursprung 
haben in der Wand der Blutgefäße. Auch beim Gefühl des „Ein- 
schlafens'* der Extremitäten mögen diese beteiligt sein. Vor allem 
scheinen aber mindestens gewisse Formen von Kopfschmerz auf den 
durch abnorme Kontraktionszustände bedingten, von den endokraniellen 
und endocerebralen Gefäßen ausgehenden Sensationen zu beruhen. Daß 
die Migräne irgend etwas mit dem Spannungszustand der Gehirngefäße 
zu tun habe, wird ja allgemein angenommen. Daß der Kopfschmerz 
von Zuständen im Gebiet des cerebralen Kreislaufs abhängig sei, 
wurde auch bereits von Wiechowski gefolgert auf Grund der Be- 
obachtung, daß die Antineuralgica ganz besonders die Zirkulation im 
Gebiete des Gehirns, viel weniger die in anderen Gefäßgebieten, be- 
einflussen. Wir glauben daher, daß die Organempfindungen im Gebiet 
des sympathischen Systems mindestens zum großen Teil auf Muskel- 
sensibilität zurückzuführen sind, wie diese Empfindungen dann nach 
außen projiziert werden, ist eine Frage, die uns in einem anderen 
Zusammenhange später beschäftigen wird. 

1) Weil die primäre Ursache durchaus nicht im Nervensystem zu liegen braucht. 




Es ist Zeit, nach der Besprechung der vom Rückenmark aus- 
gehenden motorischen und der zu ihm geleiteten sensiblen Impulse 
einer angeblichen dritten Funktion des Nervensystems — wir be- 
schränken uns hier wieder nicht auf das Rückenmark allein - zu 
gedenken, nämlich der trophlschen. Darunter wird verstanden ein Ein- 
fluß des Nervensystems auf die Ernährung der Gewebe, welcher durcli 
etwaige Aenderungen der vasomotorischen Bedingungen nicht 
erklärt werden kann. Daß eine so enorme Störung des Blutzuflusses 
zu den Extremitätenenden, wie sie z. B. bei der bekannten Raynadd- 
schen Krankheit stattfindet, zu einer Nekrose des Gewebes führen 
kann, ist also kein Zeichen eines trophischen Nerveneinflusses, selbst 
wenn man annehmen wollte, daß die lokale Störung der Blutversor- 
gung bei dieser Krankheit Folge einer Nerven affektiou wäre. Die 
nächste Ursache wäre auch dann keine andere als eben die Unwegsam- 
keit der Geföße, und die Nekrose der RAYNAUDschen Krankheit daher 
ursächlich nicht anders zu beurteilen, als etwa die Gangrän bei syphili- 
tischer Endarteriitis obliterans. Es unterliegt jedoch keinem Zweifel. 
das die hier überhaupt in Betracht kommenden sogenannten trophischen 
Störungen im allgememen durch eine solche Störung der ßlulver- 
sorgung nicht zu erklären sind. Man hat freilich nicht nur der „neuro- 
konstriktorischen Anämie", sondern auch der .,neuroparalytischen Hyper- 
ämie" einen vermittelnden Einfluß für die Schädigung der Gewebe 
zuschreiben wollen (Schiff). Daß eine solche Hyperämie, wo sie 
eintritt, vielleicht manchmal die Verletzlichkeit der Gewebe begünstigt, 
kann nicht ganz bestritten werden. Es sei aber doch bemerkt, daß 
die erhöhte Blutdurchströmung der Gewebe in anderen Fällen min- 
destens den entgegengesetzten Effekt haben kann. So wachsen beim 
Kaninchen die epilierten Haare schneller wieder auf der Seite, wo 
der Sympathicus durchschnitten wurde. Im weiteren Sinne freilich 
würden trophische Störungen, welche durch Aenderungen der Blut- 
versorgung infolge Steigerung oder Verminderung nervöser Einflüsse 
eintreten — und schließlich bedeutet doch jede Aenderung der Blut- 
zufuhr eine Aenderung der Ernährung — auf trophische Funktionen 
<ies Nervensystems zurückzuführen sein. 

DerEinfluß der Vasomotoren bedeutet einen Spezialfall aus 
einer Gruppe von Fällen, wo sich trophische Störungen nur mittel^ 
bar auf eine nervöse Funktion zurückführen lassen. Mit der .' 





Mittelbare trophische Einflösse durch Schädigung der Zirkulation. 107 

erkennung einer echten trophischen Funktion war man früher sehr 
freigebig. Wir erinnern daran, daß das Othämatom, die Ohrge- 
schwulst der Paralytiker und anderer Geisteskranker, fast allgemein 
auf den Ausfall trophischer Funktionen zurückgeführt wurde, bis es 
endlich — und durchaus nicht ohne Widerstand — Gudden gelang, 
die Mißhandlung der Kranken durch das Wartepersonal als die Ur- 
sache der trophischen Veränderung nachzuweisen. 

Nun aber sehen wir bei einer Reihe von Nervenkrankheiten in der 
Tat eigentümliche Ernährungserscheinungen, insbesondere der epithe- 
lialen Decke, auftreten, die sogenannten Decubitalgeschwüre. 
zuerst flache Substanzverluste in der Epidermis, die sich dann eiterig 
belegen und oft mit rapider Schnelligkeit weit in die Tiefe greifen. 
Zweierlei ist jedoch dabei zu betonen, erstens daß diese Art der 
Schädigung durchaus nicht nur nervösen Erkrankungen eigen ist, 
sondern auch bei Kachexien und schweren Allgemeinerkrankungen, 
wie etwa dem Typhus, vorkommt. Zweitens bilden sich die Ge- 
schwüre immer an Stellen, welche einem Druck ausgesetzt sind, vor 
allem am Kreuzbein und an der Ferse, und schon das beweist, daß 
hier lokale Schädlichkeiten mitwirken, daß die nervöse Schädigung 
nicht genügt, um die Geschwürsbildung zu bewirken, wie man denn 
heute auch an eine geordnete Krankenpflege die Anforderung stellt, 
solchen Decubitus zu verhindern, und wie Goltz auch experimentell 
gezeigt hat, daß solche Schädigungen der Haut selbst nach Resektion 
fast des ganzen Rückenmarks zu verhindern sind. Unbedingt muß 
aber zugegeben werden, daß die Disposition zur Entstehung solcher 
Geschwüre und die Rapidität, mit der sie sich verbreiten, sowie die 
Schwierigkeit ihrer Heilung bei Erkrankungen des Nervensystems sehr 
viel größer ist, als sonst, und zwar insbesondere in der ersten Zeit 
nach der nervösen Erkrankung, z. B. nach dem Einsetzen einer Quer- 
schnittsmyelitis. Denn nicht nur Erkrankungen der peripheren Nerven 
und Wurzeln, wie bei der Tabes, bedeuten eine Gefahr für die Gewebe, 
sondern eben bemerkenswerterweise auch eine Quertrennung des 
Rückenmarks bei Integrität des ganzen reflektorischen Weges. Wollte 
man also für die uns hier beschäftigenden Dinge auf dem Nervenwege 
geleitete trophische Einflüsse verantwortlich machen, so müßte man 
ihren Sitz schon oberhalb des Rückenmarkes in den Hirnstamm oder 
das Großhirn verlegen. 

In der Tat sehen wir auch bei infantilen Cerebral- ebenso wie 
Spinallähmungen ganz auffälliges Zurückbleiben im Wachstum 
der gelähmten Seite. Aber für die Muskeln werden wir sogleich einen 
trophischen Einfluß zuzugeben haben und die Verminderung des 
Knochenwachstums dürfte doch mindestens zum größten Teile 
von der schwachen Entwickelung der Muskulatur abhängig sein. 

Steht jedoch objektiv eine Beziehung der Störungen der 
Hauternährung (Decubitus und Mal perforant) und der Wachstums- 
störungen zu Erkrankungen des Nervensystems außer Zweifel, so geht 
es nun nicht an, alle möglichen Wachstums- und Ernährungsstörungen 
als nervös bedingt darum aufzufassen, weil wir keine andere Erklärungs- 
weise dafür kennen. Das gilt vor allem auch für die sogenannte 
Hemiatrophia faciei des Menschen, die in einem mehr oder weniger 
hochgradigen Schwund aller Gewebe, vor allem auch der Haut und 
des Knochens einer Gesichtsseite besteht. Weil das Nervensystem 
bilateral angelegt ist, braucht doch nicht jede einseitige Störung durch 



ia<? 



VII. Trophiscbe Funktionen des NerTensyatema. 



(las Nervensystem vermiltelt sein. Das Nerveusystein ist doch schüeH- 
lieh mir bilateral, weil der Körper bilateral ist. , 

Auch die experimentelle Physiologie hat sich bemüht, die Frage 
nach der Existenz trophischer Nerveneinflüsse aufzuklären. Hier ist die 
Pneumonie napli doppelseitiger Vagusdurchschneidung 
längst als eine fichluckpneumonie aufgeklärt worden. Die fettige 
Entartung des Herzmuskels nach derselben Operation (Eich- 
horst) Iteruht auf mangelhafter Ernährung und Dyspnoe. Die 
Schädigungen nach RUckenniarksoperationen sind im ganzen älinlich 
wie beim Menschen. Vor allem aber haben die Folgen derTrige- 
minus ilurchschneidung Anlaß zu langen Diskussionen gegeben, 
seitdem Magendie die dieser Operation folgende Hornhauteut- 
zOndung beschrieb. Es ist jedoch festgestellt, daß diese im wesent- 
lichen nur dem Umstände zuzuschreiben ist, daß das unempfindliche 
Auge Traumen und der mit diesen verbundenen Infektion viel mehr 
ausgesetzt ist. als das normale. Mau braucht nur das Auge durch einen 
Verband und entsprechende Pflege vor solchen Schädlichkeiten zu 
schützen, so bleibt auch die Keratitis aus. Das hat sich vor allem 
auch bei den durch F. Krause h. A. vorgenommenen Exstirpationea 
der Ganglion Gasseri zum Zwecke der Bekämpfung einer Trigeniinus- 
neuralgie beim Menschen gezeigt. Nur wenn einmal eine solche Infektion 
eingetreten ist, so scheint auch hier, wie Krause bemerkt, die Heilung 
längere Zeit zu beanspruchen, als normal. Das würde also dem fOr 
die Haut Gesagten entsprechen. Dia beim Kaninchen nach Trigeminus- 
durchschneidung beobachteten Geschwürsbild ungen der Mund 
Schleimhaut beruhen sicherlich nur auf der Anästhesie der Schleim- 
haut. Man kann ähnliches schon durch bloße Cocaiiiisierung der Mund- 
schleimhaut erreichen. Auch die Exstirpation der Spinalganglien, 
von denen Joseph eine trophische Funktion behauptete, hat trophische 
Störungen nicht regelmäßig zur Folge, und wo solche eintreten«, 
beruhen auch sie auf der Unempfindlichkeit der betreffenden Haut* 
steilen. Angesichts der Untersuchungen von Behrend und eigenei 
Erfahrungen können uns die Ausfilhrungen von Köster, weicht 
neben diesem Moment der Anästhesie noch eine trophische Einwirkunff] 
anzunehmen geneigt ist, nicht überzeugen. 

Inwieweit die bei der Tabes, welche ja auf einer Erkrankung (h 
hinteren Wurzeln beruht , häufig vorkommenden Gelenk- und] 
Knochenerkrankungenauf einer — sicher vorhandenen — Störung ; 
der Sensibilität dieser Teile, inwieweit auf Irophischen Ausfällen, in- 
wieweit vielleicht auch auf einer lokalen Beteiligung der nicht nervösen 
Gewebe an dem der Tabes zu Grunde liegenden metasyphilitischen 
Krankheitsprozeß beruhen, muß dahingestellt bleiben- Zum Beweise 
eines trophischen Einflusses des Nervensystems sind diese tabischea 
ebenso wie trophische Störungen bei Syringomyelie und anderen Krank-, 
heilen jedenfalls nicht mit Sicherheit zu verwenden. ] 

In einer ganz unbestrittenen Abhängigkeit vom Nervensystem 
steht jedoch der Bestand eines Gewebes, des quergestreiften 
Mnsliels, Während der glatte Muskel entsprechend seiner peri- 
pheren Selbständigkeit auch in der Aufrechterhaltung seiner Erreg- 
barkeit und seines histologischen Baues von der Verbindung mit lier 
Cerebrospinalachse und den Ganglien unabhängig ist. gröbere Slf 
rungen wenigstens hier noch nie bemerkt worden sind, zeigt der quep 
gestreifte Muskel nach Durchschneidung seiner Nerven schon nat" 



I 
1 




Haut. Cornea. KnMhen. Muskel. InattiTitEl. 



109 



wenigen Tagen zunächst diejenigen Störungen der Erregbarkeit, welche 
wir seit Erb als Enlartungsreaktion bezeichnen. Sie beslolieii in 
einem Vorwiegen der Anodenschließungszuckung vor der Kathoden- 
EchlieBungszucknng, der langsamen Fort 
Pflanzung der Erregung (wurm form ige 
Kontraktion), der Unbilligkeit des Mus- 
kels in einen Tetanus zu verfallen, das 
heißt, Einzelerregungen zu summieren '), 
so wie überhaupt einer quantitativen 
Herabsetzung der Erregbarkeit auch 
fflr Einzelreize. Die Aufklärung dieser 
Erscheinungen bleibt der allgemeinen 
Nervenphysiologie (iberlassen. Jeden- 
falls sind sie der Ausdruck einer De- 
generation des Muskels, einer Entartung 
seiner Fasern, welche bis zum völligen 
Verschwinden derselben, bis zur Bil- 
dung dfinner, bindegewebiger Strängt' 
an Stelle der Muskeln fortschreiten kaiui- 
Hier bandelt es sich in der Tat um 
Irophische Funktionen der Nerven im 
eigentlichen Sinne. Zwar interessier' 
auch hier wieder ein anderes indirekte^ 
Moment, die Inaktivität des Muskeln. 
Daß diese einerseits die Atrophie des 
Muskels befördert, andererseits aber zur 
Erklärung der Entartung nicht genügt, 
zeigt der Vergleich mit dem Zustande 
der Muskulatur der unteren Extremiiäc 
nach hoher RUckenmarksdurchschnci- 
dung beim Menschen. Auch hier sind 
die Muskeln völlig schlaff und untätig, 
antworten auch nicht mehr in merk- 
licher Weise auf reflektorische Reize. 
Dementsprechend werden sie sehr er- 
heblich atrophisch. Auch vermindert 
sich ihre elektrische Erregbarkeit in 
sehr hohem Grade. Aber weder tritt 
Entartungsreaktion noch auch völliger 
Schwund der Muskulatur ein. Der Zu- 
sammenhang der Muskulatur mit dem 
Rückenmark bewahrt sie also vor den) 
volligen Untergang und das kann man 
eben nicht anders als durch die An- 
nahme trophischer EinHflsse erklären 
und zum Ausdruck bringen. 

Die Frage nach dem Vorhandensein trophischer Einflüsse wurde 
stillschweigend bisher von uns nur von dem Gesichtspunkt aus geprüft, 
inwieweit der Fortfall gewisser nervöser Einflüsse den Resland 
oder die Ernährung der Gewebe schädige. Nun aber hat man auch 




K nach infantiler Poliomjetitiit 



110 



VII. TrophiMhe Funktiooen des NervenBycteme. 



fe 



behaupten wollen, daß unter dem Einfluß von nervösen Reizen 
Schädigungen der Gewebe auftreten. So ist eine Atrophie durch 
einen reflektorisch übermittelten Reiz angenommen worden für die 
Atrophie gewisser Muskeln bei Gelenkerkrankungen, So soll die 
Atrophie des Quadriceps bei KniegelenkentzQndung bedingt sein durch 
dem Muskel reflektorisch zugeleitete, im Kniegelenk entstehende, atropbie- 
verursacliende Impulse. Sie soll angeblich dementsprechend ausbleiben 
nach Durchschneidung der hinteren Wurzel. Zur Erklärung dieser 
Atrophien genügt unseres Erachteus durchaus die Inaktivität zugleich 
mit der Entspannung der in Frage stehenden Muskeln- Daß jeden- 
falls der Reflex dabei nicht in Betracht kommt, sieht man leicht hei 
Tabikern, bei denen die von den Gelenken und Muskelendigungen 
ausgehenden Reflexe fortfallen und doch bei Geienkerkrankungen die 
gleichen Atrophien auftreten, wie bei Gesunden. Die Uebermittlung 
die Ernährung der Gewebe störender Nervenerregung spielt ferner 
eine Rolle in der Pathologie des Herpes zoster, der Gürtelrose. Es 
ist das jene Bläschen eruption, welche im Gebiet einer oder mehrerer 
hinterer Wurzeln auftritt, und welche auf einer infektiösen Entzün- 
tlung der Spinalganglien beruht. An dieser Tatsache ist nach den 
Untersuchungen von v. BXrensprung und insbesondere von Head 
und Camphell auch nicht der geringste Zweifel. Sind es aber wirk- 
lich zentrifugale Erregungen, welche von den Spinalganglien ausgehen 
und welche dort eine bläschenförmige Abhebung der oberflächlichen 
Epidermisschichten bewirken. In der Tat. eine ganz neue, man möchte 
sagen, motorische Funktion der hinteren Wurzeln und der Nerven 
überhaupt ! Denn man versuche nicht , diese Bläscheneniption als 
.sekundäre Folge einer Vasodilatation zu erklären. Diese fehlt beim 
Herpes zoster häufig, ja der Herpes zoster tritt genau, wie an der ge- 
fäßhiiltigen Haut, auch an der gefäßlosen Cornea auf, wo doch also 
von einer Vasodilatation gar keine Rede sein kann. Wir möchten zu 
erwägen geben, ob nicht der Herpes zoster durch die Fortleitung 
irgend eines toxischen Stoffes von den Spinalganglien zur Peripherie 
hin in den Nervenfasern zu erklären sein könne. Ist doch der Herpes 
zoster eine infektiöse Erkrankung, die mit Fieber eiuhergeht, und 
wurde doch für das Tetanusgift der umgekehrte Weg in dem Achsen- 
cylinder angenommen. Unendlich kleine Quantitäten des hypothe- 
tischen Giftstoffs mögen genügen, um, der Haut durch die kapillären 
Röhren der Nerven zugeführt, zirkumskript eine Reizung und eine 
Abhebung der Epidermiszellen zu bewirken. Unter allen Umständen 
aber müssen wir es ablehnen, die Einflüsse, die bei der Entstehung 
der Herpes zoster wirksam sind, als trophische, viehnehr dystrophierende 
zu bezeichnen. Auch die Durchschneidung sensibler Nerven oder Wurzeln 
hat übrigens auch nur in ganz seltenen Fällen, wie bei der sogenannten 
Glossy skin, trophische Störungen zur Folge. Die große Seltenheit 
dieser und ihr nahestehender Gewebsveränderungen muß doch immer 
an accessorische Ursachen denken lassen. Beobachten wir doch auch 
die schlimmsten Schmerzanfälle bei Neuralgien, bei Tabes ohne Herpes 
zoster. Es ist sehr schwer anzunehmen, daß der Herpes zoster mit 
der Leitung einer nervösen Erregung in den sensiblen Fasern über- 
haupt etwas zu tun habe. Die Existenz eines reflektorischen Herpes 
zoster ist niemals bewiesen worden. 

Wir hatten also als trophische Störungen zuzugeben nur eine gewisse 
verminderte Widerstandsfähigkeit der Haut bei einer Reihe von ner- 



I 
I 



Dratroplüerencle Keiie? Herpes zoster. 



vösen Erkrankungen, und die Atrophie des Skelettmuskels nach Durch- 
trennuDg seiner motorischen Nerven. Sollen wir nun darum besondere 
Irophische Nerven, ja auch nur trophisch wirkende Nervenerregungen 



.•-i 




Fig. 'i'6. PyrEunidendegeneraCion im menflchlicheu Ccrvikalniark nach der 
MARcmHcbeii Methode. P^ gekreuzter PyramideDi^itenatr&Dg , P, iiiigekn?uzter 
Pyramiden vorderBtraDg, P^ einige ungekreuzCe Fasern im äeitenstrang. 

annehmen? Eine langatmige Erwägung dieser Fragen würde doch zu 
keinem Ergebnis führen, und wir möchten glauben, dali weder unsere 
Kenntnisse, noch auch unsere Terminologie heute noch zu einer Ent- 
wicklung aller hier in Betracht kommenden Möglichkeiten ausreichen. 




Die Lösung des nervösen Zusammenhanges zwischen Peripherie und 
zentralem Nervensystem bewirkt in einzelnen oben genannten P'älleu 
trophische Störungen. Eine besondere Form trophischer Nerven- 



J-L 



112 



VII. TrophiAchc FunVtionen des NerveilBysten 




erreguiig und tropliische Nerven sind nicht nachgewiesen. 
Weiter itann viel gefragt, aber nichts beantwortet werden. 

Im Anschluß hieran haben wir nun noch einmal auf die Irophischc 
Abhängigkeit zurückzukommen, welche zwischen den Teilen 
des Nervensystems selbst besieht. Ilire systematische Untersuchung 
geht auf die Versuche Wallers zurfick, welcher fand, daG bei Durch- 
schneidung eines peripheren Nerven der nach der Peripherie zu gelegene 
Teil aller seiner Fasern, sowohl der sensiblen als der motorischen, zu 
Grunde ging, der zentrale hitakt blieb, daß aber nach Durchschneidung . 
der Wurzeln nur die motorischen Wurzeln zur Peripherie, von den sen- I 
siblen nur der dem Rückenmark zu gelegene Teil zu Grunde ging, der 
mit dem Ganglion in Verbindung stehende intakt blieb. Man pflegt das 
so auszudrücken, daß man sagt, die motorischen Fasern haben ihr 
trophisches Zentrum im Rückenmark, die sensiblen und die hin- 
teren Wurzeln im Spinal ganglion. Alles, was von seinem trophischen 
Zentrum abgetrennt ist, geht zu Grunde, was mit ihm verbunden 
bleibt, bleibt auch erhalten. Insoweit diese Tatsachen Material zur 
Würdigung der Neuroneulehre geben, sind sie schon behandelt worden. 
Hier soll nur noch einmal hervorgehoben werden, daß alle Achsen- 
cylinder aus Nervenzellen hervorgehen, und daß in der Tat ein Achsen- 
cylinder , der von seiner Nervenzelle getrennt ist , enier raschen 
Degeneration, der sogenannten sekundären oder WALLERschen Degene- 
ration verfölli. Das gilt nicht nur für die peripheren Nerven, sondern 
fflr sämtliche intrazentrale Bahnen, und die Degenerationen, die nach 
Verletzungen oder Erkrankungen im Bereich des Zentralorgans eintreten, 
sind uns das souveräne Mittel zur Verfolgung der zentralen Bahnen, 
viel sicherer als das Studium des unverletzten Gehirns, dessen ver- 
schlungener Bau ohne den Wegweiser der Degeneration gar zu oft 
schon irregeführt hat. In der Praxis machen wir dabei von dem 
Umstände Gebrauch, daß nicht nur der Achsencylinder nach Trennung 
von seiner Zelle zu Grunde geht, sondern daß auch die Markscheide 
zunächst zerfällt und resorbiert wird'). Ist das letzte Stadium der 
vollendeten Resorption eingetreten, der Raum der ehemaligen Nerven- 
fasern durch Gliagewebe ausgefüllt, so zeigen uns dann unsere Mark- 
scheidenniethoden . die alle auf die WEioERTsche Hämatoxylinbeize 
zurückgehen, ein ungefärbtes Degenerationsfeld (Fig. 24, 25). Besteht 
noch das Stadium des Zerfalls, so bedient man sich nach Marchi einer 
Methode, welche darauf beruht, daß die im Zerfall begriffene Myelin- 
scheide aus einem Chromosmiumgemisch das Osmium früher aufnimmt 
und reduziert, als der normale. Die riefienerierende Faser erscheint 
also dann schwarz, die normale gelb. Man erhält so ein positives und 
viel detaillierteres Bild der Degeneration (Fig. 23). Aber auch der 
Achsencylinder, sowohl seine Fibrillen wie sein Plasma, zerfallen und 
gehen zu Grunde; von einem autogenen Bestand einer von der Zelle 
abgetrennten zentralen Nervenfaser kann gar keine Rede sein. (Ueber 
die autogene Regeneration peripherer Fasern vergl. S. 20.) 

Nun erweist sich aber weiter, daß nicht nur das von der Zelle 
abgetrennte Stück der Nervenfaser, sondern auch ihr noch mit der 
Zelle zusammenhängender Teil und auch die Zelle selbst allmählich, 

1) Eine umgekdirte Beziehung zwischen Markscheide und AchBencylinde 
scheint nicht xu De<>teheti. Vielmehr ist es bekannt, daß man unter paiholoKischei 
Verbältnissen, insbedoiidere bd der multiplen Skleruee, Inl^rität des Acbsenc^inder 



itä zerfallener Markacheide findet. 




mindestens in einer großen Zahl von Fällen, zu Grande gehl. Es ist das 
die sogenannte retroßrado Degeiieration. Wer an trophischen 
Zentren Geschmack findet, kann als Grund derselben nun solche in 
der Peripherie für das zentrale Ende annehmen. Daß die Neuronen- 
lehre das Verhalten des zentralen Stückes nicht erklärt, wurde bereits 
hervorgehoben (S. 20). Was zunächst die retrograde Degeneration der 
Faser anlangt, so erfolgt sie sehr viel langsamer als die WALLBRsche 
Degeneration. Man hat sie daher auch wohl als einfache Atrophie 
angesehen, trotzdem in sehr vielen Fällen auch ein Markscheiden- 
zerfall, wie bei dieser, nachgewiesen werden konnte. Von Güdden 
ist vor allem die Tatsache experimentell ausgenutzt worden, daß bei 
Operationen an neugeborenen Tieren der gegenseitige trophische Ein- 
fluß des Zentrums und der Peripherie sich in einem Stillstand der 




(WEiOF.BTsche Methode;. 



Entwicklung beider voneinander getrennter Teile kundgibt, und daher 
hier ganz besonders deutlich auf dem mikroskopischen Präparat her- 
vortritt. 

GcDDES benutzte insbesondere auch zur Ermittlung des Ur- 
sprunges von Bahnen die retrograde Degeneration der Ürsprungs- 
zellen, wie denn die Atrophie des Vorderhorns in der Lumbal- 
aaschwellung nach Amputationen schon lange bekannt war. Diese 
retrograden Veränderungen in den Ursprungszellen von Aclisen- 
cylinderfasern erlangten aber für die Topographie der intra- und 
extrazentralen Bahnen eine ungeahnte Bedeutung, als NtssL nach- 
wies, daß sie mit seiner Methode auch am erwachsenen Tier schon 
nach wenigen Tagen nachzuweisen sind, insbesondere durch eine 
Auflösung der mit Anilinfarben tingierbaren Substanzportionen. einen 



114 



VII. TTOphiBche Fanktionen des NcrvensyBtems, 



Zustand, den man jetzt vielfach als T i g r o 1 y s e bezeichnet. Tritt eine 1 
Regeneration der durcbsclmittenen Faser nicht ein, so wird dann die 1 
Zelle klein und atrophibcb, dei Kern rückt an den Zellrand. Die | 
Zelle kann «purlos zu Grunde gehen. 

Nicht ganz aufgeklart ist noch die Frage, ob sich der atrophische 
Einfluß einer Zelle oder eines Achsen cy linders auf eine zweite Zelle 
mit Ächaencylinder sei es rückwärts oder vorwärts, erstrecken kann. 
Einzelne Angaben liegen vor. die 
auch solche tertiäre Degene- 
rationen, wenn auch innerhalb 
sehr lauger Zeiträume und zwar 
sowohl zur Zelle liin, als auch 
von der Zelle fort, wahrschein- 
lich machen. Es handelt sich 
dann aber wohl nur um eine 
Verschinälerung, vielleicht auch , 
Verminderung der Fasern eines j 
Bündels ohne deutlichen Mark- i 
scheidenzerfali. 

Mit der Frage der Degene- 1 
ration eng verknüpft ist natürlich 
die Möglichkeit der Regene- 
ration. Es war schon bemerkt | 
worden, daß die intraz 
tralen Bahnen der Säugetiere J 
wenn sie wirklich durchschnitten 1 
erhängnisvolle Faktum, welches \ 




Fig. 'Jti. Ganglien Zell Veränderung nach 
DurchEclineidutig den zugehörigen Neuriten. 
(Chrom atotysB und WaudBtändigfceil. des 
Kerns,) Nach Bin-HE. (Vergl. dazu die 
Abbildungen normaler Zellen 1:3. 24.) 



sich in keinem Falle regenerieren, 
worden sind. Ist es doch dieses 

allen unseren therapeutischen Bestrebungen bei Erkrankungen dea 
Nervensystems bald als ein unflbersteiglicher Wall entgegensteht. Ein 
durchschnittenes oder durch einen Wirbelbruch zerquetschtes Kücken- 
mark heilt beim Säugetier oder beim Menschen niemals wieder zu- 
sammen. Diese trophische Abhängigkeit des Achsencylinders und der 
Zelle voneinander, die, einmal gelöst, nie wieder hergestellt werden 
kann, ist für jede Theorie, auch für die Neuronenlehre, ein Rätsel. 

Das Vorrecht der Regeneration hat allein der periphere 
Nerv. Es ist wohl möglieh, daß die ScHWANUschen Scheiden, welche 
ja den intrazentralen Bahnen fehlen, welche aber schon S. Maver als 
dem Nervengewebe, nicht dem Bindegewebe augehörig, betrachtete, bei 
der Regeneration eine Rolle spielen. Wichtig ist es, zu wissen, daß 
bei der Regeneration keineswegs die Verbindung einer bestimmten 
Faser mit ihrem alten Endbezirk wieder hergestellt werden muß, 
sondern daß z. B. der zentrale Stumpf des Accessorius im stände ist, 
in die vom Facialis innervierten Muskeln hineinzuwachsen und ilire 
Innervation zu übernehmen, eine Tatsache, die man auch, wie gerade 
iu dem gewählten Beispiel, zu therapeutischen Zwecken verwendet 
hat. Dagegen setzen sich nach Durchschneidung eines peripheren 
Nerven immer wieder die sensiblen Fasern mit der sensiblen, die 
motorischen mit der motorischen Endfläche in Verbindung. Im ein- 
zelnen freilich wieder scheint die Spezifität des motorischen End- 
organs nur bis zu einem gewissen Grade ma&gebend für die Regene- 
ration zu sein. So können nach Lakqley präganglionäre Fasern des 
sympathischen Systems, die also gewöhnlich im Grau und um die 
Zellen eines sympathischen Ganglion enden, zur Endigung in quer- 





WALLERsche und retrograde D^eneratioD. Kegeneration. 115 



gestreifter Muskulatur gebracht werden. Dagegen gelingt es wieder 
nicht, prä- und postganglionäre Fasern unter Ausschaltung des Ganglion 
ineinander überzuführen. 

Der zentrale Stumpf des durchschnittenen Nerven hat eine ge- 
wisse Neigung auszuwachsen und sich selbst den Weg in sein altes 
Gebiet zu suchen. Das erfährt so mancher Kranke zu seinem Schaden, 
dessen Trigeminusneuralgie durch die Ausdrehung eines Astes mit 
seinen feinen peripherischen Verzweigungen (nach Thiersoh) nur 
so lange beseitigt ist, bis häufig schon nach wenigen Monaten die alte 
Leitung zur Peripherie wieder hergestellt ist. Gerade unter Be- 
dingungen, unter denen eine Wiedervereinigung des durchschnittenen 
Nerven gewünscht wird, z. B. gerade nach Verletzungen, bleibt sie 
nun häufig aus, weil die Nervenfasern ohne Direktion oder in falscher 
Richtung wuchern. Dann bleibt nichts anderes übrig, als den zen- 
tralen und den peripheren Stumpf des Nerven aufzusuchen, und die 
beiden miteinander zu vernähen. Freilich tritt nach dieser Operation 
keine Heilung, keine prima intentio nervorum, an die man früher 
dachte, ein, sondern das periphere Stück dient dem zentralen nur als 
Leitband zur Auffindung des Weges. Hierbei sollen nach Fors- 
mann besonders chemische „neurotropische** Einflüsse bestimmend 
sein. Zu bemerken ist noch, daß unter dem Einflüsse der Re- 
generation des Nerven auch der atrophische Muskel sich wieder ver- 
stärkt. 

Der Tatsache, daß die durchschnittenen intrazentralen Bahnen 
sich niemals wieder regenerieren, entspricht die andere, daß auch eine 
Regeneration, eine Neubildung von Ganglienzellen im Grau 
des Säugergehirns nach Ablauf der Fötalzeit nicht mehr statthat. 
Alle entgegenstehenden Angaben haben sich als auf Irrtum beruhend 
herausgestellt, höchstens kommt es noch einmal, nach Verletzungen, zur 
Bildung einiger Mitosen, einer ganz schwachen Andeutung des allem 
Gewebe innewohnenden Regenerationsbestrebens. Aber das ist alles. 
Derjenige Teil der grauen Substanz, welcher, etwa durch eine Apo- 
plexie, wirklich zerstört ist, wird auch nicht im kleinsten Teile wieder 
neugebildet. Bei niederen Tieren ist das nicht ganz so. Mit dem 
abgeworfenen Schwanz der Eidechse regeneriert sich auch das ent- 
sprechende Stück des Rückenmarks, und bei Wirbellosen vollends 
können in einzelnen Fällen (Giona) ganze Ganglien neu gebildet 
werden. 

Schließlich ist im Anschluß an die besprochene Lehre von den 
Degenerationen noch ein Punkt als von prinzipieller Wichtigkeit für 
die Auffassung der Leitung und ihrer Bahnen zu erwähnen. Es hat 
sich nämlich herausgestellt, daß in allen Fällen, in denen man die 
physiologische Leitungsrichtung überhaupt isoliert prüfen kann, 
sie im Achsencylinder zellulifugal verläuft, d. h. entsprechend 
der Richtung der WALLERschen Degeneration. So nimmt 
man denn fast allgemein an, daß auch diejenigen Bahnen, die sich bis- 
her noch der direkten physiologischen Prüfung entziehen, gleichfalls 
nur zellulifugal leiten, und auch wir werden uns dieses Prinzips zur 
Entwirrung der Leitungsbahnen zu bedienen haben; wenn es auch 
nicht absolut bewiesen ist, so ist doch kein Fall bekannt innerhalb 
des Zentralnervensystems, welcher ein Aufgeben dieser Hypothese er- 
forderte, die also eine Ergänzung des BELLschen Gesetzes der Ein- 
sinnigkeit der Leitung bringt (vergl. S. 39). 

8* 



116 VII. Trophische Funktionen des NervenBjstems. 



Nur eine AusDahme erleidet diese Regel, und zwar für den peri- 
pheren sensiblen Nerven, der ja peripherwärts degeneriert und zentral- 
wärts zum Ganglion spinale hinleitet, aber die Spinalganglien nehmen ja 
überhaupt eine ganz besondere Stellung unter allen Zentralteilen da- 
durch ein, daß sie zwei Achsencylindern, dem des sensiblen Nerven und 
dem der hinteren Wurzel, den Ursprung geben. Die Exstirpation der 
Spinalganglien bewirkt demnach eine WALLERSsche Degeneration 
nach beiden Richtungen, von denen die eine der physiologischen 
Leitungsrichtung entgegengesetzt ist Andererseits bewirkt auch nicht 
nur die Durchschneidung der hinteren Wurzel, sondern auch die des 
sensiblen Nerven gewisse Veränderungen in den Zellen des Spinai- 
ganglion, welche aber nicht so leicht zu übersehen sind wie die 
Degeneration der Zellen mit nur einem Achsency linder. Erst nach 
Durchschneidung der beiden Achsencylinderfortsätze würden die 
Spinalganglien wohl ganz zu Grunde gehen. 



VIII. Kapitel. 

Der Hirnstamm (Reflexe, Atemzentrum). 

Das Rückenmark geht oralwärts ganz allmählich in den Hirn- 
stanim über und der letztere kann auch in seiner Hauptmasse bis zum 
vorderen Vierhügel hinauf, also bis zur Mittelhirnendigung des Sehnerven, 
als eine Umformung des Rückenmarks, kompliziert durch die größere 
Mannigfaltigkeit, welche in Anordnung und Verrichtung die Gehirn- 
nerven gegenüber den Rückenmarksnerven zeigen, betrachtet werden. 
Das Kleinhirn allerdings, das dem Hirnstamm aufliegt und auch nach 
der neuen anatomischen Nomenklatur nicht mehr zu ihm gerechnet wird, 
muß als ein besonderes Organ später betrachtet werden, zusammen mit 
jenen Gebilden des Stammes selbst, welche vom Kleinhirn abhängig sind ; 
solche sind die untere Olive und der Teil des Seitenstrangkernes, 
welcher als Schaltstation der Klemhirnseitenstrangbahnen zwischen 
Rückenmark und Kleinhirn dient. Auch das Brückengrau hat eine 
Bedeutung nur als Schaltstation zwischen Groß- und Kleinhirn. In 
analoger Beziehung wie zum Rückenmark steht zum Hirnstamm die 
Pyramide, sie gibt hier Fasern ab, die sich, wie im Rückenmark, 
zum größten Teil kreuzen. Die Hinterstrangkerne sind eine Formation, 
die ausschließlich der Umschaltung der Hirnstränge auf die Schleife 
dienen, welch letztere in keine weitere Beziehung zu dem oben be- 
grenzten Gebiet des Hirnstammes tritt. Im übrigen aber dient der 
Hirn stamm den Hirn nerven, wie das Rückenmark den 
Rückenmarks nerven: den sensiblen als Endigungs-, den motori- 
schen als Ursprungsstätte. Von den Endigungsstätten der sensiblen 
Nerven gehen auch hier sekundäre Bahnen zu den höheren Gehirnteilen, 
insbesondere zum Großhirn. Wie im Rückenmark setzen sich aber auch 
im Stamm sensible End- und motorische Ursprungsstätte in Beziehung 
zueinander zur Vermittlung von Reflexen. Der Hirnstamm ist also 
genau so Zentralorgan für den Reflex als das Rückenmark und in 
dieser Hinsicht soll er zunächst betrachtet werden. In der Tat besteht 
nicht nur eine Analogie, sondern eine unmittelbare Fortsetzung der 
reflexvermittelnden Elemente vom Rückenmark auf den Hirnstamm, 
zunächst in die Medulla oblongata, dann in die der Haube des Pons 
und <ler Vierhügelregion, so daß sich weder die von den Rücken- 
marksnerven ausgelösten Reflexe auf das Rückenmark, noch die von den 
Hirnnerven auf den Hirnstamm beschränken, sondern die Reflexgebiete 
ineinander übergreifen (vergl. S. 63). Der anatomische Ausdruck dafür 
ist erstens der allmähliche Uebergang des Hinterhorns mit der Sub- 



118 



VIII. Der Himatenini (Reflexe, AtciDKcntninil. 



stantiagelatinosa in die graue Substanz der absteigenden Trigemiu 
Wurzel, und zweitens die Verschmelzung der Substantia reti- 
cularis des Hirnstainmes. tu Sonderheit der Meduüa oblongata. mit 
dem Vorderhorn des Rückenmarks. Wie dieses besteht die graue Sub- 
stantia reticularis aus den Ursprungszelleu motorischer Fasern , den 
STiLLiNGSchen Hirnnervenkernen, und den sogenannten Slrangzellen. 
Wie im Rückenmark dürfte ein Teil dieser Straugzellen in die Reilexbahn 
eingeschaltet sein. Ihre Axone dürften auch die Uebermittlung gewisser 
Reöexe vom Hirnstamm auf das Rückenmark bewirken. Auch im 
Hirnstamm ist jedenfalls, wie im Rückenmark, die Endigung eiuer 
sensiblen Faser (oder sogenannter ReflexkoUateralen) im Grau eines 
motorischen Kernes nicht 
nachgewiesen. Zwischen sen- 
sible Endstätte und motori- 
sche Ursprungszelle ist viel- 
mehr auch hier mindestens 
noch ein drittes Axon ein- 
geschaltet {vergl. S. 63), 

Ehe wir zur Schilderung 
der Reflexe übergehen, müs- 
sen wir die notwendigsten 
Angaben über die Anatomie 
der Hirn nervenkerne und 
ihre peripheren Gebiete ein- 
schalten. 

Quergestreifte Skelett- 
muskulatur wird innerviert 
zunächst durch den Acces- 
s r i u s , der freilich zum 
größten Teil aus dem Cervi- 
kalmark bis zu dessen 6. Seg- 
ment herunter entspringt, 
oralwärts reichen seine ür- 
sprungszellen in die Medulla 
oblongata hinein. 

Der Hypoglossns ent- 
springt aus dem von Stil- 
limo entdeckten charakte- 
ristischen Kern dicht unter 
dem Boden der Rautengrube, 
er versorgt die Zungenmus- 
kulatur. Seine einseitige Wh- 
mung bewirkt bekanntlich 
eine Abweichung der Zunge nach der Lähmungsseite, weil, wie SoHiFr 
zuerst hervorhob, die einseitige Wirkung des M. genioglossus die 
Zunge nach der entgegengesetzten Seite abbiegt. 

Der Vagus ist, was lange bestritten wurde, der motorische Ner» 
des Kehlkopfes, und zwar entspringen diese Fasern, und insbesondere 
der Recurrens, aus dem mitten in der Formatio reticularis gelegeoea 
kleinen Nuc. ambiguus. 

Der Facialis versorgt die Muskeln des Oesichts unii die Muskeln 

des weichen Ganmens. Zu den ersteren gehört auch der Schließ- 

Hskel des Auges. Eine Verbindung zwischen Oculomotoriuskern und 




Fig. 27. NervenuraprüiiBe iiu Hirnstamm 
mit BenuUiiDK eiaes ToLDTwneii ScbeniBH. An- 
sitrht von der Seite. Bot: mouirieche Keroe und 
Wurzeln; grün; B^inpathiecbei lilau: aetmihle. 
Die Hirnnerven hioJ nach ihren Zahlen [ 
Eeichnet. 



I 
I 

I 

I 
I 




Anatom [»che Vorbemerbingen. 



119 



Fadalis, die von Mendel angenommen war, und von der die Inner- 
vation des M. orbicnlaris abhängen sollte, besteht nicht Auch dessen 
Fasern entspringen aaB dem Facialigkern selbst, von dem sie in dem 
bekannten Bogen um den Abducenskern herum mit den anderen 
Fasern des Facialis verlaufen. 

Abducens, Trochlearie and Oculomotorins versorgen 
in bekannter Weise die äußeren Muskeln des Auges mit dem Levator 
palpebrae. 

Der Trigeminus versorgt durch seine Portio minor die Ksu- 
muskulatur, den M. mylohyoideus und den Tensor tympani. Die Haupt- 
masse seiner Fasern kommt aus dem Nuc. masticatorius im Pous. 
Aber sein Ursprung reicht 
durch die Radix mes- 
encephalica bis weit 
oralwärts in das Höhlen- 
grau des vorderen Vier- 
hQgels. DaS die hier aus 
den großen runden bläs- 
chenförmigen Zellen ent- 
springenden Fasern sich 
der motorischen Wurzel 
anschließen und auch in 
dieselbe hinein sekundär 
degenerieren, unterliegt 
gar keinem Zweifel mehr. 
Aber ihre Bestimmung 
ist nicht bekannt. Die 
Form dieser bläschen- 
förmigen Zellen ist von 
allen anderen Zellen, die 
quergestreifte Muskula- 
tur versorgen, derart ver- 
schieden, daß man zwei- 
feln könnte, ob sie wirk- 
lich quergestjeifte Mus- 
kulatur innervieren. 

Was weiter den Ur- 
sprung präganglionärer 
sympathischer Fasern 
im Hirnstamm betrifft, so 
ist darüber bereits beim 
sympathischen System 
gesprochen worden. Ins- 
besondere ist da vom Vagus und dem sympathischen Anteil des 
Oculomolorius die Rede gewesen, und auch von dem sympathischen 
Anteil der Facialis für die Drüsen des Kopfes, Der Verlauf der letz- 
teren in der Peripherie, ihr Uebergang von einem Nerven zum anderen 
ist durchaus noch nicht klargestellt'), braucht uns aber hier nicht 
weiter zu beschäftigen. Als die ürsprungs^ellen der Speichelnerven, 
also der Chorda tympani hat Kohkstamm Zelien der Formatio reti- 
calaris unter dem Namen des Nuc. salivatorius bezeichnet. 

1) Ist daher in den Figuren DJcht triedergegeben. 




120 VIII. Der Uirnstamm (Reflexe, Atemzentrum). 



Was die sensiblen Nerven des Hirnstammes betritft, so war 
bereits bemerkt, daß die Endkernsäule des Trigeminus von seinem 
Eintritt in den Pons bis zum Rückenmark herunterreicht, immer medial 
von der charakteristisch sichelförmigen Gestalt der aufsteigenden Wurzel 
selbst gelegen. Der Trigeminus führt die Sensibilität des Gesichts 
und der Mundschleimhaut. Der oralste Teil dieser Endkernsäule, der 
sensible Trigeminuskern, dürfte den Hinterstrangkernen entsprechen 
und gibt Fasern zur Schleife ab, ob dasselbe auch für die kaudal ge- 
legenen Abschnitte seiner Endigung gilt, oder ob diese nur der Ueber- 
mittlung von Reflexen dienen, ist noch zweifelhaft. 

Der Verlauf der Geschmacksfasern ist noch nicht ganz klarge- 
stellt, sicher ist, daß solche mit dem Glossopharyngeus zurMedulla 
oblongata ziehen, sicher ist auch, daß nach Resektion des Ganglion 
Gasseri der Geschmack in den beiden hinteren Dritteln der Zunge in 
der Mehrzahl der Fälle gestört ist. Aber es sind auch Fälle bekannt, 
wo nach dieser Operation der Geschmack ganz ungestört war, und es 
erscheint uns noch immer nicht ganz ausgeschlossen, daß die Ge- 
sell macksfasern, die sicherlich im Trigeminus verlaufen, sich schließlich 
doch den Glossopharyngeuswurzeln anschließen. Alle sensiblen Fasern 
des Glossopharyngeo- Vaguskomplexes, zu denen auch der N. inter- 
mediiis Wrisbergi vom Facialis gehört, enden im Fase, solitarius 
und seinem Kern. Das sind nun freilich sicherlich nicht nur Geschmacks- 
fasern, sondern auch sensible Nerven für den Pharynx und Larynx, 
die Bronchien, die Lungen und die Baucheingeweide, sowie auch die 
Depressorfasern. Als Analogon eines Spinalganplion dient in erster 
Linie für diese Fasern das Ganglion jugulare. Daß die Kopfganghen 
auf ihre spinale oder sympathische Natur noch nicht genügend unter- 
sucht erscheinen, war bereits an anderer Stelle bemerkt worden. 

Endlich bleibt uns noch die Besprechung des Acusticus und des 
Opticus. Der Acusticus zuerst zerfällt in den Hörnerven, den N. 
cochlearis und den N. vestibularis. Die Bahnen der beiden sind im 
Zentralnervensystem ganz getrennt. Jedoch entspricht nicht, wie man 
gewöhnlich hört, der Cochlearis der hinteren, der Vestibularis der 
vorderen Wurzel, sondern es beteiligen sich an der Zusammensetzung 
der hinteren (lateralen) Wurzel außer den Cochlearisfasern noch Vesti- 
bularisbestandteile. Die erste Endigung des N. cochlearis bildet das 
Tuberculum acusticum und das Gangl. ventrale, die des Vestibularis 
eine ausgedehnte Kernsäule, welche sich vom BECHTEREWschen Kern 
w^eit kaudalwärts erstreckt, zu der der dreieckige Acusticuskern und 
das Grau der RoLLERschen Acusticuswurzel gehören, und welche bis 
etwa zum Hypoglossuskeru spinalwärts hinabreicht. Der DEiTERsche 
Kern hängt direkt nicht mit dem Acusticus zusammen, wie Probst 
feststellte. Auch gibt es keine direkte Verbindung zwischen den Wurzeln 
des Acusticus oder irgend eines anderen Hirnnerven mit dem Klein- 
hirn. Was wir über die sekundären Bahnen des Acusticus wissen, 
wird später gesagt werden. 

Die Mittelhirnendigung des N. opticus findet im Dach des vor- 
deren Vierhügels statt, und zwar steht bei den Säugern jeder Opticus 
mit beiden Seiten, wenngleich überwiegend mit der gekreuzten, in 
Verbindung. Seine Endigung im Thalamus, die nur der Verbindung 
mit der Rinde dient, wird anderen Ortes erwähnt werden. Auch das 
Dach des vorderen Vierhügels hat seine Verbindung mit der Rinde,, 
aber es steht zu den motorischen Bahnen des Hirnstamms auch in ua- 



Papillarreflez. Reflektorischer Lidschluß. 121 



mittelbarer Leitungsverbindung, was fQr die Thalamnsendigung nicht 
gilt Nicht nur das Corpus geniculatum externum und das Pulvinar 
als Sehhügelendigung des Opticus, sondern auch der ganze übrige 
Thalamus gibt nämlich unserer Meinung nach motorischen Bahnen 
keinen Ursprung mehr, und daher beschränken wir uns zunächst auf 
die Physiologie des Hirnstammes bis und mitEinschluß 
des Mittelhirns. 

Diese anatomischen Vorbemerkungen gelten voll übrigens nur 
für die Säuger, Bei den niederen Wirbeltierklassen ist vieles, sowohl 
im peripheren Verlauf der Wurzeln, wie auch in ihrem zentralen Ur- 
sprung, noch unbekannt, ganz abgesehen von einigen Species, deren 
besondere Organisation auch eine besondere Organisation des Hirn- 
stammes erfordert, wie z. B. den wahrscheinlich aus dem Vaguskern 
hervorgegangenen elektrischen Lappen von Torpedo electrica. 

Die Reflexe des Hirn Stammes beginnen wir mit den vom 
Opticus aus vermittelten. Hier ist der allen Tieren gemeinsame 
wichtigste der Pupillarreflex, die Verengerung der Pupillen durch 
Belichtung der Retina. Bei den Vögeln und allen anderen Tieren, die 
eine totale Opticuskreuzung haben, ist er einseitig, bei den Säugern 
doppelseitig, wenngleich auf der belichteten Seite stärker. Schon mit 
bloßem Auge kann man übrigens häufig sehen, daß, wenn man grelles 
Licht in ein einige Zeit im Dunklen gehaltenes Auge fallen läßt, die an- 
fangliche Verengerung wieder um etwas zurückgeht, so daß also für den 
Anfangserfolg auch hier nicht nur die objektive Reizgröße, sondern auch 
die Schnelligkeit der Reizschwankung von Einfluß ist. Die Bahn dieses 
Reflexes muß vom Vierhügeldach durch ein neues Axon zu demjenigen 
noch nicht sicher ermittelten Teil des Oculomotoriuskerns gehen, 
welcher den Sphincter pupillae versorgt. Wir haben uns nicht über- 
zeugen können, daß, wie von anderen angenommen, noch tiefere Teile 
des Hirnstammes, oder gar das Halsmark auf das Zustandekommen 
der reflektorischen Pupillenverengerung von Einfluß sind^). Dagegen 
wirken schmerzhafte Reize von der ganzen Körperoberfläche aus er- 
weiternd auf die Pupille, und zwar durch Hemmung der im wesent- 
lichen reflektorisch vom Opticus aus unterhaltenen Sphincterkontraktion 
(S. 78), ein Beweis für die hervorgehobene Einheitlichkeit des Rücken- 
marks und Hirnstammgebietes. Daß nach Anderson Reizung der Haut 
auch noch eine direkte erregende Wirkung auf den Dilatator hat, ein 
Reflex, der sich im Rückenmark abspielt, sei bei dieser Gelegenheit 
erwähnt, wie auch wiederholt, daß die Kontraktion des Dilatator 
pupillae zum Teil von der Medulla oblongata abhängig ist, daß daher 
die Pupille nach Durchschneidung des Halsmarkes oder Verletzung 
des unteren Teiles der Medulla oblongata enger wird (S. 87). 

Wir kennen ferner noch einen weiteren Reflex vom Opticus, den 
Lidschluß bei greller Beleuchtung. Beim Kaninchen und bei 
der Taube ohne Großhirn, sowie auch beim großhirnlosen Hund von 

1) Die reflektorische Pupiüenstarre, die eich bei Tabes, Paralyse u. s. w. so 
häufig^ findet, muß entweder auf einer Störung des Weges zwischen Opticuseudigung 
und Oculomotoriuskern oder noch jenseits vom Oculomotoriuskern beruhen. Im 
letzteren Fall wäre die meist vorhandene Erhaltung der Konvergenzreaktion der 
Pupille nur dadurch zu erklären , daß der Accomodationsreiz stärker wirkt als der 
Licntreiz. Die häufig neben der Lichtstarre vorhandene Miosis muß wahrscheinlich 
auf das Wirksamwerden vom Lichtreiz nicht unmittelbar abhängiger pupülenver- 
engernder Momente bezogen werden. Daß solche immer vorhanden sind, zeigt ja 
die normale Verengerung der Pupillen während des Schlafes. 



VIII. Der HlroBtamm fBefleze, Ätemzentnim). 



Goltz ist er noch vorhanden, also muß er jedenfalls durch den Him- 
stamm allein vermittelt werden können. Immer ist das jedoch schon 
beim Hunde nicht der Fall. Boensel hat zwar behauptet, daß der Lid- 
retlex auf grelle Beleuchtung beim Hunde erst durch Exstirpation des 
Occipitallappens hervorgerufen werde, und auch wir haben das in einer 
Anzahl von F&llen beobachtet Dieses Sichtbarwerden eines vorher 




Fig. 29. Die Bahnen der wichtigslen Augenrefleie. S Ketina, C Ck>niea, L IJd, 
Sfi Sptaincter, Di DilataMr, II, III, f, VII Hirnnerven, Sy SympathicuB, Ge GaDgl. 
ciliare, Gs Ganglion suprcnium, O OculomoUiriuskeni, F FacialiKLEem, T Grau der 



Kpinalen Trigeminiiewiirzel, Qa vorderer Vicrhügel, Ge Corp. geniculat. ext., P (daa 
oberhalb Gr) Pulvioar, R Rinde, P Pedunculua und Pyramide, Jf Vierhügelvorder- 
»trangbahn (MEVtrEKTBche Kreuzung). 

1) Pupillarreflex : Ä, II, f, (in, ^ O, III, Gc, Sji. 2) Lidschluß bei Blendung: 
R, IT, /, Q<,, Jf, t, ¥, VII, L. 3) Blinzelrefles bei Annäherung: E, II, f, Qa (oder P 
und «'■l, R, P, t, •/>', yil, /- [die gleiche Bahu kommt auch für den Reflex 2) in 
Betracht]. 4) Corncalreflcx ; 0, V, T, F, VII, L. — f bedeutet Kreuzung, 

nicht vorhandenen Reflexes nach Entfernung der Hirnrinde erklärt 
sich wohl durch den Ausfall einer von dieser aus beherrschten ent- 
gegengesetzten Bewegung, einem Aufreißen der Augen. Aber selbst 
beim Hunde ist der Liilschluß bei greller Beleuchtung nicht regel- 
mäßig nach der Exstirpation des Occipitallappens hervorzurufen and 



Beflexe yod Acusticus und Glossopharyngeus. 123 

ob er beim Menschen ganz allein überhaupt im Hirnstamm vermittelt 
werden kann, ist zweifelhaft. Soweit das der Fall ist, haben wir ein 
anatomisches Substrat für die Leitung der Erregung von der Opticus- 
endigung zum Facialiskern in der Vierhügelvorderstrangsbahn, die zu 
den Facialiskernen beider Seiten Fasern abgiebt. Daß Fasern dieser 
Bahn, die unserer Auffassung nach Erregungen nur vom Opticus er- 
halten kann, noch bis tief ins Rückenmark ziehen, beweist, daß hier 
noch wenig bekannte reflektorische Beziehungen zwischen Rückenmark 
und Opticus bestehen müssen. 

Von dem zweiten spezifischen Sinnesnerven des Hirnstamms, dem 
eigentlichen Hörnerven, kennen wir einen Reflex, der wohl dien 
Säugern zukommt, die von Hensen und Pollaok gefundene reflek- 
torische Zuckung des vom Trigeminus innervierten Tensor tympani 
bei der Einwirkung akustischer Schallreize. Hierzu kommen bei 
einigen Tieren, wie dem Meerschweinchen, noch reflektorische Be- 
wegungen des äußeren Ohres, deren der Mensch und auch schon 
höhere Säuger mit ihrer verkümmerten Ohrmuskulatur nicht mehr 
fähig sind. Die Physiologie des N. vestibularis wird besonders be- 
handelt werden. 

Als Geschmacksreflexe, gleichgültig, ob diese nun vom Trige- 
minus oder vom Glossopharyngeus vermittelt werden, sind vor allem 
die reflektorisch ausgelösten Sekretionen der Speicheldrüsen in Betracht 
zu ziehen. Wenngleich auch diese Reflexe Beziehungen zur Hirn- 
rinde haben, wird die reflektorische Speichelsekretion doch nicht allein 
von der Hirnrinde abhängig sein. W. Sternberg hat sogar bei 
einem menschlichen Anencephalen 26 Stunden nach der Geburt auch 
motorische Reaktionen auf Geschmacksstoffe bekommen. Das Kind 
wies bittere Stoffe unter Zeichen des Unbehagens zurück, wandte den 
Kopf ab und fing an zu würgen, während es auf einem mit Zucker- 
lösung getränkten Pinsel angeblich sogar mit sichtlichem Behagen 
herumkaute. Dagegen genügt nach Gad die Verletzung bestimmter 
Stellen der Großhirnrinde, die für das Schmecken bestimmt sind, beim 
Kaninchen schon, um die Unlustreaktion auf eine ins Maul gebrachte 
Chininlösung verschwinden zu machen — ob dauernd, ist allerdings 
zweifelhaft. Auch beim erwachsenen Menschen beobachten wir dieses 
Fehlen von Unlustreaktionen und entsprechenden Reflexen auf un- 
angenehme Geschmacksreaktionen in Fällen, wo es sich nur um Groß- 
hirnerkrankungen handeln kann, wie in — wenn auch sehr seltenen 
Fällen — von progressiver Paralyse. Daß also beim erwachsenen 
Menschen verschiedene motorische, mimische, Reaktionen auf ver- 
schiedene Geschmackssensationen reflektorisch im Hirnstamm ausgelöst 
werden sollten, ist wohl ausgeschlossen. Möglich aber, daß der Hirn- 
stamm der Neugeborenen hier noch eine größere Selbständigkeit be- 
sitzt ^). 

Die von der Schleimhaut der Mundhöhle aus auszulösenden Reflexe 
gehören jedoch im wesentlichen, wie alle weiteren noch zu besprechen- 
den Reflexe schon nicht mehr spezifischen Sinnesfunktionen , sondern 
der gemeinen Sensibilität an. Zu ihnen gehört vor allem der 
Saugreflex der Neugeborenen, der sowohl bei Tieren nach Exstir- 
pation des Gehirns bis zur Medulla oblongata noch erhalten wird, als 

1) Für eine solche spricht auch das von Filehne hervorgehobene Vorkommen 
einseitiger mimischer Keflexe (Lachen) bei Streicheln der Gedichtshaut beim Neu- 
geborenen. 



124 VIII. Der Hirostamm (Reflexe, Atemzentram). 



auch bei hirnlosen menschlichen Mißgeburten genügend oft beobachtet 
worden ist. Er wird hervorgerufen durch Berührung gewisser, vom 
Trigeminus innervierter Bezirke der Mundschleimhaut, insbesondere der 
Lippen und des Gaumens und besteht aus einem recht komplizierten 
Zusammenwirken vom Facialis innervierter Muskeln, an die sich dann 
bald der SchluckreJ9ex anschließt. Beim Erwachsenen giebt es keinen 
SaugreJ9ex mehr, der vielmehr schon bald nach dem Säuglingsalter 
verschwindet. Unter pathologischen Verhältnissen, bei Erkrankungen 
der Hirnrinde kommen auch bei älteren Kindern und beim Erwachsenen 
solche Reflexe noch vor. Wir haben uns hier daran zu erinnern, daß 
auch die Isolierung des Rückenmarkes Reflexe hervorruft, welche bei 
dem intakten Tier nicht zu erzielen sind. So scheint es auch beim Hirn- 
stamm zu sein. Oppenheim hat in Fällen von infantiler Pseudobulbär- 
paralyse, also einem Krankheitsbild, das durch die Erkrankung der 
von der Großhirnrinde zum Hirnstamm ziehenden Fasern bedingt ist, 
einen Reflex beschrieben, derart, daß durch ein einfaches Berühren 
der Lippen oder der Zunge eine Summe von Reflexbewegungen ein- 
tritt, bestehend in Saug-, Kau- und Schluckbewegungen, die wohl 
sicher vom Hirnstamm ausgelöst werden. Beim Erwachsenen findet 
sich bei einer entsprechenden Erkrankung häufiger ein anderer Reflex, 
der vielleicht auch noch ein üeberbleibsel des Saugreflexes ist, der 
harte Gaumenreflex von Henneberg, der in einer einmaligen Kon- 
traktion des M. orbicularis oris bei Berührung des harten Gaumens 
besteht. Der gleiche Reflex findet sich auch beim neugeborenen Tier. 
Sogar am abgeschnittenen Kopf neugeborener Katzen haben wir ihn 
noch beobachtet. 

An die Stelle des Saugens tritt in einem gewissen Alter ja das 
Kauen, bei dem dann wesentlich vom motorischen Trigeminus aus 
versorgte Muskeln in Tätigkeit treten. Auch das Kauen ist bei 
manchen Tieren, insbesondere beim Kaninchen, reflektorisch auszu- 
lösen, und wird im Hirnstamm vermittelt. Daß das gleiche nicht 
etwa beim Menschen der Fall ist, ist sicher, und auch unter patho- 
logischen Verhältnissen dürften reine Kaureflexe hier nicht zur Be- 
obachtung kommen. 

An das Saugen und das Kauen, gleichgültig, ob diese Bewegungen 
nun willkürlich oder reflektorisch gemacht worden sind, schließt sich nun 
das Schlucken an, und dieser Akt ist von einem gewissen Punkte 
an im wesentlichen reflektorisch. Die reflexogene Zone für den Schluck- 
reflex ist der Rachen, der sensible, Reflexe leitende Nerv im wesent- 
lichen der N. laryngeus superior, also ein Vagusast Man kann durch 
seine Reizung mit Induktionsströmen beim Tier ganze Reihen von 
Schluckbewegungen hervorrufen. Der Schluckakt selbst beruht auf 
einem recht verwickelten Ineinandergreifen der Aktion einer großen 
Reihe von Muskeln, die vom Trigeminus, dem Hypoglossus und dem 
Glossopharyngeovagus versorgt werden. Mit der Kontraktion der 
Muskeln der Mundhöhle und der Schnürer des Pharynx ist noch 
verbunden eine Hemmung der Atmung, deren Wege somit nicht nur 
mechanisch durch den Verschluß des Kehlkopfeinganges, sondern auch 
durch diese Vorsorge des zentralen Apparates gesichert sind. An den 
Schluckakt schließt sich dann sofort die peristaltische Kontraktion des 
Oesophagus an, wobei die quergestreifte Muskulatur des Pharynx all- 
mählich durch die glatte Muskulatur der Oesophaguswand ersetzt 
wird. Dieser Akt ist demgemäß schon in dem Kapitel über das sym- 



Saug-, Kau- und Schluckreflexe. 125 



pathische System zur Sprache gebracht worden, wo auch erwähnt 
wurde, daß diese Kontraktion der Speiseröhre, wie Kronegker und 
Meltzer gefunden haben, auch gehemmt werden kann, und daß diese 
Hemmung, die durch den Glossopharyngeus dem Zentrum vermittelt 
wird, vor allem dann in Tätigkeit tritt, wenn mehrere Schlucke schnell 
hintereinander genommen werden. Dann wird reflektorisch der untere 
Teil des Oesophagus erschlafft, d. h. seine Peristaltik gehemmt, und 
die Cardia offen gehalten, so daß , die Flüssigkeit — denn um eine 
solche handelt es sich ja beim schnellen Schlucken immer — wie 
durch einen toten Schlauch in den Magen fließt, während erst dem 
letzten Schluck wieder die Kontraktion des Oesophagus und der 
Schluß der Cardia folgt. Es ist beim Schluckreflex außerordentlich 
schwer, Reflex und Willkür voneinander zu trennen. Beim Kanin- 
chen hat Gad gefunden, daß die Beförderung des gekauten Bissens 
aus dem vorderen Teile des Maules in den Rachen nach Großhirn- 
exstirpation zunächst wenigstens ausfällt, also wohl willkürlich ist, 
während der Schluckakt rein reflektorisch ist. Der großhirnlose 
Hund von Goltz leistete aber mit seinem Hirnstamm den ganzen 
Kau- und Schluckakt. Daß der Mensch auch den eigentlichen Schluck- 
akt rein willkürlich einleiten kann, ist ja sicher, merkwürdig aber 
wieder die bekannte Unmöglichkeit, eine größere Reihe von Malen 
„leer zu schlucken''. Das deutet darauf hin, daß der reflektorische 
Reiz der Nahrung im Pharynx doch nicht ganz entbehrt werden kann. 
In demselben Sinne spricht die Beobachtung, daß Cocainisierung des 
Rachens das Schlucken wesentlich erschwert. Umgekehrt aber scheint 
eine gewisse Kontrolle des Schluckaktes durch daß Bewußtsein doch 
zu bestehen, denn wir wissen, daß sich benommene Kranke trotz er- 
haltenen Reflexes leicht „verschlucken^, so daß Nahrungsteile in ihre 
Luftwege eintreten. Das Zentrum des Schluckreflexes liegt ent- 
sprechend der Lage der bei ihm beteiligten Nervenkerne in der 
Medulla oblongata. 

Im Anschluß an die Saug-, Kau- und Schluckreflexe muß noch 
einmal die reflektorisch von der Schleimhaut der Mundhöhle aus- 
gelöste Speichelsekretion erwälmt werden, da sie jedenfalls 
nicht allein vom Geschmack im engeren Sinne, sondern auch von 
der gemeinen Sensibilität abhängig ist. Ihre zentripetalen Nerven- 
fasern sind auch Trigeminusfasern. Freilich dürften auch diese 
chemischen Reizen zugänglich sein. Wissen wir doch auch, daß die 
Trigeminusendigungen in 'der Nase chemischen Agentien, wie etwa 
Ammoniakdämpfen zugänglich sind. Daß es Reflexe auf die Speichel- 
sekretion gibt, welche wahrscheinlich durch die Großhirnrinde ver- 
mittelt werden , sicherlich durch gewisse psychische Vorgänge be- 
einflußt werden, ist eine Kenntnis, deren experimentelle Erforschung 
wir, wie bemerkt, Pawlow zu danken haben. Aber daneben darf die 
Regulierung der Speichelsekretion durch den Hirnstamm nicht über- 
sehen werden. Es scheint sich mit der Bedeutung der Großhirn- und 
der Hirnstammregulierung der Speichelsekretion zueinander auch ähn- 
lich zu verhalten, wie mit anderen Funktionen, so nämlich, daß die 
Isolierung des niederen Zentrums vom Großhirn eine Erregbarkeits- 
steigerung des ersteren bedingt. So darf man wenigstens vielleicht 
die Erscheinung erklären, die wir bei der schon erwähnten Pseudo- 
bulbärparalyse nicht selten beobachten, die einer ganz erheblich ge- 
steigerten Speichelsekretion schon auf sehr geringe Reizung hin. In- 



126 VIII. Der Hirnstamm (Beflexe, Atemzentrum). 



soweit die vom Hirnstamm entspringenden sekretorischen Fasern an 
der Speichelsekretion beteiligt sind, ist ihr Zentrum besonders die 
Medulla oblongata, da aber auch die Sympathicusfasern an der ner- 
vösen Beeinflussung der Speichelsekretion teilnehmen, so erstreckt 
sich der ganze für sie verantwortliche Teil des Nervensystems bis 
weit ins Rückenmark hinunter. 

Einen Reflex vom Trigeminus auf den oberen Facialis haben wir 
in dem Cornealreflex, dem , Lidschluß, der bei Berührung der 
Cornea und schwächer auch der Conjunctiva eintritt. Nur eine be- 
sondere Form dieses Reflexes ist nach der allgemeinen Annahme wohl 
auch der normale Lidschlag, der in einigermaßen regelmäßigen Ab- 
ständen anscheinend spontan erfolgende Lidschluß, dem schnell wieder 
die Oeff'nung des Auges folgt. Seine Ursache dürfte die dauernde und 
sich summierende Wirkung unmerklicher von der sensiblen Oberfläche 
des Auges dauernd dem Zentrum zugeleiteter Impulse sein. Der Lid- 
schlag ist übrigens doppelseitig, und auch der reflektorische eigent- 
liche Cornealreflex teilt sich bei einigermaßen ausgiebiger Reizung 
auch nur einer Seite bald auch der entgegengesetzten Seite mit 

Die Schleimhaut des Auges und die Cornea sind auch die haupt- 
sächlichen reflexogenen Zonen für die Tränen Sekretion. Wirksam sind 
mechanische und insbesondere chemische Reize, letztere auch von der 
Schleimhaut der Nase, aber nicht vom Endorgan des Olfactorius, 
sondern nur vom Trigeminus aus. Eff'ektorischer Nerv ist, wie zuerst 
GoLDZiEHER betoutc , der Facialis. Zu erwähnen ist aber, daß 
F. Krause auch nach seiner Exstirpation des Ganglion Gasseri erheb- 
liche Verminderung der Tränensekretion sah. Krause selbst hält 
diese Erscheinung für bedingt durch eine mögliche Mitverletzung des 
N. petrosus superfacialis major, der Facialisfasern vom Facialis zum 
zweiten Trigeminusast führt. Uns erscheint es immerhin noch mög- 
lich, daß die Verminderung der Tränensekretion nach Trigeminus- 
durchschneidung auch beruhen könnte auf dem Ausfall des physio- 
logischen Reizes. Daß Krauses Patienten zum Teil auch bei dem 
Weinen durch Aff'ekt eine Verminderung der Tränensekretion zeigten, 
würde noch nicht gegen diese Erklärung sprechen; denn wir haben 
bereits Beispiele gehabt, und werden deren noch weitere anführen, 
welche zeigen, daß die Integrität der sensiblen Verbindung mit der 
Peripherie von großer Bedeutung für den Erfolg zentrifugaler, von 
höheren Zentren ausgehender Impulse ist. 

Von den Reflexen auf das Vasomotdrenzentrum und auf den 
Vagus, die ja auch in der Medulla oblongata sich umsetzen, war be- 
reits an anderer Stelle die Rede (S. 100). 



Ehe wir nun zu den Reflexen auf die Atmung kommen, muß 
zunächst von der nervösen Regulierung der Atmung im 
ganzen die Rede sein. Denn es erschließt uns die Erforschung dieser 
besonderen Funktion der Skelettmuskulatur Gesichtspunkte, welche 
über den Horizont, den wir bisher hatten, nach verschiedener Richtung 
hinaussehen lassen. 

Zunächst steht die Atmung gegenüber allen Reflexen, insofern 
angenommen wird, daß sie ausgelöst wird nicht durch reflektorische, 
in der Körperperipherie angreifende Reize, sondern durch auf das 
Atemzentrum selbst, in loco, wirkende chemische, mit dem Blut zuge- 



Corneaireflex. Tranensekretion. Automatie der Atmung. 127 



führte Reize. Das ist der Sinn des Wortes „automatisch". Frei- 
lich funktioniert das Atemzentrum nicht „von selbst" in dem popu- 
lären Sinne. Aber auch der Warenautomat auf der Straße funktioniert 
ja nur, wenn er durch den Einwurf eines Geldstückes gereizt worden 
ist. Da somit das Gesetz von der Erhaltung der Kraft, das einen 
Automaten in dem alten Sinne ausschließt und der moderne Sinn 
dieses Wortes heutzutage einem jeden tagtäglich demonstriert wird, 
dürfen wir auch wohl darauf verzichten, andere Worte, wie die vor- 
geschlagenen „autochthon" und „autotop" einzuführen und brauchen 
also die Bezeichnung der automatischen Tätigkeit für eine solche, die 
nicht durch reflektorische, sondern durch, die graue Substanz selbst 
angreifende, d. h. auf dem Blutwege zugeführte Reize normalerweise 
unterhalten wird. 

Eine solche ist nach der fast allgemeinen Annahme die Ursache der 
Atembewegungen. Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß der stringente 
Beweis für diese Annahme, der nur in der Isolierung des Atemzen- 
trums von allen sensiblen Bahnen bestände, bisher noch nicht ge- 
führt worden ist. Aber immerhin sind diese Versuche in den Händen 
Rosenthals, Langendorffs u. A. soweit gediehen, daß auf die ent- 
gegenstehende Angabe Schiffs, nach Trennung des letzten sensiblen 
Nervenfadchens stehe die Atmung trotz aller automatischen Reize still, 
entscheidender Wert nicht gelegt werden kann. Der Reiz, welchen 
das Blut dem Atemzentrum zuführt, ist die Kohlensäure, ist ferner 
die normal nicht ganz erreichte Sättigung an Sauerstoff. Durch die 
völlige Sättigung des Blutes mit Sauerstoff und die Verminderung 
der COj-Spannung — welches dieser beiden Momente das wirksamere 
und wesentliche sei, ist eine alte Streitfrage, die in unserem Zu- 
sammenhange ohne Belang ist — gelingt es, die Atmung aufzu- 
heben, den Zustand der Apnoe zu erzeugen. Man hat freilich zu 
deren Erklärung auch noch andere Ursachen, insbesondere durch 
die Vagi vermittelte Reflexe angeschuldigt, die auch wohl in der 
Tat in Betracht kommen. Daß aber die Hyperarterialisierung des 
Blutes zur Erzeugung der Apnoe genügt, hat Fredericq gezeigt, 
indem er das Gehirn eines Kaninchens vom Körperkreislauf eines 
anderen Kaninchens aus durchströmen ließ. Nervöse Verbindungen 
irgend welcher Art kamen also dann sicherlich nicht mehr in Frage. 
Wurde nun das Blut dieses zweiten Kaninchen hyperarterialisiert, so 
stand auch die Atmung des ersten still. Freilich ist diese Möglichkeit, 
durch Aenderung der Blutzusammensetzung die Atmung zum Still- 
stand zu bringen, durchaus noch kein unwiderleglicher Beweis für 
deren automatische Entstehung. Denn wir wissen, daß auch die 
Reflexe auf die gleiche Weise beeinflußt, insbesondere auch durch 
vermehrte Kohlensäure- und verminderte Sauerstoff Spannung des 
Blutes verstärkt werden können. Denn das ist das Gegenstück zu 
der Authebung der Atmung in der Apnoe, ihre Vertiefung und Be- 
schleunigung in der Dyspnoe. Die der Dyspnoe zu Grunde liegende 
vermehrte Kohlensäurespannung kann auch auf andere Zentren nicht 
nur reflexsteigernd, sondern auch unmittelbar „automatisch" wirken. 
Nach Luchsinger antwortet auch das von allen sensiblen Erregungen 
abgeschnittene Rückenmarksgrau noch auf den Reiz der Erstickung. 
Der Unterschied zwischen diesen Rückenmarks- und anderen Zentren 
einerseits und dem Atemzentrum andererseits würde nur darin liegen, 
daß die normale Blutzusammensetzung für das Atemzentrum als Reiz 



128 VIII. Der Hirnstamm (Reflexe, Atemzentrum). 



schon genügt, jene anderen aber erst durch pathologische Blutzu- 
sammensetzung affiziert werden. Empfindlicher noch als das Atem- 
zentrum ist das Herz, ganz gleich, ob seine Kontraktionen nun auf 
Nerven- oder Muskelerregung beruhen. Denn es ist auch durch die 
totale Arterialisierung des Blutes nicht zur Ruhe zu bringen. Die 
Venosität des Blutes ist übrigens nicht die einzige Bedingung, durch 
welche die Tätigkeit des Atemzentrums direkt verändert wird. Eine 
besondere Form der Atmung wird hervorgerufen durch die Üeber- 
wärmung des Blutes als Polypnoe (Wärmedyspnoe). Sie zeichnet sich 
aus durch sehr schnelle und flache Atemzüge; man kann sie an heißen 
Sommertagen oft an Hunden beobachten. Daß der Wärmereiz hier 
nicht reflektorisch wirkt, ist von Wegele durch Erwärmung des 
Carotidenblutes gezeigt worden. 

Das Problem der Autoniatie ist im Wesen unabhängig von 
dem des Rhythmus. Wir haben in dem Tonus mancher glatten 
Muskeln eine tonische Automatic kennen gelernt. Andererseits 
sind wir auch dem Problem des Rhythmus bei den reflektorischen 
Leistungen des Nervensystems bereits einige Male begegnet. Der 
Kratzreflex des Hundes, die reflektorische Afterschließung des Rücken- 
markstieres, der Fußclonus, waren rhythmische Reflexe. Rhythmisch 
waren ferner die Pendelbewegungen des Darms, wie die Kontraktionen 
des Herzens. In der Tat handelt es sich um eins der allgemeinsten 
Probleme, sein Bereich erstreckt sich von der Amöbe, deren Vakuole 
rhythmisch pulsiert, bis zu den höchsten Leistungen des Großhirns, 
die durch den Schlaf ihre rhythmische Unterbrechung erfahren. 

Die Frage ist: wie ist es möglich, daß unter dem Ein- 
fluß eines konstanten Reizes nicht ein konstanter, son- 
dern ein rhythmischer Effekt zur Entstehung kommt? 
Denn der Blutreiz ist konstant, es kann keine Rede davon sein, daß 
Schwankungen des Gasgehaltes des Blutes die Inspiration und die 
Exspiration hervorrufen. 

Wir sind bei der Atmung in der günstigen Lage, durch gewisse 
Operationen, die später noch genauer besprochen werden sollen, näm- 
lich durch die gleichzeitige Durchschneidung der sogenannten oberen 
Bahnen und der Vagi die Phasen der Atmung, sowohl Inspiration wie 
Exspiration, ganz außerordentlich verlängern zu können. Dabei können 
wir vorläufig annehmen, daß die Exspiration ein rein passiver Akt ist 
und der Erschlaffung der inspiratorischen Muskeln entspricht. Die 
Exspiration also kann als die Periode der abnehmenden Tätigkeit und 
der Ruhe aufgefaßt werden, während die Inspiration die aktive Phase 
des Rhythmus darstellt. Wenn man nun unter den obengenannten 
Bedingungen, deren Erfolg also zunäclist nicht erklärt, sondern voraus- 
gesetzt wird, Reize auf das Atemzentrum einwirken läßt — es eignen 
sich hierfür besonders Reizungen des Vagus, man kann aber auch mit 
demselben Erfolg Reizungen des Atemzentrums selbst vornehmen — so 
zeigt sich folgendes (s. Fig. :iO): Im Beginn der Exspiration hat keine 
Reizung einen F.rfolg, sondern die Möglichkeit, eine Inspiration aus- 
zulösen, stellt sich erst her und wächst während des Verlaufs der 
Exspiration. Je mehr die Exspiration vorschreitet, um so kleinere 
Reize sind nötig, um die Inspiration zu bewirken und um so länger 
dauert der Reizefliekt, d. h. die Tätigkeit des Zentrums. Es besteht 
also im Beginn der Exspiration eine absolute refraktäre Phase, 
die allmählich relativ wird, im ganzen aber dauert bis zu dem Augen- 



Problem des BJiirthmus. 



129 



blick, wo die natürliche Inspiration eintritt. Die Erklärung dafür kann 
wohl nur durch die Annahme gegeben werden, daß mit der In- 
spiration sich die Energie des Atemzentrums erschöpft 
hat und daß sie sich erst während der Exspiration 
wieder herstellt, derart auch, daß ihre Auslösung altmählich 
immer kleineren Reizen gelingt. Die Inspiration tritt spontan ein. 
wenn die Stärke des natürlichen Blutreizes zur Auslösung genügt. 

Nun gelingt es auch während der Inspiration, also der Periode 
der Tätigkeit, exspiratorisch wirksame, also Hemniungsreize. zur An- 




Fig. 3U. SteiBerunj; der inspiratoriBchen Wirkuug cirKw (flcithwiiirlten Reizes 
mit der Dauer der Exsptmtion. 

Wendung zu bringen. Hier stellt sich dann heraus, daß, je weiter die 
Inspiration fortschreitet, um so weniger Widerstand das Zentrum 
einem hemmenden Reize entgegensetzt, derart, daÜ nahe dem Ende 
der natürlichen Inspiration schon geringe Reize die Exspiration ein- 
leiten können, während im Anfang der Inspiration diese selben Reize 
keinen Erfolg haben. Der Erfolg stellt sich erst her und wgchst mit 
dem Verlauf der Inspiration. Das kann woht nur so umschrieben 
werden, daß man sagt, während der Inspiration werde die Energie des 
Atemzentrums verbraucht, die natürliche Exspiration träte ein, wenn 



130 



VIII. Der Hirnstamm (ßeflese, Atemzentrum). 



die hemmenden Einflösse genügend angewachsen sind. Eine genauerö 
Erwägung ffihit dazu, unter diesen hemmenden Einflüsse auch den 
Blutreiz selbst aufzunehmen. Nachweisen läßt sich, daß der gleiche 
Heiz, der während der Inspiration exspiratorisch, während die Ex- 
spiration inspiratorisch wirkt. Experimentelle Tatsache ist das zwar 
nur für die elektrische Reizung des Vagus und des Atemzentrums 
selbst, will man aber das Eintreten der natürlichen Inspiration und 
Exspiration nach demselben Prinzip erklären, so bleibt gar nichts 
anderes übrig, als auch für den Blutreiz eine erregende und eine 
hemmende Wirkung anzunehmen, und es ist ganz nützlich, sich das 
klar zu machen, wenngleich diese Erklärung von einem anderen Stand- 
pimkt mit Recht nur als eine Umschreibung der Tatsache aufgefaßt 
werden kann, daß auf einen konstanten Reiz eine rhythmische Be- 
wegung antwortet. 

Dem Verständnis näher bringen kann man diese Tatsache be- 
sonders dadurch, daß man sie, wie es Rosenthal getan hat, mit ge- 
wissen mechanischen Vorgängen analogisiert; so weiß man z. B., daß 
die Luft, die in konstantem Strom unter Wasser geleilet wird, in 
einzelnen Blasen zum Wasserspiegel aufsteigt, weil das Wasser der 
Luft einen gewissen Widerstand entgegensetzt. Verschließt man eine 
senkrecht stehende Glasrohre am unteren Ende durch Federdruck und 
läßt nun in die Glasröhre von oben ganz gleichmäßig Wasser hinein- 
laufen, so öffnet sich bei einem gewissen Druck der Verschluß, um 
eine gewisse Menge Wassers hinaus zu lassen. Dadurch ist aber der 
Druck in der Rohre so erniedrigt, daß die Feder sich wieder schließt 
und sich erst Öffnet, wenn Her dazu nötige Druck nach eiuiger Zeit 
wieder erreicht ist. So kann mau also auch in rein mechanischen 
Verhältnissen bei konstanter Zunahme des Drucks eine rhythmische 
Wirkung erzielen und es beruhen auf diesem Prinzip ja eine große 
Reibe von Maschinen. Voraussetzung für die rhythmische Wirkung 
ist erstens die Trägheit der Massen und zweitens ein gewisses Ver- 
hältnis zwischen den beiden gegeneinander wirkenden Kräften bezw. 
der einen Kraft und dem ihr entgegenstehendem Widerstände. Wenn 
wir nun in der Tat analoge Vorgänge der grauen Substanz für das 
Zustandekommen rhythmischer Bewegungen verantwortlich machen 
können, also zwei Kräfte, die gegeneinander wirken, oder einen Wider- 
stand, der sich einer Kraft entgegenstellt, so bleibt das doch immer 
ein Bild und dient nur zur Versinnlichung des Vorganges. Nicht 
darf diese Versinnlichung so weit getrieben werden, daß man nun 
nach dem anatomischen Ort dieses Widerstandes fragt und ihn etwa 
zwischen Ganglienzelle und Ganglienfaser verlegt, wie die Feder an 
das Ende der Glasröhre. Zeigen aber kann man durch die berichteten 
Versuche für den Rhythmus, in unserem Falle für die Atmung, daß 
während der Periode der Ruhe Energie sich anhäuft, 
die während der Tätigkeit, in unserem Falle während der Inspiration, 
verbraucht wird. Dieser Verbrauch von aufgespeicherter Energie durch 
die Tätigkeit, ist durch den Nachweis einer refraktären Periode auch für 
andere zentrale Vorgänge erwiesen worden, so für den LidreÜex und den 
Schluckakt (Zwaardemaker), allerdings ist die refraktäre Periode in 
diesen Fällen nur eine relative uud das in der angegebenen Weise 
isolierte Atemzentrum bietet ganz besonders günstige Bedingungen 
zur Erforschung der dem Rhythmus zu Grunde liegenden zentrtden 
Vorgänge. 



I 



I 
I 





Refraktäre Phase. Gruppenbildungen. 131 



Für diejenigen zentralen Vorgänge, die nicht rhythmisch verlaufen 
und die wir tonische nennen, werden wir voraussetzen, daß eben das 
geforderte Verhältnis der beiden gegeneinander wirkenden Kräfte nicht 
besteht Daß es aber durch gewisse Eingriffe in wenn auch der 
wesentlichen Ursache nach unklarer Weise auch hier erzeugt werden 
kann, beweist die rhythmische Kontraktion des Äfterschließers nach 
Rückenmarksdurchschneidung, beweisen die unter gewissen Bedingungen 
auftretenden rhythmischen Schwankungen, der Hippus, der sonst tonisch 
innervierten Pupille u. s. w. 

Sehr gewöhnlich ist es, daß sich die rhythmischen Schwankungen 
einer Bewegung aufsetzen auf eine tonische Kontraktion, die in dem 
oben gewählten Beispiele dann zu vergleichen wäre mit derjenigen 
Höhe der Wassersäule, welche sich dauernd in der Glasröhre hält. 
So ist es auch bei der Atmung. Niemals erschlafft bei normaler Ex- 
spiration die Atemmuskulatur vollständig, sondern es bleibt ein, und 
zwar recht erheblicher, tonischer Kontraktionszustand der Muskulatur 
auch während der Exspiration bestehen. 

Nun kann auch ein solcher Tonus, auf den sich rhythmische 
Schwankungen aufsetzen, noch selbst Schwankungen zeigen, so daß 
wir dann also zwei Rhythmen übereinander haben, das findet sich 
z. B. beim Herzen einiger Kaltblüter und an glattmuskligen Organen. 
Man spricht dann von Tonusschwankungen, die aber natürlich 
nicht anders zu beurteilen sind, als alle anderen rhythmischen Be- 
wegungen. 

Eine andere Komplikation des Rhythmus ist die Gruppen- 
bildung. Eine solche sehen wir sehr häufig gerade bei der Atmung 
in der Form des Che YNE-SxoKESschen Atmens. Zwischen 
zwei Reihen von Atemzügen schieben sich dann immer Jange Pausen ein, 
nach einer solchen Pause beginnt dann die Atmung zuerst flach und lang- 
sam, um sich bis zu einem Maximum von Tiefe und Schnelligkeit bald 
zu steigern, und um dann langsam wieder zur Pause abzufallen. So 
ist es wenigstens beim Mensehen, während beim Tier gewöhnlich der 
erste Atemzug nach der Pause der tiefste ist. Der einzelne Atemzug 
wird also beim CHEYNE-SxoKESschen Atmen unterworfen noch einem 
anderen rhythmischen Prinzip. Wir wissen, daß diese Tendenz zur 
Gruppenbildung beim Menschen sehr häufig auftritt bei allen Zuständen, 
die eine starke und langsame Erschöpfung des Atemapparates bedingen, 
so bei mangelnder Ernährung des Atemzentrums im letzten Stadium 
der Stauung bei Herzfehlern, bei Vergiftungszuständen, wie der Urämie, 
bei Meningitis. Bei Tieren genügt oft schon eine Abkühlung der 
Medulla oblongata, um Gruppenbildung hervorzurufen. Auch gewisse 
Gifte, wie das Morphium, bewirken bei einzelnen Tierarten sehr leicht 
Gruppenatmen. Man hat früher versucht, diese Atmungsstörungen 
abhängig zu machen von primären Schwankungen der Herz- und 
Vasomotorenarbeit. Aber davon kann keine Rede sein. Ihr Grund 
liegt in rhythmischen Schwankungen der Erregbarkeit und der Arbeits- 
leistung des Atemzentrums selbst. Mosso findet auch beim gesunden 
Menschen, insbesondere im Schlaf, schon Andeutung von periodischer 
Atmung. Eine Erscheinung, die noch hierher gehört, aber ebenso- 
wenig wirklich erklärt ist, wie die CHEYNE-SxoKESsche Atmung, ist 
die präterminale Atempause. Wenn man ein Tier verblutet, 
so nimmt die Atmungsgröße und Atemfrequenz zunächst ganz regel- 
mäßig ab, bis die Atmung anscheinend verschwindet. Nach einer 

9* 



132 VIII. Der Hirnetamm (Reflexei Atemzentrum). 



Pause, die Minuten betragen kann, setzt aber dann wieder ein tiefer 
Atemzug ein, und nun erst geht nach einer Reihe weiterer, sich all- 
mählich verflachender Atemzüge das Leben des Atemzentrums definitiv 
zu Ende. 

Betrachten wir nun den einzelnen Atemzug weiter, so be- 
teiligen sich schon bei jeder Inspiration eine ganze Reihe von Muskeln, 
das Zwerchfell, die Intercostalmuskeln, die Muskeln der Glottis und bei 
vielen Tieren auch noch die Muskeln des Naseneingangs. Durch die 
Steigerung des Blutreizes in der Dyspnoe wird nun nicht nur die 
Energie und die Schnelligkeit der Kontraktion dieser Muskeln ver- 
mehrt, sondern es werden noch andere Muskeln zur Tätigkeit mit- 
herangezogen. 

So wird während heftiger Dyspnoe beim Menschen auch der 
Schultergürtel durch die Kontraktion seiner Muskeln mit jeder In- 
spiration gehoben, die Nasenflügel blähen sich u. s. w. Man hat 
diese Verbreitung des Reizes auf gewöhnlich untätige Muskeln ds 
Irradiation bezeichnet, ein Wort, das, jetzt wenig mehr ge- 
bräuchlich, früher für eine Reihe im Wesen sehr verschiedener 
Vorgänge gebraucht wurde. Der Tatsache, die es hier bezeichnet, 
nämlich der Ausbreitung der Reaktion bei steigendem Reiz, sind 
wir auch früher schon bei der Lehre von der Ausbreitung der 
Reflexe begegnet (S. 59). Hier wie dort aber handelt es sich nicht 
um die wahllose Beteiligung von einfach lokal benachbarten Muskeln, 
sondern es handelt sich um die Heranziehung zweckmäßig wirkender 
Hilfskräfte, wie denn z. B. die Hebung des Schultergürtels den Brust- 
korb entlastet. So ist denn das Atemzentrum von vornherein für die 
Erfüllung erhöhter Ansprüche eingerichtet. In die Kategorie dieser 
zweckmäßigen Irradiationen möchte auch der merkwürdige Zusammen- 
hang zwischen dem Atemzentrum und dem Vasomotorenzentrum in 
der Medulla oblongata gehören, welcher sich in den Traübe-Hering- 
schen Wellen kundgibt. Diese bestehen, wie insbesondere Frederigq 
und seine Schüler gezeigt haben, in Schwankungen des Blutdrucks, 
welche den Atembewegungen synchron sind, derart, daß jede Inspira- 
tion einer Blutdrucksenkung jede Exspiration einer Blutdrucksteigerung 
entspricht, und welche, da sie auch noch dann auftreten, wenn eine 
Beeinflussung des Blutdrucks durch den mechanischen Vorgang der 
Atmung ausgeschlossen ist, nur auf einen Zusammenhang der beiden 
Zentren bezogen werden können. 

Mit alledem ist aber die mannigfache Tätigkeit des Atemzentrums 
noch immer nicht erschöpft. Wir hatten bisher die Atmung nur als 
einen Wechsel von Tätigkeit und Ruhe einer Muskelgruppe, der In- 
spiration, betrachtet. Nun kann aber auch die Exspiration durch die 
Tätigkeit einer zweiten Muskelgruppe, insbesondere der Bauchpresse, 
und gewisser Intercostalmuskeln noch unterstützt werden, und wir 
haben dann zwei abwechselnd rhythmisch arbeitende Muskelgruppen. 
Das ist insbesondere wieder in der Dyspnoe der Fall, und auch in 
der Norm ist nach einigen eine solche aktive Exspiration immer 
angedeutet. Das Problem des Rhythmus wird dadurch weder leichter, 
noch schwieriger, und das reciproke Verhalten zweier anta- 
gonistischen Muskelgruppen war uns bereits in der Sher- 
RiNGTONschen Regel für die Reflexe bekannt geworden (S. 60). Nur, 
daß es hier bei einer automatischen Tätigkeit zum Ausdruck käme, 
wäre das Neue. 



Atemzentrum. 133 



Die nervösen Impulse, welche zu den Atemmuskeln gehen, kommen 
ja zunächst aus ihren Kernen. Die Nasenbewegungen der Atmung 
gehen vom Facialiskern, die der respiratorischen Stimmbandbewegungen 
vom Nuc. ambiguus aus, die des Zwerchfells von der Ursprungsstätte 
des N. phrenicus im Cervikalmark, die der Bauchmuskeln aus ihren 
ürsprungssegmenten im Rückenmark. Wie werden nun alle diese 
Kerne zu derjenigen zweckmäßigen und koordinierten Tätigkeit zu- 
sammengeordnete, welche jeder einzelne Atemzug darstellt? Daß es 
hierfür einen besonderen Apparat im Zentralnervensystem geben muß, 
der alle jene Nervenkerne zu der geregelten Tätigkeit des Atemzuges 
verbindet, ist eine notwendige Annahme, die ihren Ausdruck findet in 
der Aufstellung eines Atemzentrums. Wo liegt dieses Zentrum? 
Ist es ein punktförmiges Gebilde oder dehnt es sich über weite Gebiete 
des zentralen Nervensystems aus? Die erste Annahme ist die von 
Flourens, der bekanntlich seinen Noeud vital an das Ende der Rauten- 
grube, in den Galamus scriptorius verlegte. Demgegenüber ist es jedoch 
nachgewiesen, daß man in dieser Gegend recht erhebliche Verletzungen 
machen kann, ohne die Atmung, und nach unseren Erfahrungen 
insbesondere die Kopfatmung dauernd zum Stillstand zu bringen, 
andererseits genügt bereits die Verletzung mehr oralwärts gelegener 
Abschnitte, um die Atmung zum Stillstand zu bringen. Es ist wahr- 
scheinlich, daß in der Gegend des Calamus scriptorius nur die zum 
Rückenmark herunterziehenden Atembahnen besonders nahe zusammen 
liegen. Wir folgen vielmehr den Angaben von Gad und Marinesco, 
welche bei fein lokalisierter Schädigung der Medulla oblongata mittels 
Aetzung durch erhitzte Glasperlen zu dem Ergebnis kamen, daß das 
Atemzentrum in der grauen Formatio reticularis zu suchen ist. Von 
einer punktförmigen Begrenzung wird hier ebensowenig wie bei einem 
anderen Zentrum die Rede sein. Vielmehr dürfte es sich um ein 
räumlich ausgedehnteres Feld handeln, dessen Ganglienzellen also 
Strangzellen der Medulla oblongata darstellen würden. Dem Grau 
dieses Bezirkes hätten wir auch die besondere Form der automatischen 
Erregbarkeit zuzuschreiben , welche den Atemapparat auszeichnet 
Wenn von Brown-S^qüard, Langendorff und Wertheimer an- 
gegeben wird, daß insbesondere bei neugeborenen Tieren rhythmische 
Atembewegungen des Brustkorbes sich auch noch nach Abtrennung 
des Rückenmarks von der Medulla oblongata finden, so mag zu- 
gegeben werden, daß auch noch im Rückenmark Apparate vorhanden 
sind, welche unter besonderen Bedingungen rhythmisch-automatisch 
tätig sein können^). Setzen sich doch die Strangzellen der Formatio 
reticularis ohne jede Grenze in die des Vorderhorns fort. Die Be- 
deutung des kaudalen Teils der Medulla oblongata für das Ganze der 
koordinierten Atmung kann durch diese Beobachtungen nicht er- 
schüttert werden. Diese Bedeutung der Medulla oblongata zuerst 
durch die hohe Durchschneidung des Halsmarkes dargetan zu haben, 
ist das große Verdienst von Legallois. 

Wir haben oben vorläufig von dem Zusammenwirken der bei der 

1) Eine Bedingung für die Anerkennung dieser spinalen Atembeweffun^en als 
Ausdruck der normalen Innervation wäre auch der nicht erbrachte Nachweis, daß 
ihr Bliythmus mit demjenigen übereinstimmt, den die Atmung nach Isolierung des 
Zentrums im verlängerten Mark von den oberen Bahnen und nach der Durch- 
schneidung der Vagi zeiet, denn für ein Zentrum im Bückenmark wäre die Isohe- 
rang vom verlängerten Mark auch die Isolierung von diesen beiden Einflüssen. 



134 



Vlll. Der Hirnatamm CRedese, Atemzentrum). 




Atmung beteiligten Muskeln gesprochen, aber selbst wenn msn von ] 
der aktiven Exspiration absieht, werden auch nur die bei der In- 
spiration tätigen Muskeln keineswegs gleichzeitig in Kontraktion ge- 
setzt. Die OefTnung der Nase geht der Erweiterung der Glottis und | 
diese der Zwerchfellbeweguug voraus, also auch für diese Regulation ] 
des Zeitpunktes, zu welchem die einzelnen Muskeln einzusetzen und zu \ 
erschlaffen haben, muß das Atemzentrum Sorge tragen. Es erscheint | 
nicht unmöglich, daß hierzu gewisse retiektorische Eintiflsse die Auto- \ 
niatie des Atemzentrums unterstützen; in dieser Richtung dürfte viel- f 
leicht die physiologische Bedeutung der von R. or Bois-Keymond | 
und EatzensT£1N gemachten Beobachtung zu suchen sein, daß näm- 
lich passive Bewegungen des Brustkorbes reflektorisch zu gleich- 
sinnigen Bewegungen der Stimmbänder führen, und daß dieser Reflex 
bedingt ist durch Reize, welche von den Muskeln des Brustkorbes 
selbst bei ihrer Spannung ausgehen. Daß solche Einflüsse von einem 
Teil des Atemapparates auf die anderen wirksam sind, darauf dürfte ■ 
auch die in der Praxis viel benutzte, wenn auch bestrittene Wirk- 1 
samkeit der LABORDEschen rhythmischen Zungeutraktiouen zur Wieder- 
belebung hindeuten. 

Zu erwälinen ist noch, daß das Atemzentrum im verlängerten 
Mark symmetrisch augelegt ist, derart, daß jede Seite des Zentrums 
die gleichseitigen Atemmnskeln versorgt. Die gleichzeitige Innervation 
der beiden Körperhälften muß geschehen durch Fasern, welche dia i 
beiden Hälften der Medulla oblongata miteinander verbinden; aber J 
auch im Cervikalmark kann die Erregung noch von einer Seite auf j 
die andere übergehen (vergl. S, 41). 

Die Bahnen, welche das Zentrum in der Medulla oblongata mit 1 
den Kernen der Atemmuskeln verbinden, sind nicht sicher bekannt. 1 
Von dem kaudalen Teil der Formatio reticularis zum Facialiskern ist 
es ja nicht weit, der Nuc. ambiguus liegt sogar mitten in ihr. Was ] 
die Verbindung mit den unteren Cervikalsegmenten als dem Ursprung 
des Phrenicus anlangt, so wird sie von Gad und Masinesco in die J 
Processus reticulares, bezw. von Portee in den mit diesen ja zu- 
sammenstoßenden Scitenstrang verlegt, es wäre nicht unmöglich, daS i 
ein von Thomas gefundenes Bündel, dessen Ursprung im kaudalen 
Teile der Formatio reticularis wir festgestellt haben, und das sich ' 
gerade bis in das Cervikalmark, nicht welter, verfolgen läßt, die bulbo- i 
spinale Atembahn darstellt. Seine Lage (vergl. das Kapitel über die 1 
motorischen Leitungsbahnen) entspricht, soweit zu übersehen, dea 
experimentellen Befunden. 

Wir haben bisher besprochen die Automatic der Atmung, die 
Koordination des einzelnen Atemzuges und die Entstehung des Rhyth- 
mus im allgemeinen, es bleibt uns nun noch übrig die Darstellung 
einiger Momente, welche auf Form und Rhythmus von Einfluß sind. 

Die normale Form der Atmung, die sich bekanntlich durch einen 
schnelleu Uebergang der Inspiration zur Exspiration und durch eine 
geringe exspiratorische Pause kennzeichnet (vergl. die Form der Atem- 
züge in Fig. 31), ist nämlich keineswegs die des von allen Einflüssen 
möglichst isolierten Atemzentrums. Es sind insbesondere und wahr- 
scheinlich allein zwei Faktoren, die dauernd die automatische Tätig- 
keit dieses Zentrums beeinflussen, das sind erstens der Lungenvagus 
und zweitens die sogenannten oberen Bahnen. 

Ueber die Rolle des Lun gen vag us bei der Atmung ist viel ge- 




Natürliche Erregnii;; des LangenTagnn. 



135 



stritten worden. Seitdem alleriliogs Traube gezeigt hatte, daß die 
Reizung des zentralen Vagusstammes am Halse mit IndtiktionsstrSmen 
einen inspiratorisclieu Tetanus zur Folge haben könne, ist wohl 
wenigstens darüber kein Zweifel, daß sein Haupteinfluß auf die 
Atmung ein reflektorischer sei, und daß dieser ausgebe von den sen- 
siblen Eudigungen des Vagus im Lungenparenchym. Der von V'olkmann 
vertretenen Anschauung gegenüber, daß die Erregung dieser Nerven- 
endigungen in der Lunge durch das Blut erfolge, bedeuteten die von 
Hering und Breuer gemachten Experimente einen fundamentalen 
Fortschritt, insofern damit der mechanische Reiz der Aenderung 
des Lungen volumens als Auslösung des Reflexes erkannt wurde. Hering 
und Breuer fanden, daß Lungenaufblähung Inspirationshenimung 
oder Exspiration, Lungenkollaps dagegen Inspiration auslöse, beides 
Reaktionen, welche nach doppelseitiger Vagusdurchschneidung aus- 
bleiben, also reflektorisch durch die Vagi vermittelt werden. Dieser 
Versuch bleibt bestehen. Auf Grund dessen nun nehmen Herikg 
und Breuer an, daß im Vagus zwei Arten von Fasern vorhanden 
sind, inspiratorisch und esspiratorisch wirksame, die inspiratorischen 
würden bei der Exspiration, die exspiratorischen bei der Inspiration 
gereizt, und so entstehe die „Selbststeuerung der Atmung" durch die 
Vagi. Eine solche Annahme schien auch gestützt zu werden durch 
weitere Ergebnisse mit Reizung 
des Vagusstammes am Hülse, 
welche ergaben, daß so nicht 
nur, wie Rosenthal wollte, in- 
spi rat ori sehe, sondern auch ex- 
spiratorische Wirkungen erzielt 
werden können. Ja. Grützner 
zeigte, daß es Formen der Reizung 
gibt, welche niemals inspirato- 
rische, sondern immer exspira- 
torische Wirkung haben. So wirkt 

vor allem der aufsteigende konstante Strom, der einen Dauerreiz 
darstellt; Dauerreize scheinen so auch bei der Atmung, wie gegenüber 
den Reflexen, besonders geeignet, hemmende Wirkungen zu entfalten. 

Es war zuerst Gad. welcher die HERiNG-BREüERsche Lehre in- 
sofern modifizierte, als er der inspiratorischen Wirkung des Vagus 
nur eine geringe Bedeutung zumaß. Diesen Schluß zog er aus der 
Beobachtung, daß die reizlose Ausschaltung der Vagi am Halse durch 
Gefrieren zunächst immer nur eine Veränderung der Atmung in in- 
spiratorischem Sinne hervortreten lasse. Die Kurve sieht umgekehrt 
aus wie die normale, inspiratorische Pause, rasche Umkehr der Ex- 
spiration zur Inspiration, dazu ein vermehrter inspiratorischcr Tonus 
der Atemmuskulatur. Aber die inspiratoriscbe Wirkung des Lungen- 
kollapses konnte er weder aus der Welt schaffen, noch erklären. 

Nun haben wir nachgewiesen, daß die Form der inspiratorischen 
Wirkung, welche bei Lungenkollaps auftritt, aussieht nicht wie eine 
Reizung des Vagus am Halse, sondern wie die von Gad bei Durch- 
frieren der Vagi gefundenen reinen Ausfallserscheinungen und damit 
war dem einen Teil des HERiNO-BREUERSchen Versuches eine neue 
Deutung gegeben, die Inspiration bei Lungenkollaps be- 
ruhte nicht auf der Reizung von Vagustasern. sondern auf dem Aus- 
fall der während der Atmung dauernd durch die Vagi ver- 




Fig. 31. Hemmung der Atmung (in 
E:EBpiraLionBstellung) durch den aufsleigen- 
den konstanten btrom. 




136 Vni. Der Himstunm (Keflese, Atemtentrum). 

mittelten Hemmung. Sie ist also keine Leistung der Vagi, 1 
sondern des Zentrums '■). Das Atemzentrum erscheint den Vagi 1 
gegenüber nicht wie ein Gummiball, den die inspiratorischen und] 
exspiralorischen Fasern sich zuwerfen, sondern etwa wie ein solcher, I 
der auf einer Wasserfläche schwimmt, unter die er gedrückt wird, j 
um aber aus eigener Kraft wieder an die Oberfläche zu gelangen, j 
Die dem Atemzentrum als solchem innewohnende Rhythmik kommt 
freilich in diesem Bilde nicht zum Ausdruck. Für die Regulierung \ 
der Atmung durch die Vagi ergibt sich folgende Vorstellung: Die 
Inspiration wird bewirkt durch die automatische Tätigkeit des Atem- | 
Zentrums. Durch die Inspiration tritt — wie oben besprochen — 
eine Verminderung der verfügbaren inspiratorischen Energie ein. 
Weiter aber erzeugt sich das Atemzentrum während der Inspiration 
selbst noch eine reflektorische Hemmung durch die Erregung der 
inspirationshemmenden Vagusfasern in der Lunge. Diese Hemmung 
wächst mit der bei der Inspiration fortschreitenden Lungenausdehnung. 
Wenn der Punkt erreicht ist, wo durch die steigende Stärke der 
Vagushemmung die Ueberwindung der sinkenden insplratorischeu 
Energie erreicht ist, beginnt die Exspiration , während welcher der 
umgekehrte Vorgang sich abspielt. Aber auch bei vollendeter Ex- i 
spiration ist die Vagushemmnng noch nicht gleich null, da die Lunge 
bei der normalen Atmung ja nicht völlig kollabiert, sie ist nur ent- 
sprechend gesunken, und es wird die Inspiration vom Atemzentrum 
gegen die Vagi erzwungen. Diese Lehre könnte als Selbsthemmung ' 
der Atmung durch die Vagi bezeichnet werden. 

Der Zweck dieser Selbsthemmung scheint darin zu liegen, die | 
Arbeitskraft des Atemzentrums zu erhatten. Zwar arbeitet sogleich J 
nach dem Vagusausfall das Zentrum mit gesteigerter Energie, wie 
sich in dem Vorwiegen der Inspiration gegen die Exspiration zeigt i 
Aber das Zentrum ist diesen vermehrten Ansprüchen an seine Arbeits- i 
kraft nur kurze Zeit gewachsen, schon nach kurzer Zeit stellen sich J 
exspiratorische Pausen als Zeichen der Ermüdung ein, die immer i 
länger werden, so daß eine Verschlechterung des Btutgasgehaltes ein- 
tritt, und nun vermag das Zentrum nicht mehr in der gewöhnliches 
Weise auf den Reiz des venösen Blutes mit Beschleunigung der 
Atmung zu reagieren, die esspiratorischen Pausen werden immer 
länger, das Blut wird immer venöser. Das Tier geht zu Grunde. 
Das ist der reine Vagustod. wie er insbesondere bei Kaninchen be- 
obachtet werden kann: allmähliche Erschöpfung des Zentrums infolge 
Ausfalls einer Hemmung, die die Arbeitskraft des Zentrums schont, 



IJ Unter Ignorierung cliraea Versuches hat öchenk gegUubr, trotzdem d«o I 
Vagus eine inspiratoriBcne Funktion erhalten eu können, indem er die ReBulüt« ' 
der Vagueaupschaltung einerseits während Lungen au fblaau Dg, anderereeite wShnod 



Versuche widersprechen durchaus dem oben Miti;eteilten, sowie der bereits von Loewy 
feetgestellten Wirkun^losigkeit der Durchach neidung des Vagus einer atelektattscben 
Limge, DaQ sie aul der Herbeiführung sehr komplizierter und unreiner Be- 
dingungen beruhen, ergibt sich schon daraus, daß Schenk zu einer ganz andereo 
Atemform kommt, je nachdem er den Vagus bei Lungenaufblasung oder -Aos- 



saugung ausschaltet. Es niüsnen also in der ScHENK^chea VersucbBanordnuns 
Faktoren auf das Atemsentrum wirksam sein, n-elche unabhängig vom Vagus sind, 
welche die verschiedenen Erfolge herbeiführen können. Durch Vergleich der 



Atemform vor und nach Vagusausschaltung allein kann man aber überhaupt keine 
bindenden Scblüsae ziehen. 





Selbsthemmung der Atmung. Obere Bahnen. 137 

ein sicherlich bemerkenswertes Beispiel für die Zweckmäßigkeit eines 
Reflexes, und zugleich für die Verwickelung der Probleme, welche 
uns bei der Prüfung der Verrichtungen des zentralen Nervensystems 
erwachsen. 

Hunde können in seltenen Fällen die doppelte Vagotomie dauernd 
überleben, wenn nur der Recurrens durch tiefe Durchschneidung des Va- 
gus geschont wird (Pawlow). Es ist das ein Beweis, daß in seltenen 
Fällen das Zentrum auch den gesteigerten Ansprüchen sich anpassen und 
ihnen gewachsen sein kann. Die Bedeutung der Schonung des Recurrens 
liegt in zweierlei Richtung. Erstens wird die Schluckpneumonie (vergl. 
S. 108) durch die Erhaltung des motorischen Abschlusses der Atmungs- 
organe, insbesondere des Kehlkopfs, hintangehalten, zweitens tritt bei 
jüngeren Tieren nach doppelseitiger Recurrensdurchschneidung, wie 
Legallois gezeigt hat, der Tod durch Erstickung ein, indem der er- 
schlaffte Kehlkopf, bei der Inspiration wie ein Ventil eingezogen, den 
Eintritt der Luft in die Trachea versperrt, und die Tiere an Erstickung 
zu Grunde gehen. Aber auch die Vermeidung dieser in der Recurrens- 
durchschneidung liegenden Schädigungen durch tiefe Vagusdurch- 
schneidung ist eben nur in sehr seltenen Fällen im stände, das Tier 
am Leben zu erhalten. 

Eine Stütze erfuhr die berichtete Auffassung der Vaguswirkung 
auch dadurch, daß uns der Nachweis gelang, daß nur die Aufblasung der 
Lunge, nicht deren Kollaps, mit einer negativen Schwankung 
am Vagusstamm verbunden ist, also auch auf diese Weise eine Reizung 
des Vagus sich nur während des der Inspiration entsprechenden Vor- 
ganges nachweisen läßt, wie das auch von Boruttaü mit graphischen 
Methoden^) bestätigt wurde. 

Nun wird aber auf das Atemzentrum noch von einem anderen 
Punkte als dem Vagus eine hemmende Einwirkung geübt, durch die 
oberen Bahnen. Es handelt sich dabei aber nicht um den Einfluß 
des Großhirns, von dem aus ja die Atmung bekanntlich auch beein- 
flußt werden kann, aber nicht dauernd beeinflußt wird, sondern um 
eine Funktion oralwärts gelegener Teile des Hirnstamms. Marckwald 
beobachtete zuerst, daß nach Zerstörung der Vierhügelgegend und 
Durchschneidung der Vagi eine ganz außerordentlich vertiefte und ver- 
langsamte Atmung, mit fast krampfhaften Inspirationen, auftritt, die von 
ihm so genannten Atemkrämpfe (Fig. 32). Es ließ sich dann zeigen, 
daß auch bei intaktem Vagi die Abtrennung des Hirnstamms hinter 
dem hinteren Vierhügel einen Einfluß auf die Atmung hat und zwar 
sieht nach dieser Operation die Atmung ganz ähnlich aus, wie nach 
der Vagusdurchschneidung. Die Inspiration ist verlängert, die Ex- 
spiration verkürzt (Fig. 32). Das läßt den Schluß zu, daß auch von der 
Vierhügelgegend aus noch dem Atemzentrum in der Medulla oblongata 
inspirationshemmende Impulse zugehen. Aber diese Impulse sind 
nicht wie die der Vagi reflektorisch, sondern wie die des Atemzentrums 
selbst, automatisch ausgelöst. Die Durchschneidung sensibler Nerven 
hat keinen Einfluß auf den Erfolg der Operation. Es handelt sich also 
um ein wirkliches Inspirationshemmungszentrum im Hirn- 
stamm, und zwar in der Höhe der hinteren Vierhügel. Der hintere 



1) Angesichts dieser eindeutigen und methodisch ein wandsfreien Versuche 
können wir auf die auch in sich — wie hier nicht des näheren auszuführen — wider- 
spruchsvollen Versuche von Alcock und Seemann entscheidenden Wert nicht legen. 



13ft 



VIII. Der HiiDBUmm (Befleze, AtemzeDtruiu). 



Vierhügel selbst zwar kommt für diese Lokalisation nicht in Betracht, j 
sondern nur entweder das zentrale Hühlengrau oder die Formatio reti- , 
cularis des Stammes in der Höhe des hinteren Vierhflgels. Ob dieses 
Inspirationshemmungszentrum rhythmisch funktioniert oder gieichmäßig, 
ist nicht auszumachen. Notwendig ist die Annahme einer rhythmischen 
Tätigkeit nicht. Die verhältnismäßige Geringfügigkeit der entweder 
nach Abtrennung der oberen Bahnen allein oder nach Vagusdurch- 
schneidung allein zur Beobachtung kommenden Ateraveränderungen 
im Gegensatz zu den vielfach größeren, enormen Folgen der Kom- 
bination beider Operationen, die Tatsache also, daß sich die Wirkangen 
zweier Operationen nicht einfach summieren, sondern vervielfältigen, be- 
weist, daß die beiden Apparate, der reflektorische und der auto- 
matische, bis zu einem gewissen Grade für einander eintreten können, 
wir haben also hier das Beispiel einer Ersatzleistung im zentralen , 
Nervensystem. 




Fig. 32, Oben link» Alniuufc nach Ablreouuu^ der obereu Buhneu. bei * Durch- 
echneidutjg eines Va^s; unten bei * Durcbech neidung den zireiteu Vagus, rechte 
davon dann AtemkrSmpfe. 

Soviel aber die Regulation der normalen Atmung. Aber die Lehre 
von der Ateminnervation ist so reich an Fragen, welche zur allge- 
meinen Physiologie des Nervensystems beitragen können, daß wir uns 
noch weiter zunächst mit einigen Atmungsreflexen beschäftigen müssen. 
Zunächst ist hier noch die Frage zu erledigen, die sich noch auf die 
Vagusphysiologie bezieht, wie es denn kommt, daß man durch Reizung 
des Vagus am Halse, wie erwähnt, Atemstillstand in Inspi- 
ration erzielen kann, und was das zu bedeuten habe, da doch unserer 
Anschauung nach durch die Schwankungeu des Lungenvolums eine 
inspiratorische Reizung des Vagus niemals gesetzt wird. Ist diese 
Anschauung richtig, so ist es schon von vornherein unwahrscheinlich, 
daß besondere Fasern für eine Funktion vorhanden sein sollten, welche 
doch niemals ausgeübt wird. In der Tat scheint uns diese mögliche 
inspiratorische Wirkung der künstlichen Vagusreizung nur bedingt 
durch die Anwendung einer Reizungsart, deren Bedingungen in den 
Lungen niemals gegeben sein dürften, nämlich der mit unterbrochenen 
Reizen. Nur un t erbrochene, sei es gleichgerichtete, sei es Wechsel- 
ströme, sind Oberhaupt im stände, diese inspiratorische Wirkung her- 
vorzurufen. Der konstante aufsteigende Strom sowie chemische Reize 
machen nur Inspirationshemmung, und die gleichmäßige Ausdehnung 
der Lunge dürfte in der Tat einem Dauerreiz, nicht einem unter- 
brochenen Reize, zu vergleichen sein. Aber auch die Exspiration dann 
bietet keine Momente, welche eine Erregungsart, wie sie allein Inspiration 
bei künstlicher Reizung des Vagus bewirken kann, bedingen könnten. 



I 




Atemreflexe von den sensiblen Nerven und den Laryngei. 139 

Wenn wir also die inspiratorische Wirkung der künstlichen Reize 
für ein Kunstprodukt halten, so sind doch weiterhin die Erfolge dieser 
künstlichen reflektorischen Beeinflussung des Atemzentrums und jetzt 
nicht nur mehr des Vagus allein, für die Physiologie des nervösen 
Zentraloegans noch von Wichtigkeit, weil die hier am Atemapparat er- 
haltenen Resultate übersichtlicher sind, als die an irgend einem Reflex- 
vorgang bisher gewonnenen. Sie sind sicherlich in Parallele zu setzen 
mit der Interferenz zweier reflektorischer Reize, nur daß der eine 
Reiz hier dauernd vom Organismus selbst automatisch geliefert wird, 
80 daß wir also nur noch genötigt sind, einen anderen künstlich und 
zwar reflektorisch, anzubringen. Zunächst ist hervorzuheben, daß sehr 
starke Reize, an welcher Stelle der Körperoberfläche sie auch ange- 
bracht werden, die Tendenz haben, die Atmung zu hemmen. Das 
erinnert an die Schmerzhemmung der Reflexe (S. 42). Wie dort, sind 
auch hier nicht alle Stellen der Körperoberfläche gleich empfindlich, 
besonders ist es die Schleimhaut der Nasenhöhle, deren durch den 
Trigeminus vermittelter Reflex auch außerordentlich zweckmäßig zur 
Vermeidung der Einatmung ätzender Gase und bei Vögeln auch des 
kalten Wassers in die tieferen Luftwege ist Eine schwache Reizung 
der sensiblen Nerven macht eine inspiratorische Wirkung und 
Beschleunigung der Atmung. Eine solche würde sich im Sinne Exners 
als eine bahnende bezeichnen lassen, und da wir die Bahnung nur als 
Summation auffassen konnten, so würde sich ergeben, daß sich schwache 
reflektorische Reize zu der automatischen Erregung des Atemzentrums 
summieren, starke sie hemmen, jedenfalls aber durchaus nicht immer, 
wie Goltz annahm, eine Erregung die andere störe. Auch die ver- 
kehrte Nachwirkung der Reflexhemmung finden wir beim Atemzentrum 
wieder in Gestalt einer der Hemmung folgenden kleinen inspirato- 
rischen Atempause. 

Ist die Wirkung der meisten peripheren Nerven auf die Atmung 
eine, wenn auch quantitativ verschiedene, so doch im Prinzip gleiche, 
d. h. bei schwacher Erregung fördernde, bei starker hemmende, so läßt 
sich doch gerade bei der Lehre von der Atmung auch die Existenz 
spezifischer Hemmungsnerven beweisen. Zu diesen gehört nach 
Rosenthals Entdeckung derLaryngeus superior, wie übrigens, 
wenn auch quantitativ viel schwächer wirksam, der Recurrens, deren 
Wirkung wohl in Beziehung zu bringen ist zu der bereits erwähnten 
Hemmung der Atmung beim Schluckakt. Durch seine Reizung kann nie- 
mals die für die Reizung gewöhnlicher sensibler Nerven charakteristische 
inspiratorische Abflachung und Beschleunigung der Atmung erzielt 
werden. Zu ihnen gehört ferner vor allem der Vagus. Denn wenn 
wir auch von ihm aus sowohl Inspiration als auch Exspiration er- 
zielen können, so ist doch die hemmende Wirkung von Dauerreizen, 
wie insbesondere die des aufsteigenden konstanten Stromes, etwas 
durchaus ihm Eigentümliches und durch die entsprechende Reizung 
eines gemeinen sensiblen Nerven nicht zu erzielen. Auch diejenige 
Form der Summationswirkung, welche sich bei Reizung des Vagus 
mit Induktionsströmen erzielen läßt, der Inspirationsstillstand — denn 
wir betrachten eben jede inspiratorische Wirkung als eine Summation 
des reflektorischen zu dem automatischen Reiz — ist spezifisch und 
wir haben so für die Ateminnervation eine Detaillierung der Inter- 
ferenzen zwischen zwei Reizen, wie sie noch bei keinem Reflex auf- 



140 Vlir. Der HimKtaimn (Reflexe. ÄlMiiMntnim). 

gedeckt worden ist, aber für die Lehre von den Reflexen doch wohi 
von wegweisender Bedeutung ist. 

In dieser Richtung ist noch ein Faktor zu erwähnen, der für die 
Lehre von der Interferenz zweier reflektorischer Reize wohl noch 
kaum geprüft worden ist, deren Einfluß für die Interferenz zwischen 
reflektorisciiem und automatischem Atenireiz aber ganz auffällig ist: 
der Zustand des Zentrums. Die Narkose vermindert die Tätigkeit 
des Atemzentrums, wie die eines Reflexzentrums. Das zeigt sich in 
einer Verflachung der Inspiration und einer Verlängerung der Ex- 
spiration. Von einem gewissen Grade der Narkose an ist es dann 
Oberhaupt unmöglich, noch inspiratorische Wirkungen durch reflek- 
torische Nervenreizung zu erzielen, auch nicht mehr durch die sonst 
so wirksame Reizung des Vagus am Halse mit Induktionsströmcn. 
Man bekommt dann vielmehr nur noch eine Hemmung, eine Exspira- 
tionspause. mit den gleichen Reizen, die früher eine Inspiration machten. 
In unserer Deutung würde das also heißen, daß bei verminderter 
Erregbarkeit des Zentrums eine Summation überhaupt nicht mehr 
stattfindet, sondern daß jetzt in der Tat jeder Reiz die gerade ab- 
laufende Erregung stört, und die Tätigkeit des Zentrums vermindert 
Daß die Fernhaltung von Reizen bei erschöpften Individuen ganz all- 
gemein sich empfiehlt, ist eine mit der berichteten speziellen Erfahrung 
am Atemzentrum vielleicht gut stimmende praktische Erfahrung. 

Besondere, im Hirnstamm sich schließende Reflexe, welche in 
besonderen Kombinationen der zur Atmung dienenden Muskeln be- 
stehen, sind das Niesen und das Husten, ersteres ausgelöst durch 
die Reizung des N. ethmoidalis trigemini, letzteres durch die sensible 
Reizung der Nerven des Kehlkopfetnganges, der Bronchien und der 
Pleura. Motorisch stellen beide Reflexe aktive Exspirationen dar. Der 
Mechanismus des Niesens ist im einzelnen noch nicht ganz klargestellt. 
Das Räuspern ist nur ein Diminutiv des Hustens. 

Tu Gestalt des Seufzers wird auch eine tiefe Inspiration durch 
mannigfache Reize beim Tier sowohl als auch noch beim anencephali- 
schen Menschen vom Hirnstamm, nach Sterkberq und Latzko 
nicht höher als in der Medulla oblongata. ausgelöst. 

Schon Husten und Seufzen sind mit eigentümlicher Lautbildung 
verbunden. Zur Hauptsache wird diese, wenngleich sie ja ohne die 
Atmung nicht erzeugt werden kann, beim Schreireflex. Denn auch 
das Schreien ist ein Reflex, der allein im Hirnstamm noch zu stände 
kommen kann. Das großhirnlose Kaninchen schreit, wenn der Tri- 
geminus durchschnitten wird. Auch die anencephalischen Mißgeburten 
schreien meistens noch sowohl bei Schmerzreizen, wie gleich bei 
der Geburt, Dieser erste Schrei wird nach Kussuaul als Reflex 
auf den plötzlichen Einfluß der kalten umgebenden Luft aufgefaßt, 
wodurch die eigentliche Ursache der Atmung des Neugeborenen, die 
Venosität des Blutes infolge der Unterbrechung des Placentarkreis- 
laufs unterstützt wird. Beim Neugeborenen kommt also auch der 
Schrei noch als Reflex zu stände, wenn nur der Hirnstamm etwa bis 
zum Vierhüge! hinauf erhalten ist. Beim Erwachsenen dürfte der 
Schreireflex allerdings auf das Großhirn fibergegangen sein. 

Schließlich haben wir noch einer Störung des Stoffwechsels zu 1 
gedenken, die bei VerletzungdesHirustammszur Beobachtung kommt, der . 
von Cl. Bernakd entdeckten Zuckerausscheid uug nach der Piquflre, 1 



I 
I 





Piquüre-Diabetes. 1 41 



der Verletzung der Medulla oblongata durch einen in der Mittel- 
linie geführten Stich, etwa in der Mitte zwischen Acusticus und Vagus- 
ursprung. Die Zuckerausscheidung tritt etwa nach einer halben Stunde 
auf und dauert etwa 5-6 Stunden. Sie ist verbunden mit Polyurie. 
Sie ist bedingt durch eine Wirkung auf die Leber, und zwar auf die 
Umwandlung des Leber glykogens in Zucker. Bei glykogenfreier Leber 
hat der Zuckerstich keinen Erfolg. Wegen dör rasch vorübergehenden 
Wirkung hat Cl. Bernard die Zuckerausscheidung als durch Reizung 
von nervösen Elementen der Medulla oblongata bedingt aufgefaßt. 
Das ist aber wohl nicht sicher, ebenso wie der Mechanismus des 
ganzen Vorganges noch nicht völlig aufgeklärt ist, insbesondere die 
Frage, inwieweit eine vasomotorische Wirkung als Mittelglied zwischen 
der Operation und der Zuckerausscheidung aus der Leber ins Blut, 
und dann weiterhin durch die Niere in Betracht kommt. Wenn das 
nicht der Fall ist, hätten wir in dem Erfolg des Zuckerstiches das 
erste Beispiel der nervösen Beeinflussung einer inneren 
Sekretion. Denn eine solche stellt zwar nicht die Zuckerausscheidung 
durch die Niere, wohl aber die Abgabe von Zucker aus der Leber ans 
Blut dar. Durch eine kaudalere Verletzung der Medulla oblongata hat 
Eckhard auch zuckerlose Polyurien, also dem Diabetes insipidus des 
Menschen verwandte Zustände erzeugt, was er aber mit Wahrscheinlich- 
keit nicht auf die Beeinflussung sekretorischer, sondern vasomotorischer 
nervöser Funktionen bezieht. 



IX. Kapitel. 

Allgemeine Bedeutung des Hirnstammes. Mensch und Tier 

ohne Grosshirn. 

Bisher haben wir nur die Einzelleistungen des Hirnstamms be- 
trachtet. Es bleibt zu erwägen, inwieweit der Hirnstamm als in ge- 
wisser Hinsicht übergeordnetes Zentralorgan etwa die Funktionen des 
Rückenmarks unterstützen oder beherrschen könne. Wir glauben, 
das am besten tun zu können, indem wir zunächst einmal die Folgen 
der totalen Großhirnexstirpation schildern. Das Großhirn 
besteht aus der Rinde, dem Pallium, das insbesondere bei den Säugern, 
und dem Corpus striatum (Schwanzkern und Linsenkern), das bei den 
niederen Wirbeltierklassen, auch noch bei den Vögeln, hauptsächlich 
entwickelt ist. Bei allen Wirbeltieren haben wir aber nach Entfernung 
des Großhirns nur noch den Hirnstamm und das Rückenmark funktions- 
fähig, so daß wir in den Verrichtungen, welche unter solchen Um- 
ständen noch übrig bleiben, zugleich ein Maß für die Bedeutung des 
ganzen Hirnstamms, und durch Subtraktion von den Eigenschaften 
eines normalen Tiers zugleich die Summe der vom Großhirn — d. h. 
von der Rinde und dem Corpus striatum zusammen — abhängigen 
Leistungen haben. Zum Hirnstamm haben wir in diesem Zusammen- 
hang allerdings nicht nur die im vorigen Abschnitt behandelten Hirn- 
teile zu rechnen, sondern hinzu kommen noch das Zwischenhirn und 
das Kleinhirn. Die Faserzusammenhänge des ersteren sind nur beim 
Säuger bisher mit genügender Schärfe festgestellt, und wir werden 
das Urteil später noch näher zu begründen haben, daß der Thalamus 
nicht als eigenes Zentralorgan, sondern nur als Schaltstation auf dem 
Wege zwischen Peripherie und Großhirn in Betracht kommt. Ob das- 
selbe auch bei den niederen Wirbeltierklassen der Fall ist, erscheint 
zweifelhaft, die andersartige Zusammensetzung des Großhirns bedingt 
hier vielleicht auch eine andere Bedeutung des sogenannten Thala- 
mus. Wir werden jedenfalls überall die Anhaltspunkte, die etwa für 
eine spezifische Zwischenhirnfunktion vorliegen, prüfen. Auch die 
Bedeutung des Kleinhirns ist bei den niederen und höheren Wirbel- 
tierklassen eine ganz verschiedene. Kommt es bei den niedersten 
Wirbeltieltieren weder anatomisch — es bildet bei Amphibien und 
Reptilien nur eine schmale Leiste (Fig. 33) — noch auch nach Steiners 
Feststellungen physiologisch wesentlich in Betracht, so bildet es bei 
den Vögeln und bei den Säugern ein mächtiges Organ von hoher funk- 
tioneller Bedeutung. Bei den letzteren ist also für die Summe nach 
Entfernung des Großhirns noch übrig bleibender Funktionen das 



Erwachsener und Neugeborener ohne Großhirn. Anencephalen. 143 

Kleinhirn in hohem Maße mit verantwortlich, während wir bei den 
ersteren fast nur die im vorigen Abschnitt bereits behandelten Ge- 
hirnteile: verlängertes Mark, Brücke, Mittelhirn zu berücksichtigen 
haben. Wenn wir also hier die Gesamtheit der vom Hirnstamm ab- 
hängigen Funktionen behandeln, so bleibt die Schilderung der Elein- 
hirnfunktionen im wesentlichen einem späteren eigenen Kapitel (XI) 
vorbehalten, während die Funktionen der anderen genannten Teile des 
Hirnstamms in diesem auch voneinander noch getrennt werden 
sollen. 

Viel schärfer noch als beim Kückenmark haben wir hier, wo es 
sich bereits mit um die Funktionen des Großhirns handelt, dessen 
Bedeutung in der phylogenetischen Reihe immer mehr zunimmt, die 
einzelnen Tierklassen zu unterscheiden. 

Fangen wir diesmal oben an, so müßte die Frage beantwortet 
werden, wie zunächst der erwachsene Mensch sich ohne Groß- 
hirn verhalten würde. Nun ist ein entsprechender Fall, der etwa den 
Anforderungen des Tierexperimentes entsprechen würde, nicht zur 
Beobachtung gekommen, weil der erwachsene Mensch bei umfangreichen 
Zerstörungen beider Großhirnhemisphären immer sehr bald zu Grunde 
geht und das ist bemerkenswert; denn es zeigt sich, daß selbst die 
Reflexe, die wir im vorigen Kapitel dem Stamm zuschrieben, beim er- 
wachsenen Menschen, wie das auch bereits bemerkt wurde, doch unter 
einer gewissen Kontrolle des Großhirns stehen. Schon das Schlingen 
und Schlucken geht beim Erwachsenen durchaus nicht einfach reflek- 
torisch mit der normalen Exaktheit von statten. Das liegt sicherlich 
nicht allein daran, daß der Shock, die depressorische Beeinflussung der 
niederen Hirnteile, welcher eine Verletzung des Großhirns beim 
Menschen bewirkt, sehr viel größer ist als die Folgen einer ent- 
sprechenden Schädigung eines Tieres, sondern es liegt auch an einem 
Ausfall eines aktiven Anteils der Großhirntätigkeit auch an den tiefer- 
stehenden Leistungen des Körpers. Wir werden ja darauf bei der 
Lokalisation im Großhirn noch zurückzukommen haben. Aber schon 
hier sei bemerkt, daß schon partielle Verletzungen des Großhirns im 
Stande sind, die Fortbewegung des Menschen und die Möglich- 
keit der Aufrechterhaltung völlig aufzuheben — im Gegensatz zu dem 
Verhalten großhirnloser Tiere. Schon bei im Kindesalter einsetzenden 
doppelseitigen Störungen der Hirnrinde kann es — und sogar bei In- 
tegrität der psychischen Funktionen — zu einer so schweren Be- 
wegungsstörung kommen, daß der also Betroffene sein ganzes Leben 
auch nicht einen Schritt aus seinem Stuhle herauskommt. Beim Er- 
wachsenen sind schon nach großen Zerstörungen einer Großhirn- 
hemisphäre Fälle absoluter Lähmung einer Körperhälfte Jahre lang 
beobachtet worden, was uns annehmen läßt, daß, wenn solche doppel- 
seitige Zerstörungen nicht eben das Lebfen unmittelbar vernichteten, 
die totale Großhirnzerstörung dem Menschen auch keine Spur mehr 
von Fortbewegung lassen würde. So erscheint beim erwachsenen 
Menschen nicht nur die Spontaneität, sondern auch die technische 
Möglichkeit der Ausführung der Fortbewegung an das Groß- 
hirn geknüpft. Zusammen mit der Behinderung der Nahrungsauf- 
nahme dürfte hierdurch der wesentlichste Punkt der überragenden 
Wichtigkeit, der Suprematie des Großhirns und der geminderten Be- 
deutung des Stammes und des Rückenmarks für die Bewegung beim 
Menschen bezeichnet sein. 



144 



IX. AUgemeiiie Bedeutnoit des HiruBbunmes. 



k 



Beim Neugeborenen freilich sind, wie sich aus Jen Beobacli- I 
tungen an großhirn losen MiUget) urten ergibt, die Kompetenzen I 
des Stammes noch gröiSer. Es scheint, als wenn das biogenetische Grund- | 
gesetz, daß die Geschichte des Individuums eine abgekürzte Stammes- | 
geschichte darstelle, sich auch in dem Punkte bewähren sollte, da& I 
der Wert des Hirnstammes beim Neugeborenen sich dem beim Tiere I 
nähert, die Uebergabe von dessen Befugnissen au das Großhirn erst J 
im Laufe des extrauterinen Lebens erfolgt. Zwar zur Fortbewegung 1 
ist ja auch das normale menschliche Neugeborene noch unfähig. Mehr 1 
als einige Tage lassen sich aber auch hirnlose Mißgeburten nicht am I 
Leben erhalten. Von einer solchen, die ihren Htrnstamra nur bis zum I 
Trigemiuusaustritt besaß, berichtet aber v. Muralt, daß sie normale, I 
also wohl strampelnde Exlremitätenbewegungen gezeigt habe. Ander« I 
Autoren halten die Bewegungen solcher Änenceplialen fQr rein reäek- 
loriscli. Aber auch die des normalen Neugeborenen dürften hiervon 
nicht allzuweit entfernt sein. Jedenfalls sind diese Reflexe recht kom- 
plizierte. So beobachteten Sternbero und Latzko bei einem Anence- I 
phalus, dessen Gehirn nur bis zum Trigeminusaustritt, also bis zur I 
Brücke, entwickelt war, und dem obenein noch das Kleinhirn fast I 
gänzlich fehlte, den Greifreflex, die Schließung der Hand bei Ein- I 
bringung eines Gegenstandes in dieselbe, genau so, wie sie bei nor- I 
malen Kindern beobachtet wird. Wahrscheinlich hängt dieser Betlex J 
beim Neugeborenen nur vom Rückenmark ab; daß er nur bei einem ] 
Kinde, das noch einen Teil des Stammes besaß, beobachtet wurde, ] 
liegt wohl daran, daß Mißgeburten, die nur das Rückenmark be- 1 
sitzen, wegen der fehlenden Atmung überhaupt nicht lebend geboren I 
werden. ] 

Außer den Reflexen, die bei der Nahrungsaufnahme beteiligt sind, I 
und die im vorigen Kapitel behandelt wurden, sind noch Unlust- I 
reaktionen bei hirnlosen Mißgeburten zu erwähnen, die durch schmerz- 
hafte Reize ausgelöst werden, schmerzliches Verziehen des Mundes, j 
also eine mimische Ausdrucksbewegung, Zurückziehen und Abwenden I 
des Kopfes, Schreien und Wimmern, das auch spontan gewöhnlich 1 
besteht, aber bemerkenswerter weise durch Anregung des Saugens, wi6 I 
schon Ollivier bemerkte, ganz wie beim normalen Kind gehemmt ] 
werden kann. Dabei ist bei den Änenceplialen von einer Erhaltung j 
des ganzen Hirnstamms gar keine Rede. ] 

Von einer Verwertung der durch die höheren Sinnesnerven zu- 
gefflhrten Eindrücke durch den Stamm ist weder beim erwachsenen, 
noch beim neugeborenen Menschen etwas bekannt, außer den bereits 
erwälmten, einmal beobachteten, verschiedenen mimischen Reaktionen 
auf süße und bittere Geschmacksreize bei einem Anencephalus. ] 

Vollständige Großhirnentfernung beim Affen ist bisher noch nicht | 
gelungen. ' ' 

Vom Wiederkäuer haben wir einige Berichte von sogenanntem 
versteinerten Gehirn, d. h. großen Knoehengeschwülsten, die das Ge- 
hirn zerstört und verdrängt halten. Ochsen mit versteinertem Ge- 
hirn sollen zur Weide gegangen sein und sich kaum von normalen 
unterschieden haben. Diese Berichte sind mit einer Ausnahme, einer 
von Roth anatomisch untersuchten Ziege ^ deren Verhalten etwa 
den gleich zu schildernden GoLTZschen Hunden entsprach — nicht ] 
ganz sicher, insofern es sich da eben nur um eine starke Ein* 
schränkung und Verdrängung des Großhirns, aber nicht um seine J 




Goltz* Hund ohne Großhirn. 145 



völlige Vernichtung gehandelt haben wird, auf die allein es uns hier 
ankommt. Aus demselben Grunde konnten wir auch die Beobachtung 
an mikrocephalischen Menschen mit ihrem oft außerordentlich ver- 
kümmerten Gehirn hier nicht heranziehen. 

Dagegen ist der Hund ohne Großhirn durch die klassischen 
Versuche von Goltz in seinen Funktionen sehr genau bekannt geworden. 
In der Tat ist es bisher nur Goltz gelungen, mit einem unendlichen 
Aufwand von Mühe und mittels sorgsamster Pflege in einer Reihe 
von Operationen Hunde ihres ganzen Großhirns zu berauben und sie 
dann lange Zeit am Leben zu erhalten. Der Standardhund von Goltz 
lebte 18 Monate nach der Operation, welche ihm die zweite Hemi- 
sphäre nahm, und wurde dann getötet. Da das Gehirn dieses Hundes 
auch genügend anatomisch untersucht wurde, so stehen die von Goltz 
an ihm erhobenen Befunde über allen Zweifel fest. Die bei ihm noch 
übrigen Funktionen waren solche des Hirnstamms mit dem Kleinhirn, 
wobei noch zu bemerken ist, daß auch der Thalamus opticus zum 
großen Teile erweicht war. Diese Nebenverletzung dürfte jedoch, da 
der Thalamus, wie bemerkt, nur eine Schaltstation auf dem Wege 
der Sensibilität zur Rinde darstellt, keinen Einfluß auf den Erfolg der 
Operation gehabt haben. Goltz selber ist sehr geneigt, alle die- 
jenigen Funktionen, welche sich bei seinem Hund wiederherstellten, 
aufzufassen als den Ausdruck der normalen Tätigkeit des Hirn- 
stammes, w^elche nur durch den Eingriff der Operation eine Hemmung 
erfahren habe. Demgegenüber glauben wir, daß es sich hier in sehr 
hohem Grade um die Wiedererwerbung und Entwicklung von Funk- 
tionen durch den Hirnstamm handelt, welche im normalen Leben doch 
dem Großhirn zukommen. Die Leistungen des GoLTZschen Hundes 
dürfen jedenfalls nur aufgefaßt werden als das Maximum dessen, was 
der Hirnstamm nach Entfernung des Großhirns leisten kann, nicht 
als das Maß dessen, was er im normalen Betriebe des Ganzen wirk- 
lich leistet, und die DiflFerenz zwischen diesen beiden Größen darf 
auch nicht einfach durch den Fortfall einer vom Großhirn ausgehen- 
den Hemmung erklärt werden, sondern ist verständlich am ehesten 
noch durch eine Analogisierung der Ontogenese mit der Phylogenese, 
im Laufe deren immer mehr ursprünglich den niederen Zentralteilen 
eigene Leistungen vom Großhirn übernommen und erst vervoll- 
kommnet werden, ihre Spuren aber in den niederen Teilen noch zu- 
rücklassen. 

Die höchststehende Leistung des GoLTZschen Hundes war die, 
daß er noch Futter nahm. Nachdem er eine Zeitlang künstlich ge- 
füttert worden war, lernte er es, aus einer ihm vorgehaltenen Schüssel 
zu saufen und ihm an die Schnauze gehaltene Fleischstücke, auch 
Knochen, zu ergreifen, kunstgerecht zu kauen und zu verschlingen. 
Daß er sich seine Nahrung selber suchte, konnte man nicht gut von 
ihm verlangen, da er nicht mehr sah und nur noch ganz primitive 
Sehreaktionen hatte, ganz abgesehen davon, daß er tief blödsinnig 
war. Aber selbst so war das Gefühl eines gewissen Nahrungsbedürf- 
nisses nicht zu verkennen. Denn unter dem Einflüsse des Hungers 
zeigte der Hund eine vermehrte motorische Unruhe, in welcher er 
sich gelegentlich sogar auf den Hinterfüßen emporrichtete und seine 
Vorderfüße auf den Rand der ^j^ m hohen Schranke legte, die seinen 
Käfig umgab. Bitterschmeckenden Stoffen gegenüber verhielt sich der 
Hund wie der oben (S. 123) erwähnte menschliche Anencephalus. Ein in 

Lewandowsky, Funktionen d. zentralen Nervensystems. 10 



146 



IX. Äl]|;emeiiie Bedeutung des HirnsUinmes. 



Chininlösung getränktes Fleischstack spie er unter Zeichen des Miß- 
behagens aus. Au dieseu Versuch schließt Goltz eine wunder- 
hübsche Beobachtung zur Tierpsychologie an. Als er nämlich seinem 
Privathund einen in Chinin getauchten Fleischfetzen zuwarf, schnitt 
dieser zwar ein Gesicht, schlang aber das bitlere Stück doch hin- 
unter. „Er hielt es vielleicht für nicht ^eziemeud, undankbar gegen 
den Geber zu scheinen und die sonst so wlllkonimene Gabe auszu- 
speien." Er überwand seinen Ekel. Solche Regungen sind natürlich 
den großhirnlosen Tieren nicht mehr eigen. 

Die zweite hauptsächliche Fähigkeit, die dem Hund ohne Großhirn 
noch geblieben war, war die der spontanen Fortbewegung, es be- 
stand sogar ein gewisser Bewegungsdrang, denn ruhelos wanderte 
der Hund unermüdlich an den Wänden seines Käfigs einher. Die 
Reitbahn bewegungen nach rechts, die der GoLTZsche Hund gewöhn- 
lich zeigte, dürften wohl iu einer unsymmetrischen Verletzung des 
Hirnslamms ihren Grund haben. Die Fortbewegung des Tieres war 
nicht ganz so sicher, wie die eines normalen Hundes; auf glattem 
Boden glitt er leicht aus, erhob sich dann aber ohne Unterstützung 
wieder. Als er sich die eine Pfote verletzt hatte, ging er hinkend, 
und schonte das verletzte Ghed beim Gange, wie ein Hund, der noch 
sein Großhirn besitzt. Wie ein normaler Hund machte auch der 
Hund ohne Großhirn jedesmal vor der Kotentleerung eine Reihe 
schneller Kreisbewegungen. Die Kotentleeruug selbst erfolgte bei 
ihm genau in derselben eigentfitnlichen Körperhaltung wie bei einem 
normalen Hunde. 

Auch der großhlrnlose Hund wechselte zwischen Schlafen und 
Wachen. Da die Perioden des Schlafes jedoch nur sehr kurz waren, 
und er außerdem in wachem Zustande dauernd umher lief, so be- 
durfte es außerordentlich großer Quantitäten von Nahrung, um den 
Hund einigermaßen im Stoffwechselgleichgewicht zu halten. Der 
Schlaf des Hundes ließ sich künstlich unterbrechen und zwar nicht 
nur durch taktile, sondern bemerkenswerterweise auch durch akusti* 
sehe Reize, durch den abscheulichen Ton eines Nebelhorns oder durch 
den schrillen Klang einer Häherpfeife. Bei anhaltendem Blasen des 
Nebelhorns sah Goltz auch die wunderliche Erscheinung, daß der 
Hund sich mit der einen oder der anderen Pfote gegen das Ohr fuhr. 
Das waren zugleich die einzigen Reaktionen auf akustische Reize. 

Optische Reize wurden beantwortet mit einer prompten Pu- 
pillarreaktion, grelles Licht mit Schluß der Lider und Abwenden des 
Kopfes. Schmerzhafte Reizung der Haut beantwortet der Hund durch 
Knurren . Quieken oder Bellen. Das den Ausdruck des Zornes 
tragende Gebell hatte dieselbe Stärke und denselben Charakter wie das 
eines in Wut versetzten normalen Hundes. Auch schnapjite der Hund 
nach der Seite, auf der man ihn reizte. Ein Muskeisinn war noch 
vorhanden, denn der Hund verbesserte die Haltung der abnorm ver- 
lagerten — umgeknickten oder vom Körper weggezogenen Glied- 
maßen, Aus eiskaltem Wasser zog er seine Pfote sofort wieder 
heraus. 

Neben den schon dem Rückenmarkstier eigenen Reflexen zeigte 
der Hund noch andere eigentümliche. Kratzte man ihn an der Wurzel 
des Schwanzes, so sireckie er rhythmisch die Zunge heraus und machte 
Beißbewegungen, durch Ötreiclien des Halses war ferner häufig ein 
i Gähnen auszulösen. 



I 




Goltz* Hand ohne Großhirn. Die großhimlose Taube. 147 

Man hat aber die Frage aufgeworfen, ob nicht alle die Reaktionen, 
die der GoLTZsche Hund ohne Großhirn noch zeigte, als einfache 
Reflexe aufzufassen seien. Daraufhat dann Goltz die richtige Ant- 
wort gegeben, es erscheine ihm der Mühe nicht wert, sich in Er- 
wägungen darüber zu vertiefen, wo die Grenze zwischen reflektorisch 
und psychisch bedingter Bewegung zu suchen sei. Es ist auch gleich- 
gültig, ob man den GoLTzschen Hund als eine Reflexmaschine kenn- 
zeichnen will. Die grundlegende Bedeutung der von Goltz er- 
hobenen tatsächlichen Befunde wird dadurch nicht berührt, diese aber 
sind so zusammenzufassen, daß der großhirnlose Hund noch die spon- 
tane Fortbewegung, sowie die Nahrungsaufnahme und -Verarbeitung 
beherrscht, daß er auf Reize aus allen Sinnesgebieten mit Ausnahme 
des Geruchs antwortet, daß diese Reaktionen nicht nur zweckmäßig, 
sondern auch teilweise sehr verwickelt sind, und daß sie endlich in 
Formen erfolgen, welche den psychischen Ausdrucksbewegungen nor- 
maler Hunde gleichen können. Der Hund wechselte ferner zwischen 
Schlaf und Wachen, und er wurde unruhig, wenn er keine Nahrung 
bekam; also muß doch so etwas ähnliches wie Hunger vorhanden 
gewesen sein. 

Ausgefallen waren durch die Vernichtung des Großhirns alle 
Aeußerungen von Verstand, Gedächtnis und Ueberlegung; 
der Hund unterscheidet nicht mehr zwischen Tier und Mensch, er hat 
alle Erfahrungen verloren und kann keine neuen erwerben, mit Aus- 
nahme jener primitiven stimmlichen Aeußerung des Unwillens, auch 
war keine Andeutung einer gemütlichen Regung wahrzunehmen. 

Wir hätten nun noch die Frage aufzuwerfen, ob einem besonderen 
und welchem Teile des Hirnstamms die Funktionen des großhirn- 
losen Hundes zuzuschreiben seien. Hier ist zu bemerken, daß mindestens 
für die Fortbewegung das Kleinhirn in ganz überwiegendem Maße, 
wenn nicht allein, verantwortlich gemacht werden muß. Denn ein klein- 
hirnloser Hund lernt niemals wieder so gut gehen, wie der allein das 
Großhirns beraubte. Wohl sicher würde die Kleinhirn Vernichtung beim 
großhirnlosen Hund einer jeden Fortbewegung ein Ende machen. 
Welchen Anteil das Kleinhirn bei den anderen Leistungen des groß- 
hirnlosen Hundes, z. B. der Nahrungsaufnahme, nimmt, läßt sich gar 
nicht beurteilen. Die Verarbeitung der Nahrung durch Kauen und 
Schlucken könnte wohl auch allein in dem eigentlichen Hirnstamm, 
im Pons und Medulla oblongata zu stände kommen. Andererseits ist 
es wenig wahrscheinlich, daß diese Teile auf die Fortbewegung einen 
das Rückenmark beherrschenden oder wesentlich unterstützenden Ein- 
fluß beim Säugetier besitzen. 

Wir gehen in der Tierreihe weiter hinab. Vom Kaninchen haben 
wir keine anatomisch genügend beglaubigten Experimente. Auch lassen 
sich diese empfindlichen Tiere nur wenige Tage nach einer totalen 
Großhirnexstirpation am Leben halten. Sehr häufig beobachtet man 
während dieser Zeit bei ihnen den heftigsten Bewegungsdrang. Nach 
Chribtiani sollen sie noch Hindernisse vermeiden. 

Das Schaustück des physiologischen Kolleg ist gewöhnlich die groß- 
hirnlose Taube. Sie sieht nicht, sie hört nicht, sie riecht nicht, sie 
bewegt sich nicht spontan, sie sitzt auf einer Stange, die man dreht und 
auf welcher sie das Gleichgewicht hält. In die Luft geworfen, flattert sie 
zu Boden, und stößt dabei an Hindernisse an. Sie reagiert auf Anblasen 
der Haut, und auf das Einblasen von Ammoniak in die Nase. Sie 

10* 



148 



IX. Ä]Igem«De Bedentnng dee Himstamniea. 



k 



nimmt spontan keine Nahrung, aber schluckt Erbsen nnd Wasser, 
die tief in den Rachen gebracht werden. Dieses Bild, das im wesent- 
lichen dem von Flourbns gezeichneten entspricht, und dessen Rich- 
tigkeit auch von anderen Autoren, wie H. Munk, noch verteidigt 
wurde, ist insbesondere durch die Beobachtungen von Schrader. der 
seine Tiere nicht nur lange Zeit am Leben hielt, sondern auch die 
vollständige Entfernung des Großhirns durch die mikroskopische Unter- 
suchung verifizierte, in wesentlichen Punkten korrigiert worden. Danach 
steht die großhii-nlose Taube dem großhirnlosen Hund nur in einem 
Punkte nach. Sie nimmt keine Nahrung. Auf einem l^örnerhaufen 
würde sie verhungern. Die Erbsen müssen durch künstliche Fütte- 
rung dem SchluckreÜex übergeben werden. Dagegen zeigt auch sie 
spontane Bewegungen, einige Zeit nach der Operation beginnt 
sie umherzulaufen und zeigte dabei, wie der GoLTZsche Hund, einen 
gewissen Bewegungsdrang, Nachts schläft sie meist, wie der Goltz- 
sche Hund, und Schrader folgert daraus mit Recht, daß der Be- 
wegungsdrang tagsüber nicht auf einer Großhirnreizung beruhen kann, 
sondern wesentlich durch optische Reize unterhalten wird. Freilich 
kann man diese spontanen Bewegungen sehr leicht für lange Zeit zur 
Ruhe bringen, „hemmen", es genügt, die Taube mit festem Griff zu 
fassen und sie hinzusetzen, um sie stundenlang an die Stelle zu 
bannen. Auch wenn man sie auf eine Stange setzt, so Oberwindet 
die Tendenz des Sich-Anklammerns für längere Zeit die spontane Be- 
wegung. Zwei brünstige Täuber zeigten das charakteristische Ver- 
halten, insbesondere die eigentümlichen Stimmäußerungen, also Analoga 
gewisser Ausdrucksbewegungen. Die Nahrungsentziehung wirkt liei 
den entgroßhirnten Tauben, wie bei dem GoLTZschen Hund, anregend 
auf die Spontanbewegung. 

Wodurch aber die großhirnlose Taube den großbiinlosen Hund 
bei weitem übertrifft, das sind vor allem die durch optische Ein- 
drücke ausgelösten Reaktionen. Anatomisch ist das begründet durch 
die außerordentliche Entwicklung, welche das Mittelhirn als die eine 
Endstatte des Opticus in dem Lobus opticus des Vogels erreicht. Die 
Vermittlung des Gesichtssinns also durch das Mittelhirn auf die moto- 
rischen Apparate genfigt, um die großhirnlose Taube bei ihrem Um- 
herwandern jedes Hindernis, sogar durchsichtige Glasglocken, ver- 
meiden zu lassen. Schon von Lonoet war ferner bemerkt worden, 
daß die großhirnlose Taube, in die Luft geworfen, sich durchaus nicht 
aufs Geratewohl niederläßt, sondern sichtlich unter Benutzung op- 
tischer Eindrücke an passenden Stellen Halt sucht. Schrader be- 
obachtete sogar, daß Tauben, die man auf eine nur kleine ünter- 
stützungsfläche, wie den Stöpsel einer Glasflasche, gesetzt hat, von hier 
anderen Zielen zufliegen, z. B. einem Reck, und weiter, daß sie an- 
scheinend einem solchen verhältnismäßig noch kleinen Ziel das große 
eines flachen Tisches vorziehen, also optische Unterscheidungen treffen, 
jedenfalls aber aus ihrer unbequemen Stellung durch gewisse optische 
Eindrücke zur Bewegung auf gewisse Ziele veranlaßt werden. Der 
erwähnte Einfluß der Nacht macht es wohl überhaupt wahrscheinlich, 
daß es nicht dem Hirnstamm innewohnende, also gewissermaßen auto- 
matische Qualitäten seien, welche die Bewegungen der großhirnlosen 
Taube auslösen, sondern die Eindrücke, welche dem Hirnstamm von 
den Sinnesnerven und insbesondere eben dem Gesichtssinn zngehea. 
Im übrigen konnte Schrader seine Taubeu auch durch Gehörsreize, 



I 
I 




Vögel. 149 

wie das Geräusch fallender Erbsen, aus dem Schlafe aufstören, also 
auch einen Einfluß akustischer Reize nachweisen ^). Zu bemerken ist 
jedoch auch hier wieder, daß das Kleinhirn auch beim Vogel sicherlich, 
wenn auch nicht für die Auslösung, so doch für die Ausführung der 
Fortbewegung, des Ganges sowohl wie des Fluges, von größter Be- 
deutung und seine Leistung immer in den Verrichtungen des groß- 
hirnlosen Tieres enthalten ist. 

Auch bei anderen Vögeln sind noch bemerkenswerte optische 
Reaktionen nach Großhirnzerstörung beobachtet worden. Dem groß- 
hirnlosen Falken fehlt die Unterscheidung zwischen einem bewegten 
toten oder einem sich bewegenden lebenden Objekt, aber er stürzt 
sich, nach Schrader, auf ein jedes bewegte Objekt, das er wahr- 
nimmt, und bearbeitet es mit Klauen und Fängen, bis es ruhig ge- 
worden ist, sei es, daß etwa eine Maus durch seinen Angriff getötet 
ist, oder daß der Experimentator aufhört, das tote Objekt, etwa einen 
Papierball, zu bewegen. Ruhende Objekte lösen keine Bewegungen 
mehr aus, mit der getöteten Maus weiß er ebenso wenig anzufangen 
als mit dem leblosen Papierball. 

Auch beim Papagei ist von Kalischer, wenn auch nicht nach 
totaler Großhirnentfernung, sondern nach Exstirpation derjenigen Teile, 
welche im, Großhirn für das Sehen in Betracht kommen (nach Kali- 
scher das Epistriatum der Vögel) durchaus nicht völlige Blindheit 
beobachtet worden. Diese Vögel haben, wie vielleicht noch manche 
andere zwei verschiedene Formen des Sehens, ein monokulares und 
ein binokulares; für jede Art existiert anscheinejid eine besondere 
Fovea, für das binokulare Sehen kommt nach der Lage der Augen im 
Kopf nur in Betracht der hintere Quadrant der Retina, die von Kali- 
scher so genannte Schnabelzone, weil in ihr und daher auch bin- 
okular sich nur Gegenstände abbilden, welche von vorn, vom Schnabel 
her, dem Tiere genähert werden. Die Konvergenz- und Accommo- 
dationsreaktion, welche auf die Näherung von Gegenständen vom 
Schnabel her zu stände kommt, bleibt nach Zerstörung der Epistriata 
noch erhalten, wird also sicherlich vom Mittelhirn aus bewirkt. Ob 
dieses Mittelhirnsehen zur Auslösung noch anderer als der erwähnten 
primitiven Bewegungen ausreichen würde, und ob nicht etwa das 
Mittelhirn auch Reaktionen des monokularen Sehens vermitteln könnte, 
kann wohl aus den Versuchen Kalischers, wegen der kurzen Lebens- 
dauer seiner Tiere, nicht mit Sicherheit gefolgert werden. 

Auch der Frosch ohne Großhirn entbehrte nach der älteren 
Anschauung der spontanen Bewegung. Mit einem Kreidekreis pflegte 
der Experimentator wohl die Stelle zu umschreiben, auf welche er 
den großhirnlosen Frosch tagelang bannte. Schrader hat auch bei 
großhirnlosen Fröschen, die er sehr lange am Leben hielt, nicht 
nur spontane Fortbewegung gesehen, sondern diese wechselten im 
Aquarium zwischen Land- und Wasseraufenthalt, wie normale Tiere, 

1) Hier sei angemerkt, daß wir über die akustischea Reaktionen auch bei nor- 
malen niederen Tieren durchaus noch nicht völlig orientiert sind. Ob Fische hören, 
ist eine alte Streitfrage, die immer wieder bald positiv, bald negativ beantwortet 
wird. Wir glauben, daß sie hören ; wenn sie auch auf starke akustische Beize 
manchmal nicht reagierend gefunden wurden, so beweist das nichts. Denn bei dem 
zweifellos hörenden r rosch, der das Quaken seiner Genossen so prompt beantwortet, 
hat Yerkes nachgewiesen, daß er durch akustische Reize aliein zu Fluchtbewegungen 
überhaupt nicht veranlaßt werden könne. Die Art des wirksamen Reizes und der 
Heaktion dürfte eben bei den verschiedenen Tierklassen eine ganz verschiedene sein. 



150 I^* Allgemeine Bedeutung des Hirnstammes. 

unter den gleichen äußeren Verhältnissen. Zum Beginn der Winter- 
kälte gruben sie sich in die Erde. Aus dem Winterschlaf erwacht» 
fingen sie sämtliche, in einer geräumigen Glasglocke summenden 
Fliegen 0. Mit einem Wort, sie waren von Tieren, die noch im Be- 
sitz ihrer Großhirnhemisphären waren, nicht zu unterscheiden. Die 
abweichenden Ergebnisse der früheren Versuche führt Schrader 
teils auf zu geringe Lebensdauer, teils auf eine Mitverletzung des 
Thalamus opticus zurück. War der Thalamus mit den Großhirn- 
hemisphären entfernt, dann sollten die Frösche die Spontaneität fast 
ganz eingebüßt haben, erst dann sollten sie auch sich unter Wasser 
tauchen lassen, ohne zu versuchen, wieder an die Oberfläche zu 
kommen. Leider hat Schrader es unterlassen, mikroskopisch seine 
Operationen zu bestätigen. Der sogenannte Thalamus beim Frosch 
ist aber ein so schwierig zu umgrenzendes Gebilde, daß die Erhaltung 
von Resten des Striatum in den ScHRADERschen Versuchen durchaus 
nicht ausgeschlossen erscheint. Auch ist zu bemerken, daß der Thala- 
mus bei den Amphibien in seinen Faserverbindungen noch so unklar 
ist, daß durchaus kein Schluß auf die Funktionen des Thalamus etwa 
der Säuger auch aus einer Bestätigung der ScHRADERschen Versuche 
zulässig sein würde. 

Uebereinstimmung herrscht aber in dem Punkte, daß ^er Frosch 
ohne Großhirn einer durchaus normalen Fortbewegung durch Sprung 
oder durch Schwimmbewegungen fähig ist, wenn er durch besondere 
Reize zu solchen veranlaßt wird. Auch fangen solche Frösche, die 
auf dem Lande keine spontanen Bewegungen zeigen, doch, ins Wasser 
geworfen, sofort mit normalen Schwimmstößen an zu schwimmen. 
Es unterliegt ferner keinem Zweifel, daß der großhirnlose Frosch bei 
dieser Fortbewegung optische Eindrücke zweckmäßig, verwertet. 
Schon Desmoülins wußte, Goltz bestätigte, daß er Hindernissen 
ausweicht. Steiner beschreibt, daß er, ins Wasser geworfen, immer 
dem Lande zustrebt, und den Rand des Gefäßes mit einem wohl- 
gezielten Sprung erreicht oder über ihn hinwegsetzt. Das Mittelhirn- 
sehen der Amphibien dürfte also noch vollkommener sein als das der 
Vögel, aber es scheint doch auch nach den Versuchen von Schrader 
über die Bedeutung des Thalamus nicht, daß es, wie bei der Taube, 
zur Auslösung einer ausgiebigen spontanen Fortbewegung ausreichen 
könne. Wir bemerkten freilich schon, daß die von Schrader hervor- 
gehobenen Folgen der Thalamuszerstörung so lange nicht mit Sicher- 
heit gedeutet werden können, bis wir eine zuverlässige systematische 
Faseranatomie des Froschhirns haben. 

Steiner und Schrader haben nun auch weiterhin den Anteil 
zu differenzieren gesucht, den beim Frosch die einzelnen Teile 
des Hirnstamms an dessen Leistungen nehmen. Vom Thalamus 
war ja bereits die Rede. Zu betonen ist, daß die schmale Kleinhirn- 
leiste bei den Amphibien, wie auch den Reptilien, im Gegensatz zu 
der Bedeutung des Kleinhirns bei den höheren Tieren, nach Steiner 
kaum eine erkennbare Bedeutung hat, die Funktionen des Stammes 
vielmehr fast allein durch Mittelhirn und Kopfmark versehen werden. 

Nach totaler Entfernung des Mittelhirns leidet die Sicherheit der 
Bewegung. Der Sprung ist nicht mehr vollkommen, auch das 



1) Kuhende Dinge, wie etwa tote am Boden liegende Fliegen, nimmt auch der 
intakte Frosch nicht. 



Amphibien, Beptilien und Fische. 



löl 



SchwimmeB jedenfalls nicht mehr ganz normal. Auch die Haltung 
des Tieres ist nicht mehr ganz korrekt. Nach einem Schnitt zwischen 
zweitem und drittem Drittel des Lobus opticus hat Steiner eine 
Tendenz zur RQckwärtsbewegung beschrieben. 

Nahm nun Schrader noch den vorderen Teil des Kopfmarkes 
weg, so beobachtete er im Gegensatz zu der mangelnden Spontaneität 
der noch hf^here Hirnteile besitzenden Frösche einen unwiderstehlichen 
Bewegungsdrang, indem die Tiere unermüdlich umherkriechen, bis 
sie sich irgendwo festrennen. Diesem Bewegungsdrang macht erst 
die Entfernung des hinteren Teiles der Medulla oblongata ein Ende, 
aber auch dann noch kriechen die Tiere auf Reize hin, die ihre Körper- 
oberfläche treffen, umher. 

Es ist jedoch nach den erwähnten Versuchen zweifellos, daß der 
Hirnstamm in mannigfachster Weise die Lokomotion des Frosches be- 
einflußt, und die Tätigkeit des Rückenmarkes in gewisser Hinsicht 
beherrscht. Die Aufgabe, festzustellen, inwieweit bei diesen Leistungen 
Einflüsse sensorischer Reize im Spiele sind, 
sei es, daß die Hirnnerven hier eine beson- 
dere Rolle spielen, sei es, daß die Körper- 
sensibilität hier im Hirnstamm neue Wirkungen 
entfaltet, oder inwieweit es sich um motorische, 
oder wenigstens nicht direkt mehr durch sen- 
sible Erregungen ausgelöste Fähigkeiten des 
Himstamms handelt, ist noch nicht gelöst. 

Die Störungen, welche Entfernung des Ht-J 
Großhirns und Trennung des Hirnstamms selbst 
in seinem Verlaufe bei Reptilien bedingen, Ad&^^H^^ 
scheinen nach den Untersuchungen Steiners ^m^tkwb.m 

an Eidechsen, ScHRAoERsan Schlangen, Fanos ^ ^F^'^^r^'^ftr 
und BiOKELS an Schildkröten, mit den Ver- Ä^ ^»^ ^B'-'P 

suchen am Frosch ungefähr Obereinstimmende 

Fig. 33. FroBchgehirn (nach Ecker- Wiedersheim). 
Mo HäuJla oblongata. S.rh Foesa rhoraboidAiia. is 
Snicus ceotiulte. Li Linibus toseae rhomboidalU. ■^— — 
C Cerebelium. L. op Lobue optiouB. Gp Glandula 
pinealis. Tho ThaUtnus opticne. Ad ÄdcTKeflechtknoten. 
ffc GroQhimhemiBpharen. I Nervun olSctorius. L.ol 
LobuB olfactoriuH. / Einachnürunpsstelle. 

Resultate zu ergeben. Die Spontaneität der Fortbewegung geht nach 
Großhirnexstirpation jedenfalls nicht ganz verloren, die Erhaltung des 
Gleichgewichts bleibt, optische und andere sensible Eindrücke werden 
bis zu einem gewissen Grade verwertet, bei Schlangen spielt ins- 
besondere die Sensibilität der langen gespaltenen Zunge eine große 
Rolle. Spontane Nahrungsaufnahme scheint jedoch nicht beobachtet 
worden zu sein. Es fehlt den großbirnlosen Reptilien die Scheu vor 
denjenigen Reizen, durch welche sie sonst zur Flucht angetrieben 
werden. Die Bedeutung der einzelnen Abschnitte des Hirnstamms 
und ihr Verhältnis zueinander scheint das gleiche zu sein, wie bei 
den Amphibien. 

Zu der niedersten Klasse der Wirbeltiere übergehend, haben wir 
hier die Versuche Steiners mit Großhirn ab tragung bei Fischen zu 
erwähnen. Für diese ist das Großhirn im wesentlichen das Zentral- 




152 ^^* Allgemeine Bedeutung des Hirnstammes. 



Organ des Geruchs, und es richten sich die Folgen seiner Zerstörung 
daher zunächst nach der Rolle, die der Geruch für das Leben spielt. 
Diese ist bei den einzelnen Ordnungen sehr verschieden. Die Hai- 
fische nehmen nach Exstirpation des Großhirns keine Nahrung mehr 
und zeigen auch kaum mehr spontane Fortbewegung, aber dieselben 
Folgen hat bei dieser Ordnung auch bereits die Durchschneidung der 
Lobi olfactorii. Diese ist den Knochenfischen wieder sehr gleich- 
gültig und dementsprechend hat auch die Entfernung des Großhirns 
bei diesen kaum erkennbare Folgen. Sie nehmen ihnen gereichte 
Nahrung noch wahr und unterscheiden sogar noch Bindfadenstücke 
von Regenwürmern durch das Gesicht. Ja, zusammen mit normalen 
Fischen in einem Bassin gehalten, erweisen sie sich schneller als 
diese im Ergreifen der Nahrung. Steiner erklärt dies mit der ein- 
leuchtenden Annahme, daß dem großhirnlosen Tiere die Vorsicht und 
die Scheu fehlt, welche das normale Tier dieses reflektorische Zu- 
stürzen auf die Nahrung überwinden läßt. Bemerkenswert ist es 
jedenfalls, daß — abgesehen von solchen psychischen Funktionen — 
hier bei den Fischen das Großhirn von allen Sinnen zuerst in Be- 
ziehung zum Geruchssinn sich entwickelt, während der Gesichtssinn, 
der beim Amphibium schon zwischen Großhirn und Mittelhirn geteilt 
ist, vom Großhirn hier noch ganz unabhängig zu sein scheint. Die 
Bedeutung des Großhirns entwickelt sich dann in der aufsteigenden 
Tierreihe in dem Maße, als die auf Sinneserregungen hin erfolgenden 
Reaktionen immer mehr an das Großhirn abgegeben werden, bis dann 
beim Menschen, außer einigen tiefstehenden Reflexen, dem Hirnstamm 
mit dem Rückenmark selbständig zu verrichten fast nichts mehr übrig 
bleibt. Es ist auch nicht möglich, die Bedeutung des Großhirns einer- 
seits und der niederen Hirn teile andererseits generell zu charak- 
terisieren, etwa mit Rücksicht auf die psychischen Leistungen. Es 
müssen die Funktionen des Hirnstamms durch die Tierreihe hindurch 
verfolgt werden, und hier zeigt sich eben, daß der Hirnstamm — 
wohl vorzüglich durch seine höheren Sinnesverbindungen — bei den 
niederen Klassen der Wirbeltiere in nach oben abnehmendem Maße eine 
das Rückenmark — insbesondere zu geordneter Lokomotion — führende 
Rolle übernimmt, bis schließlich beim Menschen alle Suprematie dem 
Großhirn zufällt. 



X. Kapitel. 

Einfluß der Sensibilität auf die Bewegung. Ataxie. 

Wir haben die Sensibilität bisher nur als den Reiz, der den Re- 
flex auslöst, zu würdigen gehabt. Ehe wir in der Besprechung der 
Funktionen der höheren Zentralorgane fortfahren, ist es zweckmäßig, 
vorauszuschicken und vorauszusetzen, daß von diesen spontane Be- 
wegungen ausgehen, wie wir sie übrigens bereits in der Laufbewegung 
des GoLTZschen Hundes kennen gelernt haben, daß diese spontanen 
Bewegungen, insoweit sie von der Großhirnrinde ausgehen, den 
Charakter der Willktirbewegung annehmen können, und nun die Frage 
zu stellen, welchen Einfluß die Sensibilität auf die Ent- 
stehung und Verlauf der spontanen, im besonderen Fall 
der willkürlichen Bewegung hat. 

Es möchte fast überflüssig erscheinen, zu fragen, wie sich die 
Motilität eines Individuums gestalten würde, das gar keine Sinnes- 
wahrnehmungen mehr hat. Immerhin ist man auch dieser Frage 
nachgegangen. Man hat Menschen beobachtet, die am ganzen Körper 
gefühllos waren und die man durch Verbinden der Augen und Zu- 
stopfen der Ohren auch noch der Licht- und Gehörempfindung 
beraubte. Von Strijmpell ist ein solcher Fall beschrieben worden, 
der mit der Absperrung der letzten Sinneseindrücke jedesmal in 
Schlaf verfiel. Es war jedoch in den Fällen dieser Art wohl immer 
eine konkomittierende Hysterie im Spiel als Ursache der Anästhesie 
sowohl, die also keine organisch bedingte war, und ebenso als Ur- 
sache des Schlafes. Wir selbst haben einen Mann beobachtet, der in- 
folge einer Syringomyelie vom Kopf ab absolut anästhetisch war, der 
jedoch nach Verbinden der Augen und auch nach möglichstem Zu- 
stopfen der Ohren durchaus nicht in Schlaf verfiel, sich aber außer- 
ordentlich unbehaglich zu fühlen angab, und zu jeder geordneten Be- 
wegung, aber immerhin nicht zu dem Versuch einer Bewegung, un- 
fähig war. Es darf angenommen werden, daß ein erwachsener Mensch, 
der plötzlich aller seine peripheren Sinnesorgane beraubt würde, doch 
eben auf Grund der früher erworbenen Vorstellungen und Erinne- 
rungsbilder noch gewisser Leistungen oder des Versuchs zu solchen 
fähig wäre, obgleich das fast Absurde einer solchen Voraussetzung ohne 
weiteres einleuchtet. Daß ein Individuum, welches ohne alle Sinnes- 
organe geboren würde, keine Möglichkeit des Fortbestandes hätte, ist 
sicher, und wahrscheinlich auch, daß es — außer den Atembewegungen 
— keine Bewegungen machen würde, genau so wenig, wie der der 



154 ^* Einfluß der Sensibilität auf die Bewegung. Ataxie. 

Sensibilität beraubte Rücken marksfrosch. Denn beim Neugeborenen 
sowohl, wie beim Rücken marksfrosch, scheinen die wesentliche, viel- 
leicht einzige Ursache aller Bewegungen der Glieder doch gewisse 
von der Körperperipherie zugeleitete Sensationen zu sein. 

Das hervorragende Interesse, das sich an die Erörterung der Be- 
ziehungen zwischen Sensibilität und Motilität knüpfte, beruht aber 
nicht auf der fast akademischen Frage nach den Folgen der Ver- 
nichtung der gesamten Sensibilität, sondern in der Erforschung 
der Bedeutung beschränkter Sensibilitätsausfälle. Diese 
erstreckt sich wieder auf zwei Gruppen von Tatsachen, erstens auf 
die Prüfung des Ausfalls gewisser Sinnesorgane auf die Gesamt- 
motilität, zweitens die Verfolgung der Bedeutung, welche die örtliche 
Sensibilität eines Körperteiles auf dessen Bewegung selbst hat. 

Letztere soll uns zunächst beschäftigen. Es kann dieser Einfluß 
ein so mächtiger sein, daß nach örtlicher Vernichtung der Sensibilität 
die Bewegung des der Sensibilität beraubten Körperteiles überhaupt 
ausfällt, trotzdem die ganze Reihe der motorischen Bahnen, die das 
Zentralorgan mit der Peripherie verbinden, erhalten wird. So haben 
wir bereits darauf hingewiesen, daß das Schlucken — eine doch 
sicherlich willkürlich einzuleitende Bewegung — unmöglich wird, wenn 
der Rachen cocainisiert ist Es bedarf neben der Willkür noch der 
peripheren Sensibilität. Man könnte eine Gruppe hierhergehöriger 
Erscheinungen Halbreflexe nennen. Zu ihnen gehört die zuerst 
von Gh. Bell beschriebene Tatsache, daß die — mittels Durch- 
schneidung des Trigeminus — unempfindlich gemachte Lippe des 
Esels nicht niehr das Futter aufnimmt. Trotzdem der Facialis als 
der motorische Nerv der Lippe erhalten ist, wird diese nicht zum 
Fressen benutzt, sondern das Tier preßt das Maul gegen den Boden 
und leckt die Futterkörner mit der Zunge auf. Beim Kaninchen be- 
obachtete Magendie nach Durchschneidung des Trigeminus ähnliches, 
lähmungsartige Erscheinungen in der Gesichtsmuskulatur. Filehne 
erwähnte nach der gleichen Operation besonders die scheinbare Läh- 
mung des Ohrlöffels, der aber doch noch ab und zu, besonders mit 
dem der anderen Seite zusammen, bewegt wird. Nach einseitiger 
Trigeminusdurchschneidung beim Menschen sind eigentliche moto- 
rische Ausfälle nicht beobachtet worden. Indessen sind die beim 
Tier hauptsächlich betroffenen Mechanismen der Lippe und des Ohrs 
beim Menschen ja nur rudimentär entwickelt. Wir vermuten übrigens, 
daß die doppelseitige Gefühllosigkeit des Gesichts zu einem nicht un- 
erheblichen Ausfall an Motilität, vielleicht vor allem für die mimischen 
Ausdruckbewegungen führen würde, denn Andeutungen eines solchen 
Ausfalls sind von einer Reihe von Autoren, darunter von Erb, auch 
schon bei einseitigen Trigeminusaffektionen gesehen worden. 

Der Charakter derjenigen Motilitätsstörungen, welche durch Schä- 
digung oder Aufhebung der lokalen Sensibilität zu stände kommen, 
wird aber erst klar, wenn wir uns zur Bewegung der Extremitäten 
und des Rumpfes wenden. Hier stellt sich heraus, daß, wie es schon 
Ch. Bell ausdrückte, ^wir durch die Empfindung vom Zustande 
unserer Muskeln erst in den Stand gesetzt werden, das ganze Muskel- 
system zu regieren''. Denn es tritt hier an den Tag, daß wir ans 
der peripheren Sensibilität, von der wir bisher als Ganzes sprachen, mr 
die Regulierung der Bewegung eine Komponente besonders verant- 
wortlichmachen müssen, die tiefe Sensibilität, die wir noch heute 



Halbreflexe. Tiefe Bensibilitat. 155 

nach dem Vorgange Bells zweckmäßig als Muskelsinn zusammen- 
fassen. Erwähnt muß jedoch werden, daß schon von Duchenne 
nicht nur den Muskeln, sondern auch den Gelenken, also nicht nur 
dem bewegenden, sondern auch dem bewegten Teil eine Sensibilität 
zugesprochen wurde, eine Annahme, die auch durch die Unter- 
suchungen GoLDSCHEiDERs gestützt wurdc. GoLDSCHEiDER Unter- 
scheidet ferner folgende besondere Teile der tiefen Sensibilität: das 
Gefühl für passive Bewegungen, das Gefühl für aktive Bewegungen, 
die Wahrnehmung der Lage und endlich die Empfindung der Schwere 
und des Widerstandes. Der Verfolgung der sich hier ergebenden 
Probleme können wir nicht weiter nachgehen. Sie würde uns zu 
weit in das Gebiet der Psychologie der Sinnesorgane führen. Sie 
würde auch insofern nicht ganz zu unserem hier zu behandelnden 
Gegenstande gehören, als die Versuche Goldscheiders die Differen- 
zierung der durch die tiefe Sensibilität hervorgerufenen subjektiven 
Wahrnehmung zum Ziel haben, die Regulierung der Bewegung aber 
durchaus nicht nur auf Grund solcher Wahrnehmung geschieht. Jeden- 
falls aber erfolgt sie auf Grund der Verwertung hauptsächlich der 
tiefen Sensibilität. Wie auch Leyden schon betonte und aus der 
Wiederholung der von Cl. Bernard am enthäuteten Frosch ange- 
stellten Versuche folgerte, dürfte aber auch die oberflächliche, die 
Hautsensibilität, an der Regulierung der Bewegung beteiligt sein. 
Um die Bedeutung der Sensibilität für die Bewegung zu prüfen, war 
unter Voraussetzung des BELLschen Gesetzes nun der gegebene Weg 
die Beobachtung von Tieren, deren hintere Wurzeln durchschnitten, 
deren vordere aber erhalten waren. Diesen Weg hat zuerst Panizza 
beschritten und die Resultate seiner hauptsächlich an Ziegen ange- 
stellten Versuche 1834 folgendermaßen zusammengefaßt: „Da das Tier 
nicht mehr die Berührung des Bodens fühlt, noch sein eigenes Glied, 
kann es nicht über dessen Stellung urteilen. Es kann dieses Glied 
zwar bewegen, aber nicht, wie früher, mit derjenigen Energie, Be- 
stimmtheit und Regelmäßigkeit, welche nötig sind, um schnell zu 
laufen, zu springen u. s. w.^ Das ist die fast vollständige Be- 
schreibung eines Zustandes, den wir heute Ataxie oder Inko- 
ordination, Unordnung der Bewegung, zu nennen gewohnt sind. 
Die Ataxie ist bekanntlich das wesentliche Symptom der häufigst 
vorkommenden Erkrankung des Rückenmarks, der Tabes dorsalis, 
und nachdem die Versuche Panizzas fast vergessen waren, ist die 
Begründung des sensorischen Ursprungs jener Bewegungsstörung im 
Jahre 1862 von Leyden durch das Studium der Tabes gegeben worden. 
Während in den PANizzAschen Experimenten unter der Voraussetzung, 
daß nach Bells Gesetz die hinteren Wurzeln sensibel sind, die Deu- 
tung der durch ihre Durchschneidung erzeugten Bewegungsstörung 
gegeben war, war eine solche Voraussetzung für das Bild der Tabes 
nicht vorhanden. Man wußte zwar, daß ihr eine Degeneration der 
hinteren Wurzeln und der Hinterstränge zu Grunde läge, aber einige, 
insbesondere Friedreicii und Erb, glaubten in den Hintersträngen 
besondere zentrifugale koordinierende Fasern annehmen zu müssen. 
Die motorische rohe Kraft, das hatte schon Duchenne hervorgehoben, 
sollte zwar erhalten sein, aber ihre Zusammenfassung zu koordinierter 
Bewegung sollte durch die Zerstörung besonderer Koordinationsbahnen 
vernichtet sein. Nicht nur das physiologische Experiment, sondern 
auch die Anatomie hat inzwischen gelehrt, daß in den hinteren Wurzeln 



156 ^' Einfluß der Sensibilität auf die Bewegimg. Ataxie. 

und insbesondere auch in den Hintersträngen keine höheren Hirnteilen 
entstammenden absteigenden Fasern verlaufen. Vor allem aber ver- 
rät die Annahme zentrifugaler koordinatorischer Fasern eine unhalt- 
bare Vorstellung über das Wesen der Koordination. Die Koordination 
der Muskeln ist eine unendlich mannigfaltige. In der Tat bewegen 
wir nie einen Muskel allein. Eine scheinbar einfache Beugung des 
Ellbogengelenks bei senkrecht herabhängendem Oberarm verlangt 
bereits eine Fixierung des Schultergelenks. Denn ein zwischen Vorder- 
fläche des Oberarms und des Unterarms ausgespannter und sich ver- 
kürzender Muskel müßte sonst unfehlbar auch den Oberarm nach 
hinten bewegen, eine Betrachtungsweise, die vor allen B. Fischer 
eingeführt hat. Und welche Menge von Muskeln tritt in Tätigkeit, 
wenn wir uns nur bücken, ein Gewicht aufzuheben, um durch Muskel- 
zug das Gleichgewicht zu sichern. Muß doch ferner in dem Maße, 
als wir das Gewicht heben, die Kontraktion dieser ganzen Muskulatur 
von Augenblick zu Augenblick geändert werden. Für eine große 
Reihe von Bewegungen leuchtet es sofort ein, daß die Muskulatur 
fast des ganzen Körpers an ihnen beteiligt ist. Man kann mit einem 
gewissen Recht behaupten, daß vielleicht nie ganz die gleiche Be- 
wegung 2mal ausgeführt wird. Man kann daher gar nicht daran fest- 
halten, daß diese unendliche Mannigfaltigkeit der Bewegung durch eine 
endliche Anzahl einfach zentrifugal leitender Fasern bewirkt werden 
könne. Muß doch nicht nur für die gleichzeitige Kontraktion einer 
Mehrzahl von Muskeln, sondern für das richtige Verhältnis in dem 
Kraftaufwand der einzelnen Muskeln zueinander und weiter für die 
richtige zeitliche Reihenfolge in der Abmessung der Spannung und 
Erschlaffung gesorgt werden. Anderenfalls erfüllt die Bewegung nicht 
nur ihren Zweck nicht, sondern sie kann leicht zu einer Schädigung 
des Körpers führen. 

Das Wort, welches den Erfolg der sensiblen Regulierung be- 
zeichnet, ist die Zweckmäßigkeit der Bewegung. Man hat sich 
gegen die Einführung dieses Begriffes, wie überhaupt in der Biologie, 
so auch gerade in der Lehre von der Ataxie gesträubt — mit Unrecht 
(vergl. S. 3). Die Unzweckniäßigkeit ist der einzige Begriff, welcher 
alle Folgen des Ausfalls der sensiblen Regulierung für die Bewegung 
deckt. Freilich kann auch eine Bewegung unzweckmäßig sein aus dem 
Ausfall einer motorischen Komponente, z. B. der Lähmung eines 
Muskels, aber es wird eben vorausgesetzt, daß eine solche nicht vor- 
liegt, oder mindestens der Vergleich in Bezug auf die Zweckmäßigkeit 
gemacht wird mit einem Individuum, das über die gleichen motorischen 
Fähigkeiten verfügt, wie das in seiner Sensibilität gestörte. Denn frei- 
lich ist das Maß der Zweckmäßigkeit ein vergleichendes und das Ver- 
gleichsobjekt ist das normale Individuum, dessen Bewegung wir als 
zweckmäßig kennen. Vorausgesetzt wird dabei noch eins, eine un- 
gefähr gleiche Uebung. Durch Uebung kann die Zweckmäßigkeit der 
Bewegung eines normalen Menschen über das Mittelmaß gesteigert 
werden. In Verhältnis zu den Leistungen eines Jongleurs dürfen 
wir die Leistungen eines Ataktischen nicht bringen, um über das Maß 
ihrer Unzweckniäßigkeit urteilen zu wollen. Aber es ist unzweifel- 
haft, daß die Bewegungen eines, der nicht Schlittschuhlaufen gelernt 
hat, beim ersten Versuch dazu große Aehnlichkeit mit denen eines 
Ataktischen haben, wenn wir sie gleich nicht mit Frenkel allein als 
ataktisch bezeichnen können. Auch in den Bewegungen des Kindes 



Kennzeichen der ataktischen Bewegung. 157 



beim Laufenlernen liegt eine ataktische Komponente. Sicher ist wohl 
soviel, daß eine über das Normale gesteigerte Geschicklichkeit, also 
Zweckmäßigkeit, nicht ohne eine über das Normale gesteigerte Fein- 
heit der Verwertung peripherer sensibler Eindrücke erreicht werden 
kann, daß eine Uebung gewisser Fertigkeiten also auch eine Uebung 
der Sensibilität ist. Darauf beruht dann auch die Möglichkeit, bei 
einem teilweisen Verlust der Sensibilität, wie er bei der Tabes vor- 
liegt, durch Uebung eine erhebliche Besserung der Bewegungsstörung 
zu erzielen, die in den Erfolgen der von Frenkel inaugurierten 
Uebungstherapie zum Ausdruck kommt. 

Der Mangel an Beherrschung der zweckmäßigen Koordination 
der Muskeln gibt sich kund in einer Reihe von Symptomen, zunächst 
in einem Verfehlen der Richtung. Der Ataktische, der etwa ein 
Glas greifen will, greift vorbei, links oder rechts. Es besteht in der 
Abweichung keine Regel. Der höchste Grad dieser Störung, den wir 
an Tabischen allerdings nur in Bezug auf die Bewegung der unteren 
Extremitäten beobachtet haben, scheint mir der zu sein, daß der 
' Ataktische, wenn er sich nicht mit Hilfe des Auges oder des Tast- 
sinns der oberen Extremitäten orientiert, dann die augenblickliche 
Lage der Extremitäten nicht kennt, nicht im stände ist, auch 
nur im groben die Richtung zu bestimmen, die er ihnen gibt, sie 
ganz aufs Geratewohl irgendwie bewegt. Der Ataktische verfehlt 
ferner die Entfernung, er greift zu weit oder zu kurz, die Kon- 
traktion fällt eben entweder zu groß oder zu klein aus. Das ist 
eben das Charakteristische für diejenigen Störungen der Motilität, 
welche durch Sensibilitätsverluste herbeigeführt sind, daß man sie 
nicht berechnen kann, wie die P'olgen des Verlustes eines Muskels 
selbst. Sehr häufig tritt allerdings ein Uebermaß der Bewegung 
hervor, wie in dem bekannten schleudernden Schritt des Tabikers. 
Aber auch dieses ist nicht die absolute Regel. Es gibt auch Tabiker, 
die die Beine nicht werfen, sondern sie sehr langsam über den Boden 
schieben, besonders dann, wenn sie fürchten, aus Mangel an Unter- 
stützung zu fallen. 

Die Tatsache, daß die Reihenfolge in der Kontraktion der 
Muskeln nicht genügend geregelt ist, tritt immer deutlich hervor; der 
Ataktische stößt z.. B. mit dem Handrücken an einen Stock, den er 
fassen will. 

Eine weitere Eigentümlichkeit der ataktischen Bewegung ist das 
Schwankende, Saccadierte, Unruhige ihres Verlaufes. Das sieht 
man bei allen jenen Versuchen, die man in der Klinik anzustellen ge- 
wohnt ist, um auf Ataxie zu untersuchen, indem man etwa den Finger 
schnell an die Nase führen oder die eine Hacke schnell auf das 
andere Knie legen läßt, neben der Verfehlung der Richtung. 

Noch deutlicher tritt dieses Schwanken auf, wenn man die Aufgabe 
stellt, eine bestimmte Haltung zu bewahren. Der Tabiker kann 
seine Hand ebensowenig ruhig ausgestreckt halten, wie er sofort ins 
Schwanken kommt, wenn er in militärischer Haltung stramm stehen soll. 

Wie im einzelnen die Regulierung des Grades und der Reihen- 
folge der Kontraktion der Muskeln zur Zweckmäßigkeit durch die 
Sensibilität erfolgt, darüber können wir uns nur ein ungefähres Bild 
machen, indem wir aus dem Vergleich mit dem Normalen schließen. 
Denn, wenn auch der Zweck einer Bewegung als solcher bewußt ist, 
oder wenigstens sein kann, geschieht doch die sensible Regulierung 



158 



X. Einfluß der SenaibilltSt anf die Bew^niiK- Ataxie. 



nur zum kleiustea Teil unter voller Teilnalime des Bewnßtseins, zui _ 
größten ohne diese. Welche Zentralorgane an der Regulierung be-| 
teiligt sind, wird noch später zur Besprechung kommen. 

Ebenso ist die ataktisclie Bewegung im einzelnen außerordeutlicb 
schwer zu beschreiben, eben wegen der Mannigfaltigkeit ihrer Er- 
scheinung. Diese ist theoretisch unendlich groll, schließt jedoch eine 
gewisse Regel nicht aus. Will ein Tabiker sich vom Stuhl erheben, 
will er gehen, will er etwas greifen, so macht er gewöhnlich Fehler 
in einer fQr den Einzelfall gleichen Richtung, und es ist pratctiädtj 
wichtig, diese Richtung zu kennen. Zu praktischen Zwecken ist eu 
auch nützlich, sich die Muskeln eingeteilt zu denken in Synergistea 
und Antagonisten, und diese noch in eine Anzahl von Gruppen zu 
teilen und aus der Störung von deren Zusammenwirken dann die 
Ataxie zu begründen, wie es 0, Foerster getan hat. Auch abge- 
sehen davon, daß bei solchen Aufstellungen immer die Bedeutung 
der zeitlichen Reguherung der Bewegung zu kurz kommt, kann ein. 
weiterer Einblick in das unendlich mannigfaltige Getriebe der Be- 




I 



Fig. 3-1. Hypotouie bei Tabee (noch Km1.i;-^ii:(;i. 

wegung dadurch kaum erzielt werden. Wenn vielmehr gerade jetzt die 
spezielle Muskel physioiogie dabei ist, die starren Fesseln derjenigen 
Lehren, welche nur mit Muskelindividuen rechneten, die ein Punctum 
fixum und ein Punctum mobile besaßen, zu brechen, so ist die Ein- 
sicht in die prinzipiell unendliche Mannigfaltigkeit der Bewegung 
nicht zum wenigsten durch die Einsicht in die unendliche Mannig- 
faltigkeit der Ataxie, als einer sensorischen Störung, herbeigeführt. 

Eine Folge des Ausfalls sensibler Regulierung ist auch der Aus^J 
fall des Muskeltonus, die Hypotonie. Auf ihr Vorkommen bei dera 
Tabes hat vorzüglich Frenkel aufmerksam gemacht. Das stimmHI 
ganz damit überein , daß wir bereits bei früherer Gelegenheit den 
Muskeltonus als einen Reflextonus zu betrachten gelernt haben (S. 57). 
Um die Beziehungen des Muskeltonus zur Ataxie würdigen zu können, 
müssen wir aber hier seine Theorie noch weiter führen. Wir messen _ 
den Musketlonus, indem wir durch Bewegung des Gliedes 
Muskel oder eine Muskelgruppe dehnen. Wir wissen dann aus 1 
fahrung, daß uns bei einem gewissen Grade der Dehnung, der MusI 





Hypotonie. 159 



einen Widerstand entgegensetzt, und daß die Grenzen der passiven 
Beweglichkeit der Glieder keineswegs durch anatomische unüberwind- 
liche Hindernisse, weder durch Sperrung in den Gelenken, noch etwa 
durch zu große Kürze der Muskeln, sondern durch den funktio- 
nellen Widerstand des kontrahierten Muskels gegeben sind. 
Wir wissen ferner, daß nach Durchschneidung der hinteren Wurzeln 
oder durch ihre Schädigung infolge krankhafter Prozesse, wie des 
tabischen, dieser Widerstand wegfällt, die Glieder sich überstrecken 
und über das normale Maß beugen lassen, daß also dieser Tonus 
reflektorisch bedingt ist. Darf man nun daraufhin von dem Muskel- 
tonus, wie es gewöhnlich nach dem Vorgange Johannes Müllers 
geschieht, als einem Kontraktionszustand des „ruhenden^ Muskels 
sprechen? Wir denken, es ist klar, daß, wenn wir den Muskel dehnen, 
•wir ihn reizen, nicht viel anders, als wenn wir einen Sehnenreflex er- 
zeugen. Es tritt die nahe Verwandtschaft zwischen Sehnenreflex 
und Tonus gerade hier deutlich hervor. Ob aber der nicht ge- 
dehnte Muskel, dessen Fixationspunkte einander genähert sind, noch 
einen Tonus besitzt, ist unbekannt und sehr unwahrscheinlich. Auch 
TscHiRjEW nimmt an, daß ein unbelasteter Muskel überhaupt keinen 
Tonus hat W^o finden wir aber sonst die Ruhe, in welcher der 
Tonus rein hervortreten soll. Vielleicht im Schlaf? Ein jeder dürfte 
wissen, daß der Tonus der Muskulatur auch im Schlaf kein immer 
gleicher ist, daß er anders verteilt ist, wenn wir im Eisenbahnwagen 
gezwungen sind, in sitzender Stellung zu schlafen, als wenn wir uns 
bequem hinstrecken können. Schon dieses Beispiel zeigt deutlich, 
was unsere Meinung ist, nämlich, daß auch der Tonus nicht eine 
gleichmäßige Kontraktion aller Muskeln ist, sondern daß er sich un- 
gleichmäßig verteilt, um einem bestimmten Zwecke zu dienen, und 
dieser kann kein anderer sein , als eine gewisse Haltung des 
Körpers und der Glieder zu bewirken. Der Tonus ist in der Tat 
nichts anderes als Haltung, als solche gehört er in die Lehre von der 
Bewegung hinein, nicht daneben, als solche besteht er in dem zweck- 
mäßig abstuf baren koordinierten Zusammenwirken in mannigfacher 
und wechselnder Weise sich unterstützender Muskeln, als Anomalien 
der Koordination gehören seine Anomalien in die Lehre von der 
Ataxie. Der Muskeltonus als Ding für sich muß aus der Physiologie 
und Pathologie verschwinden. Es verschieben sich denn auch die Zen- 
tralorgane des Muskeltonus in der aufsteigenden Tierreihe, in dem Maße, 
als die bewegungsregulierende Rolle des Rückenmarkes von höheren 
Zentralteilen übernommen wird, wie später auszuführen sein wird. 

Die Erscheinungen der Ataxie kann ein jeder leicht an tabischen 
Kranken nachprüfen. Es sind auch einige Fälle bekannt gegeben 
worden, in denen durch traumatische Durchschneidung der hinteren 
Wurzeln z. B. eine völlige Anästhesie des Vorderarmes erzielt wor- 
den war (Strümpell), worauf dann die ty})ischen Erscheinungen der 
Ataxie auftraten, so daß also die Lehre von der sensorisclien Ur- 
sache der Ataxie keinerlei Einspruch duldet, \yie denn auch in jedem 
Falle von tabischer Ataxie, gröbere oder geringere Störungen der 
Wahrnehmung der tiefen Sensibilität nachgewiesen werden können 
(Goldscheider). Eine andere Frage ist die, ob nicht auch durch 
die Schädigung zentrifugaler Bahnen Ataxie zu stunde kommen könne. 
Diese Frage würde bejaht werden müssen, wenn wir uns folgenden, 
zunächst hier nur als Hypothese zu erwähnenden Pralle verwirklicht 



160 ^- Einfluß der Sensibilität auf die Bewegung. Ataxie. 

denken: Man nehme an, daß die Anregung zu einer Bewegung von 
der Großhirnrinde ausgeht, daß diese Anregung aber zum Teil einem 
subcorticalen Organ übermittelt wird, welches' seine eigenen sensiblen 
Verbindungen zur Peripherie hat, in welchem sich dann die senso- 
motorische koordinierende Tätigkeit vollzieht, und von dem aus 
dann der motorische Effekt auf zentrifugalen eigenen Bahnen dem 
Rückenmark übermittelt wird. Es dürfte klar sein, daß die Durch- 
schneidung dieser zentrifugalen Bahnen, vorausgesetzt natürlich, daß 
die Großhirnrinde noch über eine zweite Bahn verfügt — sonst wurde 
ja eine völlige Lähmung entstehen — nicht anders wirken könnte, als 
die der zentripetalen, der Erfolg der zentripetalen Regulierung würde 
auch durch die Durchschneidung der zentrifugalen Bahnen unmöglich 
gemacht werden, da er sich nur durch die letzteren äußern kann, der 
Ausfall jener hypothetischen subcorticalen Regulierung, also auch- 
durch deren Durchschneidung als Ataxie zum Vorschein gebracht 
werden müssen. Dieser Fall kommt aber für die Durchschneidung 
oder Schädigung der hinteren Wurzeln oder der Hinterstränge natür- 
lich noch nicht in Betracht. 

Nicht nur beim Warmblüter, sondern auch beim Kaltblüter sind 
Versuche und Erfahrungen über die Folgen des Ausfalls der Sensi- 
bilität für die Bewegung gemacht worden. Beim Frosch hat schon 
Stilling solche Versuche angestellt, und beschreibt Erscheinungen, 
die durchaus den als ataktisch bekannten der Säugetiere gleichzu- 
stellen sind. Neuerdings hat Hering diese Versuche am Frosch noch 
einmal wiederholt ; er macht besonders darauf aufmerksam, daß das 
der Sensibilität beraubte Bein beim Sprung über das normale Maß 
hinaus gebeugt und außerdem in die Höhe geschleudert wird, so 
zwar, daß die untere Fläche des Hinterbeines nach außen, die obere 
medianwärts sieht. Diese Erscheinung, die er als Hebephänomen be- 
zeichnet, führt er zurück auf den Ausfall einer zentripetalen Hem- 
mung, und sicher ist, daß bei der Koordination der normalen Bewegung 
auch von der Peripherie aus übermittelte Hemmungen eine Rolle 
spielen. Daß durch künstliche Reizung sensibler Nerven Hemmungen 
hervorgerufen werden können, haben wir bereits früher gesehen. Hier 
zeigt es sich, daß sie auch durch die Bewegung selbst in Wirksam- 
keit gesetzt werden. 

Das Ergebnis unserer Betrachtung über die Rolle, welche die 
periphere Sensibilität spielt für die Regulierung der spontanen und 
insbesondere der willkürlichen Bewegung, ist also dies, daß durch 
sie die Bewegung geordnet und zweckmäßig gestaltet, aber daß die 
Möglichkeit willkürlicher Bewegung durch Aufliebung der Sensibilität 
nicht vernichtet wird. Dieser Auffassung schienen Versuche zu wider- 
sprechen, welche von Mott und Sherrington am Affen angestellt 
worden sind. Diese Forscher glaubten feststellen zu können, daß ein 
Aife mit einer Extremität, deren hintere Wurzeln durchschnitten 
sind, überhaupt keine Greifhewegung mehr zu machen versucht. In- 
dessen hat die Nachprüfung dieser Versuche durch H. Munk ergeben, 
daß dieser anscheinenden Unfähigkeit nur eine große Unlust des in 
der beschriebenen AVeise operierten Affen zu Grunde liegt. Es ge- 
nügt, die gesunde Seite etwas zu behindern, um den Affen zu veran- 
lassen, auch mit der gefühllosen pAtremität zu greifen und auch die 
gefaßte Nahrung zum Munde zu führen. 

Dagegen beobachtete Munk, daß die gefühllose Extremität bei der 



Verschiedene Formen der Bewegung. Seneomobilitat. Jßl 



Fortbewegung, z. B. beim Klettern, auffallend wenig und kaum mit 
Nutzen verwendet wird. Für diese Art von Bewegungen scheint eine 
gewisse Parese zu bestehen. Bickel beobachtete beim Hunde etwas 
ähnliches, nämlich, daß nach Durchschneidung der hinteren Wurzeln 
für beide hinteren Extremitäten diese beim Laufen fast wie wenn sie 
motorisch gelähmt wären, nachgeschleift werden — eine Pseudo- 
paraplegie, die freilich vorübergeht, um der eigentlichen Ataxie Platz 
zu machen. Bemerkenswert erscheint noch die Beobachtung Bickels, 
daß sich eine leidliche Gangtüchtigkeit eher nach doppelseitiger Durch- 
schneidung als nach- einseitiger wiederherstellt; das Tier hat sozu- 
sagen kein so großes Interesse daran, eine gefühllose Extremität zu 
üben, da es doch mit dreien einigermaßen auskommen kann, während 
der Ausfall des ganzen Hinterkörpers doch seine Beweglichkeit zu 
sehr beeinträchtigen würde. Von diesem Standpunkt aus möchte man 
auch die Versuche von Münk am Affen noch einmal revidiert sehen, 
da es sich bisher in diesen Versuchen nur um die Ausschaltung einer 
Extremität gehandelt hat, ohne die der Aflfe schließlich auskommen 
kann. Immerhin gibt die von Munk hervorgehobene DiflFerenz in der 
Einwirkung der Empfindungslosigkeit auf die Greifbewegung einerseits 
und die Fortbewegung andererseits doch einen Hinweis darauf, daß die 
Sensibilität weniger wichtig ist für das Zustandekommen einer isolierten 
Willkürbewegung als eines Bewegungsmechanismus, der zwar willkür- 
lich ausgelöst, doch sicherlich bis zu einem gewissen Grade „von 
selbst" von statten geht. Es dürfte einleuchten, daß der Affe beim 
Klettern unmöglich der Bewegung jeder einzelnen Extremität soviel 
Aufmerksamkeit, man darf vielleicht sagen, soviel Willkür zuwenden 
kann, als wenn er ruhig sitzend mit einer Hand eine Mohrrübe zum 
Munde führt. Von diesem Gesichtspunkt ergibt sich dann auch eine 
Verbindung dieser Erscheinungen mit der anscheinenden Lähmung der 
Lippe, die Bell nach Durchschneidung des Trigeminus beobachtet 
hat Könnten wir das so operierte Pferd veranlassen, eine in unserem 
Sinne willkürliche Bewegung der Lippe zu versuchen, so würde die 
Lippe wohl bewegt werden können. Aber freilich wissen wir nicht, 
ob ein Pferd überhaupt einer solchen willkürlichen Einzelbewegung 
der Lippe fähig ist, und in dem halbmechanischen Getriebe des Kauakts 
ist die Sensibilität eben von überwiegender Bedeutung. Filehne hat 
festgestellt, daß die erwähnten analogen Störungen nach Durchschnei- 
dung des Trigeminus beim Kaninchen nicht einmal von einem Ausfall 
der Funktion des Großhirns, sondern tiefer gelegener Zentren ab- 
hängen. 

Eine Ergänzung zu der Tatsache, daß die willkürliche Bewegung 
im Groben durch den Ausfall der Sensibilität nicht unmöglich ge- 
macht wird, kann auch darin gefunden werden, daß auch die Ergeb- 
nisse der elektrischen Reizung der Hirnrinde durch die Durchschnei- 
dung der hinteren Wurzeln nicht beeinflußt werden. H. Munk hat 
zwar eine leichte Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit der zu- 
gehörigen Hemisphäre gefunden, aber auch wenn man diese mit 
H. Münk nicht auf eine Störung in der Gegend der Operation, ins- 
besondere an den vorderen Wurzeln, wie sie doch immerhin möglich 
wäre, zurückführen will, so ist sie für die Deutung der Bewegungs- 
störung ganz unerheblich. Dasselbe ist von der Theorie v. Cyons zu 
sagen, dessen tatsächliche Behauptung, die Erregbarkeitsherabsetzung 
der vorderen Wurzeln nach Durchschneidung der hinteren, wir im 
übrigen nach eigenen Untersuchungen noch bestreiten müssen. 

Lewandowsky, Funktionen d. zentralen Nervensystems. 11 



162 ^* Einfluß der Sensibilität auf die Bewegung. Ataxie. 



ExNER hat für das ganze Gebiet der durch Sensibilitätsdefekte 
bedingten Störungen der Motilität die Bezeichnung der Sensomobili- 
tät einzuführen versucht, die uns nicht sehr nützlich zu sein scheint, 
weil sie zu sehr nivelliert, weil sie verdeckt, was wir klar zu niachen 
uns bemühten, daß die Bedeutung, welche der Sensibilität zukommt, 
eine Stufenleiter durchläuft, von der willkürlichen Einzelbewegung 
bis zum Reflex. 

Wir möchten vermuten, daß auf dieser Stufenleiter auch die 
mimischen Ausdrucksbewegungen des Menschen stehen. Ueber die 
Folgen des Trigeminusausfalls für sie, die zweifelhaft sind, haben wir 
bereits gesprochen. Nahegelegt wird uns der Gedanke an eine ver- 
hältnismäßig große Bedeutung der Sensibilität für die mimischen Aus- 
drucksbewegungen aber besonders durch die Fälle von Amimie bei 
Thalamuserkrankungen bei Erhaltung der willkürlichen Innervation 
der Gesichtsmuskulatur. Es ist dieses Symptom als eine Hinweisung 
auf die Rolle des Thalamus als mimisches Zentrum aufgefaßt worden. 
Es kommt jedoch sicherlich auch vor bei Integrität des Thalamus 
und Aflfektionen der Rinde oder des Stabkranzes. Vor allem aber 
sind wir, wie wir bereits wiederholt betonten, der Meinung, daß dem 
Thalamus eigene zentrifugale Bahnen fehlen, daß er deshalb nicht als 
selbständiges Zentralorgan, sondern nur als eine Schaltstation der 
Sensibilität auf dem Wege zur Rinde betrachtet werden darf. Man 
braucht nur anzunehmen, daß die periphere Sensibihtät auf die mimi- 
schen Ausdrucksbewegungen einen sehr viel größeren Einfluß hat als 
auf die willkürliche Innervation der Gesichtsmuskulatur, um eine Er- 
klärung für die Amimie bei Thalamuserkrankungen als eines Sym- 
ptoms der „Sensomobilität" zu finden. Genauere Untersuchungen 
über einen solchen Zusammenhang liegen freilich noch nicht vor und 
w^enn er auch bisher nur eine unbestimmte Hypothese ist, so sind 
doch jedenfalls klinisch die Beziehungen des Thalamus zur Mimik 
noch so unsichere, daß aus ihnen ein Beweis für eine vom Thalamus 
entspringende zentrifugale Bahn nicht hergeleitet werden kann. 

Wir sprachen bisher immer von dem Einfluß der lokalen Sen- 
sibilität auf die Motilität eines Körperabschnittes. Keineswegs aber 
ist dieser Einfluß ein scharf lokal abgegrenzter, genau wie der re- 
flektorische Erfolg eines Reizes sich nicht auf die Reizstelle beschränkt. 
Schon Panizza bemerkt, daß der Grad der Ataxie an einzelnen asen- 
siblen Extremitäten wohl durch die Sensibilität der anderen beein- 
flußt würde, und daß ein Tier, das auf allen vier Extremitäten ohne 
Sensibilität sei, wohl eine größere Schädigung beispielsweise der 
hinteren Extremitäten zeigen würde, als wenn etwa die Sensibilität 
der vorderen noch erhalten wäre. Die Bewegung der hinteren Ex- 
tremität beim Laufen würde also nicht nur durch ihre eigene, sondern 
auch durch die Sensibilität der vorderen beeinflußt werden. Am 
meisten ausgebildet scheint diese Beziehung zwischen verschiedenen 
Körperstellen beim niederen Wirbeltier zu sein. Nach Hering trifft 
der P'rosch noch mit einem der Sensibilität beraubten Bein eine 
sensible Stelle des übrigen Körpers, wenn diese gereizt wird. Deren 
Sensibilität gibt also die Richtung für die unempfindliche Extremität 

Hier schließt sich naturgemäß nun die Bedeutung der Sinnes- 
organe für die Bewegung an und zwar kommt, wenn wir von 
dem Ohrlabyrinth absehen, das in Zusammenhang mit dem Kleinhirn 
abgehandelt werden soll, wesentlich nur das Auge in Betracht Bei 



Bedeutuns^ dt>6 Auges. Grenze des sensiblen Einflusses. Ig3 



dem Individuum, dessen Körpersensibilität intakt ist, tritt ein solcher 
Einfluß nur zutage in der Richtung, daß die Sicherheit und Lust zur Be- 
wegung in dem Maße eingeschränkt wird, als der Ausschluß des Ge- 
sichtssinnes die Orientierung in der Umgebung erschwert. Tieren, 
die in dieser Beziehung ganz auf ihre Augen angewiesen sind, wie 
die Vögel, wird durch die Blendung die Existenzmöglichkeit fast völlig 
genommen, während es auf der anderen Seite bekannt ist, daß bei 
gewissen in der Dunkelheit unter der Erde lebenden Tieren die Augen 
rudimentär entwickelt sind, da sie eben nicht gebraucht werden können. 
Ein Einfluß des Auges auf die Koordination der Bewegung in dem 
oben entwickelten Sinn tritt jedoch nicht hervor, solange die Sen- 
sibilität des Körpers intakt ist. Man kann die Bewegungen eines Blinden 
nicht als ataktische bezeichnen. Daß ein solcher Einfluß aber doch 
besteht oder wenigstens sich zum Ersatz entwickeln kann, zeigt die 
Erfahrung, daß die tabische Ataxie in jeder Richtung sehr viel stärker 
zutage tritt, wenn wir den Kranken die Augen schließen lassen, ein 
Verfahren, das daher zur Erkennung leichter Grade von Ataxie auch 
immer angewandt wird. So läßt man jemanden, der sich mit eng 
aneinander geschlossenen Füßen ohne Schwanken aufrecht erhalten 
kann, die Augen schließen, hat er auch nur geringe sensible Störungen, 
so gerät er jetzt ins Schwanken, so daß er umfallen kann (Romberg- 
sches Phänomen). In Fällen, in denen die Schädigung der Körper- 
sensibilität eine sehr hochgradige, oder der Verlust ein vollständiger 
ist, wie wir das in einem Falle von Syringomyelie gesehen haben, 
stürzt der Kranke, wie er auch steht, in dem Augenblick selbst zu 
Boden, wenn er die Augen schließt. Ist demnach der Einfluß des 
Auges, der zum Ueberfluß auch experimentell noch nach Durch- 
schneidung der hinteren Wurzeln festgestellt wurde, schon unwill- 
kürlich sehr erheblich, so kann auch mit seiner Hilfe die oben er- 
wähnte Uebungstherapie planmäßig unterstützt werden. 

Es würde uns nun noch obliegen, zu definieren, welche Formen 
der Bewegung nach Ausschaltung der Sensibilität eigentlich noch 
übrig bleiben. Daß diese Frage, auf den Ausfall der gesamten Sen- 
sibilität des Körpers gerichtet, fast absurd ist, war schon gesagt. Es 
handelt sich immer nur um die Wirkung partieller Störung. Hier 
gibt es nun einige fest gefügte Muskelzusaramenhänge, welche durch 
Vernichtung der Sensibilität nicht gestört werden. Zu ihnen dürfte 
z. B. die Aufwärts Wendung des Auges bei Schluß der Lider gehören, 
zu ihnen gehört auch das Zusammenwirken der Dorsalflexoren der 
Hand mit den Flexoren der Finger beim Faustschluß, da es nach 
den von Catola und uns angestellten Untersuchungen bei der Tabes 
auch bei geschlossenen Augen nicht gestört ist. Diese festen Synergien 
müssen also bereits im Zentralnervensystem gewissermaßen motorisch 
präformiert sein. Wie weit diese Präformation reicht, ist im einzelnen 
noch nicht festgestellt. Es würde sich vielleicht empfehlen gerade für 
die präformierten Muskelkoordinationen und nur für diese die bisher 
von der Koordination nicht scharf geschiedene Bezeichnung der 
Synergie anzuwenden. Was aber an Synergien in diesem Sinne etwa 
vorhanden ist, sind jedenfalls nur rohe Bausteine in der Bewegung. 
Diejenige Zusammenfügung und Abstufung der Bewegung, welche die 
zweckmäßige Ausführung fordert, kann nur mit Hilfe der Sensibilität 
erreicht werden. 

11* 



XI. Kapitel. 

Das Kleinhirn. 

Die Funktionen des Kleinhirns sind, wie wohl die keines anderen 
Hirnteiles, noch lebhaft bestritten. Zwar von der Annahme Varols 
spricht man nicht mehr, daß das Kleinhirn das Zentralorgan des Ge- 
hörs und Geschmacks wäre, weil die Gehörs- und Geschmacksnerven 
in seiner Nähe endigten, und auch die GxLLsche Fabel, daß das 
Kleinhirn in Beziehung zum Geschlechtstrieb stehe, wird nur noch 
von Unkundigen wiederholt, die sich weder durch klinische noch 
durch experimentelle Tatsachen, wie sie von Luciani u. A. beigebracht 
worden sind, überzeugen lassen wollen. Bemerken wir auch sogleich, 
daß sich Beziehungen des Kleinhirns zur Psyche und zu trophischen 
Störungen nicht nachweisen lassen. Die Glykosurie, welche nach 
Kleinhirnverletzung vorkommt, ist keine notwendige Folgeerscheinung 
und auf Fernwirkung auf die Medulla oblongata zu beziehen. 

Es sind im wesentlichen zwei Gruppen von Theorien, welche heute 
noch für die Funktionen des Kleinhirns in Betracht kommen ; das sind 
erstens diejenigen, welche dem Kleinhirn einen Einfluß auf die Be- 
wegung der quergestreiften Körpermuskulatur zuschreiben ; deren 
erster Vertreter war Rolando, der zugleich auch — wie sich zeigen 
wird mit Recht — auf Grund seiner Experimente behauptete, daß die 
Wirkung des Kleinhirns auf die Muskulatur eine homolaterale sei (im 
Unterschied von der Wirkung des Großhirns). Ist an einer Wirkung 
des Kleinhirns auf die Skelettmuskulatur kein Zweifel, so besteht 
noch eine Diskussion darüber, inwieweit es sich hier um eine rein 
motorische Wirkung, inwieweit um eine durch die Sensibilität ver- 
mittelte Wirkung auf die Motilität handle. Die zweite Gruppe von 
Theorien will das Kleinhirn als ein Organ des Gleichgewichts be- 
zeichnen, wenngleich diese Bezeichnung eine recht vieldeutige und 
von den einzelnen Autoren auch in ganz verschiedenem Sinne ge- 
brauchte ist. In eine prinzipielle DiflFerenz zu der ersten Gruppe 
von Theorien kann die des Gleichgewichtsorgans nur insofern ge- 
stellt werden, als sie sich auf das bereits Poürfour du Petit be- 
kannte, von Magendie wieder entdeckte Symptom der Zwangs- 
bewegungen stützt, ein Symptom, das wir des genaueren, auch 
im Zusammenhang mit der Funktion anderer peripherer und zentraler 
Organe bei dieser Gelegenheit werden zu besprechen haben. 

Wir selbst wälilcn zum Ausgangspunkt unserer Betrachtang ein 
konkretes Experiment; wir nehmen au, daß wir einem Hunde die 



Das Tier nach Abtragung einer Kleinhimhälfte. Xg5 

eine Kleinhirnhälfte, sagen wir also die linke Hemisphäre und die 
Unke Hälfte des Wurms exstirpiert hätten und beginnen die Be- 
obachtung 24 Stunden nach der Operation, wenn der Hund aus 
seinem Morphiumrausch erwacht ist^). 

Wir finden den Hund in einer Ecke des Käfigs auf der linken 
Seite liegend, die Rumpfwirbelsäule ist nach links konkav ausgebogen, 
die Halswirbelsäule spiralig nach links und hinten gekrümmt, so daß 
die rechte Halsseite den Boden des Käfigs berührt. Die Schnauze 
liegt auf dem Rücken, so daß der Hund also über sich selbst hin- 
wegsieht. Die Gliedmaßen sind gestreckt, die der linken Seite er- 
scheinen vollständig steif, die Atmung des Tieres geht schwer, was 
offenbar durch die Verdrehung des Halses bedingt ist. 

Durch unsere Annäherung wird der Hund aufgeschreckt, er ver- 
sucht, seine Lage zu ändern, jede Bewegung aber wird zu einer 
Zwangsbewegung nach links. Ueber sich selbst hinweg wälzt sich 
das Tier halb, halb rollt es durch den Käfig, bis es irgendwo an der 
Wand wieder einen Halt findet und hier wieder auf der linken Seite 
liegen bleibt. Dabei zeigen sich Bewegungen der Extremitäten, die 
also nicht starr gestreckt bleiben; die Bewegungen sind ausgiebiger 
auf der nicht operierten Seite, aber auch auf der anderen vorhanden. 

Wir heben das Tier in die Höhe, indem wir es im Nacken fassen ; 
es sträubt sich, indem es strampelnde Bewegungen mit den Glied- 
maßen, hauptsächlich der rechten, nur geringere mit denen der ver- 
letzten linken Seite ausführt. Die Wirbelsäule bleibt nach links kon- 
kav ausgebogen, mit dem Kopfe versucht das Tier Bewegungen zu 
machen, aber unwiderstehlich wird es immer wieder in die Zwangs- 
stellung zurückgerissen. Wir nehmen den Hund auf einen Tisch und 
suchen ihn durch Streicheln und Zuruf zu beruhigen. In der Tat 
mildert sich die Heftigkeit der Bewegung; bestehen bleibt allerdings 
die maximale Zwangshaltung nach links, aber die Zwangsbewegungen 
können wir doch hintanhalten, wenn wir der linken Seite des Tieres 
mit der Hand einen geringen Halt gewähren. 

Wir bemerken dabei eine Ablenkung, eine Deviation conjugöe 
der Augen nach rechts; das rechte Auge erscheint dabei unverhält- 
nismäßig mehr nach außen, als das linke nach innen abgelenkt; dabei 
steht das rechte etwas nach oben, das linke ein wenig nach unten; 
es besteht leichter horizontaler Nystagmus. 

Sobald der Hund erschreckt wird, oder sobald er den Versuch 
macht, sich fortzubewegen, treten die Zwangsbewegungen mit ver- 
stärkter Heftigkeit wieder ein. 

Am zweiten Tage nach der Operation haben sich die Zwangs- 
bewegungen ein wenig gebessert. 

Am dritten Tage finden wir das Tier noch immer auf der linken 
Seite liegend, in Zwangshaltung nach links; es vermag jedoch schon 
für kurze Zeit den Kopf willkürlich nach rechts zu bewegen. Es ist 

1) Die Fig. 35 illustriert zugleich das Aussehen einer solchen Verletzung 
und die Methode der Schnittserie. Man möge aus diesen Figuren ersehen, wie 
nahe die einzelnen Teile einander liegen , wie groß die Gefäir von Nebenver- 
letznngen oder eines Nebenherdes ist, auch bei sorgsamster Operation, ja daß es 
eigentlich ein Zufall ist, wenn eine solche ganz vermieden wird, ein ZufaU, der sich 
aMr nur durch die sorgsamste mikroskopische Untersuchung^ verifizieren läßt. 
Wenn etwa Autoren behaupten, den DEriERSschen oder BEOHTEREWschen Kern 
nach Belieben schonen oder zerstören zu können, so ist das der Ausdruck mangel- 
hafter anatomischer Kenntnis. 



166 



XI. Dos Kldohirn. 



auffällig, daß immer, wenn das geschieht, auch das tonisch gestreckt«-! 
linke Vorderbein sich beugt, während im Moment, wenn die volle 
Zwangslialtung der Wirbelsäule wieder eintritt, auch das linke Vorder- 
bein sich zwangsartig streckt. In der gleichen Abhängigkeit von der 

Intensität der allgemeinen Zwangslialtung -steht die Ablenkung der 




Augen nach der entgegengesetzten Seite. Die Extremitäten der rechtes 
Seite sind fast vollständig frei. 

Am fünften Tage finden wir unseren Hund schon halb auf- 
gerichtet auf den Vorderbeinen ruhend; die krampfhafte Streckung 
der Vorderbeine ist in der Ruhe anscheinend verschwunden. Der 




Das Tier nach Abtragung sner KleinhinihGIfte. 



Bund liegt auf der linken Seite so, daß von der konkaveu Ausbiegung 
ler Wirbelsäule nichts zu sehen ist. Die Hinterbeine sind nach rechts 
|reggestreckt , der Kopf nach links gedreht, kann aber willkürlich 





Fig. 35 d. 
Flg. 3S a — d. AuH einer 8chnitteerie nach Exatirpatioi 



einer Klei ohirn half te 



ßund). X in d Digeoeration den QiudcarineA. 

[eradeaus gerichtet werden; die Ablenkung der Augen ist nur noch 
^ring; Nystagmus tritt noch in Erscheinung, wenn wir das Tier ver- 
nlassen, nach links zu blicken. Heben wir das Tier an der Rllckeii- 




haut empor, so tritt die Zwangshaltung der Rumpf Wirbelsäule starH 
hervor. Sobald das Tier versucht, sich fortzubewegeD, gerät es i(r 
ZwangsbewegungeD nach links, die jedoch nicht mehr RoJlungen, 80Q< 
dem nur ab und zu durch eine Rollung unterbrochene Zeigerba-^ 
wegungen darstellen. Dabei bewegt das Tier auch die Extremitäten 
der operierten Seite, ohne sich jedoch aufrecht halten zu können. 

Trotzdem bemerken wir zu unserem Erstaunen, daß die linke 
Voniorpfole einige Male mit weit ausholender Bewegung bis über den . 
Eopt gehoben wird, um dann laut aufklatschend, wie geschleudert 
auf den Boden niederzufallen. UowÖhnlich aber schleift sie am Bodei 
und bei einer lebhafteren Bewegung des Rumpfes gerät sie nach 
hinten unter den Thorax, und es gelingt dem Tier nur mit Mühe, sJsj 
wieder hervorzuziehen. 1 

Versuchen wir das Tier auf seine vier Beine zu stellen, so be*l 
merken wir eine krampfhafte Streckung der Unken Gliedmaßen, in&-9 
besondere des Vorderbeines. Das Tier bricht jedoch zusammeu, so-'l 
bald wir es loslassen, die Glieder werden schlatf, und wenn es ver<^ 
sucht, sich fortzubewegen, beginnen wieder die Znangsbe wegungen , 
nach links. 

Am sechsten Tage hat sich das Bild etwas gemildert, wir be- 
merken jetzt. Schwankungen des gauzen Körpers von rechts nach 
links, welche sich neben der Zwangshaltung des Rumpfes geltend 
machen. Wir erinnern uns jetzt, daß der Kopf schon seit einigen 
Tagen eine ähnliche Bewegung zeigte, wenn das Tier ihn hob, und 
wir können das am deutliclisten demonstrieren, wenn wir dem Tier 
einen Napf Milch vorsetzen. Vorsichtig nähert der Hund, sich der 
Schwierigkeiten wohl bewußt, den Kopf der Flüssigkeit unter dauern- 
dem und immer lebhafter werdendem Schwanken und Schaukeln, end- 
lich schleckt er etwas auf, aber seine Nase ist tief in die Milch ge- 
fahren, prustend zieht er den Kopf zurück und das Spiel beginnt vonJ 
neuem. Ein Stück Fleisch vom Boden aufzunehmen macht ihm diel 
größten Schwierigkeiten. Immer wieder fahrt der Kopf nach alle&fl 
Seiten vorbei und stößt heftig mit der Schnauze auf den BodenJ 
Kleine und Hache Stücke kann der Hund überhaupt nicht fassen, eine! 
richtige Tantalusqual. ■ 

Endlich prüfen wir die Reflexe, es macht das einige Schwierig*« 
keiten, weil, wie bemerkt, die Beine die Neigung haben, in Stre<^-<| 
Stellung zu geraten; wenn sie aber bei vollkommener Ruhe des Tiere 
erschlaffen, finden wir die Sehnenreflexe auf der operierten SeiU 
wesentlich erhöht, die Berühr ungsreti exe dagegen erloschen. 

Bei dieser Prüfung machen wir zugleich die Beobachtung, dsl 
sämtliche Gelenke der Extremitäten passiv abnorm weit gebeugt uniL 
gestreckt werden können. 

Acht Tage nach der Operation macht das Tier Versuche, 
aufzurichten, zu stehen, aber immer wieiler gleiten die Glieder däl 
linken Seite aus und der Hund fällt zu Boden. Dabei kommen die' 
Glieder in ganz abnorme Lagen und es zeigt sich deutlich, daß diese ' 
nur zögernd, manchmal gar nicht korrigiert werden. So liegt insbe- 
sondere, wenn der Hund in Ruhe ist, häutig das Dorsum der linken 
Vorderpfote dem Boden auf, und diese Stellung wird erst dann korri- 
giert, wenn der Hund einen neuen Versuch macht, sich aufzurichten. 
Nur wenn wir die linke Seite des Hundes unterstützen, etwa wenn 
wir ihn gegen einen Tischfuß stellen, kaun er sich für einige Minuten 





DaB Tier nach Abtragung einer Kleinhimhälfte. 169 

unter stetem Schwanken aufrecht erbalten. Wir bemerken dabei 
wieder die tonische Streckung des linken Vorderbeins und eine er- 
hebliche Zwangshaltung der Wirbelsäule nach links. 

Einige Tage später beginnt nun gewissermaßen eine neue 
Periode, da der Hund die Fähigkeit gewinnt, frei aufrecht zu stehen 
und zu laufen. Beides geschieht zunächst noch unter starkem Schwanken 
des Rumpfes und mit Zwangshaltung nach links. Die Zwangsbewegungen 
zeigen sich nur noch in der Neigung des Hundes, in Kreisen nach 
links zu laufen. 

Besonders interessant sind aber jetzt die Bewegungen der Glied- 
maßen auf der verletzten Seite. Beim Stehen wurden sie abnorm ab- 
duziert gehalten. Der Hund läuft nun so, daß er das Vorderbein der 
verletzten Seite zunächst ganz hoch wagrecht erhebt, so daß die Pfote 
in Schulterhöhe stehen kann. Wie zielend hält der Hund sie so einen 
Augenblick, dann setzt er oder schleudert er sie vielmehr mit weit- 
ausgreifender Bewegung auf den Boden. Ganz entsprechend wird das 
Hinterbein bewegt. Trotzdem knicken die Beine oft unvermutet ein, 
und der Hund kommt nach links zu Fall. Das Bild wird noch kom- 
pliziert durch die Schwankungen des Rumpfes. 

Von jetzt ab können wir nun prinzipiell Neues nicht mehr be- 
obachten, sondern wir sehen im Laufe der Wochen und Monate eine 
allmähliche und weitgehende Besserung sich einstellen, aber auch 
noch nach Monaten erkennen wir bei aufmerksamer Betrachtung eine 
Ungeschicklichkeit des Hundes beim Laufen derart, daß die Füße bald, 
besonders bei schneller Bewegung, zu hoch gehoben und ausfahrend 
aufgesetzt werden, bald insbesondere bei langsamer Bewegung zu 
wenig gehoben werden, so daß dann der Gang einen schleichenden 
Eindruck macht. Diese Ungeschicklichkeit der Bewegung wird noch 
deutlicher, wenn der Hund bestimmte Dinge mit seiner Pfote fassen 
will. Werfen wir ihm einen Knochen vor, so greift er mit der linken 
Pfote oft vorbei. Springt er am Gitter empor, so knickt das linke 
Hinterbein oft ein, die linke Vorderpfote gleitet an den Gitter- 
stäben aus. 

Die Sehnenreflexe links sind immer noch etwas verstärkt, die Be- 
rührungsreflexe haben sich wieder hergestellt. Noch können wir fest- 
stellen, daß die Glieder und Gelenke der operierten Seite passiven 
Bewegungen weniger Widerstand entgegensetzen als die der rechten. 

Wir haben diese Darstellung hier uur gegeben, um ein Bild von 
der Art der Störungen nach experimentellen Kleinhirnverletzungen zu 
geben. Ehe wir die beschriebenen Störungen deuten, möchten wir 
nur bemerken, daß eine so weitgehende Rückbildung, wie wir sie bei 
dem Tier nach Resektion der einen Kleinhirn half te beobachten, bei 
totaler Exstirpation nicht mehr auftritt. 

Wenn wir die Geschichte eines Hundes nach Exstirpation einer 
Kleinhirnhälfte tiberblicken, so unterscheiden wir leicht zwei 
Perioden: die eine der Zwangsbewegungen, die andere der 
Ataxie. Diese beiden Perioden lassen sich nicht streng voneinander 
scheiden; aber wenn auch ausnahmslos in den späteren Stadien der 
Zwangsbewegungen Erscheinungen der Ataxie recht deutlich hervor- 
treten, so beherrschen doch in der ersten Zeit nach der Operation die 
Zwangsbewegungen das Bild vollständig. 

Als Zwangsbewegungeu bezeichnen wir die Erscheinung, daß 
der Körper beim Versuche sich fortzubewegen, wie von einer höheren 



Kraft in eine gewisse Richtung gedrängt wird. Berücksichtigen ^ 
vorläufig nur die seitliehe Zwangsbewegung, so ist deren höchstai 
Grad der, daß der Körper um seine Längsachse rotiert {Roll-' 
bewegung), ihr zweiter die Zeigerbewegung, ihr dritter die.1 
Manegebewegung, als einen letzten kann man die UnfähigkeitV 
des Tieres bezeichnen, sich nach der der Riclitung der Zwangs- 1 
bewegung entgegengesetzten Richtung schnell zu drehen. Dieses! 
Symptom können wir noch Monate nach einer einseitigen Kleinhirn* I 
Verletzung beim Tier beobachten. Der Zwangsbewegung entspricht 
die Zwangshaltung. Das Tier kann nicht mehr die normale 
symmetrische Einstellung seiner Muskeln finden, welche die aufrechte 
Haltung in der Richtung der Schwerkraft erzeugt, sondern es besteht 
die Tendenz, eine Seitenlage und zwar immer unter Konkavkrümmuug 
der entsprechenden Seite, oder, entsprechend den geringen Graden 
der Zwangsbewegung, eine etwas schiefe Haltung einzunehmen. 

Sowohl Zwangsbewegung als Zwangshaltung sind beding:t durch 
Muskelaktion. Es ist aber zu betonen, daß weder eine einfache Läh- 
mung, noch eine tonische krampfhafte Kontraktion einer Körperseite 
im Stande sind, Zwangsbewegungen zu erzeugen. Wenn wir die eine 
Seite eines Tieres durch eine halbe Rücken marksdurchschneidung 




^^Ki^ 




Fig. 36/37. Zwange beivegun^ und ZvrangiituilCuiig tiach Kleiohiroopcratii 

lähmen, so fällt das Tier natürlich nach der gelähmten Seite, 
deren Extremitäten nicht im stände sind, den Körper zu tragen^),! 
Aber das ist ebensowenig eine Zwangsbewepung, wie ein einseitigw"| 
epileptischer Krampf eine solche ist. Schon darum ist die Auffassung 
LrotANis nicht haltbar, nach welcher die Zwangsbewegungen als eine 
Reizerscheinung den von ihm allein als Ausfallserscheinungen an- 
erkannten Symptomen der Atonie und Asthenie (vgl. weiter unten) . 
gegenüberzustellen wären. Sie sind ein Symptom ganz eigenerJ 
Gattung, nicht ein einfaches motorisches Reizsymptom. Nur eine b»j 
sondere Kombination von Muskelaktionen kann zu Zwangsbenegungei 
führen, oder vielmehr die Zwangsbewegungen sind ein Beweis daiOrJ 
daß es solche Kombinationen gibt, welche den Erfolg haben, deoJ 
Körper im Räume aufrecht und in der Ebene in einer einheitliche! 
Richtung zu halten. 

1) Wir vermögen es nicht tu verateheo, daß H, Muhe □euerdin^ die Zwangt 
bewÄungen als eigenes Syioplom dadurch aus der Welt Bchaffen will, daS er r' 
als üie „naitirlichen Folgen der Uofähigkeit des Tieres, sich wie in der Nor 
auftustellea und zu gehen", erklärt. Man vergleiche unsere Abhildungen odw mL. 
sich ein eolehesTier an, ob man dann diese Folgen noch als „Datürli(£'' beseiclinM 
wiÜ. Die Unrichtigkeit dieser Äuffasaung ist douh handgreiflich. 



ZwaDgBbew^uDgen und OrieDÜeruDg im Baum. 171 

Wenn wir nun nach gewissen Verletzungen, wie eben nach ein- 
seitigen Kleinhirnverletzungen, nicht nur eine Störung dieser Funktion, 
sondern eine Abweichung nach einer bestimmtenRichtung sehen, 
so ist das ein Beweis dafür, daß im zentralen Nervensystem bilateral an- 
geordnete Mechanismen vorhanden sind, von denen, nach Ausschaltung 
der einen Seite, nun der der entgegengesetzten das Uebergewicht ge- 
wonnen hat. Dreht also nach linksseitiger Kleinhirnverletzung das 
Tier nach links ^), so muß das aufgefaßt werden als bedingt durch ein 
üeberwiegen der rechten Kleinhirnhälfte. Es wären also zwei ein- 
seitig lokalisierte „Kräfte^ anzunehmen, um mit Maoendie zu sprechen, 
welche sich das Gleichgewicht halten, indem sie sich neutralisieren, 
man könnte auch sagen, sich gegenseitig hemmen, wenn wir mit diesem 
Wort nicht eine aUzuenge bestimmte Vorstellung schon verbänden. 
Wir setzen jedenfalls voraus, daß die Zwangs bewegungen als 
Ausfallserscheinungen zu betrachten, nicht durch Reizung 
von der Operationswunde aus zu erklären sind. Daran kann nach 
der langen Dauer der Zwangsbewegungen, welche sich noch nach 
Monaten in ihrer schwächsten Form nachweisen lassen, auch wohl kein 
Zweifel mehr sein, und Reizversuche mit mechanischer und elektrischer 
Reizung des Kleinhirns haben denn auch ergeben, daß im Sinne unserer 
Annahme die Reizung einer Kleinhirnhälfte eine Zwangs- 
bewegung nach der entgegengesetzten Seite zur Folge hat als die Ex- 
stirpation einer Kleinhirn hälfte. Nothnagel hat das bei Nadelstichen 
ins Kleinhirn, wir selbst bei elektrischer Reizung des Klein- 
hirns mittels in den Schädel eingeschraubter Elektroden am frei- 
laufenden Hunde*) gesehen. Der Wegfall einer Kleinhirnhälfte würde 
also die gleichen Symptome machen, als die Reizung der entgegen- 
gesetzten Hälfte, wie das ja unsere Erklärung voraussetzt Im übrigen 
kann jedoch eine Kleinhirnhälfte nicht ausschließlich, sondern nur in 
überwiegendem Maße zu der Orientierungsbewegung nach der Gegen- 
seite in Beziehung stehen. Denn nach Entfernung nur einer Hälfte 
findet, wie bemerkt, spontan ja ein Ausgleich statt, der die Zwangs- 
bewegungen fast völlig verschwinden läßt. 

Diese Zwangsbewegungen sind verbunden mit einer Ablenkung 
der Augen nach der Gegenseite, wobei die Augen unserer Beobach- 
tung nach nicht mehr völlig konjugiert sind, sondern mehr oder weniger 
divergieren. Dabei tritt auch eine Vertikaldifferenz auf, nach Hertwig 
und Magendie steht das Auge der verletzten Seite nach unten, das 
andere nach oben, ferner besteht Nystagmus. 

Wenn wir die nach einseitiger Kleinhirnverletzung zur Erscheinung 
kommenden Zwangsbewegungen und Zwangshaltungen auffassen als 
eine Störung der Orientierung des Körpers und seiner 



1) lieber die Bezeichnung der Richtung ist eine Diskussion entstanden. Ein 
Tier, das sich aus der aufrechten Haltung in die Rückenlage über seine linke Seite 
dreht, dreht sich in die Bauchlaj^e natürlich über seine rechte Seite zurück. Wir 
bezeichnen als die Richtung der Drehung (mit Ferrier u. A.) den ersten Akt, weil 
man sonst die Bezeichnung der Richtung umkehren muß, wenn das Tier im Laufe 
der Rückbildung der Erscheinungen aus der Rollbewegung zur Zeigerbewegung über- 
geht. LuciANi dagegen hat die umgekehrte Bezeichnungsweise für die RoUbewegung 

gewählt, weil er die Analogie mit dem Menschen herstellen wollte, den wir uns in 
er Rückenlage anzusehen gewohnt sind. Dadurch ist er in Differenzen mit Ferrier 
gekommen, oie also nur formaler, nicht tatsächlicher Art sind. 

2) Diese Methode der Untersuchung ist zuerst von I. R. Ewald für das Groß- 
hirn angegeben. 



172 



Xt. Du Kleiobini. 



aufrechten Haltung im Raum, so haben wir daran anschließend 
die Frage zu behandeln, erstens ob etwa und durch welche peripheren 
Organe dem Kleinhirn eine solche Funklion vermittelt wörde, und 
zweitens ob das Kleinhirn das einzige mit dieser Verrichtung betraut« 
Zentralorgan sei, bezw. in welcher Beziehung es mit anderen Teilen 
des Zentralnervensystems zur Leistung der Funktion der statischen 
Orientierung trete. 

Beschränken wir uns zunächst auf das Symptom der Zwangs- 
bewegung als das Objektive der Orientierungsstornng, so ergibt sich, 
daß bei niederen Wirbeltieren, insbesondere den Amphibien und 
Reptilien ^ bei Fischen liegen wohl noch nicht genügende Versuche 
vor — die Verletzung des Kleinhirns keine Zwangsbewegungen macht 
(Steiner). Es bildet ja hier auch nur eine ganz schmale Leiste am 
oralen Ende der Medulla oblongata. Diese selbst ist hier das Zentral- 
organ der Orientierung, ihre einseitige Verletzung macht Dreh- 
bewegungen, der so operierte Frosch dreht sich beim Schwimmen 
und Springen in sehr typischer Weise um seine Längsachse, beschreibt 
Kreis- und Manegebewegungen. Letztere sind übrigens von einer 
ganzen Reihe von Forschem auch an Wirbellosen nach einseitigeQ Ver- 
letzungen des Kopfganglions gesehen worden. Insbesondere Steinb» 
hat sie studiert, weil er in dein Auftreten dieser Zwangsbewegungen 
das erste Zeichen einer Suprematie des obersten Teiles des Nerven- 
systems über die anderen, die erste Abweichung von der segmentalen 
Unabhängigkeit sah, und die Definition des Gehirns als eines über- 
geordneten Zentralorgans von dem Auftreten solcher zwangsmSßigen 
Kreisbewegungen — das keineswegs bei allen Wirbellosen statthat 
abhängig machte. 

Beim Frosch also hat das Kleinhirn mit den Zwangsbewegungen 
noch nicht viel zu tun, und bei den Vögeln und den Säugern dürfte es 
wenigstens nicht das einzige Organ der objektiven Regulierung ffir 
die räumliche Orientierung darstellen, vielmehr dürfte auch hier die 
Medutla oblongata selbst noch in Betracht kommen. Wenn schon 
PouRFOüH DU Petit nach Durchtrennunp des Corpus restiforme 
Zwangsbewegungen beobachtete, so könnte es sich da allerdings noch 
um indirekte Beeinflussung des Kleinhirns durch Verletzung seiner 
Bahnen handeln. Beweisend jedoch ist die von uns gemachte Be- 
obachtung, daß auch noch nach totaler Kleinhirnexslir- 
pation Zwangsbewegungen zu erzielen sind durch die 
Reizung des Nervensystems mittels der Methode der galvanischen 
Durchströmung des Kopfes. Diese Folgerung .setzt also voraus, woran 
nach unserer Meinung gar kein Zweifel sein kann, daß der so. 
zuerst von Purkinje, dann von Hitzig erzeugte «galvanische 
Schwindel", der beim Tier genau die Orieotierungsstörung der 
Zwangsbewegungen wiedergibt, nichts ist als eine durch 
künstliche Reizung bewirkte Zwangsbewegung. 

Für die Rolle extracerebellarer Hirnteile ist auch die zuerst von 
Ldciani gemachte Beobachtung zu verwerten, daß auch das vOllIg 
kleinhirnlose Tier sich, wenn auch ataktisch und ungeschickt, 
so doch in einem gewissen Gleichgewicht aufrecht halten 
kann, es besteht also auch nach Exstirpation des ganzen Kleinhirns 
eine gewisse Orientierung im Raum. 

Nun hat man weiter seit langem vielfach der Verbindung dea; 
zentralen Nervensystems mit dem Labyrinth, die durch den N. vesti- 



I 
I 

I 





Bedeutung dee Labyrinths. 173 



bularis, der als der Nerv des Vestibulum von dem N. cochlearis als 
dem Hörnerv scharf zu trennen ist, und seine noch immer nicht genaa 
bekannten zentralen Fortsetzungen vermittelt wird, die Orientierung 
des Körpers im Baume zugeschrieben, die dann also, in welchem 
Zentralorgan sie sich auch abspiele, insoweit ein reflektorischer Akt 
wäre. Wir können »hier leider nicht die Frage nach der Bedeutung 
des Labyrinths eingehend behandeln, ebensowenig wie die Bedeutung 
der Orientierung der drei Bogengänge mit ihren Ampullen in den 
drei Ebenen des Raumes. Es steht unserer Meinung nach jedoch 
außer Zweifel, wie das ja übereinstimmend die Theorien von Flourens, 
Goltz, Mach und Breuer, Cyon aussprechen, so sehr sie sich im 
einzelnen voneinander unterscheiden, daß der Vestibularisapparat mit 
der räumlichen Orientierung etwas zu tun hat, und ferner ist es wohl 
sicher, daß durch die Reize, welche unter dem Einfluß der Druck- 
schwankungen der Endolymphe in den Bogengängen von den Am- 
pullen und dem Otolithenapparat ausgehen, die räumliche Orientierung 
des Körpers bestimmt wird. Durch Drehen eines Tieres auf der Dreh- 
scheibe kann man, wie wiederum zuerst Purkinje zeigte, erstens 
kompensatorische Kopf-, Augen- und auch Rumpf bewegungen er- 
zeugen, die endlich den Charakter typischer Zwangsbewegungen mit 
Nystagmus annehmen. Daß diese vom Labyrinth ausgelöst sind, ist 
sicher, denn nach den übereinstimmenden Angaben der Autoren hört 
der Drehschwindel nach Entfernung der Labyrinthe 
auf. Es ist uns ferner sogar sicher, daß die Art dieser Orientierung 
durch das Labyrinth der Art und dem Sinne nach durchaus entspricht 
der durch das Kleinhirn. Das zeigt sich aus den berichteten Symptomen 
von dessen Reizung. 

Indessen ruft der Ausfall eines Labyrinths beim Säugetier 
nur eine Andeutung von Zwangsbewegungen hervor. Die Meinung 
derer, die nach Acusticusdurchschneidung typische Rollbewegung beim 
Tier beobachteten, ist irrtümlich, das Resultat durch Mitverletzung des 
Kleinhirns 'oder des verlängerten Marks zu erklären. Eine leichte 
Neigung nach der operierten Seite mit gelegentlichem Fallen dahin, 
Ablenkung der Augen nach der Gegenseite und etwas Nystagmus ist 
alles, was wir nach dieser Operation beim Hund oder der Katze be- 
obachten können. Das läßt sich gar nicht vergleichen mit den foudroy- 
anten Erscheinungen, wie wir sie nach Verletzung des Kleinhirns 
oder der MeduUa oblongata beobachten. Um in dieser Frage ganz 
sicher zu gehen, haben Beyer und Verf. der doppelseitigen Labyrinth- 
entfernung noch Verletzungen des Kleinhirns oder der MeduUa oblon- 
gata hinzugefügt, und haben dann die typischen Zwangsbewegungen 
auftreten sehen. Auch haben wir gefunden, daß noch nach totaler 
doppelseitiger Labyrinthzerstörung und folgender 
Vestibularisdegeneration die galvanische Durch- 
strömung des Kopfes noch Zwangsbewegung mit 
Nystagmus macht. Der elektrische Reiz kann unter diesen 
Umständen also nur auf die Zentralorgane wirken — womit nicht 
gesagt wird, daß er auf das Labyrinth nicht wirkt, solange das- 
selbe erhalten ist Bemerkenswert ist übrigens, daß auch unter diesen 
Umständen das Tier bei Stromschluß nach der Seite der Anode 
dreht, die Wirkung, die doch nach allen Erfahrungen der allgemeinen 
Nervenphysiologie wahrscheinlich von der Kathode ausgeht, in Bezug 



174 



XI. Das Rleinhirn. 



auf die Drehrichtung also eine gekreuzte ist, wie wir das auch fOi 
die Wirkung des Kleiuhirns aDuahmen. 

Beim Säuger erklärt jedenfalls der Ausfall des Vestibularis 
apparatcs die Zwangsbewegungen nach Verletzung des KleinhiriH 
oder der Medulla oblongata nicht. Das gleiche gilt fflr den Frosch, ' 
bei dem durch Labyrinthverletzung auch nicht annähernd so schwere 
Störungen zu erzielen sind, als durch Verletzung der Medullu 
oblongata. Fflr den Vogel ist das schon zweifelhafter, denn hier sehen 
wir auch nach reiner Labyrinthzerstörnng. wie schon Floürens be- 
kannt war, sehr schwere Drehstörungen ') (vgl, Fig. 38). Die Zwangs- 
bewegungen nach Labyrinthentfernung sehen, wie wir uns überzeugt 
haben, jedenfalls denen nach Kleinhirnverletzungen hier außerordent- 
lich ähnlich. 

Wenn beim Säugetier die durch das Labyrinth vermittelten 
reflektorisch dem Kleinhirn und der Medulla oblongata zugeleiteten 
Erregungen nicht genügen, um die Störungen der räumlichen Orien- 
tierung, welche Verletzungen dieser Zentralorgane folgen, zu erklfiren, 
so entstand die Frage, ob zu diesen Zwangsbeweguugen der Ausfall 
noch anderer als der vestibulären Erregungen beitrüge. Da wir wissen, 

daß das Kleinhirn Be- 
ziehungen zur Kör- 
perperipherie sowohl 
wie zu der Endigung 
des Sehnerven im 
Mittelhirn hat. und da 
wir weiter von vorn- 
herein annehmen 
dürfen, daß dem Ge- 
sichtssinn sowohl wie 
der peripheren Sensi- 
bilität ein Einfluß auf 
die räumliche Orien- 
tierung zukommt, so 
haben Beyer und 
Verf. versucht, oh wir etwa den Kleinhirnsymptonien ähnliche Er- 
scheinungen durch Verbindung der doppelseitigen Labyrinthentfernung 
mit Blendung und einseitiger RQckenmarksdurchsciineidung herbei- 
führen könnten; es ist uns das nicht gelungen, woraus allerdings 
noch nicht mit voller Sicherheit folgt, daß die räumliche Orientierung 
nicht doch unter dem dauernden Einfluß zentripetaler Erregungen 
stände, denn wir sind nicht im stände, die von einer Körperseite 
aus dem Kleinhirn zuströmenden Impul.se wirklich rein auszuschalten. 
Immerhin liegt doch die Möglichkeit vor, daß in der räumlicheu 
Orientierung des Körpers im Räume eine rein zentrale Koiirponente 
noch wirksam sei, d. h. also, daß das Kleinhirn schon kraft seiner 
zentrifugalen Verbindungen eine gewisse Regulierung der räum- 
lichen Orientierung ausübe. 

Nach doppelseitiger Verletzung des Klei nhirns sehen 
wir, wenn sie ganz symmetrisch war, zwar keine seitlichen Zwangs- 




I) Diese haben die Eigeotünilichkcit, daS sie in voller Stärke erat einige Ttge 
nach der Operntian zur Eracbeinunf; kommen. Ea tritt also keine KompeQBalion 
ein, im üegeatcil, dan Ueberwiegen der Gegenseite wird immer atarker. 





Doppelet tige Kleinhirn zeratSrungen. 



Hi 



bewegungen mehr, aber wir behalten die Erschwerung der willkürlichen 
KürperdrehuDg nach rechts und liuks und es kommt hierzu eine Zwaugs- 
bewegung nach rückwärts (Mouvement de räcul von Maoehdie), die 
insbesondere nach Verletzungen des Wurmes so stark sein kann, daß 
das Tier sich nach hinten überschlägt ')■ Auch beim Menschen isl eine 
Retroputsidti bei Erkrankungen des Kleinhirns beobachtet worden. Auch 
diese Erscheinung entspricht wieder einer Tendenz zur Rückwärts- 
bewegung, die wir auch nach dopjielseitiger Labyrinthentfernung sehen. 
ist aber wiederum viel stärker ausgeprägt als dort, also nicht allein 
durch die Schädigung etwaiger Verbindungen des Kleinhirns mit dem 
Labyrinth ?.a erklären. Diese Tendenz zur RückwSxtsbewegung sehen 
wir übrigens auch nach einseitigen Verletzungen schon, nur wird sie 
dann durch die seitlichen Bewegungen verdeckt, während sie hei 
symmetrischen Verletzungen rein zum Ausdruck kommt. Aus dem 
Auftreten dieser Rückwärtsbewegungen muß geschlossen werden, daß, 
vom Kleinhirn (und dem Labyrinth) nicht nur eine Ausgleichung der 
räumlichen Orientierung nach den 
beiden Seiten bewirkt, sondern dem 
Körper auch eine gewisse Beschleu- 
nigung nach vorn, um eine quer durch 
den Körper gedachte Achse erteilt 
wird. Eine Gegenkraft nach hinten 
findet sich nirgends. Die von Noth- 
nagel nach Verletzung seiner Nodulus 
cursorius, einer Stelle im Corpus 
s t r i a t u m , beobachteten z wanijs- 
mäßigen Laufbewegungen sind Er- 
scheinungen ganz anderer Art, die 
übrigens weder von Carville und 
DuBET, noch von Eckhard bestätigt 
werden konnten (ganz anders wieder 
sind die Propulsionen zu beurteilen, 
die infolge gewisser Anomalien der 
Muskelinnervation hei der Parkinson- 
schen Krankheit, der Paralysis agitans, 
beobachtet werden). Im übrigen schwin- 
den die heftigen Zwangsbeweguugen 
nach experimentellen Kleinhirnverletzungen wieder nach einiger Zeit. 
Ob eine gewisse Unlust zu schneller Bewegung, die zurückbleibt, als ein 
Rest der Orientierungsstörung bezeichnet werden darf, ist wegen der 
nicht zu vermeidenden Ataxie zweifelhaft; daß aber die Schwierigkeit, die 
ein Tier nach einseitiger Operation dauernd behält, sich schnell nach 
der verletzten Seite zu drehen, ein letzter Rest der seitlichen Zwangs- 
beweguDg ist, darf wohl behauptet werden. Es ist das ein interessanter 
Hinweis auf den Zusammenhang, welcher besteht zwischen der Orien- 
tierung im Raum und der Möglichkeit, sich schnell nach einer Rich- 
tung zu drehen. 

Wir haben den Ausdruck .,Orientierung im Räume" bisher objektiv 
genommen, und diese Funktion gewissermaßen aus dem objektiven 




39. Hund, im Begriff, 
hinten zu üljersch lagen. 
nach BxBtiriration tlf» Wurmes. 



1) Nach totaler Kleinhimeistirpation ist sie darum nicht eo ausgeprägt, weil 
die stärkere Affektion des Bcwegiitig»appamtea die InlcnsilSt der Zwangsbewegunr: 
abschwächt. 



17( 



XI. Das Klelnblni. 



lialt« 



Symptom der Zwangsbewegung erscblosBen. Die entsprechende sub- 
jektive Störung, die der Selbstbeobachtung zugänglich ist, ist nun 
der Schwindel. Ist die Zwangsbeweizung die Störung der Orien* 
tierung im Raum, so ist der Schwindel die Störung der Vor- 
stellung voQ der räumlichen Orien tierung. Wie die Orien- 
tierung im Raum nicht alleia durch das Kleinhirn oder das Labyrinth 
besorgt wird, so ist auch der Schwindel Syraptoni einer großen Reihe 
von zentralen und peripheren Störungen: Augenmuskettähmungea 
machen Schwindel. Wenn der Tabiker sich nicht sicher fühlt, weil er 
bei seiner mangelhaften kinSsthetischen Orientierung den festen Stand 
auf dem Erdboden nicht findet, so gibt er besonders bei geschlossenen 
Augen das Gefühl des Schwindels an. Ja, das Gefühl des Schwindligseios 
ist ein AUgemeinsymptom bei allen möglichen Hirnerkrankungen und 
hat eine ganz merkwürdige Beziehung zum Erbrechen, und zu einer 
Reihe von intestinalen Störungen. Auch bei Labyrintherkrankung 
ist das Erbrechen ein sehr häufiges Symptom, das mau auch als 
Symptom des Drehschwindels beobachten kann. Die mehrfach aus- 
gesprochene Anschauung, daß die Seekrankheit zum Teil einer durch 
die Schwankungen des Schiffs bedingten unregelmäliigen Erregung 
des Labyrinths zuzuschreiben sei. hat viel für sich. 

Die besondere Form des Schwindels, die wir bei Labyrinth- und 
Kleinhirnerkrankung am Menschen beobachten, ist der systematische 
Schwindel, die scheinbare Drehung des eigenen Körpers und der 
Gegenstände der Außenwelt nach einer bestimmten und konstanten 
Richtung. Es ist in der Erscheinung der gleiche Schwindel, welcher 
durch galvanische Durchströmung des Kopfes oder auch durch 
Drehen des Körpers um seine Längsachse erzeugt werden kann, dessen 
Ursprung aber eben kein einheitlicher ist. Der subjektive Schwindel 
nach Drehungen um die Längsachse des Körpers beruht wohl ebenso 
wie die Zwangsbewegungen nach dem Drehen eines Tieres ausschließ- 
lich auf der Aenderung des Druckes der Endolymphe in den Bogen* 
gangen. Dagegen wird der galvanische Schwindel bei Durchströmang 
des Kopfes mit dem konstauten Strom auch beim Menschen noch 
nach Durchschneidung beider Acustici ausgelöst werden können, 
ebenso wie die Zwangsbewegungeu beim Tier nach Kleinhirnzer- 
störung; es würden wohl Taubstumme, denen der Drehschwindel 
wie bekannt häufig fehlt, weil sie kein Labyrinth besitzen, bei Er- 
krankung des Kleinhirns oder des verlängerteu Marks wahrscheinlich 
noch einen richtigen spontanen — der zentrale Schwindel besteht 
eben gewöhnlich schon bei voller Ruhe des Körpers, wird durch Be» • 
wegungen aber meist gesteigert — systematischen Schwindel be^^ 
kommen '). ] 

1) KsEiDL bat festgestellt, daß nur 50 Proe. der Taubstunimen noch Drdi- 
schwinde! bekomracn, dagegen erhielt Poli.ak an dem gleichen Mnierial noch bei 
70 Proz. galvanischen Schwindel. Schon das »prieht dafür, daU der galvanbcht 
Schwindel noch durch andere Apparate, als der Drebschwindel ausgelöst werden 
kann. Wenn ÜO Proz. der TaubstunittieD keinen galvaniiicben Schwindel bekommen, 
HO sind auch bei Ubyrinthloscn Tieren zur Erzeugung de? galvanischen Schwinddi 
ferhSItnismSßig starke StrOme erforderlich. Auch ist es durchaus roSgUch, dafi bei 
einer angeborenen Labyrinth affeküon, wie sie der Taubstunimheit in der Mehnahl 
der Fälle ta lirunde 7u li^^n sAeint, sich der atrophische Prozeß auf diejeoisvn 
Kerne drr Medulla oblongata erstreckt, welche zur Erzeueung des galvanischen 
Schwindel« beitragen ; ea sei noch einmal betont, daß wir aas Kleinhirn durchaus 
nic^ht für das eintige Zentralorgau der räumlichen Orientierung und des Schwindel! 



1 



BchwindeL Nystagmus. 177 



Der letztere besteht gewöhnlich aus zwei Komponenten, erstens 
in Scheinbewegungen des Körpers, und zweitens in 
Scheinbewegungen der im Räume sich befindenden Objekte. 
Das Verhältnis dieser beiden Komponenten zueinander ist nicht konstant. 
In der Mehrzahl der Fälle, nach Stewart und Holmes in allen 
Fällen intracerebellarer Erkrankung, geht die Scheinbewegung des 
eigenen Körpers^) nach der entgegengesetzten Seite wie die Schein- 
bewegung der Objekte. Es ist dabei interessant, daß es scheint, als 
wenn die Richtung der scheinbaren Eigenbewegung beim Menschen 
die gleiche sei, wie die der objektiven Zwangsbewegung beim Tier. 
Dagegen ist bei einer anderen Reihe von Erkrankungen, nach Stewart 
und Holmes bei allen extracerebellaren , die Richtung der Schein- 
bewegung der Objekte und des eigenen Körpers die gleiche. Ob das 
auf einer verschiedenen Lokalisation oder darauf beruht, daß bei der 
einen (intracerebellaren) Art von Prozessen die Ausfallserscheinungen, 
bei der anderen die Reizerscheinungen überwiegen, ist unklar. 

Die Frage nach der Beziehung der Scheinbewegung der Objekte 
zu der des Subjektes ist nach verschiedenen Richtungen der Verfolgung 
wert. Jedoch ist schon der Tatbestand kein fester. Hitzig war früher 
der Ansicht, daß die objektive Zwangsbewegung bei galvanischer Durch- 
strömung des Kopfes — und alle Orientierungsstörungen sind einheit- 
lich zu beurteilen; ob sie nun auf einer Reizung oder einem Ausfall 
peripherer oder zentraler Apparate beruhen, die Folgerungen gelten für 
alle Arten — entgegengesetzt gerichtet wäre der eigenen Schein- 
bewegung und zurückzuführen auf das mehr oder weniger bewußte 
Bedürfnis, das objektive Gleichgewicht des Körpers gegen die Schein- 
bewegung aufrecht zu erhalten. Aber in anderen Fällen erhielt auch 
Hitzig die gleiche Richtung von Schein- und wirklicher Bewegung. 
Erst nach einer Feststellung dieses Verhältnisses kann aber die Frage 
endgültig entschieden werden, ob in der Tat die Zwangsbewegung des 
Tieres mit der Empfindung der Zwangsbewegung beim Menschen zu 
analogisieren sei. Ja, wenn man die objektive Zwangsbewegung beim 
Menschen nur als eine Reaktion gegen die scheinbare betrachtet, so 
wäre natürlich auch die Analogisierung der ersteren mit der wirklichen 
Zwangsbewegung beim Tier nicht mehr ohne weiteres zulässig. 

Tatsache ist jedenfalls, daß auch beim Menschen objektive Ab- 
weichungen von der richtigen Orientierung im Raum nach Kleinhirn- 
herden (und solchen der Medulla oblongata) zur Beobachtung kommen, 
in der Form, daß der Kranke nach der einen Seite fällt, oder beim Ver- 
such geradeaus zu gehen, nach einer Seite, und zwar fast immer nach 
der Seite des Herdes abweicht. Auch die Abweichung der Augen 
und der Nystagmus können als objektive Symptome der Orientierungs- 
störung angesehen werden^). Der Nystagmus kann ein horizontaler 
und rotatorischer sein, er tritt besonders stark in Erscheinung bei 
dem Versuch, nach der operierten Seite zu blicken, und ihm dürfte 



1) Diese Symptome der Kieinbirnerkrankungen beim Menschen Bollten doch 
davor warnen, mit U. Munk die entsprechenden Symptome beim Tier als „natür- 
Üche Folgen der Unfähigkeit zu stehen und zu gehen "", kurz abzutun. Ist der 
systematische Schwindel auch eine dieser natürlichen P'oigen? 

2) Wie H. Munk den Nystagmus auffaßt, ist bisher — nach seiner ersten 
Mitteilung — noch unklar geblieben, da er dem Kleinhirn anscheinend keinen Ein- 
fluß auf die Augen bewegungen einräumen will. Der Nystagmus ist aber ein wahres 
Kleinhirnsymptom, beruht nicht auf Neben Verletzungen. 

Lewandowsky, Funktionen d. zentralen Nervensystems. 12 



178 



XI. Du KleiDhini, 



t 



ilaher eine latente Tendenz zur Abweichung tier Augen nach der 
(iegenseite zu Grunde liegen. Genauer auf die Bedeutung der Ab- 
weichung der Augen für die Art der Scbeinbeweguog der Objekte 
einzugeben, auf die damit in Zusammeuhang stehenden kompen- 
satorischen Bewegungen der Augen bei Drehungen des Kopfes, sowie 
die damit verbundenen subjektiven physiologischen Täuschungen über 
die Richtung der Vertikalen im Raum, müssen wir uns versagen. Das 
könnte nur im Zusammenhang njit einer genauen Physiologie des Laby- 
rinths geschehen, die wir hier aber nur insoweit berühren konnten, als 
sie für das Verständnis der uns hier beschäftigenden zentralen Funk- 
tionen, insbesondere des Kleinhirns, ganz unumgänglich war, und für 
die Erkenntnis der Tatsache, daß die Orientierung im Raum 
eine besondere und einheitliche physiologische Funk- 
tion ist. 

Nur darauf muß noch hingewiesen werden, daß beim Menschen 
und auch schon beim Äffen die objektive Störung der räumlichen 
Orientierung, als welche wir die Zwangsbewegung auffaßten, zurücif- 
tritt. Solche Bilder, wie wir sie bei unserem Hund beschrieben haben, 
sind beim Menschen überhaupt nie beobachtet, beim Affen sind die 
Erscheinungen schon wesentlich schwächer. Es scheint so, als wenn 
iu der aufsteigenden Tierreihe, in dem Maße als die Fortbewegung 
mehr in das Gebiet der bewußten Handlung auf Grund von Vor- 
stellungen hineinrückt, eine Störung eben dieser Vorstellungen an die 
Stelle der objektiven Regulierung tritt. Das Symptom der subjektiven 
Störung, sage man nun der Empfindung, Vorstellung oder wie man wolle, 
ist eben der Schwindel, der als systematischer Sehwindel für die Er- 
krankungen des Kleinhirns charakteristisch ist. Dann erhebt sich 
nun die Frage, ob die Tiere überhaupt einen Schwindel iu unserem 
subjektiven Sinne kennen. Für den Affen ist das sicherlich zu be- 
jahen, auch beim Hunde und bei der Katze ist doch schon ein Ein- 
fluß dessen, was wir bei diesen Tieren als Bewußtsein oder Willkür 
bezeichnen möchten, auf die Intensität der Zwangsbewegungen sehr 
deutlich, wir möchten glauben, daß diese Tiere doch schon eine sub- 
jektive Orientierung im Räume haben, die freilich gegen die objektive 
zurücktritt und gegen diese nicht autkommen kann. Im einzelnen sind 
wir also der entgegengesetzten Meinung als Hitzig, der die Zwangs- 
bewegung nur oder vorzugsweise auffassen wollte als willkürliche Be- 
wegung zur Äufrechterhalluug des scheinbar gestörten Gleichgewichtes. 
In der Tat nimmt, wie bemerkt, die Intensität der Seitenzwangs- 
bewegung nach Kleinhirnverletzung nach unten in der Säugerreihe zu. 
Ein Kaninchen kann man durch einen ganzen Saal kugeln sehen, wie 
von einer Maschine gedreht. Es scheint uns, als wenn beim niederen 
Tier die Orientierung im Raum noch ganz unter der Schwelle oder 
sehr tief im Bewußtsein sich abspielt, und allmählich bis zum Menschen 
hinauf in hOhere Stufen des Bewußtseins und den Bereich der Regu- 
lierung durch Vorstellungen kommt, so daß auch die Störungen dieser 
Funktion allmählich Störungen der Vorstellungen werden. 

Mit der Anrufung der Vorstellung und des Bewußtseins wären 
wir dann zu dem letzten Punkt in der Lehre von der räumlichen 
Orientierung gekommen: inwieweit das Großhirn bei ihr beteiligt 
sei. Für den Menschen ist daran wohl kein Zweifel, die Enipündang 
des Schwindels ist an die Großhirnrinde geknüpft, und speziell ist 
es nach Bruns der Stirnlappen, der zu charakteristischen Schwindel- 



I 



I 




BeteUiguDg des Großhirns an der räumlichen Orientierung. 179 

erscheinuDgen und auch zu Gleichgewichtsstörungen, die als objektive 
Störung der räumlichen Orientierung bezeichnet werden könnten, 
in Beziehung steht. Freilich ist es noch nicht entschieden, daß 
es sich nicht um Folgen einfacher Störungen der Innervation der 
Kumpfmuskulatur handelt^). Bei niederen Säugern kommt es jeden- 
falls nach umfangreichen Verletzungen einer Großhirnhemisphäre und 
zwar ihres vorderen Abschnittes bezw. dessen Bahnen zu Manege- 
bewegungen, und zwar immer nach der verletzten Seite. Die Be- 
dingungen ihres Zustandekommens sind noch nicht genügend studiert. 
Was wir aus eigener Erfahrung (am Hund) darüber sagen können, 
ist das, daß sie nur nach umfangreicheren Verletzungen zur Erschei- 
nung kommen, daß sie unabhängig scheinen von Sehstörungen und 
von Störungen der Rumpfmuskulatur, daß sie gewöhnlich nach einigen 
Wochen wieder verschwinden. In einem Fall von Exstirpation eines 
Occipitallappens und des gegenüberliegenden Frontallappens haben 
wir jedoch gesehen, ohne daß sich eine Komplikation des Wund- 
verlaufes einstellte, daß nach einigen Wochen die Drehungen (nach 
der Seite, deren Frontallappen verletzt war) zunahmen, derart, daß 
sich der Hund allmählich nur noch in engen Kreisen bewegen konnte 
und dann anfing, sich in richtigen Rollungen zu überschlagen. Die 
Sektion und die mikroskopische Untersuchung deckte keinen Grund 
für diesen merkwürdigen Verlauf auf, der dem bei Vögeln nach ein- 
seitigen Labyrinthverletzungen geschilderten (S. 174) ähnlich ist, und 
nur auf der allmählichen Ausbildung eines funktionellen Uebergewichts 
anderer Hirnteile, vielleicht der gegenseitigen Hemisphäre, beruhen 
kann. 

Fassen wir unsere Anschauungen über die Orien- 
tierung des Körpers im Räume noch einmal zusammen: 

Die Orientierung des Körpers im Räume ist eine besondere 
Funktion, die geleistet wird durch das Zusammenarbeiten der 
Muskeln der Extremitäten, des Rumpfes, des Kopfes und der 
Augen. Sie besteht in der aufrecht symmetrischen Haltung des 
Körpers in der Richtung der Schwerkraft, und in der Möglichkeit, in 
der Ebene eine gewisse Richtung der Bewegung innezuhalten. Sie steht 
in enger Beziehung zu der Fähigkeit, passive Drehungen des Körpers 
und Kopfes um seine Achse zu kompensieren, und den Körper schnell 
nach einer Richtung zu drehen. Sie steht zum größten Teil unter 
der Leitung peripherer Apparate, insbesondere des Vestibularapparates, 
des Gesichtssinnes und der kinästhetischen Sensibilität. Die Zentral- 
organe der räumlichen Orientierung sind in erster Linie Medulla 
oblongata und Kleinhirn, in einem gewissen Maße auch das Großhirn. 
Die räumliche Orientierung zerfällt in eine subjektive und eine ob- 
jektive Komponente. Die Störungen der zweiten geben sich kund in 
Zwangsbewegungen, die der ersten in Schwindel. Die objektive Regu- 

1) Ganz zu trennen sind von den Störungen der räumlichen Orientierung 
die Störungen der Orientierung in der Umgebung > wie sie bei doppelseitigen 
OccipitallAppenverletzuDgen beim Tier und beim Menscnen beobachtet werden, und 
welcne auf dem Ausfall optischer Vorstellungen und Erinnerungsbilder beruhen. Sie 
sind insbesondere neuerdings von F. Hartmann ganz zu Unredit mit den Störungen 
der raumlichen Orientierung zusammengeworfen worden. In diesem Kapitel be- 
trachten wir nur die Störung in der Orientierung nach den drei Ebenen des 
Raums, das ist ganz etwas anderes, als wenn jemand sein Bett nicht im Zimmer 
finden kann, weil er keine VorsteUung mehr davon hat und sich bilden kann, wo 
es sich befindet. 

12* 



180 



XL Du Kldnfaim. 



lierung tritt beim Menschen hinter der subjektiven zurück, die Störungen 
der letzteren treten bei entsprechenden Verietzungen des zentralen 
Apparates daher hervor. Das Großhirn hat nicht nur die subjektive, 
sondern insbesondere beim Tier auch eine gewisse objektive Regu- 
lierung der räumlichen Orientierung, 

Auf eine weitere Definition der Beziehungen zwischen den ein- 
zelnen Teilen des Zenlraiorgans lassen wir uns nicht ein. Wir wissen 
noch nicht einmal, ob das Großhirn direkte Beziehungen zu allen 
peripheren Apparaten der räumlicben Orientierung, insbesondere zui 
Labyrinth, besitzt, und inwieweit diese über das Kleinhirn gehen. Di( 
Formulierung von Hitzio, daß in den subcorticalen Organen, insba'' 
sondere dem Kleinhirn, Vorstellungen niederer Ordnung fertiggestellt 
würden, welche dem Großhirn als Ganzes übermittelt würden, scheint 
uns nicht sehr glücklich. Begnügen wir uns also zunächst mit den 
Tatsachen. 



t 



Wir kehren zum Kleinhirn zurück und zwar zu dem zweiten; 
Symptom der Kleinhirnverletzung oder -Erkrankung, der Kleinhirn- 
ataxic. Mußten wir im Anschluß an die nach Kleinhirnverletzuog 
auftretenden Zwangsbewegungen die ganze Lehre von der räumlichen 
Orientierung erst entwickeln, so haben wir in dem Abschnitt über die 
seusorische Ataxie (Kap. X) bereits einen Boden für die Darstellung 
der Kleinlürnataxie. 

In der Tat wollen wir beweisen, daß die Kleinbiruataxie nicht»' 
weiter ist, als eine seusorische Ataxie. Diese Anschauung ist 
nämlich mit dem Namen Ataxie, den die Störung der Bewegung nach 
Kleinhirn Verletzung führt, noch keineswegs gegeben. Vielmehr wird 
allgemein die Kleinhirnataxie als eine Bewegungsstörung ganz be- 
sonderer Art angesehen und zwar wird meist ein entscheidender und 
ausschließlicher Wert gelegt auf die charakteristische Unsicherheit dl 
Ganges, der beim Menschen als ein Taumeln, Schwanken, oder 
Gang des Betrunkenen gekennzeichnet wird. Dadurch, daß diese Gang*' 
Störung nun wieder als Gleichgewichtsstörung imponiert, ist eine Kon- 
fundierung mit der Störung der Orientierung im Räume nahegelegt 
worden, die zu der nichtssagenden und irreführenden Auffassung des 
Kleinhirns als Gleichgewichtsorgan wesentlich beigetragen hat. Die 
Störung des Bewegungsapparates, die nach Kleinhirn Verletzungen zur, 
Beobachtung kommt, besteht eben aus zwei Komponenten, die uät- 
zum Teil überdecken, die auch miteinander in etwas zusamnienhängi 
mögen, die aber jede für sich gewürdigt, werden müssen, wenn wir' 
über die B'unklion des Organs ins Klare kommen wollen. Das ist 
um so leichter möglich, als die ataktischen Störungen der Bewegung 
die Störungen der räumlichen Orientierung nach experimentellen Klein 
hirnverletzungen bei weitem überdauern. 

Die Lehre von der Bewegungsfunktion des Kleinhirns ist audij 
noch dadurch in eine schiefe Bahn gedrängt worden, daß Flourbi _ 
ihm die Koordination der Lokomotionsbewegungen unterstelltdy! 
Floürens erkannte, daß die Zerstörung des Kleinhirus keine 
Lähmung verursache, aber doch geordnete Lokomotionsbewegungi 
Laufen. Fliegen, Springen u. s. w. unmöglich mache. Wir wissen jedoi _ 
heute durch Llxiani, daß Tiere längere Zeit auch nach vollständiger 
Kleinhirn Vernichtung die Fähigkeit wiedergewinnen, aufrecht zu stehen 
und, wenn auch unvollkommene, Lokomotionsbewegungen zu vollziehen. 



liiS^I 
iii ^^ 

I 
I 

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Die Kleinhirnataxie eine seDsorische Ataxie. 181 

Damit ist die Lehre von Flourens, welche eben nur ausdrücken 
sollte, daß die Bewegungen der Extremitäten an und für sich erhalten, 
aber ihre Verknüpfung zur Lokomotion vernichtet sei, widerlegt. 

Wenn trotzdem noch heute über die Berechtigung der angeblich 
FLOüRENSschen Lehre von der Koordination gestritten wird, so über- 
sieht man, daß der Begriff der Koordination sich langsam gewandelt 
hat, und einer solchen Verwirrung leistet noch der Umstand Vorschub, 
daß man allgemein von einer Kleinhirnataxie spricht, und daß der 
Name der Ataxie in Zusammenhang gebracht wird, wie wir das im 
vorigen Kapitel gesehen haben, mit dem modernen BegriflF der Koordi- 
nation, der aber etwas ganz anderes ist, als Floürens unter diesem 
Worte verstanden hat. 

Lassen wir also die FLOURENSsche Theorie beiseite, so wird 
das Kleinhirn von einer Reihe von Autoren, deren erster, wie er- 
wähnt. RoLANDO war, und von denen wir noch Dalton, Lüys und 
Weir-Mitchell nennen, als ein ausschließlich motorischer Apparat 
betrachtet. Eine besondere Ausbildung hat diese Theorie durch 
LuciANi erhalten, welcher das Kleinhirn als ein motorisches Ver- 
stärkungsorgan auffaßte, welches die Bewegung in dreierlei Rich- 
tung beeinflusse. Erstens solle es den Tonus der Muskulatur verstärken, 
zweitens solle es die Stetigkeit der Haltung und der Bewegung ver- 
bürgen, drittens solle es die Bewegung kräftigen. D^m entsprechen 
die drei Kardinalsymptome Lucianis bei Störungen der Kleinhirn- 
funktion, 1) die Atonie, der Verlust des Tonus, 2) die Astasie, die 
Schwankung in der Bewegung und der Haltung, und 3) die Asthenie, 
die Schwäche der Bewegung. Mit aller Entschiedenheit behauptet 
LüCiANi, daß eine Inkoordination der Bewegung im Sinne einer sen- 
sorischen Ataxie nicht im Spiel wäre, daß vielmehr die Bewegungen 
nach Kleinhirnverletzung sicher und gut abgemessen wären, und daß 
vor allem objektive Störungen der Sensibilität nach Kleinhirnver- 
letzungen nicht nachzuweisen wären. 

Mit dieser letzteren Behauptung setzte sich Luciani in Wider- 
spruch mit Lussana, der das Kleinhirn zum Zentrum des Muskel- 
sinnes erklärt hatte, einen Widerspruch, der übrigens allgemein ge- 
teilt wurde, vor allem darum, weil die Beobachtungen am Menschen 
negative Resultate in dieser Hinsicht ergeben haben, einen Punkt, 
auf den wir noch besonders zurückkommen werden. Was das Tier 
anlangt, so hatte Lussana keine vollgültigen Beweise für seine Be- 
hauptung erbracht. Als dann später die Beziehungen des Großhirns 
zum Muskelsinn aufgedeckt wurden, war die LussANASche Autfassung 
des Kleinhirns als des Zentrums für den Muskelsinn völlig unhaltbar 
geworden, mindestens mußte die Frage nach der Beziehung der beiden 
Teile des Zentralnervensystems in Erwägung gezogen werden, was 
Lussana nicht getan hat. Daß Lussana das Kleinhirn zur Sensibilität 
in Beziehung brachte, dafür ergibt sich eine historische Begründung 
in der Tatsache, daß er ein Scliüler von Panizza war, der die sen- 
sorische Ataxie nacli Durchschneidung der hinteren Wurzeln entdeckte. 
In der Tat muß einem jeden, der die letztere kennt, die außerordent- 
liche Aehnlichkeit der Kleinhirnataxie mit der Ataxie nach Durch- 
schneidung der hinteren Wurzeln beim Tiere auffallen. Wenn Luciani 
diese Theorie so ganz und gar verwarf, so liegt das sicherlich daran, 
daß er auch die Funktion der hinteren Wurzeln im Anschluß an die 
auch von uns erwähnten und bestrittenen Versuche Cyons (S. 161) als 



1R? 



XL Dax Kleinhini. 



die einer motorischen Verstärkung zu erklären geneigt war. JedenfiiUs 
ist zu betonen, daß die DitTerenz, welche von den Klinikern zwischen 
der sensorischen (tabischen) AtaKie und der Kleinhirnatasie des Men- 
schen gefunden wird, beim Tiere auch schon für die oberfläcbliclie 
Beobachtung sehr weit zurücktritt. 

Wir selbst haben die Lehre von dein sensorischen Ursprung der 
Kleinhirnataxie wieder aufgenommen aus folgenden Gesichtspunkten: 
Die Lehre Lucianis von den drei motorischen Symptomen genQgt 
nicht zur Erklärung der nach Kleinhirn Verletzungen zu beobachtenden 
Bewegungsstörungen. Vor allem tritt die motorische Schwäche, die 
Asthenie, ganz regelmäßig nach einseitiger Kleinhirnverletzung so 
wenig in Erscheinung, daß der Hund das Bein der Verletzungsseite 
abnorm weit hochhebt und mit ungewöhnlich ausfahrender Bewegung 
auf den Boden niedersetzt: der auch nach Verletzung der hinteren 
Wurzeln bekannte „Hahnentritt", Diese Abweichung hat auch Lüciani 
schon, wenn auch als Ausnahme, beobachtet und erklärt sie durch 
eine Ueberkompensation der cere- 
bellaren Asthenie durch das Groß- 
hirn. Wir verstehen überhaupt 
nicht, wie man eine Schwäche 
noch feststellen will, wenn sie 
überkompensiert ist. Richtig ist 
freilich, daß das Uebermäßige der 
Bewegung nicht immer zur Er- 
scheinung kommt, sondern daß 
je nach der Art des Bodens, 
nach Temperament und Stimmung 
des Tieres dieses Uebermaß mit 
einer anscheinenden Schwäche 
wechselt. Aber erinnern wir uns, 
daß dieses Pendeln um den nor- 
malen Innervationsgrad uns cha- 
rakteristisch galt für die Ben- 
sorische Ataxie (S. 157). 

Daß ferner die Ldciaki- 
Mb. 40. Affe, an einer Mohrrübe fehl- »''''« "^^'a^'e in den Symplo- 
gteilend; linkaaeitige KleiDhimviirleiiunit menkomplex emer sensorischen 
mach einer Momentphotographie). Ataxie hineinpaßt, ist nach dem, 

was wir über die letztere ge- 
sagt, ohne weiteres klar. Alle Bewegungen des Tieres sind eben, 
wie im Gegensatz zu Luciani betont werden muß. unsicher und 
unzweckmäßig. Um das weiter zu beweisen, verfolgen wir die Greif- 
bewegung eines einseitig am Kleinhirn operierten Affen. Wir ver- 
stehen darunter natürlich nicht das einfache Ballen der Faust, sondern 
das unter verschiedenartig abgestufter Mitwirkung der Arm- und 
Schultermuskeln ausgeführte zweckbewußte Ergreifen eines Gegen- 
standes. Es ist diese Bewegung beim Affen, der sieb ihrer in der j 
Freiheit auch zur Fortbewegung hauptsächlich bedient, sehr voll- 
kommen. Es ist ein Vergnügen, die absolute Sicherheit {Iteser Be- I 
wegung beim normalen Tiere zu beobachten, wenn es bei derl 
schwierigsten Kletterei trotz größter Schnelligkeit sich jedes UaltesI 
bedient, oder mit ruhiger und zierlicher Bewegung ein Reiskorn vot^ 
der Hand des Wärters nimmt. Nun hat Lüciani schon bemerkt, dall 




Art der Eleinbintftttude bei Affe und Hund. 



1«3 



nach einseitiger Kleinhirnexstirp&tion der Atfe schwer zu bewegen 
ist, die entsprechende Hand zum Ergreifen der Nahrung zu benutzen. 
Er deutet diese Schonung der Hand als Symptom der Asthenie. Er 
bezeichnet die Hand der Operationsseite als „weniger aktiv", vergißt 
aber nicht zu erwähnen, daß etwaige Bewegungen ^sicher" aus- 
geführt werden. Auch hier befinden sich unsere Beobachtungen im 
Gegensatze zu denen Lucianis. 

Wir reichen dem Äffen eine Mohrrübe und beobachten beispielsweise 
folgendes : Der Affe greift zuerst immer mit der Hand der nicht operierten 
Seite; aber wenn wir die Mohrrübe ihm dann immer wieder entziehen 
und sie ihm ganz von der operierten Seite her anbieten, so bequemt er 
sich schließlich dazu, auch die Hand der verletzten Seite zu benutzen, 
und da ist zunächst die Richtung der Greifbewegung eine abnorme. 
Der Affe hat offenbar das Bestreben, die ihm dargereichte Mohrrübe 
zu fassen, aber er berührt sie nicht einmal. Fonriern er creift daneben, 





in die Luft, auf unseren Arm, rechts oder links vorbei, zu kurz oder 
zu weit. Also sicher eine Reihe von höchst unsicheren unzweck- 
mäßigen Bewegungen. Sie erreichen ihren Zweck zunächst überhaupt 
nicht. Wir betonen, daß sich eine Abweichung der Bewegung nach 
einer bestimmten Richtung nicht feststellen läßt. 

Endlich berührt bei einem der vielen Versuche fast wie zufStÜg 
die Hand der Mohrrübe; aber noch gelingt es dem Tier nicht, sie zu 
ergreifen. In diesem Bemühen wirft er sie vielmehr zu Boden. End- 
lich kann er sie nun fassen und aufheben. Das Tier kann also 
greifen ; die Synergie ist nicht gestört, die Mohrrübe ist zu Boden 
gefallen, weil es die Synergie nicht zur rechten Zeit anwandte. Der 
Affe beherrscht also nicht nur nicht die Richtung, sondern auch nicht 
die zweckmäßige zeitliche Folge seiner Muskelkontraktionen. 

Was nun die Form der Bewegung betrifft, so hatten wir zuerst, 
als wir dem Tiere etwa in der Höhe seiner Schulter die Mohrrübe 
vorhielten, den Eindruck des Brüsken, Explosiven, meist Uebermäßigen 
erhalten; aber achten wir darauf, wie es nun versucht, sie vom Boden 




184 



XI. Dm EleinbirD. 



aufzuheben, so können wir beobachten, wie es die Hand, die zuerst 
wieder fehlgreifend auf den Boden gefahren ist, von der Seite her 
langsam und unbeholfen schleifend nähert. Wir sehen auch hier 
wieder, wie bei den Laufbewegungen des Hundes, einen Wechsel der 
Bewegungsform, und auch hier können wir die eine oder die andere 
Form der Bewegungsstörung ganz vermissen. Sehr phlegmatische 
Tiere lassen sich auf die explosiven übermäßigen Bewegungen gar 
nicht ein. sondern sie suchen die fehlende Sicherheit durch eine noch 
größere Bedächtigkeit zu ersetzen. In der Tat hat man dann den 
Eindruck, daß, wie Luciani sagt, die Bewegungen weniger aktiv 
sind, immer aber sind sie unsicher und ungeschickt. Das kann 
man noch Monate nach der Operation demonstrieren, wenn man den 
Tieren besonders schwierige Aufgaben stellt, z. B. sie sehr kleine 
Gegenstände aufnehmen läßt. Unsicher greifen dann die Finger herum, 
die Eleganz und Zierlichkeit der Bewegung ist verschwunden*). Aller- 
dings benutzt der AfTe die Extremitäten der Operationsseite weniger 
als die der gesunden, aber nicht weil sie zu schwach, sondern weil 
sie ungeschickter sind als die der gesunden Seite. 

Es tritt diegestörteZweck- 

«^^^ inäßigkeit der Greif bewegung 

^■L darum auch beim Klettern beson- 

^^J^ ders deutlich hervor, weil der Affe 
i^^^^ hier nicht auf den Gebrauch einer 
^^A Seite verzichten kann, sondern sie 
H^^^H benutzen muß, so gut es geht. Und 
^^^^^1 es geht sehr schlecht. Nichts mehr 
^^^^^B von sicherem , festem Zugreifen. 
^^^^^m Bis zum Ellenbogen fährt der Arm 
^^^^F itwischen den Gittersläben hindurch, 
^^^^ er wird wieder zurückgezogen, jetzt 
^^^ stößt der Handrücken gegen den 

Gitterstab, endlich wird der Stab 
umfaßt, aber nicht von außen, son- 
dern häufig — was beim normalen 
Affen nie vorkommt — von innen. 
Die Hand gleitet wieder ab, jetzt umfaßt sie den Stab nicht zwischen 
Daumen und Zeigefinger, sondern zwischen drittem und viertem. 
Der Abweichungen sind unzählige, ihrem Wesen nach gleich in den 
Hinter- wie in den Vorderextremitäten. 

Auch beim Hund kann man die Störung der Zweckmäßigkeit 
und Sicherheit der Bewegung besonders deutlich machen, wenn man 
ihm besondere Aufgaben stellt, ihm z. B. einen Knochen vorwirft 
oder ihn anstatt auf ebenem Boden über eine GoLTZSche Lattenbrficka 
laufen läßt. 

Damit sei es genug. Es ist kein Zweifel, daß die beschriebenen 
Störungen denen der bekannten sensorischen Ataxie gleichen wie ein 
Ei dem anderen, und, da wir motorische Störungen ausschließen und 
sensible Störungen nachweisen konnten, werden wir die beschriebenen 
Störungen wahrscheinlich als den Ausdruck einer sensorischen Atasie 
bezeichnen müssen. 

1) E^ iflC nach unseren Beobechtuaeen für das Tier nicht richtig, d«fl die 
proximalen Abschnitie der Extremitäten tnä der Ataxie wesentlich mehr beteiligt 
sind, als die (lietaisn. 



Fig. 43. Liuk»»eitige Kleinhim- 
verletning bdm .\ffen (von dem auf 
Fig. 40—42 abgebildeten Tier). 



I 
I 
I 



I 
I 



Tod üb. MuskelsinDatöruDgen . [ 35 



Gegen diese Annahme spricht nun auch nicht das Verhalten des 
Tonus. Wenn Luciani eine Atonie beschreibt, so haben wir diese 
Atonie bereits als ein sehr wesentliches Kennzeichen der sensorischen 
Wurzelataxie kennen gelernt. Charakteristisch ist aber auch hier wieder, 
daß die anscheinende Schlaffheit der Glieder abwechseln 
kann mit einer übermäßigen Spannung, die z. B. ganz gesetz- 
mäßig eintritt, wenn wir den anscheinend atonischen Hund ohne Klein- 
hirn versuchen auf seine Beine zu stellen. Sofort werden die Extremi- 
täten, insbesondere die vorderen, stocksteif, dabei ist der Fuß sohlen- 
wärts gebeugt, so daß also der Hund mit den Zehen oder sogar mit dem 
Dorsum des Fußes den Boden berührt. Wer den Hund so sieht, kann 
keinen anderen Eindruck haben, als den einer ausgesprochenen Kontrak- 
tur. Wir können den Hund so an die Wand lehnen, er bleibt wie auf 
Stelzen, unter starkem Schwanken einige Sekunden stehen, plötzlich 
erschlaffen die Beine, der Hund fällt zusammen, die Kontraktur ist 
verschwunden, um mit der Sicherheit eines Reflexes wieder einzu- 
treten, wenn wir versuchen, den Hund wieder aufzurichten ^). An- 
deutungen zu solcher Streckstellung finden sich nun häufig, so auch, 
wenn der Hund sich selbst auf den Vorderbeinen aufrichtet. Ganz 
allgemein glauben wir feststellen zu können, daß sie jedesmal dann 
auftreten, wenn der Hund versucht, Widerstand zu leisten. In das 
Schema von der Astasie, Atonie, Asthenie passen sie gar nicht. Da- 
gegen glauben wir sie mit größter Wahrscheinlichkeit gleichfalls als 
Störungen der Koordination ansehen zu dürfen. 

Der Hund soll die Aufgabe iösen, das Gewicht seines Körpers 
zweckmäßig auf seine Gliedmaßen zu verteilen, so daß es sicher und 
ruhig unter Verwendung eines Minimums von Muskelspannung ge- 
tragen wird. So läßt sich die Erhaltung des „Gleichgewichtes^'um- 
schreiben. Da diese Aufgabe ein zweckmäßiges Zusammenwirken fast 
aller Muskeln des Körpers erfordert, so ist sie sicherlich nicht zum 
wenigsten eine Aufgabe des Muskelsinnes. 

Unser Hund hat nun zweifellos das Bestreben, sich aufrecht zu 
halten und trifft auch die prinzipiell richtige Stellung der Beine, 
indem er sie streckt, aber jene zweckmäßige Kontraktion der Muskeln, 
die das Stehen ermöglicht, kann er nicht finden. Entweder er über- 
streckt die Beine, oder er läßt sie vollständig erschlaffen und fällt zu- 
sammen. Die eigentümliche Streckstellung auf der einen, die totale 
Erschlaffung auf der anderen Seite sind die beiden Pole der Un- 
zweckmäßigkeit. Der Raum zwischen beiden wird ausgefüllt durch 
alle jene ataktischen, speziell astatischen Erscheinungen, die wir bei 
weniger ausgedehnten Verletzungen oder bei fortschreitender Besse- 
rung der Symptome sehen. 

Wir sehen somit einerseits die Einordnung des Tonus als Hal- 
tung in die Bewegung bestätigt^), andererseits das Schwanken um 

1) Mit der Steigerung der Sehnenreflexe hat diese StrecksteUung nachweifllich 
nicht das geringste zu tun. 

2) Die Semienreflexe haben mit dem angeblichen Tonus schon darum nichts zu 
tun, weil es einen Tonus als einheitliche Funktion gar nicht gibt (S. 159). Febbier 
hat gegen Lucianis Behauptung von der Atonie Versuche von Rüssel verwertet, 
welcher nach Kleinhirnverletzung die Sehnenreflexe verstärkt gefunden hat: 
die Starke der Sehiienreflexe bezeichne den Tonus der Muskeln und infolgedessen 
könne eine Atonie nicht angenommen werden. Die Beobachtung Rüssels ist zweifel- 
los richtig, aber Wir stimmen mit Luciaki durchaus darin überein, daß die herge- 
brachte Lehre von den Sehnenreflexen als dem Indikator des Muskeltonus falsch 



186 



XI. Da« KMnhin. 



den richtigen Innervationsgrad im Sinne einer Ueber- und ei&er \ 
Unterinnervation, das wir hier Dystonie nennen könnten, und das 
wir ganz aligemein als bezeichnend für die Folgen des Fehlens der 
sensoriscben Regulierung angesehen hatten. 

In allen Punkten ergibt so die Analyse der nach Kleinhirnver- 
letzung zur Erscheinung kommenden Ataxie eine Uebereinetimmung 
mit der klassisclien sensorischen Atasie. Wir niüBten sie als solche 
erkennen, auch wenn wir gar keine Sensibiütätsstiirungen nachweisen 
konnten. Daß eine sensorische Ataxie besteben kann, ohne dnß sich 
der Ausfall der Sensibilität anders als in der Bewegung selbst äußert, 
ist möglich, was wir Bickel zugestehen. Dieser Fall wird uns bei 
der Erörterung der menschlichen cerebellaren Ataxie noch des näheren 
beschäftigen, 

Beim Tier sind wir aber in der Lage, auch objektive Sen- 
sibilitätsstörungen nachweisen zu können, freilich können wir 
beim Tier niemals sagen . daß bewußte Empfindungen ausgefallen 




sind, aber wir vermissen Reaktionen, die beim normalen Tier mit 
Hilfe der Sensibilität und zwar gerade desjenigen Teiles der Sensi- 
bilität zu Stande kommen, der ffir die Regulierung der Bewegung 
der wichtigste ist, des Muskelsin nes (in dem Umfange, in welchem 
er bereits im vorigen Kapitel (S. 155) definiert wurde), und insbe- 
sondere des Lagesinnes. 

In der Tat sind ja schon die beschriebenen Störungen des Tonus '), 



Ut, vielmehr kann ^rade 
aiiegiebigeren Kontraktion 



D schlaffer, aber kontrnktionKflhiger Muskel mit dn«' 
twort«n, ate ein scliun gespannter. Ea ht ein Zufall, 
1 meisten Zuständen, in denen der Tonus der Muskeln vermindert scheint, 
anch die Reflesbnhnen unterkrochen sind. Aber aueh beim Menschen gibt es Zd- 
itfiode, wie häufig b» der Chorea minor, wo troti Hypotonie die Refleie min- 
deetens nicht vermindert sind. 

1) Mit Beyeb haben wir geeeigt, daä die Störungen des „Tonus" nach Eleia- 
himverletzangeo ganz andere sind, als die nach liabjnntboperationcn beohachteteo, 
also durch den Veetibularie Termitt«lten, welche von Ewalii — un»er(T Anediauiug 

nach nicht mit Recht — für die Aufatdlung eine« Tonuslabyrinthe- ■-* " 

worden sind. Auch beim Menschen konnten Ziehen und Passow Vei 
dM „Tduob'' bei Vestibularleaftektionea nicht finden. 





Verhältnie der Kleinhiniataxie zu anderen Ataxien. Ig7 



daß nämlich das kleinhirnverletzte Tier seine Extremitäten übermäßig 
weit strecken und beugen läßt, von Muskelsinnstörungen gar nicht zu 
trennen, ja eigentlich als Demonstration von solchen aufzufassen. So 
korrigiert der kleinhirnlose Hund auch andere falsche Lagen seiner 
Glieder nicht. Er läßt es zu, daß das Dorsum seiner Pfote den Boden 
berührt. Er hebt die herunterhängenden Extremitäten nicht über den 
Mauerrand (Fig. 44 u. 45). 

Das Tier bringt auch selbst seine Glieder in abnorme Lagen. 
Besonders beim Affen kann man nach Kleinhirnverletzungen sehr 
schön beobachten, wie er den Gitterstab zwischen 3. und 4. Finger, 
oder von innen, anstatt von außen faßt, und ähnliches mehr, Dinge, 
wie sie durch rein motorische Störungen im Sinne Lucianis ganz un- 
erklärbar sind. 

Von besonderen Bewegungsmechanismen erscheint auch der der 
Stimmgebung des Tieres (Hundes) verändert, nicht mehr so modu- 
lationsfähig wie früher, was sich gut durch den Verlust der Fähigkeit, 
die Kontraktionen der Muskeln unter dem Einfluß der Sensibilität 
zweckmäßig abzustufen, erklären ließe. Beim Menschen wäre das 
Analogon dieser Störung eine bei Kleinhirnherden mehrfach beobachtete 
scandierende Sprache, indessen ist die Störung der Stimmgebung auch 
für das Tier von H. Münk bestritten. 

Die bleibenden Störungen der koordinierten Augenbewegung sind 
selbst nach totaler Kleinhirnentfernung beim Tier geringe. Nur eine 
gewisse Unsicherheit in dem Zusammenwirken der beiden Augen 
läßt sich auch hier lange beobachten. 

Auch der völlig kleinhirnlose Hund kommt, wie Luciani 
gezeigt hat, schließlich wieder dazu, wenn auch unter höchstem 
Schwanken und allen Zeichen der Unsicherheit, zu laufen. 

Bei einseitigen Verletzungen zeigt das Tier, insbesondere der 
AflFe, eine gewisse Unlust, wie nach Durchschneidung hinterer 
Wurzeln, die Extremitäten der geschädigten ^Seite zu Einzelleistungen 
zu benutzen, die aber, wie dort, überwunden werden kann. Die Aus- 
lösung der Bewegung ist nach Kleinhirnverletzungen aber im allge- 
meinen ungestört, gelitten hat ihre Ausführung, und zwar die 
zweckmäßige Abstufung unter der Leitung der Sensibilität. Die Aus- 
lösung der Bewegungen, insbesondere der Einzelbewegungen, wie der 
Greifbewegungen des Affen, die durch Kleinhirnzerstörung geschädigt 
werden, geschieht ohne Zweifel zumeist vom Großhirn aus, und so 
ergibt sich schon hier die Folgerung, daß das Kleinhirn in die 
Leitung vomGroßhirn eingeschaltet sein muß, was später 
auch durch die anatomische Untersuchung bestätigt werden wird. 

Von Kleinhirnverletzungen werden nicht beeinflußt tiefstehende 
Bewegungen, welche einer zweckmäßigen Abstufung nicht fähig sind, 
wie der Schluckakt. 

Wie verhält sich nun die K leinhirnataxie zu den 
anderen Formen der sensorischen Ataxie? Insofern alle 
Sensibilität das zentrale Nervensystem durch die hinteren Wurzeln 
erreicht, muß zunächst eine Verbindung dieser mit dem Kleinhirn be- 
stehen. Eine solche findet sich in den beiden Kleinhirnseitenstrang- 
bahnen, in der dorsalen FLECHSiüschen und der ventralen Gowers- 
schen. Beide entsprinj^en unserer Meinung nach aus den Zellen 
der CLARKEschen und STiLLiNGschen Kerne, um welche Fasern der 
hinteren Wurzeln sich aufsplittern. Nun könnte es möglich sein. 



188 



XI. Du Kleinhirn. 



t 



daß die Ataxie und die Störung der Sensibilität nach KleinhirD- 
Verletzungen nur darauf zurückzuführen wäre , daß das Kleinhirn 
als Leitungsbahn zu höheren Zentralteilen dient, also vor allem zur 
Großhirnrinde, deren bewegungsregulierenden EiuäuQ wir noch später 
kennen lernen werden. Daß das Großhirn auf dem Wege des 
Bindearms auch von sensiblen Erregungen erreicht wird, die daa 
Kleinhirn passiert haben, ist sehr wahrscheinlich. Aber diese Be- 
deutung des Kleinhirns als Leitungsbahu zum Großhirn kann der 
ausschließliche Grund der cerebeltaren Ataxie nicht sein. Zunächst 
kennen wir motorische Bahnen, die das Kleinhirn mit dem llOcken- 
mark verbinden. Zwar eiue direkte Bahn hierhin besitzt das Klein- 
hirn nicht. Indirekt aber ist eine solche auf doppeltem Wege ge- 
geben, erstens vom DEiTERSsdien Kern uiit) zweitens vom roten 
Kern der Haube. Zu beiden grauen Massen entsendet das Kleinhirn 
Fasern, zum ÜEiTERSschen Kern kurze Bahnen, zum roten Kera 
einen Teil des Bindearms, und von beiden führen Bahnen zum Rücken- 
mark, die DEiTERSschen iui Vorder- und Seitenstrang, das Monakow- 
sche Bündel vom roten Kern im Hinterseiten sträng (vergl. Fig. 2 der 
Tafel). Ein physiologischer Beweis für die Existenz zentrifugaler Bahnen 
im Kleinhirn ist durch dessen elektrische Reizung zu geben, durch welche 
Bewegungen der Extremitäten (neben den schon beschriebeneu Zwangs- 
bewegnngen) ausgelöst werden können, und zwar auch noch nach Ent- 
fernung der reizbaren Stellen der Großhirnrinde*). Nach Probst ist 
die Erregbarkeit des Kleinhirns künstlicher Reizung gegenüber um 
80 größer, je geringer die Bedeutung des Großhirns bei einer Tierart 
ist, sie würde also iu der aufsteigenden Tierreihe sinken. Nach . 
eigenen Versuchen erscheint uns diese Differenz doch sehr zweifeUj 
haft *). , I 

Aufschluß gibt uns aber die Vergleichung der nach Ausfall de»| 
Großhirns einerseits, des Kleinhirns andererseits zurückbleibenden 
Störungen der Bewegung, wie sie allerdings bisher nur beim Hund 
möglich ist, auf Grund der von Luciani u. A., auch uns seihst ge- 
sammelten Erfahrungen über den kleinhirnloseu Hund einer- 
seits und auf Grund der Schilderung des großhirnlosen Hundes 
von Goltz. Dieser konnte, wie wir schon erwähnten, schon 3 Tage 
nach Vollendung der Operation im Zimmer umherlaufen, ohne zu fallen 
und rutschte nur auf glattem Boden noch aus. Der Hund ohne Kleinhirn 
zeigt Monate und Jahre nach der Operation die hfichstgradige Ataxie, 
kann sich nur mit Mühe, ungeschickt und schwankend fortbewegen. Es 
ist kein Zweifel, daß die objektive Störung der Bewegungsmechanik nach 
Kleinhirn entfernung ungleich größer ist. als nach Abtragung der ge- 
samten Großhirnrinde, und deswegen kann das Kleinhirn auch nicht 
nur Leitungsbahn zum Großhirn sein, sondern in ihm selbst setzt 

1) Aumcrkuugewei»e sei bemerkt, daß wir die Angaben üt>er auautitaUv« 
AenderuDg der Erregbarlceit des GroBhirnR nacli VerletKungeti des Kldntiinis nicht 
bestätigen können. Deren EinfluSloei^keit in Bezug anf die Art der durch 
dektriuche ßeiznng dee Grüßhirns zn erzielenden BeKegungen ist Itereita von BiJLKtm | 
gefunden worden. 

'J\ Neuerdings wird von kliniEchcr Seite das Vorkonimen von epilepUfor 
ErSinpfen \m Klein hiroerkrankun gen liehauptet. Beim Tier haben wir i ' 
enorm Btarken Reizungen erzielen können. Auch beim Menfichen ist t 
(Webek), dnB sie erat über die kontrolatcralc GroBhinihciniephäre gleitet wün 
Jedenfalls sind sie, wie überhaupt die motorisuhen Effekte vom Kteinhim a ~ 
erkrankten EleiiihirnhemispbSre gleichi^itig. 



I 
I 




Subkortikales sensomotorischefi Organ. Kleinhirn ataxie beim Menschen. 1$^9 



sich wenigstens ein Anteil der Sensibilität, der es auf dem Wege der 
Kleinhimseitenstrangbahnen erreicht, in zweckmäßige Bewegung um. 
Ja, man kann behaupten, daß der hohe Grad von Zweckmäßigkeit der 
Bewegung, den der Hund ohne Großhirn noch zeigte, zum größten 
Teil, wenn nicht ausschließlich, dem Kleinhirn und seiner sensomo- 
torischen Regulation zu danken ist (vergl. S. 147). 

Ob das Kleinhirn auch die Anregung zu der spontanen Lauf- 
bewegung des großhirnlosen Hundes gibt, ist nicht festgestellt. Da 
der großhirnlose Hund aber über keine andere als diese eintönige 
Laufbewegung verfügt, ist es unzweifelhaft, daß das Kleinhirn zu 
anderen Bewegungen den Anstoß nicht geben kann, wohl aber ist 
es sicher, daß die sensomotorische Regulierung durch das Kleinhirn 
eingreift in den Ablauf auch der Bewegungen, welche vom Großhirn 
ausgehen. Wir haben beim Tier nach Kleirfhirnverletzungen nicht 
nur Störungen der Fortbewegung und des Stehens, sondern auch, und 
zwar in kaum schwächerem Grade der Einzelbewegungen, der Pfote 
beim Hund, des Armes und der Hand beim AfiFen ; wenn diese Einzel- 
bewegung vom Großhirn ausgehen, so können wir nun den Schluß 
ziehen, daß sie nicht nur im Großhirn, sondern, und beim Tiere zum 
sehr großen Teil, im Kleinhirn reguliert werden. Das Großhirn gibt 
den Impuls an das Kleinhirn, und hier wird die Bewegung durch eine 
subcortical und wahrscheinlich unbewußt oder auf einer sehr tiefen 
Stufe des Bewußtseins sich vollziehende Beeinflussung durch die 
Sensibilität zu einer zweckmäßigen gestaltet. Das Kleinhirn ist 
ein subcorticales sensomotorisches Zentralorgan. 

Freilich kann man die Rollen nicht derart verteilen, daß man 
dem Großhirn nur die Auslösung, dem Kleinhirn nur die Ausführung 
der Bewegung überläßt, vielmehr unterliegt es keinem Zweifel, daß 
auch das Großhirn seinen Anteil an der Ausführung trägt, wie schon 
daraus klar wird, daß nach Lücianis von uns bestätigten Versuchen, 
die Störung der Bewegung nach Kleinhirnentfernung noch durch Ver- 
letzung des Großhirns gesteigert werden kann. Vielleicht darf man 
die Hypothese machen, daß derjenige Teil der sensomotorischen Regu- 
lierung, der sich im Großhirn abspielt, auf einer höheren Stufe des 
Bewußtseins steht als der des Kleinhirns. Unrichtig ist es, ganz be- 
stimmte Formen der Bewegung dem Kleinhirn, andere dem Großhirn 
zuzuweisen. 

Eins ist noch sehr auffallend für denjenigen, der die objektiv 
nachweisbaren Sensibilitätsstörungen nach Kleinhirn- und Großhirn- 
verletzungen mit dem Grade der bei den beiden Eingriffen nachzu- 
weisenden ataktischen Störungen vergleicht. Bei Großhirnverletz- 
ungen die stärksten Störungen des Muskelsinnes und dabei nur 
ein recht geringer Grad von Ataxie. Bei Kleinhirnverletzungen schwerste 
Ataxie und verhältnismäßig doch nur geringe objektiv nachweisbare 
Störungen der Sensibilität. Freilich läßt sich beim Tier eben nur der 
Lagesinn prüfen, die Störungen des Sinnes für die aktive Bewegung, 
den ja Goldscheider von dem Lagesinn und auch von dem für die 
passive Bewegung unterscheidet, kann beim Tier nur aus der Art der 
Bewegung selbst erschlossen werden. Wenn wir auf Grund unserer 
Analyse zu der festen Ueberzeugung gekommen sind, daß die Klein- 
hirnataxie eine sensorische ist, so dürfen wir vielleicht auf Grund der 
obigen Gegenüberstellung annehmen, daß die Wahrnehmung und die 
Korrektur der Lage beim Tier hauptsächlich vom Großhirn geleistet 



190 



St. Dos Klänbirn. 



fe 



wird, während die Verarbeitung der bei der Bewegung entstahendeB, 
sensorischen Impulse zum großen Teil dem Kleinhirn zufällt. Mit diesw' 
Annahme dürfte es stimmen, daß die Korrektur einer Lage ein willkär*' 
lieberer Akt zu sein scheint als die Regulierung der Bewegung. Aber, um 
es nochmals zu betonen, auch die Korrektur der Lage ist beim Tier zd 
einem deutlichen Anteil an das Kleinhirn geknüpft. Insofern wir also 
die Korrektur einer abnormen Lage als einen willkürlichen Akt auffassen 
— was ja für das Tier nicht ganz sicher ist — muß sie zum Teil 
abhängig gemacht werden von Sensationen, welche auf dem Wege 
durch das Kleinhirn das (iroßhirn erreichen. Daß andererseits dal 
Großhirn in der Hauptsache seine Sensibilität auf eigenen Wegen und 
zwar im wesentlichen durch die Hinterstränge und die Schleife erhäl^ 
ist sicher. 

Angemerkt sei aber noch, daß wir beim kleiuhirnlosen Hunde 
auch Störungen der oberflächlichen Sensibilität gesehen haben ia 
Form einer Beeinträchtigung der von H. Munk so genannten Be- 
rßhrungsreflexe, von auf die distalen Teüe der Extremitäten beschränkten 
reflektorischen Bewegungen, welche bei leichtem Streichen der Haut 
auftreten. 

Indem wir uns bisher fast ausschließlich auf die Beobachtungen 
am Tier stützten, konnten wir die von den Klinikern betonte Differenz 
in dem Bilde der sensorischen Wurzelataxie und der 
Kleinhirnataxie einigermaßen außer acht lassen, denn eine solche 
Differenz tritt beim Tiere nur wenig hervor. Während beim Menschen 
ganz allgemein die Gangstßrung als charakteristisch für die Kleinhim- 
ataxie gilt, ist dieselbe beim Tier zwar auch vorhanden, aber verbunden 
mit einer Ataxie aller, auch der Einzetbewegungen. Nun ist aber schon 
von Bkuns eine Gruppe von Kleinhirnerkrankungen beim Menschen ab- 
getrennt worden, welche der tabischen Ataxie sehr ähnlich steht, d. h. 
auch Störungen der Extremitätenbewegungen zeigt. Wir selbst haben 
in keinem der von uns untersuchten Fälle eine leichte Beteiligung der 
Arme an der Ataxie vermißt. Aber unzweifelhaft ist, daß beim 
Menschen diese Beteiligung der Extremitäten sehr viel geringer ist, 
als beim Tier, und daß andererseits die Störung des Ganges beim 
Menschen eine sehr auffallende ist. Ihre Form allerdings scheint qob 
keine andere zu sein, als wir sie auch bei schweren Tabischen, also 
bei Wurzelläsioneu beobachten. Sie dürfte, wie die letztere, auf einer 
Ataxie der Rumpfmuskeln beruhen. Dann ergibt sich, daß beiot 
Menschen das Kleinhirn für die Bewegung der Extrem !-■ 
täten von geringererBedeutung geworden ist, und in der 
Tat werden wir später ja sehen, daß die Bewegung der Extremitäten 
beim Menschen fast ganz dem Großhirn zugefallen ist. Nun kann zwar 
der Mensch ohne Großhirn auch nicht gehen, weil hier vom Großhirn 
der Impuls gegeben werden muß, aber es scheint doch, daß bei der 
Ausführung des Ganges das Kleinhirn wesentlich mitwirkt, und dat 
ihm gerade in der Regulierung der aufrechten Haltung] 
beim Menschen eine neue und schwere Aufgabe zug( 
fallen ist. So dürfte denn die Differenz in den Erscheinungen d< 
Kleinhirnataxie bei Tier und Mensch in einer anderen Verteilung Ai 
voni Großhirn und vom Kleinhirn geleisteten Arbeit beruhen. 

Ferner kann man beim Menschen in den meisten Fällen ke 
S e n 8 i b i 1 i t ä t s s t ö r u n g bei Kleinhirnherden nachweisen. Nur 
wenigen Fällen, wie einem von Fr. Müller, ist das gelungen, und di 



I 




Asynergie. Lokalisation im KleiDhirn. 191 



war die nachweisbare Störung wie beim Tiere eine Lagesinnstörung. Aber 
auch das fast völlige Zurücktreten der objektiv nachweisbaren Sensi- 
bilitätsstörung beim Menschen ist nicht verwunderlich und spricht 
nicht gegen die einheitliche Deutung der Befunde bei Mensch und 
Tier. An den Extremitäten ist die Ataxie beim Menschen ja nur sehr 
gering, und da sucht man die Sensibilitätsstörung doch ausschließlich 
nachzuweisen. Trotzdem haben Frenkel und auch wir selbst bei Klein- 
himerkrankungen des Menschen wenigstens Atonie gefunden und wir 
erörterten schon, daß wir diese Atonie von einer Lagesinnstörung 
gar nicht scharf trennen können. Die tiefe Sensibilität des Rumpfes, 
der die stärksten ataktischen Störungen bei Kleinhirnerkrankungen 
zeigt, können wir beim Menschen gar nicht untersuchen. Wenn man 
freUich die Abbildungen Babinskis von der von ihm so genannten 
cerebellaren A Synergie — die uns nur Ataxie zu sein scheint — 
ansieht, wird man es doch sehr wahrscheinlich finden, daß diese Un- 
fähigkeit, den Rumpf in die richtige Stellung zu den Beinen zu bringen, 
auf einer Störung des Muskelsinnes beruht. Wenn der Mensch Störungen 
des Muskelsinns bei Kleinhimerkrankungen nicht wahrnimmt, so ist 
das, streng genommen, nur ein Beweis dafür, daß das Kleinhirn als 
Leitungsbahn zum Großhirn normalerweise^) beim Menschen keine 
oder nur eine ganz geringe Rolle spielt, eine noch geringere als beim 
Tier. Beim Menschen wäre dann der oben (S. 160) schon als theoretisch 
möglich bezeichnete Fall fast verwirklicht, daß eine sensorische Ataxie 
bestehen kann, ohne daß eine subjektiv wahrnehmbare Störung 
wenigstens des Lagesinns, den wir fast allein und zwar mit recht 
rohen Methoden beim Menschen prüfen, nachzuweisen wäre. 

Daß aber beim Menschen das Kleinhirn überhaupt von geringerer 
Bedeutung als beim Tier ist, beweisen einige Fälle, in denen totaler 
Mangel des Kleinhirns als zufälliger Befund nach dem Tode ge- 
funden wurde. Freilich handelt es sich hier um angeborene Defekte, 
und ein so vollkommener Ersatz des Kleinhirns durch andere Gehirn- 
teile, wahrscheinlich das Großhirn, ist bei erworbenen Defekten in 
keiner Weise möglich. Beim niederen Tier dürfte ein solcher aber auch 
bei angeborenen Defekten nicht möglich sein. Die Bedeutung des 
Kleinhirns für die Ausführung aller Bewegungen ist beim niederen 
Säuger eben bei weitem größer, als die des Großhirns. 

Ein sehr auffallendes Symptom vieler Kleinhirnerkrankungen end- 
lich beim Menschen ist von Babinski gefunden worden, eine Art Kata- 
lepsie, eine Fähigkeit, die Extremitäten übermäßig lange in gewissen 
Stellungen zu belassen. Dafür haben wir in der Tierphysiologie kein 
Analogen, im Gegenteil scheint es der LuciANischen Astasie direkt 
zu widersprechen-). 

Nachdem wir so die Art und die Summe der Funktionen des 
Kleinhirns besprochen haben, wäre noch einiges über die Lokali - 
sation im Kleinhirn zn sagen. Sicheres wissen wir hierüber nicht. 

1) Daß nach Ausfall der Hinterstrangsbahn auch beim Menschen die Bahn 
über das Kleinhu'n in sehr hohem Grade für die crstere eintreten kann, glauben wir 
allerdings. 

2) Man könnte daran denken, das Symptom damit in Zusammenhang zu bringen, 
daß die Festhaltung der Lage gerade beim Menschen im wesentlichen dem Großhirn 
zukommt, während die Regulierung der Bewegung, wenigstens einer Keihe von Be- 
wegungen auch beim Menschen dem Kleinhirn gehört. Ein ganz regelmäßiges 
Symptom ist übrigens die Katalepsie auch beim Menschen nicht. 



Was die Scheidung zwischen Orientierung im Raum und Bewegungs*. 
regulierung anlangt, so können wir zwar mutmaßen, daß diese beiden 
Funktionen an verschiedene anatomische Substrate gebunden sind, 
können diese aber noch nicht differenzieren. Nicht einmal über die ana.- 
tomische Grundlage sind wir im Klaren. Histologisch-systematiscb 
haben wir die Rinde von den grauen Kernen des Kleinhirns zuj 
unterscheiden. Es scheint, als wenn aus den letzteren die cerehello« 
fugalen Bahnen hervorgehen, für den Bindearm (Nuc. denlatus) und 
den Tract. nncinatus (Nuc. tecti) ist das sichergestellt. Woher die 
Bahnen zum DEiTERSschen Kerne kommen, ist nicht sicher. Die 
Axone der PuRKiNjEschen Zellen verlassen das Kleinhirn nicht, stellen 
wohl vielmehr die Verbindung zwischen Rinde und grauen Kernen 
her. Uebcr die Bedeutung der einzelnen Kleinhirnschichten wissen 
wir gar nichts. In die Rinde als Ganzes aber müssen anscheinend 
alle in das Kleinhirn aufsteigenden Bahnen, die vom Rdckenniark so- 
wohl, wie die von der Olive und dem Brückengrau einmünden, mit 
den grauen Kernen scheinen diese nichts zu tun zu haben. Anatomisch- 
topographisch hat man bis vor kurzem die Hemisphären und den 
Wurm mit ihren Unterabteilungen unterschieden. Nach BoLK soll 
man aber jetzt das Kleinhirn in wesentlich orokaudaler Richtung in 
einen Lobus anterior und einen Lobus posterior unterscheiden, welch 
letzterer sich in eine Anzalil von Unterabteilungen teilt. Klinisch wissen 
wir, wie besonders Nothnagel betont hat, daß der mediale Teil, 
Wurm, von besonderer Wichtigkeit ist. Herde in den Hemisphär< 
bleiben oft unentdeckt, weil ohne Symptome. Auch beim Tier ist 
Verletzung der Hemisphären gewöhnlich von geringeren Folgen be- 
gleitet als eine des Wurms. Jedoch kann auch eine Zerstörung des 
Wurms bis zu einem hohen Grade durch die Hemisphären ausge- 
glichen werden. Es sind eine Reihe von Versuchen gemacht worden, 
um in der Lokalisation innerhalb des Kleinhirns weiterzukommen. 
Sicher ist nur das eine, was schon Rolanoo wußte und Ldciani in 
aller Schärfe festgestellt hat. daß der Einfluß des K leinhirns auf 
den Bewegungsapparat ein wesentlich gleichseitiger ifit. Daß er sich 
aber auch auf die gekreuzte Seite erstreckt, geht schon daraus hervor, 
daß nach einseitiger Exstirpation beim Tier die Störungen sich bis zu 
einem sehr hohen Grade wieder ausgleichen, viel weiter, als das nach 
der Totalexstirpation der Fall ist Die Verbindung zwischen den beiden 
Hälften ist normalerweise von sehr geringer Bedeutung, da ein Median- 
Bchnitt durch das Kleinhirn nur sehr rasch vorübergehende Folgen 
hat. Ferrier hat weiterhin durch Reizversuche versucht, eine Reihe 
von Stellen für verschiedenartige koordinierte Bewegungen der Augen 
auf der Rinde des Kleinhirns festzulegen, wir können seine Resultate 
nicht bestätigen. Neuerdings haben durch Exstir))ationsversuche Fagano 
nnd VAM Rynberk Lokalisationen für den Kopf und die Extremitäten 
abzugrenzen versucht. Die beiden Autoren kommen zu verschiedenen 
Resnltaten, und ihre Operationen sind mikroskopisch nicht konlrolliert 
Uns ist es trotz mannigfacher umschriebener LSsioneu, die wir zu 
diesem Zwecke setzten, niemals gelungen, wirklich auf den Kopf oder 
auf eine Extremität begrenzte Bewegungsstörungen experimentell zu 
erzeugen. Am ehesten dürfte man hier noch mit einer Verfeinerung 
der oben schon berührten Reizversuche weiterkommen. 
Dip Leitungsbahnen des Kleinhirns^) sind bi 



ssen 

der^ 
äreii^H 
eiiw^H 




1) VergL Fig. \ 



r Tiifel. 



bis zu einem gfl^H 



I.eiIani>abataneD d» Kleinhirns. 



193 



vissen Funkte klargestellt. Die VerbiinlmiR von der Peripherie her 
verinitteln die FLECHSiosche Kleinhirnseitenstranghahn und das 
GowERSache Bündel ') (zusammengefaßt als 1 Fig. 2). die zum Teil im 
Seitenstran ßkern (L Fig. 2) unterbrochen sind, ehe sie in der Klein- 
hirnrinde, insbesondere des Wurms, endigen. Da das GowERSsche 
Bündel, das im hinteren Teil des Kleinhirns endigt, hau|)tsSchlich aus 
den unteren Partien des Rückenmarkes stammt, so wäre man danach 
geneigt, anzunehmen, daß der hintere Teil des Kleinhirns besonders 
mit den unteren Extremitäten in Verbindung steht. Die cerebello- 
fngale Bahn zur Peripherie wird, wie schon bemerkt, hergestellt durch 
Bindearm (7 Fig. 2) und MoxAKOwsches Bündel (7a Fig. 2t einerseits 
und die Bahnen vom DEiTEBSsehen Kern {!) Fig. 2) andererseits. 
Der Bindearm entspringt ansschließlich aus dem Nuc. denlatus (D 
Fig. 2), und so kann der sensomotorische Bogen von der Peripherie 
zur Peripherie zurück nur durch kurze Bahnen (.'> Fig. 2) von der 
Rinde (Ce) zum Nuc. dentatus (wahrscheinlich Ausläufer der Purkinje- 




_ ig. 46. Die (JDdi reiften) i.'erebellofae&len Bahnen, durch eine VerletKung des 
HirDaUuniDee (Hund) zur Degenerntion gewacht (MABCHische M^Üiode). D Bahnen 
Tom DETTERBBchen Kern. M MoNAKoWscbes Itlindel. «, Ein Teil deBselben, der 
Ton der Brücke enlapriugt. Aulierdem ist die Pjnunjile einer Seite ( ?V) degeneriert. 

sehen Zellenj geschlossen werden. Auch die Bahnen (ti Fig. 2) zum 
DEiTERSschcn Kern entspringen wohl in der Rinde des Kleinhirns. 
Die Balmeu vom DEiTERSschen Kern, die also indirekte Klein- 
birnbahnen darstellen, haben insofern eine spezielle Funktion, als sie 
nicbt nur eine Verbindung des Kleinhirns mit dem ßewegungsapparat 
des Körpers darstellen, sondern zu einem Teil (8 Fig. 2) im hinteren 
LfingsbQndel (größtenteils gekreuztj zu den Augenmuskelkernen, ins- 

1) Vergl. hierüber ituch das folgende Kapitel und Fig, 47. 



^^^V' der 

^^^H das 



194 Xr. Diu Kleinhirn. 

besondere dem Kern des Oculomotorius (Oc) ziehen. Hier also haben 
wir ganz ohne Zweifel das anatomische Substrat für die Beziehungen 
des Kleinhirns zu den Augenbewegungen , als deren wesentlichste 
Störung uns der Nystagmus begegnet war. 

Die Verbindung des Großhirns mit dem Kleinliirn, die wir fordero 
mQssen, ist gegeben durch die Bahnen des Großhirnschenkels (5 Fig. S), 
die im BrQckeograu (/-') enden, und denen von hier der in der Haupt- 
sache gekreuzte Weg i3a Fig. 2) zum Kleinhirn offen steht So wird 
der sensomotorisdie Apparat des Kleinhirns in die Bahn vom Groß- 
hirn eingeschaltet. 

Der Weg vom Kleinhirn zum Großhirn, auf dem, wie wir sahen, 
sensible Impulse passieren müssen, ist derjenige Teil des Bindearmg 
{3a Fig. 1), der im Thalamus opticus (TA) endigt, von wo die Bahn 
zur Rinde durch die innere Kapsel {5 Fig. 1) beginnt. 

Mit der Endigung des Sehnerven (2 Fig. 2) im Mittelhirn steht 
das Kleinhirn in Verbindung durch den Tractus tectopontinus MOnzbbs 
(nicht gezeichnet), und die zentrale Haubenbahn (2a Fig. 2), die nach 
unseren Ermittelungen vom vorderen Vierhügel (Q) entspringend in der 
unteren Olive [Ol) endigt, weiche ihrerseits durch das Corpus resti- 
forme (2b Fig. 2) mit dem Kleinhirn in Verbindung steht. Welche 
physiologischen Leistungen dieser Verbindung des Kleinhirns mit der 
Endstätte des Nervus opticus entsprechen, ist nicht sicher, man könnte 
daran denken, daß die Reaktionen auf GesichtseindrOcke, die der 
großhirulose Hund von Goltz noch zeigte, insbesondere das Ab- 
wenden des Kopfes auf grelle Beleuchtung, unter Vermittelung des 
Kleinhirns von statten ginge. 

Ehe man die Systematik der Leitungsbahnen des Kleinhirns be- 
herrschte, hat man sich im wesentlichen an die topographischen Ein- 
heiten der Klein hirnschenkel gehalten, deren bekanntlich drei gezählt 
werden. Trotzdem ihre Physiologie uatürlich uUr abhängt von der 
Funktion der in ihnen eingeschlossenen Bahnen, haben wir auch flbw 
sie noch einige Worte zu sagen. 

Der untere Klein hirnschenkel besteht aus zuführenden und 
abführenden Bahnen. Die zuführenden verlaufen ausschließlich in seiner 
äußeren Abteilung, dem eigentlichen Corpus restiforme; sie bestehen 
aus einem Teil der Klein hirnseitenstrangbahn und den Bahnen von 
der unteren Olive. Die Durchschneidung des unteren Kleinhirn- 
sohenkels macht die charakteristischen Zwangsbewegungen, und da die 
Durchschneidung der Kleinhirnseitenstrangbahn allein nicht zu Zwangs- 
bewegungen führt, würde man sie auf Rechnung der olivocerebeUaren 
Fasern setzen müssen, wenn nicht bei dieser Operation Verletz- 
ungen der grauen Masse der MeduUa oblongata ganz unvermeidlich 
wären. Es ist das um so mehr mßglich, als Keller bei isolierten Ver- 
letzungeu der unteren Olive stärkere Zwangsbewegungen nicht gesehen 
hat. Die Funktion der in der inneren Abteilung des unteren Klein- 
hirnschenkels verlaufenden Bahn zum DElTERsschen Kern ist bereits 
besprochen, die einiger weniger Fasern, welche im Corpus restiforme: 
zum Nuc. raphes verlaufen, ist ganz unklar. 

Der mittlere Kleinhirn Schenkel besteht mit Ausnahi 

iger Fasern, welche zu dem in der Raphe gelegenen Nuc. centralis*! 
superior gehen, ganz aus cerebellopetalen Fasern, die vom Brückengran 
der Kleinhirnrinde zustreben (3a Fig. 2). Seine völlige Zerstörung müßte 
das Kleinhirn der Beeinflussung durch das Großhirn entziehen. Eine 



I 
I 







Klainhiinflchenkel. 1 95 



isolierte Verletzung derart ist jedoch nicht möglich, auch beim Menschen 
kommt sie isoliert und vollständig nicht vor, sondern ist dann immer 
mit Zerstörungen des Brückengraues und der hier verlaufenden Bahnen 
von der Großhirnrinde, insbesondere der Pyramiden, verbunden. Theo- 
retisch aber müssen wir annehmen, daß die Durchschneidung der 
mittleren Kleinhirnschenkel für die vom Großhirn aus angeregten 
Bewegungen die gleichen Folgen haben würde wie die Entfernung des 
Kleinhirns selbst. Zwangsbewegungen stärkeren Grades bat die Ver- 
letzung des Brückengraues und damit die des hier entspringenden 
Brückenarmes nicht zur Folge, wie wir uns selbst überzeugen konnten 
und wie auch Karplus, der die Brücke von der Schädelbasis aus 
zerstörte, jüngst ausdrücklich hervorgehoben hat. 

Der obereKleinbirnschenkel besteht ausschließlich aus cere- 
bellofügalen Fasern, deren Hauptmasseden Bindearm zusammensetzt 
Dieser vermittelt einmal die Verbindung zum roten Kern und von da 
zum MoNAKOWschen Bündel, wie das bereits besprochen wurde, und 
andererseits die Verbindung zum Thalamus und zum Großhirn. Iso- 
lierte Durchschneidungen des Bindearms, dessen Fasern sich vollständig 
kreuzen, sind bisher noch nicht vorgenommen worden, beim Menschen 
hat man Herde im Bindearm in Zusammenhang gebracht mit der Ent- 
stehung der choreatischen Bewegungsstörung, die aber erst in Zu- 
sammenhang mit den Funktionen des Großhirns zur Besprechung 
kommen soll. Bemerkenswert aber ist, daß Bonhoeffer in einem 
Fall von Chorea durch Bindearmherd eine Störung des Muskelsinns 
beobachtet hat, was mit unserer Annahme übereinstimmt, daß ein 
Teil des Muskelsinns, wenn auch beim Menschen ein verhältnismäßig 
kleiner, das Großhirn auf dem Wege über das Kleinhirn erreicht. 

Sehr merkwürdig erscheint hier die Tatsache, daß die einheitliche 
Masse des Bindearmes, die aus dem einheitlichen Corpus dentatum 
stammt, sich teilt, um einerseits Impulse, die wir motorisch nennen, 
einer centrifugalen Bahn, dem MoNAKOWschen Bündel, und anderer- 
seits Impulse, die wir sensibel nennen, dem Großhirn zuzuführen. 
Trotzdem ist es sehr wahrscheinlich, daß das ein und dieselben Impulse 
sind, die nur auf dem ersten Wege früher in Motilität umgesetzt 
werden, als auf dem anderen. Das Verhalten des Bindearmes zeigt 
uns jedenfalls, wie nahe Sensibilität und Motilität einander stehen und 
ermaJint uns wiederum, alle Vorgänge im Zentralnervensystem nach 
dem Schema der sensomotorischen Reaktion zu betrachten und nur 
die Abstufungen in der Kompliziertheit dieser Reaktion scharf zu be- 
zeichnen. 

Der obere Kleinhirnschenkel enthält nun noch eine Fasermasse, 
die man als Tractus uncinatus (Faisceau de crochet, Hakenbündel, 
9 Fig. 2) bezeichnet hat. Sie verläßt bereits gekreuzt das Kleinhirn,, 
aus dessen Dachkern (Te) sie stammt, verläuft nur eine kurze Stelle 
oralwärts, wendet dann scharf kaudalwärts um und endet wahrschein- 
lich ausschließlich in grauen Massen, welche Endstätten des N. 
vestibularis (4 Fig. 2) darstellen, in dem BECHTEREWschen Kern 
und dem Grau der RoLLERschen Wurzel. Es wäre sehr ver- 
führerisch, diese Bahn als eine cerebellopetal leitende anzusehen, da 
wir eine sichere Verbindung der Vestibularisendkerne mit dem Klein- 
hirn sonst nicht kennen. Die Bahn degeneriert jedoch cerebellofugal. 
Daß sie mindestens für die Entstehung der Zwangsbewegung nicht 
wesentlich in Betracht kommt, sowie daß ihre Ausschaltung auch 

13* 



196 XL Das Kleinhirn. 



sonst keine deutlichen Symptome macht, beweist die oben erwähnte 
Folgenlosigkeit der Medianspaltung des Kleinhirns, durch welche ja 
die beiden Tractus uncinati zerstört werden müssen. 

Die Anatomie der Leitungsbahnen kommt also, wie wir noch ein- 
mal zusammenfassen wollen, insofern der Lehre von dessen Funktionen 
zu Hilfe, als sie uns zum Kleinhirn führende Bahnen nach- 
weist von der Körperperipherie, vom Endigungsgebiet 
des N. opticus, vom Großhirn. Unklar bleiben noch die Ver- 
bindungen zum Endgebiet des N. vestibulär! s. 

Der Einfluß der vom Kleinhirn ausgehenden Erregungen kann 
sich geltend machen durch die Bahnen, welche über den roten 
Kernundden Deiters sehen Kern führen. Ein Teil der letzteren 
dient der Innervation der Augenbewegungen vom Klein- 
hirn aus. Endlich besteht durch einen Teil des Bindearms eine 
Leitung vom Kleinhirn zum Großhirn, wie durch den 
Brückenarm eine solche vom Großhirn zum Kleinhirn 
hergestellt wird. 



XII. Kapitel. 

Leitungsbahnen der Sensibilität zum GroMrirn^). 

Wir haben nun die Funktionen des Zentralnervensystems mit 
Ansnahme des Großhirns beschrieben. Ehe wir zu dessen Funktionen 
fibergehen, ist es zweckmäßig, die Leitnngswege, die zu ihm hinführen, 
kennen zu lernen. So legen wir denn den Weg, den wir bisher gemacht 
hidyen, noch einmal zurück, indem wir nun das Rückenmark, den 
Himstamm und das Kleinhirn nicht mehr als Zentralorgane, sondern 
als Leitungswege zum Großhirn ins Auge fassen. Gerade bei dieser 
Aufgabe zeigt es sich, wie sehr Anatomie und Physiologie aufeinander 
angewiesen sind. Schon die Wortbildung der Leitungsbahn bekundet 
ihre gemeinsamen Interessen, und selbst in der Methodik ist die Ana- 
tomie hier auf die Physiologie angewiesen. Denn es ist ganz unmög- 
lich, aus der noch so sorgsamen Betrachtung normalen anatomischen 
Materials den Lauf der einzelnen, sich durchkreuzenden und ver- 
deckenden Fasersysteme zu ersehen, wir bedürfen dazu der Verfolgung 
der Degenerationen, welche sich nach Verletzungen oder bei patho- 
logischen Herden im Nervensysteme ausbilden. Die Prinzipien dieser 
Methodik waren bereits erwähnt Sie beruhen auf dem Anerkenntnis, 
daß je eine Ganglienzelle je einem Axencylinder, der gewöhnlich mit 
einer Markscheide umgeben ist, den Ursprung gibt, und der Beob- 
achtung, daß ein tropbischer Zusammenhang besteht zwischen den 
einzelnen Teilen dieses Komplexes. So entstehen die verschiedenen 
Arten der Degeneration, die cellulifugalen und die retrograden. Die 
Methoden ihres Nachweises — die GuDDENSche, die WEiGERTsche, 
die MARCHische, die NissLsche (S. 112, 113) gehören ausführlicher 
nicht hierher. Erinnern wir noch einmal daran, daß wir vorläufig 
dem Prinzip von der Einsinnigkeit der Leitung im zentralen 
Nervensystem und auch der Annahme, daß diese Leitung immer im 
Sinne der cellulifugalen (WALLERschen) Degeneration vor sich ginge, 
treu bleiben wollten (S. 115). 

Wieder beschränken wir uns fast ausschließlich auf das zentrale 
Nervensjrstem des Säugers. Innerhalb der Säugerreihe erscheinen 
die Differenzen im rohen Aufbau der Leitungsbahnen fast nur als 
quantitative. Einige besondere Verhältnisse werden jedoch zu erörtern 
sein. Größere Differenzen zeigen sich aber erst, wenn die Entfaltung 
der Leitungsbahnen in der Großhirnrinde in Frage steht. Diese Frage 

l)Ver^l. hierzu die Tafel, besondere Fig. 1 (die zum Großhirn führen- 
den Bahnen sind hier schwarz). 



198 



XIL Die LdtuDgBbahnen der SenülHlitJt zum OioBhirn. 



-ebellum 



schalten wir hier aus diesem Kapitel zunächst aus und verweisen 
in die Besprechung der Lokalisation slehre. Hier nehmen wir die 
Großhirnrinde als Ganzes, wir setzen voraus, daß ihr die Sensibilitfit 
von der Peripherie zugeleitet wird, und daß sie motorische Impuls« 
an die Peripherie abgibt. Indem wir die Besprechung der motorischen 
Bahnen auch noch zurückschieben (s. Kap, XVII), fragen wir also 
hier nach den Wegen der Sensibilität zum Großhirn, 

Vom Wege des zentripetalen Impulses zum RQckeumark war 
mehrfach schon die Rede gewesen. Das ßELLsche Gesetz, welches 
die hinteren Wurzeln als den ausschließlichen Weg der gesamten 
Sensibilität bezeichnet, war die Grundlage, auf der wir ein Verständnis 
der Leistungen des zentralen Nervensystems eratrebten. Die hi 
Wurzel (1 Fig. Ij wird unterbrochen durch das Spinalganglion, über 
dessen Bedeutung auch bereits gesprochen war. Dann teilt sie sich i 
drei Teile, der eine Teil der Fasern endet im Hinterhorn de» 
Kückenmarks. In ihm hatten wir vornehmlich den Weg des Reflexes ge- 
sucht. Der zweite endet um die Zellen der CLARKEBchen 
Saulen (CFig, 1 und 2 der Tafelj oder der STiLLiNoschen Kerne. Die 
CLARKEschen Säulen finden 
sich bekanntlich baupt- 
sächlicb im Dorsalmark 
als eine charakteristische 
Gruppe großerZellen medio- 
ventral vom Hinterhorn, 
nicht weit vom Zentral- 
kanal. Aber es ist nicht 
richtig, daß, wie man wohl 
manchmal angenommen hat, 
sie sich auf das Gebiet des 
Dorsälmarks beschränken. 
In den tieferen und höheren 
Teilen des Markes sind sie 
nur nicht so dicht ausgebildet 
und werden dann als Stil- 
LiNGSche Kerne bezeichnet. 
Von den CLARKEScben Säulen und STiLLiNGschen Kernen entspringt 
dann eine zweite Bahn, die Kleinhirnseitenstrangbahn. Sie 
scheidet sich topographisch in 2 Unterabteilungen, eine mehr dorsal 
gelegene, die klassische Kletnhirnseitenstrangbahn von Fovillb und 
Flechsig, und das mehr ventral gelegene GowERssche Bündel. Beide 
Teile kreuzen zu einem kleinen Teil schon im Rückenmark, sind aber 
im wesentlichen ungekreuzt {1 Fig. 2, -V Fig. 1). Ein Anteil ihrer 
Fasern kommt zunächst nicht bis zum Kleinhirn, sondern endet im 
Seitenstrangkern der Medulia oblongata (L Fig. 2, in Fig. 1 nicht nodi 
einmal bezeichnet); da wir aber von diesem Seitenstrangkern eine 
andere Verbindung als zum Kleinhirn nicht kennen, kann derselbe 
nur als eine Zwischenstation auf dem Wege zum Kleinhirn angesprochen 
werden. Die dorsale Kleinhirnseitenstrangbahn geht bekanntlich in 
das Corpus restiforme über, das GowERBSche Bündel macht einen 
großen Umweg (vergl, Fig, 47), indem es bis zum Trigeminasaustritt 
oralwärts vordringt und sich dann erst dorsal- und kaudalwärts wen- 
dend, den Bindearm umschlingend, wieder rückwärts zieht. Dabei 
endet es im hinteren Teil des Wurmes, die dorsale Kleinhiroaeitan- 



I 




Fig. 47. Verlauf dea OoWBKsschea Bündele. 
G üowERSdcbca BÜDdel, P FlfCHBIGHclie Eletn- 
himaeiteiiBtraiigbahn. 




KleinhirDseitenstraDgbahnen. Hauptschleife« 199 

strangbahn im vorderen. Die Endigung der direkten Kleinhirnseiten- 
strangbahnen, die übrigens im Kleinhirn noch teilweise die Mittellinie 
überschreiten, findet sich fast ausschließlich im Wurm. Jedoch ist 
durch die Unterbrechung eines Teiles der Kleinhirn seitenstrangbahnen 
im Seitenstrangkem, von wo aus wir die Bahn bisher noch nicht 
genauer verfolgen können, die Möglichkeit gegeben, daß die Körper- 
peripherie auf der Rinde des Kleinhirns doch eine ausgebreitetere Ver- 
tretung erlangt, als sich das in der Ausbreitung der direkten Bahnen 
im Wurm allein anzeigt. Insoweit diese Bahnen den Eigenleistungen 
des Kleinhirns dienen, war ihre Funktion bereits besprochen. Ehe 
wir ihre Fortsetzung zum Großhirn ins Auge fassen, müssen wir den 
Verlauf des dritten Anteils der hinteren Wurzeln verfolgen. 

Dieser überschreitet sogleich die Grenzen des Rückenmarks und 
endet in den Hinterstrangkernen {H) der Medulla oblongata, 
welche er ausschließlich auf dem Wege der Hinterstränge (^ Fig. 1) 
erreicht. Die Scheidung dieser letzteren in einen BuRDAcnschen und 
GoLLSchen Strang und die entsprechende Trennung der Hinterstrangs- 
kerne hat nur einen topographischen Wert. Denn es werden allmählich 
die aus den tieferen Teilen des Rückenmarks stammenden Fasern aus 
dem Areal des BuRDAcnschen Stranges medial- und dorsalwärts in den 
GoLLSchen Strang verschoben dadurch, daß die Fasern der höheren 
hinteren Wurzeln in die seitlichen Teile des Hinterstranges, d. h. den 
sogenannten BuRDACHschen Strang sich einschieben. Es enden dement- 
sprechend die aus den kaudalsten Teilen des Rückenmarks stammenden 
Fasern am meisten kaudal und zugleich medial, d. h. vorzugsweise 
im GoLLschen Kern, dessen tiefster Anteil, der beim Tier sehr weit 
ins Rückenmark vorgeschoben sein kann, bis in das zweite Gervikal- 
segment, auch als BiscnoFFscher Kern bezeichnet wird. Im Burdagh- 
schen Kern findet dementsprechend mehr die Endigung der den oberen 
Teilen des Rückenmarks und dem vorderen Teile des Körpers zuge- 
hörigen Hinterstrangfasern statt. So sind die Hinterstrangkerne eine 
einheitliche Masse, welche einerseits direkt mit den Spinalganglien 
durch die hinteren Wurzeln und die Hinterstränge in Verbindung 
stehen, und deren Zellen auch nur Axone wiederum für ein einheitliches 
Fasersystem abgeben, die Hauptschleife (2a Fig. 1) [mediale 
Schleife, ruban de Reil ^)]. Die Hauptschleife kreuzt in der Schleifen- 
kreuzung und endet, ohne weitere Verbindungen^) auf dem Wege 
dahin einzugehen, im Thalamus {Tft), und zwar in dessen ventro- 
medialem Kernlager. 

Es ist von Flechsig und Hösel die Behauptung aufgestellt 
worden, daß ein Teil der Hauptschleife direkt bis zur Großhirnrinde 
durch die innere Kapsel weiterziehe, ohne sich mit den Kernen des 
Thalamus zunächst in Verbindung zu setzen. Diese Tatsache ist 
jedoch von fast allen Nachuntersucheru (van Gerüchten, Probst u. A.) 
bestritten worden, und auch wir konnten uns überzeugen, daß die 



1) Es besteht keine Verbindung zwischen Hintersträngen und Hinterstrangs- 
kemen mit dem Kleinhirn auf dem Wege der Fibrae arcuatae» wie man behauptet 
hat, oder auf sonst irgend eine Weise. 

2) Deren sind freilich eine große Anzahl behauptet worden, die wir sämtlich 
ablehnen; wir müssen in Bezug auf die Begründung der Details und die Literatur 
auf unsere frühere Arbeit: Untersuchungen über aie Leitungsbahnen des Truncus 
oerebri und ihren Zusammenhang mit denen der Medulla spmalis und des Cortez 
oerebri, Jena 1904, verweisen. 




SOn Xn. Die LeitunfFsbahsMi der SensiHKUt cum OroBtiirn. 

g&nze Hasse der Hauptschleife im Thalamas endet, und 
daß erat von hier dnrch Vermittlung eines neuen Axons, welches dnreh 
die innere Kapsel zieht, die Verbindung mit der Großhirnrinde her- 
gestellt wird (5 Fig. 1). So haben wir also zunächst einen ganz 
sicheren Weg von der Peripherie zum Großhirn: Spt nalgangliou — 
Hinterstrang — Hinterstrangskern — (-p) Hanptschleife 

— Thalamus — Großhirnrinde. 

Wenn wir nun weiter zunächst anatomisch andere Möglichkeiten 
der Verbindung der Großhirnrinde mit der Peripherie suchen, so 
knüpfen wir an die Endigung der Kleinhirnseitenstranghahnen im 
Kleinhirn an. Es unterliegt gar keinem Zweifel, daß aus dem Kleinhirn 
der Bindearm {3a Fig. 1) entspringt, welcher (nachdem er einen Teil 
seiner Fasern im roten Kern aufgesplittert hat) im Thalamus endigt und 
zwar vornehmlich im lateralen Teil desselben. Diese Endigungsstäite 
steht genau so mit der Rinde durch die innere Kapsel in Verbindung, 
wie die der Schleife, und so hätten wir dann einen zweiten anato- 
misch sicheren Weg von der Peripherie zur Großhirnrinde: Spinal- 
ganglion — CLARKESche Säule (STiLLiNOscher Kern) — Kleio- 
hirnseitenstrangbahnen (dorsale von Flechsig, ventrale vofl 
GowERS) — (Seiten st rangkern) — Kleinhirn rinde^Corpus dea- 
tatum — Bindearm (-|-) — Thalamus — inuere Kapsel — ] 
Großhirnrinde. * 

Sind anatomisch noch weitere Bahnen von der Peripherie zur! 
Großhirnrinde zu verfolgen? Es ist zunächst behauptet worden, daft^ 
in den Hintersträngen nicht nur direkte hintere Wurzelfasern zum 
verlängerten Mark aufstiegen, sondern daß durch die Hiulerstränge 
auch eine Verbindung der grauen Substanz des Rückenmarks mit den 
Hinterstrangskemen, durch sogenannte endogene Bahnen, bestehe. 
Daß es überhaupt endogene Bahnen gibt, welche vom Hinterhorn 
ihren Ursprung nehmen, braucht nicht bezweifelt zu werden, aber es 
ist unbewiesen, daß diese Bahneu wii'klich zu den Hinterstrangskemen 
aufsteigen, also nicht nur der Verbindung der tieferen und höheren 
Rflckenmarksegmente untereinander (zum Zwecke der Ausbreitung der 
Reflexe), sondern auch der Verbindung des Rückenmarks mit dem 
Wege der Scldeife zum Großhirn dienen. Die Beurteilung der Folgen 
der Hinterstrangdurchschneidung wird im übrigen durch die Annahme 
einer solchen indirekten langen endogenen Bahn nicht beeinflußt. 

Ganz anders ist die funktionelle Wichtigkeit einer Bahn im 
Seitenstrange zu beurteilen . welche von einer großen Reihe vtHi 
Autoren angegeben worden ist, und welche gewöhnlich mit dem 
GowBRSschen Bündel koufundiert wird. Sie soll in der grauen Sub- 
stanz des Rückenmarkes entspringen (also entweder im Hinterhorn 
oder in den GLARKEschen Säulen), im vorderen Seitenstrang auf- 
steigen, und im Thalamus endigen, von wo dann wieder die Bahn 
zum Großhirn offen stände: Spinalganglion — h iutere Wurzel 

— graue Substanz — (-f-) Seilenstrang — Thalamus - 
innere Kapsel— Großh irnrinde (4 Fig, 1). 

Diese Bahn soll bereits im Rückenmark kreuzen. Für das Tier 
müssen wir nun durchaus bestreiten, daß das Bestehen einer solchen 
Bahn anatomisch nachzuweisen ist. Im Seitenstrang verlaufen hier 
keine anderen Bahnen als die zum Kleinhirn. Man mag das Rücken- 
mark noch so hoch in seinem Cervikalteile durchschneiden, über das 
Kleinhirn hinaus sind celluiifugale Degenerationen nicht zu verfolgo), 



I 



I 



I 




AniUoinische Möglichkeiten. 201 



und selbst die retrograden Degenerationen gehen nur bis zum roten 
Kern, nicht bis zum Thalamus^). Beim Menschen haben wir keine 
eigenen Untersuchungen, aber auch hier ist anatomisch eine solche 
Rückenmarkthalamusbahn nur bei sehr hoch, im Cervikalmark gelegenen 
Herden degeneriert gesehen worden. Inwieweit eine solche Bahn die 
bei solchen Herden beobachteten Empfindungsstörungen erklären 
würde, ist eine Frage, die sofort zu prüfen sein wird. 

Die Annahme einer Empfindungsleitung ausschließlich 
durch die graue Substanz des Rückenmarks, die besonders von 
Schiff vertreten wurde, hat man wohl allgemein aufgegeben. In 
der Tat hat die Unterbrechung der grauen Substanz durchaus keine 
Folgen für die Perzeption der Sensibilität. Eine Modifikation dieser 
ScHiFFSchen Annahme jedoch ist die, daß die Leitung der Empfin- 
dung zum Teil bewerkstelligt werden könnte durch kurze Bahnen, 
welche immer wieder zur grauen Substanz zurückkehrten (Ziehen, 
Rothmann) und so eine Kette bildeten bis zur Medulla oblongata 
hinauf, von wo aus dann wohl eine lange Bahn — welche ist frei- 
lich unklar (vergl. unten) — die Verbindung mit dem Großhirn ver* 
mittein würde. 

Sobald die Frage der kurzen Bahnen ins Spiel 
kommt, versagt die Anatomie. Es gibt keine Methode, welche 
eine Kette kurzer Bahnen darstellen könnte. Die Degenerationsmethoden 
geben uns immer nur die langen Bahnen. Wir haben nun an der Hand 
der in der Literatur niedergelegten, und eigener Erfahrungen zu prüfen, 
inwieweit die genannten Leitungswege für die physiologisch und klinisch 
beobachteten Tatsachen ausreichen, inwieweit physiologisch Bahnen 
zu erschließen sind, die bisher anatomisch noch nicht nachgewiesen 
sind oder als kurze nicht nachgewiesen werden können. 

Die experimentelle Forschung ist dabei nun nicht von den ein- 
zelnen Fasersystemen ausgegangen, sondern sie hat die drei Stränge 
des Rückenmarks als ganze genommen und nehmen müssen. Denn 
dem Messer des Operateurs gelingt es vor allem nicht, wo sensible 
und motorische Bahnen gemischt sind, die motorischen bei der Ope- 
ration zu schonen, wenngleich einige Experimentatoren sich diese 
Leistung zuzutrauen scheinen. Diese Mischung zentripetaler und zen- 
trifugaler Bahnen kommt allerdings nur in den Seitensträngen in Be- 
tracht. Die Hinterstränge enthalten nur aufsteigende, die Vorder- 
stränge, wenigstens in ihrem medialen Teile, nur absteigende lange 
Bahnen. 

Die Vermischung sensibler und motorischer Bahnen stört nun 
freilich unsere Ergebnisse beim Menschen, der uns sprachlich angibt, 
was er empfindet, nicht, beim Tier macht sie aber die Deutung der 
Dinge bis zu einem gewissen Grade ganz unmöglich, weil wir hier 
aus Reaktionen schließen müssen. Münk hat als charakteristische 
Leistung der Großhirnrinde beim Tier die Berührungsreflexe be- 
schrieben, leichte Bewegungen der distalen Extremitäten glieder bei 
Berührung. Wenn ein solcher Reflex nun nach einer Verletzung des 

1) Wenn bei Verletzungen des ersten UalRsej^^mente beim Tier eine solche Bahn 
zum Thalamus gesehen ^ird, so beruht das auf emer Verletzung des untersten Teiles 
de« GoiiLschen Kernoj», des BiscnoFFschen Kernes oder der von ihm entspringenden 
Bahnen, welche in der vorderen Kommissur des Rückenmarkes kreuzend, eine kurze 
Strecke im Vorderstrang aufsteigen, um dann die lateralste Partie der Haupt- 
schleife zu bilden. 




909 XTT. Die LeJtnDiF"hahTi(>n ^-r flpniijhilftSt znm Groflhim. 

Seiten Stranges oder nach einer gemeinschaftlichen Zerstörung di 
Hinter- und Vorderslranges , wie sie von Rothmann ausgef"' 
worden ist. ausfällt, wer will sagen, ob die sensible oder die 
rische Komponente an seinem Ausfall schuld ist? Ja, es kann 
alleinige Durchschneidung einer motorischen Bahn natürlich so einen 
SensibilitÄtsausfall vortäuschen. Auf einen sensiblen Ausfall können 
wir mit Sicherheil nur schließen, wenn wir bei Operationen am Hinter- 
tier Reaktionen des Vordertieres, dessen motorische Bahnen dann 
nicht gelitten haben, ausfsUeu sehen. Solche Reaktionen haben wir 
aber eigentlich nur zwei oder drei, das ist erstens eine Wendung 
des Kopfes nach der Stelle der Berührung, und dann die Fluchtbe- 
wegung und die Schmerzreaktion, weich letztere gewöhnlich in einer 
stimmlichen Aeußerung besteht und von einer Angritfsreaktion gegen 
die schmerzmachende Ursache, also etwa einem Zubeißen des Hundes, 
gefolgt sein kann. Es leuchtet weiter ein, daß wir überhaupt nicht 
im Stande sind, die Leitung fQr EnipHndungsarteu festzustellen, fOr 
die wir keine Reaktionen haben ')■ Ob ein Hund kalt oder warm 
empfindet, wissen wir nicht, wir können nur sehen, wann diese Tem- 
peraturreize anfangen, ihm Schmerz zu verursachen. Ob es einen 
Drucksinn gäbe, der vom Berührungssinn zu trennen ist, ist beim 
Menschen eine strittige Frage, beim Tier ist sie gar nicht in Angriff 
zu nehmen. Da es auf Fragen keine Antwort gibt, kann man die 
Reaktion auf Druck bei Verlust der Reaktion auf Bertthrung immer, 
als eine einfache Verminderung der Berüfarungsempfindung deuten.! 
Noch ein dritter Punkt kommt hinzu. Man kann nämlich beim Tier- 
aus der Erhaltung gewisser Reaktionen, die beim Menschen immer 
auf eine Verbindung mit der Großhirnrinde bezogen werden, nicht 
mit Sicherheit auf eine solche schließen. Das gilt insbesondere 
ffir die Schmerzreaktion; die Gefahr, suhcorticale Reaktionen hier als 
Rindenreaktionen aufzufassen, ist besonders bei so niedrig stehenden, 
Tieren, wie dem Kaninchen, sehr groß. Ist es doch bekannt, daK> 
das großhirnlose Kaninchen auf schmerzhafte Reize mit Schreien ant- 
wortet, die nicht anders klingen, als die des normalen Tieres auch. 

Der Kreis der hiernach noch brauchbaren Tierversuche wird 
um so kleiner, als nur von wenigen Autoren bisher die operativen 
Verletzungen einer anatomischen Nachuntersuchung auf der mikro- 
skopischen lückenlosen Schnittreihe unterzogen worden sind. Wer 
selbst solche Verletzungen gemacht und mikroskropisch nachunter- 
sucht hat, weiß, daß man sich nur durch die IQckenlose Serie vor den 
gröbsten Irrtümern in der Beurteilung der Größe der Verletzung 
schützen kann. 

Entgegen der weitverbreiteten Meinung , daß die Hinter- 
stränge den Hauptweg der Sensibilität darstellen, hat zuerst 
WoROscHiLOFF Unter Ludwig beim Kaninchen auf die überwiegende 
Bedeutung der Seitensträn ge hingewiesen. Für den Hund ist es 
durch die Versuche von M. Borchert, die die Entt^cheidung einer 

1) Ei ifit EU hoffen, daß durch die ÄDwendung der suerst und 
kürzlich von 0. Rauscher (für die Prüfung der üroflhim funktionell 
vergl. Kap. XV) eingeführten Unlersuchiing droBsierter Tiere in 
dieser gacbUge eine durchgreifende Wandlung erzielt werden 
wird, indem wir in der l>age ado werden, uns durch die Dretiäur für eine Beihe 
van QualiiGten, deren Prüfung uns am Tier bisher uninöglich war, Reaktionen lU 
schaffen. 



1 
i 




Bedeutung der Hinter- und Sdienetränge. 203 



immer wiederholten Diskussion durch die einfache mikroskopische 
Nachuntersuchung brachten, über allen Zweifel nachgewiesen, daß eine 
reine vollständige doppelseitige Durchschneidung der Hinterstränge 
nur eine mit Mühe nachweisbare kleine Abstumpfung der Sensibilität 
für Berührung, vielleicht eine schlechtere Lokalisierung der Berüh- 
rungsempfindung, nach sich zieht. Der Hund ist von einem normalen 
kaum zu unterscheiden. Am Affen liegen ganz entsprechende Ver- 
suche noch nicht vor. Ebensowenig giebt es analoge reine Beobach- 
tungen am Menschen. Die Hinterstrangerkrankung der Tabes ist 
durch die Affektion der Wurzeln kompliziert. Aber selbst mit dieser 
Komplikation sind die Störungen der Sensibilität selbst bei sehr hoch- 
gradiger Atrophie der Hinterstränge hier recht häufig doch nur so 
gering, daß auch beim Menschen, wenngleich unzweifelhaft hier die 
Bedeutung der Hinterstränge größer ist als beim Tier, doch wohl 
keine Empfindungsqualität ganz auf die Hinterstränge angewiesen ist. 

Freilich beweisen sowohl diese Beobachtungen, wie die Tierver- 
suche mit Durchschneidung der Hinterstränge nur, daß die sensible 
Leitung der Hinterstränge mehr oder weniger entbehrt 
werden kann, und daß die Seitenstränge, insbesondere beim 
Tier, sofort bis zu einem sehr hohen Grade eintreten können, 
keineswegs, daß sie überflüssig sind oder keine Sensibilität leiten. 
In der Tat hat Schiff den Versuch gemacht, bei Durchschneidung 
der Seiten- und Vorderstränge nur die Hinterstränge zu erhalten 
und hat gefunden, daß beim Kaninchen unter diesen Bedingungen 
die Schmerzempfindung erlischt, während die Berührungsempfindung 
erhalten ist, ein Resultat, das in merkwürdiger Weise zu gewissen 
Erscheinungen von Seitenstrangläsionen beim Menschen stimmt, 
aber noch der Bestätigung bedarf. Auch sind die Hinterstränge un- 
zweifelhaft bei mechanischer oder elektrischer Reizung empfindlich. 
LoNGET hielt sie sogar für die einzig empfindlichen Teile des Rücken- 
markes. Freilich ist es kaum möglich, die Reizung der Hinterstränge 
als langer Bahnen von der in ihnen längere oder kürzere Zeit ver- 
laufenden und dann im Hinterhorn endigenden Wurzelfasern zu 
trennen. Auch die Frage, ob die sekundären, im Seitenstrang ver- 
laufenden Bahnen schmerzempfindlich sind, ist aus dem Grunde der 
Gefahr der Mitreizung von direkten Wurzelfasern nicht zu lösen. 
Diese, insbesondere in Bezug auf die Schmerzempfindung, inter- 
essante Frage ließe sich jedoch mit Leichtigkeit dadurch lösen, daß 
man nach Durchschneidung und Degeneration der hinteren Wurzeln für 
das Hintertier an der Rückenmarksoberfläche oder dem Querschnitt 
Reize anbrächte und die Reaktionen darauf beobachtete, worüber mir 
Angaben nicht vorzuliegen scheinen. 

Eine sensible Leitung im Vorderstrang ist nur von Rothmann 
bisher behauptet worden. Sie könnte nur auf dem Wege kurzer 
Bahnen stattfinden. Es liegt aber auch kein physiologischer Versuch 
vor, durch welchen in einer Ebene alle weiße Substanz mit Aus- 
nahme der Vorderstränge zerstört und danach ein Rest von Sen- 
sibilität beobachtet worden wäre. In einem solchen Versuche, den 
wir im mittleren Dorsalraark bei einem Hund angestellt haben, und 
bei dem allerdings die seitlichen Partien des Vorderstranges auch mit 
zerstört waren, bestand keine Spur von Sensibilität am Hinterkörper 
mehr. Es besteht die Gefahr, wenn man die seitlichen Partien des 
Vorderstranges erhält, Fasern des GowERSschen Bündels zu schonen. 



Wenn nach isolierter DurcbscIineiduDg der Vorderstränge kleine Sen-. 
sibilitätsstörungen zur Beobachtung kommen, so sind dieselben noi^ 
erschlossen aus dem Ausfall von Reaktionen, die ebenso gut auf dia] 
zentrifugalen in den Vordersträngen verlaufenden Kleinhirn bahnen 
bezogen werden können. Auch die von Rotuhann ausgetührte kom- 
binierte Zerstörung des Vorder- und Hinterstranges, nach der eine 
Aufhebung der BerQhrungsreflexe eintritt, die weder durch isolierte 
Durchschneidung des Hinterstranges, noch nach solcher des Vorder- 
Stranges zu erreichen ist, beweisen nicht notwendig etwas anderes. 

Wenn wir also den Vorderstrang für die Leitung der Sensibiliütt 
ausschalten, kommt neben dem Hinterstrang nur noch der Seiten- 
Strang für die Leitung der Sensibilität in Betracht. Diese Annahme 
führt zu einer Reihe interessanter Erwägungen. Es müßte vor aileiii 
umgekehrt alle Sensibilität, die nach Seitenstrangsdurchschneidungnoch 
zur Beobachtung kommt, auf den Hinterstrang bezogen werden. Nun 
lassen sich aber die sensiblen Bahnen des Seitenstranges nicht ge- 
trennt von den motorischen durchschneiden, so daß die Resultate nach 
einer Seilenstrangoperation sehr unübersichtlich und vieldeutig sind. 
Für das TJer aber hatten wir festgestellt, daß alle langen Bahnen des 
Seitenstranges im Kleinhirn endigen. Exstirpieren wir also das Klein- 
hirn, so haben wir die reine Funktion der langen Hinterstrangsbahnen 
und eventueller kurzer Bahnen. Durchschneiden wir die Hinterstränge, 
muß alle noch erhaltene Sensibilität entweder über das Kleinhirn gehen 
oder kurze Bahnen benutzen. Da nach Hinterstrangsdurcbschneidung 
beim Tier Störungen der Sensibilität kaum zu beobachten sind, 
wäre das also fast die ganze Sensibilität. Nun könnte man natürlidl 
auch durch eine Kombination von totaler Kleinhirnexstirpation 
Hinterstrangsdurcbschneidung die kurzen Bahnen isolieren, am 
sehen, ob ihnen überhaupt eine erkennliare Bedeutung beim Tier 
kommt. Dieses Experiment ist noch nicht ausgeführt. Es kann nicht 
geleugnet werden, daß die nach Kleinhirnexstirpation bei Erhaltung 
der Hinterstränge zu beobachtenden Ausfallserscheinungen von seiten 
der Sensibilität gering sind, im Verhältnis zu der Aufgabe, die man 
ihm als Leitungsbahn zuweisen müßte, wenn man solche kurzen Bahnen 
nicht annimmt. Immerhin muß doch betont werden, daß die ana- 
tomische Bahn über das Kleinhirn nun einmal besteht und Überall 
im Zentralnervensystem in ausgedehntem Maße Ersatzleistangen be- 
obachtet werden, wie das auch sofort noch für die Rückenmarksbahnen 
ausgeführt werden wird. Wenn man eine sehr vollkommene 
Sensibilitätsleitung über das Kleinhirn bei Zerstörung 
der Hinterstränge aber nicht annehmen will, bleibt 
nur die Annahme kurzer Bahnen Übrig. Unter dieser An- 
nahme wäre auch die nach Entfernung des Kleinhirns noch erhaltene 
Leitung der Sensibilität keine reine Leistung der langen Hinterstrang' 
bahnen mehr, sondern könnte durch die Leistung kurzer Bahnen 
zum Teil erklärt werden. 

Wir lassen die Frage in der Schwebe und zunächst auch für den 
Menschen unerörtert, weil wir zuvörderst noch eine andere zu eröi 
haben, die im engsten Zusammenhang mit jener steht, die nämlich 
der Kreuzung derLeitungsbahnen im Rückenmark, die ale 
Frage nach dem BnowN-SfiQDARDSchen Syniptomenkom- 
plex, d. h. der gleichseitigen motorischen Lähmung bei gekrenzter 
Sensibilitätssti'-rung, populär geworden ist. Fragen wir zunächst die 
Anatomie, so endigen die Fasern der hinteren Wurzeln selbst ohoi 



lidi^ 



r dea.^^ 




Frage der Kreusiiiig seoübler Bahnea. 206 



Ausnahme angekreuzt, sowohl in der grauen Substanz des Hinter- 
homs, als den CLAKEschen Säulen, als den Hinterstrangskernen. 
Daraus ist zunächst eins klar, daß die Hinterstrangkern-Thalamusbahn 
im Rückenmark ungekreuzt verläuft, ein aliquoter Teil der Sensibilität 
also sicherlich, so weit das Bückenmark reicht, ungekreuzt geleitet 
wird. Die Kleinhirnseitenstrangbahnen kreuzen nur zum kleineren 
Teil, sowohl FLBCHSiGsche Bahn wie GowERSsche Bahn ; insoweit sie 
also eine Verbindung zum Großhirn über das Kleinhirn vermitteln, 
würde auch die durch sie gegebenenfalls zum Großhirn geleitete Sen- 
sibilität, im Bückenmark noch hauptsächlich ungekreuzt geleitet. 
Blieben für die Kreuzung im Bückenmark selbst nur wieder die kurzen 
Bahnen. 

Wie liegen nun zunächst die Ergebnisse des physiologischen 
Experiments beim Tier? So einfach die Operation ist, welche 
hier die Entscheidung bringen muß, so geteilt sind die Ansichten. Brown- 
S£quard hatte zuerst nach Durchschneidung einer Bücken- 
mark shälfte die Anschauung gewonnen, daß die Empfindung 
für alle Sinnesqualitäten mit Ausnahme des Muskelsinnes fast aus- 
schließlich gekreuzt verlaufe. Er hat diese Ansicht selbst später auf- 
gegeben. Schiff fand eine Herabsetzung der Sensibilität auf beiden 
Seiten, aber auf der gekreuzten stärker, als auf der ungekreuzten, 
und auf letzterer erst nach Ablauf eines anfänglichen Stadiums der 
Hyperästhesie in Erscheinung tretend. Auf der gekreuzten Seite war 
die Berührungsempfindung erhalten, die Schmerzempfindung vernichtet 
oder wenigstens hochgradig gestört, auf der ungekreuzten verhielten 
sich die beiden Qualitäten gerade umgekehrt. Beim Affen hat Turner 
nach Hemisektion eine zuerst fast völlige und sich allmählich bis zu 
einem gewissen Grade zurückbildende Schädigung aller Sinnesqualitäten 
auf der entgegengesetzten Seite gesehen, was also der ursprünglichen 
BRO^n^-SfiQüARDschen Annahme recht nahe kommen würde. Aber 
MoTT hat bei demselben Tier nach Halbseitendurchschneidung für 
Berührungs- und Druckempfindung vorwiegend, für den Muskelsinn 
ausschließlich gleichseitige Leitung, für Schmerz- und Temperatursinn 
beiderseitige Leitung konstatiert. Wir selbst haben bei Katzen, ebenso 
wie GoTCH und Horsley, Osawa u. A. alle Qualitäten auf der ge- 
kreuzten Seite stärker betroffen gesehen, als auf der ungekreuzten, 
den Berührungssinn und den Muskelsinn sehr stark gleichseitig ge- 
schädigt, die Schmerzempfindung erhalten, aber schwächer als auf der 
Gegenseite, insbesondere bei schmerzhaften Temperaturreizen. Die 
Störung des Schmerzsinnes gleicht sich nach nicht langer Zeit völlig, 
die des Berührungs- und auch die des Muskelsinnes immerhin doch 
bis zu einem gewissen Grade wieder aus. Uebereinstimmung herrscht 
also darin, daß beim Tier die Schmerzempfindung auf der gegenüber- 
liegenden Seite nicht völlig verloren geht und sogar ganz restituiert 
werden kann; entgegen einigen anderen Autoren nehmen wir für 
die Katze auch für den Schmerzsinn eine stärkere Be- 
teiligung der ungekreuzten Seite an, welche für die Be- 
rührungsempfindung und den Muskelsinn feststeht. Jedenfalls muß 
für den Schmerzsinn, aber auch für die Berührungs- 
empfindung eine gekreuzte Verbindung da sein, sonst 
würde sich die Sensibilität nach völliger Durchschneidung einer Rücken- 
markshälfte nicht restituieren können. Nur ihre quantitative Bedeutung 
steht in Frage, wie auch ihr Verlauf im einzelnen zweifelhaft ist, ob 



206 



XII. Die Leitiineobahntm der Bermibilität eam OroBhin. 



nämlich diese gekreuzte Verbindung durch lange Bahnen, die wirl 
anatomisch nur über das Kleinhim nachweisen konnten, oder auf hjpo-S 
thetischen kurzen Bahnen sich vollziehe. 

Wenn mau auch den Menschen besser untersuchen kann als daa ' 
Tier, so tritt hier eine andere Schwierigkeit auf. Die reinen Ver- 
letzungen des Rückenmarks, die genügend anatomisch und funktionell 
untersucht sind , sind ganz 
außerordentlich selten, reine 
Halbseitenläsionen dieser Art 
gibt es überhaupt nicht und 
die Falle von doppelseitiger 
unvollständiger Schädigung 
des Rückenmarks sind natür- 
lich außerordentlich schwer zu 
beurteilen. In dem bestunter- 
suchten aller beschriebenen 
Fälle, dem von Jolly, war 
die Untersuchung der Ver- 
letzungsstelle selbst unmög- 
lich. Aus den Uegenerations- 
befundeu allein ist ein sicheres 
Urteil gar nicht zu gewinnen, 
und JOLLT selbst ist in der 
Deutung nicht sicher. Andere 
Falle, wie der von Pedqniez 
und Philippe sind nieder 
nicht fein genug beobachtet. 
Häufiger und auch in größerer 
Anzahl gut untersucht sind 
die Fälle von Tumor des 
Rückenmarks, aber ihre Ver- 
wendung ist nicht ganz un- 
bedenklich, weil ihre Symptome 
zum Teil auf indirekte Druck- 
wirkungen bezogen werden 
können und andererseits das 
Rückenmark manchmal ganz 
enorme Kompressionen nur 
mit ganz auffalleud geringem 
I'nnktionsausfall beantwortet 
sich dem Drucke vielmehr 
adaptiert. Immerhin darf man 
wohl feststellen, daß die An- 
nahme einer vollstSn- 
d i g e n oder auch nur für 
alle Qualitäten vorzugsweisen 
Kreuzung der sensiblen 
Bahnen heule fast nir- 
gends mehr aufrecht gehalten wird. Nur einzelne Autoren, 
wie Petrin, vertreten den Standpunkt, daß bei einer wirklich voll- 
ständigen Halbseitenläsion die Sensibilität gekreuzt völlig oder &st 
völlig aufgehoben wäre. 

Anstatt dessen ist jetzt die Meinung vorherrschend, daß beim 




i 



- . ■. 48. TypuH lier SensibilitätSHtflning 
nach eimrechts-jseitiger Verlegung. Kechta 
die radikiilÄr begreoitt« SensibUitälsEtÖrunF für 
alle Qualitäten infolge Verletzung der Wur- 
zeln, llnl(6 Aufhebung de« Temperatur- und 
SchmMzeinneB ; uidit eingeKeicanet iat die 
SLÖrung de» IJageeinnes rechte. 




Dissociation bftim Menschen. 207 



Menschen eine Dissociation der Empfindung statthabe in der 
Weise, daß die Schmerz- und Temperaturempfindungen 
kreuzen, der Berührungssinn ungekreuzt geleitet wird 
oder wenigstens geleitet werden kann. Ob man einen besonderen 
Drucksinn, für den sich besonders Strümpell ausgesprochen hat, an- 
zunehmen habe — noch neben dem Berührungssinn einerseits und der 
tiefen Sensibilität andererseits — ist uns nach den Untersuchungen 
Heads über die Druckempfindung bei peripheren Nervenverletzungen 
zweifelhafter als je; es genügt, die Möglichkeit zu erwähnen. 

An dem besonderen Verlauf der Temperatur- und Schmerzbahnen 
läßt sich aber gar nicht zweifeln. Immer wieder finden wir Fälle 
von Aifektion des Rückenmarks, in denen wir eine Aufhebung der 
Temperatur- und Schmerzempfindung bei Integrität der Berührungs- 
empfindung sehen und daraus unsere diagnostischen Schlüsse ziehen 
müssen. Diese Aufhebung des Temperatur- und Schmerzsinnes kann 
nach Rückenmarksverletzungen eine einseitige und eine dauernde 
sein. Bis zu 8 Jahren ist sie beobachtet worden (F. Pick, Wagner 
und Stolper u. A.). In einem von uns beobachteten Falle von Er- 
krankung des Rückenmarks im Cervikalteile bestand sie nach Angabe 
der Kranken an dem einen Bein seit 5 Jahren. Der Kranke fühlte 
keine Spur von Schmerz, Wärme oder Kälte, aber auch die leichteste 
Berührung entging ihm nicht. Eine so reine Dissociation ist nicht 
häufig, aber erhebliche Bevorzugung der Temperatur- und Schmerz- 
empfindung doch gewöhnlich. Das Umgekehrte allerdings, die Integrität 
der Schmerz- und Temperaturempfindung bei Vernichtung der Be- 
rührungsempfindung wird nicht beobachtet Daraus ziehen wir den 
Schluß, daß der Berührungsempfindung zwei Wege zur 
Verfügung stehen, dem Temperatur- und dem Schmerz- 
sinn nur einer, und daß für diese beiden letzten Qualitäten es 
entweder nur einen Weg gibt, oder die Wege doch ganz nahe bei- 
einander liegen. 

Dieser gemeinsame Weg für Schmerz und Temperatur kann 
nur der Seitenstrang sein^), und zwar nimmt die Mehrzahl der 
Autoren das GowERSsche Bündel in Anspruch. Dieser Annahme steht 
nun abef vorläufig die Anatomie entgegen, weil nicht nachgewiesen ist, 
daß das GowERSsche Bündel wo anders als im Kleinhirn endige. Wenn 
einige Beobachter, wie erwähnt, auch aus dem Cervikalmark eine Bahn 
bis zum Thalamus verfolgt haben, so ist das doch noch keinem bei Ver- 
letzungen des Lumbal- und Dorsalmarks gelungen, und doch steht es 
außer Zweifel, daß bei Erkrankungen des Seitenstranges auch in diesen 
Höhen die Dissociation der Temperatur- und Schmerzempfindung zum 
Ausdruck kommen kann. Ueber das Kleinhirn kann die Temperatur- 
und Schmerzempfindung nicht gehen. Denn dessen Erkrankungen be- 
einträchtigen diese Qualitäten nicht. Es bleiben uns also für Tempe- 
ratur und Schmerz dann wieder nur die kurzen Bahnen. Wann und 
wo diese etwa auf eine lange Bahn umgeschaltet werden, ist ungewiß. 

Die klinischen Tatsachen machen es nun ferner wahrscheinlich, 
daß die Bahn des Temperatur- und Schmerzsinnes eine gekreuzte ist. 
Zu häufig sind jene Fälle, wo wir neben einer motorischen 



1) Wir selbst verfügen über einen Fall, in welchem ein erbsengroßes Gumma 
-dee Seitenstranges im unteren Dorsalmark eine gekreuzte Aufhebung des Temperatur- 
4ind »Schmerzsinns gemacht hatte. 



20fi 



XII. Die L«itangiMuiMi der SmnbUitftt mtn OroShiro. 



Parese der einen Seite eine Aufhebung de8Teraperalar-_ 
und Schmerzsinnes auf der anderen sehen, als daß man 
sich der hohen Wahrscheinlichkeit dieser Folgerung verschließen 
könnte. 

Wir würden uns also vorläufig vorzustellen haben, daß aus dem 
Hinterhorn oder den CLARKESchen Säulen zunächst eine Bahn ent- 
springe, welche die Mittellinie überschreitet und der dann sich, wie 
Ziehen das vermutet, kettenförmig weitere Bahnen anschließen, die 
immer wieder in die graue Substanz einmünden (diese kettenf<>miige 
Unterbrechung ist in 4 Fig. 1 der Einfachheit wegen nicht zum Aus- 
druck gebracht). Ehe die Angelegenheit freilich nicht anatomisch und 
klinisch ganz geordnet ist, bleibt die Annahme immer eine 
unsichere Hypothese, und Ueberraschungen sind durchaus noch 
nicht ausgeschlossen, die vielleicht noch von jenem Anteil der Seiten- 
strangbahnen kommen könnten, die im Seiten strangkern endigen. 

(Wäre die ScHiFFSche Behauptung richtig, daß auch eine doppelte, 
kreuzweise, Halbseitendurchschneidung die Schmerzempfindung nicht 
vernichte, so wäre schon beim Tier erstens die Existenz kurzer Bahnen 
über jeden Zweifel nachgewiesen, und zweitens auch die Möglichkeit 
einer zwiefachen Kreuzung erwiesen. Schiffs Angaben beziehen sich 
jedoch anscheinend nur auf Kaninchen. Beim Affen hat Turner nach 
der ScHiFFSchen Operation keine Spur von Sensibilität mehr feststellen 
können. Beim Hund haben wir selbst einen Versuch (1. Operation 
im 3. Cervikalsegment, 2. im unteren Dorsalmark, Beobachtungsdaaer 
3 Wochen) gleichfalls ohne Wiederkehr irgendwelcher Sensibilität.] 

Auf der topographisch gleichen Bahn wie der Schmerzsinn wQrdfl 
auch ein Teil der Berührungsempändung geleitet werden müssen, du 
diese nach Hinterstrangserkrankung, wie erwähnt, auch beim Menschen 
wahrscheinlich keine große Einbuße erleidet. Da wir selbst aber über 
einen Fall verfügen, in welchem der ganze eine Seitenstrang zerstört 
war, ohne daß eine Störung der Berühr ungsemptindung zu beobachten 
gewesen wäre, muß andererseits der Hinterstrang für die Leitung der 
Berührungsempändung genügen, wenn man nicht etwa ein EtntretSB.^ 
des zweiten Seitenstranges annehmen will. 

Ganz einig ist man über den Muskelsinn. er verläuft, mindestei 
zum allergrößten Teile, ungekreuzt, wahrscheinlich im Hinterstrang - 
insoweit er wenigstens direkt zur Schleife und zum Großhirn ge*1 
leitet wird. 

Fassen wir die Sachlage beim Menschen noch ein- 
mal zusammen, so kommen wir also zu dem Schluß, daß der Be- ^ 
rührungsempfindun g zwei Wege zur Verfügung stehen, 
welche in ziemlich vollkommener Weise für einander eintreten können. 
Der eine ist der Hinterstrang und leitet gleichseitig, der andere ist 
der Seitenstrang und leitet wahrscheinlich ganz oder zum größten T«l J 
gekreuzt, diese letztere Bahn setzt sich vielleicht aus einer Kette kurzer J 
Bahnen zusammen. i 

Der Temperatur- und Schmerzsinn verlaufen sehr' 
wahrscheinlich völlig gekreuzt. Sie können dauernd und 
isoliert aufgehoben sein bei Integrität der Berühriingsempfindung. 
Ihre Bahn ist wahrscheinlich identisch mit der einen des Berflhmngs- 
sinnes, muß also als aus einer Kette kurzer Bahnen bestehend an- 
genommen werden, da lange Bahnen nußer denen über das KleinhimS 
bisher nicht nachgewiesen sind. 





SennbOitätBleitimK beim Tier. Form der SeDtibtlittedefekte. 209 



Der Maskelsinn yerläaft, soweit er dem Großhirn auf dem 
Wege der Schleife zogeföhrt wird, angekreuzt auf dem Wege des 
Hifiterstranges. Für den Maskelsinn geben wir jedoch die Hypothese 
einer Leitung über das Kleinhirn und den Bindearm keineswegs auf ^). 

Stellen wir auch noch einmal die beim Tier ge- 
wonnenen Ergebnisse zusammen, so ist soviel sicher, daß 
beim Tier die verschiedenen Bahoen in sehr viel höherem Maße als 
beim Mensdien für einander eintreten können. Das lehrt schon die 
ganz überraschend schnelle Restitution der Sensibilität nach völliger 
Halbseitendurchschneidung. Eine Vernichtung der Temperatur- 
oder auch nur der Schmerzempfindung bei Erhaltung 
der Berührungsempfindung ist beimTier mit Sicherheit 
noch nicht beobachtet, eine sehr wesentliche Differenz gegen- 
über dem Menschen. Damit hängt es auch zusammen, daß die 
Schmerzempfindung beimTier nicht allein auf gekreuzte Bahnen 
angewiesen ist, wie beim Menschen, sondern ebenso wie die Be- 
rührungsempfindung mindestens zum großen Teil, nach Ansicht der 
meisten Experimentatoren sogar vorzugsweise auf gleich- 
seitigen Bahnen geleitet wird. 

D^m Berührungssinn stehen auch beim Tier mehrere Wege 
offen. Er wird auch hier nicht allein durch die Hinterstränge und 
zwar in diesen gleichseitig, sondern auch durch die Seitenstränge, und 
hier teilweise auch gekreuzt geleitet. 

Der Muskel sinn wird auch beimTier vorzugsweise gleichseitig 
geleitet 

Eine Leitung durch die graue Substanz, wie sie Schiff 
annahm, findet nicht statt. Anstatt dessen haben wir die Möglichkeit, 
daß kurze Bahnen kettenförmig immer wieder zur grauen Substanz 
zurückkehren, die Rothmakn auch experimentell durch kombinierte 
Strangdurchschneidungen erwiesen zu haben glaubt. Wenn der 
Temp^atur- und Schmerzsinn kreuzen, so müssen sie jedenfalls in 
der grauen Substanz auf ein zweites Axon umgeschaltet werden. 
Bei pathologischen Prozessen, welche die graue Substanz vorzugsweise 
beteiligen, leiden darum zunächst häufig der Temperatur- und der 
Schmerzsinn, wie insbesondere bei der Syringomyelie, wo diese syringo- 
myelische Dissodation zuerst von Kahler und Sghultze besdirieben 
wurde. In späteren Stadien der Syringomyelie leiden freilich dann bald 
auch die anderen Sinnesqnalitäten durch Beteiligung der Wnrzelfasern 
selbst. Die Ausbreitung der Sensibilitätsdefekte bei Er- 
krankung der grauen Substanz ist genau die gleiche, wie die bei 
Erkrankung der Wurzeln. Sie folgt im allgemeinen der zur Längsachse 
des Rückenmarkes senkrechten der Wurzelgebiete. Demgemäß unter- 
scheidet sich der Typus der Sensibilitätsstörung dann in keiner Weise 
von dem radikulären. In der grauen Substanz findet keine Umordnung 
der Fasern statt, sondern nur eine Umschaltung. Es gibt in der 
grauen Substanz des Rückenmarkes weder quergestellte noch längs- 
gestellte Komplexe grauer Substanz, welche, wie das z. B. Brissaud 
annimmt, die Sensibilität zirkulär begrenzter Gliedabschnitte, der 



1) Im übri^ haben wir unsere Anschanungen über die Leitung der Sensibilität, 
InsbeBondere beim Menschen, durch eigene klinische Beobachtungen gezwungen, 
einer früheren Arbeit gegenüber hier nicht unwesentlich geändert, ohne aber von 
den dort berichteten tatsächlichen Ermittelungen am Tier das geringste auf- 
sngeben. 

Lewandowsky, Funktionen d. zentralen Nervensjrstems. ]4 



210 



XII. Die Leitüngsbaluieii der ßensibilitfit zum OtoShim. 



t 



Hand, des Unterarmes u. s. w. aufnehmen (vergl. Kap. V). Die zirkulSr ' 
begrenzten Sensibilitätsdefekte sind in der großen Mehrzahl der Fälle ' 
hysterisch, psychisch bedingt. Aber man kann sich wohl vorstellen, 
daß in ganz seltenen Fällen einmal die Gestaltung des syringorayelischen 
Defektes gerade die Wurzelfasern eines zirkulär begrenzten Teiles der 
Extremität vernichtet, da sie ja am Zentralkanal nicht mehr kompakte 
Stränge bilden, sondern in einzelne Wurzelfasern zerfallen sind. 

Die Form der Sensibilitätsdefekte, bei teilweiser Er- 
krankung der weißen Stränge, ist noch wenig erforscht- Im 
aligemeinen nimmt man an, daß der ganze von dem unterhalb der Ver- 
letzungs- (oder häufiger Konipressions-)stelle gelegenen Teil des Rücken- 
markes innervierte Teil des Körpers gleichmäßig von der Sensibilitäts- 
störung betroffen werden müßte. Das ist in der Tat das gewöhnliche, aber 
doch nur richtig für, sei es einseitige, sei es doppelseitige totale oder über 
den Querschnitt gleichmäßig verteilte Erkrankungen. Liegt eine solche 
gleichmäßige Verteilung nicht vor, so kann die Sensibilitätsstörung ent- 
weder ganz unregelmäßig, fieckförmig begrenzt sein, wie wir das in 
einem mit W. Braun beobachteten Falle von FistolenscbuBverletzung 
des Rückenmarkes im Dorsalmark gesehen haben, oder sie kann eine 
zirkuläre Begrenzung aufweisen derart, daß zwischen dem Herd der 
Erkrankung mit seiner radikulären Sensibilitätsstörung und dem Be- 
ginn der funikulären Sensibilitätsstörung eine freie Zone bleibt, und 
die Intensität der Störung distal zunimmt Es scheint also in dea ■ 
Strängen, insbesondere im Seitenstrang, die radikuläre Anordnung der J 
Wurzelfasern sehr bald verloren zu gehen. 

Im übrigen aber ist die Frage, inwieweit den einzelnen oder 
Gruppen von Strangfasern eine Beziehung zu begrenzten Territorien 
der Peripherie zukomme, noch unbearbeitet. Wir wissen zwar, daß 
bei Querschnittserkrankungen des Rückenmarkes sensible Reize jeder 
Qualität nicht nur mangelhaft perzipiert, sondern auch schlecht loka- 
lisiert werden. Ob das aber auf einer allgemeinen Erhöhung der 
Reizschwelle beruht oder darauf, daß die Leitung nur mehr von einer 
begrenzten Anzahl von sensiblen Endorganen aus, von diesen aber 
unverändert erhalten ist, ist nicht untersucht. 

Es ist ferner bei Rücken markserkrankun gen nicht nur eine Ver- 
schlechterung der Lokalisation, sondern auch eine falscheProjektion 
der Empfindung beobachtet worden. So kommt es vor, daß die 
Berührung einer Flautstelle auf der entgegengesetzten Körperseite 
empfunden wird (Altocheirie). Es dürfte diese Erscheinung aber weniger 
von einer abnormen Leitung im Rückenmark als von einer falschen 
Deutung der mangelhaft perzipierten Empfindung seitens des Bewußt- 
seinsorganes abhängen. Es ist nicht anzunehmen, daß eine sensible 
Erregung im Rückenmarke auf andere als die ihr natürlich zuge- 
ordneten Fasern überspringen könne. Von diesem Gesichtspunkt ans 
ist eine Erfahrung bemerkenswert, die wir selbst in einem Falle von 
fast völliger Querschnittsunterbrechung im Dorsalmark gemacht haben. 
Hier wurde die Schmerzerapfindung bei Reizung der unteren Extre- 
mität auf die obere projiziert. Wenn man annimmt, daß in diesem 
Falle die Schmerzempfindung nicht auf die Bahnen der oberen Extre- 
mität übergesprungen ist, sondern auf denen der unteren Extremität 
geblieben ist, so würde sich also auch hier, wie in den anderen Fällen 
dieser Gruppe, eine Ausnahme von dem Gesetz der peripheren Pro- 
jektion aller die nervösen Wege treffenden Reize ergeben. Bestimmte 




Projektion. Mitempfindung. HEAD«che Zonen. 211 



Regeln über die Art der falschen Projektion scheinen uns jedoch nicht 
zu bestehen. 

Diese pathologischen Erscheinungen stehen, wie man leicht sieht^ 
in naher Beziehung zu den Mitempfindungen, als welche man 
Empfindungen bezeichnet, welche nicht auf die gereizte Stelle sich 
beschränken, sondern auch an anderen als der gereizten Körperstelle 
auftreten. Ihre bekannteste Art ist die Irradiation des Schmerzes, 
wie sie fast ein jeder an sich selbst bei Zahnschmerzen schon beob- 
achtet hat, wo nicht nur der eine Zahn, sondern der ganze Kiefer 
weh tun kann, ja der Betroffene oft nicht weiß, ob der schmerzende 
Zahn im Ober- oder Unterkiefer sitzt. Beispiele von besser lokalisierten 
Mitempfindungen sind die von manchen Personen angegebenen Kitzel- 
empfindungen in der Nase beim Sehen in die Sonne oder ein Scheitel- 
schmerz beim Schlucken von Eis. Diese Erscheinungen sind auch bei 
derselben Person keineswegs konstant. Ab und zu merkt auch jeder 
normale Mensch, manchmal nur für wenige Minuten, daß ihn bei Be- 
rührung einer Hautstelle eine andere, von dieser entfernte, mitschmerzt» 
Auch das Schmerzen alter Wunden und Narben bei Witterungs- und 
Temperatureinflüssen gehört hierher. Für alle diese Fälle glaubea 
wir nicht an ein üeberspringen der Erregung in niederen Zentral- 
organen, etwa im Rückenmark, was ja noch am ehesten für die irra- 
diierten Empfindungen als möglich zu denken wäre. Gotch und 
HoRSLET haben sogar Reflexe von einer hinteren Wurzel auf andere 
hintere Wurzeln durch Beobachtung des Aktionsstromes feststellen 
wollen. Hermann hat aber nichts dergleichen gefunden (vergl. S. 101). 
Wir glauben, daß die falsche Projektion erst im Großhirn entsteht. 
Welche Umstände im Einzelfall auf die Richtung der falschen Pro- 
jektion von Einfluß sind, ist mit Ausnahme der örtlichen Nachbar- 
schaft bei der Irradiation schwer zu sagen. Die Verlegung beliebiger 
Schmerzen in alte Wunden und Narben dürfte jedoch auch einen 
Hinweis darauf abgegeben, daß die Großhirnrinde bei der Vermittlung 
der Mitempfindungen nicht unbeteiligt ist. 

Am ehesten dürfte man noch geneigt sein, die Schmerzen^ 
welche bei Erkrankungen innerer Organe in die Peripherie 
des Körpers lokalisiert werden, auf eine Beeinflussung der grauen Sub- 
stanz des Rückenmarkes zurückzuführen. Wenn bei Angina pectoris 
die von inneren Zuständen des Herzens und seiner Gefäße abhängigen 
Schmerzen in den linken Arm lokalisiert werden, so wäre es ja allen- 
falls möglich, daß, wenn die Nerven des Arms etwa in derselben Höhe 
in das Rückenmark einmünden wie die des Herzens, sich von der 
Endigung der letzteren aus die Erregung in der grauen Substanz 
verbreitet, und ihrer Verbreitung entsprechend lokalisiert wird. Große 
Wahrscheinlichkeit wird man einer solchen Annahme schon in An- 
betracht der gewöhnlichen Einseitigkeit der Herzschmerzen sicherlich 
nicht zubilligen wollen. 

Systematisch ist eine ähnliche Annahme für den Zusammenhang 
zwischen Visceralerkrankungen und Empfindlichkeit der Haut von 
Heab ausgearbeitet worden, auf Grund der Tatsache, daß, wie 
Magkenzie und Head zeigten, bei Erkrankung innerer Organe ge- 
wisse Zonen der Haut hyperalgetisch, manchmal auch für Hitze und 
Kälte (nicht aber für Berührung) tiberempfindlich werden. Head glaubt, 
eine Gesetzmäßigkeit der Ausbreitung dieser Zonen als 
einer segmentalen nachweisen zu können und vergleicht sie ins- 

14* 



älS XII. Die LcitungfllMbiieTi der SeDslbilitit mm GnBbim. 




besondere mit den Zonen des Herpes zoster. Wir können anf Ornn# 
einer größeren Reihe eigener Erfahrungen diesem Versuche, die sekun- 
dftren Schmerzen oder die Hyperalgesie bei Visceralerkrankungen als 
segmenlal zu deuten, nicht ganz bestimmen, und müssen aach die 
Deutung, welche Head in diesem Sinne pibt. in vielen seiner eigenen 
Fälle für eine recht gezwungene halten. Zweifellos ist nur, daB wir 
ein gewisses Lokalisation svermögen auch für die in den inneren Or- 
ganen entstehenden Schmerzen haben und diese gewöhnlich an nicht 
weit entfernt liegende Stellen der Körperobertläche projizieren. DaS 
hier aber die Nachbarschaft der grauen Substanz im Rflckenmark 
schon in Betracht kommen sollte, erscheint uns besonders angesichts 
der von Individuum zu Individuum wechselnden Art der Projektion 
nicht sehr wahrscheinlich. Wie häufig erleben wir es, daß bei Erkran- 
kungen der rechten Seite die Schmerzen links lokalisiert werden. 
Kinder lokalisieren bekanntlich die Schmerzen und die Empfindlich- 
keit bei Lungen- und Brustfellerkrankungen häufig in den Bauch und 
die Bauchdecken, Erwachsene fast nie. In der segmeiitalen ana- 
tomischen Beziehung der inneren and der oberHächlichen sensiblen 
Nerven kann sich doch aber während des Wachstums nichts ändem 
Ueber die Art der Erfahrung, welche den Erwachsenen seine inneren 
Erkrankungen ganz allgemein besser lokalisieren läßt, als das Kind, 
fehlen uns allerdings Me Vorstellungen, nicht besser gebt es uns 
aber mit dem Problem der Möglichkeit der Lokalisation Überhaupt 
Wenn Head zugibt, daß die Lokalisation ein psychisches Phänomen 
und daher auch die falsche Projektion durch eine Art Urteilsfehler 
zu erklären iRt, so glauben wir nur nicht, daß diese Projektion in 
Großhirn nach RQckenmarkssegmenten erfolgt, ebensowenig, wie wir 
Oberhaupt ein „Diftusionsfeld" der Erregung im Rückenmark, sondern 
nur ein solches in der Rinde annehmen. 

Bei der Erforschung der durch Rtickenmarksverletzung bedingten 
Empfindungsstörungen hat die Hyperästhesie eine gewisse Rolle 
gespielt. Eine wahre Hyperästhesie aber, eine erhöhte Feinheit der 
Berührungsempfindung dürfte anerkanntermaßen Oberhaupt nicht anzu* 
nehmen sein. Immer handelt es sich nur um eineHyperalgesie. Eine 
solche findet sich vor allem als eine radiknlär begrenzte Störung durch 
Reizung einzelner Wurzeln. Als solche ist sie ein PrQhsymptom, ins- 
besondere des Rückenmarkstumors. Zweitens kann sie in größerer Aus- 
dehnung durch eine meningitische Reizung der Wurzelaustrittstellen, sei 
es durch Infektion, sei es durch submeningeale Blutung, hervorgerufen 
werden. Es ist das dieselbe Hyperalgesie, welche bei der gewöhuhchen 
Meningitis des Menschen sich in einer großen Empfindlichkeit, ins- 
besondere gegen die Verlagerung der Glieder und die mit dieser 
verbundenen Dehnung der Nerven äußert, bei Dehnung des IschiadicuB 
als KEBNiosches Symptom bekannt ist. Besteht neben dieser durch 
meningitische Reizung bedingten Hyperalgesie eine Verletzung des 
Rückenmarkes, etwa eine Halbseitenläsion, wird natürlich dadurdi die 
Leitung der Schmerzemptindung in entsprechendem Umfang verhindert 
und kann sich eventuell nur auf einer Seite nachweisen lassen. Eine 
Hyperalgesie infolge einer teilweisen Unterbrechung der Leitung im 
Rückenmark haben wir nur selten gesehen und zwar dann immer ver- 
bunden mit einer erheblichen Verlangsamun g der Schinerz- 
empfindung. Au eine bestimmt lokalisierte Querscfanittslftsicw ist 
diese H}'peralge8ie sicherlich nicht gebunden. Sie kommt audi bei 




Sensible Bahnen im HirnBtamm. 213 



anderen als Querschnittserkrankungen vor, wie z. B. bei der Tabes, 
auch bei polynenritischen Prozessen, und ist auch dann häufig mit 
einer Verlangsamung der Leitung verbunden, so daß vielleicht ein 
gewisser Zusammenhang zwischen der Verlangsamung und der 
Hyperalgesie besteht. Es ist erstaunlich, wie groß die Verlangsamung 
der Schmerzempfindung bei Querschnittserkrankung des Rückenmarkes 
sein kann. In einem von uns beobachteten, schon erwähnten, Fall 
mußte mehrere Minuten lang mit den stärksten faradischen Strömen 
gereizt werden, ehe dann plötzlich die Schmerzempfindung mit Heftig- 
keit eintrat, als wenn die Erregung irgendwo einen Widerstand plötz- 
lich durchbrochen hätte. 

Wenn wir nun zu den Wegen der Sensibilität wieder zurück- 
kehren und sie durch den Hirnstamm verfolgen, so stoßen wir 
auf neue Rätsel. Der Weg der Schleife war bereits genannt, da sie 
ja nur die Fortsetzung des Hinterstranges darstellt, dürfte ihre Ver- 
letzung auch nicht mehr Symptome machen, als die Hinterstrangs- 
durchschneidung. Für das Tier ist das auch wohl zutreffend. Man 
kann recht erhebliche Schleifenverletzungen setzen, ohne wesentliche 
Sensibilitätsstörungen zu sehen. Für den Menschen liegen eine Reihe 
von Beobachtungen über Herde des Hirnstammes oberhalb der Schleifen- 
kreuzung vor, welche eine gekreuzte, mehr oder weniger starke Sen- 
sibilitätsstörung zeigten, aber es ist nicht sicher zu ersehen, daß sich 
diese Herde auch auf die Schleife beschränkten und nicht andere 
Bahnen mit beteiligten, um so weniger als wir gar nicht wissen, wo 
diese anderen Bahnen liegen. Wenn wir die Annahme machen, daß 
Temperatur und Schmerzsinn mindestens bis zum Cervikalmark hinauf 
auf kurzen Bahnen und zwar schon gekreuzt geleitet werden, so brauchen 
wir eine vom Cervikalmark oder höher oben entspringende Bahn, welche 
diesen Teil der Sensibilität bis zum Thalamus bringt; denn daß die 
kurzen Bahnen bis hier hinauf gehen sollten, ist sehr unwahrschein- 
lich. Wie erwähnt, wird von einigen vom Cervikalmark aus ein der 
Lage nach dem GowERSschen entsprechendes Bündel in Anspruch 
genommen. Beim Tier kennen wir, wie gesagt, ein solches Bündel 
nicht Ein der Lage nach ähnliches hatten wir hier als einen ins 
Rückenmark versprengten Schleifenanteil erkannt ^). In Betracht käme 
— eine reine Möglichkeit — von der Medulla oblongata aus noch 
eine Bahn, welche, im dorsalen Teil der Haube verlaufend, schließlich 
in die FoRELschen Haubenfaszikel übergeht und in einem besonderen 
Kern des Thalamus endet. Für diese Bahn ist wenigstens eine be- 
stimmte andere Funktion bisher noch nicht nachgewiesen. Die Funktion 
dieser zweiten Bahn, wie man sie auch immer annehmen wollte, müßte 
natürlich mit der der Seiten strangbahn übereinstimmen. 

Ueber die Möglichkeit einer dritten, über das Kleinhirn und den 
Bindearm geführten Verbindung mit dem Thalamus, die beim Menschen 

1) Die postulierte Bahn muß natürlich ungekreuzt verlaufen, da Schmerz und 
Temperatursinn ja schon im Kücken mark kreuzen. Nun wird aber von einigen, aller- 
dings entgegen unserer Anschauung, für das GowEBssche Bündel ein gekreuzter Ur- 
sprung angenommen. Dann könnte uns dieses, falls es in den höheren S^menten 
erst die Erregung aus den hvpothetischen kurzen Bahnen übernehmen soute, gar 
nichts nützen. Daß die von Kothmann angenommene Vorderstrangbabn aus £m 
Ceryikabnark, unsere versprengte Schleife, kreuzt, ist ganz zweifellos, auch dieses 
Bimdel kann also mit der Leitung schon im Bückenmark gekreuzter Sensibilität 
nichts zu tun haben , da diese sonst nach doppelter Kreuzung zur gleichseitigen 
Hemisphäre gelangen müßte. 



214 ^^^- Die Ldtungsbabiien der äenBibilil&t Eum Oroßhini. 

allerdings nur einen Teil des Muskelsinnes leiten «flrde, war bereits 
gesprochen. 

Sicher erscheint uns eins, daß schlieBlich im Thalamus sich 
alle sensiblen Bahnen sammeln und erst von hier aas auf 
neuen Äxonen durch die innere Kapsel hindurch die Sensibilit&t der 
Großhirnrinde zugeleitet wird; dementsprechend ist, wie auch Dejbrinb 
betont, eine ausgeprägte Sensibilitätsstörang das wesentlichste Zeichen 
einer Thalamuserkrankung. 

Bis zur Großhirnrinde findet beim Menschen eine 
fast völlige Kreuzung der Sensibilität, sei es im Rücken* 
mark, sei es im Hirnstamm, statt. 

Von den Hirnnerven schließt sich die sekundäre Trigeminus- 
bahn, welche mindestens zum größten Teil aus dem sensiblen Trige- 
minuskern in der Brücke stammt und die in einer von uns gefundenen 




Fig. 49. Sctiema der CochlearisbahDea. iS^ UanglinD apirnle, G Oaogl. venb. 
acuHtici, T Tub. acuBticiira, TV Corpus trapezoide», // HEi,Dsche Fasern, St Mo- 
NAKOWache Striae acualicae, ir Nucl. trapezoidea, O« ol)LTe Olive, ü lal«rale Schleife, 
nL Kern der lateralen Schleife, P PPORSxache Kommisaur der lateralen Schleifen, 
Qp hinterer Vierhögel, Co Kommiasur des hinteren Vierhügel», Bg Arm dea hintwen 
Vierhitgels, Gm inuerer KDicböcker, E Binde. 

gut definierten Kreuzung die andere Seite erreicht, der Hauptschleife 
an und endet ebenfalls im Thalamus. Vielleicht nehmen auch von 
d'em Grau der spinalen Trigeminuswurzel ähnlich verlaufende Bahnen 
ihren Ursprung. 

Von den zentralen Bahnen des Glossopharyngeus und Vagus 
wissen wir nichts. 

Dagegen sind wir sehr genau orientiert über die zentralen Bahnen 
des Nervus acusticus, wenigstens des eigenthchen Hörnerven, des 
N. cochlearis (Fig. 49). Sie entspringen vom Tuberculum acnsticum 
und dem Ganglion ventrale acustici als primären Endstätten, sie über- 
schreiten zum größten Teil die Mittellinie l) im Trapezkörper, 2) Iq den 



Bahnen der Hirnnerven. 215 



MoNAKOWSchen Striae acusticae, 3) in den HELDschen Acusticusfasern ; 
sie enden im Trapezkern, in der oberen Olive, im Kern der lateralen 
Schleife und im hinteren Vierhügel. Von den drei erstgenannten 
entspringen wiederum Fasern, welche sich schließlich alle im hinteren 
Vierhügel sammeln. Zwischen den beiden Kernen der lateralen 
Schleife besteht noch eine von Probst entdeckte Kommissur, durch 
diese, sowie durch einen kleinen Teil nicht kreuzender Fasern der 
sekundären Acusticusbahn steht soüiit jede Großhirn half te in Verbin- 
dung mit beiden Ohren. Vom Vierhügel führt der Arm des hinteren 
Vierhügels die akustische Erregung zum inneren Kniehöcker, von wo 
die Bahn zur Großhirnrinde (Schläfenlappen) offensteht. 

Von den Bahnen des N. vestibularis zum Großhirn wissen 
wir gar nichts. 

Von der Endigung des N. opticus im Vierhügel und den von 
hier aus vermittelten Reflexen und Reaktionen war früher schon die 
Rede (vergl. auch Fig. 29). Ein anderer Teil des N. opticus endet, 
teils gekreuzt, teils ungekreuzt, im äußeren Kniehöcker und dem 
Pulvinar als Teilen des Thalamus. Sowohl die beiden letzteren Hirn- 
teile, wie auch der Vierhügel stehen dann in Verbindung mit der 
Rinde des Occipitallappens durch die Sehstrahlung. 

Der N. olfactorius hat ein ziemlich ausgedehntes Endigungs- 
gebiet an der Basis des Gehirns, dem auch die vordere Kommissur 
zum Teil angehört. Vornehmlich durch den Fornix findet er dann seine 
Verbindung mit den ihm zugehörigen Teilen der Hirnhemisphären, 
dem Cornu Ammonis und dem Gyrus hippocampi. 

Kurz zählen wir einige aufsteigende Bahnen des Hirnstammes auf, 
die noch der Bestimmung ihrer Funktion warten. Es sind das, außer 
den erwähnten FoRELSchen Fascikeln, ein Zug, der von der Brücke 
entspringend, durch die GANSERsche Kommissur zur Zona reticulata 
des Thalamus zieht (Pprobst), der Fase, teres dicht unter dem Boden 
des vierten Ventrikels und dann die ganze Reihe von Systemen, die 
zum Corpus mammillare in Beziehung stehen, der Ped. corporis mam- 
millaris, der im Pons entspringt, das Vicq o'AzYRsche Bündel, das 
vom Corpus mammillare zum Nuc. anterior thalami zieht (der von 
allen Kernen des Thalamus eine ganz besondere Stellung hat und 
wahrscheinlich mit der Rinde nicht in direktem Zusammenhange steht). 
Vom Nuc. anterior thalami haben wir eine Verbindung zum Corpus 
Luysi, und von hier die Linsenkernschlinge zum Linsenkern. So 
haben wir eine Kette von Verbindungen von der Brücke bis zum 
Linsenkern, über deren Bedeutung, wie überhaupt über die des Linsen- 
kerns wir gar nichts wissen, ebenso wie andere Verbindungen des 
Linsenkernes zwar mannigfach angenommen, aber niemals nachge- 
wiesen sind. 

Unklar ist ferner das Ganglion habenulae mit der Taenia thalami 
einerseits und dem MEYNERTschen Bündel andererseits. Möglich, daß 
es sich hier um phylogenetisch in der Rückbildung begriffene Systeme 
handelt, deren Funktion festzustellen vielleicht auch nur auf ver- 
gleichend-anatomischem und -physiologischem Wege möglich sein wird. 





Einleitende Bemerkungen über die Funktionen des GroBhims 
und ihre Lokalisation. 

Wir habea bereits die Erscheinungen besprochen, welche bei 
einzelnen Tierklasseu auftreten nach Entfernung des Großhirns (Kap, IX). 
Subtrahiert man die nach diesem Eingriff noch übrig bleibenden 
Funktionen von denen eines normalen Tieres oder Menschen, so haben 
wir in dem Rest das Mindestmaß der Funktionen des Großhirns, nur 
das Mindestmaß deshalb, weil die Möglichkeit vorliegt, daß nach Ent- 
fernung des Großhirns ein Teil der sonst von ihm geleisteten Funk- 
tionen an den Hirnstamm abergeht Jedenfalls aber nimmt in der 
aufsteigenden Tierreihe die Bedeutung des Großhirns gegenüber den 
tieferen Hirnteiien gewaltig zu, entsprechend der Entwickelung, welche 
Umfang und Gestalt des Großhirns nimmt. Bei dem Gedanken an 
diese Entwickelung pflegt man im allgemeinen ja die Gestaltung des 
Hirnmantels, des Pallium, im Äuge zu haben. Ein recht unklares Gebiet 
stellt jedoch zunächst noch die Bedeutung der Großhirnganglien 
dar, des Nuc, caudatus und lentiformis. Erinnern wir uns, 
daß dieses Striatum — abgesehen von den dem Riechen dienenden 
älteren Teilen des Pallium, Archipallium nach Elliot Smith — beim 
niederen Wirbeltier fast den einzigen Bestandteil des Großhirns aus- 
macht, wenngleich schon bei den Selachiern vielleicht vereinzelte 
Zellen als Anlage einer neuen Großhirnrinde gedeutet werden können. 
Aber selbst bei den Vögeln ist die Existenz einer ganglienzellbaltigen 
Großhirnrinde keineswegs sicher. Nach 0. Kalischer kommt sogar 
noch beim Papagei als solche höchstens ein sehr kleiner Teil der Hirn- 
oberfläcbe, die sogenannte Wulstregion, in Frage. So hochstehende 
Funktionen, wie das Sprechen der Papageien, sind nach Kaliscrbb 
keineswegs an Rindenteile, sondern an das Striatum geknüpft, und das- 
selbe gilt dann auch für alle psychischen Funktionen, soweit wir &o\ciie 
diesen Tieren zuzusprechen geneigt sind. Auch beim Säugetier und 
beim Menschen bilden die Teile des Corpus striatum eine keineswegs zu 
vernachlässigende Gehirnmasse. Man darf kaum behaupten, daß sie, 
anatomisch genommen, nun ganz rudimentär entwickelt, in der RQck- 
bildung begriffen seien, und trotzdem wissen wir Aber ihre Funktion 
so gut wie nichts. Die über die Faserverbindungen des Corpus 
striatum bisher ermittelten Tatsachen berechtigen uns nicht dazu, auch j 
nur eine Vermutung nach einer bestimmten Richtung zu hegen. WfeT 
kennen zwar eine Verbindung des Nuc. lentiformis mit niederen Hirn^ 




Corp«« i^triatum. Wärmestich. 217 



teilen (vergl. S. 21&), es dürfte auch richtig sein, daß Bahnen von der 
Großhirnrinde in ihm und dem Nuc. caudatus enden. Eine Einschal- 
tung des Nuc. caudatus und lentiformis in die Bahn von der Rinde 
zur Peripherie, wie sie von einzelnen Autoren behauptet worden ist, 
halten wir dennoch nicht für erwiesen. Experimentell ist eine totale 
Abschälung der Rinde von dem Corpus striatum, um dessen Funktionen 
isolieren zu können, völlig undurchführbar. Die angeblichen Erfolge 
der Reizung des Nuc. caudatus beziehen sich wohl sicherlich, wie 
neuerdings wieder Schüller hervorhob, auf ^ie Reizung der benach- 
barten Fasern der inneren Kapsel. Auch die Zerstörung des Nuc. 
caudatus beim Tier hat keinerlei charakteristische Folgen. Beim 
Menschen hat man gewisse motorische Erscheinungen, insbesondere 
die einer gewissen Form von posthemiplegischer Chorea, auf Zer- 
störungen des Linsenkerns zurückführen wollen. Aber es gibt un- 
zweifelhaft Beobachtungen, bei welchen auch doppelseitige, umfang- 
reiche Zerstörungen des Linsenkemes durch Blutung ohne besondere 
Folgen geblieben waren. 

Nur eine Erscheinung kennen wir, die — wenigstens wahrschein- 
lich — auf Verletzung des Nuc. caudatus zurückzuführen ist, jeden- 
falls durch eine Verletzung am Rande des Nuc. caudatus herbei- 
geführt wird, die aber auch nur im Tierexperiraent, und zwar wesent- 
lich nur für das Kaninchen bekannt ist, das ist der Wärmestich 
von Sachs und Aronsohn. Daß auch beim Menschen durch eine 
Blutung in den Nuc. caudatus eine spezifische Temperaturerhöhung 
herbeigeführt würde, ist zwar behauptet worden, die Fälle erscheinen 
aber nicht beweisend. Beim Kaninchen aber läßt sich durch einen 
einfachen Einstich in die Mitte des freien Randes des Nuc. caudatus 
eine Temperatursteigerung hervorrufen, die etwa nach einer halben 
Stunde beginnt, bis zu 60 Stunden dauert, und 1 — 2*^C beträgt. Die 
von Aronsohn und Sachs gemessenen Höchsttemperaturen waren 
42 ^ C. Es unterliegt nach von Schultze angestellten kalorimetrischen 
Untersuchungen keinem Zweifel, daß Grund der Temperatursteigerung 
eine Vermehrung der Wärmeproduktion, also ein wirklicher fieber- 
hafter Zustand ist. Nach Ito soll die gesteigerte Wärmebildung in 
den Verdauungsdrüsen am größten sein. Ist es aber richtig, was 
Aronsohn dagegen geltend macht, daß schon schwache Curarisierung 
den Erfolg des Wärmestiches aufhebt, der Ort der Wärmeproduktion 
also die Muskeln seien, so entsteht wieder die Frage, ob es sich denn 
bei dessen Wirkung um einen spezifischen Stofifwechselvorgaug handle 
oder ob diese Steigerung des chemischen Umsatzes abhängig ist von 
funktionellen Aenderungen der (mechanischen) Muskelfunktion, die 
freilich der bloßen Betrachtung entgehen würden. Denn äußerlich 
unterscheidet sich in seinen Bewegungen ein Kaninchen nach Wärme- 
stich nicht von einem normalen. Denkt man aber auch nur an die 
Möglichkeit einer Beeinflussung der mechanischen Muskelfunktion, so 
stellt sich auch wieder die Fehlerquelle der Verletzung der am Nuc. 
caudatus vorbeilaufenden motorischen Bahnen ein. Richet, der zu- 
erst Temperatursteigerung nach Eingriffen in das Großhirn beobachtete, 
hält den Nuc. caudatus in der Tat für unbeteiligt daran. 

Wenn man jedoch im allgemeinen geneigt ist, die Hyperthermie 
als Folge der Verletzung des Nuc. caudatus anzusehen, so weiß man 
nicht einmal, ob sie auf einer vorübergehenden Lähmung oder einer 
Reizung beruht. Man kennt nicht die Bahnen, welche den Erfolg 



2lS XIU- Emldtende Beinerkun^;en über die Funktionen dee GroflhimB. 

vermitteln. Aber vor allem bleibt die sensomotorische Funktion, die ■ 
mau dem Corpus striatum auf Grund der Daten der vergleichenden 
Physiologie, insbesondere der Beobachtungen am Vogel, auch beim 
Säuger so gern zubilligen möchte, eine gänzlich ungelöete Frage. 
Freilich dürfte es zweifelhaft sein, inwieweit wir denu berechtigt sind, 
das ganze Großhirn des Vogels mit dem beim Säuger noch erhalteneu 
Teil des Corpus striatum zu aoalogisieren. Die Funktionen des 
«rsteren stehen jedenfalls denen der Säugerriude an Wert durchans 
nicht nach, und wir werden sie denn auch im Vergleich mit diesen 
noch verschiedentlich zu erwähnen haben. 

Wenn wir nun endlich zu den Verrichtungen der Großhirnrinde 
d er Säuger Übergehen können, so dürfen wir auch hier den Zusam- 
menliang mit der Anatomie nicht ganz aus dem Auge verlieren, 
wenngleich wir uns in der Anführung anatomischer Tatsachen auf das 
Unentbehrlichste beschränken. 

Die G roßh fr nhem isphären sind bilateral symmetrisch 
angelegt, wie das ganze Zentralnervensystem. Während jedoch die 
niederen Zentralorgane im wesentlichen die Funktionen der gleich- 
namigen Seite leiten, sind die Beziehungen des (iroßhirns im wesent- 
lichen, wenn auch nicht gauz, gekreuzte. Nur die Rindenverbindungen 
des Riechapparates sind zunächst fast ausschließlich gleichseitige, wenn 
. auch seine beiderseitigen Endstätten durch die Fasern der vorderen 
Kommissur miteinander in Verbindung gesetzt werden. Der Hörapparat 
zeigt eine doppelseitige Vertretung auf der Rinde, da seine Bahnen nicht 
völUg kreuzen. Das gleiche gilt für den optischen Apparat der Säager, 
der mit der Rinde in der Weise verbunden ist, daß Zerstörung einer 
Großhirnhemisphäre nicht Blindheit des gegenüberliegenden Anges. 
sondern Sehstörungen der einander zugeordneten, für das Sehen nach 
der kontralaleralen Seite bestimmten Netzhautteile macht. Am deut- 
lichsten tritt die gekreuzte Wirkung des Großhirns hervor für die 
Inempfangnahme der von der Körperperipherie ausgehenden sensiblen 
und der Auslösung der zu ihr hingeleiteten motorischen Impulse, und 
zwar prägt sie sich in der aufsteigenden Tierreihe in dieser Richtung 
immer mehr aus. Die Einzelheiten müssen ja später noch eingehen- 
der erörtert werden. Hier sei nur das hervorgehoben, daß die Zer- 
störung einer Großhirnhemisphäre beim Kaninchen nur sehr gering- 
fügige, wenn auch auf die kontralaterale Seife beschränkte, Folgen hat, 
während der gleiche Eingriff beim Menschen zu einer fast völligen ge- 
kreuzten Bewegungs- und Erupiindungslähmung führt. In der Reibe 
der Vögel — hier also im wesentlichen auf das Striatum zu beziehen — 
zeigt sich das gleiche. Der Papagei bekommt nach Entfernung einer 
Hemisphäre eme Halbseiteniähmung (Couty, Kalischer), die Taube 
zeigt kaum eine Veränderung ihres Verhaltens'). 

Die beiden Seiten des Großhirns stehen durcb Kommissuren 
in Verbindung, von denen der Balken die wichtigste ist, und die 



t 



lisphäre eraclieint die l^ube auf dem gegenüberliegenden Auge zuDSchnt blüHJ. 
Wird ihr aber duü diu üehende Auge exfltirpiert, bo lernt sie Bear rasch auf dem 
bü jetst blind erechieDenen Auge wieder aeben. Dieser von LnssAi^A und LEitoiai-'E 
ang^ebene Versuch, der eine gleictafieitige Verbindung beweist, gehfirt übrigeng xu 
deu für die oUgemeiue AaffasHung der ErBatzTorgänge im Nerven»y8l«m merkwärdig- 
Bt«n und lehneidisten, die wir kennen. 




BechbtbiDdigktit. 219 

vordere Kommissur bereits genannt war. Die beiden sind direkte 
Kommissuren zwischen den beiden Seiten der Rinde. Es ist jedoch 
möglich, daß auf Umwegen über niedere Zentralorgane weitere Mittel 
&lT die Zusaramenslimmung der beiden Hemisphären gegeben sein 
können. 

Zum ersten Mal beim Menschen tritt nun aber eine Ungleich- 
wertigkeit der beiden Hemisphären, eine Bevorzugung der 
einen auf, welche mit der Rechtshändigkeit zusammenhängt, der 
Tatsache, daß der bei weitem größte Teil der Menschen (mindestens 
96 Proz.) sieb fQr alle überhaupt einseitig auszuführenden Handlungen 
gewöhnlich und mit größerem Geschick des rechten Armes und der 
rechten Hand bedient. Diese Rechtshändigkeit ist ein Besitz, den der 
Mensch in den Sltesten Zeiten seiner Existenz noch nicht besaß, und 
den auch das Kind heute noch erst etwa im 8. Monat des extra- 
uterinen Lebens verrät. Trotzdem ist die Rechtshändigkeit dem Kinde 
als Anlage angeboren, und sie bildet somit einen bemerkenswerten 
Beweis für die Vererbung erworbener Eigenschaften. Es gibt für die 
Rechtshändigkeit keine im Bau des menschlichen Körpers liegende 
Ursache, und es ergibt sich auch aus der Art der auf uns gekom- 
menen Zeichnungen und Gerätschaften vorgeschichtlicher Epochen, 
daß die Linksfaändigkeit damals viel verbreiteter 
war, als heutzutage (Mortillbt). Es scheint ein 
halber Zufall gewesen zu sein, daß der Mensch sich 
im allgemeinen zum Rechtshänder entwickelt hat, 
vielleicht jedoch dadurch unterstützt , daß beim 
Kampfe die linke Seite als die herztragende dem 
Angreifer zweckmäßig abgewandt, und die rechte 
bäim AngrifT exponiert wurde (E. Weber). Daß 
für feinere Verrichtungen überhaupt ein Arm be- 
vorzugt wurde , erscheint ganz selbstverständlich, 
und ebenso bedingte die Nützlichkeit und Not- 
wendigkeit gleicher Gewöhnung {z, B. beim Waffen- 
tragen , beim Mähen u. s. w.) ganz natürlich die 
Bevorzugung des gleichen Armes ' seitens des bei weitem größten 
Teiles des Menschen, so daß, unterstützt durch den langsamen, aber 
unwiderstehlichen Einfluß der Vererbung, die Rechtshändigkeit schon 
in den ältesten historischen Zeiten ein fast allgemeines Besitztum 
der Menschen gewesen zu sein scheint. Was uns nun hier angeht, 
ist, daß sich mit dieser Rechtshändigkeit, entsprechend der gekreuzten 
Vertretung der Körperperipherie im Gehirn, eine „ Linkshirnig- 
keif entwickelt hat, die sich aber nicht darauf beschränkt, daß die 
linke Großhirnhemisphäre in dem Maße mehr arbeitet, als der rechte 
Arm mehr wie der linke. Vielmehr hat die linke Hemisphäre beim 
Menschen Leistungen übernommen, welche durch die Verwendung 
beider Körperhälften zu stände kommen, wie insbesondere die Spracb- 
funktion. Freilich handelt es sich hier nicht mehr um die Auslösung 
roher Bewegungen, sondern um die Zusammenfügung von kompli- 
zierten BewegungskombinatJonen, von Handlungen. Vor allem ist das 
also die Sprache (Kap. XVIII). Libpmann hat jedoch gezeigt, daß 
hierzu nicht nur die Sprachhandlung, sondern auch Handlungen der 
Extremität gehören, so daß jemand, dessen linke Hemisphäre zerstört 
ist, nicht nur auf der rechten gelähmt ist, sondern auch trotz be- 
stehender Bewegungsfähigkeit des linken Arms nuHLhig, mit diesem 




XUl. Einlntende BemerknDgao über die Funktionen des Qroffliinu. 



eine Reihe znBaromengesetzter Handlungen auszufahren, wie etwi J 
Takt zu schlagen, Geld aufzuzählen, eine Fliege zu fangen, einen! 






Fig. 51. Auflenfläche. ^^H 


QUDg der Windungen 


und Furehen von Flg. 51 u. 52. (Nach UsstBrJI 




Windungen: 


GyrüB prorealis. 
Gyr. orbitalia. 




P. Sp. Gyr. poBtspleniallH, 






Gyr. Bubprorea. 




E. L. Gyr. ectolateralis. 


Lob, olfactoriiiB, 




S.ST.P. Gyr. auprasylv. post 
E. SY. M. Gyr. ectosvlv. medius. 


Gyr. UDcioatuB. 




Gyr, Bignioides ant. 




E.SY.P. Gyr. ectosylv. poat. 


Gjr. sigmuidea poaC 




SY.F. Gyr. Bylriacus poel. 


Gyr. coronalis. 




C. P. Gyr. coniposituB poat. 


Gyr. composituB ant 


erior. 


(.1. Gyr. genualt». 


. Gyr. ectoeyh. ant. 




PR.SP, Gyr. praeeplenialis. 


Gyr. sylriHCUs ant. 




Ä. C. Gyr. 8upracÄllo8U8. 
SP. Gyr. BpleuialJB. 


Gyr. suprasplenialiB 






Furche«: 


Sulc prorealis. 




1. Sulc. lateralJB. 


SdIc iupmorbitalis. 
Sole. infraorbitaÜB, 




p. l. Sulc. poHtlal«raUB. 




e. 1. Sulc. ectolHteraÜB. 


Bulf. oliactoriua. 




». ty. p. Bulc. aupraBviT. poat 
t. jry. p. Sulc ectOBylT. poat 


Sulc. rhinalis. 




Sole, interolfactoriu?. 




ro. Sulc roatralia. 


Sulc. praecruciatu«. 




yeii. Bulc genualia. 


Sulc. cruciatUB. 






Sulc. pöBtcrucifltuB. 




1,11. Bulc calloeufl. 






,p. Sulc. splenUIis. 


Sulc. aiuiatus. 




1. -p. Sulc. Bupra*plenialii. 
,.. tp. Sulc. poatspWiallB. 
Je. Sulc. dentatus. 


Sulc ansät, minor. 




Sulc Bupraaylv. ant. 




Bulc BctoBylv. ant. 




re. t. Sulc. recurreuB sup. 


Sulc. sylviacus. 
Suic. rhinali» posL 




1= FIbb. calcanoaT) 




rt. i. Sulc. recurreuB inf. 


Sulc entolateraliB. 




rA. p. Bulc rhinalis poet. 



Rechtehäodiekeit. 



221 



Nasenstüber zu geben (Kap. XX). Die Unfähigkeit des rechtsseitig 
Gelähmten, mit der linken Hand zu schreiben — der Normale kann das 
immer — ist das längst bekannte Beispiel dieser ^Apraxie^ ^). Wie 
sich diese Anknüpfung der Handlung, insbesondere der Sprachhand- 
lung, an die als Ursprungsstätte der Bewegung des rechten Arms 
bevorzugte linke Hemisphäre vollzogen hat, ist so rätselhaft, wie die 
Tatsache sicher ist Ist doch umgekehrt beim „Linkser^ die Sprache 
an die rechte Hemisphäre geknüpft, so daß also für ihn die Schädi- 
gung der rechten Hemisphäre die gleichen Folgen in dieser Hinsicht 
hat, wie die der linken für den -Rechtser". Ja, es ist von. Oppen- 
heim ein Beispiel dafür mitgeteilt worden, daß nicht nur die links- 
händige Anlage, sondern die aus einer Verletzung der rechten Hand 
entspringende Notwendigkeit, von früher Jugend an mit der linken 
Hand zu arbeiten, die Ursache sein kann einer Verlegung der Sprach- 
funktion in die rechte Hemisphäre. Ganz sicher ist auch soviel, daß 



8p» 8. 8p» 



p,8p. 




T€» 8m 



ro. 



Fig. 52. Innenfläche. 



in der Anlage auch die rechte Hemisphäre die Fähigkeiten der 
Sprache und jeglicher Handlung besitzt. Denn diejenigen Menschen, 
die in früher Jugend schon von einer Erkrankung der linken Hemi- 
sphäre befallen wurden, zeigen nur in einer kleinen Minderzahl von 
Fällen und dann nur geringe, Sprachstörungen. Diese kleine Minder- 
zahl könnte man freilich als einen Hinweis auffassen dafür, daß doch 
die rechte Hemisphäre auf dem Wege ist, auch in der Anlage minder- 
wertig zu werden, gegenüber der linken. Anatomische Dififerenzen 
zwischen rechter und linker Hemisphäre sind jedoch noch nicht mit 
Sicherheit aufgedeckt worden. 

1) Die Linkseitigkeit des Sprachzentrume als Folge der Erlernung de» 
Schreibens mit der rechten Hand aufzufassen, halten wir (^egen E. Weber) für 
durchaus ungerechtfertigt. Wir selbst haben Fälle gesehen, die nicht schreiben ge- 
lernt hatten, und doch oei linkseitiger Hirnblutung aphasische Störungen bekamen. 
Die Linkseitigkeit deo Sprachzentrums hängt eben mit der Bechtshändigkeit schlecht- 
hin, nicht im besonderen mit dem rechtshändigen Schreiben, zusammen. 



XIII. MnUätende Bemerkangen Aber die Fnnklionen des (rroShin». 



Soviel für jetzt von dem Unterschied in der Funktion der linkfl] 
und der rechten Hemisphäre, auf den wir bei der Lehre von Uta 
Sprache noch zurückzukommen haben. 

Wir haben uns nun zunächst über die fiestalt der Großhirn-l 
rinde beim Säugetier etwas zu orientieren. Bei den niedersten Vertretern ' 
dieser Klasse umgibt die Hirnrinde nur, wie ein einfacher Mantel, die 
darunterliegenden Hirnteile, an der lateralen Seite gräbt sicli nur eine 
Furche ein, um den Lobus olfactorius von der übrigen Hirnrinde zu 
trennen, eine Furche, die mit der fortschreitenden Entwicklung der 1 
Hirnrinde immer mehr an die Basis gerät. Schon früh bildet siclifl 
ferner die Anlage zur Fissura Sjlvü, die jedoch bei den Säugerol 
wie bei den Nagern nur eben angedeutet ist. Wenn wir Edinqers ■ 
Darstellung folgen, so bildet sie sich, weil das Säugergehirn die 
Tendenz hat, nach allen Richtungen um den festen Funkt auszu- 
wachsen, der in seinem Inneren durch das mächtige Stammganglioa 




Fig. 53. Gehirn der KaUe. 

Fig. 54. Gehirn des Hundes 

gleicbun^ des Umfangee des Stirnhirns. 



Durch eine immer fortschreitende Faltung^) wird nun eine 
gewaltige Oberfiächenentwicklung und Ausbreitung erreicht, und zwar 
entsteht diese Faltung, worauf besonders Meynert hingewiesen hat, 
in parallelen Windungen um die SyLvische Spalte herum, die als 
Urwindungen bezeichnet werden ; inwieweit es gelingt, auch die 
Furchung der höchstentwickelten Gehirne auf diesen „Vierwindungs- 
tjp" zurückzuführen, wie das inabesondere Wernicke auch för das^ 
menschliche Gehirn versucht hat, bleibt unerörlerl. Insbesondere i 
dem frontalen Teile des Gehirnes treten sehr bald tiefgehende Aend0>J 
rnngen auf. 

Flg. öl u. 52 geben die Oberfläche des Hundegehirns '), DerJ 

U L'ebrigeDt« zeiecu selbst die niedersten Affen, die Krallenul'feu. uoch kanai 
cdne ADdeutiiQg von Fiirchune. 

2) Die LANOLEYseben Figiiren dürften für die Orientierung nach den Win- 
dungen and Furchen auch der Figg. 53, 54, 55 genügen. 





f< 



AnatomiBche Vorbemerkungen. 



223 



ürwindungstyp ist noch sehr deutlich, doch aber besonders frontal 
verwischt durch das Auftreten der Fissura supraorbitalis und cruciata, 
um welche letztere der physiologisch sehr wichtige Gyrus sigmoideus 
herumläuft. Zu bemerken ist, daß der Gyrus cruciatus nicht sicher 
mit der Zentralfurche der höchsten Säuger zu analogisieren ist. Schon 
an diesen niederen Gehirnen sind wir gewöhnt, einen Scheitellappen, 
Stirnlappen, Schläfenlappen und Occipitallappen zu unterscheiden, 
wenngleich scharfe Abgrenzungen kaum gegeben werden können. Es 
ist auffallend, daß der vor dem Gyrus sigmoideus gelegene Stirnlappen 
im engeren Sinne in seiner Ausdehnung und Masse derart schwankt, 
daß z. B. der des Hundes den der Katze sehr erheblich übertrifPt 
(vergl. Fig. 53 u. 54). 

Sehr instruktiv in seiner schematischen Einfachheit als üeber- 
gang zum menschlichen Gehirn ist das eines niederen Affen (Fig. 56). 





Fig. 55. Großhirn der Ziege. Fig. 56. Großhirn des Affen (Macacus). 

Vor allem tritt der Scheitellappen in seiner Abtrennung durch die 
RoLANDOSche Furche und die scharfe Begrenzung des Hinterhaupt- 
lappens nach vorn durch die Affenspalte hervor. * 

In Fig. 57 u. 58 geben wir nach v. Monakow schematische Dar- 
stellungen der Furchung des Menschengehirns. Auf der Lateral- 
ansicht rechnen wir die Zentralfurche als die Grenze zwischen Stirn- und 
Scheitellappen. Der erstere besteht also aus der vorderen Zentral- 
windung und den drei senkrecht zu dieser verlaufenden Stirnwin- 
dungen. Der Scheitellappen wird hinter der hinteren Zentralwindung 
durch den Sulcus interparietalis in das obere und das untere Scheitel- 
läppchen geteilt. Das letztere wird in die die Fissura Sylvii um- 
kreisende Marginalwindung und die Angularwindung (Pli courbe) ge- 
teilt. Die Abgrenzung des Scheitellappens nach dem Schläfenlappen 
zu ist eine ganz unscharfe. Die erste Schläfen Windung geht in den 



Xin. ßnldtende BemerkungeD üb«a' die FnnkttoDoi de« OroSbin». 



Gyrns supramarginalis uod die zweite in den Gyrus angularis Ober. 
Die dritte ScbläienwiQduDg kann mit dem Gyrus hippocampi ver- 
schmolzen sein. 




Individuelle Differenzen. 225 



Die Abgrenzung des Scbläfenlappens gegen den Occipitallappen 
geschieht durch die untere Occipitotemporalfurche. 

In der Tiefe der SYLVischen Furche liegen die Inselwindungen. 

An der medialen Fläche des Gehirns sehen wir, den Balken ver- 
folgend, den Gyrus fornicatus, der in den dem Schläfenlappen zuge- 
hörigen Gyrus hippocampi übergeht. Ueber der Callosomarginalfurche 
und dem schmalen vorderen Teil des Gyrus fornicatus liegt das 
mediale Verbindungsstück der beiden Zentralwindungen, der Lobulus 
paracentralis, dahinter der Praecuneus, gegen den Occipitallappen durch 
die Parietooccipitalfurche begrenzt. 

Mit dieser vereinigt sich spitzwinklig die Hauptfurche des die 
Hinterhauptspitze ausfüllenden Occipitallappens, die Fiss. calcarina, so 
daß zwischen diesen beiden ein keilförmiges Stück Rinde, der Cuneus, 
herausgeschnitten wird. 

Diese Andeutungen müssen genügen, um die späteren Angaben 
über die Lokalisation der Funktionen einigermaßen verständlich zu 
machen. Der Sinn dieser fortschreitenden Komplikation der Hirn- 
gestalt, deren Windungen und Furchungen ist ja der der Vermehrung 
der Oberfläche, die sich auch in der immer weiter fortschreitenden 
Ausdehnung des Großhirns besonders nach hinten zu kundgibt, derart, 
daß beim Menschen das Kleinhirn ganz vom Großhirn überlagert 
wird. Kein Zweifel, daß dieser Vermehrung der Großhirn Oberfläche 
eine Steigerung seiner Leistungen in der aufsteigenden Tierreihe ent- 
spricht. 

Man hat sich die Frage vorgelegt, ob nicht innerhalb einer Tier- 
species, beim Menschen, aus der Entwicklung des Großhirns ein 
Schluß auf die Begabung seines Trägers gezogen werden könnte. 
Man hat dabei früher hauptsächlich das Hirngewicht im Auge gehabt, 
das nach Ziehen im Mittel für den Europäer 1353 g, für die Euro- 
päerin 1226 g beträgt. Schon aus dieser Differenz hat man auf mindere 
geistige Fähigkeiten des Weibes schließen wollen. Wenn auch nicht, 
wie schon Sömmering wußte, das relative Hirngewicht — das Ver- 
hältnis des Hirngewichtes zum Körpergewicht — beim Weib größer 
wäre als beim Mann, so bliebe gegen den erwähnten Schluß immer 
noch der hübsche Einwand bestehen, daß es beim Weibe mehr auf 
die Qualität, beim Manne mehr auf die Quantität ankomme. Denn 
wenn auch die Gehirne hervorragender Männer im allgemeinen das 
Mittel überragen, so ist das doch nicht immer der Fall, und auch die 
Gehirne von Männern, die sich wenigstens nicht durch besondere 
Leistungen hervorgetan hatten, haben schon 2000 g und darüber ge- 
wogen. Solange andererseits der größte Teil der Menschheit, durch 
die sozialen Verhältnisse an den Karren der täglichen Handarbeit 
gebunden, verhindert ist, seine Fähigkeiten zu entwickeln, kann auch 
angenommen werden, daß ein Teil jener unbekannten Leute mit sehr 
schwerem Gehirn in der Anlage Genies und große Talente waren. 
Mit der Beurteilung des Windungsreichtums der Gehirne hervor- 
ragender Männer steht es wohl nicht anders als mit dem Gewicht. 

Die Ueberzeugung von der überwiegenden Wichtigkeit der 
grauen Rinde, insbesondere für die psychischen Vor- 
gänge, ist heute fast populär geworden. Die psychischen Prozesse 
wurden jedoch noch vor ungefähr 100 Jahren mit den Ventrikeln und 
ihrem Inhalt in einen mystischen Zusammenhang gebracht, die graue 
Rinde als ein gefäßreiches Sekretionsorgan oder als ein Schutzmantel für 

Lewandowsky, Funktionen d. zentralen Nervensystems. 15 



XilT. Emldteode Bemakunfiiai Aber die Funktionell des Grofihini«. 



die weiße angeBeben. Die Bedeutung der grauen Rinde erkanut und I 
mit Schärfe nusgesprocben zu haben, ist unzweifelhaft das Verdienst von 
F. J. Gall. Galls Charakterbild schwanlit wie selten eines in der Ge- 
schichte, früher war es Gebrauch, ihn als Charlatan zu verlästern, jetzt 
wird er von einigen über Gebühr gelobt und verteidigt. Seine Verdienste * 
um die Hirnauatoniie sind unbestreitbar. Selbst Flocflbns, seiaa 
Gegner in Sachen der Lokalisation, bekannte doch, es wäre ihm ge-1 
wesen, als sehe er ein Gehirn zum ersten Mal, da Gall es demon- " 
Btricrte. Nur ein Mann genialer Intuition konnte es am Anfang des 
19. Jahrhunderts auszusprechen wagen, wofür wir erst heute anfangen 
die auafUbrlicben Beweise zu sammeln, dali alle Geisteskrankheiten 
solche der grauen Rinde sind. 

Der Name Galls tritt uns sogleich wieder entgegen, wenn wirj 
uns der Lehre von der Lokalisation auf der Rinde zuwenden.* 
Daß es eine solche Lokalisation gibt, das ist heute entschieden. Diel 
Frage ist nun erstens, was, welche Funktionen zu lokalisieren sind^n 
und zweitens, nach welchen Prinzipien bei der Lokalisation verfaltrenfl 
werden soll; wenden wir uns zuerst dem zweiten Punkte zu. 

Gall versuchte eine solche Lokalisation an der äußeren Fori, 
des Schädels zu erkennen, und schuf somit das Verfahren, welches baldj 
als Phrenologie mit Recht berüchtigt wurde. Trotzdem liegt ihn 
ein richtiger Gedanke zu Grunde, nämlich die Voraussetzung, daü sich^ 
an der äußeren Scbädelform die Gestalt des Gehirns bis zu einem 
gewissen Grade auspräge, neben dem vielleicht gleichfalls richtigen, 
daß spezifische Eigenschaften ihren Ausdruck finden müßten in der 
besonderen Entwicklung eines Gehirnteiles. Nur daß Gall in sehr 
kritikloser Weise zufällige Beobachtungen verallgemeinerte, und vor 
allem Dinge lokalisieren wollte, die als äußerst komplexe Eigenschaften 
der menschlichen Seele anzusprechen sind, wie das Wohlwollen, die 
Kinderliebe u. a. Bald hatte so jede Gegend des Gehirnes, vielmehr 
des Schädels ihr besonderes Organ. Ob sich nicht doch einige dieser 
Provinzen, insbesondere solche, deren Funktionen in engerem Zu- 
sammenhang mit gewissen ursprünglichen Sinnesfunktionen zu 
stehen scheinen, wie der Musiksinn, der im Schläfenlappen, ja vielleicht 
auch der mathematische Sinn, der durch eine besondere Entwickelung 
des Ueberganges von zweiter und dritter Stirnwindung ausgezeichnet 
wäre, halten lassen, mag nach den Ausführungen von MöBitis, der eine 
Ehrenrettung Galls versucht hat, immerhin als möglich bezeichnet 
werden. Aber leider fehlt auch den Ausführungen von Möbius die breite 
wissenschaftliche Grundlage, auch seine Schlüsse eilen den Beobach- 
tungen voraus. Ein ungeheures Material wird erst noch gesammelt 
werden müssen, in der Weise von Wagner, Retzius, Hansemann u. A^, 
vor allem die Gehirne bedeutender, aber auch und vor allem unbe- 
deutender Männer und Frauen beschrieben und abgebildet werden 
mQssen, ehe wir auch nur zu der Wahrscheinlichkeit einer Lokalisation 
gewisser Eigenschaften durch Vergleichung besonderer individueller 
Begabungen mit der Gestaltung einzelner Hirnteile kommen werdan« < 
Dann erst würde sich auch der GALLSche Gedanke der Beziehung i 
Gehirn und Schädelform fruchtbar erweisen können. Für jetzt ist n 
ihm für die wissenschaftliche Lokalisationslehre noch kaum etwi 
anzufangen. 

Bleiben wir zunächst bei den anatomischen Lokalisatiom^'l 
Prinzipien, so hat man sich natürlich die Frage vorgelegt, ob niobtj 





Gall. Flechsig. 227 



eine natürliche Scheidung funktionell verschiedener Rindengebiete in 
den durch die Furchen getrennten Windungen gegeben sei. Es ist 
kein Zweifel, daß der weitaus größten Anzahl von Furchen eine solche 
Bedeutung nicht zukommt, es ist ferner sichergestellt, daß bedeutungs- 
volle Aenderungen der Schichtengestaltung der Rinde mitten auf der 
Höhe eines Gyrus auftreten können. Immerhin sind es doch einige 
Furchen und ganz besonders die Zentralfurche der höheren Säuger 
und der Menschen, denen, wie später ersichtlich werden wird, nicht 
nur eine morphologische, sondern auch die Bedeutung einer funktio- 
nellen Scheidung zukommt. Die Deutung dieses Zusammenhanges 
ist schwierig und muß der Morphologie überlassen bleiben. Sicher- 
lich ist es aber ein seltenes Ereignis. 

Auch in der FLECHSiGschen Lehre von der Bedeutung der 
Myelogenese beansprucht die anatomische Forschung, die Physio- 
logie und die Lehre von den Funktionen zu führen. Mit welchem 
Recht? das ist der Gegenstand langer und verwickelter Diskussionen 
gewesen. Schälen wir hier nur das wesentlichste aus ihnen heraus, 
so beruht die FLECHSiosche Lehre zunächst auf der Tatsache, daß 
sich die Zufuhr- und Abfuhrsysteme verschiedener Felder der Groß- 
hirnrinde zu verschiedenen Zeiten mit Mark umhüllen. Daran ist 
kein Zweifel. Selbst bei der Geburt sind noch eine große Anzahl 
von Fasern, beim Menschen fast noch der ganze Hirnschenkelfuß, 
marklos. Flechsig behauptet weiter, daß die scharfe anatomische 
Umgrenzung der durch die verschiedenzeitige Umhüllung der Achsen- 
cylinder mit Mark geschaffenen Felder möglich sei. Erster Zweifel! 
Es scheint insbesondere aus den Arbeiten von Siemerling und den 
möglichst objektiven Abbildungen von C. und 0. Vogt hervorzugehen, 
daß der Uebergang der frühmarkreifen in die spätmarkreifen Gebiete 
ein so allmählicher ist, daß eine scharfe Felderung ganz undurch- 
führbar ist. Flechsig selbst hat diesen Einwänden Rechnung ge- 
tragen, indem er zwischen Primordialgebieten und Terminalgebieten 
Intermediärgebiete einschob. Prinzipiell glaubt er bei seiner ersten 
Meinung beharren zu sollen. Flechsig behauptet weiter, die Myelo- 
genese habe eine physiologische Bedeutung. Im allgemeinen ist 
darüber kein Zweifel, aber wir erinnern uns der Schwierigkeit und 
Unzulänglichkeit der Theorien, welche über die Bedeutung des Marks 
bestehen (S. 12). Schon die Grundfrage, ob die Markumhüllung — 
natürlich nur bei einer überhaupt markhaltig werdenden Nervenfaser, 
denn es gibt ja auch marklose — zur Funktion unentbehrlich sei, 
kann nicht mit Sicherheit beantwortet werden, und ist nach den Er- 
fahrungen an menschlichem pathologischen Material (Leitungsfähig- 
keit von markberaubten Achsencylindern bei multipler Sklerose) durch- 
aus nicht sicher mit „Ja^' zu beantworten. Flechsig nimmt weiter 
an, daß die Markurahüllung der Faser geschähe in der Richtung ihrer 
Funktion, bei zentripetal leitenden Fasern zentripetal, bei zentrifugal 
leitenden zentrifugal, immer also von der Zelle weg. Diese Behaup- 
tung ist widerlegt. Sowohl am peripheren Nerven (A. Westphal), wie 
an der zentralen Bahn (Vogt) ist eine unregelmäßige Markumhüllung 
beobachtet. Hauptvoraussetzung Flechsigs : das myelogenetische 
Grundgesetz: Die gleichwertigen , systematisch einheitlichen 
Fasern umhüllen sich annähernd zu gleicher Zeit, also haben wir 
in den myelogenetischen Feldern zugleich den Ausdruck einer 
funktionellen Einheitlichkeit zu sehen. Der Beweis fehlt. Nach 

15* 




T. UONAKOW sollen Faktoren der Vaskularisation mitspielen, nach 
C, und 0. VoQT das Faserkaliber. Am Großhirn selbst das Flechsiq- 
sche Gesetz an der Hand einer auf eigenen FQQen stehenden funk- 
tionellen Lokalisationslehre zu prüfen, scheint bei dem heutigen Stand 
unserer Kenntnisse überhaupt noch nicht ganz möglich. Sehr viel 
näher liegt es, hierzu tiefere Zentralteile, an denen die Ummarkung 
auch nicht gleichzeitig, sondern successive erfolgt, einer Prüfung zu 
unterwerfen. Hier scheinen uns insbesondere die von Flechsig an- 
gegebenen Differenzen in der Entwicklung der Hinterstränge einen 
Fingerzeig dafür abzugeben, daß die Reihenfolge der Ummarkung 
jedenfalls nicht nur systematische Bedeutung hat, sondern daß wahr- 
scheinlich die den Vorderextremitäten zugehörigen Fasern sich zu 
anderer Zeit entwickeln, als die ihnen doch systematisch gleich- 
wertigen der hinteren. Jedenfalls kann dieses FLECHSiGsche Gesetz 
nur als unbewiesen bezeichnet werden. 

Von Meyneet stammt die Unterscheidung der Großhirnfaser ung in 
Projektionssjsteme und Associationssysteme. Projektions- 
systeme sind solche, die die Großhirnrinde mit niederen Zeutralteilen, 
sei es auf zentrifugalem, sei es auf zentripetalem Wege in Verbindung, 
Associationsfasern solche, welche Oertlicbkeiten der Rinde selbst mit 
einander in Beziehung setzen. Daß ein großer Teil der Großbirn- 
faserung Association sfaaerung ist, unterliegt keinem Zweifei; Fasern 
zwischen benachbarten Windungen (Fibrae arcuatac) kann man un- 
mittelbar verfolgen. Die Associationsuatur der Kommissurenfaseru, 
insbesondere des Balkens, ist gar nicht zu bestreiten. Als Associations- 
systeme, welche entferntere Teile der Großhirnrinde der gleichen 
Seite verbinden, galten hauptsächlich das Cingulum, der P'asciculus 
arcuatus. welcher oberhalb der Großhirnganglien vom Stirn- zum 
Hinterhauptlappen verläuft, der Fase, unctnatus, der von der unteren 
Stirnwindung um die Fiss. Sylvii zur Spitze des Schläfenlappens zieht, 
endlich der Fase, longitudinalis inferior, welcher, die untere Wand des 
Unter - und Hinferhorns bildend, den Hinterhauptlappen mit dem 
Schläfen läppen verbindet. Es wird durch die neueren Forschungen 
(Probsts u. A.) immer zweifelhafter, ob diese Bündel wirklich auch 
nur in der Hauptsache Associationssysteme darstellen, oder ob in 
ihnen nicht im wesentlichen Projektion-sfasern oder doch wenigstens 
Projektions- und Associationsfasern gemischt verlaufen. Es scheint 
in der Tat, als wenn die Associationsfasern mehr diffus im Großhirn- 
mark verteilt wären. Die prinzipielle Bedeutung der MEYNERTschen 
Unterscheidung sowohl in anatomischer, wie funktioneller Beziehung 
wird dadurch natürlich nicht berührt. 

Auf dieser MEYNERTschen Lehre weiterbauend hat nun aber 
Flechbig behauptet, daß seine spätmarkreifen Gebiete der 
P rojektionsfaserun g entbehren, also nur Associations- 
oder Binnenfelder darstellen. In ihnen sieht er dann vor- 
zugsweise die Organe der associierten Gedächtnisspuren, sowie aller 
komplizierten Associationen, sie haben insbesondere Beziehungen zu 
den höhereu geistigen Leistungen, während die Stab krau zfelder vor- 
zugsweise der Üebermittelung von Impulsen zur Peripherie und der 
Inempfangnahme von solchen aus der Peripherie, also niederen 
Leistungen dienen. So greift denn dieser letzte und populärste Teil 
der FLECHSiGschen Lehre ein nicht nur in die Physiologie, son- 
dern bereits in die Psychologie, indem durch ihn insbesondere 



1 




Aneociationszeiitren. 229 

der LokalisatiOD der höheren psychischen LetstuDgen 
ein Weg gewiesen werden soll. Es ist dieser Teil jedoch bisher 
noch von keinem anderen Hirnanatomen, wedßr von v. Monakow, 
noch von Dejerine, noch von Vogt anerkannt oder durch die Er- 
gebnisse der Degenerationsmethoden nach Zerstörung einzelner Rinden- 
lelder bestätigt worden, Sie alle behaupten, daß ein jeder Teil der 
Rinde nicht nur mit Association sfasern, sondern auch mit Projektions- 
fasern versehen sei, daß, so lange die Rinde noch marklose Gebiete 
hätte, auch im Stahkranz noch solche nachzuweisen wären. Nur fflr 
die Insel, von der schon Schnoffhagen das Fehlen des Stabkranzes 
behauptete, ist ein solcher wohl noch nicht mit Sicherheit uachge- 
wieseq. Zugeben darf man auch wohl, daß einzelne Gebiete reich- 
licher mit Stabkranzfasern versorgt sind, als andere, insbesondere da, 
wo reichliche zentrifugale Stabkranzfasern abgehen, wie in der 
Zentralregion, während solche anderen Teilen der Riade gänzlich 
fehlen. Funktionelle Differenzen ergäben sich ans der anatomischen 
Betrachtung der Myelogenese nicht mit Sicherheit, sicherlich nicht in 




dn Hirnechenkelfuß«« uaeh v. Monakow. 



dem Sinne einer Lokalisierungsmöglichkeit hCherer psychischer Funk- 
tionen. Das hat, soweit das experimentell überhaupt nachgewiesen 
werden konnte, auch H. Munk durch die Exstirpation der Flechsig- 
scben Binnenzentren beim Affen bestätigt 

Eine Aufgabe aber hat die Anatomie schon seit langer Zeit in An- 
griff genommen und wird sie sicherlich einmal völlig zur I^snng bringen, 
nämlich dietopographischeBestimmung der den einzelnen 
Projektionssystemen zugehörigen Felder, durch die Ver- 
folgung der normalen Faserung sowohl, wie namentlich der nach zirkum- 
skripten Verletzungen des Gehirns eintretenden Degenerationen. Es 
war ja bereits gesagt worden, daß die Bahnen der einzelnen Sinne im 
Thalamns nicht sich vermischen, sondern in abgegrenzten Kernen 
endigen. Wenn wir also von dem Kern aus, in dem die Opticusfasern 
endigen, die Fasern zur Rinde verfolgen, so wird das Gebiet, in dem sie 
hier endigen, in der engsten Beziehung zum Gesichtssinn stehen. Der 
umgekehrte Weg kann zu demselben Ziele fflhren, indem wir uns der 



230 ^TL Einleitende BemerknngeD Übf<t die FnoIctiODen äee Grofihinu. 



retrograden Degeneration der Fasern oder der Zellen in den Kernen 
des Thalamus nach Verletzung der Rinde bedienen. Die auf diese 
Weise insbesondere von v. Monakow erzielten Ergebnisse übertreffen 
jedoch an Scliärfe die Resultate der funktionellen Methoden noch nicht; 
auch kann man gegen sie einwenden, daß durch Associationsfasern 
das Gebiet etwa der dem Sehen dienenden Rinde über diejenigen 
Grenzen hinaus erweitert werden kann, welche etwa durch die Ver- 
folgung der Bahnen vom Corp. genic. externum und vom Pulvinar 
aus gegeben wären: aber schon mit der genauen Abgrenzung da 
direkten Projektioiisfelder durch die Degenerationsmethode wäre eij 
großer Fortschritt erreicht. 

Zu bemerkenswerten Resultaten über die Lokalisation der cerebro- 
fugalen Bahnen anf der Rinde kommen wir, wenn wir die — wenn 
auch nicht allgemein geteilte — Voraussetzung, auf die wir noch 
später zurückkommen, machen, daß die Bahnen zwischen Tha- 
lamus und Rinde ausschließlich corticopetal leiten, und daß die 
corticofugalen Impulse sämtlich durch den Hirnschenkelfnß gehen. 
Dann ergibt sich, daß der Teil der Hirnrinde, welcher direkte Impulse 
an die Peripherie abgeben kann, ein nur beschränkter ist (Fig. 59), und 
daß große Strecken der Großhirnoberfläche, wie der öccipitallappen, nnr 
durch Associationsfasern einen solchen corticofugalen Einfluß vermitteln 
können, ein immerhin auch fQr die Physiologie nicht außer acht zi 
lassender Hinweis. 

Unter Verzicht auf die Herleitung der Funktion aus dem 
toniischen Zusammenhang hat sich die Anatomie nun noch bemüht, 
dem Studium des Baues der Hirnrinde Gesichtspunkte für eine 
Lokalisation herzuleiten. Es ist insbesondere durch die Untersuchungen 
Hammarbbrgs ans Licht gestellt worden, was für einzelne Himteile, 
wie die Ammonsformation. schon früher nicht ganz unbekannt war» 
daß der Schiclitenbau der Großhirnrinde durchaus nicht über deren 
ganze Ausdehnung absolut der gleiche ist. Freilich ist nach Brod- 
HAKN die Schichtung der Großhirnrinde nach Untersuchungen 
menschlichen Embryo überall auf einen einheitlichen und zwar 
eiuen Tj-jms von 6 Schichten zuröekzufilhren, die er benennt als 

1) Lamina zonalis ;= Molekularschicht der Auloren, 

2) Lamina granuiaris externa = äußere Körnerschicht, 

3) Lamina pyramidalis = Schichten der mittleren und großettl 
Pyramiden, 

4} Lamina granuiaris interna = innere Körnerschicht, 

5) Lamina ganglionaris = tiefe große Pyraraiden-Ganglienschicht, 

6) Lamina multiforniis = polymorphe oder Spindelzellenschicbt. 
Die Hirnrinde niederer Tiere zeigt weniger Schichten. 

Die Differenzen, welche sich zwischen Abschnitten der Rinde 
feststellen lassen, lassen sich denn im wesentlichen auch nur als eine 
Verschiebung in der Mächtigkeit dieser einzelnen 
Schichten auffassen. So zeigt die vordere Zentralwindung ein 
Fehlen der inneren Körnerschicht, wogegen der sogenannte Calcarina- 
typus in der Umgebung der gleichnamigen Furche eine Teilung der 
inneren Körnerschicht in zwei aufweist (Bolton). Zwischen diese 
beiden Unterschichten schiebt sich dann der als Vicq D'AzTRSchi. 
Streifen lange bekannte Markstreifen ein. Ferner findeu sich an eia- 



lar^ 
)i^H 



nem 



D- 
eit^l 




DifferenzeD im Bau der Rinde. 231 

zelnen StelIeD der Großhirnrinde besonders große Elemente eiouelner 
Schichten, wie vor allein die von Betz entdeckten Ciesenpyramiden- 
zellen der vorderen Zentralwindung. 

Diese Differenz im Schichtenban hat zur Folge, daß der Quer- 
schnitt der Rinde verschiedener Windungen sehr verschieden aus- 
sehen kann. Der Typus kann sich plötzlich ändern (z. B. der Calcarina* 
typus) oder allmählich in einen anderen übergehen. Die Grenze zwischen 
zwei Typen kann, wie insbesondere zwischen der vorderen und der 
hinteren Zentralwin düng, in der Tiefe der trennenden Furche liegen, 
oder kann auch auf der Höhe einer Windung eintreten (Fig. 60). Wenn 
wir anatomisch gleichartigen Elementen auch eine gleichartige Funktion 



yj?m^.^ 




Fi)!. 60. Querschnitt durch die Kitide cle» ('uncus vom 8-ntoniitlichen Fötus 
nach Brodhan.v. l'ebcrgang t\e^ Calctirinatypuit in den .Vnchluirtypu'' Iwi f. 

zuerkennen wollen, so folgt aus der Betrachtung der Sdiiclitengliede- 
rung, daß mindestens ein grußer Teil der Rindeufunktioneu sich über 
die ganze Rinde verteilt uml nur nach Maßgabe der Entwicklung 
der eiuzelneu Schichten rogioniir ver.'^chleden stark entwickelt ist. 
Es scheint insbesondere, daß sich die Verarbeitung der von ver- 
schiedenen Sinnesorganttii , wie etwa dem Ohr und dem Auge, an- 
langenden Impulse doch in gleichartigen anattiTnisclien Elementen und 
also auch in gleicher Weise vollziuiit. Wenn in einem Teil des sicher- 
lich für das Sehen bestimmten Rindeuabschnitte.s, der Cjilcarinarinde, 
die Elemente einer Schicht sich durch deren Teilung an Zahl vor- 
doppeln, so hat ein solches Vorhalten nur eine quantitative Bedeutung, 



2X'2 Xlll. EUnleiUnde Bemerk nnfren fiber die Funktionen des OroShirn«. 

nicht eine prinzipielle, welche etwa zur Aufstellung eines funktionellen 
Zentrums berechtigen würde. Ebensowenig nehmen wir im Rficken- 
mark ein anderes Zentrum da an, wo in den Anschwellungen etwa 
die Zahl der Vorderhornzellen ansteigt, sondern im physiologischen 
Sinne ist die gesamte Vordersäule des Rückenmarks als eine syste- 
matische Einheit zu betrachten. 

Unterstützung der Physiologie kann die Anatomie nur bringen, 
wenn sie die Ausbreitung eines Zellentypus feststellt, wie das beim 



(4 ^ 



i-M^L^fl^SJj-l fc" 



Fig. 61. a Quenclmitt aua des vorderen, b auB der hinteren Zentral windung 
nach Brodma:mk'. In der Hefe von a die Bieeeopyramidenzellen. 

niederen Tier Kolmer für den motorischen Typ Nibsls versucht hat. 
Das ist freilich nicht so leicht, insbesondere ist die Frage zu erledigen, 
inwieweit Größenunterschiede der Zellen schon auf eine verschiedene 
Funktion deuten, ob also z. B. die BETzscben Riesenpyramidenzellen 
sich Uirem inneren Bau nach so von den anderen Fyramidenzellen 
unterscheiden, daß wir sie als funktionell verschiedenen Typ auf&ssen 



DifferenseD im Bau der Binde. Schlaf. 233 



dflrfen ^). Aber selbst in dem Falle der Bejahung dieser Frage dürfen 
wir den Bezirk, in welchem die besonderen Zellen, also etwa die 
Eiesenpyramidenzellen, vorkommen, nicht als ein besonderes Zentrum 
den übrigen Teilen der Rinde entgegensetzen. Es würde nur folgen, 
daß die Rinde in dem betreffenden Bezirk eine Funktion mehr hat, 
als überall anders, genau wie das Rückenmark in demjenigen Bereiche, 
in dem es Sympathicusursprungszellen enthält, eine Funktion mehr hat, 
als da, wo das nicht der Fall ist. Kein Anatom denkt aber daran, den 
betreifenden Teil des Rückenmarks als Ganzes den übrigen als ein be- 
sonderes Zentrum entgegenzusetzen. Es ist ferner sehr bemerkenswert, 
daß einzelne Schichten an einzelnen Stellen fehlen. Vorausgesetzt, daß 
wir die Funktion dieser Stellen vorher ermittelt haben, wird uns dies 
für die Bestimmung der Funktion der einzelnen Schicht sehr wertvoll 
sein. Aber seit wann bestimmt man ein Zentrum aus dem Fehlen 
eines anatomischen Elements? Die Anatomie überschreitet eben 
wieder einmal ihre Befugnisse, wenn sie glaubt, physiologische Zentren 
feststellen zu können. Ihre Einheit ist der Kern oder in der Groß- 
hirnrinde die Schicht, deren Ausdehnung sie zu bestimmen hat. Schön 
wäre es, wenn wir wüßten, welche Funktionen im Getriebe des Ganzen 
die einzelne Schicht hat. Da wir wissen, daß die vordere Zentral- 
windung besonders motorisch, die Calcarinarinde besonders sensorisch 
tätig ist, so möchte man fast annehmen, daß die Entwicklung der 
Pyramiden zur motorischen, die der Körner zu gewissen sensorischen 
Funktionen in besonderer Beziehung steht. Die Anatomie kann aber 
jedenfalls nicht mehr leisten, als uns vor dieses Problem zu stellen, 
und uns durch den Nachweis der im wesentlichen überall gleichartigen 
Schichtung zu belehren, daß die meisten Funktionen der Rinde über 
sie gleichmäßig verteilt sind, daß die verschiedenen Sinne etwa sich 
so wenig durch verschiedene Zellen oder verschiedenen Schichtenbau 
charakterisieren, wie etwa die verschiedenen Extremitäten untereinander 
durch einen systematisch-anatomisch verschiedenen Bau des Rücken- 
marks. So müssen wir denn, genau wie beim Rückenmark, die Lokali- 
sation auf der Großhirnrinde dem Experiment und der klinischen Be- 
obachtung überlassen. 

In diesem einleitenden Kapitel wäre wohl noch endlich der Platz, 
um etwas über die Physiologie der Schlafes zu sagen, wenn etwas 
darüber gesagt werden könnte. Die Ursache des Schlafes hat man 
bisher nicht ergründet, und sich auch zum Teil dabei auf ganz falscher 
Fährte befunden, wenn man z. B. den Eintritt des Schlafes von einer 
Anämie oder Hyperämie des Gehirnes abhängig machen wollte. Nach 
den neueren Untersuchungen scheint es, daß jedenfalls keine Anämie 
des Gehirns beim Schlafe besteht. Aber es ist von vornherein klar, 
daß der Wechsel zwischen Schlaf und Wachen eines jener unerklär- 
lichen Phänomene der biologischen Rhythmik ist, sicherlich auf Eigen- 
schaften der Gehirn Substanz selbst beruht, nicht erst sekundär von 
zirkulatorischen Einflüssen abhängig sein kann. Geradezu lächerlich aber 
ist es, den Schlaf von amöboiden Bewegungen der Protoplasmafortsätze 



1) Die Zellen sind hier nur nl» histolo^iBch am besten faßbare Eepräfientanten 
des Himbaues genommen worden. Die Differenzen in dem Markfasergehalt der 
Rinde sind für die funktionelle Lokalisierung noch weit weniger brauchbar, nicht 
mehr auch bi« auf weiteres die Differenzen in der Ausbildung des intercellulären 
nervösen Graus NissLs. 



234 XIII. Einleitende Bemerkungen über die Funktionen des Grofihims. 



abhängig machen zu wollen. Die Schilderung des Bewußtseinzustandes, 
den wir Schlaf nennen, gehört der Psychologie, ja die Erscheinungen des 
Traumes sind nur in Zusammenhang mit der Psychiatrie — soweit 
überhaupt — verständlich zu machen. Das gleiche gilt natürlich auch 
für die Hypnose. Zu bemerken ist hier nur, daß die Erscheinungen 
der sogenannten tierischen Hypnose, welche darin besteht, daß 
in einer Stellung gehaltene Tiere in dieser verharren, wie Verworn 
gezeigt hat, nur sehr entfernt etwas mit der Hypnose des Menschen 
zu tun haben. Diese tierische Hypnose kommt, wie Heubel zeigte, 
auch nach Entfernung des Großhirns noch zu stände und gehört nach 
Verworns Erklärung in die Gruppe der tonischen Reflexe. Die Tiere 
erstarren gewissermaßen in einem reflektorischen Versuche, ihre 
Normalhaltung wiederzugewinnen. 



XIV. Kapitel. 

Die Reizung der Großhirnrinde. Der epileptische Krampf 

Die Entdeckung der elektrischen Erregbarkeit war nicht der erste 
Schritt zur Lokalisation der Funktionen der Hirnrinde. Dieser war 
vielmehr die Entdeckung des Sprachzentrums durch Brooa. Aber 
die Arbeit von Fritsch und Hitzig aus dem Jahre 1870 war ent- 
scheidend für die Durchsetzung der Lokalisationslehre. Denn sie 
machte der noch immer herrschenden FLOURENSschen Lehre von der 
Gleichwertigkeit der Teile des Großhirns ein Ende, indem sie fest- 
stellte, daß gewissen Hirnteilen Eigenschaften zukommen, die anderen 
fehlen, nämlich die Fähigkeit, auf künstliche Reize hin Bewegungen 
der Glieder auszulösen. 

Diese Fähigkeit war aber überhaupt bis dahin unbekannt und 
durch das übereinstimmende Urteil aller Physiologen bestritten. Die 
Erklärung für diese negativen Resultate der früheren Autoren kann 
nur darin gesucht werden, daß sie nicht die geeigneten Stellen fanden 
oder aufsuchten, was um so leichter geschehen konnte, als sie sich, 
wie Flourens, an Tierarten wandten, welche, wie die Vögel, eine 
reizbare Zone von nur sehr beschränkter Ausdehnung besitzen. So 
war denn — abgesehen von dem Nachweis örtlicher Verschieden- 
heiten in den Verrichtungen der Großhirnrinde — durch die Ver- 
suche von Fritsch und Hitzig zum ersten Mal die Reizmethode 
als Mittel zur Prüfung der Verrichtungen des Großhirns mit Erfolg 
eingeführt. Sehen wir sie zunächst nur in diesem einen und allge- 
meinen Betrachte, so ist der elektrische Reiz, den wir im allge- 
meinen bei diesen Versuchen anzuwenden gewohnt sind, nur der 
handlichste und leichtest lokalisierbare. Wirksam ist jedoch auch der 
mechanische Reiz, die Einwirkung chemisch diflFerenter Substanzen, 
ferner auch Aenderungen des osmotischen Gleichgewichtes der Hirn- 
rinde durch Eintrocknung oder durch Wasserentziehung mittels hyper- 
tonischer Salzlösungen. Auch jene Kombination von Reizen, welche 
der Entzündungsprozeß in sich schließt, ist wirksam. Einen Vorteil 
in Bezug auf die allgemeine Erforschung der von der Hirnrinde auszu- 
lösenden Reizerfolge haben diese Methoden jedoch zunächst nicht. 
Wie am peripheren Nerven, ist der elektrische Reiz auch in der 
Großhirnrinde der fast einzig brauchbare, weil wir ihn nach Stärke und 
Dauer beliebig abstufen und ihn auch beliebig oft wiederholen können, 
ohne daß die Hirnsubstanz dadurch Schaden leidet oder überhaupt 
eine mehr als vorübergehende Veränderung erfährt. 



836 XIV, Die Bähung der Groflhiranndc. Der epileptische Kninpf. 




Zuerst freilich wurden lebhafte Bedenken laut gegen die An- 
nahme, daß durch die künstliche Reizung überhaupt die Elemente 
der grauen Rinde in Erregung versetzt würden. Vielfach war maa 
geneigt anzunehnieD, daß nur die weiße Substanz, die von der Rinde 
ausgehenden Fasern gereizt würden. Wenn uns auch heute diese 
P'rage nicht mehr von allzugroßer Bedeutung scheint, so ist es doch 
insbesondere durch den später zu besprechenden Nachweis, daß der 
künstliche, epileptische Anfall, der höchste Grad motorisclier Erregung 
der Großhirnrinde, nur bei Integrität der grauen Rinde, nicht duri^ 
Reizung des Marklagers erzielt werden kann, sicher, daß wir durch die 
künstliche Reizung die graue Rinde selbst in Erregung 
versetzen können. Auch der Einfluß der Narkose im Sinne einer 
schnellen Verminderung der Erregbarkeit spricht entschieden dafür, daß 
bei der Vermittlung des kunstlichen Reizes Elemente des Graues be- 
teiligt sind, wenngleich freilich die allgemeine Narkose auch auf die 
Zellen des Rückenmarks wirkt, die die Erregung passieren muß. Aber 
schon Hitzig hat gesehen, daß manchmal die Reizung der Rinde 
bereits erfolglos ist, während die direkte Reizung des Markes noch 
Wirkungen hervorruft. Auch soll nach Fritsch und Hitzig, wi«: 
auch BcBNOFF und Heidenhaik bestätigten, bei Reizung des Market, 
die Latenzzeit der ausgelösten Bewegung kürzer sein, als bei Reizung 
an der Oberfläche. Die Wirkungslosigkeit gewisser Reize nach Unter- 
schneidung der Rinde kann natürlich nur eine Ausbreitung des Reizes 
auf verhältnismäßig beträchtliche Tiefen, nicht auf den ersten Region 
der Markfasern ausschließen, und im Einzelfall dürfte die Entscheidung 
in der Tat Schwierigkeiten haben, inwieweit der Erfolg einer R«JzuDg 
auf die Erregung des Graues und der Zellen oder der aus ihnen J 
hervorgehenden Nervenfasern des Stabkranzes zu beziehen ist, wenn' 
gleich an der Erregbarkeit der grauen Rinde im Prinzip nicht ge- 
zweifelt werden darf. 

Wir können durch die Reizung der Großhirnoberfläche aitscheinead 
alle quergestreiften Skeletimuskeln und einen Teil der glatten Muskn- 
latur, wie vielleicht auch einige Drüsen, in Erregung versetzen. Fflr 
den größten Teil der Eingeweidemuskulatur, so für die Darm- 
muakulatur. vor allem auch für das Herz, ist aber die Möglichkeit 
der Beintiussung durch die an der Gehirnoberfläche angebrachten 
künstlichen Reize noch nicht scharf nachgewiesen. 

Was die quergestreifte Muskulatur betrilft. so ist ihre 
Kontraktion, wie bereits Fritsch und Hitzig betonten, sowohl durch 
einzelne Stromstöße, wie durch die sich summierenden Reize des In- 
duktionsapparates zu erzielen. Einzelstöße müssen viel stärker sein, als] 
Summationsreize. Die graue Substanz der Hirnrinde summiert eben Er- 
regungen, wie ein jedes zentrale Grau. Bei Verwendung des konstantes 
Stromes an dem ganz fiischen Gehirn ist nach Gerber die Kathode, 
wie überall, wirksamer als die Anode. Aber die Rinde ist offenbar 
80 empfindlich für alle möglichen, mit ihrer Freilegung verbundenen 
Schädigungen, daß HiTziu zuerst die Anode für wirksamer hielt; 
das ist jedoch wohl nur eine Urnkehrung der Reizwirkung, wie sie au<Ä 
an anderen Orten durch Schädigung des Gewebes erreicht werden 
kann. Die Form der Muskelkontraktion, die auf einzelne StroioslOße 
erfolgt, soll nach dem Ausdruck einiger Autoren eine „Zuckung' 
sein. Es dürfte jedoch sehr nn wahrscheinlich sein, und sie scheint, 
nicht genau genug untersucht, um sagen zu ki'mnen. daß sie ein« 



D 

1 




Art der durch Bindenreizung ausgelösten Muskelkontraktion. 237 



Zuckung im Sinne der allgemeinen Muskelphysiologie sei. Eine 
solche ist ja auch nicht die sogenannte Reflexzuckung (vergl. S. 34), 
und es dürfte wahrscheinlich sein, daß diese sogenannte Zuckung nur 
ein kurzer und untermaximaler Tetanus ist. Es ist das jedenfalls 
ein sehr merkwürdiger Punkt, daß wir durch Reizung der Hirn- 
rinde mit schwachen Induktionsströmen, wie auch durch willkür- 
liche Innervation jederzeit in der Lage sind, untermaximale 
Tetani beliebiger Stärke zu bewirken, während die Reizung 
des peripheren Nerven das nur unter sehr verwickelten Bedingungen 
und dann in kaum abstufbarer Weise fertig bringt. Daß wir im Leben 
aber weder mit maximalen Tetanis, noch eventuell mit Einzelzuckungen 
unserer Muskeln auskommen könnten, dürfte einleuchten. Wir brauchen 
die Möglichkeit, die Kontraktion unserer Muskeln nach Belieben ab- 
stufen und mäßige, ja unter Umständen minimale Kontraktionsgrade 
lange Zeit aufrecht erhalten zu können. Ob das Zentralnervensystem 
dazu besondere Mittel, die wir im Experiment an peripheren Nerven 
noch nicht nachzuahmen gelernt haben, besitzt, ist zweifelhaft. Es 
ist durchaus möglich, daß der anscheinend untermaximale Tetanus ein 
maximaler, aber nur einer begrenzten Zahl von Fasern ist, und daß 
die Möglichkeit, den Tetanus zu verstärken, beruht auf der Möglich- 
Uchkeit, neue Fasern des Muskels in Tätigkeit zu setzen — dasselbe 
Prinzip, das wir bereits bei der Besprechung des Tonus auseinander- 
gesetzt haben (vergl. S. 79). Bei rhythmischer Reizung der Hirnrinde 
zeigt die Kurve der Muskelkontraktion eine Wellenbildung von dem 
Rhythmus der Reizung, sofern dieser 12 in einer Sekunde nicht über- 
steigt. Bei rascherer Reizung zeigt sich ein autonomer Rhythmus von 
nach BiCHBT etwa 10—13 in der Sekunde. Auch die willkürliche 
Bewegung zeigt einen solchen wellenförmigen Typus, einen physio- 
logischen Tremor, und sehr wahrscheinlich sind gewisse Formen des 
pathologischen Tremor (der alkoholische, der senile V) nur eine be- 
sondere, auf einer Schädigung der Rinde beruhende Ausprägung dieser 
also schon physiologisch präexistierenden Diskontinuität. 
Auf eine kurze Reizung der Hirnrinde folgt, wie Broca und Richet 
festgestellt haben, eine refraktäre Phase von etwa 0,1". Die Bedeutung 
einer solchen haben wir ja bereits bei der Lehre von der Atmung 
besprochen (S. 128). Die Arbeitsleistung der Großhirnrinde unterliegt 
eben analogen Gesetzen wie die aller anderen, insbesondere nervösen, 
arbeitsleistenden Apparate des Körpers. Eine Multiplizierung der 
refraktären Phase von Broca und Richet tritt dann ein, wenn die 
Großhirnrinde durch sehr starke Reize zu erheblicher Arbeitsleistung 
veranlaßt worden war, insbesondere wenn sie ihre Kraft in einem 
epileptischen Anfall erschöpft hat. Dann finden wir die Rinde minuten- 
lang und länger entweder überhaupt nicht oder nur für ganz starke 
Reize erregbar. 

Wer einmal eine Rindenreizung gesehen hat, der steht sofort 
unter dem Eindrucke, daß wir mit dem elektrischen Reiz komplizierte 
und sogar den willkürlichen Bewegungen recht ähnliche auslösen ; man 
denke etwa nur an eine nocli sehr einfache, den Faustschluß. In- 
dessen muß doch erwähnt werden, daß, wie schon Hitzig beschreibt, 
durch Einzelstöße nicht nur einzelne Muskeln, sondern auch Teile 
von solchen zur Kontraktion gebracht werden können. Das würde 
also wohl dann eintreten , wenn kurzdauernde Reize einzelne oder 
nur eine kleine Gruppe von Ganglienzellen der Rinde in Erregung 




238 'SJV. Die Bäning der GrofihiTtirinde. Der epileptiBcIie Krampt 

versetzen. Aber voa einzelnen, räumlich ganz begrenzten 
erhalten wir häufig so komplizierte Bewcguugen. daß die Folgcnind 
unumgänglich ist , daß wir nicht nur einzelne Muskeln , sondei 
spezifische Bewegungskombiuationen durch den ele" 
trischeu Reiz in Tätigkeit setzen, Kombinationen, die ei 
weder auf die Rinde selbst lokalisiert, oder durch einen Anstoß v« 
der Rinde in niedereren Zentralteilen in Tätigkeit gesetzt werden. 

Wenden wir uns nun zur Lokalisation der elektrisch er^ 
regbaren Großhirnzone, so ist sowohl deren Begrenzung ' 
innere Gliederung in hohem Maße abhängig von der angewandten Unte 
suchungs-, d. h. Reizmethode. Reizt man. wie gewöhnlich, bipolar, inde 
man die beiden, etwa stecknadelkopfgroßen Elektroden auf die Hirn- 
oberfläehe aufsetzt, so kommt sehr viel auf die Stromstärke an. Man 
erhält bei starken Strömen noch Bewegungen von Stellen, welche bei 
Reizung mit schwachen keinen Erfolg mehr gaben. Hitzig hat immer 
den Standpunkt vertreten, daß man nur die Reizung mit schwachen 
Strömen verwenden dürfe, weil bei stärkeren die Gefahr der Strom- 
schleifen, sei es auf benachbarte Rindengebiete, sei es auf die Pro- 
jektionsfaserun g, zu groß wäre. Demgegenüber haben andere Autoren 
die Berechtigung, auch starke Reize anzuwenden, vertreten, so z. B. 
MuNK für die Reizung des Stirnlappens. In der Tat könnte es sich ja 
um zwei Arten von Elementen in der Hirnrinde handeln, von denen 
die eine eben viel schwerer erregbar wäre als die andere. Auch wäre 
es mögüch , daß die eine Reizungsart die Fasern des Stabkranzes 
direkt erregt, während bei der anderen vielleicht erst die Bahn vod 
Associationsfasern durchlaufen werden müßte. Entschieden könnte die 
Frage eigentlich nur werden, indem man die elektrische Erregbarkeit 
nach Eicstirpation aller mit schwachen elektrischen Strömen reizbaren 
Gebiete und auch nach Degeneration der von ihnen ausgehenden 
Bahnen prüft, was bisher nicht in ausreichendem Maße geschehen ist. 
Sind dann die starken elektrischen Reize noch wirksam, so kann es 
sich wenigstens nicht um Strom schleifen auf die leicht erregbaren 
Gebiete handeln. Eine bemerkenswerte Stütze hat die HiTZiGsche 
Forderung schwacher Strome durch die Experimente mit unipolarer 
Reizung erhalten, in denen nur eine punktförmige Elektrode auf die 
Rinde aufgesetzt, die zweite Elektrode als indilferente in den Körper 
(meist den Anus) eingeführt wird, so daß als physiologische zweite 
Elektrode eigentlich der ganze Körper dient. Dann ist die Strom- 
dichte nur unmittelbar an der Spitze der punktförmigen Elektrode 
genügend, um eine Reizwirkung zu entfalten, so daß also sehr fein 
lokalisiert werden kann. Diese, besonders von Sherrinqtoh und 
GrOnbadh inaugurierten Versuche haben eine sehr vollständige Ueber- 
einstimmung ergehen mit den Resultaten, die Hitzig früher durcb 
die Verwendung schwacher Ströme erhalten hatte, und stimmen gar 
nicht mit den Angaben von Ferrier. Beevor und Horslet u. A. 
flberein. Mindestens hat die leicht erregbare Region 
eine besondere Bedeutung und muß von der erst auf 
starke Reize ansprechenden unterschieden werden. 

Am übersieh tliclisten erscheint die Lokalisation beim Affen. 
Wir geben zunächst die Zusammenstellung der Resultate, welche HiTZio 
bei Innnus rhesus schon im Jahre 1874 erzielt hat (Fig. G2). Er fand 
sämtliche mit schwachen Strömen erregbare Zentren auf der vorderen 
Zentralwiudung, so daß die scharfe Grenze der erregbaren Region 




Bedeutung der vorderen Zentralwindung. Ocdfdt&lkUppen. 



nach hinten die Zentralfurche wäre. Die Windungen vor dem Sulcae 
praecentralis waren nur durch viel stärkere Ströme zu erregen. Im 
einzelnen kgen die Zentren für das Hinterbein am weitesten nach der 
Uantelkante zu, und zwar kann man im allgemeinen sagen, daß die 
distalsten Abechnitte der unteren Extremität am weitesten medial 
liegen. Ihnen schließen sich die proximalen Abschnitte an, dann folgt 
der Rumpf, dann die proximalen Abschnitte der oberen Extremitäten, 
weiter die distalen (Hand und Finger), dann der Nacken, endlich folgen 
ganz lateral nach der STLVJschen Furche zu, die Zentren für die 
Kopfmuskulatur, den Facialis, den Hypoglossus und den motorischen 
Trigeminus. Ganz besonders deutlich geht dieses Verhalten aus den in 
Fig. 63|64 wiedergegebenen Befunden Sherringtons und Grünbaüms 
am anthropoiden Affen, am Schimpansen, hervor. Sie finden die Ver- 
tretung des Anus und der Vagina am weitesten medial, bereits an 
der medialen Fläche des Gehirns im Parazentrallapen, Von hier aus 
kann man auch gewöhnlich die Schwanzmuskulatur erregen. Sherrikg- 
TOM und GrAnbaüm achteten auch auf die Vertretung der Stimm- 
bänder auf der Rinde des Affen, die sie in der Nähe der Vertretung 
für Zunge und Mund fanden. 



4^ HinUo^e Eztremilät. 

4- Beu^ng u, Rotation der vord. Extremität. 

•^ EzteuBioD und Adduktion dervordereD Ex- 

tremilät. 
A KopfwenduDg aaeh der Seite der Heilung. 
' Fingerbewegang. 






Ud. 



Ig des Kopfes Dach der Gegenseite. 

Znrüäcziahen des Ohree und Hebung 
j dcB Kopfes. 
VorBtrectra der Zunge. 
->w ächlnS der Kiefer, Betraktion der 

Mundwinkel und der Zunge. 
Kieferöffnung. 
Ohrbewf^ngen (temporale« auriculomoto- 

riechea Zentrum). 




Nach vorn an der vorderen Zentralwindung finden Sherrinton 
und Grünbaum im Frontallappen nur ein Gebiet, von dem aus 
sie Bewegungen der beiden Augen uach der entgegengesetzten Seite 
bewirken konnten, das sie aber doch nicht auf gleiche Stufe mit der 
vorderen Zentralwindung stellen wollen, nach hinten von der Zentral- 
furche antwortet nur die Gegend der Fiss. calcarina mit dem- 
selben Effekt. 

Fügen wir diesen Angaben zunächst die Wiedergabe der Reizpunkte 
für die menschliche Hirnrinde hinzu, welche von F. Krause 
bei einer Reihe von Hirnoperationen wegen Epilepsie mit unipolarer 
Reizung erzielt worden sind. Wir selbst konnten uns ebenso wie 
von diesen Resultaten , bei F. Krause auch einmal von der an- 
scheinenden Unerrcgbarkeit (unipolarer Reizung gegenüber) eines Ge- 
bietes Überzeugen, das der dritten rechten Frontalwindung entsprach. 

Gegen die Richtigkeit der bisher besprochenen Lokalisationen 
können Einwände nicht geltend gemacht werden. Wie steht es nun 
mit den Angaben, die die Umgrenzung der elektrisch erregbaren Zone 



240 SJV. Die KazanG: der GTOShirnrinde. Der epil^jtiüche Knmpf. 

auf Grund stärkerer, insbesondere bipolarer Reizung, sehr viel weiter | 
ausdetiiien wolleo. Die Erregbarkeit der hiuteren Zeutralwindu&gJ 
beim Affen, von der aus Beevor und Horsley noch eioe Beilia I 



Zeheil 
SpruQggelt 
Knie 

Hafu 




Kieferschluß ^f^""S 

Stiniin blöder 
Fig. 63. AuSeaflächc. 




Kip. 1)4. I QDcu fläche, 

von Bewei^Dugen erhielten, wird im altgemeinen abgelehnt werdei 
müssen. Jedoch pibt schon HiTZiG an , daß am ehesten noch di»'l 
medialste Partie der hinteren Zentralwindung beim Affen erregbar stU^m 



HmCere Zmtralwiiiduiig. AnguIarwiDdung, Temporal läppen. 



^41 



und liier in der Gegend des ParazentniitäpiicbenE ist in der Tat die 
Grenze nicht scharf. An der ganzen übrigen Ausdehnung der Zentral- 
region ist der Unterschied in dein Grade der Erregbarkeit vor und 
hinter der Zentral furche, auch bei bipolarer Reizung, ein so enormer, 
daß die Erfolge von der hinteren Zentraiwindung in der Tat im all- 
gemeinen wohl auf die besprochenen Fehlerquellen zurückgeführt 
werden müssen. Die Tiefe der Zentralfurche, manchmal auch noch 
der in die Furche abfallende Abhang der hinteren, sind allerdings 
auch nach Sherrinqton und Grönbadm noch erregbar. 

Auch die von Gebieten noch hinter der hinteren Zentralwindung 
zu erzielenden Bewegungen haben, wie schon Hitzio bei seinem Ex- 
periment am Affen bemerkt hat, einen anderen Charakter als die von 
der vorderen Zentralwindung. Sie sind auch nicht auf ganz kleine 
Stellen zu lokalisieren; trotzdem muß erwähnt werden, daß Reizung 
der Angularwindung nach Ferr:er Seitwärtswendung der Augen 




ElcktriBch erre([hare Bogion i 



nnde dpa Mpns^hen nach 



und des Kopfes nach der Gegenseite znr Folge hat und zwar auch 
nach unserer Beobachtung bei nicht allzu starken Strömen. Eine 
weitere Differenzierung der Angularwindung in Gebiete, von denen aus 
noch Aufwärts- oder Abwärtswendung der Augen zu erzielen sei 
(Ferhibr), ist uns nicht gelungen. Ob die ganze Wirkung nicht etwa 
aufStromscbleifen auf die unter der Angularwindung hin wegziehenden, 
vom Occipitallappen kommenden Fasern zu beziehen ist, ist freilich 
unsicher. 

Hitzig erwähnt bereits, daÜ man bei Anwendung stärkerer Ströme 
hinter der Zentralfnrche häufig Ohrbewegungen bekomme, und 
es scheint, als ob das besonders vom Temporallappen aus mög- 
lich sei. Ihre Deutung ist jedoch zweifelhaft, vielleicht sind sie sekun- 
der durch Reizung von Associationsfasern bedingt, jedenfalls anderer 
Natur, als die Ohrbewegungen, die in typischer Weise von dem 




242 SrV. Die ReJEting ier GroShirn rinde. Der epileptieche Kminpf. 

Facialisgebiet der vordereu Zentral winduug zu erzielen sind, in welche 
wir Biso das eigentliche mit dem Stabkranz wahrscheinlich unmittel- 
bar zusammenhängende motorische Zentrum des Ohres zn lokalisieren 
hätten. 

Bei Anwendung stärkerer Ströme beschränkt sich auch das er- 
regbare Gebiet des Occipitallappena nicht auf die vorher von Sher- 
KiNOTON und Grün BAUM gegebenen Grenzen. 

Auch die scharfe Abgrenzung der erregbaren Zone uach vorn 
wird unsicher, wenn wir uns nicht der besonderen Technik Sherrino- 
TONs und Grünbäühs bedienen. Nur das eine ist auch dann uach 
den übereinstimmenden Erfahrungen der Experimentatoren seit Ferrier 
sicher, daß nach vorn von der Präzentralfurche ein Zentrum für die 
Wendung der Augen und des Kopfes nach der Gegenseite liegt, wie 
das ja auch im Groben mit den Resultaten von Sherrinoton und 
Grünbadh übereinstimmt Schäfer und Mott unterschieden in dem 
entsprechenden Gebiet bei Cercopitliecns noch mehrere Kombinationen 
von Seitwärtswendung mit Hebung oder Senkung der Augen und des 
Kopfes. 

Einer besonderen Diskussion unterliegt noch die Lokalisierung der 
Rumpfmuskulatur. Zwar ist es ganz sicher, daß von der vorderen 
Zentralwindung auch bei unipolarer Reizung Kontraktionen der Musku- 
latur des Bauches, der Brust, und auch der Wirbelsäulen muskulatur 
zu erhalten sind. Aber H, Munk hat beim niederen Affen auch von 
dem eigentlichen Stirnlappen Bewegungen der Nacken- und Hals- 
muskulatur, Inspirationssteltung des Thorax und des Zwerchfells, 
Tetanus der Bauchmuskulatur, und Streckungen und Verbiegungen 
der Wirbelsäule beobachtet. Von Hitzig sind diese Erfolge zwar auf 
die Verwendung zu starker Ströme seitens Munks geschoben worden, 
auch hat Münk keineswegs distinkt lokalisiert, seine Beschreibung ist 
summarisch und Abbildungen fehlen, immerhin wäre es möglich. da& 
die Rumpfmuskulatur auf dem Stirnlappen eine Vertretung hat, viel- 
leicht aber nur eine sekundäre und jedenfalls eine andersgeartete, 
als auf der vorderen Zentralwindung. 

Sehr ausführlich ist die Lokalisation der elektrisch erregbaren 
Zone am Hunde untersucht worden, bei dem sie ja von Fritsch 
und Hitzig entdeckt wurde. Sie liegt nicht so gestreckt wie beim 
Affen, sondern krümmt sich hakenförmig um den Sulc. cruciatus, in- 
dem sie den Gyrus sigmoideus posterior einnimmt, lateral auf den 
Gyrus coronalis und den Gyrus ectosylvins anterior fortschreitet, dann 
aber nach vorn um die Fissura cruciata herum auf den lateralen Teil 
des Gyrns sigmoideus anterior und auf den Gyrus compositus über- 
greift. Dabei liegen auch hier wieder die distalen Teile der hinteren 
Extremität am meisten medial, dann folgen um das untere Ende des 
Sulcus cruciatus herum die Zentren des Rumpfes und der Vorder- 
estremität. Selir weit nach hinten im Gyrus ectosylvins liegen' die 
Steilen für die verschiedenen Aeste des Facialis, hier hat bereits 
Hitzig, was R. uu Bois-Reymond und Silex bestätigten, auch ein 
Feld fftr den Orbicularis oculi abgegrenzt, von dem aus auch ein- 
seitige geringe Bewegungen - Abduktion und Senkung — des kontra- 
lateralen Anges zu erzielen sind. Oral davon liegt die Vertretung 
fQr Kiefer und Zunge. 

Vom Occipitallappen sind auch beim Hunde konjugierti 
Augenbewegungen zu erzielen, und zwar haben wir fast 



I 




Frontallappen. Hund. 



243 



solche nach der entgegengesetzten Seite gesehen. Eine gesetzmäßige 
Beziehung verschiedener Blickrichtungen zu bestimmten Zonen des 
Occipitallappens, wie sie H. Munk u. A. gefunden haben, haben wir 
nicht finden können. 

Vom Temporallappen sind Obrbewegungen auszulösen , 
gleicher Art, wie beim AfFen. 

Ueber die Erregbarkeit des Frontailappens bestehen die 
gleichen Differenzen, wie beim Affen. H. Mune hat durch Reizung des- 
selben gesetzmäßig eintretende Veränderungen der Atmung und zwar 
von seiner oberen Fläche Inspirationstetanus, von seiner unteren exspira- 
torische Wirkungen, besonders auch Eontraktion der Bauchmuskeln, 
gesehen. Sind diese Wirkungen auf die Atmung beim Hunde als 
spezifisch für den Stirnlappen anzusehen , so ist das fflr die von 




^ HaU-, Nacken- u. RumpfmuBkulatur. 
O Hebung der Lider und Pupilleo- 

diUtation (zugleich frontales Blick- 



Fig. 66. Elektrisch erregbare R«^on der GroQbirnrinde des Hundes nach 
Hrrzio, einige Stellen nach Ferrier, reproduziert nach Tscbbrmak. 

» oder moto- und Hebung oder Seitenwendung 

des Auges auf der G^enseite. 

Q Vorstrecken der Zunge. 

•■ Kieferöffnung. 

w— • Schluß der Kiefer, Retraktion der 
Mundwinkel und der Zunge. 

• , ' sowie X Ohrbew^ungen. 

F.f. 0. C. FerrieRs frontales oculomoto- 
riechee Zentrum oder präzcntralee 
Blickzcntrum (teilweise mit Q zu- 
Bammen f allen d ). 

F. 0. u. V. Fkrriebs occipitale« oculomo- 
torischfs Zentrum od. Blickzentrum. 

F.". I'. FekbiIvRs auriculares Zentrum 
'OhrbewoKu ngen ). 



). 
- Extension und Adduktion des Vorder- 

-(- Beugungu. Rotation des Vorderbeines. 
_ — Bewegungvon Vorder- und Hinterbein. 

- - Bewegung des Schwanzes. 

-i;X- Benegucgen des Hinterbeines. 

. j Kontraktion des Orbicularis ocuii 
(LidschluG und Hebung von Mund- 
winkel und Backe gegen das Auge) 



H. MuMK gleichfalls von hier erzielten Rumpfbewegungen doch zweifel- 
haft. Denn in der Tat beniilzt H. Munk liier so starke Ströme, daß 
er die Dauer der Reizung, um den Eintritt von Krämpfen zu ver- 
hüten, möglichst kurz bemessen muß, und sicherlich kann man auch 
vom Gyrus sigmoideus echte Rumpfmuskelkontraktionen, nicht etwa 
nur Rumpfbewegungen, die durch Kontraktionen der proximalen Glied- 
muskulatur vorgetäuscht sind, bekommen. 

In der unzweifelhaft elektrisch erregbaren Region liegt, wie beim 
Affen, so auch beim Hunde das Zentrum für die Wendung der 
Augen nach der (iegenseite am weitesten nach vorn, dicht an 
der Stelle fflr die entsprechende Kopfwendung. Medial davon liegt 
nach den Angaben von Steslinq das Zentrum für die Lidöffnung. 



344 XIV. Die ReJEuox der GroBbirnriode. Der epilepÜRcbc Krauipf. 



Lateral hiervon, bereits im Gyrus composit. ant., liegt eine 
von der H. Krause Schluck bewegun gen, Hebung des Gaumensegi 
Kontraktionen des oberen Rachen schnürers, der hinteren Teile 
ZungenrQckens, des Arcus jialatoglossi, Hebung des Kehlkopfes 
totalen Verschluß der Glottis durch Adduktion der Stimmbänder 
erhielt. Auch Abduktion der Stimmbänder erhielten Brokaert. 
Klemperer u. A. Endlich ist von Katzenstein noch weiter lateral- 
wärts, bereits im Gyrus coronalis, eine Stelle gefunden worden, 
der aus einseitige und zwar kontralaterale Adduktion und Abduklit 
des Stimmbaudes zu erzielen ist. Bellen ist von Ferkier beii 
Hunde durch starke faradische Reizung des Gyr. compositus ant, 
zeugt worden. Der Erfolg ist mindestens zweifelhaft, ein eigentliclu 
Bellen haben wir nie gehört, nur eine Art Quietschen, immerhin di 
eine Form der Stimmgebung. 

Wenn angegeben wird, daß der Erfolg der Reizung für die 
Muskeln des Kopfes und Gesichtes ein doppelseitiger sei, so haben 
wir fast immer gesehen, daß durch vorsichtige Abstufung des Reizes 
eine ausschließliche Bewegung oder doch eine deutliche Bevorzugung 
der gekreuzten Seite festzustellen war, insbesondere für den Facialis, 
aber auch für Hypogloseus und Trigeminus, nicht jedoch für die Wen- 
dung der Augen nach der Gegenseite von dem frontalen Blickzentrura 
aus. Erst bei Verstärkung des Reizes wird der Erfolg dann auf 
beiden Seiten gleich, ohne daß wir wohl für einseitige und doppel- 
seitige Bewegungen räumlich ganz geschiedene Zentren anzunehmi 
hätten. 

Umgekehrt ist es bei den Extremitäten, wo der Erfolg schwacher 
Reize immer ausschließlich kontralateral ist. Stellen, von denen 
aus wir regelmäßig doppelseitige Bewegungen der Extremitäten bättea 
erzielen können, halten wir nicht gefunden. Es kommt das jedoch vor. 
gewöhnlich aber erst bei Strömen, die leicht epileptische Anfälle er- 
regen. Daß aber auch homolaterale Beziehungen zwischen 
Hirnrinde und Extremitäten bestehen, kann man durch Reizung leicht 
nachweisen, wenn man eine halbseitige Rücken marksdurchscfan«idung 
(auf der Gegenseite) macht, und noch besser, wenn man dieser Operation 
noch die Entfernung der einen Hemisphäre (auf der Seite der RücÜen- 
marksdurchscbneidung) hinzufügt. Dann erhält man grobe Bewegungen 
der gleichseitigen Extremitäten sehr leicht, und zwar im weseatliehaL 
gleich lokalisiert, wie die der gekreuzten. J 

Einer besonderen Erwähnung bedürfen hoch die rhythmischer 
Freß-, Kau- und Schluckbewegungen, die, wie auch aus den Sherrinu- 
TONschen Tafeln hervorgeht, ihr besonderes Zentrum auf der Rinde 
haben, getrennt von dem für einfachen Kieferschluß und Kieferöffnung. 
Die Entdeckung dieser Tatsache gebührt Ferrier. Die rhythmische 
Erregung wird jedoch nicht in der Hirnrinde gebildet, sondern ent- 
steht durch eine dauernde Einwirkung auf subcorticalc, wohl im Him- 
stamni gelegene, zu rhythmischer Thätigkeit befähigte Apparate. Denn 
man kann auch durch Reizung des Marklagers die Freßbewegnngen 
erhalten. 

Bei Vertretern aller Säugotierklassen hat sich nicbt nur die 
Existenz einer elektrisch erregbaren Zone, sondern auch die Itföglichkeit, 
von ihr lokalisierte Reizeffekte zu erzielen, ergeben. Am Schnabel- 
tier, als Vertreter der Monotremen, experimentierte Martin, am 
Marsupialier (Opossum) Ziehen, am Igel als Vertreter der Insekti- 



les^H 




Niedere Säuger. Vögel. Neugeborener. 245 



voren Mann und Ziehen. Für die Fiedermaus ist von Merzbaoher 
die Möglichkeit, lokalisierte Bewegungen durch Reizung zu bekommen, 
bestritten worden. Wir konnten uns aber in gemeinschaftlich mit 
O. Vogt an Pteropus (fliegender Hund) angestellten Versuchen über- 
zeugen, daß auch bei den fliegenden Säugetieren sehr schöne lokali- 
sierte Reizeffekte zu erhalten sind. Für den Nager, insbesondere das 
Kaninchen gibt es eine ganze Reihe von Angaben. Bei dessen 
Ussencephalem Gehirn sind die erregbaren Zentren im wesentlichen 
entlang der Mantelkante von hinten nach vorn angeordnet. Für das 
Schaf bestehen Untersuchungen von Marcacci und Ziehen. Von 
den Carnivoren ist außer dem Hund das Gehirn der Katze vielfach 
durchforscht worden. Seine Verhältnisse sind im wesentlichen gleich 
dem Hundegehirn. 

Für das Vogelgehirn ist die Möglichkeit der künstlichen, ins- 
besondere elektrischen Erregung lange bestritten worden. Steiner 
erhielt jedoch schon Wendung des Kopfes nach der Gegenseite, und 
durch die Untersuchungen von 0. Kalischer ist die Existenz zirkum- 
skripter Felder, von denen Flügelbewegungen, isolierte Fuß- und 
Zehenbewegungen zu erhalten sind, zunächst beim Papagei, dann aber 
auch bei den niederen Vögeln sichergestellt worden. Auch Phonation, 
sowie Kiefer- und Zungenbewegungen konnten erzielt werden. Zu 
wiederholen ist, daß nach Kalischer jedoch nur die Reizzone des 
Wulstes als Rinde in Betracht kommt, und daß, wenn nicht etwa eine 
undeutlich gewordene Verschmelzung des Striatum mit der Rinde 
stattgefunden hat, die außerhalb des Wulstes gelegenen Punkte dem 
Striatum angehören würden. 

Vom Gehirn der Amphibien und Reptilien sind lokalisierte Reiz- 
erfolge bisher nicht erhalten worden. 

Innerhalb der Wirbeltierreihe ergeben sich auf Grund der Lokali- 
sierung der Reizerfolge sehr interessante Homologien. Insbesondere 
hat schon Hitzig auf die Analogie der vorderen Zentralwindung des 
Affen mit dem Gyrus sigmoideus post der Carnivoren aufmerksam ge- 
macht, woraus dann zugleich folgen würde, daß der Sulcus cruciatus kein 
Analogon der Zentralfurche sein kann, wie man mehrfach angenommen 
hat^). Es ist hervorzuheben, daß auch die histologische Untersuchung, 
die Brodmann gerade von diesem Gesichtspunkt aus durchgeführt hat, 
diese Analogisierung insofern bestätigt hat, als sie sowohl beim 
Menschen und Affen, als auch beim Carnivoren die BETZschen Riesen- 
pyramidenzellen beschränkt fand auf das Gebiet, das mit schwachen 
Strömen erregbar ist. Beim Affen und Menschen schneiden sie scharf 
ab in der Tiefe des Sulcus centralis, bei der Katze überschreiten sie den 
Sulcus cruciatus nur in seinem lateralen Teile nach vorn. Es wärp 
durchaus möglich, daß wir mit schwachen Strömen in der Tat vor- 
zugsweise die Schicht dieser großen Pyramidenzellen als die leichtest 
erregbare reizen, wenngleich durchaus nicht aus dem Fehlen def Riesen- 
pyramidenzellen schon a priori die Unerregbarkeit einer Stelle gefolgert 
werden kann. 

Die volle Erregbarkeit der Hirnrinde entwickelt sich erst in einem 



1) Es iflt allerdings fraglich, inwieweit die physiologische und histologische 
Uebereinstimmun^ für die morphologische Analogisierung verwendet werden darf. 
So hat Ziehen cue Möglichkeit einer Verschiebung der physiolo^schen Centra 
in der Tierreihe angenommen, insbesondere für das Orbiculariszentrum eine Wanderung 
nach vom in der aufsteigenden Tierreihe zu beweisen versucht. 




246 XIV. Die BdKung der OroBhirnriDd«. Der epileptiwbe Ercmpf. 

gewissen Zeitpunkt des postembryonalen Lebens, um so früher, 
melir entwickelt die einzelne Tierart ihre Jungen znr Welt bringl 
Wir können uns jedoch nicht der Meinung von Soltmann anschließ« 

daß die Hirnrinde noch des neugeborenen Hundes völlig unerregbid 
wäre, stimmen vielmehr mit Paneth darin Uberein, daß man aad 
beim neugeborenen Hund eine lokalisierte Erregbarkeit der Hinirinq 
annehmen muß. Allerdings sind die Reizerfolge nicht so fein b^j 
grenzt wie beim Erwachsenen ^), 



An die Lehre von der Auslösung lokalisierter Bewegungen dui 
Reizung der Großhirnrinde schließt sich naturgemäß die Frage 
der Entstehung der epileptischen Krämpfe an. Die epileptisi 
Krämpfe sind ja das hauptsächlichste Symptom einer der furchtbi 
sten Krankheiten, der Epilepsie. Um diese Krankheit können ' 
uns hier nicht kümmern. Wir bemerken nur, daß die anatomis< 
Veränderung, welche der großen, idiopathischen, gewöhnlich in di 
Jugend schon sich geltend machenden, oft erblichen, Epilepsie j 
Grunde liegt, noch nicht mit mit Sicherheit aufgedeckt ist, daß wir 
jedoch zum Beispiel von der Syphihs wissen, daß sie das Krankheitsbild 
der Epilepsie erzeugen hann. Jedenfalls dürfte eine gröbere organische 
Ursache den mannigfachen funktionellen Störungen der Epilepsie ent- 
sprechen. Von diesen also besprechen wir hier nur den epileptischen 
Krampfanfall, der in der Tat das einzige Symptom der epileptischen 
Anlage oder Veränderuug bilden kann, wenngleich er für die Diagnose 
der Epilepsie als Krankheit nach den modernen Anschauungen nich( 
mehr unumgänglich ist. 

Allgemein bekannt ist, wie der große epileptische An fa II 
entwickelt aus einer A u ra, die entweder in subjektiven Empfindungen* 
auf allen möglichen Sinnesgebieten oder vasomotorischen Er&chd- 
nuugen an den Gliedern oder in kurzen psychischen Störungen be- 
steht. Im Anfall selbst stürzt der Kranke bewußtlos zu Boden. Das 
Krampfstadium teilt sich gewöhnlich in eine tonische und eine klonische 
Phase. In der ersteren. die im allgemeinen nur kurze Zeit (bis 
20 Sekunden) währt, liegt der Kranke mit meist nach hinten ge- 
zogenem Kopf, gewöhnlich opisthotonisch durchgebogener Wirbel- 
säule, starr ausgestreckten Armen und Beinen, die Hände kram] ' 
haft geballt. Die Atem- und Halsmuskulatur, auch die StimmbSniJ 
sind beteiligt, das Gesicht ist verzerrt, die Augen sind ffeitgeöffni , 
und starr, die Pupillen reagieren nicht Das klonische Stadium bc^ 
steht in mehr oder minder rhythmischen konvulsivischen Zuckungen. 
an welchen alle Muskeln des Körpers beteiligt sein können, der Kopf 
wild umhergeschleudert wird, die Augen sich rollen, die Extremitäten 
in Schüttelkrärapfen erzittern u. s. w. 

Dem Anfall folgt ein Stadium tiefer Bewußtlosigkeit. 

Es erregie großes Aufsehen, als es 1857 Kussmaul und Tenhi 
in berühmt gebliebenen Versuchen gelang, ein sehr ähnliches, fast 
identisches Bild beim Tier, und zwar beim Kaninchen durch Er- 



i 

d- 

)6- 

las 

he 

jis 

;e- 
jbel- 
imp&^H 

- bc-^ 
Igen. 

Kopf 
äten 



1) Efl iet HO die Kirnrisde beim neuecbarRiien Tier Kchon zu einer Zeil erreg- 
bar, iro die Pjrsmide keine inarkhattiEe Faser eoUiält, en spricht das also dafür, 
daß entweder außer den Pj^ramiden ddcd andere FaHerziige die elektrische Eiwnng 
leiten, naa auch auf anderem Wege »gtäler eich be^tätif^ea wird, oder daß die Um- 
markung einer Baba nicht Bediugung ilirer Leitungafähigkeit isL 




KüSSMAUirTENNERäche Versuche. Krampfzentram. 247 



Zeugung einer maximalen Hirnanämie zu erzeugen. Sie bewirkten 
diese durch Verschluß der vier Halsschlagadern, der beiden Caro- 
tiden und der beiden Vertebrales und beobachteten (nach einigen 
vorbereitenden Bewegungserscheinungen an den ^beweglichen Spalt- 
öffnungen des Kopfes") ein ohnmachtartiges Zusammenbrechen des 
Tieres, darauf einen Tonus der Nackenmuskeln und nun klonische 
Krämpfe der ganzen Körpermuskulatur mit Pupillenstarre, Atem- 
störungen und den anderen dem epileptischen Krampf des Menschen 
eigentümlichen Erscheinungen. Die Dauer der Krämpfe betrug bis 
zu 2 Minuten. 

Kussmaul und Tenner bestimmten gleichzeitig auch den Teil 
des Gehirns, von dem diese Krämpfe ausgingen; sie fanden sie 
noch auslösbar, wenn sie das Gehirn bis hinter die Sehhügel weg- 
genommen hatten. Vom Rückenmark allein aber vermochten sie 
Krämpfe durch Anämie nicht mehr zu erzielen ^). Während sie also 
die Empfindungs- und Bewußtlosigkeit auf den Ausfall der Großhirn- 
tätigkeit bezogen, nahmen sie als Ursprungsstätte der Krämpfe den 
ganzen übrigen Teil des Gehirns, den Hirnstamm an. Sie erwähnen 
auch, daß das Kleinhirn einen Einfluß auf die Krämpfe habe, und auch 
wir müssen nach eigenen Erfahrungen die Rolle des Kleinhirns bei 
diesen Verblutungskrämpfen als nicht unwesentlich einschätzen. 

Ueberhaupt sind die Versuche von Kussmaul und Tenner ganz 
unbezweifelt. Bestritten ist nur die Berechtigung, diese 
Verblutungskrämpfe mit denen der menschlichen Epi- 
lepsie gleichzustellen. Gegen die Gleichsetzung läßt sich vor 
allem geltend machen, daß die KussMAUL-TENNERschen Versuche nur 
am Kaninchen angestellt sind. Schon beim Hund ist es überhaupt 
kaum möglich, Verblutungskrämpfe zu erzielen ; einige Zuckungen sind 
meist alles, was man. bekommt. Ob die Krämpfe, die man auf Schlacht- 
höfen an Kälbern, Schweinen zu sehen bekommt, dem Bilde der 
menschlichen Epilepsie ähneln, dürfte recht zweifelhaft sein, und es 
ist unseres Wissens auch nicht bekannt, daß die Verblutung beim 
Menschen jemals zu einem wirklichen epileptischen Krampf geführt 
hätte. 

Wie man sieht, beziehen sich die Bedenken gegen den Wert der 
KussMAUL-TENNERschen Versuche für die Erklärung des epileptischen 
Anfalls auf drei Punkte : erstens darauf, ob überhaupt beim Menschen 
der Hirnstamm die Fähigkeit hat, Krämpfe auszulösen, was beim Tier 
nicht nur durch die Verblutungsversuche, sondern auch durch 
direkte Reizung des Hirnstamraes von Nothnagel, Ziehen u. A. 
gezeigt Worden ist. Nothnagel will ein ganz spezielles Krampfzentrum 
im Pons lokalisieren. Wenn man schon gegen diese Behauptung ein- 
wenden kann, daß es sich bei seinen Versuchen durchaus nicht um 
die Reizung grauer Massen, sondern vielleicht nur um die Erregung 
der diese durchziehenden Bahnen handelt, die erst auf tiefer gelegene 
Zentren übertragen wurde, so gelten sie doch eben nur für niedere 
Säugetiere. Beim AflFen sind kaum Versuche angestellt, und die Er- 
fahrung, welche wir beim Menschen in Fällen von Blutungen in der 
Gegend des Pons haben, scheinen durchaus nicht zur Annahme eines 
Krampfzentrums hier zu stimmen. Man kann die Differenz in der 
Bedeutung des Hirnstammes und des Großhirns bei Tier und Mensch^ 



1) Auch das ist später Luchsinger gelungen (vergl. S. 53). 



XIT. Die Heizung der Gndhlrurlade. Der efüleptische Krampf. 



besonders dem Erwachsenen, gar nicht genug betonen; so folgt auck 
aus der Angabe von Goltz, daß nach schweren Grolihirnzerstörungen 
beim Hunde noch Krämpfe auftreten, durchaus nicht, daß dasselbe 
auch beim Menschen der Fall sein müsse. Im übrigen haben wir 
spontane Krämpfe beim Hunde nach totaler Entfernung der beiden 
molorischen Zonen niemals gesehen '). 

Der zweite bedenkliche Punkt in der durch die Versuche von 
Kussmaul und Tenner gegebenen Analogie ist die Auffassung zirku- 
latorischer Störungen als Ursache des epileptischen Anfalls'). Daß diese 
Wirkung der Gehirnanämie beim Menschen eine sehr zweifelhafte ist, 
war bereits erwähut. Uns selbst ist es nicht einmal gelungen, bei 
Hunden, die sich aus anderen Gründen im Status epilepticus be- 
fanden, in einem Zustand also, in dem sie ohne weitere Ursache sehr 
zu echten epileptischen Krämpfen neigten, durch Verblutung einen 
epileptisclien Anfall auszulösen. Die Vermutung, daß die venöse 
Stase unter Umständen eine auslösende Rolle spielen könne, ist 
ebenso unbewiesen. Dagegen treten einzelne epileptische Anfalle 
auch bei gesundem Gehirn nach Druckschwankungen der Gerebro- 
spinalllüssigkeit (Kocher) und in Fällen von Commotio cerebri aat 
— abgesehen von der später zu besprechenden Auslösung dun 
chemische Ursachen. 

Drittens und vor allem aber nun haben Kussmaul und Tenkbr 
die Möglichkeit noch nicht gekannt , durch Reizung der 
Hirnrinde, welche letztere sie noch für inescitabel hallen mußten, 
Oberhaupt epileptische Krämpfe auszulösen. Das gelang 
zuerst FRIT8CH und Hitzig, nachdem bereits 1864 Huqhlinqs 
Jackson die Hypothese ausgesprochen hatte, daß der Epilepsie eine 
Reizung der Hirnrinde zu Grunde liege und auch die Ausbreitung 
der Krämpfe bei derjenigen Form der Epilepsie beschrieben hatte, 
die seitdem seinen Namen trägt. Seitdem hat die Diskussion nicht, 
aufgehört über die Frage, inwieweit der epileptische Anfall von d«M 
Rinde, inwieweit von subcorticalen Hirnteilen abhängig sei. * 

Jedoch erscheint die Pathologie einer Form der Epilepsie zu- 
nächst gesichert, die wir, im Unterschiede zu der genuinen, nach dem 
eben genannten englischen Arzte als JACKSONsche Epilepsie 
bezeichnen. Ihre Unterschiede von jener beslehen darin, daß ihre 
Krämpfe nicht als allgemeine einsetzen, sondern sich zunächst loksl. 
ausbilden, gewöhnlich klonisch beginnen, um dann erst auf änderte 
Körpergebiete fortzuschreiteu. Sie köunen dann auf die andere Seite 
übergehen , und schließlich kann ein epileptischer Anfall , der als 
jACKSONscher begonnen hat, nicht anders aussehen, wie der der ge- 
nuinen Epilepsie. Der jACKSONsche Anfall kann jedoch auch halb- 
seitig begrenzt bleiben, er kann auch rein auf einen begrenzten Teil 
der Körpermuakulatur, wie z. B. die des Arms oder die des Ge- , 
ßichts u. s, w,, sich beschränken. Solange er nicht allgemein wirdr' 
braucht ein Bewußtseinsverlust nicht einzutreten. 

Diese Form der Epilepsie kann nun in ganz der gleichen Form, 
wie sie beim Menschen auftritt, auch experimentell beim Tier erzeugt 



ER ^ 



P 



1) Nur Fälle der auf einer Affektion ficr iwripheren Nerven beruhenden StaU* J 
tetanie bomen uns unter diesen Umständen zur Beobarbtuug. 

3) Auf der Annahme einer eolchen vasomotorischen Theorie beruht wohl ■ 

der gänzlich miSgliJckte Versuch, die Epilepsie durch Durcluchneldune des Hab-I 
ejmpathicuB, beew. Entfernung dea Ganglion eupremum eu heilen (vergL S. SJ.I. 




jACKSONBche Epilepsie. 249 

werden, durch Verwendung stärkerer und längere Zeit applizierter 
Ströme, als sie für die Hervorrufung lokalisierter Bewegungen von 
nöten sind ^). Wir sehen dann zunächst einen klonischen Krampf der- 
jenigen Extremität, deren Zentrum wir reizen, also z. B. der vorderen ; 
oft genug gelingt es durch zeitiges Abbrechen der Reizung diese 
Form des lokalisierten Krampfes rein zu erhalten. Reizt man jedoch 
weiter, so kommt es zu einem Fortschreiten der Krämpfe auf weitere 
Muskelgebiete, und zwar entspricht die Reihenfolge, in welcher die 
Muskeln in Aktion treten, der Lage der für die lokalisierte Erregung 
festgestellten Zentren. Beginnt der Krampf also im Facialis, so folgt 
zunächst immer erst die vordere, dann die hintere Extremität, be- 
ginnt er in der vorderen Extremität, so breitet er sich gleichmäßig 
nach dem Facialis und der hinteren Extremität aus^). Der Uebergang 
auf die andere Seite erfolgt häufig so, daß hier zuerst die hintere 
Extremität, als die der Mittellinie nächste beginnt, und dann Arm 
und Facialis folgen. Nicht selten beginnen auf der zweiten Seite — 
worin wir Ziehen beistimmen — jedoch auch andere Muskeln. 
Der Reizerfolg überdauert die Reizung. Hat erst einmal die Aus- 
breitung des Krampfes begonnen, so können wir die Elektroden entfernen, 
der Krampf geht seinen Weg weiter. Es handelt sich also um die 
Auslösung einer Erregung durch einen Reiz, welcher sich dann aber 
selbständig und unabhängig von der Fortdauer des äußeren Reizes weiter 
verbreitet Die Erregung nimmt ihren Ausgangspunkt natürlich von 
der Rinde, da wo wir reizen, und man kann, wie H. Munk gezeigt 
hat, ihre Ausbreitung dadurch verhindern, daß man zu einer Zeit, wo 
der Krampf noch lokalisiert ist, die Reizstelle rasch exstirpiert Auch 
die Reihenfolge, in der der Krampf sich verbreitet, macht es kaum 
zweifelhaft, daß auch bei der Fortpflanzung der Erregung die Rinde 
mindestens wesentlich beteiligt ist. Indem wir die Frage, ob sie es 
allein ist, auf später verschieben, möchten wir zunächst noch auf einen 
Umstand eingehen, der die Analogie zwischen der menschlichen Jack- 
soNschen Epilepsie und der experimentell durch Rindenreizung zu 
erzeugenden zu einer vollständigen macht, nämlich die* Tatsache, daß 
ein dauernder Reiz im stände ist, periodisch Anfälle auszulösen. Wir 
brauchen im Experiment durchaus nicht immer die Elektroden an- 
zusetzen, um einen Anfall zu erzeugen, sondern unter Umständen 
führt der Druck einer Operationsnarbe an einer motorisch erregbaren 
Stelle des Gehirns zu in unregelmäßigen Abständen einsetzenden, durch 
Stunden oder Tage voneinander getrennten Anfällen (Hitzig). So führt 
auch beim Menschen eine Geschwulst oder eine Cyste nicht zu einem 
dauernden Krampf, sondern zu sich mehr weniger oft wiederholenden 
Krämpfen. Das ist nicht etwa die Folge einer Steigerung des Reizes, 
sondern ist eineSumniationserscheinung, wie ein jeder periodische Erfolg ; 

1) Die elektrische Reizung ist natürlich auch hier wieder, wie bei der Er- 
zeueung der lokalisierten Bewegung, nicht die einzige, sondern nur die Methode der 
Wahl. Der Entzündungsreiz, mechanische und chemische Keize können auch Krämpfe 
von der Rinde aus erzeugen. In Bezug auf die letzteren ist jedoch zu bemerken, 
daß Stoffe auf die Rinde aufgebracht, hier ganz andere Wirkungen entfalten, als 
vom Blutkreislauf aus, und daß man z. B. nicht etwa einen Schluß auf die Ent- 
stehung der cholämischen Krämpfe aus den Wirkungen der Aufbringung von Qalle 
auf das Gehirn machen darf. 

2) Auch die Augenmuskulatur kann sich natürlich auch bei der jACKSOXschen 
Epilepsie beteiligen. So haben wir einen Fall gesehen, in dem. sie sich allein auf 
eine Deviation conjugec und einen Facialiskrampf beschränkte. 




250 XTV. Die Beimiif; der GroBhimrinde. Der epilepÖBche Krsmpl 

es herrsclien hier die f;;leichen Gesetze, wie bei andereu rhjthmiscbi 
Erscheinungen, nur daß die Großhirnrinde nicht gerade sehr günsl 
für ihre Aufdeckung ist, vor allem auch deshalb, weil ihre Erregbi 
keit durch alle möglichen inneren uud äußeren Ursachen, Schlaf u 
Wachen, Genuß erregender Stoffe, wie des Alkohols, so leicht zu be- 
einflussen ist. Die therapeutische Folgerung, die man aus dem Cm- 
fitande, daß ein dauernder Reiz immer wieder AnfSlle JACKSONscher 
Epilepsie machen kann, gezogen hat, ist die, das reizende Moment 
durch einen operativen Eingriff — insoweit seine Beseitigung durch 
die interne Therapie, wie etwa die eines Gumma durch die antisjphi- 
Utische Kur, nicht möglich ist — zu entfernen, Knochendepressionen 
zu heben, Cysten zu entleeren, Tumoren zu exatirpieren. Findet man 
einen zirkumskripten und benignen Herd der Art. so gehSren die 
operativen Erfolge zu den blendendsten der modernen Chirurgie. In- 
wieweit mau auch diffuseren Prozessen, wie sie nicht selten — etwa 
durch eine Encephalitis des Kindesalters bedingt — zu jACKSONScher 
Epilepsie führen, durch die operative Entfernung des kranken Gehirn- 
teiles, des Zentrums der Epilepsie, mit dauerndem Erfolge bei- 
kommen kaun, ist noch nicht entschieden'). 

Die Erfolge der operativen Therapie in typischen Füllen sini 
sicherlich der beste Beweis für die corticale Auslösung der jACKSOMt 
scheu Epilepsie. Allein es wird behauptet, daß im Verlaufe des epi- 
leptischen Anfalls auch noch subcorticale Zentren in Aktion treten. 
Die Vertreter dieser gemischten Theorie sind neben Anderen Bubnofp 
uud Heidenhain und Ziehen, während insbesondere Unverricht 
die rein corticale Entstehung des Anfalles verficht. Zibben eigen- 
tümlich ist die Anschauung, daß nur die klonische Komponente des 
Anfalles von der Rinde, die tonische aber von subcorticalen Zentren 
abhängig sei. Alle Autoren stützen sich auf experimentelle Ergeb- 
nisse, die wir selbst nachgeprüft haben. Es ist uns zunächst nie ge- 
lungen, wenn wir die elektrisch erregbare Region des Hundehirns so 
weit abgetragen hatten, dali die innere Kapsel gänzlich frei lag, durch 
Reizung derselben noch einen die Reizung wesentlich überdauernden 
Erfolg zu erzielen. Ohne Erregung der Rinde also geht es nicht, 
und daher dürfte ein Beweis schwer zu erbringen sein, daß bei El^ 
regung der Rinde noch andere Zentralorgaue in Erregung geraten. 
Durch Entfernung einzelner „Zentren" gelingt es beim Hund kaum, 
die betroffenden Muskeln aus dem Krampfanfall auszuschalten. Aber 
wir werden in einem späteren Kapitel zu bespreclieu haben, daß wir 
durch die Exstirpation dieser angeblichen Centren, von denen ans wir j 
also lokalisierte Bewegungseffekte bekommen, ilie Vertretung dieserV 
Muskeln auf der Rinde wahrscheinlich durchaus nicht völlig beseitigen.! 

1 ) Die ^enuioK Epilepsie entzieht sich jeder BeeinfluHaung durch eolcbe opouüven 
Eiii^irfe, weil hier der epileptische Krampf eben nur das Svoiptom täner all^emeuieii, 
häufig zur Verblöd UQK fOhreadeo Ritidenerkrankuag ut. liier kÖDuea wir nur y<r- 
HUchen, durch Fernhaltutig iLller erregenden Einfliisae und dazu durch HerabceUni^ 
der Erregbarkeit der moIoriGi'heD I^gion — mittels Brom und NArL-otica — die 
Anfälle zu beschränken. Im übrigen gilt gerade auch für die genuine EpUepaie da* 
periodische Auftreten nicht nur der Krampfan fälle, aondern auch paychlscLs 
Abnonnitäteu, wie der sogenannten epileptischen Verstimm ungen, — für charakte- 
ristiscb. — Die Erscheinung al>er , daß dauernd einwirkenae Reize periodisclw 
ätärungen zur Folge haben , tritt uns auch bei anderen psjchiechen Stdnmgeo 
sehr häufig entg^en, bei dem AJkoholiateu iin Delirium tremens oder Riideren akut«a 
und vorühergeheoden Störungen, und bei den meisten üeisteekrankheiteu in dem 
Wechsel zwiM^eo ErregungszustSndeu und depreaalver oder stuporöser Phase. 



i 




jACKSONBche Epilepsie. 251 



Soweit wir trotzdem solche Versuche angestellt haben, ist es uns auch 
nicht gelungen, die klonische Komponente ganz aus dem Krampfbild 
auszuschalten, wenngleich wir nicht selten ein Ueberwiegen des Tonus 
in den so geschädigten Körpergebieten sahen. Wenn wir nach Ent- 
fernung einer ganzen Großhirnhemisphäre (und Heilung der Wunde) 
die erregbare Region der zweiten Hemisphäre reizten, so haben wir 
auch unter diesen Umständen beim Hunde noch klonische Zuckungen 
auf der der operierten Seite kontralateralen Körperhälfte eintreten 
sehen. Es sind das die sekundären Zuckungen Unyerrichts, 
welche aber wohl sicher dufch die homolateralen Verbindungen der 
allein noch erhaltenen Hemisphäre vermittelt werden. Insbesondere 
der obere Facialis ist immer doppelseitig in Erregung zu setzen. 
Daneben kam insbesondere am Hinterbein der geschädigten Körper- 
hälfte auch oft ein nicht sehr starker Tonus zum Vorschein, der am 
Vorderbein meist gänzlich fehlte. Es dürfte demnach auch der Tonus 
mindestens zum Teil in der Rinde seine Entstehung finden. Diese 
Ergebnisse beziehen sich auf den Hund, bei einem Affen vermochten 
wir nach umfangreicher Exstirpation der einen Hemisphäre in den 
von dieser versorgten Muskeln (wieder mit Ausnahme des Facialis- 
gebietes) überhaupt keine Bewegung mehr auszulösen. Gleiches be- 
richtet auch Probst von einem Affen, dem er die innere Kapsel 
einer Seite durchtrennt hatte. Wir müssen uns also dafür entscheiden, 
daß der durch Hirnrindenreizung erzeugte Anfall, das völlige Analogen 
der jACKSONschen Epilepsie beim Menschen, nicht nur von der Groß- 
hirnrinde ausgelöst wird, sondern sich mindestens zum allergrößten 
Teil auch in der Großhirnrinde abspielt. 

Fraglich bleibt es, inwieweit diese durch das Studium der Jack- 
soNschen Epilepsie gewonnene Erkenntnis auch für den Anfall der 
genuinen Epilepsie gilt. Aeußerlich unterscheidet sich letzterer von 
dem jACKSONschen, wie berichtet, vor allem durch das Einsetzen mit 
einem tonischen Stadium. Aber man kann diesen Beginn auch manch- 
mal bei künstlicher Reizung der Rinde erzielen, wenn man plötzlich 
sehr starke Ströme auf dieselbe hereinbrechen läßt. Andererseits kann 
auch der echte epileptische Anfall beim Menschen nach Art des JACK- 
SONschen mit klonischen Bewegungen einer Extremität, mit einer so- 
genannten motorischen Aura, beginnen. Die Versuchung liegt ja natür- 
lich sehr nahe, auch die verschiedenartigen Formen der sensorischen 
Aura durch die Entstehung der epileptischen Erregung in den sen- 
sorischen Gebieten der Rinde zu erklären. Es sind auch schon bei 
Herderkrankungen außerhalb der motorischen Zone, z. B. der Occipital- 
region beim Menschen epileptische Anfälle beobachtet worden. Aber 
der Beweis ist nicht erbracht, daß es sich in diesen Fällen um die 
Fortleitung einer Erregung in der Rinde, und nicht entweder um 
mechanische Fernwirkung oder allgemeine Schädigung des Gehirns 
gehandelt hätte. Beim Tier gelingt es nur, wenn man ganz excessive 
Ströme, die durch Stromschleifen wirken können (H. Munk), verwendet, 
und nach unseren Erfahrungen auch dann meist nicht, vom Occipital- 
lappen aus epileptische Anfälle auszulösen. Es ist aber sehr wohl mög- 
lich, und es spricht vieles dafür, daß dem Organismus Mittel, die wir 
vorläufig künstlich nicht herstellen können, zur Verfügung steheil, um die 
Fortpflanzung einer solchen Erregung auch von sensorischen Regionen 
der Rinde zu bewerkstelligen. Vor allem reizen wir im Versuch immer 
die Hirnrinde normaler Individuen, der große epileptische Anfall ist 



aber doch eben das Symptom einer pathologischen Veränderung d' 
Hirnrinde. Wir hätten daher zuerst danach zu fragen, ob wir ein Mittel 
haben, um experimentell nicht nur den epileptischen Anfall, nicht 
nur die jACKSONscbe Epilepsie, sondern auch die idiopathische Epi- 
lepsie herzustellen. Etwas ähnliches ist zuerst BROWN-SßQüARD ge- 
lungen, der durch sehr verschiedene Verletzungen am zentralen lAd 
peripheren Nervensystem, am Ischiadicus, am Rückenmark, an den 
Hinischenkeln Meerschweinchen epileptisch machte, derart, daß sie 
längere Zeit hindurch spontane epileptische Anfälle bekamen. Gleiches 
erzielte Westphal durch Verhämmern des Kopfes. In den Brown- 
SfiQUARDSchen Versuchen sind zwei Momente besonders bemerkens- 
wert. Es gelingt beim epileptischen Meerschweinchen sehr leicht durch 
sensible Reizung der Körperperipherie, und zwar hauptsächlich einer 
typischen Zone, der Wangen und Halsgegend, epileptische Anfälle 
auszulösen. Das würde der seltenen, sogenannten Reflexepilepsie beim 
Menschen entsprechen, die durch Druck auf insbesondere pathologisch, 
z. B. narbig veränderte Stellen der Haut ausgelöst werden kann. 
Auch beim Meerschweinchen soll sich im Bereich der epileptogenen 
Zone eine Ernährungsstörung der Haut entwickeln, ihr Zusammen- 
hang mit der Verletzung sowohl, wie mit der Epilepsie, ist gänzlich 
unklar. Sehr merkwürdig ist ferner die Angabe, dalS die Meer- 
schweiDcheuepilepsie auf die Jungen vererbbar ist. Schon die Art 
ihrer Entstehung durch alle möglichen, auch iieripheren Verletzungen, 
ferner der tiefe Stand des Meerschweinchens in der Tierreihe, würden 
auch aus einem genaueren Studium der Meerschweinchenepilepsie be- 
züglich der Lokalisation im Gehirn keinen Schlull auf die menschliche 
Epilepsie zulassen. 

Vielleicht würden dazu noch eher die durch toxische Substanzen 
zu erzeugenden epileptischen Anfälle bei höheren Tieren dienen können. 
Denn beim Menschen kann die chronische Vergiftung mit gewissen 
Substanzen, insbesondere durch Alkohol, zu Erscheinungen führen, 
die von der genuinen Epilepsie nicht zu unterscheiden sind (Alkohol- 
epilepsie), und Magnan hat andererseits gezeigt, daß beim Tier durch 
Injektion von Absynthessenz in den Blutkreislauf typische epileptische 
Anfälle auszulösen sind. Aber der Ursprung dieser Krämpfe ist noch 
nicht mit Hilfe von Exstirpationen einzelner Hirnteile genauer geprüft 
worden. Auch Reizungen der Rinde sind während dieser Vergiftani 
wohl noch nicht ausgeführt worden. In Bezug auf den Anfal 
der genuinen Epilepsie des Menschen werden wir 
mit der Wahrscheinlichkeit zn bescheiden haben, da 
er in der Großhirnrinde entsteht und mit der Möglich' 
keit, daß er auch in der Großhirnrinde abläuft. 

Nicht mehr wissen wir auch von gewissen Krampfformeu de*' 
Menschen, die sicherlich durch Vergiftungen, und zwar durch Auto- 
intoxikatiouen hervorgerufen sind, die dem epileptischen Anfall oft vOllig 
gleichen, aber doch wegen ihrer offensichtlichen Beziehungen zu Stoff- 
wechselstörungen ä part gestellt werden müssen. Dahin gehören die 
eklamptischcn Anfälle der Urämie und insbesondere die der 
Schwangeren, die wegen ihres Zusammentreffens mit Nephritis 
zuerst von Frerichb auf die Vergiftung mit retinierten Stoffwechsei- 
produkteu bezogen wurden. Wie bekannt, nehmen die eklamptischea 
Krämpfe der Sehwangeren gewöhnlich mit der Geburt ein Ende, Die 
Nephritis, die in seltenen Fällen überhaupt vermißt wird, allein kann 



ft 

I 





Eklampaie. 253 

also ihr Grund nicht sein, und von vielen wird diese nur als eine der 
gleichen Quelle wie die Eklampsie entstammende Begleiterscheinung 
der letzteren angesehen. Man hat daher angenommen, daß aus dem 
Embryo oder auch aus der Placenta krampferregende Stoffe in den 
Blutkreislauf übergingen. Ganz sichere Anhaltspunkte liierfür sind 
noch nicht vorhanden. Es ist daher auch eine besondere durch die 
Schwangerschaft bedingte Neigung zur Eklampsie angenommen wor- 
den, entweder eine allgemeine Steigerung der Erregbarkeit (Landois) 
oder eine spezifische, nur für gewisse Gifte. Letztere haben Blum- 
reich und ZuNTZ am Tier durch Injektion des krampferregenden 
Kreatinin zu beweisen gesucht. Wir halten jedoch die Versuche 
von Blümreich und Züntz, die bei schwangeren Tieren zur Er- 
regung von Krämpfen geringere Dosen brauchten, als bei normalen, 
deshalb nicht für beweisend, weil sie sich nur der intraarteriellen In- 
jektion und der direkten Einwirkung des Giftes auf das Gehirn be- 
dient haben, beides Methoden, die eine exakte Dosierung überhaupt 
nicht zulassen. 

Eine besondere Neigung zu Krämpfen hat auch das Kindes-, be- 
sonders das Säuglingsalter. Zum Teil sind wohl auch hier Intoxi- 
kationen, z. B. vom Verdauungskanal, oder durch bakterielle Produkte, 
als die auslösende Ursache auf Grund der besonderen Erregbarkeit 
des Zentralnervensystems zu beschuldigen. Zum Teil werden gerade 
für die Eklampsie der Kinder mit Vorliebe reflektorische Ursachen 
angeschuldigt, sehr populär ist als solche der Zahndurchbruch. Der 
Ausgangspunkt der Eklampsie ist sicher in einem Teil der Fälle die 
Großhirnrinde, was schon aus dem gar nicht seltenen Vorkommen halb- 
seitiger Eklampsie mit großer Wahrscheinlichkeit folgt. Ob das immer 
der Fall ist, ob nicht gerade beim Kind etwa der Hirnstamm eine 
größere Rolle spielt, als beim Erwachsenen, ist freilich unsicher. 

Es ist hier nicht der Raum, auf eine Reihe von Krampfformen 
einzugehen, welche durch Vergiftungen mit Blei, mit Santonin und 
anderen toxischen Agentien erzeugt werden können, auch die vom 
Rückenmark ausgehenden Krämpfe sind bereits früher erwähnt wor- 
den, und die Lehre von den Krämpfen konnte hier nicht vom pharma- 
kologischen Standpunkt, sondern nur in Bezug auf die Rolle, welche 
die einzelnen Teile des Zentralnervensystems bei ihrer Erzeugung 
spielen können, behandelt werden. 

Wir haben nun noch einige Worte zu sagen über die Wege, 
welche die in der Großhirnrinde durch einen künst- 
lichen Reiz gesetzte Erregung einschlägt, um, sei es 
lokalisierte Bewegung, sei es Krämpfe auszulösen. 
In Bezug auf einige anatomische Details der motorischen Bahnen 
müssen wir jedoch hier auf ein späteres Kapitel verweisen. Als 
die Hauptbahn gilt mit Recht allgemein die Pyramidenbahn. Er- 
innern wir hier nur kurz daran, daß sie ohne Unterbrechung von der 
Großhirnrinde bis zum Rückenmark verläuft und nur im Hirnstamra 
als dem Ursprungsgebiet der Hirn nerven vorher eine Anzahl Fasern 
abgibt. Sowohl beim Tier als beim Menschen kreuzt sie aber nicht 
ganz vollständig. Ihre Mächtigkeit nimmt in der Reihe der Säuge- 
tiere erheblich zu; während sie beim Igel nicht über das Halsmark 
hinaus zu verfolgen ist, bildet sie beim Menschen nicht nur durch 
die ganze Länge des Rückenmarkes die Hauptmasse des Hinterseiten- 
stranges {6d Fig. 1 der Tafel), sondern bildet hier auch einen erheb- 



liehen Teil des — und zwar des ungekreuzten — Vorilerstranges 
{6e Fig. 1, vergl. auch Fig. 23, S. 111). Ob die ungekreuzte Pyra- 
midenstrangbahn durch den elektrischen Reiz Bewegungen auslösen 
kann, ist wohl wahrscheinlich, läüt sich aber experimentell nicht be- 
weisen, weil wenigstens dem niederen Affen, an dem wir solche 
Versuche anzustellen gewohnt sind, noch jede Pyramiden vorder- 
strangbahn fehlt Bei den niederen Säugern dürften jedoch auch 
die ungekreuzten Fasern der Pyramidenseitenstrangbahn elektrische 
Reizerfolge vermitteln können, wie aus der erwähnten Möglichkeit 
gleichseitiger Reizerfolge wahrscheinlich wird, insofern dieae nicht auf 
andere Bahnen bezogen werden müssen. 

Wenn die Pyramidenseitenstrangbahn aber sicherUch den elek- 
trischen Reiz leitet, so kann man fragen, ob dieser Reiz direkt die 
Riesenpyramidenzellen bezw. die in ihnen entspringenden 
Achsenzylinderfibrillen, aus welchen nach Monakow die Pyramiden- 
bahnen entspringen, errege. In dieser Beziehung ist es in der Tat 
sehr bemerkenswert, daß der durch schwache Ströme erregbare Be- 
reich der Hirnrinde ziemlich genau der Ausbreitung der Ries^i- 
pyramidenzellen zu entsprechen scheint. Das geht insbesondere aus 
den Untersuchungen Brodmanns am Affen und auch an Carnivoren 
hervor. Die von Brodmann gefundenen Grenzen für die Riesen- 
pyramidenzone stimmen fast genau mit den von Hitzig angegebenen 
Zonen überein. Ob nun freilich der elektrische Reiz sich bis zn 
den Riesenpyramidenzellen direkt ausbreitet oder ob er auf (sicher- 
lich bestehenden) nervösen Verbindungswegen erst von der OberflSdie 
der tiefen Schicht der Ricsenpyramidenzellen zugeleitet wird, ist nicht 
zu entscheiden. 

Hier würde sich nun die Frage wieder erheben, ob die durch 
Erregung der Hirnrinde außerhalb der mit schwachen Reizen elek- 
trisch erregbaren Region erzielten Reizerfolge durch eine Zuleitung 
der Impulse auf dem Wege von Associationsbahnen zu der Region 
der Riesenpyramidenzellen erfolgen, also doch gewissermaßen als ein 
Analogon physiologischen Geschehens, nicht nur als die Folge fehler- 
hafter Methodik angesehen werden dürfen. Sherrington und Grön- 
BADU neigen für die Deutung der Reizerfolge gewisser Hirnparlien 
dieser Deutung zu. Sie selbst fanden, daß die Reizung der hinteren 
Zentralwindung, ohne selbst einen motorischen Effekt auszulösen, die 
Erregbarkeit der vorderen Zentralwindung steigert. Diese Erscheinung 
bezeichnen sie als Bahnung, setzen also jedenfalls ein anatomisch 
präformiertes Substrat, keine einfache physikalische Fortpflanzung des 
Reizes voraus. Inwieweit in allen Einzelfällen solche Verbindungen 
vorliegen, ist noch nicht genügend erforscht. 

Sicher aber ist soviel, daß dem elektrischen Reiz außer den 
Pyramiden bahnen auch andere Bahnen zur Peripherie offen stehen, 
und weiter, daß auch motorische Effekte von der Hirnrinde ohne 
direkte oder indirekte Erregung der erregbaren Zone in der vorderen 
Zentralwin dun g, bezw. des ihr beim niederen Säuger physiologisch 
entsprechenden Gebietes ausgelöst werden können. Insbesondere erhielt 
SchXfer beim Affen noch Seitwärts Wendung der Augen vom Occipttal- 
lappen, wenn er ihn in der Höhe der Zentralfurche durch einen 
tiefen Schnitt von dem frontalen Teil des Gehirns getrennt hatte. 

In der Tat ist ja auch diePyramidenbahn durchaus nichl 
die einzige zentrifugal leitende Bahn des Großhirn 



i 



Bahnen des künstlichen Beizes. 255 



und insbesondere der Stirnlappen besitzt ja einen recht ansehnlichen 
Anteil an der zweifellos zentrifugal leitenden Fasermasse des Pedun- 
culus cerebri, wenngleich nicht an den Pyramiden, und ist der Befund 
von H. MuNK über die Erregbarkeit des Stirnlappens zutreffend, so 
würde sich schon daraus die Wahrscheinlichkeit ergeben, daß auf dem 
Wege des Pedunculus noch ein zweiter der künstlichen Reizung offener 
Weg von der Großhirnrinde besteht. Damit wäre dann auch die Rolle 
der Riesenpyramidenzellen bestritten, insofern sie dann nicht 
mehr die einzigen sein können, welche den elektrischen 
Reiz vermitteln könnten, sondern sich nur durch die Leichtigkeit 
ihrer Erregbarkeit von einer Reihe anderer Zellen — deren Ver- 
breitung also im einzelnen noch unbekannt ist — unterscheiden 
würden. 

Zu dem gleichen Resultat führen uns nun auch die Versuche, welche 
über die Erregbarkeit der erregbaren Region im engeren Sinne selbst 
angestellt worden sind. Auch die von hier bewirkten Reizeffekte sind 
nicht gebunden an die Integrität der Pyramidenbahn und demnach — da 
-die Riesenpyramidenzellen wahrscheinlich allein den Pyramidenbahnen 
den Ursprung geben — auch nicht an die Riesenpyramidenzellen. Zu 
diesem Beweis vereinigen sich folgende Tatsachen: Es besteht eine 
•elektrische Rindenerregbarkeit bereits bei Tieren, die noch eine ganz 
geringe, bereits im Halsmark sich erschöpfende Pyramidenbahn be- 
sitzen, wie dem Igel. Ferner hat Brodmann ein Stück einer patho- 
logischen Rinde der vorderen Zentralwindung vom Menschen unter- 
sucht, von dem aus F. Krause lokalisierte Reizerfolge bekommen, 
und das er dann exstirpiert hatte; in diesem fanden sich keine 
Riesenpyramidenzellen. Vor allem aber sind in den letzten Jahren 
über die Rindenreizung nach Durchschneidung der Pyramidenbahn 
im Rückenmark, so viele Untersuchungen mit im allgemeinen über- 
einstimmendem Ergebnis angestellt worden, daß für das Tier nur 
noch über die Lage der die Pyramidenbahn unterstützenden Bahnen, 
nicht mehr über die Entbehrlichkeit der Pyramiden bahn als solcher 
•ein Zweifel bestehen kann. Es hat zuerst Starlinger unter ge- 
nügender anatomischer Kontrolle, weiter Wertheimer und Lepage, 
Prüs, Hering, Probst u. A. gezeigt, daß die Durchschnei- 
dung der Pyramidenbahn die Erfolge der elektrischen 
Erregbarkeit der Rinde beim Hunde nicht aufhebt. Von 
Probst wurde dieser Befund für die Katze bestätigt und erweitert, 
insofern von ihm als der hauptsächliche neben der Pyramidenbahn 
noch in Betracht kommende Weg das MoNAKOwsche Bündel 
erkannt wurde, das aus dem roten Kern entspringt, in der Forel- 
schen Kreuzung auf die Gegenseite verläuft, und neben der Pyra- 
midenbahn, zum Teil mit ihren Fasern gemischt, im Hinterseitenstrang 
des Rückenmarkes absteigt {7a Fig. 2 der Tafel). Probst selbst 
nimmt nun eine sehr einfache Verbindung von der Großhirnrinde 
zum roten Kern, mit nur einer Unterbrechung im Thalamus opticus, an. 
Da wir eine solche Verbindung aus später zu erwähnenden Gründen 
leugnen, bleibt uns nur ein Weg übrig, der zuerst von Kohn- 
stamm angegeben worden ist, nämlich der durch den Pedunculus 
<;erebri zum Brückengrau (6, 6a Fig. 1), von hier in der Hauptsache 
kreuzend durch den Brückenarm {6b Fig. 1) zur Kleinhirnrinde (Ce), 
•dann zum Nuc. dentatus (D) und von hier wiederum kreuzend zum 
roten Kern {Ru\ wo das MoNAKOwsche Bündel entspringt. Das wäre 



25H 



XIV. Die Bdrang der OroflhirDrind& Do- epileptische Eninpf. 




also ein Wey üi.er das Kleinhirn, Nach der Durchschneiiiuiig 
Peilunculus in der vorderen Vierha^-elgegend haben wir alle lokalisierten 
Reizeffekte dem entsprechend fehlen sehen, während sich nach der An- 
schauung von Probst die Bahn zum roten Kern schon vorher in den 
Thalamus abgezweigt haben mußte. Sicherlich aber gehen nach allge* 
meiner Anschauung alle zentrifugale Erregungen führende Bahnen 
durch die innere Kapsel. Der einzige Unterschied der Rinden erregbarkeit 
nach Pyramidendurchschneidung beim Hunde ist nach Rothmann der, 
daß stärkere Ströme erforderlich sind, so daß also die jedenfalls an- 
zunehmende, wenn auch im Verlauf noch strittige, indirekte Bahn 
schwerer erregbar wäre als die Pyramiden, denn nach Durchschueidunf^ 
anderer Bahnen bei Erhaltung der Pyramide zeigte sich eine solche 
Verminderung der Rindenerregbarkeit nicht. 

Aber auch Durchsclineidung der Pyramide mit dem Monakow- 
schen Bündel zusammen vernichten den Erfolg der elektrischen Him- 
rindenreizung nicht völlig. Wir selbst haben hei der Katze gefunden, 
daß die Erhaltung eines Teiles des Vorderstranges genügt, um, wenn 
auch grobe und unvollkommene, und nur durch starke Reize hervor- 
zurufende, isolierte Bewegungen von der Hirnrinde noch zu erzielen*). 
Der Weg, den diese schließlich durch die Vorderstränge passierenden 
Impulse einschlagen, ist im einzelnen nicht festgestellt, vielleicht gehen 
auch sie zu einem größeren oder kleineren Teile durch das Kleinhirn, 
sicherlich — unserer Anschauung nach — durch den Pcdunculus 
cerebri. Soviel vom niederen Säugetier. 

Beim Affen liegen die Dinge nach Rothmann schon wesentlich' 
anders. Er findet nach Pyramidendurchschneidung nur noch zwei 
kleine Bezirke, den einen an der oberen, den anderen an der unteren 
Grenze der Zentralwindung, für elektrische Ströme noch erregbar. Er 
erhielt noch isolierte Fingerbewegungen, Rotation und leichte Be- 
wegungen des Armes und Streck-, sowie Beugebewegungen des Beines 
und der Zehen. Inwieweit der von Monakow gegen diese Versuche ge- 
machte Einwand, daß die erhaltene Erregbarkeit auf der Verschonung 
einzelner Pyramiden fasern beruhe, richtig ist, bleibe dahingestellt 
In der Tat ist es — wenn die Durchschneidung der Pyramiden babQi 
nach Rothmann in der Kreuzung geschieht — kaum möglich, durcb' 
anatomische Untersuchung die Erhaltung der zu oberst und unterst 
die Kreuzung eingehenden Pyramidenfasern auszuschließen, weil dw 
Beginn der Kreuzung sich gegen die Schleifenkreuzung, ihr Ende im 
Rückenmark nicht gegen die vordere Kommissur mit Sicherheit ab- 
grenzen läßt. In der Tat wären weiter nach Hering, der schon früher 
Rindenreiz versuche nach Durchschneidung der Pyramiden beim Affen 
angestellt hat. hier isolierte kontralaterale Bewegungen überhaupt 
nicht mehr zu erzielen, sondern nur horaolaterale, erst im Anschluß 
an diese dann bei starken Strömen auch sekundär solche der Gegen- 
seite, Ob diese Differenz der Resultate darauf beruht, daß Uerinq 
seine Reizungen sofort nach der Operation, Rothmann bis 30 Tage 
nachher angestellt hat, oder auf einer UnvoUkommenheit der Durdi- 
schneidnng in dem einen Falle, bleibt zweifelhaft. Auffallend bleibt 
sicher die Erhaltung der Erregbarkeit in den RoTHMANNschen Ver- 
suchen an den beiden Stellen, die den wahrscheinlich am weitesten 



1) Für iii;n Hund wird da» von Rothmask nicht angenoiiimeu 



I 



1 




BahDcu des künstlichen Beizes. 257 



oral und kaudal kreuzenden Fasern entsprechen. Sicher aber ist soviel, 
daß beim Affen die Einbuße, welche die elektrische Reizbarkeit der 
Rinde durch Pyramidendurchschneidung erfährt, eine ungleich größere 
ist, als beim Hund, wo sie kaum merklich ist. Aber auch beim Affen 
soll nach Rothmann sogar nach Durchschneidung der Pyramide und 
des MoNAKOwschen Bündels zusammen noch eine Leitung der elek- 
trischen Erregung durch den Vorderstrang übrig bleiben. 

Daß wir beim Menschen keine sichere Erfahrung über diese 
Dinge, die durch das Auftreten einer Pyramidenvorderstrangbahn hier 
noch verwickelter werden, haben können, war bereits erwähnt. Nur 
der erwähnte KRAUSEsche Fall, wo eine Rinde ohne Riesenpyramiden- 
zellen noch die elektrische Erregung weitergab, könnte angeführt wer- 
den, wenn nicht die Möglichkeit gegeben wäre, daß in einer patho- 
logischen Rinde die Riesenpyramidenzellen sich zur Unkenntlichkeit 
verändert hatten. 

In den cortifugalen Bahnen hat man genau wie auf der Groß- 
hirnrinde selbst zu lokalisieren gesucht. Dicht unterhalb der Rinde 
hat die Reizung der Markfasern einen gleich lokalisierten Erfolg, wie 
die der Rinde selbst, aber auch von der inneren Kapsel kann man 
lokalisierte Erfolge haben, wie das besonders Beevor und Horsley 
durch Versuche am Orang gezeigt haben. In der von ihnen gewählten 
horizontalen Schnittebene lagen die motorisch wirksamen Fasern im Knie 
und im vorderen Teil des hinteren Schenkels der inneren Kapsel derart, 
daß die am weitesten frontal gelegenen Rindenfelder (der Augen) am 
weitesten vorn vertreten waren, dann die lateralen und am weitesten 
nach hinten die medialen der motorischen Zone folgten. Es gibt 
jedoch ein solcher Horizontalschnitt keine gute Vorstellung von den 
Dingen, da die Fasern hier zum größten Teil schief getroffen sind. 
Die Fasern müssen ja nach dem Pedunculus zu konvergieren, und 
es ist auch sicher, daß sie auf diesem Wege sich bereits in hohem 
Maße miteinander vermischen. Hier im Pedunculus scheinen nur noch 
die von den größeren Hirnterritorien stammenden großen Abschnitte 
der frontalen Brückenbahn, der Pyramide, der temporalen Brücken- 
bahn nebst einigen kleineren Bündeln untereinander abgrenzbar zu sein. 
Innerhalb der Pyramide sind nach Hoches anatomischen Ergebnissen 
die Fasern für Arm und Bein bereits innig gemischt. Lokalisierte 
Reizungen in dieser Gegend liegen nicht vor. Im Rückenmark haben 
Gad und Flatau innerhalb der motorischen Bahnen durch elektrische 
Reize zu lokalisieren gesucht, und finden, daß im allgemeinen die 
langen Bahnen exzentrisch zu den kurzen gelegen seien. Daß aber 
auch hier eine sehr weitgehende Vermischung statt hat, unterliegt 
keinem Zweifel. 

Diejenigen Bahnen, welche die lokalisierte Reizung zentrifugal- 
wärts leiten, leiten auch die epileptische Erregung. So sind 
beim Hunde nach den Angaben Herings u. A. nach Pyramidendurch- 
schneidung noch epileptische Krämpfe auszulösen. Die Bahnen, welche 
außer den Pyramiden noch in Betracht kommen, waren bereits genannt. 
Beim Affen bestehen demnach für die Leitung der epileptischen Er- 
regung die gleichen Differenzen zwischen den Autoren, wie betreffs des 
Erfolges der lokalisierten Bewegung. Hervorzuheben ist jedoch, daß 
aus der Unmöglichkeit der elektrischen Erregung ein Schluß auf die 
Unmöglichkeit der willkürlichen Erregung von der Rinde aus nicht 

Lewandowsky, Funktionen d. zentralen Nervensystems. 17 




gezogen werden darf. Die Wege der willkürlichen Bewegung müssen 1 
später noch einmal zur Besprechung kommen. 

Nur über die Ausbreitung des epileptischen Anfalles 
auf der Rinde muß hier noch etwas gesagt werden. Es war be- 
reits erwähnt worden, daß die Ausbreitung des Anfalls erfolgt nach 
der Lage der durch die elektrische Erregung festgestellten Zentren. 
Daß sie sich in der Tat durch Fasern fortpflanzt, die die Rindenzentren 
miteinander verbinden, durch kurze Associationsfasern also, 
geht aus der Möglichkeit hervor, durch Umschneidung eines Rinden- 
feldes den Krampf auf dieses zu beschränken. Der Weg, auf dem 
der Krampf auf die Gegenseite übergeht, war bisher noch zweifel- 
haft, da Unverright die Durchschneid ung des Balkens ohne Einflufi 
auf den Krampfverlauf gesehen hat. Demgegenüber müssen wir auf 
Grund von drei eigenen am Hunde angestellten ein wandsfreien Ver- 
suchen behaupten — die Tiere wurden erst drei Wochen nach der 
Balken durchschneidung gereizt — daß der Balken den Weg 
bildet, auf dem der epileptische Anfall auf die Gegen- 
seite übergeht. Nach seiner Durchschneidung kann man noch an 
jeder Seite typische epileptische Anfälle, aber nur noch einseitige, ana- 
lösen. Die auf der Seite der Reizung auftretenden Krämpfe waren in 
keinem Falle stärker, als sie bei totaler EKstirpation der gegenüber- 
liegenden motorischen Zone auch gesehen werden (vergl. S- 251), und 
erstreckten sich vornehmlich auf die doppelseitig auf der Rinde ver^J 
tretene Muskulatur, d. h. insbesondere auf die Facialismuskulatur. ■ 

Wir haben schließlich noch anzugeben, was über die Wirkunrt 
der Hirnrindenreizung auf das sympathische System 
bekannt ist. Daß zunächst die Erregung der Hirnrinde überhaupl'auf die 
sympalliischen Organe von Einfluß ist, zeigt der epileptische Anfall, in 
dem die Pupillen weit und starr werden, sehr häuäg Kot- und Harnent- 
leerung eintritt, und auch die Speichelsekretion sich vermehrt zeigen 
kann. Man hat sich vielfach bemüht, eine Lokalisation wie für die quer- 
gestreifte, auch für die glatte Muskulatur zu finden. Eine Pupillen- 
veränderung und zwar eine Erweiterung — eine Verengerung ist bei 
Rindenreizung überhaupt noch nicht beobachtet worden — läßt sidi 
beim Affen nach Ferrier und Bechterew am leichtesten durch 
Reizung vor der Präzeutralfurche auslösen. Die Stelle liegt ganz in der 
Nähe des Focus, für die Bewegung des Kopfes und der Augen nach der 
Gegenseite, und diese Bewegung ist auch gewöhnlich von PupUlen- 
erweiterung begleitet. Unter Umständen gelingt es jedoch, die Pu- 
pillen er weiter ung isoliert, und zwar stärker auf der Gegenseite als auf 
der Seite der Reizung auszulösen. Dabei scheint auch eine Erregung 
der vom Sympathicus versorgten Muskeln der Orbita einzutreten, die 
eine Vortreibung des Bulbus und Erweiterung der Lidspalte machen. 
Die Pupillenerweiterung soll jedoch nach Levinsohn nicht nur auf 
einer Erregung des Dilatator, sondern auch auf einer Hemmung des 
Sphinctertonus beruhen. Beim Hunde ist die Stelle analog gelegen, 
in der Nähe des Zentrums für die Augen und Kopfwendung nach der 
Gegenseite. Auch von den anderen Regionen des Gehirns, von denen 
man diese Reizerfolge bekommt, nämlich vom Occipitallappen (SchXfeb, 
Pärsens) und vom Gyrus angularis des Affen (Bechterew) sowie 
nach einigen sogar vom Teraporallappeu ist Erweiterung der Pupillt' 
zu erreichen; inwieweit es sich hier um sekundäre Wirkungen handel' 




Lokalisierte Reizung von Organen des eympathischen SystemR. 25& 



ist noch nicht sicher, während die Reizstelle im Frontallappen wohl 
sehr wahrscheinlich ihre eigenen Projektionsfasern besitzt. 

Blasenentleerung ist durch Reizung des medialen Teiles des 
Gyms sigmoideus posterior von Bechterew und seinen Schülern bei 
Hund und Katze erzielt worden, Frankl-Hochwart und Fröhlich 
beobachteten dabei zuerst Erschlaffung des Sphincter, dann Kontraktion 
des Detrusor, was ja dem Mechanismus der normalen Harnentleerung 
entsprechen würde, auch Kontraktion des Sphincter ist jedoch bei 
Reizung des Gyrus sigmoideus posterior beobachtet worden. Auch 
die Muskulatur des Anus und der Vagina ist von dieser Gegend des 
Hundegehirns, beim Affen von der medialsten Partie des Gyrus cen- 
tralis anterior, besonders dem Lob. paracentralis beeinflußt worden 
(Sherrington und Grünbaum). 

Die Angaben über die Beeinflussung der Magenperistaltik scheinen 
unsicher. 

Was die Wirkung der Hirnrindenreizung auf die Zirkulation 
anlangt, so neigte man nach den Untersuchungen von Eulenbürg und 
Landois, Stricker u. A. dazu, lokale Gefäßnervenzentren anzunehmen, 
die sich mit den motorischen decken sollten, so daß also die Stelle 



VolnmeD 
des Darmee 



Blntdrock 



mmmmmiNtt^^ 



M^mmmm 



Fig. 67. Wirkung lokalisierter Rindenreizung (vor dem Sulcus 6upraorbitali8)> 
auf Darmgefäße und Blutdruck bei der Katze nach einem von Verf. und E. Weber 
angeetellten Versuche. 

für die Bewegung des Hinterbeins zugleich Vasokonstriktion in dessen 
Bereiche auslösen solle und so fort. Wir haben in mit E. Weber 
angestellten Versuchen diese Beobachtungen nicht bestätigen können. 
Wir fanden beim Hund durch Reizung einer Gegend, die dem Vorder- 
beinzentrum entspricht, im lateralen Teil des Gyrus sigmoideus, bei 
der Katze durch Reizung weiter vorn am Sulcus supraorbitalis 
zwar eine mächtige Erhöhung des Blutdruckes, konnten sie aber weder 
auf diese Extremität, noch überhaupt auf die Gegenseile lokalisieren, 
sondern wir konnten sie auf eine Kontraktion der Gefäße des Splanch- 
nicusgebietes zurückführen, aus denen das Blut in solcher Menge 
in die Körperperipherie getrieben wird, daß nicht nur keine Vermin- 
derung des Extremitätenvolums, wie das nach der oben wiedergegeben en 
Anschauung zu erwarten wäre, sondern sogar eine Vermehrung eintritt 
(Fig. 67). Von E. Weber ist diese Blutdrucksteigerung nach Rinden- 
reizung als Begleiterscheinung der Bewegungsvorstellung erklärt und 
mit derjenigen Blutdrucksteigerung identifiziert worden, die beim 
Menschen einer Bewegungsvorstellung folgt. Jedenfalls ließ sich also 
im Experiment eine Beziehung der Hirnrinde zum Splanchnicusgebiet,. 

17* 



260 XIV. Die Beizung der GrofihirnriDde. Der epilepüsche Krampf. 



aber keine lokalen Reizpunkte für die Gefäßniuskulatur der Extremi- 
täten nachweisen. Ebenso konnte eine direkte Beeinflussung der 
Frequenz und Stärke des Herzschlages nicht gefunden werden. 

Beim Vogel ist von E. Weber auch eine Stelle des Großhirns 
gefunden worden, von der aus ein Anlegen der Federn zu er- 
reichen ist. 

Was die Drüsensekretion durch Reizung der Hirnrinde anlangt, 
so erhielten Külz und Braun Speichelsekretion durch Reizung in 
der Gegend des HiTZiGschen Mundfacialiszentrums am Hunde. Nach 
Bechterew und Mislawski liegt die Stelle noch weiter lateral. 
Auch für die Magensaft-, Gallen- und Pankreassekretion haben Bech- 
terew und seine Schüler Punkte angegeben, desgleichen für die 
Tränen- und sogar für die Spermasekretiou. Eine Nachprüfung haben 
diese Resultate bisher noch nicht erfahren. 



XV. Kapitel. 

Experimentelle Erfahrungen Über die Lokalisation im GroBhim. 

Durch die FRiTSCH-HiTZiGschen Reizversuche war unwiderleglich 
bewiesen, daß nicht allen Teilen des Gehirns dieselben Eigenschaften 
zukommen ; ein Teil der Gehirnoberfläche war durch schwache Ströme 
reizbar, ein anderer nicht. Inwieweit ließen nun diese Reizversuche 
einen Schluß zu auf eine Verschiedenheit der normalen 
Funktionen der Rindenteile, in welchem Maße bestehen natür- 
liche Differenzen in den Funktionen der Rindenteile; das war die 
Frage, welche — lange umstritten, im Prinzip heute entschieden, wenn 
auch bei weitem noch nicht in allen Einzelheiten erledigt •— nur 
durch die Prüfung der nach umschriebenen Gehirnver- 
letzungen eintretenden Ausfallserscheinungen zu 
lösen war. 

Trotzdem, wie immer wieder betont werden muß, die Klinik die 
prinzipielle Entscheidung zu Gunsten einer Lokalisation schon gegeben 
hatte, als die Physiologie das Prinzip hoch lebhaft bestritt und leug- 
nete, scheint es uns doch zweckmäßig, zunächst die Entwicklungs- 
geschichte der Lokalisation im Tierexperiment getrennt von den Er- 
gebnissen der Pathologie darzustellen. 

Eine essentielle Schwierigkeit zwar ist beiden gemein, der Klinik und 
der Physiologie, die Beurteilung dessen, was als eine Aus- 
fallserscheinung anzusehen sei. Sowohl in der Klinik wie im 
Experiment sehen wir es regelmäßig, daß nach einer akuten Zerstörung 
von Himsubstanz sich ein Teil der anfangs bestehenden Symptome 
wieder zurückbildet. Das kann man zunächst auf zweierlei Art er- 
klären. Erstens könnte der anfängliche Funktionsausfall der normalen 
Funktion des verletzten Teiles entsprechen und die Wiederherstellung 
durch ein Eintreten anderer Gehirnteile geleistet werden. In der 
krassesten Ausprägung hat Flourers diesen Standpunkt vertreten, der 
nicht nur jede Lokalisation leugnete, sondern auch behauptete, daß, wenn 
man das Großhirn bis auf einen kleinen Rest zerstörte, dieser Bruch- 
teil noch fähig sei, die Funktionen des ganzen Großhirns auszufüllen, 
und daß daher das Gehirn in einem verschwenderischen Ueberfluß an- 
gelegt sei. Mußte doch demgegenüber erst von Goltz betont werden, 
daß es überhaupt dauernde Ausfälle auch beim Tier gibt, was freilich 
schon beim Menschen feststand, solange es eine Hemiplegie gegeben 
hat, und diese auf cerebrale Zerstörungen zurückgeführt war. 

Daß aber ein Ersatz einer lokalen Rindenfunktion durch andere 
Rindenteile vorkommt, darüber ist andererseits gar kein Zweifel. Bis 




zu einem gewissen Urade kaiiu ersteos eine Hemisphäre für die andenv! 
können insbesondere wohl syiameti'ische Stellen für einander eintreten, 
and auch innerhalb einer Hemisphäre können sich wohl Ersatzvorgänge 
abspielen. Nur kann nicht jede Stelle für jede andere eintreten. 
Zieht man die Möglichkeit eines Ersatzes in Betracht, so würden 
natürlich gerade diejenigen Erscheinungen für die Bestimmung des 
lokalen Wertes einer Rindenstello maßgebend sein, welche sofort nach 
ihrer Zerstörung beobachtet werden. 

Zu dem umgekehrten Schlüsse fülirt nalflrlich die zweite Art di 
Erklärung der Rückbildungserscheinungen, die dahin geht, daß < 
lokaler Schnitt anfangs immer auch entferntere Teile des Gehirns 
Mitleidenschaft ziehe. Es war insbesondere Goltz, dann MrsK, 
welche auf Grund dieser Annahme fast nur die für immer dauernden 
Erscheinungen berücksichtigen wollten. Für Goltz waren alle un- 
mittelbareren Ausfälle Ausdruck eines Shocks, einer Hemmung, die 
von der Operationswunde ausging, und deren Dauer er nicht Anstand 
nahm, auf Monate zu bemessen (vergl. S. 50). Goltz wie auch 
Hitzig waren ferner der Meinung, daß sich eine solche Hemmung 
nicht auf die Rinde zu beschränken brauche, sondern aucli die Funk- 
tion der subcorticalen Zentren herabsetzen könne. ■ 

Monakow hat die Schwierigkeit der Annahme, daß ein Reizvor| 
gang ^ denn ein solcher ist die Hemmung — so lange Zeit dauern' 
sollte, vermieden durch die Theorie der Diaschisis. Er nimmt 
an, daß eine lokale Verletzung neben der irreparablen Zerstörung 
eines gewissen Territoriums immer auch eine reparable Schädigung 
anderer Teile setze, und zwar nicht nur lokal benachbarter, sondern 
auch solcher, welche mit dem zerstörten in einem funktionellen Zu- 
sammenhange, in einem „Neuronenkomplexverband" gestanden hätten. 
Unwesentlich ist dabei die Annahme Monakows, daß es sich hierbei 
um eine Koutaktlockerung zwischen den Neuronen handle, einleuchtend 
aber, daß die Rückbildungserscheinungen auf der Wiedereinübung noch 
nicht anatomisch zerstörter, aber funktionell geschädigter Mechanismen 
beruhen, gegenüber der GoLTZschen Theorie, daß sie dem Nachlassen 
einer Hemmung zu verdanken seien. Für die funktionelle Deutung 
im Sinne der Lokalisation ist es natürlich gleichgültig, welche Theorie 
man vorzieht. Wichtig aber ist das Anerkenntnis, das sie beide er- 
möglichen, und das insbesondere von Hitzio betont worden ist, daß 
auch die vorübergehenden Folgen einer Hirnverletzung 
gesetzmäßige Erscheinungen und darum keineswegs zu ver- 
nachlässigen seien. 

Die Schnelligkeit der Rückbildung und der Grad, bis zu welchem 
diese fortschreitet, sind nun aber leider durchaus nicht konstaut, viel- 
mehr haben wir hier schon mit individuellen Differenzen 
rechnen. 

Es erscheint zunächst ganz sicher, daß die Stärke und Dauer 
indirekten Herdsymptome in der aufsteigenden Tierreihe gi 
beträchtlich zunimmt. Die Hirnrinde des Menschen ist sehr erheblicll 
empfindlicher als die der Tiere. 

Aber selbst innerhalb einer Tierspezies zeigen sich noch sehr 
wesentliche Differenzen. Kräftige Menschen überstehen eine lokale 
Hirnerkraukung mit geringerem Defekt als sehr geschwächte, insbeson- 
dere junge besser als sehr alte. Ferner kann die bewußte Uebung 
der geschädigten Funktion einen sehr erheblichen Rückgang einer ao- 



d(^ 



zu 




Beurteilung der Verletzungsfolgen. 263 



scheinend schon stationären Störung bewirken. Es gelingt manchmal 
noch nach Jahren, anscheinend gelähmte Glieder durch Uebungsbe- 
handlung bis zu einer recht vollkommenen Funktion zu bringen. Daß 
Sprachdefekte sich noch nach fast zehnjährigem Bestehen durch Uebung 
gebessert haben, ist mehrfach beschrieben worden. 

Es dürfte ferner von vornherein einleuchten, daß der Verlust des 
Sprachzentrums andere Folgen für das Lesen haben wird, bei jeman- 
dem, der nur laut zu lesen gewohnt war, als bei jemandem, dessen 
Lesen vom Sprechen ganz unabhängig war, also daß selbst die Art 
der üebung vor der Verletzung für die Folgen derselben mitbestimmend 
sein muß. 

Aber selbst wenn man das alles berücksichtigt, bleiben doch noch 
allerdings nur quantitative Differenzen zurück, die nicht anders als 
bedingt durch individuelle Schwankungen in der Wertig- 
keit einzelner Hirnterritorien gedeutet werden können. 

Alle diese Zugeständnisse aber können die große Wichtigkeit 
nicht vermindern, sondern nur noch mehr beleuchten, welche der 
anatomischen Untersuchung für die Grundlegung der 
Lokalisationslehre zukommt. Will man experimentelle Ergeb- 
nisse überhaupt für die Lokalisationslehre verwerten — was ja nicht un- 
bedingt nötig ist, man kann sich ja darauf beschränken, den Ausfall einer 
wie immer gearteten Funktion als solcher rein vom Standpunkte der 
Funktionenlehre aus zu studieren — so sollte jede experimentelle Ver- 
letzung, wie jeder pathologische Herd auf der lückenlosen Serienschnitt- 
reihe mikroskopisch nachgeprüft werden. Es sind bei experimentellen 
Verletzungen, so exakt sie auch ausgeführt sein mögen, Mitverlet^ungen 
von Nachbargebieten und vor allem solche der Projektionsfaserun g 
in ganz wechselnder Ausdehnung gar nicht zu vermeiden. Wenn 
wir etwa annehmen, daß eine Verletzung plangemäß nur 3 mm der 
Rinde hinweggenommen hat, so kann nur auf Grund mikroskopischer 
Untersuchung gesagt werden, daß nicht bis zu einer Tiefe von, sagen 
wir 8 mm und häufig noch mehr, die Gehirnblutungen und Er- 
weichungen vorgedrungen sind, und kann doch solch ein Zapfen einer 
Verletzung leicht Projektionsfasern, die gar nicht zur Verletzungs- 
stelle, sondern zu entfernten Gehirnprovinzen ziehen, zerstören. Wie 
häufig kommt es ferner bei pathologischem menschlichen Material vor, 
daß die oberflächliche Untersuchung nur einen Herd aufzuweisen 
scheint, während die genaue mikroskopische Untersuchung deren eine 
ganze Menge aufdeckt. Je feiner die Probleme der Loksüisation, um 
so feiner muß die anatomische Untersuchung des Einzelfalles sein. 
All der Streit um die Lokalisation wäre vermieden worden, wenn ins- 
besondere die Physiologen sich der grundlegenden dokumentarischen 
Wichtigkeit der anatomischen Einzeluntersuchung bewußt gewesen wären. 
Dann hätte sich Goltz wohl oder übel überzeugen lassen müssen, 
daß bei seinen Ausspülungen des Frontallappens wahrsdheinUch di& 
Sehstrahlung verletzt worden war. Die Kliniker sind sich im all- 
gemeinen der Notwendigkeit der anatomischen Untersuchung mehr 
bewußt gewesen, wie das Beispiel von Wernicke und Dejerinb 
beweist 

Verfolgen wir nunmehr die Geschichte der Versuche, welche 
angestellt worden sind, um durch Verletzungen umschriebener Teile 
die Funktionen der Hirnrinde und ihre Verteilung zu ermitteln, so 
waren es wiederum Fritsgh und Hitzig, welche, wie die Reizver- 



suche, so auch die Ausfalls versuche am Tiere begründeten. Sie fanden 
am Hunde nach Entfernung der elektrisch reizbaren Region für das 
Vorderbein, daß das Tier die rechte Vorderpfote beim Laufen un- 
zweckmäßig aufsetzte, und leicht mit ihr ausrutschte, während keine 
Bewegung ganz ausfiel. Beim Stehen kam es vor, daß der Hund die 
Pfote mit dem Dorsum, anstatt mit der Vota aufsetzte, ohne etwas 
davon zu merken. Beim Sitzen kam es vor, daß das betroffene 
(gekreuzte) Vorderbein allmählich nach außen davonrutscht, bis der 
Hund ganz auf der rechten Seite liegt. Ferner bemerkten sie, daB 
man dem Hunde auch passiv die vordere Extiemität in abnorme 
Lagen bringen kann, ohne daß eine Korrektur erfolgt. Fritsch und 
Hitzig schlössen, daß der Hund von den Zuständen des der operierten 
Stelle zugehörigen Gliedes nur mangelhaftes Bewußtsein, nur unvoll- 
kommene Vorstellungen habe, und weiter, daß der Muskelsinn in 
einer besonderen Beziehung zu dem entfernten Teil der Großhirnrinde 
stehe. Schon in diesen ersten Versuchen sehen wir alle Elemente, welche 
seitdem diskutiert werden: l)die Art und Lokalisation von Be- 
wegungsstörungen, 2) die Angabe und die Lokalisation 
von Empfindungsstörungen, 3) den Versuch, die Be- 
ziehung zwischen Em pfindungs- und Bewegungsstörung 
herzustellen. 

Um die Tatsache der Lokalisation hat sich sehr bald nach der 
ersten Veröffentlichung von Fritsch und Hitzig ein lange währender 
und erbitterter Streit entsponnen. Gegen die Lokalisation kämpfte 
besonders Goltz, an die Seite von Hitzig trat dann besonders 
H. MuNK (seit 1877). 

Goltz leugnete eine Lokalisation innerhalb einer Hemisphäre so 
sehr, daß er überhaupt zuerst darauf verzichtete, bei der Schilderung 
der Symptome den Ort der Verletzung anzugeben. Dieser Irrtum be- 
ruhte einerseits auf seiner unglücklichen und für die Lokalisation von 
Yornherein unbrauchbaren Methode, das Gehirn zwischen zwei Trepan- 
löchern durch einen Wasserstrahl unter Druck auszuspülen, und — 
damit zusammenhängend ~ auf einer Außerachtlassung der Möglich- 
keit und der Bedeutung einer Schädigung subcorticaler Bahnen, welche 
zu entfernteren Gehirnprovinzen ziehen. Was nützt es, wenn etwa 
die Occipitalrinde intakt ist, wenn die ganze Sehstrahlung, welche die 
Impulse von der Netzhaut jener zuführt, unterbrochen ist. 

Dagegen hat sich Goltz sehr große Verdienste erworben um 
die Charakterisierung der nach Rinden Verletzungen eintretenden Be- 
wegungs- und Empiindungsstörungen. Was die ersteren anlangt, so 
stellte er den Satz auf. daß vom Großhirn, und zwar der kontra'- 
lateralen Hemisphäre, die Möglichkeit abhängt, die Pfote als 
Hand — zum Graben, zum Knochenfesthalten — zu benutzen, 
sowie daß Hunde, welche an einer Großhirnhemisphäre operiert sind, 
die Fähigkeit verlieren, auf Aufforderung die gegen- 
seitige Pfote darzureichen, daß dagegen dieselben Tiere, zum 
Gehen oder Laufen gebracht, alle vier Gliedmaßen gleichmäßig ver- 
werten. 

Goltz hat ferner gleich im ersten seiner Aufsätze im Gegensatz 
zu Hitzig die Abhängigkeit der Berührungs- und Schmerz- 
empfindung von der Rinde betont , nachdem allerdings bereits 
Hermann und Schiff sie erwähnt hatten. Er sah eine sehr starke 
Abstumpfung der gesamten Sensibilität, nicht nur, wie HiTzio zuerst 



i 
I 

I 





Fritsch und Hitzig. Goltz. H. Münk. 265 

wollte, des Muskelsinnes. Hitzig bestätigte die Verminderung der 
Berührungsempfindlichkeit sehr bald selbst, und legte besonderen Wert 
darauf, daß nicht nur die Allgemeinreaktion, sondern die lokale, fast 
reflektorische Reaktion auch auf ganz leichte Berührung (Begreifen), 
welche der normale Hund immer mit einem raschen Zurückziehen und 
Ausweichen der Pfote beantwortet, nach Rindenoperationen ausfällt. 

Goltz machte ferner zuerst auf die Störung der Lokalisation 
der Empfindungen bei rindenoperierten Tieren aufinerksam. Er be- 
festigte den Hunden kleine Klemmen an verschiedenen Teilen des 
Körpers und s^h, daß die operierten nicht, wie die normalen immer, 
die gereizte Stelle mit dem Maule fanden, um sie zu belecken und 
die Klemmen zu entfernen. Diese Störung des Ortfindungs- 
vermögens, wie er sie nannte, fand er übrigens — irrtümlicher- 
weise — nicht einmal auf die Gegenseite der Verletzung beschränkt. 

Auch Störungen der Temperaturempfindungen erwähnt 
Goltz bereits, welche später von Luciani und Tambürini und einer 
ganzen Reihe anderer Forscher bestätigt wurden. 

Somit waren die Elemente für die Lokalisierung der Bewegung 
und Empfindung der Extremitäten gegeben. 

Die Funktion der Rumpfmuskulatur berührt die GoLTZsche An- 
gabe, daß er regelmäßig nach erheblicher Verstümmelung des Groß- 
hirns Reitbahnbewegungen gesehen habe. Der Hund dreht sich immer 
nach der verletzten Seite. 

Daß die Funktionen der höheren Sinne nach Abtragung 
von Großhirnteilen sich vermindert zeigten, war für den Gesichtssinn 
von Panizza, Floürens, Lussana und Lemoigne, Hitzig schon er- 
wähnt, von Goltz in einer Weise, die wir noch zu besprechen haben, 
weiter ausgeführt worden. Von Floürens war ja alle Empfindung 
den Großhirnhemisphären zugewiesen worden. Indessen hatte Goltz 
sich von Hörstörungen nach Großhirnverletzungen nicht überzeugen 
können. 

So haben wir in kurzen Umrissen den Stand der Dinge gekenn- 
zeichnet, wie er sich bis zu den Arbeiten H. Munks darstellte, die 
mit dem Jahre 1877 begannen. Inzwischen zwar hatte in England 
schon seit dem Jahre 1874 Ferrier eine Reihe von Versuchen über 
lokalisierte Ausfallserscheinungen bei Affen durchgeführt. Dieselben 
waren aber mit einer so unzureichenden Operationsmethodik und mit 
so wenig Genauigkeit ausgeführt, daß sie zum allergrößten Teil zu 
durchaus unrichtigen Resultaten geführt hatten 0. 

Die MuNKsche Lehre nun ist gekennzeichnet erstens durch die 
Beschränkung des Gegenstandes der Lokalisation. Als 
solche werden einzig und allein Elemente der Sinnesempfindung be- 
trachtet. Auch die Bewegungen werden zwar als lokdisierbar an- 
erkannt, sie hängen aber von der Sensibilität ab. Innerhalb des 
Bereiches der Sinnesempfindung aber wird der Gedanke der Lokali- 
sation bis an die äußerste Grenze durchgeführt. Mit Bezug auf sie 
mußte jedes periphere Element auch zentral auf der Hirnoberfläche 
seine besondere Vertretung haben, und weiter ist die ganze Rinde von 
solchen lokalisierbaren Sinnesempfindungen angefilllt, die ganze 
Rinde ist die Projektion der Sinnesgebiete der Körper- 
peripherie. 

1) So lokalisierte Ferrier ein Hungerzentmm in den Occipitallappen, das 
Sehzentnim in den Gyms aDgularis, das Tastzentmm in den Gyms Idppocampi. 



26() XV. Esperimeatdle Erfahrun^n über die LokaJiUitioii 



1 GroBlüni. 



dl 



McNK teilte nun die Hirnrinde ein und stellte die Umgrenzung 
fest für eine Seh-, Hör- und Fflhlsphäre. Die Gebiete, die hiernacb 
noch frei bleiben, müssen der Geruchs- und der Geschmackssphäre^) 
zufallen, und zwar ganz zufallen. Eine Stelle der Rindenoberftäche, 
die nicht einer Sinnessphäre zugehört, kann es nach Mdnk nicl " 
geben. 

Am instruktivsten nun gestaltet sich die Durchführung des Loka- 
lisationsprinzips innerhalb der Sehsphäre. Hier gebührt Münk die 
Sicherung der zuerst allerdings schon von Lüciani und Tambürini 
bemerkten bilateralen homonymen Hemianopsie beim Hunde, 
als regelmälJiger Folge einseitiger Occipitalhirnzerstörung. McxE stellte 
mit Sicherheit fest, daß nicht das ganze gegenüberliegende Auge und 
nur dieses einer Großhirnhemispliäre zugehöre, sondern daß homonyme 
Netzhautabschnitte jedes Auges und zwar der innere (dem tem- 
poralen Teil des Gesichtsfeldes entsprechende) der gekreuzten und der 
äußere des gleichseitigen Auges der gleichen Hemisplifire angehören. 
Diese Verteilung entsprach der von Gudden verteidigten und heut« 
nach langem Kampfe völlig anerkannten Tatsache der nur teilweisen. 
Kreuzung der Opticusfasern im Chiasma bei den Säugern *). 

Beim Hunde ist der gleichseitig vertretene äußerste laterale 
teil der Retina nur klein, '/« — Vs ^^^ Gesichtsfeldes. Beim Affe 
entspricht der ungekreuzte Anteil einer ganzen Retinahälfte. Die Ent- 
fernung einer Sehsphäre — eines Occipitallappens — bewirkt nach 
MüNK eine dauernde homonyme Hemianopsie, also eine zweifellose 
Ausfallserscheinung. 

Die Ausdehnung, welche die Sehsphäre im ganzen hat, zeigen 
Figg. 68/69 nach Münk. Innerhalb derselben aber führt nun Munk 
noch eine detaillierte Lokalisation durch, indem er von dem ungekreuzten 
Retinaanteil ausgeht. Dieser nämlich finde seine Vertretung in dem 
lateralsten Teil der Sehsphäre, an ihn schließen sich medial zuerst die 
temporalen, dann die nach der nasalen Seite zu folgenden Teile des 
gekreuzten Auges an. Es entspricht dann der innere Rand der Retina 
dem medialen Rande der Sehsphäre, und weiter der obere Rand der 
Retina dem vorderen Rand der SehsphSre, der untere dem hinteren. Die 
Sehsphäre ist so ein getreuer Abklatsch der Heiina. Auf- 
fällig dabei ist von vornherein, daß die Ausdehnung der MuNKSchen Seh- 
sphäre das Maß der Retina um das Mehrfache übertrifft, dem einzelneD 
Retinalelement, der einzelnen Opticusfaser würde also ein verhältnis- 
mäßig großer Raum der Sehsphäre entsprechen. Will man einzelne 
Zellen als Wahrnehntungselemente der Sehsphäre, entsprechend denen 
der Retina annehmen, eine Annahme, der H. Munk zuneigt, so 
müßten diese recht weit auseinanderliegen. 

Münk siebt nun weiter in dieser Projektion das anatomische 
Substrat für die Lokalzeichen der Retina, für die Eigenschaft 
der optischen Wahrnehmung lokalisiert zu werden. Lotze selbst aber, 
der den Ausdruck des Lokalzeichens eingeführt hat, läßt es zum Teil 
durch die Vermittlung der Innervationsemphndung der Augenmuskeln 
zu Stande kommen. In der Tat scheint uns schon ein bekannter Versuch 
zu beweisen, daß die lokalisierte Außenprojektion der optischen Wahr- 

1) Eine Sphäre für den Vestibularie, die man ioimerhüi in Erwägung üehen 
bann (vergl, S. 179), berück Bichtigt Münk nicht. 

2j Bei den Vügelu findet sich eine vollBtandige Kretizung und deoientapTechead 
käne Hemi&Dopsie (vergl. &. 218;. 



le. 




Sehsphäre. Projektion auf die Rinde. 267 



nehmungen ein sehr komplizierter psychischer Akt ist, der Versuch 
des wandernden Nachbildes. Man entwerfe sich irgend ein Nachbild 
auf seiner Retina und schließe die Augen. Es ist kein Zweifel, daß 
die Erregung an der gleichen Stelle der Retina verbleibt. Bewegt 
man nun das Auge, so wandert das Nachbild mit der Blickbewegung, 
es wird subjektiv an ganz verschiedene Punkte des Raumes lokalisiert. 
Es wechselt sein Lokalzeichen. Man mag diesen Versuch erklären, 
wie man wolle, soviel ist sicher, daß die MuNKsche Behauptung, die 
Projektion auf die Sehsphäre sei das anatomische Substrat für die 
Lokalzeichen, nichts sagt, weil sie nicht erklärt, was Lokalzeichen 
sind. Uns will es überhaupt völlig unklar erscheinen, wie durch 
irgend eine anatomische Feststellung zur Lösung dieses Problems, 
das nur vom physiologischen Standpunkte aus faßbar und begreiflich 
ist, beigetragen werden könne. 

Nun aber ist die ganze Projektionslehre Münks, gegen die sich 
LoEB und Goltz immer gewandt hatten, widerlegt worden durch 
die Nachuntersuchung E. Hitzigs. Nach der MuNKschen Lehre müßten 
ja durch jede Rindenverletzung innerhalb seiner Sehsphäre dauernde 
Scotome, Ausfälle des Gesichtsfeldes, von entsprechender Gestalt er- 
zeugt werden. Der entsprechende Teil der Retina muß nach Münk 
^rindenblind*^ werden. Aus den von Hitzig in erdrückender Menge 
gegebenen Einzelbeobachtungen mit der Abbildung der Gesichtsfelder ^) 
einerseits und der Verletzungen andererseits geht hervor, daß von einer 
Projektion in dem MuNKschen Sinne keine Rede sein kann. Weder 
dient das laterale Drittel der Sehsphäre ausschließlich zur Innervation 
der gleichseitigen Retina, noch dient der ihm anliegende Abschnitt als 
Projektionsfeld für den lateralen Abschnitt der medialen Hälfte der 
gegenseitigen Retina. Die mediale Partie der Sehsphäre kann in 
ziemlicher Ausdehnung abgetragen werden, ohne nachweisbare Be- 
einträchtigung des Sehaktes, und wenn eine solche eintritt, ist nicht 
nur das kontralaterale, sondern auch das gleichseitige Auge be- 
troffen, ein weiterer Beweis, daß dieses nicht allein von dem lateralen 
Teil der Sehsphäre innerviert wird. Derjenige Teil des Gesichts- 
feldes, der immer am wenigsten leidet, dessen Sehkraft immer von 
vornherein erhalten ist, oder zuerst und allein wiederkehrt, ist immer 
der nasale untere Teil, in welchem nach Grossmann und Mayer- 
hausen die Stelle des deutlichen Sehens, die Macula des Hundes, 
gelegen ist. Gerade für diese hatte Munk die auf seinen Schematen mit 
Ai bezeichnete Stelle in Anspruch genommen, deren Bedeutungslosig- 
keit für das zentrale Sehen durch die HiTZiGschen Versuche erwiesen 
ist Denn soviel geht aus den HiTZiGschen, wenn auch nur makro- 
skopischen Abbildungen mit Sicherheit hervor, daß diese Stelle völlig 
ausgerottet werden kann, ohne daß . Sehstörungen eintreten. 

Bei der ungeheuren Mehrzahl von Hitzigs Beobachtungen folgte 
überhaupt keine residuäre Blindheit, und Hitzig zieht den sehr ein- 
leuchtenden Schluß, daß diese nicht auf einen Ausfall der Rinde, 
sondern auf einen äquivalenten Ausfall der Sehstrahlung zurückzu- 
führen ist. Daß bei angeblichen Rindenverletzungen immer das Mark 
mehr oder weniger leidet, weiß jeder, der mikroskopisch Rinden ver- 



1) Hitzig Dimmt da« G^ichtefeld auf, indem er dem in der Schwebe hangenden 
Hund kleine Fleischstücke von verschiedenen Seiten her vorführt und notiert, wenn 
der Hund aufmerkt. 



letzungen uniersucht hat, Munk hat in blindem Vertrauen auf die 
Exaktheit seiner Messerfübrung ilas nie beachtet. Ja, wenn man sich 
auf deu HiTzioscheu Abbildungen ansieht, wie tief in das Marklager 
seine Läsionen reichen, so muß mau sogar schließen, daß eine Pro- 
jektion einzelner Retinalelemente selbst in der Sehstrahlang nicht 
mehr vorhanden ist, sondern daß sich hier bereits die Leitungswege 
bis zu einem hohen Grade gemischt haben. Diese Frage weiter zm- 
verfolgen eignen sich aber mehr die Daten der menschlichen Patho- 
logie. Wenn wir aber mit Hitzig annehmen, daß die dauernde Blind- 
heit nach Rinden Verletzungen — sei sie nun eine Hemianopsie, eine 
totale Blindheit, oder nur der scotomartige Ausfall gewisser Gesichtsfeld 
teile — nicht auf der Riudenzerstörnng, sondern auf der Unterbrechuap 
der Sehstrahlung oder eines Teiles von ihr zu beruhen brauchen, sa 
können natürlich auch die vorübergehenden Störungen nach Rinden- 
Operationen auf einer rückbildnngsfSiiigen Störung dieser selben Seh- 
strahluug, die Corpus geniculatum externum und Pulvinar mit der 
Occipitaltappenrinde verbindet, beruhen, und jede Projektion der Retin& 
in der Rinde selbst schwebt völlig in der Luft und muß abgewiesen 
werden. 

Mit der Entthronung der Stelle Ä,, der „Macula der Sehsphfu-e", 
fällt nun auch die Lehre MüNKs von der Seelen- und der Rinden- 
blindheit. MuNE nahm nämlich an, daß, während die Wahr- 
nehmungselemente in der Rinde gleichmäßig verteilt sind in der 
beschriebenen Projektion, dies zwar vielleicht auch für die Vor- 
stellungselemente (nach H. Munk Zellen der Rinde) gilt, aber nicht 
fflr die Vorstellungen selbst. Diese oder die Erinnerungsbilder sind 
beim normalen Tier lokalisiert in der Stelle A,, welche dem deutlichsten 
Sehen entspricht, und darum daselbst lokalisiert, weil sie eben mit dem 
Maculasehen gewonnen sind. Die Erinnerungsbilder der Gesichts- 
wahrnehmungen werden, in der Reihenfolge etwa, wie die Wahr- 
nehmungen dem Bewußtsein zuströmen, hier deponiert. Entfernt man 
die Stelle A^ beiderseits, so werden alle optischen Erinnerungsbilder 
mitentfernt, und dieses Tier ist nach der MuNKschen Terminologie 
dann seelenbltnd. Er ist zunächst nicht im stände, die ihm zufließen- 
den Wahrnehmungen zu identifizieren, weil es keine Erinnerungs- 
bilder mehr hat. Es ist zugleich dauernd rindenblind für die Stelle 
des deutlichsten Sehens; aber es ist im stände, von seinem peripheren 
Gesichtsfeld, das noch funktionstüchtig ist, aber ihm bisher zu Ide; '^ 
tifizierung von Wahrnehmungen nicht gedient hat. neue Vorstellung! 
zu erwerben. Die Unmöglichkeit, neue Vorstellungen zu erwerben^ 
ist erst mit der Vernichtung beider Sehsphäreu gegeben, erst dann 
ist ein Tier dauernd völlig rindenbliDd. Zur Seelen blindbeit im 
Sinne Mükes gehört dauernde, d. i. Rindenblindheit der Maculagegend 
und Möglichkeit der Restitution durch Erwerb neuer Vorstellungen 
mittels peripherer Gesichtsfeld abschnitte. 

Es ist tatsächlich von Munk niemals der Beweis geführt worden, 
daß die Erinnerungsbilder, sei es durch die Exstirpation der Stelle Ai. 
sei es durch eine andere Operation, wirklich entJernt waren, sofern 
überhaupt eine Restitution möglich war. Denn es gibt noch eine 
andere Möglichkeit, daß nämlich die Erinnerungsbilder noch erhalten 
sind, aber infolge der mehr oder weniger vorübergehenden, mehr oder 
weniger erheblichen Schädigung der Sehstrahlung nicht in voller Klar- 
heit geweckt, mit den gesehenen Dingen identifiziert werden können. 




Seelenblindheit und Kindenblindbeit. Hirnftebschwäcbp. 269 



In diesem Falle würde also die Restitution der Seelenblindheit nicht 
auf einem Neuerwerb von Erinnerungsbildern, von Gesichtsvorstellungen, 
sondern auf einer Verbesserung der subcorticalen Leitung beruhen. 
In der menschlichen Pathologie ist die Erwägung der beiden ange- 
führten Möglichkeiten als Grund für den Ausfall und die Restitution 
von sogenannten Sinnesvorstellungen gang und gäbe; insbesondere 
bei der Betrachtung der Sprachstörungen wird sich das zeigen. Daß^ 
beim Tier eine Seelenblindheit im Sinne von Münk vorkomme, war 
nie erwiesen, und erscheint jetzt durch die Ermittelungen von Hitzig 
über die Stelle A, widerlegt, wie denn die Zusammendrängung aller 
optischen Vorstellungen auf ein so kleines Gebiet, wie es Munk wollte^ 
von vornherein kaum wahrscheinlich war. 

Man darf mit Wahrscheinlichkeit annehmen, daß die Erinnerungs- 
bilder der Gesichtswahrnehmungen und Gesichtsvorstellungen über die 
ganze Sehsphäre sich erstrecken, ohne an bestimmte Zellindividuen 
oder umgrenzte Oertlichkeiten geknüpft zu sein. Man kann also 
allerdings alle Erinnerungsbilder aus der Rinde beseitigen, aber nur 
um den Preis der gleichzeitigen Vernichtung der Sinnesempfindung, 
und des Verzichtes auf einen Neuerwerb. Das Verdienst von H. Münk 
ist es, diese Rindenblindheit experimentell durch totale Vernich- 
tung beider Sehsphären dargestellt und als eine dauernde 
Ausfallserscheinung nachgewiesen zu haben. Die Rindenblindheit 
unterscheidet sich also von einer jeden peripheren Blindheit durch 
die Hinzufügung des Ausfalls der Erinnerungsbilder. Ein 
peripher geblendeter Hund findet sich leicht in den ihm von früher 
bekannten Räumen zurecht. Er weiß auf Grund der in seinen ihm 
ja erhaltenen Sehsphären niedergelegten optischen Erinnerungsbilder^ 
wo der Stuhl seines Herrn steht, unter dem er sich niederzulegen 
gewohnt war, er findet die Tür zu seinem Stall, die Treppe, die Stelle, 
wo ihm täglich sein Futternapf bereitet war, er kann sich in seiner 
Umgebung orientieren. Der rindenblinde Hund vermag das nicht, nie 
findet er seinen Futternapf, nie sein Lager, vorsichtig sich vorwärts- 
bewegend, die Nase am Boden, dem Geruchssinn und dem Tastsinn 
von Schnauze und Pfoten folgend, die ihm aber kein genügendes 
räumliches Bild der Außenwelt geben können, ist er viel schlimmer 
daran, als der peripher geblendete Genosse. 

Die Störungen, welche nach einer unvollständigen Entfernung 
der Sehsphären folgen, sind sehr schwer zu charakterisieren. Sie 
werden sich zusammensetzen aus einer Störung der Leitung in der 
Sehstrahlung (subcorticale Komponente), einer mehr oder weniger 
großen Störung der Erinnerungsbilder von Gesichtsvorstellungen und 
auch von Gesichtsempfindungen (corticale Komponente) und aus einer 
Störung der Leitung von der Sehsphäre zu den anderen Gebieten der 
Rinde (associative oder transcorticale Komponente). Diese 3 Kom- 
ponenten sind beim Tier gar nicht auseinanderzuhalten, das Resultat 
der objektiven Beobachtung ist von Goltz vor Munk als Hirn- 
sehschwäche bezeichnet worden. Es gibt solche Tiere mit Groß- 
hirnverletzungen, die zwar noch Hindernisse vermeiden, Fleisch aber 
nicht sehen, Personen nicht erkennen. Es gibt solche, von denen 
Goltz den Eindruck hatte, als wenn sie nur eben noch hell und 
dunkel unterscheiden. Man kann bei anderen Tieren beobachten, daß 
sie zwar Fleisch, das irgendwo hängt, nicht erkennen, daß sie aber 
die Bewegung des Arms, mit der es ihnen gereicht wird, auffassen» 



370 Xv. EUperimen teile ErfahmnEen über die LokalisatioQ im GtoBhira. 



^^^^L alle o 

^^^H aosge 



und nach der Hand des Gebers springen, auch wenn diese nichl 
Eßbares enthält. Ganz allgemein werden bewegte Gegenstände eh< 
wahrgenommen, als unbewegte, was insbesondere Loeb betonte, üoi/ 
stellte sich vor, daß solche Tiere einen außerordentlich geringen Farben- 
sinn und auch einen sehr verschlechterten Ortssinn der Netzhaut haben. 
Sie sähen alles grau in grau, verwaschen, wie in Nebel gehüllt. Das 
sind natürlich nur Hypothesen. Bei einseitigen Verletzungen er- 
strecken sich die Erscheinungen entsprechend nur auf das gegenflber- 
liegende Gesichtsfeld, das von Goltz noch mit dem des gegenQbw- 
liegenden Auges identifiziert wurde, bis es von Munk als bemiopisch' 
nachgewiesen wurde. 

Als unrichtig hat Goltz selbst durch die Beobachtungen an seinem-^ 
großhirnlosen Hund erwiesen die Annahme, daß ein ^maschinenmäßig! 
Handeln" der niederen Zenlraiorgane beim Vermeiden von HindemisseE. 
nach Eingriffen in die Sehsphäre in Frage käme. Zeigt doch der groS-. 
hirnlose Hund nur noch wenige, den Reflexen sehr nahestehende St' 
reaktionen. Schon darum ist die HiTziGsche Hypothese sehr an- 
greifbar, die Vorstellungen würden in subcorticalen Zentralteilen ge-| 
bildet und der Hirnrinde „als Ganzes" Übermittelt. Unserer An- 
schauung nach wird die Vorstellung Oberhaupt nicht übermittelt, 
wird nur geweckt durch die Sensationen, welche dem Großhirn zu* 
gehen. Gebildet wird sie im Laufe des Lebens nicht nur des einzetnW^ 
Individuums, sondern mindestens die Dispositionen dazu, die not'' 
wendigen Vorbedingungeu der Gehirnstruktur werden allmählicli ge-i 
schaffen im Laufe der Phylogenese, Von diesem Standpunkt aus 
nicht einmal die scharfe Trennung zwischen Empfindung einerseti 
und Wahrnehmung nnrl Vorstellung andererseits za rechl 
fertigen, die so häufig beliebt wird. Wenn die Allster bei Beschattni 
ihre Schale schließt, hat sie eine Emphndung von hell und duni 
oder hat sie eine Vorstellung der Gefahr? Das. was wir Vorstellung 
nennen, hat sich allmählich entwickelt aus dem, was wir Empfindung 
nennen. Man hat aber kein Recht zu sagen, daß die Vorstellung sieh 
zusammensetze aus Empfindungen. Die Empfindung des Lichts mufi 
genau so identifiziert werden in der Rinde, wie die Wahrnehmung eines 
Baumes, die Vorstellung einer charakteristischen Landschaft. Aoch 
damit die einfachste Empfindung percipiert werde . muß ein Er- 
innerungsbild einer früheren, eine Disposition, eine Vorbedingung ge- 
weckt werden. Es kann die Berechtigung nicht bestritten werden, 
mit dem Begritf der Empfindung im Unterschied zu dem der Vor- 
stellung zu arbeiten, aber man muß im Prinzip eingesehen haben, 
daß fließende Uebergänge zwischen beiden bestehen. Von diesem 
Standpunkt aus erscheint es dann auch natürlich, daß die Vernichtung 
der Vorstellungen durch RindenzerstÖrnng nicht möglich ist ohne 
gleichzeitige Vernichtung der Empfindung, nnd es ergibt sich die Ab- 
lehnung besonderer von den Wahrnehmungaelementen unterschiedener 
Vorstellungselemente. 

Als gesicherten Erwerb der experimentellen Forschung können wir 
somit hinstellen erstens dieTatsache, daß es auf der Rinde eine 
nnigrenzte Sehsphäre gibt, welche der Perception der optischen 
Empfindungen und Vorstellungen dient, mit deren Vernichtung für immer 
alle optischen Empfindungen und Vorstellungen vernichtet, aus dem Leben 
ausgeschaltet sind. Zweitens wissen wir, daß die Sehsphäre der einen 
Seite nicht nur zum gegenüberliegenden Auge, sondern auch zu einen 



1 
I 




Reflexe der Sehsphare. Grenzen der Sehsphäre. 271 



Teil der gleichseitigen Retina in Beziehung steht Die Sicherung dieser 
beiden Grundlagen unserer Erkenntnis verdanken wir H. Munk. Dessen 
weitergehende Folgerungen in Bezug auf eine wahre Projektion der 
Retina auf die Rinde mußten wir jedoch ablehnen, dauernde Gesichts- 
felddefekte ließen sich auch auf die Unterbrechung der Sehstrahlung 
ohne Entfernung der Rinde beziehen, ebenso wie wir die mit der 
MuNKschen Theorie der Projektion innig zusammenhängende Lehre 
von der Seelenblindheit als dem Ausfall der Gesichtsvorstellungen 
nicht anerkennen konnten. 

Eine Bedeutung für die Erhaltung des Tieres gewinnt das Sehen 
und die Sehsphäre zunächst dadurch, daß durch die optischen Ein- 
drflcke gewisse Bewegungen veranlaßt werden. Prinzipiell unter- 
scheidet sich die Sehrinde darin nicht von anderen Abschnitten der 
Rinde, insbesondere nicht von der Fühlsphäre. Die von der Sehrinde 
ausgelösten Reaktionen haben den Vorzug großer Einfachheit. Die 
einfachsten sind gewöhnliche Reflexe, Rindenreflexe, und wir sehen 
hier, daß der Bereich des Reflexes, auch wenn wir ihn in seiner ur- 
sprünglichen Gestalt als eine mit maschinenartiger Regelmäßigkeit er- 
folgende Antwortbewegung nehmen (S. 31), mit dem wir die Betrachtung 
des Nervensystems begonnen haben, sich bis zu dessen höchstem Gebilde, 
der Großhirnrinde, erstreckt. Die optischen Rindenreflexe sind erstens 
der Blinzelreflex bei Annäherung eines Gegenstandes an das Auge 
(Drohreflex), und der Lidschluß bei greller Beleuchtung. Wenn der 
letztere auch beim großhirnlosen Hund von Goltz noch angedeutet 
war, so kommt er doch in seiner Vollkommenheit sicherlich nur in 
der Rinde zu stände, und verschwindet beim rindenblinden Hunde 
nach MüNK mit dem Drohreflex sogar für immer. Nach einseitigen 
Verletzungen fehlt der Drohreflex auf der gegenüberliegenden Seite. 
Die Lokalisation des Lidschlusses bei greller Beleuchtung ist jedoch 
noch nicht ganz aufgeklärt. Was die Bahnen des Drohreflexes angeht, 
so ist die zuführende natürlich die Sehstrahlung (vergl. Fig. 29). Da- 
gegen ist es nach den Untersuchungen von Hitzig zweifelhaft, ob die 
zentrifugale Bahn des Reflexes direkt von der Rinde zu den Zentren 
des Facialis im Hirnstamm geht, oder aber zunächst zum Facialisgebiet 
im vorderen Teil der Rinde zieht, um — hier unterbrochen — auf 
einem Umwege den Kern des Facialis zu erreichen. Zu bemerken ist 
noch, daß der Blinzelreflex bekanntlich durch den Willen zu unter- 
drücken, zu hemmen ist, wodurch er sich mit der Mehrzahl der übrigen 
Rindenreflexe ein wenig über die meisten Reflexe der niederen Zentral- 
organe erhebt^). 

Eine Stufe höher schon als die einfachen Reflexe steht die fast 
reflektorische Einstellung derAugen nach der Seite, wo ein Gegen- 
stand im Gesichtsfeld auftaucht. Unwillkürlich fast wendet sich das 
Auge des Tieres ihm zu. Die Zweckmäßigkeit und die Selbsterhaltung 
fordert diese unmittelbare Einstellung des Auges ja besonders bei 
dem wild lebenden Tier. Es entspricht der hemiopischen Verteilung 
des Gesichtsfeldes, daß nach Exstirpation der einen Hemisphäre diese 
Reaktion nach der entgegengesetzten Seite ausfällt, wie denn auch die 
elektrische Reizung des Occipitallappens die konjugierte Seitwärts- 



1) Der Pupiliarreflex bei Belichtung hat mit der Rinde g:ar nichts zu tun. 
Auch eine Abwendune des Kopfes von grellem Licht hat Goltz noch beim groß- 
himlosen Hunde gesehen. 



979 ^^' Biperimen teile ErfahruDgen über die LokaliaatioD im Grofilürii. 




Wendung der Augen nacli der gegenüberliegenden Seile auslöst. 
Ergebnisse der elektrischen Reizung hat Münk im Sinne seiner nocb 
weitergehenden Projektionslehre verwerten wollen. Er glaubte nach- 
weisen zu können, daß die Richtung der Augenachsen bei etektrisctier 
Reizung der von ihm angenommenen Projektion der Empfindungen 
entspricht, indem z. B. bei Reizung der Stelle A,, sich das Auge gerade- 
aus richte u. s. w. In Uebereinstimmung mit den meisten Autoren, 
die auf diesem Gebiete gearbeitet haben, müssen wir betonen, daß vrtn 
einer solchen Gesetzmäßigkeit keine Rede sein kann, daß man viel- 
mehr fast immer, wo man auch reizt, eine konjugierte Einstellung der 
Augen nach der kontralateraleu Seite bekommt. 

Wenn der zentrifugale Weg auch für diese Augenbewegungen 
wohl wenigstens zum Teil noch direkt von der Occipitalrinde zum 
Vierhügel, als zur Kernregion der Augenbewegungsnerven geht (unserer 
Annahme nach durch den Hirnschenkelfuß), so i.st das für die anderen > 
Bewegungen, welche von der Großhirnrinde ausgelöst werden, nicht' 
mehr wahrscheinlich. Experimentell ist es unmöglich, ein Tier herzn- 
stellen, das nur noch seine Sehriude mit den direkt zu- und abffihren- 
den Bahnen besitzt. In der Tat ist aber die große Mehrzahl unserer 
Bewegungen wie die der sehenden Tiere durch optische Eindruck« 
verursacht und bestimmt. Insofern sie aber nicht zu den lokalen 
Leistungen der Sehrinde gehören, sondern durch die Einflußnahuie 
der Sehrinde auf audere Gebiete vermittelt sind, fällt ihre Besprechung 
einem anderen Abschnitt zu. 

Hier muß nun noch Ober die Grenzen derSehsphäreim Tier- 
gehirn gehandelt werden. Daß sie dem Occipitallappen angehöre, war 
bereits von Panizza und auch von Hitzig, wenn auch mit Vorbehalt, 
ausgesprochen worden. Munk hat dann am Hund die Parietooccipital- 
region der Konvexität und auch der Mediantläche als Sehsphäre an- 
gesprochen und sie begrenzt durch eine frontale Linie, welche ver- 
längert in die Fiss. ectosylvia post. flbergeht, und durch eine horizontale 
Verlängerung der Fiss. ectosylvia media. Nur ein kleiner Teil der 
3 ürwindungen ist ans dem so begrenzten Gebiete ausgespart, Dieso^ 
Grenzen sind im allgemeinen bestätigt worden, nur muß nach v. Mona- 
kows anatomischer Untersuchung der MuNKschen Hundegehirne, sowie 
nach den Untersuchungen von Hitzig und Kalbeblah die Grenze- 
erheblich weiter nach vorn gelegt werden, so daß sie einen erheblichen 
Teil der MuNKSchen Augenregion F einnehmen und diese bis fast an 
das MuNKsche Vorderbeinzentrum gehen würde. 

Eine Reduktion der MuNKschen Sehsphäre vorzugsweise auf die 
mediale Fläche des Huudehirnes. wie sie Tscbebmak annimmt, scbeiut 
uns ausgeschlossen zu sein, wenngleich die Zugehörigkeit der Medial- 
Öäche des Occipitalhirus nach seinen und Lo Monacos Untersuchungen 
feststehen dürfte. Keineswegs beschränkt sicli die Sehsphäre auf die- 
durch die besondere Schichtung des „Calcarinatypus" ausgezeichnete^,, 
eng begrenzte, beim niederen Säuger von Brodmann histologisch 
lokalisierte Region. 

Beim Affen bezeichnet Munk die Rinde des ganzen dnrch die 
Affenfurche (Fiss, parietooccipitalis) begrenzten Occipitallappens als 
Sehsphäre. Nach den Reizresultaten Sherrinqtons am Anthropoiden 
und nach Versuchen von Schäfer und Brown könnte es scheinen, 
als wenn hier die Umgebung der Fiss, calcarina eine besondere Rolle 
spiele. Es kann aber auch hier keinem Zweifel unterliegen, daß die- 



I 




Grenzen der Sduptiäre. 



273 



ganze Sehsphäre weit die Grenzen des Calcarinatypus überschreitet. 

und wahrscheinlich den von Mdnk gegebenen Grenzen entspricht. 

Bemerken wir an dieser Stelle kurz, daß die von Fleischl, 

Beck und CvtiULSKi, Gotch und Horbley angewandte Methode, 




Fig. GS. Lokalisatioa auf der GroßhirariDcle des Hunde« o&cli Mune. A Seh- 
aphäre, B Hörephäre, C—J FühlBphäre, C Hinterbeinregion, D Vorderbeinr^on, 
£ Eopfregion, F Aiigeoregion. G Onrregion, H Nackeor^on, J Riimpfregion. 

den Aktionsatroni der Hirnrinde bei Reizung peripherer Sinnes- 
organe für die LokalisatioQ nutzbar zu machen, nur zu sehr zweifel- 
haften Resultaten, keineswegs zu einer Erweiterung unserer Kenntnisse 
geführt hat 




^4 ^V- Experimentelle Er&thrnageo SImt die Lokolfsatioa im GroUäni. 



Ueber die Ausdehnung derHörsphäre herrschen noch 8< 
beträchtliche Mein ungsverHchieden Leiten. Daß das Hören zwar mit dem 
Schläfen läppen etwas zu tun habe, ist auf Grund von Versuchen zu- 
erst von Fekeier für den Äffen behauptet worden. Im einzelnen jedoch 
gehen die Ergebnisse von Ferrier und Yeo, SchIfer, Horslet: 
und Brown hier sehr auseinander. 

Für den Hund hat Munk eine scharfe Umgrenzung gegeben^ 
Ebenso wie für das Sehen hat er für das Hören eine Seelentaubhe" 
und eine Rindentsubheil unterschieden und für die Erinnerungsbild! 
der Gehörsvorstellungen eine Stelle B^ abgegrenzt. Er hatte ferm 
gefunden, daß die tiefen Töne zu den hinteren, die hoben zu deij 
vorderen Teilen der Hörsphäre in Beziehung ständen. Das war vom 
Tornherein keineswegs gesichert, vielmehr noch weniger bewiesen nnÄJ 
allen Einwänden unterworfen, wie die Projektion der Retina auf di 
Sehsphäre. Nach Luciani und Seppilli wären auch die von Muwi 
angegebenen Grenzen zu eng. Luciani rechnet beim Hunde noch di 
Gyr. ectosylvius medius und das Ammonshorn zur HörsphSre, 

Wenn Munk angegeben hat, daß die Hörsphäre nur mit di 
kreuzten Labyrinth in Verbindung stehe, so ist das nach eigenen Sa» 
obachtungen unrichtig. Der Hund, dem auf der einen Seite eii 
ganze Hemisphäre esstirpiert und auf der gleichen Seite das Labyrini 
total entfernt ist, hört recht gut. Jede Höraphäre steht also mit 
beiden Labyrintlien in Verbindung, wozu die anatomische Tatsache, 
daß die akustischen Bahnen nicht völlig kreuzen, aufs beste stimmt. 

Leider fehlen uns noch genügende anatomische Untersuchungen 
über den Umkreis der Hörstrablungsendigung auf der Rinde, die 
ihren Ursprung nimmt vom Corpus geniculatum internum. Sie würden 
uns wohl den besten Aufschluß Ober den Umfang der für das Hören 
in Betracht kommenden Rindenpartie geben ^). Die motorischen Reak- 
tionen, welche durch Vermittlung der Hörsphäre vermittelt werden, 
bestehen beim niederen Tier in einem lebhaften Spiel der Ohr- 
muscheln. Den Verlust dieser Reaktion beim Hund hat schon Goltz 
nach Rinden Verletzungen angemerkt. Er sah aber die Bewegung der 
Ohrmuschel sich immer wieder herstellen, während sie nach Munk 
bei völliger Rinden tau bheit dauernd verloren geht. 

Es sind jedoch nun die MüNKschen Ergebnisse betreflfend die 
Lokalisation in der Hörsphfire, sowie die noch viel weiter gehenden 
Behauptungen von Larionow als widerlegt zu betrachten durch die 
neueren Versuche von 0. Kalischer, weicher Hunde so dressierte, daß 
sie nur beim Hören bestimmter Töne ihr Futter nahmen. Bemerkens- 
wert war schon das sehr scharfe Tongedächtnis der normalen Hunde. 
Aber geradezu verblüffend ist es. daß diese Hunde, die Kalischeb 
demonstrierte, auch nach Exstirpation beider Temporallappen in der 
von MüNK für seine Hörsphäre gegebenen Ausdehnung das Ton«, 
gedächtnis, und zwar sowohl für hohe als für tiefe Töne, auf die o1 




roD-^ 



]| Gewüse Aufschlüsse mößte auch nach dieser RichtuDg die genauere E^ 

forscbuDg dee GehlrtiB jener fielLetien Tiere mit blauen Augen gc&en, deren Taabhcit 

HchoQ von Oabwin emälmC wird. Diese Taubheit beruht auf dn«D völligen oder 

fast völligen angeborenen Mangel dee nervöaen Apparates der Schnecke. Dem- 

itspref'heiid finden sich bei ihnen, nie Bawitz beschrieb, und wir mehrfach an 

.. ._ U._.^^-... l._L._ _.._!_ 1__ 11-1_J !•__ J__ ^__„l..-_. . J^ 




Hörsphare. Riech- and Schmecksphare. 275- 

angegebene Weise geprüft, intakt zeigten, von ihrer Dressur kaum 
etwas eingebüßt hatten, und sogar nach der Operation noch für neue 
Töne umdressiert werden konnten. Es gibt hier nur zwei Möglich- 
keiten, entweder die Rinde hat mit dem Tongedächtnis der Hunde 
Oberhaupt nichts zu tun, oder, da wir das nicht zu glauben vermögen, 
die Hörsphäre des Hundes ist sehr viel ausgedehnter, als H. Münk 
annahm. Die MuNKsche Theorie von der Projektion innerhalb der 
Hörsphäre ist in jedem Fall als durch die Tatsachen widerlegt zu be- 
trachten. Daß der Schläfenlappen mit dem Hören etwas zu tun hat, 
bleibt auch nach den KALiscHERschen Versuchen bestehen. Die 
Hunde reagierten nicht wie sonst auf Kommandorufe und zeigten 
auch noch andere, noch nicht genauer definierte Hörstörungen. Aber 
taub waren sie nicht. 

Nach Münk ist beim Hunde die Stimmgebung vom Gehör so ab- 
hängig, daß der rindentaube Hund einige Zeit nach der Operation 
überhaupt nicht mehr bellt, nur noch durch schmerzhafte Hautreize 
zum Winseln zu bringen ist. Ebenso ist es aber auch mit dem 
peripher tauben Hund, so daß die Stummheit des rindentauben also 
nicht auf dem Fortfall der Hörvorstellungen zu beruhen braucht. 

Das Bellen ist natürlich keine Reaktion, welche motorisch durch 
die Hörsphäre allein vermittelt werden kann, sondern erfordert die Mit- 
wirkung der vor der Hörsphäre gelegenen Rindenteile. 

Inwieweit selbst für das reflektorische Aufrichten des Ohres nicht 
nur die Hörsphäre, sondern auch die dem Facialisgebiet benachbarte 
Fühlsphäre des Ohres in Frage kommt, die der Augenfühlsphäre ent- 
spricht, ist wohl nicht ausgemacht. 

Die Riechsphäre dürfte dem medialen Teil der Gehirnbasis 
angehören. Beim Atfen vermutete sie Ferrier im üncus und im 
Cornu Ammonis. Beim Hunde glaubt sie Münk nach einem zu- 
fälligen Befunde cystischer Degeneration im Gyrus hippocampi suchen 
zu müssen, worin ihm Lüciani und Seppilli beistimmen. 

Die vom Geruch ja abhängige Schnüffelbewegung ist beim Hunde 
von Ferrier durch die Reizung des Gyrus uncinatus erhalten worden. 
Bei dem erwähnten MüNKschen Hunde fehlt sie. 

Die Schmecksphäre wird von den einen in die Nähe der 
Riechsphäre verlegt (Lüciani und Seppilli, Lo Monaco), wogegen 
Bechterew und seine Schüler sie in die Region für die Kiefer- und 
Mundbewegung lokalisieren. In diese Richtung können auch Beob- 
achtungen von Gad am Kaninchen deuten, wenn die Frage nicht da- 
durch für die niederen Tiere fast unlösbar gemacht würde, daß nicht 
zu entscheiden ist, ob die sensorische Reaktion, also das Schmecken 
selbst, oder die motorische Reaktion darauf, die von der Schmeck- 
sphäre natürlich recht entfernt vertreten sein kann, ausgefallen ist. 

Endlich nun kommen wir zu der letzten Sphäre der Großhirn- 
rinde, der Fühlsphäre Münks, in welcher die oberflächliche und 
die tiefe Sensibilität des Körpers ihre Vertretung findet Die Defekte 
nach Eingriffen in die Großhirnrinde, die wir schon oben schilderten, 
und die sich auf Berührungs-, Druck-, Muskel- und Schmerzempfindung 
beziehen, sind gebunden an die Verletzung nur eines Teiles der 
Großhirnrinde, der Fühlsphäre im vorderen Teil des Gehirns. In üeber- 
einstimmung mit Münk können wir einer neueren Angabe Hitzigs, 
der die Fühlsphäre in dem frontalen Teil des Hundehirns, wie wir er- 
wähnten, zuerst entdeckt hat, nicht zustimmen, daß ähnliche Störungen,. 

18* 



^g XV. Experimentelle ErfahningeD Sber die LokiÜMtion im GroShira. 



wie durch deren Verletzuug, auch durch solche des Occipitallappei 
gesetzt werden können. 

Bei der Besprechung der Funktionen der Fiihlsphäre nun können wi 
vorläufig nicht an der Scheidung in Ausfälle von Seiten der Etuptim' 
und der Vorstellung einerseits und in solche der motorischen Reak' 
tionen andereils, wie bei den anderen Sinnessphären, festhalten. Können 
wir doch nur aus den molorischeu Reaktionen auf das Vorhandensein 
oder den Ausfall der sensorischen Funktionen schließen, da uns das 
Tier, um das es sich allein hier noch handeil, keine subjektiven An- 
gaben machen kann. Zwar sind auch die übrigen Sinnessphären, wie 
erwähnt, im stände, in sich einige wenige motorische Reaktionen 
zu vermitteln, deren Mehrzahl aber geht auch von den Sphären der 
höheren Sinne Über die FQhlsphäre. Da deren motorischen Leistungen 
iilso eine ganz besondere Bedeutung zukommt, bezeichnen wir sie daher 
auch mit einem anderen bekannten Namen als sensom otoriscbe 
Region. 

Beginnen wir also hier mit den motorischen Reaktionen, so sehen 
wir, daß nach Exstirpation der Ftthlsphäre fortfallen eine Anzahl von 
Reflexen und zwar zunächst Hautreflexe. Während die Sebnen- 
reöexe nach Rindenverletznngen, wie schon an anderer Stelle hervor- 
gehoben, eine entschiedene Steigerung erfahren '), ist mit einer Reihe 
von Hautrefiexen das Gegenteil der Fall ; nicht mit allen ! Erwähnten 
wir doch, daß gerade am Rückenmarkstier eine Reihe von bemerkens- 
werten Hautreflexen, wie der Kratzreflex, beschrieben sind. Beim 
Menschen ist die Verminderung und Aufhebung einer Reihe von 
Hantrettexen, insbesondere des Bauchdeckenreflexes und des Cremaster- 
reflexes (bei Streichen der Innenfläche des Oberschenkels) eines der 
feinsten Zeichen eines Hirnherdes; der Weg dieser Reflexe geht also 
über die Hirnrinde. Für das Tier hat Munk die Berührnngsreflexe 
unterschieden, schwache und kurze Bewegungen der distalen Estre- 
mitätenglieder bei leichter Berührung und hat sie in Gegensatz ge-' 
stellt zu den Gemeinreflexen, welche erst bei stärkerer Reizung als 
starke, manchmal strampelnde, von der Wurzel der Glieder distalwäru 
fortschreitende Bewegungen erscheinen sollten. Daß die BerÜhrungä- 
reflexe im Sinne von H. Munk beim Tiere verloren gehen, ist wohl 
richtig, aber einerseits geht unzweifelhaft mehr noch verloren. Ea 
war bereits erwähnt, daß auch das reflektorische Wegziehen beim 
„Begreifen" der Pfote nach Hitzig bei Entfernung der FQhlsphäre aus- 
bleibt, und eine scharfe Grenze gegen die Gemeinreflexe gibt es nichL 
Andererseits hat beim Menschen Babinski in dem nach ihm ge- 
nannten Phänomen einen Reflex als ein Symptom einer Rindenerkraknung 
gefunden, der den MüNKSchen Berührungsreflexen recht analog ist 
und nach Zerstörung der Riude eben nicht ausfällt. Ein leichtes 
Streichen der Fußsohle beim normalen Menschen bewirkt eine Flexion 
der Zehen, nach Rindenzerstörung eine Extension, und zwar besonders 



I 



^^^H Ursach 



1) Die aehaeDreneie baDgen vom KucieDRiark >Lb in einer tVeiBe, die früh 
ausführlich erörtert wurde. Während «ie beim Tier nach Rücken raarkadurchecbiieidtuw 
eine Verstärkung erfahren (IsollerungHver&nderuDgt, alnd sie Xmm Menecheo näcn 
totaler itindeDmarksdurchschiieidung nicht mehr zu erzielen. Nach Hemiplf^i«! 
Bind sie aber gewöhnlich van Anfang an oeateigen, nur in wenigen Fällen findet 
eich eine, einige Tage nach der Apoplexie hesteoen bleiben de Aufhebung, ob durch 

eine ,,Hommung'' im Sinne von Goltz bedinet, oder durch dieselbe i — *■"' ■- ' 

n 1._ _-. — L --.jjgc Bücken martsdurchscEueidung, i ' ' 



Ursache, wie nach totaler l 



9t nicht 





Fig. 70. 



häutig eine isolierte Extension der großen Zehe, Die Erscheinung 
selbst hat noch keine zureichende Erklärung gefunden. Eine solche 
ist vor allem dadurch erschwert, daß es Fälle gibt, welche beim Streichen 
der Fußsohle eine Dorsalftexion der Zehen, beim Streichen des Schenkels 
eine Plantaräexion der Zehen zeigen. BASTNeKi begnügt sich daher 
auch, von einer „Transformation" der Hautretiexe durch das Großhirn 
zu sprechen, und wir heben dazu nur noch hervor, daß doch im all- 
gemeinen eine Abschwächiinft der Relicxc auf wirklich leichteste Be- 
rührung besteht, wäh- 
rend bei stärkerer 
Heizung einzelne 

llantretiexe zwar 
auch noch ausbleiben, 
andere aber, durch 

niedere Zentral- 
organe vermittelt, ein 
sehr schwer überseh- 
bares Verhalten zei- 
gen und gesteigert 
sein können. 

Vergessen wir 
aber nicht, ausdrück- 
lich hervorzuheben, 
daß nicht nur die Re- 
aktionen auf leichte 
Berührung, sondern 
auch eine Reihe von 
Druck- und auch 
Schm erzreak tionen, 
die zum Teil auch 
rertektorischen Cha- 
rakter tragen, durch 
Verletzung der Fühl- 
Bphäre eine erheb- 
liche Verminderung 
erfahren. 

Die Schwierig- 
keit zu entscheiden, 
ob es sich bei ge- 
wissen motorischen 

Reaktionen um 
Ketlese handelt oder 
Dm willkürliche Be- 
wegung, tritt beson- 
ders bei den durch 

den Muskelsinn regulierten hervor. Wenn wir einem Hund die Pfote 
umknicken, so daß das Dorsiim dem Boden anliegt, so wird mit ab- 
soluter Sicherheit, ,.wi6 unwillkürlich", die Pfote wieder umgedreht, in 
der gleichen Weise wird die über den Tisehrand hinausgelagerte Pfote 
auf den Tisch zurückgezogen, das abduzierte Bein angezogen, das zu 
weit adduzierte zur Normalstellung gebracht u. s. w. Nach Entfernung 
der Fühlsphäre fallen diese Reaktionen aus; weil ihre sensorische 
Komponente (der Muskelsinn) oder ihre motorische eine Einbuße er- 



'Af^ 




u. 71. MunkeUinoRtöniDgen der rechten £x- 
tremitSlJMi uach Exatirpation der linkeD eenHoinotorischen 




litten haben? Wer will es entscheiden? Hitzig selbst hat die gleiche 
Erscheinuug einmal als einen Beweis für eineu Verlust der Lagevor- 
stellung, und dann wieder, die molorisclie Komponente betonend, als 
Defekt der Willen senergie bezeichnet. 

Noch weiter in das motorische Gebiet kommen wir mit einem 
weiteren Symptom in der sensomotorischen Region operierter Hunde, das 
Hitzig beschrieben hat. Wenn man einem Hund, der in der Schwebe 
hängt, mit einer Nadel gegen seine Pfote fährt, und der Hund sieht die 
Nadel, so zieht er seine Pfote weg, noch ehe die Nadel sie erreicht 
Der Hund ohne Fühlsphäre achtet anscheinend der Nadel nicht, er 
läßt die Pfote an ihrem Platz. Hitzig spricht hier von einem Ver- 
lust der Gesichtsvorstellungen fllr das Vorderbein, auch diese sollten 
durch die Entfernung der Fühlsphäre verloren gehen. Uns will es 
zweifellos erscheinen, daß die Ursache des Ausfalls hier das Fehlen 
des Impulses zum Zurückziehen der Pfote ist. 

In die richtige Beleuchtung kommt diese Erscheinung erst dann, 
wenn wir sie neben die von Goltz entdeckte, von Munk auf die Fflhl- 
sphäre lokalisierte und als Aufhebung der Einzolbewegung 
benannte Störung stellen. Goltz beschrieb, daß ein Hund nach aus- 
gedehnter Zerstörung des Großhirns nicht mehr im stände ist, die Pfote 
als „Hand zu brauchen". Er gräbt den Boden nicht mehr mit ihr au^ 
er hält den Knochen nicht mehr fest. Hier fehlt also schon jeder un- 
mittelbare sensible Anlaß zur Bewegung, und noch mehr wird die 
Störung der willkürlichen, ja der freiwilligen Bewegung klar in jener, 
wiederum von Goltz beschriebenen Aufhebung des Pfotegebens (immer 
auf der der Hirnoperation entgegengesetzten Körperseite). 

MüNK hat das Fehlen der Einzelbewegungen auf seine Fflhlsphäre 
lokalisiert, und bat es auch für den Aften, der ja für alle diese Er- 
scheinungen ein so günstiges Objekt der Untersuchung bildet, be- 
stätigt. 

Die Einzelhewegungen brachte Munk in einen prinzipielli 
Gegensatz zu den Gemeinschaftsbewegungen, die von dt 
Eühlsphäre unabhängig seien. Als Gemeinschaftsbewegungen be- 
zeichnete MüNK zuerst nur die Fortbewegungen, das Laufen nnä 
Springen des Hundes, das Klettern des Affen. Die Sache selbst, diesen 
Gegensatz zwischen Aufhebung der isolierten und Erhaltung der Fort- 
bewegung hat Goltz wiederum zuerst erkannt. Er hat sich nur vor- 
sichtiger ausgedrückt, als er fand, daß nach Exstirpation einer 
ganzen Hemisphäre der Hund doch die Fähigkeit wiedergewinnen 
kann , wenn auch in beschränktem Malie , mit der dieser Hemisphäre 
zugehörigen Pfote noch zu graben . also sie nunmehr unter Leitung 
der gleichseitigen Hemisphäre als Hand zu benutzen. 

Nach diesem Funde von Goltz hat dann Munk das Gebiet der 
Gemeinschaftsbewegungen erweitert, indem er ihnen die eigentlichen 
Mithewegungen hinzurechnete. Er legte Wert darauf, daß die der 
verletzten Hemisphäre gekreuzte Pfote liesondors im Beginn der Resti- 
tution nur gleicli zeitig mit der ungeschädigten Pfote bewegt wird. 
Es ist eine solche Mitbewegung eigentlich eine isolierte Bewegung, nur 
beider Pfoten zugleich, steht doch aber wohl sicher auf anderer Stufe 
als die Fortbewegung, in der gewissermaßen mechanisch eine Extremi- 
tät nach der anderen in Bewegung gesetzt wird. Daß nach großen 
Verietznngen heider Hemisphären die Einzelbewegungen beider 
Seiten fortfallen, hat Goltz sehr wohl gewußt. Wiederum war es 






»1 w 

I 



Einfelbew^iingen. OcmdnschafMbewegnngen. Ataxie. 



279 



MuNK vorbehalten, diese Störung durcb die lokalisierte Schädigung 
der beiden Fühlsphären zu erzeugen, während Goltz geneigt war, 
sie auf den tiefen Blödsinn der operierten Tiere zu beziehen. 

Wir stellen also fest, daß beim Tier die Einzelbewegung gebunden 
ist an die Fflhlsphäre, während nicht nur nach Entfernung der Fühl- 
gphäre, sondern auch der ganzen Rinde rUe Ueineinschaftsbewegungeu, 
inäbesonderß die Fortbewegung, nur wenig geschädigt erscheinen. 
Das lehrt ja der großhirnlose Hund von Goltz. 

Wiederum Goltz hat aber hervorgehoben, daß die Gemein- 
schaftsbewegungen keineswegs ganz unbeteiligt bleiben. 
Er beschrieb als charakteristisch für den Gang des großhirn verletzten 
Hundes den Hahnentritt, das Übermäßige Emporheben und jähe Nieder- 
schlendern der Beine. Goltz bemerkte auch die Unzweckmäßigkeil des 
Sprunges bei Erhaltung erheb- 
licher roher Kraft, Beim Affen 
ist die entsprechende Störung 
nach völliger, insbesondere 
doppelseitiger Entfernung der 
sensomotorischen Region nach 
MiTNK eine sehr viel schwerere. 
Auch noch Monate nach der 
Operation fällt der Äffe leicht 
um, indem bald diese, bald 
jene Extremität ungeschickt 
aufgesetzt wird oder abgleitet. 
Will der Affe sich aufrichten, 
gleiten die Füße leicht aus. 
Aeußerst selten klettert er, tut 
er es in Furcht, oder in Gier 
nach einem Leckerbissen, so 
kommt er zwar leidlich in die 
Höhe, aber hält sich nicht am 
Gitter des Käfigs, die Füße 
gleiten ab, die Hand läßt los, 
und der Affe stürzt jählings zu 
Boden, und nur nach langem 
und ungeschicktem Strampeln 
kann er sich dann wieder auf- 
helfen. Diese Störung der 
Fortbewegung scheint sich aus 
zwei Komponenten zusammenzusetzen. Gerade beim Affen ist ja die 
Fortbewegung nur selten eine reine Gemeinschaftshewegung. Insbe- 
sondere das Klettern unter natürlichen Verhältnissen erfordert die 
Erreichung nicht eines beliebigen, sondern eines bestimmten Punktes. 
Schon die Intention zu solch einer definierten Greifbewegung beim 
Klettern steht der Sonderbewegung selir nahe, sie unterbleibt oft bei 
dem rinden verletzten Affen oder gedeiht nur bis zu einem wilden 
Fuchteln. Sie kommt weniger zur Erscheinung, wenn der Affe an 
Gittern klettert , wo ein jeder Griff, wohin er auch treffe , ihm 
einen Halt gewährt. Das ruhige Festhalten steht dann schon wieder 
mehr auf der Stufe einer Einzelleistung und fällt aus. Sehr charak- 
teristisch ist auch dies, daß, wenn der Affe einmal in eine unbequeme 
Lage mit einer Estreniität gekommen ist — ist er einseitig operiert, 




Fig. 12. UilflMigkeit der rccht«ii Seite 
t» Affen nach Entfernung der linken senso- 
niotoriecheu Region. 




mit einer der gekreuzten Seite — er nicht im stände ist, isoliert dii 
Extremität zu befreien, sondern in der unbequemen Lage verharrt, 
bis sozusagen Bewegung über ihn kommt, bis als Glied der gemein- 
schaftlichen Maschinerie, wie unwillkürlich die eine Extremität uiit- 
befreit wird (Kg. 72). 

Aber selbst bei den einfachsten, maschinenmiiliigsten Gemein- 
schaftsbewegungen nicht nur des AiTen, sondern auch beim Laufen 
des Hundes sehen wir — als zweite Komponente der Störung — eine 
deutliche Ungeschicklichkeit^ eine Ataxie; ist uns der von Goltz 
beschriebene Hahnentritt doch schon öfter als ein Typus einer alak- 
tischen Bewegung begegnet. Wenn wir an die Tatsache wieder er- 
innern, daß die ataktische Bewegung nicht nur durch das UcbermaB 
von der normalen sich unterscheidet, sondern sowohl nach der einen 
wie der anderen Richtung von der normalen sich unterscheiden kann, 
und sich dadurch als sensorJKch bedingt herausstellt, so hat Münk 
auch auf das Schleifen der Füße beim Laufen als ein Zeichen der Ataxie 
hingewiesen. Wir selbst haben gezeigt, daß der Itindentonus 
gleichfalls von der Sensibilität abhängt, daß die Haltung der Glieder, 
mit welcher wir ja schon früher jeden Tonus ideutifizierten (S. löÖjjj, 
demnach auch in der Rinde durch sensible Merkmale reguliert 
Deren Ausfall macht, daß die Glieder entweder zu wenig oder am 
im Uebermaß innerviert werden. Hebt man z. B. den einseitig oj 
rierten Hund an der Rückenhaut auf, so werden zuerst die Glieder 
der gekreuzten Seile tonisch übermäßig gestreckt, um nach einigei 
Zeit wieder in abnorme Schlaffheit zu verfallen. Beim Hund wenigsten! 
kann man daher weder von Atouie noch Hypertonie reden, nur von 
Dystonie sprechen und muß diese als eine Teilerscheinung d< 
Ataxie ansehen. 

lieber die Theorie der Ataxie sind wir schon früher klar geworden 
(Kap. X u. XI). sie beruht auf einer sensiblen Störung, und so fügt sich 
also auch sie der Annahme von sensorischen Funktionen der Großhirn- 
rinde. Die Geringfügigkeil dieser Ataxie aber auch nach totaler Ent- 
fernung des Großhirns bewies uns bereits (S. 1>*9), daß die Gemein- 
schaftsbewegungen noch in anderen subcorticalen Zentratorganen zweck- 
mäßig durch die Sensibilität reguliert werden, von denen insbesondere 
das Kleinhirn schon ausführliche Erwähnung gefunden hat, ebenso wie 
die Tatsache, daß das letztere auch in die Einzelbewegungen regulierend 
eingreift. Andererseits aber beschränkt sich das Großhirn nicht darant 
die Einzelbewegungen auszulösen, sondern leistet auch einen Teil der 
Regulierung ihres Verlaufes, wie man besonders bei unvolIständigaB 
Exstirpationen der sensomotorischen Zone, welche die Auslösung der 
Bewegung noch nicht völlig vernichtet haben, sehen kann. Das Groß- 
hirn leitet also die Auslösung der Sonderbewegnng allein, in ihre 
Ausführung teilt es sich mit subcorticalen Organen, insbesondere dem 
Kleinhirn, es teilt sich mit diesem auch in die Ausführung der Regu- 
lierung der Gern emschaftsbewegun gen, und spielt endlich die Haupt- 
rolle auch bei Auslösung der Gemeinschaftsbewegungen. 

Zwar haben wir schon früher berichtet, daß der GoLTZsche groB- 
hirnlose Hund noch lief, spontan lief (S. 146), aber das war ein ganz 
unbestimmter Bewegungsdrang, der diesen Hund nur verließ, wenn er 
schlief. Für den Affen liegt ein entsprechender Versuch nicht vor, 
es ist nicht sicher, ob er sich ohne Großhirn überhaupt noch fortzu- 
bewegen versuchen würde. Die von Munk der sensomotorischea 



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4 




Verhältnis der sensomotorischen Zone zur elektrisch erregbaren. 281 



Extremitätenzone beraubten Affen zeigen gerade das entgegengesetzte 
Verhüten, sie sind schwer, am besten durch die Erzeugung von 
Affekten, zum Laufen oder Klettern zu bewegen, und sie hören damit 
auf, wenn die Ursache der Bewegung fortfällt, sei es, daß sie die er- 
strebte Frucht erreicht, sei es, daß sie sich der Gefahr entzogen 
haben. So ganz unrichtig ist es also nicht, wenn man der Großhirn- 
rinde die Willkürlichkeit aller Bewegung zuschreibt. Nur darüber 
kann man zweifelhaft sein, ob dieser Einfluß in Bezug auf die Gemein- 
schs^tsbewegungeu der sensomotorischen Sphäre allein oder auch den 
Sinnessphären zukommt. Diese Frage ist nicht zu beantworten, weil 
weder H. Münk noch ein anderer Experimentator bisher Affen her- 
gestellt hat, denen beiderseits die ganze sensomotorische Sphäre 
fehlte, sondern immer nur Teile derselben. Wenn wir aber festhalten, 
daß die rohe Ausführung einer Gemeinschaftsbewegung in niederen 
Zentren zu stände kommen kann, und daran erinnern, daß zentrifugale 
Bahnen vom Occipitallappen und ähnlich vom Schläfenlappen im 
Hirnschenkelfuß mindestens bis zum Pons verlaufen, so erscheint die 
Möglichkeit keineswegs ausgeschlossen, daß der auslösende Impuls 
zu der Gemeinschaftsbewegung, zum Laufen, Klettern, nicht allein 
von der sensomotorischen Region, sondern auch von den Sinnes- 
sphären direkt an die subcorticalen Zentren der Gemeinschafts- 
bewegungen gelangt. 

Aber nach den anderen erörterten Richtungen sind die Leistungen 
der sensomotorischen Region, der Fühlsphäre Munks, definiert und 
in ein dementsprechend zu umgrenzendes Rindengebiet lokalisierbar. 
Die Fragen, welche sich an die allgemeine Behandlung der Leistungen 
der sensomotorischen Region knüpfen, sind nun aber noch folgende: 
Inwieweit innerhalb der sensomotorischen Region eine 
Lokalisierung nach Körperteilen möglich sei? Wo die 
Grenzen dieser Region verlaufen, und ob sie mehr oder 
minder scharf seien? Ob innerhalb der sensomotori- 
schen Region ein Gebiet abzugrenzen sei, welches aus- 
schließlich oder vorzugsweise der Sensibilität, ein 
anderes, welches der Motilität diene und - im Rahmen 
dieser Fragestellung ~ welche Rolle das als elektrisch erregbar ab- 
gegrenzte Rindengebiet für die Auslösung der Bewegung spiele? 

Beginnen wir mit dem letzten Punkte, so ist festzustellen, daß das 
elektrisch erregbare Gebiet jedenfalls innerhalb der 
Grenzen der sensomotorischen Zone liegt, daß aber die auf 
schwache Ströme (Hitzig) oder auf unipolare Reizung (Suerrington) 
reagierende Region nur einen kleinen Teil der sensomotorischen Region 
ausmacht. Es steht auch fest, daß die Wegnahme der mit schwachen 
Strömen zu erregenden Region bis zu einem sehr hohen Grade vom 
Tier wieder ausgeglichen werden kann, daß insbesondere die Auslösung 
der Einzelbewegung weder beim Hund noch beim Affen allein von 
jenem Gebiet abhängig ist. Sahen wir doch, daß sich die mit schwachen 
Strömen zu erregende Region beim Affen auf die vordere Zentral- 
windung beschränkt, und lehrt doch ein Blick auf die MuNKSclien 
Schemata, daß sowohl nach vorn, als insbesondere nach hinten diese 
Region erheblich überschritten werden muß, wenn das Maximum der 
motorischen Störung erhalten werden soll, wie wir das auch selbst 
gesehen haben. Wenn man annimmt, was wir freilich nicht als sicher 
bezeichneten, daß die durch starke Ströme zu erzielenden motorischen 




Erfolge wahrscheinlich über die vordere Zentralwiudung des 
hinaus gehen, so würde schon daraus folgen, daß die willkürli<^H 
Einzelbewegung Wege benntzen kann, welche der elektrischen ErreguDQ 
nicht olfen stehen. 

Nur für die unmittelbaren Folgen derOperation scheinen 
sich hier gewisse unterscheidende Merkmale zu ergeben. Sherkington 
hat für den Anthropoiden angegeben, daß Verletzungen innerhalb der 
vorderen Zentralwinduug Paresen, also nicht nur ein Fehlen der 
Einzelbewegung, sondern eine lähmungsartige Schwäche des betroffenen 
Gliedes bei jeder Bewegung zur Folge hätten, während ein gleicher 
Eingritf in die hintere Zentralwindung diese Wirkung nicht habe. 
Brodhanx hat ähnhches dann auch beim niederen Affen gesehen. 
Mdnk ist auf diese Dinge nie eingegangen, hat vielmehr erklärt, daß 
er mit der Annahme besonderer motorischer Zentren gar nichts mehr 
anzufangen wisse, vor alleni wohl, weil diese eigentlich motorischen 
Ausfallssymptome bald wieder verschwinden. In der Tat handelt es 
sich bei diesen Lähmungen um vergängliche Erscheinungen, aber 
nur durch ihre Beachtung linden wir später den Weg zu den Symptomen 
der menschlichen Hemiplegie. Trotz ihrer Vergänglichkeit sind sie 
aufzufassen als durch die Verletzung selber bedingt, ihre Rückbildung 
erklärt sich durch das schnelle Eintreten anderer Hirnteile. Auch beim 
Hunde sind übrigens schon von Goltz nach schweren Eingriffen 
solche Lähmungen beobachtet worden. Er erklärt sie einfach durch 
vorübergehende Hemmungen, die von der Rinde aus sich anf sub- 
corticate Organe erstrecken. Diese Deutung dürfte nach den ana- 
logen Versuchen am Affen recht anfechtbar sein. 

Ueber die Beschränkung der Verletzung anf die elektrisch reiz- 
bare Region beim Hund und die danach zur Beobachtung kommenden 
Sensibiiitätsstörungen liegen seit den ersten Versuchen von Fritsch und 
Hitzig noch Angaben von Bechterew vor, der ebensowenig wie diese 
Störungen der Hautsensibilität beobachtete. Munk hat sich in seinen 
Veröffentlichungen über den Grad der nach verschieden lokalisierten 
kleinen Operationen zur Beobachtung kommenden Sensibilitätsdefekta 
nicht ausführlich genug geäußert. Wenn Fritsch und Hitzig nach 
Eingriffen in die elektrisch reizbare Region auch Störungen der Empfin- 
dung und zwar der Reaktionen des Muskelsinnes beobachteten, so kann 
das sehr wohl auf der Ausschaltung der motorischen Komponente dieser 
Reaktionen ebenso gut beruhen, als auf der der sensibeln. Beachtenswert 
erscheint es, daß Fritsch und Hitzig bei ihren ersten scharf auf die 
elektrisch erregbare Region begrenzten Exstirpationen keine Symptome 
von selten der Hautsensibilität und der Schmerzempfindung sahen. 
Vielleicht kommen diese beiden Qualitäten eben nicht in Hixzios 
motorischer Region zur Perception. Fritsch und Hitzig sagen 
nichts davon, wie sie auf Berührungs- und Schmerzempfindung ge- 
fahndet haben, aber es leuchtet ein, daß die Reaktionen auf diese 
beiden Qualitäten sich nicht wie die des Muskelsinnes durch Be- 
wegungen der lokal betroffenen Glieder allein feststellen lassen, die 
Möglichkeit, den motorischen Ausfall für den sensibeln zu nehmen, 
also vermeidbar ist Wir möchten es jedenfalls nicht ohne weiteres 
zugeben, daß die FOhlsphäre H. Münks nichts anderes sei als die • 
motorische Region Hitzigs, wie Hitzig das selber meint. Die Fflhl- 
sphäre MuKKs schließt die motorische Region Hitzigs nur ein. Es 
scheint, daß die letztere, die mit schwachen Strömen reiz- 




AugenfühlBphäre. Ohrregion. 283 



bare Region der Rinde, sowohl und mehr noch beim Affen als 
beim Hund besondere motorische Funktionen hat. Da diese 
aber auch dem übrigbleibenden Teil der Fühlsphäre nicht fehlen, der 
vielmehr weitgehenden Ersatz leisten kann, auch in motorischer Hin- 
sicht, so braucht uns diese Angelegenheit in der weiteren Besprechung 
der sensomotorischen Region nicht zu stören. 

Wenn wir also zur Frage von der inneren Gliederung der 
sensomotorischen Region übergehen, so vertritt den extrem 
lokalisatorischen Standpunkt auch hier wieder H. Munk. Die Fühlsphäre 
ist für ihn in der gleichen Weise eine Projektion der Körperoberfläche, 
wie die Sehsphäre für ihn eine Projektion der Retina ist. So kommt 
er dann selbstverständlich auch zu einer Gliederung der sensomoto- 
rischen Region nach Körperteilen, aber jede dieser Teilregionen der 
sensomotorischen Region ist selbst wieder nur eine Zusammenfassung 
kleinster gleichsam mosaikartig zusammengefügter Elemente. 

Solcher größeren Regionen innerhalb der sensomotorischen Region 
gab MüNK für den Hund und den Affen übereinstimmend 7 an, 
1) für das Vorderbein, 2) für das Hinterbein, 3) für den Rumpf, 
4) für den Kopf, 5) für den Nacken, 6) für das Ohr, 7) für das 
Auge (vergl. Fig. 68 u. 69). 

Wir beginnen mit der letzten, der MuNKschen Augenfühl- 
sphäre. Munk verlegt sie unmittelbar vor die Sehsphäre, von der sie 
sich beim Affen scharf durch die AflFenspalte abgrenzt. Sie nimmt dann 
beim Afifen den Gyrus angularis ein. Beim Hund liege sie weniger 
gut begrenzt zwischen Sehsphäre hinten, Extremitätenregion und 
Kopfregion vorn, Hörsphäre seitlich, medial reiche sie bis an den 
Gyrus fornicatus. Nach ihrer Entfernung zeige die Empfindlichkeit 
der Schleimhaut des Auges eine Verminderung, die sich durch die 
Abschwächung des Corneal- und Gonjunctivalreflexes ausdrücke, der 
also demnach zum Teil ein Rindenxeflex wäre. Auch tränt das Auge, 
dessen Fühlsphäre entfernt ist, häufig, was auf eine Reizung durch 
gelegentlich infolge der verminderten Empfindlichkeit in den Con- 
junctivalsack gekommene Fremdkörper bezogen wird. Nach doppel- 
seitiger Operation soll für kurze Zeit ein deutlicher Strabismus beim 
Versuch der Konvergenz auftreten. Der Affe greift auch an Ob- 
jekten vorbei, was Munk darauf bezieht, daß er die Lage der Objekte 
in der Tiefe des Gesichtsfeldes nicht richtig erkennt. Es würde sich 
also dabei um die Folgen der Störung des Muskelsinnes der Augen- 
muskeln handeln. Auch die willkürliche Augenöffnung könne er- 
schwert sein. Es ist aber zu bemerken, daß Munk selbst diese Aus- 
fallserscheinungen nicht regelmäßig beobachtet hat, was er auf ün- 
vollkommenheiten der Operation zurückführt. Schäfer, Horsley 
und Brown haben keine Folgen der Exstirpation des Gyr. angularis 
beim Affen für die Sensibilität und Motilität des Auges feststellen 
können, und Kalberlah fand beim Hunde nach entsprechenden 
Verletzungen nur hemianopische Störungen. Daß auch nach Mona- 
kows anatomischen Untersuchungen der Gehirne von Munk operierter 
Hunde die Sehsphäre den größten Teil der MuNKschen Augenfühl- 
sphäre, der sensomotorischen Region des Auges einnimmt, war bereits 
erwähnt, so daß also diese letztere noch keineswegs als gesichert be- 
zeichnet werden kann. 

Als Fühlsphäre des Ohres beschrieb Munk ein Feld lateral 
von seiner Fühlsphäre des Auges, innerhalb derjenigen Region, von der 



384 3^' Experimentelle ErfabniDgeD fiber die Lokaluation im GroShim. 



r 



HiTZio durch elektrische Reizung Ohrbewegungen erhalten hat. als ] 
Folgen ihrer Entfernung Sensibilitäteverlusi fler gegen über lieg eniiea I 
Ohrmuschel uuil eine Minderung ihrer Bewegungen. Wir seibat haben I 
die Ohrregion aber beiderseits in den von Munk angegebenen Grenzen l 
beim Hund völlig entfernt, ohne mehr als vorübergehende Störungen j 
zu sehen. 

Lateral von der Extrem itätenregion, beim Hund im Gyr, coro- 
nalis, beim Affen die Gegend um das laterale Ende des Sulc. cen- 
tralis einnehmend, liegt H. Munks Kopfregion. Beim Hunde wltrde 
sie die HiTZiGsche Reizstelle für den Facialis in ihrem hinteren Teile 
bergen, beim Affen — wenn wir recht sehen — wohl die Reizstellen 
ffir Zunge und Kiefer, kaum mehr die für den Facialis umfassen. 
Nach ihrer Exstirpation sah Münk Motilitätsstörungen der gegenfiber- 
ttegenden Zungen- und Mundmuskeln, und eine Störung der Sen- 
sibilität anf der kontralaleralen üesichtshälfte. Von einer Reihe von 
Autoren (LrciANi, Tambürini und Seppilli, Kalberlah) ist nach 
entsprechenden Verletzungen eine Verminderung der Motilität im 
gegenseitigen Orbicularis oculi beschrieben, von anderen jedoch be- 
stritten worden [R. du Buib-Revmond und Silex). Daß nach aus- 
gedehnteren Verletzungen des Gyr. coronalis eine AbschwäcJiung 
der Berührnngsreflexe des Gesichts, insbesondere beim Hund des 
Nasenlidretiexes (des einseitigen Zuckens des Augenlides und Mund- 
winkels bei Restreichen des Nasenflügels) eintritt, ist zweifellos nach 
den Beobachtungen von Exner und Panetb und von Hitzig. Ob 
innerhalb des Gyr. coronalis noch eine weitere Sonderung zulässig 
sei, erscheint nach den Ergebnissen von Hixzia allerdings sehr 
zweifelhaft. Bei Läsionen der Kopfregion hat Munk auch zuerst 
Störungen der Nahrungsaufnahme beim Hnnde beschrieben. Nach 
doppelseitigen Verletzungen nehmen die Tiere trolz sichtlich größtem 
Verhingen nach Nahrung, trotzdem sie jedes FleischstückcheD auf- 
suchen und sich viel an ihm zu schaffen machen, nicht mehr diQ.] 
Nahrung zu sich, sie können nicht mehr saufen und fressen. Nadbj 
Goltz kann man den Kopf von Tieren mit symmetrischen umfoug- 
reichen Verletzungen des Vorderhirns in einen Napf voll Fleisch 
stecken, so dali ein Oeffnen und Schließen des Maules dem Hund die 
Nalirung verschaffen würde — aber diese Bewegungen erfolgen nicht 
Der Hund kann auch unfähig sein zu saufen, trotzdem die er- 
haltene Fähigkeit zu lecken beweist, daß keine wirkliche Lälimiuig, 
sondern nur die Störung eine.s höherstehenden Vorganges, der FreB- 
und Saufhandluug, wie man sagen könnte, vorliegt. Ist an den 
von H, MuNK beschriebenen Störungen somit kein Zweifel, ist es 
auch wohl sicher, daß sie sich hauptsächlich in der MtJNKschen Kopf- 
region lokalisieren lassen, so kann man doch nach unseren Erf&h* 
rungen die t;anze MüNKsche Kopfregion beiderseits entfernen, ohne 
daß dauernde schwere Störungen der Nahrungsaufnahme znrQck- 
blieben '). Solche sieht man erst nach sehr viel ausgiebigeren großes 
Verletzungen des Vorderhirns.- Von D. Frank ist auch beim Affen 
nach bilateraler .Abtragung der unteren Partie der beiden Zentral^ 
Windungen einschließlich des Operculum eine dauernde Erschweran^,. 
aber doch immerhin keine Vernichtung der Nahrungsaufnahme be-j 

1) Es isL auffällie, <laS maD varüber^cheDde SlArungeu derNahrunggsufnabnlB J 
(die nicht auf Ataxie fler UalsuiuHkeln beruhenj iiiBbcBoiiilere bei Kalzeii numcfamd | 
auch schon bei einseitif^en Operationen beobadil«u katiD. 



I 




Nackenregion. 285 

obachtet worden. Es hat sich die Hoffnung H. Munks, die weitere 
Untersuchung würde die Kopfregion noch in mehrere scharf be- 
grenzte Unterabteilungen trennen lassen, nicht erfüllt, wie denn — 
worauf zurückzukommen sein wird — die Grenzen sich nicht so 
scharf erwiesen haben, als Munk das angenommen hatte. 

Ganz nach vorn im Gyr. coronalis des Hundes, an seiner Uebergangs- 
stelle zum Gyr. sigmoideus ant. liegt die bereits bei Besprechung der 
Reizversuche erwähnte KRAUSEsche Stelle für die Kehlkopf- und 
Stimmbandbewegung. Nach Exstirpation dieser Stelle auf beiden 
Seiten bellt der Hund nicht mehr in normaler Weise, sondern soll 
nur noch quietschende, winselnde Laute, wie das neugeborene Tier, 
von sich geben. Da Katzenstein durch Reizung nicht nur ein 
doppelseitig, sondern auch ein einseitig (kontralateral) wirkendes 
Stimmbandzentrum festgestellt hat, scheint der für die Störung der 
Kehlkopfbewegung und der Lautgebung in Betracht kommende Be- 
reich auch wieder größer zu sein, als man angenommen hatte ^). 
Andererseits darf vielleicht die Stimmgebung des Tieres ebensowenig 
wie die Sprache des Menschen ohne weiteres mit den rohen Bewegungen 
des Kehlkopfes, des Gaumens und der Zunge identifiziert werden. 
Störungen des Bellens beim Hunde sind von Duret zuerst beschrieben 
worden. 

Die Kehlkopfregion liegt schon innerhalb desjenigen Bereiches, 
den MüNK — wenigstens in seinen späteren Versuchen (1892) — als 
Nacken region abgegrenzt hat. Nach ihrer einseitigen Entfernung 
sähe man beim Hund und beim Affen den Verlust der Fähigkeit, den 
Kopf nach der entgegengesetzten Seite zu drehen, und einen Verlust 
der Druckempfindung an der gegenüberliegenden Seite des Nackens. 
Diese Störungen sollen dauernd bestehen bleiben, der Bewegungs- 
störung in der Hals- und Nackenmuskulatur, welche den Hund zuerst 
zwingt, sich nach der operierten Seite zu drehen, nur durch eine 
kompensatorische Innervation der hinteren Wirbelsäulenmuskulatur, 
insbesondere durch eine Drehung im Becken entgegengewirkt werden 
können. Von einer Störung der Augenbewegung, deren elektrisch er- 
regbares Zentrum an der hinteren Grenze der MuNKschen Nacken- 
region zu suchen ist, ist bei Munk keine Rede. Hitzig hat die senso- 
motorische Natur der MuNKSchen Nackensphäre geleugnet. Wir 
selbst verfügen über keine genügenden Erfahrungen in dem Punkte, 
möchten nur in Bestätigung alter Angaben von Prävost für den 
Hund (ähnliche liegen von Ferrier und Yeo für den Affen vor) er- 
wähnen, (laß nach Verletzung des Vorderhirns (unter Erhaltung der 
MüNKSchen Augenfühlsphäre) eine vorübergehende döviation conjuguöe 
der Augen und des Kopfes nach der entgegengesetzten Seite eintritt, 
wobei übrigens häufig das gegenüberliegende Auge mehr nach außen, 
als das gleichseitige nach innen abgelenkt ist. 

Erwähnen möchten wir noch eine Beobachtung nach umfang- 
reichen Verletzungen der vorderen Region des Gehirns mit dem 
Gyr. sigmoideus anterior, die doch darauf hindeutet, daß diese Region 



l) Wir selbst haben nach umfangreichen einseitigen Zeratörungen des Vorder- 
hims bei einigen Hunden eine Parese der gegenüberliegenden Stimmbänder ge- 
sehen, im Sinne einer mangelnden Spatmun^ bei der Phonation. Bei der Mehrzäil 
der Hunde aber haben wir solche einseitigen Störungen trotz genau gleich um- 
fanCTeicher Verletzungen völlig vermißt, ko daß hier sicherlich schon individuelle 
Differenzen bestehen. 



auch beim Hunde mit der Augenbewegung etwas zu tun hat; es ii 
das ein Strabismus, der auftritt bei passiven Bewegungen des Kopfes : 
Wenn man einem normalen Hund den Kopf nach hinten biegt, so 
gehen die Äugen gewöhnlich mit, bei dem einseitig operierten Hund 
bleibt das Auge der gegenüberliegenden Seite derart zurück, daß mau 
hier fast die ganze obere Sklera sieht, während auf der operierten 
Seite davon nichts sichtbar wird. Diese Erscheinung kann monate- 
lang besteben, geht aber schließlich wieder zurück, wohl durch Ein- 
treten der anderen Hemisphäre, 

Es ist kein Zweifel, daß durch alle diese Bewegungsstörunge» der 
Augen der MtJHKschen Augen fühl sphärc eine ernsthafte Konkurrenz 
erwächst, und daß Munk nichts dazu getan hat, um dieselbe abza;; 
wehren, wie er sich denn um die Resultate der elektrischen ReizuDj'' 
die doch sicherlich darauf hindeuten, daß das Frontalhirn 
Ziehungen zur Augenbewegung unterhält, nicht gekümmert hat 

Ist schon die Funktion des von Munk als Nackenregion bezeich- 
neten Feldes keineswegs klar, so hat Münk auch den entschiedensten 
Widerspruch gefunden mit seiner Aufstellung einer Rumpfregion, 
die den ganzen Stirnlappen ausfülle — entsprechend seinen früher 
erwähnten Reiz versuchen. Für Munes Lehre von der Projektion der 
Peripherie auf die Rinde hat diese Aufstellung die Bedeutung, daS 
mit dem Stirnlappen der letzte verfügbare Teil der Rinde vergeben 
ist. Die Exstirpation eines Stirnlappens bei Hund und Affe hat nach 
MuNK zur Folge den Verlust der Fähigkeit, die Wirbelsäule nach 
der entgegengesetzten Seite zu drehen'). Nach doppelseitiger Ope- 
ration zeigt sich wiederum sowohl beim Hund als beim Affen eine 
abnorme Wölbung der Brustlendenwirbelsäule in der Form eines 
Katzenbuckels, beim Affen .sah Münk schon nach einseitiger Operation 
eine Störung des Gleichgewichts. Der Affe bedarf der Stütze durch 
einen Arm, um sich sicher aufrecht zu halten. Hitziq hat die Resultate 
von MuNK am Hunde, Schäfer und Hobsley die am Affen nicht bestätigt. 
Trotzdem erscheint es nach den präzisen Ergebnissen Munks zweifei' 
los, daß wenigstens ein Teil des Stirnlappens mit den Bewegung« 
des Rumpfes etwas zu tun hat. Fraglich erscheint es aber auch 
wieder, ob die Lokalisation eine so scharfe ist, wie sie Munk v< 
langt. Zwar die Beobachtung von Horslet und Schäfer, weh 
das Rumpfzentrum beim Affen in den Gjr. marginalis verleg 
wollten, hat Munk als bedingt durch eine Behinderung der Estrei 
tätenbewegung hingestellt. Immerhin bleibt aber zu beachten, dati 
nach Sherrinoton und Grünbaum von der vorderen Zentnü- 
windung des Affen aus die Rumpfmuskulatur elektrisch zu erregen 
ist, und Goltz gegenüber hat Mdnk zugeben müssen, daß der Hund 
nach Exstirpation eines Stirnlappens im stände ist, die Wirbelsäule 
der entgegengesetzten Seite derart zu krümmen, daß die Schnauze 
die Schwanzwurzel berührt; es scheint uns die Erklärung, welche 
MuNE gibt, daß nämlich die nach Stirnlappenentfernuug noch mög- 
liche Krümmung der Wirbelsäule nur als Gemeinschaftsbewegung 
mit einer Bewegung der Halswirbelsäule und der Extremitäten auf- 
tritt, keineswegs eine völlig befriedigende zu sein, da dadurch wiederum 

1) Die Annahme Unvebkicbtb, daO die KumpfmuRbutatur von der GroSbiru- 
rinde utit«r zweimaliger KreuKung der Bahnen gleicbaeitig ionorviarL würde, isl 
TOD RoTHHANM widerlegt worden. 



:nz 

m 




DifferenzieruDg innerhalb der Extremitatenregion. 287 



der BegriflF der Einzelbewegung eingeschränkt wird (vergl. S. 278). Nach 
Entfernung des vorderen Teiles einer Großhirnhemisphäre drehen die 
Hunde sich sehr lange Zeit nach der operierten Seite, worauf besonders 
LoEB aufmerksam gemacht hat. Es beruht das darauf, daß die erhaltene 
Seite, welche ja die Muskulatur der operierten Körperseite versorgt, 
das üebergewicht erlangt. Auch hier handelt es sich nicht um 
eine gewöhnliche Lähmung, man kann alle Nerven einer Seite durch- 
schneiden, ohne daß diese ganz charakteristische Drehung der ein- 
seitig am Großhirn operierten Tiere hervortritt. Vielmehr steht diese 
Drehung den Zwangsbewegungen mindestens sehr nahe ^) (vergl. auch 
S. 179). Wenn sie aber als objektives Symptom nur zur Erscheinung 
kommen kann durch die Aufhebung der Impulse, welche der gekreuzten 
Muskulatur der Wirbelsäule zugehen, so ist hervorzuheben, daß sie 
weder nach Entfernung des Stirnhirns allein, noch der Entfernung der 
dahinter gelegenen sensomotorischen Region allein in voller Stärke 
erbalten wird, sondern daß, um einen maximalen Erfolg zu erzielen, 
sehr große Verletzungen gesetzt werden müssen, so daß auch hieraus 
zu folgen scheint, daß, wie die Vertretung der Kopfmuskulatur, so 
auch die der Rumpf muskulatur keineswegs so zirkumskript und lokali- 
siert ist, wie das Munk annimmt. 

Wie steht es nun mit der Verfeinerung der Lokalisation inner- 
halb der Extremitätenregion, deren Leistungen wir ja als Para- 
digma der Leistungen der sensomotorischen Zone schon erörtert haben. 
Munk unterscheidet in ihren Grenzen eine Vorderbein- und eine 
Hinterbeinre.gion, das ist aber für ihn nur eine grobe Trennung, 
nach seiner Theorie müßte für jeden Teil eines Gliedes ein besonderes 
Feld abzugrenzen sein, durch dessen Entfernung charakteristisch um- 
grenzte Sensibilitätsdefekte und Ausfälle der Einzelbewegungen des 
betreffenden Gliedabschnittes zu erzielen wären. Wie sich H. Munk 
die Projektion auf die Körperperipherie denkt, ist ja nach Analogie 
der Sehsphäre ohne weiteres klar. Aber ebenso wie dort muß gesagt 
werden, daß noch niemals ein dauernder Sensibilitätsausfall einer 
zirkumskripten Region eines Gliedes, sagen wir z. B. am Oberarm, 
beobachtet worden ist. Auch beim Tiere schon kann man feststellen, 
daß der Sensibilitätsausfall immer nach dem distalen Ende der Ex- 
tremität zunimmt, und dabei ist noch nicht einmal der Einfluß der 
subcorticalen Verbreitung der Verletzung so in die Augen springend 
wie bei der Sehsphäre. In der Tat müssen die Bahnen vom Thalamus 
zur Rinde schon erheblich durchmischt sein, sonst müßten schon 
durch die unvermeidlichen subcorticalen Verletzungen zirkumskriptere 
Sensibilitätsausfäile zu erzielen sein, als wir sie tatsächlich beobachten 
können. 

Freilich gibt es für so] große Abschnitte, wie Hinterbein und 
Vorderbein, eine gewisse Trennung. Wir selbst wollen auch nicht 
die Tatsache bestreiten, daß die Exstirpation der MuNKschen Vorder- 
beinregion nur Sensibilitätsstörungen des Vorderbeins, die der Hinter- 
beinregion nur solche des Hinterbeins erzeugt. Auch daß man die 

1) Bei den eigentlichen Zwan^sbewegungen, z. B. nach Kleinhirn Verletzung, hat 
man den Eindruck, als wenn das Tier sich bemühe, einer übermächtigen Kraft Wider- 
stand zu leisten, während bei den Drehungen nach einseitigen Großhirn- (und auch 
Thalamu8-)Verletzungen es so scheint, als wenn gerade ein willkürlicher Impuls aus- 
geschaltet wäre, das Tier gewissermaßen die Mö^ichkeit, sich auch einmal nach der 
anderen Seite zu drehen, gar nicht beachtet. 



XV. Experimentelle Erfahrongai] über die LokAÜsation im GroBhim. 



^^^P 



MuNKSchen Berührungsreflexe isoliert am Vorderbein und am Hinter- ^ 
bein durch entsprechende Verletzungen ausschalten kann, ist sicher. 
Nur davon glauben wir uns mit aller Sicherheit überzeugt zu haben, 
daß das Maximum der überhaupt zu erzielenden Störungen der Sensi- 
bilität sowohl wie der MoEilitfit, am Hinterbein sowohl wie am Vorder- 
bein, erst durch die Ausräumung der ganzen Extremitätenregion zu 
erreichen ist. Ein gewisses Hin fiberreichen der beiden großen Felder 
selbst möchten wir also annehmen. Von einer Projektion der Sensi- 
bilität im Sinne Munks, einem anatomischen Substrat der Lokalzeichen, 
können wir aber nichts entdecken, wie wir uns denn von vornherein 
unter solch einem anatomischen Substrat gar nichts denken konnten. 
Daß der Hund nach umfangreichen Verletzungen des Vorderhims 
nicht nur die Berührung, den Druck, den Schmerz weniger lebhaft J 
empfindet, sondern auch den Ort der Reizung nicht tindet, ist eine 1 
Talsache, die Goltz zuerst entdeckte (S. ^65). Uns will aber scheinen, 
daß die Tatsache, daß nach unvollständigen Operationen das Tier zwar 
fast immer den Eingriff überall noch als solchen empfindet, aber nicht 
mehr lokalisiert, gerade beweist, daß innerhalb der Rinde die weit- 
reichendsten Verbindungen zwischen den verschiedenen Körperregionen 
vorhanden sind. Daß für eine exakte Projektion die ganze 
Rinde notwemlig ist, ist eine Tatsache, die aber ganz und völlig 
von der Hypothese verschieden ist, daß ein einzelner Rindenteil daa i 
anatomische Substrat fflr seine Lokalzeichen sei. J 

Wenn wir Munk recht verstehen, will er auch für die motorischen J 
Leistungen der Extremitätenregion , die wir im ganzen ja bereits* 
charakterisiert haben, eine bis ins feinste gehende Lokalisierung durch- 
führen. Unsere Erfahrungen sind zu gering und Munks AusfQhruDgen 
insbesondere über die dauernden Folgen zirkumskripter Läsionen 
innerhalb eines Extremitäten fehles sind zu wenig ausführlich '■), um 
die Frage beantworten zu können, ob wirklich jemals die proximalen 
Glieder einer Extremität isoliert der Einzelbewegungen unföbig ge- 
funden worden sind. Nach den klinischen Erfahrungen am Menschen ist 
es jedenfalls kaum möglich, eine mosaikartige Anordnung der zeiitraläD 
motorischen Elemente, eine motorische Projektion anzunehmen, denn 
fast immer betrifft hier das Maximum der Störung die distalen 
Extremitätenenden. Zwar hat die einzelne corticofugale Faser natOrlicb 
in der Rinde ihre besonders gelagerte Ursprungszelle, aber sowohl die 
Wege zu dieser Zelle wie die Verbindungen der einzelnen Faser in 
den tieferen Zentralorganen müssen außerordentlich mannigfaltige 
sein, sonst wäre es nicht möglich, daß die teilweise Durchschneidung 
dieser Bahnen z. B. im Rückenmark niemals zu einem zirkumskripten 
Ausfall gewisser Einzelbewegungen, sondern immer zu einer aUge- 
meincn Schädigung der Einzelbewegnng bei Erhaltung der Massen- 
bewegung führt. Die motorische Funktion der Rinde ausreichend za 
charakterisieren, ist demnach außerordentlich schwierig; wenn aller- 
dings von der sensomotori sehen Region die Einzelhewegnngen ab- 
hängig sind, so darf ihre Funktion doch nicht allein als einei 
Aneinanderreihung gewissermaßen bereitliegenderi 
kleinster Einzelbewegungen cliarakterisiort werden, 
sondern es muß auch das Moment der Dissociation der Massen 




ZosammenfassuDg. 289 



bewegung hervorgehoben werden. Deren eines Mittel ist sicher- 
lich die Hemmung, die zuerst Bubnoff und Heidenhain durch 
Reizung der Großhirnrinde erzeugt haben, und von der dann 
Sherrington den Spezialfall der antagonistischen Hemmung be- 
sonders betont hat. Er behauptet, daß von einem Reizpunkt fQr die 
eine Muskelgruppe immer die Hemmung der Antagonisten zu er- 
zielen sei und nimmt an, daß es für die willkürliche Bewegung 
sich ebenso verhalte. Daß das Gesetz der antagonistischen Hemmung 
'ausnahmslos gelte, hat R. du Bois-Reymond bestritten (S. 60). 
Daß aber die Hemmung, und zwar die innerhalb der Rinde selbst 
sich vollziehende, ein wesentlicher Faktor aller zweckmäßigen Muskel- 
aktion sei, war schon in der Lehre von der Ataxie hervorgehoben: 
dort aber auch ebenso erwähnt, ein wie ungeheuer kompliziertes Zu- 
sammenwirken vieler Muskeln auch die scheinbar einfachsten Be- 
wegungen erfordern. Alles dies aber, die Association und die Disso- 
ciation, leistet die Rinde, speziell die sensomotorische Region; schon 
darum muß eine außerordentlich ausgiebige Verbindung zwischen den 
einzelnen Rindenfeldern für die Glieder und ihre Teile gefordert 
werden. Man kann mil Recht behaupten, daß, je iso- 
lierter eineBewegung erscheint, um so größere Rinden- 
gebiete zu dieser Isolierung mitgewirkt haben müssen. 
Wie wir es demnach nicht anders für möglich halten 
können, so scheint es auch die Mehrzahl der Versuche 
zu bestätigen, daß zwar innerhalb der sensomotori- 
schen Region bestimmte Felder bestehen, deren Zer- 
störung die Sensibilität und dieMotilität einesGliedes 
besonders stark schädigt, daß aber im allgemeinen 
diese Grenzen sich mehr oder weniger stark überlagern. 
Eine solche war von jeher die Anschauung von Hughlings Jackson, 
der sich auch Beevor und Horslet angeschlossen haben. Es bleibt 
die Möglichkeit bestehen, daß für besondere Gebiete, wie z. B. den 
Kehlkopf, sich auf der Rinde auch recht scharfe Grenzen umschreiben 
lassen, auch zwischen den Gebieten für die obere und die untere 
Extremität mag es noch einigermaßen, wenn auch nicht ganz scharfe 
Trennungslinien geben; nicht aber glauben wir dasselbe für die 
einzelnen Teile der Wirbelsäule und am wenigsten für die einzelnen 
Abschnitte der Glieder. Ziemlich scharfe Grenzen schien hinwieder 
auch das Facialisgebiet zu besitzen, am zweifelhaftesten war es uns, 
in welche Grenzen die Sensibilität und Motilität der Augen einzu- 
schränken sei. 

Sind nun wenigstens die großen Sphären, die Sehsphäre, 
die Hörsphäre, die sensomotorische Sphäre, scharf voneinander 
getrennt? H. Münk hat daran immer mit größter Entschiedenheit 
festgehalten, andere wie Luciäni und Tamburini eine weitgehende 
Ueberlagerung der Sinnessphären angenommen, die alle im Gyr. angu- 
laris, einem Zentrum der Zentren zusammenfließen; davon kann nun 
wohl keine Rede sein. 

In neuerer Zeit hat nun aber auch Hitzig Angaben gemacht, 
welche die MuNKSche Lehre gefährden. Die Angaben Hitzigs, daß 
auch nach Verletzung der MuNKschen Sehsphäre Erscheinungen, wie 
sonst nur nach Schädigung der sensomotorischen Region, nämlich der 
Defekt der Willensenergie zur Beobachtung komme, konnten wir in 
keiner Weise bestätigen. Viel schwerwiegender ist aber die Behaup- 

Lewandowsky, Funktionen d. zentralen Nervensystems. 19 



^H Ober)] 



tung von Hitzig, daß auch nach Eingriffen in den Gyr'. 
sigmoideiis und seine Nachbarschaft, wenn auch vorabergebeode, 
SehstöruDgen zur Beobachtung kämen, womit er ältere Be- 
obachtungen von ExNER und Paneth bestätigte. Hitzig gab ferner 
an, daß. wenn sich die durch frontale Läsion bedingte Sehstörung 
wieder ausgeghchen habe, nun die Exstirpation der MuNEschen Stelle A, 
keine Sebstörungen mehr hervorriefe, ein fast rätselhaftes Verhalten, 
auf dessen Erklärung, zu der Hitzig die Hemmung subcorticaler 
Zentren heranzieht, wir hier nicht eingeben wollen. H. Mi'nk hat 
nach neuen Versuchen die Beobachtungen von Hitzig bestritten, da^j 
gegen sind sie von Imamdra und Exner bestätigt worden. Ihamdi 
hat noch dem Balken eine Bedeutung für die Restitution der Gesichl . 
felddefekte zugewiesen, nach Balkendurchschneidung sollten sie wtedei 
auftreten. 

Wir selbst haben bei dieser Sachlage die Versuche wieder auf- 
genommen und müssen uns nach einer fieihe von 20 Versuchen am 
Hunde auf die Seite Mcnks stellen. Es ist vor allem zu berück- 
sichtigen, daß bei den engen Verhältnissen des Hundehirns Teile der 
Sehstrahlung recht weit nach vorn geraten und daß man, obwohl man 
eich anscheinend auf die motorische Reaktion beschränkt hat, doch 
bei der mikroskopischen Untersuchung manchmal in der Lage ist, eine 
grob anatomische Schädigung des vordersten Anteiles der Sehstrahlung 
festzustellen. In der Mehrzahl der Fälle sahen wir aber überhaupt 
keine Störung, die wir als eine hemianopische auffassen konnten. Wohi! 
sahen wir, daß der Hund zögerte, Fleisch, das zu seiner einen, der< 
Operationsseite gegenüberliegenden, Seite lag, aufzunehmen, aber in 
diesem Verhalten erkannten wir nur die Ungeschicklichkeit solcher 
frontal operierten Tiere, sich nach der Gegenseite zu wenden. Die 
Hunde sahen das Fleisch, aber die motorische Reaktion war be- 
hindert. Daß nun einige Hunde auch leichte hemianopische Störungen 
zeigten, ohne daß sieb eine Verletzung der Sehstrahlung nachweisea 
ließ, kann demgegenüber nicht in Betracht kommen. In aolchen 
Fällen mußte eine funktionelle bezw. mikroskopisch nicht nachweis- 
bare Schädigung der Sehstrahlung angenommen werden als Fern- 
wirhung der Verletzung. Auf Schädigungen solcher Art sind wir doch 
in der Klinik gewohnt, eine große Anzahl schnell vorübergehender 
„indirekter" Herdsymptome zurückzuführen. Warum sollte der Hund 
nicht auch solt^he zeigen können ? Aber daß diese Sehstörnngen bei 
gut ausgeführten Operationen in der sensoniotorischen Region die 
Ausnahme bilden, erscheint uns ganz sicher. 

Wir haben auch die Folgen occipitaler Läsionen für das Sehver- 
mögen ganz unbeeinflußt gefunden davon, ob vorher frontale gemacht 
worden waren oder nicht, und es entfällt für uns damit auch jenes 
Rätsel. 

Desgleichen erscheint es uns völlig verfehlt, dem Balken eine 
Rolle bei der Restitution der Sebstörungen, sei es nun frontaler oder 
occipitaler, zuzuschreiben. Hätte Imamürä seine Balkendurchschnei- 
dungen mikroskopisch kontrolliert, so hätte er wohl gesehen, was er 
für Zerstörungen in der Sebstrablung. dem Thalamus oder der Rinde 
angerichtet hatte. Eine Balken Zerstörung ohne Neben Verletzungen ist 
überhaupt nicht möglich, und Ausfallserscheinungen danach ohne mikro- 
skopische Untersuchung haben keinen Wert. Möchten sich doch endlich 
die Physiologen von dem Wert genauer anatomischer Nachunter- 



[lat^B 
uf-V 




Stirnhim und GeBichtssiDn. 291 



snchung des Einzelfalles überzeugen lassen. Was den Balken betrifft^ 
so haben wir für dessen Funktion beim Tier, beim Hund wenigstens, 
überhaupt noch kein durch das Experiment festzustellendes Zeichen 
gefunden. 

Wir sind daher jedenfalls überzeugt, daß sensomotorische Region 
und Sehsphäre nicht ineinander übergehen, die Grenzen der anderen 
Regionen sind im einzelnen noch nicht so gesichert, daß ein festes 
urteil möglich wäre. Wenn aber auch keine mathematisch scharfen 
Grenzen aufzustellen sein werden, so wird sich doch wohl im Groben 
eine Trennung der einzelnen Sphären aufrecht erhalten lassen. Was 
hier fehlt, ist weniger noch eine Häufung des experimentellen 
Materials als das anatomische Studium der Ausbreitung der aus dem 
Thalamus hervorgehenden sensiblen Faserung in der Rinde und an 
der Hand einer solchen Kenntnis dann die anatomische Unter- 
suchung einzelner experimentell beobachteter Tiere, 
wobei vor allem die Komplikation durch subcorticale 
Verletzungen eingehend zu prüfen wäre. 

Ist nun aber wirklich die ganze Rinde nichts anderes als ein 
Konglomerat von Sinnessphären, wie H. Munk will? Schon in den 
FLECHSiGschen Aufstellungen über die anatomische Gliederung der 
Hirnrinde lernten wir eine Anschauung kennen, welche der MuNKschen 
entgegengesetzt ist. Sprach doch Flechsig großen Gebieten der 
Hirnrinde jede Projektionsfaserung, sowohl die zentripetale wie die 
zentrifugale, ab. Associationszentren im FLECHSiGschen Sinne können 
keine Sinnessphären im MuNKschen Sinne sein. Wie diese Frage 
anatomisch steht, haben wir früher auseinandergesetzt. Munk hat 
sich aber auch bemüht, durch Experimente, in welchen er die FLECH- 
SiGschen Associationszentren beim Affen hinwegnahm, den Beweis zu 
erbringen, daß dieselben nur Teile von Sinnessphären seien. Es handelt 
sich hier hauptsächlich um die Funktion des Stirnlappens, für 
welchen die FLECHSiGsche Lehre übereinkommt mit der alten Meynert- 
schen Aufstellung, der sich auch Hitzig angeschlossen hat, daß dieser 
Gehirnteil eine besondere Beziehung zu den höheren psychischen 
Funktionen, zur Intelligenz hat, während ihn Munk zur Fühlsphäre 
des Rumpfes macht. Von Franz sind Versuche gemacht worden, um 
zu ermitteln, ob das Erlernen besonderer Dressurkunststückchen mit 
dem Stirnlappen in Zusammenhang steht; er übte Katzen darauf ein, 
den Riegel ihres Käfigs sich selbst zu öffnen, dann exstirpierte er 
den Stirnlappen und sah, daß die Tiere das Kunststück nicht mehr 
konnten. Bei Operationen an anderen Stellen soll das nicht der Fall 
gewesen sein, aber auch nach Entfernung der Stirnlappen lernten die 
Tiere es bald wieder. Versuche an Affen, welche vielleicht zu be- 
stimmteren Resultaten führen könnten, liegen nicht vor. Von einem 
Beweis, daß, sei es der Stirnlappen, seien es andere Teile des Gehirns, 
anderen als sensomotorischen Funktionen in irgend einem Sinne 
dienten, kann beim Tier bisher jedenfalls keine Rede sein. Auf der 
anderen Seite freilich ist es auch durchaus nicht bewiesen, daß das 
ganze Gehirn nichts weiter sei als die Vertretung der Körperperi- 
pherie ^). Denn insbesondere nach kleineren Verletzungen sind wir 

1) Daß die ganze Rinde in gleichem Maße, wie H. MuNK will, 8itz der 
höheren geistigen Fähigkeiten und der Intelligenz sei, kann man durchaus nicht be- 
haupten. Was wir Intelligenz und Begabung nennen, ist ja, wie es schon Gall 
richtig betonte, zum großen Teil Ausdruck besonderer individueller Entwicklung, 

19* 



292 ^^- Experimeotelle Erfahrungen über die Lokaiisation im Grofihim. 



nicht im stände, dauernde Symptome festzustellen. Wenn wir diese 
Tatsache zum Teil auf das vicariierende Eintreten anderer senso- 
motorisch fungierender Gehirnteile zurückführen, so ist diese An- 
schauung — die an und für sich übrigens den MuNKSchen Lehren 
widerspricht — natürlich nicht streng zu beweisen, und gerade der 
Stirnlappen ist ein Gebiet, von dem im V'erhältnis zu seiner Größe 
schon beim Tier außerordentlich geringe sensomotorische Leistungen 
bekannt sind. Der Gedanke wird doch im Auge behalten werden 
müssen, daß es auch schon beim Tier Territorien der Großhirnrinde 
gibt, in welchen, wenn auch vielleicht keine höheren psychischen, so 
doch sensomotorische Leistungen besonderer und höherer Ordnung 
lokalisiert sind, wie eine solche beim Menschen die Sprache darstellt. 
Von der möglichen Existenz eines höheren Zentrums für die Stimm- 
gebung beim Tier war bereits die Rede, und auch die Beeinflussung 
der Atmung, welche durch Reizung des Stirnlappens zu erzielen ist, 
konnte in dem Sinne gedeutet werden, daß die Rumpfmuskulatur hier 
zu besonderen funktionellen Einheiten zusammengefaßt ist. Mehr 
aber kann man bisher nicht sagen, und insbesondere ist zurückzu- 
weisen die Behauptung Goltz', daß beim Hund verschiedenartige und 
einander entgegengesetzte Charakterveränderungen nach Ent- 
fernung der vorderen und der hinteren Lappen des Großhirns sich 
entwickelten. 

die wohl auch an verschiedene Hirnterritorien geknüpft ist. Munk widerspricht 
sich auch selbst, wenn er die Gesichts- und die Gehörs Vorstellungen auf zwei um- 
schriebene kleine Gebiete innerhalb der optischen und akustischen iSphäre lokalisiert. 
Was bleibt dann von der Intelligenz eines Tieres noch übrig, wenn man ihm (durch 
recht kleine Operationen) alle Gesichts- und Gehörsvorstellungen raubt? 



Kapitel XVI. 
Cerebrale Lähmungen und Bewegungsstörungen des Menschen. 

Die Tatsache, daß beim Tier dnrcb uoch bo große Abtragungen 
der Rinde TÖllige Lähmungen sich nicht erreiclien lassen, hat eine 
grofie Bolle im Kampf der Physiologen um die Lokalisation gespielt. 
Immer wieder hat Goltz daraaf bestanden, daß beim Tiere aach 
nach völliger Großhirnabtragung kein MuBkel gänzlich funktionsnn^ig 
wäre; wir haben im vorangehenden Kapitel auseinandergesetzt, daß 
dieses Argument nichts gegen das Prinzip der Lokalisation beweist, 
und haSen erörtert, daß nur eine Reihe hochstehender Bewegungs- 
formen beim Tier nach Großhirn Verletzungen verloren gehen, und daß 
der Hirnstamm im stände ist, 
die einfache Fortbewegung des 
Tieres in recht vollkommener 
Weise zu leiten. 

Beim Meuschen nun ist es 
anders; wir können hier sehr 
häufig nach Zerstörung der 
Rinde eigentliche Läh- 
mungen beobachten. Zustände 
also, in welchem der Muskel und 
das von ihm bewegte Glied jeder 
Innervation durch einen will 
kürlichen oder einem solchen 
ähnlichen Akt völlig entzogen 
ist Nur die Reflexe im engsten 
Sinne, insoweit sie sich im 
Rückenmark und im Hirnstamiti 
abspielen, bringen die gelähm- 
ten Muskeln noch zur Kon- 
traktion. 

So ist in den schweren Formen der gewöhnlicheu Hemiplegie, 
welche durch eine Blutung oder eine Erweichung in der einen Hemi- 
sphäre bedingt ist, die der Zerstörung gegenüberliegende Körperliälfte 
völlig bewegungslos. Schlaff liegt das Bein der Unterlage an, wie 
auch der Arm. Wie tote Gegenstände fallen die etwa passiv empor- 
gehobenen Glieder herunter, keinem anderen als dem Gesetze der 
Schwere folgend. Die Atmung freilich, die im verlängerten Mark ihre 
Stätte hat, vollzieht sich auf beiden Seiten in gleicher Weise. Aber 




ft 



auch das Gesicht ist betroffen. Der eine Mundwinkel hängt; dis" 
Nasenlippenfatte ist verstrichen; die entsprechende Zungenhälfte ist 
gelähmt, so daß die Zunge meist nach der gesunden Seite abweicht 
(vergl. S. 118). Der Kranke ist nicht im stände, weder die Mund- 
inuskulatur noch die Glieder der gelähmten Seite auch noch so 
wenig willkürlich zu bewegen; wenn man versucht, ihn auf seine 
Füße zu stellen, so sinkt er nach der gelähmten Seite zusammen, von 
Gehen ist gar keine Rede, der Unterschied zwischen Gemeiu-. 
Schaft sbeweguugen und Sonderbewegungen, der bei Bm 
Tiere so hervortritt, besteht also beim Mensche^f 
nicht. Beim Tiere waren ja lähmungsartige Zustände nur ganz voi^ 
übergehend zu beobachten gewesen, beim Menschen kann, wenn auch 
in seltenen Fällen, sich der geschilderte Zustand einer schlatTen totalen 
Lähmung jahrelang erhalten. Waren die Erscheinungen des Insults 
nicht von vornherein sehr milde, so ist es immer das gewöhnliche, 
daß ein beträchtlicher Grad von Lähmung zurückbleibt Am häufigsten 
sehen wir, daG die Lähmung nach einigen Wochen oder Monaten sich 
anfängt zurückzubilden, indem der Kranke wieder einige Gewalt über 
seine Glieder gewinnt, daß aber die Gebrauchsfähigkeit der gelähmten 
Seite auf das schwerste geschädigt bleibt 

Am wenigsten, wenn auch immer noch schwer genug, sehen wir 
häufig die Beweglichkeit der einen Seite betroffen, in vielen Fällen 
von infantiler Hemiplegie, wo also die Zerstörung einer Hen)ispliäre 
— hier im frühen kindlichen Alter meist durch eine Entzündung — 
eingetreten ist. Einen solchen Fall hat z. B. v. Monakow genau 
anatomisch untersucht und beschrieben. Dadurch wird mit Sicher- 
heit bewiesen, daß im kindlichen Alter in höherem Maße als später 
die homolaterale Hemisphäre fähig ist, für die kontra- 
laterale auch in der Innervation der Estreraitäten einzutreten. 
Ein, vielleicht nicht einmal das einzige, anatomisches Substrat für 
einen solchen homolateralen Einfluß haben wir ja in dem un- 
gekreuzten Pyramiden Vorderstrang des Menschen und es ist nur 
wunderbar, daß er beim Erwachsenen nnd besonders beim Greise nur 
so wenig, manchmal gar nichts für den Ersatz zu leisten vermag. 
Daß die gleichseitige Hemisphäre auch beim Erwachsenen bis zu einem 
gewissen Grade für die kontralaterale eintreten kann, halten wir für 
sicher; ihren Anteil im einzelnen Fall abzuschätzen ist freilich kaum 
möglich, da fast immer bei der Apoplexie nicht die ganze eine Hemi- 
sphäre und auch nicht alle ihre Bahnen zu Grunde gehen. 

Nur durch den Einfluß der homolateralen Hemisphäre erklärt es 
sich ferner, daß gewisse Muskelgebiete selbst bei schwersten Hemiplegien 
nur in geringem Grade oder auch gar nicht betroff'en werden; dazu 
gehört insbesondere das Innervationsgebiet des oberen Facialis- 
astes. Der Augenscliluß ist gewöhnHch auch auf der liemiplegischen 
Seite erhalten, so daß diese Differenz zwischen oberem und unterem 
Facialisast als ein diagnostisches Merkmal der cerebralen Facialis- 
lähmung gegenüber der peripheren gilt Es folgt daraus, daß der 
obere Facialis auch in der Norm schon von beiden Hirnhälften aus 
innerviert wird. 

Wenn nun beim Menschen die hemiplegische Lähmung anfingt, 
sich zurückzubilden, so pflegt jetzt ein Symptom aufzutreten, welches 
wiederum beim Tier nur unter ganz besonderen Umständen zu beob- 
achten, beim Menacheu aber typisch ist, die Kontraktur. Uierauter 




Beziehungen zwischen Lähmung und Kontraktur. 295 



verstehen wir eine dauernde, anscheinend unwillkürliche Kontraktion 
der Muskulatur, welche passiven Bewegungen der Glieder einen er- 
heblichen, wenn auch zu überwindenden Widerstand entgegensetzt 
Eine geringe Kontraktur nennt man auch Spasmus. 

Es hat sich nun durch die Untersuchungen insbesondere von 
Wernioke und Mann gezeigt, daß Lähmung und Kontraktur in einer 
engen gegenseitigen Beziehung zueinander stehen. Solange die 
Lähmung eines Gliedes eine totale ist, gibt es über- 
haupt keine Kontraktur, bleibt die Muskulatur schlaff, 
eine Tatsache, die — wie wir erinnern — mit den Folgen totaler 
Querschnittsläsion des Rückenmarkes durchaus übereinstimmt. Dabei 
bleibt hier die Frage nach dem Verhalten der Sehnenreflexe, als nicht 
in essentiellem Zusammenhang mit der Frage nach der Kontraktur, 
außer Betracht. Wir haben es bereits oft genug ausgesprochen, daß 
die Erscheinungen des sogenannten Muskeltonus durchaus keiner ein- 
heitlichen Funktion entsprechen. Wenn eine Kontraktur überhaupt 
zu Stande kommen soll, so muß eine Spur willkürlicher Bewegung, 
eine Verbindung des Rückenmarkes mit der Großhirnrinde (durch die 
innere Kapsel), erhalten sein. Der Grad der Kontraktur ist dabei von 
der Stärke der Lähmung in gewissem Maße unabhängig. Am häufig- 
sten findet sich eine sehr starke Kontraktur bei einer erheblichen Ein- 
schränkung der willkürlichen Bewegung. Oft jedoch sehen wir auch 
Kontrakturen und Spasmen bei recht geringfügiger Einschränkung der 
Beweglichkeit, ja Goldscheider ist es einigemal gelungen, durch eine 
noch zu erwähnende Maßnahme unter der Kontraktur die Beweglich- 
keit als fast völlig intakt nachzuweisen. 

lieber den Zusammenhang der Kontraktur mit der Lähmung 
lassen sich nun in Uebereinstimmung mit Mann zwei Sätze formu- 
lieren: 1) daß, wenn von zwei Antagonisten der eine kontrakturiert 
ist, dieser auch willkürlich innervationsfähig und kräftiger ist, als der 
nicht kontrakturierte antagonistische Muskel ; 2) daß, wenn zwei Anta- 
gonisten gelähmt sind, sie beide schlaff, nicht kontrakturiert sind. 

Wenn wir also annehmen mußten, daß die Erregung, welche die 
Kontraktur auslöst, von der Großhirnrinde ihren Ausgaug nimmt, so 
muß sie doch irgendwo auf ein Zentralorgan treffen, dessen Eigen- 
schaften verändert sind in der Weise, daß die ihm mitgeteilte Er- 
regung zur Kontraktur wird, d. h. abnorm lange dauert und sehr oft 
abnorm stark ist, weshalb auch der Muskel passiver Dehnung einen 
abnorm großen Widerstand entgegensetzt. 

Ehe wir darauf weiter eingehen, müssen wir einen Blick auf die 
Verteilung der Kontraktur und der — mehr oder weniger 
restituierten — Lähmung werfen, wie sie von Wernicke und Mann 
festgestellt worden ist. Sie ist in dreierlei Richtung eigentümlich ; sie ist 
zuerst in fast allen Fällen von Hemiplegie die gleiche typische, indem 
die Restitution sich nur oder vorzugsweise auf gewisse Muskeln er- 
streckt, andere funktionsuntüchtig bleiben ; sie läßt zweitens ein gegen- 
sätzliches Verhalten von Agonisten und Antagonisten erkennen, und 
drittens zeigen sich die kontrakturierten, zugleich funktionsfähigen, 
wie — was nach dem Vorhergesagten selbstverständlich — auch die 
gelähmten Muskeln nach gewissen funktionellen Gruppen geordnet. 
Die typische Stellung des kontrakturierten hemiplegischen Armes in 
Adduktion und Flexion bei Schließung der Hand zur Faust ist ja 
bekannt Mann hat weiter gezeigt, daß so der ganze Mechanismus 



XVI. Cerebrale LähniungieD und BcnetraofiiMtäruDgen de« HenBchen. 






der EiiiwärtärolluDg des Armes von der Schulter bis zur Hand i 
wohnlich erhalteo. die Auswärtsrollung vernichtet ist. An den unteren 
Extremitäten ist es der ganze Mechanismus der Verlängerung das 
Beines, die Streckung in der Hüfte und im Knie, und die Plantar- 
äeicion des Fußes, welche erhallen ist, und in dessen Muskeln sich 
dann auch die Kontrakturen zeigen, während die Beuger des Unter- 
schenkels und die Dorsalflexoren funktionsunfähig und nicht kontrak- 
turiert sind. 

BerGcksichtigen wir zunächst den erst«n Punkt der typischen 
Verteilu ng (Prädileklionsmuskeln Wernickes), so wurden durch 
deren Nachweis alle diejenigen Theorien gründlich widerlegt, weiche, 
wie die Charcots, die Kontraktur aus einer Reizung der zentri- 
fugalen Großhirnbahnen, beson- 
ders der Pyraniidenbahn durch 
die Degeneration ihrer Fasern 
ableiten wollen, ganz abgesehen 
davon, daß es völlig unglaublich 
ist, daß eine solche Reizung durch 
Degeneration Jahre und Jahr- 
zehnte dauern sollte. Es ist auch 
weiter nicht richtig , daß die 
Form der Kontraktur bedingt sei 
durch die Wirkung aller vorlii 
denen Muskeln nach 
ihrer rohen Kraft, In diesei 
Sinne hat Brissaud den Zustand 
der konlrakturierten Glieder mit 
dem nach Strycbnin Vergiftung 
verglichen. Aber auch davon 
kann nicht die Rede sein, die 
Differenzen in dem Grade der 
Kutitraktur und der Lähmung 
sind in ausgesprochenen Fällen 
V iel größer, als sie den DitTerenzea 
der rohen Kraft auch nur an- 
iifdiernd entsprechen würden. 

DieTypik der hcmiplegischen 
Lähmung und Kontraktur IS&t 
auch von vornherein den Ge- 
danken zurückweisen, daß immer 
die Fasern für die eine Muskel- 
gruppe erhalten, die der anderen 
vernichtet sein könnten. Denn die anatomische Lage des Herdee ist 
fast ohne jeden EinäuB auf die immer gleiche Gestaltung der Kontraktur. 
Es müssen also funktionelle Momente die eigentümliche Form der 
Lähmung bedingen. Abweichungen derart, daß etwa eine Streck- 
kontraktur des Armes oder eine Beugekon traktur des Beines zu stauds^ 
kSme, kommen zwar vor, sind aber äußerst selten. I 

P. Marie hat wohl zuerst von dem Fortfall einer Hemmung ge-i 
■ sprechen, als der Ursache der Kontraktur; dann hat Manu dies» 
Theorie dem gegensätzlichen Verhalten der Antagonisten 
)aßt. Er nimmt an, daß die erregenden Fasern für einen Muskel 




Kontra] 



I mentisi 



identisch seien mit den hemmenden für seinen Antagonisten, und 




Beziehungen zwischen Lähmung und Kontraktur. 297 



erklärt die Kontraktur durch einen Fortfall dieser Hemmung, welche 
wohlverstanden durch die zentrifugalen Bahnen, insbesondere die 
Pyramiden zum Rückenmark verlaufen müßte. Diese Theorie ist in sich 
unhaltbar. Hemmung ist, unserer früher (S. 41) gegebenen Definition 
entsprechend, Vernichtung oder Verminderung einer Erregung durch 
einen Reiz. Wenn nun eine solche Hemmung, die durch die Pyramiden- 
bahn verlaufen soll, nicht nur für einen Antagonisten, sondern für 
ein Antagonisten -Paar fortfällt, so mußte notwendigerweise in solchem 
Fall eine vollständige Lähmung mit Kontraktur der beiden Ant- 
agonisten verbunden sein. Das Gegenteil ist der Fall. Beide Ant- 
agonisten sind schlaff. Durch die Pyramiden zum Rückenmark kann 
also eine Hemmung ganz sicherlich nicht verlaufen. 

Allerdings muß man einer Hemmung eine Bedeutung für das 
gegensätzliche Verhalten der Antagonisten bei der Kontraktur bei- 
messen, aber in ganz anderer Weise als Mann es will. Aus den 
Versuchen von Sherrington und Hering folgt die Regel der 
reziproken Innervation der Antagonisten (vergl. S. 60). 
Es ist unzweifelhaft, daß in der großen Mehrzahl der Fälle in dem 
Maße als ein Agonist sich kontrahiert, sein Antagonist erschlafft. Das 
kann nur durch den zentralen Vorgang einer Hemmung erklärt werdeq, 
einen Vorgang, der an und für sich mit den Versuchen von Bübnoff 
und Heidenhain auch physiologisch experimentell bewiesen ist. Nur 
bedingt diese notwendige Annahme nicht die weitere, daß solche Hem- 
mungen durch die Pyramidenbahnen oder überhaupt durch cerebrofugale 
Bahnen verlaufen. Einer solchen Annahme stehen vielmehr die Tat- 
sachen entgegen. Vielmehr ist anzunehmen, daß diese Hemmung in 
d er Rinde selber stattfindet, derart, daß die Erregung etwa des 
Zentrums für die Beuger die Hemmung desjenigen für die Strecker (in 
der Rinde) zur Folge hat, und umgekehrt. Das gegensätzliche Verhalten 
der Antagonisten macht demnach der Deutung keine Schwierigkeiten 
mehr. Wenn man einmal annimmt — was ja nichts weiter als der 
Ausdruck der Tatsache ist — daß das Zentrum eines Muskels in 
übermäßiger Erregung oder Erregbarkeit ist, so folgt ohne weiteres, 
daß in demselben Maße das Rindenzentrum des Antagonisten ge- 
hemmt ist. Es ist also anzunehmen, daß für gewöhnlich bei der 
Hemiplegie sowohl Strecker- als Beugerbahnen der inneren Kapsel 
erhalten sind, aber auf die Zentren der einen durch die dauernde 
Erregung der anderen eine Hemmung ausgeübt wird. Dann also 
nicht Fortfall der Hemmung als Ursache der Kontraktur, sondern 
dauernde Hemmung der antagonistischen Muskeln durch 
die Kontraktur. 

Warum nun allerdings überhaupt eine abnorme Erregbarkeit 
irgendwelcher Muskelgruppcn sich herstellt, das wissen wir nicht. 
Der Spasmus oder die Kontraktur ist jedenfalls ein Symptom für 
sich, das nicht nur durch die Verteilung der Hemiplegie bedingt ist, 
und dessen Grundursache uns durchaus unbekannt ist. Denn es 
gibt auch Heniiplejzien, besonders infantile, mit zwischen zwei Anta- 
gonisten wechselnden] Spasmus. Nur auf einen Umstand muß hin- 
gewiesen werden, ohne den die Kontraktur nicht zu stände 
kommt: die periphere Sensibilität; das folgt unmittelbar aus 
dem regelmäßi*^0Ti Fehlen der Kontrakturen bei Hemiplegien Tabischer. 
Wenn die Tabes im wesentlichen auf einem Fortfall der Muskel- 
sensibilität beruht, so folgt aus dieser Tatsache unmittelbar, daß auch 



208 XVT. Cerebrale LähtnUDgen und Bew^:uDgeetOrungeii dee Uenflchen. 

die Muskelsensibilität zur Erzeugung der Kontraktur unentbebrlidt ^ 
Ut. Die Muskelsensibilität hat bei Hemiplegiscben die Wirkung, die 
Dauer einer willkürlichen Muskelkontraktion außerordentlich zu ver- 
längern, den Muskel in einem gewissen Kontraktionszustand festzuhalten. 
Vielleicht ist das nur eine Uebertreibung einer auch normal schon be- 
stehenden Funktion. Denn Sherbington und Hering berichten, daß ein 
durch Durchschneidung der hinteren Wurzeln der Sensibilität beraubtes 
Glied eines im übrigen normalen Äffen nach Rindenreizung schneller 
erschlatfe, als ein normales. Die Tatsache, daß KontraktureD auch 
bei Hemiplegie mit sehr erheblichen Störungen der bewußten Sensi- 
bilität einhergehen, hat mit der Wirkung der Sensibilität als solcher 
nichts zu tun. Denn erstens ist die Anästhesie der Hemiplegie nie-4 
mals eine vollständige, zweitens braucht nicht jede Empändung, " 
bis zur Rinde vordringt, auch in das Bewußtsein einzutreten, noi 
drittens könnte der Angriffspunkt der Sensibilität, auch wenn 
Kontraktur ihren ersten motorischen Ausgangspunkt in der Rindl 
hatte, auch subcortical, etwa im Rückenmark, gelegen sein. 

Daß die Sensibilität bei der Erzeugung der Kontraktur beteiligt _ 
sei, lassen auch andere Tatsachen vermuten, so der Nachlaß der Kon- 
traktur nach wiederholten passiven Bewegungen der Glieder, eine 
Erscheinung, die sogar speziell auf den Muskelsinn hindeutet, ferner 
der Einfluß von Wärme oder Kälte; endlich hat Gold8CH£ider ein- 
mal durch Lumbalanästhesie, Injektion von Cocain- oder Stovainlösung 
in den Rückenmarkskanal nach Bier, die nur durch Beeinflnssong 
sensibler Elemente wirken kann, Kontrakturen zum Verschwinden ge- 
bracht. Wenn man nun erwägt, in welcher Weise der Einäuß der Sensi-J 
bilitSt sich geltend machen kann zur Herstellung einer Kontraktur^ 
so ist zunächst die passive Lage ein Moment, welches halb reflek'^ 
torisch bewirkt, daß das Glied in ihr erstarre. Die Muskeln, deren ' 
Ansatzpunkte einander genähert sind, zeigen ein Bestreben, sich in 
dieser Lage zu verkürzen. Dieses Moment gibt eine sehr einleuchtende 
Erklärung für die Streckkon traktur der Beine, welche ja durchaus 
der durch die Bettruhe erzwungenen dauernden Haltung der unteren 
Extremitäten entsprichL In einem Falle haben wir auch einen Wechsel 
von Beuge- und Streckkon traktur des Armes durch die passive 
Lagerung desselben erzielen können. 

Es ist jedoch zu betonen, daß wir diesen Vorgang, nämlich die 
Neigung des hemiplegiscben Gliedes, in einer ihm gegebenen Lage is 
Kontraktur zu geraten, nicht als einen rein reflektorischen auffassen 
können. Es scheint eine gewisse willkürliche, wenn auch 
wenig bewußte Innervation zusammenzuwirken mit 
einer reflektorischen Beeinflussung, Die abnorm lange 
Nachdauer einer willkürlich eingeleiteten Innervation kann man nun 
in vielen Fällen von Hemiplegie beobachten. Als die leichteste Form 
dieser Störung möchten wir eine von Bab:nski als Diadoko- 
kinesie^) bezeichnete Störung, das Unvermögen Innervationen schnell 
nacheinander zu geben, mindestens in einer großen Anzahl von Fällen 
betrachten. Man lindet diese Diadokokinesie in der Tat nicht selten 
auch bei ganz leichten Fällen von Hemiplegie. Daß sich die Dia- 
dokokinesie aus einer solchen Nacbdauer der willkürlichen Kon-s- 



ist] nicht allan für EUeinhimerkrankuRg«!! 



willKürliciien Kon-^^H 
rkraokuRgien cbankts^^^l 



BediDgtmgen der KoDtaraktur. 299 



traktion erklären würde, ist wohl ohne weiteres klar. Andererseits 
kann man die Kontraktur mit Recht als eine exzessive Nachdauer 
einer willkürlich eingeleiteten Bewegung ansehen. Sie ist als Teil- 
ersi^einung jener Steigerung der Erregbarkeit gewisser Zentren, von 
der wir sprachen, aufzufassen, und es scheint einerseits, daß diese 
üebererregbarkeit nur unter dem Einflüsse der Sensibilität zu stände 
kommt, und zweitens, daß so halb unwillkürlich eine Kontrsüttur ge- 
rade derjenigen Muskeln eintritt, deren Ansatzpunkte durch eine passiv 
ihnen gegebene Lage einander genähert sind, wobei dann durch den 
oben erörterten Mechanismus eine Hemmung der Antagonisten ein- 
treten muß. 

Das aktive Element, das durch die Starrheit der Kontraktur hin- 
durchschimmert, kann unmittelbar zu einem willkürlichen werden als 
Uebung. Beobachten wir die Bewegungen eines Hemiplegikers im 
Stadium der Restitution, so sehen wir, daß er fast nur die Beuge- 
muskulatur der Hand und des Vorderarmes, sowie die Beuger und 
die Adduktoren des Armes übt. Sein nächstes Bestreben ist ganz 
naturgemäß, Gegenstände zu fassen und festzuhalten; dazu muß er 
die Finger beugen, er führt die Hand zum Munde, d. h. er beugt 
den Vorderarm. Er zieht Gegenstände an sich heran, d. h. er addu- 
ziert dazu den Oberarm, ja er versucht wohl auch, sich mit der Hand 
irgendwo festhaltend, den Rumpf an den Arm zu ziehen, was eine 
noch stärkere Anstrengung der Adduktoren des Armes bedingt. Es 
gibt für den Hemiplegischen wenig Gründe, seine Streckmuskeln der 
Finger, des Vorderarmes, seine Adduktoren des Oberarmes aktiv zu 
innervieren. Zu welchen zweckmäßigen primitiven Handlungen sollten 
ihm solche Bewegungen dienen I Ganz natürlich werden diese Muskeln 
vernachlässigt und so durch ein merkwürdiges Zusammenspiel einer 
Reihe von Faktoren die typische Kontraktur immer noch mehr be- 
festigt. 

Die Tatsache nun, daß die Lähmung, wenn sie keine vollständige 
ist, funktionell zusammengehörige Muskelgruppen be- 
trifft, andere verschont läßt, muß nach zwei Seiten hin gewürdigt 
werden. Sie beweist erstens, daß durch Ausschaltungen von Teilen 
der Großhirnrinde oder ihrer Bahnen niemals einzelne Muskeln gelähmt 
werden, sondern daß in der Großhirnrinde auch des Menschen Be- 
wegungen und die Muskeln nur im Dienst der Bewegung lokalisiert 
sind. Wenn freilich alle cerebralen Bewegungen fortgefallen sind, 
sind beim Menschen auch alle Muskeln gelähmt, was beim Tier nicht 
der Fall ist. 

Auf der anderen Seite aber zeigt es sich, daß, wenn auch die er- 
haltenen Muskeln gewisse Funktionen repräsentieren, sie eben keines- 
wegs für alle Funktionen mehr verwertbar sind, und zwar sind es 
immer die feinsten, die isoliertesten Bewegungen, welche am meisten, 
notleiden ; erhalten sind nur noch Massenbewegungen, wenn auch 
diese im Sinne einer bestimmten und gewollten Leistung. Ein Bei- 
spiel: Keiner von allen Beugemuskeln der Finger ist gelähmt und 
doch kann kein einziger Finger mehr isoliert gebeugt, sondern nur 
alle Finger zugleich zur Faust geballt werden. Während beim Ge- 
sunden proximale und distale Gliedabschnitte in weitem Umfange un- 
abhängig sind, was ja für die zweckmäßige Bewegung durchaus nötig 
ist, ist es wohl Regel, daß nach Rindenverletzungen diese Unabhängig- 
keit verloren geht. So kann der hemiplegische sehr häufig das 



J^QQ XVT. Cerebml« LShntnnpen und BewtipDni^MtJVnneen da Men«ch«i. 




Kniegelenk nicht mehr strecken bei gebeugter Hüfte, und ebenso kann 
er die Hüfte nicht beugen bei gestrecktem Knie, was doch jeder 
Gesunde ohne weiteres vermag. So zeigt sich überall ein Mangel der 
feineren Dissociation der Bewegung, und es bestätigt sich ein Satz, 
den wir schon für die Bewegungen des Tieres begründeten, daß, jo 
isolierter eine Bewegung sich darstelle, ein um so votlkommneres 
Zusammenspiel großer Rindenteile dazu erforderlich sei. 

Diesen Verlust der feinsten Bewegungen kann man nun auch 
auffassen als Mitbewegung, und es ist in der Tat die Mitbewegung 
ein wesentliches Kennzeichen der cerebralen Bewegungsstörung. 

Schon Johannes Müller hat darauf hingewiesen, daß die Mit- 
bewegung als solche einen physiologischen Vorgang darstellt. 
Jede Zweckbewegung besteht aus so viel Komponenten, sie wird dabei 
individuell so verschieden ausgeführt, daß die Abgrenzung von Mit- 
bewegungen gegenüber den Hauptbeweguagen gar nicht scharf durch- 
gefnhrt werden kann. Demgemäß ist auch die Abgrenzung der 
pathologischen Mitbewegung eine einigermaßen konventionelle. Wir 
bezeichnen als solche diejenigen Bewegungen von Gliedern oder Glied- 
teilen, welche bei Erfüllung einer gleichen motorischen Aufgabe von 
einer normalen Person nicht ausgeführt werden, von der patho- 
logischen aber nicht vermieden werden können. Johannes Müller 
hat bereits einen Weg zur Erklärung dieser pathologischen Mit- 
bewegung gezeigt, indem er darauf hinwies, daß beim Kinde Mit- 
bewegungen in viel größerem Umfange vorhanden sind, als beim 
Erwachsenen, daß durch atlmäliliche Uebung diese Mltbewegungen 
unterdrückt werden. In der Tat braucht mau ja nur zu sehen, mit 
welcher Unsumme von Mitbewegungen des Kopfes, des Gesichtes, der 
Beine, ja der Zunge das Kind etwa schreiben lernt, um ohne weiteres 
zu ermessen, in wie holiem Grade durch Entwicklung und Erziehung 
diese Mltbewegungen eingeschränkt werden. Aber auch bei jedem 
Erwachsenen sehen wir noch Mitbewegungen, wenn es sich um die 
Aufgabe einer besonderen Kraft entfal tu ng in einzelneu Muskelgruppen 
handelt, man kann bei jeder dynamometrischen Prüfung beobachten, 
wie sich nicht nur die Handmuskeln um das kleine Instrument schließen, 
sondern wie der Arm sich beugt oder streckt, und wie sich sogar di« 
Muskeln des Gesichts verzerren. Freilich besteht die Entwicklung der 
Einzelbewegung aus der Massenbewegung nicht nur in der Hemmung 
eines Teiles der letzteren, wie es Westphäl bezeichnet hat, sonders 
Hand in Hand mit dieser Trennung der Funktionen geht die Ver- 
feinerung der Association isolierter Muskelbewegungen. Dies 
Verbindung feinster Bewegung zu einem verwickelten Ganzen, wie et«*9 
dem Klavierspiel, ist gerade das Entgegengesetzte der durch cerebral 
Störungen bedingten Mitbewegung, Die cerebrale BewegungsstÖruBi. 
ist nun, wie gezeigt, durch eine ganz außerordentliche Vergrölterang' 
der Bewegung ausgezeichnet, die weit über die beim Kinde normKle.. 
hinausgeht, insbesondere beim Versuch größerer Kraftentfaltung zeii ' 
sich ein Ausstrahlen des Bewegungsimpulses von der einen auf dwj 
andere Seite und sogar von der oberen auf die untere Extremitilt,. 
Die Uebertragung des Bewegungsimpulses auf die Gegenseite ge«, 
schiebt meist nur auf die kranke bei Innervation der gesunden, 
Zeichen der Funktion der bereits erwähnten honiolateralen Bahnen, 
Die stärksten Mitbewegungen sieht man durch cerebrale Herderkraa- 
kungen des kindlichen Gehirns entstehen, entsprechend der nor- 



I 




Mitbewegung. 301 

malen Tendenz des Kindes zu Mitbewegungen. Insbesondere durch 
doppelseitige Erkrankungen kann es beim Kinde zu geradezu über 
den ganzen Körper verbreiteten Mitbewegungen kommen, die als 
Ath^tose double bezeichnet werden, und die der Kranke nur in ganz 
geringem Maße im stände ist, zu beherrschen. Insbesondere im Ge- 
sicht kommt es etwa beim Versuch, die Zunge herauszustrecken, zu 
ganz wilden grimacierenden Bewegungen der vom Facialis inner- 
vierten Muskulatur, denen sich dann geradezu strampelnde Be- 
wegungen der Extremitäten hinzugesellen. Diese Mitbewegungen 
können das Gehen solcher Kranker ganz unmöglich machen, in 
leichteren Fällen kann der Gang wie ein Eiertanz aussehen. Auch 
das Sprechen ist von Mitbewegungen begleitet. Eigentümlich ist 
gerade diesen in früher Jugend oder durch Entwicklungshemmung 
doppelseitig erkrankten Geschöpfen der Einfluß, den nicht nur will- 
kürliche Bewegungen, sondern auch geringe Gemütsbewegungen auf 
die Auslösung dieser Mitbewegungen haben. Solche Individuen können 
stundenlang ruhig im Bett liegen. Es genügt dann manchmal, daß 
jemand an ihr Bett tritt, um dde heftigsten Bewegungen, insbesondere 
der Gesichtsmuskulatur auszulösen. Seine genetische Erklärung findet 
dieser Einfluß leichter Affekte natürlich durch die enge Beziehung, 
welche zwischen diesen und der Gesichtsmuskulatur ja schon normaler- 
weise besteht. 

Der Ausfall der Dissociation von Bewegungen ist im Gesicht 
auch bei der Hemiplegie der Erwachsenen an einem bekannten Bei- 
spiel deutlich, auf welches Potain und Revilliod die Aufmerksam- 
keit gelenkt haben. Der Hemiplegische kann nämlich zwar beide 
Augen gleichzeitig schließen, weil der Lidschluß von den beiden Hemi- 
sphären aus doppelseitig innerviert wird, aber nicht das Auge der 
hemiplegischen Seite isoliert. 

Diplegische Kinder, auch Idioten, können häufig nicht den Mund 
nach einer Seite verziehen, wohl aber auf beiden Seiten gleichmäßig 
die Zähne fletschen. 

Eine besonders nahe Beziehung besteht ja schon beim Gesunden 
zwischen der Seitwärtswendung des Kopfes und der Augen. 
Selbst der Gesunde fühlt einen gewissen Zwang, wenn er die Augen 
bei stillstehendem Kopf seitwärts bewegt, der Hemiplegische kann 
das oft noch viel schlechter, manchmal gar nicht nach der dem Herde 
entgegengesetzten Seite, dagegen wohl nach der anderen Seite, und 
auch nach der ersten, wenn der Kopf mit zur Seite geht: also 
typische Erhaltung der Massenbewegung von Kopf und Augen bei 
Verlust der Einzelbewegung der Augen. 

Eine ganz besondere Stellung nehmen die von Westphal so 
genannten identischen Mitbewegungen ein, welche nur bei 
infantilen Hemiplegien und auch da nur selten vorkommen. Jede 
Bewegung der einen Seite erfolgt hier und in genau dem 
gleichen Ausmaß auf der anderen. Es ist ganz gleich, ob der 
Impuls auf der von der Hemiplegie betroffenen oder auf der ge- 
sunden Seite gegeben werden soll, die Bewegung erfolgt auf beiden 
Seiten zugleich. Es besteht eigentlich gar keine Lähmung auf der 
hemiplegischen Seite in den Muskeln, welche diese Form der funk- 
tionellen Verknüpfung mit denen der gesunden zeigen. Diese Form 
der Mitbewegung beschränkt sich meist auf die Finger, alle oder ein- 
zelne. Der wesentliche Unterschied gegenüber den gewöhnlichen 




MasseDbewegungeo besteht darin, daß es ganz zirkumskripte iBolierte^ 
Bewegungen sind, welche ohne jede eigentliche Irradiation nur auf 
beiden Seiten zugleich ausgeführt werden können. Diese Gemeinsam- 
keit isolierter Bewegung geht weit über das hinaus, was wir jemals 
beim Kinde als normale Mitbewegungen beobachten. Für diese Fälle 
genügt es dalier auch nicht, einen Stillstand der Entwicklung in einem 
noch so frühen Stadium anzunehmen, sondern es muß geschlossen 
werden, daß unter dem Einflüsse einer während der Entwicklung des 
Gehirns einsetzenden hemiplegischen Affektion gewisse in der Anlage 
vielleicht präexistierende Verbindungen pathologisch fest geknöpft 
werden können. In ganz seltenen Fällen finden sich diese identischen 
Mitbewegungen, besonders wieder in der Hand uud den Zehen, an> 
geboren, ohne jede sonstige Bewegungsstörung (Damsch, FraosteinU 
Für diese Fälle muß der gleiche, besonders feste pathologische ZH'I 
sammenhang, wie bei den posthemiplegischeu, postuliert werden. 

Ueber den Entsteh ungsort der Mitbewegungen, die 
Stelle im Zentralorgan, wo sich jener abnorm hohe Grad von Asso- 
ziationsfestigkeit, oder jener Mangel an Dissoziation geltend macht, 
wissen wir nichts. In Betracht kommen in erster Linie das Groß- 
hirn selbst, das Kleinhirn und das Rückenmark. Wir können nur 
sagen, daß es durchaus möglich ist, daß das Großhirn dabei die 
Hauptrolle spielt. Allerdings hat schon Camus darauf hingewiesen, 
daß man nicht, wie Exner will, die Mitbewegung durch eine Au»*, 
breitung der Erregung über die Rinde hin, wie etwa die des elek-] 
trischen Reizes, wenn er zum epileptischen Krampf führt, erklärea' 
kann, sondern es handelt sich immer um die besondere Verknüpfung 
funktioneller Einheiten ^). Daß andererseits das Rückenmark, wie HiTZia, 
Jaccoud u. A. wollen, für die Entstehung der Mitbewegungen wesent- 
lich in Betracht kommt, ist uns angesichts der Komplexität der letz- 
teren sehr unwahrscheinlich. Wenn man dafür die Erhöhung der 
Reflexerregbarkeit geltend gemacht hat, so ist zu sagen, <' 
nicht notwendig statt hat und in gar keinem Verhältnis zu der Inten- 
sität der Mitbewegungen steht. 

So sind wir durch die Verfolgung der cerebralen Lähmun_ 
and der Kontraktur zur Erörterung der Mitbewegung gekommeiij 
der Zusammenhang dieser drei Symptome ist in der Tat ein so enger,, 
daß HiTZia nicht mit Unrecht die Kontraktur als eine Mitbewegun^' 
aufgefaßt hat Hitzig stützte diese Theorie außer auf die Verstärkung' 
der Kontraktur durch andere Bewegungen hauptsächlich auf die Tat- 
sache, daß sie im Schlafe verschwindet. Das letztere ist nun nicht 
für alle Fälle richtig, viele Kontrakturen bestehen auch im Schlaf, 
wenn auch in geminderter Stärke, noch fort, aber wir hatten bereits 
früher erwähnt, daß auch im Schlaf nicht alle Muskelkontraktion auf- 
hört, vielmehr noch eine gewisse aktive Haltung der Glieder besteht, 

1) Eh ixt hier vielleicht der (Jrt, io Pareiuhese ein Svmptom zu erw&haea, 
welches möglicherweiBe in enlfeniter Beziehung zu den Mitbewegungea sieht, da* 
Zwan^^H weiaen und Z trangslachen, die ^ einer Keihe diffuser Erkranlnin gen 
den Großhirns sowohl arterioskrerotischeii Ursprungs, wie auch bei multipler SbleroM 
Torkoinmen. Der Kranke weint oder lacht, ohne d&ß er ea will, inaaL'hmRl ohne 
jeden, oder nur bei ganz geringem psychixchem, und dabei msochmal gar nicht nadi 
der enlaprechendm ßeite gefüblabetoiitcm AnlaJ}, raanchmal auch beim dnfachca 
Vereueh zu sfirechen. Möglieh, daß auch hier gewiHse Dissociationen und Hemmungen 
weggefallen sind, die dieee Symptome den Alitbeweguageo anreihen leuaen würtfen. 
ii__ -, """ug ist freilieli nur ein vtLger. 



n- , 

m 




ZnAAtnmenhanfr zwischen Mitbewe^nfi: und Kontraktur. 303 



SO daß also durch diede uoch eine Mitbewegung herbeigeführt sein 
könnte. 

Was aber weder die HiTziGsche noch sonst eine Theorie wirk- 
lich erklärt, ist gerade eben das Eigenartige der Kontraktur, das in 
dem starren übermäßigen Fortdauern der einmal eingeleiteten Muskel- 
kontraktion besteht. Wenn wir auf die Bedeutung der Sensibilität 
dabei hinwiesen, so ist das nicht eine Erklärung, sondern nur die 
Hervorhebung einer conditio sine qua non. Die Erregung, welche 
von der Rinde ausgeht, muß auf einen Komplex stoßen, dessen Er- 
regbarkeit unter dem Einfluß sensibler Erregung erhöht ist. Ob 
iliese Erhöhung der Erregbarkeit in der Rinde selbst noch, oder in 
subcorticalen Zentren, vielleicht auch im Rückenmark ihren Sitz hat, 
ist nicht zu entscheiden. Heben wir nun noch einmal hervor, daß 
für das Zustandekommen einer Kontraktur eine wenn auch minimale 
Verbindung der Rinde mit der Peripherie erforderlich ist^). 

Mit dieser letzteren Tatsache stimmt aufs beste die Beobachtung 
überein, daß die Kontraktur sich nach einer totalen cerebralen Läh- 
mung dann einzustellen pflegt, wenn die ersten Spuren der willkürlichen 
Beweglichkeit sich wieder zeigen. Das kann bei totaler Hemiplegie 
monatelang dauern, während welcher Zeit die Glieder schlaff bleiben. 
Bei Hemiplegien mittlerer Schwere stellt sich die Kontraktur oder 
•der Spasmus häufig schon nach wenigen Tagen oder Wochen ein. 
Ein Unterschied zwischen sogenannter Spätkontraktur und Früh- 
kontraktur — wenn man nicht zu letzterer ganz andere Zustände 
vorübergehender von dem Großhirn ausgehender Reizung rechnen will 
— besteht, wie wir öfter feststellen konnten, auch in Bezug auf die 
Verteilung der Kontraktur nicht. Das so späte Auftreten der willkür- 
lichen Beweglichkeit und der Kontraktur in Fällen schwerer Erkran- 
kung zeigt, wie lange Zeit die Rinde braucht, um sich von solchen 
schweren Erschütterungen, mag man sie nun Shock, Diaschisis oder 
anders nennen, zu erholen. Dafür liefert übrigens auch die Rück- 
bildung der Sprachstörungen prägnante Beispiele. 

Beim Tier gehört die Kontraktur zu den Seltenheiten, darum, 
weil ja auch durch große Rindenstörungen die Beweglichkeit der 
<jlieder nur wenig eingeschränkt wird. Beim Affen hat Münk Kon- 
trakturen beobachtet, wenn er die Tiere nach Großhirnoperationen 
in engen Käfigen hielt, und so die Bewegung künstlich einschränkte, 
vir selbst haben eine echte Kontraktur auch einmal bei einem Hund 
nach Entfernung der einen sensomotorischen Zone gesehen, der 
wochenlang — er war außerdem noch rindenblind — fast ohne 
sich zu rühren in seinem Käfig gelegen hatte und bei dem die Kon- 
traktur sich in Analogie zu dem Verhalten des Menschen in der- 
jenigen Haltung der Glieder eingestellt hatte, welche ein Tier be- 
obachtet, wenn es auf dem Bauch liegt, die hintere Extremität war 
an den Leib gezogen, gebeugt, konnte nicht gestreckt werden, die 
vordere war in der Schulter nach vorn gehoben. Die Kontrakturen 

1) Wenn O. Foerster neuerdings behauptet, daß eine echte Kontraktur auch 
ohne Spur einer willkürlichen Beweglichkeit zu stände komme, so müssen wir 
diese ßäiauptung durchaus bestreiten. Freilich gelingt es — wie nach dem oben 
Ausgeführten natiblich — nicht immer, einen kontrakturierten Muskel einiger- 
maßen isoliert zu bewegen, aber durch irgend eine Bewegung ist in den kontrak- 
turierten Muskel immer eine gewisse Bewegung hineinzubringen, so daß er dann 
,,mitbewegt** wird. Das genügt durchaus zur Kontraktur. 



301 XVI. CcT^i&Ie LfilimunKen und Beweg» DgmtOrungcn des Menticbcn. 



^H löbmung. 



der McNKSchen AUen wie unseres Hundes schwanden rasch, als di& 
Tiere angehalten wurden, sich lebhafter willkürlich zu bewegen, wi« 
auch die tnenschliclie Kontraktur durch eine Uebung der Beweglich- 
keit oft erheblich gebessert werden kann. 

Es ist nun noch zu erörtern, inwieweit die, wie oben geschehen, 
charakterisierte und auch bereits als im wesentlichen durch kontra- 
laterale Zerstörung der Hirnrinde und ihrer Bahnen bedingt erkannte 
cerebrale Bewegungsstörung des erwachsenen Menschen 
in der Hemisphäre zu lokalisieren sei, und ob innerhalb des 
ganzen Gebietes noch Felder für einzelne Glieder oder Teile von solchen 
abzugrenzen seien. Wir haben schon früher gesehen, dalj mit schwachen 
elektrischen Strömen erregbar auch beim Menschen nur die vordere 
Zentralwindung ist. Es scheint auch, als wenn die Läsion der vorderen 
Zentralwindung ganz besonders schwere Motiiitätstörungen nach sich. 
ziehe; wenn man aber den Umfang der motorischen Zone nach dem 
Umfang abgrenzt, den ein corticaler Herd im Minimum haben muß, um 
eine möglichst komplette residuäre Hemiplegie zu erzielen, so erhält 
man nach v. Monakow, der das ganze vorliegende Material in seinem 
Buche gesichtet hat. eine sehr viel umfangreichere Zone, die neben 
der vorderen Zentralwindung mit dem Parazentralläppchen noch die 
hinteren Teile der 3 Frontalwindungen, und vor allem noch einen sehr 
großen Teil der hinteren Zentralwindung umfaßt. Es dürfte also 
beim Menschen nicht viel anders sein als beim Tier, bei dem der 
elektrisch (und histologisch durch die Riesenpyramiden) abzugrenzenda 
Rindenbereich zwar der wichtigste, aber nicht der einzige Ursprungs- 
ort motorischer Impulse ist. Zerstörung der hinteren Zentralwin- 
dung aliein braucht denn auch nach Henhciien von uennens- 
werten Störungen der Motilität nicht begleitet zu sein. 

Innerhalb des ganzen motorischen Gebietes iu den oben angegebenes 
Grenzen sind in ahnlicher Weise, wie die elektrisch erregbaren, auch 
die motorischen Felder der einzelnen Eörperabschnitte 
derart nebeneinander gelagert, daß das Bein den Parazentrallappen 
und nach Monakows Schätzung etwa das medialste Viertel der Kon- 
vexität einnimmt, dann der Arm mit den beiden mittleren Viertels 
der Zentralregion kommt, und das letzte laterale Viertel ungeßihr 
Hypoglossus und Facialis in Anspruch nehmen. Es ist .sicher, doB 
entsprechende Zerstörungen hauptsächlich immer den entsprechenden 
Körperabschnitt beteiligen. Reine sogenanu te Monoplegien, in 
denen Arm oder Bein, oder Facialis allein dauernd schwer geschädigt 
sind, sind selten, kommen aber vor. Wir selbst haben einmal einen 
Fall beobachtet, wo eine durch Trauma bedingte cerebrale Lälunung 
sich nur auf den Fuß erstreckte und hier einige Monate lang be- 
obachtet werden konnte. Gerade die Chirurgen, die wegen Jacksoh- 
scJier Epilepsie ja vielfach in der motorischen Region operiert" 
haben, berichten immer wieder von sehr weitgehenden Besserungea 
der Bewegung selbst nach umfangreichen Entfernungen von Rindfc. 
Eine messerscharfe Absonderung der einzelnen Territorien, wie si» 
die Mosaiktheorie der Rinde erfordert, dürfte beim Menschen ebeneo-' 
wenig sich finden als lieim Tier'). Unzweifelhaft spielen auch bei di 

]) Neuere thernpeutieche BcBtrebnngcn haben hier zur DiEkussion eines 
eeaanten ProbleniB eeführt, nämlich ob die einzelnen oiotoriechen Felder ^ . .. 
leroen* könnten. Insbetiondere nämlich in eolcbcn Füllen von peripberer Facülw«] 
löbmung, in welchen ea eich UDinöglich tamee, das zeatnle und da» periphere E 



I 
I 



LokaÜBation der sensomotorischen BegioD. Athetoee. 305 



Entstehung eigentlicher Monoplegien Verletzungen des Stabkranzes 
dicht unterhalb der Rinde eine Rolle. In dem Gebiet der eigent- 
lichen inneren Kapsel aber vermischen sich die Fasern dann wieder 
in so hohem Maße, daß P. Marie und Guillain bei Herden in der 
inneren Kapsel eine ganz reine Monoplegie niemals auftreten sahen. 
Dafi sie aber auch in der inneren Kapsel doch im allgemeinen in der 
Reihenfolge liegen, wie sie in der Rinde entspringen, unterliegt keinem 
Zweifel. Auf die Frage, inwieweit in demselben Territorium, von dem 
die motorischen Impulse ihren Ursprung nehmen, auch sensible Er- 
regungen verwertet werden, wird noch an anderer Stelle einzu- 
gehen sein. 

Wir haben zunächst noch einige Punkte aus der Symptomatologie 
der posthemiplegischen Bewegungsstörungen zu besprechen. Es ist 
zunächst von Hammond eine Störung der Bewegung beschrieben 
worden, welche auch idiopathisch, aber am häufigsten nach Großhirn- 
zerstörungen beobachtet wird, und die er Äthetose nannte^). Sie 
besteht nach ihm in unaufhörlichen Bewegungen der Finger und der 
Zehen, die der Kranke nicht in einer beliebigen Stellung festzuhalten 
vermag. Die Bewegungen sind also, und das ist zur Unterscheidung 
von ähnlichen Störungen wichtig, im eigentlichen Sinne unwillkür- 
liche. Im Schlaf können sie aufhören, können aber auch persistieren. 
Richtig ist ferner, daß sich diese athetotischen Bewegungen meist auf 
Hand und Fuß beschränken, aber nicht immer tun sie das, ab und 
zu kommen sie auch in den proximalen Gliedabschnitten vor und 
auch in der Zunge können sie auftreten. Dabei sind die Bewegungen 
häufig übermäßig und sehen eigentümlich gespreizt aus, aber dieses 
Merkmal kann auch fehlen und kommt häufig durch gleichzeitig be- 



de8 Facialis selbst wieder miteinander in Beziehung zu bringen , hat man den 
perii>heren Facialisstumpf entweder mit dem zentralen Ende eines eigens durch- 
schnittenen anderen Nerven, des HypoKlossus oder des Accessorius, vernäht, oder in 
einen solchen anderen Nerven eingepmpft. Daß sich unter diesen Umstanden ein 
anatomischer Weg von dem zentralen Hypoglossus- oder Accessoriusstumpf, also 
auch deren Kernen zur Facialismuskulatur nerstellt, ist sicher und entspricht auch 
den aUgemeinen Erfahrungen über die Regeneration des peripheren Nerven (vergl. 
8. 114). Dann besteht also jetzt eine Bahn gegebenenfalls von der Aoceesoriusregion 
der Binde zum Gesicht, an der grob anatomisch natürlich nichts geändert werden 
kann. Dementsprechend tritt dann bei jedem Versuch, etwa die Schulter zu heben, 
anstatt, oder — soweit nicht alle Nervenfasern für diese Bewegung durchschnitten 
sind — mit der Schulterhebung selbst eine Verziehung, eine Innervation des Gesichtes 
ein. Will der Operierte andererseits das Gesicht innervieren, so muß er die Intention 
geben, als wenn er die Schulter heben wollte. Die Fra^e ist, ob nun diese Ver- 
tauBchung der Rollen dem Operierten sozusagen in Fleisch und Blut übergehen 
kann, so dafi er also ohne Ueberl^ung gleichsam „unwillkürlich'^ die richtige In- 
nervation gibt. Daß in gewissem Maße ein solcher Vorgang mö^lidi ist, dafür 
sprechen schon die oft vollkommenen funktionellen Erfolge der Wiedervereinigung 
ein- und desselben Nerven. Denn es kann doch gar keine Rede davon sein, da», 
wenn ein durchschhittener Nerv wieder in die ihm zugehörige Peripherie auswächst, 
eine jede Nervenfaser nun auch den Weg wieder zu ihrer friineren Muskelfaser, oder 
auch nur zu ihrem früheren Muskel wi^erfindet. Es muß also hier in besdbjränktem 
Maße ein Umlernen stattfinden. Dasselbe muß der Fall sein bei den so häufig aus- 
geführten Sehnen transplan tationen. Daß gerade beim Facialis, dessen Leistungen so 
differenziert sind , wie wohl die keines anderen Nerven , der Erfolg einer solchen 
Nervenpfropfung immer ein äußerst unvollkommener sein wird, wenn nicht soear 
die Nachteile die Vorteile überwiegen, ist ganz selbstverständlich und wohl auch die 
Meinung der meinten Neurologen, wie M. Bernhardts. 

1) Dieses Symptom der Äthetose hat mit dem Krankheitsbild der genannten 
Ath^tose double direkt nichts zu tun. 

Lewandowsky, Funktionen d. zentralen Nervensystems. 20 



306 XVI. Cerebrale Librnmigen nnd B^wegnoeMtOrnngen des 



stehende Mitbewegungen hinzu. Eher nird man einen gewissen 
Rhythmus der Bewegungen für charakteristisch halten mfissen. Oft 
sieht man z. B. nur langsame Kontraktionen und Erschlaffen der 
Fingerbeuger. Ein wesentliches Moment der athetotischen Bewegung 
ist ferner ihre Langsamkeit, durch die sie sich von der Chorea (s. weiter 
unten) unterscheidet. Zu einer Deutung dieser merkwürdigen spontanen 
Bewegungen führt aber ihre Beziehung zur Kontraktur. Der Weg von 
dieser zu jenen führt Ober den Spasmus mobilis der englischen 
Autoren. Es sind das Fälle, in denen die Muskeln nur zeitweise, für Minuten 
oder für Stunden, in einem unüberwindbaren, von einer Kontraktur im 
Augenblick ott gar nicht zu unterscheidenden Spasmus verharren, in 
denen dieser Spasmus zeitweise aber außerordentlich nachlassen oder 
sogar durch einen Spasmus der Antagonisten abgelöst werden kann. 
Diejenigen Fälle, in denen et« konstantes Uebergewicht einer Muskel- 
gruppe besteht, geben alle Uebergänge zur fixen Konlraklnr. Die 
FiUle, in denen der Spasmus schneller wechselt, gehen andererseits 
unmittelbar in die Athetose ober, die man geradezu als einen verhält- 
nismäßig schnellen Spasmus mobilis bezeichnen kann. Auch bat Odl- 
MONT darauf aufmerksam gemacht, daß die Athetose eine Neigung 
hat, sich für längere oder kürzere Zeiten in einen Spasmus umzu- 
wandeln, und das ist in der Tat ein wesentliches Symptom der echten 
durch cerebrale Herderkrankung bedingten Athetose, 

Wir müssen es also ablehnen, die posthemiplegische Athetose als 
eine ganz besondere Form cerebraler Reizung anzusehen, sondern 
wir betrachten sie als eine besondere Reaktionsform einer Anzahl von 
Gehirnen auf die gleiche Zerstörung, welche gewöhnlich eine Hemi- 
plegie mit Kontraktur setzt. In der Tat sind von Dejerine u. A. 
als anatomisches Substrat der posthemiplegischen Athetose nur die 
gewöhnlichen Herde der Hemiplegie in den immer betroffenen Teilen 
der inneren Kapsel gefunden worden. Von einem Faisceau athetosiqne 
kann keine Rede sein. Den weiteren Weg der Erklärung zeigt nun 
die Tatsache, daß die Athetose in der ganz überwiegenden Anzahl der 
Fälle — wenn auch nicht ausschließlich — bei Kindern vorkommt. 
Wir schließen also: Es sind im wesentlichsten Eigenschaften des kind- 
lichen Gehirns, welche diese Umwandlung der Kontraktur in den 
Spasmus mobilis und die Athetose zu stände bringen. 

Ein spezielles Moment, das beim Kinde das Zustandekommen 
eines Spasmus mobilis oder einer Athetose begünstigt, scheint uns 
der Mangel einer völlig ausgebildeten SiiERKiNGTONschen Reziprozität 
zu sein, die wir ja als Erklärung für die antagonistische Verteilung 
der Kontraktur der Erwachsenen heranzogen. Beim Spasmus mobilis 
kommt es dagegen vor. daß der Kranke durch Anspannung des 
Antagonisten den Widerstand des in Kontraktion verharrenden Ago- 
nisten überwindet, ohne daß dieser also sogleich erschlafft. 

Andererseits sind dieselben Momente, die uns für die Gestaltung 
der Kontraktur wirksam zu sein schienen, auch für das Bild des Spasmus 
mobilis maßgebend. Es war das einmal die passive Lagerung 
der Glieder, deren Einfluß uns durch den Muskelsinn, also reflektorisch, 
vermittelt schien. Der Einfluß einer passiven Stellunggebung acheint 
uns beim Spasmus mobilis noch viel deutlicher zu sein . als hei der 
Kontraktur der Hemiplegie der Erwachsenen. Es gibt Kranke, die genau 
wissen, daß, wenn sie mit ihrer gesunden Hand die kranke schließeu. 
letztere die Tendenz behält, geschlossen zu bleiben, ja, daß sie daoa 




Athetoee. Deviation coojagu^. 307 



fOr einige Zeit nicht im stände sind, die Hand überhaupt willkürlich 
zu öfifnen. Es war das andererseits die willkürliche Innervation^ 
der eine abnorm lange Nachdauer zugesprochen wurde. Das ist nun 
in der Tat bei der Athetose noch viel sinnfälliger, als bei der Kontraktur. 
Es ist ganz gewöhnlich, daß der Atbetotische, der seine Hand ge- 
schlossen hat, für einige Zeit nicht oder nur mit Schwierigkeit im 
Stande ist, sie zu öfifnen, und umgekehrt. Ein Kranker erzählte, da& 
er als Kind öfters ganz außers stände gewesen wäre, die Hand, die 
sich um die Stangen des Treppengeländers gelegt hatte, sei es will- 
kürlich, sei es mit seiner gesunden Hand, zu öfifnen, so daß er andere 
Leute zu Hilfe rufen mußte. 

Es sind sicherlich Eigenschaften des kindlichen Gehirns, welche 
das Zustandekommen der Athetose in außerordentlicher Weise be- 
günstigen, oder, wenn diese auch einmal beim Erwachsenen vorkommt, 
so dürfte sie darum doch kein anderes anatomisches Substrat haben, 
als die ganz gewöhnliche Hemiplegie, d. h. einen Herd in der inneren 
Kapsel ^). 

Wir haben nun noch die Darstellung der cerebralenLähmungs- 
erscheinungen in einigen besonderen Muskelgebieten 
nachzuholen. Die Augen zunächst beteiligen sich sehr häufig an den 
Lähmungserscheinungen eines apoplektischen Insultes durch eine kon- 
jugierte Ablenkung nach der Seite des Herdes; es entspricht diese Ab- 
lenkung also dem Ausfall einer Innervation nach der Gegenseite, wie er 
durch Reizung zu erzielen ist, und wie er also auch der normalen In- 
nervation entspricht. Die Ablenkung der Augen ist gewöhnlich von einer 
gleichsinnigen Ablenkung des Kopfes begleitet, dem klassischen Symptom 
der Deviation conjugu6e de la töte et des yeux (Prevost 1868). 
Dieses Symptom ist immer ein vorübergehendes, weil jede Hemisphäre 
zwar besonders leicht und gewöhnlich eine Seitwärtswendung der Augen 
und des Kopfes nach der Gegenseite bewirkt, aber doch auch sich 
den durch Fortfall der anderen Hemisphäre gesetzten Bedingungen 
so anpassen kann, daß ein dauernder Defekt der Seitwärtswendung 
aus dem Fortfall einer Hemisphäre nicht zu resultieren braucht. 
Die. Lokalisation dieser Deviation conjugu6e scheint im Fuß der zweiten 
Frontalwindung gegeben zu sein, insbesondere ein neuerer Fall von 
Sahli beweist das fast mit der Sicherheit eines Experimentes. Diese 
Lokalisation steht in bemerkenswerter Uebereinstimmung mit den 
Reizungen, die zuerst Ferrier am Afifen, Mills auch einmal beim 
Menschen anstellen konnten. Es scheinen jedoch auch Herde des 
unteren Scheitelläppchens zu einer D6viation conjugu^e führen zu 
können, wenngleich uns das noch nicht sicher ist. Es mag das aber 
vielleicht auf der Unterbrechung von Fasern beruhen, welche vom 
OccipitaUappen zu dem eigentlichen Zentrum der Seitwärtswendung 
im Frontallappen führen. In der Tat ist mit der Deviation conjugu6e 
häufig klinisch eine Hemianopsie verbunden ; daß die Sehstörung aber 
keineswegs Bedingung für das Zustandekommen jener, sondern daß 
die Deviation eine echt motorische Erscheinung ist, folgt auch daraus, 
daß man sie durch entsprechende frontale Herde auch bei in der 
frühesten Jugend Erblindeten beobachtet hat (Dejerine). 

1) Mit der typischen poethemipleeischen Athetose haben gewisse athetose- 
fihnliche Bewegungen nichts zu tun, die oei einer Reihe von Nervenkrankheiten, bei 
Polvnearitis, bei Tabes gelegentlich beobachtet werden. Von ihnen ist es sogar 
nodd nicht ganz sicher, ob sie überhaupt vom Großhirn ausgehen. 

20* 



309 XVI. Cerebnüe Lfihmungen und Beweguagutörangen dea Menschen. 

Id engem Zusammenhang mit der Deviation steht die Lähmung der 
willkttrlichen Seitwärtswendung der Äugen, die allerdings ein 1 
selteneres Phänomen ist. Der Kranke bringt sein Auge nur bis zur 
Mittellinie. Manchmal gelingt es ihm — wie wir schon bemerkten — ' 
mit der gleichsinnigen Bewegung des Kopfes zusammen, also als Mit- 
bewegung, die Augen in die Endstellung zu führen. Manchmal aber 
kann auch der Kopf selbst nicht über die Mittellinie hinaus gebracht 
werden. Die Lokalisation dieser Lähmung der Seitwärtsweudung dürfte 
ungefähr an der gleichen Stelle gesucht werden müssen, wie die Deviation 
conjuguiSe. Ob sich noch besondere Zeutren für Kopf einerseits und 
Augen andererseits abgrenzen lassen, erscheint selir zweifelhaft. la 
seltenen Fällen hat man, wie auch wir einmal, eine Abweichung des 
Kopfes und der Augen in einander entgegengesetztem Sinne ge- 
sehen. 

Auch eine konjugierte Lähmung des Itlickes nach nnte 
wie auch nach oben ist bei cerebralen Erkrankungen beobachtet 
worden. Es ist jedoch zweifelhaft, ob sich diese Störungen auf zirkum- 
skripte herdförmige Erkrankungen werden zurückführen lassen. Die 
supponierten zentralen Bahnen sind 
^^k von Grasset , wohl nicht sehr 

^^^^k glücklich, als ein Nervus suspieiens 

^^^^^^^ und despiciens bezeichnet worden. 

^^^^^^B Von der Beteiligung des Fa- 

H^^ gjf Cialis war schon gesprochen. Ala 

^^3 • ^^^ ^'^ allgemeine Funktion der 

TL»- Kinde charakteristisch ist aber 

^^^^^^^ noch zu erwähnen das sogenannte 

^^^^H^^^^^ L! ELLSche Phänomen bei peri- 

^^^^^^^^^^^^^^ pherer Facialislähmnng, welches . 

^^^^^^^^^^^^^^^^ beim Versuch, j 

^^^^^^^^^^^^^^^^F" gelähmten za 1 

^^^^^^^^^^^^^^^^^^K das Auge sich nach ' 

^^^^^^^^^^^^^^^^^^ oben Das also 

^^^^^^^^^^^^^^^^^^ ein Zeichen, daß die Rinde immer 
Fig. 75. BellmJi«, Phänomen bei "'it »'^n' Aupenschluß zugleich die 
periphen!rFiiciüli»iähmuiig(doi.pel«eiiigj Aufwärtsweudung des Auges be- 
Dach R. Cassireb. sorgt, also eine Synergie in Tätig- 

keit setzt. 
Was den Kehlkopf betrifft, so ist in seltenen Fällen nach ein- 
seitigen Herden eine Lähmung der kontralateralen Adduktoren der 
Stimmbänder beobachtet worden (Dejekine). 

Sehr unklar ist noch die Vertretung der Rum pfm uskeln auf der > 
Hirnrinde des Menschen. Zwar hat schon Nothnagel betont, daS 
eine gewisse Beteiligung der Rumpfmuskulatur bei der Hemiple^e 
ganz gewöhnlieh sei, und daß man besonders bei tiefer Atmung ein 
Zurückbleiben der hemiplegischen Bauch- und Thoraxseite sehe. Auch 
kann man ab und zu Kontrakturen in den Bauch- und Rücken muskeln 
beobachten, aber genügend sind weder die Störungen selbst, noch ihre 
Lokalisation auf der Rinde untersucht. Die Schwierigkeit dabei ist 
die, daß auch die Rumpfmuskeln sicherlich eine ausgiebige doppel- 
seitige Verbindung mit der Riudc haben. Daher scheinen die Rumpf- 
störungen eiue besondere Rolle zu spielen bei den multiplen Erkran- 
kungen der Arteriosklerotischen. Hier beobachtet man auffallende J 




Kopf- uod Rumpfmuskulatur. 309 



Steifigkeit der Haltung, Unvermögen sich aufrechtzubalten (Astasie), 
Retropulsion u. a. 

Mit Rücksicht auf die von H. Munk dem Stirnhirn beim Tier 
zugewiesene Bedeutung für die Rumpfmuskulatur ist es bemerkens- 
wert, daß Bruns bei Stirnhirntumoren eine der Kleinhirnataxie sehr 
ähnliche, im wesentlichen auf Störungen der Rumpfinnervation be- 
ruhende „frontale Ataxie'' gefunden hat. Die Frage nach der Funktion 
des Stirnhirns ist jedoch auch beim Menschen weit entfernt, entschieden 
zu sein. Soviel ist wohl ganz sicher, daß keinesfalls das Stirnhirn 
das einzige Feld der Rumpfmuskulatur sein kann, ebensowenig wie 
beim Tier. Im allgemeinen gilt noch immer die Regel, daß wenn man 
einen Tumor des Gehirns nach seinen körperlichen Symptomen gar 
nicht lokalisieren kann, er gewöhnlich im Stirnhirn sitzt. Das beweist 
jedenfalls, daß im Verhältnis zu seiner Masse das Stirnhirn ganz auf- 
fällig geringen Einfluß auf die Körperperipherie, sei es durch sensible, 
sei es durch motorische Bahnen, hat^). Darum taucht auch immer 
wieder die Theorie auf, daß das Stirnhirnhöheren associativen, 
psychischen Funktion en dient. Diese Theorie vertreten so her- 
vorragende Kliniker wie Meynert und Hitzig. Als positives Moment 
für diese Theorie werden angeführt die Aufstellungen Flechsigs 
über die Myelogenese des Frontalhirus, deren Bedeutung, wie er- 
wähnt, aber lebhaft bestritten wird, und die klinische Tatsache, daß 
psychische Defekte, insbesondere das Symptom der sogenannten Witzel- 
sucht (Moria) ganz unzweifelhaft besonders häufig bei Tumoren des 
Stirnhirns, wenn auch keineswegs ausschließlich bei solchen gefunden 
werden. So ist der Stand der Frage, dem wir ein persönliches Urteil 
nicht hinzuzufügen haben. 

Ueber Ausfallserscheinungen von selten der glatten 
Muskulatur bei Hiruherden des Menschen wissen wir sehr wenig. 
Diflerenzen der Pupille bei einseitigen Hirnherden sehen wir nicht 
allzu selten, über ein besonderes Feld dafür ist nichts bekannt; daß 
durch psychische Vorgänge die Pupilleuweite sich ändern kann, ist ja 
eine längst bekannte Tatsache. Nach den früher erwähnten Tier- 
versuchen dürfte die Hauptstelle für die Pupilleninnervation vor dem 
Sulcus praecentralis zu suchen sein. 

Störungen der Blase und des Mastdarms kommen bei einfachen 
Hemiplegien nur vorübergehend vor. Bei bilateralen Herden sind sie 
häufig. Die corticale Vertretung dieser Funktionen, über die wir ja 
bei anderer Gelegenheit ausführlich gehandelt haben, soll nach Czyl- 
HARz und Marburg in der Zentralregion nach hinten vom Armzentrum 
gelegen sein. Vielleicht liegt sie aber wie beim Tier im Lobus para- 
centralis. An eine zu zirkumskripte Lokalisation dieser Funktionen 
wird man überhaupt nicht gut denken dürfen. 



1) Jüngst ist von F. IIartmann die Behauptung aufgestellt worden, daß Zer- 
störungen des Stirnhirnft Apraxie (vergj. Kap. XX) verursachen, daß das Stimhirn 
zum Bewegungsapparat des Körpers in dem gleichen Verhältnis stehe, wie die 
3. Frontal Windung zum Bewegungsapparat der Sprache (vergl. hierüber Kap. XVIII). 
Die ausführliche Mitteilung liegt noch nicht vor. Indessen würde die HARTMAimBche 
Behauptung) wenn sie wirklicn in der obigen Fassung gegeben wäre, einer großen 
Anzahl neurologischer Erfahrungen widersprechen. Wir selbst hatten, seitdem wir 
gewöhnt sind, auf Apraxie in jedem Falle von Gehimerkrankung zu achten, d. h. 
nach den LiEPMANNschen Publikationen (vergl. Kap. XX), Gelegenheit, in zwei 
Fällen von sehr großem Tumor eines Stirn läppen s alle Methoden zur Prüfung auf 
Apraxie zu erschöpfen, ohne auch nur eine Spur davon zu finden. 



310 XVI. Cerebrale LähmimgeD nnd BewegnngaEtflmngen dce Menschen. 

Endlich müssen nun hier noch einige besondere Formen von Be- 
wegungsstörungen, die jedenfalls mit Erkrankungen der Hirnrinde zu- 
sammenhSngen, und auch posthemiplegisch vorkommen können, be- 
bandelt werden, Da ist zuerst die Chorea, eine Form \on Spontan- 
bewegungen, die sehr häufig mit der Athetose zusammengeworfen 
wird, aber gar nichts mit ihr zu tun hat. (lanz allgemein bekannt 
ist sie ja als Chorea minor, Veitstanz der Kinder, jene auf einer 
Infektion beruhende Erkrankung, fOr die man aber ein greifbares 
anatomisches Substrat bisher nicht gefunden hat. Das gleiche gilt für 
die HuNTiNGTONSche Chorea, eine esquisitit erbliche, im mittleren 
Lebensalter einsetzende und zur Verblödung nnd zum Tode führende 
Erkrankung'). Als Herdsymptom kommt auch die Chorea besonders 
häufig bei infantilen Cerebrallähinnngcn vor, aber seltener als die 
Athelose. 

Der charakteristischen Zeichen der choreatischen Be- 
wegungsstörung sind eine Reihe : Die Spontan bewegun gen sind im 
Gegensatz zu den athetotischen außerordentlich schnell, zuckend, aus- 
fahrend. Ihre Exkursion ist groß, sie beschränken sich nicht, wie die 
athetotischen meist, auf die distalen Enden der Extremitäten. Die Be- 
wegungen können den Charakter der Willkür tragen, so daß an Chorea 
minor erkrankte Kinder ja häufig nur für unartig gehalten werden. Im 
Gesicht haben sie den Charakter von Grimassen. Auch einzelne Muskeln 
können zucken. Die Bewegungen zeigen im allgemeinen Pausen vi 
wechselnder Länge, in denen die Glieder im Unterschied von di 
Athetose völlig schlaff und hypotonisch sind (Bonhoeffeb). Dabi 
können die Sehnenreflexe verstärkt sein. In schweren Fällen von 
Chorea minor ist das Bild ein geradezu grauenhaftes, unaufhörlicher 
Jaktation. Die unwillkürlichen choreatischen Bewegungen unterbrechen 
die willkürlichen, haben gar nichts mit ihnen zu tun, im Unterschiede 
von den athetotischen. Die Choreatischen zeigen aber bei willkürlichen 
Bewegungen häufig Andentungen von Mitbewegungen. 0. F0EB8TER 
hat ferner auf Koordinationsstörungen der willkürlichen Bewegung als 
Teilsyniptom der choreatischen Bewegungsstörung hingewiesen. 

Die Frage nach der Lokalisation der choreatischen 
Störung ist noch nicht endgültig beantwortet. Während man früher 
an eine Läsion der Pyramidenbahn dachte, ist zuerst von Gowers das 
Kleinhirn in Beziehung zur Chorea gebracht worden, Bonhoeffer hat 
einen Fall von Chorea bei einem groben Herd in den Bindearmen ge- 
funden, und es scheint, als wenn in der Tat Herde auf dem ganzes 
Wege vom Kleinhirn zum Großhirn, Herde also im Kleinhirn selbst, in 
den Bindearmen, im Thalamus, ja in gewissen Teilen der inneren Kapsel 
gelegentlich Chorea machen könnten. Aber wenn wir recht sehen, 
sind alle solche Herde viel häufiger ohne, als mit Chorea beobachtet 
worden, das erschwert natürlich jeden Versuch einer Deutung. Wir 
glauben aber nicht, daß die choreatischen Bewegungen direkt vom 
Kleinhirn, sei es über den roten, sei es Ober den DEiTERSschen Kern 
zur Peripherie geleitet werden könnten, wie man wohl angenommen 
hat. Wir folgen vielmehr der älteren Annahme, nach der die chorea- 
tische Bewegung in allen Fällen in der Großhirnrinde ihren Sitz hat. 
Daß ein Reiz dabei vom Thalamus oder gar vom Kleinhirn zum 



ein ^_ 

la^l 
b^H 




vom ivieinnirn zum ni 
hmbeo mit den oben fi(^-^| 



Chorea. Tremor. 31 1 



Großhirn geleitet werden sollte, halten wir für gänzlich ausgeschlossen. 
Am wahrscheinlichsten will es uns scheinen, daß wir es mit einer 
Isolierungserscheinung in früher besprochenen Sinne, in dem einer 
Erhöhung der Erregbarkeit des Großhirns, hier also durch Isolierung 
von der Bindearmbahn zu tun haben. Die Chorea bei Herden im 
Thalamus ist, da zentrifugale Bahnen vom Thalamus fehlen, in der 
Tat kaum anders zu erklären. Die Seltenheit der Chorea bei allen 
genannten Lokalisationen ist für jede Theorie natürlich fatal. 

Auch der Tremor ist ein Symptom dunkler Herkunft und nicht 
einmal ein einheitliches. Der Wackeltremor, der bei der Intention 
von Bewegungen als Symptom vor allem der multiplen Sklerose auf- 
tritt, aber auch posthemiplegisch vorkommt, steht der Ataxie und ihren 
Schwankungen mindestens sehr nahe. Aber auch ein feinschlägiges 
Zittern, ähnlich dem der Paralysis agitans, der Schüttellähmung, das 
bei Intention sich vermindert, kommt nach Hemiplegien vor Der 
senile Tremor, der bei der BASEDOWschen Krankheit, der Tremor der 
Alkoholisten sind andere Beispiele, auf die bereits früher einmal 
(S. 237) angespielt war. Dagegen ist das Zittern der Paralysis agitans, 
der Schüttellähmung, vielleicht Symptom einer Erkrankung des Muskels 
selbst. 





Nachdem wir bereits an entsprechender Stelle (S. 253) die nol 
wendigen Angaben über die Bahnen gegeben haben, welche die elek-^ 
Irische Erregung von der Rinde zur Peripherie leiten, haben wir di«P 
motorifichen Bahnen jetzt noch einmal systematisch zu mustern und ' 
den Anteil zu bestimmen, den sie an der Vermittlung der spontan in 
der Rinde entstehenden Bewegungen (zugleich auch der dort ge- 
schlossenen Reflexe) nehmen. Ist es schon von vornherein klar, daß 
die elektrische Erregung ihrem Charakter nach nicht der willkürlichen 
gleichzustellen ist, so ist schon durch die Tatsache, daß die mit 
schwachen Strömen elektrisch erregbare Region nicht mit der moto- 
rischen im weiteren Sinne identisch ist, dargetan , daß auch die 
Leitungsbahnen der beiden Arten von Erregung auseinandergehalten 
werden müssen. Zwar wird die elektrisch erregbare Bahn auch immer 
dem willkürlichen Impuls offen stehen, nicht aber braucht das Um- 
gekehrte der Fall zu sein. J 

Die direkte Verbindung^) zwischen Hirnrinde und Rückenmark! 
stellen bekanntlich allein die Pyramidenba linen dar, welche wahr-l 
scheintich in den großen Riesenpyraniidenzelleu der motorischen Region ^ 
entspringen. Ehe sie zum Rfickenmark gelangen, geben sie Fasern 
im Hirn stamm ab, welche zu den Hirnnervenkernen in Beziehung 
treten. Man hat es mit Unrecht als ein physiologisches Postulat be- 
zeichnet, daß die Pyramidenfasern direkt um die motorischen Zellen 
der Vorderhörner und der Hirnnervenkerne endigen müßten. Die ge- 
naueste anatomische Untersuchung der Degenerationen mittels der 
MARCHischen Methode erlaubt nicht, gerade in die Hirnnervenkerne, 
wo man sie sehr gut sehen müßte, und ebensowenig in die Vorderhörner 
selbst Endigungen der Pyramidenfasern zu verfolgen. Solche 
Endigungen finden sich im Rückenmark vielmehr nur in der Zwischen- 
zone zwischen Hinterhorn und Vorderhorn, im Hirnstaram in der Formatio J 
reticnlaris in der Umgebung der Nervenkerne. Im Sinne der Neuronen-I 
lehre müßte man dann mit v. Monakow annehmen, daß hier nScbalt-4 
Zellen" zwischen Rinde und Vorderhorn eingeschoben sind. Was frei- " 
lieh eine solche KompUkation der Leitung durch Schaltzellen physio- 
logisch bedeuten könne, bliebe dann unklar. Wenn man den freieren 

It Vertfl. die Tafel. 

2] Daß dio Pyrntniclenbahn mit den OiiDglieo des Gnißbimi keinen Zusammen- ] 
hang eingebt, ist von Weenicke definitiv gezeigt worden. 




PyramideDbahn. 313 



Spielraum ausnützt, den uns die neueren Anschauungen über das 
Wesen des nervösen Graus geben, so möchte man vielmehr annehmen, 
daß die Wirkung der Rinde durch die Pyramiden nicht ausgeübt 
wird auf die letzte Projektion der Muskelfasern selber, die Vorder- 
homzellen, sondern auf eine Organisation, welche diese rohe Motilität 
bereits in gewisser Weise zu bestimmten Zwecken zusammenfaßt. 
Dafür scheint uns insbesondere das Verhalten der, Pyramidenfasern 
ja ganz analogen, Bündelchen zu sprechen, welche vom Pedunculus 
cerebri abzweigen und sicherlich bestimmt sind, auf die Oculomo- 
toriuskerne einzuwirken. Hier ist es ganz offenkundig, daß diese 
Fasern nicht zum Oculomotoriuskern direkt gehen, sondern in das 
Dach des vorderen Vierhügels und zwar im wesentlichen der gleichen 
Seite aufsteigen. Erst von hier kann dann eine neue Biüin zu den 
Augenmuskelkernen selbst führen. Wir haben uns nun zu erinnern, 
daß Reizung des vorderen Vierhügels nach Adamük eine konjugierte 
Ablenkung der Augen nach der Gegenseite bewirkt. Dasselbe tut 
die Reizung der Großhirnrinde, und so ist der Sinn der Komplikation 
klar. Diese Aufgabe ist eben wohl viel zu kompliziert, als daß sie durch 
direkte Fasern von der Rinde zum Kerne selber gelöst werden könnte, 
und dabei ist sie doch noch eine der einfachsten, welche die Physio- 
logie der Rinde kennt. So dürfte auch im Rückenmark die von der 
Rinde anlangende Erregung bereits auf gewisse physiologische Zu- 
sammenfassungen trefifen, in die sie freilich in jeder Weise einzu- 
greifen vermag. 

Die Pyraniidenbahn nimmt in der Reihe der Säuge- 
tiere bis zum Menschen hinauf immer mehr an Mächtig- 
keit zu. Beim Igel ist sie kaum bis ins Rückenmark zu verfolgen, beim 
Kaninchen noch ist sie minimal. Bei den Carnivoren und Ungulaten 
ist sie gut ausgebildet, beim Afifen nimmt sie weiter zu und erreicht 
beim Menschen ihre höchste Ausbildung ^). Entsprechend verhält sich 
die ganze „Fußregion'', während die „Haubenregion" umgekehrt zum 
Menschen hin im Verhältnis abnimmt (Meynert). 

Die Pyramidenbahn kreuzt bekanntlich zum allergrößten Teil 
in der MeduUa oblongata, vorher schon kreuzt der größte Teil der 
zu den Hirnnervenkernen bestimmten Fasern. Während aber die 
Hauptmasse der Pyramidenfasern im Hinterseitenstrang gekreuzt weiter 
zieht (6d Fig. 1 der Tafel), bleibt doch bei allen Tieren ein kleiner 
Teil ungekreuzt, und steigt, also ohne die Kreuzung mitzumachen, 
gleichfalls im Seitenstrang hinab. So haben wir bereits ein anatomi- 
sches Substrat für die Vermittlung homolateraler Bewegungen von 
der Großhirnrinde aus. Beim Menschen erreicht nun der un- 
gekreuzte Anteil der Pyramide eine besondere Mächtigkeit, indem 
sich außer den wenigen ungekreuzten Fasern im Seitenstrang ein 
mächtiger ungekreuzter „Pyramidenvorderstrang'' (vergl. Fig. 23, S. 111) 
dicht an dem Sulc. anterior bildet, der sich selbst beim niederen 
Affen noch nicht findet. Dieser ungekreuzte Pyramidenvorderstrang 
(6c Fig. 1 der Tafel) verläuft nach unseren Beobachtungen durch 
die ganze Länge des Rückenmarks, hört keineswegs im Cervikalmark 
auf, und endet auch ungekreuzt, kreuzt nicht etwa später noch, wie 
man behauptet hat, in der vorderen Kommissur. Wenn er also eine 

1) Vergl. die Ausdehnung des D^eoerationsfeldes auf Fig. 23, S. 111 vom 
Menschen und auf Fig. 46, 6. 193 vom Hund. 



814 XVII. IHe motorischen LeitnngebiliDeD. 



&0 mächtige homolaterale Verbindung bildet, ist es um so merk- ' 
würdiger, daß beim Menschen überhaupt so schwere und manchmal 
dauernde Lähmungen durch einseitige Herde zu stände kommen, wie 
wir schilderten. Inwieweit sich die Restitution solcher Lähmungen 
auf eine Leitung durch den ungekreuzten Vorderstrang zurückfahren 
lasse, ist im einzelnen Fall kaum jemals festzustellen. Natürlich ist 
es sehr verführerisch, die kontralateralen Mitbewegungen auf eine 
doppelseitig geleitete Erregung nur einer Hemisphäre zurückzuführen. . 
Wir halten es auch für ganz unzweifelhaft, daß der Pyramideuvorder-'J 
Strang bei der Restitution vor allem der infantilen Hemiplegie eine] 
beträchtliche Rolle spielt. " 

Was die Pyramidenbahu als Ganzes betrilft . so war bis vor 
kurzer Zeit die Anschauung vorherrschend, sie sei nicht nur der haupt- 
sächliche, sondern der einzige Weg von der Rinde zum Ruckenmark. 

Es erregte daher einiges Aufsehen, als Starlinqer durch ge- 
naue anatomische Nachuntersuchung des Nervensystems von Tieren, 
denen die Pyramiden in der MeduUa oblongata durchschnitten waren, 
die allerdings schon früher von Brown-S^quahd vertretene Ansicht 
erwies , daß die willkürliche Bewegung, beim Hunde 
wenigstens, durch Durchschneidung der Pyramiden 
nicht einmal eine nennenswerte Einbulie erfahre. Diese 
Tatsache steht fest und ist von einer Reihe von Autoren (Wert- 
beiher und Lepaob, Probst u. A.) für Hund und Katze, für den 
AlFen von Rotumann bestätigt worden. Für die Nager und Insekten- 
fresser war es ja von vornherein klar, daß bei ihnen die Pyramiden- 
bahn nicht von wesentlicher Bedeutung sein könne, sie besitzen ja 
kaum eine solche i). 

Wie steht es nun mit der Bedeutung der Pyramide beim 
Menschen? Die Annahme, daß sie entsprechend ihrer überwiegenden . 
Masse hier auch eine weit überwiegende Funktion habe, scbeinl 
sich doch zu bestätigen. Freilich sind Fälle von Herderkrankung der 
beiden Pyramiden bahnen in der Medulla oblongata — hier alleta^ 
liegen sie von anderen Bahnen isoliert genug — wohl bisher über- 
haupt noch nicht beobachtet worden. Aber schon die Erscheinungen 
bei einseitiger Zerstörung in dieser Gegend sind sehr schwere; 
Schlesinger beschrieb in einem solchen Fall eine völlige Lähmung 
des Arms. Am Bein waren nur die Bewegungen im Kniegelenk mög- 
lich, Fuß und Zehen völlig gelähmt, die Hüftbewegungen paretis<^ 
Diese Erscheinungen hielten sich b Wochen, bis der Kranke starb. 
Häufiger sind ja Zerstörungen der Pyramidenbahn im RGckenmarkJ 
selbst, besonders durch Trauma. Von den einseitigen Läsioneo des! 
Rückenmarkes läßt sich hier sagen, daß sie — auch wenn sie voU-J 
ständig sind, also mehr als nur die Pyramidenbahn betroffen haben — 1 
nur vorübergehend eine völlige gleichseitige Lähmung machen, und 
daß später eine Restitution bis zu einem gewissen Grade eintritt. Die 
Erscheinungen sind dann die gleichen, wie die einer un voll ständigen 
Hemiplegie, insbesondere ist — wie Wernicke betont hat — Ver- 
teilung der Kontrakturen und der Läliniungen genau die gleiche bw 
der spinalen wie bei der cerebralen Hemiplegie, Die Ün Vollständig- 
keit der Lähmung kann hier aber natürUch auch auf ein Eintreten., 
der anderen Rückenmarkshälfte bezogen werden. 





HimacheDkelfuß. MoNAKOWsches Bündel 315 



Doppelseitigen, mehr oder minder vollständigen degeneratiyen 
Ausfall der Pyramiden aus unbekannten Ursachen haben wir als das 
anatomische Substrat zweier Krankbeitsbilder , der spastischen 
Spinalparalyse von Erb und Strümpell, und der amyotrophi- 
schen Lateralsklerose Charcots, welch letztere noch durch 
Erkrankungen der Vorderhörner kompliziert ist. Zur Pathologie auch 
dieser Erkrankungen gehören, wie zu denen traumatischen Ursprungs, 
wiederum die Spasmen und die Paresen. Zu einer absoluten 
Lähmung kommt es aber nicht, so daß man also wohl auch aus der 
Pathologie schließen darf, daß die Pyramidenbahn vielleicht nicht 
die einzige motorische Willkürbahn ist. Die beiden genannten 
Krankheitsformen sind die einzigen, bei denen ein Pyramidenausfall 
rein zur Beobachtung kommt. In allen anderen so häufigen Fällen 
von Rückenmarkserkrankung durch Lues, Myelitis u. s. w. sind wohl 
immer noch neben den Pyramiden bereits andere Bahnen betroffen. 

Wenn die Pyramidenbahnen, also insbesondere bei den niederen 
Säugern, und auch noch beim niederen Affen, fast entbehrt werden 
können, und beim Menschen, wenn auch von überragender Bedeutung, 
doch nicht die einzigen Bahnen der willkürlichen Bewegung sein 
mögen, so verdanken wir insbesondere Probst den Nachweis, daß 
neben ihnen in erster Linie das MoNAKOWsche Bündel als moto- 
rischer Impuls zum Rückenmark leitet. Das MoNAKOWsche Bündel, 
im Unterschied von der im Fuß verlaufenden Pyramide, ein Hauben - 
bündel, entspringt ohne allen Zweifel aus dem Nuc. ruber ^) und 
gelangt, in der FoRELschen Kreuzung zur anderen Seite ziehend, in 
den Seitenstrang des Rückenmarkes {7a Fig. 2 der Tafel, in Fig. 1 
nur durch den roten Pfeil bei Ru angedeutet), nachdem es, wie die 
Pyramidenbahn, in der Medulla oblongata bereits einen kleinen Teil 
seiner Fasern abgegeben hat, die hier in einem Teil des Seitenstranges 
endigen (Probst). Wie die Pyramidenfasern endigen auch die 
MoNAKOWschen Fasern in der Zwischenzone, nicht im Vorderhorn 
selbst. 

Fraglich ist nur, wie die Erregung von der Großhirn- 
rinde aus den roten Kern erreichen kann. Eine direkte Ver- 
bindung, wie sie Dejerine angenommen hatte, gibt es nicht. Aber 
auch die von Probst angenommene mit einer Zwischenstation im 
Thalamus bestreiten wir auf das entschiedenste. Weder gibt es Fasern 
vom Thalamus zum roten Kern, noch gibt es solche von der Rinde 
zum Thalamus. Die Degenerationen, die man in den ersten sowohl, 
wie in den zweiten sieht, sind retrograde, und daher leiten diese Fasern 
nicht corticofugal, sondern corticopetal ^). Der Thalamus hat mit der 

1) Ein kleinerer Teil des MoNAKOWschen Bündels entspringt aus der Brücke 
und kreuzt hier (Brückenanteil), seine systematische Stellung zu den anderen Lei- 
tungsbahnen scheint jedoch eine dem Hauptteil aus dem roten Kern ^anz analoge, 
eB scheint sich nur um eine topographiscne Trennung eines einheitlioien Systems 
zu handeln. 

2) Wir haben uns immer wieder von der Unrichtigkeit der Behauptung über- 
zeugen können, daß die Bahnen zwischen Thalamus und Rinde eine Minderzahl 
von Fasern enthielten, welche cortifugal degenerieren. Alle Fasern, ohne Ausnahme, 
sind nach entsprechenden Verletzungen in den Thalamus hineindegeneriert, aher in 
ganz anderer Weise als die cellulifugale Degeneration Mich sonst zeigt. Jedenfalls 
muß man nach den Degenerationsbifdern insbesondere der MARCHischen Methode 
entweder sagen , alle Fasern leiten corticofu^l oder alle corticopetal. In diesem 
Dilemma entscheiden wir uns auf Grund des nistologischen Bildes und der physio- 
logischen Tatsachen der MARCHi-Methode für die zweite Alternative. 



816 



XTII. Die moUffiecb«) Ldtungehtdioen. 



Motilität Überhaupt nichts zu tun. Vielmehr zwingen schon die t 
tomiscben Tatsachen dazu, alle motorischen Impulse von derl 
Kinde doch zunächst durch den llirnschenkclfuß gebena 
zu lassen. 

Wenn nun durch den Hirn schenkelfuß ziehende Impulse im ' 
roten Kern Anschluß an das MoNAKOwsche Bündel gewinnen noUen, 
80 gibt es für sie nur einen Weg, den über das Kleinhirn, in 
folgenden Etappen: Rinde — innere Kapsel — Hirnschenkel 
— Brfickengrau (kreuzend) — BrUckenarm — KleiDhirn- 
rinde — Corpus dentatum — Bindearm (kreuzend) — roter 
Kern — MoNAKOwsches Bündel (kreuzend). Alle einzelnen 
Glieder dieser Bahn sind anatomisch völlig sicher. Daß im Brückengrau 
die Hauptmasse aller Hirnschenkelfasern endet, unterliegt keinem 
Zweifel, und es gibt vom Brückengrau gar keinen anderen Weg, als 
den durch den Brückenarm zum Kleinhirn. Wer diese Verbindung 
leugnet, muß geradezu annehmen, diese mächtigen Bündel, welche vom J 
Stirnlappen, von der Zentralregion, vom Schläfenlappen (TÜRSscheal 
Bündel) im B rücken grau ') endigen, wären nur zum Vergnügen der^ 
Anatomen da. Freilich wären damit 
andere Bahnen noch nicht ausge- 
schlössen. Der volle physiologische 
Beweis für die Bedeutung dieser 

Fig. 7li. ÜDgefiLhre Lage Her wichtigsten 
Bahnen im Halamark des McDBchcQ. iDie 
Areale der einzelnen Bündel sind in Wirk- 
lii^hkeit nicht ganz schart gcAchicden , »od- 
dera ilire Fnsern vermigcheD «ich zum Teil 
miteinander.) /^* PvramidenDeitetiatnmg, 
/^' Pyramiden vorderstVang, .V MnxAKOW- 
Bches Bündel, D Bahnen vom DEITEKMch«! 
Kern , r VierhügelvordprBLranjjbAhnen , T 
TH0HA8«chea Bündel , A'' KlemhimsdUit- 
BtTMie (dorsaler Teil) , K' GuvaoBsduB 
Bündel, 11 Hintcrstrang. Der freiK^aasene 
Raum wird oiindcütene zum gröBten Teil van 
kurzen Bahnen, zu denen auvh die aus Fous 
und Medulla gerechnet werden, eiDgeaommen. 




Bahn würde nur zu erbringen sein, wenn es gelänge, beide Hirnschenkel 
und zwar vor ihrem Eintritt ins Brückengrau, zu durchschneiden. 
Ein en Hirnschenkelfuß zu durchschneiden, ist uns gelungen, aber die 
Beeinflussung der Motihtät durch diese Operation ist natürlich nicht 
erheblicher, als durch die Entfernung einer Hemisphäre. Immerhin 
fanden wir, daß trotz teilweiser Erhaltung des von Probst sup- 
ponierten Weges die elektrische Reizung der Hirnrinde auf der Ope- 
rationsseite wirkungslos ist. während die Durchschneidung der Pyra- 
miden bei Integrität des MoNAKOWschen Bündels den Erfolg der 
elektrischen Reizung intakt läßt. Da nun das MoNAKOwsche Bündel 
in nnserem Falle anatomisch intakt war, so muß man schließet). da& 
die Zuleitung zu ihm unterbunden war, und diese mußte dann i 
unserer Annahme entsprechend durch den Hirnschenkelfuß gehen, 

I) Nur einen vorgeschobenen Anteil des BrUcL'eugrauB bildet auch der Kuo. 1 
arciformiB, in dem auch Faaem dee Fuflee endigen, und Fsaem zum Kleinhirn «at- J 

«pringen. 




KldnhiTn-, Vierhügel-, Brückenbalmen. 317 



Beim Menschen haben wir einen Fall beobachtet, wo bei totaler 
Quertrennung des Pons eine völlige Lähmung eintrat — trotz ab- 
soluter Erhaltung des Weges über den Thalamus und den roten Kern 
— die bis zum Tode des Kranken, 3 Monate, bestehen blieb. Wir 
nehmen aber an, daß eine doppelseitige Trennung der ge- 
samten Hirnschenkelfasermasse jede willkürliche Be- 
wegung bei Tier und Mensch für die Dauer unmöglich 
machen würde. Was besonders für die Physiologie des Kleinhirns 
bemerkenswert ist, und was wir für sie auch bereits verwertet haben 
(S. 189), ist die Aufstellung, die früher bereits von van Gerüchten 
einmal gemacht wurde, daß ein Teil der von der Großhirnrinde 
kommenden Erregung über das Kleinhirn geht. 

Nach Probst genügt nun beim niederen Säuger nicht einmal 
die Durchschneidung der Pyramide mit dem Monakow- 
schen Bündel zusammen, um die Rinde ganz vom Rückenmark 
abzuschneiden. Auch Rothmann hat beim niederen Afifen auf beiden 
Seiten den ganzen Hinterseitenstrang durchschnitten, ohne eine totale 
Lähmung zu bekommen. Immerhin bleibt doch der hintere Teil des 
Seitenstranges der hauptsächliche Weg für die motorische Leitung. 
Aber es kommen für die Leitung motorischer Impulse ferner noch in 
Betracht die Bahnen {9 Fig. 2) vom DEiTERSschen Kerne 
(Dei), welche im Vorderstrang und Vorderseitenstrang verlaufen, und 
die gleichfalls, wie das MoNAKOWsche Bündel, nur auf dem Umwege 
über das Kleinhirn erreicht werden könnten (vergl. auch Fig. 46, 
S. 193). Versuche der Kombination von Pyramidendurchschneidung 
und Kleinhirnexstirpation, welche diese Frage entscheiden würden, sind 
noch nicht gemacht. Isoliert lassen sich die DEiTERSschen Bahnen 
gar nicht trefifen. Immerhin sahen wir aber schon früher (S. 256), 
daß die Vorderstränge auch die elektrische Erregung schon in gewissem 
Umfange leiten können. In diesem könnte die Erregung von der 
Rinde auch noch vom Vierhügel in die Vierhügelvorderstrangbahnen 
(7 u. 8 Fig. 1) geleitet werden, außerdem auf alle die Bahnen, welche 
in der Formatio reticularis der Brücke, der Medulla oblongata und im 
Vorderhorn des Rückenmarkes selbst entspringen. Diese Bahnen 
dürften aber schon beim Tier wenig und noch weniger beim Menschen in 
Frage kommen. Sicher ist soviel, daß beim Tier die einzelnen Bahnen 
in hohem Maße für einander eintreten können, was beim Menschen 
wohl auch noch, aber in sehr viel geringerem Maße, der Fall ist. 

In verschiedenen Höhen des Zentralnervensystems sind die moto- 
rischen Elemente durch Kommissuren miteinander verbunden, so 
daß also außer durch teilweise Kreuzung der langen Bahnen noch 
andere Möglichkeiten der motorischen Verbindung beider Körperseiten 
bestehen. 

Für das Großhirn wäre ein solcher Verbindungsweg der Balken. 
Seine Durchschneidung macht beim Tier gar keine Symptome (vergl. 
S. 290). Völlige Balkenzerstörungen beim Menschen mit sonst intaktem 
Gehirn sind bisher wohl nicht beobachtet worden. Angeborener Mangel 
des Balkens kommt nur bei Mikrocephalen vor. Während des Lebens 
hat man ihn noch nie diagnostiziert, so daß also auch hier seine Bedeutung 
jedenfalls nicht in die Augen springt Dagegen wird uns die Lehre 
von der Aphasie und der Apraxie Material zur Funktion des Balkens 
liefern. Für die Sprachbewegungen insbesondere ist es sicher, daß 
sie bei Verlegung der Projektionsbahnen einer Hemisphäre durch den 



318 



XVn. Die motoriBcheD LMtonesbahneD, 



Balken auf die der anderen Seite geleitet werden können. Anderer' 
seits ist es aber sicher, daß wenigstens beim erwachsenen Menschen 
Lähmungen der Körperniuskulatur auf diesem Wege nicht verdeckt 
werden können. Für die Leitung der willkürlichen Extremitäten- 
bewegung zur Peripherie leistet der Balken nichts. Daß er freilich 
zur Regelung der beiderseitigen Extremitätenbewegung in ihren Be- 
ziehungen zueinander beiträgt, dürfte wohl zu postulieren sein. 

Im Kleinhirn ist eine sehr ausgiebige Verknüpfung der beiden 
Körperseiten durch maEsige Kommissuren gegeben. Insofern also 
die willkürhche Erregung über das Kleinhirn geht, hat sie hier reich- 
lich Gelegenheit, sich von einer Hemisphäre aus beiden Körperseiten 
mitzuteilen. 

Endlich haben wir im ganzen Hirnstaram (Vierhügel [hinter8[ 
Kommissur], Brücke, verlängertes Mark) uud im Rückenmark kursft^ 
Kommissuren, welche die beiden Seiten verbinden. Diese dürfteni 
eine sehr mannigfache Vermittlung von einer Seite zur anderen go-' 
statten. Auf diese Kommissuren, insbesondere die vordere, weiSe' 
Kommissur des Rückenmarks, dürfte auch die bereits erwähnte Restl* 
tution der Motilität nach Halbseitenverletzung des Bückenmarkes za 
beziehen sein. Beim Menschen ist sie ja nur unvollständig, beim Tier 
aber eine so vollkommene, daß man mit einem Hund, dessen Rücken- 
mark etwa im Cervikalmark einseitig durchschnitten worden ist, auf 
der Straße spazieren gehen kann, ohne daß der Hund wohl dem 
Laien aufiällig sein würde. Ja selbst bei doppelter Halbseitendurch- 
schneidung, auf der einen Seite im CervikEÜ-, auf der anderen im 
Dorsalmark haben wir doch noch, wenn auch ganz ungeregelte und 
zwecklose, aber doch jedenfalls durch vom Großhirn aus zugeleitete 
Lnpulse bewirkte Bewegungen der Extremitäten gesehen. Hier muß 
also die Erregung zweimal die Mittellinie überschritten haben, zu- 
gleich übrigens ein Beweis , daß auch auf die kurzen endogenen 
Rückenraarksbahnen — denn nur solche kommen als Leitung zwischen 
den beiden Schnittstellen in Betracht — auch willkürliche Impulse 
übergehen können. 

Wollen wir die motorischen Bahnen des Rückenmarkes noch ein-' 
mal aufzählen — ohne nochmals auf ihre Verbindungen zueinander ' 
einzugehen — so würden es sein : 

1) Pyramiden, 

a) Seitenstrang, o) gekreuzt, 

p) ungekreuzt (zum sehr kleinen Teil), 

b) Vorderstrang (ungekreuzt, nur beim Menschen). 

2) MoNAEOwsches Bündel (gekreuzt in der FoRELschen Kreozunfj 
aus dem roten Kerne. 

3) Vierhügel vorderstranghahnen. 

a) gekreuzt in der MsYNERTSchen Kreuzung aus dem Gran 
des Vierhügels, 

b) ungekrenzt aus dem Kern von Darkschewitsch, der väk. 
der anderen Seite seinerseits durch die hintere Kommissur 
in Verbindung steht. 

4) DEiTERssche Bahnen. 

5) Bahnen aus der Formatio reticularis 

a) des Pens, 

b) der Medulla oblongata. 
0) Kurze, endogene Bahnen des Rückenmarks. 



1 

I 



Kurze Bahnen. 31 P 



Das THOMASsche BQndel (7) stellt eine besondere Verbindung 
der Medulla oblongata mit dem Cervikalmark dar, welche, wie an 
anderer Stelle erwähnt, vielleicht der Uebermittlung der Atembe- 
wegungen dient (vergl. S. 134). Seine Lage wenigstens zuerst dicht 
am Vorderhorn in den Processus reticulares, dann an der Grenze 
zwischen Vorderstrang und Vorderseitenstrang entspricht den experi- 
mentellen Erfahrungen einer Reihe von Autoren, in neuerer Zeit 
denen von Gad und Marinesgo, Rothmann u. A., nach denen 
durch entsprechende Durchschneidungen die Atmung zum Stillstand 
gebracht wird. 

lieber den Verlauf der Fasern, welche das Gehirn mit den Ur- 
sprungsorten der sympathischen Fasern im Hirnstamm und Rücken- 
mark verbinden, der vasomotorischen, der für die Pupille, Blase und 
die ganze Reihe von Drüsen, wissen wir noch gar nichts. Hier fehlen 
noch ganz die genauen mikroskopischen Untersuchungen längere Zeit, 
nach mannigfachen Operationen gut beobachteter Tiere, welche allein 
in den letzten Jahren unseren Kenntnissen über die Leitungsbahnen 
der Skelettmuskeln eine feste, wenn auch noch unvollständige, Grund- 
lage gegeben haben. 




Die Entstehung der Sprache durch die Geschichte der Menschheit 
und der Völker zu verfolgen, ist die Aufgabe der Philologie und der 
Völkerpsychologie. Die medizinisch-naturwissenschaftliche Forschung 
findet die Sprache als einen vererbten und kodifizierten, einer wesent- 
lichen Fortbildung nicht mehr fähigen Besitz vor. Denn mag auch 
die Sprache des einzelnen Volkes in der Entwickelung begriffen sein, 
niemand wird behaupten wollen , daß die modernen Sprachen för 
den Ausdruck des Affektes, der Empfindung, der Vorstellung und 
des Gedankens, einen Fortschritt gebracht hätten gegenflber der Sprache 
der Propheten und der des Homer, des Aeachylos und des Demosthenes. 
Die Sprache ist des Menschen vornehmste Ausdrucksbewegung niclit 
nur, sondern sie ist ^ch das Mittel gewesen, durch welches in der 
Geschichte der Menschheit der Inhalt des Bewußtseins differenziert 
und erweitert wurde. Nachdem mit Hilfe der Sprache Vernunft und 
Wissenschaft geschaffen war, sind diese dann vom sprachlichen Aus- 
druck bis zu einem gewissen Grade unabhängig geworden. Auch der 
ganz unerzogene Taubstumme kann, wie ein Fall von Kruse beweist^ 
doch eine gewisse Menge von Vorstellungen und Erinnerungsbildern 
in sich aufnehmen und sie zu Vorstellungen recht verwickelter Ver- 
hältnisse verknöpfen, aber man darf wohl glauben, daß die Entwicklung 
des Gehirns, welche das ihm ermöglicht, nur durch die Verwendung 
der Sprache von seinen Ahnen erworben und vererbt werden könnt«. 
Daß vollends die Geberdensprache der Taubstummen nur durch die 
Erziehung seitens Vollsinniger möglich ist, ist ja klar. Die Frage, 
inwieweit die Zerstörung der Sprache beim gesunden Erwachsenen 
dessen Denken beeinflußt, wird weiterbin zu erörtern sein. 

Die Sprache selbst wird nicht vererbt, nur diejenige Organisation 
des Gehirnes, welche das Sprechen! enien ermöglicht '). Daß diese 
Organisation individuell sehr verschieden entwickelt ist, beweist die 
Verschiedenartigkeit in der Begabung für die Rede und das Erlernen 

1) Hierzu kommt nocb. ein gewisses Bestreben, sich der Laubipreche lu be- 
dienen. Die im 2. LebeoBJahr ertaubt« und erbliDdete Laura üridgcuau, die v&llig 
taubstumni geworden war und wohl alte Gdiörserianeniugea verloreD hatte, uoa 
aocb nicht wie andere TaubBlumme (s. unten) durch Beobachtung der Bew^insa- 
iiiMor tjgg Mundes wieder sprechen lernen konnte, schuf eine Menge Laute, wie ra. 



I 

1 



tu, pa, fif u. a., Kum Teil als Ausdruck gewisser Stimmungen, Kum Teil als B«zeid)- 

für Feraonen, und h(" ' "" " -^ i - '•- ■ •■ i -■■ • 

eiungen zu ergehen. 



lunff für Feraonen, und hatte ein großes Vergnügen daran, sich in diesen lautlichen 
Leufierui 





Taubetummheit Geschichte der Sprachlokalisation. 321 



fremder Sprachen. Diese Organisation ist auch keineswegs mit der 
Geburt fertig. Sie reift erst, ohne die Möglichkeit äußerer Beein- 
flussung und beginnt sich zu äußern im Alter von durchschnittlich 
11 Monaten, manchmal aber erst viel später. 

Das Sprechen wird von dem Kinde erlernt als Nach- 
sprechen, als Nachahmung gehörter Wortklänge. Daher ist der von 
Geburt peripher Taube auch stumm, eine Erkenntnis vom Wesen der 
Taubstummheit, die wir dem Benediktinermönch Pedro de Ponce 
(1570) verdanken. Der Einfluß des Gehörs ist so groß, daß selbst Kinder, 
die schon einige Zeit gesprochen haben, nach Verlust des Gehörs wieder 
stumm werden können. Es bedarf nicht einmal völliger Taubheit, son- 
dern nur der Vernichtung desjenigen Teiles des Labyrinths, welcher die 
nach Bezold zur Sprache benutzte Sexte von b'-— g" perzipiert, um 
das Erlernen der Lautsprache im allgemeinen unmöglich zu machen. 
Durch besonderen Unterricht gelingt es jedoch, auch von Geburt Taube 
zu einer artikulierten Sprache zu bringen, indem man sie die Be- 
wegungen der Sprachmuskulatur, der Lippen, des Mundes und des 
Kehlkopfes nachahmen läßt, an Stelle des Wortklanges, wie ja auch 
der Vollsinnige das Verständnis des Gehörten oft durch das Ablesen 
vom Munde, die Beobachtung der Lippen- und Mundstellungen eines 
Sprechenden unterstützt. Bei dem so geübten Taubstummen bleibt 
der Wortklang natürlich immer ein fremder und unnatürlicher. Für 
die Lehre von der Aphasie ist diese Möglichkeit, nach den Bewegungs- 
bildern der Worte sprechen zu lernen und zu verstehen, die der Taub- 
stumme erlernen kann, von großer Wichtigkeit. 

Wenn aber jedenfalls das Sprechen nicht zu denken ist ohne das 
Hören und das Verständnis der Sprache, so bezeichnen wir auch unter 
Aphasie nicht nur die Störungen der Expressivsprache, sondern 
auch die des Wortverständnisses. 

1585 erst wurde der Zusammenhang des Verlustes der 
Sprache und des Wortgedächtnisses mit Gehirnaffektionen 
durch Sghenkius erkannt und sogleich hinzugefügt, daß der Verlust 
der Sprache ohne Lähmung der Zunge bestehen könne. Wir finden 
hier sofort eine Analogie mit denjenigen Störungen der Extremitäten- 
bewegung, welche wir beim Tier nach Großhirnverletzung beschrieben 
haben. Es handelt sich hier wie dort nicht um die Lähmung eines 
Muskels, sondern — ganz objektiv ausgedrückt — um den Verlust 
der Fähigkeit, ein an und für sich bewegungstüchtiges Muskelmaterial 
zu gewissen Verrichtungen zusammenzuordnen. 

Die Lokalisation des Sprachvermögens im Gehirn 
wurde erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts erreicht. Bouillaud hat, 
nachdem bereits Gall, zum größten Teil auf Grund recht phantastischer 
Beobachtungen, auf den Stirnlappen hingewiesen hatte, einige 
Sektionen gemacht bei Aphasischen und hatte den Herd im Stirn- 
lappen gefunden (1825). Dann machte Marc Dax (1836) die Ent- 
deckung, daß nur Affektionen der linken Hirnhemisphäre von 
Sprachstörungen gefolgt seien, aber ohne daß er innerhalb der 
Hemisphäre eine bestimmte Lokalisation gegeben hätte, und endlich war 
es dann PaulBroca (1863), welcher der Sprache in der dritten Frontal- 
windung der linken Hemisphäre, die seitdem die BROCAsche Windung 
heißt, ihre Stätte gab. 

Es war bereits erwähnt worden, daß die Anknüpfung der 
Sprache an die linke Hemisphäre in einer im ein- 

Lewandowsky, Funktionen d. zentralen Nervensystems. 21 



z einen unaufgeklärten Beziehung zur Rechtshändig 
keit steht (S. 219). Beim Linkshänder igt es die rechte 
Hemisphäre, welche der Sprache vorsteht (Jackson, Oqle u. A.). 
Nur in ganz seltenen Fällen kommt es vor, daß bei einem Rechts- 
händer die Zerstörung der rechten Hemisphäre typische Aphasie be- 
dingt {crossed aphasia von Bramwell). Poteutia hat aber noch 
immer die rechte Hemisphäre die Fähigkeit, für die linke einzutreten. 
Vor allem macht eine Aifektion der linken Hemisphäre, welche beim 
Kinde vor der Periode des Sprechenlernens auftritt, niemals eiue 
typische Aphasie, sehr häufig entwickelt sich die Sprache ohne jede 
Störung. Auch nach der Periode des Sprechen lern ens wird im Kinilea- 
alter die Ausschaltung der linken Hemisphäre durch die rechte meist 
bis zu einem hohen Grade oder völlig wieder ausgeglichen. Inimerbin 
bleiben doch gewisse Störungen nach Schädigung der linken Hemisphäre 
auch im Kindesalter schon zurück, so daß die linke Gehirnhälfte schon im 
Kindesalter eine gewisse Bevorzugung vor der rechten in Rücksicht auf 
die Leitung der Sprache doch wohl erkennen läßt. Beim Erwachsenen 
aber kann in der Mehrzahl der Fälle die rechte Hemisphäre, wenn 
die Sprachzentren der linken zerstört sind, nicht mehr vikariierend 
eintreten. Nur in recht seltenen Fällen haben wir eine Restitution 
beim Erwachsenen auf eine Einübung der rechten Hemisphäre zu 
beziehen. Umgekehrt ist es natfirlich bei Linkshändern. Ein Fall von 
Wadham scheint darauf hinzudeuten, daß bei Ambidextrie eine Restitution 
durch die Zentren der zweiten Seite am ehesten möglich ist. Bei 
erwachsenen Rechtshändern sind selbst durch eine systemastisch ge- 
leitete Uebung totale Spracbdefekte sehr selten auch nur zu bessern. 
Trotzdem die Sprachlaute von den Muskeln beider Seiten hervor- 
gebracht, trotzdem sie von beiden Ohren aufgenommen werden, ist 
der sprachliche Ausdruck sowohl als das sprachliche Verständnis an 
die linke Hemisphäre geknüpft. 

Die BROCASche Lokalisation betraf nur die „facultö d'articulor 
les mots" und der Fortschritt und die Befestigung der Sprachlokalisation, 
und damit der Lokalisationsgedanke überhaupt wurde nun hintan- 
gehalten dadurch, daß andere Sprachstörungen, die auf der Störung 
des Sprachverständnisses beruhten, mit dem von Broca festumgrenzten 
Krankheitsbilde zusammengeworfen wurden. Broca selbst war nicht 
im Stande, den Einwendungen Troubseaus gegenüber jene anderen 
Krankheitsbilder aufzuklären, und so kam es, daß die Führung in 
der Lokalisationsfrage überhaupt zunächst von der Pathologie auf die 
Physiologie überging. 

Erst dem Genie Wernickes war es vorbehalten, die prinzipielle 
Klärung zu bringen. Erst seit Wernickr unterscheiden wir scharf) 
gegenüber der BROOASchen Form der motorischen Aphasie 
die sensorische Aphasie als die Aufhebung des Wortverständ- 
nisses, und lokalisieren die zweite nicht wie die BnocAsche Form in 
den Stirnlappen, sondern in den Schläfenlappeu, nach Wernickk in 
seine erste und einen Teil seiner zweiten Windung. 

Beschränken wir uns zunächst auf diese beiden Grundtypen der 
Sprachstörung , so nennen wir motorische Aphasie {Brocas 

1) Wie Webnicke später unumwunden Anerkannt hat, hat vor Ui 
Bastian bemertt. daß in „einigen Ffillen von hochgradiger Aphasie" die PatienUB J 
CTT nidit oder nur achwer den Sinn von Worten veratehen konnten, ohne dali dodk J 

Taubheit vorlag. 



I 





MotorißcheB Sprachzentrum. 323 



Aphemie), die Unfähigkeit, bei erhaltener Beweglich- 
keit der zur Sprache behilflichen Muskeln des Kehl- 
kopfes, des Rachens und des Mundes, Worte zu bilden. 
Zwar ist mit der motorischen Aphasie gewöhnlich eine mehr minder 
große Parese der Zungen- oder Facialismuskulatur der rechten 
Körperseite verbunden; daß diese aber die Aphasie nicht macht, 
sieht man am besten daraus, daß selbst völlige Lähmung der ent- 
sprechenden rechtsseitigen Muskulatur nur eine ganz unbedeutende 
Störung der Sprache macht, und daß selbst die gleiche Lähmung auf 
der linken Seite bei besonderem Sitz des Herdes, wie noch später 
zu besprechen, keine Aphasie nach sich zieht. Es genügt jedenfalls 
die Muskulatur einer Seite zur Hervorbringung eines vernehmlichen 
und verständlichen Sprachklangs. Da zum Sprechen aber die Muskeln 
beider Seiten gebraucht werden, so steht jedenfalls das motorische 
Sprachzentrum der linken Hemisphäre mit den motorischen Kernen 
der Sprachmuskulatur beider Seiten der Medulla oblongata in Ver- 
bindung. Die Frage kann nur die sein, ob diese Verbindung des 
motorischen Sprachzentrums mit den Nervenkernen des verlängerten 
Marks direkt oder erst über deren Zentren in der Großhirnrinde er- 
folgt. Jedenfalls können nun nicht etwa die linksseitigen Zentren der 
Sprachmuskulatur auf der Rinde sich als Ganzes zu einem Sprach- 
zentrum umgebildet haben, denn mindestens die elektrisch erregbaren 
Punkte für diese Muskulatur liegen hinter der BROCAschen Stelle, in der 
vorderen Zentralwindung. Im Sprachzentrum findet eine Zusammen- 
ordnung aller dieser Muskeln nur zu einem Zweck, der Sprachgebung^ 
statt. Das Sprachzentrum repräsentiert eine Einheit höherer 
Ordnung, so daß man zweifelhaft sein muß, ob die Hervorhebung der 
motorischen Leistung seiner Bedeutung gerecht würde. Broca selbst 
umschreibt die „impossibilitö de parier'' denn auch als den Verlust 
^d'une espfece particulifere de memoire, qui n'est pas la memoire des 
mots, mais celle des mouvements nöcessaires pour articuler les mots''. 
Das ist dann ganz dasselbe, was man auch als Verlust der Sprach- 
bewegungsvorstellungen bezeichnet hat. Bastian nennt das 
BROCASche Zentrum das glosso-kinästhetische, und legt großen Wert 
darauf, dasselbe nicht als ein motorisches, sondern als ein sensorisches 
aufgefaßt zu sehen. Der Name des glosso-kinästhetischen Zentrums 
erscheint uns unzutreffend, selbst wenn man keinen Anstoß daran 
nehmen will, daß nur die Zunge als Repräsentant der Sprachmuskulatur 
herausgehoben ist. Aber das Lagegefühl, die kinästhetischen Qualitäten 
der Sprachmuskulatur haben gar nicht gelitten, der Aphasische nimmt 
ebenso wie der Normale passive Bewegungen, die man mit seiner Zunge 
vornimmt, wahr; nur in der einen Beziehung zur Hervor- 
bringung der Sprache sind die Funktionen der Musku- 
latur geschädigt, und ob man diese nun als sensorisch oder mo- 
torisch bezeichnen solle, will uns der Frage kaum wert erscheinen. Denn 
es handelt sich nicht um den Ausfall eines unmittelbaren Einflusses beim 
Sprechen etwa peripher entstehender unästhetischer Merkmale ^). Diese 
peripheren Merkmale sind vielmehr erhalten. Es handelt sich um den 

1) Ein solcher würde nur eine wahre Ataxie der Sprache hervorbringen können ^ 
nach dem Muster der Ataxie der Extremitäten. Leider wird die Bezeichnung ,,atak- 
tische Sprachstörung' in mehrerlei Bedeutung gebraucht In dem echten Sinne atak- 
tisch, auf dem Ausfall peripherer sensibler Mennnale beruhend, scheint nur die hasi- 
tierende und explosive Sprache der multiplen Sklerose zu sein. 

21* 



Verlust mit Hilfe dieser peripheren Merkmale seit der Kindheit eingeübt« j 
Bewegungsbilder, und um den Verlust der Fähigkeit, neue solche 
Bewegungsbilder zu schaffen. Schon bei der Prüfung der Verrichtungen 
der tierischen Hirnrinde sahen wir, wie hier sensorische und motorische 
Funktionen ineinander übergehen. Die Bezeichnung der Bewegungs- 
vorstellung, hier also der Wortbewegungsvorstellung, bringt diesen Zu- 
sammenhang sensorischer und metorischer Funktion wohl am besten 
zum Augdruck. Wenn man aber das BROCASche Zentrum im Fuß der 
dritten linken Stirnwindung als Ort der Sprachbewegungs Vor- 
stellungen bezeichnen kann, muß man sich doch gegenwärtig halten, 
daß man diesen Vorstellungen als solchen nicht gar zu viel Leb- 
haftigkeit und Bewußtheit zumessen darf. Im allgemeinen kann man 
die Bewegungvorstellung eines Wortes deutlich nur erwecken, indem 
man das Wort ausspricht. Für den Vollsinnigen ') ist die Bewegungs- 
vorstellnng des Wortes von seiner tatsächlichen Bildung nicht zu trennen. 
Dadurch unterscheidet sich das Wortbewegungsbild vom Wortklangs- 
bild. Wenn man also, wie ausgeführt, das BßocAsche Zentrum von 
den Zentren der einzelnen Sprachmuskeln untersclieidet und ihnen 
überordnet, so kann man es daher am zutretTendsten noch immer als ■ 
motorisches Sprachzentrum bezeichnen. Die motorischM 
Aphasie besteht demgemäß in dem A'erlust der Fähig-^ 
keit zu sprechen. Der Kranke kann nicht nur die Worte nichtl 
artikulieren, daß sie etwa undeutlich oder verwaschen herauskämen. 
Was er etwa an Lauten hervorbringt, hat mit Worten überhaupt nichts 
mehr zu tun; nicht einmal der Rhythmus des beabsichtigten Wortes 
ist erkennbar. 

Häutig sind einzelne fixe Sprachreste erhalten, und es kommt 
dann vor, daß, was der Kranke auch sagen will, er in die ihm ge- 
bliebenen Worte oder Phrasen entgleist. Am häutigsten sind es 
Flüche, die noch erhalten sind, fto kannten wir einen Franzosen, der i 
nur noch das eine Wort „merde" zu seiner Verfügung hatte ^j. Auch! 
der eigene Name nimmt häufig eine Ausnahmestellung ein. Nichtl 
selten kommt es unter dem Einfluß eines heftigen Affektes vor, d&Bl 
doch noch einige sinngemäße Phrasen einem Aphasischen zum Äos-'^ 
druck des Affektes zu Gebote stehen. Ueberhaupt vermehrt der Affekt | 
bei Aphasischen sehr häutig für kurze Zeit die Sprachfähigkeit. Kenn-i 
zeichnend für die motorisch Aphasischen ist es, daß die etwa i 
erhaltenen Sprachreste im allgemeinen gut artikuliert herauskommen. 
Ihre Bewegungsbilder sind eben erhalten, die aller anderen Wort« 
vernichtet. Wir brauchen nicht zu betonen, daß wir nicht an e' 
zelne Zellen als Träger des einzelnen Bewegungsbildes denken. 

Man muß scharf unterscheiden zwischen der Do 
möglichkeit, die motorischen Bewegungsbilder z 

1) Beim Tautwtuiumeii mag da« anilers sein. En träfe auch interessanl tu 
wissen, ob der arl.ibulatorigch Hprechendo Taubstumme — wie wobr^i^inlicb — oacfa 
ZentöruiiK meines miiMrischen S|)rBchtentruiDa etwa die Fäbigteit verliert, die Worte 
von deo Lippen anderer abEuleaeo. Der VoÜBinni^ bat darin ^o wenig UebuM, 
daß man duh der uDserer Erfahruug nach bd motorwcb Aphasischen loeist, rJeUeicat 
immer verloren gegnniirenen Fähigkeit, auch die einfacheteii Worte von den Li[^ieii 
abnuleeeri, nieht viel wird schließen wollen. 

2) Daß umgebehrt etwa einzelne oder nur wenige Wort« bei Erhaltiiag der 
großen Masse konstant aus der Sprache ausgefallen «ind, ist b«i i)rganti>cb«T Er- 
KFaukung des motorischen äpracbWntrums mit Sicherheit uc>ch nicht beobachtet 
worden. 





Die dritte Jinke Frontalwindung. Die ProjektionBbahnen der Sprache. 325 

• 

finden und der Fähigkeit, die Worte gut zu artiku- 
lieren. Diese letztere Fähigkeit ist beim Aphasischen als vorhanden 
vorauszusetzen. Andererseits kann sie isoliert verloren gehen durch 
Herde in den Bahnen, welche die Großhirnrinde mit den Kernen der 
Sprachmuskulatur in der Medulla oblongata verbinden. Diese 
Anarthrie, wie wir sie nach Leyden nennen, ist daher eines der 
häufigsten Symptome der Pseudobulbärparalyse, deren anatomisches 
Substrat multiple Herde in den zentrifugalen Großhirnbahnen dar- 
stellen. Durch solche Afifektionen, mit denen auch immer doppelseitige 
Lähmungen oder Paresen der Sprachmuskulatur verbunden sind, kann 
die Aussprache völlig verwaschen und lallend werden, der Unter- 
schied gegenüber der Aphasie besteht aber darin: der Anarthrische 
hat das Bewegungsbild des Wortes noch, er kann es 
durch den peripheren Apparat nicht zum klaren Aus- 
druck bringen. Man kann bei ihm selbst in den schwersten 
Fällen noch den Silbenbau des Wortes beim Versuch, spontan zu 
sprechen, erkennen. Der Aphasische könnte das Bewegungs- 
bild gut zum Ausdruck bringen, wenn er es hätte. Mit 
diesem grundsätzlich verschiedenen Verhalten des Anarthrischen und 
Aphasischen hängt dann auch der Unterschied in der Beherrschung 
der Schriftsprache zusammen, auf den wir später zurückzukommen 
haben. 

Die Frage nach dem Verhältnis von Aphasie und Anarthrie hängt 
eng zusammen mit der Frage nach einer besonderen cortico- 
fugalen Sprachbahn. Wernigke nahm in seinen ersten Ar- 
beiten eine solche an, die direkt vom motorischen Sprachzentrum zu 
den Kernen in der Medulla oblongata ziehen und deren Zerstörung 
nun auch Aphasie machen solle. Er unterschied daher auch nicht 
scharf Anarthrie und Aphasie, suchte die beiden vielmehr ineinander 
überzuführen. Nun ist es aber zunächst Tatsache, daß die ganze 
Stabkranzfaserung der linken Hemisphäre zerstört sein kann, ohne daß 
eine dauernde Aphasie davon die Folge ist. Bei Herden, welche in 
tieferen Abschnitten der linken inneren Kapsel oder gar im linken 
Hirnschenkelfuß liegen, sehen wir keine Aphasie. Daraus folgt, daß 
ein Weg über die rechte Hemisphäre die Uebertragung 
der vom motorischen Sprachzentrum ausgehenden Im- 
pulse möglich machen kann. Dieser Weg kann aber kein 
unmittelbarer sein, denn die eine Hemisphäre sendet keine Fasern in 
die Projektionsbahnen der anderen. Der Balken, der hier allein als 
verbindende Bahn der beiden Hemisphären in Betracht kommt, führt 
nur Fasern zur Rinde, und von der Rinde der rechten Hemisphäre 
erst müssen dann wieder die Fasern entspringen, welche das Sprechen 
bei tiefen Erkrankungen der linken motorischen Projektionsfaserung 
ermöglichen. Zweifelhaft kann nur sein, ob diese Balkenfasern, die 
also die Sprache leiten können, vom Fuß der dritten linken Stirn- 
windung zu der homologen Stelle der rechten Hemisphäre ziehen, 
und von hier dann eine neue corticofugale Bahn beginnt, oder ob die 
Balkenbahn zu den Großhirnzentren der Sprach muskulat ur an der 
anderen Seite ginge. Diese Alternative würde gegenstandslos werden, 
wenn wir aucli das Sprachzentrum der linken Hemisphäre nur als 
einen Teil dieser sensomotorischen Zentren der Sprachmuskulatur 
annehmen, einen Teil aber, der sich zu einer besonderen Höhe der 
Funktion, nämlich zur Leitung der Sprache aufgeschwungen hat. So 




326 XVIII. Die Sprache und die ApliMie. 

wird es sich in der Tat wohl verhalten. Freilich gehört der Fuß der 
dritten Frontal win düng wahrscheinlich auch beim Menschen nicht za 
den elektrisch erregbaren Schichten, aber wir waren bereits 
froher zu dem Schluß gekommen, daß das Ursprungs gebiet motorischer 
Fasern erheblich mindestens über die mit schwachen Strichen erreg- 
bare Zone hinausgehe, und so ist es durchaus nicht unmöglich, daß der 
Fuß der dritten Frontalwindnng mit zu der sensoniotorischen Region 
der Sprachmuskulatur gehöre, wenn diese auch sicherlich erheblich 
weiter nach hinten sich erstreckt. So würden sich auch eine Reihe von 
P. Marie beobachteter Fälle erklären, welche es außer Zweifel stellen, 
daß die Zerstörung der dritten linkeu Frontal windung 
nicht bei allen Indi viduen zu Aphasie führen muß. Wir 
glauben mit P. Marie, daß — allerdings nur in jenen Fällen — daa-' 
motorische Sprachzentrum mehr nach hinten in der Gegend der Insel' 
und des Operculums gelegen ist, im Bereich des sensomotorischen 
Feldes der Sprach muskulatur etwas nach hinten verschoben ist. Daß 
es eine Reihe von Fallen gibt, welche durch Zerstörung der Broca- 
schen Windung aphasisch werden, halten wir für nicht widerlegt. Liegt 
aber das Zentrum der motorischen Sprache, der Sprach bewegnngsbilder, 
in der dritten Frontalwindnng, so halten wir es durchaus für möglich, 
daß es im Sinne Wernickes eine direkte Verbindung mit den Kernen 
der Sprachmuskulatur besitzt, aber sicherlich ist diese Verbindung 
nicht die einzige zur Peripherie, und sie kann uuterbrochen werden, 
ohne daß die Sprache leidet. Wir müssen also annehmen, daß von dem 
motorischen Sprachzentrum noch Fasern zu den auf der Rinde weitw 
hinten gelegenen, anch zu den elektrisch erregbaren Zentren der 
Sprach muskulatur gehen, durch welche das Bewegungsbild — also 
mittelbar — erst der Peripherie zugeführt wird, analog der Verbindung; 
welche durch den Balken zur rechten Hemisphäre besteht, und welche 
ja, wie wir sahen, für sich allein genügt, die Sprache aufrecht zu 
erhalten. Der dritten rechten Frontalwindung würden wir aber eine 
besondere Bedeutung, außer der, welche sie — vielleicht — als ein 
Teil des sensomotorischen Feldes des Sprach-, Mund-, Gaumen-, 
Kehlkopf fehl es hat. uicbt zubilligen können. Daß bei einer kleines 
Anzahl von Individuen die rechte Seite, auch nach völliger Aas- 
schaltung der linken, bis zu einem gewissen Grade für diese eintretes 
kann, war bereits bemerkt, aber daß fOr dieses Variieren nun gerade 
die rechte dritte Frontalwindnng und nicht weitere Gebiete verant-' 
wortlicli seien, ist keineswegs bewiesen. 

Wirkommen somitzu dem Schluß: Als motorisches Sprach- 
zentrum ist zu bezeichnen ein Teil der Rinde, welcher das anatomische 
Substrat für die Bewegungsbilder der Worte darstellt, jene konven- 
tionell vereinbarten Ausdrnckshandlungen. welche von jedem Individuum 
erst allmählich erlernt werden müssen. Man kann das motorische 
Sprachzentrum daher auch als das Zentrum für die motorische Wort- 
Vorstellung oder für die motorischen Erinnerungsbilder der Worte 
bezeichnen. Die S))rache, d. h. die Wortbewegungsbilder, wird erworben 
beim Vollsinnigen durch das Nachahmen des gehörten Wortklanges, 
also mit Hilfe des Gehörs. Durch besondere Erziehung kann anch 
der von Geburt an Taube die Sprache, und zwar mit Hilfe der 
kinästhetischen Merkmale der Sprachmuskeln, erwerben, von denen 
sicherlich auch der Gesunde zur Befestigung des Wortbewegnngsbildes 
Gebrauch macht. Das motorische Sprachzentrum liegt beim Rechts- 



I 




Die Bensorische Aphasie. 327 



händer in der linken Hemisphäre, und zwar bei einem großen Teil 
der Menschen im Fuß der dritten linken, BROCAschen Frontal- 
windung. Bei einem anderen Teile aber liegt es weiter nach hinten, 
im Bereich der Insel und des Operculums. Es ist aber wahrschein- 
lich, daß es unter allen Umständen innerhalb des Bereiches des all- 
gemeinen sensomotorischen Feldes der zum Sprechen benutzten Mus- 
kulatur liege, daß es nur innerhalb dieses Feldes eine besonders ver- 
wickelte Funktion versehe. Zur Ausführung dieser Funktion, der 
Sprache also, werden die Zentren der Sprachmuskulatur auf beiden 
Großhirnhemisphären herangezogen. Insofern das Sprachzentrum also 
mit den Zentren der Sprachmuskulatur sich nicht deckt, sondern 
höchstens einen Teil von ihnen umfaßt, muß es durch Associations- 
fiusern mit ihnen in Verbindung stehen. Zur rechten Hemisphäre 
gehen diese durch den Balken. Die eigene Projektionsbahn der dritten 
linken Frontalwindung ist sicherlich nur gering. Ihre Unterbrechung 
genügt nicht zur Erzeugung von Aphasie, weil das Sprechen durch die 
erwähnten Associationsbahnen zu den Sprachmuskelzentren und dann 
auf deren Projektionsbahnen geschehen kann. Die doppelseitige 
Schädigung dieser letzteren führt zur Anarthrie, die Vernichtung des 
motorischen Sprachzentrums oder der sämtlichen von ihm ausgehenden 
— Associations- und Projektionsbahnen ~ führt zur motorischen 
Aphasie. 

Zu betonen ist, daß eine totale motorische Aphasie vorkommen 
kann ohne Störung des Sprachverständnisses, wie wir auch Dejerinb 
gegenüber betonen müssen. 

Zu der Aufhebung des Sprach-, insbesondere des Wortverständ- 
nisses, die wir seit Wernicke als sensorische Aphasie be- 
zeichnen, haben wir nun überzugehen. Das Verständnis der Sprache 
ist ja nun aufgehoben bei jeder Form der peripheren Ertaubung 
oder bei Unterbrechung der vom Labyrinth zur Großhirnrinde ziehenden 
Bahnen an beliebiger Stelle. Das Wesentliche aber der 
WERNiCKEschen Aphasie ist der Verlust des Wortver- 
ständnisses bei erhaltenem Hörvermögen. Aber nicht 
immer nennen wir dieses Syndrom eine sensorische Aphasie. Wir tun 
das nicht, wenn eine Erkrankung des Labyrinths gerade die für die 
Sprache notwendige BEZOLDsche Sext geschädigt hat, oder wenn 
überhaupt erhebliche periphere Hörstörungen die Perzeption der 
Sprache als der kompliziertesten Tonverbindung vernichtet haben, 
mag auch der Kranke sonst noch einige Töne oder Geräusche wahr- 
nehmen können. Vielmehr kann völlige Aufhebung des Wortver- 
ständnisses bestehen bei völlig erhaltenem Hörvermögen für Töne 
und Geräusche, insbesondere kann die Perzeption der 
Sprachsext durchaus intakt sein. Diese Möglichkeit be- 
ruht zumeist sicherlich wieder darauf, daß die Wortklangbilder, wie 
die Wortbewegungsbilder, in der linken Hemisphäre gebildet werden, 
während die Tonbilder auf beiden Seiten ihren Platz finden. Durch 
Zerstörung der linken Hemisphäre werden also sämtliche Wortklang- 
bilder ausgelöscht, durch die Unterbrechung aller Projektionsfasern 
zu dem „sensorischen Sprachzentrum^ die Möglichkeit vernichtet, 
durch periphere Reize die Wortklangbilder wachzurufen. Es besteht 
eine weitgehende Analogie zu dem Verhalten des motorischen Sprach- 
zentrums. Es genügt nämlich die Unterbrechung der Stabkranz- 
faserung des linken Schläfenlappens, welche ja vom Corpus genicu- 



latam internam herkommt, nicht, sondern es muß auch noch die 
Balkenfaserun g durchbrochen sein, der Herd also mindestens sehr 
nahe der Rinde des linken Schläfenlappens oder in dieser selbst liegen, 
um eine Worttaubbeit zu erzeugen. Die akustischen Erregungen 
können also auch über den rechten Schläfenlappen 
herüber zur linken Seite gelangen und die dort lagernden 
Wortklang Vorstellungen anregen, so daß die Worte als solche iden- 
tifiziert werden können. Die Vernichtung des Wortveratändnisses 
durch Zerstörung der Projektionsbahnen zum linken Schiäfenlappen 
bei Erhaltung der während des Lebens gesammelten Wortklang^or- 
stellungen nennen wir „reine Worttaubbeit" (Lichtheih), „subcorticale 
sensorische Aphasie"' (Wernicke). Sie beeinflußt natürlich die ei-J 
pressive motorische Sprache gar nicht, so daß der Name Aphasie fdll 
diese Störung eigentlich ganz unberechtigt ist, und es sind auch Fäll<fl 
beschrieben von Lichtheim, Wernicke, Liepmann u. A., welche das " 
Symptomenbild, d. h. das Fehlen des Wortehörens als einziges 
Symptom in annähernder Reinheit darboten. Unvollständige reine 
Worttaubbeit ist von Henneberg beschrieben. Ob die Tatsache, daß 
die HENNEBERGSche Kranke sich leicht verhörte, was bei der corticaien 
Form durch Zerstörung des Zentrums nicht der Fall ist, als Analogon 
peripherer Hörstßrungen gedeutet werden darf, ist freilich zweifelhaft. 
Jedoch ist in einigen Fällen reiner Worttaubheit durch die Autopsie fest- 
gestellt, daß hier wirklich eine Unterbrechung im Bereich der linken 
Hörstrahlung nahe der Rinde des Schläfen lappens vorlag. Dean 
während für die Sprachbewegungsbahn und die Sprachbewegungsbilder 
die Einordnung in das sensomotorische Feld der Sprachmuskulatur J 
noch nicht ganz feststand, besteht kein Zweifel, daß das seusorisch» 
Sprachzentrum ein Teil der Ilörsphäre, und daß die die^ 
Wortklänge leitende Projektion sfaserung ein Teil der Hörstrahlung ist ' 

Der Fragen bleiben nur zwei, ob nämlich die Sprachsext 
innerhalb der Hfirsrrahlung ihre besondere Stelle 
habe, und dann, ob innerhalb der Hörsphäre die Wort- 
klangbilder eine begrenzte Stätte finden. Die erste Frage 
sind eine Reihe von Autoren geneigt zu bejahen. Nach unserer 
Meinung ist ein Beweis für die Existenz einer topographisch einheit- 
lichen Worthörbahn nicht erbracht, es ist vielmehr sehr wahrscheinlich, 
daß die Fasern der Sprachsext in der Hörstrahlung diffus verteilt 
sind. Wenn man also — wie wir einmal annehmen wollen — dem 
Wortklangzentrum innerhalb der linken Hörsphäre eine besondere 
Stelle einräumen will, so würde dann die Unterbrechung der eigenen 
Projektionsfaserun g dieses Wortklangzentrnnis zur Erzeugung von 
reiner Worttaubheit nicht genügen, soudern entweder müßte die ge- 
samte linke Hörstrahlung mit ihrer Balkenfaserung zerstört sein, oder 
der Herd müßte so nahe dem Wortklan gzentruni selbst liegen, daß 
außer diesen direkten Projektions- und Balkenfasern auch noch die 
Associationsfasern zu den übrigen Teilen der Hörsphäre unterbrochen 
sein müßten. Ein klinischer Fall, welcher die letztere Annahme er- 
forderte, liegt übrigens unseres Wissens bisher noch nicht vor; denn 
daß die Unke Hemisphäre bei der reinen Worttaubbeit überhaupt noch 
höre, ist nicht erwiesen und nicht zu erweisen, da ja jede Hemisphäre 
mit beiden Labyrinthen verbunden ist, und die Annahme der Integritäl i 
der rechten Hemisphäre genfigt, um die Erhaltung des Hörvermögeos ] 
bei Vernichtung des Sprachhörvermögens zu erklären. 





Das senBoriBche Sprachzentrum. 329 



Die Lage des sensorischen Sprachzentrums selbst nun 
hat Wernicke in der ersten Temporalwindung und einem Teil der 
zweiten angenommen. Aber nach den Sektionsbefunden, die von einer 
Beihe von Autoren, insbesondere von Pick, mitgeteilt sind, müssen 
wir mit Monakow annehmen, daß die Wortklangstätten weit über die 
oberen Temporal Windungen hinausgehen. Der Bereich des ganzen 
Wortklangzentrums dürfte weit über die WERNiCKEsche Stelle nach 
vorn, sowohl der Inselgegend zu, wie nach hinten und lateralwärts 
sich erstrecken. Die partiellen Läsionen des sensorischen Sprach- 
zentrums bieten in manchen Punkten analoge Störungen, wie die der 
motorischen. So werden bekannte Worte, wie dort noch am besten 
ausgesprochen, hier noch am besten verstanden, und ebenso dringen 
besondere Affekte erregende Fragen (z. B. Sind Sie ein Dieb? Sind Sie 
schwanger?) noch am besten durch, wie bei der motorischen Aphasie 
unter dem Einfluß des Affektes noch am besten gesprochen werden 
konnte. Vor allem aber wird bei partieller sensorischer Aphasie der 
Sinn längerer Sätze nicht mehr aufgefaßt, was mit dem Verlust der 
später zu besprechenden verbalen Merkfähigkeit zusammenhängt. 

Was die anatomische Begrenzung des sensorischen Sprachzentrums 
betrifft, so kommen hier sicherlich auch individuelle Differenzen wieder 
in Betracht. So möchten wir der WERNiCKEschen Stelle die gleiche 
Wertigkeit für das Hören der Worte zugestehen, wie der dritten Frontal- 
windung für das Sprechen. Die erste Temporal Windung dürfte 
in individuell schwankendem Maße der vorzugsweise, 
nicht der einzige Sitz der Wortklangbilder sein, als 
ein Teil der Hörsphäre, wie die dritte Frontalis der 
vorzugsweise Sitz der Wortbewegungsbilder, als ein 
Teil der sensomotorischen Sphäre. 

Während wir nun daran festgehalten hatten, daß die motorische 
Aphasie das Wortverständnis nicht behindert, gruppieren sich alle 
Schwierigkeiten, die die Lehre von der Lautsprache noch bietet, um 
das eine Problem, inwieweit der Verlust der Wortklang- 
bilder die expressive Sprache beeinflußt. Denn an der 
Tatsache, daß er es tue, besteht kein Zweifel. 

Wir müssen uns zum klareren Verständnis der Sache von jetzt ab 
auf ein Schema des Sprachvorganges beziehen und benutzen 
das von Wernicke und Lightheim gegebene. Es muß freilich von 
vornherein betont werden, daß ein solches Schema zunächst nur einen 
Wert zur Verdeutlichung der physio-pathologischen Tatsachen und 
zur weiteren Fragestellung hat, und daß die Identifizierung der auf 
dem Schema gegebenen Zentren und Bahnen mit topographisch-ana- 
tomischen Einheiten zu einem übertriebenen Schematismus in der 
Auffassung des Sprachvorganges selbst geführt hat. 

Auf dem WERNiCKE-LiCHTHEiMschen Schema bedeutet M das 
motorische Sprachzentrum, S das sensorische. Die Zerstörung von 
M also führt zu cortic^ler motorischer, die von S zu corticaler sen- 
sorischer Aphasie, s S ist die zuführende Projektionsbahn zum sen- 
sorischen, M m die Projektionsbahn des motorischen Sprachzentrums, 
Projektionsbahn in dem Sinne der Summe der Projektionsbahnen, den 
wir bereits festgelegt haben. Durch Zerstörung von M m entsteht also 
die subcorticale motorische Aphasie, die reine Wortstummheit, „rein", 
weil das Zentrum selbst dabei erhalten ist, durch Zerstörung von s S 
die subcorticale sensorische A])hasie, die reine Worttaubheit in dem 



8M> 



XVni. Uis Bpnche nnd die A^diMie. 





tileichen Sinne. Wir hatten diese beiden Krankheitsbilder und das 
der corticalen motorischen Aphasie ja bereits abgeleitet. 

Wenn nun die Sprache überhaupt eine Beziehung zu dem 
psychischen Gesaratinhalt des Individuums haben soll, so müssen ihre 
Zeutren verbunden sein mit den Übrigen ßindenzentreo , mit der 
ganzen übrigen Rindenflfiche. Diese ganze übrige Rinde wird auf dem 
Schema zusammengefaßt als B = Begrilfsrinde, die man sich selbstver- 
ständlich nie als eine umgrenzte Lokalität denken darf. Demgemäß 
sind B M und S B auch keine zirkumskripten Bündel, sondern sie sind 
die Gesamtheit der Associationsfasern , welche S und M mit der 
ganzen übrigen Rinde auch der zweiten Hemisphäre verbinden. Uan 
darf sie sich daher auch nicht konvergierend zu einem Punkle B, sondern 
als von den beiden Zentren S nnd M immer weiter divergierend vor- 
stellen. Nur in der unmittelbaren Nähe der Zentren S und M selbi " 
könnten sie demnach durch verhältnismäßig kleine Herde en mas! 
durchbrochen werden. Ihre Funktion ist aus dem Schema sehr einfadt 
abzuleiten. Die Bahn SB ist die Bahn des Wortverständ 
nisses. Das Wortklangbild, das in S sich befindet oder dort erregt' 
wird, muß in Beziehung gesetzt werden zu 
den Vorstellungen und zu den Begriffen der 
Dinge, welche durch die gemeinsame Tätigkeit 
der ganzen Rinde gebildet sind und gebildet 
werden. Zu dieser In-Beziehungsetzung des 
Begriffes und der Vorstellung mit dem Wort- 
klangbild, zur Erkenntnis also des Wortsinnes, 
zu der sekundären Identifizierung Wernicebb 
dient die Bahn S B. Hire Unterbrechung läßt. 
das Wortklangbild intakt, vernichtet aber dasi 
Verständnis des Wortsinnes, Die Bahn S B hat' 
Wernicke mit dem nicht sehr glücklichen 
Namen der transcorticalen sensori* 
sehen belegt, wir würden vorschlagen, sie 
als t r a D s z e n t r a 1 e zu benennen zum Zeichen 
eben dafür, daß sie das Wortklangzentrum mit 
der ganzen anderen Rinde in Verbindung setzt. Anatomisch liegen diese 
„transcorticalen" oder transzentralen Bahnen naturlich entweder in der 
Rinde selber oder im subcorticalen Marklager. Der Wert des Schemas 
liegt aber zunächst eben nicht in der Anwendung auf die praktische 
Gehirn topographie, sondern auf die Verstau dlichmachung des Sprach- 
vorganges unter Benutzung anatomischer Gesichtspunkte. 

Es unterliegt keinem Zweifel, daß es KrankheitsRUle durch Herd- 
erkrankung gibt, in welchen dauernd oder vorübergehend das Wort- 
sinnverständnis erloschen, das Wortklang Verständnis 
aber erhalten ist (Lichtheim, Pick, Heubnbb u. ä.). Der 
Machweis dafür , daß das Wortklangbild erhalten ist und geweckt 
werden kann, ist bei fehlendem Wortsinnverständnis dadurch zu er- 
bringen, daß der Kranke das gehörte Wort nachsprechen kann. 
Um also das Nachsprechen nicht verstandener Worte zu erklär«!, 
nimmt das Schema eine direkte Verbindung zwischen S und M an, als 
Bahn des verständnislosen Nachsprechens. Die Bahn S M 
soll zugleich diejenige sein, auf der das Kind die Sprache durch 
Nachsprechen erlernt. Sie würde beim Kinde übrigens erst nach 
der transzentralen sensorischen S B funktionstüchtig werden, denn es 



an 
>r-^ 

M 



Fig. 




WortklaDgbüd uod Ezpressivsprache. 331 



ist sicher, daß das Kind zuerst beginnt zu verstehen, ehe es beginnt 
nachzusprechen. 

Gibt es eine Bahn S M, so würde auch eine Unterbrechung der- 
selben möglich sein müssen. Wernicke hat daher zunächst eine 
Leitungsaphasie als Folge der Unterbrechung von SM postuliert, 
war aber später geneigt, sie aufzugeben. Charakterisiert müßte die 
Leitungsaphasie sein durch einen Verlust des mechanischen Nach- 
sprechens nach dem Wortlaut bei erhaltenem Wortverständnis. In- 
wieweit die Unterbrechung der Bahn S M auch das Spontansprechen 
schädigen könne, läßt sich hier a priori noch nicht beurteilen. 

Die Bahn B M endlich würde dienen der Verbindung der Begriffs- 
rinde mit dem motorischen Sprachzentrum. Sie würde also dienen der 
Auslösung der Sprachbewegungs Vorstellungen. Halten wir 
uns einfach an das Schema, so würde, wie man leicht sieht, einmal 
die spontane Sprache auf dem Wege B M völlig möglich sein müssen. 
Andererseits aber könnte die Wortbewegungsvorstellung auf dem 
„Umwege'' über S, also auf dem Wege B S M ausgelöst werden. 

Aber hier stehen wir wieder auf dem Punkte, wo das Schema nicht 
ausreicht, sondern wo wir auf Grund psychologischer Erwägung und 
klinischer Beobachtung die Bedeutung des sensorischen 
Wortzentrums für die Expressivsprache zu erwägen haben. 
Die Mehrzahl der Menschen hat unzweifelhaft, insoweit sie sich 
überhaupt selbst beobachten kann, die Empfindung, daß zum Spon- 
tansprechen vor allem das innerliche Erklingenlassen 
des Wortklangbildes gehöre. Wenn wir uns auf ein W^ort 
nicht besinnen können, so fehlt uns eben das Wortklangbild. Mit 
dem Augenblick, wo wir dieses haben, können wir es auch motorisch 
nachahmen, aussprechen. So ist das Spontansprechen abhängig 
vom Wortgedächtnis und das Wortgedächtnis des vollsinnigen 
Menschen ist ein Gedächtnis des Wortklanges, nicht des Wortbe- 
wegungsbildes, ebenso wie die Sprache durch die Nachahmung des 
Wortklangbildes in der Kindheit gelernt wird. Nun aber liefert uns 
wieder der unterrichtete Taubstumme den Beweis, daß zum artiku- 
lierten Sprechen das Wortklangbild nicht nötig ist. Die Frage nach 
der Funktion des sensorischen Sprachzentrums für die Sprache des 
Vollsinnigen kommt also darauf hinaus, festzustellen, inwieweit sich 
dieser beim Sprechen vom Wortklangbild emanzipiert oder emanzi- 
pieren kann. Das wird in individuell recht verschiedenem Maße der 
Fall sein. Dieser individuell schwankende, nicht akustisch vorgebildete 
Anteil der Sprache könnte also auf dem Wege B M zum motorischen 
Sprachzentrum gehen, ebenso wie beim Taubstummen doch wohl mit 
Wahrscheinlichkeit die ganze Sprache auf diesen Weg zu verweisen 
ist. Jemand aber, der jedes Wort in sich erst erklingen lassen muß, 
würde nach Zerstörung des ganzen sensorischen Sprachzentrums gar 
nicht mehr sprechen können, wobei es nicht ausgeschlossen wäre, daß 
er es allmählich auf dem Wege BM wieder lernen könnte. Er be- 
fände sich dann in Bezug auf die Sprache eben in der Lage eines 
von Geburt Tauben, die akustischen Wortbilder wären ihm verloren 
gegangen. 

Die Folgen der isolierten Unterbrechung der Bahn BM, also die 
Symptome der transzentralen motorischen Aphasie lassen sich aus 
einer Betrachtung der Psychologie des Sprechens allein nicht auf- 
stellen. Wenn wir erwähnten, daß dem Sprechen die innere Repro- 



sag 



Xviil. Die Bomcbe und die Aphuie. 



duktion des Klangbildes vorangeht, so folgt daraus allerdings, daS 
auf der Bahn S B nicht nur Impulse von dem Wortklangzentrum zu 
der Begrifl'srinde, sondern auch solche von der Begriffsrinde zum 
Klangbildzenlrum gehen, bezw, daß man diese Bahn in zwei Anteile 
zerlegen muß, von denen der eine zentripetal, der andere zentrifugal 
leitet, aber es ist keineswegs auszumachen, daß das im Wortklang- 
zentrum spontan hervorgerufene Wortklangbild nun auch weiter zum 
motorischen Sprachzentrum willkürlich auf der Bahn SM transportiert 
werden könnte. Das spontane Sprechen könnte viel komplizierter sein 
und schließlich doch nicht nur der Bahn B S, sondern auch der Bahn ' 
BM bedürfen. 

Wenn wir nun endlich nach der khnischen Beobachtung fragen, 
80 widerspricht zunächst das als klassisch geltende Bild der Wee- 
NlOKEschen sensorischen Aphasie unserer psychologisch 
abgeleiteten Folgerung, daß die Zerstörung des sensorischen Sprach- 
zentrums das Spontansprechen einschränken und nur in dem Maße 
erlauben würde, als eine Hervorrufung des Wortklangbildes entbehrt 
werden könne. Als klassische Folge der Zerstörung des sensorischen 
Wortzentrums für die Expressivsprache gilt vielmehr die Wori- 
verwechslung bei völlig oder fast völlig erhaltenem 
Sprachschatz. Diese Paraphasie kann so hochgradig sein, daß 
die Sprache der Kranken den Eindruck eines unverständlichen Kauder- 
welsch macht, und oft schon sind Leute, weiche von einer Apoplexie 
mit einer zur „Jargonaphasie" führenden Zerstörung betroffen wurden, 1 
als plötzlich geisteskrank geworden, einer Irrenanstalt überwiesen \ 
worden. 

Daß also das WERNiCKEsche Krankheitsbild, Vernichtung des 
Wortverständnisses, Unmöglichkeit nachzusprechen, und paraphasisches 
Spontan sprechen, nicht einmal ein sehr seltenes ist, soll natürlich nicht 
bestritten werden. Wenn aber Wernicke annimmt, daß die falsche 
Wortwahl durch den Ausfall einer durch das sensorische Sprachzentrum 
über das motorische unbewußt ausgeübten Kontrolle entstehe, so ist 
uns ein solcher Mechanismus völlig unverständlich. Allenfalls würden 
wir einsehen können, daß einzelne Worte durch den Mangel einer 
solchen Kontrolle schlecht herau-skommen, verstümmelt oder mit un- 
richtigen Buchstaben durchsetzt würden . was man als Htterale 
Paraphasie bezeichnet, warum aber ganz falsche Worte sowohl in der 
spontanen zusammenhängenden Rede, wie bei der Aufforderung, ein- 
zelne Gegenstände zu benennen, bei korrekter Aussprache innerviert 
werden, ist uns ebensowenig begreiflich, wie wir es nicht begreifen 
würden, wenn ein Taubstummer falsche Worte wählen würde. 

In der Tat glauben wir nicht, daß, solange verbale Paraphasie 
besteht, das sensorische Wortzentrum ganz zerstört ist, und wir haben 
daran zu erinnern, daß die WERNioKESche Stelle, nach deren Zer- 
störung am häufigsten die Paraphasie beobachtet wird, nur mehr als 
eiu Teil des sensorischen Sprachzentrums angesehen werden kann. Wir 
glauben, daß, solange Paraphasie vorhanden ist, Wortklangbilder 
innerviert werden, aber unrichtige Wortkiangbilder, und daß das ■ 
falsche Wort nur sekundär dem falschen Wortklangbild folgt. 

Für den Mechanismus der Paraphasie haben wir das beste und 
allgemein gekannte Analogen in dem „Versprechen", das ja atich in ' 
der Breite des Gesunden vielfach vorkommt, und von dem man mit 1 
Recht die pathologische Paraphasie als eine krankhafte Steigerung an- j 




Paraphasie. 333 



sehen kann. Ein jeder weiß, daß man sehr häufig besonders Per- 
sonen, überhaupt Eigennamen, „verquatscht'', wie man in Berlin sagt; 
man bringt ein lautlich, besonders häufig in den Vokalen, dem ge- 
suchten Worte ähnliches, aber doch nicht den exakten Namen heraus. 
In einer Reihe von Fällen kann man dann ohne weiteres durch Selbst- 
beobachtung feststellen, daß es sich nicht um eine motorische Ver- 
fehlung handelt, sondern daß das gesuchte Wortklangbild nicht auf- 
tauchen will. Wer hat noch nicht erlebt, wie eine ganze Gesellschaft 
sich über einen gesuchten Namen den Kopf zerbricht, die einen finden 
ihn gar nicht, andere bringen mehr weniger ähnliche, manchmal auch 
ganz unähnliche Buchstabenzusammenhänge, dabei sind die einen ganz 
sicher, daß das von ihnen gegebene Wort das richtige ist, die anderen 
sind zweifelhafter und fühlen die Unrichtigkeit, besonders dann, wenn 
sie das ihnen vorschwebende Wort laut ausgesprochen haben. End- 
lich wird dann von einem der korrekte Name gefunden und wird 
dann gewöhnlich als der gesuchte allgemein rekognosziert. 

In der Tat sind alle diejenigen, die falsche Worte bringen, im 
eigentlichen Sinne des Wortes paraphasisch, und zwar durch Auf- 
tauchen falscher Wortklänge, die so falsch wie sie entstehen, motorisch 
nachgeahmt werden. In unserer Gesellschaft sehen wir auch bereits 
Differenzen in der Schärfe der Kritik, welche der Richtigkeit der auf- 
tauchenden Wortklangbilder entgegengesetzt wird. Den höchsten Grad 
der Kritik finden wir bei denen, die die auftauchenden Wortklang- 
bilder sofort als falsch verwerfen und schweigen. Diese bieten durch- 
aus das Bild der „amnestischen Aphasie''. Die Rekognoszierung des 
richtigen, einmal ausgesprochenen Wortes kann bei der Wernicke- 
schen Form der sensorischen Aphasie nicht statthaben, weil die von 
ihr Betroffenen worttaub sind, aber auch diesem Symptom der richtigen 
Rekognoszierung werden wir bei Abarten der sensorischen Aphasie 
noch begegnen. Jedenfalls dürfte eins ganz sicher sein, daß die Findung 
seltener Worte eine Leistung des sensorischen Sprachzentrums ist, 
und daß sowohl ihre Aufhebung wie ihre Fehler durch ein Versagen 
des sensorischen, nicht des motorischen Sprachzentrums und auch 
nicht durch den Ausfall einer wie immer gearteten Kontrolle des sen- 
sorischen über das motorische Sprachzentrum erklärt werden muß. 

Was nun bei seltenen Worten und Eigennamen leicht durch die 
Selbstbeobachtung festzustellen ist, daß das akustische Auftauchen des 
Wortes primär ist, und daß ohne Wortklangbild überhaupt nicht, auch 
nicht falsch, falsch nur nach falschen Wortklangbildern gesprochen 
werden kann, nehmen wir überhaupt für die Mehrzahl aller Worte an. 
Dem Normalen stehen sie freilich mühelos zur Verfügung, so daß er 
der akustisch-sensorischen Vorbereitung des gesprochenen Wortes sich 
gar nicht bewußt wird. Der cortical völlig sensorisch apha- 
sische besitzt aber die Mehrzahl der Worte überhaupt 
nicht mehr. Das glauben wir auch aus eigenen klinischen Beobach- 
tungen schließen zu können, wo sicherlich sensorisch, nicht motorisch, 
Aphasische nur wenige Worte und zwar charakteristischerweise Worte 
ohne jeden konkreten Eigenwert, vielmehr nur Füllworte, Adverbien und 
wenigbesagende Floskeln, die aber doch sinngemäß angewendet wurden, 
zur Verfügung hatten, wie „Ja", „Nein**, „Wie?" „Was soll ich denn 
tun", „Ich wollte nur sagen, daß", „Es wird doch noch mal besser 
werden" und ähnliches. Sobald ein bestimmter Inhalt ausgedrückt 
werden soll, verstummen diese Patienten. Von diesen kleinen Füll- 



XVIIL Die Sprache und die Aphude. 



Worten glauben wir allerdings, daß sie auf der Bahn BM ohne Vor- 
bereitung durch BS gebildet werden können. Ihre Zahl scheint in- 
dividuell sehr verschieden. Bei einem unserer Kranken glaubten wir 
schließen zu müssen, daß sämtliche Zahlen ohne sensorische Vorbereitung 
gesprochen werden konnten, aber das ist keine ausnahmslose Regel. 

Sobald verbale Paiaphasie auftritt, ist das für uns ein Zeichen, daß 
die Wortklangbilder nicht etwa fehlen, sondern daß falsche Wort- 
klangbilder auftauchen, daß also das sensorische Wortzentrum 
nicht völlig zerstört, in seinem Gefüge aber schwer erschüttert ist, wie 
ein Haus, dessen Mauern, Gänge und Treppen zum Teil geborsten und 
unwegsam geworden sind. Wir können auch in einer Anzahl von 
Fällen nachweisen, wie die freie Zirkulation in diesem Gebäude des 
sensoriscben Wortzentrums behindert ist. Das Verwechseln der Worte 
ist zum Teil durch ein Haftenbleiben bedingt. Das kann so weit 
gehen, daß ein Kranker, der eine Schere richtig als solche bezeichnet 
hat, nun eine halbe Stunde oder noch länger alle ihm gezeigten 
Gegenstände als Schere bezeichnet, nicht natürlich, weil er das Ding 
nicht erkennt, auch nicht, weil er nicht Messer oder Löffel artikulieren 
könnte — denn er kann es eine Stunde später — , sondern weil 
immer das Wortklangbild „Schere" in ihm wieder auftaucht: also 
Paraphasie durch Haftenbleiben. 

Sehr häufig ist dieses Haftenbleiben beim Versuch der freien 
Rede'), wo es ja auch in der Breite des Gesunden schon auftritt; 
insbesondere wenn man sehr schnell sprechen will, tauchen nicht die 
gerade vorhergehenden, sondern auch weiter zurückliegende, von dem 
Redner gesprochene Worte häutig störend wieder auf. So hat Stransky 
bei einer Reihe normaler Personen, denen er den Auftrag gab, mög- 
lichst schnell und bei möglichst entspannter Aufmerksamkeit in einen 
Phonographen zu sprechen, ein sehr starkes Haftenbleiben und Wieder- 
auftauchen der einmal gesprocheneu Worte konstatiert. Wir selbst 
haben festgestellt, daß das noch viel starker hervortritt bei Leuten, 
die auch nur Spuren von sensorischer Aphasie haben, und in den 
ausgesprochenen Fällen von Paraphasie ist das Haftenbleiben auch 
bei langsamer Rede wohl kaum jemals zu vermissen. 

Ein anderes Heispiel für die Entstehung der Paraphasie gibt gut 
die folgende Beobachtung. Wir hatten uns neben einen Kranken ge- 
setzt, hatten Papier und Bleistift herausgezogen, um Notizen zu 
machen, und forderten ihn nun auf, die Zeit nach der ihm gezeigten 
Uhr abzulesen; er sagte „zwei Stift", und immer wieder tauchte das 
Wort Stift in seinen Reden auf. Sicherlich hatte der Bleistift mit 
seiner Vorstellung auch das Wortklangbild „Stift" unwillkürlich her- 
vorgerufen, der motorische Impuls zum Sprechen fand das Wortklang- 
bild „Stift" vor und brachte es zum motorischen Ausdruck. So fiber- 
tragen sich alle möglichen Vorstellungen und Begriffe dem Krauken 
ganz unbewußt in Wortktangbilder. Eine Vorstellung löst eine andere 
aus, diese kann dann wieder ihr akustisches Wortbild erzeugen, so 
daß wir dann häuhg eine gewisse Beziehung zwischen dem benannten 
und dem gemeinten Gegenstand erkennen, z. B. wenn ein Kranker 

1) Sensoriach AphaaiHche leigeti sehr häufif; einea Rbnormeo Redcdrang, wcmut 
Pick beeoaderea Wf^rt j^legt hat. Ee kommt iedcM;h auch gerade dax Umgekehn« 
vor, und jedenfalla scheint uns gar kein Ankß, von einer Hemmung des motoriwbdi 
Öprachr-entrums durch das sensorische lu sprechen. Die EiitBlehnng des B«i»- 
dnuige« dürfte auf viel koraplizierteren Ursachen beruhen. 



I 





HafteDbIdben. 335 



für ein Stück Papier ^Lokalanzeiger^ sagt. Das Papier hatte die 
Association der so heißenden Zeitung hervorgerufen, dem Kranken 
vielleicht ganz unbewußt, und sofort hatte das Wortklangbild sich 
daran angeschlossen. Aus der Lehre von den Associationen weiß 
man, daß nicht selten das Gegenteil der erregten Vorstellung auf- 
taucht; die Uebertragung dieser Gegenvorstellung auf die Sprache 
mag man annehmen für den Fall, in welchem ein Kranker mit dem 
Ausdruck offenbarer Dankbarkeit, und die Hand des Arztes streichelnd 
diesen „Sie Lausejunge'' tituliert. Während der Gesunde, der über 
ein in seinen inneren und äußeren Verbindungen intaktes sensorisches 
Sprachzentrum verfügt, durch Prozesse höherer Art, die wir hier nicht 
zu verfolgen haben, Ordnung in dieses Chaos der auf verschiedenen 
Wiegen angeregten Wortklangbilder bringen kann, ist der Paraphasische 
dazu nicht fähig. Aus den oben gegebenen Beispielen mag man er- 
sehen, wie kompliziert die Entstehung eines paraphasischen Kauder- 
welsch im Einzelfall sein wird. Meist können wir durchaus nicht 
sagen, wie es im einzelnen zu stände kommt, und nur im Prinzip 
werden wir annehmen müssen, daß erstens bewußte oder un- 
bewußte Vorstellungen und Begriffe Wortklangbilder 
oderTeile von solchen anregen, und daß zweitens diese 
Wortklangbilder übermäßig lange persistieren, un- 
gerufen wieder auftauchen, und von dem Kranken nicht 
zu beseitigen sind. So entsprechen denn die Worte 
des Kranken in keiner Weise mehr dem, was er aus- 
drücken will. 

Wenn wir nun annehmen, daß sich die paraphasischen Aeußerungen 
partiell sensorisch Aphasischer auf falsche Wortklangbilder beziehen, 
so bedeutet das zu gleicher Zeit, daß sich die motorische In- 
nervation der Sprache, die Bahn BM, von dem Klang- 
bild des Wortes nicht unabhängig machen kann. Es ist 
das ganz begreiflich; man versuche nur einmal, die Wortklangvor- 
stellung eines Wortes in sich zu wecken, und dabei ein anderes zu 
sprechen. Man braucht keineswegs immer an das zu denken, was 
man spricht, man kann z. B. beliebige optische Vorstellungen in sich 
wecken und dabei Worte produzieren, die mit dieser Vorstellung gar 
nichts zu tun haben, nur eins ist — das lehrt die einfachste Selbst- 
beobachtung — unmöglich, dem Wortklangbild disparate Worte zu 
produzieren. Man kann sich ein Pferd vorstellen und dazu cheval 
oder Pferd sagen, aber man kann niemals das Wort Pferd aussprechen, 
wenn das Wortklangbild cheval innerlich erklingt, und umgekehrt. 
Wortklangbild und Wortbewegungsbild sind zwangs- 
mäßig miteinander verbunden. Diesem Satz widerspricht 
auch nicht die Fähigkeit, über eine Reihe von Wortklangbildern von 
vornherein zu disponieren, eine Fähigkeit, auf der die Möglichkeit der 
Satzbildung und der freien Rede beruht. 

So glauben wir deutlich gemacht zu haben, wie wir uns das 
Zustandekommen der Paraphasie bei der WERNiCKEschen Aphasie 
erklären, aus der Erhaltung eines Teiles des sensorischen Wort- 
zentrums. Wenn trotzdem bei der WERNiCKEschen Aphasie völlige 
Worttaubheit besteht, so beruht das unserer Anschauung nach darauf, 
daß neben der teilweisen corticalen Zerstörung eine totale subcorticale 
sensorische Aphasie besteht. Die WERNiCKEsche Aphasie ist unserer 



Auffassung nach eine subcorücale, kombiniert mit einer partielleal 
corticaien sensorischen Aphasie. 

Wenn wir also auf die Frage uun eine Antwort geben sollen, 
wieweit das sensorische Sprachzentrum die motorische^ 
Sprache beeinflußt, so würden wir uns folgendermaßen ' 
zusammenfassen: Daß eine artikulierte Sprache ohne Wortklang- 
bilder, also ohne sensorisches Sprachzentrum möglich ist, beweist die 
Sprache des unterrichteten Taubstummen. Der Vollsinnige aber, der 
durch Nachsprechen die Sprache gelernt hat, ist in seinem motorischen 
Ausdruck von den Wortklangbildern in zweierlei Weise abhängig, erstens 
kann er ohne Wortklangbilder, also nach Zerstörung des sensorischen 
Sprachzentrums, nur eine sehr kleine und individuell verschiedene An- 
zahl von Worten sprechen, diese allerdings sinngemäß verwenden, 
zweitens ist aber die motorische Sprache, solange überhaupt noch Wort- 
klangbilder entstehen, von diesen derart abhängig, daß zwangsmäßig 
das gerade erklingende Wortklangbild auch motorisch gebildet — also 
ausgesprochen wird — soweit überhaupt gesprochen wird. Durch 
nicht näher definierbare Schädigungen des inneren Geföges und teil- 
weise Zerstörung des sensoriscfaen Sprachzentrums kann es zur Bil- . 
düng von Wortklangbildern kommen, welche der Absicht des Sprechendea J 
nicht entsprechen. Wenn nun diese falschen Wortklangbilder moto-1 
risch nachgebildet werden, entsteht das Symptom der Paraphasie. " 

Mit der Zerstörung des sensorischen Sprachzentrums S sind 
natürlich auch die Bahnen S B und S M unterbrochen. Wir haben 
uns jetzt zu fragen, welche Symptome die Zerstörung dieser 
Bahnen bei Erhaltung des Zentrums selbst macht. Soviel geht ja 
unmittelbar aus dem Schema hervor, daß die Unterbrechung der 
Bahn SB das Verständnis des Gehörten aufheben muß, da sie die 
Verbindung des Wortklangbildes mit der BegrifFsrinde darstellt. Wenn 
wir aber das innere Erklingenlassen der Wortklangbilder als einen 
unumgänglichen Faktor beim Spontansprechen erkannten , so kann 
dieses innere Erklingenlassen nur auf dem Wege von B zu S geleistet 
werden. Die Hervorrufung des akustischen Wortbildea ist im Prinzip 
durchaus gleich der des motorischen. Um die in zweierlei Kichtung sich 
vollziehende Funktion der tranezentralen Eensortschen Bahn SB zu be- 
zeichnen, haben wir sie zweckmäßig in zwei Teile zu zerlegen, die wir 
als katazentrale in der Richtung B. und als anazentrale in der 
Kichtung S leitende bezeichnen wollen (vergl. Fig. 78). Wir glaaben 
nicht, daß dieselbe Faser katazentral und anazentral leiten kann, vir 
glauben andererseits nicht, daß die beiden notwendigerweise zu suppo- 
nierenden Bahnen praktisch anatomisch scharf getrennt verlaufen, so daS 
ein Herd entweder die eine oder die andere zerstören könne, aber 
bestehen müssen diese beiden Bahuen, und wir glauben auch klinische 
Beweise für ihr Bestehen zu haben. Wenn dem Sprechen, wie wir uns 
erinnern, die Wortfindung vorausgehen muß, und diese die Findung des 
akustischen Wortklangbildes ist, so kann man in diesem Sinne <lie Bahn 
B — S als Bahn der Wortfindung bezeichnen. Wäre bei ihrer 
Unterbrechung die Bahn S — B als Bahn desWortverständnissea 
intakt, so müQten also die Worte spontan nicht zur Verfügung stehen, 
aber, von anderen ausgesprochen, gehört, verstanden, d. h. mit dem 
zugehörigen Begriffe gedeckt werden. Selbstverständlich müßte der 
Nachweis geliefert sein, daß das Wort artikulatori-sch gebildet werden 
kann, was durch das Erhalten bleiben des Nachsprechens schon ge- 





Transzentrale seDsoriBche Aphasie. 337 



wohnlich gelingt. Nun, diese Form der Aphasie gibt es, sie ist seit 
Alters her alsamnestischeAphasie bekannt. Daß überhaupt keine 
Wortklangbilder mehr gefunden werden können, kommt wohl aller- 
dings, solange das sensorische Sprachzentrum selbst intakt ist, nur 
vorübergehend und dann immer mit schweren Störungen des Wort- 
verständnisses, also der Bahn S~^B vor. Nicht allzu selten ist es 
aber, daß alle selteneren Worte und sogar alle Substantive nicht ge- 
funden werden können. Daß der Begriff in solchen Fällen intakt ist, 
sieht man daraus, daß der Kranke manchmal das fehlende Wort um- 
schreibt; so sagte ein Kranker Bergmanns für Schere „das womit 
man schneidet^; und daß das Wortklangbild vorhanden und sogar 
mit der Begriffsrinde durch die Bahn S-*B in Verbindung ist, folgt 
daraus, daß das Wort, das der Patient nicht findet, sofort rekognosziert 
wird, wenn es ein anderer ausspricht. Ja, es gibt Kranke der Art, 
welche derart eine sehr feine Differenzierung des Wortwertes bekunden. 

Diese amnestische Aphasie hat englische Forscher zur Annahme 
eines besonderen „Benennungszentrums^ geführt, die nicht geteilt 
werden kann. Wenn Mills ein Benennungszentrum in der zweiten 
und dritten linken Schläfenwindung annimmt und diese Lokalisation 
durch einen Sektionsbefund zu stützen versucht, so würden wir aus 
dieser und aus einer Beobachtung von G. Wolff schließen, daß im 
Mark der zweiten und der dritten Schläfenwindung ein gut Teil der 
von uns angenommenen anazentralen sensorischen Bahn gelegen ist. 

Man hat die Bahn der Wortfindung ihrem Ursprung nach in 
verschiedene Teile zerlegen wollen, indem man annahm, daß das 
Sprachfeld durch direkte Bahnen (also Teile unserer Bahn B-^S) mit 
den Sinnesfeldern der Rinde verbunden sei, und daß insbesondere 
die Bahn von der Sehsphäre zum Sprachzentrum isoliert unterbrochen 
sein könne. Ein Gegenstand sollte in diesem Falle dann zwar optisch 
erkannt, aber erst benannt werden können, wenn er durch einen der 
Sinne, deren zentrale Endstätten auf der Rinde mit dem Sprach- 
zentrum noch verbunden seien, identifiziert worden sei, z. B. ein 
Schlüssel würde zwar durch das Auge als Schlüssel erkannt werden 
können, der Name Schlüssel aber erst gefunden werden, wenn er auch 
durch den Tastsinn erkannt wäre. G. Wolff hat jedoch mit Recht 
betont, daß diese optische Aphasie Freunds niemals bewiesen 
worden ist, daß vielmehr in allen Fällen, wo etwas ähnliches beobachtet 
worden ist, das Fehlen der Bezeichnung sich vielmehr auf ein mangel- 
haftes Erkennen des Gegenstandes zurückführen lasse. In der Tat 
erweckt ja der Anblick eines Gegenstandes wohl immer nicht nur die 
optische Vorstellung, sondern die Sachvorstellung, den Begriff des 
Gegenstandes ; dieser ist sicherlich nicht an die Grenzen einer zirkum- 
skripten Sinnessphäre gebunden, und so erklärt es sich schon aus 
psychologischen Voraussetzungen, daß selbst, wenn isolierte Verbin- 
dungen der Sprachregion beständen, deren Zerstörung doch niemals 
den Verlust einer bestimmten Form der Namensfindung zur Folge hat. 

Weit eher als die Fälle angeblicher optischer Aphasie würden 
sich als partielle Formen der transcorticalen sensorischen Aphasie die- 
jenigen Fälle deuten lassen, welche von Worten nur oder fast nur 
Liedertexte und diese nur in der entsprechenden Melodie finden 
(Falret). Das Wort wird hier nur associativ vom Ton aus und in 
der richtigen Ton- und Wortfolge gefunden. „Am Brunnen vor dem 
Tore" wird gesungen, kann aber nicht ohne Melodie gesprochen wer- 

Lewandowsky, Funktionen d. zentralen Nervensystems. 22 



N 



and auch ein wirklicher Bmnnen oder ein wirkliches Tor kann 
nicht bezeichnet werden. Es besteht also in diesen seltenen Fällen 
eine Verbindung des Sprachfeldes nur noch mit der musikalischen 
Sphäre, nicht mehr mit den übrigen Teilen der Großhirnrinde. Da- 
gegen ist nicht auszumachen, ob diese Verbindung zuerst zum seu- 
sorischen Wortzentrum führe, oder ob nicht hier einfach die Verbin- 
dung des motorischen Teiles der Sprache, einer gewissen Artikulation, 
mit einer gewissen Tonfolge vorliegt. Wenn, wie wahrscheinlich, dieser 
letzte Fall vorliegt, so würden diese Formen also in den Erscheinnngs- 
komplex nicht einer transzentralen sensorischen, sondern transzentraleo 
motorischen Aphasie sich einfügen. 

Wenn die Bahn B— S die der W^ortfindung, S — B die des Sprach- 
verständnisses ist, so müßte man, als Gegenstück der amnestischen 
Aphasie durch Zerstörung der Bahn B—S, eine Behinderung oder 
Aufhebung des Sprach Verständnisses bei erhaltener richtiger Wort- 
findung bei Zerstörung von S-'B erwarten. Es würde also der gleiche 
Symptomenkomplex wie bei subcorticaler sensorischer Aphasie be- 
stehen, aber nach dem Schema müßte das Nachsprechen erhalten sein. 
Diese Form kommt aber klinisch nicht vor, ohne daß nicht neben dem 
gestörten Nachsprechen noch eine erhebliche Störung der Wortfindung 
im Sinne einer Paraphasie sich fände, und das erscheint ganz ver- 
ständlich. Denn wenn auch die Bahn B— S Wortbilder finden hülfe. 
so würde die Findung der richtigen dem Begriff entsprechenden 
Wortbilder der Kontrolle der Worlbilder durch den Begriff, also der 
Bahn S-*B bedürfen. Die mangelnde Kontrolle der Wortbilder durch 
den Begriff ist »bereits von Lichtheim als eine Ursache der Para- 
phasie angesprochen. Die Unterbrechung unserer katazentralen Bahn 
erklärt uns so nicht nur zum Teil die Paraphasie, sondern auch die 
Kritiklosigkeit der Kranken gegen ihr Kauderwelsch, Für die Kritik 
müßte wohl die Bahn S— B erhalten sein. Die richtige Wahl des 
Wortes wäre also zu verstehen als ein Vergleichen, Verwerfen und 
Bestätigen der auf dem Wege B S wachgerufenen Wortklangbilder auf 
dem Wege SB. 

Bei der Rückbildung transzentraler sensorischer Aphasien beob- 
achtet man ein bemerkenswertes Symptom, die Verminderung der 
verbalen Merkfähigkeit. Darunter ist zu verstehen die Fähigkeit, 
eine Reihe von Worten oder Silben dem Laut nach zu merken und zu 
wiederholen. Es ist soviel sicher, daß diese Fähigkeit eine lokale 
Leistung des sensorischen Sprachzentrums und seiner trauszentralen 
Verbindungen ist. Es handelt sich wohlverstanden nicht um die Fähig- 
keit, einen Begriff oder eine Vorstellung festzuhalten, und nun von 
ihnen aus willkürlich das dazugehörige Wort zu innervieren. Es 
gibt Patienten, die sich optische Bilder, z. B. Spielkarten, nach kurzer 
Expositionszeit tagelang merken können, um dann, soweit es ihre 
Sprachfindung überhaupt gestattet, auch von diesem gemerkten Begriff 
aus das entsprechende Wort zu innervieren, die aber versagen, sobald 
man ihnen die Aufgabe stellt, einige sinnlose Silben, die begrifflich nicht 
gemacht werden können, sondern lautlich gemerkt werden müssen, 
zu wiederholen. So geht dann mit dem Gedächtnis fOr die alterworbenen 
und befestigten Eindrücke auch die Merkfähigkeit — das Wort wurde 
in diesem besonderen Sinne zuerst von Wgrnicke gebraucht — für 
'erloren. Die Lehre von der Sprache gibt uns den anschaulichsten 
"■ * ' das Gedächtnis und die Merkfilhigkeit des Individuums 





Merkfähigkeit Nachsprechen. 339 



keine einheitliche Funktion ist, sondern daß es spezifische Zentren 
spezifischer Gedächtnisarten gibt, so falsch es wäre, besondere Ge- 
dächtniszentren im Gegensatz zu Wahrnehmungszentren anzunehmen. 
Es wirft diese Tatsache auch ein Licht auf die Entwicklung spezifischer 
Begabungen, wie der musikalischen, von denen ja bereits Gall an- 
genommen hatte, sie seien an spezifische Regionen der Hirnrinde 
geknüpft 

Wenn wir den Vorgang des Merkens noch etwas umschreiben, 
so ist es leicht, seine Beziehung zur transzentralen Leitung darzulegen. 
Wenn wir dem Gesunden oder dem Kranken eine Silbenfolge zurufen, 
so genügt es natürlich nicht, daß die entsprechenden Lautbilder in 
seinem sensorischen Zentrum entstehen, um dann gleich wieder zu 
verschwinden. Das würde wohl auch der Fall sein, wenn das sen- 
sorische Zentrum von allen seinen transzentralen Verbindungen gänz- 
lich abgesperrt wäre. Die Merkfähigkeit im gewöhnlichen Sinne des 
Wortes hat unzweifelhaft die Fähigkeit des Individuums zur Voraus- 
setzung, den einmal gehörten Wortklang wiederzuerkennen. Wie sollten 
wir die Merkfähigkeit anders prüfen, als durch die nach wechselnder 
Zeit an die Versuchsperson gerichtete Frage, ob dieser oder jener 
Wortklang mit dem vor einiger Zeit gehörten übereinstimme oder 
nicht. Dieses Wiedererkennen aber ist ein psychischer Prozeß, den 
wir nicht mehr dem isolierten sensorischen Sprachzentrum, sondern 
nur dem Individuum als ganzem zutrauen können. Es läßt sich die 
Annahme nicht umgehen, daß auch, wenn wir ein Wortklangbild nur 
als solches nicht im Zusammenhang mit einem Begriff festhalten* 
wollen, dazu doch ein gewisses Maß transzentraler Leitung und trans- 
zentraler Verbindungen erforderlich ist. Wenn man den Vorgang des 
Wiedererkennens noch weiter zerlegt, so wird man es sogar wahr- 
scheinlich finden müssen, daß er nur durch eine innere Reproduktion 
des früher Gehörten möglich sei. Es muß erstens das früher gehörte 
Wortklangbild noch persistieren, aber, es muß mit anderen, innerlich 
erklingenden und erweckten verglichen werden können. Das wird 
aber nur durch die anazentrale Bahn B-»-S geschehen können. Wenn 
wir nur ein wenig auf das psychologische Detail des Sprachvorganges 
eingehen, sehen wir überall, daß auch die kompliziertesten anatomisieren- 
den Schemata nur als eine Form dienen können, deren Inhalt nicht 
dadurch zu erschöpfen ist, daß man das Wort, wie ein Packet auf 
präformierten Wegen hin und her schickt, und daß man sich in der 
Tat den einen Weg gar nicht unabhängig von dem anderen vor- 
stellen kann. 

Die Merkfähigkeit ist noch in anderer Beziehung interessant. 
Wir prüfen sie ja im allgemeinen nicht, indem wir den Patienten 
fragen, ob er dieses oder jenes Wort wiedererkenne, sondern indem 
wir ihn auffordern, diese Worte zu wiederholen. Nun gibt das 
WERNiCKE-LiCHTHEiMsche Schema dem Nachsprechen eine be- 
sondere Bahn. Ist das Nachsprechen aber nun wirklich 
eine besondere Funktion? Sicher ist zunächst, daß Worte 
nachgesprochen und gemerkt werden können, ohne daß deren Sinn 
verstanden wird, wie Worte einer unbekannten Sprache vom Ge- 
sunden oder auch Worte der Muttersprache von Aphasischen, oder 
beim Sprachenlernen vom Kinde. Aber auch dieses einfache Nach- 
sprechen ist doch deutlich willkürlich. Im allgemeinen braucht 
weder ein Kind, noch ein Aphasischer, noch ein fremder Sprache Un- 

22* 



340 



XVIIL Tue Sprache uad die Aphaüe. 



kundiger Worte nachzusprechen, wenn er nicht will. Wenn 
sich den Vorgang noch weiter zerlegt, so wird man vielleicht finden, 
daß man das gehörte Wortklangbild noch einmal akustisch nachahmt, 
wieder hervorruft und dann motorisch innerviert; der Vorgang des 
Nachsprechens unterscheidet sich von dem Spontansprechen also nur 
dadurch, daß auf das Sprachverständnis verzichtet wird. Zweitens 
verlangt man nicht nur, daß ein Vorgesprochenes wiederholt, sondern 
auch ziemlich schnell wiederholt wird. W^enn wir jemandem ein Wort 
vorsprechen, und der wiederholt es nach einer Stunde oder gar nach ■ 
24 Stunden, dann neuncn wir das nicht mehr Nachsprechen, und j 
doch handelt es sich hier nur um einen quantitativen Unterschied 
gegenüber dem eigentlichen Nachsprechen. So sind denn auch alle 
Autoren, die sich überhaupt darüber Gedanken gemacht haben, in 
rechter Verlegenheit gewesen, was man als Nachsprechen bezeichnen 
solle und was nicht. Wernicke spricht von einem Nachsprechen , 
„auf Anhieb'^ gegenüber einem Nachsprechen auf Geheiii. Will maa . 
mit der Sekundenuhr zählen? I 

Mau hat auf die Echolalie hingewiesen als Typ des Nachsprechens, 
jenes fast unwillkürliche Wiederholen gehörter Silben, welches wir 
manchmal bei Kranken linden. Ohne geistige Störung dürfte aber 
Kcholalie auch bei Aphasischen überhaupt nicht vorkommen, wie wir 
sie denn bei gewissen Geisteskranken (Katatonikern, Idioten) auch 
ohne spezielle Störung des Sprachapparates finden. Eine gelegent- 
liche Echolalie, d. h. ein unwillkürliches Aufnehmen gehörter Worte 
in ein paraphasisches Kauderwelsch ist auch bei Aphasischen aicfat 
selten, aber es erklärt sich das als ein Haftenbleiben eines Wort- 
klangbildes nach Analogie der anderen Arten des Haftenbleibens. 
Das Wiederholen der letzten Worte eines Satzes in Frageform, das 
man auch hierher gebracht hat, erklärt sich einfach als eine Störung 
der MerkfShigkeit des Kranken, der die ersten Worte des Satzes nicht J 
mehr im Gedächtnis hat, und nun verlegen die letzten Worte wieder- 1 
holt. In den klinischen Fällen, in denen die Erhaltung des Nach- ^ 
Sprechens als ein Zeichen transzentraler Störung beschrieben worden 
ist, handelt es sich auch gar nicht um Echolalie, um ein zwangs- 
mäßiges Nachsprechen, sondern es handelt sich um die Fälligkeit 
willkürlich nachzusprechen, nach unserer Meinung einfach um die 
leichteste Form des willkürlichen Sprechens, da die Aufgabe der J 
Wortfindung wegföllt, dem Kranken vielmehr nur zugemutet wird, I 
ein von außen angeregtes und noch nachballendes Wortklangbild zu 1 
reproduzieren. Eine besondere Leitungsbahn hierfür lehnen wir ab, 
wir verlangen vielmehr auch für das Nachsprechen eine transzentrale 
Leitung, aber allerdings ein Minimum transzentraler Leitung (das haben 
wir in Fig. IS durch die das Gebiet von B eben berührende Bahn k 
anzudeuten versucht. Diesem Standpunkt entspricht es denn auch, daß 
in Fällen von Aphasie — sofern nur die subcorticale Leitung intakt ist — 
immer zuerst das Nachsprechen sich restituiert. Auch sind Fälle von 
Verlust des Nachsprechens bei Erhaltung des Spontansprechens und des j 
Sprachverständnisses dementsprechend so gut wie nie beobachtet worden^ ■ 
so daß, wie erwähnt, selbst Wernigke die Leitungsap hasie durch! 
Unterbrechung von SM aufgegeben hat^), und Bleuler das Nach- 1 



I iae l 




Transzentrale motorische Aphasie. 341 



sprechen auf dem Umweg über B erfolgen ließ, da auch erhebliche 
Zerstörungen der Insel, die doch vor allem geeignet sein sollten, die 
Verbindung zwischen Temporallappen und motorischem Sprachzentrum 
zu unterbrechen, nicht zu einer Aufhebung des Nachsprechens führen. 
Abweichend von Bleuler glauben wir wiederum, daß die Annahme 
eines Umweges über B die Sache wieder zu sehr schematisiert. Psy- 
chologisch haben wir anzuerkennen, daß ein besonders enger, ja 
zwangsmäßiger Zusammenhang zwischen Wortklangbild und moto- 
rischer Sprachbewegung besteht, aber daß dieser Zusammenhang sich 
auch schon beim Spontansprechen kundgibt und überhaupt durch 
das spontane willkürliche Moment erst nach außen sichtbar werden 
kann. Dieser willkürliche Faktor mag beim Nachsprechen am wenig- 
sten bemüht werden, aber ohne ihn, das heißt ohne B, gibt es auch 
kein Nachsprechen. Diese völlige Absperrung der Sprachregion 
oder auch nur eine völlige Absperrung des sensorischen Sprach- 
zentrums von B würde auch das Nachsprechen aufheben, und tut es 
auch, wie wir nach eigenen klinischen Beobachtungen schließen; ein 
Minimum der Restitution dieser Leitung genügt, um es wiederherzu- 
stellen. 

Es ist gewiß schade, daß die klinischen und psychologischen Tat- 
sachen sich nicht in ein in wenigen Strichen zu zeichnendes Schema 
einzwängen lassen, aber es ist doch wohl besser, die Vertiefung und 
Differenzierung unseres Wissens ins Auge zu fassen, als mit Leich- 
tigkeit über die schwierigen Punkte hinwegzugleiten, nur damit das 
Schema schließlich recht behält. Wenn das Schema der Ariadne- 
faden ist, der uns durch das Labyrinth führt, so haben wir uns zu 
hüten, den Faden für das Labyrinth selbst zu nehmen. 

Daß in dieser Beschränkung seines Wertes das Schema keineswegs 
unnütz ist, lehrt uns die Betrachtung der letzten Form von Aphasie, 
die wir nach ihm konstruieren können, der transzentralen moto- 
rischen Aphasie, die uns also Aufschluß über die Funktion der 
Bahn B M geben soll. Sie ist bei Taubstummen allein zur Spontan- 
sprache ausreichend^). Es ergibt sich schon aus den Ausführungen, 
die wir über die Folgen der sensorischen Aphasie machten, daß sie 
bei dem Vollsinnigen, der durch Nachahmung des Wortklangbildes 
sprechen gelernt hat, nur für die Findung einer individuell schwanken- 
den Anzahl von Worten in Betracht kommt, derjenigen, die nicht 
akustisch gefunden zu werden brauchen. Andererseits aber ist diese 
Bahn zum Sprechen durchaus nötig. Wenn auch B->S zur Wort- 
findung erforderlich ist, so ergibt sich schon aus der Ablehnung 
einer direkten Leitung S-»-M, daß von einem „Wege^ BSM nicht 
die Rede sein kann. Nach der akustischen Wortfindung bedarf es 



zeugen iaseen. Die Kranke konnte z. B. „Schlüssel" oder ^Zeitung** nicht nach- 
sprechen, fand aber das Wort, wenn man ihr die Gegenstände zeigte, also vom Be- 
Siff aus. Nun erweckt doch aber das Wort „öchlüssel" oder „Zeitung*' bei jedem 
enschen sofort den entsprechenden Begriff. Diese Worte müßten also auf dem 
Umwege gesprochen werden können, selbst wenn 8 M versperrt war. Da die Kranke 
das nicht konnte oder nicht tat, sind wir überzeugt, daß hier die »Sprachstörimg 
durch eine Hysterie kompliziert war, der Fall also für die Symptomatologie orga- 
nischer Sprachstörungen nicht völlig beweisend ist. 

1) Wir würden sie wie die transzentrale sensorische Bahn in einen katazentralen 
und einen anazentralen Abschnitt zu zerlegen ha]>en. Für das W^ortverstandnis 
durch von den Lippen Ablesen würde die katazentrale Bahn M-^B vielleicht mit 
in Betracht kommen. 



immer der Innervation auf dem Wege B-*M. In der Tat «ürdön 
eine völlige Unterbrechung der Bahn B M auch unserer Meinung 
nach vOUige Sprachlosigkeit bedingen. Eine totale transcorticale 
motorische Aphasie würde von einer totalen corticalen nicht zu unter- 
scheiden sein. Das Schema hat es nun verschuldet, daß nur solche 
Fälle als transcorticale motorische Aphasie angesehen worden sind, 
welche noch nachsprechen können. Aber Bonhoepfer hat Fälle be- 
obachtet, in welchen sich die transKentrale motorische Aphasie in 
diesem Sinne aus einer anscheinend zentralen motorischen Aphasie 
entwickelte. Er faßt daher die Fähigkeit nachzusprechen als das 
Zeichen der wiedererwachenden Funktion des motorischen Zentrums 
auf, während es ebensogut möglich ist — wenn es auch auf das- 
selbe herauskommt — daß in diesen Fällen eine allmäliliche Resti- 
tution einer von vornherein transzentralen Aphasie bei Integrität des 
Sprachzentrums vorlag. Bleibt es bei dieser minimalen Restitution 
der transzentralen Leitung B M, so kann sich allerdings die spon- 
tane Sprache auf die Fähigkeit nachzusprechen dauernd beschränken. 
Solche Fälle sind von Pick und HEiLnnoNMER beschrieben. Wie 
der Herd aussehen muß, der eine solche Störung macht, ist freilich 
äußerst zweifelhaft. Wahrscheinlich ist die Rinde selbst immer uiit- 
betroffen, aber erinnern wir uns daran, daß es hier sich für uns in 
erster Linie um eine schematisch auatomisierende Ableitung der 
Sprachstörungen handelt'). In diesem Sinne glauben wir, daß auch 
zum Nachsprechen nicht nur etwas von den transzentralen sen- 
sorischen, sondern auch ein wenig transzentrale motorische Bahn ge- 
hört. Wenn man von allen weiteren psychologischen Erklärungen für 
die Leichtigkeit des Nachsprechens absehen will, su kann man auch 
einfach von einer Bahnung sprechen, eine Annahme, die zugleich auch 
die zwangsmäßige Association zwischen Wortkianghild und Wort- 
bewegungsbild zweckmäßig umschreiben würde. 

Als eine weitere Leistung, die einer selir ausgiebigen Kontrolle 
durch die Begriffsrinde nicht bedarf, ist von Heilbrunner das 
Reihensprechen betont worden. Wenn dessen Erhaltung unserer 
Erfahrung nach keineswegs ein regelmäßiges Symptom transcorticaler 
Störung ist, so gibt es doch Kranke, welche fast nicht im stände sind, 
etwas spontan zu sprechen, die aber, wenn sie einmal etwa Januar, 
Februar nachgesprochen haben, die ganze Reihe der Monate hersagen; 
oder sie können ein Gedicht, wie „Fuchs, du hast die Gans gestohlen* 
fließend rezitieren. Unterbricht man sie mitten drin, so müssen 
sie wieder vom Anfang an anfangen, um bis zum Ende zu kommen. 
Es handelt sich hFßr um einheitliche Leistungen ; die Findung eines 
Wortes geschieht nicht durch den Begriff, sondern durch den festen 
Zusammenhang mit den vorangehenden Worten. Allerdings möchten 
wir nicht, wie Heilbronner, uns dieses Reihensprechen als eine 
Eigenleistung des motorischen Sprachzentrums darstellen , sondern 
mit Anderen glauben, daß die Reihe im wesentlichen in dem sen- 
soriacben Sprachzentrum akustisch aufbewahrt wird, daß aber für 
ihre, wie für die Uebertragung vorgesprochener Worte nur ein 

I) 1d eiuem iieiierdingf piiblizierleu Fnlle Rotumann» faad eich ein klau« 

Herd, der auch prakCisch ttnalomisch der theoretiBeheo Axisdiauung zu e_. 

sciiieD. lodesseD sind Bciion viel größere Uerde itn der cleiclieii tiletle bwcaneb 
worden, bo daß die Symptome in diesem Falle doch vieUeicht auf gleiciuteitig 1 
stehende Atrophiea der lünde zurückzuiühreD aiad. 





Satzbildung und BatzverständDiB. 343 



Minimum transzentraler sensorischer und motorischer Leitung erforder- 
lich ist. 

Wir haben bisher nur von einzelnen Worten, ihren Klang- 
und Bewegungsbildern gesprochen. Die Sprache aber, wie sie heute 
ist, besteht in der Zusammenfügung dieser Worte zu Sätzen. Jeder 
Satz erfordert eine innere Disposition. Der Sprechende muß mit 
seinen Gedanken den Satz als Ganzes umfassen, dabei ertönt keines- 
wegs der ganze Satz wörtlich in ihm, sondern er hat gewissermaßen 
nur eine Ahnung von dem, was er sagen will, die Worte finden sich 
„von selbst", jedenfalls bleibt der Hauptanteil der Aufmerksamkeit 
des Redenden dem Satzbau zugewandt. Wenn man auch noch 
das bedenkt, daß ein guter Redner in Gedanken schon immer 
dem Satzbau, den er gerade bildet, voraus sein muß, um einen 
zweiten sogleich anschließen zu können, so erhält man einen Be- 
griflf von der außerordentlichen Verwickeltheit der eigentlichen 
Sprache, welche über die des Aussprechens und Findens einzelner 
Worte weit hinausgeht. Analoges gilt für das Verständnis der 
Sprache, die mit dem Verstehen des Wortes nicht aufhört, sondern 
erst anfängt Für das Satzverständnis ist offenbar die Merkfähigkeit 
Bedingung. Wer die ersten Worte eines Satzes schon vergessen hat, 
wenn er die letzten hört, kann ihn natürlich nicht verstanden haben. 
Er muß wenigstens Zeit gefunden haben, die ersten Worte zu einem 
gewissen Sinne verdichtet zu haben. Daß dies nicht der Fall ist, 
kommt bei sensorisch Aphasischen häufig genug vor, und auch die 
grammatikalische Konstruktion selbstgesprochener Sätze leidet fast bei 
allen Aphasischen mehr oder weniger. Nur in seltenen Fällen wird 
aber durch Herderkrankungen, wie Pick zuerst betont hat, der 
Sprache der Charakter des Agrammatismus bei leidlich erhaltenem 
Wortverständnis und Wortfindungsvermögen aufgedrückt. Die Spon- 
tansprache erhält dann entweder den Charakter des Depeschenstils 
mit Fortlassung der Beiworte, oder des „style nfegre" mit Infinitiv- 
konstruktion. Ein Kranker Heilbronners war auch nicht im stände, 
aus wenigen gegebenen Worten Sätze zu bilden. Wie die Ausprägung 
gerade des Symptoms des Agrammatismus bei einzelnen Aphasischen 
zu Stande kommt, ist strittig. Wenn es auch zweifellos auf Herd- 
erkrankung beruht, so ist es doch sicherlich kein bestimmt lokali- 
sierter Herd, der es immer bedingen müßte. Von einem „Satz- 
zentrum'' spricht von den deutschen Autoren wohl niemand. Wir 
möchten glauben, daß der Agrammatismus überhaupt nur auf Grund- 
lage einer individuellen Bemühung und Selbsterziehung zu stände 
kommt, die nach Bonhoeffers Definition das Skelett des Ge- 
dankenganges gibt und das grammatikalische Beiwerk wegfallen läßt. 

Wenn Heilbronner den Agrammatismus auf eine Störung der 
„inneren Sprache" zurückführt, so scheint uns das zwar richtig, 
aber wenig fördernd. Denn was ist die „innere Sprache"? Mancherlei hat 
man damit bezeichnet. So schließt Lichtheim aus der Fähigkeit durch 
Zeichen, z. B. durch Händedruck, die Silbenzahl eines Wortes 
anzugeben, auf die Erhaltung des „inneren Wortes", des Wernicke- 
schen Wortbegriffes. Dieses innere Wort sitzt im motorischen 
Sprachzentrum, folglich ist die Intaktheit des „Silbenwortes", wie wir 
einmal sagen wollen, für Lichtheim und Wernicke ein Zeichen sub- 
corticaler motorischer Aphasie. Wir können sowohl nach theoretischen 
Erwägungen, wie praktischen Erfahrungen nicht zugeben, daß das 



^pnt£e üiuf Sie A^ahik. 



richtig ist. Das Silbenwort ist nur ein Schatten des richtigen Wortes,^ 
es finden sich von seiner Störung ebensoviel Modifikationen, wii 
der des richtig artikulierten Wortes. Es gibt so Kranke, die die Silben- 
zahl eben gehörter Worte gut, aber die spontan gesuchter nicht an- 
geben können. Das Silbenwort bedarf nur nicht der vollen sinnlichen 
Deutlichkeit, wie das artikulierte Wort, es ist nur eine Ahnung desj 
letzteren, eine Ahnung ist aber kein „Begriff". 'fl 

Wieder ganz etwas anderes ist die F^ähigkeit, ein Wort zu buch-n 
stabieren, oder aus Buchstaben zusammenzusetzen, die Wernicke 
für den Wortbegriff verwendet. Die FShigkeit des Buchstabierens 
ist eine spät im Zusammenhang mit der Schriftsprache erlernte, und 
wir verstehen nicht, wie man einem Kranken, der korrekt auf Fragen 
antwortet und Gesprochenes und Gelesenes versteht, den Wortbegriff 
absprechen kann, nur well er die Zahl der Silben in einem Wort nicht 
angeben kann, und das Wort nicht buchstabieren kann, wie das 
Wernioke tut. Aus diesem Symptomenkomplex geht nur die eine 
Tatsache hervor, daß ein Erwachsener durch einen Hiruherd in den 
gleichen Zustand versetzt werden kann, in welchem sich in Deutsch- 
land alle Kinder vor dem 6. Lebensjahr und Oberhaupt alle An- 
alphabeten befinden. Haben alle diese darum keinen WortbegriffV J 

Wieder etwas ganz anderes ist es, wenn Heilbronneh deal 
Agrammatismus als Störung der inneren Sprache bezeichnet. Die"*! 
Fähigkeit, über Worte zu disponieren, die Worte in den Zusammen- ' 
hang eines Gedankens zu stellen und doch wieder vom Denken un- 
abhängig zu machen, dürfte noch am ehesten dem allgemeinen Ver- 
ständnis als eine Störung einer „inneren Sprache" sich erschließen. 

Wir haben bereits den letzten Punkt erwähnt, zu dem uns noch 
etwas zu sagen bleibt, das Verhältnis von Sprechen zu Denken, 
So viel diskutiert diese Frage ist, so kurz können wir sie an dieser Stelle 
abmachen. Kein Zweifel ist, daU die Sprache entstanden ist als Aus- 
druck gewisser Bewußtseinsinhalte, tlaß also das Denken im weitesten 
Sinne vor der Sprache da war. ebenso wie es bei den Tieren heute 
noch ohne Sprache besteht. Kein Zweifel ferner . daß durch die 
Sprache erst die Stufe entwickelt werden konnte, auf welcher sich d&sj 
menschliche Bewußtsein und das menschliche Gehirn heute befiDdea.1 
Daß auf lirund der durch Vererbung erworbener Eigenschaften er-^ 
reichten Entwicklung der Mensch heute ohne die Lautspraclie aus- ' 
kommen kann, lehrt der Taubstumme, dessen Ausdrucksmittel aber 
dem sprechenden Menschen abgesehen sind und mit dem von diesem 
geschaffenen Material arbeiten. Daß auch der ganz un unterrichtete 
Taubstumme eine gewisse Fähigkeit, ^von selbst", d. h. durch Be- 
obachtung und Erfahrung, erwirbt, auch recht verwickelte VorsielluDgen 
zu sammeln, war schon erwähnt. Eine andere Frage aber ist die, inwie- 
weit ein Gehirn, das sein Leben lang mit Sprachvorstellungen gearbeitet 
hat. wenn es durch eine Aphasie diese verliert, nunmehr ohne die 
Sprache fertig wird, inwieweit es nunmehr Gedanken und Vorstellungen 
weiter verarbeiten kann. Hier kann es wohl keinem Zweifel unter- 
liegen. daD die Aphasie die geistige Persönlichkeit, die Intelligenz, zn J 
erniedrigen im stände ist. Die motorische Aphasie würde das Docb'l 
am wenigsten tun, aber das Denken eines Menschen ist mit dem] 
Wortbild, das im sensorischen Sprachzentrum seinen Sitz hat, so engl 
verwoben, er bedient sich auch beim stillen Ueberlegen so sichtliobf 
des Fixierens gewisser Begriffe und gewisser Reihen von solchen f 





Die Schriftsprache eine ßuchstabeneprache. 345 

Worten, wenn man auch keineswegs behaupten kann, das Denken 
geschehe in Wortbildern, daß die ganze Persönlichkeit unter einer 
corticalen sensorischen Aphasie doch erheblich zu leiden pflegt. Das 
kommt sogar schon bei Leuten geringer Bildung zum Ausdruck, wenn- 
gleich ein Handwerker, auf seinen Platz gestellt, auch ohne Sprach- 
zentrum noch sein Werk wohl verrichten kann ; aber ein wissenschaft- 
licher Arbeiter wird ohne Sprache ganz hilflos sein, auch wenn er 
kein Philologe ist. Die Entwicklung und der Betrieb jeder Wissen- 
schaft ist ohne Begriffe nicht zu denken, und diese nicht ohne Worte. 
Nicht umsonst haben die Griechen im Xoyog Wissenschaft und Sprache 
gleichgesetzt. 



Die Lehre von der Sprache ist mit der Abhandlung der Laut- 
sprache für den noch heute bei weitem größten Teil der Menschheit 
erledigt. Die Ent wickln n-g der Schriftsprache stellt uns 
indessen wieder neue Probleme. Als Schriftsprache verstehen wir 
dabei nur die Sprache der Buchstaben. Die Hieroglyphen- 
schriften der alten Aegyjjter z. B. haben wenigstens zum Teil nur 
den Wert optischer Zeichen für Namen und Begriffe, stehen also be- 
liebigen anderen Bildern völlig gleich, für sie gelten nur diejenigen 
Regeln, welche das Erkennen und das bildliche Darstellen beliebiger 
Gegenstände betreffen. Störungen im Lesen einer Hieroglyphen schrift 
würden unbedingt und völlig unter die Rubrik corticaler Sehstörungen 
zu bringen sein. 

Die besondere Stellung der Buchstabenschrift ist begründet durch 
die Beziehung, welche sie herstellt zwischen dem optischen 
Apparat und dem Wortlaut. Dazu bedient sie sich eben des 
Buchstabens. Die Hieroglyphenschriften kennen diesen Mittler des 
Wortlautes nur in beschränktem Umfange. Man kann sich vorstellen, 
daß ein alter Aegypter, der total - motorisch und sensorisch — aphasisch 
war, sich doch noch durch Hieroglyphenschrift verständigen konnte. 
Die Bilder der Hieroglyphen riefen eben sofort den Begriff des Gegen- 
standes, nicht erst sein Wortbild in ihm wach. Beim Buchstaben- 
lesen ist es gerade umgekehrt. Deshalb steht heute die Schriftsprache 
ganz unter der Herrschaft der Lautsprache, durch das Mittel des 
Buchstabens, der ihr andererseits wieder die Möglichkeit freierer 
Entfaltung verschafft hat. Die Frage der Schriftsprache kann 
also von vornherein nur eine Frage des Buchstabens sein; 
das wird sich dann auch an der Hand der physiologischen und 
pathologischen Tatsachen weiterhin bestätigen. 

Wie die Lautsprache, zerfällt die Schriftsprache in einen 
expressiven und einen rezeptiven Teil, das Schreiben 
und das Lesen. Beginnen wir mit dem ersten, so liegt es also am 
Tage, daß wir Buchstaben um Buchstaben niederschreiben können, und 
zwar lernt das Kind wie das Sprechen durch Nachsprechen nach dem 
Wortlaut, das Schreiben durch Nachschreiben nach dem Buch- 
stabenbild. Der Unterricht wird im allgemeinen so geleitet, daß Lesen 
und Schreiben einigermaßen parallel entwickelt werden. Indessen liegt 
gar keine Schwierigkeit vor, ein Kind im Lesen zu unterrichten, ohne 
daß es gleichzeitig schreiben lernt, wenn es z. B. an den beiden Armen 
gelähmt ist. Dagegen kann niemand schreiben, spontan schreiben lernen, 
ohne lesen zu können. Nur durch besondere Dressur kann man 



346 



XVI II. Die Bpracbe und die Aphasie. 



manchmal gewissen Imbecillen das Abschreiben — auch das üebu 
setzen aus Druckschrift in Schreibschrift — beibringen, ohne daß ( 
BetretFenden doch im stände wären, ein Wort von dem zu lesen, ' 
sie abgeschrieben haben. Immer aber ist das klar, daß geschrieben 
wird nach dem optisclien tlilde des Buchstabens. Durch yielfacbee 
Abschreiben und Lesen lernt das normale Kind sich von der Vorlage 
zu emanzipieren. Es bildet dann die Buchstaben nicht mehr nach 
dem äußeren, sondern nach dem allmählich entstehenden und be- 
festigten inneren opti-schen Buchstabenbilde, der optischen Buch-^ 
stabenvorstellung. I 

Daran, daß es optische Buchstaben Vorstellungen gäbe, ist natQrlich 
nie ein Zweifel gewesen. Man ist aber weit«r gegangen und hat von 
optischen Wortvorstellungen gesprochen, und hat nach Ana- 
logie des motorischen und des akustisch .sensorischen Wortzentrums ein 
optisches Wortzentrum angenommen (Dejerine, Bastian), 




'. '4F]g. 78. Schema der Laut^ und Bchrifteprache. M motorlachee, .<j aeDsoriscbei | 
Sprochzencrmii. im subcorticale tnotarische, ■< subcorticale sengorische Bahn. 
im Iransientrale motorische, itk und Ua tranazentrale sooBorische Bahn Uik kaU- 
zentrale, iia aoazentrale). B Begriffsrinde. Die Beziebunir der Ä?ntren der I*ut- 
aprache zu denea der Schriftsprache ist dadurch angedeutet, daß die ersteren als 
ächema eines Wortes (rot) eädacbt fiind , während die letzteren als Sdieniata dv . 
einzeben Bnubataben gezeichnet sind. Die Linie j: deutet an , daS nach der Vel' J 
nichtuns; der Lautzeutren von der Sprache nur noch die tmter aich uoverbundenai j 
ÜacbstBDen ührig bleiben. » Bahn dee Nachsprechens. ■ 

Diese Annahme wQrde also voraussetzen, daß nicht nur Buchstaben, 
sondern auch Buchstabenkombinationen wortmäßig und in ihrer Be- 
deutung als Worte erkannt würden. Nun soll nicht geleugnet werden, 
daß in gewissem Umfange durch eine eigens darauf gerichtete Dressur 
so etwas erreicht werden könne. Ein wenig mag auch individuelle 
Anlage eine Rolle spielen, aber wir sind durchaus nicht geneigt, der 
CHARCOTScben Einteilung der Menschen in Äuditifs, Visuels und Mo- 
tears für die Pathologie grober Herdläsionen irgend eine Bedeutung 
zuzumessen. Die Selbstbeobachtung, welche einen Redner sagen l&ßt, 
er läse die Worte innerlich ab, ist eine schlechte Führerin. Daß 
nicht einmal auch Buchstabenkombinationen von wenigen Buchstaben 
gleichzeitig aufgefaßt und vorgestellt werden können, soll damit keines- 
wegs behauptet werden. Schon die Diphthonge der Sclireibschrift 
stellen ja solche Kombinationen aus zwei Buchstaben dar. von welchen^ 




Lesen. 347 

man ruhig annehmen mag, daß sie als Einheit aufgefaßt werden; auch 
von einfachen Worten, wie ja und nein kann man das allenfalls noch 
gelten lassen. Wenn noch der geringste Zweifel bestände, daß die 
Schriftsprache nur als ein Hilfsapparat der Wortsprache besteht und 
ohne diese völlig zerfällt, würde die Pathologie ihn beseitigen müssen. 
Denn bei einer Zerstörung des akustisch-sensorischen 
Wortzentrums geht das Lesen verloren und nicht nur 
das Lautlesen, das ja unmittelbar eine Funktion des Sprachapparates 
verrät, sondern auch das Verständnis des Gelesenen. Beides kann 
natürlich intakt sein bei subcorticaler sensorischer Aphasie, wenn also 
die Zentren der Lautsprache selbst erhalten sind. Was dagegen auch 
bei corticaler sensorischer Aphasie erhalten bleiben kann, ist die 
Fähigkeit des Kopierens und auch die der Umsetzung von Druck- 
schrift in Kursivschrift. Denn dazu gehört nur das Bild des Buch- 
stabens, der optische BuchstabenbegriflF. Verstanden wird von dem 
Abgeschriebenen nichts. Sehr charakteristisch für die Einschränkung 
des optischen Sprachanteils auf den Buchstaben ist das Beispiel eines 
Kranken von Graves, der an amnestischer Aphasie litt, aber sich 
von einer Reihe von Worten den Anfangsbuchstaben, aber nur diesen 
vergegenwärtigen konnte ^). Dieser Kranke hielt sich ein Wörterbuch, 
in welchem er dann mit Hilfe des optisch vorgestellten Anfangsbuch- 
stabens das gesuchte Wort finden konnte, weil beim Anblick des 
Wortes die Lautvorstellung und zugleich ihre Bedeutung in ihm er- 
wachte. 

Es ist nun weiter sicher, daß zum Lesen nicht nur das akustisch- 
sensorische Wortzentrum, sondern auch das motorische Sprach- 
zentrum in der Mehrzahl der Fälle unentbehrlich ist. 
Es unterliegt gar keinem Zweifel, daß die Mehrzahl der motorisch 
Aphasischen, bei denen eine Störung des eigentlich optischen Teiles 
der Sprache durchaus ausgeschlossen ist, und auch bei der Sektion 
nur eine Zerstörung im Frontalhirn gefunden wird, nicht lesen kann, 
selbst einfache geschriebene Worte nicht versteht, während das Ver- 
ständnis für gesprochene Worte völlig in Ordnung sein kann. Aber 
hier gibt es sicher Ausnahmen. Am bekanntesten ist als solche der 
Fall von Banti, auch wir selber haben einen beobachtet, in welchem 
trotz totaler und zwar sicher corticaler Aphasie das Verständnis 
einzelner Worte und kurzer Sätze erhalten war. Bei subcorti- 
caler Aphasie und bei Anarthrie braucht das Lesen 
darum keinen Schaden zu leiden, weil hier die Mitwirkung 
des Zentrums selbst erhalten sein kann. Das ist also keine Aus- 
nahme von der Regel, daß bei corticaler motorischer Aphasie das 
Lesen meist unmöglich ist. Diese Mitwirkung des Zentrums, deren 
Fehlen sich also bei corticaler Aphasie fühlbar macht und das Lesen 
vereitelt, kann als ein Ueberbleibsel vom Lautlesenlernen her ge- 
deutet werden. In der Tat lesen ja auch im späteren Alter noch 
eine große Anzahl Menschen, indem sie unwillkürlich leise sprechen 
oder wenigstens die Lippen bewegen. Sicherlich sind es aber nicht 
nur diese, welche einen Ausfall des Lesens durch Zerstörung 
ihres motorischen Sprachzentrums davontragen, dazu ist deren An- 

1) Der berühmte GRASHEYeche Fall, der die Worte nur schreibend finden 
konnte, ist nicht übereinstimmend gedeutet worden. Es scheint jedoch nach der 
Nachuntersuchung von G. Wolff, als wenn die Sprachstörung in diesem Fall nur 
sekundär durch allgemeine Störungen des Vorstellungsablaufes bedingt gewesen wäre. 



348 



XVIII. Die Bpraefae und die Afbum, 



zahl ZU groß, und bei den anderen kann eg sich dann nur um die 
Folgen der Zerstörung des alten assoctativen Zusammenhanges zwischen 
Sprach- und Lesezentrum handeln. Die Alexie bei motorischer Aphasie 
ist ein Beweis, daß ganz unbewußt die Wortbewegungsbilder beim 
Lesen geweckt werden und gewissermaßen rückwärts dann erst das 
Leseverständois ermöglichen. Wir möchten diese Form der Alesie 
daher als die retrozentrale bezeichnen. Wenn sie aber auch nicht 
ganz obligatorisch ist, so spricht sie doch zusammen mit dem regel- 
mäßigen Verlust des Lesens bei sensorischer Aphasie mit Entschieden- 
heit dafür, daß der optische Apparat der Sprache nur eine 
Bedeutung für die Buchataben, nicht für das Wort hat, 
einen Standpunkt, den Wernicke gegen Cbarcot, Dejerine und 
Bastian immer vertreten hat. 

Es bekundet nun eine ganz flberraschende Plastizität der Hirn- 
rinde, daß das optische Lesen, also jetzt das ßuchstabenicsen, d. h. 
die Buchstaben bild er, sich in Fällen, wo das Lesen überhaupt gelernt 
wird, also bei jedem Individuum einzeln, einen zirkumskripten Platz 
auf der Hirnrinde, ein Zentrum erobern, das nicht mit dem allge- 
meinen optischen Zentrum sich deckt. Wir vermögen uns dieser 
Folgerung, die von Dejerine erhärtet worden ist, angesichts des 
vorliegenden Materials nicht zu entziehen und halten die von Wer-- 
NiCKE dagegen vorgebrachten Gründe für hinfUllig. Nur handelt 
sich nicht um ein optisches Worizentrum, sondern um ein Buch 
s tabenzen trum. Es liegt im linken Gjrus angularis oder hat dort 
wenigstem^ seinen Mittelpunkt und heberbergt die optischen Buch- 
stabenbilder. 

Erinnern wir uns der Formen der Störungen der Lautsprarhe, 
so hätten wir nun für dieses optische Sprachzentrum sofort wieder 
drei Formen der Störung zu postulieren, eine corticale, eine sub- 
corticale und eine transzentrale. Die letzte schwebt völlig in der 
Luft, auch ist es kaum möglich, wegen der Konkurrenz von Wort- 
und Buchstabensprache in der Symptomatologie, sie theoretisch za> 
konstruieren, ganz unmöglich sicherlich, sie praktisch von der corti- 
calen Alexie zu unterscheiden. 

Dagegen ist sowohl die corticale als die subcorticale Form der 
Alexie klinisch fest begründet. Die subcorticale Form nennen 
wir entsprechend der für die Lautsprache geltenden Nomenklatur 
auch die „reine" Alexie. Gemeinsam ist beiden das wesentliche 
Symptom, daß Buchstabenschrift nicht erkannt wird, 
während die Erkennung aller anderen Zeichen, Bilder 
und Gegenstände un gestört ist. Auch die Buchstaben werdi 
natürlich gesehen als optische Formen und können als solche mit' 
Mühe nachgeiiildet werden, aber in ihrem Wert als Buchstaben werden 
sie nicht erkannt. Ein solches Kraukheitsbild ist zuerst von TßOCSSEAtr 
1868 beschrieben worden. Der Unterschied zwischen den beiden 
Formen ist der. daß bei der subcorticalen reinen Form die 
Buchstaben bilder noch erhalten, nur vom peripheren Sch- 
apparat abgesperrt sind, während sie hei der corticalen Form 
vernichtet sind. Klinisch macht sich das dadurch kenntlich, dafi 
bei der subcorticalen Form noch spontan gesell rieben 
werden kann. Denn die inneren optischen Buchstabenbilder. nach 
deren Bilde der Mensch seine Schrift formt, sind ja erhalten. Nur 
kann der Kranke das, was er selbst geschrieben hat, schon nach 



I 




Alexie. Buchstabenzentrum. 349 



wenigen Sekunden nicht mehr lesen. Besteht dagegen corticale Alexie, 
so ist mit den optischen Schriftbildern zugleich auch die Fähigkeit 
des spontanen Schreibens natürlich verloren gegangen. 

Die reine Wortblindheit (subcorticale Alexie) ist schon in einer 
sehr großen Anzahl von Fällen klinisch beobachtet worden und fast 
immer in Kombination mit einer rechtsseitigen Hem i- 
anopsie (vergl. S. 361). Es kommt also beim Rechtshänder die Alexie 
nur vor bei einer Zerstörung der zur linken Hemisphäre ziehenden 
Faserung. Keineswegs aber ist jede rechtsseitige Hemianopsie mit Alexie 
verbunden. Es muß also hier noch etwas hinzukommen, und das kann, 
wie Dejerine schon hervorhebt, nur die Unterbrechung der Balken- 
strahlung von der rechten Hemisphäre aus sein. Es ist gar nicht recht 
zu verstehen, warum eine Reihe von Autoren, auch Wernicke, für den 
optischen Sprachapparat nicht recht sein lassen wollen, was für den 
motorischen billig ist, nicht zugeben wollen, daß erstens das Buch- 
stabenzentrum nur auf einer Seite liegt, und zu den nicht bewiesenen 
Hilfshypothesen einer Verbindung des einen Occipitallappens mit dem 
gegenseitigen Temporallappen greifen. Wir nehmen an, daß die Buch- 
stabenbilder in der Tat nur links gebildet werden, aber sowohl von der 
rechten, als der linken Hemisphäre aus geweckt werden können. Sind 
beide Zuleitungswege, von denen der eine über den Balken geht, unter- 
brochen, so haben wir Alexie, ist nur einer von beiden erhalten, so 
resultiert keine Alexie — ganz analoge Verhältnisse wie bei der mo- 
torischen und der akustisch-sensorischen Aphasie. 

Henschen und Dejerine schließen weiter, daß das optische 
Buchstabenzentrum im linken Gyrus angularis gelegen 
ist, da in den Fällen von reiner Alexie immer das tiefe Mark des linken 
Gyrus angularis, in den Fällen von corticaler Alexie der Gyrus angularis 
selbst zerstört ist. Auch gegen diese Annahme hat sich lebhafter 
Widerspruch erhoben, trotzdem die anatomischen Tatsachen allgemein 
bestätigt wurden. Wenn Monakow sagt, die Buchstabenbilder seien 
wie die Objektbilder nichts als Netzhautbilder und als solche auf dem 
Wege zu unserem Bewußtsein auf die nämlichen Bahnen und Zentren 
angewiesen, wie alle anderen Netzhautbilder, so ist das für die Bahnen 
natürlich richtig. Mit demselben Recht und derselben Begründung 
könnte man aber a priori auch die Einseitigkeit der W^ortklangbilder 
ablehnen, sie sind doch auch nichts als Klangbilder. 

Nur das können wir nicht für erwiesen halten, daß der Gyrus 
angularis aller Projektionsfasern entbehrt, nur durch Associationsfasern 
mit dem eigentlichen optischen Projektionsfeld verbunden ist. Wir 
halten die von vielen angenommene Lokalisation des optischen Zen- 
trums, hauptsächlich an der medialen Fläche des Occipitallappens, für 
viel zu eng. Wir glauben, daß auch die Konvexität und auch der 
Gyrus angularis noch zur Sehsphäre gehört, eigene Projektionsfasern 
hat und außerdem mit anderen Teilen der Sehsphäre durch Asso- 
ciationsfasern verbunden ist. Warum die Bilder der Buchstaben sich 
nun gerade in deren vorderster Ecke ansiedeln, das weiß man natür- 
lich nicht. Daß sie die Nähe des akustisch-sensorischen Wortzentrums 
lockt, ist vielleicht nicht einmal ein ganz scherzhafter Gedanke. So 
sehr man sich anfangs gegen so weitgehende Spezialisierungen des 
Lokalisationsprinzips sträuben mag — auf dem Gebiete der Sprache 
erscheint in dieser Richtung manches möglich. Haben doch Rieoer 
und Sommer Fälle beschrieben, in denen durch Läsion der Rinde 



350 



XViiL Die Sprache und die Aphasie. 



dauernd »ur eine beschränkte Anzahl Buchstaben verloren gegangen' 
waren. In dem — nach Wernickes Urteil ~ musterhaft beobachteten 
Falle RiEOERS fehlten dem Kranken vom kleinen deutschen Alphabet 
3 Buchstaben p, x, y, vom kleinen lateinischen außer den 3 vorge- 
nannten noch d, h, k, v. Von großen Buchstaben fehlten gleichmäßig 
für lateinisch und deutsch die vorgenannten mit Ausnahme des D und 
außerdem B, E, F, M, N, R, T, W. Alle diese Buchstaben und nur 
diese konnte der Kranke absolut nicht identitizieren. Nannte man ihm 
selbst den Buchstaben hei Namen, den er sah, so schüttelte er den 
Kopf und sagte: „Ich weiß nicht". Er konnte sie weder lesen noch 
schreiben, mußte sie vielmehr mühsam abzeichnen. Die ihm gebliebenen 
Buchstaben konnte der Kranke aber lesen und schreiben, wenn auch 
ohne Verständnis (dieser Mangel an Verständnis erklärt wohl auch die 
Konstanz des Befundes). Jedenfalls können wir gar nicht uniliin, anzn- 




'c optisches ( Buchstaben -)Ocntrum. 

nehmen, daß durch einen, wenn auch noch so ditfusen. so doch im;. 
Prinzip herdförmig zu nennenden Prozeß in dem Falle Ri&OBRs dU' 
anatomische Substrat gerade für die fehlenden Buchstaben oder deren. 
Associationsbahnen zerstört war, so unheimlich manchem eine solche 
Folgerung auch sein mag. 

Zu erwähnen ist noch, daß in einigen seltenen Fällen (S^rieux, 
Berkhän, Schuster) corticale Alesie auch ohne Hemianopsie beob- 
achtet worden ist. Das ist durchaus erklärlich, auch wenn wir an- 
nehmen, daß das Buchstabenzentrum noch innerhalb der Sehsphäre 
liegt. Denn reine Rinden Zerstörungen von geringem Umfange brauchen 
überhaupt anscheinend keinen Defekt des Gesichtsfeldes zu machen. 
Selbst eine subcorticale Alexie könnte man sich durch einen fJächen-r 
haften, ganz nahe der Rinde gelegenen Herd noch ohne Hemianop: 
konstruieren, aber das ist noch nicht beobachtet. 



I 




Sprachzentren und Buchstabenzentrum. 351 

Bisher haben wir also festgestellt, daß die optischen Buchstaben- 
bilder jedenfalls ein eigenes Zentrum, und zwar wahrscheinlich im 
linken Gyrus angularis haben, daß aber das Lesen von Worten erst 
möglich wird durch die Mitarbeit der Zentren der Lautsprache und 
zwar war zunächst das akustisch-sensorische Sprachzentrum, in der 
Mehrzahl der Fälle auch das motorische zum Lesen erforderlich. Es 
ist nun aber weiter eine Diskussion darüber geführt worden, ob das 
Lesen, das wir ja buchstabierend erlernen ^), auch im späteren Leben 
nur buchstabierend geschieht, oder ob ganze Worte auf einmal auf- 
gefaßt werden können. Insbesondere Grashey hat sich auf Grund 
seines berühmten Falles für das buchstabierende Lesen ausgesprochen 
und hat für den Buchstaben eine Zeit von 0,3 Sekunden berechnet. 
In der Tat dürfte nur bei ganz einfachen und bekannten Worten ein 
anderes als buchstabierendes Verfahren möglich sein. Wenn wir eine 
neu zu lernende Sprache lesen, so lesen wir alle wieder ganz sichtlich 
buchstabierend. Dieser selbe Zustand, in dem einigermaßen fließend, 
aber ohne eine Ahnung des Sinnes gelesen wird, kann nun auch für 
die Muttersprache wieder erzeugt werden und bildet ein Symptom 
der transzentralen sensorischen Aphasie. Solche Fälle sind von 
Lightheim und Heubner beschrieben worden. In einem klassischen 
Falle derart, den wir selbst beobachteten, war der Kranke nicht im 
Stande, den Sinn auch der einfachsten und kürzesten Worte zu er- 
fassen, trotzdem er sie laut vorlesen konnte und trotzdem ihm die 
Vorstellung der betreflFenden Dinge zur Verfügung stand; dafür ist 
«ine kleine Episode sehr charakteristisch: der Kranke versuchte uns 
begreiflich zu machen, daß er vom Rad gestürzt sei, da er das 
Wort nicht finden konnte, so zeichnete er mit einigen geschickten 
Strichen ein Zweirad auf das Papier, nun schrieben wir das Wort „Rad** 
daneben, der Kranke las nun charakteristischerweise zuerst „Roid**, 
ganz offenbar, weil das a etwas zu weitläufig geschrieben und so als 
oi aufgefaßt werden konnte, zugleich aber ein Zeichen, daß er keine 
Ahnung hatte, daß der Name des von ihm gezeichneten Gegenstandes 
„Rad** war; als das Wort korrekter geschrieben wurde, las er zwar 
richtig, aber durch seine Gebärden wurde ganz klar, daß er auch von 
der Bedeutung des richtig und laut gelesenen Wortes selbst im un- 
mittelbaren Vergleich mit dem selbstgezeichneten Gegenstande nicht 
die leiseste Ahnung gewinnen konnte. Sein Mangel an Verständnis 
für das Geschriebene verrieten auch die sehr häufigen falschen Be- 
tonungen mehrsilbiger Worte. In den Fällen von transzentraler 
sensorischer Aphasie ist eben erhalten das associative 
Zusammenarbeiten des optischen Buchstabenzentrums 
mit den beiden Sprachzentren. Die Buchstaben werden im 
sensorischen Sprachzentrum zu einem Wortklangbild zusammengefügt 
und vom motorischen Sprachzentrum so wiedergegeben. Die richtige 
Betonung kann nicht gegeben werden, denn diese ist zum großen Teil 
an das Wortverständnis geknüpft, das dem transzentral sensorisch 
Aphasischen fehlt. 

Wenn also jedenfalls fließend laut (und also auch leise) buch- 



I) In den letzten Jahren machen sich Bestrebungen geltend, auch in der 
Schule schon die Worte nicht mehr buchstabierend, sondern ab Ganzes schon beim 
«rsten Unterricht in der Schule lesen zu lassen. Wernicke hat bemerkt, daß bei 
auf diepe V^eise geübten Individuen die Erscheinungen der Alexie vielleicht etwas 
anders ausfallen würden. 



stabierend eelesen werden kann, wurde bereits die HSglich-! 
keit erwähnt, die auch von Goldscheider und M&ller experiuientell 
verfolfjt ist. daß auch Buchstabenkombinationen als Ganzes 
erkannt werden können. Am häufigsten ist das Bil<l und der Schriftzug 
des eigenen Namens bei Alesie noch erhalten, trotzdem der Kranke keinen 
Bnchsiaben isoliert erkennen oder schrefben kann. In seltenen FSlIea 
ist Analoges auch von einigen anderen häufigen Worten berichtet Ein 
jeder weiß ferner, daß man auch Worte nach wenigen Buchstaben er- 
raten kann. Das Entziffern unleserlicher Briefe gibt ein Beispiel da- 
für. Hier vermittelt die Vorstellung des Wortsinnes bezw. des Wort- 
klaogbildeä die Möglichkeit des optischen Lesens. Unter pathologischen 
Bedingungen haben wir diese Art des Lesens bei der Rückbildung 
einer reinen (subcorticalen) Alexie beobachtet. Der Kranke erkannte 
bereits Buchstaben aber sehr langsam und unsicher. Kurze einfache 
Worte wurden auch schon glatt gelesen. Lange Worte konnte er 
aber buchstabenmäßig gar nicht zosamnien bringen. Wenn er aber 
den Sinn ahnte, las er manclimal selbst Fremdwort« richtig, z. B. 
Industrie, national. Oft riet er dabei natürUch falsch, z. B. anstatt 
Entstehung erst Entstellung, dann Anstellung. Er selbst erklärte: 
„Wenn ich nur weiß, was es heißen kann, fällt es mir schon ein". 
Daß ein solches Raten beim normalen Lesen in sehr beträchtlichem 
Umfang in Betracht kommt, wie manche Psychologen annehmen, 
scheint uns sehr unwahrscheinlich, es dDrfte alles in allem mehr Zeit 
kosten als das natürliche und erlernte buchstabierende Lesen, und 
dabei noch zu Irrtümern führen. Soviel über die Arten des Lesens. 
Iiumer wieder hat sich dabei die Abhängigkeit des Lesens von 
den Zentren der Lautsprache gezeigt. Wenn wir noch erwähnen, daK 
beim Bestehen von Paraphasie gewöhnlich ') auch paraphasisch gelesen 
wird, so haben wir zugleich das Verhalten des Lesens bei allen Arten 
von Aphasie erwähnt. Stellen wir die Folgen der einzelnen Formen 
von Aphasie für das Lesen noch einmal zusammen, so hätten wir: 



I 
I 



Mnloriache reirticale Aphasie 



individuelle Differeneen 



Meist vernicLl«t.l . 
Meist vernichtet | 
Erhalten 

Lesen vernichlel oder paraphasisch. 

vcrHtäiidniH aiif^hobeD 
Lautieren erbalteii. LeKeventändnia auch j 

bei lautem Lesen aufgehoben 
Erhalten. 



tranexeiitrale ,, 

snheorticale „ 

Eine besondere Stellung nimmt jedoch das Zahlenlesen ein. Es 
scheint das in der Mehrzahl der Fälle von wie immer bedingter Alexte, 
gerade auch bei der echten corticalen Alesie, intakt zu sein. Das 
stimmt damit Oherein und zeigt, daß die Zahlen einen eigenen Gegen- 
standswert oder Zeichenwert haben, der den Buchstaben abgeht, da& I 
erstens die optischen Bilder der Zahlen wahrscheinlich mit den Bildern | 

n Das p\t in der Tat nicht ganz aimnahtn^loe. Wir bat)eD nchon 2 FfiUe voo 1 
WEIiNiCRBBcher Aphakie beobachtet, iu welchen korrekt geleeeo werden konnlA ] 
wenn man die Kranken nicht unaufmerksam iverden ließ. U'cnu man annimmt, dail j 
-~ wie wir ausführten — bei der WEBNiCKEtM'hen Aphasie (mit Paraphasie) i ' 
Teil dos BensoriBchen Sprachzentrums intakt iat. so würden wir glauben. lUB 
HOlchen Ffillen wie den erwähnten die akustische Worihildung vom optischen Buch- 
etabeneentrum soweit nntcratiit« wird, daß die Neigung »ur Parapha«' '" " 
wunden wird. 




Arten dcb LeseoB. Schreiben lerneo. 353 



der Gegenstände rangieren, nicht mit denen der Buchstaben, und daß 
— wie ja ohne weiteres klar — ihr Verständnis nicht an die Ver- 
mittlung von Wortklangbildern geknüpft ist. 

Da5 dasSchreiben nur an der Hand des optischen Buchstaben- 
bildes erlernt werden kann, war bereits gesagt. Es verhält sich zum 
optischen Buchstabenbild, wie das Sprechen zum akustischen Wort- 
klangbild. Die Geläufigkeit im Schreiben wird nur erreicht durch 
eine selbständige motorische Uebung der rechten Hand, mit der ja 
gewöhnlich geschrieben wird, durch die Erwerbung einer gewissen 
Form motorischen Besitzes, der mit den groben^ Bewegungen der 
rechten Hand nicht ohne weiteres gegeben ist, ebensowenig wie die 
Sprache mit der groben Bewegungsfähigkeit der Zunge. Trotzdem 
ist es nicht nur die rechte Hand, welche schreiben lernt 
Insbesondere Wernicke hat darauf aufmerksam gemacht, daß man auch 
mit einem entsprechend armierten Fuß schreiben könne. Diese Tendenz 
des ganzen Körpers, zu schreiben, zeigt sich ja in den bei anderer Ge- 
legenheit von uns erwähnten Mitbewegungen des schreibenden Kindes, 
und es ist ganz bekannt, daß auch der Erwachsene, wenn er zu gleicher 
Zeit versucht, Kreisbewegungen mit dem Bein und Schreibebewegungen 
mit der Hand zu machen, er unwillkürlich in die gleichen Züge mit 
dem Bein gerät, welche die Hand beschreibt. Dem Schreiben liegt 
also nicht nur eine Geschicklichkeit der rechten Hand, sondern es 
liegt ihm ein Erwerb allgemeiner Richtungsvorstellungen (Storch) 
zu Grunde. So bedingt denn auch Lähmung des rechten Armes 
keineswegs Agraphie im klinischen Sinne. Ein solcher Kranker 
kann vielmehr, wenn er nicht nebenbei noch agraphisch ist, mit der 
linken Hand schreiben und kann in einiger Zeit die Schriftzüge der 
linken Hand recht vervollkommnen. In einer Anzahl von Fällen 
zeigt sich beim Schreiben mit der linken Hand zunächst deren natür- 
liche Tendenz zur Spiegelschrift. Die bilaterale Symmetrie des Körpers 
bedingt es ja, daß alle Bewegungen auf der linken Seite in umge- 
kehrter Richtung ausgeführt und auch unbewußt eingeübt werden, wie 
auf der rechten. Das Auftreten von Spiegelschrift ist ein Zeichen, 
das diese natürliche Tendenz noch nicht unterdrückt ist durch das 
Bestreben, das klar erfaßte optische Bild des Buchstabens korrekt 
nachzuziehen, sie beweist einen gewissen Mangel innerer optischer 
Kontrolle, in diesem Sinne also ein Vorwiegen der motorischen Ten- 
denz (GoLDSCHEiDER, Liepmann). Immerhin muß auch für die 
Spiegelschrift das optische Buchstabenbild erhalten sein. 

Der Möglichkeiten, auf welche durch Herderkrankungen des Ge- 
hirns Störungen des Schreibens hervorgebracht werden können, sind 
noch mehr, als für die Störungen des Lesens. Agraphie ist zu- 
nächst un um gängliche Folge corticalerAlexie. Die Buch- 
staben sollen hier nur mühsam wie Arabesken nachgezeichnet werden 
können. Das ist aber nicht immer so der Fall, manchmal werden die 
Buchstaben auch ziemlich geläufig nachgeschrieben, vielleicht, weil der 
motorische Teil der Schriftsprache doch eine gewisse Einübung auf 
kurrente Zeichen behalten hat. Jedenfalls aber kann kein Buchstabe 
spontan gefunden werden. Denken wir uns ein Schema analog dem 
der Lautsprache, so wird wohl von keinem Autor angenommen, daß 
eine transcorticale motorische Schreibbahn ohne Beistand des optischen 
Buchstabenzentrums das Schreiben vermitteln könne. Wernicke läßt 
daher die Verbindung aus seinem Schema weg (ebenso fehlt sie in 

Lewandowsky, Funktionen d. zentralen Nervensystems. 23 




364 XVIII. Di« Sprache und die Äphane. 

Fig. 78). Eigentlich ist man dazu nicht berechtigt, denn eine soh 
Verbindung kann anatomisch sehr wohl bestehen und auch in der 
Norm in Benutzung gezogen werden. Sie wird nur unnütz, wenn 
das optische Buchstabenzentrum nicht da ist. Die analoge Annahme 
hatten wir ja auch für den transcorticaleu motorischen Weg bei der 
sensorischen Aphasie gemacht. Ein Weg kann von dem Reisendi 
nicht mehr benutzt werden, wenn dieser schon vorher verunglückt ii 
Deswegen kann die Bahn doch bestehen. 

Die reine (subcorticaie) Alexie läßt das Schreiben natürlich in- 
takt. Die optischen Buchstabenbilder sind hier ja vorhanden. 

Die corticale sensorische A phasie vernichtet gewöhnlich 
das spontane und das Schreiben auf Diktat völlig, entsprechend der Auf- 
hebung des Lesens und des Wortverständnisses. Auch das Kopieren ist 
wohl praktisch in der Mehrzahl der Fälle nicht erhalten, weil das be- 
nachbarte optische Buchstabenzentrum gewQhnlich mitgelitten hat, also 
primäre Alexie besteht. Theoretisch müßte nicht nur das Kopieren er- 
halten sein, sondern es müßten auch einzelne Buchstaben optisch 
und graphisch gefunden werden können. Zu Worten sie zusammen- 
setzen würde nicht möglich sein, weil das Wortklangbild fehlt, das 
nach unseren früheren Auseinandersetzungen, ja die Vorbedingung des 
Schreibens von Worten ist. In den Fällen, in denen Paraphasie be- 
steht, die wir ja zum größten Teil nicht auf einen Verlust, sondern 
auf eine Innervation von falschen Wortklangbildern bezogen, können 
manchmal noch einzelne Worte gelegentlich richtig geschrieben 
werden. Gewöhnlich ist aber die Paraphasie durch Buchstaben- 
verwechselung viel stärker als die gesprochene Paraphasie. Das kann 
daher kommen, weil die zu postulierende Verbindung zwischen 
akustischem und optischem Zentrum — die akustisch-optische Kom- 
missur Bastians ~ nicht in Ordnung ist. Vor allem aber kommen 
alle die Störungen, die wir auf Grund der lautlichen Paraphasie an- 
gegeben haben, nun auch im Ablauf der Schriftsprache hinzu, 
sehen wir (vergl. Fig. 80d) sehr häufig das Haftenbleiben am Bui 
stabenbilde, analog dem Haften am Wortklangbild. So kommt 
denn, daß die Paragraphie nicht nur eine geschriebene Paraphasie, 
sondern durch Störungen der Schriftsprache selbst noch verschärft ist 

Wenn die Zerstörung des motorischen Sprachzentrums in der 
Mehrzahl der Fälle schon eine Aufhebung des Lesens zur Folge bat, 
so ist von vornherein zu erwarten, daß der motorisch A phasische 
auch nicht wird Worte schreiben können. Die Erfahrung be- 
stätigt das so sehr, daß man im allgemeinen immer sofort geneigt ist, 
an hysterische Störungen zu denken, wenn ein Kranker nicht sprechen, 
aber fließend schreiben kann. Die W^ERNiCKEsche Schule ist auch ge- 
neigt. Integrität des Lesens und Schreibens nur bei subcorticaler 
Aphasie, also bei Erhaltung des Sprachzentrums, zuzulassen. 

Das scheint mir zu weit zu gehen. Es gibt sicher Ausnabme- 
fölle, wie der von Banti, die auch durch die Autopsie als corticale 
Aphasie erwiesen sind, in welchen mit dem Lesen auch das Schreiben 
völlig erhalten ist, und man nimmt wohl auch jetzt meist an, daß die 
gewöhnliche Agraphie des motorisch Aphasischen nicht auf einer pe- 
heimnisvollen Beziehung zwischen dem Sprechen und Schreiben beruht, 
welche als motorische Akte gar nichts miteinander zu tun faal 
sondern nur durch das Mittelglied der (retozentralen) 



iar 

4 



'3 



ander zu tun haboi^^H 
len) Alexie zusammai^^H 



Sekundäre Agraphie. 355> 



gehalten und durch dessen Ausfall auch gelöst werden kann. Es 
dürfte in Fällen motorischer Aphasie auch mehr als bisher auf den 
nach diesem Standpunkt zu postulierenden Unterschied zwischen 
Buchstabenschreiben und Wortschreiben zu achten sein. 
Das erste müßte oder könnte wenigstens erhalten sein. 

Wir haben uns bisher nur mit der Frage beschäftigt, inwieweit 
eine Agraphie als Folge der Erkrankung des sensorischen und 
motorischen Sprach- und des optischen Buchstabenzentrums auftrete. 

Endlich nun kommen wir zu der Frage, ob wir ein moto- 
risches Schreibzentrum analog dem motorischen Sprach- 
zentrum anzunehmen haben, dessen Zerstörung demgemäß 
isolierte motorische Agraphie bedingen würde. Sind bei der motorischen 
Aphasie die Wortbewegungsbilder verloren, „le souvenir qu'il faut suivre 
pour articuler les mots", so müßte bei der motorischen Agraphie das 
Buchstabenbewegungsbild verloren sein „le souvenir, qu'il faut suivre 
pour 6crire les lettres''. Auf Grund des vorliegenden klinischen Materials 
können wir uns in Uebereinstimmung mit Ogle, Bastian u. A. entgegen 
Dejerine, Monakow, Wernicke der Annahme nicht entziehen, daß 
es solche Fälle und also auch ein solches Zentrum gibt. Wernicke 
selbst hat einen der reinsten beschrieben, eine geistig normale Frau, 
die nach einigen apoplektischen Schüben „korrekt auf alle Fragen 
antwortete, ein Beweis, daß sie das Gesprochene verstand und dem 
Gedankengang zu folgen im stände war. Sie las geläufig vor und 
zeigte auch für das Gelesene das richtige Verständnis. Auch jeden 
einzelnen Buchstaben, jede Zahl las sie richtig und ohne Stocken, 
ebenso wie sie jedes Bild, jede Zeichnung, jeden Umriß sofort richtig 
erkannte und auffaßte. Dagegen hatte sie die Fähigkeit zu schreiben 
vollständig eingebüßt. Auch im Laufe einer längeren Beobachtung^ 
welche ihr immer neue Gelegenheit zu Uebungen in dieser Rich- 
tung brachte, hat sie es nicht weiter gebracht, als daß sie einmal, 
als sie besonders gedrängt wurde, unter sichtlicher subjektiver 
Schwierigkeit auf Diktat ein a und von Zahlen 2, 3 und 4 auf die 
Tafel malen konnte. Die spontane Schrift, ohne Diktat, blieb dauernd 
verloren.'' Wenn Wernicke selbst diesen von ihm selbst beobachteten 
und andere Fälle aus der Literatur nicht als isolierte Agraphie an- 
erkennen kann, so können wir ihm nicht folgen. Wernicke stützt 
sich bei seiner Ablehnung des Falles als isolierte Agraphie darauf, 
daß die Kranke seinen „Wortbegriff'' nicht mehr hatte, insbesondere 
auch nicht einfache Worte aus ihr gereichten Buchstaben zusammen- 
setzen konnte. Das wäre für uns nur ein Beweis, daß diese Fähigkeit 
vom Schreibenkönnen abhängig ist. Wernicke verstößt hier gegen 
das von ihm sonst vertretene Prinzip, daß die Schriftsprache eine 
Buchstabensprache ist. Die Frage ist nicht, warum kann die Kranke 
keine Worte schreiben? sondern, warum kann sie keine Buchstaben 
schreiben? Da die Kranke lesen konnte, also die optischen Buch- 
stabenbilder hatte, so kann für den Verlust des Buchstabenschreibens 
nur der Verlust der motorischen Komponente des Schreibens, der 
motorischen Richtungsvorstellungen, der Schreibhandlung, oder nenne 
man es, wie man wolle, in Betracht kommen. Es gibt in der Tat 
eine isolierte Agraphie, welche der motorischen Aphasie homo- 
log ist. 

Man hat nach dem Orte dieser Funktion gesucht, welche also — 
um den Anfang dieses Abschnittes zu wiederholen — nicht die Be- 

23* 



356 



XVIII. Die Sprache und die Aphasie. 



a 



4^&4 






^ /^ Z, /A/ 








d 



y^<yrf^ ^' 








Fig. 80. Schriftproben, a und h sekundäre Agraphie bei (unvolistandieer) 
corticaler Alexie. h Nachschreiben, c Schreibvernuche eines motoriach Aphasiacnen. 
d Haftenbleiben an Buchstaben bei WERXiCKEscher Aphasie. 



Isolierte Agraphie. Schreibzentruiu. 357 

wegUDgen, auch nicht in einem später zu erörternden Sinne die Hand- 
lungen der rechten Hand, sondern einerseits nur die Schreibhand- 
lung, die sich andererseits nicht auf die rechte Hand beschränkt^), 
umfassen soll. Exner glaubte ihn nach einem nicht kritisch genug 
zusammengestellten literarischen Material in der zweiten Frontalwindung, 
also in der Nachbarschaft des motorischen Sprachzentrums, gefunden 
zu haben. Als feststehend ist diese Lokalisation keineswegs zu be- 
trachten, wenngleich auch in später beschriebenen Fällen von Gar- 
dinier, Bar u. A. die ExNERsche Stelle mitbetroffen war. Es ist durch- 
aus möglich, daß es sich um einen ausgebreiteteren Bezirk handelt, 
aber soweit ausgebreitet er sein mag, soweit er sich auch mit anderen 
Bezirken topographisch decken oder von ihnen überlagert sein mag, so 
sehr er auch in seinen Grenzen individuell schwanken mag, an dem 
Bestehen eines besonderen Substrates für die motorische Schrift können 
wir nicht mehr zw^eifeln. 

Wir müssen eben scharf zwischen den beiden Aufgaben 
unterscheiden, welche die Lehre von der Sprache, wie 
überhaupt die Lehre von den Rindenfunktionen uns 
stellt. Die eine ist, die Funktionen zu beschreiben, 
zu untersuchen, sie zu trennen und zu verbinden, als Funktionen. 
Zu diesem Zwecke ist es notwendig, daß wir uns ein Schema 
machen, anschließend an die physiologischen und klinischen Beob- 
achtungen. Wenn wir also finden, daß durch eine organische Läsion 
das Schreibvermögen, oder die Expressivsprache, oder das Wort- 
verständnis verloren gehen kann, so haben wir das Recht, für diese 
Funktionen umgrenzte Oertlichkeiten oder Bahnen zu postulieren, 
auch dann, wenn niemals die Autopsie eines Aphasischen gemacht 
worden wäre. Von welchen Prinzipien aus wir nun die Beziehungen 
dieser so gefundenen Zentren uns klar machen wollen, ist bis zu 
einem gewissen Grade eine Sache der Willkür. Man muß klar sein, 
daß es ziemlich gleichgültig ist, ob man in diesem Sinne einer anato- 
misierenden scheraatischen Darstellung psychologischer und klinischer 
Facta sich, wie wir es getan, nach der MEYNERT-WERNiCKEschen Art 
ausdrückt, oder ob man, den anatomischen Gesichtspunkt mehr bei 
Seite stellend, lieber von Erregbarkeitsschwankungen der einzelnen 
Zentren und Vorstellungen sprechen will. Wir glaubten aber, daß das 
Bild am klarsten würde, wenn wir von den W^ERNiCKEschen Anschau- 
ungen ausgingen, dessen zu sehr schematisierende Aufstellungen über 
die Rolle insbesondere der zwischen den Zentren ausgespannten Bahnen 
aber vermieden. 

Eine ganz andere Frage aber ist es, inwieweit wir berechtigt sind, 
unsere Schemata auf bestimmte Lokalitäten im Gehirn zu 
beziehen. Wir haben auch diese Frage erörtert, aber es kann nicht 
genug betont werden, daß sie unabhängig ist von den prinzipiellen 
Feststellungen. Ganz falsch ist die Forderung, nur solche Fälle von 
Aphasie auch für die Funktionenlehre zu berücksichtigen, welche durch 
die Autopsie gesichert sind. Man gebe dem Kaiser, was des Kaisers 
ist, nicht mehr. Gerade vorübergehende, indirekte Herdsymptome 
geben uns — wenn sie nur genau genug untersucht sind — oft die 

1) In dem einen Fall von Pitres, in dem sich eine Agraphie auf die rechte 
Hand beschränkte, ist nicht gesagt, konnte damals auch nicht gesagt werden, ob 
nicht noch andere Störungen von deren Handlungsfähigkeit im Sinne einer allge- 
meinen Apraxie (Kap. Xa.) bestanden. 



wertvollsten Aufschlüsse über den Zusammenhang der Fmiktionan" 
Wo ist es denn Gesetz in der Mediziii, daß nur die nicht mehr resti- 
tutionsfUhigen Störungen Beachtung verdienen. Eine akute Nephritis 
ist darum doch eine Störung der Nierenfunktion gewesen, auch wenn 
sie wieder geheilt ist. Schwierigkeiten macht die Benutzung der rück- 
bildungs^higen Symptome gerade bei den Erkrankungen des Gehirns 
nur insofern , als wir eben doch nur im engeren Sinne organische 
Läsionen berücksichtigen wollen. Es gibt so oberflächliche Störungen, 
wie gerade die hysterischen, welche mit den tiefer greifenden nicht 
zusammengeworfen werden dürfen. Hier mnß natürlich die klinische 
Kenntnis und der klinische Takt entscheiden. Sicher ist, daß wir mit 
der Zeit dahin kommen werden, von den tiefgreifenden organischen 
Herdläsionen eine Treppe zu den oberflächlichen Störungen zu bauen, 
und heute bereits sind verschiedene Stufen dieser Treppe in Angriff 
genommen. In der Lehre von der Sprache wird dabei insbesondere 
das Studium der vorübergehenden epileptischen nnd paralytischeo 
Störungen weiter führen, besonders der ersteren. welche auf dt 
Grenze zwischen organischer und sogenannter funktioneller Seil 
stellen. 

Daß aber, wer in den Furchen und Windungen des Gehirns 
topographisch lokalisieren will. Sektionsbefunde braucht, daran ist uatOi^ 
lieh nicht der geringste Zweifel. Der wird sich bei dem heutigen 
Stande der Technik dann auch auf die Lokalisierung der dauernden 
Ausfallsfolgen beschränken, und wird es noch außerdem in Kauf 
nehmen müssen, daß sehr große individuelle Schwankungen in der 
Topographie der Funktionen vorkommen. Aber man soll die Probleme 
nicht vermischen und dadurch die Lösung jedes einzelnen erschweren 
und verzögern. Der wegweisende Wert, welcher nach allen Richtungen 
der Lehre von der Sprache und Aphasie zukommt, beruht gerade zum 
großen Teil darauf, daß sie zwar auf die Anatomie bezogen werden 
mnß, ihre Deutung aber von dem speziellen topographischen Be- 
funde in weitem Umfange unabhängig ist , die Lehre von der 
Funktion also auch hier, wie überall, auf ihre eigenen Füße gesteUt 
werden kann. 






XIX. Kapitel. 

Die corticale Vertretung der Sensibilität und der Sinne 

beim Menschen. 

Die Physiologie der Sprache ist uns das Muster für die Darstel- 
lung der corticalen Störungen aller sensorischen und auch der motori« 
sehen Funktionen, trotzdem von beiden die Sprache nur ein Teil ist 
Die besondere Stellung dieses Teiles als vornehmste Ausdrucksbewe- 
gung und die besonders günstigen Bedingungen seiner Lokalisation 
haben es mit sich gebracht, daß wir gerade Mr die Darstellung der 
Sprache über eine so feine, ins Detail gehende, Zeichnung verfügen, 
daß wir sie an den Anfang stellen konnten, und nun die Beziehungen 
des Großhirns zum Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen, 
wie dann zum Handeln in verhältnismäßiger Kürze erledigen können. 

Wir beginnen mit dem Sehen. Das Prinzip, welches sich bei der 
Erörterung der Beziehungen des Großhirns zum Sehen wiederum als 
leitend bewährt, ist die Dreiteilung dieser Beziehungen in eine sub- 
corticale, eine corticale und eine transzentrale Kom- 
ponente, die hier, nach dem Vorbilde der WERNiCKEschen Betrach- 
tung des Sprachvorganges, von Lissauer zuerst scharf durchgeführt 
worden ist. 

Fassen wir zunächst nun wieder den Unterschied zwischen sub- 
corticalen und corticalen Sehstörungen ins Auge, so bedeutet also eine 
subcorticale Sehstörung eine Unterbrechung der zur Sehsphäre ziehen- 
den Bahnen. Diese Bahnen gehen vom Corp. geniculatum extemum, 
vom Pulvinar, und vom Corp. quadrig. ant. aus, und bilden zusammen 
die Seh Strahlung. Da aber die Kreuzung der Sehnerven im Ghiasma 
keine vollständige ist, sondern schon im Tractus opticus^) sich nur 
noch die den beiden homonymen Netzhauthälften zugehörigen Seh- 
nervenfasern befinden, so kann auch eine UnterUH-dpung der ganzen 
einen Sehstrahlung höchstens eine totale homonyj^o //dterale H e m i - 
anopsie^) hervorbringen, so daß also auf der einUtl ^gekreuzten) Seite 



1) Die Hemianopsie durch Unterbrechung des Tractus opticus bedinst hemi- 
anopische Pupillenstarre (Wernicke), weil dann die Läsion unterhalb des l^ipillur- 
reflexzentrums in den Vierhügeln liegt. 

2) Bitemporale HemianoDsie kann nur beobachtet werden bei Herden, welche 
an der Basis die medialen Teue des Tractus opticus nahe dem Chiasma oder die im 
Chiasma kreuzenden Bahnen selbst zerstören oder komprimieren, das sind insbe- 
sondere Tumoren der Hypophyse, wie sie hauptsächlich bei der Akrom^alie vor- 
kommen. Die binasale Hemianopsie kann nur durch zwei Herde in den beiden 
äußeren Hälften des Tractus opticus zu stände kommen und ist daher erstens von 
äußerster Seltenheit und femer ohne jede allgemeine physiologische oder pathologi- 
sche Bedeutung. 




die nasale, auf der ungekreuzten die temporale Netzhauthälfte blini 
ist, wodurch das Sehen nach der gekreuzten Seite, bei linkseitigeu 
Herden also das Sehen nach rechts aufgehoben ist. 

Geht die Trennungslinie der sehenden und der nicht sehenden 
GesichtsfeUlhälften durch den Fixierpiinkt selbst, so heißt die Hemi- 
anopsie eine totale. Gewöhnlich bleibt jedoch zwischen der Trennungs- 
linie und dem vertikalen Meridian ein sehender Bezirk von einigen 
Graden, das ^überschüssige Gesichtsfeld" von Wilbrand. Die Tren- 
nung der beiden Gesichtsfeldhälften durch die beiden Hemisphären 
ist also keine ganz scharfe. Dabei ist das Gesichtsfeld der ungekreuzten 
Seite bez. das „überschüssige Gesichtsfeld" gewöhnlich etwas größer, 
als das der gekreuzten. 

Ist die Schädigung der Sehstrahlung keine vollständige, so können 
hemiopisch verteilte Defekte wechselnder Gestalt ent- 
stehen. Hierzu gehören die sogenannten Quadrantenhemianopsien, deren 
Grenzen natürlich auch nicht mathematisch genau aufzufassen sind, die 
sich vielmehr meist sektorenförmig gestalten. So entstehen dann auch 
bandförmige hemianopische Scotome (Henbchen) und auch eine Art 
konzentrischer hemianopiscber Eineugung kann vorkommen (v. Mona- 
kow). Von Wilbrand endlich sind Fälle von maknlärer Hemi- 
anopsie bei Freibleiben der Peripherie mitgeteilt worden. Es folgt 
aus diesen Tatsachen, daß die einzelnen Abschnitte der Netzhaut dodt 
auch in der Sehstrahlung noch eine bis zu einem gewissen Grade 
isolierte Vertretung haben, wenngleich die Grenzen dieser Art von 
Scotomen keineswegs so scharfe sind, wie bei peripheren Erkran- 
kungen der Netzhaut, eine gewisse Vermischung der Fasern in den 
primären optischen Zentren und der Sehstrahlung also doch sicher- 
lich sclion stattgefunden hat. Durch doppelseitige Herde in den 
Sehstrahlungen können nun natürlich die Grenzen der Gesichtsfeld- 
defekte noch viel mannigfacher gestaltet werden. Würde es einmal 
geschehen, daß die beiden Sehstrahlungen total zerstört würden, 
ohne daß die Rinde selbst dabei angegrilfen würde, so würde sich 
der Zustand eines solchen Kranken von dem eines peripher erblin- 
deten nur durch die Erhaltung der in den Mittelhirnzentren ver- 
mittelten Papillarreaktion unterscheiden. Das würde denn also eine 
totale subcorticale Blindheit sein. 

Durch Schädigungen der Sehstrahlungen scheinen aber auch noch 
andere als Verminderungen der Gesiehtsfeldgrenzen hervorgebracht 
werden zu können, nämlich (jualitative Herabsetzung des Seh- 
vermögens, und zwar sowohl der Sehschärfe, als des Farben- 
sinnes. In eine- Falle von Siemebling fand sich Verminderung der 
Sehschärfe auf - . Siemerling konnte danu auch an sich experimentell 
einen Zustand h-.'vorrufen, welcher dem des von ihm beobachteten 
Gehirnkranken sehr glich, ledigUch durch Herabsetzung der Sehschärfe 
durch geeignete Brillen und monochromatische Beleuchtung der Ob- 
jekte. Es ist möglich, daß daneben auch eine Verminderung des 
Ortssinnes der Netzhaut (Exner) noch in Frage kommt. Tritt die 
Erschwerung des Sehens nur in einer Gesichtsfeldhälfie auf, so wird 
sie als Hemiam blyopie, die entsprechende Störung des Farben-' 
Sinnes als Hemiachromatopsie (Eperon, Verhey, Henscheh 
u. A.) bezeichnet. Die letztere erklärt sich am leichtesten, wenn man, 
der KBiESschen Annahme entsprechend, schon in der Netzhaut einen 
färben tüchtigen Apparat (die Zapfen) und einen Helldunkelapparat 



I 
I 
I 





tialtwe (jeeichtpfeld ist ncliraffierL 



iJ63 XIX. Die corticale Vertretung der Bensibiütät und der SioDe beim Henscheo- 

(die Stäbchen) annimmt und innerbalb der Sehstrahlung eiueo bi: 
einem gewissen Grade isolierten Verlauf der für diese beiden Apparate 
zu postulierenden Nervenfasern für gegeben hält. Im Prinzip jeden- 
falls können subeorticale Zerstörungen keine anderen Erscheinungen 
machen , als solche , welche wir durch eine besondere Verteilung 
peripherer Erkrankung bedingt erklären könnten. 1 

Dem gegenüber stehen die corticalen Sehstörungen, deren 
Kennzeichen die Vernichtung der Gesichtsvorstellungen ist, die Vernich- 
tung der Erfalimngen, welche durch den Gesichtssinn gemacht worden 
sind, die Vernichtung der Möglichkeit, Gesichtseindrücke zu identifizieren, 
zugleich — was eigentlich dasselbe ist — mit der Aufhebung der Möglich- 
keit, neue zu erwerben. Unter diesem Gesichtspunkte schrumpft der 
Unterschied zwischen sogenannter Empfindung und sogenannter Vor- 
stellung zu einem nur quantitativen zusammen. Die Empfindung von 
Hell und die von Dunkel ist, nicht anders wie die Vorstellung von 
einer Kuh und die von einem Pferd, nur auf Grund von Erinne- 
rungsbildern zu differenzieren, oder auf Grund von einer ererbten 
Disposition , Erinnerungsbilder zu gestalten. Die Empfindung des 
Hellen ist nur eine ganz primitive Vorstellung, der sich dann die 
Farbenvorstellungen, später die Form-, Tiefen Vorstellungen u. s. w. zu- 
gesellen. Es ist nicht Gefallen an Haarspalterei, welche uns die ver- 
breitete Unterscheidung von Empfindung und Vorstellung bekämpfen 
läßt (vergl. auch S. 270). Man kann unmöglich zu einer klaren Auf- 
fassung der Gehirn Vorgänge kommen, wenn man annimmt, daß auch die 
primitivste sogenannte Kmpfindnug mit einem Leitungsvorgang zum 
Großhirn gegeben sei. Ehe sie geleitet wird, muß sie bereits da sein, 
sie kann immer nur auf Grund ihres Erinnerungsbildes wiedererkannt 
werden. Durch die Verknüpfung einfachster Erinnerungsbilder werden 
dann die Vorbedingungen geschaffen, um auch kompliziertere Dinge 
auffassen und erkennen zu können. Daß diese Vorbedingungen, diese 
Verknüpfungen auch im späteren Leben noch wieder vernichtet werden 
können, zeigt uns die bei Geisteskranken so häufige sogenannte illu- 
sionäre VerkennuDg von Gegenständen, Personen, Farben, So falsch 
ist es, daß uns unsere Vorstellungen gegeben seien, aber ebenso 
falsch, daß es unsere Empfindungen wären. „Die Unmittelbarkeit der 
Empfindung ist das Vorurteil der Empfindung von Anfang i 
{H. Cohen). 

Wenn wir uns über diesen prinzipiellen Punkt einig sind, 
können wir im praktischen Gebrauch ruhig von den einfachen Licht- 
und Parbenempfindnngen im Unterschied von den komplizierteren 
Form- und Gegenstandsvorstellungen sprechen. Es bietet sogar eine 
gewisse Bequemlichkeit, bei der Erörterung der Bedeutung der Rinde 
für das Sehen in dieser Weise eine — quantitative ^ Unterschei- 
dung zu treffen. 

Wenn wir aber — zunächst beides zusammenfassend — fragen, 
ob, wie es H. Munk für das Gehirn des Tieres bewiesen hat, es auch 
für das Gehirn des Menschen eine Sehsphäre gäbe, in welcher die 
Empfindungen und Vorstellungen auf optischem Gebiet gebildtf 
werden, so ist diese Frage zu bejahen. In der Begrenzung dieses 
Gebietes folgen wir wiederum Monakow: Es ist höchst wahrscheio- 
lich, daß das ganze Gebiet, welches noch durch optische Zeichen ver- 
mittelnde Projektionsfasern bedient wird, zunächst die durch einen 
besonderen Schichtenbau (GENNARischer Streifen) ausgezeichnete Regio 



'■1 




»ehsphäre. 863 



calcarina umfaßt, d. i. die ganze Rinde der Fissura calcarina nebst 
der Lippe des Cuneus und den Lobulus lingualis, dann die Rinde 
der Fiss. retrocalcarina und endlich ein Stück der Rinde in der kau- 
dalen Umgebung der zweiten Occipitalfurche, daß aber die Grenzen 
doch nicht mit dieser besonderen histologischen Differenzierung ge- 
geben sind, die ganze Sehsphäre vielmehr noch den Cuneus, die late- 
ralen Occipitalwindungen, ja sogar die hintere Partie des Gyrus an- 
gularis in sich schließen würde. Daß überhaupt eine Erkrankung des 
Occipitallappens beim Menschen Hemianopsie zur Folge haben kann, 
hat zuerst (1866) Lewick beobachtet; die Regelmäßigkeit des Befundes 
ist dann nicht ohne den Einfluß der Experimentalphysiologie bald er- 
kannt, insbesondere von Nothnagel fixiert worden. 

Gibt es nun innerhalb dieser Sehsphäre eine Projektion der 
Retina auf die Hirnrinde, wie sie von H. Münk für das Tier 
behauptet, von uns schon für das Tier nicht anerkannt worden war? 
Davon ist — wiederum nach dem maßgebenden und auf eine kritische 
Verwertung der gesamten Literatur gestützten Urteil Monakows, 
bisher nichts erwiesen. Die Pathologen haben hier den gleichen 
Fehler begangen, wie die Physiologen; in dem Bestreben, die angeb- 
lich zu postulierende Lokalisation auf der Rinde zu finden, haben sie 
die Zerstörungen der Sehstrahlung, also die subcorticale Schädigung, 
übersehen zu dürfen geglaubt In umfassender Darstellung hat jüngst 
Wehrli diesen Fehler gerügt und die verhängnisvolle Rolle, die er 
gespielt hat, klargestellt. Eine besondere Rolle hat, wie beim Tier, 
die Lokalisation der Macula, der Stelle des deutlichsten Sehens, 
gespielt. Vor allem Hensghen hat sich bemüht, ihr die Calcarina- 
. rinde, insbesondere ihren vorderen Abschnitt, zuzuordnen. Fälle von 
Beevor und Collier, sowie von Christiansen u. A. beweisen mit 
Sicherheit, daß diese Theorie unrichtig ist. Monakow insbesondere 
spricht sich mit großer Entschiedenheit gegen die Annahme irgend 
einer scharf umschriebenen inselförmigen Vertretung der Macula auf 
der Rinde aus. Mit einer solchen Annahme ist die Tatsache in keiner 
Weise zu vereinen, daß bei noch so ausgedehnten Zerstörungen, selbst 
doppelseitigen, der Rinde fast immer die Macula sehttichtig bleibt. 
Totale corticale Blindheit ist dauernd überhaupt noch nicht beob- 
achtet worden, wenn auch natürlich möglich ; gewöhnlich hellt sich nach 
einiger Zeit die Stelle des deutlichsten Sehens wieder auf. Analoges 
sahen wir ja auch beim Tier. Diese Tatsache zwingt zu der Folgerung, 
daß die Macula eine diffuse, sehr umfangreiche, mit radiären Ver- 
bindungen reich ausgestattete, sich wahrscheinlich über die ganze 
Sehsphäre erstreckende Vertretung hat (v. Monakow, Sachs). Mit 
dieser notwendigen Folgerung fällt natürlich jede Projektion der Retina 
auf die Sehsphäre im Sinne einer Mosaiktheorie ^). 

Eine andere Frage wäre die, ob verschiedene Arten von 
Empfindungen und Vorstellungen einen besonderen anatomi- 
schen Ort innerhalb der Sehsphäre einnehmen. Eine solche Annahme 
haben wir bereits gemacht für die Buchstaben bil der (S. 348), 



1) Für von jedem Gesichtspunkt aus verfehlt halten wir die WiLBBANDsche 
Theorie, welcher ein Wahrnehmun^feld, dessen Zellen den Anteilen der Netzhaut 
entsprechend angeordnet sind, und sein Gedächtnis besitzen, annimmt, und ein op- 
tisches Erinneninesfeld, in dessen einzelnen Zellen Je ein optisches Erinnerungsbild 
enthalten ist, und in denen successive nach der Keiheufolge ihres Entstehens die 
Gesichts Vorstellungen sich ansiedeln. 



Bß4 XIX. Di« conic«]fl Vatretnne rier Sensibilität und der Sinne beim Meniicheii. 



t 



von denen wir, Dejebine folgend, glaubten, dali sie iin Gyrus angu« 
laris und zwar allein der linken Seite ihren Sitz hätten. 

Für andere Arten der Gesiehtsvorstellungen scheint etwas Ana- 
loges bisher nicht bewiesen. Insbesondere sind Störungen des Farben- 
sinnes auf rein cortioale Störungen bisher nicht zu beziehea ge- 
wesen. 

H. SACHß hat unterschieden zwischen einem optisch-aensoriscben 
Feld, in welchem die einfache, Farbe und Intensität besitzende Licht- 
wahrnehniung gebildet würde, und einem optisch-motorischen, in 
welchem die Bewegungsvorstellnngen zu stände kommen, welche voq 
den Augenmuskeln herstammen und in ihren Associationen mit den 
Lichtempfindungen die Form der gesehenen Gegenstände erpeben. 
Das letztere könnte also etwa dem entsprechen, was H, Ml'NK unter 
Augenfflhlsphäre versteht. Diese SACussche Einteilung ist jedenfalls 
zu beachten. Sie trägt der Wichtigkeil der Aiigenbewegungen für 
das Zustandekommen der Gesichtsvorstellungen Rechnung, und bleibt 
auch von physiologischer Bedeutung, wie Sachs selbst bemerkt, wenn 
Lichtfeld und Augen bewegungsfeld nicht in getrennten Bezirken der 
Hirnrinde liegen, sondern sich decken. Das erste ist in der Tat bis- 
her noch nicht erwiesen, aber die SACHSsche Theorie auch in der 
Krankenbeobachtung noch nicht genügend ausgenützt. Störungen der 
Tiefenlokalisation, ein Vorbeigreifen an den Gegenständen ist zwar 
beschrieben worden , so in einem Fall von Läsion beider unterer 
Scheitelläppchen von Pick, der die Erscheinung auf Störungen der 
Innervation sgefOhle der Augen bezieht, aber diese Störungen könnten 
möglicherweise nur sekundär durch die hemianopische Sehstöning be- 
dingt gewesen sein. Denn Hemianopische greifen sehr häutig fehl, 
sie halbieren nach Axenfelds Beobachtung auch horizontale Linien 
meist falsch, indem sie die Teitungsstelle nach der hemianopischen 
Seite hin verschieben. Wie dieser Urteilsfehler zu stände kommt, 
insbesondere, inwieweit und ob eine Störung der Augenniuskelinner- 
vation dabei mitspielt, ist noch nicht ganz festgestellt. Auch hemi- 
anopische Hunde springen übrigens nach Fleischstücken häufig in 
falscher Richtung, und meist zu sehr nach der hemianopischen Ge- 
sichtsfeldseite hin, auf. 

Wenn wir nun zu den Erscheinungen der corticalen SehstArung 
selbst übergehen, so müssen sich diese ja von den subcorticalen da- 
durch unterscheiden, daß bei den ersten die Erinnerungsbilder dw 
Empfindungen und Vorstellungen selbst zerstört sind, während sie bei 
den letzteren nur von der Peripherie nicht erreichbar sind. Dabei 
spielen außer für die Buchstaben rechte und linke Hemisphäre die 
gleiche Rolle, und im allgemeinen genügt sogar eine Hemisphäre fOr 
die Erkennung und Identifizierung der Außenwelt. Gegenstände 
werden dann gut erkannt, wenn sie sich nicht in der hemianopischen 
Gesichtsfeldhälfte befinden. Allerdings zeigt sich manchmal auch 
schon bei Hemianopischen auch in der sehenden Gesichtsfeldhälfte eine 
Unsicherheit und vor allem eine große Ermüdbarkeit im Erkennen 
der Gegenstände, so daß also wohl die eine Hemisphäre durch die 
andere unterstützt wird. 

Jemand, der seiner beiden Sehsphären, also seiner sämtlichen 
optischen Erinnerungsbilder, beraubt ist, ist viel schlimmer daran, ak 
ein peripher Blinder, ja selbst schlimmer, als der Blindgeborene. Dens 
der letztere hat ja von vornherein auf die Mitwirkung seiner Seh- 



1 




Verlust der optischen Elrinnerungsbilder. 365 



Sphäre zur Ausbildung seiner psychischen Persönlichkeit verzichten 
müssen. Dem bisher Sehenden wird durch deren Zerstörung aber das 
optische Element aus allen seinen Vorstellungen herausgerissen; er 
wird dadurch auch als psychische Persönlichkeit aufs schwerste ver- 
ändert. Nun wird die doppelseitige Zerstörung der ganzen corticalen 
Sehsphäre wohl kaum jemals beobachtet, aber mehr oder minder 
hochgradige doppelseitige Zerstörungen kommen nicht allzu selten vor. 

Auf die so hervorgebrachten Krankheitsbilder hat man zum Teil 
die MuNKSchen Bezeichnungen der Seelenblindheit und der Rinden- 
blindheit angewandt, nicht ganz mit Recht. Denn die Seelenblindheit 
in dem MuNKschen Sinne als Verlust der Erinnerungsbilder bei Er- 
haltung der einfachen Wahrnehmungen existiert nicht, das so gedeutete 
Bild geht ganz allmählich in das der sogenannten Rindenblindheit 
über ^). Auch hat die Klinik dabei zwischen subcorticaler und corticaler 
Ursache bisher wenig unterschieden. Immerhin wird sich die Be- 
zeichnung der Seelenblindheit, da sie doch eine gewisse charakteri- 
sierende Kraft besitzt, nicht mehr verdrängen lassen. 

Die wesentliche Folge des Verlustes der optischen Er- 
innerungsbilder ist dann die, daß der Betroffene nun nicht nur die 
Gegenstände nicht mehr erkennt, sondern sie sich auch nicht mehr 
optisch vorstellen kann. Daher ist eine ganz auffallende Folge der 
corticalen Zerstörungen im Gebiete beider Sehsphären der Verlust der 
Orientierungsmöglichkeit. Der Kranke findet sein Bett, seinen Stuhl 
nicht mehr. Er weiß eben nicht mehr, wo und wie sie zueinander 
stehen, und lernt es auch nicht wieder. In leichteren Fällen kann er 
sich wenigstens auf der Straße nicht mehr zurecht finden, da er das 
optische Bild der Stadt verloren hat; er kann auch nicht mehr be- 
schreiben, wie er früher gegangen ist, als er diesen oder jenen Weg 
machen wollte. In schweren Fällen hat der Kranke auch die optische 
Erinnerung an sehr einfache Gegenstände verloren. Er weiß nicht 
mehr, wie die Blätter eines Baumes nach Form und Farbe aussehen. 
Konnte der Kranke früher gut zeichnen — Seelenblindheit bei Malern 
und Zeichnern ist öfter beschrieben (Rieger, Charcot, Monakow) 
— so hat er es verlernt oder seine Zeichnungen sind schwerfällig 
und schülerhaft. Bei Kranken ohne solche spezifische Begabung kann 
man unter Umständen den Verlust der Fähigkeit, selbst einfachste 
Figuren, Dreiecke, Rechtecke, spontan zu zeichnen, feststellen. 

Gegenstände können entweder nicht erkannt, oder auch verkannt 
werden. Eine Flasche wird als ein Licht, ein Topf für eine Pfeife, 
eine Muffe für ein Nadelkissen gehalten. Haben die Gegenstände, 
wie z. B. die Pelzmufi'e, für den Tastsinn etwas Charakteristisches, so 
können sie, wenn der Kranke diesen zu Hilfe zieht, dann identifiziert 
werden. Im übrigen zeigt sich auch bei der Seelenblindheit das 
schon bei der Lehre von der Sprache erwähnte Symptom des Haften - 
bleibens. Legt man einem solchen Kranken eine Kollektion von 
Gegenständen vor, etwa Portemonnaie, Federhalter, Schlüssel und 
Messer und verlangt von ihm, er solle den Schlüssel zeigen, so 
kommt es vor, daß das einmal richtig geschieht, daß bei den nächsten 
AuflForderungen aber auch die anderen Gegenstände als Schlüssel ge- 

1) Es sei noch einmal bemerkt, daß zur Seelen blindheit im Sinne H. Munks 
dauernde Kindenblindheit der Macula und Möglichkeit des Ersatzes durch periphere 
Netzhautteile gehören wfirde. Von beiden ist bei der klinisdien Seelenblindheit deB 
Menschen keine Rede. 



afifi XTX. Die corticale VprWrtnn? Hit Wenmbilität hihI der Sinne Ijeim UoDBchoi. 



t 



geben werden, und daß daiin der Kranke dabei bleiben kann, der ~ 
Federhalter wäre ein Sclilflssel. 

Ist der Kranke nicht subcortieal, sondern wirklich cortical „seh- 
schwach", so gibt ihm der äußere optische Eindruck doch gewöhnlich 
eine Unterstützung, eine Belebung seiner Vorstellungen. So gibt es 
Kranke, welche zwar die Nase, den Mund, die Ohren des ihnen gegen- 
übersitzenden Arztes, aber nicht diese Teile an sich selbst zeigen 
können, weil sie sich ihr Geäicht nicht mehr vorstellen können. 

Andererseits unterliegen solche Kranke sehr leicht Suggestionei 
auf optischem Gebiet Wenn man ihnen einen Federhalter zei^ 
und dabei sagt, „dies ist doch ein Schlüssel", so ist es nicht selten, 
daß sie den Federhalter nun wirklich für einen Schlüssel ansehen, weil 
durch da» Wort die Vorstellung des Schlüssels in ihaen wachgerufen 
worden ist, und der äußere Eindruck nicht sicher genug identifiziert 
wird, um die associativ angeregte Vorstellung zu verdrängen; dabei 
braucht die optische Vorstellung des Gegenstandes nicht einmal direkt, 
sondern kann associativ geweckt werden. So erzählt Liepmann von 
einem Seelenblinden, der zunächst ein gewöhnliches Zimmer als Bade- 
zimmer auffaßte und nun den Tisch als Badewanne, das Bücherbrett 
als Thermometer sah, weil die Vorstellung der Badeutensilien seine 
weiteren Identifikationsversuche beherrschte. Man sieht einerseits die 
Beziehung zum Haftenbleiben, andererseits stellt eine solche VeN' 
kennung einen Vorgang dar, der völlig gleich ist der Illusion i 
Geisteskranken. Von Beobachtungen dieser Art zu den 
kennnngen des Delirium tremens und den durch die Angst gewisser^' 
maßen suggerierten Verkennnngen des Melancholischen ist kaum noch 
ein Schritt, und sicherlich nur noch ein kleiner Abstand zu den eigent- 
lichen Hallucinationen; so kommen wir durch das Studium der Herd- 
erkrankungen des Gehirns bis an die Grenze der auf diffusen Vor- 
gängen beruhenden psychopathologischen Erscheinungen, insoweit sie 
auf dem Gebiete der Sinnesorgane spielen. 

Denn es ist ein unabweisbares Postulat, daß die Sinneshallud- 
nationen der Geisteskranken oder der Träumenden ihr anatomischsiy 
Substrat haben in den entsprechenden Siunessphären. J 

Wenn wir sagten . daß durch eine begriffliche Vorstellung da^ 
sinnliche innere Bild emes Gegenstandes hervorgerufen werden kann, 
so kann das natürlich nur auf dem Wege einer trauszeutralen Leitung 
geschehen, und wir kämen damit zu der dritten Art der durch GroB- 
liiruerkrankung bedingten Art von Sehstörung, der transzentralen 
(associativen). Theoretisch ist diese Abart sehr einfach zu definieren 
als die Isolierung der optischen Erinnerungsbilder aus dem psychischen 
Leben; die optischen Erinnerungsbilder würden vorhanden sein, müBten 
auch von der Peripherie aus zu wecken sein, dürften aber weder VOB' 
den Begriffen aus anzuregen sein, noch selbst Begriffe und Dingvi 
Stellungen anregen können. Praktisch würde das wohl auf dassell 
herauskommen, wie die corticale Sehstörung selbst. Praktisch ist 
auch in den meisten Fällen Geschmacksache, ob man Herabsetzungen 
der corticalen Sehfähigkeit als durch eine Verminderung der Leitungs- 
fähigkeit der transzentralen Bahnen oder als eine Störung der Erreg- 
barkeit oder des Getriebes innerhalb der Sehsphäre selbst ansehen 
will. Die Analogien mit den Sprachstörungen kann ein jeder leicht 
selbst ziehen. Wir haben daher hier nur don Gesichtspunkt anzn- 
deuten, dem auch die anatomische Tatsache entspricht, daß die Seh: 



eo 

)n. ^^ 



m 







Hören. Musiksinn. 3f>7 



Sphäre wie jedes andere Rindenfeld durch Associationsfasern mit den 
anderen Rindengebieten verbunden ist. 

Wenn wir zu den Beziehungen des Gehirns zum Hören 
übergehen, so haben wir deren wichtigsten Abschnitt, das Wortehören, 
bereits in dem Kapitel über die Sprache ausführlich behandelt. Wir 
hatten hingewiesen auf jenen merkwürdigen Umstand, daß, trotzdem 
die Worte mit beiden Ohren gehört werden, doch die Wortklangbilder 
nur in der linken gebildet werden. Das gilt für die Tonbilder nicht, 
auch nach dem Ausfall einer Hemisphäre werden alle Töne gut wahr- 
genommen. Das Zentrum der Hörsphäre befindet sich unzweifelhaft 
im Schläfenlappen; wie weit es sich in ihm und vielleicht noch 
über ihn hinaus erstreckt, ist noch strittig. Ihre doppelseitige Zer- 
störung bedingt völlige Taubheit. 

Wohl unzweifelhaft im Bereich der Hörsphäre lokalisiert ist die 
M u s i k , die Tonsprache, auch sie kann durch Herdläsion des Gehirns 
in der gleichen Weise gestört werden, wie die Wortsprache. Knob- 
lauch hat denn auch ein dem WERNiCKE-LiCHTHEiMschen ganz ana- 
loges Schema für die Tonsprache konstruiert, das man sich ja leicht 
vorstellen und teilen kann in die musikalische Expressivsprache, das 
Musikverständnis und die Schriftsprache der Musik, die Notensprache. 
Es ist auch behauptet worden, daß das Musikverständnis sich ebenso 
wie das Sprachverständnis an die linke Hemisphäre knüpft, in der 
Tat ist in einigen Fällen von linksseitiger Zerstörung (zugleich mit 
Sprachtaubheit) trotz Erhaltung der Fähigkeit, Töne zu hören, ein 
Verlust des Melodienverständnisses beobachtet worden. Aber ganz 
sicher gilt das nicht für alle Menschen. 

Das Musikverständnis ist ja etwas außerordentlich Kompliziertes. 
Sehen wir von der schöpferischen Fähigkeit des Komponisten ganz 
ab, so umfaßt es die Fähigkeit, Töne zu differenzieren, Tonfolgen auf- 
zufassen, sowohl in ihrem Rhythmus wie in ihren Intervallen, und vor 
allem diese Tonfolgen im Gedächtnis festzuhalten und sie zu reprodu- 
zieren. Die Begabung hierfür ist bekanntlich eine sehr verschiedene 
im Gegensatz zu der Begabung für die Wortsprache. Gibt es doch 
Leute, die nicht im stände sind, trotz normaler Beschaffenheit des 
Labyrinths Töne überhaupt ihrer Höhe nach zu unterscheiden. Ihnen 
gegenüber stehen die mit sogenanntem absoluten Tongedächtnis be- 
gabten, die also einen jeden einzelnen Ton sofort der Höhe nach be- 
zeichnen können. Dieses Beispiel ist übrigens sehr instruktiv, um 
die Unhaltbarkeit einer anderen als quantitativen Unterscheidung 
zwischen sogenannter einfacher Empfindung und sogenannter Vor- 
stellung zu beweisen. Die Grade und Arten des angeborenen Un- 
musikalischseins bieten interessante Parallelen zu den Zuständen er- 
worbener Aphasie. Sehr häufig ist die amnestische Amusie, welche 
spontan eine gesuchte Melodie nicht reproduzieren kann, sie aber vor- 
gesungen rekognoszieren kann. Das ganz gewöhnliche Faktum, daß 
eine Melodie durch Vermittlung des ihr zu Grunde gelegten Textes 
gefunden wird, ist ein Analogen zu dem sehr ungewöhnlichen, daß 
bei manchen Aphasischen die Worte nur durch die Melodie gefunden 
werden können. Sehr charakteristisch sind auch die Abstufungen der 
musikalischen Merkfäbigkeit, auf welcher die Möglichkeit, den Gedanken 
eines Tonwerkes zu folgen, zum sehr großen Teil beruht.- Wenn wir 
analoge erworbene Störungen der Sprache den transzentralen zugesellt 
haben, so muß das Vorkommen solcher angeborenen Defekte in der 



3(iS XIX. Die coriicflle Vertretung der Senaibilität und der Sinne beim McDM-faen. 

musikalischen Begabung uns wieilerum davor warnen, diesem Begriff dei 
Transzentralen eine gar zu strenge real-anatoinische Bedeutung anter 
zulegen, denn bei diesen angeborenen Sc&rungen handelt es sich dodtfl 
sicherlich nicht um die mangelhafte primäre Ausbildung von Leitungs- " 
bahnen, sondern um eine mangelhafte Entwicklung der Zentren und 
sekundär erst der Bahnen. 

Es überrascht nicht, daß bei Menschen mit ungewöhnlicher musi- 
kalischer Begabung eine besondere Ausbildung des Schläfenlappens 
wiederholt bei der Autopsie gefunden ist (zuletzt von Auerbach). 
Ein besonderer Sitz des musikalischen Talentes innerhalb des Schtäfen- 
lappens ist aber weder nachgewiesen noch wahrscheinlich. Dagegen 
scheint es doch, als wenn entsprechend der GALLschen Lehre sich 
diese besondere Ausbildung des Schläfen lappens auch äußerlich in der 
Form des Schädels kundgeben kann. 

Die Leitungswege der peripheren Sensibilität zur 
Rinde sind bereits dargestellt worden (Kap. XII), gerade auch mit 
Rücksicht auf den Menschen. Wir erinnern, daß im Rfickenmark zwar 
die Bahnen für Schmerz und Temperatur getrennt verliefen, daß aber 
im Thalamus alle die sensiblen Bahnen wieder zusammenstießen, um 
von hier in neuen Axonen die Rinde durch die innere Kapsel za 
erreichen. Da die motorischen Bahnen der Rinde den Thalamus um- 
gehen, so haben Herde im Thalamus bez. in seinen ventromedialea J 
und lateralen Kernen immer sehr erhebliche Sensibilitätsstörungen be"' 
verhältnismäßig geringer oder ohne Beteiligung der Motihtät zur Folgt 
(Dejerine). 

Ob nun diese unzweifelhaft vom Thalamus entspringenden sea-A 
siblen Bahnen innerhalb der inneren Kapsel ein eigenes Feld ein- 
nehmen, ist eine häufig diskutierte Frage. Schon TilRCK hat auf Sen- 
sibilitätsstörungen bei Herden im hintersten Abschnitt der inneren 
Kapsel aufmerksam gemacht. Charcot und Ballet suchten die 
Lehre von einem Carrefour sensitif zu begründen, nach welcher im 
retrolentikulären Abschnitt der inneren Kapsel die Bahnen für die 
Körpersensibilität gemeinsam mit denen für das Sehen und Hören 
verlaufen sollten. Es sind jedoch von Dejerine und Marie Fälle 
mitgeteilt worden, in denen dieser Teil der inneren Kapsel zerstört 
und keine Sensibilitätsstorungen aufgetreten waren. Die Fasern der 
Körpersensibilität liegen aber doch vor der Sehstrahlung. Hensches 
nimmt an, daß sie mit den motorischen Fasern gemischt und durch 
die ganze innere Kapsel verteilt seien. Das dürfte nur zum Teil 
richtig sein, denn es sind doch Fälle von schwerer Hemianästhesie 
hauptsächlich bei LSsionen im hinteren Gebiet der inneren Kapsel be- 
obachtet worden, so daß wenigstens in deren vorderstem Anteil wohl 
keine oder nur sehr wenig sensible Fasern liegen. Daß innerhalb d» J 
inneren Kapsel die Fasern für einzelne Sinnesiiualitäten getrennt ver-1 
laufen, ist nicht erwiesen. I 

Zu welchen Teilen der Großhirnrinde nun gehen diese Fasern?, I 
welche Teile der Großhirnrinde sind also schon aus anatomischen 
Gründen zu der Sensibilität der Kürperperipherie in Beziehung zs 
bringen? Es dreht sich hier hauptsächlich um die Frage, ob Endi- 
gungsstätte der sensiblen und Ursprung der motorischen Bahnen auf der 
Binde topographisch voneinander scharf zu trennen seien. Das scheint 
nun doch nicht möglich zu sein. Dejerine und Henschen vertreten 
die Ansicht, daß die vordere Zentralwindung nicht nur Ursprung der _ 




Vertretung der KörpersenBibilität 369 



Pyramiden, sondern auch Endigung sensibler Bahnen sei (beim Tier 
kann man leicht durch die Degenerationsmethode feststellen, daß auch 
in der elektrisch erregbaren Region Thalamusfasern endigen), und 
ebenso gaben wir bereits früher an, daß die motorische Region sich 
nicht auf die vordere Zentralwindung beschränkt, sondern weiter nach 
hinten auf den Parietallappen übergreift. Hier enden aber sicher auch, 
und zwar in der Hauptmasse, die sensiblen Fasern. Herde des Parietal- 
lappens brauchen aber nur sehr geringe Motilitätsstörungen zu machen, 
weü der wichtigste Teil der motorischen Sphäre die vordere Zentral- 
windung ist. Dagegen sind für solche Herde geradezu charakteristisch 
Sensibilitätsstörungen (Mills, Oppenheim). Andererseits gibt insbe- 
sondere Monakow an, daß Herde der vorderen Zentralwindung ohne 
merkliche Sensibilitätsstörungen verlaufen können. Aber daß in ihr 
zentripetale Fasern endigen, erscheint doch sicher. Jedenfalls aber 
sind lokale Differenzen innerhalb der sensomotorischen Region vor- 
handen, eine Anhäufung der Sensibilität nach hinten, der 
Motilität nach vorne. 

Die Leitung von der Körperperipherie zur Rinde ist eine fast 
völlig gekreuzte. Dementsprechend kann nach großen Herden, sei es 
corticaler, sei es subcorticaler Natur, eine fast völlige Anästhesie der 
gekreuzten Seite eintreten. Besteht zu gleicher Zeit eine Hemiplegie, 
so kann diese lokale Hemianästhesie es bewirken, daß, wie F. Müller 
sich ausdrückt, diese Körperhälfte ganz aus dem Bewußtsein des 
Kranken ausgelöscht ist, so daß er sich über die vorhandene Lähmung 
gar nicht ins klare kommt. Zu einer absoluten Gefühllosigkeit haben 
wir es jedoch in Uebereinstimmung mit P. Marie u. A. nie kommen 
sehen. Bei länger dauernden schmerzhaften Reizen hat der Kranke 
doch eine dunkle Wahrnehmung. Die Grenze der Sensibilitätsstörung 
ist in diesen schweren Fällen, die sich über den ganzen Körper er- 
strecken, ziemlich genau die Mittellinie, gegen die hin sich die Sensi- 
bilität jedoch etwas aufhellt. 

Gestaltet sich die Störung von vornherein oder im Laufe der 
Besserung durch Verschwinden der indirekten Herdsymptome nicht 
so hochgradig, so pflegt nach Monakow am wenigsten immer die 
Schmerzempfindung, wesentlich mehr Temperatur- und Drucksinn, 
dann Muskelsinn und Berührungsempfindung gestört zu sein. Trotz- 
dem kommen aber Variationen, insbesondere bei subcorticalem* Sitze 
der Läsionen, vor. Nur der Schmerzsinn scheint allerdings immer er- 
halten zu sein. Da man den Schmerzsinn wohl heute allgemein als 
eine besondere Sinnesqualität, nicht als eine Reaktion aller möglichen 
sensiblen Nervenfasern auf besondere oder übermäßige Reize auffaßt, 
so würde wahrscheinlich sein, daß die Schmerzfasern besonders weit 
in der subcorticalen Faserung auseinanderstrahlen. 

Die Schmerzempfindung ist ferner häufig verlangsamt und dabei ge- 
steigert. Es gibt auch Fälle, die eine kurze Berührung überhaupt nicht, 
aber ein leichtes Reiben auf der Haut als den lebhaftesten Schmerz 
empfinden. Es gibt solche, die sofort wütende Schmerzen bekommen, 
wenn sie sich auf die hypästhetische Seite legen, und diese auf der 
Unterlage etwas hart aufliegt. Diese leiten über zu den Fällen mit 
spontanen Schmerzen (Hemiplegia dolorosa), die von Edinger als 
„zentrale Schmerzen" bezeichnet sind. Der genauere Mechanismus 
dieser zentralen Schmerzen ist jedoch noch keineswegs klar, es er- 
scheint doch noch nicht ganz sicher — insbesondere auf Grund der 

Lewandowsky, Funktioucn d. zentralen Nervensystems. 24 



XIX. Die corticBJe Vertretung der ßen^iliilitiit und der l^inne beim Meoncheo. 

erwähnten Uebergangsfälle, ob die Erregung vod der Peripherie fär 
diese Schwerzen ganz entbehrt werden kann, oder ob nur eine eigen- 
tümliche Transformation dem Ursprünge nach doch peripherer Er- 
regungen statt hat. Vorkommen können diese Schmerzen gelegentlich 
immer, wenn Sensihilitätsdefekte vorhanden sind. Ihnen stehen nahe 
eine ganze ßeihe von Parästhesien — Ameisenlaufen . Gefühl des 
kalten Ueberlaufens, Taubheitsgefühl — welche natürlich alle nach außen 
projiziert werden. 

Die cerebralen Sensibilitütsstörungen, sofern sie nicht total sind, 
pflegen an den distalen Enden der Extremitäten am stärksten hervor- 
zutreten. Es ist das eine so regelmäliige Beobarlitung, daß, wie auch 
der Herd in der Zentralregion lokalisiert sei, nicht etwa einmal 
Schulter-, oder ein anderes Mal Ellbogen-, ein drittes Mal die Hand- 
gegend am schwersten betroffen ist, sondern immer am stärksten oder 
ausschließlich die letzte, so daß Bonhoeffer dieses Verhalten mit 
Recht als eine Widerlegung der McNKschen Ansichten über die Lokali- 
sation und die zentrale Projektion der Sensibilität bezeichnet haL 

Diesen Störungen der sogenannten elementaren Sensibilitätsquali- 
täten hat Wbbnicke nun noch eine Tastlähmung an die Seite ge- 
stellt, welche er analog der Seelenblindheit durch Verlust der optischen 
auf einen Verlust der Tasterinnerungsbilder zurückführte. Bedingung 
dieser Tasilähmung wäre also, daß die sogenannten elementaren 
Sinnesemplindungen nicht oder nicht soweit gestört seien, daß dadurch das 
Nichterkennen getasteter Gegenstände, die Stereoagnosie, erklärt werden 
könnte. Insbesondere der Muskelsinn muß intakt sein, dessen peri- 
phere Störungen in sehr hohem Maße das Tasten beeinträchtigen, 
(Der Verlust der aktiven Beweglichkeit der Glieder, also selbst totale 
Hemiplegie, braucht das Erkennen getarteter Gegenstände gar nicht 
zu beeinträchtigen, wenn mit den Fingern genügend passive Bewe- 
gungen an den zu erkennenden Gegenständen gemacht werden.) Es 
sind unzweifelhaft eine Reihe von Fällen beobachtet worden, welch» J 
dem WERNicKEschen Bilde entsprachen. Kleine SensibilitätsstÖrungenl 
waren allerdings immer vorhanden, aber diese genügten nicht, om da«^ 
Nichterkennen von Gegenständen zu erklären, sondern es mußte die 
Störung einer besonderen Zusammenfügung von Eindrücken, also der 
Tasterinnerungsbüder von Wernicke, angenommen werden. Trott- 
dem halten wir es wiederum nicht für korrekt, von einer Erhaltong 
der Wahrnehmungselemente im Gegensatz zum Tastbilde, oder von 
einem Verlust der „Sensation'' bei intakter „Perzeption" {CLAPAsfeDB 
und Markowa) zu sprechen, Kraher hat kürzlich, trotzdem er sich 
derselben Delinition anschließt, auseinandergesetzt, wie sich eins aus 
dem anderen entwickelt. Die erste Stufe ist, daß überhaupt eine Be- 
rührung wahrgenommen wird, die zweite, daß sie richtig lokalisiert 
wird. Schon die Störung des Lokalisationsvermögens ist denn auch 
bei cerebralen Herden eine sehr gewöhnliche. Dabei haben wir zu 
unterscheiden die Lokalisation leichter Berührungen und die Lok&U- 
eation von Druck, welch letztere nach Head durch die tiefe Sensibi- 
lität geleistet werden kann M- Ohne die Kenntnis von der Stellung 
der Glieder im Kaum kann ja auch die Bestimmung der Lage einer — 

1) Auch die LokaliBadon der SiihmenempfloduDK' ^^ 1^ für dM TmIah keine 
Rolle spielt, kasD bei Bimherden so »stört Bein, dÄS der Kranke troU lehbaftcr 
nihjektiver Empfindung bdne Ahnung nat, ob er an Arm, Rumpf oder B^ ge- 
Btodien oder gekniffeu ist. 




TastlahmuDg. 37 1 



doch verschiebbaren — Hautstelle nicht geleistet werden. Ist die 
Lokalisation intakt, so gelingt es dann auch, zwei Punkte in normaler 
— für die verschiedenen Körperregionen bekanntlich verschiedener — 
Entfernung wahrzunehmen. Daher ist die Prüfung mit dem Weber- 
sehen Tasterzirkel auch ein Maß für die Feinheit der Lokalisation. 
Eng zusammen hiermit hängt die Wahrnehmung der gegenseitigen 
Lage einer Anzahl nacheinander berührter Hautpunkte, welche in der 
Erkennung einer auf die Haut gezeichneten Form, etwa einer Zahl oder 
eines Buchstabens ihren Ausdruck findet. Zur Wahrnehmung einer drei- 
dimensionalen Form endlich mnß ^die Lage der berührten Punkte 
auf der Haut, die Stellung der Gliedabschnitte associiert, aus den er- 
haltenen successiven Bildern mit Hilfe der Vorstellung der geschehenen 
Bewegung das Gesamtbild des Gegenstandes konstruiert werden^ 
(Kramer). Es findet also nicht nur eine Association simultaner Er- 
regungen verschiedener Sinnesqualitäten, sondern auch die Verschmel- 
zung einer successiven Reihe solcher associierten Eindrücke statt. 
Die Analogie mit der Erkennung optischer Eindrücke durch die be- 
wegten Augen liegt auf der Hand. Es scheint, als wenn flir dieso 
komplizierte associative Leistung des Tastenkönnens der Parietallappen 
von besonderer Bedeutung sei, der allerdings daneben auch Projektions- 
fasern von der Körperperipherie erhalten dürfte. Also wie an anderen 
Stellen dürften sich auch hier innerhalb der Projektionsfelder besonders 
feine associative Zusammenhänge herausgebildet haben. Wir wollen 
für diese Tastlähmung die Unterscheidung in eine subcorticale, corti- 
cale und transcorticale Form, die nur einen akademischen Wert haben 
könnte, nicht weiter durchführen. 

Zu erwähnen haben wir nur noch kurz die cerebrale Ataxie, 
welche wie jede Ataxie auf dem Ausfall zentripetaler Erregungen 
beruht. Sie kann ebensogut hervorgerufen sein durch Unterbrechung 
der sensiblen Leitungsbahnen oder auch eine Schädigung der Rinde 
selbst. Im letzteren Fall ist sie meist mit eine Parese kombiniert. 
Auch die corticale Ataxie muß im wesentlichen durch Störungen des 
Muskelsinnes begründet werden. Diese können sich nur insoweit 
geltend machen, als die Ausführung der Bewegung noch in der Rinde 
und nicht in subcorticalen Zentren beeinflußt wird. 

Corticale Geruchs- und Geschmacksstörungen spielen gar keine 
Rolle. 

Die cerebralen Sinnesstörungen können in mannigfachen Kom- 
binationen miteinander vorkommen. Ein Kranker kann seelenblind^ 
worttaub und tastlahni zusammen sein. Nach Finkelnburgs Vorschlag 
hat man solche allgemeineren Störungen Asym bolie, genauer senso- 
rische Asymbolie genannt, während man die einzelnen Sinnesstörungen 
auch als Agnosien bezeichnet hat. Die Asymbolie bedeutet natürlich 
auch eine beträchtliche psychische Verarmung, eine Demenz des be- 
troffenen Individuums. Sie findet sich sowohl bei multiplen Herd- 
erkrankungen, als auch bei progredienten Psychosen, wie der Katatonie» 
besonders häufig bei der ja auch auf sehr ausgebreiteten, aber doch 
im Prinzip herdförmig auftretenden Zerstörungen der Hirnsubstanz 
beruhenden progressiven Paralyse. 



24 




Wenu ein Gegenstanii nicht erkannt wird, so kann er aucb nicht 
zweckmäßig gebraucht werden. Wenn ein Seelen blinder einen Feder- 
halter für eine Zigarre hält, so wird er ihn natürlich in den Mund 
stecken. Nun hat aber in neuerer Zeit Liepmann ein Kraukheits- 
bild bekannt gemacht, das er mit dem Namen der (motorischen) 
Apraxie belegte, und welches er definierte als „Unfähigkeit zu 
zweckgeniäßer Bewegung der Glieder bei erhaltener Beweglichkeit". 
Es handelt sich also darum, daß Gegenstände nicht oder nicht richtig 
gehandhabt werden können, nicht, weil sie falsch erkannt werden, J 
oder weil die sensorischen Erinnerungsbilder der Gegenstände diaj 
Handlung nicht genügend unterstützen, sondern der motorische An-1 
teil der Handlung selbst ist in Unordnung. Der Kranke steckt den 
Federhalter in den Mund, trotzdem er ihn richtig erkennt, weil die 
Handlung selbst entgleist, oder er kann etwa seine Pfeife nicht stopfen, 
trotzdem er ganz genau sieht und weiß, daß das seine Pfeife ist, und 
daneben sein Tabak liegt. J 

Uns sind solche Erscheinungen im Prinzip nun keineswegs nea.1 
Entdeckt sind sie von Goltz beim Hunde, und alle diejenigen Folgen,^ 
welche wir beim Hunde nach der Exsttrpation der seusomotorischen 
Zone überhaupt beobachten, und welche wir hier früher geschildert 
haben, sind Apraxie, und nichts als Apraxie. Denn wir sind ja 
nicht im stände beim Hunde überhaupt eine Lähmung durch 
cortieale Operationen zu bewirken. Die Muskeln sind nicht gelähmt, i 
ganz wie es Liepmann für die Apraxie verlangt, der Hund erkennt 1 
auch den Knochen, der vor ihm liegt, denn mit der einen Pfote kann ^ 
er ihn ja fassen, mit der anderen aber, deren seusoraotorische Region 
verletzt ist, kann er es nicht mehr, er kann die Pfote nicht mehr 
als Hand gebrauchen, wie sich Goltz ausdrückt, nicht mehr isolierte 
Bewegungen machen, wie' Munk sagt. Das ist im strengsten Sinne 
Apraxie. Wenn beim Menschen Störungen dieser Art nicht scbOB,J 
längst genügend gewürdigt worden sind, so liegt das daran, daß durch I 
die sich hier meist findende eigentliche cerebrale Lähmung die Auf- 1 
merksamkeit der Kliniker abgelenkt wurde, trotzdem gerade hier ein- 
mal der Weg durch das Tierexperiraent klar vorgezeichnet war. 

Freilich gilt das nur für die Apraxie der Extremitäten, denn in 
der motorischen Aphasie haben wir bereits eine typische Form der 
Apraxie, die Apraxie der Sprachmuskeln, l)esprochen, und so ist auch j 





Apraxie beim Tier. 373 



hier wieder die Lehre von der Sprache die Führerin zu einfacheren 
Wegen gewesen. 

Wie der motorisch Aphasische seine Mundmuskulatur und seine 
Zunge zwar bewegen, aber nicht jene Zusammenfassungen finden 
kann, welche wir eben als Sprache bezeichnen, so kann auch der 
Apraktische seine Extremitäten bewegen, aber gewisse Zusammen- 
fassungen nicht finden. Wie die Sprache, so ist' auch die Handlung 
dem Menschen ebensowenig wie dem Tier als ein göttliches Geschenk 
in die Wiege gelegt worden; sie ist langsam erarbeitet worden im 
Laufe der Phylogenese, und in der Entwicklung des Kindes sehen 
wir bei jedem Individuum im Sinne . des HAECKELschen biogene- 
tischen Grundgesetzes den Lauf der Phylogenese sich annähernd 
wiederholen. 

Wir sind uns dessen nicht so bewußt, daß auch die Bewegung 
und Handlung des Individuums fast ebenso auf ein Lernen und zwar 
auf ein „Nachmachen'' wahrgenommener Handlungen zurückgeht. Ein 
Kind, das man in der freien Natur unberührt von jedem Eindruck 
menschlicher Arbeit aufwachsen ließe, für dessen Ernährung allein 
man Sorge trüge, würde außer dem Aufrichten, Stehen und Gehen, 
einigen spielerischen Greifbewegungen und vielleicht einigen Abwehr- 
bewegungen wohl kaum eine motorische Fähigkeit sein eigen nennen. 

Während die Sprache auf akustischem Wege gelehrt wird, liegen 
die leitenden Vorstellungen der Extremitätenhandlung 
ganz vorzugsweise auf optischem Gebiet, wenngleich selbst 
einer oberflächlichen Betrachtung sich die Bedeutung auch der 
kinästhetischen Vorstellungen beim Handeln von vornherein 
deutlicher ergibt als beim Sprechen. So lernt der Blindgeborene, dem 
doch nur kinästhetische und Berührungsvorstellungen zur Ausbildung 
seiner Handlungsfähigkeit zur Verfügung stehen, doch sehr viel 
leichter, gleichsam natürlicher, Handeln und auch einige Handfertig- 
keiten, als der Taubgeborene die Sprache. 

Im Prinzip kann das zweckgemäße Handeln nicht anders aufge- 
führt werden als die Sprache, d. h. als eine besondere Zusammen- 
fassung von Bewegungen; die Frage kann hier wie dort sein, inwie- 
fern die Bewegungs- oder Handlungsbilder als motorische Formen 
sich loslösen können von ihren sensorischen Erzeugern. Wir er- 
innern daran, daß der motorische Akt der Sprache uns doch fast 
gänzlich abhängig zu sein schien von der Hervorrufung des akusti- 
schen Wortklangbildes, dem gewissermaßen das Wortbewegungsbild 
erst nachzuformen war. 

Gibt es eine Motilität, eine Handlung der Glieder ohne jede sen- 
sorische Vorstellung? Wir glauben nein. Die optische Vorstellung zu- 
erst kann ja nur als sensorische aufzufassen sein, aber auch die soge- 
nannte Bewegungsvorstellung ist nicht nur das Erinnerungsbild an eine 
Bewegung, sondern ist verbunden mit gewissen Vorstellungen über 
die Spannung und Lage unserer Glieder bei dieser Bewegung, und 
entstanden aus der Association von solchen sensorischen Elementen. 
Das liegt ja auch schon in dem Worte Erinnerungsbild. Denken wir 
uns ein Individuum, dem von Anbeginn seiner Existenz an alle peri- 
pheren sensiblen Eindrücke durch Zerstörung von deren Bahnen ab- 
geschnitten wären, so würde eben ein solches Individuum, wenn wir 
schon seine Lebensfähigkeit annehmen wollen, doch niemals handeln 



S74 



XX. Die Apraxie. 




kSnnen, weil es keine „kJnäsUietischeD" Vorstellungen sich sammi 
und zusammensetzen könnte. 

Nicht ohne Grund, vielmehr um die sensorische Vorbereitung selbl .^ 
der Sprache anerkannt zu sehen, hat denn auch Bastian die B©-- 
Zeichnung des glossokinästhetischen Zentrums der des motorischen 
vorgezogen. Es gibt nirgends rein zentrale Innervationseinpändungen. 
Auf Grund einer angeboreuen Disposition, einer gewissen Entwick- 
lung des Gehirns, müssen mit Hilfe sensorischer peripherer Merk- 
male Vorstellungen, das heißt doch, ursprünglich sensorische Ge- 
bilde geschaffen werden, die dann wieder die Handlung erzeugen. 
Allmählich erst befestigen sich diese Vorstellungen, können dann 
untereinander verknüpft werden und sind nun von der direkten peit 
pheren Regulation unabhängig. Deren Ausfall macht dann sp&l 
nur noch Ataxie. Nirgends sind Sensibilit&t und Motilität so 
verbunden, wie in den „Bewegungsvorstellungen", wie wir schon 
Besprechung der Tierphysiologie sahen. Man kann ohne Bedenken 
von einem „motorischen Besitz" sprechen, wenn man klar ist darüber, 
daß dieser motorische Besitz nur durch die Benutzung, Sammlung 
und Verknüpfung peripherer sensibler kinästhetischer Eindrücke eiai' 
mal gewonnen werden konnte. 

Das Bild nun, welches der Apraxie des Hundes entspricht, ist di . 
Seelenlähraung des Menschen, ein Wort, das von Nothnagel ge- 
rade mit Rücksicht auf die experimentellen Ergebnisse und die Mdnk- 
sche Bezeichnung der „Seelenlähmung'' gewählt wurde. Er deutete 
dieses Bild denn auch entsprechend als Verlust der Erinnerungsbilder 
für Maß und Art der einzelnen Bewegungsakte. Wir selbst haben 
einen Fall derart gesehen, einen alten Mann, der infolge einer Apo- 
plexie mit seinem rechten Arm nicht im stände war, auch nur die 
einfachste zweckmäßigste Bewegung zu machen, der nicht einmal ein 
Stück Brot zum Munde führen konnte. Gelähmt war der Arm aber 
darum nicht, denn es konnten fuchtelnde Bewegungen mit dem Arm 
gemacht werden, auch fuhr die Hand einmal gelegentlich in das Ge- 
sicht, wie um den Schnurrbart zu streichen. Auch im Affekt wurde 
sie gelegentlich gehoben. Das war alles. Es bestand daneben eine 
weitgehende Schädigung der kinästhetischen Empfindung des Armes. 
Daß dieser Verlust der kinästhetischen Vorstellungen nun immer 
mit der Apraxie verbunden wird, ist nicht absolut notwendig. Es 
könnten einfache Vorstellungen über die Lage der Gheder wohl noch 
gebildet werden, die Vorstellungen über kompliziertere Bewegungsfolgen, 
welche wir eben Handlungen nennen, doch schwer geschädigt sein. Die 
Frage, ob ein Verlust der kinästhetischen Vorstellungen immer zu 
einer Apraxie ftihren müsse, glauben wir bejahen zu sollen für den 
Fall, daß es sich eben wirklich nm eine corticale, nicht etwa einS' 
Bubcorticale Zerstörung handelt, welch letztere ja nur die Zuführai 
neuer peripherer Merkmale verhindern würde. Geringe Beeinträcbtigui 
der Handlungsfähigkeit ist in der Tat sehr häufig bei Zerstöruogttl 
im Gebiet der Zentralwindungen. So hat schon Westphal einen 
Kranken beschrieben, der eine schwere Störung des Muskelsinnes an 
der rechten Hand hatte, und dessen Bewegungen den vorsichtig pro- 
bierenden Charakter uneingefibter Bewegungen hatten. Westphal 
betont ausdrücklich, daß es sich nicht um eine Ataxie handelte, trotz- 
dem sind es gerade diese Fälle, welche meist als cerebrale Ataxi« 
beschrieben werden. In den Bewegungen der Finger zeigte sicJi die 



inn^^ 

en 
Jr. 




Seelenlähmung. 375 



Apraxie am deutlichsten. Wir haben einen Kranken beobachtet, der 
nach einer probatorischen Freilegung der Rinde nicht mehr Klavier 
mit der einen Hand spielen konnte, sonst gar keine Störungen zeigte; 
es ließ sich für diese Behinderung kein anderer Grund finden, als 
eine eigentliche Apraxie; gerade beim Klavierspielen müssen ja die 
kinästhetischen Vorstellungen am innigsten ineinandergreifen und am 
schärfsten voneinander getrennt werden. Eine andere, ganz passende 
Aufgabe ist, einen in einen Ring mit Karabinerverschluß eingehängten 
Schlüssel aus diesem Ring herauszunehmen. Dazu gehört also ein 
Festhalten des Ringes, ein Spannen des Verschlusses, und zu gleicher 
Zeit ein Herausnehmen oder Herausfallenlassen des Schlüssels. Wir 
haben zwei Kranke gesehen, die nach chirurgischen Operationen an 
der Rinde ihre grobe Arbeit schon wieder aufgenommen hatten, die 
aber zu ihrer eigenen Verwunderung solche für jeden Normalen recht 
leichte Aufgaben nicht ausführen konnten. Dabei bestand keine Ataxie. 
Die gewöhnlichen Prüfungen auf Apraxie und auch die Fähigkeit zu 
grober Arbeit beziehen sich meist auf Bewegungen, die aus den 
großen Gelenken heraus ausgeführt werden, diese können intakt sein, 
während das feinere Fingerspiel deutliche Störungen zeigt. Das Um- 
gekehrte kommt anscheinend nicht vor. 

In einzelnen Fällen von Seelenlähmung, also Apraxie, soll der 
Gesichtssinn einen fördernden Einfluß auf die Leichtigkeit der Be- 
wegung haben (Bruns), was mit der doppelten Determination der 
Bewegung durch kin ästhetische und optische Vorstellungen überein- 
stimmen würde. Eine solche Unterstützung durch die optische Vor- 
stellung wird aber nur möglich sein, wenn die kinetische nicht ganz 
ausgefallen ist^). 

Die bisher besprochenen Erscheinungen traten gliedweise zu 
tage, beruhten auf Zerstörungen in der der apraktischen Extremität 
zugehörigen, d. h. kontralateralen Hemisphäre. Wie sich anatomisch 
ein Herd gestalten muß, damit er einen mehr oder weniger großen 
Teil der kinästhetischen oder Bewegungsbilder vernichte, und doch 
die Motilität erhalten bleibe, ist nicht festgestellt. Wahrscheinlich 
dürfte es sich um ausgedehnte Absperrungen der vorderen Zentral- 
windung handeln. 

Aber es gibt weiter eine Form der Apraxie, die nicht glied- 
weise verteilt, sondern eine allgemeine ist. Wenn wir von der 
Lautsprache absehen, haben wir den Typus dieser zweiten Form der 
Apraxie bereits in der isolierten Agraphie kennen gelernt; wir er- 
innern, daß ein solcher Kranker bei einem Herd in der linken Hemi- 
sphäre nicht nur mit der rechten, sondern auch mit der linken Hand 
nicht schreiben konnte. 

LiEPMANN hat nun den Nachweis erbracht, daß nicht nur die 
Schreibbewegungsvorstellungen, sondern auch eine Reihe anderer Be- 
wegungsvorstellungen vorzugsweise in der linken Hemisphäre ihren 
Sitz haben. Er beobachtete nämlich, daß durch linksseitige Apo- 
plexie rechtsseitig in der gewöhnlichen Weise Gelähmte mit der 
linken Seite apraktisch sind, während linksseitig, also durch Herd 
in der rechten Hemisphäre Gelähmte, in der rechten Hand niemals 



1) Auch beim Hund hat nach Hitzig die völlige Vernichtung der senso- 
motorlBchen Zone den Verlust auch der optischen B^^erung der l&w^ung zur 
Folge. 



376 X^- Die Apmie. 

eine apraktische Störung zeigen. Die beste Art, diese apraktischi 
Störungen deutlich zu machen, fand Liephann in der Aufgabe, ge- 
wisse Ausdrucksbewegungen auszufahren: zu winken, zu drohen, 
eine lange Nase zu machen, den militärischen Gruß zu leisten u. a. 
Die Kranken versagen entweder oder machen fuchtelnde Bewegungen, 
oder endlich sie tun etwas Falsches. Das Analogon dieser Störungen 
beim apraktisciien Tier ist die von Goltz entdeckte Aufhebung 
des Pfotegebens. Der Defekt zeigt sich ferner bei der Aufgabe, 
ohne Objekt Bewegungen zu markieren, die wir sonst mit Objekt 
auszuführen gewohnt sind, z. B. die Bewegung de» Anklopfens zu 
machen, oder zu zeigen, wie man Leierkasten oder KaffeeiiiQhle 
dreht, Takt schlägt, Geld aufzählt, eine Fliege f&ngt, einen Nasen- 
stüber gibt. Ferner stellt Liepmann fest, daß auch Störungen ii 
Nachmachen gezeigter Bewegungen mit der linken Hand bei Recht! 
gelähmten das Gewöhnliche sind. Der Kranke quält sich, Hand und 
Finger in die erforderliche, von ihm gesehene und ojitisch wohl anf- 
gefaßte und vorgestellte Stellung zu bringen, er briugt es nicht fertig. 

Nur eine Minderzahl dieser Kranken zeigte aber auch Störungen 
der Handlung amObjekt selbst, wenn sie also z. B. wirklich einen 
Rock ausbürsten, wirklich ein Streichholz anzünden sollten. Es ist 
also ganz augenscheinlich, wie das Tastbild eines Gegenstandes, das 
ja, wie wir sahen, auch eine kinästhetische Komponente enthält, die 
entsprechende Bewegungsvorstellung hervorruft und fördert, während 
die optische Wahrnehmung der Bewegung das nach Liepmann nur in 
viel geringerem Maße leistet. 

Die Bedeutung der Unken Hemisphäre knüpft sich unzweifelhaft 
wie für die Sprache, so für das Handeln au die Rechtshändigkeil 
des Menschen. Keineswegs aber ist der Rechtsgelähmte nur in der 
linken Hand nun so „linkisch" wie früher, sondern er hat mit dem 
Verluste der linken Hemisphäre auch einen Teil des motorischen Be- 
sitzes seiner linken Hand verloren. Im übrigen finden sich erheb- 
liche Differenzen, sowohl in der Schwere der homolateralen Apraxie, 
wie in der Rückbildung und ErsatzfShigkeit. Ob der Gedanke Liej 
MANNS, ob nicht durch Heranziehung der rechten Hemisphäre, i " 
durch Uebung der linken Hand schon beim Kinde, das Unke Gel 
entlastet und für höhere Leistungen als bisher frei gemacht werden 
könne, eine Zukunft habe, bleibe dahingestellt. Niemals zeigen eich 
analoge Störungen der rechten Hand bei Linksgeläbmten (außer bei 
Linkshändern). Die rechte Hand ist somit allein auf die linke Hemi- 
sphäre angewiesen '). 

Die Frage, an welchen Teil der linken Hemisphäre deren Ein- 
fluß auf die Handlung geknüpft ist, ist noch nicht ganz entscbiedenJ 
LiEPMAMN nimmt an, dali die linke Hand von dem 
der rechten Hand mitgeleitet würde. Auch nach eigenen Beobachtungen^ 
ist uns soviel sicher, daß selbst totale Aphasien keine Apraxie di 
Extremitäten zu macheu brauchen. Auch bestand in dem von u 
beobachteten, oben erwähnten Falle rechtsseitiger Seelenläbmui 
ein mäßiger Grad von Apraxie links. Es scheint also in der T; 
wie wenn die für die rechte Hand erworbenen kinästhetischen Vop 
Stellungen auch den Handlungen der linken zu gute kämen, und 

— , . ..' Goltz gezeigt hat, jede HeiniBphäre bis eu 
Handlung der fiomolatcraleu Extremitäten leiten. 



de 

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axie, ^^ 

alsQ^H 
thirtf^^ 





Bedeutung der linken Hemisphäre. 377 

Lokalisation sich entsprechend gestalte. Der Weg von der linken 
Hemisphäre zur rechten kann nur über den Balken führen, der da- 
mit für die Handlung die gleiche Rolle übernimmt, wie für die Sprache. 
Ein genügend großer Herd im Balken also müßte eine Apraxie der 
linken Hand verursachen, ohne die Handlungsfähigkeit der rechten 
zu beeinträchtigen. 

Die Handlung wird determiniert durch optische Vorstellungen 
und durch kinästhetische ^). Dabei glaubten wir, daß die optische 
V^orstellung allein nichts nützt, sondern, daß, wenn man sich das 
„Motorium" und das „Sensorium'' (also das Substrat der Gliedbewegungs- 
vorstellungen) einer Extremität einmal getrennt vorstellen will, der Weg 
zum Motorium immer über das Sensorium gehen muß. Die unmittel- 
bare Vorbereitung und Begleitung einer jeden Handlung ist die Be- 
wegungsvorstellung. Die Störungen, die wir bisher im engeren 
Sinne als motorische Apraxie betrachtet haben, beruhten auf einer 
Vernichtung oder Vergröberung dieser Bewegungsvorstellung. 

Andererseits hat aber die optische Komponente einen für die 
einzelnen Arten der Handlung verschieden großen Einfluß. Für die 
SchreibhandluAg haben wir bereits gesehen, daß die optische Direktive 
durch die optischen Buchstabenbilder unentbehrlich ist Aehnliches 
gilt auch für das Aus-dem-Kopf-zeichnen von Figuren. Es ist auch 
ohne weiteres klar, daß, wenn sich jemand einen bestimmten Knopf 
seines Rockes zuknüpfen will, er ihn zunächst einmal finden muß, 
und die Selbstbeobachtung lehrt, daß bei diesem Finden des Weges 
bezw. bei dem Wissen, wo der Knopf sich befindet, zunächst einmal 
die optische Vorstellung der kinästhetischen vorausgehen muß. Das 
gilt nun freilich nur für den, der alle diese Handlungen durch 
den Gesichtssinn erlernt hat, der Blindgeborene hat von vornherein 
die optische Kontrolle und Vorbereitung der Handlung durch die 
kinästhetische ersetzt. So typische Richtungen, wie das Finden 
des Mundes beim Essen, werden auch bei dem sehend Geborenen 
nicht nur ohne Hilfe optischer Vorstellungen gelernt werden müssen, 
die ja gerade für den eigenen Mund überhaupt nur mittelbar zu er- 
werben sind, sondern auch mit einem Minimum von kinästhetischen 
Vorstellungen zu finden sein. Es bleibt gerade die Führung der Hand 
zum Munde auch bei dem motorisch Apraktischen fast immer erhalten. 

LiEPMANN hat nun die Frage aufgeworfen, inwieweit die kin- 
ästhetischen Vorstellungen eines Gliedes, des rechten Armes z. B., ge- 
nügten, um zweckmäßige Handlungen auszuführen, inwieweit also das 
Sensomotorium eines Gliedes, aus dem Zusammenhange des 
ganzen Gehirnes isoliert, noch handlungsfähig wäre. Er hat einen Fall ^ 
beobachtet, in dem er eine fast völlige Absperrung des linken Senso- 
motoriums (also der gliedkinästhetischen Vorstellungen für den rechten 

1) Daß natürlich unter Umständen auch akustische Vorstellungen, z. B. beim 
Finden der Tasten auf dem Klavier, in Betracht kommen, ist natürlich, aber 
nebensachlich. 

2) Das auffälligste Symptom des LiEPMANNschen Kranken iBt auch durch die 
Sektion in keiner Weise aufgeklärt worden, daß er nämlich alle Aufforderungen zu« 
nächst mit der rechten (apraktischen) Hand auszuführen versuchte, sie also nicht oder 
nur falsch ausführen konnte, und daher für dement gehcJten wurde, bis Liepmann 
fand, daß die Bew^un^n mit der linken Hand ricntig ausgeführt würden, wenn 
man ihm die rechte festhielt. Warum konnte er aber nicht, wie j^er Bechtsgelähmte, 
seine linke Hand spontan benutzen, warum mußte er seine rechte apraktiscne Hand 
verwenden ? 



378 XX. Die Apraxie. 

Arm) änDähin, und bei der Sektion auch in gewissem Maße bestätigte 1 
(Trennung vom Stirnliirn durch einen Herd in dessen Markfaserung, 
Trennung vom Hinterhauptslappen durch einen Herd im Mark des 
Scheitellappens, Trennung von der rechten Hemisphäre durch &st 
völlige Zerstörung des Balkens). Dieser Kranke konnte in die Hand 
gelegte Ciegenstände fassen, er konnte auch einen Knopf, wenn er ihn 
erst einmal berührt hatte, zuknöpfen, und Libfhanm ist geneigt, 
diese Leistungen als Eigenleistungen des linken Sensomotoriums 
aufzufassen. Immerhin bestand doch noch eine Verbindung des linken 
Sensomotoriums mit der Sehsphäre, was daraus hervorging, daß der 
Kranke gesehene Gegenstände nicht nur niil der linken, sondern ancb 
mit der rechten Hand gut fassen konnte, so daß die Frage, inwieweit 
die kinästhetischen Vorstellungen für ein einziges Glied, von alleaJ 
anderen isoliert, noch zu zweckmäßigen Handlungen genügen, nochJ 
nicht entschieden ist. f 

LiEPMANN hat noch auf ein anderes Symptom der Apraxie dla] 
Aufmerksamkeit gelenkt, welches nur von Griesikger schon be- J 
schrieben, seither völhg vernachlässigt war, die Bewegungsver-l 
wechslung (Parapraxie). Es entspricht dieses Symptom sicht-^ 
lieh der Paraphasie, der Wort Verwechslung; der Kranke erkennt diöa 
Zahnbürste, er will sie an den Mund führen, aber die Bewegung ent- 1 
gleist, er steckt sie hinter das Ohr; die Bewegung wird also durch 1 
eine ohne bewußtes Zutun des Kranken auftauchende undzwangs-f 
mäßig ausgeführte Bewegungsvorstellung abgelenkt. Wie für diel 
falschen Worte, kann auch für die falschen Bewegungen entweder! 
Kritik vorhanden sein, oder fehlen. Die praktische Bedeutung der f 
Möglichkeit einer solchen Bewegungsverwechslung ist die, daß ausj 
der falschen Ausführung einer Handlung nicht auf ein Mißverstehen'! 
der Aufforderung geschlossen werden darf, 1 

Mit der Parapraxie aufs innigste verknüpft, wie mit der Paraphasie 
ist wiederum das Symptom des Haften bleiben s. das hier von Pick 
besonders gewürdigt wurde. 

Eine deutliche Analogie zu gewissen Störungen der Sprache hat 
auch diejenige Form der motorischen Apraxie, bei welcher zwar noch J 
einzelne kurze Handlungen bewältigt werden können, der Kranke aberl 
bei zusammengesetzten Aufgaben versagt. Ein Kranker ^ 
PiCKs soll eine Kerze anzünden, er bringt das brennende Streichholz ia 
die Nähe der Kerze, läßt es herabbrennen und blä.st es aus. Einem 
Kranken Bonhoeffers wurde eine Zigarre und eine Streichholzschachtel 
gegeben, er erkennt offenbar die Zigarre, Öffnet die Streichholzschachtel, 
steckt die Zigarre in die geöffnete Streichholzschachtel, drückt diesej 
zu, reibt mit der Zigarre an der Seitenfläche der StreicbholzschachteLa 
als ob er ein Zündholz anzünden will. Solche Störungen, die aai^ 
Auslassungen von Teilakten , Antecipationen der späteren und Be- 
wegungsverwechstungen beruhen, sind recht häufig bei dffTusen Pro- 
zessen in der Hirnrinde. Sie bieten klare Zusammenhänge mit den 
allbekannten Erscheinungen des Zerstreutseins. Man kann sie mit 
den Störungen des Satzes, der Grammatik, auf dem Gebiete der 
Sprache vergleichen. Aber während wir uns auf dem Gebiete der 
Sprache auch durch einzelne Worte allenfalls verständigen können, 
im Satzbau ein gewisser Luxus herrscht, ist die zweckgemäße Er- 
füllung einer Handlung fast immer an eine vorbestimmte und dis- 
ponierte Reihenfolge gebunden; die Auslassung einer Teilhandlung 




Bewe^j^ngsverwechselunfir. 379 



führt meist zu einer unheilbaren Verwirrung. Die Vorstellungen, welche 
im Einzelfall die Handlung ablenken, können sehr mannigfaltig sein, 
sie können auf allen Sinnesgebieten liegen. Ein Kranker Picks zum 
Beispiel fuhr, als er die Schuhe bürsten wollte, mit der Wichsbürste 
nach einer exkoriierten Stelle der Haut, offenbar, weil ihn eine Em- 
pfindung an der betreffenden Stelle ablenkte. Eine schematisierende 
Abgrenzung dieser „ideomotorischen Apraxie'\ wie sie Pick genannt hat, 
von der motorischen halten wir nicht für geboten. Insofern der Anlaß 
zu der Bewegungsverwirrung, wie es möglich ist, auf kinästhetischem 
Gebiete liegt, gehört sie zur motorischen Apraxie im engeren Sinne. 
Aber je komplizierter eine Handlung ist, um so weniger dürfte ihr Ent- 
wurf allein auf kinästhetischem Gebiete gesucht werden, und so zeigt 
die Vielheit der Fehlerursachen bei der ideomotorischen 
Apraxie die Vielheit der Bedingungen unserer Handlungen. 

Aber auch die Abgrenzung der sogenannten „Handlung** nach 
unten, nach der sogenannten „Bewegung** zu darf nicht als eine 
scharfe gedacht werden. Unserer Anschauung nach muß selbst der 
einfachsten Bewegung eine entsprechend einfache Bewegungsvor- 
stellung vorangehen, was natürlich nicht bedeutet, daß diese Bewegung 
in jedem Detail vorher sinnlich vorgestellt worden wäre, aber das ist 
audi bei der sogenannten Handlung nicht der Fall. Ist das Gehen 
eine Bewegung oder eine Handlung? Wer will es entscheiden ? Sicher 
aber ist, daß es Kranke gibt, welche infolge doppelseitiger Zerstörungen 
der Rinde die in früher Jugend oder während des Embryonallebens 
eingetreten waren, zwar die Beweglichkeit ihrer Glieder behalten, aber 
nicht die Fähigkeit zu gehen erlangt haben. Sie können diejenige 
Zusammenfassung motorischer Innervationen, welche den Schwerpunkt 
des Körpers in einer den aufrechten Gang sichernden Weise erhalten, 
nicht finden, sie haben — was dasselbe ist — nicht die entsprechen- 
den kinästhetischen Vorstellungen^). Auch der Neugeborene kann ja 
noch nicht gehen, und Liepmann hat mit Recht darauf aufmerksam 
gemacht, daß die Ungeschicklichkeit der Bewegungen lernender Kinder 
meist als Apraxie aufzufassen sei. 

Die Apraxie beschränkt sich zwar häufig auf die Extremitäten, aber 
gerade in dem Gebiete der Kopf- und Gesichtsmuskulatur finden 
wir eine ganze Reihe von motorischen Reaktionen, die auf der Grenze 
zwischen Handlung und Bewegung stehen. So gibt es Kranke, die, 
trotzdem ihre Kopfmuskeln nicht gelähmt sind, doch zwischen dem 
bejahenden Kopfnicken und dem verneinenden Kopfschütteln nicht 
mehr diflFerenzieren und durch Anwendung einer falschen Bewegung 
so den Schein des Mißverständnisses erwecken können. Wir selbst 
haben einen Kranken mit einer infantilen cerebralen Diplegie beob- 
achtet, der willkürlich die Augen nicht mehr schließen konnte, trotz- 
dem die Lider dem Blicke nach unten folgten, alle Reflexe intakt waren, 
der Kranke auch mit geschlossenen Augen schlief, sicherlich im eigent- 
lichen Sinne keine cerebrale Lähmung des Facialis vorlag. Nur die 
Handlung — oder wenn man will — die Bewegung des aktiven Lid- 
schlusses war vernichtet (Apraxie des Lidschlusses) ^). Auch daß ein- 

1) £e handelt sich hier um noch wenig bekannte Symptome infantiler Diple^en. 

2) Den gleichen Symptomenkomplex nahen wir nocn zweimal als Folge eines 
rechtsBeitigen apoplektischen Herdes beim Erwachsenen beobachtet, so daß also die 
Handlung des doppelseitigen Lid schlusHes bei einer Anzahl von Menschen 
in der rechten Hemisphäre lokalisiert sein muß. 



zelne Kranke, meist solche mit multiplen Herden, trotzdem keine' 
Lähmung der zu beanspruchenden Muskulatur vorliegt, niclit blasen, 
nicht pusten, nicht pfeifen können, «ehört hierher. Wiederum zeigt 
sich hier die Beziehung der Apraxie zu den „Ungeschicklichkeiten" 
des kindlichen Alters, die in individueller Abstufung zum Teil auch 
in das erwachsene Alter mit hinübergenommen werden. Die schon 
früher besprochenen Störungen der konjugierten Augenbewegungen 
können ebenso gut als Hanillungs- wie als Bewegungsstörungen auf- 
gefaßt werden. So kennt die Natur nirgends scharfe Grenzen. 

Das Prinzip aber bleibt, und dieses Prinzip, das uns von Anfang 
an gefdlirt hat, ist dies, daß alle Bewegung nur als die Reaktion auf 
einen Reiz aufgefaßt werden darf, deren ursprüngliches Schema der 
Reflex darstellt. So gelingt es denn auch gar nicht, aus dem Vorgang 
einer Beweguog oder Handlung die sensorische, die Vorstellungs- 
komponente ganz hin wegzudenken, ebenso wie die anatomischen Bahnen, 
die der Verbindung von Peripherie zur Peripherie durch das zentrale 
Nervensystem hindurch dienen, in sich geschlossen sind, und exakt 
niemand sagen kann, wo der zentripetale Teil des Weges aufhört und 
wo der zentrifugale anfängt. Wäre es möf^lich, aus einer Reaktion, als 
welche wir also auch die Willenshandlung betrachten, das sensorische 
Element von Anbeginn an wieder zu entfernen, so würde jede, auch 
die primitivste Bewegung damit aufhören müssen. 

Von einem festen Punkte aus sind wir vorgedrungen bis an jenes 
Gebiet, welches der Konvention nach der Psychologie und der Psy- 
chiatrie Überantwortet bleibt. Gerade aber die Gesetze der Hirn- 
physiologie und der Hirnpathologie geben die Gewähr, daß auch in 
den höchsten psychischen Leistungen als biologischen Vorgängen keine 
anderen als die Formen und Formeln allgemeinen biologischen Ge- 
schehens anzuerkennen, und daß auch die Störungen des psychischen 
Lebens nach keinen anderen Gesetzen zu betrachten und zu mi 
sind, als denen, welche allen Naturvorgängen zu Grunde liegen. 



I 



XXL Kapitel (Anhang). 

Die CerebrospinaMüssigkeit 

Gehirn und Rückenmark sind von drei Häuten umgeben. Die 
Pia liegt dem zentralen Nervensystem an und führt in ihren Aus- 
läufern die Gefäße in dessen Spalten und Furchen. Die Arachnoidea 
spannt sich über die Furchen hinweg, so daß zwischen ihr und der 
eigentlichen Pia ein Raum frei ist, der mit Flüssigkeit, der Cerebro- 
spinalflüssigkeit gefüllt ist, die sich an einzelnen Stellen, den soge- 
nannten Cisternen noch in besonders großer Menge ansammelt. Die 
Lehre Bichats, die Arachnoidea sei ein seröser Sack, ist von Henle 
und ViRCHOW bestritten worden, die Pia und Arachnoidea als eine 
einzige Haut zusammenfaßten, deren Grenzschichten nach innen und 
nach außen durch von der Gerebrospinalflüssigkeit umspülte zartere 
bindegewebige Blättchen und Bälkchen verbunden werden. Daß der 
Ort der Gerebrospinalflüssigkeit nicht nur unter der Arach- 
noidea sei, sondern daß auch zwischen der Dura, der festen binde- 
gewebigen äußeren Haut und der Arachnoidea beim lebenden Tier 
sich etwas Flüssigkeit befinde, ist von Hitzig behauptet worden. 
Von Ecker ist das geleugnet worden, Nauntn und Schreiber sind 
geneigt, die HiTZiosche Beobachtung aus einer unbeabsichtigten Ver- 
letzung der Arachnoidea zu erklären, da sie selbst bei Operationen am 
Gehirn nicht immer, bei Operationen am Rückenmark, wo man Arach- 
noidea und Dura besser voneinander trennen kann, niemals zwischen 
den beiden Häuten Flüssigkeit fanden. Jedenfalls befindet sich die 
Hauptmenge der Gerebrospinalflüssigkeit, insoweit sie überhaupt das 
zentrale Nervensystem außen umspült, unter der Arachnoidea (die 
Arachnoidea als besondere Haut genommen); wenn man der Kürze 
wegen häufig von einem Subduralraum spricht, wird darunter gewöhn- 
lich doch der Subarachnoidealraum verstanden. Die Gerebrospinal- 
flüssigkeit füllt ferner noch die Ventrikel des Gehirns und den Zentral- 
kanal des Rückenmarkes. Der Subarachnoidealraum steht mit den 
Ventrikeln durch das Foramen Magendii und die Aperturae laterales 
des vierten Ventrikels (Key und Retziüs) in ausgiebiger Verbindung. 
Spritzt man beim lebenden Tier Substanzen, die durch Farbreaktionen 
leicht nachweisbar sind, wie etwa eine Ferrocyannatriumlösung, die 
man durch die Berlinerblaureaktion rekognoszieren kann, in den Sub- 
arachnoidealraum des Gehirns, so findet man sie schon nach wenigen 
Minuten in die Ventrikel vorgedrungen. 




Schon die Betrachtung der chemischen und phystkalischea 
Eigenschaften der Cerebrospinalflüssigkei t ist geeignet, 
uns einige Hinweise auf ihre physiologische Bedeutung zu geben. 

Die normale Cerebrospinaldüssigkeit ist wasserklar und hat ein 
spezifisches Gewicht von 1003 oder 1004. Die Gefrierpunktserniedri- 
gung schwankt in der Norm zwischen 0,72 und 0,78 (Widal, Sicard 
und Ravaut). In allen diesen Punkten unterscheidet sie sich vom 
Blutserum, welches durch Lipochrome geßrbt ist, ein vie) höheres 
spezifisches Gewicht und eine geringere Gefrierpunktserniedrigung hat 

Die CerebrospinalfiQssigkeit ist von leicht alkalischer Reaktion 
und enthält nur etwa 1 Proz. Trockensubstanz, wovon etwa Vi Asche, 
Vi, also etwa 0,25 Proz,, organische Verbindungen sind. Beim Kochen 
trübt sie sich ganz leicht, was auf der Anwesenheit eines Globulins 
beruht (Halliburton, Hoppe-Setleh). Der Eiweißgehalt beträgt 
nach Pfaundler 0,02 — 0,04 Proz. 

Ein regelmäßiger Bestandteil der Cerebrospinalflüssigkeit scheinen 
nach Nawratzki geringe Mengen von Traubenzucker zu sein. Ueber 
einen etwaigen Gehalt der Cerebrospinalflüssigkeit an Cholin sind die 
Akt«n noch nicht geschlossen, Brenzcatechin, das Halliburton an- 
genommen hatte, scheint nicht darin zu sein. Gavazzani hat etwas 
Ptyalin gefunden, was uns bei normaler menschlicher Cerebrospinal- 
Üflsslgkeit nicht gelungen ist'}. 

Die von der des Blutplasmas und der Körperlymphe so ver- 
schiedene Zusammensetzung der Cerebrospinalflüssigkeit hat daran 
zweifeln lassen, ob wir es hier mit einer Lyni phflflssigkeit, 
wofür Maqendie sie noch erklärt hatte, oder mit einem Sekre- 
lionsprodukte zu tun haben. Ja, die letztere Ansicht, die schon 
von K, Schmidt vertreten wurde, ist allmählich zu einer fast un- 
widersprochenen Lehre geworden, und zwar finden wir fast überall 
in den Lehrbüchern die von Merkel, Henle u. A. begründete Theorie, 
daß die Cerebrospinalflü-ssigkeit von den Plexus chorioidei des Ge- 
hirnes abgesondert würde. Die Frage nach der Lymphnatur der 
Cerebrospinaldüssigkeit deckt sich nun nicht ganz mit der anderen, 
ob sie ein Transsudat oder ein Exsudat sei. 

Was diese letztere zunächst betrifft, so ist es ganz sicher, daä 
die CerebrospinalfJtissigkett kein reines Transsudat im physi- 
kalischen Sinne ist. Der sehr geringe Eiweißgehalt, das völlige Felilea 
von Albumin würde das noch nicht einmal mit Sicherheit beweisen, 
denn es kommen unter gewissen Umständen auch bei Ascites noch 
niedrigere Eiweißzahlen vor. Auch daß, wie Widal und Sicard 
fanden, die spezifischen Agglutinine für die Typhusbacillen in der 
Cerebrospinalflüssigkeit fehlen, und daß sie, wie wir feststellten, auch 
keine lösenden Eigenschaften gegenüber den Blutkörperchen fremder 
Species (Hämolysine) zeigt, wäre noch kein absoluter Beweis gegen 
ihre Transsudatnatur. Immerhin zeigen diese Tatsachen bereits das 
eine, daß, wenn die Cerebrospinalfiüssigkeit auch aus dem Blnle 
stammt, die Blutgefäße, welche sie transsudieren ließen, ganz beson- 
dere Eigenschaften besitzen müssen, durch die so vielen Stoffen der 
Durchtritt ganz versagt wird. 

I) Wenn man Cerebrospiiiainüssigkeit au« einer Fistel längere Zeit abUufen 
läßt, so nininit sie, wie bekannt, andere Eigenschaften an, dadurch, 6aB aiu dea 
OefäiJen etwa« Blutplasma übertriti. 



I 

I 

I 
I 




Physikalische und chemische Beschaffenheit. 883 

Das Verhalten der kristalloiden Stoffe aber macht es sicher, daß 
die Cerebrospinalflüssigkeit kein einfaches Transsudat 
im physikalischen Sinne sein kann. Wäre sie es, so dürfte ihr Gehalt 
an Kristalloiden nicht höher sein, als der des Serums. Aber schon 
K. Schmidt hat darauf hingewiesen, daß der Gehalt der Cerebrospinal- 
flüssigkeit an Kalisalzen den des Blutserums übertreffe (wenn er auch 
absolut bei weitem noch geringer ist als der an Natronsalzen). Dieser 
verhältnismäßig hohe Kaligehalt der Cerebrospinalflüssigkeit dürfte 
in Beziehung stehen zu dem hohen Kaligehalt des Gehirnes selber 
(Geoghegan). Noch deutlicher aber sprechen die Beobachtungen über 
den Uebergang von künstlich in die Blutbahn eingeführten Stoffen in 
die Cerebrospinalflüssigkeit. Man kann Jodsalz oder Ferrocyannatrium 
gramm weise (wir haben so in kurzer Zeit Kaninchen 6 g Ferrocyan- 
natrium in die Vena jugularis einlaufen lassen) in das Blut bringen, 
ohne eine Spur davon in der Cerebrospinalflüssigkeit erscheinen zu 
sehen. Auch Cavazzani hat nur in seltenen Fällen einen solchen 
Uebergang gesehen')- Nicht anders geht es auch mit Stoffen, die 
sogar eine spezifische Wirkung auf das Zentralnervensystem haben. 
Wir konnten Strychnin, Jacob und Blümenthal Tetanusgift nur in 
ganz seltenen Fällen in der Cerebrospinalflüssigkeit wiederfinden. 
Gegen die Transsudatnatur der Cerebrospinalflüssigkeit aber ist vor 
allem das Verhalten der Salze entscheidend. Daraus folgt zunächst, 
daß entweder die Cerebrospinalflüssigkeit gar nicht direkt aus den 
Blutgefäßen stammt, oder aber daß der Durchgang durch die Capillar- 
wand keine einfache Transsudation ist. Noch nicht folgt daraus, daß 
die Cerebrospinalflüssigkeit keine Lymphflüssigkeit ist 

Vielmehr haben schon Key und Retziüs festgestellt, daß die p er i- 
vaskulärenLymphräume der Gehirngefäße frei in den Subarachnoi- 
dealraum münden. Auch am lebenden Tier kann man den Nachweis 
dieses Zusammenhanges leicht erbringen, indem man Farbflüssigkeiten 
oder Lösungen solcher Substanzen, mit welchen man Farbreaktionen 
anstellen kann, in die Cerebrospinalflüssigkeit einbringt. Man findet 
dann die Räume um die Gefäße mit der injizierten Substanz an- 
gefüllt. 

Ferner finden sich auch in der normalen Cerebrospinalflüssigkeit 
immer eine, wenn auch sehr kleine Anzahl von Lymphocyten, wie 
für den Menschen Krönig festgestellt hat, und weiter ist bemerkens- 
wert, daß eine Vermehrung dieser Lymphocyten sich nicht nur ein- 
stellt bei entzündlichen Erkrankungen der Gehirnhäute selbst, sondern 
auch bei Erkrankungen des Gehirnes, insbesondere, wenn auch nicht 
allein, bei denen, welche auf Syphilis beruhen, wie bei der Tabes und 
der Paralyse. Man kann, wie Nissl und Merzbagher betont haben, 
die Lymphocytose, welche bei diesen Erkrankungen auftritt, durch- 
aus nicht aus einer „meningealen Reizung^ ableiten, wie man wohl 
gewollt hat. Es scheint vielmehr, als wenn die Lymphocyten aus dem 
Gehirn selbst und da aus den perivaskulären Lymphräumen stammen, 
die man ja insbesondere bei der progressiven Paralyse, wie Nissl 
gezeigt hat, mit Massen von Zellen, meist Plasmazellen, die aber wohl 
mit den in der Cerebrospinalflüssigkeit sich findenden Zellen verwandt 
sind und in solche übergehen können, derart ausgefüllt findet, daß 
sie die Gefäße wie Mäntel umgeben. 

1) Solche AusnahmeD erklären sich vielleicht noch durch die Art der Ge- 
winnung der Flüssigkeit, vgl. Anm. 8. 382. 



384 



XXI. Die CerebnMpioaUIÜMigkeit. 



i 



Man kann nun aber noch weiter durch das physiologische Ex- 
periment den Beweis erbringen, daß in die Cerebrospinalfiiissigkeit 
injizierte Substanzen nicht nur in die perivaskulären Ljmphräume, 
sondern auch in die Substanz, in das Grau und die Zellen des zen- 
tralen Nervensystems selbst gelangen. Vom Subarachnoidealraum 
aus sind nämlich ganz enorm kleine Dosen toxischer Substanzen, wie 
von Strychnin und Tetanustoxin, schon wirksam, viel kleinere, als man 
bei Einführung der Gifte in die Zirkulation braucht, so daß also ein 
Umweg über die al!i;emeiue Zirkulation gar nicht denkbar ist. Ein. 
solcher wird auch schon durch die auffallend kleine Latenzzeit der 
Wirkung bei Einbringung in die Cerebrospinaläflsslgkeit ausge- 
schlossen. Bluuenthal und Jacob sahen bei subarachnoidealer Ein- 
führung von Tetanosgifl die Inkubationszeit von 3-4 Tagen auf 
10 Stunden heruntergehen. Bei Strychnin sahen wir nach wenigen 
Minuten schon die ersten Symptome (und zwar schon bei einer 10-fach 
kleineren als der vom Blut aus wirksamen Dose). Da wir annehmen 
dürfen, daß alle Symptome der Strychninvergiftung auf einer Beein- 
flussung der grauen Substanz beruhen (vgl. S. 46), so waren also 
nur wenige Minuten nötig, um Substanzen mit der Cerebrospinal- 
flüssigkeit aus dem Subarachnoidealraum in die graue Substanz ge- 
langen zu lassen. Die Tatsache jedenfalls, daß ein un mittelbareri 
Zusammenhang zwischen der Substanz des zentralen 
Nervensystems und der SubarachnoidealflÜssigkeit be- 
steht, würde gut zu dem Charakter einer LymphflDssigkeit passen. 

Sie praktisch nutzbar zu machen, ist zuerst 1894 von COBNINO 
versucht worden, der eine Reihe von Substanzen in therapeutischer 
Absicht auf dem von Quincke zuerst für die Lumbalpunktion 
beim Menschen benutzten Wege — d. h. durch Einstich zwischen den 
Wirbeln am unteren Ende des Rückenmarks — in den Subarachnoideal- 
raum brachte, Bier hat dann später mit der Verwendung des auch 
von Corning schon gelegentlich benutzten Cocains diesen Weg plan- 
mäßig verfolgt'). Es gelingt in der Tat, durch die Injektion sehr 
kleiner Mengen von Cocain in den Subarachnoidealraum in der Höhe 
der tiefsten Teile des Rückenmarks, die untere Körperhälfte derart un- 
empfindlich zu machen, daß an ihr Operationen vorgenommen werden 
können, ohne daß der Operierte eine Schmerzempfindung hat. Die 
für diese Methode notwendigen Mengen von Cocain sind so klein, daß 
es nicht recht wahrscheinlich, wenn auch nicht ganz unmöglich isl, 
daß sie zu der Anä.sthesierung der in der Cerebrospinaläüssigkeit ja 
frei flottierenden Wurzeln ausreichen sollten. Wahrscheinlich handelt 
es sich bei der Cocainisierung um eine Beeinflussung zentraler 
Strukturen des nervösen Graus, so daß dann der für die Methode ein- 
geführte Name der „ Rücken marksanästhesie" in der Tat berechtigt 
wäre. Freilich ist die Methode nicht ganz gefahrlos und wird es auch 
nie werden können, trotz möglicher Verbesserungen, wie des Ersatzes 
des Cocains durch verwandte Mittel u. s, w., weil wir die Verteilung 
des Mittels im Subduralraum nicht in der Hand haben. Wenn m, 
gewöhnlich nur eine Anästhesie der unteren Körperhälfte bei der an-, 
gegebenen Methode eintritt, so beweist das ja, daß die difTerente Sub- 
stanz nicht über die unteren RUckenmarksabschnitte hinausgelangt, d. h. 

1> Aufier dem Cocain hat man ftuch TetanuBsutiUixiD, Jod und einige andere 
Bubetaazen in tberapeutiBcher Absicht, &ber biahcr obne deiitlicbea Erfolg, verwandt. 



I 



I 




Lumbalinjektion. Uebergang von Stoffen ins Blut. 385 

hier entweder allmählich umgewandelt oder von hier schon in die all- 
gemeine Zirkulation übergeführt wird. Erbrechen, Kopfschmerzen, die 
nach und während der Rückenmarksanästhesie häufig auftreten, be- 
weisen doch, daß ein Bruchteil der eingeführten Substanz viel höher 
hinaufgeführt wird. Darin, in der Beeinflussung der lebenswichtigen 
Zentren des verlängerten Markes, liegt offenbar die Gefahr, und wir 
sind nicht im stände, die Flüssigkeitsbewegungen innerhalb des Sub- 
arachnoidealraums, die dabei ersichtlich eine Rolle spielen, zu erkennen 
oder zu beherrschen. Im Experiment kann man sehr leicht durch In- 
jektion etwas größerer Dosen von Cocain ein Tier töten, und auch 
wenn man ganz tief zwischen die Wurzeln der Cauda equina etwas 
Strychnin injiziert, pflanzen sich die Strychninkrämpfe sehr bald nach 
oben fort. 

Für das Verhalten der Substanz des zentralen Nervensystems zum 
Blutgefäßsystem einerseits, zu der Cerebrospinalflüssigkeit andererseits 
ist eine Tatsache als bemerkenswert zu erwähnen, daß nämlich Sub- 
stanzen vom Subarachnoidealraum aus schwere toxische Erscheinungen 
machen können, die in der vielfach höheren (beim Ferrocyannatrium 
z. B. in 100-facher) Menge vom Blute aus keine Vergiftungssymptome 
des zentralen Nervensystems machen, wie auch, daß einige Substanzen 
vom Subarachnoidealraum etwas anders wirken, als von dem allge- 
meinen Kreislauf aus. So haben wir gefunden, daß Strychnin bei 
subarachnoidealer Injektion neben den spezifischen Krämpfen noch 
enorme Schmerzen macht, die bei der intravenösen Injektion nicht 
hervortreten. H. Meyer hat später genau das gleiche für das Tetanus- 
gift festgestellt und hat den nach subarachnoidealer Injektion von 
Tetanusgift entstehenden Zustand als Tetanus dolorosus bezeichnet. 
Das kann wohl nur dadurch erklärt werden, daß bei subarachnoidealer 
Zuführung mehr Teile des nervösen Graus im Rückenmark das Gift 
aufnehmen, als bei intravenöser. Es besteht wahrscheinlich eine spezi- 
fische, wenn auch nur quantitative Affinität gewisser Strukturen zu 
dem Gift, welche aber durch die (verhältnismäßig) hohe Konzentration 
und Schnelligkeit, in der das Gift aus dem Subarachnoidealraum zu- 
geführt wird, erdrückt wird. 

Für diejenigen Stoffe, welche vom Blutkreislauf überhaupt nicht, 
wohl aber vom Subarachnoidealraum aus wirken, könnte man außer 
dem Mangel einer genügenden Affinität auch eine ündurchlässigkeit 
der Kapillaren des zentralen Nervensystems in Betracht ziehen. Frei- 
lich dürfte diese Ündurchlässigkeit nur in einer Richtung, nach dem 
Gehirn, bez. den perivaskulären Lymphräumen hin, bestehen; denn 
von diesen Lymphräumen aus w^erden, wie gleich noch 
zu besprechen, die gleichen Substanzen in die Blut- 
zirkulation aufgenommen, welche aus der Blutzirkula- 
tion nicht in die Cerebrospinalflüssigkeit übergehen. 

Denn, wenn auch die Cerebrospinalflüssigkeit mit den perivasku- 
lären Lymphräumen in Verbindung steht, so ist es doch sicher, daß 
die Gehirnlymphe (mit der Cerebrospinalflüssigkeit) nicht nur auf 
eigenen isolierten Wegen aus dem Schädel herausbefördert wird, um 
die Blutzirkulation erst durch die großen Lymphwege des Halses 
wieder zu erreichen. Zwar soll ein in der Fossa Sylvii liegendes 
Lymphgefäß einige Lymphe aus der Hirnrinde, ein anderes, das ent- 
lang der Vena cerebri interna communis verläuft, die Lymphe aus den 
Ventrikeln sammeln. Es unterliegt jedoch keinem Zweifel, daß diese 

Lewandowsky , Funktionen d. zentralen Nervensystems. 25 



XXI. Die CerebroepioBUliuii^eit. 



^^^^H Betzu 

^^^H Orgai 



Wege nicht ausreichen, sondern daß bei weitem der größte Teil der 
Lymphe des Gehirns noch im Schädel-BDckgratskanal selbst aus den 
perivaskulären Ljmphräumen in die Kapillaren und in die Venen ab- 
geführt wird. Eine besonders wichtige Stelle, welche seit langem als 
Uebergangsstelle der Cerebrospinaltlüssigkeit in den Blutkreislauf an- 
gesehen wird, sind die PACCHiONischen Granulationen, zottige BiJ-, 
düngen der Arachnoidea, welche in Ausbuchtungen der venösen Sinus, 
deren Wand vor sich herschiebend, sich einstülpen. Aber sie finden 
sich nur beim erwachsenen Menschen, fehlen beim Tier und beim 
Kinde, Wahrscheinlich ist es, daß überall in der Substanz des zen- 
tralen Nervensystems ein solcher Uebergang von Lymphflüssigkeit in 
den Blutkreislauf möglich ist. In der Tat, wenn man mit Farblösnngra 
oder mit Ferrocyaunatrium, das man durch die Berlinerblaureahtion 
wiedererkennen kann, arbeitet, so findet man, daß solche Stoffe schon 
15—30 Minuten, nachdem sie in den Subarachnoidealraum eingebracht 
worden sind, bereits im Harn wieder zu erscheinen anfangen, und da 
wir — wie schon bemerkt — sie auch in den perivaskulären Lymph- 
räum^n nachweisen konnten, so werden sie wohl von hier durch die 
Gefäßwand hindurch in die allgemeine Zirkulation gelangt sein. Wenn- 
gleich also die Ausscheidung ziemlich bald beginnt, so scheint es 
doch, als wenn Bruchteile in den Subarachnoidealraum eingeführter 
Substanzen sich hier außerordentlich lange halten könnten. Genauere 
experimentelle Untersuchungen liegen darüber wohl noch nicht vor. 
Es sind aber noch mehr als 8 Tage nach subduraler Injektion von 
Cocain beim Menschen noch unangenehme Nachwirkungen, besonders 
Abducensparesen beobachtet worden, welche doch zu beweisen scheinen,, 
daß in die Cerebrospinatfiüssigkeit eingebrachte StofTe unter Umständen, 
hier außerordentlich lange verweilen können. ' 

Jedenfalls steht fest, daß die CerebrospinalSUssigkeit, bez. in ihr 
enthaltene Stoffe erstens zu den Zellen des zentralen Nervensystems 
gelangen kann, und zweitens in die Gefäße des zentralen Nerven- 
systems übertreten kann. Daran, daß Stoffe aus den Kapillaren dea 
Nervensystems in die Cerebrospinaltlüssigkeit übergehen können, daran 
ist natürlich kein Zweifel, wenngleich wir darauf aufmerksam machleD,i 
daß nicht für alle Substanzen dieser Weg zugänglich ist. Sehr walir-' 
scheinlich aber dürfte es auch sein, daß nicht nur Substanzen aus der 
Cerebrospinalflüssigkeit in das zentrale Nervensystem eindringen 
können, sondern daß auch umgekehrt StofTwechselprodukte aus dem 
zentralen Nervensystem in die Cerebrospinalflüssigkeit gelangen können, 
und zwar wieder auf dem Wege der perivaskulären Lymphräume. 
Die Cerebrospinalflüssigkeit dürfte also aus GefäBe 
und Substanz des Nervensystems stammen. In der Ti 
hat auch Spina bei sehr erhöhtem Blutdruck Plüssigkeitstropfen ans] 
dem Gehirn selbst austreten sehen und Kocher hat dasselbe bti\ 
Operationen am Menschen beobachtet. Daß die Plexus choriodei eineo^ 
Anteil an der Bereitung der Cerebrospinalflüssigkeit baben, halten wir' 
nicht für erwiesen. Vielmehr kann wobl die Lymphnatur der Cere- 
brospinalflüssigkeit kaum bestritten werden, die besondere Zusammen- 
setzung der Cerebrospinalflüssigkeit wäre zu erklären durch die be- 
sonderen Eigenschaften der Gebirnkapillaren und durch die besondere 
Zusammensetzung des Nervensystems, von der doch die Zusammen- 
setzung der Lymphe abhängig sein muß. Auch die Lymphe anderer 
Organe ist doch nur zum Teil alB Transsudat, zu einem anderes 



I 



;m 

in, 

m 

m 




Lymphflüseigkeit. FiÜAsigkeiUwechBel. 337 



als Produkt der Arbeit der Organe (Asher und Barbera) zu be- 
trachten. 

Allerdings aber dürfte derjenige Teil der Gehirnlymphe, wenn wir 
die Cerebrospinalflüssigkeit einmal als solche betrachten, der über- 
haupt als Cerebrospinalflüssigkeit erscheint, vielleicht ein recht kleiner 
sein. Denn wenn die Lymphe zunächst in die perivaskulären Lymph- 
räume gelangt, so hat sie ja von hier Gelegenheit, direkt in die 
Blutgefäße überzutreten. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die 
Cerebrospinalflüssigkeit nur eine sehr langsame und geringe Er- 
neuerung erfährt, in ihrer Hauptmenge vielmehr stagniert, und 
im wesentlichen mechanischen Zwecken dient. Keineswegs darf 
es als Ausdruck des normalen Flüssigkeitswechsels im Subarach- 
noidealraum angenommen werden, wenn Falkenheim und Nauntn 
aus einer in den Subarachnoidealraum des Hundes eingeführten Kanüle 
0,03 - 0,2 ccm Flüssigkeit pro Minute ausfließen sahen. Gewisse Be- 
obachtungen am Menschen, wo man manchmal beobachten kann, daß 
nach Entnahme eines geringen Quantums von Cerebrospinalflüssigkeit 
durch die QuiNCKESche Lumbalpunktion Erscheinungen, die sehr 
wahrscheinlich auf einen verminderten Druck im Subarachnoidealraum 
zurückzuführen sind (Schwindel und Erbrechen, besonders beim Auf- 
sitzen) tagelang zurückbleiben, scheinen sogar darauf hinzuweisen, 
daß unter Umständen die Erneuerung der Cerebrospinalflüssigkeit 
hier eine außerordentlich langsame sein kann. Daß die Cerebrospinal- 
flüssigkeit sich überhaupt wieder erneuert, also dauernd gebildet wird, 
ist zuerst von Magendie experimentell festgestellt worden, und aller- 
dings gibt es auch beim Menschen Beobachtungen genug, nach denen 
manchmal sehr bedeutende Mengen von Flüssigkeit sezerniert werden. 
So beschrieb Tillaüx einen Fall, wo eine Kommunikation des Sub- 
arachnoidealraums mit der Dura bestand, und wo täglich gegen V4 1 
der Cerebrospinalflüssigkeit aus der Nase entleert wurde. Nach einer 
Verletzung des Wirbelkanals sollen in einem Falle, wie Giss be- 
richtet, sogar wochenlang täglich IV2 — 2 1 Cerebrospinalflüssigkeit 
ausgeflossen sein. Aber das dürfte wohl nur in pathologischem Zu- 
stande vorkommen. 

Die Menge der im Subarachnoidealraum befindlichen Flüssigkeit 
ist auf ungefähr 50 ccm in der Norm beim Menschen zu schätzen. 

Von besonderer Wichtigkeit sind die mechanischen Bedingungen, 
die Druckverhältnisse der Cerebrospinalflüssigkeit, 
einerseits, weil einige Punkte ihrer Entstehung und Bedeutung durch 
deren Aufklärung noch in ein besseres Licht gertickt werden, anderer- 
seits, weil ein wichtiges Problem der Pathologie, der Hirndruck, damit 
berührt wird. 

Der Druck der Cerebrospinalflüssigkeit hängt ab erstens von den 
allgemeinen hydrostatischen Gesetzen, zweitens von der Zirkulation 
und ihren besonderen Bedingungen in der Schädel- und Rückgrats- 
höhle, und drittens von dem Maße der Absonderung und der Resorp- 
tion der Cerebrospinalflüssigkeit. 

In der Subarachnoidealhöhle ist der Druck an allen Punkten gleich, 
insoweit die allgemeinen hydrostatischen Momente gleich sind. Der 
normale Cerebrospinaldruck beträgt nach Kröniq beim Menschen im 
Mittel 125 mm Wasser, wenn man beim liegenden Menschen ihn durch 
die am unteren Ende des Rückenmarkes ausgeführte Lumbalpunktion 
mißt. Im Sitzen dagegen werden nach Krönig im Mittel 410 mm 

25* 



Wasser gemessen. In welcbem Maße beim Sitzen die Spannung des' 
Liquor auf der Sdiädelhöhe abnimmt, ist wohl noch nicht exakt ge- 
messen '). 

Der Einfluß der Zirkulation auf den Liquordruck demonstriert 
sich in den Pulsationen der CerebrospinalftUssigkeit, wie wir sie am 
einfachsten wieder bei der Lumbalpunktion beobachten. Die pul- 
Batorischen Schwankungen betragen dabei beim normalen Menschen 
etwa 2 — ö mm Wasser (nach KrÖnig), auch die respiratorischen 
Schwankungen des Blutdruckes drücken sich in entsprechender Druck- 
erniedrigung bei der Inspiration, und Druckerhöhung bei der Exspiration 
aus. Die Druckschwankungeu der CerebrospinalfKlssigkeit sind zn 
gleicher Zeit zu einem Teile natürlich der Ausdruck der Hirnpulsationen, 
Diese sind bei jedem trepanierten Tier oder Menschen mit großer 
Leichtigkeit zn beobachten, und es unterliegt auch nach den Unter- 
suchungen von Hill u. A. keinem Zweifel, daß — was eine Reihe 
von Forschem früher bezweifelt hatte — sie nicht nur nach Trepa- 
nation zur Erscheinung kommen, sondern auch bei geschlossenem 
Schädel bereits bestehen. Die Hirnpulsation eu haben ihren Grund in der 
Pulsation der Arterien, die aber ihrerseits auch eine Venenpulsation am 
Gehirn erzeugen, derart, daß, wie Gramer gezeigt hat, durch die Fort- 
leitung der arteriellen Welle in der Cerebrospinalflüssigkeit eine Kom- 
pression, eine Stauung der Sinus und der Venen verursacht wird, deren 
Wandspannung so gering ist, daß sie nur durch den Innendruck offen 
gehalten werden, Erhöhung des arteriellen Druckes, z. B. durch 
Aorten Verschluß unterhalb der Carotiden, steigert denn nach Craher 
auch den Venendruck. Die momentane Auspressung und Kompression 
der Venen durch den fortgeleiteten extravaskulftren Druck hält Kocher 
für ganz besonders zweckmäßig. Sie bedinge eine momentane An- 
sammlung vom Blut im Kapillargebiet, aus welchem während der 
Diastole durch die jetzt erfolgende Erweiterung der Venen das ver- 
brauchte Blut gleichsam abgesaugt wird. Jedenfalls darf der Liquor- 
druck niemals dauernd höher werden als der Venendruck, weil sonst 
die Venen ganz komprimiert werden würden. Es ist auch klar, daB 
jede Erhöhung des Liijuordruckes über die Norm auch eine Stauung 
des venösen Abflusses macheu wird. 

Die Verminderung des normalen Cerebrospinaldrnckes ist nicht 
unmittelbar bedrohlich. Bei Trepanierten laufen oft wochenlang große 
Mengen von Cerebrospinalflüssigkeit ab. Unangenehme subjätive 
Erscheinungen, insbesondere Schwindel, treten, wie bereits erwähnt, 
freilich oft nach ausgiebigen Lumbalpunktionen auf und sind wohl 
auf die abnorme Verminderung des Druckes zu beziehen. Die Tat- 
sache, daß eine unvorsichtig schnelle Druckentlastung — wieder 
hauptsächlich durch und nach Lumbalpunktion beobachtet — zu 
Blutungen in das Gehirn und die Hirnhöhlen führen kann , steht 
wieder auf einem anderen Brett. 

Von viel größerer Bedeutung als die Verminderung ist die 
Steigerung des Cerebrospinaldruckes. wie wir sie erstens bei den 
Entzündungen der Hirnhäute, den Meningitiden aller Art, ferner bei 
Blutungen in den Subarachooidealrauni, diinn aber hauptsächlich bei 

tfon die hydrOBtatisoh^n VerhältaiRse des Schädelinhalte« 
eil wir im GeßensaU zu KoCBEB aicht auuehiuen. Ins- 
oäpbäriacbe Druck auf den Schüdelinhalt auch ohne 



1) Dali 
Qtlich V 



I 





Normaler und pathologischer Druck. 389 



den Hirntumoren beobachten, und welche zu dem klinisch als „Hirn- 
druck"* bezeichneten Symptomenbild führte. Ein Cerebrospinaldruck 
von 500—800 mm Wasser ist unter solchen Umständen gar keine 
Seltenheit, und er kann noch erheblich höher steigen. Als mit dem 
Augenspiegel sichtbare Teilerscheinung des gesteigerten Cerebrospinal- 
druckes ist seit Graefe die Stauungspapille bekannt. Die Scheide 
des Sehnerven setzt sich ja in die Arachnoidea fort, so daß die Cerebro- 
spinalflüssigkeit gegen die Lamina cribrosa gedrängt wird, diese wird 
ödematös und buchtet sich vor, wodurch dann weiter eine Kompression 
mit Stauung der Vena centralis retinae hervorgerufen wird (Schmidt- 
MANzsche Theorie). Es ist wohl jetzt sicher, daß zum Zustande- 
kommen der Stauungspapille dieser mechanische Vorgang durchaus 
genügt, daß chemische Reize, die wohl nur befördernd auf die Ent- 
zündung der Sehnervenpapille einwirken können, und deren Bedeutung 
von Leber wohl überschätzt wurde, nicht nötig für ihre Entwicklung 
sind. Schulten hat durch Injektion von Flüssigkeit in den Sub- 
arachnoidealraum direkt eine Vorwölbung des Papillenbodens erzielen 
können, und niemals sehen wir, seitdem wir in der Klinik den Cerebro- 
spinaldruck messen, eine Stauungspapille ohne Erhöhung des Druckes. 

üeber die Höhe der unter den erwähnten Umständen zur Ent- 
wicklung kommenden Cerebrospinaldrucke kann man sich im Einzel- 
fall heute leicht durch die von Quincke erfundene Lumbalpunktion 
unterrichten. Danach ist denn die Meinung von Adamkiewicz ganz un- 
haltbar, welcher gegen v. Bergmann behauptete, daß von einer solchen 
Druckerhöhung nicht die Rede sein könne, weil die Flüssigkeit sofort 
wieder resorbiert würde. In der Tat haben Naünyn und Schreiber 
bei erhöhtem Druck in 1^4 Stunden 400 ccm Kochsalzlösung aus dem 
Subarachnoidealraum des Hundes resorbiert werden sehen. Wenn 
also am Krankenbett so enorm hohe Cerebrospinaldrucke gemessen 
werden, so muß eben entweder die Produktion des Liquor eine sehr 
große sein, oder — und das ist wohl der wichtigere Faktor — die 
Resorption des Liquor muß bei lange dauernder Druckerhöhung sehr 
leiden.. 

Die wesentlichen Symptome des allgemeinen Hirndruckes sind 
die Kopfschmerzen, der verlangsamte Puls, und die Benommenheit, 
die sich bis zum Sopor steigern und in Coma übergehen kann. 
Wichtige Symptome sind noch Erbrechen und Pupillenerweiterung. 
Nebenbei kann aber ein allgemeiner Hirndruck so ziemlich alle Rei- 
zungs- und Lähmungssymptome machen, die die Hirnpathologie über- 
haupt kennt, wobei die Reizsymptome naturgemäß durch kleinere 
Druckhöhen eher veranlaßt werden als die Lähmungserscheinungen. 
Es können sich vor allem auch Lokalsymptome, begrenzte Lähmungen sei 
es der Hirnnerven, seien es hemiplegische Erscheinungen, jACKSONSche 
Krämpfe oder Kleinhirnsymptome in individuell sehr verschiedener 
Weise bei chronischem Hydrocephalus einstellen — im übrigen die ge- 
fährlichste Fehlerquelle bei der Lokalisation des Sitzes der eventuellen 
realen Tumoren — , ohne daß wir sicher wüßten, in welchen ana- 
tomischen oder physiologischen Verhältnissen diese individuellen lo- 
kalen Nebenwirkungen eines allgemeinen Ilirndruckes ihre Begrün- 
dung finden. Vielleicht kommen örtliche individuelle Verschieden- 
heiten der Blutversorgung in Betracht. Im übrigen ist es hier nicht 
unsere Aufgabe, auf die Symptomatologie des Hirndruckes und ihre 
Begründung, die experimentell durch EinÜießenlassen von Flüssigkeit 



390 XXI. Die CerebroapinalflÜBsifTkeit. 



unter Druck in den Subarachnoidealraum zuerst Leyden zu 
versucht hat, des näheren einzugehen. 

Es ist ein alter Streit, wie im einzelnen die Wirkung des Druckes.] 
auf die Hirnfunktion zu erklären sei, sei es, daß es sich um di*' 
zirkumskripte nnmittelliare Wirkung eines Tumors auf das 
liegende Gewebe oder um die allgemeine Wirkung der erhöhten 
Spannung der Cerebrospinaläiissigkeit handelt, v. Uergmann hat 
die Vorstellung vertreten, daß der Ilirndruck nur unmittelbar durch 
Erzeugung kapillärer Anämie die Funktionen des Nervensystems be* 
einflussen könne, da das Gehirn innerhalb der starren SchädelwSDda'] 
als inkonipressibel anzusehen sei, ein Druck nur durch Auspressea. 
der Gefäße eine Wirkung äußern könne. Demgegenüber ist voD 
Albert u. A. geltend gemacht worden, daß es gleichgültig sei, ob in 
physikalischem Sinne das Gehirn kompressibel sei, es genügt, wens- 
unter dem Einfluß eines Druckes seine Teile sich gegeneinander ver- 
schieben, seine Windungen sich abplatten können, wie wir es un- 
mittelbar bei der Sektion von Tuniorkranken und Hydrocephalen 
sehen, so daß man annehmen muß, daß der Zusammenhang der ele- 
mentaren Teile schwer geschädigt ist Es ist daher wohl anxunehmeo, 
daß auch die direkte Schädigung der Hirn Substanz bei der 
Entstehung der sogenannten Hirndrucksymptome eine Rolle spielt 
neben der Erschwerung der Zirkulation, die unzweifelhaft 
auch mitwirksam ist. Diese letztere besteht zunächst, wie CrsuiNQ. 
das durch direkte Beobachtung des Gehirns mittels eines in doitj 
Schädel eingesetzten Glasfensters festgestellt hat, in einer Koni'' 
pression der Venen, in welchen der geringste Druck herrscht, und 
die also eine Stauung bedeutet. Schreitet dann die Steigerung 
des Hirndrucks noch weiter fort, so kommt es zur Auspressung 
des Blutes aus den Kapillaren und zu Anämie. Wie Kocher und 
Cdshinq betonen, erfolgt nun während eines gewissen Stadiums des 
Hirndruckes, was schon Falkenhe:m und Nadnyti fanden, durch 
diese Anämie eine Erregung des Vasomotoren Zentrums in der Medulla 
oblongata, welches mit Erhöhung des arteriellen Druckes antwortet, 
der die Kapillaranämie überwindet. Die Folge davon aber ist dann,] 
daß die Erregung des Vasomotorenzentrums wieder aufhört, der Blut-^ 
druck wieder fällt, die Hirngeföße wieder anämisch werden; dieses 
Spiel kann sich sehr lange fortsetzen, so lange, bis der Cerebrospinal- 
druck eben die Gefäße mit solcher Kraft zusammenpreßt, daß das 
Vasomotorenzentrum nichts mehr dagegen ausrichten kann. Der ar- 
terielle Blutdruck arbeitet also gegen den Hirndruck, und dieser Tat- 
sache entspricht es auch, wie Naunyn im Experiment nachge- 
wiesen hat, daß eine Erniedrigung des Blutdruckes das Eintreten der 
Hirndrucksymptome beschleunigt. 

Der Mechanismus des allgemeinen Hirndrucks ist somit bis 
einem gewissen Grade klargestellt, gleichgültig, ob er durch eim 
Bluterguß in den Subarachnoidealraum, eine Meningitis oder 
Hydrocephalus bei einem Hirntumor bedingt ist Nicht recht kl 
ist es, wie der lokale Vorgang der Entwicklung eines Hirnlumoi 
es anfängt, au welcher Stelle immer er sich befindet, einen alli 
meini-n Hirndruck mit erhöhter Spannung des Liquor cerebrospinalil 
zu erzeugen. Denn das tut ein Hirntumor, wenn auch von einigen 
Stellen, wie der hinteren Schädelgrube, besonders leicht Die Raum- 
beschränkung altein ist jedenfalls nicht der Grund, denn wir können 



I 



aer 





MechanismuA des pathologischen Hirodrucks. 391 

im Experiment große Mengen von Wachsmasse oder quellende Lami- 
naria u. dergl. unter die Dura bringen, die Folge ist einfach die, 
daß das Gehirn lokal komprimiert und geschädigt wird, sich den ver- 
änderten Raumverhältnissen anpaßt; zu einem allgemeinen Hirndruck 
kommt es nicht. Man muß wohl annehmen, daß es zur Erzeugung 
des letzteren des lebendigen Drucks, der Ausdehnungstendenz eines 
wachsenden Tumors bedarf, von dem aus der Druck durch das Gehirn 
hin fortgepflanzt wird. Die wachsende Spannung des Liquor würde dann 
entweder Folge einer vermehrten Produktion oder, was wahrscheinlicher 
ist, der durch den vom Tumor aus durch das Gehirn fortgepflanzten 
Druck verschlechterten Resorption der Cerebrospinalflüssigkeit sein, 
wobei auch die venöse Stauung als Mittelglied wieder in Betracht 
käme. 

Auf die Symptome des sogenannten Hirndruckes haben wir keine 
Veranlassung genauer einzugehen. Wie man sie auch im einzelnen 
begründen mag, sie beruhen natürlich auf der Reizung oder Lähmung 
der für die betreffenden Funktionen verantwortlichen lokalen Apparate, 
der Druckpuls also z. B. auf der Reizung des Vaguszentrums in der 
MeduUa oblongata u. s. w. Die Schmerzen beim Hirndruck übrigens 
sollen nach einigen reflektorisch durch die Spannung der Meningen, 
besonders der Dura mater ausgelöst sein. 



In beideti Figure 



Tafelerklärung') 

1 sind die Leitunesbahnen sl^i Drähte giedacht, welche durchil 
die gezeit^bneteii Scheiben de« zentraleo Nervensystems hindurch gezogen sind. " 
weit aie hinter diesen verschwinden, sind eie punktiert, da wo sie frei »ichtbar ' 
den würden, aurtgezogen. Soweit sie in der Ebene der einzelnen Scheiben st 
«erlaufen, »iod sie matter und zugleich breiter gezeichnet. 

Fig. 1. Die Bahnen Kur und von der Groflhir 
BOckenroark absteigenden VierhiiKel bahnen). Die nufeteigendi 
die absteigenden rot. Die Vierhii. " " 

C CLAKKEBche Säule. (.^ Co ... 

Dabkschewitbch. IT Hinlerstrangskem. P Briickengrau, ij Grau de« vorderen 
Vierhügeifl. B Großhirn, flu Roter Kern, fip Spinal gang] ion. Th Thalamna. 
1 Hintere Wurzel, f Binterstrang- ia Uauptschleifc. s KIciaDirnaeitenstrangbahneit. 
Sa Bindearm. 4 BBOWN-SEQUAKraclie Bahn, r, Innere Kapflel vom ThalamUH lur 
Binde. 6 Bahn von der Binde durch den Pedunculus. lia Abzweigung zum Brücben- 

Ku. 6b Brilckenami. i:r. Ungekreuzte Pyramiden vorderstraagbahn. ßd (iekreuzi« 
-amidenseitenstraugbahn. 7 Vierhfl^ vorder« tranßbahn. «Bahn vom Kern von 
Darksche WITSCH, ba Balken, c.p. hintere Kommieaur. Bahn von der Kleinbim- 
rinde cum Nuc dentatue ohne Bezeichnung {'=^ ö Fig. 2). Der Pfeil rechta von Bm 
b^icbnet den Weg des MoMAKowschen Bündels [= 7a Fig. 2). 

Fi^. 2. Rleinhirnbabnen. Die zum Kleinhirn gehenden schwärt, die 
vom Kleinhirn absteigenden rot, die im Kleinhirn verbleibenden grün. 

BuchetAben wie Fig. 1: dazu: Du' DFjTRRSscher Kern. L Seitenstrangkefii. 
Oe OouIoroolDTiaekem. Ol Untere Olive. Tt Dachtern. ) KletnhimseiteoBlraiig- 
bahiten mit teilweiee gekreuzieui Ure^prung. in hu Kleinhirn kreuzender Anteil d«r- 
selben. f Opticus. 2a Zentrale Haubenbahn. üb Bahn von der Olive zum KMn- 
him. ! H im Beben k et. Sa Briickenarm. 4 Vestibularis. a Bahn von der Klän- 
himrinde zum Nuc. dentatus. 6 Bahn von der Kleinhirn rinde zum DEiTERSschen 
Kern. (Die Associstionsfasem zwischen den beiden Kleinhlmhälft^n sind (fezeiehnet, 
aber ohne Bezeichnung.) ? Bindearm. Tu MoNAKOWsches Bündel. « BäiDcn vom 
DBITBKeschen Kern zu den AuKenmuskclkernen. 9 ist versebentlicJi zweimal ver- 
wandt worden. Der von Dei neben ~ii auf der rechten Seite der Fieur verlaufend» 
Zug Hind die vom DEtTEHSschen Kern zum Rückenmark absteigenden Bahnen, s Auf i 
der linken Seite der Figur von Te aueg^end der Tractus kincinatue. 

Absichtlich, um nicht zu komplizieren. wcMgelassen der Traet tectopontinua, ■ 
der als «ne Abzweigung von £11 zu P in Fig. S gedacht werden kann, und die Bahne ' 
von der Fonnatio reticularis der Brücke und des verlängerten Marks. 

irde der Uebersichtlichkeit wegen vorgezogen, die Dar^telluDg der _._ ^ 

Dabei mußten trotzdem einige Bahnen ii 
AVenn man hierzu noch Fig. 29 und 49 de« Text«»'! 
groben richtige Vorstellung der Ldtimgsbahnea T 



Kap. XI Kleinhirn, Kap. XII Sennible Bahnen 



I 





/•*'. 



Ltwtndovnk} wi NboIu |ti. 



Fig.Z 




Literatur ^). 

pitd I: Einleitung. Uebersicht und Abgrenzung der Aufgabe. 

sind auch die zusammenfassenden Darstellungen der Funktionen 

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I 




Literatar. 409 



Kapitel XVII siehe Kapitel XII. 

Zu Kapitel XVIII: Sprache und Aphasie. 

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Zu Kapitel XIX: Corticale Vertretung der Sensibilität und der 

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Sachregister. 



Aal, Bückenmark 52, 54. 
Absynthepilepsie 252. 
Abwehrreflexe 54. 
Accommodation 74, 75, 76, 104. 
AcbilleBsehDenreflex 56, 71. 
Achfiencylinder 11 f. 

ZellurHprung des — s 16. 
Achsencylinderfortsatz 15, 23. 
AcusticuB yergl. N. acusticus. 
Acasticusbahneii 214. 
Adäquater Reiz 33. 
ADDisoNsche Krankheit 93. 
Adduktorenreflex, kontralateraler 58. 
Aesthesodische Substanz 53. 
Agglutinine, Fehlen der — in der Cerebro- 

spinalfiÜBsigkeit 382. 
Agrammatismus 343. 
A^raphie 353. 

isolierte 355. 

sekundäre 353. 
Aktionsstrom an der Hirnrinde 273. 

am Lungenvagus 137. 
Alexie 348, 3491., 353, 354, 361. 
Allocheirie 210. 
Ambidextrie 322. 
Amöbe 6. 
Amöboide Beweglichkeit von Nervenzellen 

17, 233. 
Amphioxus, Rückenmark des — 52. 
Anarthrie 325. 

Anastomosen zwischen Ganglienzellen 25. 
Anatomie, Bedeutung der — 5, 319, 358. 
Anazentrale Sprachbahn 336. 
Anencephalie 144. 
Angriffsreflexe 54. 

Antjujonisten, reciproke Innervation der — 
m), 132, 297. s. auch antonistische 
Hemmung. 
Antidrome Leitung 101, 102. 
Antineuralgica 105. 
Antitypie 6. 
Aperturae laterales 381. 
Aphasie 320 f. 

amnestische 333, 337. 

motorische 322 f. 

optische 337. 

sensorische 327 f. 

Hubcorticale motorische 329, 347, 352. 

subcorticale sensorische 328, 352. 

transzeutrale motorische 338, 341 f., 352. 

transzentrale sensorische 336 f., 351, 352. 

WERNiCKEsche 327, .335, 336. 
Aphemie 323. 
Aplvsia 86. 
Apnoe 127. 
Apomorphin 90. 



Apraxie 221, 309. 357, 372 f. 

— der Kopf- und Gesichtsmuskulatur 379. 

— des Lidschlusses 379. 
Arachnoidea 381. 
Arthropoden 8. 

Association der Bewegungen 300. 
Associationsfasern 228. 
Bedeutung der — für die Ausbreitung 

des epileptischen Krampfes 258. 
Bedeutung der — für den Erfolg des 
elektrischen Reizes 238. 
Associationszentren 228. 
Astasie als cerebellares Symptom 181 f. 

— bei Großhimerkrankungen 309. 
Asthenie 181 f. 

Asthma s. Bronchialasthma. 
Asymbolie 371. 
Asynergie 191. 
Ataxie 153 f. 

cerebrale 280, 371. 

der Sprache 323. 

frontale 309. 

s. auch Kleinhirn. 
Atemapparat 10. 
Atembahnen 134, 137, 319. 
Atemkränipfe 137. 
Atempause, präterminale 131. 
Atemzentrum 133. 
•Athetose 305 f. 
Atmung 126 f. 

Einfluß der Rindenreizung auf die — 
242, 243. 
Atonie, cerebellare 181 f., 191. 

des Magendarmkanals 93. 

vergl. auch Hypotonie und Dystonie. 
Augen bewegungen bei Reizung des Groß- 
hirns 239 f. 

— bei Reizung des Kleinhirns 192. 
Störung der — nach experimentellen 

Großhirnverletzungen 271, 285. 
vergl. auch Deviation conjugu^e. 
Augenfühbphäre 283. 
Augenmuskelkeme, Verbindung der — mit 

dem Kleinhirn 193. 
Aura 246. 
Ausdrucksbewegungen, Störung der — bei 

Apraxie 376. 
Automatic, Begriff der — 127. 

— der Augenmuskulatur 85. 

— der Gefäße 99. 

— des Herzmuskels 88. 
Autonom 73. 

AxEXFELDsche Probe 364. 
Axon, s. Achsencylinderfortsatz. 
Axoni-eflex 103. 

Axobtroma 12. 



Sachregister. 



413 



BABiNSKischer Reflex :i7G. 
Baboeo, endogene — 200. 

kurze — des Bücken markes 63, 201 f., 
207, 209. 

obere — der Atmung 137. 

vergL auch Leitungsbahnen. 
Bahnung 40 f. 
Balken 218, 317. 

Bedeutung für die Ausbreitung des epi- 
leptischen Anfalle» 25H. 

Bedeutung für die Handlung 377. 

Bedeutung für die Restitution von Seh- 
sCÖrungen 290. 

Bedeutung für die Sprache 325. 
Basti ANschc Regel 60. 
Bauchdeckenreflex 72. 
Bauchmark 8, 64. 
Bauchschmerzen 104. 
Bellen, Abhän^gkeit vom Großhirn 244, 285. 

Abhängigkeit vom Gehör 275. 

beim Hund ohne Großhirn 146. 
BELLsches Gesetz 36 f., lOl. 
BELijjches Phänomen bei peripherer 

Facialislähmung 308. 
Benennungszentrum 337. 
Berührungsempfindung, Abhängigkeit der 
— vom Großhirn 264 f., 36« f. 

Bahnen der — 203 f. 
Beruhrun^sreflexe 190, 201. 
Bethes Versuch 26. 
Bewegungsdrang nach Großhimexstir- 

pation 146, 147, 151. 
Bewegungsverwechslung 378. 
Bindearm 188, 192, 195, 196, 310, 316. 
Bla^e 94. 

Beziehung der — zur Hirnrinde 309. 
Blanenentleerung 259. 
Blendungsschmerz 105. 
Biinzelreflex 122, 271. 
Blutdrucksteigerung bei Hirnrindenreizung 

259. 
Brechakt 90. 

BROCAsche Windung 322. 
Bronchialasthma 89, 105. 
Bronchialmuskeln 89. 
BROWN-SKQUARDscher Symptomenkom- 
plex 204. 
BrüAenarm 194, 195, 196, 255, 316. 
Brückengrau 192, 104, 195. 
Buchfltabenvorstellung 345 f. 
Buchstabenzentrum 348, 364. 
Buchstabieren 344. 
Bulbäranteil des sympathischen Systems 75. 

Calcarina, Fiss. 362, 363. 

Reizung der Gregend der — 239. 

Calcarinatypus 230, 231, 272. 

Calamus scriptorius 133. 

Carcinus maenas 26. 

Carrefour sensitif 3b8. 

Cellularprinzip 22. 

Centrum ciliospinale 87. 

Cerebrospinaldruck 387. 

Cerebrospinalflüssigkeit 381 f. 

Cervikalnerven, Ausbreitung der — auf 
das Gesicht 70. 

Charakterveränderung nach Großhirn- 
operationen 292. 



CHEYNE-STOKESsches Atmen 131. 

Chiasma 218, 266, 359. 

Chorda tympani 80, 103. 

Chorea 195, 306, 310, 311. 

Chromatolyse 114. 

Ciliarmuskel 74, 75, 76. 

Ciliaten 6. 

Cingulum 22a 

CLARKEsche Säule 198, 200. 
i Cocain 33. 
! Colon, Innervation des — 75, 80, 93 f. 

<^nus terminalis 97. 

Cornealreflex 122, 126, 283. 

Comu Ammonis 215, 275. 

Corpus callosum, s. Balken. 

— genicul. ext 215, 359. 

— geniculatum intemum 214, 215, 274. 

— mammillare 215. 

— quadrig. ant. 118, 119, 121, 122, 194, 

215, 313, 359. 
Reizung des — ^K), 313. 

— quadrig. post. 138, 214, 215. 

— restiforme 194. 

— striatum 142, 175, 216. 
Crofised aphasia 322. 

Decubitus 107. 

Degeneration, Bedeutung der — für die 
Neuronenlehre 19. 

des autogen regenerierten Nerven 21. 

der Nervenfaser 19, 197. 

der Nervenzelle 19, 20. 

GuDDENsche 19. 

retrograde 112 f. 

retrograde von der Rinde zum Thalamus 
315. 

WALLERsche 19, 112. 
Degenerationsfelder, zirkumskripte 19. 
Dendrit, s. Protoplasmafortsatz. 
Detrusor vesicae 95, 96 f., lOö. 
Deviation conjuguöe bei Epilepsie 249. 

bei Hirnherd des Menschen 307. 

nach experimenteller Großhirn Verletzung 
285. 

nach Kleinhirnverletzung 165. 
Diabetes 10, 140. 
Diadokokinesie 298. 
Diaschisis 262, 303. 
Dickdarmbewegung 93 f. 
Dilatator iridis 75, 78, 84, 87, 121. 
Dissociation der Bewc^ng 300. 

— der Empfindung 207. 
i Dressur 202, 274. 

I Druckpuls 389, 391. 
i Drucksinn 207. 

Drüsen, Abhängigkeit der — vom sym- 
pathischen System 102 f. 

Drüsensekretion bei Reizung der Hirn- 
rinde 260. 

Dünndarmbewegung 90 f. 

Dura 381. 

Dyspnoe 127. 

Dystonie 186, 280. 

Echinodermen 7. 

Echolalie 340. 

EUnsinnigkeit der Leitung 39, 197. 



\ 



414 Baclu 

Eiaielbewegtiag 2.78t., 372. 

EiaculatioD 97. 

£)dBiDa.ie 252, 253. 

Elektrisch erregbare Region des Affen 238. 

— des Menschen 241. 

— des Hundes 243. 

— des Vogels 245. 
Elektrische OrEane 33. 
ElementiirfihnlTendtter 26. 
Empfinilung, Begnff der — 270, 363. 
EntartungHTcabtion 109. 

Epilepsie 246 f. 

jAOKSONache 248 f., 304. 
Epistriatuni 149. 
Epithel muekelzelle 6. 
Erektion 97. 
EriDnerungsbilder, Ausfall der optiaclien 

269, 3e5. 
Erkenn tniakritik 3. 
ErmUdimg des Beflexcs 48. 
Ersatzleistung 51, 261. 
Exzentrische Lage der langeu Bahnea .53. 

Pacialislähmung, cerebrale 293. 

— periphere 310. 

FaUcen ohne Üro&him 149. 
Farbensinn 360' 
Faaciculua arcuatus 22S. 

— Gowerei 187, 193, 198f., 213, 316. 

— iongitudinalis inferior 228. 

— longitudiDaliH posL 193. 

— Mevnerti 215. 

— Monakow! 188, 192, 193, 194, 195, 196, 

255, 315, 316, 317. 

— solttariuB 120. 

— tetw 215. 

— Thomasi 134, 319. 

— uncinatus des OroQhirns 228. 

— uncinatue des EleinhirnH 192. 195. 
EaaemeU, GERLACHaches 16. 
Federn ^60. 

_ e (i5. 

— der Wirbeltiere 27 f. 

— des peripheren Nerven 13. 
Pibrillengitter 25, 29. 
nbrillenssnre 14. 

Fische ohne Großhirn 151, 152. 
Flagellaten 6. 
FLEOBSioeche Lehre 291. 
Fledenuoue, Großhirn rciziing 245. 
Fluchtreflexe 54, 56. 
Foramen Magendii 3S1. 
Fonnatio reticularis, AleniKentrnin in der 
— 133. 

OefäßKentnim in der — 100. 

Bahnen der — 317, 
FomLx 215. 

Fortbewegung beim Tier ohne Großhirn 
143. 146, 148, 149, 150. 151. 

— beim Tier ohne Kleinhirn 180. 
Einfluß der Sensibilität auf die ~ 161. 

FREUfiRBBGsches Phänomen 56, 61. 
Frontal läppen, Beziehung der Rumpfmus- 
kulatur Eum — 242, 286. 
Beziehung des — s zu psychischen Vor- 



I Frontal läppen, Bewe^ng der Angen bd 1 

EeizunK des —e 239. 243. ' 

Frontalwind ung, zweite 307, 357. 

dritt« 321 f. 
Frosch ohne Großhirn 149 f. 
I Frübkontraktur 303. 
Fühlephäre 275 t. 

Fußregion, Verhalten der — lur Hauben- 
region 313. 

(iallen Sekretion bei Rindenreizung 260. 

Ganglien, sympathische 76f., 104. 
Einfluß ^es Nicotbs 77. 
Einfluß der Anämie 76. 



Topo 



B Ölf. 



. „ 1 291, 3 
Bäiiehung des ~ 



r Apraxie 3 



GanglieuKäl 
Ganglion ciliare 76. 

— coccygeum 81. 

*"RANKE3fHiCSER8chefl 98. 

— babenulae 215. 

— mesentericum 94. 

— splienopalatinum 80. 

— Blellatum 61. 

— eubma^iillare 80. 

— supremum 81, 84. 

— supremuin, Entfernnng des — bei Epi- 

lepsie 84, 248. 
Gänaehaut. Gefühl der — 105. 
Gaumen reftex 124. 
Geburt 98. 
GeräOe 98 f. 
Gefäßzedtrum 100. 
Gehirogefäße 83, 105. 

beim Bimdruck 390. 
Gemeinachaftebew^lUttg 278 f., 394. 
Genitalien 97, 98. 
GKNNAKischer tStreifeii 230, 362. 
GcechDiacksreflexc 1^:3. . 

Gesichtsfeld, ü berech Qssigea .360. ' 

Glei<;bgewicbt 164, 172, 185. 
Glosso-kinisthetisches Zentrum 323. 
GoLsis<Jie Methode 16. 
GoLGi-NeU 29, 30. 
Greifretlei 144. 
Gren istrang b. Sjmpathicua. 
Großhirn 2l6f. 

Bedeutung de« ^b für die Orientierung J 
178. 179. ' 

- des Neugeborenen 245. 246. 

- niederer Häuger 244. 245. 

— der V5gel 2IB, 218, 245. 
Großhimobernäche des Bundes 220, 221, J 

der kat^e 222. 
des Menschen 224, 225. 
GuDDENsche Degenerationsmethode 

113, 
Gyrus angularis des Affen 241, 283. 

angularis des Menschen 348, 349, 3tU. 
compositua ant. des Bundes 244, 
coronalia 244. 

— ectosylvius 242 f. 

— hippocampi 215. 275. 
' si^moideus 242 f. 

Beziehungen des — zu SehatÖrunjren 
290. 



19, 



Sachregister. 



415 



Haare 81. 

Haftenbleiben 334, 356, 365, 878. 
Hahnentritt 182. 
Halbreflexe 154. 

Halbsei tendurchschneidung des Rücken- 
marks 205, 208, 318. 
Halluzination 366. 
Haltung 56, 157, 159, 181, 190. 
Hämolysine, P'ehlen der — in der Cere- 

brospinalflüssigkeit 382. 
Handlung 372 f. 
Harnentleerung 95 f. 
Harnverhaltung nach Kückenmarksdurch- 

Bchneidung 97. 
Haubenbahn, zentrale 194. 
Haubenfascikel 213, 215. 
Hautreflexe, Abhängigkeit der — von der 

Großhirnrinde 276. 
HEADsche Zonen 211, 212. 
Hemiachromatopsie 360. 
Hemiamblyopie 360. 
Hemianästhesie, cerebrale 369. 
Hemianopsie bei Alexie 349. 

beim Menschen 359, 360 f. 

beim Tiere 266 f. 
Hemiatrophia faciei 107. 
Hemiplegia dolorosa 369. 
Hemiplegie 293 f. 

spinale 314. 
Hemmung der Atmung 137. 

der Reflexe 41, 48, 00. 

der großhimlosen Taube 148. 

antagonistische — 60, 289, 297. 
Hemmungsnerven 42, 139. 
Hemmungszentrum 42. 
Herpes zoster 102, 110. 
Herz 87 f., 105. 
Herznerven 75, 80. 
Herzreflexe 89. 
Herzvagus 80, 87. 
Hinterbeinregion 287. 
Hinterhauptlappen s. Occipitallappen. 
Hin terhorn des Rückenmarkes 51, 71, 116, 

198. 
Hinterstrang 155 f., 191, 199 f., 202 f., 213, 

316. 
Hinterstrangskern 116, 199 f. 
Himdruck 388 f. 
Hirngewicht 225. 
Hirnnerven 37, 118 f. 
Hirnnervenkerne, Fasern von der Rinde 

zu den — n 313. 
Hirnschenkelfuß s. Pedunculus cerebri. 
Himpulsationen 388. 
Hirnsehschwäche 269. 
Hirn stamm 117 f. 

der Amphibien 150 f. 

der Fische 152. 

der Reptilien 151. 

Leitung der Sensibilität durch den — 
213. 
Hirntumor Hirndruck bei — 388, 390. 
Histogenese 18. 
Homolaterale Beziehungen des Großhirns 

294. 
Hören der Fische 149. 
Hörsphäre 274 f., 32a 

des Menschen 367. 



Hörstörungen nach Großhimverletzungen 

265. 
Hörstrahlung 274. 
Hund ohne Großhirn 145 f., 189, 194,271, 

280. 
Hungerzentrum 265. 
Husten 31, 140. 
Hyaloplasma 12. 
Hydrocephalus 389. 
Hydroidpolypen 6. 
Hyperalgesie 212, 369. 
Hypnose, tierische 234. 
Hypotonie 158, 159. 

Ig^l, Pyramidenbahn 313. 

Rindenreizung 244. 
Ileus 93. 
lUusion 366. 
Inaktivität, Einfluß der — auf den Muskel 

109. 
Incontinentia vesicae 95, 97. 
Inspirationshemmungszentrum 137. 
Irradiation 132. 

des Schmerzes 211. 
IsolierungsveränderunK« Begriff der — 51. 

— nach Kückenmarksdurchschneidung 54, 

61, 276. 

— am Hirnstamm 124, 125. 

Kaninchen ohne Großhirn 147. 

Kapillaren 99. 

Kapsel, innere 200, 254, 305, 368. 

Katalepsie bei Klein hirnerkrankung 191. 

Katazentrale Bahn 336. 

Kauen 124. 

Keratitis, neuroparalytische 108. 

KERNiGsches Symptom 212. 

Kinästhetischen Vorstellungen, Bedeutung 

der — für das Handeln 373. 
Kinesodische Substanz 53. 
Kleinhirn 142, 147, 150, 164 f., 198, 199. 
Leitimg über das — zum Großhirn 204. 
Leitung von der Großhirnrinde über das 

— 316. 
Kleinhimataxie 180. 
Kleinhirnhemisphären 192. 
Kleinhirnschenkel 172, 194 f. 
Kleinhimseitenstrangbahuen 63, 187, 193, 

198, 199 f., 316. 
Kleinhirn wurm 192. 
Klopfversuch, GoLTZscher 87. 
Klonische Reflexe 56. 
KLUMPKEsche Plexuslähmung, Pupille bei 

der — 81. 
Kniereflex 58, 71. 
Kollateralen 17. 
Kommissur, GANSERsche 215. 

— des hinteren Vierhügels 214. 
PROBSTsche — 215. 
vordere — des Gehirns 215. 

Kommissuren, Bedeutung der — 317 f. 

— des Rückenmarkes 63. 
Kontakt oder Kontinuität 25. 
Kontraktur 294 f. 

— beim Affen 303. 

— beim Hunde 303. 
Koordination 155 f., 180, 181. 

in Abhängigkeit vom Kleinhirn 180, 185. 



KoordinatioDBstdruDg bei Chorea 'dlO. 



Kopist 

— b« Hirndnick 389, 391. 
Kopftetanue 47. 
KotcDtleerung 93. 
Krampf, epileptiecher 246/. 
KrampfKentram 247. 

Krämpfe bei Ertttickung des Rückenmarkes 
53. 247. 

— bei Klein hinjerkrankuDK IStJ. 

— bei BtrycliniD Vergiftung 46, 34J4. 

— bei Schwangeren 252. 

— im Kindexalter 253. 

— bei Urämie 253. 
Kratzreflex 95, 71. 

KrebMichere. Hemmung den Muskelft der 

— 42, 96. 
Kreuzung der eengiblen Bohnen 205 f. 
Kurze Bohnen h. Bahnen. 

Labyrinth 172. 

LacDeD, eiaaeitigeR 123. 

Lateral skleroae, amyotrophiEche 31Ö. 

Leben a kraft 3. 

LeitungsaphaHJe 331, ;-l40. 

Leitungabohnen des KefieicB tS. 

— des elektnachen R«zefl 253. 

— des Kleinhirns lißf. 
motorische — 'M2f. 
sensible — 197. 

Leitungarichtung Uü. 

Lid»ebluS 31, 32, 39, 121, 126, 146. 
limulus, Herz von — 88. 
Linkshimigkeit 219, 375, 370. 
LioeenkerD s. Niic lentiiorniis. 
Lipoide, Bedeutung der — iür die Narkose 

45. 
LobuH opticus 148, 150, 151. 
Lokaliaation im UroÜhirn 220/. 

im Kleinhirn 191 f. 

in den Strängen des Kückenmarkes 53. 

der Empfindung 265. 

der Schmerzen bei VisceralerkrankuDgen 
211, 212. 
Lokalisations vermögen liei Bindenzer- 

stfirungen 370. 
Lokalzeicheo 55. 2m, 28S. 
Lumbalpunktion 384. 
Lungenvaftus 134 f., 138. 
Lf mphgefaCe des Gehirns 365. 
Lymphocytose 383. 
Lymphräumc, perivaskuläre 383, 384. 



Hirnrinde 363. 
Magen 8». 

MagendarmtralctuB, Innerration des — 75, 

80. 
Magensafl«ekretion bei Rinden reizuiig 260. 

psychische 73. 
Mal perforant 1Ü7, 
MARCUische Methode 112. 
Mnrkitcheide 11 f., 18. 

Degeneration der — 112f. 
älasüeiibew^ingen 299. 



Mastdarm, Beziehung dei* — 

rinde 309. 
Mathematischer Sinn 2J6. 
Medulla oblongata 174, 170. 
des Frosches 151, 174. 



252. 



Medusen 

M eerseh weinchen e^ ilepeie 

Melodien veratäudma 367. 

Meningitis 53, 3S3. 

Merkfahij^keit, verbale 331 

Metamene (14. 68, 

Helliylenblaufärbuog, vitale, 18. 

Mimik. Beziehung der — zum TbalsmuB 

162. 
MimlscheBefiexebeiAnencephalen 123.144. ' 
Mioais bei Taties 121. 
Mitbewegungen 278. 300f. 
Mitempfindung 211, 
Mittelfiirn 118, 119, 121, 122, 137. 148. 

beim Frosch 150, 151. 

beim Vogel I48i 

Verbindung mit dem Kleinhirn 194, 
Mitte1hirnanteildegsjmpatbi>ichenSvetan0 

75. 
Mollusken 9. 
Monismus 2. 
Monoplegie 304. 

MormyruB |im Text Malopterurus), Anft> 
Btoraoaen zwiEchen den Qanglienzellen 
von - 25. 
Mi:TLLEBBehe Muskeln 75, »4, 256. 
MuBikainn 220, 367. 
Muskclatrupbie lOSf. 

Muskelainn, Abhängigkeit des —8 vom ' 
Kleinhirn 181, 186, 189. i 

Bedeutung des — b fiir die Bewegung 
155 f. 

beim Hund ohne Großhirn 146. 

Leitung des — s im Kuckenniark 209. 

nacli Großhirn Verletzungen beim Tier 
264, 265, 276, 282. 
Muskeleianatörungen , cortlcale bejru 

Menschen 370. 374. 
Muskellon 34. 
MuskeltouuB B. TonuB. 
Myelogen ese 227. 
MyotoDJ «8. 

Xachbild 267. 

Nachschreiben 345. 

Nachwirkung 43, 48. 

Nacken region 285. 

Nackensteifigkeit 53. 

Nahrungsau inahme tieim Tier ohne Uioft- i 

hirn 144, 145. ' 

— nach Gehirn Verletzungen 284. 
Narkose. Einfluß der — auf da» Atem- 

Zentrum 140. 
Einfluß der — auf die Erregbarkeit 

Großhirns 23f>, 
Einflua der — auf die Reflexe 32. 
^ des peripheren Nwven 14, 

Thoone der — 44 f. 
NasenUdreflex 284, 
Nelienniere. Wirkung der — auf die Ge- 1 

fäße 99. 
Nerven. Leitung dw Tetanusgifte« im I 



Sachregister. 



417 



Nerven, Struktur des peripheren — 11 f. 
Nervenring 7. 
Nerven Pfropfung 305. 
Nervus abducens 119. 

— accelerans 83, 88. 

— accessorius 118. 

— acusticus 120, 123. 

— cochiearis 120, 214. 

— cruralis 70. 

— depressor 100. 

— despiciens 308. 

— eri^ens 83, 93, 96. 

— facialis 118. 

vergl. auch Facialislahmung. 
Pfropfung des — 304, 305. 
Regeneration des — 20. 

— glossopharyngeus 80, 120, 124, 214. 

— hypogastricus 83, 93, 96. 

— hypogiossus 118, 294. 

— iscniadicus 70. 

— laryngeus 124, 139. 

— lingualis 103. 

— m Planus 68, 70. 

— oculomotorius 119. 

Beziehungen des — zum Gangl. ciliare 76. 

— olfactorius 215. 

— opticus 120, 121. 
Bahnen des — 215, 359. 

Einfluß des — auf die Weite der Pupille 

78. 
Verbindung des — zum Kleinhirn 194. 
der Vögel 121, 218. 

— peronaeus 68, 70. 

— phrenicus 133. 

— radialis 68, 70. 

— suspiciens 308. 

— tibialis 68. 

— tri^eminus. 

Beziehung zum Comealreflex 122, 126. 

Beziehung zur Tränensekretion 126. 

Einfluß der Durchschneidung des — auf 
die Bewegung der Lippe 154. 

Reflex vom — auf die Atmung 139, 140. 

Reflex durch den — auf die Speichel- 
sekretion 125. 

Trophische Störungen nach Durchschnei- 
düng des — 108. 

Ursprung des — 118, 119. 

Versorgungagebiet des — 70. 

Zentrale Bahn des — 214. 

— trochlearis 119. 

— ulnaris 70. 

— vagiis 32, 80, 118, 134, 214. 

— veetibuiaris 120, 172 f., 196, 215, 266. 

— Wrisbergi 120. 
Netz, üoUfisches 30. 

Neurit s. Achsencvlinderfortsatz. 

Neuritis, Einfluß der — auf die Reflexe 33., 

Neuroglia 14. 

Neuron 17 f. 

Neuropil 25, 27. 

Neurotropismus 20, 115. 

Nicotin 77 f., 92. 

Niesen 32, 140. 

NisSLs nervöses Grau 30. 

NissL-SchoUen 23, 28, 30. 

NissL-Stniktur, Einfluß der Arbeit und 
von Giften auf die — 24. 



Nodulus cursorius 175. 
Noeud vital 133. 
Nuc. ambiguus 118. 

— anterior thalami 215. 

— areif ormis 316. 

— caudatus 216. 

— Bechterewi 120, 195. 

— Darkschewitschi 318. 

— Deiters! 120, 188, 192, 193, 194, 196, 310, 

316, 317. 

— dentatus 192, 194, 195, 255. 

— lentiformis 215, 216. 

— oculomotorii 194. 
sympathischer Teil des — 76. 

— ruber 188, 192, 255, 310. 
Verbindung des — mit der Großhirn- 
rinde 315. 

— salivatorius 119. 

— Stillingi 198, 200. 

— tecti 192, 194. 

— Vagi 80. 
Nystagmus 171, 173, 177. 

Oberschlundganglion 8. 
Occipitallappen des Affen 239, 272 f. 

des Huncles 242, 266 f., 272 f. 

des Menschen 363 f. 

Leitung zum — 215. 

Struktur der Rinde des — s 231. 
Oesophagus 80, 89, 124. 
ührregion 283. 
Olive, obere 215. 

— untere 192, 194. 
Orbiculariszentrum 242, 245, 284. 
Orientierung im Raum 171 f. 

— in der Umgebung 179, 269, 365. 
Ortsfindungs vermögen 265. 
Othämatom 107. 

PACCHiONischü Granulationen 386. 
Pallium 142. 
Pankreassekretion 260. 
Papagei, Sehen des — s 149. 
Paradoxe Pupillenerweiterung 85. 

— Pupillenverengenmg 86. 
Paragraphie 354. 
Paraphasie 332 f., 352. 
Parapraxie 378. 
Parästhesien 370. 
Parazentrallappen 309. 

Paresen beim Tier nach Großhirnverletz- 
uni^en 282. 

Parietallappen, Beziehung des — s zur Sen- 
sibilität 369. 

Pathologie, Bedeutung der — 4. 

Pedunculus cerebri, Ursprung des — 229, 
Leitung im — 230, 255, 257, 272, 316, 

317, 325. 
Pendelbewegungen 91, 92. 
Periodik 250, s. auch Rhythmus. 
Periostrefiexe 58. 

Peristaltik 89, 91 f. 
Pfotegeben 264, 278. 
Phrenologie 226. 
Physostigmin 92, 104. 
Pia 381. 

Pigmentzellen, reflektorische Wirkungen 
auf — 33. 



Lewandowsky, Funktionen d. centralen Nervensystems. 



27 




Filomotoren 81. 

Piquflre 140. 

PloDlAireflex 54, Tl. 

Pkamazellen 3ä3. 

Plexus, AijERBACH»cher 91, 103. 

— chorioidei 382, 386. 

— codiacuB fl2. 

— hf pogaetricUs 82, 94. 

— MEiESNEBscher 91, 113. 

— pudendus 82. 

— eolari« 82. 
Polarisation, djnainische 2Ü. 

Pons, Krampf Zentrum im — 247, s. auch 
BrückeDerau , BrUckenArm , Hini< 
sehen belluS. 

PoRTEBBcher VcTBueh 41. 



Prfiganglionäre Fasern 7li. 

ProjektioQ der Empfindung 210. 

ProjelctionflsyateraD 228. 

ProjektioDszentieD 228. 

Propulsion 175. 

Protoplasmaforteätze 15, 10, 23, 27, 28. 

PscudobulbürparaljBe, Reflexe bei — 124. 

Pulrinar 215, 3ö!l. 

Panktsubatanz ». Neuropil. 

PupiUarreflei 35, 87, 121, 271. 

Pupille 74, 76, 84. 

Besiiehung der — 7.iir Hirnrinde 258. 309. 
Pupillen er Weiterung bei Hirndruck 389. 
Pupillenotarre 121. 
PcaKLVjEsche Zellen 192, 193, 
Pylorui. 90. 

Pyramiden, DurehschDeidung der — 314. 
Pyramide, Herde der — beim Menschen 

314. 
Pyramiden bahn, Lotung durch die — 246, 

253 f., Lm. 3 12 f. 
PfTamidenvurderBtrang 204, 313, 316. 

Quak versuch 34, 4,3. 

KAYNiUDsche Krankheit 106. 
RecbWhändipkeit 219, 322. 
Räcul, raoiivement de — 175. 
Bededrang bei seniHiriBcher Aphasie 334. 
Reflexe (>, 31 f. 
— der Äiiteniie 26. 

LokalisalioD der — im Rückenmark 71. 

louiache 44. 234. 
R«flei bogen ;^. 
Reflexermüduug 48. 
Beflexerregbarkeit 44 f. 
BefleifroBch 4U 
BeCleigesetze, PFLÜOERache 59. 
ReftexkoUateralen 63. 
Reflexkrampf 46. 
ReflextoDus 57. 
Reflexweg 62. 63. 
B«flex!:eit 39 f. 
R«flexzentruni 34. 



— der GroßhimrindB 237. 
Rtgeneration 20, 114, 115, 30ö. 

— autogene 20, 21. 
Beihensprechen 343. 



Beixbarkeit des RüpkenmarkeB 53. 
Beizung der GroÜhimrinde 233 f. 
Einfluß der hinteren Wurxeln auf den 
Erfolg der — 161. 

— des KleiohimH 171, 188, 192. 

— des vorderen Vierhügels 313. 
Retina, Projektioa der — auf die Rinde 

266 f.. 363. 
Betropulsion 175, 309. 
Betroientrale Wirkungen 348. 
Rhythmus 7, 128 f., 245. 
Riechen, Abbüngigkeit des — s vom Groß- 

bim bei den Fiaeben 152. 
Riecbsphäre 275. 

Biesenpjramidenzellen 231, 232, 245, 254 f. 
Binden bliudheit 268 f. 
BindenreOexe 271. 
Bindentaubheit 274, 367. 
RUMBEKOsches Phänomen 163. 
Büekenmark 49 f. 

Gliederung des — b 64 1. 

Halbeeitendurchecluieidung des — s 2(B. 

Verkürzung des — s 92, 94, 
Bücken marküan äs thesie 384. 

Einfluß der — auf die Kontraktur 298. 
Rücken marksqueriH'hniU 51. 

UrBprune der Nerven auf dem — 68, 
Bücken mancBseele 55. 
Bücken mar kstumor, spontane Bewegungen 






- 53. 



Prinzip der Lokalisalion dea — 69. 
Rück enmarks Wurzel 11 64 f. 
Rumpfraunkulatur, Beziehung der — cur 

Hirnrinde 265, 286. 308. 
Rumpfregion 2S6. 

Hacroll^il des sympathiBchen Syetcma 7$, 

81. 
ÖatzbQdnng 343, 

Sauenitoffbedürfuis des Nerven 12. 
öaugreflex 123. 
Schaltzellen 312. 
Schein bewcgung 177. 
Schdtellappcben. unte] 
St'bichten der Hirnrinde 330. 
Schlaf 233. 

am5boide Bewegungen der Nervenzellen 
BtB Ursache des —es 17, 23:1. 

Aufhören der Bthetotischeu Bew^ungeit 
im — 3Uä. 

bei groabimlosen Tieren 146. 148. 

Reflexe im - 32. 
Schlange, Rücken marksrefleie 54, 59. 
Schleife, Uauptachleife 63, 199 f., 213. 

laterale 214. 
Schlucken 89. 124, 244. 
Schmecksphäre 275. 
Schmerzbahnen 205 f., 213. 
"Schmerzempfindnng, Abhängiglidt der ~ 
von der kinde ÖC4, 277 ^'^' ""■ -*' 



zentrale 369. 
Schniiffelbew^ung 275. 
ScbnürriDge, RAMriERBcfae 11. 
Schrei bzentrum 355 f. 
Sehreiben 345, 3ö3, 
Schreien 140. 



Sachregister. 



419 



Schreireflex 144. 
Schriftsprache 345. 
Schwämme 6. 
ÖCHWANNsche Scheide 12. 

B^eutuDg für die Begeneration des 
Nerven 20, 114. 
Schweißdrüsen 82, 102. 
Schwindel 172. 

galvanischer 173. 
Sclerose, Achsencylinder bei multipler — 
112. 

Sprache bei — 323. 

Tremor bei — 311. 
Seelenblindheit 268 f., 365. 
Seelen lähm ung 374. 
Seelen taubheit 274. 
S^mentinnervation der Muskulatur 66, 67. 

der Haut 68, 69. 
Sehnenreflexe 32, 33, 58, 71, 72, 185, 276. 

bei Chorea 58. 310. 
Sehschärfe bei Erkrankung der Sehsphäre 
360. 

Sehsphäre 266 f., 289, 290. 

des Menschen 362, 363. 
Sehstrahlune 215, 277 f., 359. 
Seitenhorn des Rückenmarkes 81. 
Seitenstrang 202, 207, 213. 
Seitenstrangkern 200. 
Seitwärtswendung des Kopfes und der 

Augen 301, 308. 
Sekretion, innere 9, 141. 

paralytische 102. 
Selbsthemmung der Atmung 136. 
Selbststeuerung der Atmung 135. 
Sensibilität bei Rindenerkrankungen des 
Menschen 368 f. 

Einfluß der — auf die Bewegung 153 f. 

Einfluß der — auf die Kontraktur 297. 

— des sympathischen Systems 104 f. 

Sensibilite r<?currente 37, 53. 
Sensomobilität 162. 
Sensomotorische Region 276 f. 
des Menschen 304. 

Sensomotorium, Isolierung des — s 377. 
Seufzer 140. 

Shock 50, 143, 262, 303. 
Sicherungsreflexe 54. 
Sinnesenergie, spezifische 33. 
Sonderbewegungen 294. 
Spasmen bei der Erkrankung der Pyra- 
midenbahn 315. 
Spasmus 295. 

— mobilis 306. 
Speichelsekretion 102, 125. 

durch Himrindenreizung 260. 
psychische 74. 
Sphincter ani 93, 94. 

— iridis 75, 121. 

— iridis, Tonus des — 78, 258. 

— vesicae 94, 96, 97. 
Sperrtonus 79. 

Spinalganglien, Anämisierung der — des 

Frosches 21, 27. 
trophiscbe Funktion der — 108. 
Spinalganglienzellen, Ursprung markhal- 

tiger Fasern aus — 15. 
Spinalparalyse, spastische 315. 



Splanchnicus 82, 92, 93. 

Beeinflussung des — durch Reizung der 
Hirnrinde 259. 
Spontaneität Iß, 146, 148, 149, 150. 
Sprachbahn 325. 

Sprachbew^^ngsvorstellung 323, 331. 
Sprache 219, 320 f. 

innere 343, 344. 
Sprachfeld 350. 
Sprachzentrum 221, 263. 

motorisches 321, 325. 

sensorisches 329. 
Stabkranz 229. 
Stauungspapille 389. 
öTENSONscher Versuch 44. 
Stimmbänder, Innervation durch den Vagus 
118. 

corticale Innervation der — 244, 285, 
30a 
Strabismus nach Eingriffen in den Oyrus 

angularis 283. 
Strangfasem des Rückenmarkes 63. 
Strychnin 46, 4«. 

Versagen des — nach Durchschneidung 
hinterer Wurzeln 53. 
Strychninvergiftung vom Subduralraum 

aus 384, 385. 
Subarachnoidealraum 381. 
Suggestion 366. 
Summation 40. 
Sympathicus, Ursprung des — 75, 81. 

Folgen der Durchschneidung des — 
84 f., 99. 
Sympathie 31. 
Sympathisches System 73 f. 

Diagramm seines Ursprungs 75. 

WirKungen der Himnndenreizung dar- 
auf 258. 
Syncytium 14. 
Synergie 163, 183. 
Syringom yelie, Sensibilitätsstörung bei — 

Tabes, Sehnenreflexe bei — 58. 

Inkontinenz bei — 97. 

Gelenkerkrankungen bei — 108. 

Ataxie bei — 155 f. 

Pupillenstarre bei — 121. 
Tastlahmung 370. 
Taube ohne Großhirn 147 f. 
Taubstummheit 320, 321, 324. 
Taubstumme, Schwindel bei — n 176. 
Temperaturbahnen 205 f., 213. 
Temperaturempfindung, Abhängigkeit der 

— vom Großhirn 265. 
Temporallappen, Bahn zum — 215. 

Funktion des — s beim Menschen 367, 
368. 

Funktion des — s beim Tier 274, 275. 

Reizung des — s 239, 241, 243. 

linker — als Zentrum der Sprache 328. 
Temporal wind ung, erste 322, ^9. 
— zweite und dritte 337. 
Tensorreflex 123. 
Tetanus dolorosus 385. 

reflektorischer 34, 43. 

untermaximaler 237. 

vom Subduralraum aus 384. 

27* 



420 



Sachregister. 



Tetanustoxin 24, 46, 47, 384. 
Thalamus, Amimie bei Zerstörung des — 
162. 
Eodigung von Bahneu im — 200, 214, 

215. 
ErkraukuDg des — bei Chorea 310. 

— des Froscfies 33, 150. 

— beim Hund ohne Großhirn 145. 
SensibilitätsstÖrungen bei Erkrankungen 

des — 368. 

Verbindung des — mit der Rinde 200, 
230, 255, 315. 

Zwangsbewegungen bei Verletzungen 
des — 287. 
Tränensekretion 80, 126, 260. 
Tierseele 1. 

TigroidschoUen s. NissL-SchoUen. 
Tonus der Skelettmuskulatur 57, 159. 

Abhängigkeit des — vom Kleinhirn 181. 

Abhängigkeit des — vom Großhirn 280. 

bei Chorea 310. 

glatter Muskehi 78, 79. 

des Herzvagu» 87. 

des Sphincter ani 93. 

des Sphincter iridis 78. 

sympathischer Ganglien 79. 
Tonuslabyrinth 186. 
ToDusschwankun^en 131. 
Tractus tectopontinus 194. 
Transcortical s. Transzentral. 
Transzentrale Bahnen 330 f. 
TRAUBE-HERiNGsche Wellen 132. 
Trapezkörper 214. 
Tremor 237, 311. 
Trepanation, Einfluß der — auf den 

Cerebrospinaldruck 388. 
Trigeminusreflexe 87. 
Trismus 47. 

Trophische Funktionen 10, 106 f. 
Tunicaten 9. 

üebung 157, 262. 

Uniklammerungsreflex des Frosches 54. 
Umlernen 304. 
Uncus 275. 
Unwillkürlichkeit 9- 
üreter 97. 
Urwindungen 222. 
Uterus 98. 

Vaguspneumonie 1C>8, 137. 

Vagustod 136. 

Vaguszentrum 88. 

Vasoconstriction 98 f. 

Vasodilatation 98, 101. 

Vasomotoren, Einfluß der — auf die Er- 
nährung der Gewebe 1U6. 

Verblutungskrämpfe 247. 

Verdauungndrüsen 103. 

Verkennung 365. 

Versprechen 332. 

ViCQ i)*AzYRscher Streifen s. (tENNARI- 
scher Streifen. 



Vierhügelvorderstrangbahn 316, 317. 
Vorderbeinregion 287. 
Vorderhom, Zell^uppen des — s 51, 68. 
Vorstellung und Empfindung 270, 362. 

Wachstumsstörungen 107. 
Wärmedyspnoe 128. 
Wärmestich 216. 
Wehen 98, 105. 

WEiGERTsche Markscheidenmethode 112. 
WERNiCKE-LicuTHEiMsches Schema 329. 
WERXiCKEsche Stelle 329. 
Willensenergie, Defekt der — 278. 
Willkürliche Funktionen des sympathi- 
schen Systems 9, 73, 75. 
Witzelsucht 309. 
Wortbegriff 343. 
Wortblindheit, reine 349, 361. 
Wortfindung, Bahn der — 336 f. 
Wortklangbüd 333. 
Wortklangverständnis 330. 
Wortsinnverstündnis 330. 
Worttaubheit, reine 328. 
Wortverständnis, Bahn des — ses 336 f. 
Würmer 8. 

Wurzel, RoLLERsche 195. 
Wurzeln des Rückenmarks, Leitung in 
den — 36 f., 19a 

Einfluß der hinteren — auf die Kon- 
traktur 298. 

Einfluß der hinteren — auf die Be- 
wegung 155 f. 

Verteilung der hinteren — 69, 70. 

Gefäßerweiterung durch Beizung der 
hinteren — 101. 

motorische Wirkung der hinteren — 
37, 38. 

Reizung der vorderen — 65, 67, 68. 

Verteilung der vorderen — 66, 67, 68, 70. 
— der Hirnnerven 117 f. 

Zahlen lesen 352. 

Zcntralwindungen, Anatomie der — 223, 
224. 

Struktur der — 232. 

Reizung der — beim Affen 239 f. 

Reizung der — beim Menschen 241. 

Funktion der — beim Affen 273, 276 f. 

Funktion der — beim Menschen 304, 368, 
369. 
Zentrum, B^riff des — s 34. 
Zonula Zinnii 74. 

Zuckungen, fibrilläre, der Zungenmusku- 
latur 86. 
Zunge, Abweichung der — 118, 294. 
Zungen traktionen, LABORDEsche 134. 
Zwangsbewegungen 165, 195, 287. 
Zwangslachen 302. 
Zwangsweinen 302. 
Zweckbegriff 3. 

Zweckmäßigkeit der Bewegung 156, 184. 
Zweizipfel versuch 104. 
Zwischenplatte 13. 
Zwischenzone des Rückenmarkes 312. 



Froinmanntche Bnchdruckerei (Hermann Fohle) in Jena. — S087 






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